Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern: Projekte erfolgreich planen, durchführen und abschließen [1. Aufl.] 9783658284930, 9783658284947

In der Praxis scheitern viele Transformationsprojekte. Es zeigt sich, dass zur erfolgreichen Umsetzung von Transformatio

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Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern: Projekte erfolgreich planen, durchführen und abschließen [1. Aufl.]
 9783658284930, 9783658284947

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXIV
Front Matter ....Pages 1-1
Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation (Gabriele Leppelmann, Georg Leppelmann)....Pages 3-21
Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen Unternehmen (Frank Ahlrichs)....Pages 23-47
Mastering Digital Transformation – Ein Projektbericht (Bernd Ettelbrück)....Pages 49-69
Transformationsmanagement in KMU: Der per-se-Ansatz als Ergänzung des Enterprise Transformation Cycle (Uwe Fischer)....Pages 71-88
Front Matter ....Pages 89-89
Agil & Lean-Nukleus – Projekte neu denken, in Iterationen planen und getaktet durchführen (Iris Maier)....Pages 91-110
Agiles Management als Wegbereiter gelebter Compliance und besserer Corporate Governance (Stefan Vieweg)....Pages 111-124
Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe von COBIT – Ein methodisches Vorgehen zur Analyse des Reifegrads und der Identifikation des Handlungsbedarfs am Beispiel von Donner & Reuschel (Nico Pantelmann, Andreas Werner-Scheer)....Pages 125-141
Welche Fähigkeiten benötigt ein Unternehmen um Künstliche Intelligenz nachhaltig erfolgreich einzusetzen? (Christina Rode-Schubert, Patrick Müller)....Pages 143-171
Potenziale der Digitalisierung: Die Intelligenz der Vielen im Unternehmen nutzen (Oliver Foitzik, Katja Heumader)....Pages 173-191
Front Matter ....Pages 193-193
Der Weg zu einem customerorientierten Unternehmen (Ingrid Vollweiter, Michael Rohde)....Pages 195-209
Transition der Service Organisation zu ITSM-orientierten Organisationseinheiten (Rolf-Dieter Härter)....Pages 211-227
Customer Experience für Strategieentwicklung und Lean Transformation – Die Lösungsbereiche einer erfolgreichen Customer-Experience-Strategie (Frank Bunge, Wolf Nöding)....Pages 229-251
Mit Servitization zu Customer Success – Business Transformation für Kundenbegeisterung und Wachstum (Michael René Weber, Frank Bunge)....Pages 253-282
Mit Kompetenzmanagement die Strategie und Innovationsfähigkeit des Unternehmens unterstützen (Martin Rost)....Pages 283-299
Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz: Einblicke in Lösungen für kritische Herausforderungen im Unternehmensalltag (Horst Albert Guthmann, Catherine Obert)....Pages 301-320
Burnout im digitalen Zeitalter – Entwicklung und Etablierung eines ganzheitlichen Konzepts zur Burnout-Prävention in (innovativen) Unternehmen (Ian W. Listopad, Gudrun Brünner)....Pages 321-349
Front Matter ....Pages 351-351
Die Bedeutung der Persönlichkeitsentwicklung im Enterprise Transformation Cycle (Martina Stauch)....Pages 353-364
Die Wechselbeziehung von Organisationskultur, Changemanagement und Emotionen in der digitalen Transformation (Martin Kupiek)....Pages 365-382
Collaboration Management – Zusammenarbeit im Projekt erfolgreich gestalten (Helmut Schäfer)....Pages 383-395
Der Erfolgsfaktor Kommunikation (Benjamin Steinegger, Peter F.-J. Steinhoff)....Pages 397-415
Projekte scheitern überwiegend an mangelnder Kommunikation – Was kann dagegen nachhaltig getan werden? (Karl-Heinz Hellmann)....Pages 417-430
Back Matter ....Pages 431-440

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Mario A. Pfannstiel Peter F.-J. Steinhoff Hrsg.

Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern Projekte erfolgreich planen, durchführen und abschließen

Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern

Mario A. Pfannstiel  •  Peter F.-J. Steinhoff Hrsg.

Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern Projekte erfolgreich planen, durchführen und abschließen

Hrsg. Mario A. Pfannstiel Fakultät Gesundheitsmanagement Hochschule Neu-Ulm Neu-Ulm, Deutschland

Peter F.-J. Steinhoff Hochschule für angewandtes Management Ismaning, Deutschland

ISBN 978-3-658-28493-0    ISBN 978-3-658-28494-7 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Nachdem im Jahr 2018 das erste Buch zum Enterprise Transformation Cycle (ETC) mit dem Untertitel „Theorie, Anwendung, Praxis“ erschienen ist, erreichten uns sehr viele positive Rückmeldungen und Anfragen zur Anwendung des ETC in anderen Transformationssituationen. Wir haben uns daraufhin entschlossen ein weiteres Buch zu erstellen. In dem vorliegenden Buch wollen wir die Anmerkungen und Wünsche unserer Leser berücksichtigen und umsetzen. Zusätzlich haben wir konkrete Transformationsprojekte und Handlungssituationen von Experten, die den ETC täglich anwenden, eingebunden. Um den Lesern, die zum ersten Mal etwas vom ETC hören, den Einstieg zu erleichtern, möchten wir zu Beginn des Buchs noch einmal auf den ETC als Regelkreissystem eingehen. Der Enterprise Transformation Cycle wurde zur Umsetzung von Transformationen in Unternehmen entwickelt. Als ein ganzheitliches Konzept unterstützt er die erfolgreiche Umsetzung von Veränderungsprozessen und stellt eine wesentliche Bereicherung in Wirtschaft und Beratung dar, da er sich als offener Handlungsrahmen für vielfältige Herangehensweisen bei Transformationsprojekten etabliert hat. Mit ihm können vielfältige Transformationslösungen erarbeitet sowie Grenzen und Risiken bei der Transformation aufgezeigt werden. Er differenziert Transformationsmöglichkeiten und unterstützt Verantwortliche bei der Planung, Durchführung und Organisation von Transformationen. Die Transformationsarbeit bietet Chancen und Risiken die es zu bewältigen gilt. Chancen entstehen beispielsweise durch immer besser werdende Methoden und Arbeitstechniken, die zur Optimierung von Veränderungen beitragen. Risiken ergeben sich durch unkontrollierte Abläufe die nicht hinterfragt und von den verantwortlichen Personen nicht reflektiert werden. Das vorliegende Buch rückt daher die Optimierung und Verbesserung von Transformationsprozessen in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Dabei sollen folgende Fragen beantwortet werden. . Wie verändert sich ein klassisches Transformationsprojekt durch den Einsatz des ETC? 1 2. Welche Anpassungen sind in der Planung und Organisation von Transformationsprojekten erforderlich? 3. Wie sieht die optimale Prozessorganisation bei Transformationsprojekten aus? 4. Wer bestimmt über die zur Verfügung stehenden Ressourcen bei der Transformation? V

VI

Vorwort

5. Was für ein Entscheidungs- und Kommunikationsverhalten von Akteuren ist bei einer Transformation gefragt? Die Beantwortung der Fragen nimmt detailliert Bezug auf einzelne Planungsstufen bei einer Transformation sowie auf den konzeptionellen Rahmen von Transformationsprojekten in Unternehmen der verschiedensten Branchen. Entscheidend ist dabei vor allem der Umgang mit der hohen Dynamik und den bestehenden Belastungen, die sich aus Arbeitsabläufen und Rollenanforderungen ergeben. Der ETC vereint in sich folgende Dimensionen und Phasen (siehe Abb. 1). Der ETC ist ein Erfolgsmodell und bietet folgende Vorteile: • Er kann bei kleinen, mittleren und großen Transformationsprojekten eingesetzt werden; • Er hilft beim Strukturieren, Umsetzen und Erreichen operativer und strategischer Unternehmensziele; • Er kann grundsätzlich in allen Branchen angewendet werden und zur Optimierung und Gestaltung von Veränderungen beitragen; • Er geht auf die Bedürfnisse von Kunden und Partnern ein und bringt sowohl individuelle als auch zielgruppenspezifische Lösungsmuster; • Der organisatorische Rahmen des ETC fördert Lernprozesse und die Motivation zum Um- und Weiterdenken.

Inhaltlicher Aufbau des Buchs Im ersten Teil „Transformationsmanagement“ wird auf die Erfolgsfaktoren, Herausforderungen und Potenziale im Rahmen der digitalen Transformation in Unternehmen eingegangen.

BUSINESS TRANSFORMATION Strategy Processes

Governance Values & Principles

Systems & Tools

Organization People

ENVISION

ENGAGE

TRANSFORM

OPTIMIZE

Abb. 1  Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool. (Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018 und Stiles et al. 2012, S. 45)

Vorwort

VII

Der zweite Teil „Transformationsprozesse“ legt den Fokus auf die Führung, Steuerung und Kontrolle von Transformationsprozessen. Teil drei „Transformationsbeziehungen“ berücksichtigt die Kunden-, Beratungs- und Mitarbeiterperspektive bei der Entwicklung, der Umsetzung und der Beurteilung einer Strategie für Unternehmen. Der vierte und letzte Teil „Transformationsprojekte“ nimmt Bezug auf die Umsetzung von Unternehmens­projekten. Aufgezeigt wird die Bedeutung von Kollaboration, Kommunikation und Teamarbeit. In diesem Sammelband wird der ETC aus den oben genannten vier Themenperspektiven betrachtet. Die nachfolgende Übersicht zeigt exemplarisch und zur leichteren Einordnung für den Leser eine Zuordnung der Beiträge zu den vier Themenperspektiven auf. Zu berücksichtigen ist, dass die Inhalte der Beiträge sich häufig nicht eindeutig auf eine Themenperspektive beschränken lassen, sondern auch eine Überlappung zu einer oder mehreren anderen Themenperspektiven vorliegen kann: Themenperspektive Transformationsmanagement Transformationsprozesse Transformationsbeziehungen Transformationsprojekte

Beitrag 1, 2, 3, 4 5, 6, 7, 8, 9 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16 17, 18, 19, 20, 21

Struktur der einzelnen Buchbeiträge Die Beiträge der einzelnen Autoren in diesem Buch sind wie folgt zusammengestellt: Zusammenfassung, Gliederung, Einleitung, Hauptteil, Schluss, Literaturverzeichnis, Autorenbiografie und Autorenanschrift. Die Ausführungen und Erkenntnisse der Beiträge werden von jedem Autor in einer Schlussbetrachtung am Beitragsende zusammengefasst. Im Anhang wird ein Stichwortverzeichnis bereitgestellt, das zum besseren Verständnis des Buchs dienen und die gezielte Themensuche beschleunigen soll. Wir möchten uns bei den zahlreichen Autorinnen und Autoren des Bandes bedanken, die viele interessante und spannende Themen aus Praxis und Wissenschaft in das Buch eingebracht haben. Weiterhin möchten wir uns ganz herzlich an dieser Stelle bei Frau Wiegmann und bei Herrn Thachancheri vom Springer Verlag bedanken, die uns bei der Erstellung des Buchs sehr unterstützt haben. Neu-Ulm und München Januar 2020 

Mario A. Pfannstiel Peter F.-J. Steinhoff

Inhaltsverzeichnis

Teil I  Transformationsmanagement 1 Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   3 Gabriele Leppelmann und Georg Leppelmann 2 Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  23 Frank Ahlrichs 3 Mastering Digital Transformation – Ein Projektbericht. . . . . . . . . . . . . . . . . .  49 Bernd Ettelbrück 4 Transformationsmanagement in KMU: Der per-se-Ansatz als Ergänzung des Enterprise Transformation Cycle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  71 Uwe Fischer Teil II  Transformationsprozesse 5 Agil & Lean-Nukleus – Projekte neu denken, in Iterationen planen und getaktet durchführen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  91 Iris Maier 6 Agiles Management als Wegbereiter gelebter Compliance und besserer Corporate Governance. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Stefan Vieweg 7 Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe von COBIT – Ein methodisches Vorgehen zur Analyse des Reifegrads und der Identifikation des Handlungsbedarfs am Beispiel von Donner & Reuschel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Nico Pantelmann und Andreas Werner-Scheer

IX

X

Inhaltsverzeichnis

8 Welche Fähigkeiten benötigt ein Unternehmen um Künstliche Intelligenz nachhaltig erfolgreich einzusetzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Christina Rode-Schubert und Patrick Müller 9 Potenziale der Digitalisierung: Die Intelligenz der Vielen im Unternehmen nutzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Oliver Foitzik und Katja Heumader Teil III  Transformationsbeziehungen 10 Der Weg zu einem customerorientierten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Ingrid Vollweiter und Michael Rohde 11 Transition der Service Organisation zu ITSM-­orientierten Organisationseinheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Rolf-Dieter Härter 12 Customer Experience für Strategieentwicklung und Lean Transformation – Die Lösungsbereiche einer erfolgreichen Customer-Experience-­Strategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Frank Bunge und Wolf Nöding 13 Mit Servitization zu Customer Success – Business Transformation für Kundenbegeisterung und Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Michael René Weber und Frank Bunge 14 Mit Kompetenzmanagement die Strategie und Innovationsfähigkeit des Unternehmens unterstützen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Martin Rost 15 Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz: Einblicke in Lösungen für kritische Herausforderungen im Unternehmensalltag. . . . . . . 301 Horst Albert Guthmann und Catherine Obert 16 Burnout im digitalen Zeitalter – Entwicklung und Etablierung eines ganzheitlichen Konzepts zur Burnout-Prävention in (innovativen) Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Ian W. Listopad und Gudrun Brünner Teil IV  Transformationsprojekte 17 Die Bedeutung der Persönlichkeitsentwicklung im Enterprise Transformation Cycle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Martina Stauch

Inhaltsverzeichnis

XI

18 Die Wechselbeziehung von Organisationskultur, Changemanagement und Emotionen in der digitalen Transformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Martin Kupiek 19 Collaboration Management – Zusammenarbeit im Projekt erfolgreich gestalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Helmut Schäfer 20 Der Erfolgsfaktor Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Benjamin Steinegger und Peter F.-J. Steinhoff 21 Projekte scheitern überwiegend an mangelnder Kommunikation – Was kann dagegen nachhaltig getan werden?. . . . . . . . . . 417 Karl-Heinz Hellmann Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

Über die Herausgeber

Prof. Dr. Mario  A.  Pfannstiel  ist Professor für Betriebswirtschaftslehre im Gesundheitswesen  – insbesondere für innovative Dienstleistungen und Services an der Hochschule Neu-Ulm. Er besitzt ein Diplom der Fachhochschule Nordhausen im Bereich „Sozialmanagement“ mit dem Vertiefungsfach „Finanzmanagement“, einen M.Sc.-Abschluss der Dresden International University in Patientenmanagement und einen M.A.-Abschluss der Technischen Universität Kaiserslautern und der Universität Witten/Herdecke im Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen. Die Promotion erfolgte an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und dem Lehrstuhl für Management, Professional Services und Sportökonomie der Universität Potsdam. An der Universität Bayreuth war er beschäftigt als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strategisches Management und Organisation im Drittmittelprojekt „Service4Health“. Im Herzzentrum Leipzig arbeitete er als Referent des Ärztlichen Direktors. Seine Forschungsarbeit umfasst zahlreiche Beiträge, Zeitschriften und Bücher zum Management in der Gesundheitswirtschaft.

XIII

XIV

Über die Herausgeber

Prof. Dr. Peter  F.-J.  Steinhoff  ist Professor für Betriebswirtschaftslehre – insbesondere Unternehmenssteuerung sowie internationales/interkulturelles Management an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning bei München. Er studierte Kulturwirtschaft an den Universitäten Passau, Quito und Charleston. Die Promotion erfolgte an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Würzburg. Der ehemalige Siemens Manager ist Managing-­ Partner des Beratungsunternehmens Transformation Consulting International (TCI). Dort verantwortet er den Beratungsschwerpunkt Business Transformation sowie die Internationalisierung von Unternehmen. Ferner ist er Geschäftsführer der IndiGate GmbH, die sich auf Transfor­ mationsprojekte in Indien und den Ländern der arabischen Halbinsel spezialisiert hat.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1.1 Abb. 1.2 Abb. 1.3

Struktur für Führung in Verbindung. (Quelle: Eigene Darstellung 2019) ���� 7 Transformation mit Related Leadership und Enterprise Transformation Cycle. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)���������������������������������������� 8 Beispiel Wertequadrat nach SySt®-Institut und Schulz von Thun. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������������������������������������������������������������� 11

Abb. 2.1

Plan-Do-Check-Act/Adapt(PDCA)-Kreislauf mit den klassischen Grundannahmen der Unternehmenssteuerung. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)���������������������������������������������������������������������������������������� 24 Abb. 2.2 Veränderungen der Marktstrukturen������������������������������������������������������������ 25 Abb. 2.3 Auswirkungen der VUCA-Welt auf die Unternehmenssteuerung. (Quelle: Eigene Darstellung 2019, basierend auf dem Cynefin-Modell)���� 27 Abb. 2.4 Agiler Steuerungskreislauf. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)���������������� 27 Abb. 2.5 Veränderung der Controllerrolle. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������� 28 Abb. 2.6 Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45)���������������������������� 31 Abb. 2.7 Die abnehmende Konkretheit von Zielen bei zunehmendem zeitlichem Horizont. (Quelle: Eigene Darstellung auf Basis eines unveröffentlichten Arbeitsergebnisses des gemeinsamen Fachkreises „Controlling & Qualität“ des Internationalen Controllervereins e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Qualität 2018)���������������������������� 32 Abb. 2.8 Optionen der Organisationsgestaltung am praktischen Beispiel. (Quelle: Eigene Darstellung 2018)�������������������������������������������������������������� 36 Abb. 2.9 WHU (Beisheim School of Management)-Controller-Panel 2014: Intensivere Nutzung von Instrumenten bei zunehmender Volatilität. (Quelle: Schäffer und Weber o. J.)�������������������������������������������������������� 40 Abb. 2.10 Arten von (Prozess-)Kennzahlen. (Quelle: Ahlrichs und Knuppertz 2010)�������������������������������������������������������������������������������������������������� 42 Abb. 2.11 Übersicht Unternehmenssteuerung in modernen Organisationen. (Quelle: Eigene Darstellung 2018)�������������������������������������������������������������� 42 XV

XVI

Abbildungsverzeichnis

Abb. 3.1 Abb. 3.2 Abb. 3.3 Abb. 3.4

Architektur. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)������������������������������������������ 56 Reshaping Business. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)���������������������������� 57 Programmübersicht. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)���������������������������� 59 Der Enterprise Transformation Cycle im Überblick. (Quelle: Pfannstiel und Steinhoff 2018, S. 34; Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018, o. S. und Stiles et al. 2012, S. 45)���������������������������������������������������������������������������������������� 60

Abb. 4.1

Der per-se-Ansatz: Engpassfindung in der KMU-Transformation. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������������������������������������������������������������� 83

Abb. 5.1

House of Lean. (Quelle: Eigene Darstellung 2019 in Anlehnung an Scaled Agile Inc. 2019)�������������������������������������������������������������������������� 96 Das Agile Manifest auf Deutsch. (Quelle: Maier 2018; eigene Darstellung 2018 auf Basis der englischen Version des Agile Manifestos 2001) ���������������������������������������������������������������������������������������� 97 Die drei wichtigsten Schlüsselfaktoren für den Erfolg von agilen Frameworks und Methoden in skalierten Umgebungen. (Quelle: CollabnetVersionOne 2019)������������������������������������������������������������������������ 97 Agile Techniken und Zeremonien im Einsatz. (Quelle: CollabnetVersionOne 2019 – Stateofagile.com – 13th Anual State of Agile report, May 2019)���������������������������������������������������������������������������������������� 98 Metriken zur Messung des Erfolgs in agilen Projekten. (Quelle: CollabnetVersionOne 2019 – Stateofagile.com – 13th Anual State of Agile report, May 2019)�������������������������������������������������������������������������� 98 Agile Projektmanagement-­Unterstützungstools. (Quelle: CollabnetVersionOne 2019 – Stateofagile.com – 13th Anual State of Agile report, May 2019)������������������������������������������������������������������������������ 99 Empfohlene Projektmanagementtools. (Quelle: CollabnetVersionOne 2019 – Stateofagile.com – 13th Anual State of Agile report, May 2019)������������������������������������������������������������������������������������������������������ 100

Abb. 5.2

Abb. 5.3

Abb. 5.4

Abb. 5.5

Abb. 5.6

Abb. 5.7

Abb. 6.1

Abb. 6.2 Abb. 6.3

Abb. 7.1 Abb. 7.2

Compliance-Radar: Beispiele der in der Wirtschaftspresse veröffentlichten Berichte über Compliance-Verstöße oder Verdacht auf solche (kein Anspruch auf Vollständigkeit, keine Vorverurteilung). (Quelle: Eigene Darstellung 2019) ������������������������������ 112 Compliance on Board Index für DAX- und MDAX-Unternehmen. (Quelle: Vieweg 2018b)���������������������������������������������������������������������������� 114 Agile Methods Market Share (Eigene Darstellung, normalisiert, basiserend auf „The Annual State of Agile Report“. (Quelle: o.V. 2018)������������������������������������������������������������������������������������ 120 Hindernisse im Prozessmanagement. (Quelle: Procedera 2018)�������������� 127 Changemanagement (CM), Organisationsentwicklung (OE) und Transformationsmanagement (TM) im Vergleich. (Quelle: in Anlehnung an Prammer 2009, S. 31)�������������������������������������������������������� 128

Abbildungsverzeichnis

Abb. 7.3

Abb. 7.4 Abb. 7.5

Abb. 7.6

Abb. 7.7 Abb. 7.8 Abb. 8.1 Abb. 8.2 Abb. 8.3 Abb. 8.4 Abb. 8.5 Abb. 8.6 Abb. 8.7

Abb. 8.8 Abb. 8.9

XVII

Der Enterprise Transformation Cycle. (Quelle: In Anlehnung an Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45)���������������������������������������������������������������������������������� 129 Prozesse für die Governance der Unternehmens-IT nach COBIT. (Quelle: ISACA 2017)���������������������������������������������������������������������� 130 Vorgehensschritte COBIT Self Assessment. (Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer 2018) �������������������������������������������������������������������������������� 131 Intranetumfrage COBIT Quick Self Assessment; hier beispielhaft eine Antwort zu EDM01. (Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer 2018) �������������������������������� 132 Fragen zum Reifegradassessment der Befähigungsstufe 1.1 (Beispiel). (Quelle: Cobit 5 Enabling Processes, ISACA 2017) �������������� 135 Prozessbefähigungsstufen. (Quelle: Cobit 5 Enabling Processes, ISACA 2017) �������������������������������������������������������������������������������������������� 135 Artificial Intelligence, Machine Learning und Data Science. (Quelle: in Anlehnung an Kotu und Deshpande 2019)������������������������������ 144 Künstliche Intelligenz – Elemente und Einordnung. (Quelle: VDE 2019) �������������������������������������������������������������������������������������� 146 Machine Learning – Landkarte. (Quelle: Fischer und Winkler 2019)������ 147 Reinforcement Learning. (Quelle: in Anlehnung an Heinz 2018)������������ 148 AI applications in Healthcare. (Quelle: PwC 2017)���������������������������������� 151 Maschine Learning. (Quelle: eigene Darstellung, Definitionen: Döbel et al. (2019))������������������������������������������������������������������������������������ 157 Strategischer Ansatz zur Umsetzung von künstlicher Intelligenz. (Quelle: Deloitte (2019) und State of AI in the Enterprise Survey 2018)�������������������������������������������������������������������������������������������������� 159 Gesundheitsmarktspezifisches Ökosystem. (Quelle: Rode-Schubert 2010)������������������������������������������������������������������������� 160 Prüfkatalog des Fraunhofer IAIS. (Quelle: Fraunhofer IAIS 2019)���������� 165

Abb. 10.1 Customer-Journey-Übersicht, Projekt der STRANGE Consulting GmbH bei einem IT-Unternehmen aus dem Jahre 2018. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������������������������������������������������������������������������� 199 Abb. 10.2 Übersicht zu Customer Experience Improvements und Transformation Relevance, Umfrageergebnisse aus Projektergebniszusammenfassungen. (Quelle: Eigene Darstellung 2019) ���������������������������������� 201 Abb. 10.3 Feinjustierungsphasen. (Quelle: Eigene Darstellung 2016)���������������������� 203 Abb. 10.4 Beispiel Treiberanalyse mit Portfoliobewertung. (Quelle: TrainingsManufaktur Dreiklang GmbH et al. 2019)���������������������������������������� 204 Abb. 10.5 Berechnungsformel CLV. (Quelle: TrainingsManufaktur Dreiklang GmbH et al. 2019) �������������������������������������������������������������������������� 205

XVIII

Abbildungsverzeichnis

Abb. 10.6 CX-Scorecard. (Quelle: TrainingsManufaktur Dreiklang GmbH et al. 2019) ������������������������������������������������������������������������������������������������ 206 Abb. 11.1 ITIL-Prozesslandkarte. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)���������������������� 219 Abb. 11.2 Aufbauorganisation. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������������������������� 225 Abb. 12.1 Customer-Experience-Frame-Überblick. (Quelle: TCI 2019)������������������ 233 Abb. 12.2 Wahrscheinlichkeit vom Lieferantenwechsel nach einer einzigen negativen Customer-Experience-Erfahrung. (Quelle: Bioinformatics 2011) �������������������������������������������������������������������������������������������������� 237 Abb. 12.3 Service Excellence Transformation Cycle. (Quelle: TCI 2017)���������������� 238 Abb. 12.4 Customer-Experience-Frame – Value Proposition Areas. (Quelle: TCI 2019)�������������������������������������������������������������������������������������������������� 239 Abb. 12.5 Das Minimal-Value-Product-Prinzip. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)������������������������������������������������������������������������������������������ 243 Abb. 12.6 Customer-Experience-Reifegrade. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������������������������������������������������������������������������������������� 246 Abb. 12.7 Pfannstiel MA, Steinhoff PJ-F (2018) Kontinuierlicher Verbesserungsprozess für Customer Experience über den Service Excellence Transformation Cycle. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Pfannstiel und Steinhoff 2018)�������������������������������������� 248 Abb. 12.8 Customer-Experience-Dreieck – Verfügbarkeit, Kundenzufriedenheit und profitables Wachsen. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)������������ 249 Abb. 12.9 Personalization und Servitization über maßgeschneiderte Servicelösungen. (Quelle: Eigene Darstellung 2019) ������������������������������������������ 249 Abb. 13.1 Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45)�������������������������� 255 Abb. 13.2 Gegenüberstellung Produktzentrierung und Kundenzentrierung. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)������������������������������������������������������������ 262 Abb. 13.3 Service-Reifegradmodell zum Erreichen von Service Business Competence. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������������������������������������� 264 Abb. 13.4 Das Service-Business-Modell Canvas. (Quelle: Zolnowski 2015)����������� 270 Abb. 13.5 Service Excellence für langfristige Kundenbindung mit dem ISS ServiceCompass. (Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an ISS 2019) �� 273 Abb. 13.6 Service-Controlling-Instrumente im Vergleich. (Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an Böhmann et al. 2013) �������������������������������������� 275 Abb. 13.7 Aufbau und Zielsetzung des ISS ServiceCompass. (Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an ISS 2019)���������������������������������������������� 276 Abb. 13.8 Von Navigationspol über Erfolgsfaktoren zu Maßnahmen zum Erreichen von Service Excellence. (Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an ISS 2019)������������������������������������������������������������������������������ 276

Abbildungsverzeichnis

XIX

Abb. 13.9 Vergleich DIN SPEC 77224 und ISS ServiceCompass – Navigationspole. (Quelle: ISS 2019)�������������������������������������������������������������������� 279 Abb. 13.10 Vergleich DIN SPEC 77224 und ISS ServiceCompass – Erfolgsfaktoren. (Quelle: ISS 2019)���������������������������������������������������������������������� 279 Abb. 14.1 Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International (2018) und Stiles et al. (2012), S. 45)���������������� 287 Abb. 15.1 Der Beratungsansatz der G&G Management Consultants auf einen Blick. (Quelle: G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020) ���������������������������������������������������������������������������������������������� 303 Abb. 15.2 Verknüpfung des Enterprise Transformation Cycle mit dem G&G-Beratungsansatz. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012; S. 45; Pfannstiel und Steinhoff 2018; G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)�������������������������������������������������������������������������������� 305 Abb. 15.3 Ambidextrie: Die Herausforderung, gleichzeitig effizient und innovativ zu sein. (Quelle: Kretschmer und Schäfer 2018; G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020) ���������������������������������� 306 Abb. 15.4 Beispiel kontextueller Ambidextrie in den vier Phasen der Transformation. (Quelle: Guthmann et al. 2019; G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)�������������������������������������������������� 307 Abb. 15.5 Aspekte der strukturellen und kulturellen Transformation im Überblick. (Quelle: G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)�������������������������������������������������������������������������������������� 308 Abb. 15.6 Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz dargestellt an Projektbeispielen. (Quelle: G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)�������������������������������������������������������������������������������������� 309 Abb. 15.7 Projektbeispiel Einsatz des Enterprise Transformation Cycle zur Unterstützung des Product Owner. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45; Pfannstiel und Steinhoff 2018)���������������������������������������������� 311 Abb. 15.8 Projektbeispiel Einsatz des Enterprise-Transformation-Cycle-Vorgehensmodells in der Projektplanung. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45; Pfannstiel und Steinhoff 2018; G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)������������������������������������������������������ 312 Abb. 15.9 Projektbeispiel kontextuelle Ambidextrie in der Transformation. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45; Pfannstiel und Steinhoff 2018; G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)�������������������������������������������������������������������������������������� 314

XX

Abbildungsverzeichnis

Abb. 15.10 Prinzipdarstellung der Aspekte struktureller und kultureller Transformation. (Quelle: G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)�������������������������������������������������������������������������������������� 317 Abb. 16.1 Entstehung von Stress. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Riedl 2013a, S. 99) ������������������������������������������������������������������������������ 324 Abb. 16.2 Auswirkungen der Erschöpfung beim Burnout-­Syndrom. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Brühlmann 2014)���������������������������� 326 Abb. 16.3 Das bio-psycho-­soziale Modell. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������� 327 Abb. 16.4 Veränderungsstrategien in unterschiedlichen Stufen des transtheoretischen Modells. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Lippke und Renneberg 2006)�������������������������������������������������������������������� 338 Abb. 16.5 Behavioral and Organizational Change – Burnout-Prävention auf ganzheitlicher Ebene. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45; Prochaska und Di Clemente 1985)���������������������������������������� 338 Abb. 16.6 Veränderungsstrategien in unterschiedlichen Stufen des transtheoretischen Modells im Kontext des Enterprise Transformation Cycle. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Lippke und Renneberg 2006)���������������������������������������������������������������������������������������� 341 Abb. 17.1 Die Enterprise-Transformation-Cycle-Strategie. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International (2018), o. S., Stiles et al. (2012), S. 45) ���������������������������������������������������������������� 355 Abb. 17.2 Unterschiedliche Persönlichkeitstypen des Global Leader Profils, entwickelt von William R. Torbert; Charakterzüge und wie die Führung ausgelebt wird; Ausprägung von „Command und Control“ (vertikal) und die eines collaborativen Führungsstils (horizontal). (Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Torbert und Barker (o. J.), o. S)������������������������������������������������������������������������������������ 358 Abb. 17.3 Ganzheitliches Führungskonzept. Deutlich ist zu erkennen, welche Veränderungen in einer Organisation auf welchem Level umgesetzt werden sollten, damit sich ein Unternehmen zu einer selbstlernenden Organisation entwickeln kann. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������������������������������������������������������������������������������������� 360 Abb. 18.1 Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45)�������������������������� 377

Abbildungsverzeichnis

XXI

Abb. 19.1 Der Collaboration-Ansatz geht über die „normale“ Zusammenarbeit im Sinne von Kooperation hinaus. (Quelle: Eigene Darstellung 2019) ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 385 Abb. 19.2 Handlungsfelder des Collaboration Management. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������������������������������������������������������������������������������������� 388 Abb. 19.3 Beispiel einer Projekt-Team-Organisation mit dezentralen Koordinatoren. (Quelle: In Anlehnung an Binder (2007), S. 137)������������ 389 Abb. 19.4 Grundlagen der Vertrauensentscheidung. (Quelle: in Anlehnung an Fladnitzer (2006), S. 184)�������������������������������������������������������������������� 391 Abb. 19.5 Ausdruckformen bzw. Gestaltungselemente der Unternehmenskultur. (Quelle: Wunderer (2001), S. 155 und 159)���������������������������������� 393 Abb. 20.1 Der SAP-Fieldglass-Einkaufsprozess. (Quelle: Eigene Darstellung (2019)) ������������������������������������������������������������������������������������������������������ 400 Abb. 20.2 Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International (2018), o. S., Stiles et al. (2012), S. 45, Steinhoff (2018), S. 7) ������������������������������������������������������������������������������ 401 Abb. 20.3 Power-Interest-­Matrix. (Quelle: Zusammenstellung nach Johnson (2017), S. 137)������������������������������������������������������������������������������������������ 402 Abb. 20.4 Stakeholder-Managementplan. (Quelle: Eigene Darstellung (2019)) ������ 404 Abb. 20.5 Die Zusammenführung des Enterprise-Transformation-Cycle-Modells und der Kommunikationsmaßnahmen. (Quelle: Eigene Darstellung (2019)) ���������������������������������������������������������������������������������� 412

Tabellenverzeichnis

Tab. 4.1

Agile Methoden ����������������������������������������������������������������������������������������  77

Tab. 7.1 Tab. 7.2 Tab. 7.3 Tab. 7.4 Tab. 7.5 Tab. 7.6 Tab. 7.7 Tab. 7.8 Tab. 7.9 Tab. 7.10 Tab. 7.11

Schema für die Erfassung im Quick Self Assessment������������������������������ 131 Prozessverantwortliche und Stakeholder�������������������������������������������������� 131 Übereinstimmungen in der Einschätzung�������������������������������������������������� 132 Abweichungen in der Einschätzung���������������������������������������������������������� 133 Prozesse mit großen Abweichungen bei der Beurteilung (Auszug)���������� 133 Priorisierung der COBIT-Prozesse nach Handlungsbedarf (Auszug) ������ 133 COBIT-Ratingskala ���������������������������������������������������������������������������������� 134 Ratingskala für die Prozessbefähigungsattribute�������������������������������������� 136 Vergleich der Bewertungen (Beispiel)������������������������������������������������������ 136 Protokoll eines Abstimmgesprächs (Beispiel)������������������������������������������ 138 Zuordnung Prozessverantwortliche/Stakeholder zu Prozessen und Tracking des Status des Self Assessments������������������������������������������������ 139 Auszug aus einem Protokoll der ITGG-Sitzung���������������������������������������� 139 Umsetzungsprüfung festgelegter Maßnahmen������������������������������������������ 140

Tab. 7.12 Tab. 7.13 Tab. 11.1 Tab. 11.2

Gegenüberstellung ITIL – ISO/IEC 20000. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������������������������������������������������������������������������������������� 215 Prozesse zu Funktionen/Abteilungen kategorisieren. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)�������������������������������������������������������������������������� 220

Tab. 15.1

Gegenüberstellung Vor- und Nachteile durch den Einsatz erweiterter ETC������������������������������������������������������������������������������������������������������ 317

Tab. 16.1

Kernsymptome und typische Verhaltensweisen nach Maslach und Jackson������������������������������������������������������������������������������������������������������ 326 Stufen der Verhaltensänderung, Charakteristika und Ziele ���������������������� 337

Tab. 16.2 Tab. 21.1

Überblick über die Zuordnungen der Module des ETC, der Module des Chaos-­Exorzismus sowie über die Verwendung in den Best-Practice-Beispielen. (Quelle: Eigene Zusammenstellung 2019)������ 421

XXIII

XXIV

Tab. 21.2

Tab. 21.3

Tab. 21.4

Tabellenverzeichnis

Überblick über Probleme/Lösungen des Best-Practice-Beispiels Mittelfristplanung DAX-Konzern. (Quelle: Eigene Zusammenstellung 2019)�������������������������������������������������������������������������������������������������� 425 Überblick über Probleme/Lösungen des Best-Practice-Beispiels Interim Management Automotive. (Quelle: Eigene Zusammenstellung 2019)�������������������������������������������������������������������������������������������������� 428 Überblick über Probleme/Lösungen des Best-Practice-Beispiels Internationale Steuern DAX-Konzern. (Quelle: Eigene Zusammenstellung 2019) ������������������������������������������������������������������������������������ 429

Teil I Transformationsmanagement

1

Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation Gabriele Leppelmann und Georg Leppelmann

Inhaltsverzeichnis 1.1  Einleitung  1.2  Grundlagen: Ein lebendes System und seine Verbindungen  1.3  Die Elemente der Transformation miteinander verbinden  1.4  Schlussbetrachtung  Literatur 

 4  5  12  20  20

Zusammenfassung

Die Welt wird VUCA (Volatilität, Ungewissheit, Komplexität (Complexity), Ambiguität) und Unternehmen müssen sich ständig immer schneller den veränderten Bedingungen anpassen. Der Enterprise Transformation Cycle (ETC) von TCI umfasst wichtige Stationen bzw. Ansatzpunkte für diesen erwünschten Wandel in Unternehmen. Er beschreibt die Elemente der Transformation von Strategy über Processes, Organization, People, System & Tools bis Governance. Und er beschreibt über Envision, Engage, Transform, Optimize die Schritte der Transformation. Führung hat an der gewünschten Transformation einen entscheidenden Anteil. Im Balancieren zwischen den Bedürfnissen der Menschen und den Herausforderungen sich ständig ändernder Aufgaben müs-

G. Leppelmann (*) LEPPELMANN | Akademie, Otterfing (bei München), Deutschland E-Mail: [email protected] G. Leppelmann LEPPELMANN | Co, Otterfing (bei München), Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_1

3

4

G. Leppelmann und G. Leppelmann

sen Führungskräfte neue Wege gehen, um ihr Unternehmen aktiv in Richtung einer lernenden Organisation zu gestalten. Die Verbindung des Enterprise Transformation Circle mit unserem Konzept des Related Leadership (Führung in Verbindung) greift genau dort. Indem die Verbindungen innerhalb der Elemente des ETC gestärkt werden, etabliert sich eine stabilere und kontinuierlichere Entwicklung in Richtung „besser“.

1.1

Einleitung

Transformationsmanagement kann als Verbindung von Organisationsentwicklung und Change­management verstanden werden. So wird das prozessorientierte Herangehen der Organisationsentwicklung mit dem inhaltsorientierten Herangehen des Changemanagements verknüpft. Das Entwicklungspotenzial einer Organisation wird gestärkt und auf ein inhaltliches Ziel der Veränderung ausgerichtet (Steinhoff 2018, S. 5). In der Welt sehen sich Unternehmen einer zunehmend komplexen, wenn nicht gar chaotischen Umwelt ausgesetzt. Beispielsweise sind zukünftige Auswirkungen der Digitalisierung und des Internet of Things (IoT) kaum konkret prognostizierbar oder die Konsequenzen von Handelskriegen und Protektionismus auf einzelne Unternehmen schwer absehbar. Nach den Unterscheidungen im Cynefin Framework (Snowden 2002) sind in einfachen und in komplizierten Zusammenhängen ursächliche Wirkungen erkennbar. Dagegen sind in komplexen und chaotischen Strukturen ursächliche Zusammenhänge nicht mehr erkennbar. Entsprechend können angestrebte Veränderungen in der komplexen und chaotischen VUCA-Welt eher schrittweise mit kurzen Feedbackschleifen erreicht werden. In chaotischen Zusammenhängen bieten zudem Geschichten Orientierung. In komplexen Zusammenhängen ist die Vereinbarung einer Richtung effizienter, als konkrete Zielvereinbarungen, die einem zu schnellen Wandel unterliegen. Dafür brauchen Unternehmen in der VUCA-Welt entsprechend lernende Strukturen, die sich sowohl flexibler als auch kontinuierlicher in eine angestrebte Richtung transformieren können. Eine Organisation wird umso lernfähiger je konstruktiver sich ihre einzelnen Elemente miteinander verbinden. So kann Führung nicht nur einzelne Elemente der Transformation, sondern auch die Verbindungen zwischen diesen Elementen verbessern. Das Konzept von Führung in Verbindung (Related Leadership) hebt Transformation auf Basis des ETC so immer wieder auf das jeweils nächste Level. Eine solche Kontinuität in der Transformation entsteht durch stetiges Balancieren von Ambivalenzen, wie: Stabilität und Flexibilität, Hierarchie und Selbstorganisation, Kurzfristigkeit und Nachhaltigkeit. Über sequenzielles Handeln hinaus fokussiert Related Leadership damit auf vernetzte Entwicklungen zwischen allen Elementen der Transformation. Wolfgang Hellriegel erklärte vernetzte Entwicklungen gerne anhand mittelalterlicher Handelswege. An Knotenpunkten trafen unterschiedliche Waren, Menschen, Kulturen

1  Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation

5

oder Sprachen aufeinander: Bedeutende Entwicklungen fanden vor allem dort statt, wo es gelang, solche Unterschiede miteinander zu verbinden. Beispielsweise entstanden an Häfen oder Kreuzungen großer Handelswege neue Techniken des Umladens bzw. des Handels oder florierende Städte. Analog richtet sich der Fokus von Related Leadership auf Knotenpunkte und Verbindungen für effiziente Transformation. Im Kontext des ETC stehen die Values & Principles für einen solchen zentralen Knotenpunkt, über den sich alle anderen Ansatzpunkte einer Transformation miteinander verbinden lassen. Darüber hinaus betrachten wir die Möglichkeiten der Führung, Menschen zu einer lebendigen Organisation und eine Vision zu sinnvollen Prozessen und Aufgaben zu verbinden.

1.2

Grundlagen: Ein lebendes System und seine Verbindungen

In der Führung von Unternehmen vollzieht sich gerade ein grundlegender Paradigmenwechsel. Wurden Organisationen bisher vornehmlich tayloristisch verhaltensorientiert gesehen, so betrachten wir sie heute immer mehr als lebende Systeme (Gray 2014, S. 77–86). Welches unterschiedliche Verständnis ergibt sich daraus für Transformation? Und welche unterschiedliche Bedeutung bekommt Führung dadurch?

1.2.1 Unternehmen als lebendes System verstehen „Panta rhei“ – „Alles fließt“. Das Bild vom stetigen Fluss passt auch in die heutige Welt. Alles verändert sich und wir sind herausgefordert, entweder mit dem Strom zu schwimmen oder stärker zu werden, um der wachsenden Strömung standzuhalten. Alles fließt und das immer schneller. Anforderungen an Unternehmen steigen und Aufgaben müssen agiler angepackt werden, um immer kurzfristiger und flexibler auf Veränderungen in der Umwelt reagieren zu können. Aber nicht nur die Umweltbedingungen für Unternehmen ändern sich ständig, sondern auch die Menschen, die dort arbeiten. Sie sehnen sich sowohl nach mehr Sinn in der Erfüllung ihrer Aufgaben als auch nach mehr Wertschätzung. Auf der Suche nach dem Sinn geht es dabei nicht nur um den Sinn für ein Unternehmen. Auch Mitarbeiter wollen sich am richtigen Platz als sinnvoller Teil eines großen Ganzen fühlen. Hieraus ergeben sich große Herausforderungen an die Führung: Einerseits müssen Unternehmen auf Impulse von außen reagieren, andererseits brauchen Menschen in Unternehmen Raum, um ihr Potenzial zu entfalten. Einerseits brauchen Menschen Halt und Richtung, um Aufgaben sinnvoll zu erfüllen, anderseits brauchen sie Vertrauen und Selbstverantwortung, um in Kooperation neue Lösungen entwickeln zu können. Das Unternehmen soll sich den Veränderungen der Umwelt anpassen, um zu überleben, aber bitte nicht komplett unkontrolliert. Veränderung soll in eine bestimmte, gewünschte Richtung stattfinden und alle Kräfte sollen dazu möglichst in diese Richtung wirken.

6

G. Leppelmann und G. Leppelmann

Wie alles Lebendige verändern sich Unternehmen dabei ständig, indem sie sich beispielsweise neue Marktnischen suchen oder neue Mitarbeiter engagieren. Dabei strebt ein lebendes System immer wieder nach einem Fließgleichgewicht (Maturana 2000). Meist finden sich hier keine einfachen Regelkreise, sondern komplexe oder chaotische Zusammenhänge. Zumal bereits jeder einzelne Mensch im Unternehmen einer Blackbox gleicht (Simon und C/O/N/E/C/T/A Autorengruppe 1998). Das heißt, man weiß nie genau, wo und wann eine bestimmte Information oder Maßnahme welche Auswirkungen haben wird. Mit der Größe der Organisation potenziert sich dieses Phänomen. Daher folgen Unternehmen wie alle lebenden Systeme eher den Gesetzen alles Lebendigen, als einer monokausalen, eindeutig vorhersagbaren Maschinenprogrammierung (Simon 2007). Verabschieden wir uns also zuerst von der Illusion des unbedingt Machbaren, eines mechanisch steuerbaren Systems und fokussieren uns auf Prinzipien, denen alles Lebendige folgt (Ferrari 2011). Ein gesunder Organismus ist in vielen Aspekten anpassungsfähiger und stabiler als ein mechanisches System. Er passt sich immer wieder den Veränderungen an, indem die einzelnen Teile des Ganzen miteinander verbunden sind und in kontinuierlichen Feedbackschleifen sehr unmittelbar miteinander kommunizieren. Lernen findet dabei als komplexer Vorgang auch und vor allem in der konstruktiven Verbindung von Unterschieden statt. Beispielsweise versuchen wir mit Künstlicher Intelligenz die Verbindungen von neuronalen Netzwerken maschinell nachzuahmen. Dabei spielt die Art und Weise, wie Information bzw. Wissen entsteht und transportiert wird eine entscheidende Rolle. In Unternehmen geht es analog nicht nur um stärkere technische Vernetzung, sondern auch um mehr Lebendigkeit und Unmittelbarkeit in den Verbindungen. So können beispielsweise Meetings mehrwertiger werden, wenn über den reinen Informationsaustausch hinaus ein offener Dialog entsteht. Wenn wir in diesem Sinne bei Unternehmen suchen, wo sich Lebendigkeit entwickeln kann, dann finden wir die Magie genau dort, wo das Ganze mehr wird als die Summe der Teile: In den Verbindungen zwischen Menschen, Aufgaben und Führung. Die Qualität der Verbindungen wird hier zum wesentlichen Erfolgsfaktor für gelingende Transformation. Diese Verbindungen stehen daher im Fokus von Related Leadership. Denn vor allem, wenn die Verbindungen zwischen Menschen und Aufgaben erfüllend sind, erfüllen Menschen ihre Aufgaben und umgekehrt erfüllen auch die Aufgaben die Menschen. Für Führung in der Transformation bedeutet das, den Menschen im Unternehmen sowohl Halt als auch Richtung zu geben. Verbindungen über Verantwortung, Vertrauen und Sinn helfen dabei den Rahmen zu formen, in dem Transformation effizient und nachhaltig in die gewünschte Richtung stattfinden kann. Dieser Rahmen dient den Menschen sowohl als geschützter Raum als auch als Freiraum, in dem sie ihr volles Potenzial entfalten können. Gleichzeitig bietet dieser Rahmen Orientierung, sodass die Aufgaben am Sinn und Zweck des Unternehmens und den damit verbundenen Werten ausrichtet werden können. Um den Rahmen stabil zu halten, muss Führung in kontinuierlicher Verbindung zwischen Menschen- und Aufgabenorientierung balancieren (siehe Abb. 1.1).

1  Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation

7

Balance halten

FÜHRUNG Halt geben

Denken

Richtung geben

Fühlen

Planung

MENSCHEN

AUFGABEN

Handeln

Umsetzung

Entwicklung

VERANTWORTUNG

Abb. 1.1  Struktur für Führung in Verbindung. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Bei Transformationen finden Lernprozesse über inhaltliche und strukturelle Veränderungen statt. Durch die Erweiterung des Enterprise Transformation Cycle (ETC) mit Related Leadership kann sich gleichzeitig Lernen auf höherer Ebene entwickeln. Es wird nicht nur gelernt was verändert werden muss und wie, sondern auch wie sich Veränderung kontinuierlich in eine erwünschte Richtung fortsetzt. Die Art und Weise der Transformation wird im ETC durch die Prozessschritte Envision, Engage, Transform und Optimize beschrieben (Steinhoff 2018, S. 10). Related Leadership verbindet diese Schritte mit den Elementen der Transformation zu einer lebendig-lernenden Struktur. Im Einzelnen ist damit gemeint: Durch Envision wird ein WHY in Verbindung mit Strategy zu konkreten sinnvollen Aufgaben und Prozessen. Engage fokussiert auf die Verbindung von Menschen zu einer lebendigen Organisation. Der Prozessschritt Transform beschreibt wirksame Führung zur verantwortlichen Verbindung der Menschen mit den Aufgaben. Und Optimize wird mit Related Leadership zu kontinuierlichem Lernen für das jeweils nächste Level der Transformation (siehe Abb. 1.2).

8

G. Leppelmann und G. Leppelmann

Balance halten

ENVISION

ENGAGE

FÜHRUNG Richtung geben

Halt geben

Strategy

Governance Fühlen

Opmize

People

Values & Principles

Planung

Systems & Tools

MENSCHEN

AUFGABEN

Organizaon Denken

Processes

Handeln

Umsetzung

Entwicklung

VERANTWORTUNG

TRANSFORM

Abb. 1.2  Transformation mit Related Leadership und Enterprise Transformation Cycle. (Quelle: Eigene Darstellung 2019) Praxisbeispiel

Eine junge Industrie-Bank mit einem übernommenen traditionellen Bank-Kern engagierte uns, um aus der Start-up-Phase in eine stabilere Struktur zu transformieren. Dabei sollten Start-up-Merkmale, wie Flexibilität und leidenschaftliches Engagement, ­beibehalten werden. Außerdem sollte der zunehmenden Größe entsprechend strukturierter zusammengearbeitet werden. Das Geschäftsvolumen war in den ersten Jahren stark gewachsen, die überwiegend jungen Führungskräfte waren vor allem in der operativen Arbeit gefordert. Die Mitarbeiter fühlten sich teilweise überlastet, das anfallende Geschäft wurde meist im „Firefightermodus“ abgearbeitet. Der Vertrieb agierte sehr erfolgreich, die Marktfolgeabteilungen kamen mit der Abarbeitung der Deals kaum hinterher. Die Zusammenarbeit wurde als entsprechend zäh beschrieben. Führende Prozesse waren zwar definiert, wurden aber nicht sehr effizient gelebt, so dass immer wieder aufwendige Korrektur- und Abstimmungsschleifen erfolgen mussten.

1  Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation

9

Bei der Klärung des Auftrags und auf die Frage nach den gewünschten Entwicklungen, erhielten wir Antworten wie: • • • • • •

Wir brauchen ein klares Leadership-Bild. Es fehlt an Lösungsorientierung. Wir wünschen uns ganzheitlichere Verantwortungsübernahme. Wir brauchen ein strukturierteres Herangehen. Es fehlt ein gemeinsames Qualitätsverständnis. Kommunikation soll zielgerichteter werden.

Es galt, das System aus Menschen, Führung und Aufgaben an diesen Stellschrauben neu zu balancieren und zugleich zu einer lernenden Organisation weiterzuentwickeln.

1.2.2 Values & Principles als zentrales Element Das Befolgen von starren Regeln funktioniert in einer VUCA-Welt immer weniger. Daher bekommen Werte im Unternehmen als Maxime des Handelns immer mehr Bedeutung. So bilden Values & Principles an denen sich ein Unternehmen als lebende Organisation ausrichten kann, ein sinnvolles Zentrum für Transformation. In der Struktur des ETC stehen die Values & Principles bereits im Zentrum. Um ein Unternehmen für eine kontinuierliche Transformation zu stärken, fokussieren wir zunächst auf die Verbindungen der einzelnen Elemente mit diesem Zentrum. Durch diese Verbindung wird eine vernetztere Transformation von Strategy, Processes, Organization, People, System & Tools sowie Governance ermöglicht. Values & Principles werden so auch zum Knotenpunkt einer mehrwertigen Balancierung von Unterschieden. Damit halten sie das Unternehmen nach innen zusammen und grenzen es nach außen ab. Werte sollten sich dabei in der Ausrichtung auf einen Zweck des Unternehmens genauso spiegeln, wie in der Haltung der Führungskräfte und Mitarbeiterinnen (Mit männlichen oder weiblichen Formulierungen sind jeweils alle Geschlechter eingeschlossen.). Prozesse und Steuerungssysteme sollten damit genauso verwoben sein, wie jeder einzelne Mensch in der Organisationsstruktur. Wie können solche Werte in einer Organisation bewusster etabliert werden und wie werden sie lebendig? Das was in Organisationshandbüchern dokumentiert ist und das was gelebt wird, ist häufig ein sehr unterschiedliches Paar Schuhe. So sind die ungeschriebenen, aber gelebten Regeln genauso wichtig, wie die geschriebenen. Gelebte Werte gibt es in jeder Organisation, meist sind sie nur nicht bewusst. Über verschiedene Methoden können sie stärker ins Bewusstsein aller geholt werden und dienen dann als Leuchttürme, die im Nebel der Unsicherheit helfen, auf Kurs zu bleiben. Führung hat hier die Aufgabe, unbewusste Werte erstens bewusst zu machen und zweitens vorzuleben, um Rahmen und Richtung zu geben und so die ureigene Führungsverantwortung wahrzunehmen. Es ist eine herausfordernde Führungsaufgabe über Werte zu sprechen. Zwar beruhen die Begriffe, die Werte bezeichnen, meist auf einem gemeinsa-

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G. Leppelmann und G. Leppelmann

men Kulturverständnis jedoch verbindet jeder Mensch mit denselben Begriffen ein sehr persönliches Werteverständnis. Werte sind individuelle Konstruktionen Werte sind nicht objektive Realität, sondern unterliegen buchstäblich einer Bewertung durch jemanden. Sie sind Konstruktionen einer gewünschten Wirklichkeit und haben somit immer Bezug zu einem Betrachter (von Förster 1997). Bestimmte Werte sind uns so in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir sie überhaupt nicht mehr hinterfragen. Vertrauen beispielsweise ist ein Wert, der oft als essenziell genannt wird. Was aber genau heißt Vertrauen in einem bestimmten Kontext? Kaum jemand würde wohl von sich behaupten, man könne ihm nicht vertrauen. Und doch gibt es Menschen, denen wir mehr vertrauen und solche, bei denen Vertrauen schwieriger ist. Vertrauen kann man also nicht einfach bestellen und dann ist es da. Es entsteht in uns selbst aufgrund unserer Lernerfahrungen. Wir definieren, wem oder was wir Vertrauen entgegenbringen und wem nicht. Wir definieren wie genau unser Vertrauen aussieht und wo es seine Grenzen hat, und zwar jeder einzelne von uns jederzeit (Schulz von Thun 1996).

Wenn wir also glauben, wir könnten in Unternehmen objektiv von einem Wert sprechen, irren wir. Wir können uns einem gemeinsamen Verständnis nur annähern, indem wir beispielsweise im Kontext eines Wertes über verschiedene Verhaltensweisen sprechen, die diesen Wert positiv ausdrücken. Werden Werte mit positiven Verhaltensweisen verbunden, z. B. durch das Einigen auf gemeinsame Kommunikationsregeln, wächst das gemeinsame Verständnis für diese Werte im Unternehmen. Mehrwert entsteht dabei im wahrsten Sinne des Wortes, wenn mehrere Werte im Unternehmen gelten. Dabei ist es gerade die Spannung zwischen den einzelnen Werten, die am meisten Lernpotenzial für die Organisation beinhaltet. Eine konstruktive Betrachtung dieser Spannung kann helfen, die unterschiedlichsten Werte miteinander zu verbinden (Schulz von Thun 2015). Aufgabe der Führung ist es, diese Spannung immer wieder im Sinne des gesamten Unternehmens auszubalancieren. Beispielsweise steht insbesondere in Zeiten agilen Arbeitens der Wert „Stabilität“ in einer gewissen Spannung zum Wert „Flexibilität“. Manchen erscheint die flexible Anpassung an den Kunden als höchster Wert, manchen eher die Konstanz eines stabilen Portfolios. Jeder dieser beiden eher widersprüchlichen Werte steht für Tugenden, die eine Organisation wertvoll machen. Würde nur einer der beiden Werte für eine Organisation gelten, wäre entweder Erstarrung oder Beliebigkeit die Folge. Gelingt es der Führung jedoch beide Werte immer wieder neu miteinander zu verbinden, sodass beide gelebt und geschätzt werden können, entstehen viele neue Möglichkeiten des Verhaltens für die Menschen und damit mehrwertige Lösungen für die Organisation. Praxisbeispiel

In Banken sind die Bereiche Markt und Marktfolge institutionell bzw. aufsichtsrechtlich voneinander getrennt zu führen  – bis zur Ebene der Geschäftsführung. Diesen Sachverhalt nutzte die von uns begleitete Bank, um über die Werte, die hinter diesen institutionellen Unterschieden stecken, zu einem gemeinsamen Verständnis und balancierten Werten für die Gesamtbank zu kommen.

1  Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation

11

Zunächst haben die beiden Geschäftsführer für Markt und für Marktfolge in der Ausgangssituation der Bank jeweils beispielhafte Werte gewählt, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen: Für den Bereich Markt wurde beispielsweise „Pragmatismus“ und für die Marktfolge wurde „Qualität“ gewählt. In der Struktur des sog. Wertequadrats (nach SySt® und Schulz von Thun) haben die Geschäftsführer dann wenig nützliche Übertreibungen des jeweiligen Wertes beschrieben. Für Pragmatismus war das „Nachlässigkeit“, für Qualität war das „Pedanterie“. Das gemeinsame Werteverständnis entwickelte sich schließlich über die Erkenntnis weiter, dass es für die Überwindung von „Pedanterie“ gerade etwas mehr vom Gegenwert bedarf, also vom „Pragmatismus“, und zur Überwindung von „Nachlässigkeit“ ganz gut mehr „Qualität“ beitragen kann (siehe Abb. 1.3). Die Arbeit an der institutionalisierten Wertespannung haben wir mit den jeweiligen Führungskräften der nächsten Ebene für die Markt- und Marktfolgebereiche fortgesetzt. Damit entwickelte sich aus der jeweils eigenen Perspektive heraus eine konstruktivere Wertschätzung für das, was im jeweils anderen Bereich wichtig ist. Dieses Balancieren und die Verbindung unterschiedlicher Werte wurden so zum zentralen Ausgangspunkt der Transformation. Außerdem wurde dieses Herangehen für ein gemeinsam gelebtes Werteverständnis in der Bank als Führungsinstrument z. B. zum konstruktiven Umgang mit Unterschieden und Konflikten für alle etabliert. Über die konstruktive Balance von Werten entsteht so ein zentraler Knotenpunkt, der die Verbindungen unter den einzelnen Elementen der Transformation nachhaltig stabilisiert. Der Zusammenhang funktioniert analog zu jeder einzelnen Zelle unseres Körpers, die unsere gesamte DNA beinhaltet und sich in der Peripherie unterschiedlich ausprägt. Die gemeinsam gelebte Werte-DNA ermöglicht dem Unternehmen sowohl inneren

Positive Wertespannung

ch lei g s Au

Pragmatismus

Au sg le ich

Pedanterie

Abb. 1.3  Beispiel Wertequadrat nach SySt®-Institut und Schulz von Thun. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

12

G. Leppelmann und G. Leppelmann

Zusammenhalt und Abgrenzung nach außen als auch koordinierte Fortbewegung bzw. Wachstum in eine gemeinsame Richtung.

1.3

Die Elemente der Transformation miteinander verbinden

Values & Principles ermöglichen die Verbindung aller Elemente einer Transformation aus dem Kern des Unternehmens. In den Schritten der Transformation kann darüber hinaus ein Netzwerk von Verbindungen zwischen allen Elementen entstehen, das eine lernende Organisation ermöglicht.

1.3.1 E  nvision: Strategie als Verbindung vom WHY zu sinnvollen Aufgaben Envision bedeutet wörtlich übersetzt „sich etwas vorstellen“, aber auch „etwas betrachten“. Im Transformation Cycle ist es die Phase des Bewusstwerdens der Notwendigkeit von Veränderung (Steinhoff 2018, S. 16). Meist entsteht dieser Wunsch nach Veränderung nicht allein Top-down in der Führung eines Unternehmens. Oft entsteht auch Bottom-up der Wunsch nach Veränderung. Sie kennen vielleicht den Cartoon, in dem eine große Menge vor einem Rednerpult steht und der Redner fragt die Menge: „Wer will Veränderung?“ Alle schreien „Ja“. Weiter fragt der Redner: „Wer will sich verändern?“ Und die Menge schweigt. Alle wollen Veränderung. Niemand will sich selbst verändern. Diese Karikatur zeigt: Veränderung ist zwar erwünscht, aber sie geht auch mit Angst und Widerstand einher. Es braucht schon kluge und mutige Führungskräfte, die als Vorbilder vorangehen und die es zugleich verstehen den Menschen im Unternehmen genug Halt, Sicherheit und Vertrauen für notwendige Veränderungen zu geben. Um nachhaltige Transformation in eine gewünschte Richtung zu erreichen, gilt es als erstes offen hinzuschauen auf das Unternehmen als Ganzes und auf Elemente und Strukturen, die sich verändern sollen. Dazu gehören neben den Elementen des ETC auch und vor allem dysfunktionale Muster in der Führung, die Transformation erschweren können. Fehlt etwa die Balance zwischen einer klaren Kernbotschaft, die Sinn vermittelt und Vertrauen zwischen den Menschen und in die Führung, kann eine Organisation sich nicht effizient auf neue Aufgaben ausrichten. So beginnt jede Transformation auch mit einer Betrachtung des Führungssystems. Das System der Führung wird hier funktional verstanden: Es hat beispielsweise die Funktion, dem Zweck des Unternehmens einen Namen zu geben, der die Aufgaben mit Sinn erfüllt. Es hat die Funktion, Werte und Prinzipien als zentralen Knotenpunkt der lernenden Organisation zu etablieren. Es hat die Funktion, alle Elemente der Transformation mit diesem Knotenpunkt zu verbinden. Und es hat die Funktion, der Transformation eine Richtung zu geben. In diesem Sinne ist funktional verstandene Führung nicht an eine konkrete Führungskraft gebunden. Sie geht aus von Überzeugungen verschiedener Menschen, unterschiedlichen Werten, Regulatorik und Gesetzen,

1  Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation

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wechselnden Anforderungen der Kunden, Ansprüchen von Kapitalgebern u.a. Funktionale Führung wirkt so auf allen Ebenen des Unternehmens und nicht zuletzt auch in der Selbstorganisation. In der Phase des Envision kann sich dies alles in einem WHY verdichten, das die Menschen in Unternehmen nachhaltig zusammenhält und führt (Sinek 2009). Indem ein solches WHY zusätzlich verbunden wird mit den Values & Principles eines Unternehmens entsteht nicht nur Halt, sondern auch gleichzeitig Richtung für Transformation (Leppelmann 2019). Wenn die Richtung klar ist, kommt die Strategie ins Spiel. Sie dient als Wegbeschreibung für diese Richtung und sollte ebenso wie das WHY die DNA von Values & Principles in sich tragen. Strategy als so eingebundene Strategieentwicklung wird dabei zu einem Element für lebendigere Zusammenarbeit. Ein nützliches Instrument, um so verstandene Strategieentwicklung mit Leben zu füllen und gleichzeitig steuerbar zu machen ist die Arbeit mit sogenannten OKRs (Objektives und Key Results). Dabei geben Objektives die ungefähre Zielsetzung an. Key Results dienen als Wegmarken zur Fokussierung des Handelns und zugleich als ressourcenstärkende Messkriterien für erzielte Erfolge in Bezug auf die Zielsetzung (Doerr 2018). Zur Beschreibung der Objectives ist vor allem wichtig, dass sie als gemeinsame Konstrukte verstanden werden, die das WHY konkretisieren. Über die Key Results werden diese Zielsetzungen nicht nur messbar gemacht, sondern sie zerfallen darüber auch in konkrete, sinnvolle Aufgaben. So können beispielsweise auch sogenannte weiche Faktoren einer Veränderung nachvollzogen werden. Die Zielsetzung wird spätestens nach 6 Monaten auf ihre weitere Gültigkeit geprüft und bleibt damit flexibel, während das zugehörige WHY stabil bleibt (Leppelmann 2019). Praxisbeispiel

Um Halt und Richtung zu geben, haben die Geschäftsführer der oben beschriebenen Bank aus einem gemeinsamen Werteverständnis heraus ein WHY als Kernbotschaft entwickelt. Dieses WHY wirkte in Verbindung mit den gemeinsamen Werten als stabiler Rahmen. Dieser wurde sowohl im Marketing nach außen getragen als auch innerhalb der Bank zur Stärkung der Identität genutzt. Außerdem wurde die Kernbotschaft von allen Bereichen der Bank aufgegriffen und um ein spezifisches WHY des jeweiligen Bereichs angereichert. Darauf aufbauend nutzte die Bank zur bereichsübergreifenden Strategieentwicklung das Konzept der Objectives and Key Results. Zur Entwicklung der Objectives wurden von den jeweiligen Bereichen drei Fragen beantwortet: • „Wie geben Sie in Bezug auf das WHY in Ihrem Bereich Halt und Richtung?“ • „Wie leben Sie in Bezug auf das WHY in Ihrem Bereich die Werte der Bank?“ • „Wie wird Ihre Arbeit in Bezug auf das WHY mehrwertiger?“

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G. Leppelmann und G. Leppelmann

Damit konnten alle Bereiche ihre jeweiligen Zielsetzungen für die nächsten 3 Monate festlegen. Diese Objectives waren einerseits stabil genug für die Ausrichtung konkreter Aufgaben und andererseits flexibel genug, um weiterentwickelt werden zu können. Sie wurden mit Key Results untermauert, die es ermöglichten, immer wieder zu prüfen, wieweit die Aufgabenerfüllung bereits zur gewünschten Zielsetzung beitrug. Beispielsweise war zur Unterstützung des WHY in einem Bereich die Digitalisierung der Unterlagen für interne Besprechungen als ein Objective herausgearbeitet worden. Ein zugehöriges Key Result war die Reduktion der in Meetings verwendeten Papierunterlagen um 50 % in drei Monaten. Der Bereichsleiter konnte bereits nach zwei Monaten feststellen, dass Bereichsmeetings inzwischen gänzlich ohne Papierunterlagen erfolgreich durchgeführt wurden. Ein starkes WHY sowie stabile und zugleich flexible Objectives haben Key Results (Meetings ohne Papier) derart verankert, dass die Transformation aus der lebendigen Organisation heraus quasi „von selbst“ erfolgen konnte.

1.3.2 E  ngage: Verbindung der Menschen zu einer lebendigen Organisation Im Fokus jeder Organisation stehen die Menschen. Menschen sind das Wofür und das Wie jeder Transformation. Sie machen ein Unternehmen lebendig. Wir wissen das natürlich alle und dennoch verhalten wir uns oft nicht entsprechend. Wir verhalten uns häufig, als hätten wir Maschinen vor uns, die programmiert werden könnten. Wie bei einem Auto versuchen wir einfach aufs Gaspedal zu treten, um mehr Geschwindigkeit oder Leistung zu erzielen. Wir vergessen dabei manchmal, dass sogar bei mechanischen Systemen erst eine Verbindung bestehen muss, damit Treibstoff in Motorleistung umgesetzt wird. Das gilt für lebende Systeme erst recht. Es braucht eine funktionierende Verbindung, um die Energie entsprechend weiterzuleiten. Oder wie es eine erfahrene Kollegin in der Führung ausdrückt: „Kontakt vor Kooperation“. Das bedeutet, zuerst muss eine positive, vertrauensvolle Beziehung aufgebaut werden, damit sich im Folgenden wirkliches Engagement für gemeinsame Aufgaben entwickeln kann. Was charakterisiert eine positive Beziehung und wie kann Führung aktiv dazu beitragen, dass positive Beziehungen im Unternehmen entstehen? Dazu beachten wir zunächst die Ganzheit der Menschen im Unternehmen, also sowohl ihr Denken als auch ihr Handeln und vor allem ihre Emotionen. Wie Sie sicher wissen, ist das Verhalten von Menschen quasi nur die Spitze des Eisbergs. Wir können vielleicht beobachten, was jemand tut, nicht aber mit Sicherheit sagen, wie seine Gefühlslage dabei ist, was er genau denkt oder was ihn letztendlich zur Handlung motiviert. In systemischen Ansätzen gilt Maturanas Theorie der Autopoiese (Maturana 2000, S. 106–134). Diese beschreibt die Dynamik lebender Systeme als rekursiv und als abgegrenzte Einheit in ihrer Umwelt. Das bedeutet, dass Menschen sich ihre eigene Realität konstruieren und diese weitgehend autonom aufrechterhalten. Gleichzeitig wissen wir, dass wir Kohärenz von Denken, Fühlen und Handeln brauchen, um als ganze

1  Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation

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Menschen wirksam zu sein (Damasio 2007, S. 213–215). Für wirksame Führungskräfte kann es daher nützlich sein, an der Spitze des Eisbergs tiefer zu tauchen, um zu ergründen, was Menschen ganzheitlich mit Aufgaben verbindet und was sie trennt. Die Macht der Emotionen Die Wirksamkeit von Emotionen wird leicht unterschätzt. Emotionen lassen uns leiden oder katapultieren uns schlagartig in höhere Sphären, sie lassen uns überflüssige Dinge kaufen oder motivieren uns zu Höchstleistungen, sie machen uns abhängig von Anerkennung oder neugierig auf Unbekanntes. Emotionen sind die Triebfeder des menschlichen Überlebens. Jeder Mensch hat sie und sie sind elementar für unser soziales Leben (Damasio 2007). Kulturunabhängig kennen alle Menschen Emotionen wie z. B. Ärger, Angst und Freude. Wir können diese Emotionen nur bedingt unterdrücken, im sozialen Miteinander sind sie zumindest über Mikroausdrücke für andere wahrnehmbar (Ekman 2010). Dass wir Menschen nur rationale Wesen sein sollen, ist vor allem in der Businesswelt immer noch ein weit verbreiteter Irrglaube, den die aktuelle Neurowissenschaft gerade gründlich widerlegt (Fabritius und Hagemann 2018, S. 29–73). Wir alle haben ständig irgendwelche Emotionen. Und sie verhindern nicht den Kontakt zwischen Menschen, sondern fördern vor allem das gemeinsame Überleben. Welches Ereignis jedoch welche Gefühle auslöst und in welcher Intensität wir sie ausdrücken, kann sehr unterschiedlich ausfallen (Ekman 2010 S. 23–54). Dabei ist es für Menschen überlebenswichtig, negativen Emotionen zunächst stärkere Beachtung zu schenken als positiven (Sapolsky 1998). Unsicherheit, Angst oder Ekel dienen nicht dazu uns das Leben schwer zu machen. Es sind basale Emotionen, die uns sehr schnell vor möglichen Gefahren warnen. Daher sollte den negativen Emotionen auch in der Führung hohe Priorität eingeräumt werden, um Gefahren für die Arbeitsfähigkeit einer Organisation zu erkennen. Negative Emotionen lösen Stress aus, der auf Dauer einen einzelnen Organismus, aber auch eine ganze Organisation schädigen kann (Hüther 2009, S.  73). Im Stress haben Menschen wenig bis keinen Zugriff auf das rationale Denken und reagieren bevorzugt mit Angriff bzw. Flucht. Im Kontrast dazu sind es vor allem die sogenannten positiven Emotionen, die uns Menschen gemeinsames Lernen erst ermöglichen und uns zu Höchstleistungen bringen. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass das Frontalhirn im Kontext positiver Beziehungen besser funktioniert (Hüther 2016, S. 103–113).

Im Prozess des Engage geht es darum, die Menschen im Unternehmen für die Transformation zu begeistern. Analog der Grundthesen von Gerald Hüther für erfolgreiches Lernen gilt es dabei, zwei existenzielle Bedürfnisse des Menschen zu beachten: Zugehörigkeit und autonomes Wachstum. Demnach ist jeder Mensch für Veränderung leichter zu gewinnen, wenn diese grundlegenden Bedürfnisse beachtet werden. Im Prozessschritt Engage kann wirksame Führung daher Folgendes tun: Zugehörigkeit: Wer ist Teil der Transformation? Seien sie ehrlich! Wenn es um Kosteneinsparung durch den Abbau von Arbeitsplätzen geht, nennen sie es bitte nicht Restrukturierung, nicht Changemanagement und schon gar nicht Transformation. Weil mit diesen Begriffen häufig der Abbau von Arbeitsplätzen vernebelt wird, lösen sie bei vielen Menschen negative Emotionen und Widerstand aus. Leugnung verursacht Stress und kann eine Organisation nachhaltig schädigen.

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G. Leppelmann und G. Leppelmann

Und so lange nicht klar ist, wer Teil der Transformation ist, wird ebenso jegliche Veränderung tendenziell ausgebremst. Die Klärung der Zugehörigkeit ist neben der sog. Nichtleugnung ein grundlegendes Prinzip zur Stabilisierung von Systemen. Veränderung wird viel sicherer, wenn bereits vorab die Frage der Zugehörigkeit geklärt ist. Für maximale Sicherheit und Vertrauen kann Führung frühzeitig Klarheit über die Zugehörigkeit zur Transformation schaffen (Ferrari 2011, S. 27–47). Es geht hierbei vor allem darum, Angstreaktionen zu vermeiden und Gewissheit zu schaffen. Autonomes Wachstum: Kann persönliche Transformation stattfinden? Das Bedürfnis nach autonomem Wachstum kann Führung für die Transformation sehr effizient nutzen. Menschen wollen nicht nur ein Rädchen in einer riesen Maschinerie sein, das jederzeit ersetzt werden kann. Sie wollen und können etwas Relevantes zur Veränderung beitragen. Dabei sind es gerade die Unterschiede, die als Potenzial für Transformation nützlich werden. Die Sehnsucht nach Einbindung in soziale Strukturen über Kooperation wohnt in jedem von uns, genauso wie der Wunsch sich selbst innerhalb der sozialen Struktur weiterzuentwickeln. „Gemeinschaft ist die Bewältigung der Anderheit in der gelebten Einheit“ sagt Martin Buber (Liesenfeld o. J., S. 24) und genau um die Anderheit jedes Einzelnen geht es bei autonomem Wachstum. Durch die Verbindung dieser Anderheit jedes Einzelnen entsteht in einem Unternehmen nicht nur Gemeinschaft, sondern etwas wirklich Neues. Führung geht auch hier in Führung. Indem Führungskräfte durch Achtsamkeit und Selbstreflexion ihre tägliche Arbeit emotional mit ihrer einzigartigen Persönlichkeit verbinden, gewinnen sie an Haltung und so an Führungskraft. Und mit diesem persönlichen Wachstum jedes Einzelnen in Verbindung mit der Ausrichtung an einem gemeinsamen WHY gewinnt eine Organisation über die wachsende Diversität an Mehrwert. Praxisbeispiel

In unserem Beispielprojekt ging es auch um die Stärkung der noch jungen Führungsmannschaft. Dazu wurden die Bereichsleiter um eine Selbstreflexion zu ihrer Haltung in der Führung, zu ihren Werten und zu ihren prägenden Erlebnissen gebeten: Anhand eines Fragenkatalogs dazu sollten sie eine persönliche Präsentation über sich selbst ausschließlich anhand von Bildern erstellen. Diese Präsentationen wurden als Teil eines gemeinsamen Führungskräfte-­Workshops vorgestellt. Jede Führungskraft präsentierte ihre persönliche Haltung, wichtige Ressourcen und Schlüsselerlebnisse anhand einer Geschichte aus Bildern. Im Anschluss an jede Präsentation wurden alle anderen Führungskräfte gebeten, ihre Wertschätzung für die sich vorstellende Person kurz auszudrücken. Die Reflexion mithilfe von Bildern, die Ressourcen symbolisierten, stärkte die Führungskräfte in ihrer eigenen Haltung und förderte das gemeinsame Verständnis in der Unterschiedlichkeit.

1  Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation

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1.3.3 T  ransform: Führung als Verbindung zu selbstverantwortlicher Umsetzung Beim Prozessschritt Transform geht es im ETC um die Umsetzung der Transformation. Umsetzung geschieht in unserem Verständnis immer als selbstverantwortliches Handeln. Das bedeutet für Führungskräfte, eine nützliche Balance zwischen Führung und Selbstorganisation zu finden. Aus dieser Balance kann selbstverantwortliches Handeln in die gewünschte Richtung wirken und wird so zu Transformance. Transformance meint die Gleichzeitigkeit von Performance und Transformation. Für Unternehmen bedeutet das, in der Transformation schnell brauchbare Ergebnisse zu erzielen. Die Rückkopplung dieser Ergebnisse wiederum steigert die Motivation zur weiteren selbstverantwortlichen Umsetzung. Durch gelingende Balance zwischen Führung und Selbstverantwortung wird ermöglicht, dass jeder Mitarbeiter sein volles Potenzial einbringen und an seinen Aufgaben wachsen kann. Im Konzept von Related Leadership hat Führung dabei die Funktion, Menschen und Aufgaben so miteinander zu verbinden, dass Menschen ihre Aufgaben bestmöglich erfüllen können und umgekehrt die Aufgaben die Menschen erfüllen. Gelingt dies in der Umsetzung einer Transformation, so findet nicht nur inhaltliche Transformation an verschiedenen Elementen der Organisation statt, sondern die vernetzte und gemeinsame Veränderung stärkt darüber hinaus die Veränderungskraft des gesamten Unternehmens. Aus unserer Sicht sind dafür agile Ansätze besonders geeignet. Wir haben diese erweitert um Ressourcenorientierung und Lösungsfokussierung, wie wir sie aus der Schule des SySt®-Instituts kennen (Sparrer 2007). Inhaltlich nutzen unsere Klienten dabei ihr WHY, um für die Transformation Halt und Richtung zu geben. Aus dieser Überlegung entstand das Konzept von sogenannten Entwicklungsteams, die hierarchieübergreifend innerhalb eines klaren Zeit- und Budgetrahmens Lösungen für eine gewünschte Transformation erarbeiten. Rahmen und Richtung werden von der Führung festgelegt und die Ergebnisse werden im gesamten Führungsteam reflektiert und entschieden. Ansonsten arbeitet das Team selbstorganisiert mithilfe von agilen Tools wie beispielsweise Stand-up-Meetings, Kanban-Boards und User Stories (Cohn 2010). Die Einrichtung von Entwicklungsteams kann zu verschiedenen Elementen der Transformation erfolgen, wie beispielsweise Processes, Organization oder Governance. Die Möglichkeit für alle Mitarbeiter, an grundlegenden Aufgaben der Transformation mitzuwirken, balanciert die Verantwortung im Unternehmen. Führungsverantwortung für Rahmen und Richtung verbindet sich mit selbstverantwortlicher Umsetzung. Diese wiederum erzeugt eine positive Rückkopplung auf die Motivation der Mitarbeiter und das Bewusstsein für die Stärken des Unternehmens. So verbindet sich Performance in der Transformation zu Transformance.

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G. Leppelmann und G. Leppelmann Praxisbeispiel

Beispielsweise wurden in der oben beschriebenen Bank Entwicklungsteams zu den  Transformationselementen „Führung“, „Menschen und Kommunikation“ sowie „Strukturen und Prozesse“ eingesetzt. Jedes Entwicklungsteam setzte sich aus sieben freiwilligen Mitarbeitern aus allen Bereichen und Ebenen der Bank zusammen. Die Entwicklungsteams arbeiteten selbstorganisiert und nutzten ausgewählte Instrumente des agilen Projektmanagements, insbesondere Stand-up-Meetings, offene Dokumentation/Kommunikation und Kanban-Boards. Das Entwicklungsteam „Führung“ hatte u. a. den Auftrag, Lösungen für gemeinsam gelebte Werte zu erarbeiten. Es ging dabei um die Einbindung möglichst aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ein gemeinsames Werteverständnis und eine dauerhafte Verankerung der Werte. Das Entwicklungsteam hat dazu verschiedene User Stories entwickelt, die sich am Mehrwert für die Bank ausrichteten und diese entsprechend priorisiert. Daraus abgeleitete Aufgaben wurden selbstverantwortlich von einzelnen Teammitgliedern übernommen und umgesetzt. Mit geringem Zeitaufwand entstanden so nachhaltig wirksame Lösungen, beispielsweise eine laminierte „Gelbe Karte“ zur Erinnerung an sechs wichtige Werte im Tagegeschäft. Zu diesen Werten wurden außerdem kurze Verhaltenshinweise formuliert. Diese „Gelbe Karte“ hat jeder Mitarbeiter an seinem Platz und sie dient immer wieder zur Selbstreflexion und zur Stärkung eines gemeinsamen Verständnisses. Auf diese Art entstanden viele weitere Lösungen, beispielsweise ein Welcome-Kid für neue Mitarbeiter, Meetingregeln oder Know-your-colleague-Days. Solche Entwicklungsteams werden in der Bank auch zukünftig für andere Transformationsaufgaben genutzt – insbesondere, wenn anstehende Aufgaben eine komplexe Herausforderung für die Bank darstellen und eine schnelle Umsetzung erfordern.

1.3.4 Optimize: Das Spiel geht weiter Wann ist eine Transformation abgeschlossen? Richtig, niemals. Allerdings gilt auch, dass wir nicht zweimal in denselben Fluss steigen können. So können wir auch denselben Transformationskreislauf nicht einfach zum wiederholten Male durchlaufen. Und, um das Bild von Sisyphos zu bemühen: Wir sollten nicht immer wieder denselben Stein auf den Berg rollen. Eine große Ressource, die jede Organisation als lebendes System hat, ist die Veränderungsfähigkeit. Diese kann besser wahrgenommen werden, wenn sie durch eine lösungsfokussierte Brille betrachtet wird. Fragen, wie: „Was kann so bleiben, wie es ist?“, „Was hat sich in Richtung ‚besser‘ verändert?“, „Was hat jeder einzelne dazu beigetragen?“ gehen idealerweise einer Optimierungsphase der Transformation voraus. So wird das ­Erreichen eines nächsten Levels bewusst gemacht und die Motivation für weitere Schritte gestärkt. Lernen findet dann auf einer höheren Ebene statt.

1  Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation

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Die primäre Orientierung an dem, was sich bereits zum Besseren verändert hat, stärkt die Organisation. Daher fragen wir konsequent zunächst nach den erreichten Verbesserungen. Außerdem fragen wir nach hilfreichen Ressourcen und Instrumenten für die Veränderung und dann erst nach konkreten nächsten Schritten. Als Messkriterien dienen die zu Beginn der Transformation festgelegten gewünschten Entwicklungen. Anhand dieser lösungsfokussierten Analyse wird nicht nur ersichtlich, welche Entwicklungsschritte bereits genommen wurden und welche als nächstes anstehen. Darüber hinaus wird so auch die Veränderungskraft bewusst gemacht. Fortan kann die Veränderungskraft selbst als Ressource wahrgenommen werden und stabilisiert so die weitere Transformation. Zur Entwicklung und Umsetzung konkreter nächster Schritte bietet sich eine prototypische Organisationsaufstellung (nach SySt®) an. Dazu haben wir ein Spielbrett entwickelt, auf dem sich verschiedene Führungssituationen als Konstellation von Menschen, Führung und Aufgaben spielerisch darstellen lassen. Mithilfe von Führungsinstrumentekarten kann die jeweilige Führungskraft Spielzüge machen und so die Auswirkungen ihres Führungsverhaltens simulieren. Der passende Spielzug ist gefunden, wenn eine Konstellation entstanden ist, in der es Menschen, Führung und Aufgaben besser geht. Innerhalb sehr kurzer Zeit können so für konkreten Herausforderungen neue Führungsstrategien erarbeitet und mit Führungsinstrumenten gestützt werden. Praxisbeispiel

Im Abschlussworkshop des o.  g. Transformationsprojekts war der Geschäftsführung wichtig, dass die Transformation selbstverantwortlich von den Führungskräften dauerhaft fortgesetzt wird. Dabei war die Richtung insbesondere über das WHY klar und im Fokus. Jetzt sollten noch nächste konkrete Schritte der Transformation vereinbart und die Selbstwirksamkeit der Führungskräfte gestärkt werden. Dazu haben die Führungskräfte zunächst die Veränderungen der bisherigen Transformation ressourcenorientiert reflektiert. Dann haben sie die Themen für die Fortsetzung der Transformation gemeinsam priorisiert, beispielsweise eine zielgerichtete E-­Mail-­Kommunikation oder mehr Verantwortungsübernahme durch die Mitarbeiter. Für diese Themen haben die Bereichsleiter dann ihre jeweils nächste Führungsaufgabe in der Transformation mithilfe unseres dafür entwickelten Strategiespiels gefunden: Dazu haben sie die Ausgangskonstellation für Menschen, Führung und Aufgaben zu ihrem jeweiligen Thema auf dem Spielbrett aufgestellt. Im nächsten Schritt wählte die Führungskraft eine passende Führungsinstrumentekarte für das jeweilige Thema aus, wie beispielsweise differenziertes Delegieren von Aufgaben, Entwicklung einer gemeinsamen Kernbotschaft, Konflikte lösen oder Werte balancieren. Auf dem Spielbrett wurde dann simuliert, wie sich die Konstellation zwischen Menschen, Aufgaben und Führung mit der gewählten Karte verändert. Dazu wurden die zugehörigen Spielfiguren entsprechend bewegt. Die passende Führungsstrategie war gefunden, ­ wenn die neue Konstellation zwischen allen Mitspielern besser war, als in der Ausgangssituation.

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G. Leppelmann und G. Leppelmann

Die so gefundenen Führungsstrategien jeder einzelnen Führungskraft wurden schließlich im gesamten Führungskreis vorgestellt und zur weiteren Transformation der Gesamtbank zusammengeführt. Dabei hat sich jede Führungskraft selbstverantwortlich zur kurzfristigen Umsetzung ihrer spielerisch entwickelten Transformationsaufgabe verpflichtet.

1.4

Schlussbetrachtung

„We follow those who lead not because we have to, we follow those who lead because we want to“. (Sinek 2009, S. iii)

Besser kann man die Herausforderung von Führungskräften in der Transformation nicht beschreiben. In der VUCA-Welt ist ein grundlegender Paradigmenwechsel in der Führung notwendig, um die Balance zwischen erfüllten Menschen und sinnvollen Aufgaben wirksam zu halten. Konzepte, die eine veränderte Haltung in der Führung beschreiben, wie Related Leadership und wirksame Führungsinstrumente geben Führungskräften den notwendigen Halt und die Richtung, um ihre Führungsaufgaben zu erfüllen. Das Potenzial des ETC liegt in seinen Elementen sowie den Transformationsschritten. Führung kann dieses Potenzial in den Verbindungen der Elemente und Schritte heben, indem sie Menschen in ihrem Denken, Fühlen und Handeln versteht, die Aufgaben mit Sinn verbindet und so eine Organisation lebendiger gestaltet

Literatur Cohn M (2010) Succeeding with Agile. Addison-Wesley Publishing, Boston Damasio AR (2007) Der Spinoza-Effekt: Wie Gefühle unser Leben bestimmen, 4. Aufl. List Taschenbuchverlag, Berlin Doerr J (2018) Measure what matters. Penguin, New York Ekman P (2010) Gefühle lesen: Wie sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren, 2. Aufl. Springer, Berlin Fabritius F, Hagemann HW (2018) The leading brain. Penguin, New York Ferrari E (2011) Teamsyntax. Ferrari media, Aachen Gray D (2014) The connected company, 3. Aufl. O’Reilly Media, Sebastopol Hüther G (2009) Biologie der Angst, 9. Aufl. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Hüther G (2016) Mit Freude lernen- ein Leben lang. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Leppelmann G (2019) Start with Why und dann? https://www.syst-akademie.org/blog/start-withwhy-und-was-dann. Zugegriffen am 14.07.2019 Liesenfeld S. (o. J.) Alles wirkliche Leben ist Begegnung – Hundert Worte von Martin Buber. Neue Stadt, München Maturana HR (2000) Biologie der Realität. Suhrkamp, Frankfurt am Main Sapolsky RM (1998) Why zebras don’t get ulcers. Freemann and Company, New York Schulz von Thun F (1996) Miteinander reden, Bd 2. Rowohlt, Hamburg

1  Transformance – „Führung in Verbindung“ für Höchstleistung in der Transformation

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Schulz von Thun F (2015) … und von wem stammt das Werte- und Entwicklungsquadrat? In: SyStemischer, 7. Aufl. Ausgabe Ferrari media, Aachen Simon FB (2007) Einführung in die systemische Organisationstheorie. Carl-Auer-Systeme, Heidelberg Simon FB, C/O/N/E/C/T/A Autorengruppe (1998) Radikale Marktwirtschaft, 3. Aufl. Carl-­Auer-­ Systeme, Heidelberg Sinek S (2009) Start with why. Penguin, New York Snowden D (2002) Complex acts of knowing: paradox and descriptive self-awareness. J Knowl Manag 6. Emerald Publishing Limited, Bingley Sparrer I (2007) Einführung in Lösungsfokussierung und Systemische Strukturaufstellungen. Carl-­ Auer, Heidelberg Steinhoff PF-J (2018) Der Enterprise Transformation Cycle – Ein praxiserprobtes Modell für die erfolgreiche Unternehmenstransformation. In: Pfannstiel MA, Steinhoff PF-J (Hrsg) Der Enterprise Transformation Cycle, Theorie, Anwendung, Praxis. Springer Gabler, Wiesbaden, S 3–20 von Förster H (1997) Über das Konstruieren von Wirklichkeiten. In: Schmidt SJ (Hrsg) Heinz von Förster – Wissen und Gewissen, 4. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt am Main, S 25–49

Gabriele Leppelmann,  Dipl.-Kulturwirtin (Univ.), studierte an den Universitäten Passau und Málaga (Spanien). Sie ist ausgebildet als NLP Master, Systemische Beraterin (SySt®) und Systemische Therapeutin (HP). Nach mehreren Jahren als Personalentwicklerin und Trainerin für Führungskräfte in internationalen Unternehmen der Dienstleistungsbranche, arbeitet sie nun als Beraterin und Coach in der  systemisch-­lösungsfokussierten Unternehmensberatung LEPPELMANN | Co. Das Motto „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ hat sie auf das Thema Führung und Organisationsentwicklung angewandt und aus vielfältigen Erfahrungen in der Begleitung von Transformationsprozessen das Führungskonzept Related Leadership (Führung in Verbindung) entwickelt.

Dr. Georg Leppelmann,  Dipl.-Kfm. (Univ.) studierte Betriebswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft an der Universität Passau. Bereits in seiner von der BayernLB ausgezeichneten Promotion hat er sich mit dem Verhalten von Menschen im Kontext von Unternehmenssteuerung beschäftigt. Darauf aufbauend hat er systemische und lösungsfokussierte Konzepte insbesondere des SySt®-Instituts in seine Arbeit als Manager und Berater integriert. Er ist NLP-Master sowie zertifizierter Agile Scrum ­Master und Product Owner. Als Unternehmensberater und Head of Sales war er im Management verschiedener internationaler Unternehmen tätig. Heute unterstützt er mit LEPPELMANN | Co und als Partner der TCI Unternehmen und insbesondere Banken bei der Transformation zu mehr Lebendigkeit. Außerdem lehrt er an der FOM Hochschule u.  a. zu den Themen Transformation, Organisationsentwicklung und ­Bank-­Controlling.

2

Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen Unternehmen Frank Ahlrichs

Inhaltsverzeichnis 2.1  Glaubensgrundsätze der tayloristischen Steuerung  2.2  Herausforderungen an die Steuerung  2.3  Die Transformation der Unternehmenssteuerung  2.4  Schlussbetrachtung  Literatur 

 24  25  30  46  46

Zusammenfassung

Die Unternehmenssteuerung ist eine verteilte Aufgabe, die das Unternehmen sicher seine Ziele erreichen lassen soll. Für Jahrzehnte stand dabei die Maximierung des Gewinns für den Unternehmer im Vordergrund, klare quantitative Ziele mit detaillierten Budgets bildeten ein Korsett für die Mitarbeiter. Eine zentralisierte, hierarchische Organisation war eine hilfreiche Unterstützung für dieses Vorgehen. Aufgrund diverser Einflüsse funktioniert dies alles immer weniger. Grundlegende Veränderungen im Verständnis der Steuerung finden derzeit statt. Die Rollen der Beteiligten ändern sich und dies führt zu teamorientierten, selbststeuernden, dezentralen Organisationen. In einem solchen Umfeld kommen neue Ansätze der Führung und Steuerung zum Einsatz, sowohl im Unternehmen als auch im Netzwerk mit den Stakeholdern über die Unternehmensgrenzen hinaus.

F. Ahlrichs (*) Konsequent. Management Services GmbH, Radevormwald, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_2

23

24

F. Ahlrichs

2.1

Glaubensgrundsätze der tayloristischen Steuerung

Die Grundzüge der institutionalisierten Steuerung von Unternehmen bildeten sich in der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert heraus und sind vor allem mit dem Wirken von Frederick Winslow Taylor verbunden (Taylor 2011) Diese Regeln gelten weitgehend heute noch: • • • • • •

die Trennung von Planung (Vorgabe) und Ausführung, die Forderung nach Berechenbarkeit aller externen und internen Prozesse, die Reduzierung menschlicher Tätigkeit auf zentral gesteuerte Funktionen, die Annahme des „einen besten Weges“ zur Bewältigung der anstehenden Arbeiten, die Festlegung einer festen Abfolge von Arbeitsschritten und Funktionen und die postulierte Notwendigkeit, Menschen zu „motivieren“, weil sie nur für Geld arbeiten.

Diese Grundannahmen führten zu dem heute immer noch üblichen Steuerungskreislauf, den eigentlich vom US-amerikanischen Physiker Walter Andrew Shewhart entwickelten, dann aber durch William Edwards Deming bekannt gewordenen PDCA-Kreislauf (PDCA-Kreislauf für Plan, Do, Check, Act/Adapt) (Edwards 2000) (siehe Abb. 2.1). Das Industriezeitalter dieser klassischen Prägung gibt es nicht mehr. Und so beginnen auch die klassischen Steuerungsgrundsätze für Unternehmen, Geschichte zu werden. Die vorgenannten Annahmen führten in der Organisation von Unternehmen zu einer starken Fragmentierung in funktionalen „Ab-Teilungen“, die durch ein starkes Management geführt werden musste. Die damit dominierende Aufbauorganisation hatte zwei wesentliche Nachteile, die erst in der aktuellen Zeit allmählich abgebaut werden: • • • •

• Risiken können stets ermittelt und erkannt werden • Die notwendigen Reaktionen auf Abweichungen können stets ermittelt werden

ACT

PLAN

CHECK

DO

• Es gibt immer eine Kennzahl für jedes Ziel • Die Wirkung auf die Kennzahl ist stets messbar • Alle Prozess können berechnet und bewertet werden

Es gibt das „eine beste Ziel“ Ziele sind für alle Stakeholder formulierbar Der Weg zum Ziel ist immer planbar Planung und Ausführung sind getrennt

• Maßnahmen haben immer eine kausale Wirkung auf das Ziel bzw. auf die entsprechenden Kennzahlen • Manager haben stets den Überblick, welche Maßnahmen zum Erreichen der Ziele erforderlich sind • Menschen müssen stets extrinsisch motiviert werden

Abb. 2.1  Plan-Do-Check-Act/Adapt(PDCA)-Kreislauf mit den klassischen Grundannahmen der Unternehmenssteuerung. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

2  Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen …

Dynamik

Standardisierung

Starker Anbietermarkt, geringe technische Flexibilität, FließbandFertigung

Industrialisierung, ca. 1900

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Starker Nachfragermarkt, hohe technische Flexibilität, z. B. IoT

2020

Abb. 2.2  Veränderungen der Marktstrukturen

1. Die Ablauforganisation, also die Geschäftsprozesse, verschwanden im Hintergrund. Primäre Steuerungs- und Managementobjekte wurden die Funktionen und nicht die Prozesse, obwohl diese die einzigen wertschöpfenden Organisationsobjekte sind. 2. Eine verstärkte Innensicht des Unternehmens entstand. Unternehmen organisierten sich „steuerungsgerecht“. Damit entstanden die oft ironisch erwähnten organisatorischen „Silos“ und die Kunden- und Marktorientierung trat in den Hintergrund. In Zeiten anbieterdominierter Märkte war das kein Problem. Aber zunehmend sind die Märkte gesättigt und die technischen Möglichkeiten schaffen zusätzlich Forderungen nach starker Individualisierung von Produkten. Damit sind diese Organisationsformen weitgehend nicht mehr zeitgemäß. Tatsächlich zeigt sich, dass genau die gegenteilige Orga­ ni­ sationform die Anforderungen der heutigen Zeit erfüllt. Statt stark zentralisierter Top-down-Organisationen entstehen zunehmend dezentrale, selbstgesteuerte Organisationen. Die Veränderung der Marktstrukturen zeigt Abb. 2.2. Wir kommen also aus der tayloristischen Welt der hohen Formalisierung in zentralisierten Organisationen in eine komplexe Welt hoher Dynamik, Volatilität und Agilität. Die Steuerungskonzepte sind jedoch in der tayloristischen Welt stehengeblieben. Es bestehen somit erhebliche Herausforderungen an eine neue bzw. an eine angepasste Steuerung von Unternehmen. Bevor die tatsächliche Transformation in Angriff genommen werden kann, sollte berücksichtigt werden, welche Herausforderungen bei dieser Umstellung konkret bestehen.

2.2

Herausforderungen an die Steuerung

Bei der Transformation der Steuerung sind wesentliche Herausforderungen zu berücksichtigen. Im Folgenden sind einige davon dargestellt:

26

F. Ahlrichs

• Die Auswirkungen der VUCA-Welt (dieser Begriff wird noch erläutert). Er umfasst bezüglich der Unternehmenssteuerung insbesondere a. eine zunehmende Komplexität von Situationen im Tagesgeschäft mit der Folge des Wegfalls der Kausalität von Maßnahmen und ihren Wirkungen, b. eine hohe Dynamik in der Veränderung von Märkten und Technologien mit der Folge der reduzierten Planbarkeit von längerfristigen Zeiträumen und c. eine reduzierte Möglichkeit, Vorschauwerte aus Vergangenheitsdaten abzuleiten (Ist-Ist-Vergleiche, Hochrechnungen, …) • Menschen müssen dezentral unternehmerische Entscheidungen treffen und sind darauf nur sehr eingeschränkt vorbereitet • Die zunehmende Automatisierung führt zu einer Fokussierung auf zutiefst „menschliche“, eigentlich gar nicht steuerbare Vorgänge • Die steigende Integration aller Stakeholder und die Berücksichtigung von deren Inte­ res­sen und Zielen. Dies führt zu mehreren Veränderungen im klassischen Steuerungskreislauf und bei den Methoden der Steuerung in diesem Kreislauf. Auf die genannten Punkte muss zum Verständnis des Umfangs der Umstellung kurz eingegangen werden.

2.2.1 Herausforderungen der VUCA-Welt Die Welt verändert sich ständig. Die Anzahl der Einflussfaktoren nimmt dabei immer mehr zu, immer wieder kommt ein neuer „Megatrend“ hinzu. Zusätzlich nimmt die Dynamik der Veränderungen zu. Dies führt dazu, dass wir die Zusammenhänge in den Prozessen nicht mehr erkennen können. Und wenn die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge verloren gehen, ist eine Steuerung im bisherigen Verständnis per Definition nicht mehr möglich. Komplexe Situationen erfordern daher eine andere Vorgehensweise der Problemlösung. Für diesen Zustand wurde Mitte der 1990er-Jahre der Begriff VUCA geprägt (Wikipedia 2019a). Er steht für Unbeständigkeit (Volatility), Unsicherheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Mehrdeutigkeit (Ambiguity). Die Vorgehensweisen zur Steuerung komplexer Situationen sind im sogenannten Cynefin-Modell zusammengefasst (Wikipedia 2019b; siehe hierzu Abb. 2.3). Wir müssen also neue Formen des Umgangs mit der Komplexität finden. Die Natur löst das Problem durch einfache Kombinationen von Selbstorganisation und Verbundenheit. Selbstorganisation entsteht immer dann, wenn die Informationsströme zu komplex werden. Für Organisationen bedeutet Selbstorganisation eine weitgehend hierarchiefreie Gestaltung von Teams. Diese sich selbst findenden und eigenständig entscheidenden Teams bieten zweifellos eine neue Form, mit der Komplexität der Informationsströme umzugehen. Solche Teams nennen wir heute „agil“. Und wir beschreiben agile Arbeitsweisen durch • kundenorientierte Organisationsstrukturen, • teambasierte Abläufe,

2  Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen …

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Digitalisierung Künstliche Intelligenz Vernetzung (IoT) Generation Y / Z Nachhaltigkeit Neue Geschäftsmodelle …

Anzahl Einflussfaktoren

hoch

Komplex

niedrig

Kompliziert

erkennbar

verstehbar

probieren, erkennen, reagieren

erkennen, analysieren, reagieren

Chaotisch

Einfach

unbekannt

bekannt

handeln, erkennen, reagieren

erkennen, beurteilen, reagieren

hoch

V olatility U ncertainty C omplexity A mbiguity

gering Veränderlichkeit/Dynamik

Innovationsgrad Geschäfts-Chancen + -Risiken Technische Neuerungen

Disruptive Geschäftsmodelle Agile Organisationsmodelle …

Abb. 2.3  Auswirkungen der VUCA-Welt auf die Unternehmenssteuerung. (Quelle: Eigene Darstellung 2019, basierend auf dem Cynefin-Modell) Abb. 2.4  Agiler Steuerungskreislauf. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Feedback (z. B. i. O.)

etwas ausprobieren

etwas Neues ausprobieren

Feedback (z. B. n. i. O.)

• iterative Prozesse, • Transparenz und Einfachheit, • kurzfristige Feedbackmechanismen. Entscheidungen und Reaktionen auf Unvorhergesehenes erfolgt in komplexen Situationen anders als in deterministischen Situationen. Unter VUCA-Bedingungen wird es sinnvoll, erst auf Basis von Erfahrungen aus dem Testen neuer oder veränderter Möglichkeiten zu entscheiden (auszuprobieren), die Auswirkungen der Reaktion zu beobachten (zu erkennen), um dann mit gezielten Maßnahmen oder weiterem Ausprobieren den gewünschten Effekt zu erreichen. Diese Vorgehensweise wurde im Cynefin-Model bereits erwähnt (siehe Abb.  2.3) und entspricht zudem den agilen Methoden des Projektmanagements, z. B. Scrum (Abb. 2.4).

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2.2.2 H  erausforderungen durch die Dezentralisierung von Entscheidungen Im Rahmen der Steuerung von Unternehmen sind fortwährend Entscheidungen zu treffen und als Ergebnis daraus Handlungen/Maßnahmen durchzuführen. Eine Grundlage der Entscheidungen sind Informationen. Diese werden oft durch eine Controller-Position aufbereitet und empfängerorientiert zur Verfügung gestellt. In klassisch hierarchisch aufgebauten Unternehmen besteht eine Sparringspartnerbeziehung zwischen Controller und Manager. Der Controller hat die Transparenzverantwortung und der Manager die Entscheidungsverantwortung. In der Zusammenarbeit von Controllern und Managern entsteht eine Schnittmenge, die das Controlling als Tätigkeit beider Rollen darstellt. Dieses Verständnis wurde bereits in den 1970er-Jahren von Albrecht Deyhle geprägt und ist in der Controller-Lehre weit verbreitet (Controller-Handbuch 2008). In dezentral organisierten Unternehmen gibt es die wenigen Manager nicht, die – vom Controller unterstützt – die Entscheidungen treffen, die dann den Rahmen für die Umsetzung durch die Mitarbeiter bilden. Hier ist jeder oder zumindest sind viele die Entscheider, jeder direkt für sein Aufgabengebiet und seinen Geschäftsvorfall. Dies ändert die institutionalisierte Unternehmenssteuerung im Zusammenspiel von Controller und Manager hin zu einem neuen Rollenverständnis für alle Beteiligten. Die fachverantwortlichen Teams lernen, operative und teils auch strategische Entscheidungen zu treffen, ohne dazu mit einem hierarchischen Vorgesetzten zu sprechen, solange es nicht vereinbarte strategische Rahmenbedingungen verletzt. Der Controller hat neue „Kunden“, die andere Anforderungen haben, weil die Art der Entscheidungen anders ist. Die Informationen müssen sehr viel operativer sein, zeitnah bis real-time verfügbar sein und weniger hoch aggregiert und damit spezifischer (siehe hierzu Abb. 2.5). Eine weitere Herausforderung ist die höhere Geschwindigkeit, in der Entscheidungen getroffen werden müssen. Es bleibt oft keine Zeit, ausführliche Analysen und „schöne“ Reports zu erstellen. Die Ursachen für diese Beschleunigung entstehen überwiegend aus der Technisierung: • Vernetzung: Online-Services verschaffen 24 Stunden Zugang zu Leistungen, Wege zum Bankschalter oder ins Fachgeschäft entfallen. • Kommunikation: Kommunikationsmedien vernetzen realtime die ganze Welt, auch formale Briefe werden durch E-Mail und Kurznachrichten ersetzt (z. B. Anträge, Genehmigungen, Anwaltsschreiben). Manager

Controller Controller

Abb. 2.5  Veränderung der Controllerrolle. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

2  Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen …

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• Kapazität: Die Anzahl an Menschen, die Zugang zu Technologie haben, steigt drastisch. Damit ist die Quelle für Innovationen deutlich größer und es kommt häufiger zu neuen Lösungen (z.  B.  BRICS-Staaten). Damit steigt auch der Wettbewerb, auf den reagiert werden muss. • Rechenleistung: Mit dem Moore’schen Gesetz sind wir bereits auf der zweiten Hälfte des Schachbretts → exponentielles Wachstum. • Wissen: Das Wissen der Menschheit ist zunehmend auf Wunsch verfügbar (Google, Siri/Alexa, Watson, …). • Maschinelle Intelligenz: Die Verknüpfung des Wissens (→ neues Wissen) erfolgt zunehmend automatisch. Schließlich müssen die Entscheidungen diverse Stakeholder-Interessen berücksichtigen. Dies ist in dezentralen Organisationen besonders wichtig, weil hier die Nähe zu den Kunden, zu den eigenen Kollegen, zu möglichen Marktpartnern und Lieferanten sehr ausgeprägt ist und die Qualität der Zusammenarbeit auf einer fairen Berücksichtigung aller Interessensgruppen basiert. Selbstverständlich muss aber auch der Unternehmer und damit das Interesse der Kapitalgeber berücksichtigt werden.

2.2.3 Einbindung externer Stakeholder Die Steuerung beschränkt sich nicht mehr nur auf die Abläufe im eigenen Unternehmen. Sie geht zunehmend über die Unternehmensgrenzen hinaus und betrifft die gesamte Wertschöpfungskette bzw. die sich entwickelnden Wertschöpfungsnetzwerke. Es entstehen Kooperationen mit Marktpartnern (auch mit Wettbewerbern), z. B. über eine deutlich stärkere wechselseitige Einbindung von Lieferanten und Kunden in die jeweils eigene Wertschöpfung. Damit wirken sich auch Entscheidungen gezielt und direkt auf Abläufe in Partnerunternehmen aus. Zum Beispiel bewirkt die transparent abgestimmte Priorisierung von Aufträgen eine andere Kapazitätsplanung beim Lieferanten und die resultierenden Liefertermine können direkt in Entscheidungen bzgl. der eigenen Lieferfähigkeit überführt werden. Der Controllingbegriff wird in der DIN SPEC 1086 definiert: „Controlling bezeichnet [...] den auf die Sicherstellung nachhaltiger Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Managementprozess der betriebswirtschaftlichen Zielfindung, Planung und Steuerung eines Unternehmens“ (DIN SPEC 1086 2009). Controlling wird damit also – kurz gesagt – definiert als Führen mit messbaren Zielen. Die neue Art der Unternehmenssteuerung, die durch die Abkehr von tayloristischen Strukturen erforderlich wird, hat auch Auswirkungen auf die Beziehungen zu den verschiedenen Stakeholdern. Damit wird der Controllingbegriff mit anderen Fragestellungen neu definiert. Controlling hat in den tayloristischen Strukturen weitgehend den Fokus auf der Maximierung des Gewinns zum Vorteil der Anteilseigner. Dafür werden Produkte detailliert kalkuliert und mit größtmöglicher Marge verkauft. Die Kundenbeziehung ist oft sehr einseitig, indem versucht wird, möglichst viele Produkte in den Markt zu bringen. Mitarbeiter

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werden als Kostenverursacher angesehen; die somit eingekauften Kapazitäten werden maximal ausgenutzt. Mitarbeiter werden kontrolliert, um eine möglichst hohe Leistung zu erzielen. Lieferanten werden ausgenutzt und gegeneinander ausgespielt, um einen möglichst geringen Preis zu erzielen. Die moderne Unternehmenssteuerung hat einen anderen Blick auf das Geschäftsmodell, an dem alle Stakeholder mit ihren Leistungen beteiligt sind und die daher für diese Leistungen aus dem Unternehmen Einkommen erzielen. Kunden sind nicht mehr nur der Absatzmarkt, sondern der Partner für neue, werthaltige Produkte und Leistungen, für die der Kunde begeistert werden soll. Oft ist der Kunde eng in die eigenen Leistungsprozesse eingebunden. Mitarbeiter sollen innovativ und selbstorganisiert werden und somit zur Verbesserung der Geschäftsbeziehungen und -prozesse beitragen. Auch Lieferanten sind in dieser Sicht wertvolle Partner, die mit ihren werthaltigen Leistungen in die Unternehmensprozesse eingebunden werden und dafür faire und angemessene Preise erhalten. Mit dieser veränderten Sicht der Unternehmenssteuerung auf die Stakeholder-­Be­ ziehungen entsteht auch ein neues Verständnis des Geschäftsmodells. Wir zielen nicht mehr mit allen Steuerungsmethoden darauf, möglichst viel Geld zu verdienen, sondern im Einklang mit allen Interessengruppen, der Umwelt und Gesellschaft gut zu leben und dies aus den Unternehmenserträgen finanzieren zu können. Auf diese Weise werden die Stakeholder am Geschäftsmodell aktiv beteiligt. Die Steuerung beschränkt sich dann oftmals nicht auf die juristischen Grenzen des Unternehmens, sondern bezieht die Partner der Wertschöpfung aktiv ein. Die Antworten auf die Herausforderungen der heutigen Zeit an die Steuerung von Unternehmen sind vielfältig und mehrdimensional: • Überdenken des Geschäftsmodells und der Strategie zu dessen Umsetzung • Anpassung der operativen Prozesse und deren Unterstützung durch eine gute Entscheidungsvorbereitung • Restrukturierung der Organisation zur Erhöhung der Geschwindigkeit von Entscheidungen und von operativen Prozessen. • Anpassung der Qualifikation und der Rollenbilder der beteiligten Menschen • Entwicklung eines neuen Verständnisses von Steuerung und Kontrolle Es ist somit eine vielschichtige Aufgabe, die Transformation der Unternehmenssteuerung so zu bewerkstelligen, dass sie in neuen Strukturen und neuen Rahmenbedingungen funktioniert.

2.3

Die Transformation der Unternehmenssteuerung

Der Begriff der Transformation sagt schon aus, dass es hierbei nicht um „Feinschliff“ der bestehenden Methoden und Ansätze geht, sondern um grundlegende Veränderungen. Diese sind in mehrfacher Hinsicht Paradigmenwechsel.

2  Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen …

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Menschen generell und Organisationen im Besonderen tun sich erfahrungsgemäß schwer mit größeren Veränderungen. Daher ist der begleitende Veränderungsprozess von besonderer Bedeutung. Auf diese Veränderungen wird in den folgenden Kapiteln immer wieder eingegangen.

2.3.1 Der Enterprise Transformation Cycle als Richtschnur Der Enterprise Transformation Cycle (ETC) (Pfannstiel und Steinhoff 2018; Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45) enthält die wesentlichen Elemente der Wertschöpfung und damit eines funktionierenden Unternehmens. Diesen Elementen entlang werden wir in der Folge die Transformation der Unternehmenssteuerung durchgehen (siehe Abb. 2.6):

2.3.2 Die Strategie als Grundlage der Unternehmenssteuerung Ein wesentliches Element der Unternehmenssteuerung ist die strategische Planung. Und da Planung ohne Planverfolgung sinnlos ist, ist auch die Steuerung der strategischen Ziele ein wesentliches Instrument. In einer schnelllebigen, dynamischen Zeit ist eine konkrete Planung für einen längeren Zeitraum nicht mehr möglich. Wer kann schon sagen, welche technologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in 5 Jahren bestehen? Klassische strategische Kennzahlen wie Marktanteil, Umsatz oder Economic Value Added (EVA) sind dann kaum noch

Abb. 2.6  Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45)

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nützlich. Die Abweichungen vom Plan werden sehr groß sein, es wird sehr viele Gegensteuerungsmaßnahmen geben und die Situation am Ende der strategischen Planperiode wird kaum etwas mit der ursprünglichen Plansituation zu tun haben. Zudem werden Chancen deutlich weniger genutzt werden, weil sie im strategischen Plan nicht vorgesehen sind. Die Lösung besteht darin, mit zunehmendem Planungshorizont die Konkretisierung von Zielen zu reduzieren. Das bedeutet, dass • es für das Unternehmen eine für alle gültige, an alle kommunizierte und von allen getragene Vision des Unternehmens gibt, die den langfristigen roten Faden darstellt. Dies ist in der heutigen Zeit sehr unüblich. • strategische Planung praktisch nicht mehr zahlenbasiert ist, sondern wertebasiert • Planungszeiträume kürzer werden und die Planungsintensität insgesamt deutlich abnimmt. Die strategische Planung gibt damit nur einen Werterahmen vor, in dem das operative Geschäft abläuft. Die kurzfristigen Planungen und Aktivitäten sind sehr klar messbar und durch ein hohes Commitment auf die Leistungserbringung gekennzeichnet. Langfristig bildet sich eine gemeinsame Vision heraus. Als Metapher kann das Zitat von Antoine de Saint Exupéry gelten: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer“ (de Saint Exupéry 2009; siehe Abb. 2.7).

Abb. 2.7  Die abnehmende Konkretheit von Zielen bei zunehmendem zeitlichem Horizont. (Quelle: Eigene Darstellung auf Basis eines unveröffentlichten Arbeitsergebnisses des gemeinsamen Fachkreises „Controlling & Qualität“ des Internationalen Controllervereins e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Qualität 2018)

2  Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen …

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Neben diesen Kernpunkten müssen weitere Veränderungen im Grundverständnis und dem konkreten Instrumentarium der Unternehmenssteuerung erfolgen. Die Unternehmenssteuerung der Zukunft erfordert einen anderen Blick auf das Unternehmen: • Die Sicherstellung der Marktpositionierung wird wichtiger als eine zentral gesteuerte detaillierte Kostenoptimierung. • Die Berücksichtigung aller Vermögensarten (siehe hierzu Abschn. 2.3.6.4: Stakeholderinteressen) erfordert eine stärkere Betrachtung von Potenzialen. • Die zunehmende Dynamik im Unternehmensumfeld erweitert den Horizont der Unternehmenssteuerung auf die Wertschöpfungsnetzwerke über die Unternehmensgrenzen hinaus. • Es muss eine neuartige Balance zwischen Lernen aus gewonnenen Erfahrungen und dem Nutzen strukturierter, begründeter Zukunftserwartungen gefunden werden. • Die Konzentration muss stärker auf „Meldegrößen“ für strategisch relevante Aspekte liegen als auf detaillierten Abweichungsanalysen.

2.3.3 Die Transformation des Prozessmanagements Prozesse alleine schaffen (oder vernichten) Werte. Nur durch das geordnete Tun können Marktleistungen geschaffen werden. Daher ist ein besonderer Managementfokus auf Prozesse wichtig. Prozesse sind zudem die Spielregeln der Zusammenarbeit im Unternehmen und mit den Marktpartnern. Je vernetzter diese Zusammenarbeit wird, desto wichtiger sind Prozesse und deren Steuerung. Andererseits ändern sich die Rahmenbedingungen des Unternehmens häufiger und deutlicher. Dann ist es sehr aufwändig, die Spielregeln immer wieder anzupassen. Die eingangs geschilderten Herausforderungen führen auch zu Änderungen in der Art, wie wir Prozesse definieren, leben und steuern. Neue Aspekte des Prozessmanagements: Der prozessorientierte Ansatz in der ISO 9000 stößt an seine Grenzen Die Anforderungen dezentralisierter Entscheidungsprozesse in sehr (kunden-)individuellen Situationen stellen die einfache Steuerbarkeit gemäß ISO 9001 infrage. Prozessautomatisierung schafft Freiräume für Menschen Wenn Prozesse klar zu beschreiben sind, entsteht grundsätzlich die Möglichkeit der Automatisierung. Für die Menschen verbleiben jene Tätigkeiten, die empathiegetrieben sind und nicht automatisiert werden können. Dies öffnet Freiräume, die vordem durch Routinetätigkeiten verbaut waren.Die Veränderungen müssen allerdings aktiv begleitet werden, um am Ende ein hocheffektives und zugleich hocheffizientes Unternehmen zu haben, in dem die Menschen große Freiräume genießen und die Sachprozesse weitgehend automatisiert sind.

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Eine höhere Individualisierung führt zu fragmentierten Prozessmodellen Üblicherweise gibt es für das gesamte Unternehmen ein Prozessmodell. Damit entsteht eine gewisse Starre in den Vorgaben für die operative Arbeit. Individuelle Anforderungen des (Prozess-)Kunden können oft nicht flexibel aufgenommen werden, die Kundenzufriedenheit sinkt. Wenn Wettbewerber besser die Kundenanforderungen erfüllen können, sinkt damit auch die Wettbewerbsfähigkeit. Wenn die Prozessbeschreibungen auf die notwendigen Eckpunkte und damit auf die wesentlichen Spielregeln reduziert werden, geben diese damit einen Rahmen vor, der von den handelnden Personen verantwortlich im Sinne des Unternehmens ausgefüllt wird. Diese Eckpunkte legen nur fest, was im Normalfall zu tun ist. Das Wie und die Reaktion in besonderen Situationen bleibt den handelnden Menschen überlassen. Aber das, was als Spielregel vereinbart wird, ist in jedem Fall verbindlich. Agile Prozesse führen zu anderen Formen der Kooperation Agiles Vorgehen ist iterativ und teilweise auch explorativ. Ergebnisse können nicht auf längere Fristen genau vorhergesagt werden. Die Leistungsprozesse in einem solchen Umfeld geben also nicht eine lange Abfolge von Tätigkeiten vor, sondern z. B. Methoden wie die Risikoanalyse, eine wiederholte Nutzenanalyse, ein (rapides) Prototyping und eine ständige Akzeptanzprüfung durch den Kunden. Diese sind als Spielregeln der gemeinsamen Arbeit von allen einzuhalten. Die konkreten Inhalte können von den Mitarbeitern wiederum auf der Basis der gemeinsamen agilen Kultur und des tiefen Verständnisses des Geschäfts gemeinsam situationsabhängig formuliert werden. Prozesse der Mensch-Maschine-Kooperation werden häufiger Während lange Zeit Computer und Roboter Hilfsmittel waren, die von Menschen in ihren Prozessen eingesetzt wurden, wird es zukünftig verstärkt Abläufe geben, in denen Menschen und Maschinen „auf Augenhöhe“ kooperativ zusammenarbeiten. Roboter übernehmen Rollen in Geschäftsprozessen. Intelligente Softwareassistenten bedienen IT-Systeme wie ein Mensch. Ergebnisse werden von Menschen übernommen und im Prozess weiter bearbeitet. Beispiele für diese Kooperation sind die vielen Assistenzsysteme, die u. a. in der Medizin Diagnosen treffen und dem Arzt dann die weitere Behandlung überlassen. Solche stark automatisierten Prozesse benötigen viele Daten zuverlässig in Echtzeit, um qualitativ gute Ergebnisse zu erzeugen. Die Definition der Datenquellen, der Da­ tenströme und die Sicherung der Datenqualität ist eine wichtige Aufgabe der Unternehmenssteuerung. Die deutliche Erhöhung der Geschwindigkeit verstärkt den Automatisierungsdruck auf die Prozesse Produkte müssen immer schneller entwickelt und auf den Markt gebracht werden. Leistungen müssen immer schneller geliefert, Angebote immer schneller erstellt werden, etc. Um dies ohne Belastung für das Ergebnis zu realisieren, sind stetige und drastische Automatisierungen erforderlich. Prozessrationalisierungen sind damit eine Frage der Wettbe-

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werbsfähigkeit. Wissen um Rationalisierungsmöglichkeiten und Optimierungspotenziale sind damit ein wesentlicher Erfolgsfaktor des Unternehmens und erfordert eine intensive Verfolgung und Steuerung. Es entstehen unternehmensübergreifende Prozesse mit differenzierten Wirkungsstufen Die juristischen Unternehmensgrenzen weichen zunehmend auf. Die Prozesse werden aufeinander abgestimmt, es werden einheitliche Steuerungsprinzipien vereinbart. Die Offenheit bzgl. der Prozessperformance führt zu neuen Möglichkeiten der Optimierung der gesamten Prozessketten. Sie werden schneller (kürzere Durchlaufzeiten) und effizienter (geringere Kosten). Auf diese Weise profitieren alle Beteiligten. Mit zunehmendem Zugriff auf Prozessdaten auch außerhalb des eigenen Unternehmens können nicht nur der eigene Output, sondern auch der Outcome im Leistungsprozess Kundenunternehmen (Wie gut passt die gelieferte Leistung in den weiterverarbeitenden des Kunden?) und gegebenenfalls sogar der Outflow in weiteren Nutzungsstufen erfasst werden. Die Definition der Geschäftsprozesse erfolgt zunehmend mit agilen Methoden Die Methoden der agilen Produktentwicklung können auch auf die Prozessdefinition angewandt werden. Der Prozessmanager in der Rolle des Product Owners definiert die Kundenanforderungen. Das Team unter Leitung eines Scrum Masters setzt diese schrittweise in Sprints um. Nach jedem kurzen Sprint entsteht ein für den Kunden nutzbares Ergebnis, also eine Prozessdefinition, die vom Groben je nach Bedarf immer feiner und konkreter wird. Wenn die Prozesse noch nicht ausreichend sind, wird weiter in Richtung der Kundenanforderungen gearbeitet. Mit diesen Veränderungen im Prozessmanagement ändern sich auch die Anforderungen an deren Steuerung. Dezentral organisierte Unternehmen mit teilweise agilen Prozessen benötigen eine Selbststeuerung der Prozessausführenden. Die Bereitstellung von Informationen als Entscheidungsvorbereitung ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Informationen außerhalb dieser dezentralen Prozesssteuerung erfolgen drastisch reduziert gegenüber zentral organisierten Unternehmen.

2.3.4 Die Dezentralisierung der Organisationsstruktur Wie bereits beschrieben, sind viele Unternehmen durch die zunehmende Geschwindigkeit bei der Entwicklung von technologischen Möglichkeiten einerseits und der Veränderung der Kundenerwartungen andererseits gezwungen, die Organisation anzupassen. Viele Entscheidungen müssen sehr schnell getroffen werden und können nicht, wie bisher, über den Dienstweg und Top-Management-Entscheidungen laufen.

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F. Ahlrichs Ein praktisches Beispiel soll dies erläutern

Ein Kunde bittet um ein Angebot für eine neue Verpackungsmaschine mit einigen individuellen Konstruktionen (ein typischer Vorgang für dieses Unternehmen). Der Verkäufer nimmt die Anfrage entgegen und spricht den Kundenwunsch in der nächsten „Anfragerunde“ an. Entscheidung: Ja, wir wollen ein Angebot unterbreiten. Jetzt kann der Verkäufer die Konstruktion ansprechen und um eine Aufwandsschätzung bitten. Der Konstrukteur erstellt eine Schätzung und trägt dies dem Konstruktionsleiter vor, der alle Anfragen koordiniert. Nach dieser internen Abstimmung gibt der Kon­ strukteur dem Verkäufer die gewünschten Informationen, die dieser in ein Angebot einarbeitet. Dieses wird in der nächsten „Angebotsrunde“ mit allen Betroffenen ­besprochen, meist noch angepasst und dann dem Geschäftsführer zur Unterschrift vorgelegt. Nach dessen Genehmigung schickt der Verkäufer das Angebot an den Kunden. Die tatsächliche Arbeitszeit kann vielleicht etwas reduziert werden, wenn man Kon­ trollschritte streicht. Aber wesentlich wichtiger ist, dass die Durchlaufzeit von im Beispiel bis zu 10 Tagen von den Kunden nicht mehr akzeptiert werden. Eine drastische Reduzierung der Durchlaufzeit ist nur durch eine Dezentralisierung der Entscheidungsverantwortung in eigenverantwortlichen Teams möglich. Wenn z. B. ein Verkäufer, ein Konstrukteur, ein Logistiker und ein Einkäufer eng zusammenarbeiten, um etwa Großkunden zu betreuen, können alle Entscheidungen in diesem Team getroffen werden (Abb.  2.8 illus­ triert dies):

Region Ost

GF

Konstruktion

1 Konstrukteur 1 Verkäufer 1 Logistiker 1 Einkäufer

Vertrieb

Baumaschinen Konstrukteur

Verkäufer

Kundenanfrage (Maschinenbau) Kunde Verkäufer Verkäufer Konstrukteur Konstrukteur Verkäufer Verkäufer Verkäufer

       

Verkäufer Verkaufsltr. Konstrukteur Konstr.-Ltr. Verkäufer Verkaufsltr. Geschäftsführer Kunde

Großkunden

Agile Organisation oder Schwarmorganisation Anfrage Angebot Abstimmung Vorgehen Arbeitszeit: 16 Stunden Abstimmung Aufwand Durchlaufzeit: bis zu 10 Tage Abstimmung Angebotsunterstützung Lieferung Aufwandsschätzung Abstimmung Angebot Arbeitszeit: 14 Stunden Unterschrift Angebot Durchlaufzeit: 2-3 Tage Angebot

Abb. 2.8  Optionen der Organisationsgestaltung am praktischen Beispiel. (Quelle: Eigene Darstellung 2018)

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Diese neue Form der Organisationsstruktur impliziert dann auch eine gewisse teambezogene Selbststeuerung bei gleichzeitiger Gewährleistung einer ausreichenden Verbundenheit zur Erzeugung von Werten für die Kunden. Dies erhöht die Agilität der Organisation. In der Folge wird die Komplexität der Informationsströme reduziert und Situationen werden wieder beherrschbar. Dabei kann der Begriff des „Teams“ schnell missverstanden werden. An sich selbst organisierende Teams werden in der Praxis bestimmte Anforderungen gestellt (Bock 2016). Es geht dabei nicht um „historisch gewachsene“ Gruppen, von anderen abgetrennte Abteilungen oder siloartig eigenständige Bereiche. Es geht hier um interdisziplinär und interkulturell zusammenarbeitende Menschen, die klar definierte Kundenaufträge über den gesamten Wertstrom gemeinsam bearbeiten. Solche Teams „finden“ sich, wenn ein einfacher Grundsatz Realität wird: „Geben Sie den Mitarbeitern ihre Freiheit und Sie werden ein Wunder erleben“ (Bock 2016). Dazu gehören die gelebten Prinzipien Sinn, Transparenz und Mitsprache. Und die Mitsprache muss wesentliche Fragen einschließen, z. B.: • • • •

wer zum Team hinzukommen und wer es wieder verlassen darf, wie die Leistung eines Teammitglieds zu bewerten ist, wie die Entlohnung und Erfolgsbeteiligung der Teammitglieder gestaltet wird, wie die Aufträge in Aufgaben strukturiert werden und wie das Ergebnis konkret beschaffen sein soll („Definition of Done“), um den Auftrag in bestmöglicher Weise (nach Eigenschaften, Termin und Kosten) zu erfüllen.

Dies ist natürlich eine gravierende Reduzierung von Kontrolle durch eine Managementinstanz. Wenn es hier – wie im o. g. Beispiel – um Kundenaufträge im zweistelligen Millionenbereich geht, ist das eine große Veränderung im Vertrauensverhältnis, im Menschenbild, in der grundsätzlichen Art der Unternehmensführung und -steuerung. Solche Organisationsstrukturen entstehen immer häufiger. Einige davon wurden in längeren Studien untersucht. Es wurde festgestellt, dass diese Unternehmen nach einer Übergangszeit sogar in vielen Aspekten erfolgreicher und attraktiver für alle Stakeholder sind (Kaduk et al. 2013).

2.3.5 Menschen in der transformierten Unternehmenssteuerung Es vollzieht sich ein Wertewandel in der Gesellschaft. Wo man im rein Kommerziellen abstrakt von Anbietermarkt oder Nachfragermarkt gesprochen hat, transponiert sich die Entscheidungsgrundlage für die Akzeptanz von Unternehmen verstärkt hin zum Individuum und seiner (neuen) Werteeinstellung. Es geht also zunehmend um den individuellen Menschen und nicht mehr um Märkte im Ganzen, die man mit pauschalen Lösungen befriedigen kann. Und dies bezieht sich auf alle Märkte, auf denen ein Unternehmen tätig ist, z. B. Absatzmarkt, Beschaffungsmarkt, Arbeitsmarkt und Kapitalmarkt. Daher muss sich

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Unternehmenssteuerung ebenfalls stärker den individuellen Menschen als Kunden, Mitarbeiter oder Anteilseigner widmen, um auf den genannten Märkten auch in Zukunft erfolgreich sein zu können. Es geht dabei um den Begriff der Empathie als zentrales Element der Kommunikation und Kooperation. Das schließt Verbindlichkeit in den Vereinbarungen zwischen den Menschen ein und damit die gegenseitige Verlässlichkeit. Gemeinsame Ziele sind weiterhin Ziele, deren Erreichung messbar sein muss. Nach einer Zukunftsstudie des Instituts für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF) in Hamburg (Handelsblatt 2018) können wir vor allem im Kontext der Nutzung von Formen künstlicher Intelligenz bereits heute eine Reihe von Veränderungen erkennen, die sich in den nächsten fünf Jahren in der Praxis durchsetzen werden: • • • • • •

Übernahme von Bürotätigkeiten automatische Kundenberatung Vorhersage von Kundenverhalten oder von Kundennachfrage Warnung vor bevorstehenden Ausfällen von Maschinen Erkennen von Sprache und das Führen einfacher Gespräche Analyse komplexer Daten, zum Beispiel das Erkennen von Krebstumoren auf Röntgenaufnahmen • autonomes Fahren insbesondere in der innerbetrieblichen Logistik • Gesichtserkennung • Übernehmen von menschlicher Arbeit in der Pflege, z. B. Umbetten von Patienten. In diesem Kontext werden letztlich alle mit Routineverfahren verbundenen Funktionen eines Unternehmens zu potenziellen Automatisierungszielen. Auch die Unternehmenssteuerung ist davon betroffen. Der soziale Kern läuft auf einen gravierenden Paradigmenwechsel hinaus, der sich in den letzten zwei Jahrzehnten bereits angedeutet hat. Die industrielle Steuerung war mechanistisch geprägt. Die Menschen wurden als Funktionselemente innerhalb zu steuernder Funktionseinheiten des Unternehmens betrachtet und es galt vor allem, die richtigen „Stellschrauben“ zu finden. Das änderte sich auch nicht grundsätzlich, als die Unternehmenssteuerung begann, funktionsübergreifende Prozesse zu organisieren. Denn sie wurden als technische Prozesse gestaltet, die den konstruktiven Basic-Design-Regeln von ­industriellen Anlagen folgten. Die Menschen waren in diese Konstruktionen eingebunden und hatten den Prozessen zu folgen. Sie blieben Funktionselemente und das Denken in „Stellschrauben“ war weiterhin die beherrschende Idee der Unternehmenssteuerung. Der vor mehr als Das kollidiert zunehmend mit den Führungsaufgaben zur einhundert Jahren entwickelte ROI-Baum mit seinen linear auf eine Spitzenkennzahl ausgerichteten Werttreibern ist nach wie vor das typische Bild dieser Steuerungsphilosophie.Organisation menschlicher Zusammenarbeit. Die Prinzipien technischer Konstruktion und menschlicher Kooperation unterscheiden sich grundsätzlich. Führung von Menschen und Steuerung von (tech-

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nischen) Vorgängen waren einmal eng beieinander, zunehmend erfolgt Führung kollaborativ, auf Augenhöhe, empathisch und in diversifizierten Teams, was zu anderen (agilen) Methoden der Wertschöpfung führt und neue Arbeitsmodelle hervorbringt (New Work). Die sachliche Steuerung technischer und anderer formaler Prozesse mit ihren „Stellschrauben“ bleibt dagegen deterministisch. Dadurch beginnen Unternehmensführung und Unternehmenssteuerung sich zu entkoppeln. Diese Entkopplung wird durch die Tendenz zur Automatisierung und informativen Vernetzung aller Prozesse gravierend verstärkt. Das aber führt zu der Gefahr, dass die klassische Unternehmenssteuerung ihren Einfluss auf das Verhalten jener Menschen weitgehend verliert, die mit den (automatisierten) Prozessen nicht mehr direkt verbunden sind. Die Integration menschlicher Kooperationsregeln in die bisher technisch geprägten Prinzipien der Unternehmenssteuerung wird damit zu einer zentralen Aufgabe der obersten Führungsebenen. Was bisher in manchen Controlling- und QM-Abteilungen der Unternehmen methodisch ausprobiert wurde, wird nun zur obersten Priorität: Agilität. Agilität soll dabei folgendermaßen verstanden werden: „Eine Organisation ist agil, wenn sie den Umgang mit ständiger Unsicherheit als selbstverständlichen Teil ihrer Existenz begreift und systematisch in die Steuerung ihrer Aktivitäten integriert“ (Adam 2018). Die Rollen der Beteiligten ändern sich dabei deutlich. Führungskräfte lernen das empathische Führen ohne hierarchische Macht und werden zum „Servant-Leader“. Solche neuen Rollen von Führungskräften werden mittlerweile in verschiedenen Managementansätzen vertreten. Als Beispiel kann verwiesen werden auf das Scaled Agile Framework (SAFe), welches „Servant Leaders“ als zentrales Element agiler Wertschöpfung sieht (Scaled Agile Inc. 2018a). Die Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ) veröffentlichte ihr Manifest für agiles Qualitätsmanagement, welches ebenfalls die Transformation hin zur dienenden Führung beschreibt (Sommerhoff 2016). Die Mitarbeiter lernen, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen und im Team entsprechende Entscheidungen zu treffen. Controller lernen neue Werkzeuge, die auch die Menschen einbinden und nicht nur mechanistisch Zahlen berechnen, z. B. die Customer Journey-Analyse. „Der Controller muss die Menschen hinter den Zahlen sehen. Um wirksam zu werden, muss er Kommunikator und Netzwerker sein. Neben dem offenen Zugang auf Menschen setzt dies in der globalen Welt ein interkulturelles Verständnis und die Bereitschaft, international zu agieren, voraus“ (Losbichler 2009). Dies ist ein schwieriger Anpassungsprozess für alle, weil sich die heutigen Rollen des hierarchischen Führens und des Obrigkeitsdenkens bereits in der Kindheit in Familie und Schule etabliert hat. Diese Teams arbeiten also mit „eigenen“ und nicht zentral vorgegebenen Zahlen. Es sind Zahlen, die mit individuellen Erfahrungen verknüpft sind und damit zu abrufbarem Praxiswissen aufsteigen. So entsteht eine veränderte Steuerungsphilosophie. Durch diese Individualität der Teams im operativen Geschäft mit den Märkten und Kunden entsteht unmittelbare Kundennähe für eine große Zahl von Menschen über alle Strukturen des Unternehmens hinweg. Die Umsatzzahlen erhalten dadurch ein „persönli-

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ches Gesicht“. Diese Menschen gestalten Kundenbeziehungen nach ihren eigenen Fähigkeiten, auf der Basis persönlicher Beziehungen, in die sie ihren eigenen Willen einbringen können.

2.3.6 Das Konzept der Steuerung dezentraler Unternehmen Ein wesentliches Element des ETC bezüglich der Transformation der Unternehmenssteuerung ist der Bereich „Systems & Tools“. Hierunter sind sowohl die praktischen Instrumente und Methoden der Steuerung im Rahmen des Steuerungskreislaufs zu verstehen als auch allgemeine Steuerungskonzepte, die für dezentral organisierte Unternehmen teilweise ganz anders sind als in zentral und hierarchisch organisierten Unternehmen. Die Entwicklung der Nutzung von Steuerungsinstrumenten zeigt, dass nicht mehr die reinen Finanzinstrumente, sondern z. B. auch Risiko-Cockpits genutzt werden. Dies sind bereits solche Instrumente, die in einer transformierten Unternehmenssteuerung einen immer größeren Stellenwert einnehmen werden (siehe Abb. 2.9).

2.3.6.1  Steuerung dezentraler Unternehmen Ein Ansatz, die agilen Methoden, die sich – ausgelöst durch das agile Manifest 2001 (Beck et al. 2001) – auf Projektebene entwickelt und in der Praxis als sehr erfolgreiches Instrument im Umgang mit Komplexität bewiesen haben, auf größere Organisationseinheiten zu skalieren, ist das Scaled Agile Framework (SAFe). (Scaled Agile Inc 2018b). Ausgehend Intensität der Methoden-Nutzung 180% 160% 140% 120% 100% 80% 60% 40%

hohe Volatilität

Frühindikatoren

Risikocockpits

Treiberbasierte Planung

Eventualpläne

0%

Hedging

20%

geringe Volatilität

Abb. 2.9  WHU (Beisheim School of Management)-Controller-Panel 2014: Intensivere Nutzung von Instrumenten bei zunehmender Volatilität. (Quelle: Schäffer und Weber o. J.)

2  Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen …

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vom „Lean Portfolio Management“, das aus der Vision abgeleitete Wertschöpfungsideen zusammen mit den wesentlichen Stakeholdern generiert, werden die für deren Umsetzung erforderlichen Aufgaben schrittweise bis auf Teamebene heruntergebrochen (von sogenannten Epics über Features bis zu User Stories und Tasks). Die Synthese der einzelnen Teamergebnisse sowie die Steuerung der Termineinhaltung und der Abhängigkeiten zwischen den Teams erfolgt durch eine dezidierte, fast akribische Methode, in der spezifische Rollen in ihrem Zusammenwirken die Zielerreichung sicherstellen. Im Wesentlichen sind dies der Scrum Master, der Product Owner und der Release Train Engineer, die gemeinsam dafür sorgen, dass eine über mehrere Teams abgestimmte Leistung wie geplant erzeugt wird. Diese Steuerung und die vorangehende Planung haben jedoch nur einen Horizont von wenigen Monaten, typischerweise zehn Wochen. In diesem Zeitraum sind die Auswirkungen der Komplexität noch überschaubar. Eine solche agile Arbeitsweise in großen Teilen des Unternehmens erlaubt also, integrative (mehrkriterielle) Entscheidungen zu treffen und durch die einzelnen Teams einen hohen Leistungsgrad zu entwickeln. Dezentrale Teams und ihre Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sind in diesem Umfeld auf eine unmittelbare Vernetzung mit anderen Teams und deren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angewiesen, da die erforderliche Informationsversorgung über den Dienstweg einer Managementhierarchie nicht geleistet werden kann. Diese Vernetzung zu organisieren und durch eine adäquate Infrastruktur bis hin zur Einbeziehung sozialer Medien zu unterstützen, gehört zu den neuen Aufgaben der Unternehmenssteuerung. Dabei spielt auch der Einsatz von Social Intranets eine wichtige Rolle. Ein Social Intranet ist eine Softwareplattform, die den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit in Unternehmen fördern soll. Wie ein Intranet ist es nur für einen bestimmten Personenkreis verfügbar und kann unabhängig vom öffentlichen Netz benutzt werden. Es ergänzt das klassische Intranet jedoch um Elemente der sozialen Netzwerke (Wikipedia 2018). Sie können den kulturellen Wandel vorantreiben. Ihre Instrumente für Dialog, Vernetzung und Interaktion eröffnen neue Möglichkeiten für die bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Eine Dezentralisierung von Entscheidungen führt automatisch dazu, dass die gemeinsamen (vertikalen) Kommunikationswege entfallen. Und als Ersatz brauchen wir Collaboration-­Tools und Social Intranets. Der wesentliche Unterschied zu traditionellen Methoden der Zielsetzung liegt bei diesen Teams darin, dass primär Ergebniskennzahlen und kaum Performancekennzahlen als Ziel- und Messgrößen definiert werden. Die Performancesteuerung obliegt so lange den verantwortlichen Teams, als die Ergebnisziele erreicht werden (siehe Abb. 2.10). Die Teams setzen sich selbst Leistungsziele, die mit der Geschäftsleitung abgestimmt sind. Die Erbringung dieser Leistung obliegt dem Team und eine Messung von Leistungskennzahlen durch ein teamexternes Controlling erfolgt grundsätzlich nicht. Sehr wohl wird der Output gemessen und mit den Zielen verglichen. Dies erfolgt überwiegend in Form von Story-Points in der Realisierung der einzelnen Arbeitspakete im Kontext der User-Stories. Und teamintern erfolgt eine enge Verfolgung der Leistungserbringung, ­entweder durch Sprints bei Scrum oder Kanban-Karten. Mit Kanban ist hier nicht das

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Ergebniskennzahlen ►Stückzahl (Abgleich mit bestellter Menge) Performancekennzahlen

►Anzahl Gut-/ Fehlteile (Produktqualität)

► Dauer

►Termin (Pünktlichkeit, Termintreue

► Kosten ► Kapazität Effizienz =

► Auslastung ► Anzahl Fehler/ Ausschuss

Output Input

z. B. =

Kundenzufriedenheit

Gutteile Kapazität

Abb. 2.10  Arten von (Prozess-)Kennzahlen. (Quelle: Ahlrichs und Knuppertz 2010)

Geschäftsleitung

KoordinationsEbene

Strateg. Ziele Markt-/ PerformanceZiele (Output)

Erwartungsabgleich strat. Ziele / „Disruptions-Radar“ Entwicklungsziele

Gemeinsame Vision + Werte als Basis der Zusammenarbeit

Business Developm. + Markt

• •

Wenn Eskalation vom Team:  koord. mit anderen Teams, um individ. Ziele zu erreichen Überwachung Gesamt-Output

agiles Doing im Tagesgeschäft im Team Teams

Autonome Teams

Planung

• SMARTe Ziele, Action Items • Definition von „done“

Umsetzung

Steuerung primär auf TeamEbene

Abb. 2.11  Übersicht Unternehmenssteuerung in modernen Organisationen. (Quelle: Eigene Darstellung 2018)

Logistiksystem der Materialversorgung gemeint, sondern eine agile Methode, die in einem Pull-Prinzip die Maßnahmen aus einem Arbeitsvorrat über die Bearbeitung in den „Ergebnisstapel“ zieht. Oft erfolgt dies mit Karten ganz analog an einer Magnettafel, die jeden Tag in einem kurzen Stand-up-Meeting aktualisiert wird. Das interdisziplinäre Team sichert damit die vereinbarte Leistung gegenüber den Kunden einerseits (Kundenzufriedenheit) und die Erreichung der mit der Geschäftsleitung vereinbarten Ziele anderseits. Eine neue Art der Unternehmenssteuerung und der impliziten agilen Arbeitsweise kann in einem Gesamtbild zusammengefasst werden (siehe Abb. 2.11):

2  Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen …

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Solange die Ergebnisziele erreicht werden, bleibt die Performancesteuerung Sache der Teams. Wenn diese Ziele nicht mehr erreicht werden können, wird zunächst mit der koordinierenden Ebene die Ursache ermittelt und abgestellt. Dies entspricht einer Ampelsteuerung im Projektmanagement: Grün: alles läuft planmäßig Gelb: nicht alles planmäßig, aber das Team bekommt es in den Griff Rot: Unterstützung von außen benötigt Sofern eine Klärung durch eine Koordinationsebene (Peer-Ebene) nicht mehr möglich ist, erfolgt die Ursachenermittlung und Maßnahmendiskussion mit der Geschäftsleitung. Informationen, die für die Arbeit auf allen Ebenen benötigt werden, werden auf Anforderung durch das Data Management/Controlling bereitgestellt. Eine Jahres- oder Mehrjahresplanung im Sinne der klassischen Budgetierung auf Unternehmensebene gibt es in ­diesem Modell nicht mehr. Die strategischen Ziele werden auf Unternehmensebene vorgeschlagen und mit allen Teams abgestimmt. Die Teams setzen sich eigene Ziele, die zur Erreichung der vereinbarten strategischen Ziele beitragen. Diese Ziele werden im Team verfolgt. Die Teams setzen sich eigene Ziele, die zur Erreichung der vereinbarten strategischen Ziele beitragen. Diese Ziele werden im Team verfolgt. Die Teams definieren für sich die notwendigen Geschäftsprozessvarianten bzw. passen die vorhandenen unternehmensweiten Prozesse ggf. bewusst an. Sofern „kritische“, nämlich compliancerelevante Prozesse betroffen sind, werden die angepassten Prozesse vom Qualitätsmanagement geprüft und als Prozessvarianten dokumentiert. Prozesse laufen zunehmend IT-gestützt ab, oftmals in Prozess-Workflows, die den Nutzer durch den Prozess leiten. Dies führt zu einer Vielzahl von Informationen, die die Nutzer in den Teams zur Selbststeuerung verwenden. Für Ausgaben/Bestellungen gibt es klare Spielregeln und damit Genehmigungsgrenzen. Soweit sinnvoll möglich, entscheidet das jeweilige Team selbst über die Notwendigkeit der Bestellung. Die Teams entscheiden primär selbst über Eskalationen bei Nichterreichung ihrer Ziele. Wenn (strategische) Ziele auf Unternehmensebene deutlich nicht erreicht werden, muss eine Eskalation von oben erfolgen. Eine Klärung der Situation mit den betroffenen Teams führt dann entweder zu einer Anpassung der Ziele oder einer Unterstützung der jeweiligen Teams (Coaching durch die Teamkoordination oder durch andere Teams). Qualitätssicherungen der erbrachten Leistungen (Dienstleistung oder Produkt) werden von den Teams nach abgestimmter Compliance-Regelung durchgeführt. Bei Problemen mit der Produktqualität wird das Qualitätsmanagement aktiv von den Teams eingeschaltet. Alternativ kann über die Teamkoordination eine Unterstützung durch andere Teams eingefordert werden.

44

F. Ahlrichs

2.3.6.2  C  hancen- und Risikomanagement als zentrales Instrument in einem volatilen und komplexen Umfeld Die Dynamik und Volatilität der Märkte erfordert oft eine unmittelbare Entscheidung im Tagesgeschäft. Die Dynamik und Volatilität der Märkte erfordert oft eine unmittelbare Entscheidung im Tagesgeschäft. Eine Analyse von Plan-Ist-Abweichungen, ein Forecast zum Zielzeitpunkt und dann eine Ableitung der richtigen Gegensteuerungsmaßnahmen sind aber rein aus Geschwindigkeitsgründen nicht immer sinnvoll möglich. Zudem sind in einem dynamischen Umfeld Schlussfolgerungen aus Vergangenheitsdaten nicht mehr wirklich geeignet, um Maßnahmen in der Zukunft zu unterstützen. Dies führt zwangsläufig zu einer Erhöhung der Geschäftsrisiken, da die Risiken der zukünftigen Entwicklung weniger ignoriert werden können. Es muss sogar über eine Anpassung der Definition von Risiken nachgedacht werden. Statt einer „Abweichung vom Plan“ sollte zunehmend von einer „Unsicherheit der zukünftigen Geschäftsentwicklung“ gesprochen werden. Dies ist dann zwar eine sehr all­ gemeine und weitgreifende Definition, sie ermöglicht aber, systematisch die fehlende ­Transparenz in den verschiedenen Märkten mit den Methoden des Chancen- und Risikomanagements zu bearbeiten. Wenn nicht mehr die Abweichung zum Plan gefordert wird, greifen diese Methoden auch dann, wenn sie nicht in einem Planungsprozess mit klaren Maßnahmen zur Zielerreichung beschrieben wurden und ebenso in Fällen, in denen ein Ziel nicht eindeutig quantitativ, sondern auch wertebasiert qualitativ formuliert wurde. Da in der komplexen dynamischen Welt ohnehin eine klassische Periodenplanung nur noch eingeschränkt sinnvoll ist, braucht die Unternehmenssteuerung ein anderes Instrument, um im Tagesgeschäft Trigger für Handlungsbedarf zu setzen. Das Chancen- und Risikomanagement übernimmt diese Rolle in großem Umfang. Es ist allerdings ein längerer Weg der gemeinsamen Umgewöhnung, nicht mehr einem Plan zu folgen und bei Abweichungen gegenzusteuern, sondern ganz explizit das Geschäft im Rahmen des strategischen roten Fadens laufen zu lassen und über Chancen und Risiken zu steuern. 2.3.6.3  Steuerung der VUCA-Welt Den Herausforderungen der VUCA-Welt wird in den meisten Fällen mit agilen Methoden wie Scrum, Kanban oder Design Thinking begegnet. Diese Methoden haben eigene Regeln der Performance-Messung und -Steuerung hervorgebracht. Den Ausgangspunkt bilden normalerweise sogenannte „User Stories“, mit denen Anforderungen aus der Perspektive eines Benutzers unter Verwendung von Alltagssprache formuliert werden. Ein „Product Owner“ stimmt die Stories mit den Nutzern und weiteren beteiligten Stakeholdern ab und leitet gemeinsam mit dem Bearbeitungsteam konkrete Arbeitspakete ab, die in relativ kurzen Zeiträumen zu funktionsfähigen Teilergebnissen führen sollen. Eine Leistungsplanung und später die Leistungsbewertung erfolgt dabei durch die Bewertung der einzelnen User Stories mit sogenannten „Story Points“. Story Points sind eine Einheit, die die Größe einer User Story beschreibt. Größe bezeichnet dabei sowohl die Komplexität als auch den Nutzen für den Kunden.

2  Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen …

45

Je nach Methode beurteilt das Team selbst oder der Business-Owner die Anzahl der Story Points pro Arbeitspaket. Diese korrelieren mit der Leistung, die in einer Zeiteinheit von einer Kapazität geschafft werden kann. Dadurch kann bei einer gegebenen Kapazität eines agilen Teams ermittelt werden, wie viele Arbeitspakete in einem Sprint bearbeitet werden können („Velocity“) und damit, wann eine bestimmte Leistung fertig sein kann.

2.3.6.4  M  essen und Steuern von Soft Facts bzw. Potenzialen im Rahmen des Integrated Thinking Die international seit vielen Jahren forcierte Suche nach einer erweiterten Basis für moderne Formen der Unternehmenssteuerung führte 2010 zur Gründung des International Integrated Reporting Council (IIRC), in dem sich neben großen Unternehmen aus allen Wirtschaftsräumen der Erde und wichtigen Wirtschaftsprüfungsorganisationen auch die beiden bedeutendsten Standartsetter IASB und FASB zusammengeschlossen haben. Im Dezember 2013 veröffentlichte das IIRC ein Rahmenwerk für ein Integratives Reporting (IIRC 2013), das zu einer veränderten Sicht auf die Steuerung von Unternehmen einlud. Das erklärte Ziel bestand darin, separate Unternehmensberichterstattungen zusammenzuführen, um für die verschiedenen, in jedem Unternehmen zusammenwirkenden Interessengruppen (Stakeholder) eine inhaltliche Verknüpfung der unternehmerischen Erfolgsfaktoren zu erreichen und die jeweiligen Zusammenhänge aufzuzeigen. Das Framework bietet eine belastbare Basis und ein solides Fundament für die Entwicklung eines integrativen Denkens (Integrated Thinking), mit dessen Hilfe sich wiederum der Weg zu einer integrativen Unternehmenssteuerung bauen lässt. Dieses Modell stellt sechs Vermögensarten („capitals“) vor, die ganz wesentlich zum Erfolg von Unternehmen beitragen und in der Unternehmenssteuerung integrativ berücksichtigt werden sollen. Das integrative Bild des IIRC geht davon aus, dass jedes Unternehmen einen inhaltlichen Zweck verfolgt, ein visionäres Ziel, das nicht mit Gewinn gleichgesetzt ist. Dann ist Geld nicht das Ziel, sondern ein wichtiges Mittel zur Zielerreichung. Und dann ist es die primäre Aufgabe der Unternehmenssteuerung, alle Einflussfaktoren in ihrer Abhängigkeit zu berücksichtigen, auch und gerade, wenn sie sich widersprechen oder im Wettstreit der Interessen stehen. Das ist eine Herausforderung für alle in die Unternehmenssteuerung eingebundenen Führungskräfte und Controller. Es gilt, ein zusammenhängendes Zielsystem zu entwickeln, das ökologische Lösungen und soziales Wohlbefinden mit wirtschaftlicher Lebensfähigkeit verbindet. Die Vermögensarten des Humanvermögens, des Sozial- und Beziehungsvermögens und des natürlichen Vermögens stellen für das Unternehmen grundsätzlich Potenziale dar, die nicht unmittelbar bewertet und bilanziert werden können, wohl aber eine Wertsteigerung in allen Vermögensarten in der Zukunft ermöglichen. Um nicht materielle und nicht finanzielle Faktoren in die Unternehmenssteuerung einzubinden ist es erforderlich, „Soft Factors“ messen und steuern zu können. Wir sind es in den meisten Unternehmen nicht gewohnt, weiche Faktoren als Messgrößen zu behandeln und mit klaren Zielwerten zu versehen.

46

F. Ahlrichs

Messgrößen für weiche Faktoren können u. a. dem Kennzahlenset der Global Reporting Initiative (GRI) entnommen werden (GRI 2018). Wichtig ist jedoch, dass sowohl für die harten als auch die weichen Faktoren, die an der Wertschöpfung beteiligt sind, • • • • • •

Inhalt und Zweck klar und konkret beschrieben, Messgrößen definiert, Zielwerte festgelegt, Datenquellen und Häufigkeiten der Messung zugeordnet, Ist-Werte ermittelt und Aussagen aus den Plan-Ist-Abweichungen abgeleitet werden.

2.4

Schlussbetrachtung

Getrieben durch diverse Veränderungen in der Gesellschaft und in den Möglichkeiten der Technik verändern sich Unternehmen in vielfältiger Form. Auf strategischer Ebene erhalten sie ein anderes Selbstverständnis; statt Gewinnmaximierung für den Unternehmer, in der die Mitarbeiter als „Befehlsempfänger“ Leistung bringen, werden alle Stakeholder auf Augenhöhe eingebunden, um gemeinsam für alle Einkommen zu generieren. Auf der Organisationsebene führen insbesondere die zunehmende allgemeine Geschwindigkeit und ein „Empowerment“ der Mitarbeiter zur Bildung dezentraler, selbstorganisierter Teams. Dies wiederum erfordert deutlich veränderte Methoden der Unternehmensplanung und -steuerung sowie eine veränderte Informationsversorgung. Die Rollen von Managern, Controllern und ausführenden Mitarbeitern verändern sich dadurch. Dies führt gleich zu mehreren Paradigmenwechseln. Die großen Veränderungen erfordern eine Transformation in allen Elementen des ETC sowohl auf der Sachebene als auch der Personenebene.

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2  Die Transformation der Unternehmenssteuerung in zunehmend dezentralen …

47

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Frank Ahlrichs  ist seit 25 Jahren aktives Mitglied des Internationalen Controllervereins. Er ist Spezialist für die Themen Prozessmanagement, Controlling und Innovationsmanagement und in dieser Rolle seit über 20 Jahren in diversen Unternehmen in Interims- und Projektaufgaben tätig. Zudem ist er Lehrbeauftragter für Prozessund Projektcontrolling und Autor diverser Fachartikel und Bücher. Er ist zertifizierter SAFe Program Consultant und Scrum Master und begleitet in dieser Rolle den Aufbau agiler Organisationen.

3

Mastering Digital Transformation – Ein Projektbericht Bernd Ettelbrück

Inhaltsverzeichnis 3.1  Der Markt  3.2  Relevante Wettbewerber  3.3  Produkte  3.4  Prozesse  3.5  IT-Systeme  3.6  ETC in der Umsetzung  3.7  Thesen  3.8  Schlussbetrachtung  Literatur 

 50  51  53  54  54  55  63  68  68

Zusammenfassung

Der Beitrag beschreibt den Einsatz und die Erfahrungen des Enterprise Transformation Cycle (ETC) bei einem wichtigen Post-Merger-Integration(PMI)-Projekt eines führenden Unternehmens der Medienindustrie. Es wird ein Status des Unternehmens und der Branche gegeben, insbesondere werden der Markt, die Produkte, bestehende Organisationen und Entwicklungen aufgezeigt. Diese Bestimmungsfaktoren sind wichtig, um die Entwicklung und das Design des Programms zu verstehen. Das Programm befand sich in schwierigem Umfeld und wurde mithilfe der ETC Methode auf einen erfolgreichen Weg gebracht. Das bedeutet einen schnelleren Start, frühere Go-Live-Daten

B. Ettelbrück (*) Partner der TCI Transformation Consulting GmbH, Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_3

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50

B. Ettelbrück

und einen geringeren Steuerungsbedarf. Der Bericht zeigt auch auf, was nicht funktioniert hat und worauf zu achten ist. Wesentliche Erkenntnisse sind in Thesenform formuliert und erläutert. Sie schließen die praxisnahe Darstellung ab.

3.1

Der Markt

Unser Beispielunternehmen ist ein US-amerikanischer Medienkonzern und einer der größten Breitbandanbieter weltweit. Das Unternehmen bietet Infrastruktur und Netzzugang an, der Sitz der Europazentrale ist in London. Die Darstellung von Projektdetails ist anonymisiert. Der Geschäftszweck ist die Bereitstellung von Telekommunikationsnetzwerken für Unternehmen und Privathaushalte. Diese Kommunikationsnetzwerke sind essenziell für die Unternehmen, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Sei es für einen Arzt, Termine über das Telefon zu vereinbaren, Daten an Labore zu übermitteln oder für ein Unternehmen, Informationen über Lagerbestände und Produktdaten mit Kunden, Lieferanten und den Mitarbeitern in Verkauf und Service mobil zu übermitteln. Dieser Bereich des Unternehmens ist erfolgversprechend und bedeutet eine Transformation in Richtung eines Process-as-a-Service- und Platform-as-a-Service-Anbieters. Damit stellt sich die Frage, wie diese Geschäftsermöglichung (Business Enabling) dem Kunden am besten erfolgsorientiert berechnet werden kann. Die Zahl privater Haushalte, die an die gleiche Infrastruktur angebunden werden, wächst. Vorhandene Netze werden so besser ausgelastet, Investitionen werden weniger riskant, weil es potenziell viele Abnehmer für die Anschlussdienste gibt und Investitionen nicht nur gegen die Nutzungsentgelte eines einzigen Unternehmens oder wenigen Unternehmen gerechnet werden. Diese Nutzungsentgelte sind potenziell Erträge und werden zu Einnahmen oder eben nicht, wenn das eine, große Unternehmen bei einem Wettbewerber unterschreibt. Einzelne Landesmärkte, in denen das Unternehmen tätig ist, haben ein hohes Preisniveau. In allen Märkten platziert sich das Unternehmen als Premiumanbieter und ist Nummer eins oder zwei im nationalen Markt. In der Schweiz wird die Spitzenposition vom ehemaligen Incumbent gehalten, der den Markt dominiert. Die Premiumposition im hart umkämpften, preissensitiven Consumer Business hält das Unternehmen durch attraktive Fernsehangebote und bietet seinen Privatkunden im Vergleich zum Wettbewerb hohe Bandbreiten (1–2  GB/sec.) an. Mit den Einnahmen werden weitere Expansionen finanziert. In den Zeiten der Digitalisierung entstehen vielfältige Herausforderungen. Telekommunikation ist Convenience geworden. Niemand sieht den Bits an, woher sie kommen. Telekommunikationsunternehmen sind zur Bit Pipe geworden. Das Internet ist

3  Mastering Digital Transformation – Ein Projektbericht

51

(noch) frei. Die Vermittlung von Datenpaketen wird allmählich diskriminiert. Die Anbieter von Inhalten versuchen ihre Inhalte über Subskriptionsmodelle zu refinanzieren. Das sind globale Trends. Der Verkehr wird diskriminiert werden, dabei hilft den Telekommunikationsunternehmen die Verunsicherung der Verbraucher wegen IT-Attacken (Cyber Crimes). Tendenziell ändert das nichts daran, dass der Datentransport wesentlich preisgünstiger ist als die transportierten Inhalte oder zusätzlichen Services wie Sicherheit, Bezahlung oder garantierte Bandbreiten. Das Unternehmen hat das erkannt und ist eines der wenigen, das es geschafft hat, aus der Rolle eines Breitbandkabelnetz- und Infrastrukturproviders zu einem anerkannten Content Provider zu werden, z. B. im Formel1-Business.

3.2

Relevante Wettbewerber

Mit der Bedeutungsverschiebung im Telekommunikationsmarkt hat sich für das Unternehmen die Frage gestellt, wer es sein will: Das Unternehmen möchte nicht weiter Infrastruktur bereitstellen und mit den Network- und Serviceprovidern der Welt um den besten Access konkurriert. Es möchte Service- und Content-Provider für Privathaushalte und für Unternehmen sein. Den Privathaushalten sollen exklusive Sender und Programminhalte bereitgestellt werden. Das Unternehmen überlegte, was das sein könnte. „Sex sells“, aber das hätte sich nicht mit dem Image des Unternehmens vertragen, also hat die Geschäftsführung Sport gewählt und möchte in diesem Bereich exklusive Sportinhalte anbieten. In der Schweiz sind das Eishockey und Beach Volleyball. Dadurch verschiebt sich der relevante Wettbewerb: ESPN (Entertainment and Sports Programming Network), ein US-amerikanischer Fernsehsender, der rund um die Uhr ausschließlich Sportprogramme ausstrahlt, und andere Sportkanäle werden Wettbewerber. Die Unternehmenskunden wurden analysiert und Segmente gebildet. Für die Rendite starke Segmente wurden Produkte und Services designt und in zwei Richtungen entwickelt. Im Differenzierungswahn der Branche entwickelten sich immer weiter aufgefächerten Angebote, die viele Kunden als intransparent wahrnehmen. Diese Tarife sind auch nur vordergründig preiswert, weil günstige Einstiegstarife schon bei durchschnittlicher Nutzung zu teuren Tarifen werden. Das Produktmanagement hat gemeinsam mit dem Controlling und dem Marketing mit der Koordination durch die Vertriebsleitung ein einfaches dreistufiges Modell gegenübergestellt: „light“, „classic“ und „premium“. Jedes Paket ist eine Preis-Service Kombination, die definiert ist. Zusätzliche Komfortmerkmale können kostenpflichtig gebucht und so das Angebot individualisiert werden. Die zweite Richtung für Unternehmenskunden ist die „Forward Integration“. Das Medienunternehmen hat für ausgewählte Branchen Businessservices formuliert: Lohn- und Gehaltsabrechnung für Arztpraxen, Dokumentenmanagement für kleine Unternehmen, eine Steuersoftware für vermögendere Privathaushalte und kleine Unternehmen, eine

52

B. Ettelbrück

Immobilienverwaltung. Kommerzielle Software wird durch zusätzliche Leistungsmerkmale aufgewertet und zusammen mit einer Access- und Speicherlösung, gegebenenfalls erweitert mit Hardware als Paket in attraktiven Mietmodellen, angeboten. Durch diese Maßnahmen – einfache Standardpakete, gehostete Leistungen und Managed Services als eine Vorstufe zu Cloud Services für jedermann – wurde der Abrechnungsaufwand erheblich gesenkt. Am Markt entwickelt sich ein Preisniveau, welches ein einzelner Anbieter nicht beeinflussen kann. Die Margen sinken und vergleichbare Leistungen können Unternehmen nur zu attraktiven, marktgerechten Preisen anbieten, Bestandskunden zu übervorteilen rächt sich schnell. Auch unser Beispielunternehmen muss schlank und mit günstigen Kostenstrukturen wettbewerbsfähig bleiben. Dadurch verdient das Unternehmen auch in kompetitivem Marktumfeld genug, um seine Expansion durch Investitionen in Infrastruktur vo­ ran­zutreiben. Der Wettbewerb ändert sich. Zu Beginn des Siegeszugs des Internets galt der Satz „Content is King“. Das Zitat „Content is King“ war das Thema eines Beitrags von Bill Gates, dem Gründer von Microsoft vom Januar 1996, der auf der Homepage von Microsoft veröffentlicht wurde. Er beschreibt in diesem Essay das Wesen des Internets als ein Marktplatz für Inhalte. „Content is where I expect much of the real money will be made on the Internet, just as it was in broadcasting“ und weiter „One of the exciting things about the Internet is that anyone with a PC and a modem can publish whatever content they can create.“ (Gates 1996)

Inhalte waren erstrebenswert und sicherten die Marktposition. Später waren es das raffinierte Angebot, die einfache Bedienung und das problemlose Bezahlen, die über den Erfolg entschieden. Bis heute gilt, dass reine Informationsintermediäre keinen Mehrwert bringen. All die Plattformen, die Käufer und Verkäufer zusammenbringen, haben vor allem den einen Mehrwert, dass sie die intransparenten Käufer-Verkäufer-Beziehungen erkennbar und nachvollziehbarer machen. Das ist kein Wert an sich. Avatare, intelligente Crawler, Bots und heute zunehmend die Blockchain-­ Technologie übernehmen diese Funktion. Es überlebt, wer einen Mehrwert bietet, und das sind Serviceanbieter bzw. Anbieter von Service Enrichment, d. h. der Anreicherung von Services, um deren Attraktivität für Nutzer zu steigern. Mit neuen Technologien beginnt ein Zeitalter der Servitization ein. Dabei tritt an die Stelle der bisherigen Produktangebote die Kombination aus Produkten und Dienstleistungen. Außerdem werden Produkte modularisiert und zu neuen Entitäten verknüpft. An die Stelle von Produkten und Features werden den Kunden und Nutzern kombinierbare Produktmodule und Dienstleistungen angeboten und machen die Leistungen unterscheidbar. Heute gilt in der Medienindustrie wieder „Content is King“. Das Unternehmen hat sich entschieden, Fernsehsender zu kaufen oder Kooperationen mit Streaming-Diensten einzugehen und deren exklusiven Content zu vermarkten. Dadurch konnten sie sich in einem von Convenience-Produkten geprägten Markt als Infrastrukturanbieter unterscheidbar machen.

3  Mastering Digital Transformation – Ein Projektbericht

3.3

53

Produkte

Produkte sind aus Markt- und Unternehmenssicht zu sehen. Das Unternehmen sieht in seinen Produkten einen Wettbewerbsvorteil. Daher werden Produkte tendenziell individualisiert. Das sieht das anbietende Unternehmen als besondere Leistung. Später muss für jedes einzelne Produkt Service geleistet werden. Das wird teuer, letztlich für beide – für den Anbieter und danach für den Kunden, weil der Anbieter seine Kosten weiterreicht. Der Hebel für den Anbieter sind die Bereitstellungskosten durch bessere Prozesse, eine schlanke Organisation und die Vereinheitlichung in der Produktion. Einheitliche Produkte sind im Betrieb einfacher instand zu halten. An den Kundenanforderungen kann das Unternehmen nichts ändern. „Erziehungsmaßnahmen“ der Anbieter helfen nur kurzfristig. Der Markt ist dereguliert, die Kunden möchten Bandbreite, hohe Verfügbarkeit und hohe Netzabdeckung und sehr gute Qualität der Telefongespräche. Das sind im Kern die Kundenanforderungen an den Access- bzw. Netzzugang. Die Services sind b­ ranchenspezifisch; für ihre Gestaltung eignen sich am besten die Rückmeldungen vom Vertrieb. Allerdings gibt es hier einen Bias: Im Key-Account-Geschäft arbeiten intelligente Accounter mit Vertriebsteams, zu denen auch Entwickler gehören, an einem großen Kunden oft über ein bis eineinhalb Jahren. Es entwickelt sich eine Dynamik in der Formulierung der Anforderungen, die immer weiter verästelt und ausdifferenziert werden. Parallel arbeitet sich auch das anbietende Unternehmen immer weiter in Features und Functions ein, die bei dem einzelnen Kunden einen Benefit haben. Vertriebsleiter und die Geschäftsführung unterstützen das Handeln und so verselbständigt sich die Entwicklung eines Leistungsmerkmals, sozusagen auf den vielfachen Wunsch eines Einzelnen. Die Frage „Wer braucht das noch?“ ist ein No-go, weil sie so viel bedeutet wie „Unser Chef hat sich verrannt“. Andererseits befeuern Spezialwünsche definierter Kunden auch die Fähigkeiten und Lösungskompetenz der Entwickler. Nicht selten führen Speziallösungen zu Produkten, die im Wettbewerb einen großen Vorteil bedeuten. Dieses Dilemma hat das Unternehmen auf intelligente Weise gelöst: Bei den Privatkunden wurden Scouts eingesetzt, die „ihr Ohr“ am Markt haben und neue Trends melden. Regelmäßig finden Treffen mit den Scouts und dem Produktmanagement statt, Kunden sind zusätzlich eingeladen. Im unternehmerischen Kontext findet ein internationaler Austausch statt. Im Rahmen dieser Diskussionen treten Ideen in den Wettbewerb um Finanzmittel bzw. Investitionsbudgets. Es ist eine Art Markt für Geschäftsideen. Die Investoren beteiligen sich an den Entwicklungskosten und erhalten dafür eine Umsatz- bzw. Gewinnbeteiligung und/oder das Recht, von den Entwicklungen exklusiv zu profitieren und sich über eine Art Lizenzgebühr für die Nutzung in anderen Ländern und Regionen zu refinanzieren. Es wird stets überlegt, wie eine Kundenanforderung produziert wird und was damit noch alles produziert werden kann. So entsteht eines der modernsten Plattformunternehmen der Welt mit modularisierten Produkten, ähnlich den Plattformen der Automobilproduzenten, doch

54

B. Ettelbrück

noch viel weiter entwickelt, weil in der Entwicklung viel kleinere Module und bereits der Service und die Weiterentwicklung des Produktes gedacht und geplant werden. So steigt die Flexibilität der Organisation, die Geschwindigkeit, in der länderspezifische Anpassungen gemacht werden können und damit die „time to market“.

3.4

Prozesse

Eine Herausforderung technologiegetriebener Unternehmen sind Prozesse. Technology Driven Companies sind stets aus der Entwicklung und dem Produktmanagement getrieben. Das beschriebene Unternehmen ist Sales Driven. Der oberste Vertriebschef war vorher in Personalunion CIO. Das ist wichtig zu wissen: Treiber waren potenzieller Verkaufserfolg und die Möglichkeiten der Technik. Die Organisation war Customer und Event Driven: Wichtige Kundenanliegen und Opportunities haben Struktur und Abläufe dominiert. Überspitzt gesagt arbeitet das Kundenunternehmen sprunghaft und immer aus einer Notsituation heraus: Eine bestimmte (ungeplante) Sache muss schnell fertig werden. Ressourcen zur Bewältigung sind nicht geplant. Daraus entstand eine Art „Heldenkult“: Man(n) hat es trotzdem geschafft, trotz aller Widrigkeiten und gegen alle Widerstände und Einschränkungen im Unternehmen. Wer das schafft ist ein Held. Diese kulturelle Eigenheit hat durchaus Charme: Alles ist sympathisch und persönlich, keine Technokratie. Alles wirkt sehr dynamisch, weil alles im Wandel ist und viele Mitarbeiter ständig mit anderen Dingen betraut sind und sich für neue Themen, Aufgaben und Teams melden: „Hier ist was los, hier geht was“. Es gibt aber auch eine dunkle Seite: Vieles geht schief und der Einsatz des Einzelnen lohnt meist nicht, denn am Ende gewinnt „nur“ der Held. Das Engagement ist oberflächlich, nach Besprechungen und im persönlichen Gespräch zeigt sich viel Frust über die vergebene Mühe. Planungen und Zeitziele spielen kaum eine Rolle – es kommt ja doch anders. Für den einzelnen Mitarbeiter lohnt es sich zunächst, abzuwarten und mit dosiertem Engagement an Ideen und Vorgaben mitzuwirken und besser auf die Chance zur Teilnahme an einem Heldenprojekt zu warten. Budgets werden umgewidmet und so fehlt plötzlich Geld und taucht an anderer Stelle wieder auf. Wirtschaftliches Handeln wird durch „Schönrechnen“ konterkariert. Trotzdem oder gerade deswegen rufen alle nach Prozessen, vor allem nach einer Supraordnung, die den Heldenkult disziplinieren hilft. Genau das hat das Unternehmen angestrebt und sich selbst verordnet, um im Konzert der Ländergesellschaften eine wichtige Rolle zu spielen.

3.5

IT-Systeme

Prozesse sollten durch eine neue IT unterstützt werden. So legt es der Enterprise Transformation Cycle (ETC) nahe, der eine ganzheitliche Methode beschreibt, mit der Unternehmen eine Transformation erfolgreich planen und durchführen können. (Pfannstiel und

3  Mastering Digital Transformation – Ein Projektbericht

55

Steinhoff 2018, S. 34). Das geschieht in der Praxis oft nicht: Die IT ist hier weniger ein Servicetool, sondern Mittel zum Zweck. IT soll disziplinieren und möglichst starre Abläufe sollen die Mitarbeiter besser als Anweisungen und fachliche Vorgaben der Führungskräfte zu einem bestimmten Handeln anhalten oder gar zwingen. Das ist der Grund, warum IT-Systeme nicht akzeptiert werden, schlecht sind und die meisten die wirklichen betrieblichen Abläufe nicht abbilden. In Österreich ist die Umsatzverteilung auf die Kundensegmente nahezu umgekehrt: Drei Viertel des Umsatzes kommen aus dem sehr heterogenen Privatkundengeschäft, ein Viertel aus dem Unternehmensgeschäft. Die Klientel findet sich im Freiberuflichen und kleineren mittelständischen Umfeld. Dazu haben branchenspezifische Lösungen beigetragen, die extra für dieses Segment entwickelt wurden. Auf die IT-Systeme hat sich das so ausgewirkt, dass die standardisierten Abläufe der ursprünglichen Software manuell verändert und ergänzt wurden. Die Probleme der Kunden sind vielfältig, zudem äußern sich die Kunden in der Hotline eher vage und weniger präzise als der IT-Leiter oder Systemverantwortliche eines größeren Kundenunternehmens. Darüber hinaus gibt es tendenziell mehr und zugleich kleinere Störungen. In der Ausführung der Prozesse hat sich eine sehr viel individuellere Vorgehensweise auf die betrieblichen Gegebenheiten ausgerichtete Service-Policy herausgebildet – mit anderen Worten. Das Abweichen vom Prozess war eher die Regel. Gleichwohl war es die gleiche Basis Software mit den gleichen Namen, die im Einsatz war. Es fanden ganze Workshops statt, in denen Verantwortliche beider Länder zusammensaßen und über dieses und jenes Thema sprachen, ohne dass es Probleme gab und nach Abreise kamen plötzlich Themen auf: Es wurden die gleiche Namen und Bezeichnungen verwendet, jeder verstand jedoch etwas anderes darunter. Im Wesentlichen ging es um die Bereitstellungsprozesse, unterstützende Software, den ganzen Auftragsbearbeitungsprozess und die Entstörung. Die Architektur ist wie in vielen Unternehmen „historisch gewachsen“ (siehe Abb. 3.1) und daher sehr komplex.

3.6

ETC in der Umsetzung

Das Unternehmen hat sich nicht über die Komplexität beklagt, oder damit gehadert, sondern sich gefragt: Was können wir ändern? Die Antwort ist, sich selbst zu ändern. Daraufhin wurde ein Programm gestartet (siehe Abb. 3.2), das größte Programm des Konzerns in ganz Europa mit 18  Mio.  CHF Volume. Unter dem Dach des Programms waren mehrere Projekte definiert: • • • • •

Infrastruktur, Vertrieb, Auftragsbearbeitung, Produkte, Service,

CDRs

HFC service provisioning

get/update IP range

CSPIRE

phone book entry

B2B TT integration

DN & customer data report

DN & customer data report

PETS integration

Get CPE details

DWH export basis for Hyperion

address request

address synch

BID TOOL

APS

SUPEROFFICE (INCL. QUOTATION)

TANGO

E2E BRIDGE

iPOM (DSL) order

Cloud/VAS service provisioning

PE VAS

Abb. 3.1  Architektur. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

COMPTEL EL6

EASYIP

BUMBLEBEE

TELEFONBUCH TOOL

B2B TT

NOTRUF DB

AVAYA CTI

PETS

LAGER DB

PE DWH

ADDRESS MASTER

NET CRACKER

Customer synch archive docs

Network information (via MDB)

Oppy ID get CPE details

FIBER PROJECT DASHBOARD

via sales workforce, phone, etc.

Products get/update IP range

PCT

Xml invoice export for public clients

UNTERNEHMENSSERVICE PORTAL

Customer creation PETS integration

PE VAS order

Handover customers to collection agency

Invoice printing

solution orders PE VAS order

PRINTSHOP

Standard orders B2B TT integration

COLLECTION AGENCY

lead/order generation

ship DSL CPEs

H&S

archive docs

get CPE details

DSL service provisioning

IPOM

iPOM (DSL) order

MLOG

SAP

B2B WEBSHOP

HFC technician booking

Accounts Receivable Integration

Journaling

address request

Customer

Accept Giro & Direct Debit

MODIFIED

NEW

Legend:

Reseller Portal Integration

RESELLER PORTAL (NEW)

Introduced and connected in „B2B Self Care“ project

MYBUSINESS AT

Manual interface

Automatic interface

Existing application modified by this project

New application introduced by this project

BANKS

56 B. Ettelbrück

5





neu

neu



6





neu



neu

 

Geschäftskunden

Wachstumsplan

Kundensegmente



Verschiedene Softwaremodule

Leistungsbereitstellung 

“Trouble Ticketing”



8

4

Aktives Service Management (SLA)

Service

7

new



Inbetriebnahme

Rechnung

Finanzen





Kunden informieren

Betriebsunterstützungssysteme

Intelligente, automatisierte Prozesse

3

neu

Einheitlicher Produktkatalog

Produkte 







Produktion

neu



Koordinieren der Hardwarelieferung und Einbautermin



2

Bereitstellen eines erstklassigen Netzzugangs

Kundenmontage



Infrastruktur

Abb. 3.2  Reshaping Business. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

neu

1





3  Mastering Digital Transformation – Ein Projektbericht 57

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B. Ettelbrück

Die Abb. 3.3 zeigt, dass Projekte zum Teil neu gestartet, einige durch die Aufnahme in das Programm revitalisiert und andere laufende Projekte dem Programm zugeordnet wurden. Das Programm lief bereits seit fast einem Jahr. Vorher waren das Projekte in Verantwortung und Regie der Fachbereiche. Diese standen durchaus im Wettbewerb. Herausforderung war, früh fertig zu werden und die vorgegeben Ressourcen (Finanzen und vor allem Personen) nicht auszuschöpfen, sodass diese noch in anderen Projekten der Fachbereiche verwendet werden konnten. Das hat dazu geführt, dass die Projektleiter möglichst schnell fertig sein wollten. Probleme wurden stets auf andere Fachbereiche und Projekte verschoben und eigene Ergebnisse möglichst gut dargestellt, ohne die Arbeit fachlich gründlich zu durchdenken oder gar Auswirkungen auf andere (Projekte) zu berücksichtige. Nach einigen Projektmonaten ist das Unternehmen allmählich zu einem Multi-Projektmanagement gewechselt, um zu einem „Miteinander“ zu kommen. Dennoch blieb der Wettbewerb der Projekte, hat sich sogar noch verschärft, weil nun die Geschäftsführung den Lenkungskreis bildete. Die Folge waren häufige Projektleiterwechsel und das Umsteigen auf externe Projektleiter, weil interne Mitarbeiter nicht mehr bereit waren, Projektleitungsaufgaben zu übernehmen, da das eher der Karriere abträglich war. Auf Anregung des Hauptsponsors, des Vertriebsgeschäftsführers in einer Lenkungskreissitzung, wurde es zu einem Programm unter seiner Governance. Das Programm wurde nun um das Hauptprojekt – das „Order Processing und Provisioning Programm“ – gebaut. Diese Software ist zentral wichtig und wurde extern als Individual Software entwickelt. Die Timeline war nicht planbar, weil auf die externen Entwicklerkapazitäten nur wenig Einfluss bestand. Daher wurde dieses Projekt in das Zentrum gestellt und die anderen Projekte drum herum arrangiert. Danach wurden noch zwei Programmleiter ausgetauscht, bevor die Projekte des Programms unter der Regie des ETC (siehe Abb. 3.4) angeordnet und das Programm neu aufgesetzt wurde. Der ETC besteht aus sieben Bausteinen, die zyklisch durchlaufen werden und aufei­ nander aufbauen: Jedes Projekt oder Programm muss in eine Strategie eingebettet werden. Die meisten Projekte „passieren“ meist und sind aus Aktivitäten und Plänen von Abteilungen abgeleitet oder dienen dazu, eine Einzelfrage zu lösen, oder verselbständigen sich aus einer Aktivität eines Mitarbeiters, den der Vorgesetzte fördern möchte. Im beschriebenen Projekt war das übergeordnete Ziel das Einbetten zweier Länderorganisationen in eine Europaorganisation. Daraus wurde eine Digitalisierungsstrategie abgeleitet mit dem Ziel, den digitalen Footprint zu stärken und der führende Anbieter von Glasfasernetzen in Zentral- und Osteuropa zu werden. Außerdem wollte man Nummer eins der Special-Interest-TV-Sender in der Schweiz werden. Aus der Strategie werden die Prozesse abgeleitet: Welche Abläufe fördern das Ziel am besten? Wie sehen die Wunschprozesse aus? Die Organisation setzt Prozesse bestmöglich um. Dazu werden Aufgaben, Rollen und Verantwortungen der Personen beschrieben und die Menschen dazu gewählt. Das ist idealtypisch, entspricht aber sicher nicht der Realität. Selbst bei einem Planungsansatz, bei dem

scope of services

Jan

Feb

Plan & Design

Design & Build

Plan & Design

Mar

Soft start

Apr

SipWise

comm. start

Mai

Jun

Jul

Aug

Sep

Tango, Core Project with 14 work streams

Spectrum Integration

Implementation

Ready f- Prod

Oct.

Migration AT

Comm. start

Phase 2 – only Tango, no partner, no dealer

comm. start

NetCracker Update Rel. 8 / 9

Nov

NetCracker, Teil II CPEs

Implementation planning CH

Deployment

Phase 1 – Tango + Back Office incl. partner and dealer

JIT & UAT

Conceptional Phase

Marketing

NetCracker Device Import

Design Phase

eFon Solution

Technical / Service Information

Sales information

Abb. 3.3  Programmübersicht. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

dependency

Tango

Blue Thunder

Service Assurance

Migration

B2B Mobile

Self Care Portal

Voice Harmonization

NetCracker Vers. 9.0

NetCracker Inventory

B2B-SC CH

GTM –Strat.

Dec

Jan

Migration CH

NetCracker Reconciliation

Feb

Migration

Mar

time

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BUSINESS TRANSFORMATION Strategy Processes

Governance Values & Principles

Systems & Tools

Organization People

ENVISION

ENGAGE

TRANSFORM

OPTIMIZE

Abb. 3.4  Der Enterprise Transformation Cycle im Überblick. (Quelle: Pfannstiel und Steinhoff 2018, S. 34; Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018, o. S. und Stiles et al. 2012, S. 45)

nochmals von Grund auf und ohne belastende Voraussetzung und Rahmenbedingungen geplant wird (Greenfield Approach), stimmt das Team für ein Start-up nicht perfekt und Aufgaben sind unklar definiert. Das ist in einem Großunternehmen genauso. Die Herausforderung ist es, das Beste mit den Gegebenheiten und den vorhandenen Mitarbeitern zu machen. Das Militär plant sehr genau und in zahllosen Alternativen, obgleich alle wissen, dass alle Pläne zwei Minuten nach dem Angriff über den Haufen geworfen sind. Der Vorteil der Planung liegt darin, Abweichungen vom Idealzustand transparent zu machen. Es wird deutlich, dass etwas anders läuft, wie viel es abweicht und welche Auswirkungen das hat. Dann kann man gegensteuern und das ist die Aufgabe eines guten Programm- und Projektleiters. Die Systeme und Tools dienen dazu, die Planungen und Prozesse umzusetzen. Die Zielsetzung der Unternehmensleitung, möglichst Standards einzusetzen, und das Bestreben der Fachbereiche, möglichst viele Spezifika und Unternehmenseigenheiten in den IT-Systemen und Funktionalitäten abzubilden, ist ein Konflikt, der meist durch das Budget entschieden wird. Das Thema Governance (Steuerung und Kontrolle) ist meist die Antwort auf die Machtfrage: „Wer darf bestimmen?“ und „Wer steuert?“. Nicht mehr Länder-, Fach- oder Unternehmensbereiche waren das Ordnungskriterium, sondern Prozesse, Organisationen, People und Systeme und Tools. Auf einmal waren ein Prozessteam aus Großbritannien, Österreich und der Schweiz zusammen. Nach einem Jahr Projektlaufzeit wurde das erste Mal über Begrifflichkeiten und Verständnisse, über Kultur und unterschiedliche Vorstellungen über Governance diskutiert. Zuallererst gab es einen „Ziele-Workshop“. Das inflationär gebrauchte Wort „Strategie“ sollte vermieden werden. Das war eine mutige Entscheidung der Geschäftsführung,

3  Mastering Digital Transformation – Ein Projektbericht

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nach über einem Jahr Laufzeit die Frage zu stellen, was das Ziel der Projekte ist, die schon mehr als zwei Millionen Schweizer Franken gekostet haben. Für den Workshop waren sechs Stunden reserviert. Die Idee war, das Ziel des Programms und jedes Projekts in einem Satz zu beschreiben. Der Lenkungskreis fragte, was nach dreißig Minuten gemacht werden sollte. Nach sechs Stunden hatten alle Teilnehmer Anschlusstermine verschoben und Flüge umgebucht. Nach acht Stunden wurde der Workshop beendet und am anderen Tag in kleinerer Runde fortgesetzt. Es wurde über Ziele, Worte, Bedeutungen, Bausteine und Komponenten diskutiert. Nach zwei Tagen war ein Satz formuliert, der als Programmziel dienen konnte. Daraus wurden zehn weitere Sätze, einer für jedes Projekt, abgeleitet. Alle Elemente der Projektzieldefinition sollten sich im Programmziel vollständig und überschneidungsfreu wiederfinden. Damit wurden die Projekte logisch strukturiert und es entstand eine Hierarchie. Die strukturierte Problemlösung konnte beginnen. Dieser Prozess hat mit Abstimmungen zwei Wochen gedauert. Einen halben Monat für die Zielfindung zu spendieren klingt sehr lange und teuer. Viel teurer ist es kein Ziel zu haben und mitten auf dem Weg umkehren zu müssen, oder Ehrenrunden zu drehen, um Vergessenes aufzulesen und einzuarbeiten. Das allerwichtigste ist, eine Mannschaft bzw. das Projektteam auf ein Ziel einzuschwören, das von allen geteilt und verstanden wird. So entstehen Hochleistungsteams. Im Anschluss wurde mit den gängigen agilen Methoden ein Re-Planning begonnen. Zunächst haben alle Teams ohne Zeitplan gearbeitet. Jedes Projektteam hat für sein Projekt einen eigenen Zeitplan entwickelt. Niemand wurde in eine Zusage gedrängt, sondern die Teams haben ein Gefühl entwickelt, wieviel Zeit eine Aufgabe braucht und wer dazu notwendig ist. Interessant ist, dass auf diese Weise nahezu ein Drittel der Zeit gegenüber den ursprünglichen Plänen eingespart wurde. Anglizismen wurden aus der Kommunikation entfernt. Es gab eine deutschsprachige, ausführliche Unterlage für alle Mitarbeitenden und zusätzlich eine englischsprachige, gekürzte Version für das Management. Es sollte vermieden werden, dass euphemistische oder allgemein gehaltene Buzz Words Gedankenreisen und Phantasien bei den Kollegen auslösten, die sich in den Projektinhalten nicht wiederfanden. Klarheit ist ein wichtiger Baustein der Governance. Inhaltliche Bausteine des Projekterfolgs waren die Entwicklung eines einheitlichen Produktkatalogs. Das ist die Voraussetzung für den Vertrieb, vereinfacht die Bereitstellung der Produkte und spart Kosten beim zentralen Service Desk und im Field Service. Der Produktkatalog wurde zum Anker für das Programm. Im Bereich der Netzwerkinfrastruktur wurden gleich Infrastrukturhubs in allen zentral- und osteuropäischen Ländern vorangetrieben. Diese Projekte liefen vorher in Länderregie. Die Aufnahme ins Programm half, Kosten zu sparen und Synergien zu gewinnen. Bei der Preisfindung wurde ein komplexes Regelwerk aufgestellt – intern. Nach außen, d.  h. zum Kunden, wurden wenige Staffelpreise gewählt und Features zu Paketen geschnürt. Pakete mit hoher Marge wurden mit solchen mit fast keiner Marge kombiniert. Die Kalkulation wurde über alle Kombinationen geglättet. Eine Einzelbepreisung würde

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ggf. zu einer höheren Marge führen. Der Vorteil hier war, dass der Vertrieb einfacher arbeiten konnte, es weniger Aufwand bei der Auftragseingabe gab und dann die Kombinationen direkt in SAP übernommen werden konnten. Das war ein wichtiger Baustein für eine tagesaktuelle Erfolgsrechnung für das gesamte Unternehmen. Dieses Beispiel zeigt, wie die (Teil-)Projekte Finanzen, Produkte und Preise, Service und Vertrieb ineinandergreifen. Deren Aufgaben waren jedoch trennscharf beschrieben. Dadurch konnte schnell und ohne große Diskussion und Abstimmung parallel gearbeitet werden. Während der langen Projektzeit gab es auch Führungswechsel und Adjustierungen der Ziele; Schwerpunkte wurden anders gesetzt. Das war für das Unternehmen hilfreich, für das Programm nicht. Die Programmleitung wurde zunehmend zum Verkäufer der Initiative intern. Neue Weichenstellungen erforderten immer wieder neue Präsentationen und Erläuterungen, die das Programm nicht oder nur geringfügig vorangebracht hatten. Ein Projekt sollte nicht zu lange dauern, das schadet letztlich dem Auftraggeber und dem Projekt. Eine Projektdauer beträgt idealerweise neun Monate. Nicht ausreichend bedacht war das Testmanagement. Anforderungen schnellstmöglich umzusetzen hat dazu geführt, dass das Programm schneller Releases produzierte als das Unternehmen in der Lage war in Betrieb zu nehmen. In dieser Zeit kamen Fehler und neue Anforderungen durcheinander. Testfälle mussten erst konstruiert werden und bei der Beschreibung wurde erst klar, dass Fälle getestet werden sollten, die so fast nie vorkommen oder die Leistungen testen sollten, die gar nicht verlangt waren. Daher ist auf eine gesunde Geschwindigkeit zu achten. Gesund heißt, es bring wenig schneller als der Rhythmus zu sein, in dem das Unternehmen arbeitet. Das war eine wichtige Erkenntnis. Als ein Mittel, das zu „heilen“, wurde ein JIRA-Ticketing-System genutzt. JIRA ist eine in der Programmiersprache Java entwickelte internetbasierte Anwendung zur Fehlerverwaltung, Problembehandlung und operativem Projektmanagement. Die Software wurde von Atlassian entwickelt. JIRA wird auch in nichttechnischen Bereichen für das Aufgabenmanagement, primär aber in der Softwareentwicklung eingesetzt. Diese Projektsteuerungsmethode erwies sich als nicht förderlich, denn es führte zu einem Mikromanagement. JIRA ist gut für Entwicklungsaufgaben und kleinere Projekte, aber nicht für große Veränderungsprojekte, die das ganze Unternehmen betreffen wie es bei diesem ETC-inspirierten Programm war. Die Tickets und deren Abarbeitung, die automatisch generierten Statistiken und Dashboards erzeugten das Gefühl, alles im Griff zu haben, allerdings nur das Gefühl. Tickets waren dem Lenkungskreis nicht hinreichend zu vermitteln und führten nur zu Unsicherheiten. Und es wurde zunehmend diskutiert, ob ein Ticket ein Ticket ist und welche Tickets wie zusammenhängen. Das hat viel Zeit gekostet. Es war jedoch der Wunsch der Führungskräfte, etwas Objektives, mehr Messbares zu haben. ETC war eine wertvolle Methode, ein notleidendes, großes Programm zu re-fokussieren und erfolgreich weit vor der geplanten Übergabe an den Live-Betrieb zu beenden, weil alle Aufgaben erledigt und abgenommen waren. Das Pacing mit der Kultur des Kundenunternehmens ist ein wichtiger Baustein. In der Schlussbetrachtung werden Thesen aufgestellt, die helfen, mit ETC noch besser zu arbeiten.

3  Mastering Digital Transformation – Ein Projektbericht

3.7

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Thesen

Der ETC gibt dem Vorgehen im Projekt eine logische Struktur und führt tendenziell zu Ergebnissen, die der Aufgabenstellung angemessen sind. Zu dieser idealtypischen Struktur lassen sich zehn Thesen formulieren, die die praktische Arbeit mit dem ETC erleichtern. Jetzt in der Logik Verb und Aussage: 1. Mit dem Zielbild starten und wenig Zeit in Ist-Analysen investieren. 2. Arbeiten mit anderen Meinungen und Widerstände ernst nehmen statt sie „brechen“ zu wollen. 3. Definieren eines Kernteams und ein großes Projektteam anstreben, um viele Menschen informiert zu halten. 4. Agiles Arbeiten mit hoher Taktung und kleinen Arbeitspaketen – „speed is king“. 5. Investieren in das Formulieren gemeinsamer Ziele, die Umsetzung läuft dann wie von selbst. 6. Harmonisieren der Unternehmensziele mit den persönlichen Zielen der Mitarbeitenden. 7. Erzählen von Geschichten, um Fakten und Analysen einzukleiden und verständlich zu machen. 8. Werte und Prinzipien sind wichtiger als die knapp formulierte Schlussfolgerung oder Aufgabe. Erzählen, freies Reden und „lautes Denken“ sind sehr wichtig für ein Team. 9. Sinnvolles Einsetzen der Arbeitsenergie. „Was gut ist, geht leicht von der Hand“, bittere Mühen gegen viele Widerstände kosten Kraft und führen nur selten zum Erfolg. 10. Lösen von der Wahnvorstellung der Machbarkeit. Die Zukunft ist von Entscheidungen einzelner Menschen weniger stark beeinflussbar als viele (Manager) denken. These 1 Wann fängt das Projekt an? Ein Veränderungsprojekte beginnt lange vor dem Kick-off zum Projektstart. Ein Projekt steht meist am Ende einer Kette gescheiterter Versuche zur Lösung einer Frage. Der erste Gedanke bei einem Veränderungsprozess ist nicht die Beauftragung eines externen Beraters und Projektleiters, vielleicht aber eines Experten für die Schulungen oder ein Training. Oder das Unternehmen versucht es selbst, testet erst einmal in den meisten Fällen. Eine Analyse zu Projektbeginn oder -übernahme führt oft dazu, lange im Problem zu bleiben, das Warum und Wie zu diskutieren, der Organisation, den allgemeinen Umständen, oder irgendwie allen die Verantwortung zuzuschieben, was die beste Voraussetzung dafür ist, nichts zu tun. Stattdessen ist es besser in die Zukunft zu blicken, sich sehr detailliert erklären zu lassen, wie es ist, wenn alle Probleme gelöst wären. Nach dieser Beschreibung fragt der Berater den Kunden, woran er es zuerst merken würde, dass er auf einem guten Weg ist, und dann, was danach kommt und was als drittes sich ändert. Das gibt einen guten Weg vor, wie eine Lösung aussehen könnte und zeigt auf, was Kunden am allerwichtigsten ist und

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was danach kommt. Die von Milton Erickson entwickelte Crystal-Ball-Technik (de Shazer 1985) ist ein sehr geeignetes und schnell wirkendes Mittel. Diese Technik ist lösungs- und umsetzungsorientiert zugleich. These 2 Insbesondere Führungskräfte haben gelernt, etwas durchzusetzen, oft auch gegen den Willen anderer oder einer Mehrheitsmeinung. Die Metaphorik ist oft kriegerisch, Widerstände werden überwunden, gar gebrochen, andere niedergerungen, da wird es trotzdem geschafft, Mauern eingerissen und anderes mehr. Diese Metaphern implizieren Verletzte, Verwüstungen und Kollateralschäden, nichts, was sehr überzeugend wirkt. Der Mensch ist ängstlich, verharrt in Gewohnheiten und möchte lieber verführt werden, Veränderung zu wagen. „Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt es nicht“, meinte Konrad Adenauer und so ist es in den meisten Unternehmen. Jeder hat Fähigkeiten und möchte, dass es voran geht. Leader arbeiten mit den Meinungen, Erfahrungen und Befürchtungen der Menschen und nicht dagegen. These 3 Es empfiehlt sich, am Anfang Projektteams groß zu machen. Das widerspricht den gängigen Thesen einer Fokussierung auf kleine Teams und zentrale Steuerung. Um Projekte zu beschleunigen, werden oft Teams „gestrafft“, verkleinert, es wird darauf geachtet, starke Befürworter zu gewinnen, die die frohe Botschaft nach außen bringen, Widerstände überwinden (siehe These 2) und das Projekt vorantreiben. Das führt zu besseren Planunterlagen und einem offensiven Projektmarketing, fast nie zu einer Umsetzungsbeschleunigung. Denn jetzt wird die Mehrheit ausgeschlossen, kann nicht mehr aktiv mitreden und wird mit Entscheidungen konfrontiert anstatt sie zu gestalten. Nach kurzer Erholung geht es langsamer voran als vorher. Es ist angeraten, Projektteams stark zu vergrößern. Im Idealfall sind alle Mitarbeiter im Projektteam oder in Subteams. Umgekehrt gibt es auch Anforderungen und Aufgaben, und da ist es meist so, dass sehr schnell die Bereitschaft, mitzumachen, sinkt, wenn es in Arbeit ausartet. Die Kollegen bitten dann selbst darum, nicht mehr dabei zu sein. So bildet sich mit der Zeit eine ideale Projektteamgröße mit denjenigen, die auch mitmachen wollen. Der KPI ist der Gestaltungswille und das Engagement und nicht die Teamgröße. These 4 Das Zielbild wird immer wichtiger. Das Projektteam definiert, wie ein erfolgreicher Zustand nach Projektschluss aussieht und wie er zu erreichen ist. Das sind die Inhalte von Workshops. Die Diskussionen darüber, was nicht so gut ist, oder in der Vergangenheit schief lief enden. Wir haben jetzt eine gute Teamgröße (These 3) Das Team enthält wichtige Strömungen, mischt Bedenken und den Drang nach vorne. Vor allem enthält das Team fast nur noch begeisterte Mitmacher. Commitment und Einsatzwille sind die Voraussetzung für diese These.

3  Mastering Digital Transformation – Ein Projektbericht

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Zeitpläne sind wichtig und notwendig. Es muss einen Start- und Endpunkt geben. Ein Plan muss alle wichtigen Inhalte und Etappenziele enthalten. Ein Plan sollte Ressourcen und Aufwände aufeinander abstimmen. Vor allem soll es Zwischenziele, sog. Wegmarken geben, an denen der Projektfortschritt und weitere Entscheidungen festgemacht werden. Zeitpläne neigen nach Veröffentlichung nicht dazu, das Projekt zu strukturieren oder zur Entscheidungshilfe zu dienen, sondern alles wird dem Erreichen einer Wegmarke, noch besser der Darstellung des Erreichens einer Wegmarke untergeordnet. Ganze Teams arbeiten nicht mehr am Projekt, sondern an der Dokumentation der Projektfortschritte und im Ergebnis sind diese Teams die Gewinner und profilieren sich in Projektleitersitzungen und Lenkungsausschüssen. Beschleunigt wird der Fortschritt deswegen nicht. Stattdessen sollten sich die Teams auf Aufgaben konzentrieren, diese möglichst präzise beschreiben, mit den anderen abstimmen und dann losarbeiten so schnell es geht. Das ist nichts anderes als agiles Vorgehen in einem festen Rahmen. Dafür empfiehlt sich die Safe Vorgehensweise. These 5 Zwei Drittel Zielarbeit, ein Drittel Umsetzung – diese These könnte auch Warnung vor Aktionismus heißen und nimmt Bezug auf die Schilderung, dass bei der Übernahme des Projekts in einem initialen Workshop keiner der Führungskräfte in der Lage war, das Ziel des Programms in einigen Sätzen zu formulieren, ohne dass ihm widersprochen wurde. In Projekten, gerade in schwierigen Situationen, ergreift einer die Initiative oder eine Führungskraft reißt das Heft des Handelns an sich und es geht los. Daraus entwickeln sich dann Umsetzungspläne, Aufgaben, To-do-Listen, Verantwortlichkeiten und alle sind aktiv. Eine hohe Arbeitsdichte, lange Arbeitstage und zahlreiche Meetings vermitteln das Gefühl des Fortschritts. Meist ist das nicht gut, weil es nicht zum Ziel führt, sondern zu jeder Menge Ergebnisse, die später bestenfalls zeitaufwendig konsolidiert werden müssen. Meist landen sie jedoch in der Schublade und Frust macht sich breit. Besser ist es, gut die Hälfte der Zeit – zwei Drittel ist eher ein Maximumwert – in das Formulieren, Diskutieren, Beschreiben und Abstimmen der Ergebnisse zu investieren. Das erfordert Zeit und Geduld. Die Kraft, die das kostet, zahlt sich aus, weil eine Aufgabe klarer ist und schneller erledigt. These 6 In Unternehmen geht es stets um die Sache, um Inhalte, nicht Personen – das gehört zum guten Ton. Alles andere ist unprofessionell. Das Problem ist, dass in Unternehmen Menschen mit all ihren Interessen, Zielen, Sympathien, Befürchtungen, Vorlieben arbeiten. Menschen antizipieren diese Kommunikationsmuster und erfinden Dinge und sprechen über Themen, wo Zwischenmenschliches adressiert werden sollte. Diese Themen und Dinge sachlich abzuarbeiten kostet viel Zeit und Energie, der Kern wird nicht besprochen und so ändert sich auch nichts. Bitte nicht falsch verstehen: Es geht hier nicht um etwas Vorgeschobenes, etwas, das dahinter steht, es sind Themen und Dinge, die den Menschen wichtig sind, die aber nicht wertgeschätzt werden.

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Die Empfehlung ist ganz im Projekt zu fragen, was den Menschen wichtig ist, was sie wollen, was sie fürchten, was ihre Ziele sind. Werte und Prinzipien sind der Kern des ETC. Es geht nicht um Gefühlsduselei und Wünsch Dir was, sondern darum, Anliegen ernst zu nehmen und sie im Projekt zu inkorporieren, d. h. die Projektmitarbeitenden nehmen sie symbolisch oder real in ihre Arbeit auf. (Auchter und Strauss 2003, S. 90). Dann erreichen die Menschen die Ziele des Projektes und arbeiten nicht wie Ja-Sager, die dem Chef in der Umsetzung beweisen, dass seine Idee nicht wirklich gut war. These 7 Erzählen von Geschichten, um Fakten und Analysen einzukleiden und verständlich zu machen. Wichtige Anliegen und Ziele gilt es in einer Geschichte zu verpacken. Darzustellen, was die Zielerreichung für den Kunden oder einen Mitarbeitenden bedeutet, wie es sich anfühlt, wenn das Ziel erreicht ist – verpacke Deine Botschaft in eine Geschichte (Frenzel et al. 2004, S. 103 Es gibt nur wenige Menschen, die morgens aufstehen, um die Rendite der Abteilung zu steigern. Sie stehen auf, weil sie Aufgaben haben, weil sie ein Ziel verfolgen, weil sie Geld brauchen, weil sie von ihrem Chef gut gefunden werden wollen, weil Sie einem Kollegen/einer Kollegin imponieren wollen, weil, weil, weil. Verpacke die Projektbotschaft in eine Geschichte, mache erlebbar, was das Erreichen des Projektziels bedeutet. Dann folgen die Menschen und sind überzeugt. Dazu gehören auch Bilder. Passen Geschichte und Bilder zusammen? In Unternehmen werden oft Bilder aus der Nautik bemüht: Da ist von Schiffen die Rede, von einem Kurs, von einer Besatzung, einem Hafen, von unruhiger See, etc. (Bendel Larcher 2015) Unternehmen sind soziale Gebilde, sie haben keine feste Außengrenzen wie eine Reling, die Grenzen sind fließend, was dazu gehört und was nicht, ist Sache des Betrachters, einen Kapitän gibt es nicht wirklich, es gibt Team-, Abteilungs-, Bereichskapitäne und noch eine Geschäftsleitung. Einen klaren Kurs, das eine Ziel ist oft nicht auszumachen. Es gibt Abteilungsziele, persönliche Ziele, Projektziele, Unternehmensziele und alle sind nicht deckungsgleich. Ein Teil der Mannschaft ist nur manchmal an Bord (z. B. Teilzeit) oder nicht mehr so lange (Vorruhestand) oder plant von Bord zu gehen (bewirbt sich). Schon lösen sich die Bilder auf, Erzählungen führen in den Köpfen der Mitarbeiter zu mehr Fragezeichen und Zweifeln. Geschichten erzählen, die auf Erfahrungen beruhen und Erlebnisse vermitteln, sich darauf einlassen, was die Zuhörer denken und spüren in welcher Welt sie leben. These 8 Werte und Prinzipien zu leben ist eine große Herausforderung und jede erfahrene Projektleiterin und jeder Projektleiter hat Erfahrung und ein Gefühl dafür. Was der Autor erlebt ist, dass in Projekten ein großer Performance- und Ergebnisdruck entsteht. Ein Projektleiter oder eine Projektleiterin sollte sich die Neugier am Menschen und an den Themen, die sie bewegen, nicht nehmen lassen. Team- und Gruppenbildungsprozesse liegen mir nicht. Meine Kritik an Teambildungsprozessen setzt an der künstlichen Umgebung an. Ein Unternehmen ist kein Kletterwald und keine Cart-Bahn. Im Fußball wird

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davon gesprochen, dass der Trainer der Partner und Coach ist, manchmal sogar Freund. Ich frage mich dann immer, was das für ein Partner oder Coach ist, der einen Spieler rauswerfen kann, wenn er oder sie nicht macht, was verlangt wird. Werte und Prinzipien werden nicht auf Minigolfplätzen, nicht bei Strandrennen, Skiausflügen oder gemeinsamen Essen vermittelt, sondern bei der Projektarbeit. Ein gemeinsames Essen ist schön, es sollte das Ergebnis guten Einvernehmens sein und nicht ein Mittel zum Zweck, das gilt in der Partnerschaft und im Beruf. Ein Vorschlag sind Gespräche um die „Welt und den Erdkreis“, wie ich das nenne. Das Gespräch hat keinen Anfang, kein Ende und keine Agenda. Habermas schlägt vor, die real vorkommenden Diskurse als Verwirklichung der idealen Diskurse zu betrachten, die für ihn zum kommunikativen Handeln gehören (Habermas 1991). Das kann der Beginn eines Meetings sein, bei dem es um privates Thema, ein Erlebnis gerade im Fahrstuhl oder ein Anruf sein. Die Aufmerksamkeit und Energie dieser realen und alltäglichen Gespräche zu nehmen und sie auf das Thema der Besprechung zu führen ist das Ziel. Solche Gespräche mäandern und sind freie Assoziationen, die dem Strom der Gedanken folgen. Kieserling lobt Habermas’ Analyse der Reflexionstheorien der systemischen Teilbereiche als Versuch, diese aus der externen Perspektive des kommunikativen Handelns ernst zu nehmen und damit in die Lebenswelt zu reintegrieren (vgl. Kieserling 2000). Hier gilt der Satz: „Energy flows where attention goes“ (Milton Erickson 2010). Die Energie fließt dorthin, wo die Aufmerksamkeit ist. Das Denken steuert das Handeln und nicht umgekehrt! Das vergessen viele, die glauben, Begeisterung und Interesse machen zu können. Das sind jedoch Geschenke, denn der Diskurs dient unter anderem der Stabilisierung der eigenen Wahrnehmung und Identität, wenn man dem Humboldt’schen Bildungsideal folgt. These 9 Vieles in der Welt, insbesondere in der Welt der Unternehmen, folgt dem Hustensaftmodell: Gutes muss bitter schmecken. Es ist oft eine Art verschleppter Adoleszenzproblematik: Freiheit ist nur gegen Widerstand möglich. Erst das Überwinden des Widerstands führt zu einem Erfolgserlebnis und einem Gefühl, etwas gewonnen zu haben. Dazu kommt in einer von Männern dominierten Welt noch das „Armdrücken“ hinzu, der Ehrgeiz, stärker zu sein und nicht nachgeben zu wollen. Durchhaltevermögen, Hindernisse (und nicht Aufgaben) zu überwinden sind wichtige und nützliche Eigenschaften. Sie sind für alle Mitarbeiter in einem Unternehmen wichtig. Zusätzlich sollten Projektteams reflektieren, ob sie auf dem richtigen Weg sind, ob es Alternativen gibt, sich fragen, warum bestimmte Dinge so viel Mühe kosten. Eine Erfahrung ist, dass alles, was gut ist, leicht geht, fast wie von selbst. These 10 Für die Führungskraft, egal ob im Unternehmen oder auf Zeit wie beim Interimmanagement, oder als Programm- oder Projektleiter stellt sich die Frage, inwieweit sie oder er einen Prozess wirklich gestalten kann oder eine Abteilung auf das neue Geschäftsmodell einschwört. „Das Spiel spielt sich selbst“, ist ein wundervoller Satz von Heinz von Foers-

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ter aus seinen Überlegungen zur Kybernetik zweiter Ordnung (von Foerster 2002), der die Macht und Ohnmacht von Vorgesetzten gut beschreibt. Sie können nur Impulse geben und Regeln aufstellen, alles andere ist eine Allmachtsfantasie. Beim ETC gilt es daher, auf die Reihenfolge der Module im Cycle zu achten und die Inhalte möglichst klar zu strukturieren. Werte und Prinzipien sind zentral.

3.8

Schlussbetrachtung

Der ETC ist ein starkes Planungstool, das hilft, Kundenprojekte zu strukturieren, zu planen und in einer sinnvollen Weise zu realisieren. Sinnvoll, weil die Logik des Aufbaus nicht betriebswirtschaftlichen und/oder persönlichen Zielen folgt, sondern einer Sequenz, die bei der Strategie beginnt und bei der Besetzung von Positionen endet und nicht wie meist umgekehrt. Projekte scheitern selten wegen einer unangemessenen Logik, sondern meist wegen schwacher oder unzureichender Umsetzung. Projekte entstehen aus mehrfachem internem Scheitern und starten daher meist belastet von tendenziellen Misserfolgserlebnissen  – sonst hätte das Unternehmen es selbst gemacht. Um diese Logik des Misslingens, die sich oft in der Managementberatung einstellt, zu verhindern oder in gute Transformationsenergien zu verwandeln, wurden zehn Thesen formuliert. Meist unorthodox und gut fundiert wird der Leser bei der Anwendung mehr Spaß und mehr Erfolg haben.

Literatur Auchter T, Strauss LV (2003) Kleines Buch der Psychoanalyse. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Bendel Larcher S (2015) Linguistische Diskursanalyse. Narr Francke Attempto, Tübingen De Shazer S (1985) Keys to solution in brief therapy. W.W. Norton, New York, S 78 Erickson MH, Rossi EL (2010) Hypnotherapie. Stuttgart, Klett-Cotta Verlag Frenzel K, Müller M, Sottong H (2004) Storytelling, Das Harun-al-Raschid-Prinzip. Hanser, München Gates B (1996) Essay „Content is King“ (Microsoft, Hrsg). www.microsoft.com. Zugegriffen am 15.07.2019 Habermas J (1991) Vom pragmatischen, ethischen und moralischen Gebrauch der praktischen Vernunft. In: Habermas J (Hrsg) Erläuterungen zur Diskursethik. Suhrkamp, Frankfurt am Main, S 100–118 Kieserling A (2000) Zwischen Soziologie und Philosophie: Über Jürgen Habermas. In: Müller-­ Dohm S (Hrsg) Das Interesse der Vernunft. Rückblicke auf das Werk von Jürgen Habermas seit „Erkenntnis und Interesse“. Suhrkamp, Frankfurt am Main, S 23–41 Pfannstiel MA, Steinhoff PF-J (Hrsg) (2018) Der Enterprise Transformation Cycle, Theorie, Anwendung, Praxis. Springer Fachmedien, Wiesbaden Stiles P, Uhl A, Stratil P (2012) Meta management. In: Uhl A, Gollenia LA (Hrsg) A handbook of business transformation management methodology. Routledge, New York, S 41–59

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Transformation Consulting International (2018) Der Enterprise Transformation Cycle. Transformation Consulting International (TCI, Hrsg). https://www.tci-partners.com/de (TCI-Facts). Zugegriffen am 19.09.2018 von Förster H (2002) Understanding, understanding: essays on cybernetics and cognition –, Chapter 14. In: Ethics and second-order cybernetics. Springer, New York, S 287–305

Bernd Ettelbrück,  Jahrgang 1963  in Mannheim, hat nach Abitur und Wehrdienst an der Wirtschaftshochschule der Universität Mannheim Betriebswirtschaft studiert. Vertiefungsfächer waren Statistik, Marketing und Systemtheorie. Nach seiner Diplomarbeit über qualitative Marktforschung zur besseren Marktdurchdringung neuer Technologien begann er zunächst bei der Telenorma, später der Bosch Telekom GmbH. Verschiedene Stationen im In- und Ausland, u. a. der Aufbau eines indirekten Vertriebs für Sicherheitssysteme in Frankreich führten ihn in die Geschäftsführung der Zeiterfassungsund Sicherheitssysteme. Danach begann er in der Diebold Managementberatung als Berater. Anschließend ging es zur Detecon In­ ternational GmbH, wo er Partner wurde und den Bereich Innovationsmanagement aufbaute. Seine Beratungsprojekte führten ihn um die ganze Welt; regionale Schwerpunkte waren die USA, der mittlere Osten und Europa. Seit 2015 ist er selbstständig, arbeitete zwei Jahre in der Schweiz und seit 2018 baut er in einem kleinen Team gemeinsam mit einem Gründer der TCI im Rahmen der Mittelstandsinitiative einen neuen Beratungszweig des Unternehmens auf.

4

Transformationsmanagement in KMU: Der per-se-Ansatz als Ergänzung des Enterprise Transformation Cycle Durch Veränderungsfähigkeit nachhaltig die Zukunft sichern Uwe Fischer

Inhaltsverzeichnis 4.1  Einleitung  4.2  Wo liegt der Hebel für Veränderung? KMU-geeignete Engpassfindung  4.3  Der per-se-Ansatz  4.4  Schlussbetrachtung und Ausblick  Literatur 

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Zusammenfassung

Unternehmen müssen die Fähigkeit zur Veränderung in ihre DNA einschreiben – nur dann haben sie die Chance, auch in Zukunft erfolgreich am Markt zu bestehen. Transformationen in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) unterliegen dabei aufgrund ihrer Kultur, Mentalität und ihrer Ressourcen besonderen Voraussetzungen. Sie funktionieren am besten mit einer pragmatischen Herangehensweise, die verschiedene Methoden, abgestimmt auf die individuellen Engpässe, miteinander kombiniert. Dieser Beitrag schildert anhand von Fallbeispielen, wie der per-se-Ansatz, eine Kombination des Enterprise Transformation Cycle (ETC) mit weiteren Methoden der Engpassfindung in KMU, erfolgreich eingesetzt werden kann.

U. Fischer (*) Transformation Consulting International GmbH, Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_4

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72

4.1

U. Fischer

Einleitung

Wenn kleine und mittlere Unternehmen (KMU) transformieren, dann tun sie das unter anderen Bedingungen als große Unternehmen. Von einem Transformationsprozess in KMU ist in der Regel das ganze Unternehmen betroffen, dies hat eine starke Beeinträchtigung des Tagesgeschäfts zur Folge. Denn gemeinhin sind in KMU die Ressourcen knapper bemessen als in Großunternehmen. Neben der geringeren finanziellen Ausstattung ist in KMU insbesondere weniger Personal für Sonderaufgaben, -projekte und -stäbe vorhanden. Auch die Kosten für externe Unterstützung, beispielsweise Interimsmanager oder teure Beratungsagenturen, sind bei KMU oftmals nicht im Budget. Befinden sich hingegen Großunternehmen in einem Transformationsprozess, dann haben sie meist die Chance, die Transformation in abgetrennten Bereichen auszurollen. Es bietet sich beispielsweise an, Standorte zeitversetzt zu transformieren. Dadurch lassen sich Beeinträchtigungen im Tagesgeschäft leichter ausgleichen. Auch die Ressourcenausstattung in Sachen Personal und Finanzen ist in Großunternehmen besser. Dadurch erhöht sich die Kapazitätenflexibilität. Nichtsdestotrotz: Sich wandelnde Märkte fordern auch Unternehmen kleinerer und mittlerer Größe heraus. Auch sie müssen sich wandeln, vernetzen, agiler und innovativer werden. Sie müssen ihre Effizienz steigern, ihre Prozesse und ihr Management nach leanen Gestaltungskriterien ausrichten. Aufgrund ihrer speziellen Rahmenbedingungen bedürfen sie aber auch spezieller Transformationsmethoden. Diese müssen • den die notwendige Entwicklung verhindernden Engpass identifizieren („Effektivität“ des Handlungsfeldes); • eine pragmatische Herangehensweise pflegen, die zu Firmenkultur und Mentalität in KMU passt; • schrittweise vorgehen, um die Kapazitäten nicht zu überlasten (z. B. unter Anwendung des ETC); • den Ressourceneinsatz möglichst gering halten, um die Beeinträchtigung des Tagesgeschäfts zu minimieren („Effizienz“ des Handlungsfeldes); • den Transformationsprozess flexibel und agil gestalten, um auf Veränderungen der Rahmenbedingungen reagieren zu können. Zwei grundsätzliche Herangehensweisen an Transformationsprojekte lassen sich unterscheiden: Die „Big-Change-­Taktik“ und die „Step-by-Step-Taktik“. Während erstere ganzheitlich an die Organisation herangeht und hohe Investitionen fordert, arbeitet letztere mit Einzelmaßnahmen, die dann zeitnah und nach Bedarf umgesetzt werden. Auch der Ressourceneinsatz ist hier deutlich geringer. Keine Frage, welcher Ansatz besser auf die Bedürfnisse von KMU abgestimmt ist: Pragmatismus, bedarfsorientierte und zeitnah umsetzbare Maßnahmen passen deutlich besser zu den Anforderungen, die KMU an Changemanagementmethoden stellen. Für sie geht es im ersten Schritt darum, den entscheidenden Ansatzpunkt für den Change zu finden. Dies ist die wichtigste Voraussetzung für einen effektiven, also zielorientierten und effizienten, und damit kostengünstigen Veränderungsprozess.

4  Transformationsmanagement in KMU: Der per-se-Ansatz als Ergänzung des …

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Am Beginn einer Transformation steht immer ein Auslöser. Derzeit befinden sich laut einer Untersuchung von KPMG 96 % der Organisationen in wie auch immer gearteten Transformationsprozessen (KPMG 2018). Diese hohe Quote zeigt deutlich, welchen Stellenwert das Thema mittlerweile im Management einnimmt: Veränderungen an den Märkten erfordern Veränderungen in den Unternehmen. Die Megatrends Globalisierung und Digitalisierung forcieren gravierende Umbrüche, die • das Kundenverhalten und die Kundenerwartungen signifikant verändern, • neue Technologien auf den Markt bringen, die sich wiederum auf Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle auswirken, • das aufsichtsrechtliche Umfeld beeinflussen, • Markt- und Branchenveränderungen nach sich ziehen. In Reaktion auf diese Veränderungsimpulse geht es anschließend darum, die Punkte im Unternehmen zu identifizieren, an denen Anpassungen und Veränderungen notwendig sind, um bestimmte Ziele zu erreichen. Dabei gilt: Jedes Unternehmen ist anders. Individuelle Routinen und Verhaltensmuster, unterschiedliche Kulturen und jeweils unterschiedliche Herausforderungen, die Portfolio, Branche oder interne Abläufe betreffen fordern auch individuelle Herangehensweisen – oder plakativ mit den Worten von Lawrence Solow und Brenda Fake gesprochen: „What works for GE may not work for you“ (Solow und Fake 2010). Verschiedene methodische Ansätze eignen sich, um Engpässe zu identifizieren und Veränderungen einzuleiten. Diese werden im Rahmen dieses Beitrags anhand von Praxisbeispielen erläutert und in Bezug auf ihre Eignung für KMU evaluiert. Ziel des Beitrags ist es, mit dem per-se-Ansatz eine erprobte Herangehensweise zu beschreiben, der eine für KMU praktikable Herangehensweise an die Identifizierung und Nutzung von Transformationspotenzialen darstellt.

4.2

 o liegt der Hebel für Veränderung? W KMU-geeignete Engpassfindung

Bereits im ersten Buch zum Thema „Der Enterprise Transformation Cycle“ befasste ich mich mit den Unterschieden zwischen kleinen, mittleren und großen Unternehmen, wenn es darum geht, das Unternehmen in der Digitalisierung zukunftsfähig auszurichten. Dort wurde der Enterprise Transformation Cycle (ETC) als besonders für KMU geeignet identifiziert. Mit seiner flexiblen, iterativen und pragmatischen Herangehensweise lässt er sich an unterschiedlichste Rahmenbedingungen und Bedürfnisse anpassen (Fischer 2019). Sollen Veränderungen auf den Weg gebracht werden, dann ist der erste Schritt die Identifizierung der Engpässe – also wo Veränderungen ansetzen müssen, um die größtmöglichen positiven Effekte mit dem geringstmöglichen Aufwand zu erzielen. Schon diese Analyse gibt oftmals Aufschluss über die anzuwendende Methode, da jede Methode auch unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund stellt. Ein Engpass, den ich immer wieder feststelle, liegt im Bereich „People“: Wir Menschen limitieren uns selbst gedanklich durch

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vorgefertigte Glaubens- und Verhaltensmuster, die sich nicht so leicht auflösen lassen und die sich dadurch beschränkend auf die Veränderungsfähigkeiten von Organisationsweisen und Prozessen auswirken. Gerade in KMU sind bei der Auswahl der Methoden deshalb zwei Aspekte entscheidend: 1. Die Auswahl und Kombination der jeweils passenden Methode(n) und ihre Modifizierung im Hinblick auf die praktische Anwendung. Hier gilt es, sich von dogmatischen und ideologischen Vorstellungen zu lösen und einen pragmatischen Ansatz zu verfolgen. 2. Die Qualifizierung und Befähigung von Management, Führungskräften und Mitarbeitern zur Anwendung der entsprechenden Methoden und Etablierung der Gestaltungsprinzipien.

4.2.1 D  ie Grundlage für nachhaltige Veränderungen: leane und agile Prinzipien nutzen Aufgrund ihrer Rahmenbedingungen und der Verfügbarkeit von Ressourcen können sich KMU keine Ineffizienzen leisten. Umso wichtiger ist es für sie, Ansatzpunkte für Veränderungen schnell und treffsicher zu identifizieren. Leane und agile Prinzipien stehen deshalb nicht nur als Veränderungsziel im Vordergrund. Sie müssen vielmehr dem gesamten Prozess von der Engpassfindung bis zur Durchführung der Transformation zugrunde liegen. Lean Management stellt immer die „Verschlankung“ von Prozessen in den Vordergrund: Es geht darum, überflüssige Arbeiten zu reduzieren, Ausschuss zu minimieren, unnötige Prozessschritte einzusparen sowie die Logistik zu optimieren. Fehler und unnötige Kosten sollen so vermieden werden – gleichzeitig wird nach bestmöglicher Qualität gestrebt. Ein wirksames Mittel hierfür ist die Wertstromanalyse (Value Mapping), bei der alle Wertschöpfungsprozesse im Unternehmen ganzheitlich betrachtet und im Hinblick auf Ineffizienzen und Verschwendung analysiert werden. Denn in Unternehmensprozessen gilt der Grundsatz: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ (Antoine de Saint-Exupéry)

Leane Gestaltungsprinzipien beschränken sich nicht auf einzelne Fertigungsweisen, Produkte oder Branchen, sie sind für Serienfertigung ebenso geeignet wie für den Anlagenbau, optimieren Dienstleistungen ebenso wie Softwareentwicklung. Lean Management ist ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl auf die Prozesse und Strukturen als auch auf die Mitarbeiter abzielt. Entwickelt wurde Lean Management seit den 1950er-Jahren beim japanischen Autohersteller Toyota (Ohno 2013). Durch die Reduzierung von Komplexität sowohl in den Prozessen als auch in den Produkten konnten Fehler und Ausschuss  – und damit Verschwendung – deutlich reduziert werden. Um solche Verschwendungen aufzuspüren und in der Folge zu eliminieren, eignet sich die Checkliste der sieben Verschwendungen (Seven Wastes) TIM WOOD (vgl. Jeffrey und Ross 2009, S. 33–36):

4  Transformationsmanagement in KMU: Der per-se-Ansatz als Ergänzung des …

• • • • • • •

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Transport Inventory Motion Waiting Overproduction Overprocessing Defects

Aus der genauen Analyse ergeben sich wichtige Ansatzpunkte für Veränderungen in den Dimensionen Organisationsstruktur, Prozesse und People. Entscheidend im Lean Management ist das Flussprinzip: Als solches wird der kontinuierliche Ablauf von Prozessen bezeichnet. Dabei muss das ganze Unternehmen in den Blick genommen werden – und nicht nur einzelne Abteilungen. Ein wichtiger Bestandteil davon ist der Wechsel von Push zu Pull: Damit verabschieden sich Unternehmen vom Prinzip der maximalen Maschinenauslastung und richten ihre Prozesse stattdessen auf die Kunden aus. Die Produktion startet erst dann, wenn der Kunde bestellt oder die Bestände ein Minimum erreicht haben – man „zieht“ („pull“) also die Produkte vom Kunden aus durch die Produktion, statt sie durch Planungsvorgaben hinein zu „drücken“ („push“). Lager- und Personalkosten lassen sich so ebenfalls minimieren. Lean Management sorgt so sowohl für effizientere interne Prozesse als auch für eine höhere Kundenorientierung: Deren Bedürfnisse nach Individualität, Verfügbarkeit und hoher Qualität sind das Maß, nach dem die Prozesse, Produkte und Services beurteilt werden. Das Pull-Prinzip findet sich auch in anderen Prozessen wieder: So besucht das Management regelmäßig die Produktion und Fertigung, um sich ein eigenes Bild zu machen und sich mit den Mitarbeitern vor Ort auszutauschen. Dadurch lassen sich eventuelle Probleme ebenso wie Lösungsvorschläge frühzeitig erkennen und identifizieren. Dies trägt auch zur beständigen Optimierung der Prozesse bei. Denn es reicht nicht aus, einmal an Stellschrauben zu drehen – stattdessen muss ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) etabliert werden. Die Mitarbeiter werden hier stark eingebunden: Sie sollen ihre Arbeitsabläufe beständig hinterfragen und ihre Ideen einbringen, um so Verbesserungen zu erzielen. Hier ergibt sich ein wichtiger Ansatzpunkt für die Identifizierung von Engpässen: Durch den beständigen Dialog und das Streben nach Perfektion werden Veränderungspotenziale schnell sichtbar und können unmittelbar angegangen werden. Für das Gelingen von Change-Projekten ist die Unterstützung der Mitarbeiter ein entscheidender Erfolgsfaktor (Foitzik und Heumader 2019, S. 54–55). Ihre Einbeziehung schon in der Planungsphase leistet dazu einen wichtigen Beitrag und fördert das Engagement über den gesamten Prozess hinweg. Diesen Ansatz verfolgt auch der Harvard-Professor für Führungs- und Veränderungsmanagement John P. Kotter. Er nutzt Gespräche und Beobachtungen in besonders herausragenden Unternehmen, um Benchmarks zu etablieren, anhand derer sich durchschnittlich erfolgreiche bis schlecht funktionierende Unternehmen optimieren lassen. Als zentralen Erfolgsfaktor für die Zukunft sieht Kotter die Erkenntnis, dass tiefgreifende Veränderungen Unternehmen herausfordern sowie die Bereitschaft von Management und Führungskräften, auf diese angemessen zu reagieren – und so Veränderungen selbst zu gestalten (Kotter 2015).

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Mit der Möglichkeit zum eigenverantwortlichen Arbeiten und mit Gestaltungsspielräumen zeigt sich eine wichtige Gemeinsamkeit mit agilen Managementmethoden: Auch dort ist die Eigenverantwortung und Selbstorganisation der Mitarbeiter ein wichtiger ­Bestandteil. Damit sich dies umsetzen lässt, bedarf es auf der einen Seite einer entsprechenden Führungskultur, die diese Freiräume auch zulässt. Nur wenn Führungskräfte den Mitarbeitern die entsprechende Möglichkeit einräumen, haben diese auch die Chance, eigene Ideen zu entwickeln und diese umzusetzen. Gerade bei abteilungsübergreifender Zusammenarbeit ist es unbedingt notwendig, dass die Teammitglieder die Möglichkeit bekommen, miteinander in den Dialog zu kommen und ihre eigene Form der Zusammenarbeit zu entwickeln. Vergleichen lässt sich dieser Prozess mit der Synchronisation von Metronomen (Max-Planck-Gesellschaft 2013): Werden diese eng gekoppelt, so schlagen sie nach einer gewissen Zeit gegengleich im Takt. Ebenso wie Metronome haben auch Abteilungen ihre eigenen Frequenzen bzw. Logiken, nach denen sie funktionieren. Durch eine enge Kopplung kommen sie jedoch miteinander in Gleichklang und harmonisieren sich, sodass sie optimal zusammenarbeiten können. Dieser Prozess vollzieht sich völlig ohne äußere Einwirkung. Wichtig ist dabei deshalb, dass Führungskräfte in der Lage sind, sich zurückzunehmen und ihre Mitarbeiter vor störenden Einflüssen zu schützen, die diesen Gleichklang wieder zunichtemachen könnten. Notwendige Voraussetzung für die Eigenverantwortung ist allerdings, dass die Mitarbeiter entsprechend qualifiziert und ­geschult werden, damit sie diesem Anspruch der Selbstbestimmtheit und der Eigenverantwortung auch gerecht werden können. Das gleiche gilt für die Anwendung agiler Methoden. Neben der Befähigung zur Selbstorganisation und zum eigenverantwortlichen Arbeiten müssen auch die Methoden und ihre Anwendung selbst vermittelt werden. Im Rahmen von Lean Management werden sie häufig angewandt, da sie schnelle, qualitativ hochwertige und auf den Kunden ausgerichtete Ergebnisse versprechen. Ihr Vorteil ist, dass sie sich flexibel an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassen (Islam 2013, S. 3–6). Als Beispiele können hier Time Boxing, Scrum, Kanban, die Hoshi-Kanri-Methode, Ranked Backlog oder Retrospectives genannt werden, wie sie Tab. 4.1 zeigt. Mit ihrer hohen Flexibilität erfüllen agile Methoden ein wichtiges Kriterium, das allen Transformationsprozessen und Veränderungen zugrunde liegen muss: Das Ziel kann nicht die Veränderung einzelner Arbeitsweisen oder Strukturen im Unternehmen sein. In einer sich ständig verändernden Welt müssen Transformationen in Unternehmen jeder Größe und Branche darauf abzielen, Veränderungsfähigkeit und Innovation zum genuinen Bestandteil der Unternehmenskultur und -struktur zu machen. Mit der konsequenten Anwendung leaner und agiler Gestaltungsprinzipien und ihrer Etablierung in der Arbeitsweise des Unternehmens kann dies gelingen.

4.2.2 Methoden zur Engpassfindung in KMU Der ETC wird nun als Rahmen genutzt, in dessen einzelnen Phasen ergänzend weitere Methoden integriert werden können und müssen. Um dies zu verdeutlichen, werden im

4  Transformationsmanagement in KMU: Der per-se-Ansatz als Ergänzung des … Tab. 4.1  Agile Methoden Methode Time Boxing

Scrum

Kanban

Hoshin Kanri

Umsetzung Festlegung von Zeitrahmen für Projekte bzw. Vorgänge Definition von Zielen, die in einer Time Box erreicht werden sollen Nach einer bestimmten Dauer wird abgeschlossen, egal ob definiertes Ziel erreicht wurde oder nicht Offene Teile werden gestrichen bzw. in die nächste Time Box verschoben In 1–2-wöchigen Sprints arbeiten Teams eigenverantwortlich an Teilzielen des Projektes Feedback-Loops zwischen den Sprints geben Möglichkeit zur Reaktion auf Kundenwünsche bzw. neue Rahmenbedingungen Daily Stand-up-Meetings geben Möglichkeit zum Austausch zwischen Scrum Master und Teammitgliedern über Erfolge, Ergebnisse, Probleme und Schwachstellen Prinzip „Always Beta“: Das Ergebnis wird in Iterationen immer weiter optimiert, so dass kontinuierlich Verbesserungen möglich sind Konsequente Umsetzung des Pull-Prinzips Flussprinzip: Just-in-time-Produktion mit bestimmten Pufferlagern Kanban-Karten werden für Bestellungen genutzt Kontinuierliche Verbesserung der Strukturen und Prozesse im gesamten Unternehmen Gemeinsame Entwicklung einer Unternehmensvision mit der sich Mitarbeiter aller Ebenen und Abteilungen identifizieren Feedback und regelmäßige Reviews Schrittweise Implementierung von Teilzielen

Ranked Backlog

Paarweiser Vergleich zur Priorisierung bzw. Festlegung der Reihenfolge von Aufgaben Festgelegte Kriterien bestimmen diese Reihenfolge – z. B. Muss-, Soll-, KannAnforderungen Retrospectives Evaluierung abgeschlossener Projekte oder Sprints Festgelegter Bezugszeitraum Festgelegte Aspekte und Fragen, die betrachtet werden Quelle: Eigene Darstellung 2019

Ziele Effizienz steigern Geschwindigkeit erhöhen Unnützes streichen

Eigenverantwortung in Teams fördern Schnelle Reaktionsfähigkeit auf Veränderungen Kontinuierliche Verbesserung der Ergebnisse Hohe Kunden- bzw. Nutzerorientierung

Verbesserte Produktionssteuerung Hohes Anpassungspotenzial Verkürzte Lagerzeiten Strategieentwicklung und -umsetzung optimieren Wettbewerb erhöhen Koordination der Aufgaben verbessern Identifikation mit dem Unternehmen und Motivation fördern Effizienz steigern Geschwindigkeit erhöhen Unnötiges weglassen Voneinander lernen Kontinuierliche Verbesserung Teamzusammenhalt stärken

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Folgenden verschiedene Methoden zur Engpassfindung dargestellt und auf mögliche Anknüpfungspunkte an den ETC untersucht. Dass die Methoden leanen und agilen Kriterien und Prinzipien entsprechen, ist dabei eine Grundvoraussetzung für ihre Auswahl, da nur sie in der Lage sind, nachhaltig die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen zu stärken, indem sie Anpassungsfähigkeit in die Unternehmens-DNA einschreiben.

4.2.2.1  Prozessanalyse Durch die Analyse von Geschäftsprozessen lassen sich im Sinne des Lean Management Störungen und Probleme identifizieren. Dazu wird der Ist- mit dem Soll-Zustand des ­Prozesses verglichen oder die notwendige Veränderung zur Erreichung eines angestrebten Zielzustands eruiert. Ein mögliches Vorgehen ist dabei das Benchmarking, das das jeweils beste Produkt oder den besten Prozess als Vergleichsmaßstab nutzt. Wird der ETC beachtet, so ist die Prozessanalyse – wie sie auch im Detail bereits unter Abschn. 4.2.1 beschrieben wurde – unter „Processes“ einzuordnen. Hier geht es um die beständige Optimierung der Prozesse, also die Einführung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, der Abläufe immer wieder im Hinblick auf Effizienz und Effektivität hinterfragt und nachjustiert. Neben dieser offensichtlichen Einordnung sind aber auch die anderen Dimensionen betroffen: • People: Ein KVP lässt sich nur etablieren, wenn einerseits die Mitarbeiter in der Lage sind, Schwachstellen zu identifizieren und die Führungskultur andererseits so gestaltet ist, dass sie Kritik und Feedback zulässt und begrüßt. • Organization: Um Prozesse nachhaltig zu optimieren, müssen auch Organisationsstrukturen auf den Prüfstand gestellt werden. So dürfen Optimierungen nicht an Abteilungssilos haltmachen, sondern sie müssen das ganze Unternehmen betrachten. Hinsichtlich der Organisationsweise muss deshalb eine funktionale Gliederung zugunsten der Vernetzung über die Grenzen hinweg weichen. In der Praxis werden diese Entwicklungen oft durch ungeeignete Kenngrößen zur Unternehmensteuerung behindert bzw. es fehlen geeignete Kenngrößen, um die Effizienz der neuen Arbeitsorganisation messbar und damit auch kontinuierlich verbesserbar zu machen (vgl. Governance). • Systems & Tools: Eine Neuausrichtung oder Veränderung der Prozesse wirkt sich unter Umständen auch auf die genutzte Infrastruktur oder einzelne Tools aus. • Governance: Um Wandel herbeizuführen, sind verschiedene Steuerungselemente vonnöten. Dabei ist entscheidend, Mitarbeitern Gestaltungsfreiheit einzuräumen und ihren Input auch ernst zu nehmen. • Strategy: Unter Umständen wirkt sich eine Veränderung im Prozess- und Arbeitsablauf auf die Gesamtstrategie im Unternehmen aus, denn sie ermöglicht erst eine Neuausrichtung oder die operative Umsetzung einer Unternehmensstrategie.

4.2.2.2  Reifegradmodelle Reifegradmodelle arbeiten mit einem vorab definierten Bewertungsraster (vgl. Daniel 2008, S. 103–113). Dazu werden bestimmte Kriterien definiert, anhand derer die Ausprä-

4  Transformationsmanagement in KMU: Der per-se-Ansatz als Ergänzung des …

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gung von verschiedenen Aspekten bewertet werden kann. Demzufolge sind Organisationsteile oder Prozesse mit niedrigem Reifegrad Ansatzpunkte für Veränderungen. Ebenso wie die Prozessanalyse sind Reifegradmodelle für alle Dimensionen des ETC anschlussfähig, da sich in jeder Dimension unterschiedliche Reifegrade identifizieren lassen. Während es zum Beispiel in der Dimension Organization um den Grad der Vernetzung gehen kann, kann im People-Bereich die Qualifizierung hinsichtlich der Anwendung agiler Methoden als Kriterium gelten.

4.2.2.3  Engpassanalyse In erster Linie an die Prozess- und die Strategiedimension des ETC knüpft die Engpassanalyse an. Der von Wolfgang Mewes (2000) entwickelte Ansatz geht davon aus, dass sich ein Unternehmen dann positiv entwickelt, wenn Engpässe geschlossen, also fehlende Ressourcen zugeführt werden. Es gilt, sich jeweils nur auf die knappste Ressource zu fokussieren, um Verzettelung zu vermeiden. Dieser Ansatz richtet sich besonders an KMU, die sich auf eine eng umrissene Zielgruppe konzentrieren und in dieser Nische dann die Marktführerschaft anstreben können. Erfolgsbeispiele sind die sogenannten „Hidden Champions“ wie der Dübel-Hersteller Fischer oder die Firma Doppelmayr, die Skilifte herstellt, und in ihrer jeweiligen Nische Weltmarktführer sind. Allerdings können Engpässe auch in Personalmangel beziehungsweise fehlendem Knowhow der Mitarbeiter zu finden sein – was die Engpassanalyse wiederum anschlussfähig an die People-Dimension macht. 4.2.2.4  Befragungen Der Austausch mit den Mitarbeitern ist ein zentraler Ansatzpunkt für die Identifizierung notwendiger Veränderungen. Diese sind auch wichtiger Bestandteil leaner Methoden: Indem das Management vor Ort ist („go and see“) und mit den Mitarbeitern spricht, erhält es Informationen aus erster Hand über Herausforderungen und Probleme ebenso wie geeignete Lösungsvorschläge. Sowohl standardisierte als auch offene Interviews können Aufschluss über Verbesserungspotenziale im Unternehmen geben. Welche Methode geeignet ist, muss auch je nach Ebene und Zielsetzung entschieden werden: Während sich für die Befragung von Experten qualitative Leitfadeninterviews besser eignen, geht es bei einer großen Zahl von Befragten eher um das Herausfinden von vorherrschenden Meinungen und Trends, weshalb ein standardisierter Fragebogen hier geeigneter ist. Auch digitale Tools wie Mentimeter oder Poll Everywhere sind sehr hilfreich, wenn es darum geht in Echtzeit valide Meinungs- und Stimmungsbilder einzuholen. Sie anonymisieren das Feedback und erstellen unmittelbar hochwertige Auswertungen zu den gestellten Fragen. Ihre einfache Handhabung sorgt für eine breite Teilnahme, was die Aussagekraft erhöht. So lassen sich zu den verschiedensten Themen Feedback einholen oder Vorschläge einreichen – egal ob es um Führungsverhalten, bestimmte Projekte oder Prozessoptimierung geht. Im Rahmen des ETC sind Befragungen vor allem im Bereich Processes, Organization und People zu verorten. Bei den Prozessen und Organisationsstrukturen lassen sich durch

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Mitarbeiterinterviews Potenziale identifizieren – in der People-Dimension müssen diese jedoch dazu befähigt werden, Prozesse und Strukturen kritisch zu hinterfragen und ihr Feedback zu formulieren. Dies betrifft auch das Management, das dafür verantwortlich ist, eine entsprechende Führungskultur im Unternehmen zu etablieren.

4.2.2.5  Shadowing Beim Shadowing identifizieren Mitarbeiter gemeinsam mit ihrer Führungskraft Bereiche im Unternehmen, die für sie von Interesse sind oder sein könnten. Im Anschluss haben sie die Chance, über einen bestimmten Zeitraum in die Abteilung „hineinzuschnuppern“ und einem Kollegen über die Schulter zu schauen. Mitarbeiter können so neue Kontakte knüpfen, dies fördert die Vernetzung von Strukturen im Unternehmen – und hat dadurch Einfluss auf die ETC-Dimension Organization. Darüber hinaus kann der Blick von außen auch neue Optimierungspotenziale ans Tageslicht bringen. Der Austausch über Praktiken und Vorgehensweisen fördert Lerneffekte (ETC-Dimensionen People und Processes). Auch wer nicht dem Unternehmen angehört, kann am Shadowing teilnehmen. Die Externen können dadurch Unternehmens- und Prozesswissen aufbauen, das sie für ihre Aufgaben als externe Berater des jeweiligen Unternehmens benötigen. Auf der anderen Seite profitiert das Unternehmen von einem neuen Blickwinkel, der unvoreingenommen He­ raus­ forderungen und Potenziale entdeckt sowie offensichtliche, aber durch Routine-­ Scheuklappen nicht wahrgenommene Schwachstellen identifiziert. Wird Shadowing beispielsweise so umgesetzt, dass jeder Mitarbeiter, egal aus welcher Abteilung oder Hierarchieebene er stammt, jährlich einige Tage im Vertrieb arbeiten muss, so erhöht das nachhaltig die Kundenzentrierung im Unternehmen, da jeder mit den Bedürfnissen und Wünschen der Kunden konfrontiert ist und die Chance hat, in den direkten Dialog zu treten. 4.2.2.6  Systemische Aufstellung Mithilfe einer systemischen Aufstellung sollen Beziehungen und Interdependenzen innerhalb einer Organisation sichtbar gemacht werden (vgl. Kappe 2007, S. 16–18). Das Unternehmen wird dabei als soziales System begriffen. Dazu werden einzelne Mitglieder oder Systemelemente entweder durch Stellvertreterpersonen oder symbolisch durch Figuren dargestellt. Auch abstrakte Elemente wie Markt oder Wettbewerb lassen sich in einer systemischen Aufstellung visualisieren. Wichtig ist, vorab eine konkrete Fragestellung zu formulieren, um gezielt nach strukturellen Ursachen suchen zu können. Zunächst wird dazu der Ist-Zustand visualisiert, bevor der Soll-Zustand dargestellt wird. Durch die symbolische Aufstellung von Personen oder Figuren wird visuell deutlich, wo Veränderungen notwendig sind, um Probleme zu lösen. Die systemische Aufstellung kann wertvollen Aufschluss über Strategieanpassungen, aber auch für die Organisationsstrukturen und die People-Dimension geben  – wenn beispielsweise Personal oder bestimmte Kompetenzen fehlen oder Führungsstrukturen die Mitarbeiterentwicklung behindern. So lassen sich unter anderem erfolgsbehindernde Barrieren erkennen und konkrete Vorgehensweisen im Unternehmensentwicklungsprozess ableiten.

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4.2.2.7  Trend2Ability Der Trend2Ability-Ansatz (T2A) setzt auf die Beobachtung von Trends, um daraus Fähigkeiten abzuleiten, die sich Unternehmen aneignen müssen (vgl. Rode-Schubert und ­Müller 2019). Dabei unterscheidet der Ansatz zwischen Megatrends, technologischen Trends und branchenspezifischen Trends. Für Unternehmen ist es entscheidend, die für sie relevanten Trends zu identifizieren und auf dieser Basis ganzheitlich Fragen zu • • • •

Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter und Führungskräfte, strategischer Ausrichtung, Unternehmensprozessen und -strukturen, unterstützenden Technologien und Maschinen.

sowie deren Veränderungs- und Anpassungspotenzial zu beantworten. Damit ist T2A für alle Dimensionen des ETC anschlussfähig. Neben der Ableitung benötigter Fähigkeiten auf der Basis von Trendanalysen lassen sich mithilfe des T2A auch zukünftige Geschäftsmodelle und -strategien auf der Grundlage vorhandener Kompetenzen identifizieren.

4.2.2.8  Beobachtung Der englische Geschäftsmann Sir John Harvey-Jones erlangte mit der Serie „Troubleshooter“ in den 1990er-Jahren einige Berühmtheit (vgl. auch Harvey-Jones 1988). In dem Reality-­Format besuchten erfahrene Geschäftsführer kleine und oft ums Überleben kämpfende Unternehmen im Vereinten Königreich. Harvey-Jones’ Ansatz war, sich stark auf die Menschen, ihre Beobachtung und das Gespräch mit ihnen zu verlassen, um Probleme im Unternehmen zu identifizieren. Bewaffnet mit den Jahresabschlüssen der vergangenen fünf Jahre bat Harvey-Jones stets zunächst das Management um seine Einschätzung, um im nächsten Schritt alle weiteren Mitarbeiter bis zum Shopfloor zu befragen. So konnte er die Engpässe im Unternehmen identifizieren, die Wachstum und Entwicklung hemmten und Ratschläge für eine Trendwende geben. Die Gespräche wurden darüber hinaus auch mit auf den ersten Blick als Unbeteiligte geltenden Personen geführt, so z. B. mit Anwohnern der Fabrik, Familienangehörigen der Angestellten bis hin zu Kunden der Kunden. „People“ sind hier der Ansatzpunkt, von dem aus Engpässe identifiziert werden. Menschen stehen im Mittelpunkt der Beobachtung. Da sie Organisationen und Strukturen gestalten, gilt es nach Harvey-Jones zunächst, an ihrem Mindset zu arbeiten und so Veränderungspotenziale zu schaffen. Dieses Vorgehen verfolgt auch der von mir entwickelte per-se-Ansatz, den ich im folgenden Abschnitt vorstellen werde.

4.3

Der per-se-Ansatz

Lassen Sie uns zusammenfassen, welche Kriterien ein Ansatz zur Engpassfindung in KMU erfüllen muss:

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• Um Ineffizienzen und Ressourcenverschwendung zu vermeiden, sollten leane Gestaltungsprinzipien gelten und Methoden des Lean Managements angewandt werden. • Um schnell zu praktikablen Lösungen zu kommen, die sowohl die Interessen des Kunden als auch die des Unternehmens berücksichtigen, eignen sich agile Methoden. • Dogmatismus und Ideologie durch „sortenreine“ Anwendung von Konzepten sind in KMU fehl am Platz: Dort sind pragmatische Lösungen notwendig, die auf Bedürfnisse und Ressourcenausstattung ebenso wie auf Mentalität und Kultur in KMU eingehen. Gegebenenfalls lassen sich aus den Ansätzen einzelne Elemente „herauspicken“, die dann neu kombiniert und zusammengestellt werden können.

4.3.1 D  er per-se-Ansatz als geeignete Transformationsmethode für KMU Der per-se-Ansatz kombiniert deshalb geeignete Methoden zur Analyse des Engpasses je nach Fragestellung im Unternehmen. In Ergänzung zum ETC arbeitet der per-se-Ansatz vor allem heraus, was die notwendige Transformation auf der Menschseite verhindert. Das können entweder fehlende Qualifikationen, Personalmangel oder auch limitierendes Gedankengut und starke Pfadabhängigkeiten in den Köpfen sein. Abb. 4.1 zeigt das Zusammenspiel von Engpassfindung und KMU-geeigneter Transformation unter Zuhilfenahme des ETC. Nach der Identifizierung der Engpässe geht es im Transformationsprozess um die Beschreibung der Handlungsfelder. Auch hier fokussiert der per-se-Ansatz auf die People-­ Dimension, z. B. die Entwicklung der benötigten Fähigkeiten. Keine Frage: Es bestehen in Unternehmen – wie in jedem sozialen System – Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen Menschen, Strukturen und der Prozessorganisation. Durch die jeweilige Ausgestaltung entstehen Handlungsspielräume und auch -beschränkungen. Die Schaffung neuer Infrastrukturen ermöglicht beispielsweise die Etablierung neuer Handlungsweisen. Aber: Gelingt es nicht, das Engagement der Mitarbeiter zu gewinnen und sie an Bord zu holen, dann sind alle Transformationsbestrebungen sinnlos. Die Menschen – ganz gleich welcher Abteilung oder Hierarchieebene sie angehören – sind also der Schlüssel zu einer erfolgreichen Transformation. Aus diesem Grund geht es zunächst darum, bei Management und Mitarbeitern den notwendigen Mindshift, also das Hinterfragen und die Veränderung von eingeübten Denk- und Verhaltensweisen, zu erreichen und auf personeller und menschlicher Ebene eine Entwicklung anzustoßen. Der per-se-Ansatz ist eine innovative Form der Fähigkeitsentwicklung, die ich bereits in zahlreichen Unternehmen verschiedener Größen und Branchen erfolgreich angewendet habe. Nach meiner rund 30-jährigen Praxiserfahrung ist das notwendige Fachwissen in den Organisationen bereits vorhanden. Im Rahmen der Entwicklung gilt es, es transparent und nutzbar zu machen. Auf sehr individueller Ebene wird dies von Eva-Maria Zurhorst (2011) mit dem Leitsatz „Die Lösung liegt in Dir“ verdeutlicht  – diese Erkenntnis gilt auch für Menschen in Organisationen.

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Limierenden Engpass idenfizieren

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Erfolgreiche, KMU gerechte Transformaon

+

+

KMU geeignete Methoden zur Engpassfindung, Insbesondere Lean Management Prinzipien

Agile und lean mangement Methoden zur Umsetzung anhand des ETC

+

+

Limierende Denk- und Verhaltensweisen bewusst machen

KMU und menschengerechte Fähigkeitsentwicklung und Begleitung

Abb. 4.1  Der per-se-Ansatz: Engpassfindung in der KMU-Transformation. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Im per-se-Prozess beginnen wir daher mit der Identifizierung der limitierenden Engpässe – dafür eignen sich insbesondere Befragungen und Beobachtungen nach Sir John Harvey-Jones. Der T2A-Ansatz hilft dabei, einwirkende Trends und Kräfte zu erkennen und auf dieser Basis die Entwicklungsmöglichkeiten des Unternehmens auszuloten und Handlungspotenziale abzuleiten. Im Anschluss wird ein Entwicklungsplan aufgestellt, der die Herausbildung der entsprechenden Fähigkeiten unterstützt. Entscheidend ist, dass die Betroffenen sich zum einen mit der angestrebten Zukunftsvision identifizieren, zum anderen an seine Machbarkeit glauben. Durch die Kombination verschiedenster Methoden(-elemente) ist der Ansatz in der Lage für jeden einzelnen ETC-Bereich die Frage zu beantworten, was die Transformation behindert. Im Folgenden wird dies anhand von zwei Fallbeispielen illustriert.

4.3.2 Fallbeispiel 1: Notwendiger Mindshift im Vertrieb Allzu oft beschränken Menschen sich in ihrer Veränderungsfähigkeit selbst, weil sie in vorhandenen Glaubensstrukturen verharren, statt über den Tellerrand hinauszublicken und nach Lösungen jenseits des Offensichtlichen zu suchen. So auch in einem Unternehmen, in dem sich der neue Verantwortliche für den Vertrieb nicht mit dem schrumpfenden Markt abfinden wollte. Zwar waren aufgrund der sinkenden Umsätze bereits zahlreiche Veränderungen angestoßen worden, dies war jedoch mehr oder minder ziel- und planlos erfolgt. Die K ­ onsequenz: Die Führungskräfte konnten sich weder selbst mit einer gemeinsamen Vision identifizieren, geschweige denn diese an die Mitarbeiter kommunizieren. Veränderungs-Klein- Klein

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führte dazu, dass alle den Durchblick verloren. Statt eines transparenten Prozesses, der von Anfang an klar kommuniziert und gemeinsam gestaltet wurde, wurden Einzelmaßnahmen angestoßen, ohne sie in ein Gesamtbild einzubetten. Notwendig war also ein Mindshift – zunächst auf der Führungsebene, dann unter den Mitarbeitern generell. Das gemeinsame Ziel musste eine Zukunftsvision sein. Eine Zukunftsvision, die zeigt, dass es auch in einem schrumpfenden Markt möglich ist, weiterhin erfolgreich zu sein, wenn die Entwicklung weitergeht. Entscheidend war, dass Veränderung als etwas Positives wahrgenommen werden musste, als eine Chance, die Zukunft erfolgreich zu gestalten, und nicht als notwendiges Übel. Ähnlich wie in der bekannten „Mäusestrategie“ (Johnson 2000): In dieser Parabel für Manager richten es sich zwei Zwerge gemütlich ein, nachdem sie einen Haufen Käse in einem Labyrinth gefunden haben – bis eines Tages der Käse plötzlich verschwunden ist. Während die beiden Mäuse, die ebenfalls in dem Labyrinth nach Käse suchen, stets auf der Suche blieben, weil sie dem Glück nicht trauten, hatten sich die Zwerge auf ihrem Gewinn ausgeruht. Nun mussten sie wieder aktiv werden und erneut auf Käsesuche gehen. Der eine der beiden fand sich schnell mit der Tatsache des verschwundenen Käses ab und fand nach einiger Zeit einen neuen Haufen Käse. Der andere hingegen wartete untätig, ob der Käse nicht vielleicht zurückkäme – was er nicht tat. Die Mäuse, die immer bereit waren, sich zu verändern und sich an neue Rahmenbedingungen anzupassen, waren diejenigen, die am wenigsten von dem verschwundenen Käse beeinträchtigt waren. Doch auch bei dem Zwerg, der dann aktiv wurde, fand ein Mindshift statt: Er erkannte die Notwendigkeit von Veränderung und beschloss, künftig stärker auf Veränderungen zu achten und offener für Neues zu sein. Um einen Mindshift, ähnlich wie bei den beiden Zwergen zu schaffen, nutzte der perse-Ansatz in diesem Fallbeispiel Analogien, um das notwendige Bewusstsein schaffen: • Jonglieren: Jonglieren erfordert, viele Bälle in der Luft zu halten  – auch ohne alles immer komplett im Blick zu haben, muss das Notwendige erkannt und automatisch reagiert werden. Wenn man seinen Blick auf den entscheidenden Ball richtet, dann bleibt alles andere unter Kontrolle. Wie beim Jonglieren muss man auch in Veränderungsprozessen nicht auf alles achten – sondern nur auf das Wichtigste. Auf Abweichungen kann mit vorher eingeübten Routinen reagiert werden. Die Zahl der Bälle spielt dann keine entscheidende Rolle mehr – beziehungsweise lässt sich mit entsprechender Übung bewältigen. • Fahrradfahren: Ein Fahrrad stabilisiert sich von selbst, wenn eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht wird, nämlich bei ca. 21 Kilometern pro Stunde (Saße 2007). Im Stand kann niemand dauerhaft das Gleichgewicht halten. Allerdings darf man auch nicht zu schnell werden, denn das kann zum Schleudern führen – und schon ein kleiner Stein auf dem Weg kann fatale Folgen haben. Es gilt also, das richtige Tempo zu finden – ähnlich wie in Veränderungsprozessen.

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Erfolg gegen den Markttrend – dieses Growth-Mindset sollten die Mitarbeiter und Führungskräfte wieder verinnerlichen. Was scheinbar unmöglich erschien, sollte Realität werden. Um das Vertrauen in diese Zukunftsvision zu stärken war die Festigung des Teamzusammenhalts und das Ausprobieren von scheinbar Unmöglichem notwendig: In diesem Fall sollte das Team Drachenboot fahren und dabei einen Menschen auf Wasserskiern hinter sich herziehen. Was absurd klingt, ist möglich, wenn die Abstimmung im Team perfekt funktioniert und alle im Gleichklang zusammenarbeiten – wie im oben geschilderten Metronom-Experiment. Um vorgefertigte Denkmuster aufzubrechen bekamen die Teams zudem „extreme“, also scheinbar unlösbare Aufgaben gestellt. Beispielsweise sollten sie Lösungen erarbeiten, wie sich der Ertrag des Unternehmens erhalten kann, wenn die Hälfte des Marktes einbricht oder nur noch 50 % der Verkäufer zur Verfügung stehen. Der Sinn dieser unrealistischen Aufgabenstellungen liegt darin, dass nicht die üblichen Lösungen präsentiert werden, sondern neue Handlungsoptionen auf den Tisch kommen. Die Mitarbeiter trauen sich, etwas auszuprobieren und versuchen, schnell aus Erfahrungen zu lernen. Mithilfe des per-se-Ansatzes konnte so ein Mindshift erreicht werden hinsichtlich • der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens, • der Veränderungspotenziale und • neuer Lösungsansätze.

4.3.3 Fallbeispiel 2: Wandel im Geschäftsmodell Aufgrund gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen war das Produkt unseres Klienten immer weniger gefragt. Die Alternativen für die Sicherung der Zukunft des Unternehmens lauteten: Abbau von Kapazitäten oder die Entwicklung eines neuen ­ ­Geschäftsmodells. Zwar hatte das Unternehmen bereits neue Produkte definiert, die mit den vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten hergestellt werden konnten. Die Frage nach einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell und auch die grundsätzliche Veränderungsfähigkeit wurden aber nicht explizit thematisiert. Ein neues Produkt lässt sich jedoch nur in Kombination mit einem neuen Geschäftsmodell erfolgreich am Markt etablieren. Der ETC wurde in diesem Fall nicht zur Engpassfindung (dieser war bereits offensichtlich), sondern als Checklist angewendet. Für die Einführung eines neuen Produkts auf dem Markt müssen immer auch neue Strategien, Prozesse, Menschen, Organisationsweisen und Strukturen erarbeitet werden. Alle Dimensionen des ETC mussten daher auf ihren Entwicklungsbedarf im Unternehmen hin untersucht werden. Als Visualisierung wurde zunächst das Businessmodell Canvas genutzt, dieses erwies sich jedoch als zu abstrakt. Stattdessen wurde auf einfachere Modelle zurückgegriffen, die sicherstellen, dass das Ziel klar ist, definierte Maßnahmen und das Bewusstsein für Herausforderungen und die Erfolgsfaktoren im Unternehmen vorhanden sind. Um die Lage, in der sich das Unterneh-

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men befand, anschaulich zu vermitteln, wurde die Pinguin-Analogie genutzt: Diese Tierart hat entweder die Möglichkeit, auf dem schmelzenden Eisberg abzuwarten was passiert, oder selbst aktiv zu werden und neue Lebensräume zu suchen (Kotter und Rathgeber 2017). Um zusätzlich zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auch die Hitrate zu verbessern, wurden mithilfe des ETC Ansatzpunkte im Vertrieb identifiziert, wo ebenfalls Verbesserungen erzielt werden konnten.

4.3.4 F  allbeispiel 3: Zusammenarbeit nach Zusammenschluss verbessern Nach dem organisatorischen Zusammenschluss der Länder Deutschland, Österreich und Schweiz unter einer gemeinsamen Vertriebsverantwortung sollte auch der Innendienst eines Unternehmens enger zusammenarbeiten. Allerdings wurden schnell Unterschiede in der Kultur, den Prozessen, Strukturen, Systemen und Tools offenbar, was die Zusammenarbeit naturgemäß erschwerte. Insbesondere das Führungsverhalten der Teamleiter, die nach dem Zusammenschluss länderübergreifende Teams führten, unterschied sich stark voneinander. Der identifizierte Engpass war damit die zu organisierende Zusammenarbeit, die durch kulturelle und strukturelle Unterschiede vorbelastet war. Der per-se-Ansatz setzte deshalb bei den Teams, ihrem internen Zusammenhalt und der Zusammenarbeit zwischen ihnen an. Alle 35 Kolleginnen und Kollegen bekamen deshalb die Chance, sich in einem mehrtägigen Workshop kennenzulernen. Dabei ging es auch um die Frage, was unter einem Team verstanden wird. Um einen Austausch in Gang zu bringen wurden Zitate zum Thema „Team“ verteilt, unter denen sich jeder dasjenige suchen konnte, dem er am meisten bzw. am wenigsten zustimmte. Mit Teilnehmenden, die das gleiche Zitat gewählt hatten, erfolgte ein Austausch. Es zeigte sich, dass es sowohl Länder- als auch individuelle Unterschiede gibt. Im Anschluss an die bilaterale Diskussion wurden die verschiedenen Zitate dann in den j­ eweiligen Teams intern diskutiert und das gemeinsame Verständnis von einem Team auf einem Flipchartpapier grafisch dargestellt. Die Visualisierung mit zeichnerischen Elementen spricht andere Ressourcen an als eine rein textuelle Aufbereitung. Damit fließen Erkenntnisse der Gehirnforschung in die praktische Arbeit der Organisationsentwicklung ein. Am folgenden Tag arbeiteten die Teams jeweils in eigenen Workshops, in denen interne Fragen, vor allem was die länderübergreifende Zusammenarbeit betrifft, geklärt wurden. Im Vordergrund standen Fragen wie Urlaubsvertretung bei stark abweichenden Urlaubsregelungen, länderübergreifende Vertretung oder Telefonüberlauf zu bestimmten Tageszeiten. Dabei tauchten auch Fragen auf, z. B. wie mit Sprachbarrieren umzugehen ist oder wie sich Teams bei stark variierenden Arbeitszeiten (auch Teilzeit) synchronisieren können. Mithilfe des Farbmodells von Lüscher (2005) stuften sich die Teammitglieder selbst in verschiedene Denktypen ein und wurden von anderen eingestuft. Dadurch fand eine Sensibilisierung im Hinblick auf die Kommunikation im und zwischen den Teams statt,

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sodass Missverständnisse künftig reduziert werden konnten und die Zusammenarbeit sich in der Folge stark verbesserte.

4.4

Schlussbetrachtung und Ausblick

Für KMU gilt, ebenso wie für Unternehmen jeder anderen Größe: Einmal eine Veränderung zu durchlaufen und sich an neue Rahmenbedingungen anzupassen stärkt die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens allenfalls kurzfristig – wenn überhaupt. Denn die Geschwindigkeit, in der sich Rahmenbedingungen und Märkte heute verändern, erlaubt es nicht, sich auf Erreichtem auszuruhen. Vielmehr muss das Ziel einer jeden Transformation sein, die Transformations- und Veränderungsfähigkeit an sich im Unternehmen zu etablieren. Die Grundlage hierfür bilden leane und agile Gestaltungsprinzipien, die in Kombination mit dem ETC zu einer nachhaltigen Veränderungsfähigkeit führen. Hier spielt der per-se-Ansatz in Kombination mit dem ETC eine tragende Rolle, da diese beiden Ansätze individuell kombinierbar und somit an verschiedenste Rahmenbedingungen anpassbar sind. Mentalität, Kultur und Ressourcenausstattung in KMU erfordern pragmatische He­ ran­gehensweisen, in denen Veränderungen Schritt für Schritt erarbeitet und herbeigeführt werden. Der per-se-Ansatz kann auch in KMU die Entwicklungs- und Veränderungsfähigkeit in Unternehmen nachhaltig etablieren, indem er den notwendigen Mindshift bei Managern, Führungskräften und Mitarbeitern initiiert und die strukturellen Voraussetzungen für eine innovative und damit erfolgreiche Unternehmenszukunft schafft.

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Uwe Fischer  weiß als Dipl.-Ing. für Luft- und Raumfahrttechnik um die Bedeutung von Technologie, Komplexität und Innovation. Dass oft unkonventionelle Lösungen die richtigen sind, konnte er unter anderem beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation und als CIO eines Anlagenbauers der ABB Gruppe in der Praxis beweisen. Als Gründungspartner der TCI, Transformation Consulting International GmbH (www.tci-­partners.com) und der ORANGE itb (www.trend2ability.com) berät und begleitet er seit 2003 Unternehmen in Transformationen und anspruchsvollen Projekten. Ein Schwerpunkt dabei ist das Identifizieren relevanter Trends und der die Entwicklung der Unternehmen limitierenden Engpässe sowie die Ableitung der zukünftig benötigten Fähigkeiten. Die Fähigkeit zur Umsetzung gelungener Transformationen hat er unter anderem als Interimsgeschäftsführer und Berater mittelständischer Unternehmen mehrfach bewiesen.

Teil II Transformationsprozesse

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Agil & Lean-Nukleus – Projekte neu denken, in Iterationen planen und getaktet durchführen Iris Maier

Inhaltsverzeichnis 5.1  Einleitung  5.2  Fakten und Momentaufnahmen zur Verortung der momentan eingesetzten Frameworks, Methoden, Zeremonien und Vorgehensweisen  5.3  Vermeidbare Fehler auf dem Weg zur Agil & Lean aufgestellten Organisation  5.4  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Der Beitrag beschäftigt sich mit der heutigen VUCA-Welt. Was bedeutet das für die Unternehmungen? Was für die Mitarbeitenden und deren Führungskräfte? Agil & Lean ist ein erprobter Ansatz, um das Überleben in Zeiten hoher Unsicherheit, immer kürzer werdenden Time-to-market-Zyklen, sich verändernden Arbeitshaltungen der Menschen und neuer Arbeits- und Organisationsformen zu sichern. In sieben Leitsätzen wurden gesammelte Erfahrungen zusammengefasst. Gesammelt wurden diese Erfahrungen in Unternehmungen mit > 5000 Mitarbeitenden und der Zusammenarbeit von 8–30 Teams. Schwerpunktmäßig wurden in diesen Unternehmungen Scrum, Kanban, SAFe und LeSS eingesetzt. Manche Erfahrungs- und Lernkurven müssen selbst gemacht werden. Andere können abgekürzt werden, indem durch Austausch und „voneinander Lernen“ im Veränderungsprozess bereits entsprechend reagiert oder proaktiv zielgerichtet unterstützt wird. Wenn der Weg der digitalen Transformation mit dem ­Vorzeichen I. Maier (*) Pentasys AG, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_5

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„Agil & Lean“ eingeschlagen wird, hat dies Auswirkungen auf alle Organisationsbereiche, die auch im Enterprise Transformation Cycle zu finden sind; unabhängig davon, wie groß die Firma oder Organisation ist. Für jede Firma müssen diese Veränderungen und Lern-Loops maßgeschneidert stattfinden. Es gibt keine benutzbare Blaupause. Aber, und das ist wichtig, es gibt Empfehlungen und Lernerfahrungen, die miteinander geteilt werden, um dadurch sicherer und fokussierter unterwegs sein zu können. Bei allen Unternehmungen gleich ist das Fundament bestehend aus dem House of Lean (in Anlehnung an das Toyota-Modell) und die Principles des Agilen Manifestos, angepasst an die Unternehmung und Organisation. Welche Methode oder Best Practice eingesetzt wird oder ob skalierte Modelle oder Frameworks zum Einsatz kommen, entscheiden dann die Unternehmensgröße, die Mitarbeitenden und Führungskräfte in den verschiedenen Bereichen als auch das Produkt/die Dienstleistung, die dem Kunden einen Mehrwert/Nutzen liefern soll. Nach dem Starten des Prozesses der digitalen Transformation bewegt sich das Unternehmen stetig vorwärts, getrieben von immer wiederkehrenden Lern-Loops. Der Weg wird nicht geradlinig verlaufen und das ist normal und gut. In kurzen Intervallen wird gelernt und Erkenntnisse in neue Maßnahmen und neue Experimente aufgenommen, um diese dann im nächsten Intervall (Iteration) wieder auf den Prüfstand zu stellen und somit wieder dazuzulernen. Dasselbe geschieht mit den eingesetzten Methoden, Frameworks und Tools einschließlich der Prozesse, in denen sie eingesetzt werden. Wichtig ist dabei, dass dies in sehr engem Kontakt zu den Anforderern (Kunden und Stakeholder) geschieht und nicht zum Selbstzweck.

5.1

Einleitung

Das richtige Verständnis von Agilität zu entwickeln ist existenziell wichtig. Agilität bedeutet nicht Anarchie. Bereits in den 1990er-Jahren, insbesondere vorangetrieben im Softwareentwicklungsbereich durch die Methode des Xtreme-Programming (XP-Programming), wurden dann die Erfahrungen und Best Practices bei einem Treffen von führenden Softwareentwicklern 2001 in Utah in den Principles des Agilen Manifestos veröffentlicht (Manifesto for agile Software Development 2001). Sie ist somit „… ein in den 90iger Jahren entstandener, vielfach praxiserprobter Ansatz zur Lösung komplexer Probleme und um die Unternehmung für und im digitalen Wandel optimal aufzustellen“ (Schlußbericht der Enquete-Kommission 1998). Agil & Lean plus Kunde ist die angesagte Formel, um in unserer VUCA-Welt als Firma und Organisation zu überleben. VUCA steht für: • • • •

Volatility Uncertainty Complexity Ambiguity

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Das Akronym VUCA beschreibt schwierige Rahmenbedingungen der Unternehmensführung. Der Begriff entstand in den 1990er-Jahren und wird dort in vielfältigem Zusammenhang benutzt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Erstnennung dieses Akronyms in einer amerikanischen Militärhochschule ihren Ursprung fand, um die multilaterale Welt nach dem Ende des Kalten Krieges zu beschreiben. Später breitete der Begriff sich auch in anderen Bereichen strategischer Führung und auf andere Arten von Organisationen aus, vom Bildungsbereich bis in die Wirtschaft (Mack et al. 2016). Eine Strategie zum Überleben in der VUCA-Welt leitet sich ebenfalls von der Abkürzung ab: Vision, Understanding, Clarity und Agility – und dies im übersetzten Sinne von Vision, Verstehen, Klarheit und Agilität. In der Managementtheorie und -praxis besteht mittlerweile kein Zweifel mehr, dass wir in einer zunehmend komplexen, dynamischen, weniger vorhersehbaren Welt operieren. Bereits 1995 findet sich im Harward Business Review einer der ersten Veröffentlichungen von Bower und Christensen zu den Entwicklungen in der VUCA-Welt (Bower und Christensen 1995). Volatility (Flüchtigkeit) Merkmale der Volatilität sind ständige Veränderung, Instabilität und fehlende Informationen und Vorhersagen. Es ist eine Umgebung, in der der ständige Wandel und die Instabilität dominieren. Informationen besitzen keinerlei prognostische Aussagekraft mehr, weil Rahmenbedingungen als auch die Ziele sehr schnell wechseln. Uncertainty (Unsicherheit) Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit von Ereignissen nehmen rapide ab. Das ist ein Phänomen, das wir bereits seit den 1980er-Jahren beobachten. Interessante Einblicke gewährt uns da der monatliche Index-Report der Professoren Baker, Bloom und Davis, die ihre Lehrstühle in der Stanford University, der Kelogg School of Management und der Booth School of Business haben (Baker et al. 2019). Dieses Phänomen fällt zusammen mit unserer Veränderung weg von der Industriegesellschaft hin zur Informations-/Wissensgesellschaft. „Die westliche Gesellschaft befindet sich im Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, der in seiner dramatischen Wirkung dem Übergang von der Agrar- in die Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert in nichts nachsteht.“ (Bell 2019)

Prognosen und Erfahrungen aus der Vergangenheit sowie Grundlagen für die Gestaltung von Zukunft verlieren ihre Gültigkeit und Relevanz. Big Data, neue Geschäftsmodelle, digitale Automatisierung, künstliche Intelligenz (KI) und weitere Entwicklungsfelder sorgen dafür, dass wir „gestützt“ in die Zukunft blicken/rechnen können. Jedoch im Kontext von VUCA, einer Welt die sich heute sehr klar und deutlich zeigt, ist dies nur ein Entscheidungskriterium. Immer wichtiger wird das Bauchgefühl (die emotionale Intelligenz) der Leader (m/w). Die rein regelbasierte Planung von Investitionen, Entwicklungen und Wachstum wird unmöglich.

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Complexity (Komplexität) Die Welt ist komplexer denn je. Was ist die Ursache? Was die Wirkung? Probleme und deren Auswirkungen werden vielschichtiger und schwerer zu verstehen. Es vermischen sich die verschiedenen Ebenen und machen Zusammenhänge unübersichtlicher. Entscheidungen werden zu einem nicht mehr steuerbaren Geflecht aus Reaktion und Gegenreaktion. Die Entscheidung für den einen richtigen Weg ist nicht mehr möglich, gibt es nicht mehr. Immer mehr Themen, Fakten, Prozesse, Einheiten sind miteinander vernetzt – offensichtlich, indirekt oder neu – und interagieren nach eigenen Regeln oder spontan. Es gibt immer mehr Zukunftsthemen und Technologien, die wir heute angehen oder entwickeln müssen, ohne ein klares Bild von der Ziellösung zu haben. Nehmen wir nur das Beispiel des autonomen Fahrens. Unter Komplexität verstehen wir „Zusammenhänge, an denen ein irreduzibles Wechselspiel von Komponenten sowie eine in die Zukunft hinein offene und damit ungewisse Dynamik beobachtbar werden kann [...]“ (Rucker 2012). Im Gegensatz zu einfachen oder komplizierten Sachverhalten sind in komplexen Zusammenhängen die Regeln zur ­Problemlösung prinzipiell nicht bekannt – und können es aufgrund ihrer Veränderungsdynamik auch nicht sein. Ambiguity (Ambiguität, Mehrdeutigkeit) „One fits all“ und Planungen allein auf Basis von Vergangenheitswerten war gestern – selten ist heute etwas ganz eindeutig oder ganz exakt bestimmbar. Nicht nur schwarz und weiß, sondern auch bunt ist eine Option. Die Anforderungen an Organisation und Führung als auch Forschung und Entwicklung von heute sind widersprüchlicher denn je und stellen das persönliche Wertesystem komplett auf die Probe. Entscheidungen fordern Fokus, Mut, Bewusstheit und Experimentierfreudigkeit. Die Lotsen in den bewegten digitalen VUCA-Zeiten sind die eigenen Werte; jene Werte/Mindsets und Firmenkulturen, die wir in unseren Organisationen und Firmen haben und entwickeln. Genau das sind die sich ständig ändernden Parameter. Ein Widerspruch? Wir wissen aus Erfahrung, dass zu viele Variablen einer Formel, auch Lebensformel oder Arbeitsweltformel, zunächst kompliziert sind und mit noch mehr Variablen komplex werden. Daher müssen in unserer Formel für den Enterprise Transformation Cycle (ETC) Konstanten eingebaut werden, die dann einer Organisation oder einer Firma Stabilität und Kontinuität geben – und das als Selbstschutz vor Ziellosigkeit und Chaos. Mit 3–50 Mitarbeitenden ist alles noch freihändig machbar und managebar. Aber dann? Das absolut Beeindruckende ist, dass heute Best Practices und bewährte Vorgehensweisen in unseren Konzeptionen, Modellen und Frameworks Einzug gehalten haben. Die Ergebnisse der Wissenschaft sind notwendig, um als stützende Pfeiler und zum Teil auch als Augenöffner Impulse und Halt zu geben. Jedoch sollte die Wissenschaft niemals ein Korsett auferlegen – denn dies würde die natürliche Evolution behindern. Allzu oft kann in der Praxis erlebt werden, dass nur das „wissenschaftlich Erwiesene“ für gut angesehen wurde, was die wirtschaftliche Entwicklung als auch die gesellschaftliche Entwicklung mehr als ausgebremst hat. Die bereits beschriebene VUCA-Welt, die alle Menschen um-

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gibt, lässt sich nicht mehr aufhalten, daher müssen viele Themengebiete angegangen und neu definiert werden. Es muss experimentiert werden, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Menschen, Firmen (als Teil des wirtschaftlichen Universums) und die Gesellschaft müssen sich in einen kontinuierlichen Lernzyklus begeben. Das bedeutet, dass die relativ starren Formeln für Organisationsentwicklung, Führung, Teamzusammenstellungen und Vorgehensweisen – um nur einige zu nennen – infrage gestellt werden müssen; und dies aufgrund sich verändernder Technik, der Globalisierung (7 x 24 h), neuer Erkenntnisse aus den Lern-Loops und Best Practices, die nun in Frameworks gegossen verfügbar und einsetzbar gemacht werden. Zuerst als Richtschnur und Impulsgeber um dann nach ca. 6–9 Monaten Lern- und Übungszeit den firmeneigenen Weg zu finden, ihn zu gehen und immer wieder in und durch Lern-Loops in Frage zu stellen, zu justieren bzw. neu auszurichten. Nicht als starres Gebilde oder starre Formel, sondern mit Prinzipien und Regeln die sich in vielen Organisationen und Firmen bewährt haben. Das stellt einen Paradigmenwechsel dar. Die Prinzipien und Regeln dienen als Fundament für den Umbau oder Neubau einer Firma/Organisation. Die Ausformulierungen und Definitionen im Fundament sind firmen- bzw. organisationsbezogen herauszuarbeiten. In der Praxis wurde mehrfach bewiesen, daß der Kern bzw. der Nukleus für alle Organisationen, Firmen und Branchen der gleiche ist: cc

jedoch – und das ist das Neue daran – nicht als starres Gebilde oder starre Formel, sondern mit Prinzipien und Regeln, die sich bewährt haben und als Fundament für den Umbau oder Neubau einer Firma/Organisation dienen können.

Die Ausformulierungen und Definitionen im Fundament sind firmen- bzw. organisationsbezogen – jedoch, und das ist fundamental, der Kern bzw. der Nukleus ist für alle Organisationen, Firmen und Branchen der gleiche: Das Agile Manifesto – formuliert aus Sicht der Software Branche, umformuliert auf die Branche/den Firmenzweck Das House of Lean – Empfehlung der Autorin; wie im Scaled Agile Framework (SAFe – Agil & Lean für große Unternehmen) reduziert auf das Wesentliche, abgeleitet aus dem Best Practice der Toyota-Prinzipien Der End-to-End-Ansatz – der Kunde steht im Mittelpunkt des End-to-End-Ansatzes, der Mehrwert und Nutzen für den Kunden schafft Die Frameworks und Modelle dienen als Templates, BestPractices und Basis-Definitionen in einer Sprache starten zu können. Das Template ist kein Gesetz und keine Norm. Es dient als erster Rahmen, um zu üben und ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln und um die gleiche Sprache zu sprechen. Keine Firma und keine Organisation gleicht der anderen. Jede Firma/Organisation hat ihre einzigartigen Mitarbeitenden, die die firmenspezifische Konstruktion zum Leben erwecken und sie zu dem machen, was sie heute und morgen sein wird. Abb. 5.1 zeigt das House of Lean, wie es im Rahmen des Frameworks SAFe Scaled Agile Framework ver-

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Abb. 5.1  House of Lean. (Quelle: Eigene Darstellung 2019 in Anlehnung an Scaled Agile Inc. 2019)

Flow konnuierlich – iterav in hoher Qualität

Innovaon Freiraum für Innovaon

Respect for people and culture

Relentless Improvement Lern-Loops

Value / Mehrwert

Leadership / Führung

standen wird. Genau diese sechs Hauptelemente haben sich auch in den Unternehmungen als die Fundamentelemente erwiesen. Den anderen Teil des Fundaments stellt das Agile Manifest dar (siehe Abb. 5.2 in eigener Übersetzung). Das Agile Manifesto, das 2001 im Rahmen einer Konferenz in Utah herausgegeben wurde, muss auf die organisationsspezifischen Ausprägungen angepasst werden und kann dann gemeinsam mit dem House of Lean als Fundament dienen. Mit der Erkenntnis des von der Autorin sehr geschätzten Albert Einsteins – „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“ (Albert Einstein, zitiert nach Zitate-online 2019) – wird in den nächsten Kapiteln übergegangen zu den Feststellungen und Erkenntnissen aus zehn Jahren Begleitung von hybriden Projekten und Transformationen unter Einsatz von Scrum, Kanban, LeSS und SAFe.

5.2

 akten und Momentaufnahmen zur Verortung der F momentan eingesetzten Frameworks, Methoden, Zeremonien und Vorgehensweisen

Als Einstieg dienen zunächst Zahlen, Daten und Fakten aus dem 13. Anual State of Agile Report (2019), der uns aktuelle Einblicke in die agile Welt gestattet, um einen gemeinsamen aktuellen Überblick zu erhalten. In den Empfehlungen aus dem 13. Anual State of Agile Report werden drei Schlüsselfaktoren für den Erfolg genannt: Internal Agile Coaches, Executive Sponsorship und Company Provided Training Programs (siehe Abb. 5.3). Die in Abb. 5.3 genannten Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen der Autorin. Alle drei Punkte sind wichtige Erfolgsfaktoren. Leider ist allzu oft zu beobachten, dass an der erfahrenen Expertin/dem erfahrenen Experten, dem Agile Coach, gespart wird. Das ist sehr schade, da es unbedingt jemanden benötigt, der/die erinnert, Dinge immer wieder thematisiert und wiederholt, übt, vorwärtstreibt und dies mit hoher Fachexpertise und Erfahrung im agilen Umfeld.

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1. Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kon nuierliche Auslieferung wertvoller Soware zufrieden zu stellen. 2. Heiße Anforderungsänderungen selbst spät in der Entwicklung willkommen. Agile Prozesse nutzen Veränderungen zum Webewerbsvorteil des Kunden. 3. Liefere funk onierende Soware regelmäßig innerhalb weniger Wochen oder Monate und bevorzuge dabei die kürzere Zeitspanne. 4. Fachexperten und Entwickler müssen während des Projektes täglich zusammenarbeiten. 5. Errichte Projekte rund um mo vierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benö gen und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen. 6. Die effizienteste und effek vste Methode, Informa onen an und innerhalb eines Entwicklungsteam zu übermieln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht. 7. Funk onierende Soware ist das wich gste Fortschrismaß. 8. Agile Prozesse fördern nachhal ge Entwicklung. Die Auraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können. 9. Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität. 10. Einfachheit —die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren —ist essenziell. 11. Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams. 12. In regelmäßigen Abständen reflek ert das Team, wie es effek ver werden kann und passt sein Verhalten entsprechend an.

Abb. 5.2 Das Agile Manifest auf Deutsch. (Quelle: Maier 2018; eigene Darstellung 2018 auf Basis der englischen Version des Agile Manifestos 2001)

Abb. 5.3  Die drei wichtigsten Schlüsselfaktoren für den Erfolg von agilen Frameworks und Methoden in skalierten Umgebungen. (Quelle: CollabnetVersionOne 2019)

Interessant sind ebenfalls die in 2018 eingesetzten agilen Techniken und Zeremonien. Diese werden in Abb. 5.4 dargestellt. Es stellt sich nun die Frage, wie der Erfolg in agilen Projekten und Initiativen gemessen wird. Aufschluss darüber gibt uns Abb. 5.5 in ausführlicher Form. Die aufgeführten Metriken geben jedem Projektmanager und jedem Scrum Master Hinweise auf weitere interessante Metriken. Die heutigen eingesetzten Projektmanagement-­ Unterstützungstools geben dazu meist wenig bis keine Hilfestellung (siehe Abb. 5.6).

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Abb. 5.4  Agile Techniken und Zeremonien im Einsatz. (Quelle: CollabnetVersionOne 2019 – Stateofagile.com – 13th Anual State of Agile report, May 2019)

Abb. 5.5  Metriken zur Messung des Erfolgs in agilen Projekten. (Quelle: CollabnetVersionOne 2019 – Stateofagile.com – 13th Anual State of Agile report, May 2019)

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Abb. 5.6 Agile Projektmanagement-­ Unterstützungstools. (Quelle: CollabnetVersionOne 2019 – Stateofagile.com – 13th Anual State of Agile report, May 2019)

Der 13. Anual State of Agile Report geht sogar noch einen Schritt weiter in seinen Erhebungen. Er erfasst auch die empfohlenen Projektmanagementtools wie in Abb. 5.7 dargestellt.

5.3

 ermeidbare Fehler auf dem Weg zur Agil & Lean V aufgestellten Organisation

Im Laufe der Jahre haben sich, unabhängig von der Branche, im Prozess der Transformation hin zur agilen Unternehmung folgende sieben neuralgische Themenfelder herauskristallisiert. . das gewählte Framework als streng zu befolgende Norm zu verstehen und anzuwenden; 1 2. das agile Mindset zu vernachlässigen oder sogar gar nicht einzuführen; 3. alles (neues Framework, agile Elemente etc.) auf einmal einführen zu wollen, ohne die Menschen abzuholen und im Veränderungsprozess zu begleiten; 4. bei der Einführung von LeSS oder SAFe allein den Top-down-Ansatz zu wählen; 5. Tools und Projektmanagementwerkzeuge einzuführen, ohne auf firmenspezifische Begriffsdefinitionen und Prägungen achtzugeben; 6. zögerliches „Agil & Lean“ nur als Worthülse zu verwenden, um der Unternehmung einen innovativen und modernen Anschein zu geben;

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Abb. 5.7  Empfohlene Projektmanagementtools. (Quelle: CollabnetVersionOne 2019  – Stateofagile.com – 13th Anual State of Agile report, May 2019)

7. Führung zu unterschätzen, sie nicht zum Leadership zu ändern und somit zum absoluten Blocker werden zu lassen.

5.3.1 T  hema 1: Das gewählte Framework als streng zu befolgenden Blueprint nehmen und Teams in ihrer Entwicklung behindern Wenn im Arbeitsalltag einer Firma die Mitarbeiter bei der Arbeit mit etwas Neuem konfrontiert werden, wird häufig zuerst nach einem Rezept gesucht, das befolgt werden kann, um ja keine bis wenige Fehler zu machen.

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Beim Einführen von Agil & Lean mit LeSS oder SAFe oder einem anderen skalierbaren Framework muss der erste Fokus auf dem Vorhandensein von Agilität bei den Mitarbeitern als auch [NEU] in der Organisation liegen. Das Fundament muss stimmen und vorhanden sein. Das „Mindset“ muss bekannt sein (Trainings und stetes daran Arbeiten) und immer wieder geübt werden. Nur dann wird es in die tägliche Arbeit als selbstverständlich übergehen. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept. Unser Ziel ist es, dass viele Teams mit mehr als zehn Mitgliedern an einem Strang ziehen. Unser Ziel ist es, daß Teams mit maximal 10 Teammitgliedern an einem Strang ziehen. Sobald ein Team aus mehr mehr als 9 Mitgliedern besteht, steigt der Kommunikationsaufwand überproportional an. Viele Projekte zeigen unabhängig von der Branche, dass Teams ohne fundamentale (verinnerlichte) Agilität und ohne das Fundament der agilen Werte keinen Nutzen aus der agilen Skalierung ziehen werden.

5.3.2 T  hema 2: Das agile Mindset vernachlässigen oder gar nicht einführen Im Herzen der Agilität steht das besondere Mindset. Wir finden die Basiswerte als auch die agilen Prinzipien im Agilen Manifesto in Form einer Zusammenfassung. Daraus können die Basiswerte abgeleitet und zugleich erlebt, geübt und verinnerlicht werden, wie diese in den Alltag eingebaut werden können. Da die Basiswerte für das Gelingen der Skalierung ein absolutes Muss sind, werden sie im Folgenden aufgezeigt. Die Reihenfolge ist willkürlich und ohne Wertung: • In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver arbeiten kann, um dann sein Verhalten/ Vorgehen anzupassen. • Sehr gute Produkte, Architekturen, Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams. Selbstorganisiert ist gemeint im Sinne von: Wir haben ein attraktives gemeinsames Ziel und eine klare Aufgabenverantwortung. Wir erreichen unsere Ziele gemeinsam. Gemeinsam verpflichten wir uns dazu und sind auch dafür gemeinsam verantwortlich. Der Product Owner (PO) gibt Ziele und Prioritäten vor und der Scrum Master (SM) unterstützt bei der Abarbeitung durch die Moderation regelmäßiger Zeremonien/Events, Artefakte mit Sprint Revue, Sprint Retro, Daily, Backlog Refinement. Er beseitigt Hindernisse zusammen mit dem PO und der Linienverantwortlichen, die uns als Team behindern. Selbstbestimmte Aufgabenverteilung und Durchführung im Sinne eines selbständigen Ziehens der Aufgaben und Tasks im Gegensatz zum üblichen „zuweisen“ von Aufgaben. Es ist klar, was mit welcher Qualität geliefert werden soll (Acceptance Criteria, Definition of Done, etc.). Höherer Abstimmungsbedarf gilt als klassisch, jedoch optimale Nutzung der Fähigkeiten und der Motivation eines jeden Teammitglieds. • Einfachheit. Die Menge nicht getaner Arbeit. Konkret würde dies bedeuten: Es werden die relevanten zehn Tests im Entwicklungskontext des autonomen Fahrens und nicht alle vorgeschlagenen 105 durchgeführt.

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• Es muss ein ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design in Verbindung mit Plan-Do-Check-Adjust gelegt werden. Inkludiert ist immer hohe Qualität. • Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung bei gleichmäßigem Tempo auf unbestimmte Zeit. • Das wichtigste Fortschrittsmaß sind ein funktionierendes Produkt, Service, Hardware, Software usw. • Informationsaustausch sollte, wann immer möglich, von Angesicht zu Angesicht, also persönlich sein. Diese Methode ist effektiv und effizient für Informationen an und innerhalb der Teams sowie ebenfalls für gemeinsame Weiterentwicklungen. • Motivierte Mitarbeitende sind keine Selbstverständlichkeit. Daran muss kontinuierlich gearbeitet werden. • Vertrauen in das Team, dass sie die übertragenen Aufgaben hervorragend erledigen und dass die Teams ihre Ziele erreichen. • Optimales Arbeitsumfeld, damit sich die Mitarbeitenden wohl fühlen. Dies beinhaltet dierichtigen Räumlichkeiten, höhenverstellbarer Tisch, keine Maschinengeräusche die stören, die richtigen Werkzeuge und funktionierende Werkzeuge, die beispielsweise den Entwicklungsvorgang positiv unterstützen • Optimale Unterstützung, dass sie ihre Arbeit in den zugesagten Zeitframes erledigen können. • Tägliche und enge Zusammenarbeit zwischen Kunde, Teams und Fachexperten • Es sollten funktionierende Lösungen zu den Anforderungen geliefert werden. Dies können sein: Software, Hardware, Dienstleistungslösungen und anderes. Nicht innerhalb Monate und Jahre, sondern innerhalb weniger Stunden, Tage oder Wochen sollen diese Lösungen geliefert werden. • Anforderungsänderungen sind willkommen, denn agile Prozesse nutzen Veränderungen zum Wettbewerbsvorteil des Kunden. Durch das iterative Vorgehen sind Änderungen nahezu jederzeit integrierbar. Wenn die Basiswerte gelegt und verinnerlicht sind, dann muss im nächsten Schritt das Team im Flow arbeiten. Um dorthin zu gelangen, durchläuft jedes Team bei der Teamneubildung oder Teamveränderung immer alle Teamentwicklungsphasen aufs Neue. Die fünf Teamentwicklungsphasen nach Tuckman (1965) haben nach wie vor ihre Wichtigkeit und Richtigkeit und spielen in der agilen und leanen Organisation eine sehr wichtige Rolle. 1 . Forming (die Findungsphase) 2. Storming (die Konfliktphase) 3. Norming (die Regelungsphase) 4. Performing (die Leistungsphase) 5. (Adjourning [die Auflösungsphase]  – ist für Projekte oder zeitlich befristete Programme notwendig). Diese Phasen werden mit allen Teammitgliedern durchlaufen. In diesem Thema liegen gleich zwei Fallen versteckt: zum einen die Unterschätzung der Wichtigkeit der Teament-

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wicklung und zum anderen die Unterschätzung der Auswirkung die Teammitgliederanzahl dauernd nach oben und später wieder nach unten zu korrigieren. Dies bedeutet, permanent neue Mitglieder aufzunehmen, einzuarbeiten, aneinander zu gewöhnen und einen vertrauensvollen Umgang miteinander zu entwickeln. Zudem bedeutet dies zunächst auch Leistungsreduzierung, wenn sich die Teamzusammensetzung ändert und sich die „Übriggebliebenen“ in neuer Konstellation aneinander gewöhnen müssen und wieder alle Teamentwicklungsphasen durchlaufen. Teamentwicklung ist bei den empfohlenen Rollen, die es im Agil & Lean plus Kunde gibt, ganz klar beim erfahrenen Scrum Master angesiedelt. Der disziplinarische (Linien-) Vorgesetzte muss sich hier eng mit dem Scrum Master abstimmen. Dies passt häufig jedoch nicht in große Organisationen, da sie sehr hierarchisch organisiert sind. Wenn hier keine Klarheit herrscht für den Scrum Master, dann wurde bereits die erste schmerzliche Erfahrung gemacht. Welcher Nutzen geht dabei verloren? Motivation und Teamspirit gehen beim Teammitglied verloren, da er oder sie unsicher wird, mit was er zu wem bei persönlichen Belangen gehen kann. Unzufriedenheit kehrt ein, wenn der Linienvorgesetze das Team und den Mitarbeiter kaum kennt, aber die Leistung beurteilen soll. Dann sind Konflikte zwischen Scrum Master und Linie vorgezeichnet. Da es ohne Klarheit und klare Rollenverantwortlichkeiten gehäuft Missverständnisse, Konflikte und Demotivation gibt, ist dieses Antipattern früh zu lösen. In einem nächsten Schritt muss man dann das Belohnungssystem angehen. Heute wird in den vielen Organisationen die Einzelperson allein belohnt, in agilen Organisationen muss sukzessive der Teamerfolg mehr belohnt werden. Zugegeben – eine echte Challenge, aber sehr gut lösbar. Was läuft da falsch? In einem konkreten Beispiel blieb die Teamentwicklungsarbeit einfach liegen, da immer noch die Linienverantwortlichen die Mitarbeitergespräche führten und auch beispielsweise Weiterbildungen/Weiterentwicklungen festgelegt wurden, ohne dies mit dem Scrum Master abzustimmen. Der Scrum Master traute sich nicht, eine Abstimmung herbeizuführen, die Kommunikationshäufigkeit innerhalb dem Führungsteam (SM – Linie – PO) war zu schwach ausgeprägt. Es müssen regelmäßig Abstimmgespräche zwischen Scrum Master und Linie stattfinden, wie das Team zu stärken ist, welche Skills fehlen und wie jeder Einzelne weiterentwickelt werden kann. Oder im Team treten Konflikte zwischen Mitgliedern auf, die das Team einfach noch nicht selbstorgansiert lösen kann. Wer, der Scrum Master oder die Linie, wird ins Vertrauen gezogen? Bei Unklarheit niemand. Der Konflikt wird verschleppt. Die Performance des Teams sinkt. Die Gesamtmotivation des Teams sinkt ebenfalls. Wenn wir für Klarheit sorgen, haben wir ganz klar folgenden Nutzen: • Zufriedenheit bei jedem einzelnen Teammitglied • Klarheit der Rollen und Verantwortlichkeiten bei SM und Linie

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• Reduktion des Konfliktpotenzials und der Unzufriedenheit • Höhere Motivation bei allen Beteiligten • Wachsendes Vertrauen; Mitglieder fühlen sich gut aufgehoben in den Teams; gegenseitiges Vertrauen steigt durch Klarheit der Zuständigkeiten, Klarheit der Ansprechpartner und durch „sich um das Teammitglied kümmern“ Betriebswirtschaftlich betrachtet wird durch ein so geartetes Problem, „das Warten auf irgendetwas“, zunehmen und somit auch das „Cost of Delay“ ansteigen. Das Zusammenspiel, der Flow im Team, wird unterbrochen. Eine weitere Falle steht schon bereit, wenn in Teams eine hohe Fluktuation herrscht. Was hat eine hohe Fluktuation mit der Teamperformance zu tun? Jede Lücke, die ins Team gerissen wird, muss durch einen neuen Mitarbeiter (manchmal auch zwei) geschlossen werden. Zum Start eines neuen Teams als auch bei jedem neuen Mitglied werden alle fünf Teamentwicklungsphasen von jedem Mitglied und dem Team durchlaufen. Dieser Effekt lässt sich national als auch international beobachten: Die Teamperformance sinkt, der Flow des Teams wird unterbrochen. Hier muss der Scrum Master zusammen mit dem Team dringend die Ursachen herausfinden. Diese waren in diesem häufig vorkommenden Szenario in der Praxis sehr unterschiedlich. • Fehlende Klarheit im Setting, Demotivation oder gar Streit sind die Folge. • Überforderung der Teammitglieder durch extrem viele Zukunftsentwicklungen, fehlendes Handwerkszeug, Reference Stories, Vorgehensmodelle, Austausch-Communities, um hoch motiviert Zukunftsthemen anzugehen • Zuviel Änderung aufseiten des (internen und externen) Kunden, die vom PO bzw. Produktmanagement angenommen werden und fortlaufend das bisher Entwickelte ad absurdum führt: „Mal wieder für die Tonne gearbeitet!“ Wenn dies in sehr kurzen Abständen oft passiert, ist jedes Team und auch jedes Teammitglied (unabhängig davon, wie erfahren) damit absolut überfordert. • Demotivation des Teammitglieds, hervorgerufen durch Zuweisung von „Dienst nach Vorschrift“ und durch Mitarbeiter, insbesondere in großen Unternehmen, mit dem er/sie womöglich noch eng zusammenarbeiten muss. Ganz schwerwiegend negativ sind die Auswirkungen, wenn dienst nach Vorschrift Mitarbeitende dem Team zugewiesen werden und mit dem agilen Mindset und der Selbstorganisation nicht klar kommen. Ganz klare Empfehlung: Die „Dienst-nach-Vorschrift“-Mitarbeitenden rausnehmen und in klassischen Projekten einsetzen. Diese Personen langsam entwickeln (agiles Mindset, das Team bringt die Leistung und nicht die Einzelkämpfer usw.). Erst später in ein erfahrenes und funktionierendes agiles Team geben und sehen, ob eine Integration möglich ist. Eine weitere sehr häufige Falle ist, wenn zu viele Teammitglieder mehreren Teams mit wenigen Kapazitäten (Prozent) zugeordnet sind. Der Aufwand der Betreuung ist für den SM und den PO die gleiche, unabhängig von der Prozentzahl. Wenn den Teams mehr Köpfe zugeordnet werden, um auf eine sinnvolle Gesamtprozentzahl zu gelangen, dann

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steigt der Kommunikationsaufwand um ein Vielfaches. Entscheidend ist hier die Anzahl der Individuen/der Köpfe und nicht die zur Verfügung stehende Kapazität. „Die Wanderer“ fühlen sich auch nirgends richtig zugehörig, sind eher nicht voll motiviert, die Kontinuität fehlt bei ihnen und sie fühlen sich auch (eher) nicht für das Teamergebnis verantwortlich. Sie befinden sich „gefühlt“ nur in Planungsmeetings. Ebenfalls müssen sich Personen in jedem Team neu eindenken und können daher nie in ihren persönlichen Flow kommen, geschweige denn in den Teamflow voll einsteigen. Dazu muss täglich miteinander gearbeitet werden. Die Praxis zeigt, daß jedes Team gut dait beraten ist, dieses Know-how sukzessive aufzubauen und ein festes Teammitglied zu ermöglichen. Absolut rare Expertise, wenn möglich, als Liefer-Aufgabenpaket von Extern bzw. außerhalb des Teams zu definieren, um dem Team die Chance zu geben, in seinen Flow zu gelangen. Der Mitarbeitende mit Spezialexpertise verbringt seine Zeit nicht mehr hauptsächlich in den diversen Planungsmeetings der vielen Teams, sondern kann fokussiert Leistung liefern und somit ein Mehrwert für die Teamergebnisse als auch für den Kunden sein.

5.3.3 Thema 3: Alles auf einmal Veränderung ist ein Prozess. Agil zu arbeiten benötigt Klarheit, Fokus und Werte. Es benötigt ein agiles Fundament: das agile Mindset. Durch das „Leben“ der Prinzipien entwickeln sich Transparenz, Offenheit, kontinuierliche Lern-Loops sowie das Arbeiten in Iterationen mit einer maximalen Länge von drei Monaten. Wer ein neues Framework auf einmal einführen möchte, läuft Gefahr, die Mitarbeitenden als auch die Führungskräfte zu überfordern. Keine Gewöhnungs- und Lernzeit zu geben, den Führungskräften keine Lernsequenz in Richtung Servant Leader zu gestatten, führt zu nicht Verstehen und nicht Dahinterstehen. Ablehnung, wenn nicht sogar Sabotage der Vorhaben ist die Folge. Aus Unsicherheit fällt die Führungskraft wieder in das alte Führungsbild von Control und Command zurück. Das gleiche gilt auch für die Teammitglieder, insbesondere wenn sie unter Druck geraten. Was läuft falsch? In München gab es eine Firma, die die gesamte Organisation auf Befehl des obersten Managements zum 14.01.18 auf Agil und auf das SAFe-Framework umstellen wollte. Im Winter hatten sie weder Trainings geplant noch agile Coaches oder Change Agents in­stalliert. Das Ende des konkreten Falles: Der Start ging daneben, die Mitarbeiter und das Management waren überfordert. Um das Chaos zu vermeiden, gab man sich agil, führte Teamzeremonien ein, jedoch ohne die Vorteile auszuschöpfen. Ansonsten arbeiteten alle wie bisher weiter. So, wie sie nun aufgestellt sind, braucht diese Organisation erheblich länger, um eine Offenheit gegenüber dem agilen Mindset, den agilen Zeremonien und Vorgehensmodellen wiederherzustellen und sich in den aktiven Veränderungsprozess zu begeben. Was tun, wenn eine Organisation beschließt, Agil & Lean zu werden und den Kunden noch mehr wie bisher in den Mittelpunkt zu stellen?

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Zuerst sollte ein „Einführungs-Zeitplan“ erstellt und in geplanten Schritten vorgegangen werden. Trainings und Value Streams sollten identifiziert, ein Implementierungsplan erstellt und weitere Trainings sowie alle Vorbereitungen für ein Program-Inkrement(PI)-Planning durchgeführt und vorbereitet werden. Positiv eingestellte Mitarbeiter müssen ausgesucht und in interdisziplinär zusammengestellte Teams platziert werden. Ein Projekt oder ein Programm, das komplex ist, einen agilen und iterativen Ansatz unabdinglich braucht weil es zum Teil unbekannte, sich noch ändernde oder unklare Anforderungen hat. Dort kann ein erfolgreicher Pilot gestartet werden, wo noch an firmenspezifische Unebenheiten und Herausforderungen gelernt werden kann, um dann Schritt für Schritt einen ART (Agile Release Train – aus SAFe) nach dem anderen zu launchen. Immer mit entsprechendem Vorlauf. Spätestens nach dem dritten PI-Planning ist der ART (mit vielen Teams) richtig am Laufen und viele Lern-Loops wurden gedreht. Die Vorgehensweise konnte nur grob dargestellt werden. Detaillierte Beschreibungen sind dem Scaled Agile Framework (SAFe) zu entnehmen. Wozu Quick Wins? Quick Wins müssen unbedingt eingebaut werden, da viele Menschen Neuem mit Vorsicht, wenn nicht sogar mit Ablehnung begegnen. Es gilt das agile Mindset zu üben und zu verinnerlichen und in den Arbeitsalltag einfließen zu lassen. Dafür brauchen sie ein „ernsthaftes“ Übungsfeld und immer wieder Erfolgserlebnisse.

5.3.4 T  hema 4: Bei der Einführung von LeSS oder SAFe den Top-­down-Ansatz wählen Beim „Überstülpen“ werden gleichzeitig Mauern gebaut. Im agilen Umfeld kommt eher der Bottom-up-Ansatz zum Tragen, da die Teams das Produkt, den Service, die Dienstleistung entwickeln. Ohne ein klares Kommittent und Unterstützung des Managements für den Wandel geht es jedoch auch nicht. Die Teams kommen auch nicht zum Fliegen, da sie permanent vom alt geprägten Management ausgebremst werden; oft auch aus Überlebensangst. Dies geschieht in vielfältiger Form: • Entscheidungen werden nicht ins Team delegiert, obwohl dort die umfassend informierten Experten sitzen. • Die neuen Rollen des Scrum Masters, Product Owners, Produktverantwortlichen und Business Owners können nicht klar gelebt werden, da die Führung/Linie stehen bleibt und sich nicht mitverändert. Grabenkämpfe, verunsicherte Teams, fehlende Transparenz, fehlendes Vertrauen und mangelnde Motivation und Teamspirit sind die Folge. Als Folge daraus entstehen extrem hohe Wartezeiten auf Entscheidungen, Behebung von Hindernissen, etc. • Die formalen Events, Zeremonien, Rollen und Kommunikationsströme werden eingeführt und mehr oder weniger eingehalten. Die vielen Vorteile von Agil & Lean gehen in

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den alten Methoden und klassischen Projekten unter, es erfolgt keine Verkürzung der Time-to-Market und keine höhere Motivation der Mitarbeiter, keine „build-in quality“ im Produkt, sondern die alten, nachträglich aufgesetzten Qualitätsaktivitäten. Eine Erhöhung der Produktivität bleibt ebenfalls aus.

5.3.5 T  hema 5: Tools und Projektmanagementwerkzeuge einführen, ohne auf firmenspezifische Begriffsdefinitionen und Prägungen zu achten Dieser Aspekt und diese Themengebiet wurden bisher extrem unterschätzt. Warum verschenken wir Produktivität? Wir verschenken Produktivität, weil in vielen Organisationen zu wenig Wert auf ein Basis-­Set an Tools gelegt wird. Es wird z. T. nicht zur Verfügung gestellt und betreut, es wird selbst entwickelt, aber nicht mehr weiterentwickelt, supportet und trainiert und es werden die unterschiedlichsten Tools selbst entwickelt (teuer und zeitkritisch). Die Spitze stellt Veränderungen am eigenen Tool-Code dar, obwohl diese Software auch von anderen benutzt und eingesetzt wird. Weder die Änderungen wurden dokumentiert noch die anderen Benutzer über die Veränderung informiert. Eine lange Fehlerkette entsteht so, die Produkte und Projektergebnisse werden verfälscht, falschen Erkenntnissen und Schlüssen wird Vorschub geleistet. Was läuft da falsch? In großen Organisationen muss es ein Systemteam geben, das sich um Tools und Standards kümmert. Beispielsweise gibt es in der Automobilindustrie auch noch eine Menge an Spezifikationen, Quasi-Standards und Normen, die es einzuhalten gilt. Wenn sich die Teammitarbeiter nicht auf ein Basis-Set an Funktionalität, Stabilität und Geschwindigkeit verlassen können, zieht dies die Produktivität und Schnelligkeit eines jeden Teams massiv herunter. Dies kann bis dahin gehen, dass die Teams ihre Business-Goal-Commitments nicht mehr halten können und ihre „Verlässlichkeit“ als ganzes Team rapide sinkt. Unter Umständen werden dadurch sogar die ART-Ziele und der ART-Zeitplan gefährdet. Das Einführen von einem Systemteam steigert die Produktivität, erleichtert den DevOps-­Ansatz extrem, fördert die automatisierte Durchführung von Tests und spart Kosten für alle Teams gleichzeitig.

5.3.6 T  hema 6: Zögerliches „Agil & Lean“ als Worthülse, um der Unternehmung einen modernen und innovativen Anschein zu geben Die Implementierung in der IT, im separaten Bereich R&D oder der Entwicklung findet oft statt. Dort zu starten ist gut, aber sonst nirgendwo weiterzumachen ist ein Fehler.

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Um eine Organisation und Firma für die Zukunft aufzustellen, bedarf es des Fundaments des agilen Mindsets und des House of Lean. Des Weiteren muss „der Kunde im Mittelpunkt“ neu gedacht werden im Sinne einer End-to-End-Betrachtung. Die Wertschöpfungsketten im agilen Ansatz, Value Streams genannt, werden End-to-End-definiert und von allen Mitarbeitenden „beliefert“; nicht nur von der IT und nicht nur vom Entwicklungsteam. Erst wenn agil quer durch die ganze Unternehmung gelebt wird und die Artefakte (Retrospective, Sprint Reviews, u. a.) und weitere agile Elemente gelebt werden, können sich alle Vorteile und der ganze Nutzen von Agil & Lean entfalten. Das bedeutet kein Aus für klassische Projekte. Im Gegenteil, es ist anzuraten, da, wo klare Anforderungen vorhanden sind, keine Komplexität vorhanden ist und die Anzahl der Mitwirkenden handhabbar ist, unbedingt klassisch vorzugehen. Das hat mit einer Methode zu tun. Das agile Mindset kommt auch klassischen Projekten sehr zugute, ebenfalls die cross-divisionalen Teams, die wir als Zauberformel mit dem größten Nutzen für die Organisation bezeichnen.

5.3.7 T  hema 7: Führung wird unterschätzt, ändert sich nicht zum Leadership und wird somit zum absoluten Blocker Die Führungskraft entscheidet ganz wesentlich über die Rahmenbedingungen, die es der Organisation ermöglichen zu agieren. Das Mehr an Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit verlangt von der Führungskraft als auch dem Unternehmen, sich neu justiert auszurichten und mit neuem Führungsverhalten unter veränderten Bedingungen für gute Ergebnisse zu sorgen. Die VUCA-Welt fordert jede Unternehmung und jede Person auf, den eigenen Weg zu finden und zu leben. Waltraud Gläser, Expertin für Leadership, fasste dies in mehreren Kundenveranstaltungen zum Thema „VUCA, Leadership und ihre Strategien“ folgendermaßen zusammen: Wichtig für einen Leader (w/m) sei es, eine Vision, ein Bild von der wünschenswerten Zukunft gemeinsam zu malen. Dies sei als Kompass und zur Orientierung zu verstehen, um Sinn zu stiften und Motivation auszulösen und um Identifikation und Wirkungskraft nach innen und außen zu bekommen. Understanding stehe dafür, Zusammenhänge zu verstehen und verstehbar zu machen, eingebettet in den firmeneigenen Kontext, sowie metastrategisch zu denken und zu planen. Um Zusammenhänge zu verstehen, sollen vom Ergebnis ausgehend Zusammenhänge abgeleitet und quasi rückwärts betrachtet werden. Eine besondere Herausforderung stellt sich dadurch, dass Angst und Widerstand in produktive Energie zu verwandeln ist. Clarity in der Bedeutung von Einfachheit und Fokus auf das, was zählt. Dies bedeutet, Vertrauen auszustrahlen und vorzuleben sowie transparente Zusammenhänge und Prozesse zu schaffen. Kraft sollte genau da eingesetzt werden, wo sich deren Wirkung am besten entfalten kann.

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Adaptility und Agility im Sinne von Anpassungsfähigkeit, Beweglichkeit und Lebendigkeit sind zu leben. Hierarchische Führungsmethoden sind zu hinterfragen. Eine konsequente Entscheidungs- und Fehlerkultur ist zu fördern. Transparenter Umgang mit Widersprüchen muss geübt und gelebt werden. Innovationen können ermöglicht werden durch das Schaffen von (geplanten) Freiräumen wie beispielsweise der nicht beplante 5. Sprint, der Innovation und Planning (SAFe) heißt. Waltraut Gläser fasst in einem Ihrer Vorträge diese Herausforderung hervorragend in einem Satz zusammen: „In der VUCA-Welt von heute bleiben weder Leadership noch Strategien in Organisationen verschont. Erfahrungen, Glaubenssätze und Paradigmen kommen auf den Prüfstand, da es nicht mehr den einen Weg oder das Führungsinstrument gibt. Individualität löst Standard ab.“

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Schlussbetrachtung

Um Organisationen und Unternehmungen erfolgreich in die kommenden Jahre zu führen und in diesem Prozess als Mitarbeiter fokussiert, erfolgreich und mit viel intrinsischer Motivation aktiv zu sein, bedarf es einer offenen und wertschätzenden Grundhaltung und das kontinuierliche Lernen. Allen Unternehmungen gleich ist das Fundament, bestehend aus dem House of Lean (in Anlehnung an das Toyota-Modell) und die Principles des Agilen Manifestos, angepasst an die Unternehmung und Organisation. Welche Methoden oder Best Practices eingesetzt werden oder ob skalierte Modelle oder Frameworks zum Einsatz kommen, entscheiden dann die Unternehmensgröße, die Mitarbeitenden und Führungskräfte in den verschiedenen Bereichen als auch das Produkt/ die Dienstleistung, die dem Kunden einen Mehrwert/Nutzen liefern soll. Nach dem Starten des Prozesses der digitalen Transformation bewegt sich das Unternehmen stetig im Rhythmus von Intervallen (Iterationen) vorwärts, positiv getrieben von immer wiederkehrenden Lern-Loops. Begleitet mit Führungskräften, die als Leader agieren, können die Teams so in den Flow kommen, was sie zum Abliefern einer kontinuierlich guten Arbeitsleistung befähigt.

Literatur Baker SR, Bloom N, Davis SJ (2019) Measuring economic policy uncertainty. www.PolicyUncertainty.com und https://www.youtube.com/watch?v=d1pWdH55mkk. Zugegriffen am 06.08.2019 Bell D (2019) Wissensgesellschaft als Idee des neuen Humanismus, von Verena Metze-Mangold, Deutsche UNESCO-Kommission, You-Tube Video, Laufzeit: 1:10 Stunden, siehe an der Stelle 6:30 Minuten, 8. Juni 2015. https://www.youtube.com/watch?v=d1pWdH55mkk. Zugegriffen am 06.08.2019 Bower JL, Christensen CM (1995) Disruptive technologies: catching the wave. Harv Bus Rev 1(2):43–53

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CollabnetVersionOne (2019) – Stateofagile.com – 13. Anual State of Agile report, May 2019 Enquete-Kommission (1998) Schlussbericht „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ zum Thema: Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft. Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/11004, Bundesdruckerei Bonn Mack O, Khare A, Krämer A, Bungartz T (2016) Managing in a VUCA world. Springer, Heidelberg Manifesto for agile Software Development (2001). https://agilemanifesto.org/. Zugegriffen am 04.08.2019 Rucker T (2012) Bildung und Perspektivität. Zum Problem der Bildung in modernen demokratischen Gesellschaften, unveröffentlicht. Universität Bern Scaled Agile Inc (2019) Lean-Agile Mindset. Scale Agile Inc. https://www.scaledagileframework. com/lean-agile-mindset/. Zugegriffen am 04.08.2019 Tuckman BW (1965) Developmental sequence in small groups. Psychol Bull 63(6):384–399. https:// doi.org/10.1037/h0022100. PMID 14314073. Zitate-Online (Hrsg) (2019) Einstein-Zitat. https://www.zitate-online.de/sprueche/wissenschaftler/265/probleme-kann-man-niemals-mit-derselben-denkweise.html. Zugegriffen am 04.08.2019

Iris Maier  M.Sc., ist Senior Agile Coach und Management Consultant bei der pentasys AG, München. Sie besitzt ein Diplom der Wirtschaftsinformatik (DH) und einen M.Sc. in Computer Sciences in Media. Heute begleitet und unterstützt sie Firmen der Automotive-, Banken- und Telekommunikationsbranche als erfahrener Agiler Coach. Sie ist Expertin für Agil & Lean im skalierten Umfeld für große Unternehmen. Als Fachexpertin in den Bereichen Telekommunikation und IT, Personenzertifizierung, hybrides Projektmanagement, Bildungsexpertin und erfahrener SAFe Agile Coach und Program Consultant ist sie seit mehr als 15 Jahren in Deutschland und der Schweiz als auch international aktiv. Sie ist Mitglied im Arbeitskreis eSciences Schweizer Hochschulen und engagiert sich u. a. als Dozentin und Trainerin im BITKOM, der Informatica feminale in Baden-Württemberg und als erfahrene Mentorin in der TCI Fokusgruppe „SAFe“.

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Agiles Management als Wegbereiter gelebter Compliance und besserer Corporate Governance Stefan Vieweg

Inhaltsverzeichnis 6.1  Compliance „built-in“ bislang bei Weitem nicht die Regel  6.2  Die Herausforderungen, Compliance zu verankern  6.3  Compliance ist keine „Geschäftsverhinderung“ oder „Nice to Have“  6.4  Compliance „built-in“ durch agiles Management  6.5  Schlussbetrachtung: Agiles Management (auch) als Ansatz für Compliance „built-in“  Literatur 

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Zusammenfassung

Dieser Beitrag zeigt auf, wie unter Berücksichtigung einer gelingenden Implementierung entlang des Enterprise Transformation Cycles (lean-)agiles Management auch das  zumeist von Häufigkeit und Schadensausmaß unterschätzte Problem der Non-­ Compliance deutlich verbessern kann. Compliance-Vorfälle sind trotz Megaskandale der letzten Dekaden nach wie vor erschreckend häufig  – auch bei bestpositionierten Führungsunternehmen. Dies lässt sich i. W. auf kognitive Unzulänglichkeiten und Opportunismus zurückführen, denen in einem (lean-)agilen Umfeld der Nährboden entzogen wird. Hintergrund ist beim agilen Organisations-Setup das Selbstverständnis aller Beteiligter und die auf Nachhaltigkeit und fortwährende Verbesserung ausgerichtete Organisationskultur. Hierdurch kann potenzielles Fehlverhalten frühzeitig in einer auf Vertrauenskultur basierenden, praktizierten Offenheit identifiziert und korrigiert werden. S. Vieweg (*) RFH-Köln, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_6

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6.1

S. Vieweg

Compliance „built-in“ bislang bei Weitem nicht die Regel

Eigentlich sollte die Einhaltung von Regeln zumindest in vermeintlich zivilisierten (westlichen) Industrienationen eine Selbstverständlichkeit sein. Nach den Megaskandalen der frühen Millenniumsjahre mit skandalösen Zusammenbrüchen nach Bilanzbetrügen von Enron, Worldcom und sogar einer der „Big 4“-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Arthur Anderson sowie den Bestechungsskandalen à la Siemens, die faktisch zwei Vorstandsvorsitzenden ihren Posten gekostet hat. Doch wenn man die fortwährende Berichterstattung der Wirtschaftspresse verfolgt, wird sehr schnell klar, dass es trotz der weit fortgeschrittenen, allumfänglichen Transparenz durch Big Data und „smarte“ Analytik keineswegs zu weniger Regelverstößen kommt, sondern dass über erschreckend häufige Verdachtsfälle oder direkte Regelverstöße selbst bei den renommiertesten Unternehmen informiert wird. Zu dem industrieübergreifenden „Who is Who“ gesellt sich auch die öffentliche Hand. Abb. 6.1 zeigt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Vorverurteilung – in Verdacht auf Compliance Verstöße im Zeitraum von Juli 2018 bis Juni 2019 aus der deutschen Wirtschaftspresse sehr deutlich, dass offensichtlich Regelverstöße sehr vielfältig sind, sowohl bezüglich des jeweiligen Regelverstoßes als auch in Bezug auf die Branche. Vermutete Compliance-­Verstöße treten demnach • in vielen Facetten, • bei Organisationen unterschiedlichster Größen und • in vielen Branchen auf, wobei die Finanzdienstleister in besonderem Maße betroffen scheinen. Entsprechend muss konstatiert werden, dass Compliance-Verstöße oder Verdacht solche nicht nur an einer spezifischen Konstellation abzuleiten sind, sondern eher grundsätzliches gesellschaftliches Problem zu sein scheinen, das nachfolgend näher trachtet wird. Der wirtschaftliche Schaden ist allerdings immens: So beliefen sich

auf ein bedie

Abb. 6.1  Compliance-Radar: Beispiele der in der Wirtschaftspresse veröffentlichten Berichte über Compliance-Verstöße oder Verdacht auf solche (kein Anspruch auf Vollständigkeit, keine Vorverurteilung). (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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verhängten Strafen im Bankenbereich seit der Finanzkrise bis 2018 ca. 345  Mrd. US$, davon ca. zwei Drittel in Nordamerika, ein Drittel in Europa. Das Bundeskartellamt verhängte bis August 2018 Bußgelder i. H. v. 272 Mio. €, bereits mehr als viermal so hohe Strafen wie im Gesamtjahr 2017 (BCG 2018). Obwohl eine Verdoppelung der Ausgaben für GRC (Governance, Risk & Compliance) weltweit in den nächsten Jahren zu erwarten ist, zeigen etliche Unternehmen bzgl. (personeller) Ressourcenausstattung eher Stagnation oder Rückbau. Als Beispiele sind hier auch Vorzeigeunternehmen aus dem DAX 30 zu nennen (Vieweg 2018a). cc GRC – Governance, Risk & Compliance: GRC stellt einen Rahmen für die nachhaltige Unternehmensentwicklung dar, in dem wesentliche nicht produktive Elemente der normativen, strategischen und operativen Unternehmensführung umfassend abgestimmt werden können. Hierzu zählen vor dem Kontext externer Vorgaben (Regulatorik), interner Regeln und Risikoappetit insbesondere die HOT-Aspekte: „H“-Human – z. B. personenbezogene Aspekte wie Mitarbeiter-Hard- und -Softskills; „O“-Organizational – z. B. Aufbau- und Ablauf-/Prozessorganisation; „T“-Technology – z. B. verwendete IT-Systeme. Gleichzeitig ist von einer Aufweichung der Compliance-Bedeutung in kritischen Unternehmensphasen auszugehen. Die Implementierung tatsächlich gelebter (im Gegensatz zur formal beteuerter) Compliance erfordert effektive und effiziente Ansätze. Der Frage, inwieweit gute Compliance tatsächlich in Unternehmen verankert ist, wird zum Beispiel im „Compliance on Board-Index“ (CoBI) wissenschaftlich nachgegangen. Beim CoBI werden insbesondere kapitalmarktorientierte Unternehmen aus dem DAX30 und MDAX bezüglich ihrer Ausgestaltung und gelebter Compliance untersucht (Vieweg 2018b). Grundlage hierfür ist die Selbstdarstellung der Unternehmen, wie sie z. B. im Internetauftritt und einschlägiger Berichterstattung (Geschäftsberichte, CSR-Berichterstattung, etc.) erfolgt. Es wird dabei unterschieden in strukturelle und operationalisierende Elemente. So kann etwa Struktur einen Rahmen geben, diese aber sehr schnell sinnentleert zu einer Art „Cargo-Cult“ (CNN 2019) führen, bei der zwar Riten „der Form halber“ praktiziert werden („Compliance – hab ich nichts mit zu tun, das macht doch unser Compli­ ance-Officer“), aber ohne dahinter liegendem Kontext (oder Verstand). Entsprechend drückt der Operationalisierungsgrad genau diesen Aspekt der tatsächlichen gelebten Compliance aus. Wie Abb. 6.2 zeigt gibt es selbst bei den deutschen Vorzeigeunternehmen des DAX 30 fortwährend einen erheblichen Nachholbedarf bei der Implementierung tatsächlich gelebter Compliance. MDAX-Unternehmen schneiden sogar noch schlechter in Bezug auf tatsächlich gelebte Compliance-Praxis ab. Während die formalen Strukturen (bspw. eine Ombudsperson, an die Verstöße gemeldet werden können) noch befriedigend einzustufen sind, so besteht ein erheblicher Nachholbedarf bei den tatsächlich gelebten, „sauberen“ Geschäftspraktiken. Und dies ist wiederum eine Frage der Unternehmenskultur  – oder genauer der Compliance-Kultur.

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S. Vieweg

Abb. 6.2  Compliance on Board Index für DAX- und MDAX-Unternehmen. (Quelle: Vieweg 2018b)

Man kann tatsächlich gelebte Compliance schlichtweg nicht verordnen. Allerdings kann durch eine gezielte Orchestrierung der Transformation  – entlang des Enterprise Transformation Cycles – genau das notwendige Umfeld geschaffen werden, das benötigt wird, um Compliance in Organisationen zu verankern. cc Der Enterprise Transformation Cycle (ETC) umfasst den Prozess einer Business-Transformation auf allen Ebenen der Unternehmensführung, angefangen von der normativen Ausrichtung (Envision), über die strategische Gestaltung (Engage) bis hin zu operativen Themenstellungen (Transform und Optimize) (Vieweg 2018c). Gute und nachhaltig ausgerichtete Unternehmensführung  – oder Corporate Governance – bedarf einer tatsächlich gelebten Compliance-Kultur. Diese wiederum kann durch Veränderungsmaßnahmen (Change) zielgerichtet verankert werden. Dieser Beitrag zeigt, dass ein auf dezentraler Verantwortung basierendes lean-agiles Management die gelebte Compliance in der Organisation verankert.

6.2

Die Herausforderungen, Compliance zu verankern

Das Thema Compliance ist aus unterschiedlichsten Gründen häufig nicht oberste Priorität, die letztlich darauf zurückführbar sind, dass es bei unternehmerischen Entscheidungen „menschelt“ und der vermeintlich rational handelnde Ökonom („homo oeconomicus“), der gleichwohl der Betriebswirtschaftslehre über das letzte Jahrhundert als Grundlage und Erklärungsmuster diverser (auch heute immer noch verwendeter!) Entscheidungsmodelle dient. Vielmehr sind in der Wirklichkeit kognitive Verzerrungen wie Selbstüberschätzung und Gruppendruck, emotional geleitete Extremreaktion zwischen Angst und Gier („Fear

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and Greed“, Bloomberg 2015), die Risikoasymmetrie („Prospect Theory“ nach Kahneman und Tversky 1979) oder auch schlichtweg der wertebefreite, persönlich motivierte Opportunismus entgegen den Interessen der Organisation. Kurzum: Ohne fundiertes, langfristig und nachhaltig orientiertes Selbstverständnis „zahlt“ sich ein Thema wie Compliance oder auch Risikomanagement im weiteren Sinne kaum aus, wenn es an Überzeugung, Wertekontext und intrinsischer Motivation fehlt.

6.2.1 C  ompliance Management System – notwendig, aber nicht hinreichend Das aus dem Compliance on Board Index CoBI sichtbare Phänomen, dass sich Organisationen mit Strukturen leichter tun als mit einer tatsächlichen, (intrinsisch) gelebten „Exzellenz“ ist nicht neu. Beispielsweise ist es bestens aus dem Qualitätsmanagement bekannt: Dort gibt es einschlägige Normen, gegen die Unternehmen sich auch zertifizieren lassen wie beispielsweise eine ISO 9001-Zertifizierung. Diese betrachtet zwar die Prozesse, nicht aber den tatsächlichen Output der Wertschöpfung, also der Produkte oder Dienstleistungen. Somit sind sie keineswegs Garant für tatsächliche Qualität, sondern vielmehr der Nachweis geübter Praktiken (s. Cargo-Cult, Abschn. 6.1). Eine ähnliche Situation gibt es nun auch im Bereich Compliance: Regelkonformes Handeln kann man nicht durch Verordnungen erzwingen. Ganz im Gegenteil, es werden die Betroffenen immer wieder Auswege und „Trampelpfade“ finden, die Regeln zu ­umgehen, solange sie nicht von sich heraus davon überzeugt sind, dass regelkonformes Handeln ihrem Werteverständnis entspricht und der eigenen Zielerreichung unmittel­ bar  dienlich ist. Doch wo stehen wir heute? Viele Unternehmen haben ComplianceManagement-­Strukturen – zumindest ansatzweise – aufgesetzt in Übereinstimmung mit einschlägigen Normen wie der ISO 19600 und/oder lassen sich nach dem Prüfungsstandard PS 980 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) ein Compliance-Management-System (CMS) zertifizieren. Zwar mögen diese Ansätze – ähnlich wie bei der Analogie Qualität  – grundsätzlich zielführend sein, aber es ist keineswegs erwiesen, dass ein CMS effektiv zur Vermeidung von Compliance-Verstößen führt. So zeigt sich beim Compliance on Board Index CoBI zum Beispiel kein direkter Zusammenhang zwischen ISO 19600bzw. IDW PS 980-zertifizierten Unternehmen und tatsächlich praktizierter Compliance.

6.2.2 Das Gegenteil von Compliance „built-in“ und seine Resultate Die Bedeutung des Themas Compliance sollte jeden Verantwortlichen aus mindestens zweierlei Gründen bewusst und für das operative Geschäft wesentlich sein: 1. Geschäftsführung und Aufsichtsgremien sind persönlich haftbar für die Etablierung eines geeigneten Risikomanagement- und Compliance-Systems. Der Nachweis eines effektiven Compliance-­ Systems hat unmittelbar strafmildernde Wirkung, wie das

116

S. Vieweg

BGH-Urteil vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16 wegweisend zeigt: Es schafft ein Anreizmodell – wie bereits seit längerem in Frankreich und Spanien gelebt und nun auch in Deutschland – dafür, ein effektives Compliance-System zu implementieren, welches strafmindernde Wirkung bei Compliance-Vorfällen haben kann. Das bedeutet, dass Transparenz in Sachen Compliance-Struktur und tatsächlicher Implementierung, wie sie zum Beispiel mit dem Compliance on Board Index (CoBI) nachgewiesen wird, sich im Fall der Fälle strafmindernd auswirken kann. 2. Die verhängten Strafen für die Unternehmen können verheerende Dimensionen annehmen: Allein im Finanzsektor betrugen die seit der Finanzkrise verhängten Strafen weit über 300 Mrd. US-Dollar – bisher! Diese Zahl verdeutlicht die Wucht, die Non-Compliance entfalten kann. Zudem kommen noch mittelbare Schäden durch Reputationsverlust nach außen wie auch nach innen, die meist von ähnlicher, wenn nicht sogar größerer Reichweite sind. Allerdings sind diese teilweise schwerer messbar, da die Kausalität von beispielsweise Verlust des Markenwertes nicht direkt nur auf eine Ursachen-Wirkung-Beziehung zurückgeführt werden kann. Wie kann nun eine gute, die Compliance befördernde Kultur im Unternehmen etabliert werden bei teilweise stagnierenden bzw. rückläufigen Compliance-Budgets?

6.3

 ompliance ist keine „Geschäftsverhinderung“ oder „Nice C to Have“

Es fängt beim Management an, hier mit gutem Beispiel – dem „Tone from the Top“ – voranzugehen. Doch allzu oft wird die Tragweite schon auf oberster Ebene unterschätzt, man ist aufgrund anderer strategischer oder operativer Themen nicht wirklich an Compliance interessiert oder gar aufgrund der Regulationsflut, die nicht zuletzt durch die Finanzkrise vor zehn Jahren ins Rollen kam, des Themas überdrüssig. Verfolgt man die Aussagen der Compliance Officer genau, so ist derzeit ein Rückgang der Ressourcen in den Compli­ ance-Abteilungen vieler Unternehmen zu konstatieren. Wenn eloquente Wirtschaftsbosse wie Jamie Dimon (CEO JPMorgan Chase) „regulation and the cost of compliance are becoming a threat to the American dream“ bei Bloomberg (Bloomberg 2015) postulieren, dann ist es nicht verwunderlich, dass sich Compliance nicht als Selbstläufer im Unternehmen verfestigen kann. Die Verankerung von Compliance in der Unternehmenskultur ist stark davon geprägt, dass die Führungskräfte ein gefestigtes Werteverständnis haben, das von Vision und Leitsätzen über die strategische und schließlich die operative Unternehmensführung das eigene Handeln leitet und als Vorbild dient. Genau hier mangelt es bei so manchem auf die persönliche Vorteilhaftigkeit bedachten Führungsgebaren.

6  Agiles Management als Wegbereiter gelebter Compliance und besserer Corporate …

117

6.3.1 D  ie Form von Compliance-Verstößen ist vielfältig – die Beweggründe dagegen eindeutig Es sei als Beispiel auf die zumindest als unsensibel einzustufende Problematik des Insiderhandels hingewiesen. Einer der prominentesten Fälle aus dem Jahr 2017 ist der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse (er musste das Unternehmen letztlich aufgrund dieses Vorfalls verlassen). Eine ähnliche Problematik ergibt sich bei der Metro, insbesondere bei seinem Aufsichtsratsvorsitzenden oder beim Intel CEO gleichermaßen: opportunistische Aktien(ver)käufe von Top-Managern in engem zeitlichem Zusammenhang zu wesentlichen, nichtöffentlichen Unternehmensinformationen. Dies deutet vor allem auf den Kern des Problems hin, den feinen, aber merklichen Unterschied zwischen Legalität und Legitimität. Diese Gratwanderung finden wir auch in anderer Form und auf  den unterschiedlichsten Führungsebenen wieder: In bewusstem Wegschauen und Nicht(s)-Wissen-Wollen manifestiert sie sich, wenn es um Bestechung, Korruption, Geldwäsche und Co. geht. In der medial durchdrungenen und teilweise faktenentrückten Zeit reicht das legale Minimum – Compliance – bei Weitem nicht aus, um (Reputations-)Schäden von Unternehmen abzuwenden. Die unglücklichen „Peanuts“ eines ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des größten deutschen Bankhauses vor 24 Jahren wie auch die unsäglichen drei Sekunden des „Victory“-Zeichens eines seiner Nachfolger vor über zehn Jahren sind ins gesellschaftliche Langzeitgedächtnis eingebrannt.

6.3.2 Ansätze zur Verankerung von Compliance in Organisationen Um den oben genannten Realitäten und Faktoren im Sinne einer nachhaltigen Implementierung von regelkonformem Verhalten Rechnung zu tragen, lassen sich folgende Ansatzpunkte ableiten: Es gilt, in den Organisationen 1. eine Kompetenz der Sensibilität für Legitimität – auch „Crowding in“ genannt (Vieweg 2018) – dort aufzubauen und zu fördern, wo das individuelle Wertegefüge opportunistischen Entscheidungen durchaus Platz einräumt. Hierzu sind auf die bekannten, groß angelegten Untersuchungen von dem Psychologen Dan Ariely („The honest truth about dishonesty“, Ariely 2012) verwiesen, der mit dem „Schummel-Faktor“ („fudge factor“) sehr anschaulich zeigt, welchen Einfluss das Umfeld auf nicht ganz lauteres Verhalten hat. 2. bei denjenigen, die aufgrund ihrer intrinsischen Motivation bereits einen sehr hohen Anspruch an sich selbst auf Korrektheit haben, einen entsprechenden Crowding-out-Effekt zu vermeiden, also das von sich heraus korrekte Handeln nur noch gegen spezielle Incentivierung zu machen, um sich gegenüber anderen nicht schlechter zu stellen.

118

S. Vieweg

Es gilt also: Aus der Not eine Tugend machen! Damit ist also die Kernfrage erreicht: cc

Wie kann es gelingen, eine Organisation und ihre Individuen tatsächlich zu einer höheren Compliance-Bewertung zu bewegen? Oder anders gefragt: Wie kann aus der Not (regelkonformes Verhalten) eine Tugend (aus Überzeugung) werden?

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der teilweise nur indirekt sicht- und messbaren Effekte von Regenverstößen erhebliche Überzeugungsarbeit geleistet werden muss, was wiederum zu den bereits skizzierten Problemen der geringen Priorisierung führt. Deutlich eleganter und effizienter wäre da ein Ansatz, bei dem genau dieser Überzeugungsaufwand nicht notwendig ist, denn es ist offensichtlich, dass das Richtige zu tun tatsächlich auch richtig gut ist (für den Einzelnen und die Organisation). Ein Ansatz findet sich bei Unternehmen, bei denen – quasi als Beiprodukt – Compliance automatisch verankert ist: dezentral geführte Organisationen, bei denen die komplette operative Verantwortung in den Teams und Bereichen getragen wird und Entscheidungen vor Ort dort getroffen werden, wo auch die unmittelbare Information über die Sachlage aus erster Hand vorliegt. Diese Organisationsform, die einerseits auf Empowerment der Teams und Mitarbeiter setzt und bei der das Management im Sinne eines Challengings und Coachings eine dienende Rolle einnimmt findet, sich bei agilem Management. Diese beiden, nicht offensichtlich in Verbindung stehenden Themen – Compliance einerseits und Agilität andererseits – zeigen bei genauerer Betrachtung fast schon eine zwingende gemeinsame Logik. Natürlich wäre es vermessen, zu erwarten, dass Unternehmen agiles Management einführen, nur um in Sachen Compliance Fortschritte zu erzielen. Es sind andere, offensichtliche Effekte wie schnellere Marktreife („time-to-market“), bessere Kundenbindung durch höhere Flexibilität bei sich fortwährend veränderten Anforderungen in einer VUCA-Welt (V-Volatility, U-Uncertainty, C-Complexity, A-Ambiguity), bessere Qualität, Effizienz und nicht zuletzt höherer Mitarbeitermotivation und -bindung, weshalb eine Organisation „auf Agile umstellt“. Doch damit einhergehend und unter der Voraussetzung, dass diese Transformation zum agilen Management erfolgreich entlang des ETC gestaltet wird, entsagt die Organisation automatisch auch einem heroischen Führungsstil. Dieser häufig in klassischen Organisationen mit Fayol’scher Hierarchie oder patriarchalischen Strukturen anzutreffende Führungsstil befördert durch 1 . Missbrauch von Informationen als Machtinstrument („politische Spielchen“), 2. Angst vor Fehlern zu einer schleichenden Gefahr fataler Fehler und fatalem Fehlumgang damit 3. falsche Incentivierung nur auf das „Wieviel“, nicht aber auf das „Wie“ und 4. fehlende Verankerung von Werten und Prinzipien (s. Cargo-Cult, Abschn. 6.1)

6  Agiles Management als Wegbereiter gelebter Compliance und besserer Corporate …

119

ein Umfeld, in dem schleichend zunächst kleinere Regelverstöße toleriert werden – ganz nach dem Köll’schen Sprichwort „Et is noch immer jot jejange“ (Kölnische Mundart) – und ggf. durch wissentliches Wegschauen auf Entscheidungsebene gezielt befördert werden. Diametral dazu ist in einem gut implementierten, agilen Umfeld der Nährboden regelwidrigen Verhaltens entzogen, in dem . die agilen Werte und Prinzipien verinnerlicht werden und als Klammer fungieren, 1 2. die Einzelnen intrinsisch motiviert nach „Mastery“ streben, also für ihre Sache kämpfen, weil sie davon überzeugt sind und eine hohe Befriedigung erfahren, 3. eine Fehlerkultur praktiziert wird, in der Probleme frühestmöglich erkannt und beseitigt werden, ohne dass sich Problem aufstauen und „unter den Teppich gekehrt“ werden 4. der gemeinsame Teamgedanke ohne individuelles Heldentum und das Team durch ehrlich gemeintes, unermüdliches Streben nach Verbesserung im Vordergrund steht.

6.4

Compliance „built-in“ durch agiles Management

Datenmissbrauch bei Facebook und Skandale in den Autobranchen sind nur Fallbeispiele: Compliance-Verstöße werden regelmäßig Realität. Indem sie an die Öffentlichkeit gelangen, richten sie erheblichen Schaden an – doch wo müssen Unternehmen intern ansetzen, um positive Veränderungen herbeizuführen?

6.4.1 A  giles Management – richtig implementiert – sichert quasi nebenbei die notwendige Compliance-Kultur Ganz anders findet sich bei dezentralen Teams ein gemeinsames (Werte-)Verständnis, da sie sich „ihrer Sache“ und einem fortwährenden Optimierungsstreben verbunden fühlen. Diese Herangehensweise revolutionierte vor 18 Jahren die Softwareindustrie (o. V. 2001) und ist schlichtweg die einzige Chance, der Herausforderung wachsender Komplexität und Dynamik mit qualitativ hochwertigen Produkten zu begegnen. In der heutigen Digitalisierung kommt quasi kein Unternehmen mehr ohne Berührungspunkte zur IT aus. Zwei Beispiele veranschaulichen die tatsächlichen Dimensionen dieser einfach klingenden Feststellung (s. Vieweg 2019): • Massenprodukte wie Smartphones sind mit >100 Millionen(!) Zeilen Sourcecode bestückt und • Amazon lanciert mehr als 10.000 Software-Updates – wohlgemerkt pro Tag! Klassische Managementansätze wurden konsequent zunächst in der IT-Industrie durch agile, selbstverantwortliche und eigenständige Teams ersetzt. Auch in großen Organisatio-

120

S. Vieweg

nen können mit geeignetem Lean-Agile-Ansatz wie dem ScaledAgileFramework SAFe (Leffingwell et al. 2019) sowohl • • • •

„Time-to-Market“: 30–75 % schnellere Markteinführung Produktivität: 20–50 % bessere Produktivität Qualität: 25–75 % geringere Fehlerquote Motivation: 10–50 % höhere Mitarbeiterzufriedenheit

erzielt werden. SAFe ist insofern von besonderem Interesse, als dass es das marktführende Rahmenwerk für größere Organisationen darstellt. Für kleinere, autarke Einheiten (z. B. einzelne Scrum-Teams von ca. zehn Mitgliedern) mag ein einzelnes agiles Team funktionieren. Dieser Ansatz ist aber denkbar ungeeignet, um einen kontinuierlichen Innovationslieferprozess über größere Organisationseinheiten aufzubauen. Die skalierenden Ansätze unterscheiden sich sehr stark in ihrer Durchdringung und Einbindung in die gesamte Unternehmensstrategie und Unternehmensführung. Hier zeigt SAFe®, welches eine auf ca. 5000 Websites dokumentierte, offene Wissensbasis darstellt, einen holistischen Ansatz wohlbekannter „best practices“ und sehr bewährter Elemente, beispielsweise auch Elemente der berühmten PDCA(Plan-Do-Check-Act)-Cycles von W. Edward Deming. In Abb. 6.3 wird verdeutlicht, dass über die letzten Jahre mehr und mehr der ganzheitliche Ansatz von SAFe von den Unternehmen präferiert wird. Beflügelt durch Elektromobilität und die Bedrohung durch US-Internetgiganten versuchen auch hierzulande Unternehmen – angefangen mit den Automobilkonzernen – auf agiles Management einzuschwenken. Andere Beispiele finden sich in diversen Branchen wie im Banken- und Versicherungswesen, in der Logistik, der Telekommunikation oder im Dienstleistungssektor.

13%

49% 3% 2% 0% 6% 13% 6% 1% 0% 7% 2015

100% 17% 34%

37%

33%

24%

44%

10% 4% 2% 6% 6% 6% 1% 0% 6% 2016

16% 1% 0% 4% 1% 5% 1% 5% 0% 2017

13% 6% 6% 1% 0% 4% 4% 0% 4%

Scaled Agile Framework ® (SAFe®) Scrum of Scrums Internally Created Methods Disciplined Agile Delivery (DAD) Large Scale Scrum (LESS) Enterprise Scrum Lean Management Agile Portfolio Management (APM) Nexus Recipies for Agile Governance in the Enterprise (RAGE) Enterprise Agile

2018

Abb. 6.3  Agile Methods Market Share (Eigene Darstellung, normalisiert, basiserend auf „The Annual State of Agile Report“. (Quelle: o.V. 2018)

6  Agiles Management als Wegbereiter gelebter Compliance und besserer Corporate …

121

6.4.2 Was agiles Management besser macht Dezentrale, eigenständige Teams sind für fortwährende Produkt- und Serviceverbesserungen verantwortlich, die in kurzer Taktung (ein bis vier Wochen) den Auftraggebern als vermarktbare Ergebnisse demonstriert werden (im Gegensatz zu einem „Fortschrittsbericht“ ohne konkrete Resultate). Dies ist nur möglich bei einer gelebten Teamkultur, die ein agiles Management fördert und die auf folgenden Elementen aufbaut: • Blick für das große Ganze: das Team „brennt“ für ihren Wertbeitrag und die individuellen Mitglieder identifizieren sich mit dem, was sie zum Erfolg beitragen. In diesem Zusammenhang wird die Professionalität der Beteiligten, die Verantwortung auch tatsächlich für eine nachhaltige Lösung einzubringen. Dies artikuliert sich bspw. in dem „DevOps“-Ansatz, einem Kunstwort, welches „Development“ einerseits und „Operations“ andererseits zusammenführt. Die typischerweise diametral unterschiedlichen Interessen derjenigen, die „nur“ entwickeln (also neue, innovative Themen bearbeiten und somit auf Neuartigkeit setzen) und derjenigen, die „nur“ betreiben (also auf minimale Veränderung setzen, um einen robusten und hochstabilen Einsatz der Lösung zu gewährleisten) werden hierbei in einer Ende-zu-Ende-Verantwortung im Sinne des Gesamtergebnisses zusammengeführt. Konkret bedeutet dies, dass faktisch eine Produktionsstraße innovativer sowie robuster Lösungen betrieben wird mit möglichst stabilen und aufeinander abgestimmten Teams (Erfahrungskurve). Die im klassischen Projektmanagement propagierte Projektorganisation, die faktisch vom Start-Stopp-Syndrom und wiederkehrenden Neuallokationen von Ressourcen (sowohl personell als auch monetär) gekennzeichnet ist, wird also bewusst verlassen. • Transparenz („facts are friendly“): Geheimnistuerei und das „not invented here“-Syndrom werden nicht akzeptiert. Hingegen befördert die Fehlerkultur und auf objektiven Kriterien mess- und beurteilbarer Fortschritt, dass Problembehebung anstatt Symptombekämpfung betrieben wird. Hierbei ist die institutionalisierte Retrospektive entscheidend – also das Reflektieren in kurzen Abständen auf unterschiedlichen Ebenen (also auf agiler Teamebene mit ca. zehn Mitgliedern, auf Ebene der Agile Release Trains mit bis zu 150 Mitgliedern oder auch bei sogenannten Large Solutions mit mehrere hunderten Mitgliedern). So wird die fortwährende und gezielte Auseinandersetzung mit der derzeitigen Performance in konkrete Verbesserungspotenziale überführt und diese konstruktiven Ansätze unmittelbar in den Backlog für den nächsten Takt (zumeist als „Iteration“ oder auch „Sprint“ bezeichnet) eingebunden. • Qualität ist von Anfang bis Ende „built-in“, jeder Entwicklungsschritt ist von einem tiefen Qualitätsbewusstsein geprägt, dass sich Probleme frühzeitig erkennen und dadurch zeit- und ressourcenschonend beheben lassen. Durch die Ende-zu-Ende-Verantwortung der Teams für das operative Geschäft wird ein Bereichsdenken, „Silomentalität“ und Unverbindlichkeit z. B. bei Freigaben vermieden. • Permanente Lieferfähigkeit: Durch die enge Taktung von wenigen Wochen werden konkrete Produktverbesserungen sichergestellt und durch den jeweiligen Backlog die

122

S. Vieweg

nächsten Verbesserungsschritte kundenorientiert priorisiert. Die Flexibilisierung untermauert die Verbindlichkeit einerseits zur (Program-Increment)-Planung und der Möglichkeit, notwendige Anpassungen schnell vorzunehmen. • Alle Teammitglieder tragen gemeinsame (Ende-zu-Ende-)Verantwortung, sowohl für die Bestimmung des Lieferversprechens als auch deren Realisierung. Eigenbrötler und Heldentum sowie autokratische Führungskräfte sind in diesem Umfeld fehl am Platz. • Servant Leadership (Greenleaf 1998), also die Führungskraft in der Rolle des Dienstleisters, der die eigenen Mitarbeiter und ihre Belange in den Fokus seines Handelns stellt. Mit so einem post-heroischen und auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt begründeten Führungsstil kann das volle Potenzial ausgeschöpft werden, ohne dass es zu einem Kontrollverlust führt. Die notwendigen Elemente hierzu sollten in der Transformation implementiert werden. Eine erfolgreiche Transformation zu einer agilen Organisation hängt von einigen wichtigen Stellgrößen ab, die durch systemisches Changemanagement zielgerichtet sichergestellt werden können. Gelingt sie, treibt dieser gemeinsame Geist die Teams an, da sie überzeugt sind, mit all ihrem Engagement das Richtige richtig zu tun, was sie  – ganz wichtig – qua Mandat auch dürfen. Erfolgreiche agile Organisationen setzen Anreizsysteme auf Gruppen- und nicht auf individueller Ebene. Verfehlungen Einzelner durch vermeintliche „Abkürzungen“ oder Vermeidung von Arbeitsleid werden so im kollektiven Umfeld unmittelbar entblößt. Das Risiko des individuellen Reputationsverlustes ist enorm und bei den eng getakteten Reviews sehr real. In so einem – richtig aufgesetzten – Umfeld wäre bspw. der vielzitierte Dieselskandal undenkbar! Allerdings ist die agile Transformation keinesfalls ein Selbstläufer, sondern bedarf einer gezielten Herangehensweise, die alle wesentlichen Stakeholder betrifft.

6.5

 chlussbetrachtung: Agiles Management (auch) als Ansatz S für Compliance „built-in“

Die beiden zunächst völlig unabhängig scheinenden Themen – Compliance einerseits und Agilität anderseits – können sich sehr gut ergänzen. Agilität – richtig implementiert – kann auch das Risiko von Compliance-Verstößen und damit das persönliche Haftungsrisiko der Geschäftsführung und der Aufsichtsgremien mindern. Die Begründung hierfür liegt in der veränderten Unternehmenskultur, die den Nährboden für falsches Verhalten entzieht. Insofern ist es durchaus sinnvoll, • sich damit auseinanderzusetzen, in welchen Bereichen im eigenen Unternehmen agiles Management nicht nur aus dem Blickwinkel verbesserter Wettbewerbsfähigkeit sowieso notwendig ist, sondern auch aus der (strafmindernden) Perspektive tatsächlich gelebter Compliance sich anbietet;

6  Agiles Management als Wegbereiter gelebter Compliance und besserer Corporate …

123

• beim zielgerichteten Auf- und Ausbau von Compliance-Systemen ein Compliance-­ Benchmarking durchzuführen, welches auch als Nachweis tatsächlich implementierter Compliance-Anstrengungen dienen kann; • die Transformation entlang des Enterprise Transformation Cycles zu orchestrieren. Hierbei gilt es, zu beachten, dass jeder Veränderungsprozess nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht sein muss. John Kotter (2012) gibt hier einen sehr guten Fahrplan, der beispielsweise auch Grundlage der „Implementation Roadmap“ das SAFe-­Frameworks ist (Leffingwell et al. 2019).

Literatur Ariely D (2012) The honest truth about dishonesty. HarperCollins, New York BCG (2018) Global risk 2018 – future-proofing – the bank risk agenda. Boston Consulting Group, Düsseldorf, S 12 Bloomberg (2015) Compliance is now calling the shots and bankers are bristling. Bloomberg. https://www.bloomberg.com/news/features/2015-06-25/compliance-is-now-calling-the-shotsand-bankers-are-bristling. Zugegriffen am 01.08.2019 CNN (2019) Fear and greed, CNN (Hrsg). https://money.cnn.com/data/fear-and-greed/. Zugegriffen am 01.08.2019 Greenleaf RK (1998) The power of servant leadership. Berrett-Koehler Publishers, San Francisco Kahneman D, Tversky A (1979) Prospect theory: an analysis of decision under risk. Econometrica 47(2):263–291 Kotter J (2012) Leading change. Havard Business Review, Boston Leffingwell D et al (2019) Scaledagileframework.com: Scaled Agile Framework®. Scaledagileframework.com. Zugegriffen am 01.08.2019 o.V. (2001) The Agile Manifesto. Agile Manifesto. https://agilemanifesto.org. Zugegriffen am 01.08.2019 o.V. (2018) Annual Stage of Agile Report. www.stageofagile.com. Zugegriffen am 01.08.2019 Vieweg S (2018a) Informationsgestützte nachhaltige Unternehmensführung in disruptiven Zeiten. In: Vieweg S, Müller-Wiegand M, Meisner H (Hrsg) Nachhaltige Unternehmensführung in der Digitalisierung. Erich Schmidt, Berlin, S 123–140 Vieweg S (2018b) Compliance on Board Index 2018, Institut für Compliance und Corporate Governance (ICC, Hrsg). https://www.rfh-koeln.de/forschung-projekte/institute_und_kompetenzzentren/institut_fuer_compliance_und_corporate_governance_icc/compliance_on_board_index_ cobi/index_ger.html. Zugegriffen am 01.08.2019 Vieweg S (2018c) Streamlining von Supportfunktionen vor dem Hintergrund der Digitalisierung – Aufbau von Shared Service Centern und Business Process Outsourcing. In: Pfannstiel MA, Steinhoff PF-J (Hrsg) Der Enterprise Transformation Cycle, Theorie, Anwendung, Praxis. Springer Gabler, Wiesbaden, S 273–294 Vieweg S (2019) Nachhaltige und effiziente Unternehmensführung durch „Candorship“ und „Lean-Agile“ Organisationsausrichtung. In: Müller-Wiegand M, Groß M (Hrsg) Zukunftsfähige Unternehmensführung. Springer Gabler, Wiesbaden. (im Druck)

124

S. Vieweg Prof. Dr.-Ing. Dr. rer. oec. Stefan  Vieweg, CFA, SAFe® SPC, SAFe® RTE, PSM hat eine Professur für internationale Unternehmensführung und ist Studiengangsleiter MBA International Business sowie Direktor des Instituts für Compliance und Corporate Governance der Rheinischen Fachhochschule Köln. Er ist Managing Partner der Transformation Consulting International und hat mehr als 20 Jahre Führungserfahrung u.  a. als CFO, Vorstand und Aufsichtsrat hauptsächlich im agilen ICT-Umfeld und in produzierenden Indus­ trien. Sein Beratungsschwerpunkt liegt als zertifizierter SAFe® Program Consultant und Release Train Engineer sowie zertifizierter Systemischer Change Manager, Trainer und Scrum Master in der nachhaltigen und lean-agilen Organisations- und Kulturveränderung, Compliance und operativen Transformationen u.  a. im Finanzbereich. Er ist als Chartered Financial Analyst (CFA) dem weltweit höchsten Compliance Standard der Finanzwelt verpflichtet, ist Initiator des Compliance on Board Index und ist Ehthics und Compliance Leader im Compliance Channel. Prof. Vieweg hat über 100 Veröffentlichungen u. a. im Bereich Digitalisierung, Leadership, Compliance und Business Transformation.

7

Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe von COBIT – Ein methodisches Vorgehen zur Analyse des Reifegrads und der Identifikation des Handlungsbedarfs am Beispiel von Donner & Reuschel Nico Pantelmann und Andreas Werner-Scheer

Inhaltsverzeichnis 7.1  Ausgangssituation  7.2  Reifegrad des Prozessmanagements  7.3  Vorgehensmodell  7.4  IT-Governance  7.5  COBIT  7.6  Quick Self Assessment  7.7  Reifegradmessung nach COBIT  7.8  Messung der Zielerreichung  7.9  Kontinuierliche Überwachung und Verbesserung  7.10  Schlussbetrachtung  Literatur 

 126  127  128  129  129  130  134  139  140  140  141

Nico Pantelmann (*) Donner & Reuschel AG, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] Andreas Werner-Scheer TCI Transformation Consulting International GmbH, Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_7

125

126

N. Pantelmann und A. Werner-Scheer

Zusammenfassung

Die Bankaufsichtlichen Anforderungen an die Informationstechnologie (BAIT) setzen die Finanzdienstleister stark unter Druck, ihre IT-Governance und -Managementprozesse zu optimieren. Donner & Reuschel Bank hat nach der Veröffentlichung der BAIT entschieden, ihre Ist-Situation in Bezug auf die IT-Governance zu analysieren und zu bewerten, Gaps zu einem definierten Soll-Zustand zu identifizieren und gegebenenfalls Maßnahmen zur Verbesserung einzuleiten. Konform zur IT-Strategie sowie unter Beachtung der Anforderungen aus der BAIT sollte hierbei auf dem Rahmenwerk Control Objectives for Information and Related Technology (COBIT) aufgesetzt werden. In dem Artikel wird ein methodischer Ansatz beschrieben, durch ein stufenweises Self Assessment den Handlungsbedarf in den IT-Governance- und Managementprozessen zu identifizieren. Das Ziel dabei ist, die IT-Governance und IT-Managementprozesse an dem internationalen Information Systems Audit and Control Association-Standard (ISACA-Standard) COBIT auszurichten. Für die Vorgehensweise wurde die Methode des Transformation Managements gewählt. Sie gewährleistet eine Balance zwischen den Zielen einer maximalen Integration der Betroffenen und einer möglichst hohen Änderungsgeschwindigkeit. Das Vorgehensmodell des Enterprise Transformation Cycle (ETC) der Transformation Consulting International GmbH (TCI) berücksichtigt alle notwendigen Bereiche einer Business Transformation. Beginnend mit der Überprüfung der Strategie werden die Prozesse, die Organisation, die Menschen, die Systeme und Werkzeuge und die Governance schrittweise optimiert. Der Fokus der Optimierung lag im Bereich der Governance-Prozesse. Als anerkanntes Prozessmodell wurde COBIT als Referenzmodell eingesetzt. In einem ersten Schritt konnten in einem Quick Self Assessment von den 37 COBIT-Prozessen die für D&R mit dem größten Handlungsbedarf versehenen Prozesse identifiziert werden. In einem zweiten Schritt wurde ein ausführliches Self Assessment mit allen Prozessverantwortlichen und Stakeholdern durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten unterschiedliche Sichtweisen, aber auch Interpretationsschwierigkeiten auf und wurden in gemeinsamen Abstimmgesprächen besprochen. Einige Bewertungen mussten korrigiert werden, bei anderen war deutlich die jeweilige unterschiedliche Perspektive auf die Prozesse erkennbar. Für alle Prozesse wurde ein Konsens für notwendige Verbesserungsmaßnahmen gefunden, die sukzessive umgesetzt werden sollen.

7.1

Ausgangssituation

Das Bankhaus Donner & Reuschel AG (D&R) ist ein Kreditinstitut im Sinne des KWG (Kreditwesengesetz) und unterliegt damit den regulatorischen Anforderungen und der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Mit dem „Rundschreiben 10/2017 (BA)“ vom 06.11.2017 veröffentlichte die BaFin die Bankaufsichtlichen Anforderungen an die IT (BAIT; BaFin 2017)). Die Bereiche, die durch die BAIT geregelt werden, sind die IT-Strategie, die IT-Governance, das Informationsrisikomanagement, das Informationssicherheitsmanagement, das

7  Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe …

127

Benutzerberechtigungsmanagement, IT-Projekte und Anwendungsentwicklung, der IT­Betrieb, die Auslagerung und sonstiger Fremdbezug von IT-Dienstleistungen und die kritischen Infrastrukturen. D&R hat nach der Veröffentlichung der BAIT entschieden, die Ist-Situation in Bezug auf die IT-Governance und die IT-Managementprozesse zu analysieren, zu bewerten und gegebenenfalls Maßnahmen zur Verbesserung einzuleiten. Konform zur IT-Strategie sowie unter Beachtung der Anforderungen aus der BAIT sollte hierbei auf dem Rahmenwerk Control Objectives for Information and Related Technology (COBIT) aufgesetzt werden. Die im Folgenden gezeigten beispielhaften Ergebnisse zeigen nicht die reale Situation bei Donner & Reuschel, sondern wurden anonymisiert und verändert.

7.2

Reifegrad des Prozessmanagements

Die Situation bei D&R ist typisch für viele Banken in Deutschland. Dies belegt eine Erhebung der Procedera Consult: „Im April und Mai 2018 hat Procedera Consult 104 Fach.und Führungskräfte über die Qualität des Prozessmanagements im eigenen Institut befragt. Die Teilnehmer stammen zum überwiegenden Teil aus Banken mit einer Bilanzsumme von bis zu 10 Mrd. Euro und arbeiten in den Abteilungen IT, Kundenservice, Kreditwesen, Vertrieb, Risikocontrolling, Interne Revision und Bankorganisation. Im Ergebnis zeigt sich, dass mehr als ein Drittel nur über lückenhaft dokumentierte Prozesse verfügen. Wie aus Abb. 7.1 ersichtlich, bemängeln 34 % ungeregelte Verantwortlichkeiten. Das Problem: Daran scheitert nicht nur ein erfolgreiches Prozessmanagement. Jede dieser Unzulänglichkeiten stellt für sich einen Verstoß gegen die Mindestanforderung an das Risikomanagement (MaRisk) dar, der zu schwerwiegenden Revisionsmoniten der Aufsicht führen kann“ (Procedera 2018).

0

Lückenhafte Prozessdokumentation

35

Nicht gegeregelte Verantwortlichkeit

34

Mangelnde Unterstützung vom Vorstand

28

Unzureichende Software-Unterstützung

39

Zu große Abhängigkeit vom Infrastrukturanbieter (z. B. Rechenzentrum)

32

Fehlendes Know-how im Prozessmanagement

25

Unpassende Organisationsstruktur

25

Beharrungskräfte in den Führungsebenen

18

20

40

Abb. 7.1  Hindernisse im Prozessmanagement. (Quelle: Procedera 2018)

60

80

100

128

7.3

N. Pantelmann und A. Werner-Scheer

Vorgehensmodell

Für das Vorgehen zur Optimierung der IT-Governance- und Managementprozesse wurde von D&R gemäß der TCI-Methodologie der hybride Ansatz aus der Organisationsentwicklung (OE) und dem Changemanagement (CM), das Transformationsmanagement (TM) gewählt (siehe Abb. 7.2). In diesem Fall gibt ein externer Coach die notwendigen Impulse und den fachlichen Input, damit die internen Mitarbeiter die Aufgaben eigenverantwortlich und nachhaltig eigenständig bearbeiten können. Der Vorteil liegt in der zunehmenden Unabhängigkeit von externen Beratern und einem schlanken Beratungsansatz. Gemäß des Enterprise Transformation Cycles (TCI) wird die Transformation über eine strategische Ausrichtung gestartet. Diese besagt bei D&R, dass sich die Unternehmens-Governance-Prozesse an COBIT auszurichten haben. Die hierfür notwendige Organisation wird über das IT Governance Gremium (ITGG) geschaffen. Prozessverantwortliche sind zu definieren, die gemeinsam mit den Stakeholdern für die Ausrichtung und Optimierung der Prozesse verantwortlich sind. Der Transformationsprozess wird durch geeignete Werkzeuge wie das Intranet auf Basis ConfluenceTM, das BPM-Tool SignavioTM und das EAMTool LeanIXTM unterstützt. Die Steuerung und Sicherstellung der Transformation wiederum überwacht das ITGG. In Abb. 7.3 wird der Enterprise Transformation Cycle für die Einführung der IT-Governance- und Managementprozesse bei D&R dargestellt.

Integration der Betroffenen

OE Veränderung von innen

TM Veränderung in Zusammenarbeit zwischen innen und außen CM Veränderung von außen

Beschleunigung der Veränderung

Abb. 7.2  Changemanagement (CM), Organisationsentwicklung (OE) und Transformationsmanagement (TM) im Vergleich. (Quelle: in Anlehnung an Prammer 2009, S. 31)

7  Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe …

129

BUSINESS TRANSFORMATION Strategy ITGG

Processes

Governance Values & Principles

Systems & Tools

Confluence Signavio LeanIX

COBIT

Organizaon

ITGG

People ENVISION

ENGAGE

TRANSFORM

OPTIMIZE

Prozessverantwortliche

Abb. 7.3  Der Enterprise Transformation Cycle. (Quelle: In Anlehnung an Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45)

7.4

IT-Governance

Die Digitalisierung von Banken hat in den letzten Jahren eine große Dynamik erfahren. Trotzdem dominieren nach wie vor regulatorische Themen und binden einen Großteil der IT-Budgets. Die IT-Prozesse sollten daher nicht nur aus regulatorischer Sicht betrachtet werden, sondern können auch ein wesentlicher Hebel für die Effizienzsteigerung der IT sein. Eine IT-Governance besteht aus Führung, Organisationsstrukturen und Prozessen, die sicherstellen, dass die Informationstechnik die Unternehmensstrategie auf angemessene Weise unterstützt. Die IT-Governance sorgt nicht nur für eine angemessene Steuerung der IT, sondern richtet alle IT-Managementprozesse auf den Wertbeitrag der IT für das Unternehmen aus. Bei D&R werden die IT-Governance-Aufgaben durch das ITGG gesteuert. Im ITGG sind fünf obligatorische, stimmberechtigte Mitglieder aus den wichtigsten Bereichen der Bank, Risikocontrolling, Organisation, Compliance, Informationssicherheit und Informationstechnologie vertreten. Situativ können weitere, nicht stimmberechtigte Teilnehmer hinzugezogen werden.

7.5

COBIT

COBIT ist ein international anerkanntes Rahmenwerk der ISACA zur IT-Governance und gliedert die IT-Aufgaben in Prozesse und Steuerungsvorgaben. COBIT definiert in der Regel nicht, wie etwas umzusetzen ist, sondern primär, was umzusetzen ist.

130

N. Pantelmann und A. Werner-Scheer

Abb. 7.4  Prozesse für die Governance der Unternehmens-IT nach COBIT. (Quelle: ISACA 2017)

Der Steuerungsansatz von COBIT ist grundsätzlich Top-down. Ausgehend von Unternehmenszielen werden IT-Ziele festgelegt, die wiederum die Architektur der IT beeinflussen. Hierbei gewährleisten angemessen definierte und betriebene IT-Prozesse die Verarbeitung von Informationen, die Verwaltung von IT-Ressourcen sowie die Erbringung von Services. In Summe definiert das COBIT 5-Framework (siehe Abb. 7.4) 37 IT-Prozesse, denen Steuerungsvorgaben zugeordnet sind. Diese Steuerungsvorgaben sind wesentliche Bereiche, die im Prozess berücksichtigt sein müssen, um das Prozessziel (und somit über das IT-Ziel das Unternehmensziel) zu erreichen. Die Summe der Steuerungsvorgaben stellt eine verlässliche und dem Unternehmensbedarf angemessene Informationsfunktion sicher.

7.6

Quick Self Assessment

Die Ausrichtung an COBIT bedeutete „Neuland“ für D&R. Somit war eine Methode zu wählen, die zunächst das gesamte Themengebiet grob betrachtet und in mehreren Schritten (siehe Abb. 7.5) auf die Handlungsfelder fokussiert. Damit konnten Ressourcen geschont und ein Lernprozess durchlaufen werden. Gleichzeitig konnte damit das Verständnis der beteiligten Personen für Governance und COBIT ständig verbessert werden.

7  Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe …

131

Umfrage zum Quick Self Assessment der COBIT-Prozesse Für eine erste Einschätzung wurden die Mitglieder des ITGG, gebeten im Rahmen einer Intranetumfrage (siehe Tab. 7.1) eine subjektive Einschätzung in Bezug auf Wichtigkeit und aktuellem Reifegrad sowie einen Vorschlag für den Prozessverantwortlichen zu jedem der 37 COBIT-Prozesse abzugeben. An dem Self Assessment haben die in Tab. 7.2 aufgelisteten Führungskräfte bei D&R teilgenommen. Quick Self Assessment der COBIT-Prozesse Erkennen der Prozesse mit dem größten Handlungsbedarf Weitergehende Analyse durch moderiertes Self Assessment Festlegen von konkreten Zielen und Maßnahmen Überwachung der Umsetzung

Abb. 7.5  Vorgehensschritte COBIT Self Assessment. (Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer 2018) Tab. 7.1  Schema für die Erfassung im Quick Self Assessment

Aktueller Reifegrad Wichtigkeit Prozessverant-wortliche/r

Einschätzung/ Wert von Wert bis Vorschlag 0 – unvollständig 5 – optimierend 0 – unwichtig 5 – essenziell

Kommentar

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018) Tab. 7.2 Prozessverant­ wortliche und Stakeholder

RCO ORG ITS IT ITA ITG CDO ITB KCO CMP ITE PER UST UPL Exp

Leiter Risikocontrolling Leiter Organisation Informationssicherheitsbeauftragter Leiter IT Leiter IT-Architekturmanagement Leiter IT-Grundsatzfragen Chief Digital Officer Leiter IT-Betrieb Leiter Kostencontrolling Leiter Compliance Leiter IT-Anwendungsentwicklung Leiter Personal Leiter Unternehmenssteuerung Leiter Unternehmensplanung Externer COBIT Experte

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018) Alle Angaben geschlechtsneutral

132

N. Pantelmann und A. Werner-Scheer

Abb. 7.6  Intranetumfrage COBIT Quick Self Assessment; hier beispielhaft eine Antwort zu EDM01. (Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer 2018) Tab. 7.3  Übereinstimmungen in der Einschätzung Stakeholder 1 2 3

Reifegrad 0 – unvollständig 0 – unvollständig 0 – unvollständig

Wichtigkeit 3 – hoch 5 – essenziell 3 – hoch

Prozessverantwortlicher ITGG ITGG ITGG

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018)

Die Antworten des Self Assessment wurden in einem in ConfluenceTM abgebildeten Fragebogen erfasst (siehe Abb. 7.6). Die Einschätzungen der Mitglieder des ITGG zu allen 37 COBIT-Prozessen wurden durch den COBIT-Coach begleitet, um Verständnis- oder Interpretationsprobleme zu klären und damit eine hohe Qualität der Antworten zu gewährleisten. Anschließend wurden die Antworten ausgewertet und für eine gemeinsame Besprechung mit allen Teilnehmern aufbereitet.

7.6.1 Auswertung der Umfrage Bei den Einschätzungen gab es sowohl große Übereinstimmungen (siehe Tab.  7.3) als auch große Abweichungen (siehe Tab.  7.4) zwischen den Teilnehmern. Gerade die Abweichungen gaben Anlass für eine Diskussion im gemeinsamen Abstimmungsgespräch. In diesem konnten wertvolle Informationen über die verschiedenen Sichtweisen der Stakeholder auf die Prozesse identifiziert werden.

7  Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe …

133

Tab. 7.4  Abweichungen in der Einschätzung Stakeholder 1 2 3

Reifegrad 3 – etabliert 0 – unvollständig 4 – vorhersehbar

Wichtigkeit 1 – gering 3 – hoch 5 – essenziell

Prozessverantwortlicher RCO Vorstand UST

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018) Tab. 7.5  Prozesse mit großen Abweichungen bei der Beurteilung (Auszug) Prozesse mit EDM03 EDM04 RCO 2 Abweichung alle ORG 3 >2 bei der ITS 3 Bewertung Sonst 0 des Exp 0 Reifegrades Prozesse mit Abweichung >2 bei der Bewertung der Wichtigkeit

APO05 ORG 3 RCO 2 Sonst 0 Exp 1

APO07 ITG 3 ORG 3 ITS 2 Sonst 0 Exp 1

BAI09 ORG 3 Sonst 0 Exp 1

APO12 ORG 3 Sonst 0 Exp 0

MEA02 DSS06 alle IT 3 ORG 2 SONST 0

BAI03 alle

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018) Tab. 7.6  Priorisierung der COBIT-Prozesse nach Handlungsbedarf (Auszug) PrioritätenHandlungsbedarf EDM01 APO13 EDM02 Mittelwert von Reifegrad 4,0 4,0 3,9 und Bedeutung>= 3,4 Vorschläge für ITGG ITS ITGG Prozessverantwortliche

BAI02 3,8

MEA01 3,8

APO12 3,8

APO03 3,8

ITE

ITG

IST

ITA

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018)

Prozesse mit Abweichungen von >2 bei Wichtigkeit oder Handlungsbedarf (siehe Tab. 7.5) wurden zunächst nicht berücksichtig und zurückgestellt, da hier noch eine Klärung der verschiedenen, voneinander abweichenden Sichtweisen der Stakeholder herbeizuführen war.

7.6.2 Ergebnis nach Klärung von Missverständnissen Die Ergebnisse der Umfrage wurden zwischen den Beteiligten abgestimmt und Korrekturen aufgrund von Missverständnissen vorgenommen. Insgesamt identifizierte das Quick Self Assessment einen großen Handlungsbedarf bei 18 COBIT-Prozessen. Tab. 7.6 zeigt die sieben am höchsten priorisierten Prozesse.

134

7.7

N. Pantelmann und A. Werner-Scheer

Reifegradmessung nach COBIT

Um einen systematischen Ansatz für die Analyse des Ist-Zustands und die stufenweise Steigerung der Befähigung zu erreichen, wurde zunächst mit einem Self Assessment der Befähigungsstufe 1.1 gemäß COBIT-Reifegradeinstufung begonnen (siehe Tab. 7.7). Die Prozessverantwortlichen sowie die wesentlichen Stakeholder hatten die Aufgabe, Fragen zu allen COBIT-Prozessen zu beantworten und mithilfe der COBIT-Ratingskala eine Reifegradbeurteilung vorzunehmen. Abb. 7.7 zeigt beispielhaft einen Auszug aus der Beantwortung eines Prozesses.

7.7.1 Bewertung/Methodik Das COBIT-5-Prozessbefähigungsmodell sieht 6 Befähigungsstufen für die Beurteilung der Prozesse vor (siehe Abb. 7.8). Da ein Reifegrad über die Befähigungsstufe „1.1. Prozessleistung“ hinaus nur erreicht werden kann, wenn in diesem Bereich eine Befähigung von mindestens 4 festgestellt wird, wurde die Messung bei D&R zunächst auf die Erhebung dieser Stufe beschränkt. Um die Stufe 2 und folgende zu erreichen, müssen die Prozessattribute der Vorstufe mindestens ein Rating von 4 = >85  % erreicht haben. Die Prozessbefähigungsattribute werden gemäß der Ratingskala in Tab. 7.8 bewertet.

Tab. 7.7 COBIT-Ratingskala Prozessbefähigungsstufe 0 Unvollständiger Prozess 1 2

Durchgeführter Prozess Gemanagter Prozess

3

Etablierter Prozess

4

Vorhersehbarer Prozess

5

Optimierender Prozess

Beschreibung Der Prozess wurde nicht implementiert oder verfehlt seinen Zweck Der implementierte Prozess erfüllt seinen Zweck Der durchgeführte Prozess der Stufe 1 wird jetzt in einer gemanagten Art und Weise implementiert (geplant, überwacht und angepasst) und seine Arbeitsprodukte werden ordnungsgemäß erbracht, kontrolliert und aufrecht erhalten Der gemanagte Prozess der Stufe 2 wird jetzt anhand eines definierten Prozesses implementiert, mit dem die Prozessergebnisse erreicht werden können Der etablierte Prozess der Stufe 3 wird jetzt innerhalb festgelegter Grenzen angewandt, um die Prozessergebnisse zu erreichen Der etablierte Prozess der Stufe 4 wird kontinuierlich verbessert, um relevante aktuelle und künftige Unternehmensziele zu erreichen

Quelle: Cobit 5 Enabling Processes, ISACA (2017)

7  Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe … REIFEGRAD-ASSESSMENT: ATTRIBUT 1.1 Prozess APO02 Managen der Strategien

Praktik

Aktivität

135

Reifegradbeurteilung

Fragen

Antwort DONNER&REUSCHEL

Bewertung Prozess

Bewertung Dokumentation

APO02.01 - Begreifen der Unternehmensausrichtung

Entwickeln und pflegen Sie ein Verständnis der Unternehmensstrategie und Zielvorgaben sowie des derzeitigen operativen Umfeldes und der Herausforderungen für das Unternehmen.

Welches Verständnis der Unternehmensstrategie und Zielvorgaben ist entwickelt? s. Geschäfts- und Risikostrategie; Welches Verständnis des Analyse im Rahmen der mindestens derzeitigen operativen Umfeldes jährlichen Strategieüberprüfung und der Herausforderungen für das Unternehmen besteht?

3

3

APO02.01 - Begreifen der Unternehmensausrichtung

Entwickeln und pflegen Sie ein Verständnis des externen Unternehmensumfeldes.

Welches Verständnis des Analyse im Rahmen der mindestens externen Unternehmensumfeldes jährlichen Strategieüberprüfung besteht?

2

2

APO02.01 - Begreifen der Unternehmensausrichtung

Identifizieren Sie wichtige Anspruchsgruppen, und verschaffen Sie sich Einblick in deren Anforderungen.

Welche Anspruchsgruppen existieren? Sind deren Anforderungen bekannt?

Analyse im Rahmen der mindestens jährlichen Strategieüberprüfung

3

3

APO02.01 - Begreifen der Unternehmensausrichtung

Identifizieren und analysieren Sie Quellen für Veränderung im Unternehmen und im externen Umfeld des Unternehmens.

Welche Quellen für Veränderungen im Unternehmen Analyse im Rahmen der mindestens und im externen Umfeld des jährlichen Strategieüberprüfung Unternehmens existieren?

3

2

APO02.01 - Begreifen der Unternehmensausrichtung

Ermitteln Sie Prioritäten für einen strategischen Wechsel.

Welche Priorisierungen für einen Analyse im Rahmen der mindestens strategischen Wechsel liegen jährlichen Strategieüberprüfung vor?

2

2

APO02.01 - Begreifen der Unternehmensausrichtung

Machen Sie sich mit der derzeitigen Unternehmensarchitektur und dem Unternehmensarchitekturprozess vertraut, und ermitteln Sie potenzielle Lücken innerhalb der Architektur.

Wie werden potenzielle Lücken innerhalb der Unternehmensarchitektur ermittelt?

Analyse im Rahmen der mindestens jährlichen Strategieüberprüfung; Thema ist Gegenstand laufender Bearbeitungen im IT-Bereich

2

2

Gesamtbe wertung Praktik

2

Abb. 7.7  Fragen zum Reifegradassessment der Befähigungsstufe 1.1 (Beispiel). (Quelle: Cobit 5 Enabling Processes, ISACA 2017)

Abb. 7.8  Prozessbefähigungsstufen. (Quelle: Cobit 5 Enabling Processes, ISACA 2017)

7.7.2 Dokumentation und Auswertung Die Rückmeldungen wurden ausgewertet und die Differenzen mit den Beteiligten in einem Gespräch geklärt. Tab. 7.9 zeigt ein Beispiel für sehr unterschiedliche Bewertungen. Diese wurden in einem gemeinsamen Gespräch besprochen und im Fall von Missverständnissen korrigiert.

136

N. Pantelmann und A. Werner-Scheer

Tab. 7.8  Ratingskala für die Prozessbefähigungsattribute Ratingskala –

Nicht erreicht

2

Teilweise erreicht

3

Größtenteils erreicht

4

Vollständig erreicht

Beschreibung Erreichung zwischen 0 % und 15 % Innerhalb des beurteilten Prozesses gibt es kaum oder gar keine Hinweise auf die Erreichung des definierten Attributs Erreichung zwischen 15 % und 50 % Es gibt gewisse Hinweise auf einen Ansatz für das definierte Attribut des beurteilten Prozesses sowie auf eine teilweise Erreichung dieses Attributs. Bestimmte Aspekte der Erreichung des Attributs sind möglicherweise nicht vorhersehbar Erreichung zwischen 50 % und 85 % Es gibt Hinweise auf einen systematischen Ansatz für das definierte Attribut des beurteilten Prozesses sowie auf eine signifikante Erreichung dieses Attributes. Der beurteilte Prozess weist möglicherweise gewisse Schwachstellen im Hinblick auf dieses Attribut auf. Erreichung zwischen 85 % und 100 % Es gibt Hinweise auf einen umfassenden und systematischen Ansatz für das definierte Attribut des beurteilten Prozesses sowie auf eine vollständige Erreichung dieses Attributes. Der beurteilte Prozess weist keinerlei Schwachstellen im Hinblick auf dieses Attribut auf.

Quelle: Cobit 5 Enabling Processes, ISACA (2017) Tab. 7.9  Vergleich der Bewertungen (Beispiel) Frage Werden externe und interne Umgebungsfaktoren (rechtliche, behördliche und vertragliche Verpflichtungen) sowie Entwicklungen in der Geschäftsumgebung dahingehend überprüft, ob sie auf die Konzeption der Governance auswirken können? Wie ist die Bedeutung der IT und deren Rolle für das Kerngeschäft bestimmt? Werden externe Bestimmungen, Gesetze und vertragliche Verpflichtungen herangezogen, um deren Anwendbarkeit in der Governance der Unternehmens-IT zu prüfen?

Exp 3

IT 3

RCO 4

CMP 1

Durchschnitt 2,75

4

4

2

0

2,5

4

4

3

1

3

7  Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe …

137

Tab. 7.9  Frage Wird die ethische Verwendung und Verarbeitung von Informationen an Ausrichtung, Zielen und Zielvorgaben des Unternehmens angepasst? Welche Auswirkungen hat die allgemeine Kontrollumgebung des Unternehmens auf die IT? Auf welchen Prinzipien bauen Sie das Design der Governance der Unternehmens-IT und der ITEntscheidungsfindung auf?

Exp 4

IT 4

RCO 2

CMP 0

Durchschnitt 2,5

4

4

3

1

3

4

4

0

0

2

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018)

7.7.3 Zielreifegrad und Maßnahmen In einem abschließenden Abstimmungsgespräch wurde zwischen den beteiligten Prozessverantwortlichen und Stakeholdern für den Prozess ein Zielreifegrad sowie konkrete Maßnahmen zur Erreichung des Zielreifegrads festgelegt. Tab. 7.10 zeigt als Beispiel das Protokoll des Abstimmgesprächs zum Prozess EDM01.

7.7.4 Status Über eine Statusseite im Intranet (siehe Tab. 7.11) ist der aktuelle Stand des Fortschritts des Self Assessment und der Abstimmgespräche jederzeit für alle Beteiligten einzusehen. Hieraus ist auch die Zuordnung der Prozesse zu den Prozessinhabern und den Stakeholdern erkennbar.

138

N. Pantelmann und A. Werner-Scheer

Tab. 7.10  Protokoll eines Abstimmgesprächs (Beispiel) Datum

08.11.2018 Pkt 1

2

3

4

5

6

7

8

Uhrzeit

Teilnehmer CMP RCO IT

09.00–10.00 Was Es gab starke Differenzen in der Bewertung einer Vielzahl von Fragen zu diesem Prozess. Es konnte in allen abweichenden Punkten durch Austausch von Argumenten eine gemeinsame Sichtweise erzielt werden. Die gemeinsame Einschätzung ergibt nun einen Gesamtwert des Reifegrads von 2 innerhalb der ersten Befähigungsstufe 1.1 Prozessleistung (siehe Methodik COBIT Self Assessment). Der Zielwert des Reifegrads wurde einvernehmlich auf 4 innerhalb der Befähigungsstufe 1.1 Prozessleistung festgelegt. IT und Exp werden für das ITGG Maßnahmenvorschläge für eine Verbesserung des Reifegrads hin zu dem Zielreifegrad erarbeiten. Die Maßnahmen mit einem schnellen Effekt und geringen Umsetzungskosten im Sinne von Quick Wins haben Vorrang bei der Betrachtung. Der festgelegte Zielreifegrad von 4 und die definierten Maßnahmen werden im ITGG abgestimmt und dem Vorstand zur Kenntnis gebracht. Die Teilnehmer sind sich einig, dass es bei D&R Defizite hinsichtlich einer übergeordneten UnternehmensGovernance gibt. Unabhängig von dessen Status gilt es, den Reifegrad der ITGovernance deutlich zu verbessern. IT wird den Status und die weitere Entwicklung der Konzern-Governance mit den SI-Kollegen klären und das ITGG darüber informieren. Wichtig ist, dass sich D&R und SI in ihrem GovernanceReifegrad nicht stark auseinanderentwickeln.

Zweck Besprechung der Ergebnisse des COBIT Self Assessment – EDM01 – Sicherstellen der Einrichtung und Pflege des Governance-Rahmenwerks KAT Wer Bis wann I alle

I

alle

I

alle

I

alle

A

IT Exp

tbd

A

IT

tbd

E

alle

A

IT

tbd

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018)

7  Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe …

139

Tab. 7.11  Zuordnung Prozessverantwortliche/Stakeholder zu Prozessen und Tracking des Status des Self Assessments 3UR]HVV ,7 ,7* &'2 25* ,7% .&2 ,76 5&2 ,7$ &03 ,7( 3(5 867 83/ HUOHGLJW

('0  9

$32 ('0   9 6 6 6

6 6

9

6

%$,  6 6

0($ 

9

6

9

9 6

$32 $32 $32 ('0     6 9 6 6 9 6 6 9

6

6 6

9

6

DXVVWHKHQG

6

6 6 %HVSUHFKXQJ JHSODQW

$32 '66 $32    9 6 6 9 6 9

%HVSUHFKXQJHUIROJW

6 6 %HVSUHFKXQJQLFKW VLQQYROOGDQLFKW JHQ¾JHQG5¾FNODXI

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018) V = Prozessverantwortlicher S = Stakeholder

7.8

Messung der Zielerreichung

Entscheidungen zur Umsetzung der festgelegten Maßnahmen werden in einem separaten Agendapunkt in den ITGG-Sitzungen regelmäßig getroffen und überprüft. Tab. 7.12 zeigt beispielhaft einen Auszug aus dem Sitzungsprotokoll einer ITGG-Sitzung. Tab. 7.12  Auszug aus einem Protokoll der ITGG-Sitzung 2.1.2.

D&R – Themen mit Governance-Relevanz Sachstand neue/geänderte sfO-Prozesse (Daueragendapunkt) Im BAIT II – Projekt erfolgte die Schließung des AP 1 IT-Governance im November 2018 (siehe ITGG-Protokoll vom 11.10.2018). Gemäß der ISACADokumentation GEIT (Getting Startet with Governance of Enterprise IT) wird für die Etablierung der nötigen Prozesse (gemäß COBIT-Prozess-Referenzmodell) ein Zeithorizont von 3–5 Jahren angesetzt. Die Bearbeitung ist somit nicht im Projekt, sondern in der Linie vorzunehmen. Mit diesem Daueragendapunkt wird im ITGG die Umsetzung einem regelmäßigen Monitoring unterzogen. Sachstand Einführung/Umsetzung COBIT Aktivitätenplan: http://doris.bank.local:8090/x/m/EtFw Im nächsten ITGG wird über die Feedbackgespräche berichtet

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018)

140

N. Pantelmann und A. Werner-Scheer

Tab. 7.13  Umsetzungsprüfung festgelegter Maßnahmen Maßnahme Erledigung 01.2019 Verstärkung des Informationsaustauschs zwischen Vorstand und allen Geschäftsbereichen mit der IT zum Thema Geschäftsstrategie und IT-Strategie. Empfehlung: Durchführung einer StrategieKlausurtagung mit VS und F1 Q1.2019 Verstärkung der Kommunikation mit den Vertriebsbereichen. Einrichtung eines Beirats von Kunden, um durch den direkten Dialog die Kundenwünsche besser kennenzulernen. Hospitation von IT-Mitarbeitern in den Geschäftsbereichen. Besuch von Konferenzen. Austausch mit externen Beratern

Aktion Thema auf der Agenda der nächsten GL-Sitzung

Aktueller Status offen

Thema in der BL-Sitzung offen adressiert. Einzelheiten sind noch abzustimmen.

Quelle: Vorgehensmodell COBIT Self Assessment, Pantelmann und Werner-Scheer (2018)

Der Status der beschlossenen Umsetzungsmaßnahmen wird in einem Statusreport festgehalten und gegenüber dem ITGG regelmäßig berichtet. Tab. 7.13 zeigt beispielhaft einen Auszug aus dem Statusreport.

7.9

Kontinuierliche Überwachung und Verbesserung

Da in den betrachteten Prozessen noch keine Methodik für eine kontinuierliche Verbesserung vorgesehen ist, erfolgt eine ständige Überwachung im Rahmen der ITGG-Abstimmungen. Hier kann die Durchführung weiterer Self Assessments oder die notwendige Verbesserung von Prozessbefähigungen entschieden sowie die Umsetzung notwendiger Maßnahmen beschlossen werden.

7.10 Schlussbetrachtung Durch die vorgestellte Methodik wurde bei D&R kurzfristig die Ist-Situation beleuchtet, wichtige Prozesse bewertet und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung des Zustands festgelegt. Das beschriebene Vorgehen hat bei D&R zu einem besseren Verständnis von Prozessen und dem Zusammenspiel von Prozessen beigetragen. Die Themen Prozessverantwortung und COBIT konnten nachhaltig verankert und die Governance gestärkt werden. Durch die Umsetzung der festgelegten Maßnahmen können die Prozesse kontinuierlich verbessert werden.

7  Professionalisierung der IT-Governance und -Managementprozesse mithilfe …

141

Literatur BaFin (2017) Rundschreiben 10/2017 über Bankaufsichtlichen Anforderungen an die IT (BAIT). Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bonn/Frankfurt am Main ISACA (2017) Cobit 5 Enabling processes. Information Systems Adit and Control Association (ISACA), Rolling Meadows Pantelmann und Werner-Scheer (2018) Vorgehensmodell zur Verbesserung der IT-Governance mit COBIT, unveröffentlichtes Dokument. Pantelmann und Werner-Scheer, Hamburg und Malente Pfannstiel MA, Steinhoff PF-J (Hrsg) (2018) Der Enterprise Transformation Cycle, Theorie, Anwendung, Praxis. Springer Fachmedien, Wiesbaden Prammer K (2009) TransformationsManagement. Theorie und Werkzeugset für betriebliche Veränderungsprozesse. Carl-Auer, Heidelberg Procedera (2018) Umfrage: Jeder dritten Bank drohen BaFin-Sanktionen. https://www.presseportal. de/pm/104119/4110500. Zugegriffen am 15.01.2019 Stiles P, Uhl A, Stratil P (2012) Meta management. In: Uhl A, Gollenia LA (Hrsg) A handbook of business transformation management methodology. Routledge, New York, S 41–59 Transformation Consulting International (2018) Der Enterprise Transformation Cycle. Transformation Consulting International (TCI). https://www.tci-partners.com/de (TCI-Facts). Zugegriffen am 19.09.2018

Nico Pantelmann  ist zertifizierter IT-Governance Manager, Six Sigma Black Belt und ITIL-Professional. Die ersten Jahre seines Berufslebens waren durch das Thema IT-Projekte geprägt. Unter anderem war Herr Pantelmann verantwortlich für die Einführung eines User Helpdesks mit 40 Mitarbeitern bei einem Elektronikkonzern und verschiedenen Roll Out und Umstellungsprojekten mit mehreren 1000 Clients. Seit 2013 ist Herr Pantelmann beim Bankhaus Donner & Reuschel fest angestellt und verantwortet dort den Fachbereich IT-Governance.

Andreas Werner-Scheer  war nach seinem Abschluss als Di­ plom-Ingenieur in verschiedenen Unternehmenund Unternehmensberatungen als IT-Manager tätig. In 18 Jahren als CIO lag der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in der Neuausrichtung bzw. Transformation der Unternehmens-IT. Mit diesen Erfahrungen konnte er als Practice Head unterschiedlicher Consulting-Unternehmen seine Kunden erfolgreich bei der Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategien unterstützen. Seit Anfang 2017 ist Andreas Werner-Scheer selbstständiger Managementberater und Partner bei TCI. Der Fokus seiner Tätigkeit liegt im Bereich Programm- und Projektmanagement komplexer IT-Transformationsprojekte und dem Coaching von IT-Organisationen zur Verbesserung der IT-Governance-, Management-, und Serviceprozesse mithilfe von Standards wie ITIL und COBIT. Andreas Werner-Scheer ist zertifizierter EXIN Scrum Master und Product Owner. Er leitet ehrenamtlich den Arbeitskreis Banking in der DSAG, der Deutschsprachigen SAP Anwendergruppe.

8

Welche Fähigkeiten benötigt ein Unternehmen um Künstliche Intelligenz nachhaltig erfolgreich einzusetzen? Christina Rode-Schubert und Patrick Müller

Inhaltsverzeichnis 8.1  8.2  8.3  8.4 

 as ist Künstliche Intelligenz?  W Was kann Künstliche Intelligenz?  Was leistet Künstliche Intelligenz in den Segmenten Engineering und Healthcare?  Welcher Business Capabilities bedarf es, um nachhaltig von Künstlicher Intelligenz zu profitieren?  8.5  Die Implementierung von Business Capabilities unter Verwendung des Enterprise Transformation Cycle ETC  8.6  Schlussbetrachtung  Literatur 

 144  145  148  152  158  165  166

Zusammenfassung

Künstliche Intelligenz, 1956 als Forschungsgebiet initiiert, revolutioniert heute auf Basis der Verfügbarkeit großer Datenmengen und leistungsstarker Rechnern die Wirtschaft. Für Unternehmen ist es von höchster wirtschaftlicher Relevanz, diesen Trend für ihr Marktsegment zu analysieren, sowie korrespondierende Business Capabilities aufzubauen und vorhandene Fähigkeiten zu adaptieren. T2A, trend2ability, ist eine ­Methoden- und Toolbox, die Unternehmen von der Analyse bis zur Erstellung einer

C. Rode-Schubert (*) Heidelberg, Deutschland E-Mail: [email protected] P. Müller Walldorf, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_8

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144

C. Rode-Schubert und P. Müller

Fähigkeiten-­Roadmap unterstützt. Der ETC, Enterprise Transformation Cycle, dient der Umsetzung der eruierten und definierten Implementierungsszenarien von Business Capabilities im Unternehmen. Dieses Kapitel gibt eine erste Einführung in die Künstliche Intelligenz. Es behandelt eine Auswahl essenzieller Fähigkeiten, die benötigt werden, um nachhaltig und erfolgreich von dem Trend „Künstliche Intelligenz“ profitieren zu können. Und es nutzt den ganzheitlichen Ansatz des ETC, um auf allen Unternehmensebenen, von der Strategie über die Prozesse und die IT bis zur Governance und den Menschen, die den Erfolg eines Unternehmens wesentlich mitgestalten, beispielhaft zu implementierende Fähigkeiten darzustellen.

8.1

Was ist Künstliche Intelligenz?

„Wir beginnen zu beobachten, dass Computer vorhersehen können, was Menschen tun, bevor sie es tun“, konstatiert Michael Chui, Partner am McKinsey Global Institute (Chui 2018). Wie ist diese Aussage von Chui einzuordnen? Experten unterscheiden zwischen schwacher und starker künstlicher Intelligenz (KI), sowie der künstlichen Superintelligenz (s. Abb. 8.1). Die schwache KI ist auf ein spezifisches und abgegrenztes Fachgebiet limitiert. Der Sieg des IBM-­Schachprogramms Deep Blue in New York gegen Garri Kimowitsch Kasparow, den Schachweltmeister von 1985–2000, kennzeichnet 1997 den Durchbruch der schwachen künstlichen Intelligenz (Deep Blue 2019). Die erste KI-Konferenz fand jedoch Artificial intelligence Linguistics

Vision

Language synthesis

Robotics Planning

Sensor

Machine learning Support vector machines

Data science kNN

Bayesian learning

Decision trees Deep learning

Text mining Time series forecasting Recomendation engines

Statistics

Data preparation

Visualizing

Experimentation

Process mining Process paradigms

Abb. 8.1  Artificial Intelligence, Machine Learning und Data Science. (Quelle: in Anlehnung an Kotu und Deshpande 2019)

8  Welche Fähigkeiten benötigt ein Unternehmen um Künstliche Intelligenz …

145

bereits 1956 statt, aus ihr ging ein Projekt hervor, in welches die IBM eingebunden war (Bosch 2019). Heute ist die schwache künstliche Intelligenz Gegenstand des täglichen Lebens. Sie ist dabei auf eine spezifische erlernte Aufgabe fokussiert, beispielsweise auf Objekterkennung, Gesichtserkennung oder Spracherkennung und findet somit unter anderem Verwendung in jedem Smartphone oder in Spracherkennungsprogrammen intelligenter Lausprecher. Starke künstliche Intelligenz wird von Walster, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), als „Versuch bezeichnet, Leistungen, für die der Mensch Intelligenz benötigt, auch durch Computer erbringen zu lassen“ (Walster 2019). Dies bedeutet, dass die starke KI das Erlernte autark auf andere Gebiete übertragen und dort anwenden kann. Aussagen zum Zeitpunkt der Verfügbarkeit dieser Fähigkeit eines Computersystems sind spekulativ. Die künstliche Superintelligenz ist ein Zukunftsszenario und bezeichnet einen Reifegrad, bei dem künstliche Systeme in jeder Hinsicht intelligenter sind als der Mensch. Dies gilt in allen Bereichen, einschließlich wissenschaftlicher Kreativität, allgemeiner Weisheit und sozialer Fähigkeiten (Kukla 2017). Der Informatikpionier Alan Turing veröffentlicht 1950 die Abhandlung „Computing machinery and intelligence“, in der er sich mit den Fragen einer künstlichen Intelligenz beschäftigt und den – heute sogenannten – „Turing-Test“ entwickelt (Strick 2019). Der Test dient der Verifikation der Intelligenz einer Maschine/Software. „Das Testszenario“ besteht darin, dass eine Testperson nur aufgrund eines frei gewählten Dialogs mit zwei ihr ansonsten unbekannten Dialogpartnern entscheidet, welcher der beiden Gesprächspartner ein Mensch und welcher eine Maschine ist. Gelingt es der Testperson nicht eindeutig, die Maschine im Dialog zu identifizieren, ist diese Maschine/Software „intelligent“ (vgl. auch Manhard 2018). Nach Walster wird zwischen kognitiver, sensomotorischer, emotionaler und sozialer Intelligenz unterschieden. Rekrutiert Michael Chuis Aussage auf einer Überlegenheit der Maschine gegenüber dem Menschen in Bezug auf dessen „kognitive Intelligenz“? Bis heute jedenfalls hat noch keine Maschine beziehungsweise Software den Turing-Test zweifelsfrei bestanden (Rode-Schubert und Lutze 2019a). Aus welchen Elementen die KI sich zusammensetzt, hat die Bitkom in einem „Periodensystem der Künstlichen Intelligenz“ abgebildet. Intention ist, „systematisch über die Einsatzzwecke, Chancen und Risiken von KI zu reflektieren, ohne sich dabei in Diskursen über ihre technische Umsetzung zu verlieren …“ (s. Abb. 8.2) (Bitkom 2019a).

8.2

Was kann Künstliche Intelligenz?

Der aktuelle Leistungsfortschritt der KI basiert im Wesentlichen auf der Verwendung von Artifical Neural Networks (ANN), insbesondere den Deep Neural Networks. Diese ANN haben zwar ein biologisches Vorbild, dienen aber primär der Abstraktion der Eigenschaften und weniger der Nachbildung biologischer neuronaler Netze. Deep Neural Networks

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C. Rode-Schubert und P. Müller Künstliche Intelligenz Arficial Intelligence

Algorithmen KI basiert auf einer speziellen Art von Algorithmen, die üblicherweise mit Intelligenz assoziiertes, menschliches Verhalten nachbilden. Diese Fähigkeit besteht heute am ehesten bei maschinell lernenden, neuronalen Netzwerken. Algorithmen, die Wissen formal repräsentieren, planen und Schlussfolgerungen aus Daten ableiten.

Maschinelles Lernen Machine Learning Ein Programm wertet Daten auf Basis seines vorherigen Trainings aus und zieht diagnossche Schlussfolgerungen, insbesondere Prognosen für die Zukun. Die Programme lernen anhand definierter Lernverfahren aus einer großen Menge von Trainingsdaten.

Neuronale Netzwerke Deep Learning Künstliche neuronale Netzwerke nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns. Sie sind diesem bei großen, unstrukturierten Datenmengen überlegen. Es handelt sich um eine Komplexe Variante des ML, die in der Lage ist, selbständig Strukturen in unstrukturierten Daten zu erkennen und zu erlernen.

Intelligente smarte Intelligenz

Abb. 8.2  Künstliche Intelligenz – Elemente und Einordnung. (Quelle: VDE 2019)

sind durch die Vernetzung vieler Verarbeitungsschichten („hidden layern“) zwischen einer Eingangs- und einer Ausgangsschicht gekennzeichnet. Aus Signalen in der Eingangsschicht werden durch die Vernetzung in den Verarbeitungsschichten Schlussfolgerungen in der Ausgangsschicht abgeleitet (s. Abb. 8.3). „Bisher mussten entsprechende Schlussfolgerungsprozesse aufwendig im Detail ausprogrammiert werden, die entsprechenden Algorithmen erforderten zusätzlich ein umfassendes Datenmodell“. ANNs können solche Schlussfolgerungen alleine aus einer sehr großen Menge von Trainingsdaten erlernen und so z. B. Muster in Texten, Bildern oder Sprache erkennen. In der Trainingsphase wird die Verifizierung oder Falsifizierung solcher Muster typischerweise anhand manuell bewerteter Trainingsbeispiele durchgeführt, dem ‚überwachten Lernen‘“. (Rode-Schubert und Lutze 2019)

Umfang und Qualität der Trainingsdaten sind die erfolgskritischen Faktoren für diese Gruppe maschineller Lernverfahren (vgl. Rode-Schubert und Lutze 2019). Algorithmen zum unüberwachten Lernen (Unsupervised Learning) erkennen unbekannte Muster in Daten und leiten Regeln/Cluster aus diesen ab. Die gefundenen Regeln/ Cluster müssen aber anschließend vom Menschen interpretiert und benannt (Labeling) werden. Unüberwachte maschinelle Lernverfahren benötigen in der Regel ebenfalls eine große Datenmenge, damit sie zufriedenstellend funktionieren. Dem gegenüber steht als dritte große Gruppe von maschinellen Lernverfahren das Reinforcement Learning (RL). Heinz (2018) beschreibt Reinforcement Learning als „eine am natürlichen Lernverhalten des Menschen orientierte Methode“, die dem Prinzip „Trial and Error“ unter Verwendung von „Belohnung oder Bestrafung“ folgt. Heinz (2018) erklärt das RL Verfahren wie folgt: „Reinforcement Learning besteht formal betrachtet aus fünf wichtigen Komponenten, nämlich (1) dem Agenten (agent), (2) der Umgebung (environment), (3) dem Status (state), (4) der Aktion (action) sowie (5) der Belohnung (reward).“ Grundsätzlich lässt sich der Ablauf wie folgt beschreiben: Der Agent führt in einer Umgebung zu einem bestimmten Status (s_t) eine

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147

Abb. 8.3  Machine Learning – Landkarte. (Quelle: Fischer und Winkler 2019) Aktion (a_t) aus dem zur Verfügung stehenden Aktionsraum A durch, die zu einer Reaktion der Umgebung in Form einer Belohnungen (r_{t}) führt (siehe Abb. 8.4). Die Reaktion der Umgebung auf die Aktion des Agenten beeinflusst nun wiederum die Wahl der Aktion des Agenten im nächsten Status (s_{t+1}). Über mehrere Tausend, Hunderttausend oder sogar Millionen von Iterationen ist der Agent in der Lage, einen Zusammenhang zwischen seinen Aktionen und dem künftig zu erwartenden Nutzen in jedem Status zu approximieren und sich somit entsprechend optimal zu verhalten. Dabei befindet sich der Agent immer in einem Dilemma zwischen der Nutzung seiner bisher erworbenen Erfahrung auf der einen und der Exploration neuer Strategien zur Erhöhung der Belohnung auf der anderen Seite. Dies wird als „Exploration-Exploitation-Dilemma“ bezeichnet. Die Approximation des Nutzens kann dabei modellfrei, also über reine Exploration der Umgebung erfolgen oder durch die Anwendung von Machine-Learning-Modellen, die den Nutzen einer Aktion zu approximieren versuchen. Letztere Variante wird insbesondere dann angewendet, wenn der Status- und/oder Aktionsraum von hoher Dimensionalität ist.

Reinforcement Learning wurde beispielsweise beim Sieg von Googles KI AlphaGo über den weltbesten menschlichen Go-Spieler eingesetzt. Heinz (2018) konstatiert: „AlphaGo wäre mit klassischen Methoden des Supervised Learning nicht darstellbar gewesen, da aufgrund der unendlichen Anzahl an Spielzügen und Szenarien kein Modell in der Lage gewesen wäre, die Komplexität der Aktions-Reaktions-Beziehungen als reines Input-­Output-Mapping abzubilden. Stattdessen werden Methoden benötigt, die in der Lage sind, selbständig auf neue Gegebenheiten der Umgebung zu reagieren, mögliche zukünftige Handlungen zu antizipieren und diese in aktuelle Entscheidung mit einfließen zu lassen. Die Klasse der Lernverfahren, auf denen Systeme wie AlphaGo basieren werden als Reinforcement Learning bezeichnet.“ Diese Art von Verfahren benötigt adäquate Hardware. Helmstaedters (2018) konstatiert, dass die heutigen Fortschritte beim maschinellen

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C. Rode-Schubert und P. Müller

Agent

Status st

Belohnung rt

Aktion at

rt+l st+l

Umgebung

Abb. 8.4  Reinforcement Learning. (Quelle: in Anlehnung an Heinz 2018)

Lernen auf Erkenntnissen der Hirnforschung aus den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts beruhen und die Zukunft in der Entwicklung von „neuromorphen Chips“ liegt. Er beschreibt damit eine der KI Forschungsrichtungen. Sie nutzt Mikrochips nach dem Beispiel natürlicher Nervennetze. Diese Mikrochips verändern ihre Verschaltung wie bei natürlichen Nervennetzen durch Lernen. Wie im Gehirn werden Verbindungen auf- und abgebaut. Dies unterscheidet sie von herkömmlichen Chips, bei denen die Verschaltung fix ist. Veränderungen der Vernetzung werden bei den herkömmlichen Chips mittels Software und dem Setzen von Verbindungsgewichten simuliert. Durch die Realisierung von neuromorphen Chips in Hardware erhofft man sich eine Geschwindigkeitssteigerung, unter Ausnutzung der räumlichen Anordnung, sowie eine Energieeffizienzsteigerung.

8.3

 as leistet Künstliche Intelligenz in den Segmenten W Engineering und Healthcare?

Nach einer Studie der Bitkom, erwartete jedes zweite Unternehmen (49 Prozent) eine tiefgreifende Veränderung bestehender Geschäftsmodelle durch das maschinelle Lernen: „Unternehmen versprechen sich durch den Einsatz von KI in der smarten Fabrik eine Vielzahl von Vorteilen. Dazu gehören für jedes zweite Unternehmen etwa die Steigerung der Produktivität (47 Prozent), Predictive Maintenance, also die Verbesserung der Fehlererkennung und dadurch Reduktion der Ausfallzeiten von Maschinen (39 Prozent) sowie Prozessoptimierungen in Produktion und Fertigung (33 Prozent). Jedes vierte Unternehmen (25 Prozent) meint außerdem, dass sich durch KI in der Fabrik die Produktqualität steigern lässt. Jedes fünfte Unternehmen verspricht sich eine bessere Skalierbarkeit (20 Prozent) und weniger Kosten, etwa für Personal, KI ist auch ein Betätigungsfeld, in dem sich eine große Anzahl an Start-ups und Scale-ups positionieren. Venture Scanner berichtet für 2019 von 2545 KI-Start-ups mit einer Risikokapitalsumme von 63 Mrd. $ (Venture Scanner 2019).

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Im Folgenden werden Anwendungsbeispiele beschrieben und die Potenziale der künstlichen Intelligenz aufgezeigt.

8.3.1 Praxisbeispiele Künstlicher Intelligenz im Engineering Produktsicherheit in der Automobilindustrie Die gesetzlichen geregelten Anforderungen an die Sicherheit von Produkte, die in den Verkehr gebracht werden, sind hoch. In der Automobilindustrie optimiert die künstliche ­Intelligenz beispielsweise den Prozess der Absicherung eines Produktes unter unterschiedlichen Bedingungen. KI findet unter anderem Verwendung um in einem Hardware-in-the-­ Loop(HIL)-Prüfstand den elektrischen Antriebsstrang abzusichern. Hier werden reale Systeme mit einer virtuellen Umgebung verbunden. Eine Vielzahl virtueller Teststrecken, Umweltbedingungen, Fahrertypen und weiterer Parameter werden erprobt. Unter Verwendung dieser KI-Lösung lassen sich kritische Szenarien identifizieren, die dann unter realen Bedingungen verifiziert werden (Kuther 2018). Predictive Maintenance Beispiel Wasserkraftwerk: Hier wird Predictive Maintenance verwendet, um mögliche Stillstände frühzeitig zu erkennen. Hierzu werden intelligenten Geräuschanalysen eingesetzt, welche die Umgebungsgeräusche auswerten, die an verschiedenen Stellen eines Kraftwerks aufgezeichnet werden. Das System ergänzt die bestehende menschliche Überwachung der Kraftwerksanlage und erkennt potenzielle Maschinenschäden frühzeitig (Voith 2018). Integration von KI in eine Maschine zur Optimierung deren Leistung Beispiel Papierindustrie: Die Herstellung von Papier ist ein sehr komplexer Prozess. Eine Papiermaschine hat eine Länge von mehreren hundert Metern. Eine Vielzahl von Parametern wird eingestellt, um ein optimales Ergebnis zu erreichen. KI-basierende Lösungen gewährleisten die optimale Einstellung aller Maschinenparameter, von der Rohstoffmischung über die Prozessführung bis hin zu den Maschinenparametern selbst (Voith 2019). Engineering Intelligence Beispiel Produktentwicklung: Das Model-Based Systems Engineering (MBSE) ist die formalisierte Anwendung der Modellierung zur Unterstützung von Systemanforderungen, Design, Analyse, Verifikation und Validierung in der Produktentwicklung über den gesamten Produktlebenszyklus. Die Fraunhofer Gesellschaft entwickelt Lösungen, um KI innerhalb des MBSE zu nutzen. Dazu gehören etwa integrierte Funktionen zur Anforderungsund Architekturbewertung, Wissensextraktion aus Produkt- und Nutzungsdaten oder auch die Priorisierung und Erstellung von Testfallen auf Basis von Service- und Fehlerfällen (Bretz et al. 2018).

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8.3.2 Potenziale der Künstlichen Intelligenz im Gesundheitswesen „Künstliche Intelligenz ist die Schlüsseltechnologie der Zukunft – gerade im Bereich Gesundheit. Sie kann dazu beitragen, Krankheiten früher zu erkennen, Menschen besser zu versorgen und die Gesundheitsausgaben allein in Europa in den kommenden zehn Jahren, um einen dreistelligen Milliardenbetrag zu senken.“ Dies ist das Ergebnis einer PwC-­ Studie (PwC 2017). Die Erwartungen an den Nutzen durch den Einsatz künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen sind hoch. Die Herausforderungen sind es auch. Sie unterscheiden sich von den Szenarien im Engineering, wie sie zuvor beschrieben wurden, insbesondere dadurch, dass es sich um personenbezogene Daten handelt. Große Mengen an Daten sind in vielen Einrichtungen des Gesundheitswesens verfügbar. Diese Daten gehören demjenigen, von dem sie erhoben wurden. In Kliniken sind dies beispielsweise Patienten. Es gibt Patienten, insbesondere in Universitätskliniken, die der Verwendung ihrer Daten zugestimmt haben. Liegen die Daten in anonymisierter Form vor, ist ihre Verwendung dann zulässig, wenn sie nicht re-identifizierbar sind. Liegen sie in pseudonymisierter oder personalisierter Form vor, sind sie nur für den Kontext verwendbar, in dem sie erhoben wurden. Die Verwendung der Daten unter Nutzung künstlicher Intelligenz ist dann ein neues Szenario, welches einer entsprechenden Zustimmung durch den Eigentümer der Daten, hier dem Patienten, bedarf. Das bedeutet, der Datenaufbau patientenbezogener Daten beginnt mit der Zustimmung der Patienten durch Unterschrift, die in der Regel elektronisch erfolgt. Um die Daten fusionieren, aggregieren und auswerten zu können, muss sichergestellt werden, dass die Daten, die aus unterschiedlichen Quellen stammen, in Formaten verfügbar sind, die diese Datenaufbereitung und Datenanalyse erlauben. Dabei ist Grundlage für die Verwendung von künstlicher Intelligenz, beispielsweise in der Diagnostik, die Verfügbarkeit trainierter Systeme. Diese benötigen, um trainiert werden zu können, valide Trainingsdatensätze. Ist die Lösung, die entwickelt wird, ein Medizinprodukt, so sind neben den Anforderungen aus Datenschutz und Datensicherheit auch die Vorgaben der Medizinprodukte-­ Gesetzgebung der jeweiligen Länder umzusetzen. Dabei berücksichtigt die Gesetzgebung noch nicht, dass ein Medizinprodukt zukünftig ein selbstlernendes System sein kann. Hier besteht Handlungsbedarf. Darüber hinaus kommen ethische Aspekte und Fragestellungen, wie sie auf nationaler (Bundestag 2019), europäischer (EU-Kommission 2019) und internationaler (Congress 2019) Ebene gegenwärtig erörtert werden. Entwicklungen unter Verwendung von künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen werden medial stark verfolgt. Von besonderem Interesse ist dabei, im Sinne der Fragestellung Alan Turings, ob sich zwischen den Ergebnissen der künstlichen Intelligenz und denen des Facharztes unterscheiden lässt beziehungsweise wo die validere Diagnose gestellt wurde. IEEE hat über einen Zeitraum von 2,5 Jahren bis Oktober 2018 diesbezüglich Ergebnisse „AI vs. Doctors“ (AI = „artificial intelligence“) erfasst (IEEE 2018). Die Ergebnisse divergieren nach Krankheitsbildern und Einsatzgebieten. Intensivstationen bieten aufgrund des kontinuierlichen Monitorings und der Verwendung entsprechender Geräte gute Voraussetzungen für KI-Analysen. Verfahren, bei denen Bilder relevant für eine

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­ iagnose sind, sogenannte bildgebende Verfahren, zählen zu den bisher validesten AnD wendungsszenarien von KI im Gesundheitswesen. In einer internationalen Kooperation wies beispielsweise das Universitätsklinikum Heidelberg nach, wie gut Deep-Learning-Algorithmen Hautkrebs erkennen helfen: Die Algorithmen erkannten 95 Prozent der gefährlichen Melanome, die Fachärzte/Dermatologen 86 Prozent. „Die Forschergruppe hatte das Netzwerk zuvor mit mehr als 100.000 von menschlichen Experten annotierten Bildern darauf trainiert, gefährliche Hautveränderungen von gutartigen Muttermalen zu unterscheiden. Anschließend trat der Computer gegen 58 Dermatologen aus 17 Ländern an – und siegte.“ (Spektrum.de 2018)

Verfahren zur evidenzbasierten Entscheidungsunterstützung des Arztes, beispielsweise in der Radiologie, das Monitoring, auch das Selftracking von Personen und die Erfassung und Bewertung von Parametern einer Krankheit, wie beim Diabetes, sind die am häufigsten genannten Einsatzgebiete künstlicher Intelligenz. In der Radiologie existieren zwischenzeitlich Systeme, die darauf trainiert sind, unter Berücksichtigung von Kontrolldaten gesunder Probanden zu befunden. Ein Ergebnis der „AI vs. Doc“-Untersuchung des IEEE zeigte jedoch auch, dass gehackte und dadurch manipulierte Bilder von Fachärzten deutlich besser erkannt wurden als von der KI (vgl. Choi 2018). Die Bandbreite von KI-Anwendungsgebieten im Gesundheitswesen hat PwC hat in seiner „Sherlock in Health Studie“ (PwC 2017) beschrieben (siehe Abb. 8.5).

Abb. 8.5  AI applications in Healthcare. (Quelle: PwC 2017)

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Die Daten stammen aus unterschiedlichsten Quellen. Zu berücksichtigen sind die verschiedenen Integrationstiefen von Daten. Endkunden nutzen Smartphone-Apps oder Wearables, um Fitnessdaten oder Parameter im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung zu erfassen und zu interpretieren. Apple hat 2019 eine Smartwatch auf den Markt gebracht, die über einen EKG-Sensor verfügt und Vorhofflimmern unter Verwendung einer App und cloudbasierter KI erkennen kann. Die Qualität dieser Lösung wird auch von Fachärzten als hoch bewertet: „Der Vorteil ist, dass die Apple Watch ein EKG jederzeit innerhalb weniger Sekunden schreiben kann. Die Qualität des EKGs ist hervorragend“, so ein Spezialist der Medizinischen Hochschule Hannover (Heise 2019). Im professionellen Bereich kommen Systeme wie die der Bilderkennung in der Radiologie (Chen et al. 2017) zum Einsatz, ein zusätzlicher Mehrwert ergibt sich über die Fusion von Daten unterschiedlicher Quellen als Grundlage für Auswertungen und Prognosen. Diese können bis hin zu komplexen Datensätzen aus histologischen oder genetischen Auswertungen reichen (vgl. auch Ärzteblatt 2018). Bei Daten aus professionellen Systemen darf eine Validität der Daten antizipiert werden. Vergleichbare Datenformate werden angestrebt. Die Fusion mit Daten aus Endkundengeräten ist eine Herausforderung. Eine der großen Visionen ist die des „Digitalen Zwillings“ einer Person. Sie bedarf nicht zuletzt der Zusammenführung von Daten aus den unterschiedlichsten Kontexten. Global Player, wie Siemens, arbeiten heute an „Digitalen Zwillingen“ einzelner Organe, wie dem Herz (Industry of Things 2019). Siemens zählt zu den Pioneer in Bezug auf den Einsatz von KI im Gesundheitswesen in Deutschland. Im Juli 2019 gab das Unternehmen bekannt, dass ihre KI-basierte Software AI-Rad Companion Chest CT, ein digitaler Assistent, der CT-Aufnahmen des Brustkorbs automatisch auswertet und pathologische Auffälligkeiten kennzeichnen kann, für den Europäischen Markt zugelassen wurde (Engelke 2019).

8.4

 elcher Business Capabilities bedarf es, um nachhaltig von W Künstlicher Intelligenz zu profitieren?

Eine Business Capability definiert die Fähigkeiten eines Unternehmens, erfolgreich eine Kernaktivität durchzuführen. Die Business-Capability-Betrachtung basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz. Sie beantwortet die Frage: Was kann ein Unternehmen? Bei der Beantwortung werden alle Ebenen eines Unternehmens berücksichtigt: Business Capabilities umfassen die Kenntnisse und Fertigkeiten von Mitarbeitern und Führungskräften, die strategische Ausrichtung des Unternehmens, sowie die prozessuale Umsetzung und die unterstützenden Technologien und Maschinen. Der Aufbau von Business Capabilities ist ressourcenintensiv, vor allem, wenn neue Mitarbeiter eingestellt oder ausgebildet, Prozesse verändert oder IT-Systeme eingeführt oder adaptiert werden müssen. Es werden mehrere unterschiedliche Fähigkeiten auf verschiedenen Ebenen benötigt, um Veränderungen, wie sie sich durch künstliche Intelli­ genz  im Unternehmen ergeben, zu nutzen, beziehungsweise die daraus erwachsenden

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­ nforderungen zu erfüllen. Wir setzen für die Eruierung von Veränderungspotenzialen A durch verschiedene Einflussfaktoren wie die künstliche Intelligenz trend2ability, eine von uns entwickelte Methode, sowie ergänzende Tools ein. Informationen zur T2A-Methodenund Toolbox sind online unter „trend2ability“ verfügbar (vgl. Müller and Rode-Schubert 2018).

8.4.1 Die Fähigkeit, Einsatzpotenziale für KI zu erkennen Lernende Systeme auf Basis künstlicher Intelligenz werden Geschäftsmodelle und die Arbeitswelt der Zukunft nachhaltig verändern. Unternehmen müssen über die Fähigkeit verfügen, Einsatzpotenziale der KI rechtzeitig zu erkennen. Hier sind Unternehmen im Vorteil, die sich bereits mit Data Science, der Extraktion von Wissen aus Daten, auseinandergesetzt haben. Unternehmen, die nicht über diese Fähigkeit verfügen, sollten diese zeitnah aufbauen. Es wird antizipiert, dass KI kein kurzlebiger Trend ist. Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, über die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen zu entscheiden. Eine Follower-Strategie bezüglich der Auseinandersetzung mit und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz birgt aus diesem Grund Gefahren, denn die Anzahl an KI-Szenarien, die eingesetzt werden, entwickelt sich sehr schnell weiter. Abwartend die Entwicklungen hinsichtlich einer Best Practice zu beobachten, bedeutet einen Erfahrungsrückstand auf heutige oder zukünftige Wettbewerber (Müller-Jones 2017). Einen ersten Überblick über die Forschungsthemen zu KI vermittelt die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte und in Kooperation mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) betriebene Internetseite „Plattform Lernende Systeme“. Auf dieser Plattform für Künstliche Intelligenz“, ist u. a. eine „KI-Landkarte“ veröffentlicht (Lernende Systeme 2019).

8.4.2 Die Fähigkeit, KI-Potenziale einzuordnen Unternehmen schwanken beim Thema KI zwischen Verunsicherung und Euphorie. Verunsicherung und Euphorie basieren dabei auf derselben Ursache, es mangelt an Wissen und vor allen an Erfahrung mit der Verwendung von Algorithmen, maschinellem Lernen und neuronalen Netzen. Die künstliche Intelligenz birgt große Potenziale in ihrer Entwicklung von der schwachen über die starke Intelligenz zur künstlichen Superintelligenz. Die Grundlage für Fähigkeiten zur Verwendung von KI müssen heute gelegt werden. Die verfügbaren Tools und Methoden der schwachen Intelligenz bieten erste wichtige Möglichkeiten, Fähigkeiten aufzubauen. Unternehmen müssen eigene praktische Erfahrungen entwickeln und auf die Erfahrungen von Experten zugreifen, um die Fähigkeit einer realistischen Einschätzung von künstlicher Intelligenz in ihrem Marktsegment und darüber hinaus zu erwerben, sowie die Herausforderungen, wie sie in diesem Kapitel beschrieben sind, kennenzulernen.

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Die KI-Elemente, die jeweils eine Teilfunktion repräsentieren, die „sich historisch als gekapselte Funktionalität einer bestimmten Komplexität und Mächtigkeit etabliert hat“, wurden 2018 von der Bitkom für einen ersten Überblick in der Publikation „Digitalisierung gestalten mit dem Periodensystem der Künstlichen Intelligenz. Ein Navigationssystem für Entscheider“ zusammenfassend dargestellt (Bitkom 2018).

8.4.3 Die Fähigkeit des Zugangs zu großen Datenmengen Um eine KI trainieren und einsetzen zu können, benötigen Unternehmen Zugriff auf Daten. Heute entstehen große Mengen unterschiedlicher Daten in hoher Geschwindigkeit. 2018 wurden weltweit erstmals 1,8 Zettabyte Daten produziert. Prognosen zufolge verdoppelt sich das Volumen alle zwei Jahre. Diese Entwicklungen determinieren den Begriff „Big Data“. Das Datenwachstum rekrutiert auch auf die Ausstattung von Maschinen und Anlagen mit Sensorik. Die dadurch gewonnenen Daten bieten den Herstellern die Grundlage zur Analyse von Fragestellungen unter anderem in Bezug auf Produkt- und Prozessoptimierungen und eine verbesserte, prädiktive Wartung (May 2019). Flugzeugturbinenhersteller beispielsweise verfügen somit über die Fähigkeit zu wissen, wann für welche Turbine eine Inspektion vorzusehen ist. Energieerzeuger besitzen dadurch die Fähigkeit die Messdaten des Stromzählers elektronisch abzulesen usw. Es ist eine relevante Fähigkeit, die Unternehmen entwickeln müssen, zu erkennen, welche Daten für ihre Use-Cases relevant sind, sowie diese aus der großen Menge an entstehenden Daten zu extrahieren. Um diese Anforderungen erfüllen zu können sind auch neue Berufsbilder entstanden, wie die des Data Scientists, Data Engineers und Architects oder Data Visualizer. In der Interaktion dieser Datenspezialisten werden Daten für den Einsatz von künstlicher Intelligenz aufbereiten. Daten werden ausgelesen, transportiert, bereinigen und verknüpft. Durch ihre Arbeit wird die Grundlage für wiederholbare Analysen geschaffen. Dabei werden Daten aufbereitet und die Grundlage für die Auswahl geeigneter Datenquellen geschaffen. Sie experimentieren mit Daten und sie entwickeln bzw. adaptieren Algorithmen, um individuelle unternehmensspezifische Fragestellungen zu beantworten (vgl. CIO 2019)

8.4.4 Die Fähigkeiten der Datenbereinigung und Datenanalyse Die Herausforderungen für Datenspezialisten sind vielfältig. So sammeln Unternehmen Daten ihrer Kunden seit mehreren Jahren. Insbesondere Online-Händler, Banken und Versicherungen verfügen über umfängliche Daten über ihre Kunden. Diese Daten werden meist in unterschiedlichen Systemen verwaltet, liegen in unterschiedlichen Formaten vor und sind nicht miteinander verknüpft. Diese miteinander in Beziehung zu setzen und aus ihnen, unter Berücksichtigung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), Wissen für das Unternehmen zu generieren, zählt zu diesen Herausforderungen und ist eine zukunftsweisende Fähigkeit.

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In der Produktion sind Fähigkeiten zu entwickeln, die eine Automatisierung als Grundlage für die Gewinnung von Daten und deren Weiterverwertung ermöglichen. Unternehmen, die ihre Fertigung nahezu vollständig automatisiert haben, erfassen ihre Produktionsdaten zentral. Bei einer Mehrzahl mittelständisch geprägter Unternehmen wird aber weiterhin auf traditionellen Fertigungsstraßen produziert. Auch vorhandene Daten werden nicht genutzt. Häufig fehlt eine Vernetzung noch gänzlich. Die Zusammenhänge, die sich durch die Auswertung von Sensordaten bei einer Maschinenwartung ergeben, sind jedoch von hoher Relevanz und lassen sich für eine systematische Steuerung und langfristig Optimierung nutzen. Dabei ist eine Domäne des klassischen Business Intelligence die beschreibende Analyse, Descriptive Analytics. Diese konzentriert, sich in erster Linie auf vergleichende Verfahren unter Verwendung von Reports, Dashboards und Alert Tools. Die prognostische Analytik, Predictive Analytic, konzentriert sich darauf, Ursache-­ Wirkungs-­Zusammenhänge sowie Muster und Trends in Daten aufzudecken. Damit ist es möglich, zukünftige Entwicklungen, Ergebnisse oder Ereignisse vorherzusagen. In diesem Bereich kommen Methoden wie Clustering, Klassifizierung und Regressionsanalyse zum Einsatz. Fähigkeiten dieser Art zur Data Analytics sind Grundvoraussetzung für den Einsatz von maschinellem Lernen (Krebs 2018).

8.4.5 Die Fähigkeiten Daten in Echtzeit zu liefern Wenn KI in die Fertigung eines Unternehmens integriert ist, eine Anlage steuert oder den Verkehrsfluss einer Stadt leitet, handelt es sich um eine KI-gestützte Datenanalyse in Echtzeit. „Echtzeit“ heißt eine Verfügbarkeit in ausreichender Schnelligkeit für das jeweilige Szenario im Sinne von rechtzeitig. Diese Fähigkeit wird mit Realtime Analytics bezeichnet (Matzer 2017). Sie ist abhängig von technischen Voraussetzungen wie einer sicheren Breitbandinternetverbindung. KI-Szenarien sind aus diesem Grund prädestiniert für die zukünftig 5G-Netze. Im Jahr 2019 wird in den USA beispielsweise eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, die nachweisen soll, dass über eine Audio-Schnittstelle, wie den smarten Lautsprecher Alexa, der Herzstillstand von Personen durch eine KI-basierte Analyse so schnell erfolgen kann, dass durch umgehende Intervention die Mortalitätsrate um ein Vielfaches gesenkt werden kann. Die These ist: Mehr als jedem zweiten Herzstillstand geht eine bestimmter Typus von Atmung als frühes Warnzeichen voraus. Die involvierten Forscher der University of Washington nutzen Maschine Learning, um das System zu trainieren, sodass es die charakteristischen Atemprobleme, eine Schnappatmung, die entstehen, wenn Menschen wenig Luft bekommen, identifizieren kann. „Die Forscher trainierten ihr System mit Hilfe von Aufzeichnungen von Schnappatmung auf Notrufen in einem Bezirk im US-­Bundesstaat Washington. Mit 729 Anrufen kamen dabei insgesamt 82 Stunden Material zusammen. Um falsche Positive zu vermeiden, erlernte das System außerdem andere Geräusche, die in einem Zimmer zu hören sein können, etwa Schnarchen oder

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Schlafapnoe.“ Ein ­interessanter Ansatz, der den Faktor Zeit und die Echtzeit-Datenanalyse in der Notfallversorgung thematisiert. Bis zur Marktreife wird das System jedoch noch einige Hürden, zu denen auch Datenschutz- und Datensicherheitskriterien zählen, zu überwinden haben (Jee 2019).

8.4.6 Die Fähigkeit, eine Künstliche Intelligenz zu trainieren „Für Maschinen sind Daten dasselbe wie für uns Erfahrungen“, erklärt Julian Kramer, Chief Experience Ambassador bei Adobe in einer V&W Publikation (vgl. Gründel 2018). Die Validität der Daten zur Aufbereitung ist ein zentrales Qualitätskriterium: „Die Daten, die der Mensch den selbstlernenden Algorithmen im Training zur Verfügung stellt, bestimmen, was die KI am Ende kann oder weiß. Sprich: je besser die Daten, umso besser die KI.  Und: Wer seine Algorithmen mit sauberen Daten trainiert, verhindert, dass sie Fehler lernen“ (Gründel 2018). Für die Entwicklung eines KI-Modells spielen die Menge der Daten und die Datenqualität eine entscheidende Rolle. Ein KI-basiertes Modell wie z. B. ein künstliches neuronales Netz (KNN) soll auf Basis der Trainingsdaten einen funktionalen Zusammenhang zwischen den Eingangsdaten und den Ausgangsdaten erlernen. Ähnlich wie beim Menschen wird eine ausreichende Menge von Trainingsdaten benötigt um Zusammenhänge zu erlernen. Werden fehlerhafte Trainingsdaten genutzt, kann oft kein Zusammenhang gefunden werden. Dies ist unabhängig davon, welches KI Modell genutzt wird und auch was trainiert werden soll. Entscheidend für eine hohe Trainingsdatenqualität ist eine fundierte Kontrolle und Aufbereitung der Daten, die für das Training verwendet werden. Im besten Fall ignoriert ein System schlechte Daten. Im schlechtesten Fall führen schlechte Daten zu falschen Ergebnissen. Mangelnde Datenqualität ist ein Haupthindernis beim Trainieren von KI. Gerade bei großen Datenmengen ist die Sichtung, Aufbereitung und Auswahl eine große Herausforderung. Dies ist in der Regel Aufgabe von Data Scientists. Vereinfacht dargestellt beginnt das Training eines KNN mit einem untrainierten Modell. Vor Beginn des Trainings werden die Startgewichte z. B. zufällig ausgewürfelt oder für tiefe neuronale Netze auch durch andere Techniken genutzt, wie z.  B. die Xavier-­ Initialisierung (Yadav 2019). Die Wahl des richtigen Netztyps und der Netzstruktur spielen ebenfalls eine große Rolle für ein erfolgreiches Modell. Für das Training werden Algorithmen zur Fehlerminimierung genutzt, da der Fehler zwischen dem tatsächlichen Output und dem berechneten minimiert werden soll. Das auf dem allgemeinen Gradientenverfahren basierende Backpropagation-­Verfahren ist wohl der bekannteste KNN-Trainingsalgorithmus. Während des Lernens werden die Trainingssets nacheinander in das KNN eingebracht und der Trainingsalgorithmus versucht durch Manipulation der Gewichte den Fehler zu minimieren. Ziel ist es das globale Fehlerminimum zu finden. Für das Training wird der Trainingsdatensatz aufgeteilt.

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Diese Algorithmen trainiert man mit einem Satz Trainingsdaten, so dass er lernt das Problem zu lösen. Ein noch nicht verwendeter Teil des Trainingsdatensatzes wird genutzt, um die trainierte KI zu testen. Bei Validität kann die KI eingesetzt werden. Neue Daten aus dem Einsatz der KI können dazu verwendet werden, die KI weiter zu verbessern (vgl. Gründel 2018). Machine-Learning-Verfahren lassen sich in verschiedene Gruppen einteilen, so gibt es das Supervised Learning, das Unsupervised Learning oder auch das Reinforcement Learning. Beim Supervised Learning (überwachtes Lernen) werden bekannte Daten genutzt, was bedeutet das der Lernerfolg überwacht werden kann. Beim Unsupervised Learning (nicht überwachtes Lernen) werden unbekannte Daten eingebracht und das KI-Modell soll versuchen, die Daten in unterschiedliche Gruppen/Cluster zu sortieren. Hierzu werden sehr viele Daten benötigt. Das Reinforcement Learning ist ebenfalls überwacht, jedoch wird hierbei bei einem erfolgreichen Lernverhalten belohnt und unterdrückt, wenn es zu unerwünschten Ergebnissen geführt hat (Fischer 2019). Bei einem KNN, welches mittels Supervised Learning trainiert wird, lassen sich die Lernaufgaben in der Regel in zwei unterschiedliche Kategorien einteilen. Bei der Regressionsanalyse wird versucht, Beziehungen zwischen einer abhängigen und einer oder mehreren unabhängigen Variablen zu modellieren. Bei der Klassifikation soll das Eingangs­signal einer Datenklasse zugeordnet werden, dies wird häufig bei bildbasierten Eingangssignalen eingesetzt. Ein Beispiel hierfür ist ob das Bild eine Katze zeigt oder einen Hund. Katze und Hund bilden hierbei jeweils eine Klasse (siehe Abb. 8.6).

Maschinelles Lernen

Supervised Learning

Unsupervised Learning

Ermilung von Funkonen auf Basis von Trainingsdaten, deren Output bekannt ist.

Ermilung unbekannter Strukturen in den Daten ohne Zielvariable.

Modell: • Klassifikaon • Regression

Modell: • Clusterung • Dimensionsredukon

Abb. 8.6  Maschine Learning. (Quelle: eigene Darstellung, Definitionen: Döbel et al. (2019))

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8.5

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 ie Implementierung von Business Capabilities unter D Verwendung des Enterprise Transformation Cycle ETC

Transformationen haben Auswirkungen auf alle Ebenen eines Unternehmens. Die Einführung von künstlicher Intelligenz als neue Business Capability ist eine solche weitreichende Transformation. Auf Basis des ganzheitlichen Ansatzes des Enterprise Transformation Cycles (ETC) (Pfannstiel und Steinhoff 2018) werden in diesem Kapitel erste Stellschrauben auf den Ebenen Strategie, Prozesse, IT und Governance aufgezeigt, sowie Herausforderungen für diejenigen, die in den Unternehmen tätig sind, benannt.

8.5.1 Strategie und die Ökosystemfähigkeit „Artificial Intelligence hat das Potenzial, interne und externe Prozesse in allen Unternehmensbereichen nachhaltig zu verändern. Sie hat sich damit als ein zentrales Trendthema der globalen Technologieindustrie etabliert“ (Deloitte 2019). Diese Aussage leitet die Publikation einer KI-Studie von Deloitte unter 100 Entscheidern deutscher Unternehmen ein. Die Studie belegt aber auch, dass auf strategischer Ebene Handlungsbedarf besteht. Es wird konstatiert, dass in Unternehmen überwiegend keine übergreifende Vision einer KI-Strategie existiert. Die Methode T2A (trend2ability 2019) adressiert dieses Thema. Wir setzen diese Methoden- und Toolbox in Unternehmen ein, um zu eruieren, welche Fähigkeiten im Sinne von Business Capabilities Unternehmen aufbauen oder adaptieren müssen, um Einflussfaktoren wie Trends gezielt für einen nachhaltigen Markterfolg zu nutzen. Sie wird verwendet, um gemeinsam mit den Kunden auf Basis eines ganzheitlichen Ansatzes Lösungen zu erarbeiten und diese erfolgreich umzusetzen. Diesem strategischen und ganzheitlichen Ansatz kommt unter Berücksichtigung der Studienergebnisse eine zentrale Bedeutung zu: „Künstliche Intelligenz wird in Deutschland bisher überwiegend auf Abteilungsebene umgesetzt, oft fehlt eine gesamtheitliche Unternehmenssicht auf das Thema“ (Deloitte 2019). Die Studie zeigt auf, dass bisher nur ein Viertel der für die Studie befragten Unternehmen über eine „umfassende, detaillierte und unternehmensweite AI-Strategie verfügt (siehe Abb. 8.7). Es wird konstatierte: „Hier sind viele ausländische Firmen bereits weiter, wo in den Vergleichsmärkten immerhin 35 Prozent eine derartige Strategie etabliert haben. Hierzulande verfolgen in 43 Prozent der befragten Unternehmen die Abteilungen eigene Strategien zur AI-Einführung, die aber auf unternehmensweiten Vorgaben basieren. Bei weiteren 27 Prozent setzen die Abteilungen auf entsprechende eigene Strategien ohne Vorgaben, die das Gesamtunternehmen im Blick haben. Und 4 Prozent der Unternehmen verzichten gänzlich auf eine AI-Strategie, sie beschränken sich auf Ad-hoc-Maßnahmen zur Einführung von Artificial Intelligence auf Abteilungsebene oder darunter“ (Deloitte 2019). Der Umsetzung der künstlichen Intelligenz in einem Unternehmen steht darüber hinaus das Potenzial des Einsatzes von KI zur und in der Entwicklung von Ökosystemen gegenüber. „Immer mehr Unternehmen verbinden sich in kooperativen Systemen, um ­gemeinsam

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Abb. 8.7  Strategischer Ansatz zur Umsetzung von künstlicher Intelligenz. (Quelle: Deloitte (2019) und State of AI in the Enterprise Survey 2018)

ein kollektives Nutzenversprechen erbringen zu können.“ (Lechner und Dexheimer 2019). Die Universität St. Gallen etabliert gegenwärtig das Kompetenzzentrum „Allianzen und Ökosysteme“ am Institut für Betriebswirtschaft. Ökosysteme setzen ein neues strategisches Denken voraus. Ihre vielfältigen Potenziale ergeben sich aus kollaborativen Geschäftsaktivitäten. Unternehmen agieren nicht mehr als Einzelakteure, sondern im Verbund mit ihren Kunden, Zulieferern und auch Wettbewerbern. Der Fokus liegt auf „vernetzen, komplementären Aktivitäten“ (Lechner und Dexheimer 2019). Agile Methoden und Design Thinking unterstützen den Prozess des Aufbaus von Ökosystemen. In einem Kundenprojekt arbeiten wir an einem KI-Ökosystem im Gesundheitswesen (Abb. 8.8).

8.5.2 IT, Tools und die Fähigkeit der großen Rechnerkapazität Hardware Die Anforderungen, die KI-Systeme an die Hardware stellen, sind hoch. Die üblichen Hardwarearchitekturen sind für viele KI-Szenarien ungeeignet. Das Moor’sche Gesetz, nach dem sich die Anzahl der Transistoren pro Flächeneinheit alle 18 Monate verdoppelt,

Lösungen | Produkte & Dienstleistungen

Angebot & Nachfrage

Tools & Methoden

FÄHIGKEITEN Von Daten Zu Lösungen

BM

User Stories „Health & Care“

digital zu digitalisieren

Regulatorische VG

Trust Center

KIElemente PeriodenST

DatenAnalyse

Ethik

Normen & Standards

DSGVO etc.

BM

Einflussfaktoren

KI PLATTFORM & INFRASTRUKTUR

BM

VALIDIERUNG & SICHERHEIT/Schutz ARTEN & TYPEN QUELLEN

+ Medizinisch. Daten EPA | .. Telematik IS

Gesundheitsdaten eFA | KIS/LIS

Pflege Akte | …

+ Pflege Daten AAL/Smart Home ..

BewegungsDaten Fitness/ Wellness

Public Daten Wearable Solutions | …

Frei zugäng. Daten Wissenschaft |…





BM

TP1 | Daten & Plattform

ERGEBNISSE MEHRWERT ANWENDUNGEN

TP3 | Mehrwerte

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TP2 | KI Fähigkeiten

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Abb. 8.8  Gesundheitsmarktspezifisches Ökosystem. (Quelle: Rode-Schubert 2010)

ließ sich in den letzten Jahren nicht mehr einhalten. Ein Ausweg besteht in der Nutzung workloadspezifischer Hardwarebeschleuniger (Martins und Kobylinska 2018). Auch kommt Hardware aus dem Grafikbereich zum Einsatz. Das Unternehmen NVIDIA hat Grafikprozessoren für KI-Szenarien weiterentwickelt, um sie im Schnittbereich von Virtual Reality, High-Performance-Computing und künstlicher Intelligenz einzusetzen (Nvidea 2019). Große Unternehmen bauen i. d. R. kostenintensiv eigene komplexe KI-Infrastrukturen sowie korrespondierendes Wissen auf. Dem Mittelstand offerieren Cloudanbieterlösungen, beispielsweise von Microsoft, Amazon, Google und IBM, einen technologischen Zugang zu KI-Diensten. Zu berücksichtigen ist dabei, dass es sich um Global Player handelt. Greger, Tableau Software, weist auf entsprechende Risiken hin: „Selbstverständlich gilt es bei personenbezogenen Algorithmen, die Sicherheit und den Schutz persönlicher Informationen und eindeutig personalisierter Verhaltensmuster zu gewährleisten. Dies kann nur dann funktionieren, wenn die Intelligenz nicht ausgelagert in Cloud-Diensten liegt“ (Henkel 2018). Alternativ ist der Aufbau nationaler, unabhängiger Cloudangebote unter Verwendung von Data-Trust-Center-Lösungen und der Berücksichtigung ethischer und sicherheitstechnischer Standards anzustreben, um der Mehrheit der Unternehmen den Zugang zu KI-Diensten zu ermöglichen. Software KI-Anwendungen benötigen eine Reihe von Komponenten, die miteinander verbunden werden. Im Rahmen der Systemintegration „Künstliche Intelligenz“ bedarf es der Interoperabilität, um verschiedene KI-Softwarekomponenten, wie Sprachsynthesizer, mit Komponenten, wie Wissensdatenbanken, zu fusionieren, um größere, breitere und leistungsfähigere KI-Systeme zu schaffen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Artificial Intelligence Systems Integration.

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Diese Integration erlaubt flexible Szenarien. Unternehmen müssen sich nicht auf eine KI-Komponente festlegen, sie können auf mehrere KI-Engines setzen. Zwischen diesen können sie abhängig von der Weiterentwicklung der Engines und der gemachten Erfahrungen wechseln. Embedded AI Einer der wichtigsten KI-Trends seit 2018 ist die Verfügbarkeit von KI-Auswertungen in Echtzeit. Für viele Anwendungen ist es entscheidend, dass die KI dort ausgeführt wird, wo die Entscheidung wirksam wird. Zeitkritischen Applikationen benötigen somit keinen Verbindungsaufbau in die Cloud (Wiesböck 2019). Die Analyse findet auf dem Embedded System-basierten Edge-Devices statt (Kreuzer 2018). „Edge Devices übertragen im Internet of Things die Datenpakete zwischen den verschiedenen Netzstrukturen und können über ihre Prozessoren die Sensor- und Aktordaten aus Smart Cities, Smart Homes, Smart Grids oder aus der Automotive-Technik direkt an der Applikation am Netzrand mittels Edge Computing oder Edge Analytics verarbeiten und so die enorme Datenmenge der IoT-Komponenten reduzieren. Die Steuerung, Verwaltung und Verarbeitung der anfallenden Daten wird wesentlich effizienter; gleichzeitig verringern sich der Datenverkehr und die Netzbelastung zur Cloud.“ (Vgl. IT Wissen 2019)

8.5.3 Faktor Mensch und die Fähigkeit der Veränderung „Permanent Beta. Die Arbeit der Zukunft wird geprägt sein von einem hohen Maß an Flexibilität und Lernbereitschaft.“ (Lüber 2019). Diese Aussage leitet einen Artikel in Frankfurter Allgemeine Verlagsspezial „New Work“ ein, der unter anderem auf dem Digital-­Index 2018/19 rekrutierte. „Der D21-Digital-Index ist das jährliche Lagebild zur Digitalen Gesellschaft“ (initiatived21 2019). Die Bertelsmann Stiftung als Partner des Index verweist darauf, dass im Berufsleben die Fähigkeit des Selbstmanagements zunehmend wichtiger wird. Jeder Einzelne muss für sich eruieren, welche Fähigkeiten er in seinem speziellen Arbeitskontext benötigt. Dieses Wissen ist divers und die klassischen Fortbildungsmaßnahmen werden dieser Art der Personalisierung der Arbeitswelt nicht mehr gerecht. 58 Prozent der für den Index Befragten gaben an, sich durch Ausprobieren auf Basis beispielsweise von Youtube-Videos weiterzubilden (initiatived21 2019). Die Fähigkeit des Lernens in Problemlösungsprozessen ist deswegen von hoher Relevanz, weil das Wissen immer schneller veraltet, die Probleme gleichzeitig zunehmend multidisziplinärer Lösungsansätze bedürfen. Permanent Beta bezieht sich auf dieses Phänomen, damit leben zu müssen, unfertig zu sein, oder gezwungen zu sein, in einem Prozess sofort umzuschalten, nicht weiterzukommen, Lösungen zu suchen und Neues zu lernen, bis man eine Aufgabe bearbeitet hat. Die Produkt- und Dienstleistungslebenszyklen sind signifikant kürzer geworden, die Kompetenzen derjenigen, die diese generieren, müssen kontinuierlich adaptiert werden.

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Tools, wie „Agile-Learning-Framework“ (Lüber 2019) werden mit der Zielsetzung entwickelt, die Person im Workflow und unter Berücksichtigung des jeweiligen Kompetenzlevels dabei zu unterstützen, die Fähigkeit zu entwickeln, einen eigenen individuelle Lernwege zu finden. In dem Beitrag wird aber auch auf die Gefahren verwiesen, die eine kontinuierliche Unterstützungs- oder Assistenzfunktion birgt. Es wird konstatiert, dass Wissen- und Kompetenzerwerb ausschließlich durch eine intensive Auseinandersetzung mit Informationen entwickelt wird (vgl. Lüber 2019). Nach einer Studie des Institute for the Future (IFTF) für Dell Technologies, die zuletzt 2018 überarbeitet wurde, scheint es aber keinen Widerspruch zwischen den technologischen Entwicklungen und dem Wissens- und Kompetenzerwerb im Beruf zu geben. Das Institut konstatiert, dass im Jahr 2030 alle Unternehmen Technologieunternehmen sein werden und somit auch die Mitarbeiter „zukunftssicher“ werden müssen. Die Annahme, die aus der Untersuchung abgeleitet wurde, antizipiert, dass 2030 die Abhängigkeit von Technik zu einer „neuen Art der Interaktion zwischen Menschen und Maschinen“ führt, die „Kreativität und unternehmerische Denkweise fördert“. Denn „ein Großteil der Berufe des Jahres 2030, geschätzt rund 85 Prozent, ist heute noch nicht erfunden. Die Fähigkeit, neues Wissen zu gewinnen, wird von zentraler Bedeutung sein; Techniken wie Augmented Reality und Virtual Reality werden dabei auf breiter Basis genutzt werden. (…) Technik wird nicht notwendigerweise Arbeitskräfte ersetzen, aber der Prozess, Arbeit zu finden und zu gewinnen, wird sich ändern. Der Arbeitsplatz wird in vielen Fällen kein konkreter Ort mehr sein. (…) 2030 werden personalisierte Assistenten, die auf Basis von Künstlicher Intelligenz arbeiten, ganz neue Möglichkeiten für die Unterstützung von Menschen schaffen“ (IFTF 2017, 2018). Der KI-Experte Julian Kramer konstatiert: „Durch die Entwicklung von KI lernen wir viel über uns selbst, unser Gehirn und wie wichtig es ist, vorurteilsfrei und auf einer differenzierten Datengrundlage zu entscheiden“ (Gründel 2018).

8.5.4 Prozesse und die Fähigkeit der Adaption Prozesse für die Entwicklung von KI Der Softwareentwicklungsprozess ist in den meisten Unternehmen standardisiert. Dabei wird das statische V-Modell, welches 1991 von Kevin Forsberg und Harold Mooz in dem Paper „The Relationship of System Engineering to the Project Cycle publiziert wurde (Jastram 2019), heute zunehmend durch agile Methoden abgelöst. Die agilen Methoden folgen unterschiedlichen Ansätzen. Methoden wie Scrum und SAFe entstammen der Softwareentwicklung. SAFe arbeitet mit unterschiedlichen Ebenen. Die unterste Ebene ist die Teamebene. Hier finden sich die Elemente aus Scrum, beispielsweise die Rollen Product Owner, Scrum Master und Development Team. SAFe verfügt darüber hinaus über die Ebenen „Programm“ bis „Portfolio“ sowie weitere Rollen (vgl. Siedl 2018)

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Für die Entwicklung einer KI eignet sich der iterativen Ansatzes der agilen Methoden. Joseph Noronha beschreibt die Schritte, die in der KI Entwicklung relevant sind, wie folgt (Waack 2019). • Das Problem definieren: Es sollen „Problemstatements“ und klare Kriterien definiert werden, an denen der Erfolg der Problemlösung gemessen werden kann. • Das Problem für die AI-Entwicklung mappen: Das Geschäftsproblem muss aufgespalten werden, um es in Machine Learning Tasks umzuwandeln. • Die Daten präparieren: Die Daten werden aufbereitet, sodass sie eine KI-Verarbeitung unterstützen. • Die Daten kennenlernen: Hier werden Gesetzmäßigkeiten und Muster identifiziert, die in der Modellierung berücksichtigt werden können. • Modelling: In diesem Schritt werden, basierend auf den etablierten Machine Learning Tasks und den aufbereiteten Daten, KI-Algorithmen erstellt. • Evaluation: Das entwickelte Modell wird zunächst getestet und dann weiter optimiert.

Prozesse mit Einbindung von KI Eine KI-Einbindung ist an vielen Stellen des ECT möglich, beispielsweise auf Prozessebene. Eine zentrale Frage wird dabei sein: Ist gewährleistet, dass der Prozess immer die gleichen Ergebnisse erzeugt? Personenbezogene, sicherheitsrelevante Prozesse, beispielsweise auch in der Automobilindustrie, erfordern eine hundertprozentige Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Eine selbstlernende KI stellt aus diesem Grund neue Governance-­ Anforderungen. Bisher hat KI in bestimmten Bereichen nur eine Assistenzfunktion, die Entscheidungen im Prozess trifft hier immer noch der Mensch.

8.5.5 G  overnance und die Fähigkeit, Herausforderungen zu begegnen Eine Herausforderung beim Einsatz von KI ist die der Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen. Wie soll Vertrauen in KI aufgebaut werden, wenn man nicht weiß, wie die Ergebnisse generiert wurden? Relevante Voraussetzung ist die Entwicklung neuartiger Sicherheitskonzepte. Diese müssen die zuverlässige Funktionalität dieser Verfahren auch in sich ändernden Umgebungen gewährleisten sowie ihre Limitationen explizit benennen können. Spezifische Lösungsansätze werden entwickelt bzw. sind verfügbar: „Dies kann etwa durch die Integration von Zusicherungen im Rahmen von Grey-Box-Modellen und heterogenen Modellen, die Substantiierung durch für den Menschen interpretierbare Erklärungskomponenten, oder die Integration neuartiger Technologien des Maschinellen Lernens im Kontext von Konzept-Drift erfolgen“ (CPS HUB NRW 2018; vgl. auch Rogge 2013). Forscher erörterten das Thema Nachvollziehbarkeit auch beim Jahreskongress der Fraunhofer Gesellschaft 2019 in München und konstatierten: KI kann nicht den Grund

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angeben, auf dessen Grundlage die Entscheidung getroffen wurde. Das System kann aber offenlagen, welche Parameter sich ändern müssten, damit die KI eine andere Entscheidung trifft. 2020 soll ein Prüfkatalog vorgelegt werden als Grundlage für eine Zertifizierung zur Sicherstellung einer vertrauenswürdigen KI.  Dieser wird seit 2019 unter Leitung des Fraunhofer IAIS entwickelt: „Ein interdisziplinäres Forscherteam entwickelt im Rahmen der Kompetenzplattform KI.NRW mit Beteiligung des BSI einen Prüfkatalog, der die sachkundige und neutrale Bewertung von KI ermöglicht. Ziel ist es, anhand einer Zertifizierung für KI-Anwendungen die technische Zuverlässigkeit und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie zu gewährleisten.“ Sachverständige Dritte sollen auf Basis des Prüfkatalogs eine Zertifizierung von KI-Systemen vornehmen können. „Bei der Erstellung werden sowohl technische Qualitätskriterien wie Verlässlichkeit und Sicherheit als auch ethisch-moralische Kriterien wie Transparenz und Fairness hinreichend stark berücksichtigt“ (Fraunhofer IAIS 2019). Bei der Entwicklung wird auf nationale und europäische Empfehlungen zur Datenethik und von KI Expertengruppen aufgebaut. Gegenstand sind die Themen in Abb. 8.9. Unter dem Aspekt Sicherheit ist der Missbrauch von KI durch Kriminelle von besonderer Bedeutung. Wer KI im eigenen Unternehmen einsetzen will oder sein Unternehmen vor dem Missbrauch von KI schützen will, findet in der Publikation mit dem Titel The Malicious Use of Artificial Intelligence (Brundage et al. 2018) einen guten Überblick. Hier geben 26 KI-Experten eine Übersicht über potenzielle Risiken und zu erwartende Entwicklungen. Sie resümieren, indem sie als Reaktion, auf die sich verändernde Bedrohungslandschaft vier Empfehlungen auf höchster Ebene abgeben: 1. Die Politik sollte eng mit technischen Forschern zusammenarbeiten, um potenzielle bösartige Nutzungen von KI zu untersuchen, zu verhindern und zu entschärfen. 2. Forscher und Ingenieure im Bereich der künstlichen Intelligenz sollten den Dual-­Use-­ Charakter ihrer Arbeit ernst nehmen, indem sie missbräuchliche Überlegungen zulassen, um Forschungsprioritäten und -normen zu beeinflussen, und proaktiv auf relevante Akteure eingehen, wenn schädliche Anwendungen absehbar sind. 3. In Forschungsbereichen mit ausgereifteren Methoden zur Bewältigung von Problemen mit doppeltem Verwendungszweck, wie beispielsweise der Computersicherheit, sollten bewährte Verfahren ermittelt und, wo zutreffend, im Falle von KI importiert werden. 4. Aktives Bestreben, das Spektrum der Interessenvertreter und Fachexperten zu erweitern, die an der Diskussion dieser Herausforderungen beteiligt sind.

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Abb. 8.9  Prüfkatalog des Fraunhofer IAIS. (Quelle: Fraunhofer IAIS 2019)

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Schlussbetrachtung

Die künstliche Intelligenz hat ihre Ursprünge in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Einen ersten Durchbruch erzielte sie vierzig Jahre später, 1997  in New  York, mit dem Gewinn des IBM-Schachprogramms Deep Blue gegen den Schachweltmeister Garri Kimowitsch Kasparow. Heute sind die Voraussetzungen für den Einsatz und die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz, insbesondere die Verfügbarkeit großer Datenmengen, leistungsstarke Rechnerkapazitäten und entsprechende Frameworks für KI mit vortrainierten Modellen, gegeben. Lösungen, die eine schwache künstliche Intelligenz verwenden, wie Spracherkennung oder autonomes Fahren, sind State of the Art. Führend bei den Patentanmeldungen, in der Entwicklung und dem Einsatz von KI sind Amerika und China; Länder, die auf Basis großer Internetplattformen über ein Vielfaches an Daten verfügen als Deutschland und diese intensiv analysieren. Deutschland zählt nicht zu den First Movern, aber KI ist eine Schlüsseltechnologie, der ein großes Veränderungspotenzial zugesprochen wird. „Jedes zweite Unternehmen (49 Prozent) rechnet damit, dass das maschinelle Lernen im Kontext von Industrie 4.0 bestehende Geschäftsmodelle tiefgreifend verändern wird„ (Bitkom 2019b). Deutschlands Chancen bei der KI-Technologieführerschaft aufzuholen könnte darin bestehen, dass „KI made in Germany“ ein Brand für die Gewährleistung hoher rechtlicher, regulatorischer und ethischer Standards wird. Dabei ist es von höchster Relevanz, dass insbesondere der heute wirtschaftlich erfolgreiche deutsche Mittelstand befähigt wird, sich den Megatrend KI nachhaltig zu erschließen und erfolgreich zu nutzen. Global Player verfügen zwar über Ressourcen, die die Verwendung von KI benötigt, von der Finanzierung bis zu den Fachkräften. Um das ganze Potenzial der

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KI ausschöpfen zu können werden aber auch sie Teil eines KI-Ökosystems werden müssen. Ein funktionierendes, starkes deutsches KI-Ökosystem bietet dem Mittelstand das Entwicklungspotenzial, welches er benötigt, um seine Erfolgsgeschichte weiterführen zu können. In einem Ökosystem agieren Unternehmen und Organisationen nicht mehr nur als Einzelakteure, sondern im Verbund mit anderen Stakeholdern des Systems wie Kunden, Zulieferern und auch Wettbewerbern. Der Fokus liegt auf vernetzen, komplementären Geschäftsaktivitäten. Die Politik muss die Leitlinien für die Entwicklung eines KI-Ökosystems in Deutschland definieren. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, neue Arten des strategischen Denkens zu entwickeln und ihr Handeln an diesem auszurichten. Das Heben von Potenzialen des Megatrends „Künstliche Intelligenz“ in einem Unternehmen und insbesondere in einem KI-Ökosystem bedarf der Entwicklung neuer unternehmerischer Fähigkeiten im Sinne von Business Capabilities, unter anderem zur Adaption von Geschäftsmodellen.

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C. Rode-Schubert und P. Müller

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8  Welche Fähigkeiten benötigt ein Unternehmen um Künstliche Intelligenz …

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C. Rode-Schubert und P. Müller

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Christina Rode-Schubert  ist Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der ORANGE innovation. transformation. business GmbH und Partnerin der Unternehmensberatung TCI GmbH.  Ihre persönliche Toolbox und ihr agiles Methodenwissen erwarb sie sich zunächst an den Universitäten St. Gallen CH und Santa Clara USA, wo sie Business Engineering (BE) studierte und einen Executive Master of Business Administration in BE absolvierte. Christina Rode-Schubert ist zertifiziert als SAFe Agelist. Technologische Themen sind ihre Kernkompetenz und Innovationen ihre Leidenschaft. Zu ihren Kunden zählen Global Player aus der Gesundheitsbranche mit Schwerpunkt MedTech sowie aus der Gebäudetechnik und der Automobilzulieferindustrie mit Themen wie Smart Home und Smart City. Christina Rode-Schubert entwickelt mit ihren Kunden digitale Lösungen und neue Geschäftsmodelle unter Berücksichtigung marktrelevanter Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz. Start-ups und Scale-ups begleitet Sie als Mentorin. Mit ihren Kollegen Patrick Müller und Uwe Fischer hat sie 2019 die ORANGE itb GmbH gegründet. Die von den Gründern entwickelte Methoden- und Toolbox „T2A“ identifiziert und analysiert marktrelevante Einflussfaktoren und sie dient der Erarbeitung von Fähigkeiten um diese Faktoren nachhaltig erfolgreichen nutzen zu können. Der Megatrend-­Kon­nek­ tivität beispielsweise mit den technischen Trends Digitalisierung und Big Data Analyse wird in einem unternehmensspezifischen Lösungsraum analysiert, um eine zielgerichtete Potenzialanalyse durchzuführen und eine nachhaltige digitale Transformationsstrategie abzuleiten: https://trend2ability.com/. Christina Rode-Schubert hält mehrere Vorstands- und Beiratsmandate im MedTech-Segment. Sie leitet den VDE Fachausschuss Geschäftsmodelle Intelligenter Assistenzsystem und hat sich mit diesem für den BMWi Innovationswettbwerb KI qualifiziert.

8  Welche Fähigkeiten benötigt ein Unternehmen um Künstliche Intelligenz …

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Patrick Müller  ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der ORANGE innovation. transformation. business GmbH sowie Partner der TCI Transformation Consulting International GmbH. Als Unternehmensberater hat er sich auf Unternehmen im Maschinenund Anlagenbau und andere Unternehmen der ­Fertigungsindustrie spezialisiert. Hierbei berät er Geschäftsleitung, Konstruktionsleitung und IT-­Verantwortliche. Patrick Müller unterstützt seine Kunden, sich auf Veränderungen einzustellen. Im Rahmen eines Trendscoutings evaluiert er mit seinen Kunden Megatrends, technische Trends und Business Trends und leitet daraus Fähigkeiten, sogenannte Business Capabilities ab. Dabei setzt er die Methoden- und Toolbox trend2ability ein, die er gemeinsam mit seinen Partnern Christina Rode-Schubert und Uwe Fischer bei Orange itb entwickelt hat. Darüber hinaus ist Patrick Müller Experte für Digital Engineering mit Schwerpunkten wie Digital Twin, Product Lifecycle Management und Variantenmanagement. Dazu kommen IT-Schwerpunkte wie Systemintegration, Künstliche Intelligenz und Business Rules Management.

9

Potenziale der Digitalisierung: Die Intelligenz der Vielen im Unternehmen nutzen Wie Unternehmen eine digitalisierungsfreundliche Kultur mithilfe des ETC etablieren Oliver Foitzik und Katja Heumader

Inhaltsverzeichnis 9.1  9.2  9.3  9.4 

Einleitung   ie Intelligenz der Masse im Unternehmen nutzen  D Notwendige kulturelle Voraussetzungen schaffen  Fallbeispiel: Börsennotiertes Unternehmen soll kunden- und mitarbeiterzentrierter werden  9.5  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Die Intelligenz der Vielen ist eine unschätzbare Ressource für Unternehmen: Sie sichert Partizipation und Zustimmung, sie bringt Expertise kurzfristig und nach Bedarf ins Unternehmen und sorgt für valide Meinungs- und Stimmungsbilder. Doch um sie zu nutzen, sind bestimmte Voraussetzungen notwendig. Diese lassen sich am besten mit einem agilen Modell wie dem ETC etablieren. Der vorliegende Beitrag zeigt, wie eine digitalisierungsfreundliche geschaffen werden kann und wie die Intelligenz der Vielen auf den Unternehmenserfolg einzahlt. Ein Fallbeispiel illustriert das Thema aus einer praktischen Sicht.

O. Foitzik (*) · K. Heumader FOMACO GmbH, Augsburg, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_9

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174

9.1

O. Foitzik und K. Heumader

Einleitung

Gerade traditionell strukturierte Unternehmen stehen heute mehr denn je vor der Herausforderung, die Digitalisierung im Unternehmen umzusetzen. Denn digitalisierte Arbeitsprozesse ermöglichen mehr Effizienz, mehr Flexibilität, mehr Innovation und die Reduzierung von Kosten. Der Umbau zum digitalisierten Unternehmen umfasst dabei aber weit mehr als die Einrichtung einer digitalen Infrastruktur. Zwar ist auch dies unabdingbar – damit sie aber ihre volle Wirkung entfalten kann, ist die Schaffung der entsprechenden kulturellen Voraussetzungen mindestens ebenso wichtig. Denn eine digitalisierungsfreundliche Kultur sorgt zum einen dafür, dass die Potenziale der Digitalisierung aus unternehmerischer Perspektive optimal ausgeschöpft werden können. Zum anderen ist sie dafür verantwortlich, dass Digitalisierung zum Wohle der Mitarbeiter gestaltet wird. Indem diese von der Digitalisierung profitieren, profitiert letztlich auch das Unternehmen (Boes et al. 2015). Denn gerade für die Mitarbeiter bergen Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen auch Risiken. Die ständige Erreichbarkeit (DGUV 2012) oder erhöhter Druck durch standardisierte Vorgaben und permanente Kontrolle können Arbeitnehmer (Boes et al. 2017, S. 157) stark belasten und stellen letztlich einen Rückschritt dar. Aktuelle Forschung zeigt: Je weniger Mitarbeiter die Möglichkeit haben, ihre Arbeit selbst zu gestalten, desto eher fühlen sie sich gehetzt (Boehme 2017). Eine Kultur, die auf Transparenz, Flexibilität und ein hohes Maß an Eigenständigkeit setzt, kann also Überbelastung und Überforderung entgegenwirken, Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter und gleichzeitig Produktivität und Effizienz steigern. Dieser Beitrag zeigt, wie sowohl Unternehmen als auch Mitarbeiter von der Digitalisierung profitieren können. Dafür greifen wir einen Teilaspekt der Digitalisierung auf, der für Unternehmen großes Potenzial bietet: Durch die immer bessere technologische Infrastruktur sowie die steigende Vernetzung im und zwischen Unternehmen ist die Nutzung der „Intelligenz der Vielen“ und das Zurückgreifen auf externe Expertise „on demand“ immer einfacher möglich. Konkret zeigen wir dies an den Beispielen Crowdsourcing, Flash Organizations und Social Forecasting. Im zweiten Teil unseres Beitrages gehen wir dann auf die kulturellen Voraussetzungen ein, die notwendig sind, damit Unternehmen und Mitarbeiter von diesen aktuellen Entwicklungen sowie von der Digitalisierung ihres Unternehmens allgemein profitieren können. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf einer agilen Herangehensweise. Auf einer solchen basiert der Enterprise Transformation Cycle (ETC), der daher auch eine geeignete Methode darstellt, um die digitale und kulturelle Transformation in Unternehmen anzustoßen und umzusetzen. Zum Abschluss zeigen wir an einem Fallbeispiel, wie ein traditionell strukturiertes Großunternehmen durch eine agile Vorgehensweise erfolgreich den Weg zum digitalisierten Unternehmen beschreitet und unter starker Einbeziehung seiner Mitarbeiter eine moderne und innovationsfreundliche Führungskultur geschaffen hat.

9  Potenziale der Digitalisierung: Die Intelligenz der Vielen im Unternehmen nutzen

9.2

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Die Intelligenz der Masse im Unternehmen nutzen

Ein zentrales Merkmal der digitalen Transformation ist, dass es für Unternehmen immer wichtiger wird, Innovationen zum integralen Bestandteil der Unternehmenskultur zu machen. Nur wenn es gelingt, kreative Experimentierräume (Sandboxes) zu fördern, deren Ergebnisse dann ins Tagesgeschäft einfließen, sind Unternehmen langfristig erfolgreich (Grabmeier 2018a). Die wichtigste Ressource, auf die Unternehmen hierfür zurückgreifen ist Wissen. Idealerweise werden Teams je nach Projekt gebildet, um jeweils die optimale Zusammensetzung sowohl hinsichtlich Kompetenzen, Expertise und Wissen als auch in Bezug auf ­Kriterien wie Diversity zu erreichen. Die digitale Infrastruktur bietet hier vielfältige Möglichkeiten. Web 2.0-Technologien ermöglichen projektbezogenes und vernetztes Arbeiten jenseits von Abteilungssilos. Wie Unternehmen diese Technologien konkret einsetzen können zeigen wir im Folgenden an den Beispielen Crowdsourcing, Flash Organizations und Social Forecasting. Crowdsourcing bildet die Grundlage für zahlreiche weitere Prozessoptimierungen, bei denen die Intelligenz der Vielen genutzt wird.

9.2.1 Crowdsourcing: Effiziente Arbeitsprozesse Der Begriff Crowdsourcing wurde 2006 von Jeff Howe als Wortneuschöpfung aus den Begriffen „Crowd“ und „Outsourcing“ geprägt (Howe 2006, S. 2). Crowdsourcing ermöglicht es Unternehmen, Arbeitsprozesse an mehrere Menschen – auch außerhalb des Unternehmens – auszulagern und gleichzeitig Wissen, Kapital und Zeit aus externen Quellen ins Unternehmen zu holen (Pelzer et al. 2012, S. 13). Anwendungsmodelle für Crowdsourcing sind heute: • • • •

Crowdfunding, bei dem Projekte und Modelle durch die Crowd finanziert werden Crowdinnovation, bei der vernetzte Kompetenzträger Innovationen generieren Crowdworking, bei dem heterogene Stakeholder vernetzt zusammenarbeiten Crowdmarketing, bei dem Produkte mit und durch die Crowd vermarktet werden (vgl. Deutscher Crowdsourcing Verband o. J.)

Dieser Beitrag befasst sich in erster Linie mit dem Crowdworking. Voraussetzung für die Entstehung und den Aufstieg des Crowdsourcing war im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts die sprunghafte Entwicklung der digitalen Vernetzung im Zusammenhang mit den Web 2.0-Technologien (Pelzer et al. 2012, S. 10; Howe 2006, S. 2). Durch sie können Unternehmen nun auf ein globales Reservoir an Arbeitskräften zurückgreifen und Aufgaben effizient außerhalb des Unternehmens erledigen lassen. Auch die Kosten für technisches Equipment sanken. Diese Entwicklung ermöglicht es nun auch Amateuren professionelle Ausrüstungen zu erwerben (wie z.  B. eine Fotoausrüstung) und Ergebnisse zu

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O. Foitzik und K. Heumader

liefern, die sich von denen von Profis allein durch den deutlich niedrigeren Preis unterscheiden. Musterbeispiel: Die Plattform iStockphoto, die nach dem Prinzip des Crowd­ sourcing Stockfotos zu einem sehr niedrigen Preis anbietet und so professionelle Fotografen massiv unter wirtschaftlichen Druck setzte (Howe 2006, S. 1). Die zunehmende Wissensbasierung von Arbeit und die voranschreitende Ausdifferenzierung von Spezialgebieten machen den Zugriff auf externe Ressourcen notwendig. Aufgaben werden immer weiter in kleine Teilgebiete aufgespalten. Solch hochspezialisiertes Know-how dauerhaft ins Unternehmen zu integrieren, lohnt sich in den seltensten Fällen. Denn oft sind diese Kenntnisse und Fähigkeiten nur für einzelne Projekte notwendig; im nächsten Projekt sind wieder andere Skills und anderes Spezialwissen gefragt (Pelzer et al. 2012, S. 16). Crowdsourcing bietet da eine flexible und skalierbare Lösung für dieses Problem. Im Vergleich zu fest ins Unternehmen integrierten Arbeitskräften beträgt die Kostenreduktion 50–90 % (Pelzer et al. 2012, S. 20). Allerdings lässt sich Crowdsourcing nicht für alle Arbeitsprozesse und -aufgaben gleichermaßen gut nutzen. Voraussetzungen für den erfolgreichen Einsatz von Crowdsourcing sind • • • •

eine klare und unmissverständliche Aufgabenstellung für die Crowdworker, klare Zielvorgaben, die Möglichkeit, eine Aufgabe in Mikro-Tasks zu zerlegen und gegebenenfalls die Durchführung von Trainings, um die Qualität des Ergebnisses zu sichern.

Mittels Crowdsourcing werden sowohl sehr einfache, um nicht zu sagen stupide Tätigkeiten, ausgelagert, wie z. B. über Amazon Mechanical Turk. Aber auch das Gesicht von Forschung und Entwicklung wandelt sich durch Crowdsourcing. Im Internet entstehen Netzwerke von Wissenschaftlern, wie z. B. InnoCentive. Dort können Firmen Probleme posten, die die Crowd zu lösen versucht. Bezahlt wird von den Unternehmen nur die Lösung – und zwar mit 10.000 bis 100.000 US-Dollar. So wurden schon viele Herausforderungen bewältigt, an denen sich zuvor die Forschungsabteilungen in den Firmen die Zähne ausgebissen hatten. Denn häufig sind gerade die fachfremden Crowdworker erfolgreich bei der Suche nach einer Lösung. Sie gehen unvoreingenommen an Probleme heran und sind frei von Vorannahmen und Einschränkungen. Der vielfältige intellektuelle Hintergrund der Teilnehmer ist eine Ressource von unschätzbarem Wert für die Unternehmen (Howe 2006, S. 4). Gerade bei der Suche nach Lösungen für knifflige Probleme unterscheidet sich auch die Motivation der Crowdworker von der eines festangestellten Mitarbeiters. Aufgaben werden nicht zwingend wegen der Entlohnung in Angriff genommen. Vielmehr sind Experimentierfreude und der Wunsch nach Anerkennung, wenn man es schafft, ein komplexes Problem zu lösen, die Triebfedern für den Erfolg. Der Verdienst spielt eine eher untergeordnete Rolle, zumal die Arbeit ja auch nicht den Hauptberuf darstellt (Howe 2006, S. 4). Dennoch hat sich gezeigt, dass eine faire Bezahlung durch die Unternehmen qualitätssichernd auf die Ergebnisse wirkt, ebenso wie die Vergleichbarkeit von Ergebnissen. So

9  Potenziale der Digitalisierung: Die Intelligenz der Vielen im Unternehmen nutzen

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können Unternehmen feststellen, ob die Ergebnisse, die Crowdsourcing ihnen liefert, Qualitätsstandards erfüllen. Mit Crowdsourcing bzw. Crowdworking nahm das vernetzte Arbeiten seinen Anfang. Mit der Zeit traten sowohl Vor- als auch Nachteile von Crowdworking immer deutlicher zu Tage. So erschlossen sich durch Crowdsourcing für Menschen in den Entwicklungsländern neue Einnahmequellen, die in vielen Familien maßgeblich zum Einkommen beitragen. In Hochlohnländern hingegen kritisieren Gewerkschaften die Auslagerung von Tätigkeiten an Freelancer zu niedriger Bezahlung, die nicht sozialversicherungspflichtig sind (Bertelsmann Stiftung 2019, S. 22). Neben der sozialen Kritik dürfen Tätigkeiten, die mithilfe der Crowd bewältigt werden, auch nicht zu komplex sein. Sie dürfen nicht die Zusammenarbeit mehrerer Experten erfordern, sondern müssen eigenständig und weitgehend ohne Rückfragen machbar sein.

9.2.2 Mit Flash Organizations HR revolutionieren Um diese Defizite zu lösen und die Ressourcen der Crowd auch für komplexe Aufgaben bzw. ganze Projekte einsetzbar zu machen, entwickelte ein Team der Stanford University 2017 das Konzept der Flash Organizations. Auch in Reaktion auf die Kritikpunkte am Crowdsourcing entwickelten die Stanford-Professoren ein Modell, das Unternehmen in die Lage versetzt, auch komplexe Projektvorhaben mit offenem Ausgang schnell und effektiv umzusetzen. Zum Vorbild nahmen sich die Forscher Filmcrews, die zeitlich begrenzt ein komplexes Projekt umsetzen und dabei flexibel zusammenarbeiten (Valentine et al. 2017, S. 3). Dieses Modell erweiterten sie um IT-gestützte Auswahlprozesse, die den Aufbau und die Besetzung einer solchen Organisation stark beschleunigen. Flash Organizations lassen sich auch als „Unternehmen auf Zeit“ bezeichnen – sie verfügen über eine hierarchische Struktur, feste Rollenvorgaben und zugewiesene Kompetenzen (Valentine et al. 2017, S. 2). Die Regel ist einfach: Eine komplexere Organisation ist auch in der Lage, komplexere Aufgaben zu bewältigen. Durch formale Strukturen mit Rollen, Teams und Hierarchien koppelt sich die Flash Organization von der individuellen Person ab. Wie in klassischen Organisationen gibt es vordefinierte Verantwortlichkeiten, Interdependenzen und Informationswege, um Austausch und Kommunikation sicher zu stellen. Die integrierte Planung und Koordination von Aufgaben werden dadurch deutlich vereinfacht. Anders als beim Crowdsourcing ist in Flash Organizations der gewünschte Outcome nicht vordefiniert, sondern das Vorgehen ist agil. Das macht Flash Organizations auch für kreative Prozesse, Problemlösungen und Innovationsfindung nutzbar. Auch die Organisation an sich lässt sich an die Arbeitsprozesse anpassen, die Aufgaben bei Bedarf neu ­definieren. Im Idealfall probieren die Worker aus, was funktionieren könnte („Sandboxing“) und wenden sich dann an die oberen Hierarchieebenen, um die Veränderungen zu implementieren (Valentine et al. 2017, S. 5).

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O. Foitzik und K. Heumader

Von „normalen“ Unternehmen unterscheiden sie sich durch ihre zeitlich begrenzte Existenz und ihren schnellen Aufbau. Flash Organizations lassen sich durch IT-gestützte Auswahlprozesse sehr schnell bilden – im Mittel nahmen die Flash Organizations in den beobachteten Projekten Mitarbeiter binnen 14 Minuten unter Vertrag; im Gegensatz zu 14–25 Tagen, die ein Onboarding Prozess in traditionellen Unternehmen dauert. Durch Online-Arbeitsmärkte (wie z. B. Upwork.com) ist der Pool an Arbeitskräften riesig – zumal Flash Organizations klassischerweise rein virtuell existieren. Unternehmen greifen auf Flash Organizations am häufigsten projektbasiert zurück. Sie nutzen dafür meist einen Pool an Arbeitskräften, der sowohl aus internen als auch aus externen Experten bestehen kann, die dann je nach Bedarf für das Projekt an Bord geholt werden. Auch hier sind die Auswahlprozesse meist IT-gestützt. Experten und Freelancer sind in Datenbanken mit ihren Qualifikationen, Kompetenzen und häufig auch Bewertungen hinterlegt, sodass ein Algorithmus in Sekundenschnelle passende Vorschläge machen kann. Die finale Auswahl jedoch findet in den meisten Fällen immer noch durch einen Menschen statt. Dennoch sind durch die Vorabauswahl per Algorithmus die Möglichkeiten von Beginn an gefiltert und der Prozess kann so massiv beschleunigt werden (Grabmeier 2019). Auch im Hinblick auf die Mitarbeitermotivation und die empfundene Sinnhaftigkeit der Aufgabe haben Flash Organizations gegenüber Crowdsourcing klare Vorteile: Da die Aufgaben für den Einzelnen komplexer sind, die Mitarbeiter in Teams zusammenarbeiten und miteinander kommunizieren und das Gesamtziel des Projektes kennen, ist die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Projekt deutlich höher. Sie erkennen ihren Beitrag zur Gesamtaufgabe und sind motivierter. Der Aspekt der Entfremdung, der beim Crowdsourcing durch oftmals stupide und in Kleinstteile zergliederte Aufgaben zu Tage tritt, fällt damit weg. Die Mitarbeiter sehen ihre Arbeit als sinnvoll an. Hinzu kommt, dass zwar Flash Organizations auch zeitlich begrenzt sind, sie aber deutlich länger bestehen. Positive Effekte sind, dass Teams sich aufeinander einstellen können und so effektiver arbeiten. Außerdem ist mit Flash Organizations eine längerfristige Karriereplanung für die Mitarbeiter möglich, sie können ihre Fähigkeiten und Qualifikationen weiter ausbauen und haben ein stabiles Einkommen. Auch aus diesen Gründen wird das Modell der Flash Organizations von Gewerkschaften grundsätzlich positiv bewertet (Valentine et al. 2017, S. 10).

9.3

Notwendige kulturelle Voraussetzungen schaffen

Wie die Beispiele Crowdsourcing und Flash Organizations im HR-Bereich zeigen, sind die Potenziale der Digitalisierung für Unternehmen riesig. Durch Vernetzung und Automatisierung lassen sich neue Ressourcen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens erschließen. Besonders im Wettbewerb um Innovationen wird dies zunehmend überlebenswichtig für Unternehmen. Um diese Potenziale auszuschöpfen, müssen Unternehmen jedoch eine digitalisierungsfreundliche Kultur in ihren Unternehmen schaffen.

9  Potenziale der Digitalisierung: Die Intelligenz der Vielen im Unternehmen nutzen

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Denn vernetztes Arbeiten kann nur stattfinden, wenn sowohl Organisationsstrukturen als auch Mindset der Akteure darauf ausgerichtet und bereit dazu sind.

9.3.1 Welche Kultur ist digitalisierungsfreundlich? Eine digitalisierungsfreundliche Kultur zeichnet sich aus durch . Mitarbeiter- und Kundenorientierung 1 2. Vertrauensbasierte Führung 3. Transparenz 4. Vernetzung

9.3.1.1 Mitarbeiter- und Kundenorientierung Mitarbeiterorientierung und Kundenorientierung sind in Unternehmen zwei Seiten derselben Medaille. Die beiden interdependenten Faktoren stellen durch die Digitalisierung Unternehmen vor Herausforderungen: Unternehmen müssen verstehen, wie sich das Kundenverhalten verändert und welche Anforderungen Mitarbeiter in einer digitalisierten Welt an sie stellen. Laut Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) macht der Online-Umsatz im Handel bereits 10 % des Gesamtumsatzes aus, Tendenz weiter steigend. Zu den Online-Käufen kommen jedoch auch noch die stationären Käufe, denen die Internetrecherche vorangegangen ist: Fast 50 % der Kunden informieren sich online über ein Produkt oder eine Dienstleistung, bevor sie sich zum Kauf entscheiden (BMWi 2017, S. 7). Das macht für den Handel das Thema Suchmaschinenoptimierung zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor. Durch die ständige Verfügbarkeit von Informationen und Waren sowie die große Auswahl bei zahlreichen Produkten verändern sich also Kaufverhalten und Ansprüche der Kunden. Und zwar sowohl hinsichtlich der Produkt- als auch in Bezug auf die Serviceund Beratungsqualität. Unternehmen müssen sich deshalb noch viel stärker als bisher an den Wünschen der Kunden ausrichten. Das Schlagwort dazu lautet: Customer Experience. Diese lässt sich nur vernetzt und abteilungsübergreifend umsetzen. Denn Customer Experience beinhaltet die Optimierung aller Touchpoints im Unternehmen. Silodenken in Abteilungsstrukturen ist daher nicht mehr zielführend. Die Digitalisierung und die damit verbundene Möglichkeit, Daten über Kunden zu generieren und diese zu einem individuellen Nutzerprofil zusammenzuführen, erleichtert es den Unternehmen, Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kunden zu erkennen und den Kunden dort abzuholen, wo er steht. Für Industrie und Handel bedeutet die Digitalisierung daher auch die Möglichkeit, bisher nicht genutzte Potenziale viel besser auszuschöpfen. Unternehmen, die Kundenorientierung leben und umsetzen, gewinnen aber noch viel mehr: Sie motivieren durch ihr Engagement Kunden dazu, an der Produktentwicklung aktiv teilzunehmen. Diese Form von Crowdsourcing fördert eine agile Produktentwicklung, die aktiv die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden einbezieht, auf Kundenfeedback

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baut und so Lösungen entwickelt, die echten Mehrwert bieten. Kunden und Verbraucher beteiligen sich an diesen Prozessen, da sie hiervon letztlich profitieren (Pelzer et  al. 2012, S. 16). Dem Leitsatz von der Kundenorientierung läuft der von Vineet Nayar (2010) geprägte Leitsatz „Employees first – Customers second“ auf den ersten Blick zuwider. Die Logik ist jedoch einfach: Die Mitarbeiter sind es, die für die Kunden den Mehrwert kreieren. Dieser schafft Umsatz und Gewinn für das Unternehmen. Letztlich profitieren also sowohl Mitarbeiter als auch das Unternehmen und natürlich auch die Kunden von Engagement und Motivation der Mitarbeiter. Denn nur begeisterte Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen und seinen Zielen identifizieren, können auch Kunden begeistern. Ebenso wie Kundenorientierung muss Mitarbeiterorientierung deshalb im gesamten Unternehmen vernetzt und übergreifend als Leitidee umgesetzt werden. Der passende Begriff lautet hier, analog zur Customer Experience, Employee Experience (Morgan 2017; Nelson und Doman o. J.). Auch das Top-Management muss dabei voll und ganz hinter der Idee der Mitarbeiterorientierung stehen – und bereit sein, Verantwortung abzugeben und Freiräume zu gewähren. Es nützt nichts, wenn die HR-Abteilung Benefits mit der Gießkanne verteilt – das steigert nachweislich nicht die Motivation der Mitarbeiter und bringt daher auch keinen Mehrwert für die Unternehmen (Dietz 2017). Employee Experience ist dabei weit mehr als klassische HR-Arbeit. Vielmehr setzt das Konzept darauf, individuell für jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin die optimale Arbeitsumgebung zu schaffen – es beginnt beim Computer, der schnell hochfährt und sich nachts updatet, geht über gesundes und gutes Kantinenessen bis hin zu flexiblen Arbeitszeiten und -orten – je nach Bedarf des Einzelnen. Ein Patentrezept für Employee Experience kann es daher nicht geben (Nelson und Doman o. J., S. 4). Mitarbeiter müssen stattdessen die Wertschätzung des Unternehmens und ihrer Führungskräfte erfahren, indem diese sie gezielt fördern und unterstützen. Die individuelle Weiterqualifizierung und Entwicklung der Mitarbeiter steigert deren intrinsische Motivation und bringt gleichzeitig einen Mehrwert für das Unternehmen. Denn im Zuge der Digitalisierung sind neue Kompetenzen und Skills erforderlich, die Mitarbeiter erwerben müssen. Dafür benötigen sie die Unterstützung ihrer Führungskräfte und des gesamten Unternehmens. Diese Kompetenzanforderungen betreffen nicht nur technische Skills (die zweifelsohne wichtig sind!), sondern vor allem die Art der Arbeitsorganisation.

9.3.1.2 Vertrauensbasierte Führung Eine digitalisierungsfreundliche Kultur hängt stark von der Einstellung des Top- und des mittleren Managements ab. Die Führungsebene ist durch ihr vorbildhaftes Handeln und ihre Kommunikation in der Lage, kulturellen Wandel zu befeuern – oder auszubremsen (Foitzik und Heumader 2019). Der Führungsstil spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Potenziale der Digitalisierung auszuschöpfen und im Unternehmen eine digitale Transformation mit einem digitalisierungsfreundlichen Mindset einzuleiten. Infolge der Digitalisierung entstehen disruptive Innovationen, die ganze Branchen revolutionieren und die Kräfteverhältnisse an den Märkten umkehren. Man denke nur an den

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finnischen Handyhersteller Nokia, der den Smartphone-Trend verschlief und seine Marktführerschaft an die Vorreiter Apple, Samsung und Huawei abgeben musste. Big Data und künstliche Intelligenz sorgen für große Fortschritte in allen Bereichen – von Medizin über Industrie und Handel bis hin zu Verkehr (Grabmeier 2018b). Doch wie entstehen Innovationen? Durch die Anwendung von Methoden wie Design Thinking oder Working out Loud wird Kreativität „getriggert“, intuitive Ideen kommen zum Vorschein. Scheinbar Abwegiges  – weil es nicht auf Altbekanntem fußt  – tritt zu Tage. Um diese Methoden anwenden zu können, brauchen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Führungskräfte, die eine optimale Arbeitsumgebung für sie schaffen, wie es das Konzept der Employee Experience beinhaltet. Gleichzeitig müssen sie ihren Mitarbeitern aber auch Verantwortung übertragen und ihnen Freiräume gewähren. Die Grundlage dafür ist Vertrauen, das Führungskräfte den Mitarbeitern entgegenbringen müssen – und umgekehrt. Verschiedene Label gibt es für solche Führungsstile: Die ethikorientierte Führung (Frey und Schmalzried 2013), die transformationale Führung (Pelz 2016) oder auch die solidarisch-­werteorientierte Führung (nextpractice Forum o. J.). Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie auf dem Vertrauen zwischen Mitarbeitern und Führungskräften basieren. Da­ rüber hinaus • • • • •

vermitteln sie Sinnhaftigkeit der Aufgabe, bauen sie auf der Vorbildfunktion der Führungskraft auf, übertragen sie den Mitarbeitern Verantwortung, fungieren Führungskräfte weniger als Befehlsgeber und mehr als Coach, fördern sie die individuelle Entwicklung der Mitarbeiter, basierend auf deren Kompetenzen und Fähigkeiten, • stellen sie den Menschen als Ganzes in den Mittelpunkt und nicht nur die Leistungen, die er oder sie für das Unternehmen erbringt. So fördern Führungskräfte die intrinsische Motivation der Mitarbeiter und sorgen für Mut zur Kreativität. Besonders wenn Aufgaben an „die Crowd“ vergeben werden, wie bei den oben genannten Beispielen Crowdsourcing und bei der Bildung von Flash Organizations, müssen Führungskräfte ihren Mitarbeitern vertrauen. Dies bedingt die Tatsache, dass fehlende räumliche Präsenz, zeitliche Flexibilität und das spezielle Expertenwissen der Mitarbeiter Kontrolle ohnehin erschweren. Flash Organizations fördern zudem die intrinsische Motivation der Mitarbeiter, indem sie die übergeordneten Ziele in den Vordergrund stellen und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten für die Teilnehmer eröffnen. Dies sorgt für erhöhte Identifikation mit dem Projekt – und vergrößert damit die Erfolgschancen (Valentine et al. 2017, S. 10).

9.3.1.3 Transparenz Die Umsetzung der digitalen Transformation und die Stärkung der Innovationskraft in Unternehmen können aber nur gelingen, wenn Wissen und Information transparent geteilt und zur Verfügung gestellt werden. Der Grundsatz „Wissen ist Macht“ gilt zwar immer

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noch – er wird aber um den Zusatz „Geteiltes“ erweitert. Denn nur, wenn Wissen vernetzt und geteilt wird, lässt es sich vermehren (Pelzer et al. 2012, S. 23). Neue Perspektiven und Ideen können in Bestehendes einfließen und so dazu beitragen, dass auch neues Wissen entsteht. Vor allem für die Auslagerung von Aufgaben in die Crowd ist Transparenz entscheidend. Flash Organizations und den Teams, die sie bilden, müssen alle relevanten Informationen zur Verfügung gestellt werden, wenn das Unternehmen konkrete und mehrwertbringende Ergebnisse durch die Ressource des externen Wissens erzielen will. Der Grundsatz der Transparenz betrifft aber nicht nur das Wissen, sondern auch Fehler und Misserfolge. Unternehmen, die Innovationen entwickeln und auf die Straße bringen wollen, werden auch immer wieder damit scheitern. Wer Neues ausprobiert und seine Komfortzone verlässt, kann sich naturgemäß kaum auf Erfahrungswerte stützen. Der Grundsatz „aus Fehlern lernt man“ funktioniert aber nur, wenn diese Fehler offen angesprochen und analysiert werden. Dass hierfür eine gute Vertrauensbasis sowohl innerhalb der Teams als auch zwischen Mitarbeitern und Führungskräften Voraussetzung ist, versteht sich von selbst. Der Führungsstil und das Mindset der Akteure sind erfolgsentscheidend. Auch für die Preisgabe von Wissen und Informationen ist Vertrauen erforderlich – in der digitalen Transformation rücken deshalb idealerweise menschliche Eigenschaften und humanzentrierte Methoden in den Mittelpunkt und lösen die klassische HR-Sicht, die Mitarbeiter nahezu ausschließlich als Leistungsträger ansieht (Human Ressource), ab (Frey und Schmalzried 2013; Nelson und Doman o. J.).

9.3.1.4 Vernetzung Die bisher genannten Kriterien einer digitalisierungsfreundlichen Kultur – Kunden- und Mitarbeiterorientierung, vertrauensbasierte Führung und Transparenz – lassen sich aber nur in der entsprechenden Organisationsstruktur umsetzen. Deren zentrales Kennzeichen muss Vernetzung sein. Denn all die genannten Punkte lassen sich nur über Abteilungsgrenzen hinweg in interdisziplinären und vernetzten Strukturen verwirklichen. Neben der fachlichen Vernetzung muss Austausch auch über die Hierarchieebenen hinweg stattfinden können. Zugängliche Führungskräfte, deren Tür für ihre Mitarbeiter offensteht, sind dafür die wichtigste Voraussetzung. Doch auch die Gesamtorganisationen müssen sich vor allem in traditionellen Unternehmen neu ausrichten. Wie oben beschrieben, sind kreative Freiräume entscheidend, damit Innovationen entstehen und sich entwickeln können. Die Entwicklung ist jedoch nur der erste Schritt – danach gilt es, diese auf die Straße zu bringen, sie weiter zu optimieren, Prozesse zu rationalisieren und sie in die Massenproduktion des Unternehmens zu übernehmen. Damit das gelingt, müssen die traditionellen Unternehmensbereiche eng mit den sogenannten „Sandboxes“ zusammenarbeiten. Nur wenn beständiger Austausch besteht, können Innovationen aus der kreativen Entwicklungs- und Erprobungsphase in das Tagesgeschäft hinüberwandern. Die dazugehörige Organisationsweise nennt sich Ambidextrie, lateinisch für Beidhändigkeit (Keller 2012). Ambidextrie bietet einen Ausweg aus dem sogenannten Innovator’s Dilemma, indem sie

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1. innerhalb des Unternehmens kreative Spielräume (Sandboxes) schafft, in denen das Verlassen und Aufbrechen von Routinen gewünscht und gefördert wird, um so die Entstehung von Innovationen zu unterstützen. 2. das Tagesgeschäft, das mit einem erfolgreichen Produkt für den Cashflow sorgt, weiterläuft und auch weiter optimiert wird. Wichtig: Auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die in diesem Bereich tätig sind, müssen Wertschätzung und Aufmerksamkeit erfahren und in ihrer individuellen Entwicklung bestärkt werden. 3. Strukturen schafft, die beide Bereiche miteinander verbinden – denn nur, wenn Kommunikation und Austausch zwischen den beiden Sphären stattfinden, können beide Bereiche profitieren. Hinzu kommt, dass Kommunikation die beste Möglichkeit ist, um Konflikte zu vermeiden. Schließlich sind Ressourcen wie Budget und Mitarbeiter begrenzt – auf keinen Fall darf eine Konkurrenzsituation entstehen.

Hintergrundinformation Innovator’s Dilemma Das Innovator’s Dilemma trifft ziemlich genau auf das zu, was oben im Zusammenhang mit dem Mobilfunkgerätehersteller Nokia beschrieben wurde. Nokia war in seiner Branche lange Jahre Marktführer – genau aus diesem Grund wurden viel zu wenig Investitionen in Innovationen getätigt. Die Folge: Das Unternehmen verlor den Anschluss an neue Entwicklungen und auch seine Marktführerschaft. Zusammengefasst bezeichnet das Innovator’s Dilemma eben genau die Situation, dass Unternehmen nicht oder zu wenig in Forschung und Entwicklung von Innovationen investieren, gerade weil sie so erfolgreich sind. Aufgrund des großen Erfolges fließen alle verfügbaren Ressourcen in die immer weitere Optimierung des bestehenden Portfolios und der dazugehörigen Prozesse. Denn hier sind kurz- und meist sogar mittelfristig die größten Gewinnsteigerungen zu erwarten (Xenios Thrasyvoulou o. J.). Aus diesem Dilemma bietet eine ambidextere Organisationsweise einen Ausweg, da sie in der Lage ist, das Kerngeschäft und seine weitere Optimierung (Exploitation) und Innovationen (Exploration) miteinander zu verbinden und so gleichzeitig für kurzfristige Gewinnsteigerungen als auch für die langfristige Zukunftsfähigkeit des Unternehmens durch Innovationen zu sorgen.

Eine vernetzte Organisationsweise, die hierarchie- und fachübergreifend Experten miteinbezieht, interne und externe Mitarbeiter miteinander in Kontakt bringt und durch Kommunikation und Austausch für die Verbreitung von Wissen sorgt, ist also die strukturelle Voraussetzung dafür, dass die digitale Transformation und die entsprechenden Mindsets auf fruchtbaren Boden fallen.

9.3.2 D  er ETC als Methode zur Schaffung einer digitalisierungsfreundlichen Kultur? Wie aber lässt sich in einem Traditionsunternehmen, dass klassischerweise funktional differenziert ist und hierarchisch strukturiert, eine solche vernetzte Struktur schaffen und die Denkweisen der Akteure entsprechend beeinflussen? Der Enterprise Transformation Cycle

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(ETC) bildet hier einen geeigneten Ansatz, um sowohl den strukturellen als auch den kulturellen Wandel einzuleiten und umzusetzen. Wie die Ausführungen zur digitalisierungsfreundlichen Kultur gezeigt haben, liegen die Voraussetzungen sowohl in der Kultur als auch in der Struktur, die in Unternehmen vorherrschen. Hinzu kommt die Etablierung der entsprechenden Infrastruktur, die aber auf fruchtbaren Boden fallen muss. Um all diese Punkte umzusetzen, bedarf es einer umfassenden Strategie, die alle Aspekte miteinbezieht – wie es der ETC tut.

9.3.2.1 Values & Principles Im Mittelpunkt des Modells stehen „Values & Principles“, Werte und Prinzipien. Im Zuge der digitalen Transformation und der Ausschöpfung ihrer Potenziale spielen sie in verschiedenen Bereichen eine wichtige Rolle. Beim Kick-off einer Transformation sind Werte die Orientierungsgeber für das Ziel der Reise. Werte bilden die Grundlage für die Strategien und Prozesse, die im Zuge der Transformation durchgeführt, überarbeitet und implementiert werden sollen. Sie geben die Vision, das große Ganze vor, das in der Lage ist, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bord zu holen und sie für das Projekt „Transformation“ zu begeistern. Auch oben genannte Aspekte einer digitalisierungsfreundlichen Kultur sind per se schon wertorientiert – wie beispielsweise auch der Begriff „werteorientierte solidarische Führungskultur“ nahelegt. Auch „Vertrauen“, „Transparenz“, „Ethikorientierung“ und „Humanzentrierung“ sind Werte, die die Grundlage für eine digitalisierungsfreundliche Kultur bilden, wie oben gezeigt wurde. 9.3.2.2 Strategy Auf Basis der Werte, die einerseits die Transformation an sich leiten und deren Etablierung andererseits das Ziel des Transformationsprozesses bildet, muss das Top-Management dann unter Einbeziehung der Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter eine Strategie für die digitale Transformation im Unternehmen entwickeln. Diese definiert zwar im Rahmen des ETC durchaus Meilensteine und Zielsetzungen, ist aber keineswegs in Stein gemeißelt. Der große Vorteil des Modells besteht ja gerade in seinem agilen Vorgehen, bei dem zum einen an jedem Punkt des Zyklus ein Einstieg möglich ist, zum anderen der Prozess auch immer wieder von Neuem durchlaufen werden kann. Diese Strategie sieht – je nach Ausgangslage im Unternehmen und je nach Zielsetzungen  – natürlich immer anders aus. Grundsätzlich werden in dieser Phase jedoch meist noch zusätzliche Methoden angewandt, wie z. B. das Business Modell Canvas, der Golden Circle (Sinek 2009) oder die Balanced Scorecard. 9.3.2.3 Processes Im Transformationsprozess selbst haben sich vor allem zwei Punkte als erfolgsentscheidend herauskristallisiert: Zum einen die Einbeziehung möglichst vieler Stakeholder zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, zum anderen ein agiles Vorgehen.

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Transformationsprozesse im Allgemeinen und die digitale Transformation im Besonderen lösen in den meisten Unternehmen Ängste und Unsicherheiten aus. Veränderungen stoßen zunächst auf Ablehnung. Dieser Reflex lässt sich jedoch vermeiden, indem die Möglichkeit zur Mitgestaltung des Transformationsprozesses durch die Mitarbeiter besteht (Foitzik und Heumader 2019). Denn durch die Chance, Vorschläge einzubringen, die dann auch diskutiert und umgesetzt werden, steigt die Identifikation mit den Zielen und Prozessen der Transformation und damit auch die aktive Unterstützung. Ein agiles Vorgehen bietet hier viele Vorteile: Zunächst lassen sich so die Ziele und Visionen, die mit der Transformation angestrebt werden sollen, entwickeln und konkretisieren  – unter Beteiligung der Mitarbeiter. Auch im Umsetzungsprozess ist die Agilität entscheidend: Durch das schrittweise Vorgehen wird die Gefahr „zu viel auf einmal“ zu wollen, in Schach gehalten. Damit wird sichergestellt, dass die einzelnen Punkte gewissenhaft umgesetzt, kommuniziert und evaluiert werden, so dass bei Bedarf auch Nachjustierung möglich ist.

9.3.2.4 Organization Wie bereits oben geschildert, bildet die Organisation eine wichtige Komponente bei der Umsetzung der Digitalisierung. Die Strukturen müssen sich von der Organisation in funktional differenzierten Abteilungssilos lösen und stattdessen vernetzt denken und handeln. Projektbasierte Teams müssen hier die Alternative zu den üblichen Abteilungsstrukturen bilden. Dabei spielt auch die Einbindung von externen Experten in flexiblen Modellen wie Flash Organizations oder im Rahmen von Crowdsourcing eine immer wichtigere Rolle, damit nicht jedes Spezialwissen im Unternehmen ständig vorhanden sein muss. Aber auch bei der Zusammenstellung von internen Teams können computergestützte Auswahlprozesse die Qualität der Teams massiv verbessern. Über Algorithmen lassen sich optimale Teams sehr schnell bilden, indem Qualifikationen, Erfahrung, besondere Kompetenzen aber auch Kriterien wie Diversity berücksichtigt werden. Meist bildet jedoch noch immer der Mensch die letzte Instanz bei der Auswahl – basierend auf den Vorschlägen automatisierter Prozesse. Wichtig ist, dass die Kommunikationswege zwischen verschiedenen Teams, Bereichen und Sphären reibungslos funktionieren und Abstimmungsprozesse den Transfer von gefundenen Lösungen und Ideen ermöglichen. Nur so ist ein mehrwertbringendes gemeinsames Arbeiten für die Zukunftsvision möglich. 9.3.2.5 People Im Bereich People erfordert eine digitalisierungsfreundliche Kultur zahlreiche Qualifikationsmaßnahmen. Sowohl hinsichtlich der Sozialkompetenzen als auch bei der Nutzung neuer Technologien müssen Mitarbeiter qualifiziert werden. Externe Expertise kann hier oft Wissenslücken im Unternehmen schließen. Via Crowdsourcing oder durch Flash Organizations kann Expertenwissen in das Unternehmen integriert werden.

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Die Führungskultur befindet sich an einer Schnittstelle zwischen „People“ und „Values & Principles“: Die Fähigkeit, Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung zuzugestehen, muss auch von Führungskräften erlernt werden – und befähigt Mitarbeiter wiederum dazu, neue Aufgaben zu übernehmen und neue Kompetenzen zu entwickeln.

9.3.2.6 Systems & Tools Im Bereich Systems & Tools muss im Zuge der Digitalisierung die Infrastruktur am Arbeitsplatz modernisiert werden. Vernetzung erfordert auch entsprechende technologische Grundlagen: Dies kann ein Social Intranet sein, Communities, in denen sich Mitarbeiter zu bestimmten Themen austauschen können, Feedback-Apps für Führungsstil oder um das Management von Projekten zu bewerten und Schwachstellen aufzudecken, die es künftig zu vermeiden gilt. Die technologische Infrastruktur ist ein zentraler Teil der Digitalisierung  – sie muss aber mit Leben gefüllt werden. Denn nur wenn auch die Kultur eine Nutzung dieser Tools und Systeme begünstigt und fordert, kann die Infrastruktur auch ihren Nutzen entfalten. Was bringt ein Führungskräftefeedback, an dem sich niemand beteiligt? Eine moderne Infrastruktur muss deshalb so gestaltet sein, dass sie eine niedrigschwellige Nutzung ermöglicht und eine gute Usability aufweist. Nur unter diesen Voraussetzungen werden Mitarbeiter Community-Tools auch verwenden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann kann technologische Infrastruktur einen entscheidenden Teil zu einer erfolgreichen und zielgruppenorientierten Kommunikation beitragen. Zum einen lässt sich eine große Zahl von Mitarbeitern in der Top-down-Kommunikation erreichen, zum anderen haben Mitarbeiter auch Bottom-up die Möglichkeit, Vorschläge, Ideen und Kritik einzubringen. Umfragen mit hoher Beteiligung lassen detaillierte Stimmungsbilder über das Unternehmen zu. Auch Projektseiten, die über den aktuellen Stand von Projekten informieren, Blogs, Collaboration-Plattformen, Themen-Streams oder virtuelle Expertenrunden sind wichtige Kommunikationstools. Im Detail haben wir diese in unserem Beitrag zum ersten Band dieses Sammelwerks beschrieben und analysiert (vgl. Foitzik und Heumader 2019). 9.3.2.7 Governance Das Top-Management muss die Steuerung der digitalen Transformation gestalten und die Ziele unterstützen. In die konkrete Ausgestaltung der Transformation gilt es, die Mitarbeiter einzubeziehen. Nur so lässt sich breite Unterstützung und Akzeptanz für den Transformationsprozess gewinnen (Foitzik und Heumader 2019). Häufig wird ein Steering Team etabliert (so auch in unserem Fallbeispiel, das unten geschildert wird), das zum Teil aus Mitarbeitern verschiedener Abteilungen, zum Teil aus Beratern einer Agentur besteht. Dieses hat die Aufgabe, die gemeinsame Vision der Transformation durch Einzelinitiativen umzusetzen und steht zu diesem Zweck in engem Kontakt mit Top-Management, Vorstand und Führungskräften. In der Steuerung der Transformation hat sich eine agile Vorgehensweise bewährt: In Iterationen lassen sich Einzelinitiativen, die auf das Gesamtziel der Transformation ein-

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zahlen, immer weiter optimieren. Der ETC ist hier eine geeignete Methode, da er durch sein zyklusartiges Vorgehen stets von Neuem durchlaufen werden kann. Zahlreiche Iterationen und Feedbackschleifen führen damit zu optimalen Ergebnissen. Auch die Einbindung verschiedener Perspektiven und Interessen ist im ETC gewährleistet, da er Anknüpfungs- und Kommunikationspunkte für alle Stakeholder bietet. So lässt sich durch Governance die Intelligenz der Vielen für die digitale Transformation nutzen.

9.4

 allbeispiel: Börsennotiertes Unternehmen soll kunden- und F mitarbeiterzentrierter werden

Im Folgenden soll eine Initiative im Rahmen eines Transformationsprozesses beschrieben und analysiert werden, bei dem auf ein agiles und iteratives Vorgehen zurückgegriffen wurde, um einen kulturellen Wandel zu initiieren. Bei dem transformierenden Unternehmen handelt es sich um einen großen Software-Dienstleister, der im Zuge der Digitalisierung sowie infolge einer Fusion unter Druck geraten ist. Die Kundenzufriedenheit sank, Beschwerden nahmen zu und die Mitarbeiter vermissten Gesamtorientierung. Aufgrund der vielfältigen Herausforderungen entschied der Vorstand, dass eine umfassende Transformation des Gesamtunternehmens notwendig war. Organisation, Geschäftsmodell, Werteorientierung und Kultur mussten an das digitale Zeitalter angepasst werden. Dies betraf vor allem die siloartigen Abteilungsstrukturen, die starken Hierarchien und die dadurch oft ineffizienten und trägen Prozesse. Das Unternehmen musste vernetzter, kundenfreundlicher und mitarbeiterzentrierter werden, um künftig innovativere Lösungen anbieten zu können und auf Probleme schneller reagieren zu können. Nachdem im Rahmen eines Workshops mit dem Vorstand eine Gesamtvision für das zukünftige Unternehmen erarbeitet worden war, begann die Umsetzung in einem agilen und iterativen Vorgehen. In zahlreichen Initiativen, die auf das Gesamtziel der Transformation einzahlten, wurde die Transformation ausgerollt. Diese Initiativen wurden jeweils von selbstorganisierten Teams erarbeitet und umgesetzt. Eine zentrale Rolle nahm dabei das Steering-Team ein: Es bestand aus Mitarbeitern des Unternehmens, die für etwa sechs Monate von ihrem normalen Arbeitsplatz freigestellt wurden, und aus Beratern einer Beratungsagentur. Dieses Steering-Team war der Orientierungspunkt für die selbstorganisierten Teams der Initiativen: Es sorgte dafür, dass die Ergebnisse in sich schlüssig waren und auf das Gesamtziel, das Unternehmen effektiver, kunden- und mitarbeiterorientierter zu machen, einzahlten. Dazu unterstützte es den Vorstand bei der Definition der Jahresziele des Unternehmens, arbeitete an der Strategieentwicklung mit und war auch an Definition und Erhebung von KPIs zur Erfolgskontrolle beteiligt. Um den Roll-out der Transformation zu steuern und zu optimieren, traf sich das Steering-Team zudem regelmäßig mit den Initiativeleitern. In gemeinsamen Retrospektiven der Initiativen wurden Best Practices und Verbesserungspotenziale optimiert.

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Eine der Initiativen war die Einführung eines Führungskräftefeedbacks. Auf der Werteebene bzw. im People-Management waren wichtige Transformationsziele: • mehr Eigenverantwortung für Führungskräfte und Mitarbeiter, • stärkere Betonung der Sozialkompetenz von Führungskräften, • Umsetzung der Werte Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz in der Führungspraxis. Um dies umzusetzen, erarbeitete das Unternehmen gemeinsam mit einem externen Dienstleister eine App für ein Führungskräftefeedback, die auf das Ziel der „werteorientierten Führungskultur“ einzahlt. Mit dem Tool zum Führungskräftefeedback können diese sich zunächst selbst einschätzen. Im zweiten Schritt laden sie Mitarbeiter aus verschiedenen Gruppen dazu ein, Feedback zu geben. Neben geschlossenen Fragen können die Feedbackgeber auch offene Kommentare (z.  B. „Informieren Sie uns besser über den aktuellen Status von Projekten“) formulieren. Danach vergleicht das Tool Selbsteinschätzung und Feedback miteinander und gibt auf dieser Basis erste Handlungsempfehlungen. Das Feedback brachte einen Dialogprozess in Gang, der einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) initiierte. Durch konkrete Entwicklungsempfehlungen an die Führungskräfte wurde der Austausch zwischen Mitarbeitern und Management angestoßen. Die App ist damit genau das: Ein Anstoß – sie kann den Austausch aber nicht ersetzen. Verantwortliche haben so die Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Mitarbeitern den eigenen Führungsstil zu optimieren, die Bedürfnisse der Mitarbeiter besser zu erkennen, ihre Sichtweisen zu verstehen und dadurch letztlich auch besser auf den Kunden eingehen zu können. Zudem bekamen die Mitarbeiter durch das Führungskräftefeedback die Chance, sich aktiv an der Gestaltung ihrer Rollen und Aufgaben sowie am Transformationsprozess selbst zu beteiligen. Sie erfuhren, dass ihre Vorschläge und Ideen in Entscheidungen einflossen. Dadurch erhöhten sich Motivation, Leistungsbereitschaft und Identifikation mit dem Unternehmen. Das Führungskräftefeedback war eine von zahlreichen Initiativen, die auf das Gesamtziel der Transformation einzahlten. Wichtig war es vor allem deshalb, weil sozialkompetente Führungskräfte erfolgsentscheidend für Unternehmen sind: Durch das Feedback ­bekamen Führungskräfte die Möglichkeit, sich im Dialog mit ihren Mitarbeitern weiterzuentwickeln – was besonders entscheidend war, da im Rahmen des Transformationsprozesses den Mitarbeitern auch neue Rollen und Aufgaben übertragen, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen berücksichtigt und individuelle Entwicklungspotenziale erkannt und gefördert werden mussten. Das Unternehmen nutzte in seinem Transformationsprozess und insbesondere mit dem Führungskräftefeedback die Intelligenz der Vielen, um einen KVP zu initiieren. Dabei zahlte die „Intelligenz der Vielen“ auf alle Dimensionen des ETC ein:

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• Values & Principles – auf die Etablierung einer werte- und mitarbeiterorientierten Führungskultur, die individuelle Kompetenzen fördert; • Strategy – das Feedback der Mitarbeiter gestaltet den Transformationsprozess mit; • Processes – Prozesse werden partizipativ; • Organization – Führung wird vernetzt und Dialog wird gefördert; • People – Individuelle Entwicklungsmöglichkeiten werden aufgezeigt; • Systems & Tools  – Die App zum Führungskräftefeedback garantiert einen niedrigschwelligen Zugang für alle Mitarbeiter; • Governance  – Führungskräfte, Vorstand und Mitarbeiter steuern die Transformation gemeinsam.

9.5

Schlussbetrachtung

Die Intelligenz der Vielen ist eine unschätzbare Ressource für Unternehmen. Sowohl in Transformationsprozessen als auch im Alltagsgeschäft bietet sie Unternehmen die Möglichkeit, Optimierungsprozesse zu initiieren und die Innovationskraft zu stärken. Doch die Nutzung der „Intelligenz der Vielen“ bedarf bestimmter Voraussetzungen: Zuvorderst einer digitalisierungsfreundlichen Kultur, die ihre Nutzung erst möglich macht. Wie sich eine solche etablieren lässt, wurde in diesem Beitrag anhand des ETC gezeigt. Gleichzeitig bietet die Intelligenz der Vielen auch bei der Etablierung dieser digitalisierungsfreundlichen Kultur zahlreiche Anknüpfungspunkte  – sie ist damit abhängige und unabhängige Variable zugleich. Es lohnt sich für Unternehmen, Strukturen und Einstellungen zu schaffen und zu fördern, die auf die Schwarmintelligenz zugreifen: Sei es, um Wissen und Know-how ins Unternehmen zu holen, sei es, um Partizipation und Rückhalt für Change-Projekte zu gewinnen oder sei es zu Markforschungszwecken, die durch Schwarmintelligenz weitaus kostengünstiger umsetzbar sind. Es lohnt sich, auf die Intelligenz der Vielen zu setzen!

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Oliver Foitzik,  geboren 1972, berät seit rund 20 Jahren Großkonzerne und mittelständische Unternehmen in strategischen, organisatorischen, prozessualen und IT-technischen Fragen. Darüber hinaus ist er ein anerkannter Experte für Kommunikation und Neue Medien. In seiner Senior-Rolle begleitet er Firmen auf dem Weg nachhaltiger Veränderungen und umfassender Transformationen sowie deren erfolgreicher Gestaltung.

Katja Heumader,  geboren 1985, ist Fachredakteurin für Managementthemen. Sie beschäftigt sich mit Innovationsmanagement, Unternehmenstransformationen und HR-Themen. 2014 promovierte sie in Politikwissenschaft mit einer Arbeit zum Wandel politischer Steuerung. Seither ist sie immer wieder überrascht, wie viel politische Führung und Unternehmensführung doch gemeinsam haben  – und wie schwierig es ist, in beiden Sphären Veränderungen nachhaltig zu implementieren.

Teil III Transformationsbeziehungen

Der Weg zu einem customerorientierten Unternehmen

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Ingrid Vollweiter und Michael Rohde

Inhaltsverzeichnis 10.1  G  rundlagen der Customer Experience Transformation   196 10.2  Verbesserung der Kundenerlebnisse über Customer Experience Transformation   198 10.3  Unternehmensweite Transformation zur Erlangung eines neuen Customer-ExperienceÖkosystems   201 10.4  Messbare Ergebnisse der Customer Experience Transformation   203 10.5  Permanente Weiterentwicklung von Customer Experience Transformation in der Optimize-Phase   206 10.6  Schlussbetrachtung   207 Literatur   209

Zusammenfassung

Customer Experience Transformation (CXT) ist in vielen Unternehmen zu einem brandaktuellen Thema geworden. Customer Experience- und Marktforschungsteams müssen die gesamte Customer Journey verstehen und für die verschiedenen Stakeholder transparent machen, damit kundenzentrierte Maßnahmen umgesetzt und Geschäftsergebnisse verbessert werden. Dass hierin ein erfolgreicher Transformationsprozess eine entscheidende Rolle spielt, ist ein absolutes Muss zur Erreichung der gesteckten Ziele und Erwartungen. Doch wie lässt sich eine CXT im Transformationsprozess planen? Welche Instrumente der CXT eignen sich für welche Zielsetzungen? Und ist die Einführung von CXT in allen Phasen des Transformationsprozesses formal, inhaltlich

I. Vollweiter (*) · M. Rohde STRANGE Consult GmbH, Tutzing (bei München), Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_10

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und in seiner Zielsetzung gleich? Diese und andere Fragen beantwortet der vorliegende Beitrag, indem er zunächst einen systematischen Einblick zu CXT und deren Ziele gibt und diesen dann in Beziehung setzt zu den Phasen einer Unternehmenstransformation, wie sie der Enterprise Transformation Cycle definiert.

10.1 Grundlagen der Customer Experience Transformation Die Annahme, dass hinter jedem Produkt Kundenanforderungen und -bedürfnisse stehen und dass die Erfüllung dieser eine Steigerung der Kundenzufriedenheit und -loyalität bedeuten, rückt unweigerlich die Kundensicht in den Fokus. Entsprechend müssen Unternehmen nicht wie bisher ausgehend vom Produkt her denken, sondern primär, wie und welche Anforderungen des Kunden über welche Kanäle und Schnittstellen bedient werden müssen. Kundenzentrierung ist in diesem Zusammenhang als Basis für eine erfolgreiche Customer Experience Transformation (CXT) mit Customer Journey Mapping zu sehen: Unternehmen, die es schaffen, aktuellen Herausforderungen und branchenübergreifend treibenden Megatrends wie Digitalisierung, Omnichannel-Connectivity, Smart Mobility und 360°-Individualisierung kundenorientiert zu begegnen, werden Vorreiter der Customer Experience Transformation sein. Offensichtlich spiegeln diese aktuellen branchenübergreifenden Entwicklungen die Bedürfnisse der Konsumenten wider – doch wie kann ihnen effizient begegnet werden? Ansatzpunkt muss die Optimierung des Customer Experience Management sein: Von einem klassischen Customer Experience Design muss der Sprung in eine innovative, agile Welt der CXT geschafft werden! Große Akteure verfolgen aktuell branchenweit umfangreiche Customer-Experience(CX)-Initiativen. Die Marktsituation fordert ein aktives Umdenken in Richtung eines kundengetriebenen Enterprise Transformation Cycle (ETC; siehe auch Transformation Consulting International 2018, o. S.; Stiles et al. 2012, S. 45; Pfannstiel and Steinhoff 2019, S. X): Unternehmen, die auf eine Innovation und Transformation der Kundeninteraktion verzichten, werden gravierende Marktanteile verlieren und nicht von den Vorteilen der CXT profitieren können: • CXT hat nachweislich einen Anstieg der Kundenloyalität zur Folge. Dieser äußert sich nicht nur in primären Faktoren, wie der Bindung der Bestandskunden, sondern provoziert viele weitere positive Nebeneffekte, wie nachhaltige Wiederkaufsgarantien und aktive Weiterempfehlungen zur Neukundengenerierung. Eine Verbesserung der Profitabilität kann mit CXT-Maßnahmen in direkte Verbindung gebracht werden. • Eine kreative Kundenzentrierung rückt die Anforderungen der Käufer in den Fokus und sie fungiert als wesentlicher Ideengeber und Innovationstreiber. Neue Impulse der wesentlichen Zielgruppen können alle unternehmensinternen Bereiche beeinflussen und inspirieren – Produkte, Services, Kundenbeziehungen im Allgemeinen können zielori-

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entiert ausgerichtet werden, da Konzepte zukünftig in kooperativen Teams entwickelt werden. Die Korrelation zwischen Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit ist branchenübergreifend kein Geheimnis: Ein Anstieg der Kundenzufriedenheit und einhergehender Effekte bedingen einen Anstieg der Mitarbeiterzufriedenheit. CXT kann als Motivator für das gesamte Unternehmen gesehen werden. Unabdingbare Veränderungen sollten sich in ihrer Agilität und Innovation auf alle unternehmerischen Prozesse und Strukturen auswirken. Maßnahmen der CXT modernisieren somit in erster Linie auch die Unternehmenskultur. Die Erwartungen der Kunden an Produkt- und Serviceleistungen bezüglich Geschwindigkeit, Individualisierung und Digitalisierung steigen stetig. Digitale Firmen mit viel Sinn für CXT (schon fast automatisiertes CXT) wie z. B. Amazon und Google sind nicht nur Vorreiter, sondern setzen den wünschenswerten Benchmark. Gleichzeitig sind Unternehmen mit dem Management der zunehmenden Anzahl (digitaler) Touchpoints einer selektiven Datenauswertung und -nutzung und fehlenden Alleinstellungsmerkmalen in gesättigten Märkten konfrontiert. Um diese Hürden zu überwinden und hin zu einer erfolgreichen CXT zu entwickeln, ist die Customer Journey übergreifend innovativ zu gestalten. Eine Customer Journey beschreibt alle Interaktionspunkte (Touchpoints) und Teilprozesse der Kauf- bzw. Lebenszyklusphasen und stellt das Kundenerlebnis somit sequenziell dar. Ziel einer Customer Journey ist es, möglichst effizient den Outside-in-Ansatz zu verfolgen und somit die Orientierung an Kundenbedürfnissen und der Kundensicht (u. a. Pain Points, Inkonsistenzen, komplexe User Experience, LifeCycle Produkte, etc.) mit den unternehmerischen Werten und der operativen Prozessablauf- und Aufbauorganisation mit seinen internen Strukturen und Verantwortlichkeiten in einer hohen Effizienz und Effektivität zu verbinden. Eine ausgeprägte Nutzer- und Nutzenorientierung kann für den Kunden emotionale Erlebnisse und sogenannte „Magic Moments“ schaffen: Positive und begeisternde Erfahrungen rund um ein Unternehmen, seine Serviceleistungen und Produkte schaffen diese und machen aus einem Interessenten einen Fan. Diese Fokussierung als wesentliches Schlüsselelement der Customer Journey trägt initial und maßgeblich dazu bei, Zielgruppen zu klassifizieren, zu definieren und darauf aufbauend Touchpointstrukturen, Zufriedenheitsanalysen und Ursachenforschung aufzusetzen, um optimierende Maßnahmen abzuleiten. Kundentypen lassen sich im Rahmen der CXT sinnvoll psychografisch, also nach ihren wichtigsten Bedürfnissen (Motiven) einteilen. Idealerweise kombiniert man in der Segmentierung verschiedene Ansätze der Kundenwertermittlung, -segmentierung und -klassifizierung und bündelt bzw. visualisiert sie in einer Persona. Personas sind idealtypische Kundenbilder zum besseren Verständnis der Bedürfnisse. Sie beschreiben das Profil einer Zielgruppe im Rahmen der Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen und/oder Prozessen. Die Daten werden durch Beobachtungen oder Interviews ermittelt. Nach einer intensiven Analyse der Zielgruppe ist die Kundenreise dieser

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speziellen Kundentypen im Rahmen spezifischer Customer Journeys mit ihren fokusgruppenorientierten Touchpoints ganzheitlich zu untersuchen, um Optimierungspotenziale zu identifizieren. Die wahre Zielgruppenorientierung eines Unternehmens zeigt sich für den Kunden an den Erfahrungen, die er an den verschiedenen Touchpoints macht. Touchpoints sind die entscheidenden Schlüsselmomente in der Kundeninteraktion und erzeugen überwiegend die Customer Experience. Mit dem zielgruppenspezifischen Customer Journey Mapping werden die Kundeninteraktionen der Fokusgruppe über die sequenziellen Touchpoints sowie die beteiligten Abteilungen sichtbar. Die Customer Experience an einzelnen Touchpoints, aber auch journeyübergreifend, kann mithilfe der Voice of Customer (VoC) identifiziert werden. Dies ist ein Instrument, um die Bedürfnisse und Erfahrungen der Kunden aus der Analyse bereits vorhandener kundenbezogener Daten (Sekundärforschung) und der gezielten Einholung und Auswertung von Kundenfeedback mittels verschiedener Methoden (Primärforschung) zu erfassen und zu verstehen. Ein personafokussiertes Customer Journey Mapping mit strategischer VoC-Analyse dient dazu, eine CXT mit konkreten Ansatzpunkten und Hebeln zur Verbesserung des Kundenerlebnisses bei gleichzeitiger Mitarbeiterakzeptanz zu etablieren und einen messbaren und nachvollziehbaren Einfluss auf die Ergebnisse der Geschäftseinheiten und des Gesamtunternehmens sicherzustellen: • Kritische Touchpoints können zielgruppenorientiert identifiziert und analysiert werden. • Bedarfsorientierte Maßnahmen zur Optimierung der Touchpoints können abgeleitet und optimal organisiert werden. • Involvierte unternehmensinterne Prozesse und Bereiche können transparent und effizient aufeinander abgestimmt werden. • Produkte und Services können bedarfsorientiert und kundeninteraktiv angepasst bzw. entwickelt werden. Folgendes Bildbeispiel aus einem Projekt veranschaulicht den Ablauf (Inspiration, Explore und Implementation), die Hauptaktivitäten und den Flow vom Solution Design zum Customer Journey Mapping für eine bedarfsorientierte Produktentwicklung mit Design Thinking und einer ganzheitlichen Stakeholder-Integration (siehe Abb. 10.1). Die systematische Analyse der Kundenerlebnisse entlang der Customer Journey zielt auf die Identifikation von Optimierungspotenzialen und Verbesserungshebeln ab. Mit CXT sollen diese Potenziale ganzheitlich und effizient genutzt werden.

10.2 V  erbesserung der Kundenerlebnisse über Customer Experience Transformation Customer Experience Transformation hat nicht nur das Ziel, ein für die Kunden optimales Kundenerlebnis nach einem klassischen Customer Experience Design zu entwickeln, umzusetzen und in der Organisation zu verankern. Ziel muss es sein, die aktuellen Treiber der

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Explore

Inspiration 2-lane Anforderungs -Mgmt & AWE

Understand

Observe

Brainstorming storm r in i g

Strat. Projekte

IT Projekte Changes (Regex, Biz, …)

TeamTeamT builidi ding building

POV

Ideate

Implementation

Prototype

Test

Ideation- Prioritization Prior ioritization & Filter Filter Fi Decision De ecision i

Personas / Target T Consolidation Consolilda d tion

Non-IT Projekte

Research Incidents „IT-Schuld“/ Re-Factoring

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Solution Design

Business Model

Pilot

Finalization F Fi inaliz l ation

Implement

Opti Optimize timize

Develop

Design D esig i n TouchpointT Touc hpoint i i analysis Favo v rization Favorization Modelllling Modelling Concepti tion & Conception

Discoover

Storytelling

Deliver

Marketing r & Sales (Channeling,…) (Channeli ling,…) str trategy strategy

Rating Internal rehash

Customer Journey Mapping

Abb. 10.1  Customer-Journey-Übersicht, Projekt der STRANGE Consulting GmbH bei einem IT-Unternehmen aus dem Jahre 2018. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Kundenbedürfnisse hochgradig agil, digitalisiert und personalisiert in die spezifischen Journeys zu integrieren und somit Produkte und Services mit einem höchsten Grad der Bedarfsorientierung und Flexibilisierung im Unternehmen zu verankern und auf dem Markt anzubieten. Doch wie genau revolutioniert CXT das klassische Customer Experience Design? • Ein journeyorientierter CXT-Prozess basiert auf einer CX-Strategie, die aus einer Vision (CX-Zielbild, auf Basis eines fundierten VoC-Programms) und einer Mission (CX-Umsetzungsformel) strategische Ziele hinsichtlich aller relevanten „Akteure“ (Mitarbeiter, Prozesse, Kunden, Finanzergebnisse, etc.) abgeleitet wird. • Im Rahmen der Neuausrichtung muss eine innovative CX Value Proposition definiert werden. Das Werte- und Nutzenversprechen muss zukünftig darauf abzielen, die Kundenanforderungen nicht nur ganzheitlich in den Fokus zu rücken, sondern diese agil, digital und personalisiert zu bedienen. Eine Verankerung der CX Value Proposition im Unternehmen sollte dabei gleichzeitig eine nachhaltige Kundeninteraktionsqualität sicherstellen, ohne an dem Flexibilisierungsgrad und der Entwicklungsgeschwindigkeit zu verlieren. • Die CXT setzt auf einer Reifegradbestimmung der bestehenden Kundenerfahrungswerte auf. Ziel eines Unternehmens muss es zunehmend sein, für seine Fokusgruppe eine innovative CX zu bieten, die sich von vergleichbaren Marktakteuren differenziert. Der erste Grad der Transformation schafft unternehmensweites Bewusstsein für CX und verdeutlicht die Relevanz des Customer-Centric-­Ansatzes. Analytische Maßnahmen zur Identifikation der Zielgruppen, Persona und deren Bedürfnisse leiten aktive Umsetzungsinitiativen ein. Der wissenschaftliche Ansatz sollte im Rahmen der CXT zügig in ein aktives Management der CX-Aktivitäten gehen. Auch ein strategisches

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Management in diesem Kontext und ein nachhaltiges Commitment im Unternehmen ist sicherzustellen, da die Transformationsmaßnahmen der CXT unternehmensweit Workflows beeinflussen. Dieser fortgeschrittene Grad der Customer Experience setzt bereits die Integration einer CX-Software voraus. Auf diesem Weg kann mithilfe von CXT der optimale Reifegrad einer innovativen CX erreicht werden. Die Revolution zur digitalen CX ist wesentlich für eine strategische Differenzierung! Das Kundenerlebnis wird im Rahmen der CXT auf innovative und unter Leitung des Customer-Centric-Management auf interdisziplinäre Weise analysiert. Cross-funktionale Teams führen mithilfe kreativer Methoden Bedarfsermittlungen durch und identifizieren den tatsächlichen Handlungsbedarf. Die identifizierte Maßnahmenrelevanz wird unter Berücksichtigung der Kundendatenrelevanz und dem Management von Big Data plus der aktiven Integration der Kunden priorisiert. Dieser Markttrend- und Kundenbedarfsfokus sorgt von Beginn an für eine Emotionalisierung und Magic Moments entlang der gesamten zukünftigen Journey. Die optimale Planung der Touchpoints und einhergehender Produkt-/Serviceangebote aller Phasen der Customer Journey werden im Rahmen der CXT innovativ initiiert und umgesetzt (siehe auch Abb. 10.1). Agilität der Prozesse mit unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten sowie dynamische, flexible und personalisierte Services und wertsteigernde Angebote entlang der gesamten Journey revolutionieren das klassische Customer Experience Design. CXT bringt einen strukturellen und kulturellen Wandel mit sich, der sich hin zu einer innovativen und revolutionären CX mit einem Customer-Centric-Denken entwickeln muss. Im Rahmen der Transformation müssen selbstverantwortliche, crossfunktionale Teams, neue Führungskulturen mit Servant Leadership entstehen und agile Denkweisen im Unternehmen verankert werden. Hierfür werden neue Fähigkeiten (z. B. Flexibilität, Fehleroffenheit, hybride Denk- und Erfahrungswerte von IT und Markt) sowie teamorientierte Steuerungsinstrumente relevant. Bei der Entstehung dieser neuen Arbeitswelten wird der Weg zwischen der „Entkernung“ (= Loslassen alter Verhaltensund Steuerungsmodelle) und der „Bewahrung“ (= Erhalt von Identität und positiven Kulturelementen) aktiv im Rahmen der CXT geplant und begleitet. Langfristige Wirkungsambitionen müssen festgelegt und nachgehalten werden. Die Umsetzung der optimierenden Maßnahmen muss erfolgsorientiert bewertet werden. CX-Kennzahlen sollen dabei helfen, Entwicklungen der Kundeneinstellungen wahrzunehmen und entsprechende komplexe Datenströme zu analysieren. So kann frühzeitig auf Ereignisse reagiert und die CXT nachhaltig weiterentwickelt werden. Wie Kundenkennzahlen zur Erfassung des Ist-Zustandes der CX dienen und zur Definition der Soll-Zustände und deren Kontrollen und kontinuierlichen Verbesserung beitragen, wird in einem Folgekapitel erläutert.

Zunächst soll dargestellt werden, wie einzelne Unternehmensbereiche eine innovative CXT integrieren können und davon profitieren.

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10.3 U  nternehmensweite Transformation zur Erlangung eines neuen Customer-Experience-Ökosystems Die Einführung von Customer Experience beeinflusst und erfordert das Involvement aller Mitarbeiter im gesamten Unternehmen. Eine professionelle Transformation von Menschen, Maschine und Prozess ist zur Erreichung eines neuen CX-Ökosystems mit allen seinen wünschenswerten Zielen essenziell. Aus der er- und gelebten Praxis haben sich folgende Effekte bei einer professionell initialisierten Transformation (Envision, Engage, Transform, Optimize; EETO) ergeben (siehe hierzu auch die Abb. 10.2). Wie in jedem professionell aufgesetzten Transformationsprozess sind auch beim Wandel zur CX-Organisation Phasen der Envision, Engage, Transform bis zum stetigen Optimize notwendig. Hierin stellen insbesondere „product quality“, „sales revenue“, „customer satisfaction“ und die „sales efficience“ eine bedeutende Rolle. Aber auch „sales governance“ und „investment protection“ stehen als zu erreichende Ziele im Vordergrund. Die Verbesserungen liegen in den einzelnen Zielen zwischen 20–50 % und sind selbstverständlich von der Ausgangslage, der konsequenten Umsetzung sowie der generierten Akzeptanz abhängig. Mit dem richtigen Transformationsprozess und -vorgehen und der Einbindung vom Management bis zum Mitarbeiter, der Kunden, der Meinungsbildner können signifikante Veränderungen im Kundenbeziehungsmanagement und in vielen internen Serviceprozessen des Unternehmens erzielt werden. Auch können gemeinsam entwickelte Produkte und Services im B2B elementare Wettbewerbsvorteile zum B2B to C oder B bereitgestellt werden, die dann auch die sinnbildliche Erfolgsformel 1+1+1 > 3 ermöglicht. Damit eine höchstmögliche Effizienz erreicht werden kann, ist ein besonderes Augenmerk auf das Daten- und Informationsmanagement zu richten. Im Rahmen der Customer Journey gibt es dabei Grundregeln zum Sammeln von Quelldaten:

Abb. 10.2  Übersicht zu Customer Experience Improvements und Transformation Relevance, Umfrageergebnisse aus Projektergebniszusammenfassungen. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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• Die wirkliche Wahrheit zählt nur für eine erfolgreiche CX-Map! Nur wahrheitsgetreue Daten bringen eine nutzenbringende Customer Experience Transformation hervor, denn deren Wert ist an die Qualität der Einblicke gebunden, welche sie vermitteln kann • Zur Gestaltung der CXT gilt es, viele interne und externe Informationen unterschiedlicher Quellen einzubinden, um hier einen kundenspezifischen Mehrwertprozess zu generieren. Eine Quelle ist nie genug, um ein übergreifendes Bild zu erhalten. Es sollten so viele Informationen wie möglich aus verschiedenen Quellen gesammelt werden. • Der kontinuierliche Verbesserungsprozess setzt einen iterativen Prozess voraus. Vom Verlauf der Erstellung entsteht ein stetig iteratives Konzept und der Prozess bleibt so wahrheitsgetreu und verbessert/präzisiert sich nachhaltig. • Der qualitative Aspekt zum Gewinnen qualitativer Erkenntnisse im Rahmen einer verlässlichen CXT-Methode sind das Kundengespräch und die Touchpoints. Das Gespräch sollte in einer natürlichen, unverfälschten Art und Umgebung stattfinden, um möglichst viele Informationen für ein ganzheitliches Bild und die möglichen Bedarfe des Kunden zu erhalten. Bei jedem Kontaktpunkt sollten alle Daten und entsprechende Feedbacks und Informationen aus unterschiedlichen Erlebnissichten gesammelt und verarbeitet werden. • Der quantitative Aspekt im Rahmen der CXT ist, auf den qualitativen Erkenntnissen aufbauend weitere Datenquellen wie statistische Auswertungen oder Umfragen zu berücksichtigen, um die entscheidenden Merkmale zu identifizieren und die Kundenperspektive zu verstehen. Bei der Unternehmenstransformation zur Verbesserung von Durchgängigkeit und Nachhaltigkeit ist die strategische Ausrichtung von Vertrieb, Produktmanagement und Marketing auszurichten auf die CXT. Die Erhöhung des Unternehmenserfolges erfordert dabei die nachfolgende Fokussierung und Ausrichtung ebenfalls des gesamten Unternehmens. Der permanente Kreislauf (siehe Abb.  10.3) erreicht durch die Feinjustierung einen möglichst optimalen Datenstand. Dies bedingt auch, dass Kanal, Kunde, Produkt und Service in gleicher Qualität hinzukommen müssen. Die Feinjustierung zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: • Es ist unabdingbar, dass die ganzheitliche Betrachtung und die Gestaltung der Operationsabläufe in einem End-to-End-Ansatz entwickelt werden. • Im gesamten Unternehmen müssen die Digitalisierungsdimensionen berücksichtigt und alle Kanäle gleich betrachtet und behandelt werden. • Die Customer Experience macht keinen Halt vor unterschiedlichen Industrien und sollte daher ebenfalls im Kreislauf des spezifischen Ökosystems betrachtet und berücksichtigt werden. • Einen hohen Stellenwert nimmt Simplexity ein. Die CXT ist unter Simplify-Aspekten und userfreundlichen Erlebnissen und Angeboten zu gestalten.

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Abb. 10.3  Feinjustierungsphasen. (Quelle: Eigene Darstellung 2016)

• Aufgrund des hohen Anspruchs an Datenqualität und der Einbindung unterschiedlicher interner und externer Datenquellen ist in den Unternehmen ein Data-Centric-Enterprise-Modell zu implementieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass eine ganzheitliche Betrachtung möglich ist. • Entsprechend den Vorbildern ist für die Kunden eine größtmögliche Convenience zu kreieren und permanent zu optimieren. Dabei ist eine individualisierte und persönliche Ansprache oder Userführung zu gewährleisten. Unabdingbar sind in diesem Zusammenhang alle Kompetenzbereiche und -hierarchien eines Unternehmens mit seinen Management-, Kern- und Supportprozessen (z. B.: Strategie, Produktmanagement, Governance/Controlling, Organisation, Prozesse, IT und Architektur, Recht, etc.) auf die Neuausrichtung des Unternehmens einzustimmen und einen gemeinsamen Progress nach Zielerwartung zu erreichen. Die Überführung durch einen Transformationsprozess wie in Abschn.  1.3 beschrieben bedingt auch den Wandel zur CX-Organisation mit den Phasen der Envision, Engage, Transform bis zum stetigen Optimize.

10.4 M  essbare Ergebnisse der Customer Experience Transformation Die Auswirkungen des Transformationsprozesses können weitreichend und sehr unterschiedlich ausfallen. Die Resultate sind von verschiedenen Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren in Zusammenhang mit der Customer-Journey-Entwicklung abhängig. Umso wichtiger ist es, die Ermittlung von Steuerungsinformationen zu nutzen, um die Transformation strategisch bewerten zu können. Verschiedene Key-Performance-Indikatoren werden im Laufe der Analysen, insbesondere aber in der Optimize-Phase, zur strategischen Diagnostik und Ergebnisbewertung eingesetzt.

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Im Rahmen der Touchpointanalyse kann das Instrument der Treiberanalyse effizient dafür eingesetzt werden, die Relevanz einzelner Touchpoints zu identifizieren, diese einzuwerten und somit zu priorisieren. Die Bewertung der Kundeninteraktionspunkte und einzelner Leistungspakete an den Schnittstellen (Services/Produkte) erfolgt in einer Ma­ trix (beispielsweise in einer Vier-Felder-Matrix) hinsichtlich der Kundenerwartung (Leistung) und ihrem Einfluss auf die Kundenzufriedenheit (Wichtigkeit). Mit dieser Portfoliobewertung wird sowohl die Identifikation von Stärken und Schwächen einzelner granularer Journey-Elemente wie auch eine Priorisierung hinsichtlich des Handlungsbedarfs ermöglicht. Darauf aufsetzend können weitere Korrelations- und Regressionsanalysen die spezifischen Treiber zur Journey-Optimierung definieren. Das In­ strument der Treiberanalyse kann demnach wesentlich dazu beitragen, die Indikatoren einer effizienten CXT zu identifizieren und je nach Signifikanz der Matrix-Einwertung in die Umsetzung zu überführen (siehe Abb. 10.4). Die Analyse der Kundenbasis könnte auf wissenschaftlichem Fundament mit Instrumenten zur strategischen Diagnostik erfolgen, um die Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der Auswahl zu gewährleisten. Für eine wertorientierte Klassifizierung von Kunden kann die Ermittlung des Customer Lifetime Value (CLV) herangezogen werden. Der Customer Value ist eine wichtige Bemessungsgröße und dient als Basis für die Rentabilitätsbestimmung und werteorientierte Kundenklassifizierung. Die Berechnung bezieht sowohl die Vergangenheit, Gegenwart und (erwartete) Zukunft der Kundenbeziehung ein. Um diese durchführen zu können, müssen auftretenden Zahlungsströme der bestehenden Kundenbeziehung gesammelt werden (siehe Abb. 10.5). Abhängig von dem CLV können Kunden segmentiert und klassifiziert werden, um hinsichtlich der Journey die Relevanz der Kundensegmente entsprechend zu berücksichtigen.

Abb. 10.4 Beispiel Treiberanalyse mit Portfoliobewertung. (Quelle: TrainingsManufaktur Dreiklang GmbH et al. 2019)

10  Der Weg zu einem customerorientierten Unternehmen Abb. 10.5 Berechnungsformel CLV. (Quelle: TrainingsManufaktur Dreiklang GmbH et al. 2019)

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Customer Lifetime Value (CLV)

Es können aber auch weitere Verfahren zur Kundenklassifizierung angewendet werden. Die bekannteste und einfachste Methode stellt die ABC-Kundenklassifikation dar. Diese Analyse basiert auf dem Pareto-Prinzip: 20 % der Einflussfaktoren verursachen 80 % der Wirkung. Sie teilt den erzielten Umsatz mit den jeweiligen Kunden oder Produkten in drei Kategorien: • A -Kategorie: alle Kunden, die zusammen für 80 % des Umsatzes (oder Wertes) verantwortlich sind. • B -Kategorie: alle Kunden, die zusammen für 15 % des Umsatzes/Wertes verantwortlich sind. • C -Kategorie: alle Kunden, die zusammen für 5 % des Umsatzes/Wertes verantwortlich sind. Zur strategischen Analyse des Kundenwertes und um zukünftige Potenziale in einem Kundenwertportfolio darzustellen, wird die Geschäftsrelevanz dem Wachstumspotenzial gegenüberstellt. Dieses Instrument ermöglicht es, unterschiedlich segmentierten Kundengruppen mit verschiedenen spezifischen Maßnahmen entlang der Journey zu begegnen. Idealerweise kombiniert man in der Segmentierung verschiedene Ansätze und bündelt bzw. visualisiert sie in einer Persona. Das Instrument der Empathy Map kann dabei helfen, die Kundenbedürfnisse der Persona zu identifizieren und ihre Kundenwünsche zu strukturieren. Jede erfolgreiche CXT-Umsetzung ist von einer innovativen CX-Strategieentwicklung abhängig. Dabei werden aus der CX-Vision die strategischen und operationalen Zielsetzungen abgeleitet. Die CX-Scorecard mit KPIs (Zielkundenkennzahlen) auf Basis der CX Strategy Map hilft dabei, die einzelnen Ziele zu strukturieren und messbar und nachvollziehbar entlang der CXT-Elemente zuzuordnen und darzustellen (siehe Abb. 10.6): Die strategische Zielerreichung und Ergebnisbewertung der Maßnahmenumsetzung kann mithilfe geeigneter, hier beispielhaft dargestellter Analyseinstrumente und KPIs nachvollzogen werden. Eine Ursachenanalyse baut anschließend auf Abweichungen auf

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Abb. 10.6  CX-Scorecard. (Quelle: TrainingsManufaktur Dreiklang GmbH et al. 2019)

und identifiziert Verbesserungspotenziale der CXT-Resultate für eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Mit den geeigneten wissenschaftlichen Instrumenten und Ansätzen und aussagekräftigen KPIs kann somit der Weiterentwicklungsbedarf der Journey während und nach der Umsetzung einer CXT identifiziert und in einen anschließenden kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) überführt werden.

10.5 P  ermanente Weiterentwicklung von Customer Experience Transformation in der Optimize-Phase Der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) in der Optimize-Transformationsphase im Sinne einer zukünftig agilen CXT gestaltet und begleitet den strukturellen und kulturellen Wandel aktiv mit. Innovative Kundenzentrierung durch CXT ist ein nachhaltiger Change-Prozess, wenn im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung die Effizienz der Transformation sichergestellt wird. Beschriebene Ansätze und Kennzahlen helfen dabei, die Entwicklung der Customer Experience weiterzutreiben. Unterschiedliche Erfolgsfaktoren beeinflussen hierbei eine nachhaltige CXT und ihre kontinuierliche Verbesserung/Weiterentwicklung. • Nur mit einer unternehmensweiten „Think-Customer-Mentalität“ (Outside-in-Denken) kann Kundenzentrierung in allen Prozess- und Organisationsbereichen verankert w ­ erden. • Top-Management, Commitment und Kommunikation sind die Basis für eine Erfolgreiche CXT. • Funktionsübergreifende Zusammenarbeit unter definierter CXT-Führung in Change Projekten für eine optimierte Customer Experience.

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• Ausreichend interdisziplinäre Ressourcen sind kompetenzmäßig und kapazitativ ausreichend einzuplanen und (zeitlich, finanziell, personell). • Systematische und kontinuierliche Prozessplanung und -verfolgung und gleichzeitig kontinuierliche Nutzung von VoC (extern) und kundenrelevanten Prozessdaten (intern) sind ausschlaggebend für eine nachhaltig optimierte CX. • Eine klare Kennzahlen- und Zieldefinition gemäß CX Strategie schafft die Basis für eine ergebnisorientierte Transformation. • Eine konsequente Maßnahmenplanung, -umsetzung und -kontrolle entlang des CX-Reifegradmodells stellt die Effizienz des Change-Prozesses sicher. In einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess müssen diese und weitere strategische und operative unternehmens- und vertriebsspezifische Zielfaktoren konsequent überprüft und nachhaltig optimiert werden. Dabei ist es von fundamentaler Wichtigkeit, hier stetige Transparenz und Nachhaltigkeit im Unternehmen zu verankern und die Mitarbeiter als Servant Leader in die Abläufe miteinzubeziehen.

10.6 Schlussbetrachtung Die Grundlage für jede erfolgreiche CXT ist die vollständige Abbildung der Grundidee einer Customer Experience über alle Transformationsphasen – Envision, Engage, Transform, Optimize  – für einen nachhaltigen Paradigmenwechsel im Unternehmen und zur Erreichung der erwünschten Ziele. Die Integration der CXT erfordert eine qualitativ hochwertige, kanalübergreifende Verarbeitung, Auswertung und Aufbereitung aller internen und externen Kunden-, Produkt- und Wettbewerbsdaten. Die regelmäßige Nutzung jedes Touchpoints über alle Kanäle und Kontakte und vor allem eine regelmäßige Kontaktaufnahme mit der Einbindung der Kunden in die Produkt- und Serviceentwicklung stellen elementare Erfolgskomponenten dar, um ein positives Erlebnis zwischen Dienstleister und Kunden rund ums Produkt zu schaffen. Den Service zu emotionalisieren ist ein notwendiger Ansatz, um die heutigen Kundenerwartungen zu erfüllen und eine bestmögliche und systematische Betreuung der Kunden/ Interessenten im Sinne von Kundenbindung und -loyalität zu ermöglichen. Als wichtiger Schlüssel für die Zukunft gilt der Aufbau digitaler Ökosysteme. Aus eigener Kraft oder im Verbund mit Unternehmen aus anderen Wirtschaftszweigen werden in Zukunft verstärkt Branchen- oder Themenplattformen im Internet aufgebaut. Über digitale Informationsplattformen und Austauschbörsen können Kunden ganzheitlicher bei Entscheidungen begleitet und ergänzend zum eigenen Angebot auch Produkte und Services von Partnern angeboten werden. Das Geschäft lässt sich so über das angestammte Portfolio hinaus erweitern. Der strategische Wandel hin zu einem Customer-­Journey-­ orientierten Unternehmen ist daher für jedes erfolgreich agierende Unternehmen unverzichtbar und kann auch für die digitale Zukunft wettbewerbserhaltend und -fördernd gestaltet werden.

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Heute sind Daten/Informationen ein elementares Asset und mit den aktuellen IT-Potenzialen können die großen Datenmengen auch entsprechend verarbeitet werden. Somit können den Kunden zum gewünschten Zeitpunkt passgenaue (= lifecycleorientierte) Produkte mit mehrwertbringenden (Zusatz-) Services angeboten und somit datenbasierte Kundenanalysen zielführend eingesetzt werden. Der Einsatz von Predictive Analytics (Verhaltensvorhersagen) kann Vertriebspotenziale optimal nutzbar machen und auf Basis vorhandener Kundendaten können trennscharfe, intelligente Kundensegmente gebildet werden, um Kundenbedürfnisse optimal zu befriedigen. Um dies zu erreichen und die Kundenloyalität zu erhöhen sind die verschiedenen Kontaktkanäle zu nutzen und vor allem die Touchpoints zu personalisieren. Es erfordert einen abgestimmten und integrierten Ansatz, aktive Steuerung und die Umsetzung dynamischer Vertriebsaktionen. Eine Integration von Werbung, Marketing, CRM und die Berücksichtigung von Datenschutz und Kundenbedarfe in Verbindung mit qualitativen Daten und Informationen (unter Berücksichtigung regulatorischer Vorgaben) sind auf Kundenbedürfnisse auszurichten und mit digitalen Prozessabläufen zu befördern. Auf Basis persönlicher Kontakte rücken die digitalisierten Touchpoints immer mehr in den Fokus und stellen eine sinnvolle Interaktion in der Kundenansprache dar. Innovative Technologien und digitale Welten beeinflussen das Verhalten und die Anforderungen der Kunden. Den Kunden stehen mehr Möglichkeiten als je zuvor offen, um in Kontakt mit Unternehmen zu treten. Aufgrund der Allgegenwärtigkeit von Anbietern und die Anbindung durch ein mobiles Endgerät sind Nachfrageprodukte und Services überall und jederzeit verfügbar. Diese disruptiven Möglichkeiten und Bedarfe in der Kundenbegegnung erwünschen eine Gestaltung attraktiver Customer Journey, welche nach innen und außen wirken und die Effizienzen und Effektivität aktiv befördern. Es muss die Vision jedes Unternehmens sein, eine Customer Journey mit einem „Smart Everything“ zu implementieren, damit jederzeit auf Produkt- und Serviceebene Kundenmehrwerte und ein effizientes Omni-Channeling ermöglicht wird. Neben Leadgenerierung ist dabei auch das Ziel, Informationen und Daten zu sammeln, um Kunden in den „moments-of-truth“ das optimal erwünschte Angebot erstellen zu können. Dabei verbleibt selbsterklärend zur Erreichung eines partnerschaftlichen Dialogs ein strukturiertes Vertriebs- und Kontaktmanagement erhalten. Es gilt, eine nachhaltige Kundenorientierung und ein gutes Beziehungsmanagement im Sinne von Best Customer Experience im Unternehmen mit seinem Personal und zum Kunden zu etablieren. Dass CXT mit einem abgestimmten und ganzheitlichen Transformationsprozess in Form des Enterprise Transformation Cycles und unter Berücksichtigung des Unternehmens, der Kunden und relevanter Dienstleister eine elementare und nachhaltige Rolle spielt, ist absolut notwendig und unbestritten. Dieser Beitrag bietet einen systematischen Überblick über CXT-Philosophie, -Strukturen und -Kennzahlen im Transformationsprozess. Je nachdem, in welchem Stadium sich das Einführungs- und Veränderungsprojekt befindet, stellen sich auch unterschiedliche Anforderungen an CXT. Weder die Zielsetzungen noch die Inhalte bleiben während eines CXT-Projekts stets dieselben. Diese zu systematisieren, gelang mithilfe des ETC, der

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Transformationsprozesse in vier Phasen einteilt und bereits seit vielen Jahren erfolgreich in der Praxis eingesetzt wird.

Literatur Pfannstiel MA, Steinhoff PF-J (Hrsg) (2019) Der Enterprise Transformation Cycle, Theorie, Anwendung, Praxis. Springer Fachmedien, Wiesbaden Stiles P, Uhl A, Stratil P (2012) Meta management. In: Uhl A, Gollenia LA (Hrsg) A handbook of business transformation management methodology. Routledge, New York, S 41–59 STRANGE Consult GmbH (Hrsg) (2018) Diverse interne Unterlagen 2016–2019. STRANGE Consult GmbH, Tutzing TrainingsManufaktur Dreiklang GmbH& Co KG, Hermann S (Hrsg) (2019) Seminar customer experience design. TrainingsManufaktur Dreiklang GmbH & Co KG, Hamburg Transformation Consulting International (2018) Der Enterprise Transformation Cycle. Transformation Consulting International (TCI). https://www.tci-partners.com/de (TCI-Facts). Zugegriffen am 19.09.2018

Ingrid Vollweiter,  seit 2015 Partnerin und Mitgründerin der STRANGE Consult GmbH.  Davor mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Linienverantwortung im Marketing, Organisation und ITK bei Entrium Direct Bankers AG und ING-Diba AG als Bereichsleiterin und in der Beratung als Management Consultant im Finanzdienstleistungsbereich tätig.

Michael Rohde,  seit 2015 Gründer, Gesellschafter und Geschäftsführer der STRANGE Consult GmbH und Leiter von Networking- Konferenzen von Privatbanken und der Politik in der Finanzdienstleistungsbranche. Davor 15 Jahre Vorstand einer Manage­ -mentberatungsgesellschaft, fünf Jahre verantwortlicher Principal-Partner für die Finanzdienstleistungsbranche in einer Beratungsgesellschaft, vier Jahre CIO einer Auslandsbank, drei Jahre Unitleiter Banking DACH, acht Jahre Programmmanager im der zivilen/militärischen Luft- und Raumfahrt.

Transition der Service Organisation zu ITSM-­ orientierten Organisationseinheiten

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Rolf-Dieter Härter

Inhaltsverzeichnis 11.1  Einleitung  11.2  Die Transition-Idee (Envision)  11.3  ITSM – Was ist das?  11.4  ITSM-Mitarbeiter und Strategie (Engage)  11.5  Organisationskonzept, Aufbauorganisation Neuaufbau (Transform)  11.6  Auflösen von Abteilungen  11.7  Abteilungen aufbauen  11.8  Abteilungen/Teams erweitern  11.9  Aufbauorganisation eines ITSM (Optimize)  11.10  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Nach starken Wachstumsphasen oder auch nach Änderungen oder Erweiterungen in der Servicestrategie hat jeder IT-Serviceprovider (IT-Provider) Bedarf an Veränderung, da u. a. Prozesse nicht mehr funktionieren, Ressourcen nicht da sind und die Kosten den Erträgen davonlaufen. So auch, wenn der IT-Provider, um dem Kunden Genüge zu tun, in erster Linie viele Sonderservices unterhält und dies nun im Rahmen von Neustrukturierung mit Tools, Services und Prozessen auf einen standardisierten Betrieb umgestellt werden muss. Dies zwingt zu einer Bestandsaufnahme der aktuellen Situation und

R.-D. Härter (*) Keyldo GmbH, Neuenbürg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_11

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212

R.-D. Härter

zum Ergreifen von Maßnahmen zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Aufbauorganisation der IT-Provider ist meistens historisch gewachsen und nur wenig synchron mit den Prozessen. Wird nun die Aufbauorganisation unter Berücksichtigung der Prozesse angepasst, werden die Abläufe transparent, gibt es weniger Reibungsverlust und eine genaue Aufgabenzuordnung ist sichergestellt. Kommunikationswege werden kürzer und schneller.

11.1 Einleitung Die prozesstechnische Ausrichtung eines IT-Providers ist in den allermeisten Fällen ITIL(Information Technology Infrastructure Library)-geprägt (ITIL 2013). Durch die Forderungen der Kunden und die daraus resultierende Ausbildung der Mitarbeiter sowie die Verbreitung von ITIL haben sich diese Prozesse am Markt bei professionell agierenden Providern etabliert. Auf der Strecke blieben dabei oft die Anpassung bzw. die Neuausrichtung der Aufbauorganisation. Veränderungen nach starken Wachstumsphasen, neue Kunden oder Änderungen in der Servicestrategie sind bei IT-Providern notwendig, um am Markt Bestand haben zu können. So auch, wenn der IT-Provider seinen Kunden bisher individuelle Sonderservices liefert, die sehr stark durch „Zuruf“ und durch geringe Wirtschaftlichkeit geprägt sind. Hier sind in Zukunft im Rahmen einer Neustrukturierung standardisierte, transparente, nachvollziehbare und kalkulierbare Services gefragt. Dies zwingt zum Handeln, zu einer Bestandsaufnahme der aktuellen Situation, zu Veränderungen, um mit greifenden Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten oder wieder zu erlangen. Neben den Standardmaßnahmen wie Personal- oder Kostenplanung sowie den Umsatzplan aufbauen, einführen, etc. bietet es sich hier auch an, die Prozesse und die Organisation zusammenzuführen. Der De-facto-Standard für Prozesse der IT-Provider ist ITIL, eine Sammlung vordefinierter Prozesse, Funktionen und Rollen, wie sie typischerweise in jeder IT-Infrastruktur mittlerer und großer Unternehmen vorkommen. Die IT-Aufbauorganisation, der IT-Provider oder auch der IT-Abteilung ist häufig aus der Historie gewachsen und meistens nur wenig bis gar nicht adäquat an die Prozesse angepasst. Eine moderne IT-Ablauforganisation muss aber auf effizienten Prozessen aufbauen die vorhersagbare Ergebnisse liefern, auf wiederholbaren und klaren Verantwortlichkeiten basieren und die messbar sind. Werden nun die Organisation und die Prozesse aufeinander abgestimmt, erhalten die Abläufe Transparenz, es gibt weniger Reibungsverlust, eine genaue Aufgabenzuordnung ist sichergestellt, Informationswege werden verkürzt und die Prozesse sind messbar.

11  Transition der Service Organisation zu ITSM-orientierten Organisationseinheiten

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Es stellt sich die Frage, wie so ein vielschichtiges Thema angegangen wird. Einen Handlungsrahmen dazu bietet der Enterprise Transformation Cycle (ETC) (Pfannstiel und Steinhoff 2018). Transformationsprojekte sind komplexe Aufgaben. Der ETC als Herangehensweise an solche Veränderungsprozesse stellt sicher, dass alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt sind.

11.2 Die Transition-Idee (Envision) Für IT-Provider wird es immer wichtiger sich für Veränderungen, Innovationen und neue Ideen zu öffnen und diese dann schnell und effektiv zu implementieren. Dadurch ergeben sich neue Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen, die für neues Wachstum sorgen können. In dieser Ausarbeitung werden Wege beschrieben, die dazu beitragen, die ITSM Prozesse effektiv und effizient zu gestalten. Es wird dargestellt, wie die Prozessverantwortlichen und die betroffenen Menschen in eine Aufbauorganisation integriert werden, um zu einer anforderungsgerecht betriebenen IT-Serviceorganisation zu kommen. Was ist daran neu? Es wird keine bestimmte Methode zur Prozessverbesserung vorgeschlagen. Stattdessen wird versucht, die Welt des IT-Service-Managements vom Kopf auf die Füße zu stellen, indem zunächst einmal Wege aufgezeigt werden, welche Rollen und Aufgaben anstehen und wie diese effektiv in die Aufbauorganisation übernommen werden können. Methoden, Tools und Prozessmodelle, Best Practices und auch Managementinstrumente sind unbestritten von hohem Nutzen. Allerdings sind diese allesamt nicht mehr als Werkzeuge, die es erleichtern, die gesteckten Ziele zu erreichen. Hier wird versucht mit logischen Schlussfolgerungen und Ableitungen aus dem implementierten ITSM Prozessmodell eine vernünftige Aufbauorganisation zu bekommen. Eine wichtige Handlungsempfehlung und ein Leitfaden zur Bearbeitung des gesamten Veränderungsprozesses war der ETC.

11.3 ITSM – Was ist das? ITSM steht als Abkürzung für „IT Service Management“. Wikipedia definiert ITSM als „Gesamtheit von Maßnahmen und Methoden, die nötig sind, um die bestmögliche Unterstützung von Geschäftsprozessen durch die IT-Organisation zu erreichen“ (Wikipedia 2019). ITSM beschreibe insofern den Wandel der Informationstechnik zur Kunden- und Serviceorientierung. Aber, ITSM ist auch die Implementierung und das Management von qualitativen IT-Services, die zu den Anforderungen des Business passen und mithilfe der optimalen Mischung aus den Ressourcen Mensch, Prozess und Informationstechnologie ausgeführt

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werden. ITSM ist demnach ein Vorgehen um Geschäftsprozesse durch IT-Dienste zu unterstützen. Hier ist die Grundannahme, dass die Kernaufgabe des IT-Providers ist, IT-­ Dienste zu liefern. Die Kunden des IT-Providers sind klassischerweise interne Abteilungen oder externe Kunden, deren Anwender die IT-Dienste nutzen, um ihre tägliche Arbeit erbringen zu können. ITIL (Information Technology Infrastructure Library) ITIL ist eine Sammlung von Best Practices für die Planung, Überwachung und Steuerung von IT-Services. ITIL beschreibt, was getan werden muss, um die Leistungsfähigkeit des IT-Serviceproviders, (oder der IT-Abteilung) aufrechtzuerhalten und zu steigern (ITIL 2013). Die Feststellung, dass Unternehmen und öffentliche Verwaltungen heute in hohem Maß von der Verfügbarkeit von Informationssystemen abhängig sind, hat Ende der 1980er-­ Jahre zur Konzeption und Entwicklung von ITIL geführt. Initiator war die CCTA (Central Computer and Telecommunications Agency), eine IT-Dienstleistungsorganisation der britischen Regierung. Als das ITIL-Projekt begonnen wurde, gab es keine umfassende Grundlage für die wirtschaftliche und zweckmäßige Erbringung von IT-Services. Heute sind die anerkannten Verfahrensweisen des IT-Servicemanagements in ITIL dokumentiert. Zur Erarbeitung dieser Best Practices sicherte sich die CCTA die Zusammenarbeit von Experten, Beratern und erfahrenen Profis. ITIL ist bis heute die einzige umfassende, nicht proprietäre und öffentlich zugängliche Verfahrensbibliothek in diesem Bereich. Das macht sie zu einer wertvollen Handlungsanleitung für alle IT-Professionals. ITIL ist inzwischen eine Schutzmarke von AXELOS, einem Joint Venture der britischen Regierung und des Outsourcing-Unternehmens Capita. ITIL ist der wichtigste ITSM-Standard. Eine ITIL-Zertifizierung ist für Einzelpersonen, also auch Mitarbeiter eines Unternehmens, möglich, nicht aber für ganze Organisationen. ISO/IEC 20000 ISO/IEC 20000 ist eine international anerkannte Norm fürs ITSM, die von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) kontrolliert wird (ISO/IEC 2018). In der ISO/IEC 20000 werden die Mindestanforderungen an Prozesse spezifiziert und dargestellt, die eine Organisation etablieren muss, um IT-Services in definierter Qualität bereitstellen und managen zu können. Inhaltlich orientiert sich ISO/IEC 20000 an den Prozessen von ITIL, hat es aber immer noch nicht geschafft, den aktuellen Entwicklungsstatus von ITIL abzubilden. Die neueste Version ist ISO/IEC 20000-1:2018-09, diese ist jedoch aktuell nur in englischer Sprache verfügbar. Organisationen können sich die Einhaltung der Norm durch eine von der Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS) akkreditierte Prüfgesellschaft zertifizieren lassen. Ein Zertifikat muss jedes Jahr überprüft und alle drei Jahre erneuert werden (Deutsche Akkreditierungsstelle 2019).

Service Operation

Service Transition

Service Design

Lebenszyklus Service Strategie

[Gegenüberstellung ITIL – ISO/IEC 20000]

Continuel Service Improvement

ITIL Prozesse Strategy Management for IT-Services Financial Management Business Realationship Management Demand Management Service Portfolio Management Design Coordination Service Catalogue Management Capacity Management Availability Management Continuity Management Information Security Management Supplier Management Service Level Management Service Asset und Configuration Management Knowledge Management Transition Planning and Support Release and Deployment Management Service Validation and Testing Change Evaluation Change Management Service Desk Incident Management Application Management IT-Operation Management Technical Management Request Fulfillment Access Management Event Management Problem Management

Tab. 11.1  Gegenüberstellung ITIL – ISO/IEC 20000. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Problem Management

Incident/Service Request

Transition of new or changed Services Release and Deployment Management Change

Security Supplier Management Service Level Management Config

Plan new/changed Services Design new/changed Services Report Capacity Management Availability und Continuity Management

Business Realationship Management

ISO/IEC 20000 1-2011 Prozesse Budged/Accounting

11  Transition der Service Organisation zu ITSM-orientierten Organisationseinheiten 215

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Tab.  11.1 zeigt die grobe Gegenüberstellung von ITIL und der Norm ISO/IEC 20000 1:2011. Ob die ITSM Implementierung sich nun an ITIL oder an ISO/IEC 20000 orientiert, ist aufgrund der fast identischen Prozesse nicht von großer Relevanz. Am Ende steht in jedem Fall immer eine individuelle, hoffentlich effektive Implementierung. ITSM Rollen im Lifecycle Um ITSM-spezifische Veränderungen an der Aufbauorganisation durchführen zu können ist es wichtig, die Prozesse zu kennen und es sind die verschiedenen Rollen im ITSM zu beachten. Jede Rolle muss die ihr zugewiesenen Aufgaben erledigen. Nachfolgend sind die wichtigsten Rollen aufgeführt.. Service Owner Der Service Owner ist verantwortlich für die Erbringung eines Services im Rahmen der vereinbarten Servicelevels. Er stellt sicher, dass ein bestimmter Service in der vereinbarten Qualität bereitgestellt wird. Er führt die ihm betrauten Services im Servicekatalog, erstellt Marktstudien und forciert die Entwicklung neuer Services in Zusammenarbeit mit dem Demand Management. Er tritt als Verhandlungspartner des Service-Level-Managers auf, wenn es darum geht, Operational Level Agreements (Vereinbarungen auf Betriebsebene) zu vereinbaren. Die Verantwortung des Service Owner erstreckt sich über den gesamten LifeCycle die jeweiligen Services, reicht also von der Initiierung, Planung und Überführung in den Betrieb (Transition) über die Pflege der Serviceinhalte bis zum Support für die Anwender. Service Manager Der Service Manager ist für die Auslieferung der ihm zugeordneten Services verantwortlich. Er ist der Verantwortliche für Aufbau, Betrieb und Zielerreichung des ITSM-­Systems. Er hat die operative Verantwortung für das ITSM. Process Owner Der Prozess Owner ist der Eigentümer des Prozesses. Er ist verantwortlich für die Steuerung und Überwachung des jeweiligen Prozesses und bildet die Schnittstelle zum Management der Linienorganisation. Er ist rechenschaftspflichtig für die Sicherstellung einer effektiven und leistungsfähigen Prozessdurchführung sowie für dessen ständige Überprüfung und Verbesserung. Er definiert die Key-Performance-Indikatoren (KPI) zur Messung der Effektivität und Effizienz des Prozesses, initiiert den Prozess und stellt die Mittel bereit (Sponsor). Process Manager Der Prozessmanager ist für die Implementierung und Durchführung des ihm zugewiesenen Prozesses verantwortlich. Er arbeitet aktiv am Prozess und hat ausführende Funktion wie z. B. der Change Manager. In der Sache (Prozess) berichtet er an den Process Owner.

11  Transition der Service Organisation zu ITSM-orientierten Organisationseinheiten

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11.4 ITSM-Mitarbeiter und Strategie (Engage) Die Mitarbeiter sind das Kapital des Unternehmens und somit des ITSM. Von deren Erfahrung zu profitieren stellt sicher, dass die Chance auf eine erfolgreiche Veränderung überhaupt wahrgenommen werden kann. Bei geplanten Veränderungen reicht es nicht aus, mit dem Management neue Prozesse zu definieren und diese dann zu veröffentlichen. Die Mitarbeiter sind einzubinden und mitzunehmen, um von ihren Erfahrungen zu profitieren. Niemand kennt die Stärken und Schwächen der IT-Organisation so gut wie die Mitarbeiter, die seit Jahren IT-Services erbringen. Hier sind die Ideen der Mitarbeiter aufzunehmen und in die Gestaltung der Prozesse einfließen zu lassen. Nicht zuletzt gilt es auch, Akzeptanz für die neuen oder veränderten Prozesse zu sichern. Die wichtigsten ITSM-Ressourcen sind die Menschen, die Prozesse und die Informationstechnologie. Wenn die Menschen bei der Transition nicht beachtet werden, kann die Veränderung nicht gelingen. Die ITSM-Strategie beantwortet die übergeordnete Frage, welche Geschäftsprozesse mit welchen IT-Services unterstützt werden müssen und wie diese Geschäftsprozesse jetzt und zukünftig mithilfe der IT optimal automatisiert werden sollen. Sie beantwortet die Frage, wie die IT-Organisation strukturiert werden soll und wie Prozesse gestaltet werden müssen, um die Businessstrategie optimal zu unterstützen. Weitere Fragen, die mithilfe der ITSM-Strategie beantwortet werden sollten, sind: • Wer sind die internen und externen Kunden der IT? • Welche Marktsegmente adressieren wir (abgeleitet aus den Vorgaben der Business Strategie)? • Welche aktuellen IT-Standards sind für unsere Services relevant, und wie gestalten wir unsere IT-Architektur? • Auf welchen Grundlagen werden die Aktivitäten in der IT-Organisation priorisiert? • Auf Basis welcher Fakten werden Investitionsentscheidungen getroffen und bewertet? Bei der Überprüfung der ITSM-Strategie werden alle vorhandenen Faktoren, wie die Art der Aufbauorganisation, die Services, Prozesse, Skills, Tools, usw. mit den Anforderungen verglichen, die sich aus den strategischen Unternehmensfaktoren ergeben. Wird als Ergebnis festgestellt, dass Anforderungen nicht erfüllt werden, dann wird ein entsprechendes Projekt initiiert, um die Schwachstellen zu beseitigen. Dieses Vorgehen entspricht dem Durchlauf eines kontinuierlichen Verbesserungszyklus. Vorarbeiten Eine wesentliche Maßnahme, um die Aufbauorganisation mit der erarbeiteten und eta­ blierten Prozesslandschaft zusammenzuführen, ist die Entwicklung eines Organisationskonzepts. Dazu gehören die Punkte:

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• • • • •

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Die Ausgangssituation klären Management und Managementfunktionen klären Finanzplanung, Financial Management, Überarbeitung und Tools implementieren IT-Operation und Technical Management strukturieren Technische Erstellung der Services und Änderungen in den Services gestalten und in Transition Planning und Support überführen

11.5 Organisationskonzept, Aufbauorganisation Neuaufbau (Transform) In diesem Dokument werden die Transitionsschritte für eine neu ausgerichtete Aufbauorganisation beschrieben mit dem Ziel, sicherzustellen, dass die geänderte und optimierte Organisation die erwarteten Erfolge (Skalierbarkeit, Transparenz, Kundenzufriedenheit …) langfristig garantiert. Bei den Überlegungen zu einer effektiven Aufbauorganisation spielen die ITIL Vorgaben eine wesentliche Rolle. Bei ITIL gibt es Prozesse und Funktionen. Die Prozesse und das Management dieser Prozesse wurde schon weiter oben erläutert. Eine Funktion ist eine Organisationseinheit, welche mit mehreren Prozessen arbeitet, welche auf die Einhaltung bestimmter Arbeiten spezialisiert und für das Endergebnis verantwortlich ist. Eine typische Funktion ist der Service Desk, welcher z. B. mit den Prozessen Incident Management, Problem Management, Request Fulfillment und Access Management arbeitet. Die Funktion Service Desk ist dabei eine unabhängige Abteilung mit Fähigkeiten und Ressourcen, welche für die messbare Leistungserbringung notwendig ist. Die Funktionen finden sich in der funktionalen Organisation als Element der Aufbauorganisation wieder. Zur Bereitstellung der teils sehr komplexen Services muss die IT in einzelne Organisationseinheiten, die Funktionen (Teams/Abteilungen), aufgeteilt werden, die in eigener Verantwortung funktionsspezifische Tätigkeiten ausüben können. Damit das übergeordnete Gesamtziel – die Lieferung von Nutzen durch Services – gewährleistet werden kann, werden die Prozesse benötigt, die eigentliche Basis einer dann effektiveren Aufbauorganisation. Demzufolge beruht das Vorgehen zur optimierten neuen Aufbauorganisation da­ rauf, Prozesse, die zusammenhängen, zu Funktionen (Teams/Abteilungen) zusammenzufassen und diese in die Aufbauorganisation zu integrieren. Je nach Situation des IT-Providers können hier unterschiedliche Ergebnisse zustande kommen. Dies liegt zum einen an der Größe der Organisation, dem vorhandenen Personal und auch an den unterschiedlichen Komplexitäten der zu liefernden Services. Im weiteren Verlauf werden diese Funktionen einheitlich Abteilung genannt. Vervollständigung der Prozesslandschaft Die Analyse der Prozesse muss sicherstellen, dass der IT-Provider alle für den Betrieb des  ITSM notwendigen Prozesse auch definiert und implementiert hat. Dazu ist eine

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Abb. 11.1  ITIL-Prozesslandkarte. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

­ rozesslandkarte zu erarbeiten (siehe Abb. 11.1). Ist dies nicht der Fall, dann müssen vor P der Kategorisierung zu Abteilungen die fehlenden Prozesse implementiert werden. Dies kann zu Verzögerungen und Überschneidungen führen. Prozesse nach Funktionen klassifizieren Je nach Organisation lassen sich mehr oder weniger differenzierte Funktionen aus den implementierten Prozessen bilden. Beispielhaft, ohne die Spezifika einer speziellen Organisation, ist eine Klassifizierung in Tab. 11.2 dargestellt. Es wurden in dieser Tabelle nur die wichtigsten Prozesse einer Abteilung zugeordnet. Je nach Schwerpunkt der Services und des Kundenklientels sind auch andere Zuordnungen oder Zusammenführungen möglich. Nach der Analyse und Klassifizierung der implementierten Prozesse und der Zuordnung zu schlagkräftigen Funktionen/Abteilungen ergeben sich für die Neuorganisation folgende Schwerpunkte: • • • • •

Auflösen verschiedener Abteilungen Neue Abteilungen aufbauen Diverse Abteilungen ergänzen Vorhandenes Personal den neuen Abteilungen zuteilen Stellenbeschreibungen für die Stellen in den Abteilungen

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Tab. 11.2  Prozesse zu Funktionen/Abteilungen kategorisieren. (Quelle: Eigene Darstellung 2019) Lebenszyklus

ITIL Prozesse und ITIL Funktionen

Bsp. Team in der Aubauorganisation (Team/Abteilung)

Strategy Management for IT-Services

Geschäftsleitung, CIO, ITSM Management

Financial Management

Wird von Finanzabteilung / Controller abgedeckt

Business Realationship Management

Geschäftsleitung, ITSM Manager

Demand Management

Gruppe Prozessmanagement

Service Strategie

Service Portfolio Management

Gruppe Prozessmanagement

Design Coordination

Gruppe Prozessmanagement

Service Catalogue Management

Gruppe Prozessmanagement

Capacity Management

Gruppe Prozessmanagement

Availability Management

Gruppe Prozessmanagement

Continuity Management

Gruppe Prozessmanagement

Information Security Management

Wird von IT – Security Management (ISMS) abgedeckt

Supplier Management

Wird von der Abteilung Einkauf abgedeckt

Service Level Management

Service Delivery Management (SDM)

Service Design

Service Asset und Con iguration Management

Gruppe Prozessmanagement

Knowledge Management Transition Planning and Support Service Transition

Transition Planning and Support

Release and Deployment Management Service Validation and Testing

Release and Deployment

Change Evaluation Change-Management

Gruppe Prozessmanagement

Service Desk Incident Management Service Desk Continuel Service Improvement

Request Ful­illment Access Management IT-Operation Management Service Operation

 

)DFLOLW\0DQDJHPHQW 2SHUDWLRQV&RQWURO

Event Management

IT- Operation Monitoring/Leitstand

Technical Management Technical Management Problem Management Application Management

[Prozesse zu Funktion kategorisieren]

Gruppe Prozessmanagement

11  Transition der Service Organisation zu ITSM-orientierten Organisationseinheiten

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• Aufgabenbeschreibung der einzelnen Teams/Abteilungen • Servicebeschreibungen und Servicedokumentationen erstellen und erproben

11.6 Auflösen von Abteilungen Um tatsächlich einen Neuanfang zu bekommen, müssen die alten Abteilungen und Abteilungsaufgaben „zerschlagen“ werden. Ansonsten werden alte Muster sehr schnell wieder im Vordergrund der Arbeit stehen. Mit am wichtigsten sind dabei die Abteilungen, die sehr nahe am Kunden agieren, besonders der Service Desk und die IT-Operation. Verändertes Personal, neue Aufgabenbeschreibungen und klare Ziele (KPIs) erhöhen die Chance, dass eine wirkliche Transition stattfindet. Alte Zöpfe müssen abgeschnitten werden (weg vom Boutique-Betrieb hin zum standardisierten Fabrik-Betrieb. Nachdem die Prozesse den neuen Abteilungen zugeordnet sind und die Aufgabenbeschreibung zu den Abteilungen erstellt wurden sind alle alten Gruppierungen und Abteilungen auf den Prüfstand zu stellen. Eine reine Umbenennung wird in den meisten Fällen nicht genügen. Manche Abteilungen sind aufzulösen und die Mitarbeiter anderen Gruppierungen zuzuordnen. Abteilungen „Boutique-Betrieb“ Die Abteilungen „IT-Boutique-Betrieb“ sind die Einheiten, die bisher auf Zuruf anfallende Aufgaben erfüllt haben. Häufig sind es die IT-Operation-Einheiten, welche nur bedingt nach vorgegebenen Regeln die Services betreuen. Der individuelle Kundenwunsch, vorbei an jeder Servicebeschreibung und jedem Service Level Agreement (SLA), ist hier die treibende Kraft. Jede Aufgabe wird anders angegangen, ein reibungsloser standardisierter Betrieb ist nicht möglich. Ein solcher Betrieb lässt sich in Menge und Qualität nicht skalieren. Solche Abteilungen sind aufzulösen. Abteilungen 2nd Level Support, 3rd Level Support Der 2nd Level und 3rd Level Support wird meistens nicht von einer Abteilung, sondern von bestimmten Personen durchgeführt. Dies führt zu Intransparenz und Überlastung der technisch versierten Mitarbeiter. Diese Strukturen sind aufzulösen. Sonstige Teams Sofern diese nicht in die neue Struktur passen, sind diese aufzulösen.

11.7 Abteilungen aufbauen Nachfolgend sind nur die wichtigsten neu aufzubauenden Abteilungen beschrieben. Je nach individueller Ausrichtung kann auch die Aufgabenstellung der einzelnen Abteilungen unterschiedlich ausfallen. Bevor die Abteilungen in Betrieb gehen, sind die

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­ rozesszuordnungen und die Aufgabenstellungen sowie die Schnittstellen zu anderen AbP teilungen zu dokumentieren. Außerdem sind alle notwendigen Arbeitspapiere wie Checklisten, Betriebshandbuch (Operation Manual), Leistungsscheine, Servicebeschreibungen, technische Servicebeschreibungen, Admin Procedures etc. zu erstellen und zu erproben. IT-Operation-Management Aufgabe des IT-Operation-Managements ist das Überwachen und Steuern der IT-Services und der unterstützenden Infrastruktur. Das IT-Operation-Management gliedert sich in zwei Gruppen, die hauptsächlich eine formale Struktur haben. Diese sind: • IT Operations Control: Ist mit den im Schichtbetrieb tätigen Mitarbeitern besetzt und stellt sicher, dass routinemäßige Operationen sowie auch zentralisierte Monitoringund Steuerungsaktivitäten durchgeführt werden. • Facilities Management: Dahinter verbirgt sich das Steuern der physikalischen IT-­ Umgebung, üblicherweise sind das die Rechenzentren, Computerräume, Verteilerräume, etc. IT Operations Control dient der Ausführung der laufenden täglichen Routinetätigkeiten, die mit dem Betrieb von Infrastrukturkomponenten und Anwendungen verbunden sind. Dies umfasst Auftragsplanung, Backup- und Wiederherstellungsaktivitäten, Printund Outputmanagement sowie regelmäßig anfallende Wartungs- und Administrationsarbeiten. Für die auszuführenden Arbeiten sind eindeutige Arbeitsanweisungen zu erstellen, nur dann ist Standardisierung und höchste Effektivität möglich. Technical Management Das Technical Management stellt detailliertes technisches Fachwissen, Ressourcen und Unterstützung für das Management der IT-Infrastruktur zur Verfügung. Diese Funktion unterstützt die unterschiedlichen technischen Themen wie z.  B.  Mainframe-RZ-­Um­ gebungen, Clients, TK (Telekommunikation), Netzwerk etc. Das Technical Management wird zurate gezogen beim Design, Testen, Release und der Verbesserung von IT-Services. Alle technologisch hochwertigen Mitarbeiterressourcen werden in der Abteilung Technical Management gebündelt. Gegebenenfalls werden diese Ressourcen nach Spezialisierung in mehrere Fachabteilungen aufgeteilt. Die Aufgabe ist die technische Entwicklung von Services, Vorbereitung der neuen Services und Erstellung der Arbeitsdokumente. Mit zum Aufgabengebiet gehört auch der 3rd Level Support, das Problem Management (proaktiv und reaktiv) sowie Test und Validierung neuer und geänderter Services. Die Spezialisten vom Technical Management sind auch beteiligt bei der technischen Releaseentwicklung (Monitoring Releases, Reporting, etc.), beim Testen von Releases und beim Erstellen von technischen Konzepten. Um die Mitarbeiter ohne Ballast in diese

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Abteilung wechseln zu lassen, werden deren alte Aufgaben vor der Übernahme in die Abteilung zuerst in die dafür vorgesehenen Einheiten (meistens IT-Operation) abgegeben. Dies führt zwar zu einem langsamen Staffing der Abteilung, dadurch ist jedoch sichergestellt, dass keine Betriebsaufgabe vernachlässigt wird und dass personenbezogene Aufgaben schneller in Shared Services überführt werden können. Service Transition Planning and Support Die Abteilung Transition Planning and Support stellt die Planung und Koordination der Ressourcen sicher, die zur Umsetzung der Service Design Spezifikationen benötigt werden. Die notwendigen Informationen werden durch das Service Design Package an den Prozess übergeben. Transition Planning and Support (TP&S) ist die zentrale Arbeitsvorbereitung besonders im Hinblick auf Release and Deployment sowie Test. Alleine TP&S ist befugt, Arbeitsaufträge an Release and Deployment oder gegebenenfalls sogar direkt an IT-­Operation (Standardservice) zu geben. TP&S hat die Projektleitung und plant den Bau der Services, überwacht die Zeit und Qualität und ist in diesem Rahmen auskunftsfähig und auskunftspflichtig. Je nach Konstellation werden fehlende Skills zusammen mit dem Technischen Management (Release Management) identifiziert und beschafft. Damit ist TP&S die zentrale „Arbeitsvorbereitung“, koordiniert die Aufgaben beim Erstellen neuer Services, vollzieht die Projektleitung der Transition-Projekte, plant Ressourcen und initialisiert die Transition-Projekte. Zu dieser Gruppe könnte auch der Prozess Changemanagement hinzugefügt werden. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass Interessenkonflikte in Bezug auf Qualität, Priorisierung, etc. auftreten können. Release and Deployment Die Abteilung Release and Deployment Management ist dafür verantwortlich, Service Releases nach Vorgabe zu planen, festzulegen und zu kontrollieren, die Releases zu testen und letztendlich in die Live-Umgebung auszurollen. Das primäre Ziel dabei ist es sicherzustellen, dass die Integrität der Live-Umgebung geschützt wird und dass nur zuvor geprüfte Komponenten ausgerollt werden. Die Aufgabe Release und die Aufgabe Deployment ist personell innerhalb der Abteilung zu trennen. Bei der Realisierung der Releases kann/muss auch Personal aus dem Technical Management hinzugezogen werden. Service Delivery Management (SDM) Die Abteilung Service Delivery Management hält den Kunden Kontakt und klärt ggf. Kundenanfragen nach Aufforderung. Der Scope von SDM liegt insbesondere im SLA-/ OLA(Operational Level Agreement)-Management sowie im Kontakt zum Kunden und im Reporting an den Kunden.

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Zu den Aufgaben gehört auch die Prüfung von IT-Verträge wie Service-Level-­ Vereinbarungen oder Abnahmekriterien für Anwendungssoftware. Diese müssen verstanden und auch auf rechtliche Aspekte hin geprüft werden. Ein Arbeitsschwerpunkt liegt auch im Service Delivery Management und im Eskalationsmanagement. Monitoring/Leitstand ITSM ist auch eine Qualitätsaufgabe. Dazu gehört die kontinuierliche Überwachung der Servicequalität, der Servicelevels sowie das Monitoring/Überwachen von zentralen IT-Systemen. Alle Störungen im Betrieb werden dokumentiert, jede Störung kann einen Incident oder/und einen Request auslösen, die dann an den Service Desk weitergegeben und dort gelöst wird. Alle automatisierten Systeme senden ihre Events an den Leitstand. Dabei geht es nicht nur um reine IT-Events, sondern auch um alle Arten von Alarmsystemen wie Videoüberwachung (Security), Einbruchalarm und Feuerwarnung. Application Management Das Applikation Management ist verantwortlich für die Steuerung von Applikationen über ihren gesamten Lebenszyklus. Diese Funktion unterstützt und betreibt im Einsatz befindliche Applikationen. Hauptsächlich betreut werden sehr große und komplexe Applikationen wie z. B. SAP.

11.8 Abteilungen/Teams erweitern Service Desk weiterentwickeln Der ServiceDesk ist ein Team (Abteilung) von Mitarbeitern welche mit unterschiedlichen Prozessen arbeiten und welche mit unterschiedlichen Arten von Serviceanfragen zu tun haben. Diese Anfragen kommen per Telefon, Internet, die Infrastruktur oder automatisch. Der ServiceDesk ist der primäre Ansprechpartner, Single Point of Contact (SPOC), für Anwender bei Serviceunterbrechungen, für Serviceanforderungen sowie für sonstige Requests. • Single Point of Contact (SPOC) • Kommunikationsplattform für die Anwender • Primärer Ansprechpartner bei Incidents, Security Incidents, Datenschutzverletzungen und Requests • Dokumentieren von Incidents und Requests • Löst Incidents und Requests, die im 1st Level gelöst werden können, leitet die anderen an das 2nd Level weiter

11  Transition der Service Organisation zu ITSM-orientierten Organisationseinheiten

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Der Service Desk kann neben dem Standardprozess Incident Management auch Prozesse wie Request Fulfillment und Access Management mit bearbeiten. Alle Anfragen aus der Benutzerumgebung sind über den Service Desk einzubringen. Dazu gehören alle Arten von Störungen, Security Incidents und auch Datenschutzverletzungen. Durch Wachstum in Menge und Komplexität werden in den Abteilungen der IT-­ Operation immer wieder neue qualifizierte und eingearbeitete Mitarbeiter benötigt. Diese werden vorzugsweise aus dem Service Desk rekrutiert. Dies führte dazu, dass der Service Desk immer dann, wenn viel Arbeit vorhanden ist, „ausblutet“ und neue Mitarbeiter re­ krutieren und ausbilden muss. Dies ist proaktiv als Ressourcengenerierungspool zu unterstützen.

11.9 Aufbauorganisation eines ITSM (Optimize) Je nach Ergebnis der Prozessanalyse und der Kategorisierung zu den Abteilungen kann eine Aufbauorganisation wie in Abb. 11.2 dargestellt, aussehen. Diese Struktur ergibt sich aus den Services, den Mengen, den Kunden und den in der IT-Organisation angesiedelten Projekten. Alle Prozesse, die nicht explizit in die IT gehören, z. B. Financial Management, Supplier Management, Security Management, etc., werden der logisch zuständigen Organisationseinheit zugeordnet (siehe dazu auch die Zuordnungen in Tab. 11.2.

Geschäsleitung

CIO

Leitung ITSM

Service Desk

Technical Management Service Delivery Management

Projektmanagement

Transi on Planning and Support

IT Opera on Management

Monitoring/ Leitstand

Abb. 11.2  Aufbauorganisation. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Release and Deployment

Prozess Manager

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Messen der Ergebnisse Nach der Einführungsphase sind regelmäßige Überprüfungen der Wirksamkeit der Veränderungen vorzusehen. Eine Überprüfung der Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen und damit auch der Zuordnungen von Prozessen zu Abteilungen, Zielen und KPIs ist regelmäßig durchzuführen. Wenn notwendig werden die Maßnahmen nachjustiert. Wenn möglich wird dies im Rahmen eines schon existierenden internen Kontrollsystems (IKS), welches z. B. für das IT Security Management (ISM) oder auch für das Datenschutzmanagement (DSM) aufgebaut wurde, realisiert.

11.10 Schlussbetrachtung In der Zeit 2017/2018 wurde real ein IT-Provider mit der vorgestellten Handlungsweise, dem Enterprise Transformation Cycle für zukünftige Aufgaben fit gemacht. Die Analyse der Prozesse, die Vervollständigung der Prozesslandschaft und die Zuweisung der Prozesse zu den neuen Funktionen war im Team und nach Enterprise Transformation Cycle eine machbare Aufgabe. Um Abteilungen funktionsfähig zu machen und um einen standardisierten IT-­Operation-­ Betrieb sicherzustellen, sind servicespezifische Arbeitsunterlagen notwendig. Diese für über 200 Services anzufertigen ist eine Herkulesaufgabe, ganz zu schweigen vom Aufwand, eine handhabbare Struktur der Servicedokumentation dafür zu erarbeiten. Ein weiteres Problem bestand bei der Auswahl und Zuweisung der Mitarbeiter zu den neuen Abteilungen. Die Mitarbeiter benötigen Zeit und Anleitung, um von alten Gewohnheiten abzulassen. Dazu gehört z. B. auch, Aufgaben auf Zuruf zu übernehmen.

Literatur Deutsche Akkreditierungsstelle (2019) Startseite. Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS). https://www.dakks.de/. Zugegriffen am 26.07.2019 ISO/IEC (2018) ISO/IEC 20000-1:2018-09, Information technology – service management – part 1: service management system requirements. Beuth, Berlin ITIL (2013) ITIL lifecycle suite/collection manuals (German Version), new edition, Ausgabe 2011. The Stationery Office Ltd, United Kingdom Pfannstiel MA, Steinhoff PF-J (Hrsg) (2018) Der Enterprise Transformation Cycle: Theorie, Anwendung, Praxis. Springer Gabler, Wiesbaden Wikipedia (Hrsg) (2019) Seite „IT-Service-Management“. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=IT-Service-Management&oldid=189378074. Zugegriffen am 24.07.2019

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Rolf-Dieter Härter,  Diplom-Informatiker (FH), ist Spezialist für IT Servicemanagement, IT Security und Datenschutz. Sein Fokus liegt auf der Verbindung von IT-­ Servicemanagementprozessen, IT-Sicherheit und Datenschutz. Sein Schwerpunkt ist es, IT-Abteilungen beim Aufsetzen von IT-Security- und Datenschutzprozessen zu beraten und zu begleiten. Der geschäftsführende Gesellschafter der Keyldo GmbH mit Sitz in Neuenbürg, Nordschwarzwald, ist ISO-27001 Professional und ISO-27001-Lead-Auditor. Der Diplom-Informatiker ist zertifizierter ITIL-Experte, ISO/IEC 20000 ­Manager/Consultant und hat eine Prince2-Grundausbildung. Neben seiner Tätigkeit als Consultant führt Härter regelmäßig ITIL-Trainings sowie Seminare für Datenschutzbeauftragte oder Datenschutzmanager durch.

Customer Experience für Strategieentwicklung und Lean Transformation – Die Lösungsbereiche einer erfolgreichen Customer-Experience-­ Strategie

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Mit dem Customer-Experience-Framework zu einer kundenzentrierten Innovationskultur. Die erfolgreiche Einführung von Value Propositions entlang des Customer Experience Cycle Frank Bunge und Wolf Nöding

Inhaltsverzeichnis 12.1  Jedes Unternehmen hat eine Customer Experience  12.2  Die Chancen und Potenziale waren nie größer  12.3  Die heutigen Herausforderungen der Unternehmen  12.4  Die notwendige Transformation  12.5  Der TCI-Lösungsansatz: Integriertes Customer-Experience-Framework  12.6  Die unterstützenden Integrationsprozesse  12.7  Die Umsetzung in einem ganzheitlichen Transformationsprozess  12.8  Schlussbetrachtung: Die Mehrwerte für Unternehmen und Kunden  Literatur 

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F. Bunge (*) TCI Transformation Consulting International GmbH, Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] W. Nöding Wolf Nöding Consulting, Königstein im Taunus, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_12

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F. Bunge und W. Nöding

Zusammenfassung

Die Industriegrenzen verschieben sich und die Wettbewerbsintensität steigt. Viele Kunden stellen bereits nach einer einzigen negativen Serviceerfahrung ihre nächste Kaufentscheidung bei einem Unternehmen infrage. Im gleichen Maße sinkt die Möglichkeit, sich über das Produkt langfristig vom Wettbewerb zu differenzieren. Viele Unternehmen wissen, dass es nicht mehr ausreicht, über Produkte oder Dienstleistungen zu konkurrieren. Für Kunden ist es zunehmend wichtiger, wie ihre Erwartungen und Bedürfnisse erfüllt werden und welche zusätzlichen Services sie bekommen können. Unternehmen müssen per Personalisierung und Servitization ihre Customer Experience (CX) aktiv gestalten, damit sie ihren Kunden an jedem Berührungspunkt der Customer Journey ein positives Erlebnis bieten, das diese Kunden auf ihrer Reise bis zum erfolgreichen Deal und darüber hinaus in der Betreuung an das Unternehmen bindet. Abgeleitet aus dem TCI Enterprise Transformation Cycle wurde von der TCI (Transformation Consulting International) ein ganzheitlicher CX-Frame entwickelt, der Unternehmen anleitet und unterstützt, ihre CX-Strategie zu entwickeln und zu implementieren. Dieses CX-Framework wird im vorliegenden Beitrag ausführlich dargestellt.

12.1 Jedes Unternehmen hat eine Customer Experience Den Meisten ist die Tatsache bereits bewusst: Ob Unternehmer, deren Führungskräfte und deren Mitarbeiter es wollen oder nicht, jedes Unternehmen (egal ob DAX, Mittelstand oder Start-up) generiert mit allen seinen Mitarbeitern über das Serviceverhalten und die Produkte an jedem Touchpoint (Kontakt) eine Customer Experience (CX), d. h. eine positive oder negative Kundenerfahrungen für ihre Kunden im Markt. Dies gilt sowohl für B-to-C- als auch für B-to-B-Geschäftsmodelle. Und es gilt für alle Arten von Kanälen und Devices: • Kanäle: Online-Touchpoints (Website, Mobile Apps, etc.), Hotline, POS, Print, TV, ChatBot, eMail, etc. • Devices: Desktop, Tablet, Smartphone, Wearables (Smartwatch, etc.), TV Browser, etc. Seit mehreren Jahren zeigen Studien, dass Customer Experience eines der TOP-Themen für Unternehmensstrategien sind (vgl. Mc Donald 2019). Im Juli 2018 schrieb Robert Weller im Upload Magazin: „Rückt den Kunden in den Mittelpunkt! – diese Forderung verbreitet sich momentan wie ein Lauffeuer vor allem durch die Marketinglandschaft, aber auch darüber hinaus. ‚Customer Experience‘ (CX) ist neben ‚Customer Centricity‘ das neue Buzzword der Branche und im-

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mer mehr (Marketing-)Verantwortliche stellen dieses Ziel über alles andere. Aber hat wirklich jeder begriffen, was das eigentlich impliziert und welche Konsequenzen damit einhergehen?“ (Weller 2018)

Was heißt das für Unternehmen, die auch zukünftig erfolgreich am Markt agieren wollen? Nur mit einer in der Unternehmenskultur verankerten und Top-down gelebten Kundenzentrierung können sie Kunden halten und gewinnen und damit langfristig am Markt bestehen. Kunden wollen heutzutage ihren Bedarf erfüllt sehen: • zu jeder x-beliebigen Zeit (24/7) und solange sie wollen, • an jedem Ort, • entsprechend ihrer aktuellen Erwartungen zum Zeitpunkt des Bedarfs. Die Unternehmen bestimmen zudem nicht nur ab Verkauf bzw. Verfügbarkeit ihrer Produkte, sondern auch mit dem Service an allen „Touchpoints“ vor und nach der Verfügbarkeit, ob diese Customer Experience dazu führt, dass der Kunde gerne noch einmal beim Unternehmen kauft, oder lieber doch woanders. Somit sind alle Phasen der Customer Journey (vor, während, nach dem Verkauf) in die Kundenerfahrung involviert: • Vorphase: Wie gut sind beispielsweise die (Online-)Beratungen und Allgemeininformationen, die Kunden für ihre Kaufentscheidung benötigen? • Kaufphase: Wie effizient verläuft der Kaufprozess und die gesamte Abwicklung, wie die Lieferung? • Phase nach dem Kauf: Wie gut ist die Erfahrung mit dem Produkt? Wie wird der Kundenservice nach dem Kauf wahrgenommen? Die aufgezählten Phasen der Customer Journey sind nur „allgemeine“ Phasen. Je nach Geschäftsmodell sind diese um einiges differenzierter (vgl. Böcker 2015). Jeder kann ein Lied davon singen und kennt besonders gute oder besonders schlechte Beispiele als Kunde. Wenn Sie kurz überlegen: Was war Ihr persönlich schönstes „Wow“ als positive Erfahrung und was war Ihre persönlich schlechteste Erfahrung mit einem Lieferanten, einer Marke bzw. einem Produkt? Ihnen fallen sicher nicht nur gute Erfahrungen ein. Und Sie werden bei Ihrer Überlegung feststellen, dass gute und schlechte Erfahrungen nicht nur mit sachlichen Argumenten zu beschreiben sind. Die emotionale Erfahrung spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Bewertung, ob Sie sich vom liefernden Unternehmen gut oder schlecht behandelt und bedient fühlen. Denn: „Die Customer Experience umfasst die Gesamtheit aller Erfahrungen, die ein Kunde während der gesamten Dauer einer Kundenbeziehung von einem Unternehmen erhält. Sie umfasst sämtliche individuellen Wahrnehmungen und Interaktionen des Kunden an den verschiedenen Kontaktpunkten (Touchpoints) mit einem Unternehmen. Die Customer Experience stellt

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ein holistisches Konstrukt dar, das mehrere Prozessphasen umschließt und als vorgelagertes Konstrukt zur Kundenbindung betrachtet wird. Zur Erklärung der Customer Experience sind sowohl ökonomische als auch verhaltenswissenschaftliche Erklärungsansätze von Bedeutung.“ (Holland 2018)

12.1.1 Customer Experience vs. User Experience vs. User Interface Customer Experience beschreibt die Erfahrung des Kunden als Unternehmen an allen Berührungspunkten. Für positive Kundenerfahrung an allen Berührungspunkten ist es logischerweise ein Muss, dass auch die Erfahrung mit der Dienstleistung oder dem Produkt selbst mindestens die Erwartungen des Kunden erfüllt: Die User Experience (UX) muss stimmen. Die User Experience konzentriert sich auf die Verbesserung der Zufriedenheit des Benutzers mit einem Produkt oder einer Dienstleistung durch Verbesserung der Erreichbarkeit/Zugänglichkeit, Benutzerfreundlichkeit bzw. Bedienerfreundlichkeit und insgesamt dem positiven Erlebnis mit diesem Produkt oder der Dienstleistung (Staffaroni 2019). User Experience adressiert also sämtliche Erwartungen, Wahrnehmungen und Reaktionen, die vor, während und nach der Nutzung des Produktes oder der Dienstleistung auftreten (vgl. McKay 2013). Diese UX hat als persönliche und unmittelbare Erfahrung einen bedeutenden Anteil an der Customer Experience; gerade im B2B Umfeld, da der Kunde in seiner Gesamtheit in der Regel von einer Vielzahl von Anwendern aus verschiedenen Abteilungen eines Unternehmens repräsentiert wird. Der User oder Anwender macht die persönlichen Erfahrungen mit dem unmittelbaren Anwenden und Benutzen. Seine Erfahrung und sein Urteil haben oftmals den entscheidenden Einfluss auf einen Wiederkauf oder eben auch auf einen Wechsel zu einem anderen Anbieter. Als dritter genauso wichtiger Begriff in dem Zusammenhang muss das User Interface (UI) genannt werden. Das User Interface oder auch die Benutzerschnittstelle bezeichnet die Oberfläche, auf der die Interaktion zwischen Kunde (User) und Produkt bzw. Dienstleistung stattfindet. Ziel ist es, die Benutzerschnittstelle für den User nutzbar und sinnvoll zu gestalten, damit dieser leichter operative Entscheidungen ausführen kann. Das UI verbindet den User mit der Technologie, auf die das Produkt oder die Dienstleistung basiert. McKay bezeichnet UI als Kommunikation, die für den Kunden u. a. intuitiv, leicht verständlich, eindeutig und nachvollziehbar sein muss. „A user interface is essentially a conversation between users and a product to perform tasks that achieve users’ goals“ (McKay 2013. S. 15).

12.1.2 Ganzheitliche Customer Experience mit einem Tool Der Kunde steht im Zentrum, Kundenzentrierung ist der Kern unserer Strategie: Abgeleitet aus dem Transformation Consulting International (TCI) Enterprise Transformation Cycle (ETC) wurde für die erfolgreiche Entwicklung und Gestaltung der Customer Expe-

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rience ein Framework entwickelt, das die einzelnen zu adressierenden Prozesse und Bereiche ganzheitlich und anschaulich beschreibt. Der Prozesskreislauf in diesem Modell beginnt mit dem Messen und Analysieren der für die Kundenerfahrungen relevanten Daten. Im nächsten Schritt werden die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Analyse gezogen und die sinnvollen und erforderlichen Maßnahmen beschrieben (Lernen und Beschreiben). Im dritten Bereich werden diese Maßnahmen in kundenzentrierte Lösungen umgesetzt (Gestalten und Implementieren). Da die Wirkung dieser neuen kundenzentrierten Lösungen wiederum gemessen und analysiert werden muss, wird der Kreis vervollständigt (s. Abb. 12.1). Dieses Framework wird im Folgenden im Detail beschrieben. Fühlen Sie sich bei dieser Beschreibung als der Kunde, der über die Umsetzung unseres CX-Solution-­Frameworks die positive Kundenerfahrung erleben soll.

12.2 Die Chancen und Potenziale waren nie größer Durch Digitalisierung, die Nutzung neuer Organisationsmethoden und Entwicklung neuer Mindsets (für Teams) haben Unternehmen heute hervorragende Chancen, ihre bestehenden Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln. Das Produkt allein, mit seinen reinen „Funktionen“ zählt immer weniger. Was zählt ist das Bedienen der bewussten, ausgesprochenen Kundenerwartungen und darüber hinaus das Erfüllen unbewusster Kundenbedürfnisse. Für die heutige Kundengeneration zählt ­immer weniger Besitz. Es zählt die Verfügbarkeit, Verfügbarkeit, sobald der Kunde den Bedarf hat und solange er den Bedarf hat. Und dann die Verfügbarkeit entsprechend seiner Erwartungen. Erfolgreiche Unternehmen unterscheiden sich vom Wettbewerb in Ihrer Fähigkeit, bewusste Kundenerwartungen und versteckte Kundenbedürfnisse zu identifizieren und über

CX Value Proposition Areas Service Design

Experience Design

„Learn“ „Lernen und Beschreiben“

„Entwicklung von Interaktion DesignLösungen für alle Customer Touchpoints mit dem Ziel kundenfreundlicher Customer Experience. Optimierung von Omnichannel-Services und Produkten.“

Customer Intelligence „Customer Segmentierung, Research. Erweiterung bestehender Services (Cross Channel ) in der Customer Journey. Entwicklung und Testing neuer Geschäftsmodelle.

Customer

Customer Analytics & Insights „Generierung von Customer Insight (quantitativ & qualitativ) aus eigenen und Fremdkanälen. Data Driven Experience und Automation im Trend.“

Abb. 12.1  Customer-Experience-Frame-Überblick. (Quelle: TCI 2019)

„Build“ „Gestalten und Implementieren“

„ Measure“ „ Messen und Analysieren“

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Lösungen mit Mehrwert zu erfüllen. Gerade die von Kunden unerwartete Erfüllung der unbewussten, versteckten Bedürfnisse führt zum „Wow“, zur Kundenbegeisterung, die diesen langfristig an Ihr Unternehmen bindet. Das sind die Potenziale innovativer, kundenzentrierter Geschäftsmodelle. Geschäftsmodelle, die Kunden begeistern, langfristig binden und für Sie stabilen, konjunkturunabhängigen und darüber hinaus profitablen Umsatz generieren. Warum waren die Chancen nie größer? Eigentlich erleben alle Menschen in der Eigenschaft als Kunde jeden Tag, welche Potenziale in einem exzellenten Service stecken: Wie häufig hat jeder Kunde negative Erlebnisse? Leider macht jeder als Kunde häufig schlechte Erfahrungen und kann sich nicht als der oft zitierte König fühlen, weil einfache, offensichtliche, vermeidbare Dinge einfach nicht funktionieren: • Für Kunden schon lange offensichtliche Verspätungen werden nicht kommuniziert. • Der Kunde muss nachfragen, wann die versprochene Ware oder Leistung erwartet werden kann. Unser Lieferant – egal ob es sich um eine Dienstleistung oder ein Produkt handelt – lässt uns mindestens informationstechnisch im Regen stehen. Denken Sie an Ihre letzten Reisen – ob mit Bahn oder mit Flugzeug, denken Sie an Lieferung bestellter Waren – ob online oder im stationären Handel, denken Sie an das letzte Mal, als Sie einen Handwerker benötigten, wie häufig und wann das letzte Mal hat etwas tatsächlich zu 100  % so geklappt, wie Sie es erwarteten? Genau hier liegt das Potenzial für alle Unternehmen. Die Organisation, die mit exzellentem Service die Nase vorne hat, die mit einer unerwarteten Leistung seine Kunden überrascht, dieses Unternehmen wird langfristig seine Kunden halten. Und es wird mit neuen Kunden wachsen und mit werthaltigen, innovativen Servicelösungen effizienter und profitabler werden. In vielen Fällen, wenn Unternehmen es nur teilweise schaffen, ihren Endkunden zuverlässige Services anzubieten, hängt es mit unvollständigen Prozessen im Hintergrund zusammen (teilweise gelöst über Partnerings mit anderen Unternehmen). Aus Kundensicht sollten diese Serviceanliegen natürlich über alle Kanäle hinweg funktionieren. Denn die meisten funktionieren eigentlich nur in Cross-Channel- bzw. Omni-Channel-Szenarien (zumindest übergreifend in Online-, Hotline-, POS-Kanäle). Unternehmen jedoch sind in vielen Fällen noch nach Kanälen aufgeteilt und teilen sich deren Zuständigkeit über mehrere Abteilungen hinweg auf. Was oft zu sogenannten „Servicebrüchen“ führt. Sobald die Unternehmen ihre Kernservices nach sogenannten Gaps (Lücken) untersuchen, stellen sie fest, dass allein das Schließen der Lücken eine großes Businesspotenzial (gestiegene Kundenzufriedenheit, mehr Empfehlungen, weniger Beschwerden und Rückgaben, gesunkene Callcenter-Cases, weniger Kündigungen) mit sich bringt. Und darüber hinaus können hier im nächsten Schritt natürlich neue Serviceinnovationen entstehen, die für das Unternehmen USPs (Unique Selling Position oder auch Unique Selling Porposition, Alleinstellungsmerkmale, die sich deutlich vom Wettbewerb abheben) darstellen. Zwei Beispielfälle:

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Case 1 – „Selfservice und Integrierte Beratung im Banking“

Die Bankenbranche verfolgte seit Jahrzehnten ein und dasselbe Geschäftsmodell (Kreditvergabe), ohne dies für Endkunden spürbar weiterzuentwickeln. So waren Online-Konten bis vor Kurzem auch nicht viel mehr als digitalisierte Kontoauszüge. Die Erkenntnis, dass das Online-Konto zu vielen neuen Services rund um das eigene Finanzmanagement führen könnte, existiert erst seit Kurzem (aus der Not heraus geboren). Nun jedoch ist man durch Einführung von Customer-Centered-Design-Prozessen auf die Idee gekommen, dass viele der bestehenden Finanz-Ekosysteme (Immobilien, Investment, Banking, etc.) große Potenziale für neue Serviceangebote aufweisen.

Case 2 – „Automotive Kundenservice“

Die Erwartung von Autokunden heutzutage ist, dass der Kundenservice ihrer Marke das Auto, welches sie gerade fahren, kennt (Name, Kennzeichen, Kilometerstand, nächste fällige Wartung und TÜV, etc.). Und sie möglichst proaktiv darauf hinweist, was sie ihrem besten Stück denn als nächstes Gutes tun können – beispielsweise rechtzeitig ein Termin für den Reifenwechsel im Winter vereinbaren. Es fördert das gute Gefühl, „gut betreut zu sein“, vergleichbar mit einem Arztbesuch. Automarken, die diese Prozesse im Griff haben, können sich ihrer Stammkunden relativ sicher sein. Leider sehen solche Szenarien oft anders aus! Christoph Keese schreibt in seinem Buch Silicon Germany: Wie wir die digitale Transformation schaffen, wie exzellente Customer Experience nicht aussieht und was Unternehmen tun können, um sich mit CX und UX einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Ein sehr hörenswerter Auszug aus dem Buch vom Autor ist auch auf youtube zu finden (Keese 2016b).

12.3 Die heutigen Herausforderungen der Unternehmen Die großen Chancen bringen jedoch auch Risiken und Herausforderungen mit sich. Mehr als jemals zuvor müssen Unternehmen akzeptieren, dass Kundenzentrierung (Customer Centricity) überlebenswichtig wird bzw. in manchen Branchen sogar bereits ist („Services become the new commodity“, heißt es da). „Käufermärkte verlangen von Unternehmen mehr Differenzierung der Kernleistung. […] Die Digitalisierung erlaubt es und die Differenzierung erfordert es, den tatsächlich beim Kunden erzeugen Nutzen und das Wertversprechen stärker als bisher in den Mittelpunkt der geschäftlichen Aktivitäten zu rücken.“ (Böhmann et al. 2013)

Wohin man auch schaut, überall entstehen neue kundenorientierte Unternehmen, die mit ihrem Geschäftsmodell Erfolgsfaktoren neu definieren und damit die Märkte teilweise disruptiv umgestalten. Was heißt das im Detail:

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• Shared Economy: Kunden bestimmen mit ihren Bedürfnissen, was, wann, wie und immer mehr auch für wie lange bezogen wird. Für heutige Kunden zählt immer weniger der dauerhafte Besitz sondern die Verfügbarkeit des Bedarfs entsprechend der inhaltlichen und zeitlichen Erwartungen. • Multi Channel: Ob online oder stationär, Omni-Channel ist der Stand der Dinge. Auf jedem Kanal muss der Lieferant seinen Kunden startend vom ersten Touchpoint (Berührungspunkt) ein außergewöhnliches Kundenerlebnis liefern. • Effizienz: Für Kunden zählt, dass sie für die Deckung ihrer Bedarfe transparente Angebote finden, ihre Erwartungen einfach adressieren können, dass diese flexibel und schnell erfüllt werden, und dass die gewünschten Produkte und Dienstleistungen dauerhaft verfügbar sind, solange ihr Bedarf besteht. • Zentrale Strategie: Customer Experience und damit Kundenzentrierung darf nicht nur Mission auf der Homepage sein, sondern muss im Unternehmen ganzheitlich gelebt und so zum Zentrum unternehmerischen Denkens und Handelns werden. • Customer Lifecycle: Customer Experience wird nicht nur während des Gebrauchs oder Verbrauchs bestimmt. Customer Experience wird mit jedem Kontakt/an jedem Touchpoint des Unternehmens mit den Mitarbeitern des Kunden  – also über die gesamte Customer Journey – positiv oder negative beeinflusst. User Experience gilt als bedeutender Part der Customer Experience. • Brand Experience: Für gute und positive Kundenerlebnisse zählen nicht nur faktische und messbare Kriterien. Auch die emotionalen Erwartungen an eine Marke müssen an jedem Kundenkontakt erfüllt werden und bestimmen die Kaufentscheidung immer häufiger mehr als faktische Leistungskriterien. Kunden erwarten personalisierte Betreuung und Lösungen über die gesamte Customer Journey. • USP CSI (Customer Satisfaction Index): Kundenzufriedenheit wird somit zunehmende die führende Kennzahl für das Erreichen der in den Finanzkennzahlen dokumentierten Unternehmensziele und Unterscheidung von der Konkurrenz. Wenn Sie alleine schon der Gedanke reizt, in einer kundenorientierten Welt zu leben und zu arbeiten, leben Sie jetzt in der richtigen Zeit. Wir alle sind Kunden und wir alle unabhängig vom Alter gehören der Generation CX an. Globalisierung und Digitalisierung führt zu einer Vervielfachung der Angebote und damit zur Steigerung der Kundenmacht. Und für bisher ­erfolgsverwöhnte Player, die sich vorrangig auf ihre Produktinnovationen konzentrierten, ist es eine große Herausforderung, ihre Strukturen den Anforderungen der Generation CX anzupassen. Aber umgekehrt bedeutet das eben auch: Durch die Nutzung neuer Organisationsmethoden und Entwicklung neuer Mindsets (für Teams) haben Unternehmen heute die besten Chancen, ihre bestehenden Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln, wenn sie auf ihre Kunden hören, deren bewusste Erwartungen und darüber hinaus unbewusste Bedürfnisse identifizieren und beides erfüllen. Dann begeistern und binden sie ihre Kunden mit unerwarteten Erfahrungen und Erlebnissen (vgl. McKinsey 2016).

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12.4 Die notwendige Transformation Diese neuen Herausforderungen verlangen bei vielen Unternehmen eine umfassende Businesstransformation ihres Geschäftsmodells, häufig verbunden mit einem massiven Kulturwandel. Denn die Denke muss jetzt beim Kunden beginnen und nicht beim Produkt. CX und UX müssen ins Zentrum rücken. Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell, ihre Organisation und ihre Prozesse ganzheitlich nach den Kundenerwartungen und den Kundenbedürfnissen ausrichten. Die Zeiten von Inside-out sind schon lange passé. Unternehmen müssen nun strategisch Outside-in denken und operativ entsprechend handeln. Die schlechte Nachricht ist: Sie sollten damit heute beginnen, denn morgen kann es schon zu spät sein. Eine einzige negative Kundenerfahrung bringt die Mehrzahl der Kunden dazu, über ihre nächste Kaufentscheidung nachzudenken oder sogar den Lieferanten zu wechseln (s. Abb. 12.2) – mit steigender Tendenz (vgl. Bioinformatics 2011 S. 1–57; Accenture 2013; Cloudcherry 2016; McLellan 2017). Die gute Nachricht ist: Unternehmen, die diese Transformation bereits begonnen oder sogar auf ein höheres Niveau und Reifegrad gebracht haben – final abgeschlossen wird dieser Prozess nie sein –, begeistern und binden nicht nur die Kunden mit ihrem Service. Diese Unternehmen begeistern auch ihre Shareholder mit überdurchschnittlichem Wachstum und Profitabilität. Leider sind Kundenerwartungen in den heutigen digitalen Zeiten nicht stabil. Digitalisierung und Globalisierung ermöglichen Kunden morgen schon, irgendwo auf der Welt ihre Erwartungen noch besser zu erfüllen. Erwartungen, die sie gestern vielleicht noch gar nicht kannten, weil es die Probleme und/oder Lösungen noch gar nicht gab. Das heißt, die notwendige Transformation bedeutet nicht nur einen einmaligen Prozess- und Kulturwandel. Diese Transformation muss auch die Flexibilität erzeugen, sich schnell auf sich immer schneller ändernde Erwartungen einzustellen. Es muss ein Trans-

Abb. 12.2  Wahrscheinlichkeit vom Lieferantenwechsel nach einer einzigen negativen Customer-Experience-Erfahrung. (Quelle: Bioinformatics 2011)

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formationsprozess etabliert werden, der das Geschäftsmodell ganzheitlich, flexibel und kontinuierlich an neue sowie auch sich permanent ändernde Kundenerwartungen anpasst. Der TCI ETC ist die hervorragende Basis dieser Transformation. Der holistische Ansatz des ETC von der Einleitung bis zur Umsetzung setzt bereits prozessual den Kunden in den Mittelpunkt, da jede Transformation vom Kunden ausgehen und alle Prozesse auf ihn ausgerichtet sein müssen (vgl. Pfannstiel und Steinhoff 2018, S. IX und X). Das Konzept des ETC wurde von uns im ersten Schritt auf Customer Service Excellence adaptiert (s. Abb. 12.3): Aus sieben Phasen wurden acht Phasen. Weiterhin mit dem Kunden und der Analyse seiner Bedarfe und Potenziale startend, werden Serviceprozesse, Funktionen und Organisation in ein optimiertes Servicedesign überführt. Die Vermarktung der Serviceleistungen (Service Sales) und das Monitoren der Serviceleistung und Serviceziele im Hinblick auf die Kundenanforderungen schließen den Kreislauf. Mit dem Kunden im Zentrum stellt der CX-Frame die nächste Evaluierung dar: Mit dem CX-Frame der TCI entwickeln und implementieren Unternehmen die kundenzen­ trierte Customer Experience für nachhaltige Kundenbindung, Wachstum und Profitabilität.

12.5 D  er TCI-Lösungsansatz: Integriertes Customer-ExperienceFramework Der ganzheitliche Customer Service Excellence Ansatz beschreibt den Weg von Kundendaten und deren Analyse über intelligente CX-Lösungen zu einem ganzheitlichen CX- und UX-Design:

Ganzheitliche Customer Service Excellence mit dem TCI Enterprise Transformation Cycle

Customer Service Excellence Bedarfs- und Potentialanalyse

Service Prozesse

Service Strategie

Service Sales

Service Design

Service Funktionen

Mitarbeiter

Märkte

Service Controlling

Service Organisation

Abb. 12.3  Service Excellence Transformation Cycle. (Quelle: TCI 2017)

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• Ein exzellenter Kundenservice beginnt mit den Kundeninformationen (Customer Insights) unterschiedlicher Art – Daten, die der Kunde und der Markt liefert. Diese Daten müssen analysiert werden (Customer Analytics & Customer Insights). • Aus der Analyse werden die Erkenntnisse und Anforderungen gewonnen, um u. a. eine möglichst valide Customer Journey zu modellieren (CJM (Customer Journey Map) Current State), aus welcher zukünftige Serviceleistungen abgeleitet, experimentell getestet und beschrieben werden (CJM Future State; Customer Intelligence). • Diese Serviceleistungen müssen dann kundenzentriert und kanalspezifisch personalisiert ausgestaltet und implementiert werden, sodass die aus der Datenanalyse identifizierten Kundenerwartungen und Kundenbedürfnisse mindestens erfüllt werden. Die Services werden in den meisten Fällen End-to-End über mehrere Kanäle hinweg entwickelt (Experience Design/UX). • Nach der Implementierung der kunden- und anwenderzentrierten Lösungen wird der Erfolg und die Wirksamkeit der Maßnahmen und Services durch die erneute Datenaufnahme und -analyse überwacht. Der Prozess startet erneut. Der Kernprozess wird durch die Bereiche Lean Innovation & Agile, Culture & Team Transformation, Maturity Development und IT-System ergänzt. Diese Unterstützungsbereiche sollen mit geeigneten, State-of-the-art-Tools sicherstellen, dass die ebenfalls betroffenen Umfeldbereiche der Unternehmen wie Strategie und Kultur, Mitarbeiter, Forschung und Entwicklung und IT integriert werden, damit der Erfolg der Kundenzentrierung ganzheitlich im Unternehmen und für den Kunden sichergestellt wird (s. Abb. 12.4).

CX Value Proposition Areas

Service Design

Customer Intelligence

Kern CX Value Proposition Areas

• Customer Segmentation • Empathy Mapping, Customer Value Propositions • Target Audience Definition • Problem Framing • Customer Journey Mapping (6) • Story Mapping (User Stories) • Lean UX, • Hypothesis Testing & Experiments • Cross Channel Cases • Service Case Modeling • Service Blueprint & Prozess Modelling

Customer

Experience Design • • • • • • • • • • •

Service Design User Experience, Interaction Design Produktdesign Informationsarchitektur Content Strategy Design Systems, UX Framework Interaction Guidelines Prototyping, Click-Dummies User Testing ,User Research Usability Consulting

Customer Analytics & Insights • • • • • • • • • • •

Voice of the Customer Feedback (Surveys) Measurements NPS, CSI Kundendaten Management Marktdaten Management Business Stakeholder Surveys Reifegradanalyse Kundenzufriedenheits Audit Prozess & Operation Assessment Kunden Bedarfe und Erwartungen Benchmark

Lean Innovation & Agile Supporting / Integration CX Prozesse

Culture & Team Transformation Maturity Development IT Systeme

Abb. 12.4  Customer-Experience-Frame – Value Proposition Areas. (Quelle: TCI 2019)

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12.5.1 Customer Insights & Analytics Ohne aktuelle und belastbare Daten vom und über den Kunden und gleichfalls vom und über den Markt fehlt die Basis für die CX-Transformation: Wie zufrieden sind die Kunden aktuell – welche Informationen hat man darüber? Wo steht das Unternehmen im Markt und im Vergleich zum Wettbewerb? In welche Richtung muss es sich weiterentwickeln? Wo sind die Ansatzpunkte für das Kundenerlebnis, das diesen begeistert? In dieser Value Proposition Area werden die Kunden- und Marktdaten strukturiert zusammengestellt, die für Transformation und Optimierung benötigt werden. Um einer reinen „Sammelwut an Daten“ vorzubeugen, fokusiert man dieses Vorgehen auf bestehende OKRs und KPIs. Reifegrade für CX, Kundenzufriedenheit und Prozessqualität werden gemessen und analysiert. Kundenbedarfe und -erwartungen werden identifiziert und die Erfüllung mit dem Wettbewerb verglichen. Das gleiche gilt für die Anforderungen aus dem Markt. Die in dieser Area ermittelten Daten werden dann in der Value Proposition Area Customer Intelligence zu intelligenten Informationen transformiert, die dann die Basis für die Entwicklung und das Design der optimierten CX- und UX-Prozesse sind.

12.5.2 Customer Intelligence Im Bereich Customer Intelligence werden die Daten aus Customer Analytics & Insights weiter verfeinert, mit weiteren Analysen verifiziert. Dies bildet den Rahmen für erste Schlussfolgerungen zur Anpassung der Prozesse, des Service- und CX-Designs, des Serviceportfolios und der Serviceorganisation. Customer Value Proposition (CVP), Jobs-to-be-Done (JTBD), Customer Journey Mapping, Customer Story Mapping (User Stories), Service Blueprint, Service Business Model Canvas und CX-Business Model Canvas (SBMC/CXBMC) sind einige der eingesetzten agilen Tools. Ganzheitlichkeit in allen Dimensionen ist auch hier die Maxime. Über das Customer Journey Mapping werden alle Berührungspunkte mit dem Kunden aufgeschlüsselt, die Zufriedenheit des Kunden an jedem Punkt gemessen und in ihrer Bedeutung für die Gesamtzufriedenheit priorisiert. Die Ergebnisse werden über reale Case Studies (User Stories) verifiziert. Auf Basis dieser Landkarte können dann Verbesserungen und neue Service-/Produktentwicklungen angestoßen werden. Über Service Blueprint (vgl. Sonntag 2015) und Service Business Modelle Canvas (vgl. Zolnowski 2015) können Verbesserungsmodelle nach verschiedenen Kriterien analysiert und priorisiert bzw. verworfen werden. Als Ergebnis werden die Kunden entsprechend ihrer Bedarfe und Erwartungen segmentiert.

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12.5.3 Experience Design/User Experience Das wichtigste Ziel von Experience Design ist die optimale (v. a. leichte und intuitive) Nutzung von Services und Produkten durch Endkunden – möglichst unter Berücksichtigung der definierten Brand Experience Guidelines, die die Markenwerte des Unternehmens widerspiegeln. Und natürlich unter Einhaltung von Usability-Standards für Online-­ Services oder Produktergonomie. Oberste Priorität hat dabei, dass der Kunde einfach seinen „Job“ erledigen können soll (Buchung, Produktkauf, Serviceabwicklung, etc.). Je einfacher und reibungslos dies funktioniert, desto höher der Unternehmenserfolg. Die Aufgabe von Experience Design ist die Entwicklung von effizienten, kundenfreundlichen Konzepten (Spezifikationen), die mittels User Testings verprobt und iterativ zu einem zufriedenstellenden Reifegrad optimiert werden können – um diese dann in den Betrieb (Linie, Produktion) übergeben zu können (agile Prozesse). Da Unternehmen meist über mehrere Kanäle (und Touchpoints) mit Ihren Kunden interagieren, sind Service-Neuentwicklungen speziell für die Einbindung in die relevanten und wichtigsten Kanäle zu konzipieren, je nach Priorität des jeweiligen Geschäftsmodells. Und das Zusammenspiel zwischen diesen sollte kanalübergreifend (End-to-End) funktionieren. In den meisten Fällen sind die Online-Kanäle, Hotlines, und Point of Sales (POS) von der Einführung neuer Produkte und Services betroffen, wobei beispielsweise Online­Kanäle sich dann in ihrem Spektrum weiter untergliedern in Kanäle (z. B. eCommerce, CMS, Social, etc.) und Devices (Mobile, Tablet, Dektop, Smartwatch, Online-TV…), für welche neue Integrationskonzepte eventuell zu entwickeln sind. Die Konzeptentwicklung für Experience Design findet allgemein in einem Design-Thinking- Prozess mit folgenden Phasen statt: Discovery, Define, Design, Deliver. Discovery: Während der Discovery-Phase wird hauptsächlich die Kundensituation analysiert, um Kundenempathie und Verständnis zu entwickeln. Ergebnis sind die Betrachtung der Probleme und Bedürfnisse der Kunden im definierten Lösungskontext. Define: Während der Entwicklung von User Stories und deren Priorisierung in einem Backlog werden weitere Informationen gesammelt, die dem Team helfen, eine Entscheidung für die Problemstellung zu treffen, die es zu lösen gilt. Design: Auf Basis passender Designmethoden (Sketching, Visual Design, Prototyping, etc.) werden Interaktionskonzepte entwickelt, die eine Entwicklungsspezifikation für die spätere Entwicklung (z. B. Programmierung) liefern und gleichzeitig als testbaren Prototyp mit Endverbrauchern dienen. Deliver: Die Finalisierung der User Stories und Überführung in die zukünftige Produktplanung (zukünftiges Backlog) ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Phase. Das Konzept wird gegen die Businessziele reflektiert, um eine möglichst scharfe Priorisierung zu erhalten. Das Team arbeitet hier fast ausschließlich in einem agilen Prozess mit entsprechenden Routinen. Natürlich werden die eingesetzten Methoden in solchen Abläufen (Konzeptworkflows) jeweils stark an die Unternehmenskultur, die Möglichkeiten im Projekt sowie die Ent-

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wicklungsziele (Online-Lösung, Produktentwicklung, etc.) angepasst. Die Mindestanforderung jedoch ist ein mit Endkunden validiertes Konzept vor der Implementierung zu entwickeln (vgl. hierzu auch Steimle und Wallach 2018). Ein Beispiel: Gerade Unternehmen mit einem reinen Online-Geschäftsmodell sind auf eine gute Conversion (Online-Durchsatz im Funnel) angewiesen. Sie wissen, was es bedeutet, wenn interessierte Kunden kurz vor dem Kaufprozess  – aus irgendwelchen Gründen – abspringen, und investieren große Energie beispielsweise in die UsabilityOp­timierung ihrer Strecken sowie in Cross- und Upselling-Mechanismen. Große eCommerce-Unternehmen fahren dazu jährlich 300 Experimente (A/B-Testings) in ihrem laufenden Betriebssystem.

12.6 Die unterstützenden Integrationsprozesse Die folgenden vier Value Proposition Areas unterstützen die Entwicklung und Einführung der ganzheitlichen Customer Experience beziehungsweise sind diese bei allen Vorhaben beteiligt und zu berücksichtigen.

12.6.1 Agile & Lean Innovation Transformation erfolgt heutzutage in agilen Prozessen. Lösungen werden demnach in diesen Abläufen entwickelt und müssen nicht „perfekt“ sein, um sie zu pilotieren. Über Erfahrungen aus der Praxis wird Excellence angestrebt. Und nur mit agilen Methoden können die sich immer schneller ändernden Anforderungen und Erwartungen unserer Kunden flexibel in Angebote umgesetzt werden. Scrum, Kanban, SAFe, LESS etc. sind einige der agilen Standards, die immer öfter zusammen mit kundenzentrierten Prozessen (Design Thinking, Lean UX, Co-­Creation, Growth Hacking), also in Customer Co-Creation zur Ideenfindung und Entwicklung innovativer kundenorienterter Produkte und Services kombiniert und eingesetzt werden. Produkte und Services werden als MVP (Minimal Viable Product) eingeführt, also zum erstmöglichen Moment, in dem das Produkt oder der Service „einen ersten Nutzermehrwert“ („minimal viable“) ist und schon mindestens ansatzweise Kundenerwartungen erfüllt (vgl. Kuenen 2018). Diese anfängliche Lösung kann sich und wird sich vom angestrebten Endprodukt technisch und funktional wesentlich unterscheiden, da die Produktverbesserung neben eigenen Ideen im Wesentlichen das Kundenfeedback berücksichtigt: Was sind die Kundenerwartungen und Kundenbedürfnisse, die zusätzlich integriert und erfüllt werden müssen. Über das MVP soll dieses Feedback so schnell wie möglich generiert und agil implementiert werden. Wie man sich die Produktentwicklung über ein MVP vorstellen muss, ist in Abb. 12.5 am Beispiel „Grill“ veranschaulicht.

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Abb. 12.5  Das Minimal-Value-Product-Prinzip. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Eine gute Darstellung des MVP-Prinzips gibt es auch von Henrik Kniberg (vgl. Kniberg 2016). Für derartige agile Entwicklungen benötigt ein Unternehmen schlanke Strukturen und interdisziplinäre Teamworks. Straffe Hierarchien und Silodenken passen nicht. Agile Strukturen und Organisationen, die multifunktional aufgestellt und autorisiert sind, eigenständige Entscheidungen zu treffen, MVPs einzuführen, zu testen und weiterzuentwickeln, müssen etabliert werden. Und entgegen einiger falscher Annahmen, die leider häufig auch in realen Projekten gelebt werden, ist die Erfüllung des MVP nicht das Ende, sondern nur der Anfang der Entwicklung. Der eigentliche Komfort für Kunden entsteht mit den weiteren Ausbaustufen (siehe dazu auch t2 informatik 2019). Diese Organisation benötigt Teams, die nicht nur autorisiert sind. Diese Teams müssen ein Selbstverständnis mitbringen, unternehmerische Entscheidungen in Ihrem Kompetenzbereich zu treffen und permanent zu überprüfen und anzupassen. Und diese Teams müssen in der Lage sein, kundenorientiert und kundenzentriert zu denken und zu handeln.

12.6.2 Team Transformation Zur Kundenbegeisterung werden motivierte, begeisterte Mitarbeiter benötigt. Der Wandel der Generationen und die oben beschriebenen Prozesstransformationen verlangen eine permanente Anpassung der Arbeitsprozesse im Unternehmen, um Mitarbeiter für das Unternehmen begeistern und dauerhaft motivieren zu können. Nur Mitarbeiter, die hinter dem Produkt und den Zielen des Unternehmen stehen (bzw. „commitet“ sind), tragen zu einer erfolgreichen Customer Experience bei. Kurz gesagt, für die Optimierung der Customer Experience muss auch die Employee Experience kontinuierlich optimiert werden. Unter CX-Experten zählt sie mittlerweile zu den wichtigen Ansatzpunkten und Maßnahmenbereichen.

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Und auch hier definiert ein ganzheitliches Employee Journey Mapping den Beginn der Maßnahmen, angefangen beim Onboarding, das wiederum mit dem Start des Bewerbungsprozesses beginnt (ganzheitlich Bewerber- und Employee-Management). Und diese Reise des Mitarbeiters endet nicht mit dem Verlassen des Mitarbeiters aus dem Unternehmen. Die Bewertung, das Weiterempfehlen oder eben auch nicht ist wichtiger Bestandteil dieser Reise. Alle Touchpoints dieser Reise werden im Integrationsprozess Team Transformation adressiert und für die Kunden optimiert. Neben der Employee Experience werden in diesem Value-Proposition-Bereich auch die Themenbereiche adressiert, die durch demografischen Wandel und Globalisierung sowie Digitalisierung und Vernetzung verstärkt Berücksichtigung finden müssen: New Work und – als Teil davon – Cultural Awareness. Die Arbeitswelt erlebt aktuell eine disruptive Transformation. Bestehende Arbeitsaufgaben und -inhalte verschwinden, werden überflüssig, verlangen andere Expertisen. Andere Arbeitsfelder kommen hinzu und verlangen entsprechende Skills und Ausbildung. Der Generationenwandel führt darüber hinaus dazu, dass für verschiedene Aufgaben ein absoluter Engpass besteht. Freie Arbeitsplätze können nicht nachbesetzt werden. Arbeitsplätze und Unternehmen müssen attraktiv sein. Gleichzeitig wird Arbeit globaler – viele Beschäftigungen können von überall ausgeführt werden. Das klassische Büro in seiner altbewährten Form verschwindet. Schon seit mehreren Jahren existiert bereits der Trend und der Wunsch der Mitarbeiter zum Homeoffice. All diese Trends führen dazu, dass die Arbeitswelt sich drastisch verändert: „Die Digitalisierung wirft den Menschen auf sein Menschsein zurück – vor allem im Arbeitsleben. Wenn Maschinen künftig bestimmte Arbeiten besser verrichten können als der Mensch, beginnen wir, über den Sinn der Arbeit nachzudenken. Wenn die Arbeit uns nicht mehr braucht, wofür brauchen wir dann die Arbeit? New Work beschreibt einen epochalen Umbruch, der mit der Sinnfrage beginnt und die Arbeitswelt von Grund auf umformt. Das Zeitalter der Kreativökonomie ist angebrochen – und es gilt Abschied zu nehmen von der rationalen Leistungsgesellschaft. New Work stellt die Potenzialentfaltung eines jeden einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. Denn Arbeit steht im Dienst des Menschen: Wir arbeiten nicht mehr, um zu leben, und wir leben nicht mehr, um zu arbeiten. In Zukunft geht es um die gelungene Symbiose von Leben und Arbeiten.“ (Zukunftsinstitut 2019)

Daneben führt die Globalisierung und Vernetzung zu einer erhöhten interkulturellen Zusammenarbeit von Menschen. Die unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Verhaltensweisen und Erwartungen müssen verstanden und akzeptiert werden. Cultural Awareness wird ebenfalls zum Schlüsselfaktor einer guten Teamfähigkeit und muss bei dem Thema New Work entsprechend berücksichtigt werden. Weil das Verhalten der Mitarbeiter und die konstruktive, konfliktfreie Zusammenarbeit damit einen steigenden Einfluss auf die Customer Experience haben wird, ist Teamtransformation ein notwendiger Teil unseres Frameworks.

12  Customer Experience für Strategieentwicklung und Lean Transformation – Die …

245

12.6.3 IT-Systeme Welche IT-Systeme werden für die ideale Customer Experience benötigt? Welche digitalen Tools sollten eingesetzt werden? Wie müssen diese Systeme verlinkt und integriert sein? Welche Daten werden in welchem System vorgehalten und werden wie analysiert? Im Modul IT-Systeme wird die Ist-Situation analysiert. Danach wird auf Basis der in den Kernbereichen identifizierten und definierten Anforderungen die optimierte IT-Systemlandschaft in Co-Creation konfiguriert. Zwei bekannte IT-Strategien die dabei zukünftig eine stärkere Rolle spielen dürften, sind „flexible Architektur“ und „Integrationslösungen“. Da sich die Kundenwelt in zunehmend schnellerem Maße weiterentwickelt, sind CTOs und CIOs in vielen Konzernen bereits zu dem Entschluss gekommen, dass monolitische Systeme für schnelle Marktanpassungen eher weniger geeignet sind. Für auf diese Weise als notwendig identifizierte Investitionen werden Business Cases erstellt und der Return of Invest gerechnet. Der Austausch alter Systeme und die Migration neuer Systeme wird projektiert und begleitet.

12.6.4 Reifegradmodelle und -analysen Im Value-Proposition-Bereich Customer Insights & Analytics werden neben Kundeninformationen auch Reifegrade analysiert. Hierfür dienen Reifegradmodelle als Referenz. Reifegrade können sowohl für die emotionale, kulturelle Reife des Unternehmens bestimmt werden, notwendige Transformationsbedarfe zu erkennen und anzupassen. Für diesen kulturellen CX-­Reifegrad existieren fünf typische Indikatoren, die den Reifegrad in einem Unternehmen kennzeichnen: a. der Grad des Bewusstseins über Nutzen und Dringlichkeit von Usability, UX und CX b. die budgetären und personellen Ressourcen für Usability, UX und CX c. der Zeitpunkt der Integration von Nutzern im Produktentwicklungsprozess d. der Umfang und die Art von Usability, UX- und CX-Testing e. die Wahrscheinlichkeit, dass Wettbewerber eine bessere Customer/User Experience schaffen Darüber hinaus gibt es den funktionalen CX Reifegrad, der analysiert, auf welchem Stand das Unternehmen im Hinblick auf die Erfüllung der Kundenerwartungen und Kundenbedürfnisse und hier insbesondere auf die Prozesse ist, die die Verfügbarkeit beim Kunden sicherstellen. Dieses in Abb. 12.6 dargestellte Reifegradmodell findet überwiegend in produzierenden Branchen Anwendung und startet mit einer reaktiven Störungsbeseitigung und endet mit individualisierten Lösungen für den Kunden. Dieses zweite Modell versucht Kundenmehrwert entsprechend der Kundenbedürfnisse mit dem Shareholder Value zu verbinden.

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F. Bunge und W. Nöding

CX Reifegrade

Kundenzentrierung

Produktzentrierung

Reparatur

Reaktiv

Reifefgrad

Produktzentrierung

Proaktiv

Lösungen mit Mehrwert

Störungsvermeidung

Präventiv

Prädiktiv

Präscriptiv

Allgemein

Anwendungszentrierung

Customized

Customized für den Kunden des Kunden

Kundenzentrierung

Kunden Benefit Shareholder Value

Abb. 12.6  Customer-Experience-Reifegrade. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Ein drittes Modell wurde bereits in einem der vorherigen Beiträge in diesem Buch beschrieben (Kap. 13). Dieses dritte Modell fokussiert noch mehr auf die Kompetenzlevel und die betriebswirtschaftlichen Kundenbedarfe/-denke. In diesem Modell geht es um den Ausbau des Services als Business mit Strategie und Konzept inklusive Produktmanagement, Prozessen und Controlling.

12.7 D  ie Umsetzung in einem ganzheitlichen Transformationsprozess Grundsätzlich hängen die Ziele eines Transformationszyklus stark vom aktuellen Reifegrad des Unternehmens ab. Sie müssen im angemessenen Zeitrahmen erreicht werden, um sicherzustellen, dass die während der Erfüllung sich ändernden Kundenerwartungen in neuen Zielen Berücksichtigung finden. Wie oben beschrieben sind „Agile & Lean Innovation“-Prozesse sehr effektiv in der Entwicklung und Implementierung einer für Kunden maßgeschneiderten Customer Experience. Insgesamt muss die Umsetzung mit zunehmendem Verlauf in einem ganzheitlichen Transformationsprozess erfolgen – ganzheitlich im Hinblick auf die Kunden, ganzheitlich im Hinblick auf die Kanäle, ganzheitlich im Hinblick auf die Customer Journey, ganzheitlich im Hinblick auf den Veränderungsprozess, ganzheitlich auf die im Unternehmen betroffenen Bereiche und Funktionen, etc. Dieser ganzheitliche Gedanke ist Kernkompetenz, teilweise auch Alleinstellungsmerkmal des ETC (vgl. Pfannstiel und Steinhoff 2018, S. 3–20) und damit auch des TCI-CX-

12  Customer Experience für Strategieentwicklung und Lean Transformation – Die …

247

Frames, da der Enterprise Transformation Cycle die Grundlage unseres Customer-Ser­ vice-Excellence-Frameworks ist. Wie bei allen Veränderungen ist es wichtig, den Status quo zu kennen. Wo steht das Unternehmen jetzt? Tools hierfür sind zum Beispiel: • • • • • • • •

CX-Audit Kundenzufriedenheitsanalyse Service Operation Assessment Customer Journey Mapping User Experience (UX) mit User Interface (UI) Design Thinking CX- und UX-Design etc.

Aufbauend auf diesem Status quo und vor allem aufbauend auf den Kundenerwartungen und -bedarfen werden die Ziele definiert. Danach werden aus dem Gap zwischen Ist und Soll die notwendigen Maßnahmen abgeleitet und inhaltlich sowie zeitlich bewertet. Abhängig vom Aufwand und vom Effekt der Maßnahmen wird ein priorisierter ­Aktionsplan erstellt – die „low hanging fruits“ werden zuerst, schwierige Maßnahmen mit wenig Auswirkung zuletzt angegangen. Die Umsetzung des Maßnahmenplans und die Zielerreichung wird zeitlich und inhaltlich überwacht. Die Erfolgsmessung erfolgt über stimmige KPIs und OKRs. Nach der Implementierung ist es wichtig, die Nachhaltigkeit der Zielerreichung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und gegebenenfalls gegenzusteuern. Die Implementierung der Maßnahmen ist ein zeitaufwendiger Prozess. Daher ist davon auszugehen, dass während der Implementierung neue Kundenerwartungen entstehen, die in den Prozessen abgebildet werden müssen. Nur so kann ein Customer Lifecycle mit durchgehend positiver Experience erreicht bzw. erhalten bleiben. Das heißt, der beschriebene Prozess beginnt erneut (s. Abb. 12.7).

12.8 S  chlussbetrachtung: Die Mehrwerte für Unternehmen und Kunden Was wird mit der Transformation erreicht? Wo steht das Unternehmen nach der Transformation im Hinblick auf die oben beschriebenen Herausforderungen? Grundsätzlich lassen sich übergeordnet immer sehr ähnliche Erwartungen von Kunde und Unternehmen erkennen: Kunden möchten ihr eigenes Anliegen möglichst rasch erledigen und dazu die Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens zeitlich und funktional mindestens entsprechend ihrer Erwartungen nutzen können. Unternehmen möchten neue Kunden gewinnen oder ihre bestehenden Kunden halten und über sie einen optimalen Customer Lifetime Value erzeugen.

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F. Bunge und W. Nöding

TCI Expertise für Nachhaltigkeit und kontinuierliche Verbesserung

Change Management: Enabling & Kommunikation Customer Service Ex Bedarfs- und e Service Controlling

Potentialanal yse

Service Strategie

Service Portfolio + Sales

Customer Service Bedarfs- und Excellence Potentialanal Service Controlling

Wertschöpfu ngsProzessmode ll

yse

Service Strategie

Service Portfolio + Sales

Service Business Development

Rollen und Verantwortlic h-keiten

Serviceabwicklung (basierend auf Planung und Definion)

Prozess- und KPI Monitoring

Organisation s-struktur

“Plan”

Abweichungsanalyse  Ursachen + Gegenmaßnahmen

Wertschöpfu ngsProzessmode ll

Service Business Development

Rollen und Verantwortlic h-keiten

Organisation s-struktur

Steigerung der Customer Service Excellence

Projekte und Iniaven “Do” Veränderungszyklus 1

“Check”

“Improve”

“Plan”



Veränderungszyklus 2

Abb. 12.7  Pfannstiel MA, Steinhoff PJ-F (2018) Kontinuierlicher Verbesserungsprozess für Customer Experience über den Service Excellence Transformation Cycle. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Pfannstiel und Steinhoff 2018)

Die hierfür zu erbringenden Services des liefernden Unternehmens haben eine inhaltliche und eine emotionale Komponente. Die Nutzbarkeit muss also nicht nur faktisch sichergestellt werden. Der Kunde muss sich auch emotional vom Lieferanten gut betreut fühlen. Ein Beispiel, das jeder selbst erlebt hat: In einem Restaurant muss nicht nur das Essen gut schmecken. Ein Gast erwartet einen persönlichen, aufmerksamen und netten Service in einem angenehmen Klima. Auch Attitude und Atmosphäre müssen passen. Beide Komponenten – die sachlich objektive und die emotionale – bestimmen das Kundenerlebnis und damit die Kundenzufriedenheit – sie bestimmen die Customer Experience. Letztlich hat das Unternehmen selbst das Ziel, mehr Umsatz und mehr Profitabilität zu erzielen. Dafür werden Kunden benötigt, Kunden, die mindestens zufrieden, besser aber begeistert sind von uns, von unseren Produkten und Services (s. Abb. 12.8). Services sind die individuellen Produkte, die aus den Lösungen abgeleitet und entwickelt werden und die über die eigentliche Kernleistung hinaus mit ganzheitlichem Ansatz zusätzlichen Mehrwert für die Kunden liefern. Diese Lösungen müssen personalisiert werden und sie sollten die Kundenerwartungen und Kundenbedarfe mit über die eigentliche Kernleistung hinausgehenden Services ganzheitlich erfüllen – alles aus einer Hand, kompetent, zuverlässig und freundlich: Personalization und Servitization: (s. Abb. 12.9) Mit der CX-Transformation und dem CX-Frame basierend auf dem TCI Enterprise Transformation Cycle wird genau das erreicht: Über einen ganzheitlichen Serviceansatz, der den gesamten Service und Customer Lifecycle und die gesamte Customer Journey umfasst, werden Unternehmen in die Lage versetzt, außergewöhnliche Erlebnisse und Erfahrungen zu bieten, die Kunden langfristig bindet und Wachstum und Profitabilität für das Unternehmen selbst sicherstellt und optimiert.

12  Customer Experience für Strategieentwicklung und Lean Transformation – Die …

249

Das Dreieck von Verfügbarkeit, Kundenzufriedenheit + profitablem Wachstum

Schnell, präventiv und prädiktiv mehr Verfügbarkeit

Verfügbarkeit + Auftreten/ Attitüde mehr Kundenzufriedenheit

Kundenzufriedenheit + Service Lösungen mehr Umsatz und Produktivität

Abb. 12.8  Customer-Experience-Dreieck  – Verfügbarkeit, Kundenzufriedenheit und profitables Wachsen. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Von Produkten zum maßgeschneideten Lösungen

Wettbewerbsunterscheidung durch personalisierte Lösungen Produkt

Lösung

Services

Personalization Servitization

Mehr Kundennutzen Mehr Kundenzufriedenheit Mehr Umsatz + Profitabilität

Vom Produkt zur Lösung durch ganzheitliche Services

Abb. 12.9  Personalization und Servitization über maßgeschneiderte Servicelösungen. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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F. Bunge und W. Nöding

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12  Customer Experience für Strategieentwicklung und Lean Transformation – Die …

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Frank Bunge  greift auf über 20 Jahre Customer-Experience- und Service-Excellence-Erfahrung als Geschäftsführer und Senior Manager mit überwiegend globaler Verantwortung zurück. In den letzten Jahren hat er sich intensiv mit Herausforderungen der Business Transformation im Zusammenhang mit Globalisierung und Digitalisierung beschäftigt. Als Managing Partner bei der TCI leitet Frank Bunge die Arbeitsgruppe Customer Experience und berät, unterstützt und begleitet Unternehmen bei der Neuausrichtung ihrer Geschäftsprozesse zur Optimierung der Kundenbindung. Er setzt hier seine umfangreiche Expertise als Serviceexperte und Führungskraft, als Managementberater und Trainer für Unternehmen bei der Optimierung ihrer Customer Journey gewinnbringend um. Als ausgebildeter Master Blackbelt für Wertstromanalysen und Optimierung mehrstufiger Transaktionsprozesse hat Frank Bunge in seiner langjährigen beruflichen Praxis Veränderungsprozesse überwiegend im Serviceumfeld erfolgreich geplant, geleitet und implementiert. Frank Bunge ist ausgebildeter Diplom-Kaufmann. Wolf Nöding  Unternehmen richten ihre Entwicklungsprozesse intensiv auf Kundenzentrierung aus, was über die Digitalisierung hi­ naus in einem Kontext der sich verändernden Businessmodelle steht  – es entstehen so beispielsweise Omni-Channel-Services und -Lösungen. Wolf Nöding unterstützt die digitalen Transformationsund Innovationsprozesse seit ca. 20 Jahren und ist heute tätig als Berater und Agile-Team-Facilitator. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen im Bereich Customer Experience, Service Design, UX, Agile & Lean Innovation. Er hat Erfahrungen als Freelancer und Teamleiter und war tätig in Großkonzernen, Accelerator und Agenturen. Er hat mehrere Jahre Berufserfahrungen in USA/Europa und ist zertifiziert in: CX, UX, Scrum Product Owner, Lean UX, Design Sprint, Business Analyst, u. v. m., ist ursprünglich diplomierter Industrial Desi­ gner und erhielt eine Auszeichnung in Computer Science für digitale Navigationssysteme. Seit einigen Jahren ist er Koorganisator beim www.XCamp.co (ein Lean Innovation Barcamp Format). 2001 gründete er in Deutschland mit einer kleinen Gruppe die Deutsche IA/ UX-Community. Wolf Nöding hält u. a. Workshops im Bereich Customer Experience.

Mit Servitization zu Customer Success – Business Transformation für Kundenbegeisterung und Wachstum

13

Mit Strategie, Konzept und agilen Tools langfristige Kundenbindung sicherstellen Michael René Weber und Frank Bunge

Inhaltsverzeichnis 13.1  V  on der Produktzentrierung zur Serviceorientierung – Kundenbegeisterung als Herausforderung  13.2  Service takes the Lead – Was bedeutet das?  13.3  Nutzen statt besitzen – eine Lebensphilosophie setzt sich durch  13.4  Kundenzufriedenheit als Messgröße – Kundenprozesse im Fokus  13.5  Servitization – Reifegradmodell für das Service Business  13.6  Services-Geschäftsmodelle erfolgreich aufsetzen  13.7  Service Excellence als Handlungsmaxime für Führung und Mitarbeiter  13.8  Der ISS ServiceCompass: Management- und Controlling-Tool für nachhaltige Business Transformation  13.9  Schlussbetrachtung: Wir sind längst da  Literatur 

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Zusammenfassung

Servitization – der Begriff kennzeichnet wie kein anderer die aktuellen Veränderungen. Seit Jahren wächst der Dienstleistungsanteil am BSP, wandeln sich die Bedürfnisse von Verbrauchern und Unternehmen. Der grundlegende Trend ist der Wunsch zu nutzen und nicht zu besitzen. Globalisierung und Digitalisierung beschleunigen diesen Trend. M. R. Weber (*) ISS International Business School, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] F. Bunge TCI Transformation Consulting International GmbH, Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_13

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M. R. Weber und F. Bunge

Wir Menschen leben in der Shared Economy schon länger – während der DIY-Handwerker die Bormaschine im Baumarkt ausleiht, nutzt der Profi-Handwerker die Hilti und das Bauunternehmen den Kompressor von Kaeser oder Boge auf Basis neuer Geschäftsmodelle – z. B. auf Zeit oder nach Menge. Was sind die Erfolgsfaktoren dieser neuen Zeit? Wie wandeln sich Unternehmen zu Dienstleistern? Was ist in einer so komplexen und schnelllebigen Zeit das Ziel? Nur das Unternehmen, das seine Kunden kennt und alle Aktivitäten auf sie ausrichtet, liefert die vom Kunden erwarteten Ergebnisse – und das Team schafft ergänzend begeisternde Kundenkontakte. Loyale Kunden sind das Ziel. Customer Centricity, Service Excellence und eine gute Servicekultur, die intern und extern die gewünschte Customer Experience (CX) schafft, sind die Hebel für ein herausragendes Miteinander im Team und für nachhaltige Erfolge im Markt. Der folgende Beitrag beschreibt, was verändert werden muss, welche Bedeutung dabei Customization, Personalization und Servitization haben, warum ETC und ISS ServiceCompass die richtigen Tools für diese Transformation sind und wie diese Werkzeuge für die erfolgreiche Business Transformation zum Erreichen von Kundenzentrierung und Customer Service Excellence eingesetzt werden müssen.

13.1 V  on der Produktzentrierung zur Serviceorientierung – Kundenbegeisterung als Herausforderung Was erzählen wir gern – über welche Erlebnisse haben sie kürzlich ihren Freunden berichtet? Eine wirklich tolle Serviceleistung aus dem Restaurant oder auch Speisewagen der Bahn? Von unerwarteter Hilfeleistung oder dem achtsamen Umgang mit Ressourcen? War es ein Produkt was gefallen hat oder ein Service der sie beeindruckt hat? Meist sind es Dienstleistungen, die besser als erwartet waren und sie begeistert haben. Services haben eigene Regeln, nach denen sie exzellent geleistet werden, brauchen spezifische Tools für Business Transformation und Excellence Prozesse sowie eine klare Vorgehensstruktur, wie es der Enterprise Transformation Cycle (ETC) leistet (s. Abb. 13.1). „Das schaffen wir!“ Wenn große Aufgaben vor einem liegen, braucht man Zutrauen zu eigenen Fähigkeiten und in das Team, mit dem das Ziel angegangen wird. Und wir brauchen Tools, Hilfsmittel, die uns aufzeigen, welche Schritte für einen solchen Prozess benötigt werden, damit wir vorausdenkend handeln. Spätestens seit den Börsencrashs in 2000 (Dot.Com Blase) und 2009 (Immobilien Blase) (vgl. Hannich 2019) wissen wir, es handelt sich sowohl in der Politik wie in der Wirtschaft nicht um die eine große Aufgabe und dann tritt wieder Entspannung ein. Zunehmend wird uns bewusst: Es folgt eine große Aufgabe auf die nächste und das keineswegs geordnet nach einem Vorgehen, das wir selbst steuern können. Seitdem die Wirtschaft international in Supply-Chain-Prozessen vernetzt ist, sind wir anfälliger, können nicht mehr ausweichen – und Digitalisierung beschleunigt die Aufgabe, Lösungen für aufkommende Herausforderungen zu erarbeiten.

13  Mit Servitization zu Customer Success – Business Transformation für …

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Willkommen in der VUCA-World. Nichts ist mehr geradlinig, auf Wachstum folgt die Notwendigkeit, Mitarbeiter abzubauen, politische Verwerfungen drohen Märkte auszubremsen, Innovationen bringen Chancen, wenn man schnell ist – sonst haben andere die Nase vorn. Es ist eine volatile, unsichere und außerordentlich komplexe Welt geworden und die Ereignisse sind mehrdeutig ambigues, was verschiedene Handlungsoptionen möglich macht für Wachstum und Ertrag – oder doch lieber einen Buyout oder Sale (vgl. Kraaijenbrink 2019)? „Das schaffen wir!“ bedeutet, wir wollen ein nächstes Level erreichen. Es geht um Transformation bestehender Organisationen, die fit macht für neue Aufgaben. Unabhängig davon, ob dabei Maßnahmen der Organisationsentwicklung oder des Changemanagement eingesetzt werden (Pfannstiel und Steinhoff 2018, S. 3), es folgt seit geraumer Zeit nicht ein Transformationsprojekt auf das nächste, sondern es werden, ohne Pause, neue Transformationen eingeleitet, bevor vorangegangene abgeschlossen sind (Verlagerung von Prozessen ins Ausland, Aufnehmen neuer Leistungen für Kunden, u. a. m.). Immer sind es „Projekte“, sie haben Anfang und Ende, in der Gewissheit, es wird einen neuen Anfang geben, schneller als erwartet. Seitdem die Digitalisierung größere Schritte nimmt, lernen wir auch in parallelen Welten zu arbeiten. Gemeint ist nicht die Wirklichkeit als Avatar neben unserer realen Welt. Gemeint ist die Erfordernis, von Vornerein zwei und mehr parallele Innovationszyklen zu starten, in der analogen, uns noch finanzierenden, und der digitalen, die Investments verschlingenden Welt. Gut beraten ist derjenige, der über ein Transformationstool verfügt, das eine Guideline für das Handeln und Miteinander im Veränderungsprozess ist. Der ETC ist ein solches erprobtes und erfolgreich genutztes Tool für die Transformation von Organisationen, für das Unternehmen als Ganzes oder einzelne Aufgabenbereiche, von Einkauf über Produktion oder Leistungserstellung bis Verkauf, inklusive der notwendigen IT als Backbone (s. Abb. 13.1).

BUSINESS TRANSFORMATION Strategy Processes

Governance Values & Principles

Systems & Tools

Organizaon People

ENVISION

ENGAGE

TRANSFORM

OPTIMIZE

Abb. 13.1  Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45)

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M. R. Weber und F. Bunge

Der ETC zeigt dabei den Rahmen auf, die sechs Dimensionen für eine erfolgreiche Transformation, und stellt seine siebte Dimension in den Mittelpunkt, quasi als Nukleus. Diese „Values und Principles“ sind zentraler Bezugspunkt für das Miteinander im Unternehmen und die Zusammenarbeit mit Kunden und externen Partnern. Auch für die drei großen Herausforderungen, die wir gegenwärtig parallel bearbeiten, die Globalisierung, die Digitalisierung und den Servitization-­Prozess braucht es Tools, die helfen, Struktur in Entwicklungsprojekte und -prozesse zu bringen. Globalisierung fokussiert dabei die Skalierung von Erfolgen aus Kernmärkten. Digitalisierung fokussiert Beschleunigung in der Informationsgewinnung und -verarbeitung und damit eine bessere Produktivität, der Output wird gesteigert und das Ergebnis „schneller, preiswerter und bequemer“ für den Kunden. Globalisierung und Digitalisierung basieren also auf „Values und Principles“. Servitization fängt hingegen im Nukleus an, verändert Werte und Prinzipien. Mit Servitization wird eine andere Denkhaltung im Unternehmen forciert. Statt Produkten stehen Dienstleistungen oder hybride Lösungen im Fokus, die Kunden helfen, ihr Ergebnis zu erzielen. Nicht das Produkt, das verkauft wird, sondern der Nutzen beim Kunden, der Mehrwert für Kunden steht jetzt im Fokus. Damit verändert sich die Bedeutung von Produktion und Dienstleistung im Unternehmen.

13.2 Service takes the Lead – Was bedeutet das? Immer öfter merken wir, auch das nächste innovative Produkt wird nicht mehr reichen, um langfristig am Markt zu bestehen. Unternehmen müssen sich noch viel stärker auf ihre Kunden zentrieren, auf deren Wünsche, Erwartungen und Bedarfe. Kunden erwarten, dass ihnen z. B. Prozesse abgenommen werden. So mutiert ein Unternehmen für Elektroprodukte zu einem Anbieter, der alle elektrischen Aufgaben und deren Vernetzung übernimmt. Ein anderes Unternehmen, ein Logistiker, hat bisher Teile an ein Band geliefert und übernimmt nun die Aufgabe, statt Einzelteile eine komplette Tür ans Band zu liefern. Damit wird der Logistiker Teil des Produktionsprozesses, mit der Dienstleistung „Vorfertigung und Anlieferung der Tür“. Das ist nicht neu, sondern wird seit vielen Jahren praktiziert, meist auf Druck des Kunden, der sich schlankere Prozesse wünscht. Wer bekommt den Auftrag? Derjenige, dem man es zutraut, die Komplettleistung immer wieder termingerecht zu liefern – warum also nicht einen Logistiker in die Automobilfertigung aufnehmen? So mutieren Produkte und Dienstleistungen zu Systemkomponenten des Anbieters. Relevant für den Erfolg ist die Verlässlichkeit einer taktgenauen Anlieferung der jeweils geforderten Variante; eine typische „DNA-Komponente“ serviceorientierter Unternehmen. In ihrem Fokus ist der Kundenwunsch ein Beitrag zum Erfolg des Kunden. Wer übernimmt den Lead im Unternehmen, was sind die weiteren „DNA-Komponenten“ neben Verlässlichkeit? Transparenz, Hinhören, Antizipieren, was Kunden vorhaben, und eine aktive Kommunikation, die informiert, erläutert und Sicherheit gibt sind hier zu nennen. Eine solche „Service-DNA“ wird häufig auch „Servicekultur“ genannt – ein Be-

13  Mit Servitization zu Customer Success – Business Transformation für …

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griff, der nicht eindeutig definiert ist (Pfannstiel und Steinhoff 2018) und dessen Komponenten jedes Unternehmen mit seinen Besonderheiten einer am Kundenbedarf ausgerichteten Denk- und Handlungsweise für sich spezifisch erarbeiten sollte. Zur „Servicekultur“ gehört also die Fähigkeit, sich auf den Kunden einzulassen, ein Angebot zu unterbreiten, das den Kunden begeistert. Wenn das „Was“, also der Inhalt des Angebotes klar ist, wenn wir wissen, was der Kunde wirklich benötigt und wie wir es für ihn leisten können, dann kommt das „Wie“. „Wie“ kommunizieren wir mit dem Kunden? Wortwahl, Häufigkeit, Tonlage … oder doch so wie der Kellner neulich, dessen Verhalten Grund dafür war, dass Sie das Restaurant verlassen haben? Die Erwartung an einen Anbieter oder Lieferanten beinhaltet neben der Komponente „zugesagte Leistung oder Eigenschaft des Produkts“, also dem Ergebnis, auch eine Komponente „Erlebnis“, aus der der Kunde „Passion“ und den Wunsch des Anbieters zum Miteinander seines Lieferanten ableitet. Diese zweite Komponente, das „Wie“, eine begeisternde Ausführung, ist zusammen mit dem „Was“ ausschlaggebend für Kundenbegeisterung. „Customer Experience“ (CX), wie es heute heißt, ist Voraussetzung für loyale Kunden. McKinsey hat in einem CX-Kompendium von 2016 dargestellt, dass es für Organisationen mindestens so wichtig ist, wie der Kunde beliefert wird, wie was es dem Kunden bietet (McKinsey 2016, S. 13–19). Unternehmen, die es für die Kunden einfacher machen, mit ihnen in positiver Art zu kommunizieren, scheinen wettbewerbstechnisch auf dem Vormarsch zu sein. Sie gestalten und fördern eine Servicekultur mit dem Ziel der Kundenbegeisterung. Davon profitieren nicht nur die Kunden, sondern auch die Mitarbeiter. Funktionen und Eigenschaften von Produkten können jederzeit und leicht kopiert und nachgemacht werden. Die aktuelle Innovation des einen Unternehmens wird morgen von der Innovation des Wettbewerbers übertroffen. Die emotionale Beziehung oder die exklusive und personalisierte Erfahrung eines Kunden kann vom Wettbewerb nur schwierig nachgeahmt und ausgeglichen werden. Dieser Wettbewerbsvorteil besteht nachhaltig. Hier stehen wir allerdings noch am Anfang. Die wenigsten Unternehmen verstehen die Erwartungen ihrer Kunden richtig. Die unausgesprochenen Erwartungen werden meistens gar nicht erkannt (vgl. Bunge und von Arnim 2018). Hier liegt eine riesige Chance, Wettbewerbsvorteile zu gewinnen. Darüber hinaus können mit und über gezielte Service- und Kundenorientierung wertsteigernde Lösungen generiert werden, die Kunden langfristig binden und zu wiederkehrenden profitablen Umsätzen führen.

13.3 N  utzen statt besitzen – eine Lebensphilosophie setzt sich durch Erwartungen, die sich laufend ändern, sind die eigentliche Herausforderung. Kunden bewerten für ihre Kaufentscheidung den Nutzen im Hinblick auf die Erfüllung ihrer Bedürfnisse am höchsten. Nutzen und Verfügbarkeit/Leistung als emotionaler Wert zählen. Da­ rauf müssen die Unternehmen mit einem Werteversprechen reagieren, das sich am Ergebnis und dem Wert für den Kunden orientiert.

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M. R. Weber und F. Bunge

„Kunden werden schon sehr bald eine zutiefst personalisierte Interaktion erwarten, die auf Vorhersagetechnologie basiert. Und sie werden gnadenlos zu den Händlern sein, die das dann nicht beherrschen.“ (Montgomery 2017)

Heutzutage erwarten Kunden über innovative Lösungen eine Differenzierung der Kernleistung mit einem persönlichen Nutzen und Mehrwert. Drei Begriffe sind dabei zu nennen, die alle keineswegs neu sind, allerdings durch die Möglichkeiten der Digitalisierung immer wichtiger werden: Customization, Personalization und Servitization. Customization beschreibt das Ziel, durch das Aufgreifen individueller Kundenbedürfnisse einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Customization führt bei Autos z. B. zu immer differenzierteren Modellvarianten. Nahezu kein Auto gleicht heutzutage einem anderen, wenn es vom Band läuft – Modell, Farbe, Ausstattung und ergänzend individuelle Finanzierung oder Garantiezeiten: Das Auto ist „customized“ für den Kunden. Ist es auch personalisiert? Noch nicht. Ein personalisierter MINI zum Beispiel hat in der Fußleiste auf der Fahrerseite einen leuchtenden Schriftzug, sobald die Tür aufgemacht wird: „Hallo Lotta“, und auf der Beifahrerseite: „Schön, dass Du mitfährst“. Das Auto hat der Vater zum Abitur seiner Tochter „personalisieren“ lassen. Personalization individualisiert und personalisiert ein spezifisches Produkt oder die Dienstleistung automatisiert ohne die Notwendigkeit des aktiven Eingreifens durch den Kunden (Nichols 2019). „Die Differenzierung von Produkten und Dienstleistungen ist eine Reaktion auf den gesellschaftlichen Individualisierungsprozess, der sich in zunehmendem Maße auch im individualisierten Käufer- und Konsumentenverhalten widerspiegelt.“ (Lackes und Siepermann 2018)

Während Customization und Personalization sich auf Leistungen beziehen, bezeichnet Servitization den Kurswechsel eines produzierenden Unternehmens, ein Leistungsportfolio zu ergänzen bzw. zu einem Serviceunternehmen zu mutieren. Ist es nur das Ziel, Services zu ergänzen und Produkte nach wie vor im Fokus zu haben, spricht man von „Product-Service-Systemen“, bei denen Produkt und Dienstleistung kombiniert oder ergänzt angeboten werden, um einen höheren Kundennutzen zu schaffen. Dies kann z. B. bedeuten, dass langfristige Verträge (Service Level Agreements, SLAs) vereinbart werden, die zu einer hohen Verfügbarkeit von Anlagen oder einer IT-Infrastruktur führen. Die Dienstleistung liefert den zusätzlichen Mehrwert. Künftig werden wahrscheinlich immer öfter auch Experience Level Agreements ergänzend vereinbart. Damit wird nicht nur der Ser­ vicelevel, sondern der ganzheitliche Erfüllungsgrad der „Experience“, egal ob Customer oder User Experience, definiert und dem Kunden zugesichert. Dies bedingt dann entsprechende Befragungen der Kunden/User. Das eigentliche Ziel eines Servitization-Prozesses ist es, über die Dienstleistung einen dauerhaften Kundennutzen zu liefern. XEROX hat eine solche Business Transformation erfolgreich absolviert, als den Kunden bewusst wurde: „Kopierer brauchen wir nicht – Kopien würden wir bezahlen“. So entstand ein erstes Pay-per-use-Modell, der Klick-Preis in der Bürokommunikation etc. Durch Servitization lassen sich zusätzliche Einnahmen generieren, Kundenbedürfnisse stärker erfüllen und man differenziert sich damit gegenüber

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Wettbewerbern, bis diese nachziehen. Bei Servitization werden aus Produkten Services (Neely 2013). Researcher der Cranfield University in England beschrieben Servitization 2007 als Weg, einen besseren Mehrwert für Kunde und Organisation zu erzielen, und zwar durch den Shift des Verkaufs von Produkten zum Verkauf von Produkt-Service-Systemen (vgl. Lightfood 2016). Grundlegend für den Servitization-Prozess in Unternehmen sind die Veränderungen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Denkmuster. In einer Shared Economy möchte man teilen und nicht mehr besitzen, nutzen und kein Eigentum verantworten. So bleibt der Lieferant Eigentümer und beteiligt sich am Business des Kunden, z. B. in Pay-per-use-Geschäftsmodellen. Klassische Beispiele sind: • B2B | Rolls Royce mit Flugzeugturbinen, die über ein Pay-per-hour-Modell bezahlt werden, oder Käser mit Generatoren für Druckluft. • B2C | Carsharing Companies der Hersteller bieten „Nutzen“ statt „Besitzen“ an und ermöglichen es, pro genutzter Minute oder genutztem Kilometer zu bezahlen. Eine Entwicklungsstufe weiter sind die Unternehmen AirBnB oder Uber (s. unten), die als moderne Absatzmittler agieren, selbst kein Investment in Wohnung oder Auto tätigen, allerdings aus der direkten Beziehung zu den Kunden, der Vermarktung der Nutzung von Wohnungen oder Autos ihre Marge ziehen. Mit Customization bzw. Personalization werden also die Produkte und Dienstleistungen auf den einzelnen Kunden ausgerichtet und zwar entweder durch den Hersteller oder Dienstleister unmittelbar (Personalization) oder die Möglichkeit, dass der Kunde ein weitgehend individuelles Produkt erhält und noch selbst individuelle Ergänzungen und Anpassungen vornimmt (Customization). Mit Servitization wird die eigentliche Kernleistung verändert zu Produkt-­Service-­Systemen oder reinen Dienstleistungen (Klick-Preis/„pay per hour“). Durch Globalisierung und die zunehmende Digitalisierung nimmt der Bedarf exponentiell zu, Produkte wie Leistungen und deren Geschäftsmodelle an die Kundenerwartungen anzupassen. Anschauliches Beispiel für Servitization ist die schon erwähnte Shared Economy mit den kreativen und individuellen Mobilitätsangeboten in Großstädten: Taxen erhalten Konkurrenz durch Uber, Lyft, und weitere Anbieter, die flexibel zu Festpreisen online z. B. direkt über Google Maps buchbar sind und neben dem Fahrpreis die Wartezeit und voraussichtliche Fahrzeit anzeigen. Dann gibt es die Sammeltaxiangebote wie Clevershuttle und Moya, die als Konkurrenz zu öffentlichem Nahverkehr und Taxi Fahrstrecken durch individuelle, online buchbare Fahrgemeinschaften ebenfalls ganzheitlich, günstig und transparent realisieren. Die Taxigemeinschaft reagiert seinerseits mit Online-Angeboten wie Mytaxi, das sein Angebot erst vom Individualtaxi zum Sammeltaxi steigerte und nun über den Servitization-Prozess seinen Mehrwert steigert als „free now“. Free Now ist eine zusätzliche App der Now-Gruppe, die bereits DriveNow und Car2Go als Carsharing Community vereinte:

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„FREE NOW ist … deine neue Freiheit, wenn du in über 100 europäischen Städten unterwegs bist. Lehne dich entspannt zurück – wir kümmern uns um deine Fahrt. Wir finden für dich immer den komfortabelsten, einfachsten und direktesten Weg zu deinem Ziel.“ (Free Now 2019)

Alle diese Angebote entstehen, um Kundenbedürfnisse und Kundenerwartungen zum Thema Mobilität in Städten ganzheitlich zu erfüllen: schnell von A zu B, kostengünstig, transparent bezüglich Preisen und Zeiten, leicht händelbar von Buchung bis Abrechnung; Customer Experience und User Experience erfolgreich realisiert. Wie kommt es, dass Servitization jetzt so schnell an Bedeutung zunimmt? Grundlage hierfür sind das Internet und die Digitalisierung von Prozessen, von Geschäftsmodellen. Wichtig ist es dabei, zu verstehen, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist, sondern ein Beschleuniger von Prozessen und damit eben auch von neuen Geschäftsmodellen, die auf Servitization aufbauen.

13.4 K  undenzufriedenheit als Messgröße – Kundenprozesse im Fokus Über Kundenzufriedenheit erreichen Unternehmen, dass ihre Kunden nicht aktiv nach alternativen Liefermöglichkeiten suchen. Kundenloyalität wird allerdings nur über Kundenbegeisterung erzeugt. Zwei Drittel der Kunden wechseln nach einer einzigen negativen Kundenerfahrung den Lieferanten. Im gleichen Maße sinkt die Möglichkeit, sich über das Produkt langfristig vom Wettbewerb zu differenzieren. Das sind Ergebnisse der Studie von 2011, die in verschiedenen weiteren Studien bestätigt wurden (Bioinformatics 2011).

13.4.1 Kundenzufriedenheit messen Um wirklich kundenzentrierte Produkte und Prozesse zu etablieren, müssen Unternehmen wissen, wie ihre Kunden über sie denken. Kundenzufriedenheit muss gemessen werden. Und sie muss so gemessen werden, dass die Ergebnisse vergleichbar sind – vergleichbar zum Wettbewerb, vergleichbar im Markt, vergleichbar auf Kundenebene. Zum Messen und Überwachen des Erfolgs der Transformation zu einem serviceorientierten Unternehmen benötigen diese Organisationen sinnvolle Indikatoren. Da der Kunde das wertvollste Gut eines kundenzentrierten Unternehmens darstellt, sind zum Beispiel Net Promotor Score (NPS) und Customer Lifetime Value (CLV) häufig angewendete und aussagekräftige Indikatoren. Über den Net Promotor Score wird die Weiterempfehlungsrate als Zufriedenheitsindikator gemessen. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Kunde das Unternehmen und seine Produkte weiterempfiehlt? Über die Kundenzufriedenheitskennzahl NPS wird die Kundenperspektive berücksichtigt. Mit dem CLV wird die Profitabilität gemessen, die das Unternehmen in der Zeit generiert, in der es mit dem Kunden in Kontakt steht.

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13.4.2 Kundenzufriedenheit analysieren Es gilt herauszufinden, ob Kunden Kunden bleiben oder abspringen. Kundenzufriedenheit ist kein Status, der am Ende eines Verkaufsprozesses gemessen werden kann. Kundenzufriedenheit entwickelt sich über die gesamte Customer Journey vom Erstkontakt bis zum Ende des Service Life Cycle. Daher muss Kundenzufriedenheit auch an allen Berührungspunkten mit dem Kunden gemessen werden, den „Point of Truth“, an dem Kundenzufriedenheit positiv oder negativ beeinflusst wird. Das hat nicht nur eine zeitliche Komponente, sondern auch eine inhaltliche: Insbesondere bei B2B-Geschäften sind auf der Customer Journey mehrere Personen/Mitarbeiter des Kunden betroffen. Alle werden ein Kundenerlebnis, eine Customer Experience haben. Und nur die ganzheitliche Messung mit allen Kundenmitarbeitern an allen Customer Touchpoints ermöglicht eine ganzheitliche Aufnahme der Kundenzufriedenheit.

13.4.3 Kundenzufriedenheit verbessern Jetzt gilt es durch entsprechende Maßnahmen sicher zu stellen, dass Kunden begeisterte Kunden bleiben. Für heutige Kunden zählt flexible Nutzbarkeit und Verfügbarkeit zum Zeitpunkt des Bedarfs deutlich mehr als Eigentum und Besitz. Daher: Nur mit individuellem Service, der auch die unausgesprochenen Kundenerwartungen und Kundenbedürfnisse erfüllt, wird Kundenbindung und Wettbewerbsdifferenzierung erreicht. Um Kundenzufriedenheit nachhaltig in Richtung Kundenbegeisterung zu steigern, müssen Unternehmen offensichtliche und unbewusste Kundenbedürfnisse (= inhaltlich notwendig) und Kundenerwartungen (= emotional erwünscht) identifizieren, daraus Lösungen ableiten, diese Lösungen entwickeln und den Kunden bereitstellen.

13.4.4 Der Mehrwert für Kunde und Unternehmen „… Customer centric is a way of doing business with your customer in a way that provides a positive customer experience before and after the sale in order to drive repeat business, customer loyalty and profits. And a customer-centric company is more than a company that offers good service.“ (Mc Donald 2019)

Kunden- und Serviceorientierung bedeutet für eine Vielzahl von Unternehmen eine strategische und kulturelle Neuausrichtung – in vertikaler und horizontaler Richtung wie auch hierarchisch und funktional! Die Ertragskraft im Service ist heutzutage stärker als bei Produkten. Die Differenzierung vom Wettbewerb über das Produkt wird schwieriger und damit unterliegen diese einem immer größeren Preisdruck. Eine Serviceorganisation hat heutzutage die Leistungserweiterung als Ziel, bessere und leichtere Nutzbarkeit, höhere Verfügbarkeit. Es gilt, den

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Servicereifegrad auch auf emotionaler und funktionaler Ebene zu steigern. Das emotionale und funktionale Reifegradmodell wird im Beitrag „Customer Experience für Strategieentwicklung und Lean Transformation – Die Lösungsbereiche einer erfolgreichen Customer-Experience-Strategie“ und ist das (Kap. 12) dieses Buches.

13.4.5 Kundenprozesse im Fokus – Customer Centricity als Ziel Eine erfolgreiche Transformation benötigt optimierte Prozesse. Für Service Excellence müssen diese Prozesse auf den Kunden ausgerichtet sein. Die Prozesse für den Kunden und orientiert an die Kundenerwartungen und Kundenbedürfnisse stehen im Fokus. Dabei ist zu beachten, dass es zwischen Kundenfokus und Kundenzentrierung entscheidende Unterschiede gibt. Organisationen, die sich auf ihre Kunden fokussieren, adressieren deren ausgesprochene und offensichtliche Erwartungen. Die Verkaufsteams sollen die Problemstellen ihrer Kunden identifizieren und dann Lösungen anbieten, die von diesen abgeleitet die ausdrücklichen Kundenwünsche bedienen. Und selbst diese Wünsche werden nur dann adressiert, wenn diese mit den Unternehmenszielen übereinstimme (vgl. Lester 2016). Die auf ihre Kunden zentrierten Unternehmen konzentrieren sich darauf, die echten Bedürfnisse ihrer Kunden in einem ganzheitlichen Ansatz zu erkennen und zu erfüllen (s. Abb. 13.2). Kundenzentrierte Organisationen haben die Fähigkeit, sachliche und auch emotionale Erwartungen zu erfüllen, egal ob Produkt oder Service. Proaktiv beachten sie die bewussten als auch die unbewussten Kundenbedarfe und eben nicht nur die ausgesprochenen Kundenwünsche, abgeleitet von deren Problemen. Damit erzeugen sie nicht nur Kunden-

Abb. 13.2  Gegenüberstellung Produktzentrierung und Kundenzentrierung. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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zufriedenheit, sondern Kundenbegeisterung. Und kundenzentrierte Unternehmen liefern ihren Kunden ausschließlich relevante Informationen, die auf deren Präferenzen basieren, und das in einer auf sie zugeschnittenen und personalisierten Art. Sie müssen darüber hinaus sogar willens und in der Lage sein, bei Bedarf ihr gesamtes Business-Modell zu verändern, falls das erforderlich wird: „Your next idea will eventually replace your old business model“ (Indset 2017, S. 38) Die kundenzentrierten Unternehmen haben den Anspruch, wie ihre Kunden denken zu können und so die wirklichen Bedürfnisse zu identifizieren und in Lösungen für den Kunden umzusetzen.

13.4.6 Was muss getan werden für Customer Centricity Transformation zu Customer Centricity mit durchgängigem Servitization-Ansatz benötigt die Integration aller an dem Prozess Betroffenen  – also einen Teamansatz, in dem das Team die gesamte Belegschaft angefangen vom Top-Management repräsentiert. Als ergänzende Herausforderung impliziert diese Transformation in der Regel einen signifikanten Kulturwandel im Unternehmen. An diesem Umdenkungsprozess scheitern viele Transformationsprojekte. Das betrifft insbesondere Unternehmen, die stolz sind über innovative Produkte. Hier stören die „Technik-Gene“ diesen notwendigen Kulturwandel. Es ist unerlässlich, dass jeder Mitarbeiter im Unternehmen die Bedeutung von Kundenzentrierung kennt und versteht. Nur so kann das notwendige „buy-in“ aller Mitarbeiter in der Organisation sichergestellt werden. Die Transformation wird Zeit in Anspruch nehmen. Road-Blocker werden auftauchen. Das Bewusstsein über Dauer und alle möglichen aufkommenden Hindernisse ist wichtig, um Frustration zu vermeiden, aber auch um Leidenschaft und Geduld bis zum Ende des Veränderungsprozesses zu gewährleisten. Unternehmen, die kundenzentriert denken und handeln wollen, müssen tiefes Wissen über ihre Kunden erlangen: Was sind die wirklichen Kundenbedürfnisse? Und was sind die Wünsche und Erwartungen dieser Kunden? Nur dieses Wissen ermöglicht es, die Produkte und Dienstleistungen entsprechend zu personalisieren. Klar und eindeutig zugewiesene Verantwortlichkeit ist einer der maßgeblichen Faktoren für die erfolgreiche Transformation. Organisationen benötigen eine Führungskraft, die den Hut trägt, Customer Experience und damit auch Customer Centricity und Servitization zu treiben. Aber darüber hinaus muss sich das gesamte Management mit seinen Teams für die Transformation und den verbundenen Kulturwandel verantwortlich fühlen.

13.5 Servitization – Reifegradmodell für das Service Business Der Begriff „Servitization“ ist vorstehend bereits genutzt worden für den Prozess der Veränderung eines Unternehmens von einem „Produktanbieter“ zu einem „Servicedienstleister“. In diesem Prozess werden verschiedene Stufen durchlaufen, die jeweils auch eine

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Veränderung der strategischen Ausrichtung sowie der Denk- und Arbeitsweise eines Unternehmens bedeuten. Häufig wird dieser Prozess am Beispiel von Industrieunternehmen beschrieben, er ist auch gültig für andere Branchen. Was ist Ausgangspunkt und welche Stufen sind kennzeichnend für die „Reife“ einer Organisation, „Service als Business“ zu betreiben? Was ist mit „Reife“ in diesem Zusammenhang gemeint? Die Veränderung des Fokus „vom Produkt zum Service“ erfordert ein intimeres Wissen um die Bedarfe beim Kunden. Zusätzlich zur technischen oder fachlichen Kompetenz eines Anbieters von Produkten oder Dienstleistungen ist auch der Aufbau von Kundenkompetenz erforderlich – je weiter ich im Reifegrad kommen will, je mehr Wissen um den Kunden ist erforderlich (siehe Abb. 13.3). Soll ein Produkt wieder zum Laufen gebracht werden und ist diese Verpflichtung des Verkäufers in der Gewährleistungs- und Garantiezeit, dann sind es zusätzliche Kosten, die anfallen, wenn Fehler aus der Produktion ausgebessert werden. Werden hingegen zusätzliche Dienstleistungen erbracht, die dem Kunden einen Mehrwert bringen, z. B. eine Beratung zur Optimierung seiner Produktion, dann können diese Leistungen abgerechnet werden  – und damit wird ein „Profit“ auch aus der Dienstleistung erzielt (Mehrwertfunktion). Bei Pay-per-Use-Modellen (z. B. Turbine von Rolls Royce) muss auch das Business des Kunden verstanden werden. Nur so kann der gelieferte Service integraler Bestandteil innerhalb der Gesamtleistung bis zum Endkunden werden. Und nur dann partizipiert der Servicedienstleister am Erfolg seines Kunden (Kundenintegration). Das Ziel, im Reifegrad die jeweils nächste Stufe zu erreichen, mehr Kundenkompetenz aufzubauen, hat auch erhebliche Auswirkungen auf das Management einer Serviceorganisation. Andere Kalkulationsansätze sind erforderlich, jetzt werden im Service „Kunden-

Abb. 13.3  Service-Reifegradmodell zum Erreichen von Service Business Competence. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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gespräche“ zu einer produktiven Leistung mit Output, der verwertet wird. Das ist zu organisieren, um auch entsprechenden Nutzen daraus zu ziehen, es wirtschaftlich zu gestalten. Die einzelnen Stufen des ISS-Service-Reifegradmodells sind nachstehend aufgeführt – dabei bezeichnet „Service“ die Organisation. „Services“ sind die Dienstleistungen, die von der Organstation gestaltet und ausgeführt werden. Im Service-Reifegradmodell sind verschiedene Dienstleistungen aufgeführt, die kennzeichnend sind für die jeweiligen Stufen. Der Reifegrad einer Serviceorganisation orientiert sich nach dem ISS-Reifegradmodell allerdings nicht an den Dienstleistungen, sondern an dem Ziel, das mit der Dienstleistung erreicht werden soll. Dieses Ziel ist dann auch Grundlage für das Handeln in der Organisation, in allen Belangen. Die fünf Stufen des ISS-Reifegradmodells für eine Serviceorganisation sind: 1. 2. 3. 4. 5.

Stufe: Verlängerte Werkbank Stufe: Differenzierungsinstrument Stufe: Profit-Center Stufe: Mehrwertfunktion Stufe: Kundenintegration.

Stufe 1: Verlängerte Werkbank Als „Verlängerte Werkbank“ übernimmt z. B. die Fertigung selbst die häufig auch gesetzlich oder vertraglich vereinbarte Aufgabe, bei Ausfall eines Produkts innerhalb festgelegter Zeiträume für die Instandsetzung zu sorgen. Meist erfolgt dies auf Kosten des Herstellers, er bessert quasi nach, was er auf der eigenen Werkbank nicht ordnungsgemäß abgeschlossen hat. Die Herausforderung, die durch diese ungeplanten Nacharbeiten entstehenden Kosten zu minimieren, ist häufig der Ausgangspunkt für den Aufbau einer eigenen Serviceorganisation. Später, wenn z. B. Gewährleistungszeiten abgelaufen sind, lässt der Kunde diese Arbeiten durch seine eigene Instandsetzungsabteilung ausführen oder beauftragt eventuell lokale Dienstleister. Der Anbieter von Produkten wird diese Dienstleistungen nicht dem Kunden berechnen, sie sind im Produktpreis bereits enthalten und mit kalkuliert. Diese „Break & Fix“-Leistung könnte auch nach dem Gewährleistungszeitraum erfolgen – dann gegen Berechnung des Anbieters. Dazu muss er sich Gedanken darüber machen, wie er diese Leistungen abrechnen will, zu einem „Goodwill-Preis“, auf Kostenbasis oder mit Profit … entsprechend des Reifegradmodells wird er dann andere Formen der Leistung und Abrechnung definieren. Stufe 2: Differenzierungsinstrument Ganz häufig werden Services ohne Mehrpreis geliefert, um sich vom Wettbewerber preislich abzusetzen: Die kostenlose zusätzliche Einweisung oder Schulung, die verlängerte Gewährleistung oder die nicht abgerechnete Installation. Um Nachlässe auf den Produktpreis zu vermeiden, wird dieser trotz zusätzlich geliefertem Mehrwert optisch konstant

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gehalten, auch wenn es sich längst um „Produkt-Service-Systeme“ handelt. Der Kunde erhält so den Eindruck, diese Serviceleistungen sind nicht so viel wert und können als Beigabe „verschenkt“ werden. Auch später werden Services häufig ohne Berechnung geleistet, z. B. die Anwenderunterstützung in einem Softwareunternehmen. Um den Vertrieb der Software weiter zu unterstützen, wird ein Helpdesk aufgebaut – für Kunden kostenfrei. Im ersten Jahr sind dort 5 Mitarbeiter am Telefon im Einsatz, im 2. Jahr 10 und im dritten 20. Im dritten Jahr wird der dramatische Kostenanstieg analysiert: Was waren die häufigsten Aufgaben, welche Fragen wurden beantwortet? Es kommt heraus, dass das Helpdesk von Kunden in Anspruch genommen wird, die keine Schulung erhalten haben, obwohl die Nutzung der Software eine solche Schulung voraussetzt. Hier wird also eine Leistung geliefert, die dem Kunden echten Nutzen bringt. Eine solche Leistung sollte bezahlt werden – und der Kunde ist dazu sicher auch bereit, wenn ihm der Nutzen vermittelt wird. Die Kernfragen, die sich der Anbieter stellen muss, sind: Wie viel Geld soll für Leistungen zur Differenzierung verwendet werden, wie hoch ist das Budget hierfür? Welche Produkte und Produktpreise oder andere Leistungen werden dadurch abgesichert? Welchen Mehrwert erhält der Kunde ohne Berechnung? Was wäre der Kunde bereit zu bezahlen, wenn er den Mehrwert kennt? Sobald hier sorgfältige Analysen ergeben, dass der Differenzierungsaufwand zu hoch ist, gilt es zu prüfen, ob und ab wann die Leistung berechnet werden soll. In dem Zusammenhang ist zu klären, auf welcher Kalkulation die Berechnung erfolgen soll. Sollen die Kosten erstattet werden oder soll diese neue Dienstleistung mit Aufschlag, profitabel, angeboten werden? Damit wird die Frage beantwortet, ob die Dienstleistung eigenständig auch die Mittel für die Weiterentwicklung erwirtschaftet – dann wird aus dem „Kost-Center“-Service ein „Profit-Center“. Stufe 3: Profit-Center Ab jetzt wird es einfach – als Profit-Center sind die Kosten und Leistungen so zu planen, dass es sich wirtschaftlich auszahlt, Services anzubieten. Es mag einen Anlauf geben, bis das erreicht ist – allemal ist das Ziel klar! Jetzt wird sichtbar, der Servicebereich ist wie ein eigenes Unternehmen zu sehen und er hat eigene Regeln. Drei Themen machen dies deutlich: 1. Wer beschreibt die Serviceleistungen? Wer entwickelt sie weiter? Hier ist ein Serviceproduktmanagement gefordert. 2. Wer verkauft die Serviceleistungen? Kann und will es der Vertrieb, der den Fokus noch auf Produkte hat? Wann sollen Services verkauft werden? Wer Service als Profit-Center betreibt sollte auch den Vertrieb vor Augen haben. 3. Wer leistet und wie? Häufig ist Unternehmen nicht bewusst, dass hier eine neue, eigenständige Produktion aufgebaut wird. Die Besonderheit ist, das das Produktionsumfeld immer anders ist (zumindest beim Kunden, in der Werkstatt kann man es selbst beeinflussen). Wieviel Sorgfalt bringe ich für die Gestaltung der Serviceleistung vor Ort auf,

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im Vergleich zur Produktion von Produkten? Und dies im Bewusstsein, dass die „Serviceproduktion“ beim Kunden stattfindet, also vor seinen Augen erfolgt! Diese wenigen Beispiele zeigen, wie komplex der Aufbau von Services ist – zumindest, wenn man die 1. Stufe im Reifegrad verlassen und langfristig sowohl Kundenbegeisterung wie Wachstum im Unternehmen mit Services ausbauen möchte. Berücksichtigt werden sollte in der Kalkulation des Services auch, dass nicht alle Leistungen „profitabel“ abgerechnet werden müssen – z. B. interne Leistungen für Messen, Vorführungen, etc. können auf Basis von Verrechnungspreisen angesetzt werden. Stufe 4: Mehrwertfunktion Alle bisherigen Aktivitäten der Serviceorganisation sind an der „Kernleistung“ orientiert. Das eigene Produkt soll im Kundenprozess möglichst reibungslos funktionieren. Entsprechende Service Level Agreements sind vereinbart und werden eingehalten. Damit ist der vereinbarte Beitrag zum Kundenprozess erfolgreich geleistet. Gleichwohl haben die eigenen Mitarbeiter vor Ort beim Kunden Sachverhalte erkannt, die man verbessern könnte. Im Umfeld des eigenen Produktes – aber auch in anderen Aufgabenfeldern. Spricht man über diese Ideen mit den Kunden? Ist das unsere Aufgabe? Im eigenen Unternehmen sind in der Fertigung einige Dinge verändert worden. Neulich wurde dies vorgestellt. Genau das gleiche würde doch dem Kunden auch helfen und seine Prozesse optimieren? Wer die Idee des „Customer Success“ verfolgt, geht jetzt zum Kunden, sucht das Gespräch und findet heraus, ob die eigenen Ideen für den Kunden hilfreich sind. Dann bringt er die Experten zusammen und unterstützt beim Ziel, den Kundenprozess zu verbessern. Dies mag in einem ersten Schritt ohne Berechnung erfolgen, sofern es sich um kleinere Aufgaben handelt. Für Projekte, die unabhängig vom eigenen Produkt Mehrwert generieren, sollte allerdings rechtzeitig ein Angebot vorliegen, in dessen Rahmen man dann arbeitet und den Mehrwert für den Kunden realisiert. Ein solcher Einsatz für den Kunden fördert das Miteinander und führt dazu, dass ein Lieferant auch gern gesehener Gesprächspartner und Berater zu Themen ist, die nicht das eigene Produkt oder die eigene Leistung betreffen. Wer dieses Level erreicht, ist „Berater des Vertrauens“ seines Kunden. Er hat den Kundenerfolg im Blick. Stufe 5: Kundenintegration Das Ziel, Teil des Kundenprozesses zu werden, gewinnt an Bedeutung. Von beiden Seiten. Auf der einen Seite die Shared Economy, die nicht mehr besitzen, sondern teilen möchte. Dieser Trend ist nicht nur im privaten Bereich anzutreffen. Dies gilt auch für Handwerker, die Kompressoren oder Bohrmaschinen nutzen und nicht kaufen wollen, und viele andere Geschäftsfelder. Auch wenn sich nicht alle Produktionsunternehmen in die eigenen Karten blicken lassen wollen, z. B. im Pharma- oder Chemiebereich, so nimmt auch hier die Bereitschaft zu kollaborativer Arbeitsweise zu.

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Auf der anderen Seite stehen die Unternehmen, die erkannt haben: Wer sich nachhaltig im Kundenprozess verankert, hat sich ein „recurring business“ aufgebaut. Nicht alle sind sich dabei darüber im Klaren, dass dies auch bedeutet, das Kundenbusiness so zu verstehen, als wäre es das eigene – schließlich koppeln wir einen Teil unserer Umsätze an den Erfolg des Kunden. Wenn die Flugzeuge der Airlines am Boden bleiben, dann produzieren die Turbinen von Rolls Royce keinen Umsatz mit dem Pay-per-hours-Geschäftsmodell. Gleichwohl, es bleibt das Ziel von beiden Seiten, sich im Kundenprozess zu verankern. Auch die Fluggesellschaften rechnen mit weniger Ausfälle von Turbinen, wenn Rolls Royce nach Flugstunden bezahlt wird. Wer länger zusammen arbeitet, kann auch Arbeitsroutinen entwickeln und so einen Beitrag zur Produktivitätssteigerung leisten. Sieht man diese Zusammenarbeit vor dem Hintergrund der Digitalisierung und nutzt die Chancen und Verbesserungspotenziale der Lieferanten aus dem Einblick in mehrere Produktionsstätten, dann werden schnell die Vorteile sichtbar. Es wird auch deutlich, wer da nicht mitmacht, könnte den Anschluss verlieren – gerade, weil das Business im Informationszeitalter immer schneller wird. Wichtigste Voraussetzung für Kundenintegration ist die Kenntnis des Kundenbusiness. Ein Lieferant oder Dienstleister muss verstehen, was die Kunden seiner Kunden sich wünschen, wie die Geschäftsbeziehungen seiner Kunden ausgebaut werden können. Nur dann ist es möglich, sich nachhaltig in das Kundenbusiness zu integrieren. In der Literatur wird als Beispiel für Servitization auch der Ausbau von Dienstleistungen genannt, z. B. der Ausbau von Basis- zu Standard- und Top-­Leistungen oder von „preventive“ zu „predictive“, unabhängig vom dahinter liegenden Geschäftsmodell. Diese Differenzierung ist gleichfalls wichtig, kann allerdings in jeder der fünf Stufen der vorstehend genannten Service Business Transformation erfolgen und hat dementsprechend hinsichtlich der Business Transformation eine untergeordnete Relevanz. Der Shift von der Funktionsfähigkeit des eigenen Produkts beim Kunden zur Unterstützung des Kundenprozesses und damit dem Ziel, Teil der Leistungserstellung des Outputs des Kunden zu werden, ist in aller Regel ein mehrjähriger Prozess. Zum einen sind Leistungen und entsprechende Prozesse neu zu gestalten, zum anderen ist das Verständnis in der eigenen Organisation zu entwickeln. Die Entwicklung von einer Reparaturabteilung zur Customer-Success-Organisation ist nicht binnen Jahresfrist zu erreichen und erfordert meist mehrere Business Transformations – was nicht bedeutet, dass alle fünf Stufen nacheinander durchlaufen werden müssen.

13.6 Services-Geschäftsmodelle erfolgreich aufsetzen Für die Entwicklung von Geschäftsmodellen stehen verschiedene Tools zur Verfügung und auch das Internet bietet viele Seiten dazu an. Das wohl bekannteste Vorgehen liefern Alexander Osterwalder und Yves Pigneur mit dem Business Model Canvas (BMC). Es zeigt die wichtigsten Elemente eines Businessmodells, die durchdacht sein wollen, bevor

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dann Zahlen ergänzt werden, um aus einem Businessmodell einen Businessplan abzuleiten (vgl. Osterwalder und Pigneur 2010). Die Elemente sind Value Proposition (Wertversprechen), Customer Relationship (Beziehung), Channels (Kanäle), Customer Segments (Kunden), Revenue Streams (Erlösstruktur) und Key Activities (Schlüsselaktivitäten), Key Resources (Schlüsselressourcen), Key Partner (Schlüsselpartner), Cost Structure (Kostenstruktur). Alle Elemente werden systematisch durchgearbeitet und bewertet. Detailliert wird beschrieben, was im jeweiligen Punkt zu beachten ist beziehungsweise welche Auswirkungen es gibt – bis dann schließlich ein klares Bild für das eigene Geschäftsmodell erarbeitet ist. Eine Zusammenfassung und die „key-topics“ passen dann auf eine Seite, was es sehr erleichtert, will man eine Budgetfreigaben oder Menschen überzeugen, den erarbeiteten Weg mitzugehen. Im Rahmen seiner Promotion hat Andreas Zolnowski analysiert, wie ein Businessmodellformat aussehen sollte, das Services für Kunden im Fokus hat – keine Produkte. Im Ergebnis ist eine Businessmodellstruktur für Services erarbeitet worden, die zum einen die Elemente des BMC von Osterwalder und Pigneur nutzt, zum andern allerdings eine komplett andere Systematik und Darstellungsform aufweist. Diese beruht auf der Erkenntnis, dass ein Unternehmen Dienstleistung nur in Zusammenarbeit mit dem Kunden bzw. den Nutzern leisten kann. Wer zum Beispiel etwas reparieren will, braucht den Zugang und sicher auch ergänzende Informationen, häufig mehr. Die Notwendigkeit einer Co-creation bei Dienstleistungen wird aktuell intensiv in Bezug auf Daten diskutiert. Sollen Daten analysiert werden, stellt sich zunächst die Frage: Wem gehören sie und wer stellt sie zur Verfügung – mit welcher Gegenleistung? Co-creation mit dem Kunden ist bei Services zwingend erforderlich, sonst ist keine Leistung möglich. Ebenso ist es bei Partnern. Nicht selten wird ein Händler oder Servicepartner eingebunden. Was sind seine Leistungen, welche Ressourcen und Kosten hat er? Vor diesem Hintergrund hat Andreas Zolnowski die Elemente vom BMC anders sortiert. Sieben Elemente in Reihe, in der Mitte das Wertversprechen, rechts Beziehung, Kanäle, Erlösstruktur und links Schlüsselaktivitäten, Schlüsselressourcen und Kostenstruktur. Diese sieben Elemente werden jetzt aus Sicht der drei Parteien im Business bewertet, dem Kunden, dem eigenen Unternehmen und dem Partner, der an der Leistungserstellung für den Kunden mitwirkt. Jede der drei beteiligten Parteien erwartet einen Nutzen (Wertversprechen) für sich aus dem gemeinsamen Geschäft, bringt Aktivitäten ein, stellt Kanäle zur Verfügung und erzielt Einkünfte. Das Ergebnis ist das Service Business Model Canvas (SBMC) (vgl. Zolnowski 2015; Abb. 13.4). In weit über 50 Anwendungen hat sich das SBMC bereits bewährt. Besonders beeindruckend ist es zu sehen, wie sich die Teilnehmer von Workshops Gedanken über Kunden und Partner machen und dann Schlussfolgerungen ziehen, die zu fairen und transparenten Kooperationen führen. Services müssen allen Parteien „schmecken“. Dann werden sie zu langfristigen Erfolgsmodellen.

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Abb. 13.4  Das Service-Business-Modell Canvas. (Quelle: Zolnowski 2015)

13.7 S  ervice Excellence als Handlungsmaxime für Führung und Mitarbeiter Service Excellence verlangt die Transformation von Produktzentrierung zu Kundenzen­ trierung. Produktzentriert bedeutet, dass Unternehmen sich auf ihre Produkte fokussieren und nicht auf die Kunden, die diese Produkte kaufen. Die Produktentwicklung konzentriert sich darauf, bestehende Technologie oder vorhandene Skills weiterzuentwickeln. Das bedeutet, diese Unternehmen haben eine „von innen nach außen“-Perspektive (Inside-out). Kundenzentrierung verlangt eine gegensätzliche Sichtweise. Vom Kunden kommend sollen deren Bedarfe verstanden und dann in Lösungen umgesetzt werden (Outside-in). Das sogenannte „buggy-whip“-Beispiel zeigt, wie Produktzentrierung in die Irre laufen kann. Die Kutschenhersteller perfektionierten ihr Produkt, haben aber nicht erkannt, dass Autos begannen, diese zu ersetzen. Henry Ford hingegen hatte die unausgesprochenen Bedarfe seiner Kunden identifiziert: „If I had asked them what they had wanted, they would have said a faster horses“ (Highbrow 2019). Derartige Beispiele gab und gibt es durchaus mehrfach (z. B. Digitalfotografie – Kodak, Mobiltelefone – Nokia und Black­berry).

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13.7.1 Organisation folgt Prozess, dem Kundenprozess Viele Organisationen haben ihre Organisationsstruktur nach internen Notwendigkeiten und Anforderungen aufgebaut. Eine Organisation, die ausschließlich aus Sicht der Kunden und seiner Anforderungen aufgebaut ist, ist nach wie vor eine große Ausnahme. Neben einigen anderen Unternehmen sind SalesForce und Amazon bekannt dafür, dass sie für sich propagieren, dass ihre Organisation und ihre Prozesse kundenzentriert seien. Das mag in vielen Belangen auch passen. Die Ausschließlichkeit bleibt aber zu hinterfragen. Bei Amazon kann die bereits vorhandene Marktmacht dazu (ver)führen, dass Kundenanforderungen doch einmal zweitranging werden, wenn Unternehmensinteressen gefährdet sind. Außerdem leidet bei Amazon die Employee Experience, wie die Streikbereitschaft der Mitarbeiter an den Logistikstandorten zeigt. Für Service Excellence mit dem Ziel der Kundenbegeisterung werden begeisterte Mitarbeiter benötigt. Ohne adäquate Employee Experience kann kein Employee Engagement erwartet werden. SalesForce hat diese Marktmacht noch nicht, da starker Wettbewerb für Alternativen sorgt. Die steigende Marktpräsenz des relativ jungen Unternehmens zeigt, dass SalesForce aus Sicht sehr vieler Kunden sehr viel richtig macht. Einige Kunden sind aber weiterhin überzeugt, dass Ihre Erwartungen bei alternativen Systemanbietern besser erfüllt werden. Und auch bei den bestehenden Kunden sind nicht alle ohne Beanstandung. Das spornt an. Beide Unternehmen wollen ihre Organisation und Ihre Prozesse so weit wie möglich nach den Kundenanforderungen ausrichten. Und beide Unternehmen sind mit dieser Strategie erfolgreich. Das beweist, dass eine Organisation auf Basis der Prozesslandschaft und der daraus resultierenden Anforderungen modelliert werden muss. Bei Kundenzentrierung und Serviceorientierung bedeutet das: Organisation folgt Prozess, dem Kundenprozess.

13.7.2 Wie kann Service Excellence erreicht werden Unternehmen müssen gezielt hinterfragen, was ihre Kunden und weiterführend die Kunden ihrer Kunden erwarten. Die Produktentwicklung dieser Unternehmen muss sich neu fokussieren: weg von Funktionalität und hin zu Mehrwertgenerierung für den Kunden. Und ein echter Mehrwert für ihre Kunden wird erzielt, wenn diese ihre Kunden mit dem zusätzlichem Mehrwert begeistern können. Die strategische Neuausrichtung liegt in der Lösungsorientierung im Hinblick auf die bekannten und vor allem auch die unausgesprochenen, versteckten Erwartungen des Kunden. Die Herausforderung liegt darin, die wirkliche Erwartung des Kunden zu identifizieren und seine Lösung darauf abzustimmen. Auch für die Business Transformation zu Customer Service Excellence empfiehlt sich daher wegen seines ganzheitlichen Ansatzes der TCI Enterprise Transformation Cycle (ETC) (Pfannstiel und Steinhoff 2018). Für die Umsetzung werden dann verschiedene agile und auf Customer Service Excellence spezialisierte Tools zusätzlich eingesetzt:

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Tools abgeleitet von u. a. Six Sigma und Toyota bzw. Danaher Business System und dem ISS ServiceCompass (empfohlen in „Service-orientierte Geschäftsmodelle erfolgreich implementieren“, Böhmann et al. 2013). Customer Service Excellence ist kein Status, der einmal erreicht bleibt. Schon während des Anstrebens ändern sich Rahmenbedingungen. Daher müssen auch die Zielvorgaben des Unternehmens kontinuierlich angepasst werden. Das verlangt einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der spätestens nach dem erstem Projektzyklus zum Neustart führt. Der TCI Enterprise Transformation Cycle zusammen mit dem ISS ServiceCompass stellt im Prozess den kontinuierlichen Verbesserungsprozess sicher.

13.8 D  er ISS ServiceCompass: Management- und Controlling-Tool für nachhaltige Business Transformation Für Detailanalysen und die Entwicklung von Konzepten, Lösungswegen, die im Rahmen der sieben Dimensionen des ETC genutzt werden können, sind in den letzten Jahrzehnten viele Tools entwickelt worden, von der Ansoff- bis zur BCG-Matrix (Pfannstiel und Steinhoff 2018, S. 11). Für die Entwicklung und Neugestaltung von Businessmodellen (strategische Dimension des ETC) liegen auch verschiedene Tools vor, das wohl bekannteste ist das Business Model Canvas von Osterwalder und Pigneur (2010). Viele dieser Tools sind an Beispielen von Produkten und deren Vermarktung entwickelt worden und werden auch auf Dienstleistungen angewendet. Da kann es dann zu Missinterpretationen kommen. Meist fehlt eine dedizierte Kunden- und Partnerperspektive in diesen Modellen, man fokussiert sich zu sehr auf sich selbst, als wenn man weiter Produkte produziert … bei Dienstleistungen muss der Kunde allerdings immer mitwirken, leistet also zum Ergebnis auch einen Beitrag. Auch für die Entwicklung von Smart Services liegen bereits zahlreiche Tools vor, z. B. das oben bereits beschriebene SBMC (Abschn. 13.5; Zolnowski 2015). Der im Folgenden beschriebene ISS ServiceCompass ist ein weiteres Kern-Tool für den Ausbau einer Organisation mit Dienstleistungen und deren kontinuierliche Verbesserung. So werden Kundenbedarfe gezielt aufgenommen und Service Excellence im Unternehmen praktiziert. Und  – ja  – immer mehr Unternehmen erkennen das Wachstumspotenzial, das sie mit Dienstleistungen heben können und fangen an, Services spezifisch anzugehen.

13.8.1 ISS ServiceCompass: branchen- und marktunabhängiges Controlling-Instrument mit 360°-Sicht Die meisten Veränderungsprojekte scheitern an Erfolgskontrolle und Nachhaltigkeit.

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• Während der Prozessoptimierung müssen gemeinsam mit dem Kunden geeignete  – möglichst ‚leading‘ KPIs also führende Kennzahlen, die es noch ermöglichen, gegenzusteuern und das gesetzte Gesamtziel zu erreichen. • Bei Zielabweichungen müssen die echten Ursachen recherchiert und geeignete Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, die weiterhin die Zielerreichung sicherstellen. • Nach Projektabschluss müssen dann in regelmäßigen Abständen (in der Regel 30, 60 und 90  Tage nach Projektabschluss) Nachhaltigkeitskontrollen durchgeführt und bei Rückfall wiederum die Kernursachen analysiert und mit Gegenmaßnahmen angegangen werden. Dieser Transformationsprozess benötigt einen holistischen Controlling-Ansatz, um nicht nur die erfolgreiche Umsetzung, sondern auch die Nachhaltigkeit und die kontinuierliche Verbesserung sicherzustellen. Wie wir im Folgenden darstellen, bietet einzig der ISS ServiceCompass mit seinem Blick von Kunde bis Mitarbeiter über alle Funktionen und Prozesse und unter Berücksichtigung der Strategie und des Führungsprozesses diese Ganzheitlichkeit und ist gleichzeitig noch sehr angelehnt an die DIN SPEC 77224-Erzielung von Kundenbegeisterung durch Service Excellence (Gouthier et al. 2011) Der ISS ServiceCompass unterstützt eine systematische Vorgehensweise, liefert aussagekräftige und gleichzeitig transparente Ergebnisse. Die erfolgreiche Implementierung eines service- und kundenorientierten Geschäftsmodells und die Transformation kann unter Einsatz des ISS ServiceCompass auf Basis des TCI Enterprise Transformation Cycles sichergestellt werden – sowohl im Alleingang nach entsprechender Einweisung oder unterstützt durch Experten (s. Abb. 13.5). Mit dem ISS ServiceCompass wird ein serviceorientiertes Geschäftsmodell gemeinsam mit dem Kunden konzipiert, erfolgreich und nachhaltig implementiert und kontinuierlich verbessert. Aus Kundensicht visualisiert der ISS ServiceCompass transparent die Ursache-Wirkung-Zusammenhänge für alle Prozesse und Maßnahmen und deckt Qualitätsmängel auf.

Abb. 13.5  Service Excellence für langfristige Kundenbindung mit dem ISS ServiceCompass. (Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an ISS 2019)

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Die Implementierung wird sowohl zeitlich als auch inhaltlich über Prozess- und Finanz-KPIs im Prozess gemessen und überwacht. Bei Abweichungen vom Ziel werden Korrekturmaßnahmen identifiziert und unverzüglich in den Maßnahmenplan integriert. Der ISS ServiceCompass liefert diesen erforderlichen holistischen Ansatz. Wie in Abb.  13.6 dargestellt, zeigen andere Instrumente insbesondere an der direkten Schnittstelle zum Kunden Schwächen. Ein ganzheitlicher Ansatz fehlt diesen Systemen. Nach Böhmann et al. (2013) muss die Gestaltung einer kunden- und serviceorientierten Organisation eine 360°-Kundenorientierung sicherstellen. „Neben einem zahlenbasierten Controlling ermöglicht der ISS ServiceCompass die auf das Kundenerlebnis ausgerichtete, qualitätsorientierte Konfiguration des Unternehmens. Ausgehend vom gewünschten Kundenerlebnis werden strategische Ziele, Erfolgsfaktoren und Maßnahmen in Bezug auf den Anteil am Unternehmenserfolg bewertet und in ihrer Interaktion transparent dargestellt.“ (Böhmann et al. 2013, S. 85–112)

Der ISS ServiceCompass • bildet das Unternehmen mit allen Funktionen und Prozessen ab und stellt damit ein ganzheitliches Assessment des Kunden sicher, • berücksichtigt die Kundenerwartung und -wahrnehmung, • stellt bei der Implementierung eines priorisierten Maßnahmenplans den Erfolg und die Nachhaltigkeit sicher, • und das Ganze einfach und aussagekräftig, systematisch, zielgerichtet, flexibel und individuell, transparent und nachvollziehbar. Mit neun Navigationspolen über die Fokusbereiche Kunde, Business und Mitarbeiter bildet der ISS ServiceCompass eine 360°-Sicht ab. Über die Pole werden Kunde, Mitarbeiter und Prozesse ganzheitlich mit dem Ziel verlinkt, 1. Kundenbeziehungen auszubauen über Fokus auf die Schnittstelle mit dem Kunden und dem Nutzen für ihn, 2. Prozesse zu optimieren über zielorientierte und entsprechend priorisierte Maßnahmen, 3. den Mitarbeitern ihre zentrale Bedeutung bei der Leistungserbringung zu verdeutlichen und so Zufriedenheit und Engagement zu optimieren. Durch die Baumstruktur wird die Ganzheitlichkeit des ISS ServiceCompass auch vertikal sicherstellt: • Vertikal: Kunde, Mitarbeiter, Partner und Unternehmensbereiche • Horizontal: Business mit Fokus auf Strategie und Prozess. Mittels der vergleichenden Sichtweise und dem Feedback vom Kunden werden die Prozesse im Hinblick auf (1) Kundenzufriedenheit, (2) Effizienz der Leistungserbringung

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Abb. 13.6  Service-Controlling-Instrumente im Vergleich. (Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an Böhmann et al. 2013)

und (3) Mitarbeiterengagement geprüft und optimiert. Abb.  13.7 visualisiert diese Wirkungszusammenhänge anschaulich. Zu jedem der neun Pole gibt es eine spezifische Kernfrage, über die mittels einer Ma­ trix die (bei Bedarf branchenspezifischen) Erfolgsfaktoren zugeordnet werden. Zur Optimierung der Erfolgsfaktoren gibt es ein definiertes Bündel von Maßnahmen, die jeweils ein konkretes Handlungsfeld umreißen. Die Maßnahmen wirken wiederum je nach Umsetzungs- bzw. Reifegrad unterschiedlich auf die Erfolgsfaktoren (s. Abb. 13.8). Zu allen Erfolgsfaktoren und Maßnahmen existiert ein Fragenkatalog mit dem der Ist-Zustand in internen und/oder externen Surveys aufgenommen und das Ergebnis in einer Ampelsteuerung visualisiert wird. Mit dieser Sichtweise und Struktur besteht eine starke Ähnlichkeit mit der DIN SPEC 77224-Erzielung von Kundenbegeisterung durch Service Excellence. DIN SPEC und ISS ServiceCompass sind allerdings zeitgleich aber dennoch unabhängig voneinander entwickelt (Gouthier et al. 2011).

13.8.2 ISS ServiceCompass: Das Umsetzungs- und Controllingtool für die betriebswirtschaftliche Steuerung und kontinuierliche Verbesserung einer Service Unit Mit dem ISS ServiceCompass wird Service Excellence erreicht und Business Intelligence zu Competitive Intelligence transformiert. Der Transformationsprozess greift hier den Kreislauf des TCI Enterprise Transformation Cycle auf.

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Abb. 13.7  Aufbau und Zielsetzung des ISS ServiceCompass. (Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an ISS 2019)

Abb. 13.8  Von Navigationspol über Erfolgsfaktoren zu Maßnahmen zum Erreichen von Service Excellence. (Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an ISS 2019)

• Zuerst erfolgt die Projektabstimmung mit dem Unternehmen (Ziel(e), Umfang, Zeitund Kostenrahmen, Projektteam, etc.). • Über eine gemeinsame Ist-Analyse werden Status quo und Potenziale ermittelt. • Die Ergebnisse werden im Detail ausgewertet und bewertet.

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• Maßnahmen für eine Verbesserung werden in Customer Co-creation inhaltlich definiert, unter Berücksichtigung von Nutzen und Aufwand priorisiert und danach in einem Aktionsplan einzeln zeitlich und mit erwartetem Ergebnis aufgeschlüsselt. • Die Implementierung wird gemeinsam mit dem Unternehmen mit vorausschauenden („leading“) und nachsteuernden („lagging“) Performanceindikatoren kontinuierlich überwacht und bei Zielabweichung werden über eine Ursachenanalyse wirksame Gegenmaßnahmen vereinbart. • Nach Zielerreichung wird das Unternehmen in die Lage versetzt, eigenständig oder mit Unterstützung mittels eines identischen Prozesses Nachhaltigkeit und kontinuierliche Verbesserung sicherzustellen. So wird mit dem ISS ServiceCompass ein fortlaufender Prozess zum Erreichen von Service Excellence  – nicht nur für eine langfristige Kundenbindung, sondern auch zur Generierung wiederkehrender Umsätze und zur Differenzierung vom Wettbewerb  – etabliert.

13.8.3 Vergleich DIN SPEC 77224‚ Service Excellence und ServiceCompass Der Prozess zur Erlangung von Service Excellence ist in der DIN SPEC 77224 beschrieben und definiert. Hauptkriterium für die Service Excellence nach DIN SPEC 77224 ist der Grad der Erfüllung der Service Versprechung/Verpflichtung gegenüber dem Kunden und beginnt bei der Erfüllung dieses Versprechens über ein pro-aktives Management des Feedbacks vom Kunden und einer kundenspezifischen Note zu einer unerwarteten Servicedienstleistung über die Versprechen hinaus (Gouthier et al. 2011). Grundsätzlich ist der Prozess zur Erlangung der Service Excellence entsprechend der DIN SPEC an der Beseitigung interner Hindernisse ausgelegt. Die Haupthindernisse sind: • • • •

fehlendes Mindset, mangelhafte interne Kommunikation und Koordination, fehlende oder mangelhafte Prozesse und Systeme, unzureichende Mitarbeitermotivation und -ausbildung.

Weiterhin unterscheidet die DIN SPEC insgesamt acht Leitprinzipien und Ziele von Service Excellence sowie sieben Elemente der Service Excellence. Die Leitprinzipien sind dabei den Elementen überstellt. Die Leitprinzipien sind: . Mitarbeitermotivation und -fachkompetenz inklusive der Kundenorientierung 1 2. Symmetrische Ausrichtung des Unternehmens an Kunden und Mitarbeitern 3. Emotionale und persönliche Kundenorientierung an die Erwartungen der Kunden 4. Outside-in-Perspektive

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. Integrierte und crossfunktionale Organisation und Verantwortungsteilung 5 6. Kontinuierliche Verbesserung 7. Einfachheit 8. Nachhaltiger Wertbeitrag für das Unternehmen und die Stakeholder. Das Modell der Service Excellence nach der DIN SPEC besteht aus den folgenden – den Leitprinzipien unterstellten – Elementen: 1 . Excellence-Verantwortung der Geschäftsleitung 2. Excellence-Orientierung der Ressourcen 3. Vermeidung von Fehlern und Verschwendung 4. Erfassung relevanter Kundenerlebnisse 5. Kundenbegeisterung durch Serviceinnovationen 6. Messung der Begeisterung und deren Effekte 7. Wirtschaftlichkeitsanalyse Von Böhmann et al. (2013) ist die Beziehung zwischen der DIN SPEC 77224 und dem ISS ServiceCompass aufgezeigt und beschrieben. Es wird hier dargestellt, wie der ISS ServiceCompass als praxisnahes und innovatives Werkzeug eingesetzt werden kann, um über gezielte Maßnahmen und Prozesse Service Exellence zu messen, nachhaltig zu implementieren und angestrebte Erfolge zu erreichen (vgl. Böhmann et al. 2013). Nachfolgend veranschaulichen zwei Schaubilder die Verbindung von DIN SPEC 77224 und ISS ServiceCompass. In Abb.  13.9 werden die DIN SPEC-Leitprinzipien und Ser­ viceCompass-Navigationspole gegenübergestellt. Die Abb. 13.10 zeigt die enge Beziehung zwischen den Elementen des Service-Excellence-Modells und den Erfolgsfaktoren des ISS ServiceCompasses.

13.9 Schlussbetrachtung: Wir sind längst da Eigentlich hat sich in den letzten 20 Jahren im Hinblick auf Service Excellence und Customer Experience so viel nicht verändert, die Grundwerte und Prinzipien waren vor 20 Jahre nicht wesentlich anders. Der damalige CIO von Dell, John Gregoire, sagte schon Ende des letzten Jahrtausends: „The customer experience is the next competitive battle­ ground“ (vgl. Kirsner 1999). Auf dieses Zitat nehmen seitdem eine Unzahl von Studien, Blogbeiträgen und Reports Bezug und begründen warum Herr Gregoire damals schon recht hatte. Customer Experience und Customer Centricity ist also kein neuer Ansatz an sich. Aber in Zeiten mit exponentiell zunehmender Digitalisierung und sich dabei laufend verändernden Geschäftsmodellen, Servicegeschäftsmodellen und digital dann Smart Services Business Models erhält diese Kundenzentrierung immer höhere Bedeutung.

13  Mit Servitization zu Customer Success – Business Transformation für … Leitprinzipien Service Excellence

ServiceCompass Naviga onspole

Mitarbeiter Symmetrische Emo onale, Mo va on u. Ausrichtung des persönliche Fachkompetenz Unternehmens Orien erung an inkl. der Kunden- an Kunden und die Erwartungen orien erung Mitarbeiter der Kunden

Outside – In Perspek ve

Integrierte, Crossfunk onale Org. Kon nuierliche und Teilung von Verbesserung Verantwortung

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Einfacheit

Nachhal ger Wertbeitrag für Anzahl Unternehmen Nennungen und Stakeholder 5 5 2 1 1 4 0 5 1

Führung Kunde Innova on Strategie Finanzen Mitarbeiter Partner Prozesse Vertrieb

Anzahl Nennungen

3

4

2

3

3

2

2

5

Abb. 13.9  Vergleich DIN SPEC 77224 und ISS ServiceCompass  – Navigationspole. (Quelle: ISS 2019)

Hebel für Service Excellence Verantwortung GF

Orienerung der Ressourcen

ServiceCompass Erfolgsfaktoren Kundenzufriedenheit Beschwerdemanagement Beziehung Customer Touch Point - Kunde Kundenpflege Servicekultur movierte zudriedene Mitarbeiter Personalmanagement Personalqualifizierung Talentorienerte Aufgabenverteilung Professionelles Changemanagement Servicestrategie Service als Geschäƒ verstehen Servicemarkengstrategie Servicepor•oliomanagement Produktentwicklung Innovaonsmanagement Serviceorganisaon Serviceprozesse Zusammenarbeit mit internen Partnern akves Partnermanagement Servicesteuerung / -performance Servicequalität Informaonstechnologie Finanzmanagement Wertbeitrag Risikomanagement Anzahl Nennungen

Vermeidung von Fehlern und Verschwendung

Erfassung relevanter Kundenerlebnisse

Kundenbegeisteru ng durch ServiceInnovaonen

Messung der Begeisterung und deren Effekte

WirtschaƒlichkeitsAnzahl analyse Nennungen 2 4 1 2 3 3 2 2 1 1 1 2 2 2 1 1 1 2 2 1 3 5 2 1 3 1

11

11

5

5

6

6

7

Abb. 13.10  Vergleich DIN SPEC 77224 und ISS ServiceCompass  – Erfolgsfaktoren. (Quelle: ISS 2019)

Umso mehr stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Kultur, ihre Organisation und ihre Prozesse von produktzentriert zu kundenzentriert zu transformieren. Erlebnis, Erfahrung und Ergebnis haben Preis und Funktion abgelöst und stehen für die Kaufentscheidung eines Kunden im Vordergrund. Unternehmen müssen ein serviceorientiertes Geschäftsmodell entwickeln und implementieren: Customization und Servitization als Alleinstellungsmerkmal, als USP (Unique Selling Point oder Uniques Selling Proposition)! Die strategische Business Transformation zu einer kundenorientierten Unternehmenskultur mit der proaktiven Gestaltung der Kundenerfahrung entscheidet immer öfter über den Erfolg einer Organisation. Für erfolgreiche Unternehmen bedeutet „Gewinnen“, dass Customer Centricity eine Top-down-gelebte Einstellung in der gesamten Organisation mit „buy-in“ von allen Beteiligten wird. Ohne Produktinnovation zu vernachlässigen, muss das gesamte Personal aus einer kundenorientierten Sicht agieren.

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Kundenzentriert zu arbeiten bedeutet nicht, nach dem Gießkannenprinzip alle Kunden gleich zu behandeln. Wer die Idee der Kundenorientierung ernst nimmt, segmentiert seine Kunden und betreut sie auch entsprechend ihrer Erwartung. Die ist keinesfalls überall gleich. Die wertvollsten Kunden wissen meist um ihre Bedeutung und haben entsprechende Erwartungen. Diese zu identifizieren und deren Begeisterung zu gewährleisten hat sicher oberste Priorität. Ein optimierter Customer Lifetime Value soll erzielt werden. Die Herausforderung besteht darin, Informationen über Kunden aus unterschiedlichen Quellen und Omni-Channel zu sammeln, um den profitabelsten Kunden – und auch andere – die für sie jeweils relevanten Lösungen zum richtigen Zeitpunkt anzubieten. Services herausragend zu leisten erfordert außergewöhnliche Aufmerksamkeit, Passion und Neugierde, es gilt heute, verstehen zu wollen, was dem Kunden morgen hilft. Wo im Servitization-Prozess, auf welcher Stufe, stehen wir heute, was erwartet der Kunde von uns morgen – und wie werden wir ihn dann begeistern? Servitization ist eine Herausforderung und großartige Chance für nahezu jedes Unternehmen! Wer Service Excellence als kontinuierlichen Prozess zu immer neuen attraktiven Leistungen für Kunden etabliert hat, wer mit dem ISS ServiceCompass navigiert, die richtigen und wichtigen, für Kunden relevanten Themen angeht und bewusst in der Transformation gleichzeitig Menschen fördert und die Organisation ausbaut, also den ETC nutzt, wird Kunden auch künftig begeistern können und zusammen mit seinen loyalen Kunden wachsen.

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Michael René Weber  ist seit über 20 Jahren beratend sowie als Dozent und Trainer in der Transformation von Unternehmen und der Förderung von Mitarbeitern und Führungskräften international tätig. Er hat mehrere auch größere Transformationsprojekte u.  a. in der Telekommunikations- und IT-Industrie, für Optoelektronik, Maschinen- und Anlagenbau, der Medizin-Technik, für Konsumgüter sowie in der Gesundheitswirtschaft verantwortet. Michael René Weber ist Gründer und CEO der ISS International Business School of Service Management, der MarketingAkademie Hamburg sowie der René Weber Unternehmensberatung und in Fachverbänden sowie sozialen Projekten engagiert.

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M. R. Weber und F. Bunge Frank Bunge  greift auf über 20 Jahre Customer Experience und Service Excellence Erfahrung als Geschäftsführer und Senior Manager mit überwiegend globaler Verantwortung zurück. In den letzten Jahren hat er sich intensiv mit Herausforderungen der Business Transformation im Zusammenhang mit Globalisierung und Digitalisierung beschäftigt. Als Managing Partner bei der TCI leitet Frank Bunge die Arbeitsgruppe Customer Experience und berät, unterstützt und begleitet Unternehmen bei der Neuausrichtung ihrer Geschäftsprozesse zur Optimierung der Kundenbindung. Er setzt hier seine umfangreiche Expertise als Service Experte und Führungskraft als Managementberater und Trainer für Unternehmen bei der Optimierung ihrer Customer Journey gewinnbringend um. Als ausgebildeter Master Blackbelt für Wertstromanalysen und Optimierung mehrstufiger Transaktionsprozesse hat Frank Bunge in seiner langjährigen beruflichen Praxis Veränderungsprozesse überwiegend im Serviceumfeld erfolgreich geplant, geleitet und implementiert. Frank Bunge ist ausgebildeter Diplom-Kaufmann.

Mit Kompetenzmanagement die Strategie und Innovationsfähigkeit des Unternehmens unterstützen

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Martin Rost

Inhaltsverzeichnis 14.1  Einleitung  14.2  Ambidextrie, individuelle Kompetenzen und der ETC  14.3  Enterprise Transformation Cycle als Grundlage von Ambidextrie  14.4  Schlussbetrachtung  Literatur 

 284  284  288  295  296

Zusammenfassung

Kompetenzmanagement kann nur dann einen nachhaltigen Beitrag zur Unternehmensentwicklung leisten, wenn sie über die Förderung der einzelnen Mitarbeiter hinausgeht und in die Entwicklung der Teams, Prozesse und der Unternehmensstrategie integriert ist. Der Beitrag betrachtet aus ressourcen- und kompetenzorientierter Perspektive, wie die Entwicklung individueller Fähigkeiten mit der Entwicklung der Organisationsgestaltung so abgestimmt wird, dass der „Spagat“ zwischen Effizienz und Innovation (Ambidextrie) bewältigt und langfristige Wettbewerbsvorteile herausgearbeitet werden können. Im Beitrag wird gezeigt, wie mit dem ETC als „Analyseraster“ die Strukturen der Organisation, die Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die Entwicklung von Fähigkeiten der Mitarbeiter so ausgerichtet werden können, dass Ambidextrie verwirklicht werden kann.

M. Rost (*) Universität Stuttgart, Betriebswirtschaftliches Institut, Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_14

283

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14.1 Einleitung Personal stellt eine zentrale Ressource für die Wettbewerbs- und Wandlungsfähigkeit von Unternehmen dar. Die Aussage ist nicht neu. Dennoch konzentrieren sich Veränderungsprojekte einerseits noch immer häufig einseitig auf Strategien, Strukturen und Prozesse, ohne die Veränderung der beteiligten Personen angemessen zu betrachten. Andererseits fehlt vielen Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung die Verknüpfung zur Strategie und zu Geschäftsprozessen. Der Enterprise Transformation Cycle (ETC) zeigt diese Vernetzung zwischen Strategie, Strukturen, Prozessen und Personen sehr gut auf (Pfannstiel und Steinhoff 2018). Aus der Perspektive der strategischen Unternehmensführung können die Elemente des ETC (Werte und Prinzipien, Fähigkeiten und Personal, Rollen und Verantwortlichkeiten, Prozesse, Organisationsstruktur, unterstützende Methoden und Informationssysteme, Controlling und Governance, Wertschöpfungsprozessmodell sowie Strategie und Geschäftsmodell) als zentrale Grundlangen von organisationalen Fähigkeiten angesehen werden (siehe dazu Barney 1991; Dosi et al. 2008). Aber erst, wenn diese Elemente aufeinander abstimmt und gemeinsam auf die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtet werden, werden sie zu einer organisationalen Kompetenz (Dosi et al. 2008; Prahalad und Hamel 1990). Veränderungsprojekte können sich zwar auf einzelne Elemente des ETC konzen­ trieren. Damit die Maßnahmen zum Aufbau organisationaler Kompetenzen beitragen können, müssen jedoch immer alle Elemente berücksichtig und aufeinander abgestimmt werden. Eine zentrale organisationale Kompetenz ist die Fähigkeit einer Organisation, gleichzeitig bestehende Technologien und Geschäftsfelder effizient zu nutzen und weiterzuentwickeln (Exploitation) als auch neue zu erschließen (Exploration) (March 1991). Beispielsweise stehen Unternehmen in der Automobilindustrie vor der Herausforderung, einerseits Verbrennungsmotoren weiterzuentwickeln und andererseits sich mit neuen Antriebssystemen, autonomen Fahren und neuen Mobilitätstrends auseinanderzusetzen (Rost 2014). Die Fähigkeit, eine angemessene Balance zwischen Exploitation und Exploration zu finden, wird als Ambidextrie bezeichnet (Duncan 1976; March 1991).

14.2 Ambidextrie, individuelle Kompetenzen und der ETC Im Folgenden sollen die theoretischen Grundlagen dieses Beitrags erläutert werden. Auf organisationaler Ebene ist dies das Konzept der organisationalen Ambidextrie, auf Ebene der Mitarbeiter und Führungskräfte die individuelle Kompetenz. Zudem werden diese Konzepte mit dem ETC in Beziehung gesetzt.

14  Mit Kompetenzmanagement die Strategie und Innovationsfähigkeit des …

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14.2.1 Ambidextrie als dynamische Fähigkeit von Unternehmen Erfolgreiche Unternehmen haben spezifische Ressourcen, die ihnen einen strategischen Wettbewerbsvorteil ermöglichen. Ressourcen können prinzipiell alles das sein, was einem Unternehmen zumindest zeitweilig zur Verfügung steht und eine Stärke oder Schwäche sein kann. Dazu zählen beispielsweise die finanzielle Ausstattung eines Unternehmens, sein Technologieportfolio oder die Kompetenzen der Beschäftigten. Wettbewerbsvorteile ergeben sich insbesondere dann, wenn verschiedene Ressourcen gebündelt und in Prozessen verknüpft werden. Dadurch entstehen spezifische, schwer imitierbare Kompetenzen des Unternehmens (Barney 1991, 2001; Prahalad und Hamel 1990). So gelang es beispielsweise Wal Mart eine Logistikkette aufzubauen, die diesem Einzelhandelsunternehmen in Bezug auf Kosten und Qualität Vorteile brachte und somit die weltweite Expansion des Unternehmens ermöglichte (Prahalad und Hamel 1990). Der Aufbau und die Verteidigung von Wettbewerbsvorteilen reicht heute jedoch nicht mehr aus, um langfristig am Markt bestehen zu können. Vielmehr müssen Unternehmen sich schnell an verändernde Bedingungen anpassen können und lernfähig sein (Teece et al. 1997). Diese Lernfähigkeit von Unternehmen wird auch als dynamische Fähigkeit (Dynamic Capability) bezeichnet und beruht auf dem Vermögen eines Unternehmens, Herausforderungen und Gelegenheiten in seiner Umwelt zu erkennen, sie zu ergreifen und dafür die eigenen Prozesse, Routinen und Verhaltensweisen entsprechend anpassen zu können (Teece 2007, 2018). Eine spezielle Dynamic Capability ist die Fähigkeit eines Unternehmens, eine angemessene Balance zu finden zwischen der Nutzung und Weiterentwicklung der bestehenden Technologien und Geschäftsfelder, auch als Exploitation bezeichnet, und der Entwicklung neuer Technologien und Geschäftsfelder (Exploration) (O’Reilly und Tushman 2008). Dieser Spagat wird als Ambidextrie bezeichnet und stellt eine große Herausforderung für Unternehmen dar (Duncan 1976; March 1991). Zwar dürfte in der Praxis kaum jemand bezweifeln, dass sowohl Innnovation als auch Effizienz für die erfolgreiche Unternehmensentwicklung notwendig sind. In der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens stehen sie jedoch in einem konfliktären Verhältnis (Martin et  al. 2019). Beispielsweise hat die deutsche Automobilindustrie im Bereich der Premiumfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren eine starke Wettbewerbsposition aufgebaut. Gleichzeitig wird diese Wettbewerbsposition aber durch die Elektrifizierung, autonomes Fahren oder neue Mobilitätstrends bedroht. Ein Unternehmen könnte sich nun sehr kurzfristig dazu entschließen, aus dem Geschäft mit Verbrennungsmotoren auszusteigen und sich nur noch auf neue Antriebstechnologien und neue Mobilitätstrends zu konzentrieren. Gewinne werden allerdings offenbar bisher überwiegend mit Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren erzielt. Ein Unternehmen, das sich derart stark auf Exploration konzentrieren würde, liefe folglich Gefahr, in eine finanzielle Schieflage zu geraten und in Konkurs zu gehen, bevor es die neuen Geschäftsfelder am Markt etablieren kann. Dies ist bei einigen Internetunternehmen um die Jahrtausendwende passiert. Sie haben immer wieder neue Geschäftsfelder erschlossen, ohne ausreichend da-

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rauf zu achten, dass in den bestehenden Geschäftsfeldern Gewinne erwirtschaftet werden und somit die Exploration finanziert werden kann (Konlechner und Güttel 2009). Exploitation und Exploration sind ­folglich beide wichtig für ein Unternehmen und um die angemessene Balance zwischen ihnen muss immer wieder neu gerungen werden.

14.2.2 Individuelle Kompetenzen Kompetente Personen können in verschiedenartigen Situationen ihrer Arbeitstätigkeit hohe Leistungen erbringen und sind in der Lage, sich in ihrer Arbeitsweise schnell auf Änderungen aus der Umwelt einzustellen (Heyse und Erpenbeck 2009; Spencer und Spencer 2008). Kompetenzen von Mitarbeitern sind somit die Entsprechung von Fähigkeiten der Organisationen auf individueller Ebene. Mit dem zunehmenden Wandlungsdruck auf den globalen Märkten nimmt auch die Bedeutung von Kompetenzen für das Arbeitsleben immer weiter zu (Heyse und Erpenbeck 2009; Rost 2014). Kompetenzen setzen sich aus den Bestandteilen Wissen, Fertigkeiten, Werte, Regeln und Normen, Emotionen und Motivationen zusammen, die untereinander verknüpft sind. Eine Person kann folglich Wissen und Fertigkeiten in einem Arbeitsbereich haben, ohne im Sinne der psychologischen Forschung über Kompetenzen in diesem Bereich zu verfügen. Erst wenn sie konkrete Arbeitssituationen selbstständig vor dem Hintergrund ihrer Einstellungen und Werte beurteilt, Entscheidungen zum selbstorganisierten Handeln trifft und sich Ziele setzt, entsteht Kompetenz. Es sind also v. a. die neuartigen Situationen, in denen Kompetenzen benötigt werden (Heyse und Erpenbeck 2009). In der betrieblichen Praxis existieren eine Vielzahl an Kompetenzkatalogen. Neben Fach- und Methodenkompetenz, Sozialkompetenz, Veränderungskompetenz oder Führungskompetenz werden auch neuere Trends wie die Anforderungen durch Virtualisierung und Digitalisierung thematisiert. Die dahinterliegenden Fähigkeiten lassen sich meistens auf die in der Kompetenzforschung übliche Unterscheidung in Fach- und Methodenkompetenzen sowie soziale und personale Kompetenzen (Katz 1974) zurückführen. Eine insbesondere im deutschsprachigen Raum sehr gebräuchliche Differenzierung ist die von Heyse and Erpenbeck (2009), nach der zwischen sozialen Kompetenzen (für den Umgang mit anderen, z. B. Kommunikations- und Teamfähigkeit), personale Kompetenzen (Umgang mit der eigenen Person) und Fach- und Methodenkompetenzen (Anwendung von Wissen und Umgang mit Methoden und Objekten) unterschieden wird. Ergänzt werden diese durch die Klasse der Aktivitäts- und Handlungskompetenzen mit Kompetenzen wie Tatkraft, Initiative, Mobilität oder Optimismus. Kompetenzen dieser Kompetenzklasse beziehen sich auf die drei anderen Kompetenzklassen und bringen sie in besonders guter Weise zur Geltung. Besonders wertvoll für die betriebliche Praxis ist dieser Kompetenzkatalog, da er für jede Kompetenzklasse 16 Einzelkompetenzen enthält, die anhand von typischen Verhaltensweisen (Verhaltensankern) beschrieben werden (Heyse und Erpenbeck 2009). Ein Unternehmen kann sich aus diesem Kompetenzkatalog je Kompetenz-

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klasse drei bis fünf Kompetenzen auswählen, die Verhaltensanker für die eigene Organisation anpassen und so relativ einfach ein Kompetenzmodell gestalten. Besonders wichtig in der Kompetenzforschung sind Führungs- und Lernkompetenz. Zur Führungskompetenz existieren eine Vielzahl an ausdifferenzierten Kompetenzeinteilungen, in denen nach dem Verhalten in Bezug auf andere Personen, nach Methoden und Instrumenten oder nach dem zielorientierten Umgang mit der eigenen Person klassifiziert wird (Bartram 2005; Briscoe und Hall 1999; Tett et al. 2000). Die Fähigkeit zu lernen ist zunächst eine personale Kompetenz, enthält aber auch fachliche und methodische Elemente (Heyse und Erpenbeck 2009). Um mit den Veränderungen in der Umwelt Schritt zu halten, müssen Mitarbeiter zunehmend selbstständig erkennen, welche Wissens- und Kompetenzlücken sie in Bezug auf die neuen Anforderungen haben und welche Lernwege sie nutzen können, um diese Lücken schnell zu schließen. Diese Fähigkeiten werden im Konzept der Metakompetenz beschrieben (Briscoe und Hall 1999; Dimitrova 2009).

14.2.3 Wurzeln von Ambidextrie im ETC Fähigkeiten von Organisationen wie Ambidextrie beruhen auf einem Bündel von Werten, Einstellungen, Strukturen, Prozessen, Fähigkeiten und Individuen (Dosi et  al. 2008; O’Reilly und Tushman 2008; Prahalad und Hamel 1990; Teece 2007). Dieses Bündel wird sehr gut durch den ETC beschrieben, der die Verknüpfung der Bereiche Werte und Prinzipien, Fähigkeiten und Personal, Rollen und Verantwortlichkeiten, Prozesse, Organisationsstruktur, unterstützende Methoden und Informationssysteme, Controlling und Governance, Wertschöpfungsprozessmodell sowie Strategie und Geschäftsmodelle beinhaltet (Steinhoff 2018) (s. Abb. 14.1).

BUSINESS TRANSFORMATION Strategy Processes

Governance Values & Principles

Systems & Tools

Organization People

ENVISION

ENGAGE

TRANSFORM

OPTIMIZE

Abb. 14.1  Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International (2018) und Stiles et al. (2012), S. 45)

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Im Strategiebildungsprozess muss das Management zunächst prüfen, welche Möglichkeiten am Markt sich aufgrund der Ressourcen und Kompetenzen ergeben, und Szenarien entwickeln. Daraufhin kann entschieden werden, inwieweit bestehende Technologien und Geschäftsmodelle weiter genutzt und verbessert (Exploitation) und neue entwickelt werden sollen (Exploration) (March 1991; O’Reilly und Tushman 2008; Rost 2014). Die Stärke des ETC kann es sein, die Grundlagen der organisationalen Fähigkeit Ambidextrie, die darunterliegenden Strukturen, Prozesse und das Verhalten von Mitarbeitern (Felin et al. 2012) zu analysieren und somit im Rahmen eines Change Prozesses eine ambidextre Organisation zu entwickeln. In Bezug auf die Organisationsstrukturen ist zu entscheiden, wie Exploitation und Exploration einerseits getrennt werden können und andererseits ein Wissensaustausch zwischen diesen Bereichen organisiert werden kann (Renzl et al. 2012). Dabei werden neben der Aufbauorganisation auch temporäre Organisationsstrukturen wie Projekte und Netzwerke betrachtet. Ambidextre Strategien und Strukturen haben wesentlichen Einfluss auf die „Rollen und Verantwortlichkeiten“. Aus diesem Bereich sollen insbesondere die Beiträge der einzelnen Mitarbeitergruppen zu Ambidextrie, mögliche Führungsstile sowie Kompetenzmodelle und -profile betrachtet werden. Im Rahmen der ETC-Dimension „Fähigkeiten und Personal“ werden Möglichkeiten der Entwicklung jener Kompetenzen dargestellt, die für Ambidextrie benötigt werden.

14.3 E  nterprise Transformation Cycle als Grundlage von Ambidextrie Im Folgenden wird erläutert, wie die Dimensionen des ETC genutzt werden können, um zunächst die Grundlagen der organisationalen Ambidextrie in einer Organisation zu analysieren und anschließend einen Entwicklungsprozess mit Bezug auf organisationale Ambidextrie einzuleiten. Im Mittelpunkt dieser Betrachtung stehen im Folgenden Strategien, Strukturen, Rollen und Verantwortlichkeiten sowie Fähigkeiten und Personal.

14.3.1 Strategien Ausgangspunkt einer ressourcenorientierten Strategie sind die Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens (Barney 1991, 2001). Beispielsweise besitzen Unternehmen in der deutschen Automobilindustrie sehr stark ausgeprägte Fähigkeiten im Bau von Verbrennungsmotoren, insbesondere der Dieseltechnologie, die ihnen lange Zeit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der internationalen Konkurrenz verschafft haben. Da diese organisationalen Fähigkeiten in hohem Maße auf Erfahrungswissen sowie einer spezifischen Kultur beruhen, sind sie zudem schwer zu imitieren (Barney 2001; Prahalad und Hamel 1990). Weitere zentrale Fähigkeiten liegen im Bereich des Baus von besonders sicheren

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und qualitativ hochwertigen Premiumfahrzeugen. Allerdings ist derzeit unsicher, inwieweit diese Fähigkeiten in Zukunft hilfreich sein werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der deutschen Automobilindustrie zu sichern. Mögliche aussichtsreiche Technologien und Geschäftsmodelle liegen im Bereich der Elektromobilität, dem autonomen Fahren, Mobilitätsdienstleistungen oder dem Einsatz der beschriebenen bestehenden Stärken der Unternehmen in neuen Märkten wie dem Schiffsbau, der Windenergie oder Kleinkraftwerken und Batterien für Gebäude (Rost 2014; Rost et al. 2019). Um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, müssen Unternehmen sowohl effizient die bestehenden Fähigkeiten nutzen und weiterentwickeln als auch Fähigkeiten aus dem Bereich der neuen Technologien und Geschäftsmodelle aufbauen. Dazu benötigen sie insbesondere ambidextre Strukturen, an diese Strukturen und Prozesse angepasste Rollenmodelle und Verantwortlichkeiten sowie einen Personalentwicklungsprozess, der Ambidextrie unterstützt (Rost 2014). Im Folgenden soll der Wandel hin zu einer ambidex­ tren Organisation insbesondere an Beispielen der deutschen Automobil- und Automobilzulieferindustrie erklärt werden.

14.3.2 Ambidextre Strukturen Um Konflikte zwischen Organisationseinheiten und Prozessen mit Fokus auf Exploitation und Exploration zu vermeiden und gleichzeitig den Wissensaustausch im gesamten Unternehmen zu organisieren gilt es, verschiedene Arten von Organisationsstrukturen zu kombinieren. Ein zentrales Problem ist, dass Exploration sehr viel offenere Arbeitsabläufe und eine andere Kultur erfordert als Exploitation und somit die Effizienz der Prozesse beispielsweise in der Produktion gefährdet (Konlechner und Güttel 2009). Deshalb werden Bereiche mit Fokus auf Exploitation wie die Produktion von Bereichen mit Fokus auf Exploration wie Forschung- und Entwicklung teilweise räumlich und in den Prozessen getrennt werden. Die Intention dieses Vorgehens ist es, einerseits die Entwicklung neuer Ideen nicht durch die häufig starren Strukturen und Prozesse in den Exploitationbereichen zu behindern und andererseits nicht die für Exploitation notwendige Effizienz durch eine risiko- und experimentierfreudige Kultur in den Explorationbereichen zu gefährden (Birkinshaw und Gibson 2004; Gibson und Birkinshaw 2004). Bei dieser Form der Ambidextrie, die als strukturelle Ambidextrie bezeichnet wird, kümmert sich das Top-Management-Team um die angemessene Ressourcenverteilung auf Exploitation und Exploration und organisiert den Wissensaustausch zwischen den Bereichen (Konlechner und Güttel 2009; O’Reilly und Tushman 2008). Allerdings stellt das Finden einer derartigen Balance und die Organisation des Austauschs von Informationen zwischen Exploitation und Exploration eine große Herausforderung für das Top-­ Management dar und muss deshalb durch weitere organisatorische Möglichkeiten und Akteure innerhalb der Organisation ergänzt werden. Eine Möglichkeit dafür bieten

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Einheiten, die unter den Bedingungen von „kontextueller Ambidextrie“ arbeiten (Gibson und Birkinshaw 2004). Bei dieser Form wird in einer Organisationseinheit sowohl Exploitation als auch Exploration betrieben. Die Entscheidung, mit welcher Priorisierung sich die Mitarbeiter Exploitations- oder Explorationsaufgaben zuwenden, trifft die Führungskraft der jeweiligen Einheit oder sogar die Mitarbeiter selbst. Der Konflikt zwischen Exploitation und Exploration wird somit bewusst zugelassen und über die Gestaltung eines entsprechenden kulturellen Rahmens und Anreizsystems dafür gesorgt, dass Teams oder einzelne Mitarbeiter sowohl Exploitations- als auch Explorationsaufgaben übernehmen. Ein Beispiel für derartige Einheiten sind Produktentwicklungsteams, die sowohl mit der Forschungsabteilung zusammenarbeiten, als auch mit Vertriebs-, Service und Produktionsmitarbeitern (Güttel und Konlechner 2009; Rost 2014). Eine weitere Gruppe sind forschende Ärzte, die neben ihren Diensten in Krankenhäusern Studien durchführen (Burgess et al. 2015). Die beschriebene Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Mitarbeitergruppen wird häufig im Rahmen von Projekten organisiert. In Abhängigkeit vom Innovationsgrad können Mitarbeiter entweder nur für einen Teil ihrer Arbeitszeit für das jeweilige Projekt freigestellt werden oder sie arbeiten insbesondere bei radikalen Innovationen Vollzeit in einem von der restlichen Organisation weitgehend autonomen Projektteam (Busch und Hobus 2012). Zudem gibt es einen Trend, große Teile der Aufgaben in Organisationen im Rahmen von Projektstrukturen zu organisieren. Diese helfen Unternehmen, flexibler und lernfähiger zu werden (Brady und Davies 2004; Gann und Salter 2000; Liu und Leitner 2012; Tukiainen und Granqvist 2016). Zusätzlich können informelle Netzwerkkontakte zwischen Mitarbeitern der verschiedenen Bereiche helfen, den Wissensaustausch in einer ambidextren Organisation zu unterstützen. Rost et al. (2019) zeigen in einer Studie bei einem Automobilproduzenten und zwei Unternehmen aus der Automobilzulieferindustrie, wie Manager aus dem Bereich Forschung und Entwicklung ihr soziales Netzwerk innerhalb und außerhalb der Organisation nutzen, um Informationen oder eine Einschätzung zu ihren Entwicklungsergebnissen zu erhalten, neue Ideen zu entwickeln oder sich die Unterstützung von wesentlichen Entscheidungsträgern zu sichern. In Abhängigkeit davon, ob Sie ein exploitatives oder ein exploratives Projekt bearbeiteten, wurden dabei unterschiedliche Kontakte und Netzwerkstrukturen genutzt. Für Exploration aktivierten die befragten Manager eine Vielzahl an Personen innerhalb und außerhalb der Organisation, während sich die Netzwerkaktivitäten für Exploitationsprojekte deutlich mehr auf den eigenen Arbeitsbereich bezogen. So tauschten sich die befragten Manager aus der Produktentwicklung für sehr innovative Projekte neben ihren Kooperationspartnern in der Organisation häufig auch mit ehemaligen Studienkollegen oder Freunden aus. Zudem nutzten Entwickler in explorativen Projekten beispielsweise die Expertise der Mitarbeiter im Qualitätsmanagement, um sich mit ihnen über die Umsetzbarkeit ihrer neuen Ideen zu besprechen (Rost et al. 2019). Diese informellen Kontakte tragen folglich wesentlich dazu bei, neues Wissen aus der Umwelt für die Organisation verwendbar zu machen und den Wissenstransfer in der Organisation zu ­unterstützen.

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14.3.3 Rollen und Verantwortlichkeiten Die zentrale Herausforderung in einer ambidextren Organisation scheint es zu sein, den „Spagat“ zwischen Trennung von Exploitation und Exploration und deren Verknüpfung zu managen. Folglich sind jene Mitarbeitergruppen von entscheidender Bedeutung, die dazu wesentlich beitragen können. Zudem sind sowohl für Exploitation als auch für Exploration Spezialisten notwendig. Im Folgenden wird gezeigt, welche Mitarbeitergruppen die entsprechenden Beiträge leisten können, welcher Führungsstil in Abhängigkeit von Exploitation und Exploration angemessen ist und wie die Kompetenzprofile jeweils ausgestaltet werden sollten. Im Mittelpunkt der Betrachtung in der Ambidextrieforschung steht das Top-Ma­ nagement-­Team (O’Reilly und Tushman 2008). Es kümmert sich um die Ausrichtung des Unternehmens in Bezug auf Exploitation und Exploration. Seine Aufgabe ist es, neue Möglichkeiten im Markt zu erkennen, zu bewerten und die Strategie, Struktur und Prozesse so auszurichten, dass aus den identifizierten Möglichkeiten Geschäftsmodelle entwickelt werden können. Zudem organisiert es den Wissensaustausch zwischen Einheiten mit Fokus auf Exploitation und solchen mit Fokus auf Exploration (O’Reilly und Tushman 2008). Mitarbeiter in der Produktion, der Verwaltung oder in Servicebereichen kümmern sich typischerweise um das operative Geschäft. Von ihrer Aufgabenerfüllung hängt die Effizienz der Geschäftsprozesse wesentlich ab. Mitarbeiter in der Forschung hingegen tragen häufig fast ausschließlich zu Exploration bei. Sie sollen möglichst ungestört vom Tagesgeschäft neue Ideen entwickeln. Zudem gibt es Mitarbeiter, die sowohl explorative als auch exploitative Aufgaben übernehmen, wie beispielsweise die Mitarbeiter in der Produktentwicklung. Sie müssen einerseits neue Technologien aus der Forschung in Produkten umsetzen, andererseits aber auch mit der Produktion und dem Produktmanagement sprechen, wie bestehende Produkte verbessert und neue in das Produktportfolio eines Unternehmens eingefügt werden können (Güttel und Konlechner 2009; Konlechner und Güttel 2009; Renzl et al. 2012). Aus diesen exploitativen und explorativen Rollen ergibt sich die Notwendigkeit, innerhalb des Unternehmens unterschiedlich zu führen. In Bezug auf die Ambidextrieforschung werden insbesondere der transaktionale und transformationale Führungsstil diskutiert (Jansen et al. 2009). Bei der transaktionalen Führung soll ein ganz bestimmtes Verhalten verstärkt werden. Die Führungskraft gibt Ziele vor und greift nur ein, wenn sie Fehlentwicklungen feststellt. Wird die erwartete Leistung gezeigt, erhält der Mitarbeiter eine Belohnung. Bei einer negativen Abweichung kommt es zu disziplinarischen Konsequenzen. Transformationales Führungsverhalten zeigen Führungskräfte hingegen, wenn sie einen idealisierenden Einfluss ausüben, inspirierende Motivation vermitteln, ihre Mitarbeiter intellektuell stimulieren sowie ihnen eine spezifische Fürsorge zukommen lassen. Dieses Führungsverhalten fördert eine Vertrauenskultur sowie die Kreativität und Eigeninitiative der Mitarbeiter (Bass und Avolio 2000). In der Literatur wird festgestellt (siehe Jansen et al. 2009; Nemanich und Vera 2009), dass grundsätzlich transaktionale Führung in Exploitationsbereichen vorteilhaft ist, um Routinen möglichst exakt zu lernen und dadurch die Effizienz zu fördern. Um Ex-

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ploration zu fördern, sollten die Mitarbeiter hingegen motiviert werden, bestehende Routinen infrage zu stellen und nach neuartigen Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Zunehmend ergibt sich aufgrund der großen Dynamik und Unsicherheit in den Märkten, aber auch in Exploitationsbereichen die Notwendigkeit, Routinen erheblich anzupassen oder sogar neue aufzubauen. Zudem müssen die Mitarbeiter bei diesen Wandlungsprozessen individuell begleitet und von den Neuerungen inspiriert werden. Diese Verhaltensweisen entsprechen dem transformationalen Führungsstil. Es zeigt sich deshalb, dass auch in Exploitationsbereichen zusätzlich zu transaktionaler Führung Elemente des transformationalen Führungsstils eingesetzt werden sollten (Nemanich und Vera 2009; Rost 2014). Dieser Führungsstil trägt auch wesentlich zur Entwicklung der Kompetenzen, die Mitarbeiter für die neuen Arbeitsbedingungen nach einem Veränderungsprozess benötigen, sowie zum Abbau von Ängsten und Widerständen bei (Jansen et al. 2009; Nemanich und Vera 2009; Renzl et al. 2013). Die genaue Ausgestaltung von Rollen und Verantwortlichkeiten kann durch einen Kompetenzmanagementprozess unterstützt werden, der sich an Ambidextrie orientiert (Rost 2014). Im Zentrum eines Kompetenzmanagementprozesses steht ein Kompetenzmodell, das jene 15–25 Kompetenzen enthält, mit denen sich die Anforderungen in einer Organisation beschreiben lassen. Jede Kompetenz wird durch etwa vier bis zehn Anker beschrieben, die Verhalten von kompetenten Personen ausdrücken. Aufbauend auf das Kompetenzmodell können für die einzelnen Jobfamilien und Jobs die Anforderungen definiert werden. Zudem sind Kompetenzmodelle die Grundlage für weitere Prozesse des Personalmanagements wie Personalentwicklung, Personalauswahl oder Personalbeurteilung (Campion et al. 2011). Die zentralen Kompetenzen für ein Kompetenzmodell können dabei top-­down im Rahmen von Workshops mit dem Management von der Unternehmensstrategie (strategiebasierter Ansatz) oder von den zentralen Werten der Organisation (werteorientierter Ansatz) abgeleitet werden. Eine weitere Möglichkeit bietet die Befragung und Beobachtung der Stelleninhaber mit sehr hohen Leistungsausprägungen. Personalmanager und Arbeitspsychologen leiten bei diesem Ansatz daraus erfolgskritische Kompetenzen ab (Briscoe und Hall 1999). Kompetenzmodelle, die Ambidextrie unterstützen müssen sowohl an die Strategie des Unternehmens angebunden werden also auch die Ressourcen der Organisation wie bereits vorhandene Kompetenzen der Mitarbeiter, Strukturen, Prozesse und Routinen berücksichtigen (Rost 2014). Der ETC erscheint folglich ein geeignetes Analyseinstrument zu sein, um die Grundlagen für die Kompetenzmodellierung zu analysieren. Aufbauend auf die beschriebenen exploitativen und explorativen Rollen in ambidextren Organisationen und den für die jeweiligen Bereiche notwendigen Führungsstilen können im Folgenden Kompetenzprofile abgeleitet werden. Exploitationsprozesse erfordern eine sehr exakte, fehlerfreie und geplante Vorgehensweise. Mitarbeiter sollten deshalb Zuverlässigkeit und Pflichterfüllung zeigen und für die Beanspruchung bei hoher Kapazitätsauslastung auch sehr belastbar und einsatzbereit sein. Ein systematisch-methodisches Vorgehen ermöglicht die kontinuierliche Verbesserung bestehender Routinen (Renzl et al. 2012; Rost 2014). Zudem erfordert der transaktionale Führungsstil eine klare Formulierung von Zielen und deren konsequente Umsetzung.

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Um an Explorationsprozessen teilnehmen zu können, benötigen Mitarbeiter ein hohes Maß an Eigeninitiative, Risikobereitschaft und Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen (Renzl et al. 2012). Zudem müssen sie in hohem Maße in der Lage sein, neue Anforderungen selbstständig zu erkennen und vorhandene Wissenslücken selbstorganisiert zu schließen (Renzl et al. 2012; Rost 2014). Dies wird über die beiden Metakompetenzen, also die Fähigkeit sich selbstorganisiert neues Wissen anzueignen und die Fähigkeit die eigenen Fähigkeiten mit den Anforderungen aus der Umwelt laufend selbstorganisiert abgleichen zu können, abgebildet (Dimitrova 2009). Der transformationale Führungsstil dürfte zusätzlich ein hohes Einfühlungsvermögen bei den Führenden erfordern. Zudem benötigen ambidextre Organisationen Mitarbeiter, die die Konflikte zwischen Exploitation und Exploration handhaben und den Wissensaustausch fördern (Martin et al. 2019; Rost et al. 2019). Dafür sind grundlegende Fähigkeiten der Zusammenarbeit wie Teamfähigkeit und Kooperationsbereitschaft notwendig. In ambidextren Organisationen stellt sich die zusätzliche Herausforderung, dass Mitarbeiter aus Exploitationsbereichen mit Mitarbeitern aus Explorationsbereichen kooperieren müssen, deren Subkultur sich wesentlich von der Kultur im eigenen Bereich unterscheidet. Das Sozialverhalten und die Problemlösungsprozesse der Mitarbeiter aus den beiden Bereichen können dadurch wesentlich voneinander abweichen. Führungskräfte sollten möglichst in der Lage sein, zwischen diesen Bereichen im Laufe ihrer Karriere zu wechseln. Dafür sind auch hohe Ausprägungen in den Kompetenzen Beziehungsmanagement und Konfliktfähigkeit notwendig (Rost 2014). Besonders breite Kompetenzprofile benötigen Mitarbeiter, die unter den Bedingungen von kontextueller Ambidextrie arbeiten (Renzl et al. 2012). Neben dem Treffen von zahlreichen und weitreichenden Entscheidungen kann für die Mitarbeiter das Erfüllen von sehr unterschiedlichen analytischen Aufgaben zur Belastung werden. So benötigen beispielsweise Produktentwickler für die Mitarbeit an Forschungsprojekten starke Kompetenzausprägungen im Bereich der Fähigkeiten und vertiefte Kenntnisse in den jeweiligen Fachgebieten. Zugleich arbeiten sie teilweise aber auch sehr eng mit Mitarbeitern aus unterschiedlichen Funktionsbereichen und Kunden zusammen und müssen in konfliktträchtige Kommunikationsprozesse eintreten können (Renzl et al. 2012; Rost 2014).

14.3.4 Fähigkeiten und Personal Um die Mitarbeiter bei dem Aufbau der beschriebenen Kompetenzen zu unterstützen, sollten Organisationen Kompetenzmanagementsysteme aufbauen, in denen das Kompetenzmodell und die Kompetenzprofile mit allen anderen Personalmanagementprozessen verbunden sind (Campion et al. 2011). Aufbauend auf diese Kompetenzmodelle können die Selektions- und Entwicklungsprozesse der Personalabteilung dafür sorgen, dass dem Unternehmen die für Exploitation und Exploration notwendigen Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Dazu müssen die Kompetenzen der derzeitigen Mitarbeiter und externen Bewerber eingeschätzt und den Soll-Profilen für die jeweiligen Stellen gegenübergestellt werden.

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Soweit es bei den Mitarbeitern negative Abweichungen gibt, sollten Maßnahmen ergriffen werden, um diese Kompetenzen zu entwickeln. Ausgangspunkt des Kompetenzentwicklungsprozesses ist somit ein Kompetenzeinschätzungsgespräch, das in der Regel jährlich zwischen Mitarbeiter und Führungskraft stattfindet. Ausgehend von der Abweichung des Ist-Profils vom Soll-Profil wird in Absprache zwischen Mitarbeiter, Führungskraft und der Personalabteilung ein Kompetenz- und Karriereentwicklungsplan entwickelt. Dieser Feedbackprozess ist der erste Schritt der Kompetenzentwicklung (Campion et al. 2011; Rost 2014, 2016). Wie aber können Kompetenzen, dieses Bündel aus Wissen, Fertigkeiten, Werten, Einstellungen und Motivation, aber überhaupt entwickelt werden? Nach der dargestellten Begriffsdefinition handelt es sich bei Kompetenzen um ein Vermögen von Individuen, auch in neuartigen komplexen Situationen selbstständig zu handeln (Heyse und Erpenbeck 2009). Dieses Vermögen ist nicht angeboren, entsteht nicht durch einen Reifungsprozess und kann auch nicht von einer Person an eine andere in einem Lehrprozess weitergegeben werden. Vielmehr müssen sich Personen selbstständig mit einer komplexen Problemstellung auseinandersetzen, eine Lösung erarbeiten und schließlich einen Reflexionsprozess zu den Ergebnissen durchlaufen. Im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und betrieblichen Trainings können Kompetenzentwicklungsprozesse folglich nur angestoßen werden. In diesen Lernformaten findet eine Bereitstellung von Möglichkeiten zum Wissenserwerb und zur Reflexion statt. Für den Kompetenzaufbau müssen die Lernenden dann aber selbst Handeln und dieses Handeln reflektieren (Heyse und Erpenbeck 2009; Rost 2014). Neben Weiterbildungseinrichtungen bieten der Arbeitsprozess, das private soziale Umfeld und zunehmend Multimediaanwendungen im Internet Möglichkeiten zum Kompetenzerwerb. Das Zentrum der betrieblichen Personalentwicklung stellt der Arbeitsprozess dar. Die Funktion der Personalentwicklung ist es, dem Mitarbeiter durch verschiedenartige Aufgaben und Projekte eine gezielte Kompetenzentwicklung zu ermöglichen und diese Arbeitsprozesse durch Reflexionsmöglichkeiten zu begleiten (Briscoe und Hall 1999; Heyse und Erpenbeck 2009). Als sehr lernförderlich können auch die Arbeits- und Problemlösungsprozesse in Arbeitsgruppen und Projektteams bezeichnet werden. Die Kollegen diskutieren Probleme, tauschen Aufgabengebiete, schließen gemeinsam Wissenslücken und geben sich Feedback. Über das Mitwirken in einer Arbeitsgruppe können zudem auch Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Kompetenzen auf organisationalen Ebene ausüben, denn für diese Mitarbeitergruppe wird der Einfluss der individuellen Kompetenzen auf die organisationalen über die Gruppenkompetenz moderiert (Busch und Hobus 2012; Rost 2014; Sprafke et al. 2012). Die beiden Kompetenzforscher Volker Heyse und John Erpenbeck stellen die Möglichkeiten der Kompetenzentwicklung in ihrem ELW-Axiom zusammen. E steht dabei für Ermöglichung, L für Labilisierung und W für Weitergabe (Heyse und Erpenbeck 2009). Fester Bestandteil der Personalentwicklung ist die Weitergabe. Über Trainings, Lehrgänge und weitere Bildungsmaßnahmen werden abseits der eigenen Stelle („off-the-job“) gezielte Impulse für den Erwerb von Fachwissen, neuen Methoden sowie neuen Verhaltensweisen gesetzt (Bühner 2005). Stellenbezogenes Wissen und Fertigkeiten können zudem

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in Lernstätten innerhalb der Organisation erworben werden („near-the-job“) (Bühner 2005). Damit dieses Wissens und die Fertigkeiten mit Werten und Motivation verknüpft werden kann und Mitarbeiter somit Kompetenzen entwickeln können, müssen Organisationen Mitarbeitern die Möglichkeit zum Ausprobieren am Arbeitsplatz („on-the-job“) geben (Bühner 2005; Heyse und Erpenbeck 2009). Kompetenzen werden allerdings nur dann entwickelt, wenn ein Mitarbeiter eine Aufgabe mit den bestehenden Verhaltensweisen nicht lösen kann und selbstständig nach neuen Lösungsmöglichkeiten suchen muss. Heyse und Erpenbeck (2009) sprechen in diesem Zusammenhang von emotionaler Labilisierung. Es muss also zunächst eine Verunsicherung stattfinden, damit routinierte Verhaltensweisen aufgebrochen werden können (Heyse und Erpenbeck 2009). Dieses Experimentieren ist insbesondere wichtig im Hinblick auf Verhaltensweisen und Kompetenzen, die Exploration unterstützen (Birkinshaw und Gibson 2004; Rost 2014). So können beispielsweise Kompetenzen wie Anpassungs- oder Selbstreflexionsfähigkeit bei Auslandentsendungen erworben werden, weil bestehende erfolgreiche Verhaltensweise für die Anwendung in einem neuen Kulturkreis hinterfragt und selbstorganisiert angepasst werden müssen (Briscoe und Hall 1999). Innovationsfähigkeit kann erlernt werden, wenn bestehende Regeln bewusst gebrochen und eigenverantwortlich neue Wege beschritten werden können (Kaschube 2006). In ambidxtren Organisationen müssen jedoch nicht nur Kompetenzen für die Exploitation oder Exploration erworben werden. Vielmehr ist es die Aufgabe der Personal- und Organisationsentwicklung, die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen den Bereichen zu fördern. So sollten Einführungsveranstaltungen und Personalentwicklungsprogramme so ausgelegt sein, dass sich Mitarbeiter aus Bereichen mit Fokus auf Exploitation oder Exploration bei der Teilnahme begegnen (Güttel und Konlechner 2009; Rost 2014). Zudem sollten die Karrieresysteme den Wechsel zwischen den Bereichen begünstigen. So fingen bei einem der betrachteten Automobilzulieferer die Mitarbeiter häufig nach der Promotion in der Forschungsabteilung an und übernahmen im Anschluss ein Team oder eine Abteilung in der Abteilung Produktentwicklung. Weitere Stationen waren teilweise die Übernahme eines produktionsorientierten Tochterunternehmens im Ausland. Durch ihre weiterhin engen Kontakte in die Forschung und Entwicklung konnten sie so zur Nutzung von Forschungsergebnissen in der Produktion beitragen.

14.4 Schlussbetrachtung Im Rahmen des Beitrags sollte gezeigt werden, wie der ETC genutzt werden kann, um die Grundlagen von organisationaler Ambidextrie zu analysieren und für einen Transformationsprozess hin zu einer ambidextren Organisation zu nutzen. Ambidextrie stellt die Fähigkeit einer Organisation dar, eine Balance zwischen Effizienz in der Nutzung der derzeitigen Geschäftsmodelle (Exploitation) und der Entwicklung neuer (Exploration) zu finden (March 1991). Grundlage dieser organisationalen Fähigkeit sind Strukturen, Prozesse,

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Rollen und Führungsstile, Instrumente, Personalführung und insbesondere die Ressource Mitarbeiter mit ihren spezifischen Kompetenzen (Dosi et al. 2008). Durch Analyse der Strukturen kann ermittelt werden, ob die Organisation so aufgestellt ist, dass Exploitation- und Explorationsprozesse sich einerseits nicht gegenseitig behindern und andererseits der Wissensaustausch zwischen diesen Bereichen ausreichend funktioniert. Neben der Aufbauorganisation und den Prozessen sollten dabei temporäre Organisationsstrukturen wie Projekte und soziale Netzwerke in die Analyse mit einbezogen werden. Durch Projekte können beispielsweise Mitarbeiter aus der Forschung und Entwicklung, dem Vertrieb und der Produktion bewusst zusammengebracht werden, um sowohl bestehend Produkte zu verbessern als auch neue Technologien zu entwickeln. Neben Projekten wird die Aufbauorganisation auch durch informelle Netzwerke überlagert, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Diese Netzwerke sind für den Wissensaustausch zwischen Exploitation und Exploration von entscheidender Bedeutung und versetzen Mitarbeiter häufig erst in die Lage, sowohl zu Exploitation als auch zu Exploration beizutragen. Aufbauend auf die Organisationsstrukturen gilt es, die Rollen- und Kompetenzprofile für Exploitation und Exploration zu definieren. Mitarbeiter, die Rollen mit Fokus auf Exploitation haben, benötigen ein anderes Kompetenzprofil als solche mit Fokus auf Exploration. Ein besonders breites Kompetenzprofil benötigen Mitarbeiter, die sowohl Beiträge zu Exploitation als auch zu Exploration leisten. Zudem müssen diese Mitarbeitergruppen unterschiedlich geführt werden. Im Rahmen der ETC-Dimension „Fähigkeiten und Personal“ kann schließlich betrachtet werden, wie Kompetenzmanagement Ambidextrie unterstützt. Um Kompetenzen für Exploration wie Risikobereitschaft, Eigeninitiative oder Selbstreflexionsfähigkeit zu entwickeln, müssen Möglichkeiten zum Experimentieren geschaffen werden. Projektarbeit oder Auslandsentsendungen eignen sich dafür besonders gut. Die Verknüpfung zwischen Exploitation und Exploration kann durch die Personalentwicklung gefördert werden, indem Mitarbeiter aus beiden Bereichen im Rahmen der Personalentwicklung beispielsweise an Einführungstagen, Seminaren oder im Rahmen der Projektarbeit zusammengebracht werden.

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14  Mit Kompetenzmanagement die Strategie und Innovationsfähigkeit des …

299

Dr. Martin Rost  ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für ABWL und Organisation an der Universität Stuttgart und forscht zu Rollen von verschiedenen Mitarbeitergruppen bei der Entstehung von dynamischen Fähigkeiten von Unternehmen, temporären Organisationsstrukturen, Innovationsprojekten und Kompetenzmanagement. In seiner Doktorarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München bei Prof. Dr. Dr. h.c. Lutz von Rosenstiel führte er die psychologische Kompetenzforschung mit dynamischen Fähigkeiten von Organisationen, ein Konzept aus dem strategischen Management, zusammen. Von 2013 bis 2014 war er Assistant Professor für Personal und Organisation an der ­Privatuniversität Schloss Seeburg (Salzburg/ Österreich). Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit berät er Unternehmen zu Themen in den Bereichen Personal- und Organisa­ tionsentwicklung.

Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz: Einblicke in Lösungen für kritische Herausforderungen im Unternehmensalltag

15

Horst Albert Guthmann und Catherine Obert

Inhaltsverzeichnis 15.1  Wandel und Handlungsdruck als unternehmerischer Alltag  15.2  Der Beratungsansatz zur Steigerung der Handlungsfähigkeit  15.3  Enterprise Transformation Cycle als Handlungsrahmen  15.4  Die Verknüpfung des ETC mit dem G&G-Beratungsansatz  15.5  Einsatz des erweiterten ETC in der Beratungspraxis  15.6  Vor- und Nachteile im Einsatz des erweiterten ETC  15.7  Schlussbetrachtung  Literatur 

 302  302  304  305  309  316  317  318

Zusammenfassung

Dieser Beitrag zeigt an konkreten Beispielen, wie der Entreprise Transformation Cycle (ETC) in der Beratungspraxis wertvolle Impulse zur Strukturierung bietet und Empfehlungen für Kunden leicht nachvollziehbar macht. Die einfache Systematik, klaren Begriffe und einfachen Strukturen unterstützen die Arbeit gerade auch in räumlich getrennten Kundenteams. Die Beiträge Einzelner werden überschneidungsfrei und die nahtlose vollständige Bearbeitung der Aufgabenstellung ist gesichert (MECE ‚mutually exclusive and collectively exhaustive‘). Der ETC unterstützt darüberhinaus, die Beiträge der TCI-Experten zum NutH. A. Guthmann (*) G&G Management Consultants, Düsseldorf, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Obert G&G Management Consultants, Düsseldorf, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_15

301

302

H. A. Guthmann und C. Obert

zen der Kunden effektiv zusammenzuführen. Zur Abbildung der spezifischen Stärken des G&G-Beratungsansatzes kommt der ETC in einer erweiterten Form zum Einsatz. Die G&G Management Consultants sind Partner der TCI Transformation Consulting International. Werden in konkreten Projektsituationen spezifische Kenntnisse gefragt, die aktuell nicht im G&G-Team vorgehalten werden oder in anderen Projekten gebunden sind, werden ausgewählte TCI-Partner eingebunden. Die Leistungsfähigkeit des TCI-Netzwerks wird durch gemeinsame Projekte, Fort- und Weiterbildung und nicht zuletzt durch die Transformation-Expertise der Partner gestärkt. Die Kunden der TCI profitieren vom Zugriff auf 380 spezialisierte Partner. Die Partner sind unabhängige Experten und Beratungsgesellschaften in von Kunden gesuchten Nischen als echte Alternative zum Angebot internationaler Beratungskonzerne.

15.1 Wandel und Handlungsdruck als unternehmerischer Alltag Die Entwicklungen der letzten Jahre wie Globalisierung und Digitalisierung haben den Handlungsdruck für Unternehmen erhöht. Im unternehmerischen Alltag schlägt sich das insbesondere durch vier interagierende Herausforderungen nieder, für die sich das Akronym VUKA (VUCA) durchgesetzt hat: Volatilität (Volatility), Unsicherheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Ambiguität (Ambiguity) (vgl. Bennett und Lemoine 2014). Strategien, jeder dieser Schwierigkeiten einzeln zu begegnen, wurden hinlänglich diskutiert, jedoch greifen sie zu kurz (Millar et al. 2018). In der Konsequenz bedeutet dies, dass es sich nur in seltenen Fällen vollständig und abschließend als geeignet erweist, reine digitale Entscheidungen, die auf Fakten basieren, über strategische Pläne in steuerbaren Maßnahmenkatalogen umzusetzen. Analoges Analysieren, Bewerten, Testen, Entscheiden und Controlling nimmt mehr Raum ein. Visionen werden dabei in iterativen Schritten mit höherer Fehlertoleranz und hoher Einbindung von Kunden und Mitarbeitern ausprobiert und umgesetzt. Gerade zu Beginn der weltweiten Pandemie war dies entscheidend, da keine Erfahrungen aus vergleichbaren Situation vorlagen. Das Ausmaß der Krise hat den Handlungsdruck zur Lösung auch bereits bekannter, verschleppter Probleme erhöht. Das räumlich getrennte Arbeiten ist unternehmerischer Alltag.

15.2 Der Beratungsansatz zur Steigerung der Handlungsfähigkeit Um der VUKA-Herausforderung adäquat zu begegnen, steht die systematische Steigerung der Handlungsfähigkeit von Kunden und die Hilfe zur nachhaltigen Selbsthilfe von Unternehmen im Mittelpunkt des nachfolgend im Überblick skizzierten Beratungsansatzes der G&G Management Consultants (siehe auch Abb. 15.1). Die Handlungsfähigkeit der Unternehmen wird über vier Stellhebel gesteigert Geschäft & Technologie Die Stärke im G&G-Beratungsansatz liegt in der Kombination aus strategisch nachhaltigem Denken und dem pragmatischen direkten Umsetzen. Dabei wird systematisch

15  Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz: Einblicke in Lösungen für …

303

Lösung & Lösungsweg

Geschäft & Technolgie

Innovation & Effizienz

Struktur & Kultur G&G

MANAGEMENT CONSULTANTS EST 2004

Abb. 15.1  Der Beratungsansatz der G&G Management Consultants auf einen Blick. (Quelle: G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)

das Potenzial der Technologie für das Geschäft des Kunden genutzt und in der Umsetzung die Schnittstelle zur IT-Implementierung überbrückt. Lösung & Lösungsweg Die G&G unterstützt Kunden in ihren Herausforderungen durch konkrete Lösungsvorschläge, innovative Ideen und erprobte Erfahrungen wie Benchmarks und Best-Practice-­ Ansätze. Darüber hinaus unterstützt die G&G Unternehmen auf dem Lösungsweg mit innovativen und bewährten Methoden und Werkzeugen. Innovation & Effizienz Um Herausforderungen zu begegnen, können innovative oder effizienzorientierte Methoden und Werkzeuge gewählt werden. Bei der Frage nach der richtigen Lösung und dem Lösungsweg werden systematisch innovative Ansätze (z.  B.  Design Thinking, Sprints, Prototypes) oder effiziente Ansätze (wie Prozessoptimierung, Benchmarking oder Best-­ Practice-­Ansätze) gewählt und kombiniert. Struktur & Kultur Erfolgreiche Umsetzung heißt nicht nur Können, sondern gerade auch Wollen. Über strukturelle Maßnahmen wie Optimierung von Prozessen, Strukturen und Technologie werden die Grundlagen für den Erfolg gelegt. Kulturelle, kommunikative und emotionale Maßnahmen, tragen dazu bei, die Menschen einzubinden, mitzunehmen und zu begeistern. Der G&G-Beratungsansatz zur engpassorientierten Hilfe zur Selbsthilfe sorgt dafür, dass die Kunden ihren unternehmerischen Spagat leichter meistern: gleichzeitig innovativ und effizient zu sein, strategisch nachhaltig und direkt umzusetzen und dabei systematisch das Technologiepotenzial fürs Geschäft zu nutzen. Die Befähigung zur Neuerung wird durch den „Zug“, den Willen zur Umsetzung, gestärkt. Zentraler Anspruch des Beratungsansatzes ist, dass im Rahmen der Umsetzung von Veränderungen auch das Unternehmen selbst nachhaltig vorangebracht wird. Unter den dargestellten Rahmenbedingungen sind die Innovationskraft und das Verständnis zur kontinuierlichen Verbesserung wesentlich für die Steigerung der Handlungsfähigkeit. Für

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H. A. Guthmann und C. Obert

Unternehmen, die sich agiler aufstellen möchten, haben sich drei mögliche Vorgehensweisen bewährt (Brosseau et al. 2019): A. Die Neuausrichtung über ein unternehmensweites Bekenntnis zur Steigerung der Innovationskraft; Agilität über eine Serie von Transformationswellen. B. Die Weiterentwicklung über eine systematische, schrittweise und subtile Vorgehensweise. C. Die organische Herausbildung von agilen Fähigkeiten, Prozessen und Strukturen aus operativen Arbeiten. Im Rahmen der Zusammenarbeit im Projektgeschäft werden zunächst die Möglichkeiten zur organischen Weiterentwicklung genutzt (vgl. C). Die bewährte Vorgehensweise, früh zu testen, auszuprobieren und mit Prototypen zu arbeiten, bildet auch die Grundlage für weitere Entwicklungsschritte der Organisation. Sofortmaßnahmen mit Signalwirkung und Erfolgsgeschichten unterstützen dabei, Menschen für die Transformation zu begeistern. Als Nebenprodukt liefert das Vorgehen im Regelfall Blaupausen, die genutzt werden können, um eine klare Vision und Ausblicke auf die Veränderung im gesamten Unternehmen zu vermitteln (vgl. Vorgehensweise A und B). Iterativ werden die Aspekte der Blaupause geschärft, zunehmend können mehr Einheiten oder agile Zellen des Unternehmens eingebunden werden.

15.3 Enterprise Transformation Cycle als Handlungsrahmen Für die Abbildung des G&G-Beratungsansatzes liefert der Enterprise Transformation Cycle (ETC) (Pfannstiel und Steinhoff 2018) mit seiner Vollständigkeit und Flexibilität grundsätzlich einen geeigneten Handlungsrahmen. Der ETC ist ein umfangreiches Modell und deckt alle Facetten einer Organisation ab. Werte, Visionen, Prinzipien stehen im Zentrum. Diese schaffen den kulturellen Nährboden für die Ausgestaltung von Strategie, Strukturen, Prozessen und den Einsatz von Menschen und Technologien mit der erforderlichen Governance. Diese Bausteine können sequenziell bearbeitet werden, erlauben aber auch jederzeit den Sprung auf vor- und nachgelagerte Bausteine. Sie stehen in Abhängigkeit und können auch kombiniert gestaltet werden. Insbesondere in der VUKA-Welt ist dies von entscheidendem Vorteil, da so ein iteratives Vorgehen problemlos möglich ist. Der ETC unterstützt unterschiedlichste Vorgehensweisen. Beispielsweise kann der ETC für Top-down-Vorgehensweisen genutzt werden, bei der von der Strategie abgeleitet die einzelnen Elemente ausgestaltet werden. Andererseits unterstützt der ETC auch eine Bottom-up-Erarbeitung, bei der oft auch iterativ auf Basis von Prozessen und Fähigkeiten mögliche Produkte, Services oder zukünftige Strategien entwickelt werden. Das Konzept des Enterprise Transformation Cycles klärt jedoch nicht nur die Frage nach dem Was (verändert werden soll), sondern dient auch als Leitfaden für das Wie (die Transformation vonstattengehen sollte) (vgl. Steinhoff 2018, S. 18). Stets ausgehend von der Phase Envision wird der Change-Prozess über die weiteren Phasen Engage, Transform und Optimize geleitet.

15  Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz: Einblicke in Lösungen für …

305

15.4 Die Verknüpfung des ETC mit dem G&G-Beratungsansatz Um die spezifischen Anforderungen des G&G-Beratungsansatzes abzubilden, der auf die Steigerung der Handlungsfähigkeit und auf die Hilfe zur Selbsthilfe der Kunden abzielt, werden an das Was und Wie des ETC-Handlungsrahmens zwei weitere Fragen gestellt (siehe Abb. 15.2). Wozu? – Wozu erfordert die Umsetzung der Strategie eine Durchbruchsinnovation oder den Modus der Effizienzorientierung bzw. welcher Modus ist entlang der vier Phasen erfolgskritisch? Womit? – Mit welchen strukturellen und kulturellen Maßnahmen wird das Veränderungsmanagement entlang der vier Phasen abgesichert?

15.4.1 Wozu? Oder die Wahl des geeigneten Modus: Effizienz oder Innovation Die unternehmerische Praxis steht vor dem Zwiespalt zwischen dem Einsatz eher inkrementeller Umsetzungsmodelle („exploit“) und deutlich disruptiver Umsetzungsformen („explore“). Handelt es sich um eine innovative Aufgabe, bei der das Unternehmen Neuland betritt, steht der Explore-Modus im Mittelpunkt. Das Unternehmen agiert wie ein Start-up, nutzt

BUSINESS TRANSFORMATION Strategy WAS:

Governance

Values & Principles

Systems & Tools

Processes Organization

People WIE:

Envision

Engage

WOZU:

Effizienz

WOMIT:

Strukturelle

Transform

Ambidextrie

G&G

Transformation

Optimize Innovation Kulturelle

MANAGEMENT CONSULTANTS EST 2004

Abb. 15.2  Verknüpfung des Enterprise Transformation Cycle mit dem G&G-Beratungsansatz. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012; S. 45; Pfannstiel und Steinhoff 2018; G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)

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agile Methoden wie Design Thinking und zeitlich befristete Sprints zur Bearbeitung von Aufgaben. Zunächst vage Zielvorgaben schärft der Product Owner kontinuierlich auf Basis von Zwischenergebnissen, die früh mit Kunden erprobt werden. Hierzu werden mit hoher Risiko- und Fehlertoleranz in frühen Phasen Prototypen, MVP („mininal viable products“), entwickelt. Ein freigestelltes Team arbeitet selbstverantwortlich einen Backlog von Aufgaben ab. Soll jedoch die Effizienz in bestehender Struktur und vorhandenen Prozessen gesteigert werden, wird der Exploit-Modus mit klassischen Projektinstrumenten und einem am Wasserfallmodell orientierten Vorgehen in der Regel kostengünstiger und schneller zu besseren Ergebnissen führen. In der Forschung hat sich der Begriff der organisationalen Ambidextrie dafür verankert (vgl. Tushman und O’Reilly 1996); von (der Führung von) Organisationen wird „Beidhändigkeit“ in Bezug auf die erfolgreiche Zukunftsausrichtung verlangt. Das bedeutet, dass gleichzeitig das Kerngeschäft weiter optimiert und vorangetrieben wird, um letztlich auch die Mittel für eine Öffnung hin zu neuen Technologien zu erwirtschaften (vgl. Duwe 2018, S. 24). In diesem Kontext entwickelten Kretschmer und Schäfer (2018) ein „Pol-Modell“. Dabei werden aus der Systemtheorie die zwei grundsätzlichen Gewinnstrategien, Bester oder Erster zu sein, dargestellt. Da nicht jeder Systemzustand dauerhaft stabil ist, stehen Unternehmen vor der Herausforderung, einen neuen, stabilen Zustand entweder über Effizienzoder Innovationsorientierung zu erreichen. Mit diesem Bewusstsein ist der tatsächliche Weg vom Ist zum Ziel zwischen den Extremen zu wählen oder zu überprüfen. Kontextuell wird die gewählte Denk- und Arbeitsweise stärker durch Effizienzorientierung, dem Exploit-­Modus, oder durch Innovationsorientierung, dem Explore-Modus, geprägt (vgl. Abb. 15.3). Durch eine geeignete Organisation können Unternehmen grundsätzlich von beiden Strategien profitieren. Dabei kommt es darauf an, welche Ziele und Anforderungen für den

Abb. 15.3  Ambidextrie: Die Herausforderung, gleichzeitig effizient und innovativ zu sein. (Quelle: Kretschmer und Schäfer 2018; G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)

Effizienz-Orientierung

Ist

Ziel

Innovations-Orientierung G&G

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15  Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz: Einblicke in Lösungen für …

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Wandel im Mittelpunkt stehen. Statt der Wahl „des einen Umsetzungsmodells“ geht es vielmehr darum, eine klare Vision mit hoher Flexibilität bezüglich der Umsetzungsmodelle zu kombinieren und moderne Denk- und Arbeitsweisen in der Organisation zu verankern. Die internationale Studie „Being Lean and Seen“ setzt sich in Zusammenarbeit von Praxis und Forschung mit der Frage auseinander, welche Fähigkeiten, Prozesse und Strukturen erforderlich sind, damit Unternehmen der Anforderung gerecht werden, gleichzeitig im innovativen und effizienten Modus agieren zu können (LJMU 2019). Ein flexibles Umsetzungsvorgehen erlaubt, den Modus zu wechseln, Mischformen einzusetzen oder z. B. in zeitlich parallelen Sprints unterschiedliche Modi zu wählen. Vorhaben können in Phasen klassisch über einen Wasserfall geplant werden, innerhalb der Phasen kommen dann agile Methoden zum Einsatz (siehe Abb. 15.4). Unabhängig davon, ob eine Transformation agil oder traditionell, im Explore oder Exploit-­Modus oder über hybride Ansätze umgesetzt wird, sind zwei Aspekte kritisch. Einerseits müssen alle wesentlichen Bausteine der Veränderung abgedeckt sein, anderseits ist ein iteratives Vorgehen sicherzustellen. Gerade agile Veränderungsprozesse gehen davon aus, dass nicht alles im Voraus bekannt und planbar ist, und der beste Weg der Transformation die Anpassung in der Implementierung ist. Wie dargestellt gibt es keinen allgemeingültigen Ansatz zur Umsetzung von Veränderungen. Daher ist entscheidend, dass der ETC die Ambidextrie in zweierlei Hinsicht unterstützt: 1. In den vier Phasen der Umsetzung kann jeweils unabhängig auch für Aufgabenpakete geprüft werden, in welchem Modus/Umsetzungsmodell gearbeitet wird. 2. Über die Gestaltungselemente des ETC-Circle wird sichergestellt, dass die Voraussetzungen hierfür geschaffen werden (z. B. erforderliche Governance).

Engage: Projekt-Setup

1

2

2 3

Envision: Design Thinking G&G

Optimize: KVP mit Kanban

2 4

5

Transformation: Scrum

MANAGEMENT CONSULTANTS EST 2004

Abb. 15.4  Beispiel kontextueller Ambidextrie in den vier Phasen der Transformation. (Quelle: Guthmann et al. 2019; G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)

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H. A. Guthmann und C. Obert

15.4.2 Womit? Oder der richtige Mix aus strukturellen und kulturellen Maßnahmen In der Transformation, dem Veränderungsprozess, kommt eine Kombination aus handwerklich sauberen strukturellen sowie kulturellen Maßnahmen zum Einsatz. Die strukturelle Transformation schafft die erforderlichen betriebswirtschaftlichen Grundlagen für eine erfolgreiche Umsetzung von Zielen. Die Ziele, der Business Case und die Messgrößen für die Erfolgsmessung sind klar und transparent. Über die Weiterentwicklung der Prozesse und der Organisation und die erforderliche Infrastruktur wird die Zielerreichung abgesichert. Erfolgreiche Umsetzung erfordert, neben diesen strukturellen Maßnahmen, Menschen zudem über systematische kulturelle Maßnahmen einzubinden (siehe Abb. 15.5), mitzunehmen und zu begeistern. Empirische Studien belegen, dass die Qualität der Unternehmenskultur einen messbaren Einfluss auf den Erfolg von Unternehmen hat (vgl. McGregor und Doshi 2015). Entscheidend ist dabei die Motivation der Mitarbeiter. In diesem Zusammenhang sprechen McGregor und Doshi (2015) auch von Total Motivation (ToMo) und unterscheiden sechs Motive von Menschen, die Einfluss auf den Erfolg von Unternehmen haben. Drei Aspekte haben dabei einen positiven Beitrag. Die Möglichkeit, sich zu verwirklichen, Sinn in der Aufgabe und die Chance zur persönlichen Weiterentwicklung zu finden. Kulturelle Maßnahmen setzen daran an, diese skizzierten drei Aspekte zu fördern und die drei negativen Einflüsse aus emotionalem und wirtschaftlichem Druck und Trägheit zu managen. Im Rahmen von Transformationen gilt es, eine Kombination von Maßnahmen zu wählen, die die drei positiv wirkenden Motive fördern und die potenziellen Risiken der drei negativen Motive reduzieren. Strukturelle Maßnahmen ermöglichen das „Können“,

Vision, Werte, Prinzipien, …

Erforderliche Infrastruktur

Kommunikative Maßnahmen

Optimierung Organisation

Vertrauen, Mitarbeiterverantwortung

Optimierung Prozesse

Erfolg und Emotionale Momente

Ziele, Business Case, KPIs, … … G&G

… MANAGEMENT CONSULTANTS EST 2004

Abb. 15.5  Aspekte der strukturellen und kulturellen Transformation im Überblick. (Quelle: G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)

15  Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz: Einblicke in Lösungen für …

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kulturelle fördern das „Wollen“. Strukturelle und kulturelle Maßnahmen stehen in engem Zusammenhang und verstärken sich, sofern aufeinander abgestimmt, gegenseitig.

15.5 Einsatz des erweiterten ETC in der Beratungspraxis Im Folgenden werden Beispiele aus der Beratungspraxis dargestellt. Dabei wird jeweils anhand von konkreten Projektfragestellungen aufgezeigt, wie der erweiterte ETC unterstützen konnte, den Handlungsdruck über die Entscheidung für und die Umsetzung von kritischen Maßnahmen aufzulösen. In allen Projektbeispielen wurden Lösungen erarbeitet und der Projekterfolg gesichert, indem die vier Stellhebel mit der jeweils dualen Perspektive des G&G-Beratungsansatzes (vgl. Abschn. 15.2) systematisch zum Einsatz gebracht wurden (siehe Abb. 15.6). Alle Projekte der G&G Management Consultants vereint der Anspruch, über die Maßnahmen Wachstum, Innovation und Effizienz zu sichern. Darüber hinaus handelt es sich um einmalige, dringende und neue Herausforderungen mit hoher wirtschaftlicher Bedeutung. Aufgrund der spezifischen Herausforderung der Projekte ergibt sich die Möglichkeit, die Dimensionen des erweiterten ETCs an konkreten Beispielen zu skizzieren. Die Rolle des „Was“ wird in Abschn. 15.5.1 am Beispiel der „Prüfung von Outsourcing von Managed Services der IT eines Versicherungskonzern“ skizziert. Erfolgskritisch war insbesondere die Kombination aus geschäftlicher und technologischer Perspektive. Abschn.  15.5.2 skizziert das Projekt „Pre-Merger Harmonisierung Betriebsmodell von zwei Standorten über die Einführung einer neuen IT-Plattform“. Die Frage nach dem

Lösung & Lösungsweg → das WIE im ETC

Geschäft & Technolgie

Innovation & Effizienz

→ das WAS im ETC

→ das Wozu im ETC

Struktur & Kultur → das WOMIT im ETC → Der ETC unterstützt die vier Dimensionen im Vorgehen der G&G G&G

MANAGEMENT CONSULTANTS EST 2004

Abb. 15.6  Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz dargestellt an Projektbeispielen. (Quelle: G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)

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H. A. Guthmann und C. Obert

„Wie“ steht im Mittelpunkt, da Beiträge zu Lösung und Lösungsweg den Projekterfolg entscheidend sicherten. Abschn. 15.5.3 zeigt ein Projektbeispiel zum „Aufbau eines Bank-­ Ökosystems in einem europäischen Testmarkt“. Hier wird herausgestellt, wie die Wahl des Vorgehens, das „Wozu“, innovations- oder effizienzgetrieben zu arbeiten entscheidend ist, den Erfolg eines Projekts zu sichern. Das Projektbeispiel in Abschn. 15.5.4 skizziert die „Absicherung der Einführung einer vorkonfigurierten Standard ERP-Lösung über Organizational Change Management“ (OCM). Im Fokus steht das „Womit“ die Kombination aus kulturellen und strukturellen Umsetzungsmaßnahmen.

15.5.1 Was? Beispiel Outsourcing Managed Services Level 1, 2 und 3 Im Folgenden wird die Rolle des „Was“ anhand einer typischen Projektfragestellung der G&G dargestellt, in der die Kombination der Perspektive Geschäft und Technologie entscheidend ist. Ein internationaler Versicherungskonzern beauftragte eine weltweit führende Top-­ Management-­Beratung mit dem Benchmarking der IT-Kosten nach Geschäftsbereichen. Die IT-Kosten im Asset Management, das sowohl für den Konzern als auch für Drittkunden arbeitet, waren im Vergleich zu einer internationalen Peer-Group von Asset Managern signifikant höher. Das Management beauftragte die Prüfung des kompletten Outsourcings der IT-­Services (Level 1, 2 und 3) inklusive Infrastruktur für die Applikationslandkarte im Asset Management. Die G&G unterstütze den Product Owner zunächst in der Erarbeitung des Lastenheftes. Hierzu wurden gezielt relevante Teile des ETCs durchlaufen. Das Outsourcing dient der Umsetzung der Strategie. Ziel ist zum einen, die Kosten zu senken und zum anderen, die hohe Kundenzufriedenheit aufrecht zu erhalten, die regelmäßig in internen Befragungen bestätigt wurde. Stärken des internen Dienstleisters lagen in der Flexibilität und der hohen Leistungstiefe, jedoch konnten die vereinbarten Servicelevel, insbesondere bezogen auf die Systemstabilität und Verfügbarkeit, nicht durchgängig eingehalten werden. Neben der Skizze der Strategie und der Leistungen inklusive der geforderten Servicelevel wurden im Lastenheft die Ist-Prozesse, die Verantwortlichkeiten (RACIs), insbesondere an der Schnittstelle zwischen IT und Fachbereich, die Ressourcenverteilung sowie die Applikationen inklusive der technischen Infrastruktur beschrieben. An der Ausschreibung zur kompletten Übernahme des Application Managed Services (AMS) in Level 1, 2 und 3 (inklusive Infrastruktur) nahmen international führende IT-Dienstleister teil. Neben dem kaufmännischen Angebot wurden die Dienstleister aufgefordert, alle Bausteine des ETC (vgl. Abb. 15.7) für die Transformation und für das zukünftige Operationsmodell zu beschreiben. Die Struktur des ETCs erleichterte es, die umfangreichen Angebote zu vergleichen. Im Ergebnis zeigten alle Angebote, dass eine Leistungsübernahme nur über eine stärkere Standardisierung und Schärfung der Prozesse und Verantwortlichkeiten insbesondere

15  Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz: Einblicke in Lösungen für …

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an der Schnittstelle zwischen der IT-Leistung und dem Fachbereich (hier: Asset Management) darstellbar wären. Ohne Überarbeitung der Governance war kein Dienstleister bereit, die Servicelevel zu garantieren. Da unter Berücksichtigung der Transformationskosten kein Angebot eine Kostenentlastung darstellte, wurde auf das Outsourcing verzichtet. Stattdessen wurde ein Programm zur Weiterentwicklung der internen Leistungsfähigkeit und zur Senkung der IT-Kosten aufgelegt. Die Erkenntnisse aus der Ausschreibung lieferten wesentliche Impulse für die Weiterentwicklung des IT-Betriebsmodells. Das Durchlaufen aller Bausteine des ETC ermöglichte die systematische Ausgestaltung des zukünftigen IT-Betriebsmodells.

15.5.2 Wie? Beispiel Harmonisierung der Standorte über die IT-­Infrastruktur Das folgende Projektbeispiel „Pre-Merger Harmonisierung Betriebsmodell von zwei Standorten über die Einführung einer neuen IT-Plattform“ illustriert den Beitrag der G&G zur Frage nach dem „Wie“. Entscheidender Nutzen der G&G im Projekt sind sowohl inhaltliche Beiträge zur Lösung als auch zur Wahl des Lösungswegs. Eine Geschäftsbank plante den Verkauf bzw. die Abspaltung ihres Kapitalmarktgeschäfts mit mehreren internationalen Standorten. Kritische Voraussetzung hierzu war die Harmonisierung des Geschäfts, insbesondere auch bezogen auf die Bewertung und das Risikomanagement der Positionen. Der Vorstand beauftragte die G&G, den internen Product Owner bei der Harmonisierung des größten internationalen Standorts an der Wallstreet mit dem Kapitalmarktgeschäft am Headquater in Deutschland zu unterstützen. Ziel war es, im zweiten Schritt die verbleibenden internationalen Standorte mit gleicher Logik und gleichem Vorgehen ­einzubinden.

BUSINESS TRANSFORMATION Strategy Governance Systems & Tools

Values & Principles

Processes

Organization

People G&G

MANAGEMENT CONSULTANTS EST 2004

Abb. 15.7  Projektbeispiel Einsatz des Enterprise Transformation Cycle zur Unterstützung des Product Owner. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45; Pfannstiel und Steinhoff 2018)

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H. A. Guthmann und C. Obert

Envision

Enagage

Transform

Optimize

Kritische Fragen für die Projektplanung und für einzelne Phasen: • Wo ist der Engpass, welche Aspekte des ETC sind erfolgskritisch? • Wie instabil und komplex ist die Ausgangs-Situation? • Wie unsicher, uneindeutig sind die Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge? • Inwiefern erfordert die Problemlösung eine Durchbruchs-Innovation? • Wie schnell sind Lösungen für die Herausforderungen zu erarbeiten? • … G&G

MANAGEMENT CONSULTANTS EST 2004

Abb. 15.8  Projektbeispiel Einsatz des Enterprise-Transformation-Cycle-Vorgehensmodells in der Projektplanung. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45; Pfannstiel und Steinhoff 2018; G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)

Als Projektvorgehen wurde ein einfaches Vier-Phasen-Modell (siehe Abb. 15.8) analog des ETC gewählt. Die Planung der Phasen erfolgte systematisch mit dem Ziel, möglichst effizient und damit kostengünstig und planbar den Auftrag zu erfüllen. Gleichzeitig war die Fragestellung nicht nur kompliziert, sondern auch komplex, sodass ausreichend Flexibilität in der Planung erforderlich war. Darüber hinaus war das Management offen für innovative Ansätze, die bisher nicht vollzogene Harmonisierung über das Projekt umzusetzen. In einer kurzen Vorphase (Envision) von drei Wochen wurden die Grundlage für den Projekterfolg gelegt und die mögliche Lösung und der Lösungsweg erarbeitet. In der zweiten Phase (Engage) wurden alle relevanten Stakeholder eingebunden und der Handlungsbedarf erarbeitet, bevor die eigentliche Transformation (Phase 3) durchgeführt wurde. Die Phase 4 diente zunächst der Absicherung der Projektergebnisse (z. B. Hypercare nach Migration in neuer IT-Infrastruktur) und dem Einstieg in die weitere Optimierung. An ausgewählten Beispielen wird im Folgenden kurz skizziert, welche Beiträge der G&G erfolgskritisch zur Lösungsfindung und zur Auswahl des Lösungswegs waren. Bereits in Phase 1 wurde klar, dass ohne Vereinheitlichung der IT-Plattform eine Harmonisierung nicht möglich ist. Als Lösungsansatz wurde die Komplettablösung der IT-Plattform an dem Standort vereinbart mit dem Ziel, damit auch die Prozesse inklusive Risikomanagement und Bewertung zu vereinheitlichen. Als Anspruch wurde vereinbart, dass die IT-Plattform im Sinne einer „Vorkonfigurierten Lösung“ möglichst ohne standortspezifische Anpassungen eingesetzt werden soll. Als Lösungsweg wurden folgende Bausteine durch die G&G vorgeschlagen, vereinbart und im geplanten Zeitrahmen umgesetzt:

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• Aufbereitung und gezielte Optimierung/Schärfung des Status quo im Headquater im Sinne einer Blaupause für das Kapitalmarktgeschäft an allen Standorten • Durchführung einer GAP-Analyse je Standort zur Überprüfung und, sofern zwingend erforderlich, Berücksichtigung der Ansätze zur Weiterentwicklung/Schärfung der Blaupause • Bereitstellung der vorkonfigurierten Lösung und die interaktive Konfiguration der IT-Plattform über den Workshop Arbeit am jeweiligen Standort • Bereitstellung einer parallelen Testumgebung zum täglichen Abgleich der End-to-End-­ Prozesse und Bewertung mit der Produktivumgebung parallel zur Projektlaufzeit • Durchführung von Betriebssimulationen in der parallelen Testumgebung sowie eines Probelaufs drei Wochen vor Go-live zur Überprüfung der Operational Readiness Die G&G stellte ein internationales funktionsübergreifendes Team von internen und externen Experten zusammen. Die dargestellten Lösungsbausteine (Blaupause, GAP-­ Analyse, Lastenheft, Prototyp, Customizing und teilweise Konfiguration und gezielte Weiterentwicklung der Plattform) wurden unter der Führung der G&G umgesetzt. Die konkreten Vorschläge für Lösung und Lösungsweg der G&G wurden in einer offenen, vertrauensvollen, funktionsübergreifenden Projektarbeit geprüft, getestet, ausgestaltet, entschieden und die Wirksamkeit controllt. Die umfassende Einbindung aller Stakeholder über strukturelle und kulturelle Maßnahmen wurde sichergestellt. Auch durch die Unterstützung des Top-Managements wurden die Projektziele erreicht.

15.5.3 Wozu? Beispiel Aufbau eines Bank-Ökosystems in neuem Zielmarkt Im Folgenden wird am Beispiel „Aufbau eines Bank-Ökosystems in einem europäischen Testmarkt“ die Bedeutung des „Wozu“ dargestellt. Um ressourcenschonend und möglichst schnell Ergebnisse zu erarbeiten, ist entscheidend, ob kontextuell eher innovations- oder effizienzgetriebene Methoden und Werkzeuge gewählt werden. Marktanteilsgewinne von Direktbanken sowie hohe Kosten im traditionellen Geschäftsbetrieb bei sinkenden Zins- und Provisionserträgen stellen traditionelle Geschäftsmodelle infrage. Der EU-Pass erlaubt es europäischen Banken, auch im europäischen Ausland Bankgeschäfte zu betreiben. Der Vorstand eines etablierten Finanzdienstleisters mit bundesweitem Filialnetz beauftragte einen internen Product Owner, mit der Unterstützung durch G&G ein innovatives digitales Bank-Ökosystem für den Markteinstieg in einen europäischen Testmarkt zu entwickeln. Der Product Owner wurde aufgefordert, mit Unterstützung der G&G einerseits ähnlich wie ein Start-up zu agieren, andererseits die Umsetzbarkeit innerhalb eines Bankkonzerns mit klaren Meilensteinen abzusichern.

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H. A. Guthmann und C. Obert

Die Herausforderung bestand darin, mit dem Geschäftsmodell sowohl eine Durchbruchsinnovation mit wirklich neuem Strategie- und Operationsmodell zu erarbeiten als auch auf bewährte Leistungen und Services, die das heutige Ökosystem ausmachen, aufzusetzen. Hierfür wurden Vorgehen und Methodik hybrid gewählt. Das Vorhaben wurde in logische Abschnitte aufgeteilt. Die Freigabe der Abschnitte erfolgte jeweils durch ein Entscheidungsgremium unter Einbindung des Vorstands. Für die Freigabe des Geschäftsmodells inklusive der erforderlichen Budgets für den tatsächlichen Markteintritt war ein Aufsichtsratstermin geplant. Innerhalb der Abschnitte wurde nach Themenstellung entschieden, wie die Ergebnisse zu erarbeiten sind, so konnten die oben dargestellten Vorteile der kontextuellen Ambidextrie genutzt werden. Abb. 15.9 visualisiert, dass grundsätzlich der Innovationsmodus gewählte wurde, jedoch wie nachfolgend skizziert kontextuell effizienzorientierte Methoden oder auch innovationsorientierte Ansätze mit effizienzorientierten Aspekten zum Einsatz kamen. Ein solcher Modus wird auch als hybrid bezeichnet (vgl. LJMU  – Liverpool John Moores University 2019). Kontextuelle Ambidextrie – hier Beispiel für Innovationsmodus im Projekt Design Thinking Workshops dienten zum Einstieg und zum Aufbau eines ersten Product Backlogs. Der Nutzen eines digitalen Ökosystems wurde im Verlauf iternativ mit einem Panel von Personen im Zielkundensegment diskutiert. Die Bedarfe und der Nutzen der Plattform über Prototypen geschärft. Für die eigentliche Projektarbeit wurde bewusst ein Scrum-Vorgehen gewählt. In zweiwöchigen Sprints wurden Aufgaben aus dem Product Backlog abgearbeitet. Ein gesetztes gemischtes Team von fünf Experten des Kunden und der G&G zog, je nach Sprint, weitere interne und externe Experten hinzu. Beispiele aus dem Product Backlog, die in Sprints abgearbeitet wurden, waren die Auswahl der Zielmärkte, die Prüfung relevanter Produkte, Services und Leistungen, die Prüfung und Bewertung regulatorischer Szenarien, die Skizze und Bewertung von Alternativen für den Betrieb inklusive IT-Architekturen (Bereitstellung durch Dienstleister der kompletten Bankleistung (BaaS), der Plattform (PaaS), ENGAGE

TRANSFORM 32

G&G

Optimize 4 2

MANAGEMENT CONSULTANTS EST 2004

Abb. 15.9  Projektbeispiel kontextuelle Ambidextrie in der Transformation. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45; Pfannstiel und Steinhoff 2018; G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020)

15  Sicherung von Wachstum, Innovation und Effizienz: Einblicke in Lösungen für …

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der Software (SaaS) vs. Aufbau einer eigenen Plattform auf Basis von Standardlösungen (Kernbanksystem) bis hin zu kompletter Eigenentwicklung). Für die Umsetzung wurden Hackathons geplant, um innovative Ideen und erste Prototypen von Applikationen zur Stärkung des Ökosystems zu entwickeln. Kontextuelle Ambidextrie – hier Beispiel für Projekt-Bausteine im effizienzorientierten Modus Der Request for Proposal (RfP) für alternative IT-Architektur Szenarien inklusive einer belastbaren Kostenindikation durch die potenziellen Vendoren musste innerhalb von zwei Monaten abgeschlossen werden. Daher kam eine Blaupause der G&G für vergleichbare Ausschreibungen zum Einsatz, in der nicht relevante Leistungen/Funktionen gelöscht und spezifische Anforderungen berücksichtigt wurden. Zur Erarbeitung des Business Cases wurden Benchmarks genutzt, um die Simulation von drei Wachstumsszenarien zu ermöglichen. Einbezogen wurden Benchmarks für die Abschätzung von Ertragsentwicklungen sowie zur Vervollständigung der einmaligen und laufenden Marketingaufwände und Betriebskosten.

15.5.4 Womit? Beispiel Organizational Change Management Das folgende Projektbeispiel skizziert die „Absicherung der Einführung einer vorkonfigurierten Standard-ERP-Cloudlösung über Organizational Change Management“. Dabei steht das „Womit“ des erweiterten ETC im Fokus. Es wird dargestellt, wie aus der Kombination von kulturellen und strukturellen Maßnahmen der Projekterfolg abgesichert ­wurde. Zur Vorbereitung einer Wachstumsstrategie wurden zwei Produktionsbetriebe für Nahrungs- und Genussmittel aus der Organisationsstruktur eines deutschen Marktführers im Handel in eine rechtlich selbstständige Gesellschaft ausgegliedert. Als Grundlage für Wachstum, zur Sicherung der Position als Kostenführer und zur Harmonisierung der beiden Produktionsbetriebe beauftragte die Geschäftsführung, die unterschiedlichen eigenentwickelten Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Lösungen durch ein einheitliches ERP-System abzulösen. An beiden Standorte sind Mitarbeiter langjährig beschäftigt. Der hohe Anteil junger Mitarbeiter hat sich gerade mit langfristiger Perspektive für das Unternehmen entschieden. Die Hierarchien sind flach; Visionen, Werte und Prinzipien werden geteilt. Das Projektteam nutzte die gute Voraussetzung der starken Unternehmenskultur und der hohen Motivation der Mitarbeiter. Von Projektstart an wurde intern ein professionelles Organizational Change Management aufgesetzt, das die hohe Einbindung aller Mitarbeiter sicherstellte. Über kommunikative Maßnahmen (z. B. Town Halls, Newsletter) wurde Transparenz zu Zielen, Projektfortschritt und Entscheidungen sichergestellt. Mitarbeitern wurde Projektverantwortung übertragen.

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Die Mitarbeiter wurden sowohl in die Systemauswahl als auch in die Entscheidung eng eingebunden. Über die Vorstellung und Nutzung von Prototypen der zukünftigen ERP-­ Lösung wurde das Vertrauen und die Begeisterung gestärkt, dass die erfolgreiche Einführung trotz des sehr engen Zeitplans möglich ist. Die strukturelle Transformation gestaltete sich bereits in frühen Projektphasen problematischer. Die IT-Infrastruktur an den beiden Standorten war nicht einheitlich und mit vielen Schnittstellen zu unterstützenden Systemen, teilweise waren auch Excel-basierte Tools im Einsatz. Die Dokumentation der Ist-Prozesse lag nicht vollständig vor. In ergänzenden Erhebungen wurde deutlich, dass die Ist-Prozesse in beiden Werken voneinander abwichen. Nicht zuletzt an den Schnittstellen zu Zentraleinheiten kam es zu vielen Medienbrüchen, die End-to-End-Prozesse waren durch hohen manuellen Aufwand und den damit verbundenen Datenabgleich geprägt. Es war klar, dass mit der Einführung einer ERP-Lösung die Ist-Prozesse komplett abgelöst werden. Daher wurde für das Lastenheft auf einer Standardbeschreibung aufgesetzt, nicht relevante Bestandteile gelöscht (z. B. wurden die Applikationen für die vollautomatisierten Hochregallager nicht ersetzt) und nur kritische unternehmensspezifische Anforderungen ergänzt. Durch diese Vorgehensweise konnte die vollständige Abbildung von Anforderungen sichergestellt werden und die Vorbereitungszeit auf die Ausschreibung wurde deutlich verkürzt. Der Anspruch bestand in der Einführung der ERP-Lösung „Fit-to-Standard“, sprich ein (weitgehender) Verzicht auf Customizing sowie Eigenentwicklungen. Die Auswahl fiel auf die Einführung der Infor M3-Branchenlösung in einer Multi-­Tenant Cloudversion. Zur Sicherstellung der Organizational Readiness ermittelte das TCI-Team den prozessualen und organisatorischen Handlungsbedarf. Über eine GAP-Analyse wurden die Prozesse, Aufgaben, Funktionen und Verantwortlichen im Ist mit den M3-Kernprozessen gemappt und die M3-Rollen zugeordnet. Für die Soll-Prozess-Entwicklung wurden Prozessverantwortliche identifiziert. Fachübergreifende Prozessteams verantworten die Implementierung, Tests und Training ihrer Prozesse und stellen die Operational Readiness und die prozessorientierte Dokumentation sicher. Auf Basis der prozessorientierten RACI-Ableitung wurden vor Go-live erste Anpassungen für Kapazitäten auf Stellenebene abgeleitet, um Engpässe zu vermeiden und erste Effizienzgewinne durch Automatisierung und Digitalisierung der Prozess zu nutzen. Der Schwerpunkt der Unterstützung der TCI im OCM lag auf strukturellen Maßnahmen (siehe Abb. 15.10); über die Auswahl – wie z. B. die Einführung von Prozessverantwortlichen – wurde die Einheit aus Aufgabe und Verantwortung gestärkt und so die unternehmensinternen begleitenden kulturellen Maßnahmen unterstützt.

15.6 Vor- und Nachteile im Einsatz des erweiterten ETC Bei der Anwendung und dem Einsatz des erweiterten ETC ergeben sich zahlreiche Vorund Nachteile, welche in nachfolgender Übersicht aufgezeigt werden (siehe Tab. 15.1).

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Erforderliche Infrastruktur

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Vision, Werte, Prinzipien, …

Optimierung Organisation

Kommunikative Maßnahmen

Optimierung Prozesse

Vertrauen, Mitarbeiterverantwortung Erfolg und Emotionale Momente

Ziele, Business Case, KPIs, … … G&G



MANAGEMENT CONSULTANTS EST 2004

Abb. 15.10  Prinzipdarstellung der Aspekte struktureller und kultureller Transformation. (Quelle: G&G Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge 2020) Tab. 15.1  Gegenüberstellung Vor- und Nachteile durch den Einsatz erweiterter ETC Vorteile •  Logik, Struktur und Gegenstand sind leicht vermittelbar und in Projekten vielseitig verwendbar •  Harmonisiert das Teamverständnis bzgl. Begriffen, Inhalten und Strukturierungsrahmen •  Vereinfacht die Konsolidierung von Beiträgen einzelner Experten in gemeinsame Teamleistung •  Entlastet und steigert die Effizienz im Beratungsprozess •  Schafft Transparenz und Vertrauen für sicheren, berechenbaren Verlauf •  Ermöglicht Konzentration auf Inhalte •  …

Nachteile •  Keine Erfolgsgarantie •  Nur Strukturierungshilfe, gibt lediglich Impulse für Klärung des Lösungswegs •  Keine Impulse für den kreativen und innovativen Prozess der Lösungsfindung •  Kein allgemeingültiges Modell •  Erfordert Verständnis der dahinter liegenden Konzepte, Logiken (vgl. hierzu z. B. ETC Band 1) •  Erfordert Erfahrung, um die Elemente situativ inhaltlich auszugestalten •  …

Quelle: Eigene Darstellung (2019)

15.7 Schlussbetrachtung Es wurde ein Einblick zum Einsatz des ETC in konkreten Projektsituationen gegeben. Dabei wurde insbesondere dargestellt, wie der ETC auch den spezifischen, über Jahre geschärften Beratungsansatz einer spezialisierten Managementberatung unterstützen kann. Der ETC dient als Handlungsrahmen und wurde für die Darstellung des Einsatzes in aktuellen Beratungsmandaten erweitert. Neben dem Was „dem eigentlichen ETC-Circle, und dem Wie“ dargestellt über die vier Phasen, wird der ETC unterlegt mit zwei weiteren Gestaltungsebenen. Zunächst geht es

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um die Frage nach der richtigen Vorgehensweise und Methodik für die Transformation. Das „Wozu“ hinterfragt das verfolgte Ziel. Die Vorgehensweise und Methodik wird abgeleitet von der Frage „inwiefern eher der Innovations-/Start-up-Modus oder die Effizienzorientierung im Mittelpunkt der Veränderung steht. Wie am praktischen Beispiel dargestellt wurde, kann sich der Modus im Verlauf eines Projekts ändern. Die zweite neu eingeführte Gestaltungsebenen ist das „Womit“ das heißt mit welchen strukturellen, prozessualen, technischen (harten) bzw. kulturellen, emotionalen, kommunikativen (weichen) Maßnahmen die Transformation unterstützt wird. Der so erweiterte Handlungsrahmen des ETC ermöglicht vollständig und systematisch überschneidungsfrei in den Phasen der Transformation (Wie), die entscheidenden Bestandteile (Was) zu analysieren und im Abgleich mit den Zielen (Wozu) auszugestalten. Über die geeignete Vorgehensweise und Methodik werden die entscheidenden Maßnahmen (Womit) für die Zielerreichung effizient und effektiv umgesetzt. Die G&G Management Consultants entwickeln konsequent Instrumente und Methoden für den Einsatz im Beratungsalltag weiter. Ziel ist, in der konkreten Projektsituation den Freiraum zu haben, sich konsequent auf die inhaltliche Auseinandersetzung und den kreativen Prozess der Lösungsfindung und die effiziente Implementierung zu konzentrieren. Die Erweiterung des ETC-Handlungsrahmens hat sich in konkreten Projektsituationen bewährt und wird in unterschiedlichsten Kontexten eine geeignete Arbeitsunterstützung bieten. Der hier dargestellte erweiterte ETC unterstützt damit gerade auch das Arbeiten in räumlich getrennten (virtuellen) Teams. Selbst wenn Projekt-Stakeholder bisher noch nicht zusammengearbeitet haben, ermöglicht der erweiterte ETC unkompliziert und schnell ein geteiltes, einheitlicheres Verständnis über harmonisierte Begriffe, Strukturen und Vorgehens-Systematik. Die Beiträge Einzelner werden so überschneidungsfrei und die nahtlose vollständige Bearbeitung der Aufgabenstellung ist gesichert (MECE ‚mutually exclusive and collectively exhaustive‘). An den skizzierten konkreten Herausforderungen aus dem Unternehmensalltag wird deutlich, wie so Wachstum, Innovation und Effizienz gesteigert wird. Der ETC unterstützt die vier Dimensionen im Vorgehen der G&G, eine wertvolle, solide Grundlage für eine erfolgreiche Transformation.

Literatur Bennett N, Lemoine J (2014) What VUCA really means for you. Harv Bus Rev 92(1–2):27 Brosseau D, Ebrahim S, Handscomb C, Thaker S (2019) The journey to an agile organization. https://www.mckinsey.com/business-functions/organization/our-insights/the-journey-to-an-agile-organization. Zugegriffen am 24.07.2019 Duwe J (2018) Beidhändige Führung – Wie Sie als Führungskraft in großen Organisationen Innovationssprünge ermöglichen. Springer Gabler, Berlin G&G Managements Consultants (2020) Beratungsansatz, Methoden und Werkzeuge. Internes Dokument, Düsseldorf/München Guthmann HA, Kretschmer H, Rost M, Schäfer H, Steinhoff PF-J (2019) Being Lean and Seen. Projektmanagement zur Förderung von Innovation & Effizienz. Internes Papier der TCI Projektgruppe im Forschungsprojekt, Mannheim

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Kretschmer H, Schäfer H (2018) Zwischen den Extremen – Wie Sie bei aller Agilität die Kontrolle behalten. https://blog.tci-partners.com/zwischen-den-extremen-wie-sie-bei-aller-agilitaet-diekontrolle-behalten/. Zugegriffen am 22.07.2019 LJMU – Liverpool John Moores University (2019) Being Lean and Seen. https://www.ljmu.ac.uk/ microsites/being-lean-and-seen. Zugegriffen am 29.07.2019 McGregor L, Doshi N (25. November 2015) How company culture shapes employee motivation. Har Bus Rev Digit Art 2–9 Millar CCJM, Groth O, Mahon JF (2018) Management innovation in a VUCA world: challenges and recommendations. Calif Manag Rev 61(1):5–14 Pfannstiel MA, Steinhoff PF-J (Hrsg) (2018) Der Enterprise Transformation Cycle, Theorie, Anwendung, Praxis. Springer Gabler, Wiesbaden Steinhoff PF-J (2018) Der Enterprise Transformation Cycle – Ein praxiserprobtes Modell für die erfolgreiche Unternehmenstransformation. In: Pfannstiel MA, Steinhoff PF-J (Hrsg) Der Enterprise Transformation Cycle, Theorie, Anwendung, Praxis. Springer Gabler, Wiesbaden, S 3–20 Stiles P, Uhl A, Stratil P (2012) Meta Management. In: Uhl A, Gollenia LA (Hrsg) A handbook of business transformation management methodology. Routledge, New York, S 41–59 Transformation Consulting International (2018) Der Enterprise Transformation Cycle. Transformation Consulting International (TCI, Hrsg.). https://www.tci-partners.com/de (TCI-Facts). Zugegriffen am 19.09.2018 Tushman ML, O’Reilly CA (1996) Ambidextrous organizations: managing evolutionary and revolutionary change. Calif Manag Rev 38(4):8–30

Horst Albert Guthmann,  Master of Arts UZH, PMP® certified by PMI Institute PA/USA, ist spezialisiert auf die ergebniswirksame Umsetzung von Visionen, Zielen und Strategien von Unternehmen. Horst Albert Guthmann verfügt über internationale Referenzen (u. a. USA, F, GB, HK, LUX) aus mehr als 20 Jahren als Managementberater für Roland Berger, Droege Group und als Gründer der G&G Management Consultants sowie Partner der TCI. Seine Themen sind der Aufbau neuer Geschäftsmodelle und Geschäftsfelder (Start-ups), Restrukturierung und Neuausrichtungen, Pre- und Post-Merger-­ Integrationen, Weiterentwicklung der Prozesse und Organisation, Optimierung von Leistungstiefe und Outsourcing sowie die Auswahl, Einführung und Optimierung von IT-Plattformen. Horst Albert Guthmann hält den Master of Arts der Universität Zürich in Strategie, Controlling und IT und erhielt ein Stipendiat der Schweizer Konföderation im Masterprogramm an der Universität Paris Sorbonne. An der Universität Bamberg unterrichtete er Programmierung am Lehrstuhl für Informatik und erwarb das Vordiplom in Betriebswirtschaft, Informatik und Philosophie.

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H. A. Guthmann und C. Obert Catherine Obert  erwarb ihr Diplom in Technischer Volkswirtschaftslehre am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Bereits während ihres Studiums sammelte sie erste Erfahrungen in der Finanzindustrie. Seit 2010 gehört sie zum Team der G&G Management Consultants und ist zertifizierte Project Management Professional (PMP)®. Zudem erweitert sie ihre akademische Ausbildung an der Universität Kassel um das Themenfeld Umwelt- und Energierecht.

Burnout im digitalen Zeitalter – Entwicklung und Etablierung eines ganzheitlichen Konzepts zur Burnout-Prävention in (innovativen) Unternehmen

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Ian W. Listopad und Gudrun Brünner

Inhaltsverzeichnis 16.1  Einleitung  16.2  Einordnung der Begriffe und Modelle in den thematischen Kontext  16.3  Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Burnout/Stresserleben  16.4  Konzepterstellung auf Basis des Enterprise Transformation Cycle  16.5  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Multitasking, Druck, Hetze, der ganz normale Wahnsinn – die Digitalisierung hat unterschiedliche Auswirkungen auf Menschen und Unternehmen. Ebenso sind Stresserkrankungen, zu denen auch das Burnout-Syndrom gezählt werden kann, ein Volksleiden geworden. Ständige Erreichbarkeit, Veränderungsdruck, Informationsüberflutung und Arbeitsunterbrechungen sind nur einige Auswirkungen der Digitalisierung, die Menschen auf der Arbeit begegnen können und Einfluss auf Stress, Wohlbefinden und die psychische Gesundheit haben. In diesem Beitrag werden zunächst die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Menschen im Arbeitskontext identifiziert. Darauf auf-

I. W. Listopad (*) Boppard, Deutschland E-Mail: [email protected] G. Brünner Wunsdtorf, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_16

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I. W. Listopad und G. Brünner

bauend erfolgt die Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts zur Burnout-Prävention in Unternehmen, welches auf dem Enterprise Transformation Cycle aufbaut und die Erkenntnisse der Psychologie durch die gleichzeitige Anwendung des transtheoretischen Modells der Verhaltensänderung berücksichtigt. Damit wird ein praxisnahes und ganzheitliches Konzept geschaffen, welches kognitiv-affektive und verhaltensbezogene exemplarische Maßnahmen aufzeigt und Menschen in Unternehmen zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden verhilft.

16.1 Einleitung Die Zunahme psychischer Erkrankungen rückt – nicht zuletzt aufgrund der Absenzen – immer mehr in die öffentliche Diskussion. Ebenso werden unterschiedliche negative Auswirkungen der Digitalisierung auf den Menschen diskutiert, da sie u. a. mit Stress einhergehen können (Riedl und Javor 2012) und somit negative Konsequenzen auf Menschen haben. Die Digitalisierung hat unterschiedliche Auswirkungen, die auf Berufstätige einwirken und negative Reaktionen verursachen können. Ziel des Beitrags ist daher, die Auswirkungen der Digitalisierung am Arbeitsplatz zu identifizieren und  – darauf aufbauend  – ein ganzheitliches Konzept zur Burnout-Prävention in Unternehmen zu entwickeln.

16.2 E  inordnung der Begriffe und Modelle in den thematischen Kontext Zu dem viel diskutierten Begriff Digitalisierung existieren zahlreiche Definitionen. Bevor auf die Auswirkungen der Digitalisierung eingegangen wird, erfolgt im Folgenden eine kurze Definition des Begriffs. Ebenso ist es wichtig, dass ein einheitliches Verständnis über (Techno-)Stress und dessen Entstehung, welches in der vorliegenden Arbeit eine zentrale Rolle einnehmen wird, vermittelt wird. Neben der Digitalisierung und (Techno-) Stress wird zu dem kurz das Burnout-Syndrom, das bio-psycho-soziale Modell sowie Ressourcen erläutert.

16.2.1 Digitalisierung In der Literatur wird die Digitalisierung oftmals als ein Megatrend bezeichnet. Ein Megatrend ist eine Entwicklung, die nicht nur das heutige Geschehen prägt, sondern auch zukünftige und somit langfristige und mehrheitliche Veränderungen mit sich bringt, die sich gleichzeitig auf Gesellschaft, Politik und Wirtschaft auswirken (Cachelin 2012). Die Digi-

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talisierung hat ihren Einzug mit der Entwicklung des Computers erhalten und bezeichnet heute das Umwandeln eines analogen Signals in ein digitales Signal (Gulbins et al. 2002). Für die Arbeit ist es jedoch essenziell, eine weitere – wenn auch grobe – Interpretation des Begriffs zu kennen. Diese umfasst die Digitalisierung als den Prozess von Veränderungen, welcher durch die Einführung unterschiedlicher Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wie beispielsweise Computer, Smartphones bzw. der darauf aufbauenden Anwendungen (z. B. Software) herbeigeführt wird (Hess 2013). Folglich führen solche Veränderungen nicht nur zu zahlreichen Vorteilen und Chancen, sondern auch zu unterschiedlichen Herausforderungen und Risiken (Ameln und Wimmer 2016) für Menschen und Unternehmen.

16.2.2 (Techno-)Stress Im Rahmen dieser Arbeit wird u. a. aufgezeigt, inwieweit die Digitalisierung einen Einfluss auf das Stressempfinden von Mitarbeitern hat und somit eine Erschöpfungssymptomatik wie das Burnout-Syndrom begünstigen kann. Ein Organismus reagiert mit einer Stressreaktion, wenn psychische bzw. physische Stimulusereignisse (Stressoren) dessen Gleichgewicht stören und die Fähigkeit, die externen Einflüsse zu bewältigen, stark beansprucht oder gar übersteigert wird (Gerrig und Zimbardo 2008). Nach Hellbrück und Kals (2012) ist Stress als eine „natürliche adaptive Reaktion auf außergewöhnliche Belastungen“ (S. 35) und somit als ein Schutzmechanismus zu verstehen. Dabei können Reaktionen auf unterschiedlichen Ebenen (physiologisch, behavioral, emotional und kognitiv) und in diversen Kombinationen entstehen. Während bei akutem Stress der Organismus auf Leistungsfähigkeit eingestellt wird und nicht überlebensnotwendige Funktionen wie beispielsweise die Verdauung und das Immunsystem eingestellt werden, kommt es insbesondere beim chronischen, unvermeidbaren Stress und Kontrollverlust zu einer Niederlagereaktion (z. B. Rückzugsverhalten, depressive Verstimmung, Erschöpfung), welche die (Re-)Aktivität des Hypophysen-Nebennierenrinden-­ Systems beeinflusst und langfristig den Kortisolspiegel erhöht, was wiederum – bei fehlenden oder nicht angemessenen Bewältigungsstrategien – zu gesundheitlichen Schäden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Immunsuppression führen kann (Hellbrück und Kals 2012). Stress, der durch die Nutzung der IKT erlebt wird, wird als Technostress bezeichnet (Ragu-Nathan et al. 2008). Technostress wird in diesem Kapitel im Kontext des transaktionalen Stressmodells von Lazarus und Folkman (1984) verstanden. Das bedeutet, dass der Stress nicht als eine unmittelbare Folge von Umgebungsbedingungen (z. B. Informationsüberflutung) oder Persönlichkeitseigenschaften zu betrachten ist, sondern als ein Interaktions- und Transaktionsprozess zwischen den Anforderungen der Situation und dem Individuum (Greif 1991). Dabei entsteht Stress, wenn im Rahmen des Bewertungsprozesses, welcher auch mehrmals wiederholt werden kann, die Person aufgrund mangelhafter Ressourcen (z. B. wenig Zeit, Know-how) oder nicht ausreichender bzw. ineffektiver Bewältigungsstrategien (Umgang mit Herausforderungen, unzureichende Erholung

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Abb. 16.1  Entstehung von Stress. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Riedl 2013a, S. 99)

usw.), die Situationsanforderungen nicht bewältigen kann (Schaper 2014). Abb.  16.1 ­verdeutlich in einer abstrahierten Form, wie durch die Interaktion von technologischen und individuellen Eigenschaften Technostress entstehen kann.

16.2.3 Burnout-Syndrom Im Folgenden werden drei Hauptsymptome nach Maslach und Jackson (1981) beschrieben, die sich zur Erhebung und Beschreibung des Burnout-Syndroms eignen und häufig in Praxis und Forschung angewandt werden. Emotionale Erschöpfung Die emotionale Erschöpfung entsteht insbesondere durch fehlenden Dank, Wertschätzung oder ausbleibenden Erfolg bei der Arbeit (z. B. keine Beförderung). Dabei resultiert die Erschöpfung aus einer übermäßigen emotionalen und/oder physischen Anstrengung (Anspannung), die auch als die Stressdimension des Burnout-Syndroms verstanden wird. Weitere Symptome, die im Rahmen der emotionalen Erschöpfung auftreten, sind ein Gefühl

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der Schwäche, Kraftlosigkeit und Müdigkeit. Häufig leiden die Betroffenen auch unter Antriebsschwäche (Interessenverlust, fehlende Energie und Motivation, die sozialen ­Kontakte aufrechtzuerhalten etc.) und sind – insbesondere, wenn sie emotional erschöpft sind – leicht reizbar (Maslach und Jackson 1981). Depersonalisierung/Zynismus Depersonalisierung bzw. Zynismus werden durch den Aufbau von Distanz zu den Mitmenschen im Arbeitsumfeld (z. B. Klienten, Arbeitskollegen) und deren Abwertung erzeugt. Mit dieser Reaktion auf eine Überlastung stellen die betroffenen Personen eine Distanz zwischen sich selbst und den Menschen in ihrem Umfeld her. Dies äußert sich in einer zunehmend gleichgültigen Haltung und teilweise zynischen Einstellung, sodass die Arbeit zu einer unpersönlichen Routine wird (Maslach und Jackson 1981). Verringerte Leistungsfähigkeit Leistungsunzufriedenheit bzw. verringerte Leistungsfähigkeit entsteht u. a. aufgrund der veränderten persönlichen Einstellung zu den Mitmenschen und daraus resultierenden Misserfolgserlebnissen. Die Betroffenen haben häufig das Gefühl, dass sie trotz Überlastung und Mühe nicht viel bewirken können, da es an Erfolgserlebnissen mangelt. Da die Anforderungen zudem auch quantitativ und qualitativ steigen oder sich ständig verändern können, erscheint die eigene Leistung – im Vergleich zu den wachsenden Anforderungen – gering. Die Diskrepanz zwischen Anforderungen und Leistungen nimmt der Betroffene dabei als eine persönliche Ineffektivität bzw. Ineffizienz wahr, sodass auch der Glaube an den Sinn der eigenen Tätigkeit darunter leidet. Folglich sind die Betroffenen mit ihrer Leistung unzufrieden und erleben durch die emotionale Erschöpfung und Depersonalisierung eine verringerte Leistungsfähigkeit und Leistungsunzufriedenheit (Maslach und Jackson 1981). Tab.  16.1 veranschaulicht die Hauptsymptome anhand exemplarischer Verhaltensweisen. Obgleich die Beschreibung des Burnout-Syndroms von Maslach und Jackson (1981) in Praxis und Forschung eine weite Verbreitung findet, muss betont werden, dass die Symptome beim Burnout häufig sehr vielfältig und unspezifisch sind. Sie beeinträchtigen die Gesundheit und die Fähigkeit  – beruflich wie privat  – Aufgaben zu meistern (Maslach et al. 2001). Nach Burisch (2010) können mehr als 100 unterschiedliche Symptome identifiziert werden. Einigkeit hinsichtlich der Symptomatik besteht lediglich bei dem Kernsymptom, der Erschöpfung, unter der alle Betroffenen leiden. Das unbestrittene Kernsymptom besteht aus einem Erschöpfungsprozess mit mehr oder weniger ausgeprägtem Leistungsabbau. Hierzu kommen weitere unterschiedliche psychische und physische Stresssymptome, die in Abb. 16.2 veranschaulicht werden. Folglich kann sich das Burnout-Syndrom nach Brühlmann (2014) neben der Erschöpfung als Kernsymptomatik auch auf die

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Tab. 16.1  Kernsymptome und typische Verhaltensweisen nach Maslach und Jackson Kernsymptome Exemplarische Verhaltensweisen Emotionale Erschöpfung • Frustration, Angst • Müdigkeit/schnelle Erschöpfung nach wenigen Arbeitsstunden • Morgens und auch an Wochenenden erschöpft • Verringerung der Hobbys und sozialen Aktivitäten (z. B. Familie, Freunde) Depersonalisation/ • Negative Äußerungen gegenüber Mitmenschen (insbesodere im Zynismus Arbeitskontext) • Gefühle zu Mitmenschen wie Freude, Empathie, Anteilnahme, Trauer, Spannung und Kummer sind vollständig abgeflacht; bei Gesprächen fehlt häufig die „innere“ emotionale Beteiligung • Freizeit und soziale Aktivitäten werden häufig als sinn- und nutzlos eingeschätzt Verringerte persönliche • Häufig sehr viel Kaffee und wenig Schlaf Leistungsfähigkeit • Anhaltende Erschöpfung • Überstunden • Wochenendarbeit • Substanzmissbrauch Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Maslach und Jackson (1981) Abb. 16.2  Auswirkungen der Erschöpfung beim Burnout-­ Syndrom. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Brühlmann 2014)

• • • • •

soziale (z. B. Rückzug und Zynismus), mentale (z. B. Konzentrations- und Gedächtnisprobleme), motivationale (z. B. Verlust von Initiative und Motivation), emotionale (Ängstlichkeit und Freudlosigkeit) und körperliche Dimension (z. B. Kopf- und Rückenschmerzen)

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auswirken und damit einen erheblichen Einfluss auf die Lebens- und Arbeitsqualität haben.

16.2.4 Das bio-psycho-soziale Modell Innerhalb der Forschung zu Risikofaktoren wurden in den 1950er-Jahren biologische, soziale und psychologische Faktoren untersucht, die zur Krankheitsentstehung beitragen. Dabei konnten beispielsweise Risikofaktoren wie eine niedrige soziale Schicht, genetische Disposition, bestimmte Persönlichkeitseigenschaften oder auch kritische Lebensereignisse identifiziert werden. Darüber hinaus konnte die Stressforschung herausfinden, dass die allgemeine Stressreaktion – unabhängig ihrer Ursache bzw. Art des Stressors – immer gleich ist und sich als eine Anpassungsreaktion des Körpers zeigt. Vor diesem Hintergrund wurde das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell von Engel als besonders bedeutsam postuliert (Pauls 2013), da Engel die Störungen als ein Wechselspiel zwischen der biologischen, psychischen und sozialen Ebene verstand (Engel 1977, 1980). Während sich die biologische Ebene auf die organisch und körperlich begründbaren Befunde (Egger 2005) bezieht und somit auf die Funktionstüchtigkeit des Körpers abzielt, umfasst die psychologische Ebene insbesondere das Denken, Fühlen und Handeln des Individuums. Auf der sozio-ökologischen Ebene steht dagegen die Mensch-Umwelt-­ Passform im Vordergrund, sodass sich Krankheit als Ergebnis einer pathogenen Mensch-­ Umwelt-­Passform manifestiert (Fehlanpassung an sozio-ökologische Lebensbedingungen) und Gesundheit als salutogene Mensch-Umwelt-Anpassung (also als eine gelungene Anpassung an sozio-ökologische Lebensbedingungen) entsteht (Egger 2005). Abb. 16.3 veranschaulicht das Modell. Abb. 16.3  Das bio-psycho-­ soziale Modell. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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16.2.5 Ressourcen Der Begriff Ressource wird von diversen Disziplinen bereits lange und vieldeutig verwendet, sodass eine Betrachtung und Definition vonnöten ist. Das Wort Ressource ist aus dem Lateinischen abgeleitet und bezeichnet die Wiederherstellung eines Zustands. Nach Schubert und Knecht (2015) sind Ressourcen im psychologischen Kontext positive personale, soziale sowie materielle Gegebenheiten, Eigenschaften, Mittel oder Objekte, die Menschen nutzen können, um Lebensanforderungen und psychosoziale Entwicklungsaufgaben zu bewältigen und mit Stress ordnungsgemäß umzugehen. Dadurch sind sie in der Lage, ihre psychischen wie physischen Bedürfnisse zu erfüllen, Lebensziele zu verfolgen und Gesundheit sowie Wohlbefinden zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Ressourcen stellen eine wichtige Basis für die Gesundheit dar und werden in der aktuellen Forschung als entscheidend für das Gelingen oder Scheitern einer Stresssituation angesehen (Haug et al. 2010; Borgmann et al. 2017). Wie bereits beschrieben, können unzureichende Ressourcen und Bewältigungsstrategien, die Ursache für Stressentstehung (Schaper 2014) und damit verbundene Erkrankungen erhöhen. Folglich stellen sie eine wichtige Rolle im Rahmen der Konzeptentwicklung dar.

16.3 Z  usammenhang zwischen Digitalisierung und Burnout/Stresserleben Obgleich fundierte internationale Untersuchungen hinsichtlich der Beziehung zwischen dem Burnout-Syndrom und der zunehmenden Digitalisierung fehlen, gibt es erste Hinweise darauf, dass Digitalisierung und der damit einhergehende (Techno-)Stress weitgreifende gesundheitliche Auswirkungen hat.

16.3.1 Auswirkungen von (Techno-)Stress Nach Riedl (2013b) kann die direkte als auch die indirekte Interaktion (z. B. Gedanken) mit IT-Geräten (z. B. Smartphones, Tablets) in Unternehmen und Gesellschaft zu Stress führen. Gleichzeitig ist zu betonen, dass Technostress ein mehrdimensionales Konstrukt ist, welches verschiedene Ursachen und Auswirkungen haben kann. So kann eine anhaltendende bzw. wiederholende Stresssitutation, die mit einem Anstieg an Stresshormonen verbunden ist, auf lange Sicht gesundheitsschädliche Wirkungen verursachen. Hierbei können erhöhte Kortisolwerte neben einer unterdrückten Immunfunktion und chronisch hohem Blutdruck auch zu einem chronischen Burnout führen (De Kloet et al. 2005; McEwen 2006; Melamed et al. 1999; Walker 2007).

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16.3.2 Auswirkungen der Digitalisierung auf den Menschen auf Basis des bio-psycho-sozialen Modells Fraglich ist, welche Auswirkungen die Digitalisierung am Arbeitsplatz auf die Menschen und ihre Gesundheit hat. Bis heute existieren zu diesem Thema nur wenige umfangreiche Untersuchungen. Aus diesem Grund werden auf Basis des bio-psycho-sozialen Modells mögliche Auswirkungen diskutiert und festgehalten.

16.3.2.1  Auswirkungen der Digitalisierung – biomedizinische Ebene Nach Egger (2005) kommt es auf der biomedizinischen Ebene dann zu einer Erkrankung, wenn eine somatische Störung (z.  B. organischer oder organfunktioneller Befund) vorliegt. Eine aktuelle Untersuchung von Riedl (2013a) ergab, dass die Interaktion mit IT-­ Geräten  – unabhängig davon, ob es sich um eine direkte oder indirekte Interaktion (z. B. Gedanken) handelt –, zu enormen Stress führen kann. Dies kann u. a. darauf zurückgeführt werden, dass es viele unterschiedliche potenzielle Stressoren im Bereich der Mensch-Computer-Interaktion gibt. So können beispielsweise unangemessene Benutzeroberflächen (komplizierter Aufbau, Pop-ups etc.) Informationsüberflutungen, Systemabstürze oder andere Faktoren (Riedl 2013a) zu (chronischem) Stress führen (Riedl et al. 2012). Auf der biomedizinischen Ebene bedeutet es, dass es im Rahmen der Digitalisierung auch zu biologischen Stressreaktionen kommen kann. So werden Störungen der Neuroimmunregulation in der Vernetzung des Nerven- sowie Hormonsystems derzeit besonders häufig als Ursache für Zivilisationskrankheiten wie chronisches Erschöpfungssyndrom bzw. Burnout, chronische Schmerzerkrankungen oder chronische Multisys­ temerkrankungen (z.  B.  Kopfschmerzen, Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen) verantwortlich gemacht. Kommt es zu (chronischem) Stress, so werden unterschiedliche Körperfunktionen durch exzitatorisch wirksame Neurotransmitter wie Noradrenalin und Glutamat oder Hormone wie beispielsweise Kortisol und Adrenalin aktiviert. Darüber hinaus kommt es gleichzeitig zu einer Ausschüttung von Neurotransmittern (u. a. Serotonin, GABA), Hormonen (DHEA) und Modulatoren (z.  B.  L-Theanin), die als Gegenspieler wirken und die Stressreaktionen dämpfen können. Zu betonen ist, dass die exzitatorische und inhibitorische Aktivität über den Neurotransmitter Dopamin und diverse Modulatoren (insb. Histamin, PEA und Taurin) reguliert wird (Kirkmann et al. 2015). Wird die Anzahl der bei Stresssituationen beteiligten Neurotransmitter, Hormone sowie Modulatoren in dem Kontext betrachtet, dass im Rahmen der Digitalisierung eine Vielzahl der bereits erwähnten Stressoren zu Stress führen können (Riedl 2013b), so wird ersichtlich, dass die moderne Technik (PC, Smartphone, Internet etc.) mit ihrer Omnipräsenz durchaus zu langanhaltenden Spannungszuständen bzw. Stress führen kann (Winkler 2017). Ein weiterer Faktor, der auf der biomedizinischen Ebene Beachtung finden sollte, ist die genetische Disposition, welche die Entstehung einer psychischen Störung begünstigen kann (Vulnerabilität) und im Rahmen dieses Kapitels vernachlässigt wird. Zu betonen ist allerdings, dass für die Latenz und Ausbruch einer psychischen Erkrankung maßgeblich die Wechselwirkung zwischen Umwelt und Genen ist (Ärzteblatt 2004).

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16.3.2.2  Auswirkungen der Digitalisierung – psychologische Ebene Gemäß des bio-psycho-sozialen Modells ist Krankheit als eine Störung des Erlebens und Verhaltens zu verstehen (Egger 2005), sodass psychologische Aspekte (Denken, Fühlen und Handeln) zu erfassen und – im Rahmen der Konzepterstellung – zu nutzen sind (Egger 2005). Folglich hat jeder Mensch – nicht zuletzt im Rahmen der Informationsverarbeitung – Eigen- und Mitverantwortung, sodass die Innenperspektive im Fokus steht und eine Änderung individueller Erlebens- und Verhaltensmuster bei potenzieller Gefährdung oder Krankheit evoziert werden sollte (Egger 2005). Gemäß Riedl (2013a) kann sowohl die direkte als auch indirekte Interaktion mit IT-­ Geräten sowie die Wahrnehmung oder die bloße Vorstellung zu Stress führen. Fraglich ist, welche Komponenten bzw. Auswirkungen der Digitalisierung einen Einfluss auf das Denken, Fühlen und Handeln haben. Hierzu müssen zunächst die Auswirkungen der Digitalisierung, die einen Einfluss auf das Erleben und Verhalten des Menschen in Organisationen haben könnten, identifiziert und diskutiert werden. Ständige Erreichbarkeit Als eine potenzielle Ursache für psychische Erkrankungen wird derzeit u. a. die ständige Erreichbarkeit von Berufstätigen diskutiert (Hager und Kern 2017). Exemplarisch können hierfür das ständige Abrufen dienstlicher E-Mails über das Mobiltelefon gezählt werden, aber auch Anrufe nach Dienstschluss oder die flexible Kommunikation über diverse Applikationen (z. B. Chat-Applikationen). Nach einer Umfrage des BITKOM (2013) nutzen ca. 80 % der Berufstätigen für ihre Arbeit mobile Endgeräte, sodass von einer hohen Relevanz des Themas ausgegangen wird. Als Folge der ständigen Erreichbarkeit wird von einer Entgrenzung der Arbeit gesprochen, da sowohl örtlich als auch zeitlich flexibel gearbeitet werden kann (Ameln und Wimmer 2016). Dies kann – wie einige Experten vermuten – zu Stress und psychischer Belastung führen (Spath et al. 2013). Diese Annahme wird dann relevant, wenn von einer längeren Dauer ausgegangen wird und Dauerstress zu langfristigen Fehlbeanspruchungsfolgen führt (Hager und Kern 2017). Auf der Erlebens- und Verhaltensebene bedeutet es, dass die Betroffenen sich nicht ordnungsgemäß abgrenzen können oder wollen und es dadurch zu (chronischem) Stress kommen kann (Hager und Kern 2017). Damit können auch unterschiedliche körperliche und psychische Folgen (Hager und Kern 2017) wie z. B. emotionale und physische Erschöpfung einhergehen (De Kloet et al. 2005; McEwen 2006; Melamed et al. 1999; Walker 2007). Multitasking Der Begriff Multitasking wird im Alltag häufig für simultanes Arbeiten verwendet, wobei anzumerken ist, dass es sich bei Multitasking meistens um kleine Aufgabenabschnitte im schnellen Wechsel handelt, die lediglich den Anschein von Simultanität wecken (Baethge and Rigotti 2010) und – anders als Arbeitsunterbrechungen – internal gesteuert werden, sodass sie von Arbeitsunterbrechungen (z. B. Störung durch einen Kollegen) zu differenzieren sind. Folglich werden sie auf der psychologischen Ebene betrachtet. Multitasking

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kann dazu führen, dass die Betroffenen schneller arbeiten und dadurch mehr Ressourcen beanspruchen und schneller ermüden (Baethge and Rigotti 2010). Ebenso ist davon auszugehen, dass sowohl Multitasking als auch häufige Unterbrechungen mit Stress einhergehen können und dadurch wiederum unterschiedliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit haben. Ein weiterer Aspekt, der im Rahmen der psychologischen Komponente Erwähnung finden sollte, ist die Auswirkung auf die Stimmung. So kann häufiges Auftreten von Multitasking die Stimmung negativ beeinflussen und mit negativen Kognitionen einhergehen. Dies kann wiederum unter dem Aspekt des therapeutischen Rationalen (Denken, Fühlen und Handeln) einen Einfluss auf das Erleben und Verhalten haben und somit Auswirkungen auf den psychischen Gesundheitszustand nehmen. Derzeit gibt es keine aktuellen Untersuchungen, die sich mit Multitasking und psychischer Beanspruchung bzw. psychischen Erkrankungen beschäftigen, obwohl die neuen Technologien den Wechsel zwischen verschiedenen Aufgaben und Prozessen verstärken und Stress, Irritationen sowie einen erhöhten Regulationsaufwand verursachen können (Baethge and Rigotti 2010). Veränderungsdruck Durch die Digitalisierung entsteht über viele Branchen hinweg ein erhöhter Druck auf die Erwerbstätigen. Eine Befragung ergab, dass jeder 5. (19  %) Erwerbstätige unter dem Druck steht, sich ständig fortbilden zu müssen bzw. neue Technologien zu erlernen, um nicht ersetzt zu werden. Ebenso ist anzumerken, dass jeder 10. der 18- bis 29-Jährigen (11 %) sich durch Kollegen, die über aktuelles IT-Know-how verfügen, bedroht fühlt (Boehm 2016). Auf der psychologischen Ebene kann der Veränderungsdruck sich negativ auf das Erleben und Verhalten auswirken, da Mitarbeiter die Veränderung subjektiv negativ wahrnehmen bzw. bewerten. So könnte der Veränderungsdruck dazu führen, dass Erwerbstätige negative Gedanken, Sorgen oder gar Angst in Bezug auf ihre Arbeit haben und durch teilweise falsche, subjektive Bewertung(en) gegenüber neuen Technologien (chronischer) Stress entsteht. Der könnte wiederum unterschiedliche Auswirkungen auf die psychische wie auch physische Gesundheit nehmen (Hager und Kern 2017) und mit Erschöpfung einhergehen. Folglich wird der Veränderungsdruck als eine ernstzunehmende Auswirkung der Digitalisierung betrachtet, die zunehmend mehr Beachtung in Wissenschaft und Praxis finden sollte und auf der psychischen Ebene des bio-psycho-sozialen Modells Krankheit begünstigen kann. Schnelles Arbeiten Eine weitere ernstzunehmende Facette bzw. Auswirkung der Digitalisierung, ist der Druck schneller arbeiten zu müssen. Eine Befragung aus dem Jahr 2016 (Böhm) ergab, dass jeder 6. Erwerbstätige (17  %) den Druck verspürt, durch die Technologie am Arbeitsplatz schneller die Arbeit erledigen zu müssen. Ebenso kam die HRM-Trendstudie (Cachelin 2012) zu dem Ergebnis, dass Beschäftigte eine deutliche Beschleunigung der Arbeitswelt wahrnehmen. Dies ist auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen. Ein Grund, der solch

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ein Denken und letztendlich Verhalten initiiert, kann beispielsweise die Zunahme der Informationsmenge sowie die Ablenkung bei der Entscheidungsfindung sein (Boehm 2016). Andere Ursachen können z. B. auf die ständige Erreichbarkeit, gesteigerten Anforderungen und die zunehmende Selbstverantwortung zurückgeführt werden (Cachelin 2012). Dabei ist der Digitalisierungsdruck insbesondere bei jungen Menschen zu beachten. Ernst zu nehmen ist er deshalb, weil er zu unterschiedlichen Folgen – insbesondere beim anhaltenden Bestehen (Chronifizierung)  – führen kann (Boehm 2016). Laut der HRM-­ Trendstudie (Cachelin 2012) fühlen sich Betroffene häufig verunsichert und gestresst. Ebenso geben 23 % der Befragten an, durch ihre Arbeit emotional erschöpft zu sein und häufig in einem Konflikt zwischen Familie und Beruf zu stehen (Boehm 2016). Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die Ursachen wie auch die Wirkung vom schnellen Arbeiten bzw. der Erhöhung der Arbeitsintensität multifaktorieller Natur sind. Zu betonen ist, dass es auch durch schnelleres Arbeiten zu Stress kommen kann (Cachelin 2012), was wiederum psychische und physische Erkrankungen begünstigt (Hager und Kern 2017). Unabhängig davon, ob objektive Gründe für schnelleres Arbeiten existieren, verändert sich die Wahrnehmung durch die zunehmende Digitalisierung. Ferner kann der Druck durch die Kollegen und die gesellschaftlichen Erwartungen die innere Haltung erzeugen, schneller arbeiten zu müssen. Folglich sind die Auswirkungen auf der psychologischen Ebene enorm, sodass die Wahrnehmung, schneller arbeiten zu müssen, als eine Facette der Digitalisierung identifiziert und bei der Konzeptentwicklung berücksichtigt wird. Informationsüberflutung Angesichts der Tatsache, dass durch den zunehmenden Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien Berufstätige auf unterschiedlichen Endgeräten erreich- und verfügbar sind und mit diversen Informationen konfrontiert werden (Hammermann und Stettes 2016), wird die Informationsüberflutung als eine weitere Auswirkung der Digitalisierung im Kontext des Burnout-Syndroms betrachtet. Auf der psychologischen Ebene bedeutet es, dass die Erwartung, ständig erreichbar zu sein und ggf. schnell reagieren zu müssen, Stress erzeugen kann (Wittmann et al. 2014). Dieser kann wiederum, wie bereits beschrieben, zu körperlichen, psychosomatischen sowie psychischen Erkrankungen bzw. Symptomen führen (Ärzteblatt 2012 Ebenso kann die Informationsüberflutung beispielsweise Einfluss auf die Arbeitsunterbrechung haben und mit der – bereits zuvor erwähnten – ständigen Erreichbarkeit in Verbindung gebracht werden. In welchem Ausmaß die Informationsüberflutung psychische Erkrankungen bzw. Syndrome erzeugt, kann aufgrund der unzureichenden Informationen nicht eindeutig formuliert werden, sodass noch weitere Untersuchungen notwendig sind. Einigkeit besteht jedoch darin, dass eine durch die Digitalisierung bedingte Informationsüberflutung besteht, die teilweise die Verarbeitungskapazität der Menschen übersteigt (Hapkemeyer et al. 2015). Dabei ist nach Dietze (2003) nicht nur die Menge der Informationen relevant (z.  B.  E-Mails), sondern auch der Umstand (z.  B. ob es dabei zu einer Unterbrechung kommt, Informationsqualität).

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Umgang mit Fehlermeldungen Eine weitere Untersuchung von Riedl und Javor (2012) fand in einem Laborexperiment heraus, dass die Auswirkungen eines Systemabsturzes dazu führen können, dass der Kortisolspiegel signifikant ansteigt und es im Rahmen der Mensch-Computer-Interaktion zu enormen Stresswahrnehmungen bei Benutzen kommen kann. Auf der psychologischen Ebene des bio-psycho-sozialen Modells wäre dieser Zusammenhang im Kontext des Erlebens und Verhaltens von Erwerbstätigen zu diskutieren. Nach Foley und Kirschbaum (2010) können psychologische Stressoren die Physiologie durch Aktivierung bestimmter affektiver und kognitiver Prozesse sowie zugrunde liegender Gehirnmechanismen beeinflussen. In diesem Zusammenhang bedeutet es, dass zunächst der akute Stressor (Wahrnehmung des Systemabsturzes) insbesondere im Thalamus und Frontalkortex verarbeitet wird. Anschließend findet im Gehirn eine Beurteilung dieses Stimulus in seinem Kontext statt, die zu Generierung von Emotionen durch die Aktivierung des limbischen Systems führen und über Umweg Kortisol im Blutstrom stimulieren (Riedl und Javor 2012; Riedl et al. 2012; Kolb und Whishaw 2009). Dies ist insofern wichtig, da akute Stressoren bei Wiederholungen zu chronischen Stresswahrnehmungen führen können (Day et al. 2010), die wiederum diverse gesundheitliche Auswirkungen verursachen. Folglich hat das Erleben eines Systemabsturzes nicht nur auf der psychologischen Ebene, sondern auch auf der biologischen Ebene bei anhaltendem oder wiederholtem Auftreten gravierende Folgen (Ried und Javor 2012), da ein Anstieg des Kortisolspiegels u. a. zu chronischer Erschöpfung/Burnout, Depression, unterdrückter Immunfunktion und chronisch hohem Blutdruck führen kann (McEwen 2006; Walker 2007). Demnach würde auf der psychologischen Ebene Krankheit aus dem Erleben und Verhalten resultieren. Erleben würde in diesem Zusammenhang beispielsweise das Bewerten des Stressors umfassen. Das Verhalten dagegen die Reaktion, die beispielsweise auf ko­ gnitiver, emotionaler, körperlicher und motorischer Ebene abläuft. Schlechte Kommunikation Eine weitere Auswirkung der Digitalisierung auf den Menschen ist die mangelhafte Kommunikation (Stich et al. 2015). So können empfange Nachrichten (z. B. E-Mails) missverstanden werden und zu Frustration oder Stress führen (Day et al. 2010). Außerdem kann die Kommunikation als aggressiv oder unhöflich wahrgenommen werden und sich entsprechend nachteilig auf der individuellen (z. B. Arbeitsmotivation) wie auch organisatorischen Ebene (z. B. Umsatz) auswirken (Giumetti et al. 2013). Auf der psychologischen Ebene bedeutet es, dass die Erwerbstätigen durch un­ terschiedliche Medien (z.  B.  E-Mails, Videokonferenzen, Telefonkonferenzen, Chat-­ Funktionen) Informationen falsch verstehen bzw. falsch bewerten können. Als Folge können die bereits beschriebenen Reaktionen auftreten, sodass  – sofern dies dauerhaft geschieht – die negativen Effekte zu (chronischem) Stress führen und Krankheiten bzw. unterschiedliche Symptome begünstigen können (Day et  al. 2010). Folglich ist die schlechte Kommunikation insbesondere in Zeiten der zunehmenden Entgrenzung der Arbeit (z. B. durch ) ernst zu nehmen.

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Wahrgenommenes Arbeitspensum Mit der Zunahme der IKT gehen sowohl Vorteile als auch Nachteile einher. Nach Gupta, Li, und Sharda (2013) geht mit der Zunahme der Unterbrechungen (E-Mails etc.) auch eine erhöhte Wahrnehmung des Arbeitspensums einher. Darüber hinaus verursacht die Zunahme der erhaltenen E-Mails auch längere Arbeitstage sowie Überlastungsgefühle (Barley et al. 2011). Ob eine tatsächliche (objektive) Erhöhung des Arbeitspensums mit der Digitalisierung einhergeht, wird anhand des derzeitigen Forschungsstands nicht ersichtlich. Gleichzeitig ist anzumerken, dass dies über Länder, Branchen, Berufen und Unternehmen hinweg variieren kann, sodass eine allgemeingültige, objektive Aussage schwierig ist. Einigkeit besteht jedoch darin, dass der wahrgenommene Arbeitsaufwand, Überlastungsgefühle sowie längere Arbeitstage – wenn auch nicht bei allen Erwerbstätigen – durch die Informations- und Kommunikationstechnologien zugenommen haben und dies – neben einer erhöhten Arbeitseffektivität – auch mit einem erhöhten Leidensdruck und Stress einhergehen kann (Mano und Mesch 2010). Obwohl objektiv keine validen Aussagen zum tatsächlichen Arbeitspensum vorliegen, ist das Thema „wahrgenommenes Arbeitspensum“ dennoch als eine wichtige Auswirkung der Digitalisierung zu betrachten, da sie mit unterschiedlichen negativen Folgen für Erwerbstätige einhergeht und somit Mitarbeiter belasten könnte.

16.3.2.3  Auswirkungen der Digitalisierung – ökosoziale Ebene Nach dem bio-psycho-sozialen Modell spielt die ökosoziale Ebene, die beispielsweise familiäre, beruflich-gesellschaftliche sowie andere umweltbezogene Lebensbedingungen beinhaltet, eine wichtige Rolle. Folglich sollten neben dem sozialen Netzwerk auch die akut und chronisch belastende Stressoren im Berufsleben berücksichtigt werden, da Krankheit – dem Modell zufolge – auf der ökosozialen Ebene das Ergebnis einer pathogenen Mensch-Umwelt-Passform ist (Egger 2005). Folglich werden weitere Auswirkungen der Digitalisierung im Kontext der ökosozialen Ebene betrachtet und diskutiert. Zu betonen ist, dass nach Jungnitsch (1999) das Engel’sche Modell darin besteht, dass die drei Ebenen in sich kontinuierlich ändernden Wechselbeziehungen stehen. Ähnlich verhält es sich bei der Digitalisierung. So können Faktoren, die beispielsweise auf der psychologischen Ebene wirken – wenn auch nur teilweise –, durchaus in einigen Aspekten auf der ökosozialen Ebene sowie der biologischen Ebene betrachtet werden. Viele Faktoren, die auf der ökosozialen Ebene zu betrachten sind, sind auf die Digitalisierung zurückzuführen. Der Berufsalltag vieler Berufstätiger ist zunehmend von Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt, die teils als Ursache für negative gesundheitliche Auswirkungen diskutiert werden (Strobel 2013). Im Folgenden werden Aspekte der Digitalisierung im Kontext der ökosozialen Ebene beschrieben. Die ständige Erreichbarkeit, die bereits auf der psychologischen Ebene beschrieben wurde, kann auch auf der ökosozialen Ebene als relevant betrachtet werden. So befürchten z. B. viele Berufstätige, dass ihr Ansehen in den Augen von Vorgesetzten, Kollegen oder Kunden Schaden nehmen könnte, wenn sie schlecht erreichbar sind (Barber und Santuzzi

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2015), sodass die ständige Erreichbarkeit auch als ein Faktor auf der psychosozialen Ebene betrachtet werden kann. Ebenso kann die Informationsüberflutung nicht nur im Kontext der psychologischen Ebene, sondern auch der ökosozialen Ebene diskutiert werden, da hierfür nicht nur das Erleben und Verhalten der Arbeitnehmer entscheidend ist, sondern auch der ökosoziale Kontext (Unternehmenskultur, Vorgesetztenverhalten, zur Verfügung gestellte Geräte etc.). Ein weiterer Faktor, der zuvor unter dem Aspekt Veränderungsdruck diskutiert wurde, kann ebenfalls auch auf der ökosozialen Ebene betrachtet werden, da der Veränderungsdruck auch als ein umweltbezogenes Merkmal gesehen werden kann und somit im Rahmen der veränderten Arbeitswelt, der Führung und des organisatorischen Wandels einen wesentlichen Aspekt einnimmt (Ameln und Wimmer 2016). Darüber hinaus können auch die Auswirkungen der Fehlermeldungen nicht nur auf der psychologischen Ebene, sondern auch auf der ökosozialen Ebene betrachtet werden. Da die Aspekte ständige Erreichbarkeit, Informationsüberflutung, Veränderungsdruck und Umgang mit Fehlermeldungen auf der psychologischen Ebene als relevant identifiziert wurden, wird an dieser Stelle eine detaillierte Erläuterung vernachlässigt. Arbeitsunterbrechungen Arbeitsunterbrechungen sind im Gegensatz zu Multitasking external gesteuert (z. B. das Klingeln des Mobilfunkgerätes oder Chat-Benachrichtigungen) und dauern meistens länger an (Baethge und Rigotti 2010). Aus diesem Grund werden sie unter dem Aspekt der ökosozialen Ebene betrachtet. Arbeitsunterbrechungen können dazu führen, dass die Betroffenen schneller arbeiten und dadurch – ähnlich wie beim Multitasking – mehr Ressourcen beanspruchen und schneller an ihre Leistungsgrenze kommen. Darüber hinaus wird derzeit davon ausgegangen, dass Arbeitsunterbrechungen zu Stress führen und somit mit den bereits beschriebenen Erkrankungen bzw. Symptomen einhergehen können. Ähnlich wie bei Multitasking liegen derzeit nicht genügend Untersuchungen vor. Nichtsdestotrotz gehen viele Forscher davon aus, dass Arbeitsunterbrechungen (ähnlich wie Multitasking) Stress, Irritationen sowie einen erhöhten Regulationsaufwand verursachen (Baethge und Rigotti 2010). Folglich wird davon ausgegangen, dass Arbeitsunterbrechungen  – sofern sie Ressourcen übersteigen  – negative Konsequenzen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden haben können. Entgrenzung des Arbeitsplatzes Ein Aspekt, der ebenfalls im Rahmen der Digitalisierung zunimmt, ist die Flexibilisierung von Arbeitsort und -zeit. Die neuen Technologien (z. B. Kollaborationsapplikationen), die insbesondere in großen Unternehmen Anwendung finden, machen eine flexible Arbeitsgestaltung möglich (Ameln und Wimmer 2016). Fraglich ist, ob eine solche Flexibilisierung auch die Gesundheit der Mitarbeiter negativ beeinflusst. Nach Spath et  al. (2013) kann sie dazu führen, dass Privatleben und Arbeit verschwimmen, die ständige Erreichbarkeit steigt und Menschen mehr Stress und somit weiteren gesundheitlichen Auswirkungen ausgesetzt sind.

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16.4 K  onzepterstellung auf Basis des Enterprise Transformation Cycle Auf Grundlage der zuvor identifizierten Auswirkungen der Digitalisierung wird ein ganzheitliches Konzept zur Prävention des Burnout-Syndroms für Arbeitnehmer entwickeln. Als Basis für die geplanten Interventionen dienen der Enterprise Transformation Cycle (ETC) sowie das etablierte transtheoretische Modell der Verhaltensänderung (TTM) von Prochaska und Di Clemente (1985). Ziel der geplanten Interventionen ist, Berufstätige vor den teils negativen Auswirkungen der Digitalisierung zu schützen, (Techno-)Stress zu reduzieren oder gar zu vermeiden und damit das Risiko an einem Burnout-Syndrom (im Rahmen des organisationalen Kontextes) zu erkranken, zu minimieren. Hierfür wird sowohl die Bereitschaft zur Einstellungs- und Verhaltensänderung (affektiv, kognitiv, physiologisch und motorisch) auf der Mitarbeiterebene verfolgt als auch die Notwendigkeit einer Veränderung auf der organisationalen Ebene, um der Herausforderung begegnen zu können und eine ganzheitliche und nachhaltige Veränderung zu gewährleisten.

16.4.1 Veränderung erfolgreich gestalten und etablieren Prochaska und Di Clemente gehen in ihrem transtheoretischen Modell davon aus, dass Verhaltensänderung ein Prozess ist, welcher durch das aktive Durchlaufen unterschiedlicher, aufeinander aufbauender Stufen, erfolgt. Die Verhaltensänderung entwickelt sich dabei in folgenden fünf Stufen: • • • • •

Absichtslosigkeit (Precontemplation) Absichtsbildung (Contemplation) Vorbereitung (Preparation) Handlung (Action) Aufrechterhaltung (Maintenance)

Die Verweildauer in den einzelnen Stufen ist individuell unterschiedlich, wobei alle Phasen für eine erfolgreiche Veränderung des Problemverhaltens durchlaufen werden müssen (Keller et al. 2001). Tab. 16.2 beschreibt die Stufen der Verhaltensänderung. Die vorgestellten fünf Stufen der Verhaltensänderung bilden das zentrale organisierende Konstrukt des TTM und repräsentieren zugleich die zeitlichen Dimensionen, die nacheinander ablaufen. Abb. 16.4 verdeutlicht die unterschiedlichen Strategien in der jeweiligen Stufe. Um eine ganzheitliche und nachhaltige Burnout-Prävention im Unternehmen betreiben zu können, ist es essenziell, eine Veränderung beim Menschen, aber auch innerhalb der Organisation, in dem sich der arbeitende Mensch bewegt, zu schaffen. Dementsprechend

16  Burnout im digitalen Zeitalter – Entwicklung und Etablierung eines ganzheitlichen … 337 Tab. 16.2  Stufen der Verhaltensänderung, Charakteristika und Ziele Stufe der Verhaltensänderung Absichtslosigkeit (Precontemplation)

Absichtsbildung (Contemplation)

Vorbereitung (Preparation)

Handlung (Action)

Aufrechterhaltung (Maintenace)

Charakteristika Widerstand gegen das Erkennen oder Verändern des Problemverhaltens. Verhaltensänderung wird nicht in Erwägung gezogen Bewusste Auseinandersetzung mit dem Risikoverhalten, ohne das unmittelbare Maßnahmen zur Veränderung ergriffen werden. Ernsthaftes Abwägen einer Verhaltensänderung erfolgt Absicht, das Problemverhalten aufzugeben wird beobachtet. Einleitung der ersten Schritte der Verhaltensänderung wurden eingeleitet Ausübung des Zielverhaltens, Veränderung des eigenen Zielverhaltens und der Umweltbedingungen

(Aktive) Beibehaltung einer positiven Verhaltensänderung und der Umweltbedingungen

Ziele Vermittlung von Information, Wecken von Interesse, Problembewusstsein

Den Wunsch nach Veränderung wecken und Vorteile der Verhaltensänderung herausstellen

Konkrete Zielplanung, Formulierung eines Handlungsplans, Förderung des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten Verstärken des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten, Unterstützen der Implementierung der neuen Verhaltensweisen sowie Mobilisierung sozialer Kontakte (Unterstützung) Stärkung des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten, Unterstützung der Implementierung der neuen Verhaltensweisen sowie Mobilisierung sozialer Unterstützung

Quelle: Modifiziert nach Keller et al. (2001)

erfolgt die Konzeptentwicklung unter Anwendung des ETC und des TTM. Abb. 16.5 veranschaulicht das Modell zur ganzheitlichen Burnout-Prävention.

16.4.2 Veränderung und Prävention auf Basis des ETC Wie in Abb. 16.5 ersichtlich, besteht der ETC aus insgesamt sieben Dimensionen, wobei sechs Dimensionen den Cycle bilden. Die Dimension Values und Principles eines ­Unternehmens stellen dagegen eine zentrale Dimension dar. Im Folgenden werden die Dimensionen Strategy, Process, Organization People, Systems und Tools sowie Governance im Kontext eines ganzheitlichen Präventionsprogramms, welches eine Transformation mit sich zieht, kurz beschrieben.

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Abb. 16.4  Veränderungsstrategien in unterschiedlichen Stufen des transtheoretischen Modells. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Lippke und Renneberg 2006)

Abb. 16.5  Behavioral and Organizational Change – Burnout-Prävention auf ganzheitlicher Ebene. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45; Prochaska und Di Clemente 1985)

Strategy Strategy beinhaltet im Rahmen dieses Konzepts die Erweiterung der Unternehmensstrategie um die Komponente Gesundheit und Zufriedenheit. Derzeit scheint vor allem die psychische Gesundheit von Arbeitnehmern gefährdet zu sein. In einer aktuellen Untersuchung

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der Universität St. Gallen geben 23 % der Befragten an, aufgrund der Digitalisierung emotional erschöpft zu sein (Boehm 2016). Folglich sollten Unternehmen die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter unter Berücksichtigung der vielfältigen Wechselwirkungen (Einfluss auf die Wertschöpfung hinsichtlich Qualität, Zeit etc.) in die Unternehmensstrategie aufnehmen und sie nicht als eine Selbstverständlichkeit betrachten. Processes Die Anpassung der Strategie an die veränderten Rahmenbedingungen (z. B. zunehmende Digitalisierung) hat nach Steinhoff (2018) häufig auch Auswirkungen auf die Prozesse des Unternehmens. Dies schließt sowohl Führungs-, Wertschöpfungs- als auch Unterstützungsprozesse mit ein. Aus diesem Grund sollten beispielsweise Rollen neu definiert und Verantwortlichkeiten festgelegt werden, was wiederum mit Kompetenz-, Qualifizierungsals auch Entwicklungsmodellen einhergehen kann (Steinhoff 2018). Dies könnte bedeuten, dass zunehmend Changemanager im Unternehmen eingesetzt werden, die Mitarbeiter bei digitalen Veränderungen begleiten. Ferner können Betriebspsychologen eingestellt werden, um Menschen (unabhängig vom Burnout-Level) die notwendige Unterstützung zu geben. Darüber hinaus sollten Maßnahmen formuliert und umgesetzt werden, die da­ rauf abzielen, den Auswirkungen der Digitalisierung zu begegnen. So könnten Prozesse und Hilfeleistungen (z.  B.  Help Desks) optimiert werden, um besser mit den in Abschn. 16.3.2.2 identifizierten Fehlermeldungen umzugehen. Darüber hinaus sollte in diesem Rahmen überlegt werden, welche Maßnahmen sich für das Unternehmen eignen, um beispielsweise • • • • •

die Informationsüberflutung, die ständige Erreichbarkeit, die schlechte/missverständliche Kommunikation, das wahrgenommene Arbeitspensum sowie die Entgrenzung des Arbeitsplatzes

anzugehen. So könnte beispielsweise der Einsatz von Kollaborationsapplikationen innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens empfohlen werden, um ständige Erreichbarkeit zu vermeiden und konzentriertes Arbeiten zu ermöglichen. Ebenso könnten mehr persönliche Meetings in regelmäßigen Zeitabständen stattfinden, um Raum für persönlichen Austausch zu geben. Eine ordnungsgemäße Einhaltung von Regeln (z.  B. keine Mehr- oder Wochenendarbeit) könnte potenzielle negative Effekte im Homeoffice vorbeugen. Organization Um den Herausforderungen der Digitalisierung auf Organisationsebene begegnen zu können, sollte mehr Austausch zwischen der IT und den einzelnen Unternehmensbereichen stattfinden. Dies wäre insbesondere dann erforderlich, wenn technologische Veränderungen erfolgen, die Einfluss auf das operative Tagesgeschäft von Mitarbeitern haben. Dies

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könnte z. B. in Form einer zentralen und verantwortungsbewussten Stabsstelle (z. B. in Form von einer internen Changemanagement-Abteilung oder betrieblichen Gesundheitswesen) gewährleistet sein, die neben den technologischen Veränderungen auch Regeln, Maßnahmen und Rahmenbedingungen schafft (z. B. Ruhe- oder Meditationsräume), die mit mehr Wohlbefinden und einer besseren Gesundheit für Mitarbeiter einhergehen. People Die Menschen innerhalb eines Unternehmens stellen mit ihren Fähigkeiten und Kompetenzen einen wichtigen und erfolgskritischen Erfolgsfaktor dar. Aufgrund des zuvor identifizierten Veränderungsdrucks, welcher im Zuge der Digitalisierung bei vielen Mitarbeitern verspürt wird (Boehm 2016), sollten geeignete Maßnahmen erfolgen, um Mitarbeiter auf die Veränderung vorzubereiten und Angst, Unbehagen sowie Stress zu reduzieren. Diese Maßnahmen können beispielsweise so gestaltet werden, dass sie unterschiedliche Lerntypen bei Erwachsenen ansprechen und damit Mitarbeiter ordnungsgemäß auf die Veränderung vorbereiten. Weiterhin könnten neben Trainings aus dem Bereich Digitalisierung auch Trainings zum Thema Achtsamkeit, Stress, Ernährung, Sport und anderen wichtigen Themen, die Einfluss auf das Wohlbefinden und die Burnout-Symptomatik haben, erfolgen. Systems and Tools Die Dimension Systems and Tools umfasst Methoden und Informationssysteme, welche die Transformation unterstützen (Steinhoff 2018). In diesem Kontext sollte hinterfragt werden, welche Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Applikationen das Unternehmen wirklich (zukünftig) benötigt und welche nicht, um damit unnötiger Komplexität vorzubeugen. Außerdem kann in diesem Zusammenhang die Überlegung erfolgen, den Mitarbeitern wichtige Methoden außerhalb der IT näherzubringen, um (komplexe) Arbeit besser strukturieren zu können und Prioritäten setzen zu lernen. Methoden, die dies ermöglichen könnten, aber in diesem Rahmen nicht näher beschrieben werden, sind z.  B. die ALPEN-Methode, Standup-Meetings, die Salami-Taktik, ABC-Analysen oder die Berücksichtigung der natürlichen Bio-Kurve bei der Erledigung unterschiedlicher Aufgaben. Governance Eine Transformation sowie Etablierung unterschiedlicher Maßnahmen im Rahmen einer Burnout-Prävention geht mit einer Anpassung der Corporate Governance einher. Derartige Veränderungen müssen nicht nur eingeführt, sondern auch von allen Mitarbeitern respektiert, akzeptiert und letztendlich auch gelebt werden. Um dies zu erreichen, müsste neben einer Erweiterung der Unternehmensstrategie um die Komponente Gesundheit und Wohlbefinden auch beispielsweise ein Unternehmens- bzw. Verhaltenskodex etabliert werden. Dieser würde die notwendigen Regelungen zur Erreichung des Ziels beinhalten und die Zusammenarbeit im Unternehmen sowie auch außerhalb des Unternehmens (z. B. mit den Kunden) regeln.

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16.4.3 Transformationsprozesse – Wie lässt sich diese Veränderung erfolgreich gestalten und eine langfristige Verhaltensmodifikation erzielen? Um eine erfolgreiche Veränderung im Unternehmen zu erzielen und eine positive und dauerhafte Verhaltensänderung bei Mitarbeitern zu gewährleisten, wird im Folgenden das transtheoretische Modell auf die einzelnen Phasen des Transformationsprozesses übertragen und die Art und Weise, in der die Transformation geplant und umgesetzt werden kann, exemplarisch erläutert. Die Phasen teilen sich in Envision, Engage, Transform und Optimize auf und berücksichtigen zugleich die Phasen des transtheoretischen Modells Precontemplation (Absichtslosigkeit), Contemplation (Absichtsbildung), Preparation (Vorbereitung), Action (Handlung) und Maintenance (Aufrechterhaltung), die nach Prochaska und Di Clemente (1985) im Rahmen der Verhaltensänderung berücksichtigt werden sollten und heute noch große Anwendung finden (Di Noia und Prochaska 2010; Dishman et al. 2010). Viele Beratungsansätze gehen davon aus, dass ihre Adressaten bereit sind, freiwillig ihr Verhalten zu ändern und damit etwas Gutes für ihre Gesundheit zu tun, obwohl dies nur für einen kleinen Teil der Zielgruppe zutrifft. Aus diesem Grund sollten bei der Beratungsarbeit unterschiedliche Veränderungsstrategien zum Einsatz kommen. Hierfür eignen sich zu Beginn der Prozess- und Verhaltensänderung insbesondere kognitiv-affektive Strategien, die für die Änderungsbereitschaft von großer Bedeutung sind. Darauf aufbauend sollten in der handlungsorientierten Stufe verhaltensorientierte Strategien erfolgen und so zu mittel- und langfristigen Verhaltensmodifikationen führen (Ludt und Szecsenyi 2005). Abb. 16.6 veranschaulicht die Strategien/Prozesse der Verhaltensänderung im Rahmen des Transformationsprozesses.

Abb. 16.6  Veränderungsstrategien in unterschiedlichen Stufen des transtheoretischen Modells im Kontext des Enterprise Transformation Cycle. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Lippke und Renneberg 2006)

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Envision In der ersten Phase wird gemäß dem ETC das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Veränderung geschaffen und die Dringlichkeit aufgezeigt. Dabei wird u. a. analysiert, warum die Veränderung notwendig ist, welche Handlungsmöglichkeiten bestehen und welche Widerstände oder Probleme auftreten könnten (Steinhoff 2018). Hierfür kann z. B. eine Stake­ holder-Analyse mit Interviews durchgeführt werden. Precontemplation (Absichtslosigkeit) Die Absichtslosigkeit kann gerade auf Transformationsprojekten zu den stabilsten und anspruchsvollsten Phasen gehören. Zu diesem Zeitpunkt sehen die betroffenen Personen noch nicht ein, dass ihr Verhalten unter Umständen problematisch ist und deshalb umgedacht werden sollte. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, in der Praxis die Wahrnehmung auf die Risiken des Problemverhaltens zu richten und für die Auswirkungen der Digitalisierung und die damit einhergehenden potenziellen Stressoren (ständige Erreichbarkeit, Multitasking, Arbeitsunterbrechungen, Informationsüberflutung etc.) zu sensibilisieren. Da eine ganzheitliche Verhaltensänderung innerhalb der Organisation angestrebt werden sollte, empfiehlt es sich, die Erhöhung des Problembewusstseins auf allen hierarchischen Ebenen zu verfolgen und auf die Wahrnehmung förderlicher Umweltbedingungen (z. B. keine Erreichbarkeit nach Dienstschluss, Abschalten von Chat-Diensten bei hohen Arbeitsaufkommen) zu achten und damit die ersten kognitiv-affektiven Strategien umzusetzen. Contemplation (Absichtsbildung) Nachdem die vorherigen Maßnahmen eingeleitet worden sind, werden die potenziellen Stressoren, die u. a. zu Burnout führen können, verstanden und akzeptiert, sodass ein Bewusstwerden des Problems (idealerweise auf allen hierarchischen Ebenen) vorliegt. Dies sollte mit weiteren Maßnahmen unterstützt und stabilisiert werden. Interventionen zur Neubewertung der persönlichen Umwelt (z. B. Ziel- und Wertklärung, Austausch mit Personen des unmittelbaren Umfelds, Etablierung von (Stress-)Tagebüchern oder Protokollen) kann dabei zur Förderung der Verhaltensänderung in dieser Phase eingesetzt werden. Ebenso kann ein emotionaler Bezug (z.  B. durch den Betriebspsychologen oder durch aufklärende Seminare zur Stressprävention) die persönliche Betroffenheit zum Problemverhalten und den jeweiligen Konsequenzen aufzeigen (Keller et al. 2001). Engage Der Schritt Engage zielt darauf ab, die Mitarbeiter zu bestärken und zu motivieren und damit die Transformation mitzutragen und auch aktiv vorzubereiten. Somit sollte die Sinnhaftigkeit der Transformation für alle Beteiligten klar sein und die Veränderung durch ihren Standpunkt sowie ihr Verhalten unterstützen (Steinhoff 2018).

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Preparation (Vorbereitung) Die Betroffenen entwickeln in dieser Phase häufig die Motivation, das Problemverhalten zu ändern und leiten teilweise bereits erste Schritte der Verhaltensänderung ein. Folglich sollten im Management konkrete Zielplanungen erfolgen und ein Handlungsplan formuliert werden. So könnte diskutiert werden, den E-Mail-Versand nach einer bestimmten Uhrzeit oder an Wochenenden zu unterlassen, um die in Abschn. 16.3.2.2 aufgezeigten potenziellen Auswirkungen der Digitalisierung wie die ständige Erreichbarkeit, Arbeit in der Freizeit sowie das erhöhte wahrgenommene Arbeitspensum zu reduzieren und Mitarbeiter zu entlasten. Ebenso könnten die formulierten Regeln in ein Verhaltenskodex des Unternehmens eingebaut werden, um mittel- und langfristig eine Verhaltensänderung auf allen Mitarbeiterebenen zu unterstützen und die Selbstverpflichtung zur Änderung eines Problemverhaltens zu erhöhen. Darüber hinaus empfiehlt es sich hilfreiche Beziehungen zu nutzen (Kollegen, Betriebspsychologen), wenn Unsicherheit hinsichtlich der Veränderung besteht. Transform In diesem Schritt wird die Transformation umgesetzt, indem alte Prozesse (veraltete Applikationen, Strukturen, Verhaltenskodex usw.) abgelöst werden und veränderte Strukturen sowie eine veränderte Unternehmenskultur geschaffen wird. Da eine derartige Änderung innerhalb eines Unternehmens komplex ist, empfiehlt es sich, in Teilprojekten zu arbeiten, die wiederum auf das Gesamtziel (Reduzierung von (Techno-)Stress) einzahlen und damit mit Mitarbeiter vor unnötiger Belastung schützen. Action (Handlung) In diesem Schritt der Verhaltensänderung wird das Verhalten aktiv geändert (Meurer 2018). Hierfür kann zunächst eine Kontrolle der Umwelt erfolgen. Bei dieser verhaltensorientierten Strategie geht es um die Konfrontation mit Reizen, die Problemverhalten auslösen und Schaffung von Reizen für alternative Verhaltensweisen (Schwarzer 2004). Dabei kann beispielsweise eine Analyse von Reiz-Reaktions-Mustern durchgeführt werden oder die Aufstellung eines Plans zur aktiven Umgestaltung der persönlichen Umwelt (Rollnick et al. 1999; Schwarzer 2004). Folglich sollten die Mitarbeiter bewusst wahrnehmen, welche einzelnen Auswirkungen der Digitalisierung (z.  B.  Veränderungsdruck, schnelles Arbeiten, Informationsüberflutung) bei ihnen Stress und unter Umständen sogar Erschöpfung verursachen und diese durch alternative Verhaltensweisen (zeitweise Abstellung von Chat-Applikationen, Nutzung von Ruheräumen) ersetzen. Ebenso empfiehlt es sich, die Mitarbeiter durch geeignete Trainings- und Kommunikationsmaßnahmen auf die veränderten Technologien vorzubereiten und auf die Auswirkungen der Digitalisierung zu sensibilisieren. Eine weitere verhaltensorientierte Strategie ist die Gegenkodierung (Keller et al. 2001). Bei der Gegenkodierung geht es darum, dass ungünstige Verhaltensweisen (z. B. das Aufrufen der E-Mails nach Dienstschluss oder übermäßig viele Überstunden im Homeoffice) durch günstiges Verhalten im Sinne einer Problemlösung (Freizeitaktivitäten,

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Entspannung, Genuss, etc.) ersetzt werden (Rollnick et al. 1999; Schwarzer 2004). In diesem Rahmen kann ein gesundheitsbewusstes Unternehmen beispielsweise Schulungen im Bereich Genusstraining anbieten oder Sport- und Freizeitaktivitäten (z. B. Fitnessstudiomitgliedschaft, Seminare für Yoga und Meditation) fördern. Ferner kann in dieser Phase auch die verhaltensorientierte Strategie der (Selbst-)Verstärkung eingesetzt werden. Die (Selbst-)Verstärkung beinhaltet das Einsetzen von materiellen oder immateriellen (z. B. kognitiven) Verstärkern für Schritte bzw. Teilziele, die zur Erreichung des Zielverhaltens geführt haben. Dabei wird das Konzept operanter Lernmechanismen vermittelt und persönliche Verstärker, welche in ein Verstärkerplan eingearbeitet werden können, identifiziert (Rollnick et  al. 1999). Hier könnten Vorgesetzte und Betriebspsychologen die Mitarbeiter bewusst nach Ressourcen und individuellen Belohnungen fragen, um zu identifizieren, was ihnen im Alltag Freude bereitet und ggf. neue Energie schenkt. Exemplarische Fragen wären: • • • •

Was bereitet Ihnen Freude? Was sind Ihre „Tankstellen“, um Energie zu schöpfen? Was machen Sie gern, gut? Was haben Sie früher gern gemacht, was Ihnen heute fehlt?

Ziel dieser Strategie wäre, geeignete Maßnahmen (z.  B.  Besuch von Yoga-Kursen, Schwimmen, Laufen) für die Mitarbeiter zu identifizieren und beispielsweise in jährliche Mitarbeiterziele aufzunehmen und die Umsetzung entsprechend zu würdigen (z. B. weitere Gutscheine oder Vergünstigungen für Freizeit- oder Sportaktivitäten). Damit würde der Fokus nicht nur auf der Arbeit liegen, sondern auch auf der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Mitarbeiter. Optimize Nach erfolgter Transformation erfolgt im nächsten Schritt eine Stabilisierungsphase, in der die Veränderungsmaßnahmen nachgebessert werden können. Ferner sieht diese Phase vor, offene Punkte abzuschließen, letzte Aufgaben zu verteilen (z. B. durch neue Verantwortliche) und die Leistung des Projektteams zu würdigen (Steinhoff 2018). Maintenance (Aufrechterhaltung) Die Aufrechterhaltung des Zielverhaltens wird dem Schritt Optimize im ETC zugeordnet. Charakteristisch für diese Phase ist, dass sich das Zielverhalten der Adressaten stabilisiert und seit mehr als sechs Monaten beibehalten wird (Keller et al. 2001). In dieser Phase kann die Gegenkodierung, die unter dem Punkt Action (Handlung) bereits vorgestellt worden ist, erfolgen. Darüber hinaus kann die Strategie der Selbstverpflichtung, die im Schritt Preparation (Vorbereitung) vorgestellt wurde, zur weiteren (mittel- und langfristigen) Aufrechterhaltung des gewünschten Verhaltens angewandt werden. So können beispielsweise Ziele zur Gesundheitsförderung und Burnout-Prävention auch

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weiterhin vom Management kommuniziert und in zukünftige Unternehmensziele eingebaut werden, um damit Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter zu steigern. Die aufgeführten kognitiv-affektiven und verhaltensorientierten Strategien, die auf die unterschiedlichen Stufen der Verhaltensänderung in diesem Burnout-Konzept verteilt worden sind, stellen lediglich eine exemplarische Auswahl dar, die im Rahmen einer ganzheitlichen Transformation auf Basis des ETC durchgeführt werden können und damit das oberste Gut des Menschen schützen: die Gesundheit.

16.5 Schlussbetrachtung Stresserkrankungen, zu denen auch das Burnout-Syndrom gezählt werden kann, scheinen sich in den vergangenen Jahren zunehmend unter der arbeitenden Bevölkerung zu verbreiten und stellen damit nicht nur ein persönliches, sondern auch wirtschaftliches Problem dar. Ebenso sind die Chancen, aber auch die Auswirkungen der Digitalisierung ernst zu nehmen, da sie auf unterschiedliche Weise die Gesundheit des Menschen beeinflussen können. Aus diesem Grund sind ganzheitliche Maßnahmen, die Menschen in Unternehmen berücksichtigen und auf die vielfältigen Auswirkungen der Digitalisierung eingehen, von großer Bedeutung. Das entwickelte Konzept zur Burnout-Prävention stellt auf Basis des Enterprise Transformation Cycle eine wichtige Grundlage für derartige Veränderungen dar. Dabei werden wichtige Erkenntnisse aus der Psychologie durch die gleichzeitige Adaption des transtheoretischen Modells zur Verhaltensmodifikation berücksichtigt und exemplarische kognitiv-affektive sowie verhaltensbezogene Maßnahmen formuliert, mit dem Ziel, mehr Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu fördern und das Burnout-­ Risiko nachhaltig zu reduzieren.

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Ian W. Listopad  hat im In- und Ausland Betriebswirtschaftslehre (Human Ressource Management sowie Marketing & International Management) und Psychologie (Arbeits- und Organisationspsychologie, Empowerment und klinische Psychologie) studiert und ist im Projektmanagement sowie Changemanagement zusatzqualifiziert. Er arbeitet seit 2016 als Senior-Berater mit dem Schwerpunkt Advisory & Organizational Change Management. Zu seinen Klienten zählen u. a. mehrere internationale Unternehmen aus den Branchen Gesundheitswesen, Pharmazie und Chemie. Zuvor war er als Assistent im Bereich der Antriebstechnik tätig. Ian W. Listopad lebt in Koblenz und engagiert sich ehrenamtlich für Projekte des sozialen Sektors (insb. Strategie, Organisationsentwicklung und Marketing), in einer psychiatrischen Tagesklinik sowie im Kinderheim.

Dr. med. Gudrun Brünner  war vor dem Medizinstudium in der Krankenpflege ambulant und stationär tätig, u. a. in Paris und Basel, ist als Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in eigener sozialpsychiatrischer Gemeinschaftspraxis sowie in Ausbildung, Lehre und Supervision tätig. Ehrenamtlich ­engagiert sie sich im Heilberufler-Netzwerk von Amnesty International.

Teil IV Transformationsprojekte

Die Bedeutung der Persönlichkeitsentwicklung im Enterprise Transformation Cycle

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Martina Stauch

Inhaltsverzeichnis 17.1  E  inleitung  17.2  Hintergründe für stockende Veränderungsprozesse – Das Scheitern von Transformationen  17.3  Die Kraft des CEOs  17.4  Die Bedeutung der Führung  17.5  Organisatorisches Talent-Development  17.6  Die Organisation im Ganzen betrachten und Grenzen überwinden  17.7  Ganzheitliche Förderung von Mitarbeitern und Teams  17.8  Talente finden  17.9  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Die menschliche Komponente ist in Bezug auf große Veränderungen, wie sie eine Transformation im Unternehmen mit sich bringt, den größten Herausforderungen ausgesetzt. In solchen Prozessen sind die Geschäftsführung und das Führungsteam besonders gefordert, einen für ihr Unternehmen richtigen Weg zu finden und diesen auch so einzuschlagen, dass die Mitarbeiter diesen auch mitgehen können. Ein Verfahren, dass die dafür erforderliche Persönlichkeitsentwicklung von Mitarbeitern und Führungsriege fördert, baut auf der sogenannten Systemtheorie auf. Sie ist ein Denkansatz in dem es um Gesamtheiten geht, die der Gefahr entgegen wirken, sich in Einzelheiten zu M. Stauch (*) Holzkirchen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_17

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verlieren. Das gesamte System wird als Einheit verstanden, die durch Wechselwirkung der Elemente untereinander etwas Neues schafft, was mehr Potenzial hat als die Summe der einzelnen Elemente. Dieses neu gewonnene Potenzial ist ein wichtiger Treiber für neue Ideen und Kreativität, um eine Transformation erfolgreich umzusetzen.

17.1 Einleitung Mit dem Enterprise Transformation Cycle (ETC) können die einzelnen Aspekte und Phasen einer Transformation deutlich herausgearbeitet werden. In der Betrachtung der Veränderungsvorgänge lassen sich nach der Transformation Consulting International (2018) und Stiles et  al. (2012) sieben Dimensionen differenzieren  – die im Zentrum stehende Kultur des Unternehmens, umgeben von einer Strategie, Prozessen, der Organisation und der Governance, den Systemen und Tools zur Umsetzung der Transformation und schließlich den Menschen, die den gesamten Transformationsprozess visionär, strategisch und operativ als Führungskräfte und Mitarbeiter umsetzen (siehe Abb. 17.1). Der vorliegende Beitrag widmet sich speziell der Dimension Mensch und legt dabei besonderen Wert auf den Einfluss der Führungsriege auf Transformations- und Veränderungsprozesse und die erforderlichen Tools und Maβnahmen, um diese erfolgreich zu meistern. Denn die menschliche Komponente ist in Bezug auf große Veränderungen, wie sie eine Transformation im Unternehmen mit sich bringt, den größten Herausforderungen ausgesetzt. Prozesse, Produkte, Arbeitsweisen wie auch Positionen werden infrage gestellt; es entstehen Ängste und die Notwendigkeit, angestammte Komfortzonen verlassen zu müssen, stellt viele Mitarbeiter wie auch Führungskräfte vor große Herausforderungen. Dies betrifft mehr oder minder alle Unternehmensbereiche. Eine Transformation kann nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn vom CEO bis zum Mitarbeiter die Notwendigkeit einer Transformation verstanden wird und jeder Teil der Organisation synergetisch und konstruktiv seinen Beitrag im Gesamtprozess leistet. Damit eine Transformation erfolgreich sein kann, müssen die folgenden Faktoren erfüllt sein: . Das Unternehmen braucht eine Vision 1 2. Die Führungsebene muss Leadership-Qualitäten aufweisen 3. Teams wie auch Mitarbeiter müssen die Möglichkeit haben, sich in Bezug auf die Anforderungen der Transformation fachlich, strukturell und auch persönlich einzubringen und sich damit auch weiterentwickeln zu können. Bevor jedoch die möglichen Maßnahmen und Verfahren erläutert werden, um vom CEO bis zum Mitarbeiter eine Transformation zu meistern, soll auf Punkte eingegangen werden, die diesen Prozess trotz guter Vorbereitung ins Stocken oder gar zum Scheitern bringen können.

17  Die Bedeutung der Persönlichkeitsentwicklung im Enterprise Transformation Cycle

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BUSINESS TRANSFORMATION Strategy Governance

Processes

Values & Principles

Systems & Tools

Organization People

ENVISION

ENGAGE

TRANSFORM

OPTIMIZE

Abb. 17.1 Die Enterprise-Transformation-Cycle-Strategie. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International (2018), o. S., Stiles et al. (2012), S. 45)

17.2 H  intergründe für stockende Veränderungsprozesse – Das Scheitern von Transformationen Ein Hauptgrund für einen steinigen Weg oder ein Scheitern ist, dass die Führungsriege zwar weiß, dass es für einen solchen Prozess Führungswerkzeuge braucht und die Prinzipien der lernenden Organisation umgesetzt werden müssen, doch oft fehlt die praktische Erfahrung, das Mindset und damit auch das Wissen diese Dinge auch richtig ein- und umzusetzen. In diesem Zusammenhang war es keine Überraschung, dass David Rooke und William R. Torbert (Rooke und Torbert 1999) herausgefunden haben, dass zum einen das Level der Persönlichkeitsentwicklung des CEOs und seiner Senior Advisors, die Erfolgschancen eines Unternehmens oder einer Organisation zu transformieren, sehr kritisch beeinflusst. Zum anderen hat der jeweilige Grad der Persönlichkeitsentwicklung ebenfalls Einfluss auf die Fähigkeiten, in wechselnden und immer komplexeren Geschäftsumfeldern erfolgreich zu sein. Auch wenn nicht jeder der Meinung ist, dass der Erfolg einer organisatorischen Transformation allein vom Führungsteam abhängt, belegen Rooke und Torbert aber genau dieses: Das vorrangige Treiben einer Unternehmenstransformation und die Bereitschaft der Mitarbeiter diesen Weg mitzugehen hängt mehrheitlich am Führungsteam. In einem Zeitraum von zehn Jahren begleiteten und studierten Rooke und Torbert zehn Organisationen und deren Entwicklung über einen Durchschnittszeitraum von vier Jahren. Die Unternehmen waren Profit- und Non-Profit-Unternehmen mit 10 bis rund 1000 Mitarbeitern quer durch alle Industrien (Automotiv, Gesundheitswesen, Energie u. v. m). Anhand verschiedener Kriterien wurde beobachtet, dass sieben Unternehmen wuchsen und erfolgreich waren und teilweise sogar die Marktführerschaft in ihren Industrien über-

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nehmen konnten. Drei Unternehmen schafften es trotz hohen Beratungseinsatzes hingegen nicht, Fuß zu fassen und verloren Geld und Mitarbeiter. Auffällig im Rahmen der Studien war, dass erfolgreiche Führungsteams es verstanden haben die Herausforderungen aus verschiedenen Perspektiven und Blickwinkeln zu betrachten und auch neue Denkmodelle zuzulassen. Sie haben auch verstanden, dass persönliche und organisatorische Veränderungen mit dem Ansatz der Gemeinsamkeit und dem Einbinden von freiwilligen Initiativen erfolgreicher sind, als wie dies mit einer Top-­downgesteuerten, hierarchischen Führung möglich gewesen wäre. Das heißt, das Führungsteam muss neben dem Willen auch das Know-how mitbringen, um Tools und Prozesse richtig und zielführend einzusetzen und darüber hinaus die Fähigkeit besitzen, die Mitarbeiter zu motivieren, einen mitunter steinigen Weg mitzugehen und diesen als Chance zu begreifen. Im schlimmsten Fall ist ein CEO nicht in der Lage, die Kraft einer erforderlichen Transformation zu verstehen oder diese auch nur zu begleiten oder zu unterstützen – dann ist eine Transformation zum Scheitern verurteilt, da wichtige Entscheidungen, die das übrige Führungsteam braucht, an diesem „Bottleneck“ hängen bleiben. Zahlreiche Beispiele der jüngeren Vergangenheit zeigen auf der anderen Seite, dass charismatische wie auch strategisch agierende Einzelpersonen durch ihr Wirken in der Lage waren, milliardenschwere Imperien aufzubauen.

17.3 Die Kraft des CEOs Apple, Dell und Starbucks kommen in der historischen Betrachtung in Bezug auf stark durch Einzelpersonen geprägte Unternehmen besondere Rollen zu. Diese Firmen waren mit ihren Gründern erfolgreich, aber nach deren Ausscheiden oder Rückzug aus dem aktiven Business haben diese Firmen z. T. drastisch Marktanteile verloren. Gemein ist diesen Firmen auch, dass sie ihre ehemaligen CEOs zurückgeholt haben und Steve Jobs, Michael Dell und Howard Schulz die Unternehmen zurück an die Weltspitze gebracht haben. Alle drei Persönlichkeiten haben die Transformation vom Gründer bis zum CEO eines Milliardenkonzerns durchlaufen. Es stellt sich daher die Frage, warum die Geschäfte schlechter gelaufen sind, als diese Personen nicht in den Unternehmen aktiv waren? Alle drei vereint, dass sie ihre Unternehmen visionär mit Herz und Leidenschaft führten. Doch nicht nur das. Auch Selbstkritik, offene Kritik an den eigenen Produkten, hohe Qualitätsansprüche und die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, zeichnet diese Persönlichkeiten aus. Fehlt beispielsweise die Leidenschaft, dann funktionieren die Menschen in den Unternehmen natürlich weiterhin. Stück für Stück gehen damit jedoch Visionen, Kreativität und die Fähigkeit, andere Menschen zu begeistern, verloren. Gerade die Begeisterung für das eigene Unternehmen, die eigenen Produkte und die Lust auf Neues machen den Unterschied. Denn diese Begeisterung überträgt sich automatisch auf das obere Führungsteam, die Teamleiter, die Mitarbeiter und schließlich auch auf den Markt.

17  Die Bedeutung der Persönlichkeitsentwicklung im Enterprise Transformation Cycle

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17.4 Die Bedeutung der Führung Echte „Führung“ beginnt bei jedem selbst. Nur wer sich im Inneren weiterentwickelt, kann dies auch nach außen zeigen. Die innere Einstellung bestimmt das eigene Verhalten und dies hat speziell bei Führungskräften Einfluss auf die Unternehmenskultur, die wiederum die Basis für exzellente Teams und hohe Produktivität bildet. Steve Jobs und Michael Dell sind durch ihre Erfahrungen persönlich gewachsen. Eine ihrer wichtigsten Erkenntnisse war, dass die Menschen den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen. Sie haben in sich selbst und ihr Personal investiert. Um ein Unternehmen langfristig erfolgreich an die Spitze zu bringen und weiterzuentwickeln, sind Veränderungen erforderlich, die bei einem selbst beginnen müssen. Oft wird der Impuls für Veränderungen und persönliches Wachstum durch „negative“ Erlebnisse ausgelöst. Steve Jobs musste einst gehen, Michael Dell hat sein Lebenswerk den Bach runter gehen sehen. Doch soweit muss es nicht kommen. Kontinuierliche Weiterbildung und Weiterentwicklung sowie die stete Offenheit für neue Ansätze und Denkweisen können eine Talfahrt verhindern. Stetes Arbeiten an sich und seinem Team erspart auf Dauer viele „Schmerzen“, Sorgen, Geld und Energie. Und schon mit einigen einfachen Dingen können Sie viel bewegen.

17.5 Organisatorisches Talent-Development Primär muss sich jedes Unternehmen die Frage stellen, welche Führungseigenschaften das Top-Management heute für eine innovative, disruptive oder in einer Transformation befindlichen Organisation mitbringen muss beziehungsweise wohin es sich entwickeln sollte. Grundsätzlich gilt: visionär sein, groß und anders denken sowie mutig sein. Mut zum Risiko, etwas noch nie Dagewesenes zu schaffen, dabei Vision und Ziele im Auge zu behalten und das Team zu Höchstleistungen anzuspornen – das ist der Anspruch, den Führungskräfte heute an sich haben sollten. Hierzu muss langfristig und strategisch nachgedacht werden und gleichzeitig müssen „traditionelle“ Denkstrukturen und Verhaltensmuster abgestreift werden. Die Persönlichkeiten von Experten beispielsweise, die in fachlichen, rationalen Denkstrukturen arbeiten und handeln, müssen sich in transformationale Persönlichkeiten entwickeln, für die Offenheit für andere Denkweisen, Arbeitsansätze und der Prozess zur Innovation im Vordergrund steht (siehe Abb. 17.2). Häufig wird in solchen Fällen mit dem Konzept zur Persönlichkeitsentwicklung Global Leader Profil (GLP) gearbeitet (Rooke und Torbet 2005), das von William R. Torbert und Kollegen in über 30 Jahren Arbeit entwickelt und verfeinert wurde (Torbert & Associates, 2004). Dabei liegt der Fokus nicht allein auf den einzelnen Persönlichkeitsanteilen, die wir in uns tragen, unabhängig davon, ob diese aktiv sind oder sich latent im Hintergrund halten.

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Redefining

Expert Values logic/craft Masters Efficiency Short Time Horizon Family/Peers Attention-Expertise Defensive – Feedback Power – Control-Expertise

Values/Process, Inquires Medium Time Horizon Family/Colleagues/Team/Process/Environment Attention = Societal/Values Inquiring and Collaborative Power - Sharing

Transforming Achiever Seeks Evidence Learns from Experience Medium Time Horizons Diplomat (2-5 years) Family/Colleagues/Team/ Conforms + Belongs Repeats Actions/ Processes Organization Attention = Delivery Short Time Horizons Accepts Feedback if (Days – weeks) Constructive Family/Friends/Tribe Power – OutcomeAttention – Local Influence Fears Feedback Power – Status-Control

Innovative Inspires & Collaborates Longer Time Horizon (Intergenerational) Family/Colleagues/Team/ Organization/Market & Beyond Attention = Systemic Seeks out Feedback to Challenge own Assumptions Power-Transforming – Mutually Enhancing

Abb. 17.2  Unterschiedliche Persönlichkeitstypen des Global Leader Profils, entwickelt von William R. Torbert; Charakterzüge und wie die Führung ausgelebt wird; Ausprägung von „Command und Control“ (vertikal) und die eines collaborativen Führungsstils (horizontal). (Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Torbert und Barker (o. J.), o. S)

Es geht vielmehr um Denkanstöße und Verhaltensweisen, die jeder Mensch aktivieren kann, um bestimmte Situationen oder Themen aus anderen Perspektiven und Blickwinkeln betrachten zu können. Torbert definiert fünf Persönlichkeitstypen, die wir in stärkeren, weniger starken oder nur geringer Ausprägung in uns tragen. Dabei gibt es einen „Typ“, den wir meist selbst als dominant herausgearbeitet haben, einen, in den wir unter Stresssituationen „zurückfallen“ und einen, in den wir uns entwickeln können, wenn wir dies aktiv angehen. Bezüglich der fünf im GLP-Konzept enthaltenen Persönlichkeitsprofile (siehe Abb. 17.2) zeigt die Statistik (Torbert & Associates, 2004 S. 79), dass ca. 10 % der Führungskräfte in die Kategorie Diplomat fallen, 45 % in der Kategorie Experte entsprechen und 35 % in der Kategorie Achiever verortet sind. Die restlichen 10 % verteilen sich auf die Typen Redefining und Transforming. Eine Führungspersönlichkeit mit einem starken Diplomatenanteil wird sich beispielsweise schwer tun, konträre Entscheidungen zu treffen, da dies stark mit seinem Zugehörigkeitsgefühl bzw. Harmoniebedürfnis im Konflikt steht. Ist eine Führungskraft auch Experte, werden seine Entscheidungen oder auch die Kommunikation auf fachliche Themen/Argumenten und Fakten gestützt sein. Damit wird es

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schwierig, die eingetretenen Pfade zu verlassen und neue, eventuell auch mit Risiko behaftete Wege einzuschlagen. Ein Achiever denkt strategisch und langfristiger in die Zukunft, ist aber auch sehr zielorientiert und ehrgeizig. Der Redefining-Typ hat eher einen collaborativen, sozialen Führungsstil, der gerne individuelle Wege einschlägt, seinem Team die Freiheit gibt, individuelle Wege und Lösungen zu erarbeiten und der auch gerne das Lob mit seinem Team teilt. Interessante Folgen ergeben sich z. B., wenn eine gesamte Firma auf einer „Expertenkultur“ basiert oder sich als Achieverorganisation darstellt  – je nachdem, wie hoch der Anteil der einzelnen Persönlichkeiten in den jeweiligen Persönlichkeitsstrukturen ist. Bei solchen in eine Richtung stark ausgeprägten Kulturen ist dann auch klar, dass sich eine transformationale Persönlichkeit beispielsweise in einer stark geprägten Achieverkultur nicht ausleben oder entwickeln kann. Sie passt sich an, aber das eigentliche Potenzial dieser Person kann nicht zum Tragen kommen. Vielfalt und neue Kreativität in einer Organisation entsteht aber nur dann, wenn sowohl in den Teams als auch in der gesamten Organisation die verschiedensten Ausprägungen an Persönlichkeitsstrukturen zu Wort kommen und die Prozesse aktiv mitgestalten können. Manager, die eine erfolgreiche Transformation mit ihrem Team gestalten wollen, verstehen, dass persönlicher und organisatorischer Change nur im gegen- und wechselseitigen Einvernehmen funktioniert. Hinzu kommt, dass Initiativen, die freiwillig aus der Organisation getrieben werden, sehr viel zielführender und kraftvoller sind als solche, die über eine hierarchische Führung Top-down durchgesetzt werden sollen. Das Management sollte daher Visionen teilen, Team-Learning und die persönliche Weiterentwicklung der Teammitglieder fördern sowie x-funktionale Initiativen über mehrere Funktionsbereiche hinaus anstreben. Da der Enterprise Transformation Cycle ganzheitlich auf ein Unternehmen angewendet wird und auch die Unternehmenstransformation nicht in Silos stattfinden kann, ist es wichtig, dass der gesamte Führungskreis eine „Mature Personality“, also eine bereits entwickelte Persönlichkeit in sich trägt oder entsprechende „Leadership Capabilities“ besitzt, um eine Transformation erfolgreich zu gestalten.

17.6 D  ie Organisation im Ganzen betrachten und Grenzen überwinden Viele Leadership-Konzepte oder in Unternehmen umgesetzte Coaching-Maβnahmen beschränken sich meist nur auf eine Ebene der Organisation oder dabei oft nur auf einzelne individuelle Manager oder besonders zu fördernde Nachwuchskräfte. In den seltensten Fällen wird jedoch die Mitarbeiter-Ebene oder auch die übergeordnete Business-Strategie oder -Vision des Unternehmens mit einbezogen. Dies resultiert in der Regel aus veralteten bzw. nicht den aktuellen Gegebenheiten eines sich schnell änderten Marktes angepassten Programmen für die Mitarbeiter- und Managerentwicklung.

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In der Praxis hat sich ein ganzheitliches Model, welches sowohl die Geschäftsmodelle, das Team und den individuellen Contributor einbezieht, sei es der Manger oder der Mitarbeiter, bewährt (siehe Abb. 17.3). Denn das Zusammenspiel der gesamten Organisation entscheidet schlussendlich darüber, wie erfolgreich Transformation umgesetzt bzw. gelebt werden kann. Dies ist auch der Ansatz des Enterprise Transformation Cycles (ETC) (Pfannstiel und Steinhoff 2018) der alle Felder des Unternehmens mit einbezieht. Transformation scheitert oftmals an der Diskrepanz zwischen der Intention zur Veränderung und der Umsetzung dieser Veränderung. In manchen Fällen ist es ein Teammitglied und manchmal sind es ganze Teams, die mental oder emotional die erforderlichen Veränderungen nicht mitgehen können oder wollen. Auch Konflikte in strategischen und operativen Zielen können einen solchen Prozess negativ beeinflussen. So kann es sein, dass Innovation zwar gewünscht ist, jedoch Budgets, Ressourcen, nicht erreichbare Zielvorgaben oder der zeitliche Rahmen nicht zur Verfügung gestellt werden. Eine nachhaltige Transformation und Veränderung ist nur dann erfolgreich, wenn sowohl die Mitarbeiter auf allen Ebenen mitgenommen werden und dabei die Integration von Einzel- und Teamzielen, die Gesamtstrategie und eine übergeordnete organisatorische Vision im Gesamtkontext berücksichtigt wird. Wichtig sind in diesem Zusammenhang regelmäßige Feedbackprozesse, die rechtzeitig durchzuführen sind und als zusätzliche Kontrollinstrumente in Bezug auf das Erreichen

Ganzheitliches Leadership Konzept EMPOWER

ENGAGE Organizational Leadership 3rd Shift - Learning Organization C-Level

Transformational Leadership

2nd Shift - Collaboration Leadership Team

Transactional Leadership

1st Shift - Talent Development Mitarbeiter/ Individual Contributor

Abb. 17.3  Ganzheitliches Führungskonzept. Deutlich ist zu erkennen, welche Veränderungen in einer Organisation auf welchem Level umgesetzt werden sollten, damit sich ein Unternehmen zu einer selbstlernenden Organisation entwickeln kann. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

17  Die Bedeutung der Persönlichkeitsentwicklung im Enterprise Transformation Cycle

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von Zielen und ggf. zusätzlichen erforderlichen Maßnahmen zu installieren sind. Die üblichen Floskeln, die dann zur Sprache kommen, wenn sich Probleme abzeichnen wie „Wo stehen wir im Vergleich zum Ziel und welche Maßnahmen ergreifen wir, um das Ziel noch zu erreichen?“, werden die Organisation in komplexen Transformations- und Veränderungsprozessen nicht voranbringen. Zu berücksichtigen ist, nicht nur Fragen wie im obigen Beispiel zu stellen, die das Team erst dann mit einbezieht, wenn es schon fast zu spät ist. In einer solchen Situation unter Druck wird oft im kurzfristigen Aktionismus gehandelt und die langfristige Strategie aus den Augen verloren. Kreativität und die Innovationskraft, in der Veränderung auch Neues entstehen zu lassen, bleibt in solchen Situationen meist auf der Strecke. Ziel sollte es vielmehr sein, von Anbeginn Verhaltensweisen zu etablieren, die im steten Prozess zu neuen Ideen anregen, die zu einem Miteinander und einem „anders“ gestalten führen. Fragen sollten sich die Akteure in einem Transformationsprozess auf der einen Seite, wie effektiv neue Ideen in der eigenen Organisation übergreifend kommuniziert werden, und auf der anderen Seite, welche Kultur in einer Organisation erforderlich wäre, um diese Ideen langfristig am Leben zu halten und auch konsequent umzusetzen. Auch die Frage, ob Teamarbeit nicht nur in einer Abteilung/einem Team oder aber über die gesamte Organisation gelebt wird, gehört dazu. Und schließlich sollte die Frage gestellt werden, ob eine Organisation grundsätzlich offen und sensibel für die Bedürfnisse, Anregungen und Ideen der anderen Kollegen/Abteilungen ist. Nur wenn es eine Organisation schafft, sich schnell und flexibel und vor allen Dingen gemeinsam auf sich ankündigende Marktveränderungen einzulassen und auch einzustellen, kann diese auch im Markt erfolgreich bestehen.

17.7 Ganzheitliche Förderung von Mitarbeitern und Teams Wie in den letzten Abschnitten bereits mehrfach angerissen, ist die zielgerichtete Förderung der Mitarbeiter das wichtigste Element im gesamten Transformationsprozess. Um beispielsweise ein bereits auf hohem Niveau agierendes Team weiterzuentwickeln, bedarf es besonderer Maßnahmen. Standardweiterbildungen wie Verkaufsschulungen oder Präsentationstrainings werden keinen zusätzlichen Erfolg bringen. Es braucht ein ganzheitliches Konzept, das sich von den Executives über das Führungsteam bis hin zum Endkunden spannt, um Teams weiterzuentwickeln und nachhaltig erfolgreich im Markt zu sein. Transformation des menschlichen Potenzials („transform your human potential“) ist die Hauptaufgabe eines Leaders! In diesem Beitrag steht die Knappheit der Human Ressource im Vordergrund. Produkte können nahezu beliebig in hoher Stückzahl, gleicher Form und Farbe maschinell produziert werden. Beim Menschen geht dies nicht! Menschen sind nicht vervielfältigbar und haben als Individuen jeweilige Stärken und Schwächen. Hinzu kommt, dass sich Menschen nur dort entfalten und ihr höchstes Potenzial erreichen können, wo sie sich wertgeschätzt fühlen.

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Wird z. B. angenommen, dass ein Akteur mit einem Team arbeitet, das innerlich den Sieg schon aufgegeben hat, dann möchte voraussichtlich kein anderer Akteur mit so einem Team zum Spiel antreten. Wenn der Team-Leader es aber schafft, eine oder mehrere Personen dieses Teams zu Höchstleistungen anzuspornen, dann kann dieser Funke auch auf das gesamte Team überspringen. In gleichem Maβe kann ein solches Team wiederum das gesamte Unternehmen beeinflussen. Das sind die Grundlagen der Systemtheorie, auf denen das vorgestellte Konzept für eine erfolgreiche Mitarbeiterentwicklung basiert. Wenn sich bestimmte Personen in eine Richtung weiterentwickeln, dann werden andere folgen. Die Systemtheorie ist ein Denkansatz, in dem es um Gesamtheiten geht, die der Gefahr entgegenwirken, sich in Einzelheiten zu verlieren. Das System wird als Einheit verstanden das durch Wechselwirkung der Elemente untereinander etwas Neues und mehr als die Summe der einzelnen Teile ist. Soll heißen: Ein Team, dass konstruktiv und synergetisch zusammenarbeitet, erreicht mehr als Einzelpersonen, die isoliert voneinander arbeiten. Wenn sich ein Element/Mitarbeiter verändert, ändert sich damit auch das gesamte System durch die abhängige Wechselwirkung untereinander. Dies geschieht als Impuls aus dem Inneren des Systems/Teams. Wenn nur ein Mitarbeiter eine neue Richtung einschlägt, eine innovative Idee hat, kann dies der Impuls sein, der das gesamte Team in die Lage versetzt, etwas komplett Neues zu erschaffen. Dies ist so geschehen bei einem Kunden, einem international agierenden Mobilfunkanbieter. In der gemeinsamen Erarbeitung der neuen strategischen Ausrichtung einer IT-­ Infrastrukturabteilung wurde durch das Einbeziehen des gesamten Teams agil die neue Struktur entwickelt. Als „Nebeneffekt“ und weil die Mitarbeiter gefordert wurden, außerhalb ihres Aufgabenbereiches („outside the box“) zu denken, kam eine Mitarbeiterin auf eine innovative Idee für ein neues Geschäftsmodell. Basis war die bestehende IT-Infrastruktur des Unternehmens. Aus der IT-Abteilung heraus entstand so eine innovative Idee, die die Ausrichtung des gesamten Unternehmens weltweit in eine neue Richtung hätte lenken können. Unglücklicherweise scheiterte diese Idee an der Führungsriege, die nicht bereit war, auch ein gewisses Risiko einzugehen. Dieses Beispiel zeigt, dass eine Veränderung mit der Einstellung der Mitarbeiter beginnen oder auch blockiert werden kann.

17.8 Talente finden In nicht wenigen Fällen scheitern Transformationen am bestehenden Mitarbeiterstamm. Es braucht dann neue Mitarbeiter, die neue Impulse setzen, neue Ideen und Gedankengänge einbringen oder bereits Erfahrungen für einen Transformationsprozess mitbringen. Um die richtigen Personen zu finden, ist dabei insbesondere das Mindset des einstellenden Managers gefragt. Oft ist es so, dass ein Manager oder die Personalabteilung eine detaillierte Job Description entwickelt und es wird dann versucht, genau den Menschen zu finden, der auf diese Beschreibung passt. Dies kann langwierig, schwierig und teuer für die gesamte Organisation sein. Viele Stellen bleiben deswegen über Monate hinweg unbe-

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setzt, wichtige Themen bleiben liegen, die Produktivität leidet und das erste, was außen vor bleibt, sind innovative Themen, die zugunsten des operativen Tagesgeschäfts nach hinten geschoben werden. Hinzu kommt, dass viele Manager in den Bewerbungsgesprächen nach Mängeln des Bewerbers suchen – sie fokussieren sich also auf negative Eigenschaften und schon im Interview suchen sie nach Argumenten, warum der Bewerber/die Bewerberin gegebenenfalls nicht geeignet ist. Ein Leader stellt einen neuen Mitarbeiter nach anderen Kriterien ein bzw. dreht den Prozess um: Er fragt sich, ob der der Mitarbeiter zu seiner langfristigen Vision passt beziehungsweise welchen Persönlichkeitstyp und welches Skillset er sich einkaufen muss, um weiterhin innovative Themen im Markt voranzutreiben und um seine Vision langsam und langfristig in die Realität umzusetzen. Hier geht der Leader in das Interview mit dem Anspruch, zu erfahren, was für ein Potenzial dieser Mitarbeiter für ihn und seine Organisation mit sich bringt. Er stellt sich also auf das Positive im Bewerber ein und öffnet sich so die Möglichkeiten, sich ein außerordentliches Team von Talenten zusammenzustellen. Also keine 5–9 Mitarbeiter, die ihren Job erledigen und auch nicht mehr erreichen wollen. Doch auch diesen Weg zu gehen erfordert Mut!! Der Mut ist dahingehend erforderlich, sich auch gewissen Risiken zu stellen. Hoch kreative Köpfe sind oft schwerer zu führen und integrieren sich meist auch nicht so einfach in ein bestehendes Team. Auch streben Talente oftmals schneller in andere (innovativere) Bereiche oder gar nach höheren Bereichen, als einem lieb ist. So verliert das Team diese unter Umständen wieder sehr schnell aus dem eigenen Geschäftsbereich. Auf solche Dinge muss sich ein Leader einstellen und auch entsprechend die eigenen Teams umorganisieren, damit diese langfristig harmonieren.

17.9 Schlussbetrachtung Die Transformation eines Unternehmens im ETC auf allen Ebenen und in allen Bereichen kann mit einem Besuch im Fitnessstudio verglichen werden. Wer nicht mit einem Muskelkater nach Hause geht, hat nicht genug trainiert und es gibt Tage, da bleibt der Trainierende deutlich hinter seinen Erwartungen zurück. Auch bei einer Unternehmenstransformation wird es nicht ohne Schmerzen und Rückschläge gehen. Ein guter Sportler hat eine Vision, Ziele, die er erreichen will. Er trainiert diszipliniert, geht an seine Grenzen, probiert alternative Trainingskonzepte, wenn er nicht weiter kommt, misst sich an seinem Erfolg und reflektiert damit regelmäßig; alles Dinge, die ebenfalls für die Persönlichkeits- und Teamentwicklung im Unternehmen von Bedeutung sind.

Literatur Pfannstiel MA, Steinhoff PF-J (2018) Der Enterprise Transformation Cycle, Theorie, Anwendung, Praxis. Springer, Wiesbaden

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Rooke D, Torbert WR (1999) The CEO’s role in organizational transformation. Pegasus Commun 10(7):1 Rooke D, Torbert WR (2005) Seven transformations of leadership. Harv Bus Rev 66–77. https://hbr. org/2005/04/seven-transformations-of-leadership. Zugegriffen am 13.06.2019 Stiles P, Uhl A, Stratil P (2012) Meta Management. In: Uhl A, Gollenia LA (Hrsg) A handbook of business transformation management methodology. Routledge, New York, S 41–59 Torbert B. & Associates (2004) Action inquiry, the secret of timely and transforming Leadership. Berrett-Koehler Publishers, Inc., San Francisco Torbert B, Barker EH (o. J.) ohne Titel, Global Leadership Associates Limited, o. V Transformation Consulting International (2018) Der enterprise transformation cycle. Transformation Consulting International (TCI.). https://www.tci-partners.com/de (TCI-Facts). Zugegriffen am 19.09.2018

Martina Stauch,  Betriebswirtin (Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie), hat 16 Jahre Vertriebserfahrung in unterschiedlichen Funktionen und Branchen. Die letzten acht Jahre war sie bei Cisco Systems als Head of Sales und Interims-Direktor tätig. Hier konnte sie durch Veränderung der Organisation und Strategie sowie Coaching-Maßnahmen des Sales-Teams den Umsatz in fünf Jahren verdreifachen. Das Team war eines der erfolgreichsten innerhalb der Organisation Cisco Systems Europa. Dieses Wissen und ihre eigen entwickelten Methoden bringt Martina Stauch mit ihrer Consulting-Agentur erfolgreich in internationale Unternehmen ein.

Die Wechselbeziehung von Organisationskultur, Changemanagement und Emotionen in der digitalen Transformation

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Martin Kupiek

Inhaltsverzeichnis 18.1  Einleitung – Paradigmenwechsel in der digitalen Transformation  18.2  Überblick Emotionsforschung: Individuen und Teams  18.3  Organisationskultur und Emotionen  18.4  Changemanagement und Emotionen  18.5  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Die mit der zunehmenden Digitalisierung verknüpften Unsicherheiten über die Ausgestaltung von zielführenden Veränderungsprozessen, führen zu einer verstärkten Emotionalisierung vieler Vorhaben. Angst und Optimismus stehen sich immer öfter gegenüber und befördern oder behindern die Erreichung von ehrgeizigen Transformationsprojekten. Einige Changemanagement-Konzeptualisierungen berücksichtigen explizit die Wirkkraft von Emotionen, aber ohne Verbindung zur Organisationskultur werden diese Anstrengung nur selten belohnt. Denn hier, im Wertezentrum eines jeden Unternehmens, werden die Weichen für eine erfolgreiche Digitalisierung gestellt. Nicht nur Technik, sondern auch Prozesse, Organisation und „weiche“ Faktoren – immer präsent, nur schwer fassbar – wie die Organisationskultur und Emotionen entscheiden in zunehmendem Maße über Erfolg oder Misserfolg von Change Projekten.

M. Kupiek (*) Krailling, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_18

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18.1 E  inleitung – Paradigmenwechsel in der digitalen Transformation Die Debatten über den richtigen Weg in die digitale Zukunft reißen nicht ab, man könnte sogar davon sprechen, dass sie sich verschärfen. Der Ton wird rauer und die Ungeduld wächst, egal ob in der Gesellschaft generell, an den Schulen oder in den Unternehmen. Der Anpassungsdruck an die verschiedenen Lagen wird immer größer, da sich die Veränderungsgeschwindigkeit massiv erhöht. Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und damit das Überleben des Unternehmens ist somit der essenzielle Treiber, um Veränderungen anzustoßen. Damit verknüpft ist eine steigende Unsicherheit bezüglich strategischer und operativer Entscheidungsfindungen, das heißt: Wie können simultan Komplexität, Ambiguität und Volatilität adressiert werden bei gleichzeitigem profitablen Wachstum (Aulinger 2017)? Viel ist auch schon publiziert worden bezüglich der Herangehensweise im Rahmen der digitalen Transformation (Matzler et al. 2016) und es herrscht Konsens, dass Technologie für sich alleine genommen nicht den erhofften Erfolg bringen wird. Brynjolfsson und McAfee (2014) schätzen, dass für jeden Doller, der in Technologie investiert wird, der zehnfache Betrag aufgewendet werden muss, um die entsprechenden Anpassungen in der Organisation, bei den Prozessen und den Führungsstrukturen durchzuführen. Der zunehmende Veränderungsdruck erfordert die Umsetzung von Changemanagementmaßnahmen, die den Kern eines jeden Unternehmens betrifft: die Organisationskultur mit all ihren sichtbaren und unsichtbaren „Regeln“, die für das organisationsinterne Miteinander sowie den Umgang mit externen Kontakten verantwortlich sind (Schein 1995; Smollan und Sayers 2009). Kultur umfasst somit u. a. sämtliche Annahmen, Prinzipien, Werte, Normen und Regeln, die das Unternehmensleben bestimmen. Einfach ausgedrückt, Kultur ist, „wie die Dinge hier erledigt werden“ (Martin 2002). Konsequenterweise muss also nicht nur die Digitalisierung und die IT im Fokus stehen, sondern auch die „weichen“ Faktoren, d.  h. die Unternehmenskultur mit neuen Regeln und Verhaltensmustern. Wenn die Umsetzung der Change-Maßnahmen und damit auch die Einführung von neue Elementen in der Organisationskultur gelingen soll, müssen allerdings auch emotionale Faktoren einbezogen werden, denn Ankündigungen, Workshops, Interaktionen mit Managern und Kollegen sowie Kunden und Lieferanten lösen Emotionen bei Beteiligten aus – positive wie häufig auch negative. Oft werden negative Emotionen wahrgenommen, wenn es um möglichen Verlust des Arbeitsplatzes oder des Status in der Organisation geht. Unmut über das Vorgehen im Projekt – besonders das Verhalten von Vorgesetzten – oder Zweifel an der Richtigkeit der Ziele sind ebenfalls häufig Grund für die Äußerung von negativen Gefühlen (Koch 2017). Seltener kommt es zum Ausdruck positiver Emotionen, wenn sich zum Beispiel neue Chance für das eigene Fortkommen eröffnen oder neue interessante Aufgaben zu erledi-

18  Die Wechselbeziehung von Organisationskultur, Changemanagement und …

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gen sind. Daher ist die Organisationskultur von so überragender Bedeutung, denn hier wird verhandelt, welche Emotionen überhaupt offen gezeigt werden dürfen oder ob sie unterdrückt werden müssen. Mit anderen Worten, die Organisationskultur kann den Wandel unterstützen und tragen oder kann ein entscheidender Faktor sein, wenn die Veränderungsbemühungen scheitern und die Anpassung der Mitarbeiter an das Neue auf individueller und/oder Team- bzw. Abteilungsebene misslingt (Smollan und Sayers 2009). Was kann man also tun, um emotionales Momentum in die richtigen Bahnen zu lenken? Dieser Beitrag geht auf die wichtigsten Elemente einer Organisationskultur ein, stellt relevante Aspekte eines Changemanagements dar und befasst sich ausführlich mit dem Thema Emotionen, was sie eigentlich sind, woher sie kommen und wie sie verändert werden können. Insbesondere die Wechselbeziehungen von Kultur, Change und Emotion in Teams sind bedeutsam. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass • Veränderungen in Organisationen Emotionen auslösen können, • jede Organisationskultur mit Emotionen geladen ist, • auch strategische, geschäftsprozess- oder IT-bezogenen Veränderungen einen Wandel in der Organisationskultur bewirken und • die Organisationskultur in hohem Maße beeinflusst, wie diese Emotionen erfahren werden und zum Ausdruck gebracht werden (dürfen). Die folgende Darstellung verdeutlicht dies sehr anschaulich: „(…). The new CEO of an organization, which is bureaucratic but has a strong element of concern for staff, decides that to be competitive the culture needs to be more innovative and more customer focused. Among other changes, the performance management system now highlights individual achievement of goals, which include the new cultural imperatives. Yet many of the employees feel comfortable with the old culture and find the new regime too competitive, overly oriented towards change for the sake of change, and less caring of the individual employee. They feel anxious and unhappy about the changes that have taken place. Whereas in the past their concerns were respectfully listened to by managers, the new response is to treat negative emotion as a barrier to performance and to indicate to employees that they need to harden up and support the changes. Conversely, some employees find the changes to be exciting and relevant. Positive emotion is noted by the CEO and taken as a sign that change has been embraced.“ (Smollan und Sayers 2009)

Veränderungen in der Organisationskultur lösen unterschiedliche Reaktionen auf der emotionalen Ebene aus. In zahlriechen Publikation wird allerdings darauf verzichtet, ein grundlegendes Verständnis von Emotionen zu zeigen, sondern Gefühle werden als gegeben oder Black Box aufgefasst. Um ein besseres Verständnis für den weiteren Verlauf dieses Beitrags zu erlangen, werden im Folgenden die grundlegenden Konzepte aus der Emotionsforschung dargestellt.

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18.2 Überblick Emotionsforschung: Individuen und Teams Die Beantwortung der Frage „Was ist Emotion?“ gestaltet sich schwierig. Abhängig von der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin können sehr unterschiedliche Antworten da­ rauf gegeben werden. Seit der Antike beschäftigt und dominiert die Philosophie, Theologie, aber auch Rhetorik, Medizin und Belletristik das Denken über Emotionen. Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Psychologie und ab dem 20. Jahrhundert durch die Neurowissenschaften wurden diese Disziplinen in den Hintergrund gedrängt und die Deutungshoheit über Emotionen wanderte zu den Lebenswissenschaften. Die Zahl der Definitionen zum Thema Emotionen stieg unaufhörlich, z. B. wurden 1980 in der englischsprachigen Experimentalpsychologie 92 verschiedene Emotionsbegriffe gezählt. Diese Zahl ist durch den Einfluss der neurowissenschaftlichen Forschungen bis heute wahrscheinlich noch gestiegen. Um die Verständlichkeit im Folgenden zu sichern wird hier das Wort Emotion als Metabegriff verwenden, um die unterschiedlichen Entwicklungslinien zusammenzufassen. Letztendlich können die Emotionsbegriffe aus dem lateinischen Word „emovere“ abgeleitet werden, was so viel wie „bewegen“ bedeutet (Plamper 2012). In der klassischen Sicht stellen Emotionen eine biologische Resonanz auf Umweltstimuli dar. Mit anderen Worten, Emotionen werden von externen Gegebenheiten ausgelöst, um den Organismus in Bereitschaft zu versetzen, sich an diese Veränderungen körperlich und psychologisch anzupassen (Ashkanasy et al. 2017). Talat (2017) fasst den Ursprung dieser Auffassung zusammen, der zurückgeht auf die Ideen der klassischen griechischen Philosophen, z.  B.  Heraklit, Plato und Aristoteles, die ca. 500  v.Chr. postulierten, dass Emotion und Kognition im Wiederstreit zueinander stehen und dass Wissen menschliches Handeln leiten oder sogar bestimmen sollte. Implizit wird hier die Macht der Gefühle angesprochen, die es immer wieder zu bekämpfen gilt. Descartes und Spinoza formulierten dann im 17. Jahrhundert die Philosophie des Dualismus, um zu zeigen, dass Körper und Geist unabhängig voneinander handeln. Dabei beschrieben sie zum ersten Mal die sechs Basisgefühle, auf die sich noch heute zahlreiche Konzepte beziehen. Auch Darwin und Kant waren der Meinung, dass alle Gefühle durch rationales Handeln abgemildert und im Einfluss reduziert werden sollten. Diese Auffassung kam im 20. Jahrhundert auch Taylor zugute, der wenig Verständnis für Emotionen im Management zeigte, sondern Gefühle als Artefakte der Evolutionen betrachtete, die vor langer Zeit hilfreich im Kampf ums Überleben waren, aber keinen Platz in modernen Managementkonzepten hatten. Die Steuerung von komplexen Produktionsprozessen erforderte rationale Kontrolle und Überwachung und für Emotionen war kein Raum vorgesehen. Sie mussten reguliert oder sogar unterdrückt werden, um den Erfolg nicht zu gefährden (Talat 2017). Andererseits gab es Zweifel, ob die Auffassungen richtig sind. Die Forschungsarbeiten z. B. von Hochschild (1986) zeigten sehr deutlich, dass im betriebswirtschaftlichen Kontext Emotionen eine große Rollen spielen können. Der von ihm geprägten Begriff der „Emotional Labor“ verdeutlicht, dass gerade Angestellte in Vertriebs- oder Servicejobs

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mit öffentlichen Kundeninteraktionen häufig Gefühle zeigen müssen (Freundlichkeit, Verbindlichkeit, etc.), die nichts mit ihrem tatsächlichen Gefühlsleben zu tun haben. Dieses unfreiwillige Verhalten löste eine schlechtere Leistung bis zum Burnout aus. Die neuste Entwicklung auf dem Gebiet der Emotionsforschung stammt aus den USA. Barrett (2017a) hat in ihren Forschungsarbeiten den Ansatz „The Theory of Constructed Emotions“ entwickelt, um eine neue Sicht auf Emotionen vorzustellen. Ihrer Ansicht nach hat die Emotionsforschung zu lange auf Kategorien der traditionellen psychologischen Konzepten, abgeleitet aus der Philosophie, gesetzt, um die Basis von Emotionen im Gehirn zu suchen. In den letzten zwei Dekaden hat die neurowissenschaftliche Forschung viele Ergebnisse und Erkenntnisse über die Wirkungsweise des Gehirns geliefert, die dazu geeignet sind, einen Paradigmenwechsel zu forcieren. Diese Grundlagen ermöglichen es auch, das Verständnis, was Emotionen sind und wie sie funktionieren, und eine neue Sichtweise auf den Umgang mit Emotionen zu entwickeln. Sie postuliert, dass Emotionen individuell kreiert und nicht ausgelöst werden. Die Neurowissenschaftlerin geht von den Annahmen aus, dass das Gehirn „predictive“ ist, d. h. jeder Mensch erstellt seine eigene Vorhersage über das, was in naher Zukunft geschehen wird (Frith 2007; Rock 2009; Barrett 2017b). Dies hat praktische Gründe, um schnell auf Gefahrensituationen reagieren zu können und ist auch energieeffizient, da sich dieser Vorgang auf vergangene Erfahrungen bezieht und eine Lösung quasi im Lager des Gehirns abgelegt ist. Somit ist das Gehirn aktiv und nicht reaktiv orientiert. Es reagiert also nicht auf externe Stimuli, sondern vergleicht diese Stimuli mit Erfahrungen aus der Vergangenheit, um das bestmögliche oder am besten passenden Verhalten in einer bestimmten Situation zu produzieren. Rock und Ringleb (2013) haben auch den Begriff „Expectations Shape Reality“ geprägt, um zum Ausdruck zu bringen, dass unsere Erwartungen und Vorhersagen relevant für die nahe Zukunft sind. Diese Erzeugung von Vorhersagen erfolgt in verschiedenen neuronalen Gehirnsystemen. Diese Erkenntnis ist noch relativ neu und bezieht auch auf die Connectome-Forschung (Sporns 2012) ein, die besagt, dass es keine abgegrenzten lokalen Bereiche im Gehirn gibt, sondern neuronale Verknüpfungen, die z. B. ein Kernsystem oder periphere Systeme mit Spezialaufgaben bilden. Das Zusammenspiel der physischen Eigenschaften des Körpers und Gehirns erzeugt eine enorme Variationsbreite von Emotionen, die Verhalten beeinflussen – und das innerhalb und über alle Kulturen hinweg. Dies beinhaltet auch die Umweltbedingungen und die Zeit des Heranwachsens. Daraus lässt sich schließen, dass Emotionen gelernte Konzepte sind, die in Kultur und individueller Erfahrung fest verankert sind. Sie können somit unterschiedliche Funktionen erfüllen. Zum Beispiel kann Ärger ganz unterschiedlich zum Ausdruck gebracht werden, abhängig davon, wo man gerade ist und wer das Gegenüber ist, ob es im privaten Umfeld stattfindet und ob der Ärger gegenüber seinem Vorgesetzten zum Ausdruck gebracht werden soll (Barrett 2017b). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Emotionen eine bewusste Erfahrung sind und dass Individuen die Fähigkeiten besitzen, Emotionen anderen Personen zuzuschreiben. Die kognitiven Begabungen ermöglichen es, über Emotionen zu sprechen und sie auszudrücken (Barrett 2017a; Adolphs 2017).

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Im Kontext von Organisationskultur und Changemanagement lohnt sich aber noch ein Blick auf die Themen „soziale Funktion von Emotionen“ und „Teamemotionen“. Soziale Funktion von Emotionen Der funktionale Charakter von Emotionen ermöglicht es, Probleme zu lösen, zum Beispiel einen Angreifer mithilfe von Angst zurückschlagen oder die Flucht ergreifen. Im Kontext Changemanagement steht aber das „soziale Überleben“ im Vordergrund. Das funktioniert jedoch nur mithilfe der Fähigkeit, soziale Bindungen zu knüpfen und soziale Problem wie Isolation oder Verlust von Einfluss zu überwinden. Das zentrale Argument ist die Sicherung des sozialen „Well-being“. Diese gelingt durch die Wahrnehmung und den Ausdruck von Emotionen, die zum einen dabei helfen, positive soziale Beziehungen aufzunehmen und zu pflegen. Zum anderen ermöglichen sie es, eine soziale Position in Relation zu anderen aufrechtzuerhalten und dabei die eigene Identität und das Selbstwertgefühl zu schützen, manchmal sogar Macht auf Kosten anderer auszuüben. Da sich beide Seiten diametral gegenüberstehen, ist der Erhalt eines ausgewogenen Verhältnisses von großer Bedeutung (Fischer und Manstead 2016). Mit anderen Worten: Emotionen dienen dem Erzeugen von Nähe, zum Beispiel Dankbarkeit, Glück, Liebe, Scham, Schuld, Bedauern sowie der Wahrung von Distanz, zum Beispiel durch das Zeigen von Wut, Hass, Verachtung oder Stolz. Im sozialen Kontext eines Entwicklungsprojekts in einem Unternehmen stehen aber auch zahlreiche Teams, Abteilungen oder Bereiche im Wettbewerb zueinander, sodass Emotionen zwischen den Gruppen unweigerlich eine wichtige Rolle einnehmen. Group und Intergroup Emotionen In jedem Unternehmen ist jeder Mitarbeiter Mitglied einer Gruppe, eines Teams, einer Abteilung und Angehöriger des Gesamtunternehmens. Wie oben bereits dargestellt, sind unter anderem Offenheit, Wertschätzung, Nähe und Distanz zentrale Punkte in der täglichen Arbeit und bei der Einführung von agilen Managementmethoden. Inwieweit sich jemand offen, nahbar oder distanziert im sozialen Kontext Arbeit verhält, wird stark durch individuelle Emotionen bestimmt. Emotionen sind nicht zweckfrei, sondern haben einen starken adaptiven und funktionalen Charakter auf der biologischen und individuellen Ebene. Viele Forschungsarbeiten haben sich dementsprechend auf die Untersuchung von individuell wahrgenommenen Emotionen konzentriert und soziale Aspekte vernachlässigt. Aber wie Emotionen in sozialen Kontexten entstehen und erscheinen sowie welche Bedeutung diese Emotionen von beispielsweise Teammitgliedern zugewiesen werden, ist von zentraler Wichtigkeit bei jeder Einführung von innovativen teamorientierten Arbeitsweisen. Erkennbar wird das etwa daran, wenn sie emotional gleichgerichtet auf Veranstaltungen, Ankündigungen oder andere Dinge, die auf die Gruppen einwirken, reagieren (Smith und Mackie 2016). Dies gilt insbesondere, wenn diese dem Prinzip der Selbstorganisation folgen soll. Dazu mehr weiter unten bei Thema der 4I.

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18.3 Organisationskultur und Emotionen Bevor ein Change-Projekt aufgesetzt wird, ist es sinnvoll, sich mit dem Thema Unternehmenskultur auseinanderzusetzen. Eine kritische Reflexion sollte zum Ziel haben, die wichtigsten Themen der gegenwärtigen Organisation zu erarbeiten, um erfolgsversprechende Anknüpfungspunkte für die Veränderung zu finden. Der Ausgangpunkt für die Beschäftigung mit Emotionen ist sicherlich die Unternehmenskultur, denn hier sind die „Regeln“ für das organisations-interne Miteinander sowie den Umgang mit externen Kontakten definiert worden (Schein 1995; Smollan und Sayers 2009). Zahlreiche Typisierungen, Annährungen und Beschreibungen von Kulturen in Organisationen finden sich in der Literatur seit Jahren (Schein 1995; Müller 1997; Laloux 2014) und damit auch die unterschiedlichsten Meinungen, was Kultur eigentlich ist. Beispielsweise unterscheidet Müller (1997) drei Organisationskulturen, die von part­ nerschaftlich-­sozialen, autoritären und diktatorischen Elementen geprägt werden. Die Mehrzahl der heutigen Unternehmen kann wohl dem ersten Model, der Partizipationsidee folgend zugeordnet werden, während autoritäre Kulturen eher weniger stark ausgeprägt sind. Emotionen in diesem Umfeld können sehr unterschiedlich gezeigt werden. In autoritären und diktatorischen Kulturen werden Gefühle eher selten offen gezeigt oder thematisiert, wahrscheinlich eher unterdrückt und mit dem Stigma der Schwäche belegt. In partizipativen Kulturen ist es wahrscheinlich eher möglich, offen über Emotionen zu reden, aber auf individueller Basis als in Gruppeninteraktionen. Ein eher generisches Modell wird von Handy (1993) vorgestellt, der vier Grundtypen unterscheidet: die Macht-, Rollen-, Aufgaben- und Personenkultur. Die Machtkultur funktioniert via Ausübung zentralistisch geprägter politischer Macht und weniger über rationale Entscheidungsprozesse. Die Rollenkultur dagegen erhebt Logik und Rationalität zum Hauptkriterium des Handelns. Die Aufgabenkultur ist ähnlich einem Netzwerk oder Matrix-­Organisation strukturiert und ist vorrangig mit der Ressourcenoptimierung beschäftigt. Personenkulturen finden sich primär in Start-ups oder Anwaltskanzleien oder Beratungsfirmen, die minimale Strukturen aufweisen und nur den Zielen der Inhaber folgen. Smollans (2016) Darstellung einer affektiven Kultur betont, wie stark ein Changemanagementprojekt von der Organisationskultur beeinflusst wird, denn sie signalisiert den Organisationsmitgliedern, wie Emotionen in sozial akzeptierter Art und Weise erfahren, ausgelebt und reguliert werden können. Er weist auch auf den besonderen „Klebeeffekt“ der Kultur hin, denn sie verbindet Menschen. Eine gesunde Organisation ermutigt und wertschätzt die emotionale Ausdrucksfähigkeit ihrer Mitglieder und unterstützt sie z. B. durch Trainings in der Verfeinerung dieser Fähigkeit. Laloux (2014) ist davon überzeugt, dass Organisationskultur eine wesentlich höhere Bedeutung zukommt sowie wirkungsvoller als heute sein soll. Sie sollte stärker vom Zweck der Organisation getragen werden als von individuellen Mindsets, Glaubenssätzen oder Normen. Er schlägt dabei drei Maßnahmen vor. Erstens, die Anwendung von

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­ erfahren, die es ermöglichen, kollaborierendes Verhalten miteinander einzuüben, um V sich Gemeinsamkeiten oder Unterschiede im Verhalten zu vergegenwärtigen. Zweitens, die Heraushebung von integren Mitarbeiten, die eine Vorbildfunktion für andere einnehmen können und drittens, die Einführung eines systematischen Vorgehens, dass es allen Organisationsmitgliedern erlaubt, selbst ihren Mindset und ihre Glaubenssätze zu überprüfen, ob sie damit die Organisationskultur unterstützen oder unterminieren. Er betont zwar in seinen Ausführungen, wie wichtig Emotionen sind, aber verzichtet auf eine detaillierte Darstellung. Auch wie die vorgeschlagenen Maßnahmen realisiert werden können bleibt im Dunklen. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an den Ideen des sozialen Konstruktivismus. Basierend auf Morgans (1997) Ausführungen, dass Organisationen sozial konstruierte Realitäten darstellen, wird damit die Auffassung vertreten, dass Organisationskultur primär nicht durch Strukturen oder Regeln definiert wird, sondern durch die Gedanken und mentalen Modelle, der Identität und Konzepte des Selbst der Organisationsmitglieder entsteht. Strukturen und Regeln sind damit Produkte des menschlichen Denkens und Handelns. Kultur umfasst somit u.  a. sämtliche Annahmen, Prinzipien, Werte, Normen und Regeln sowie Artefakte, Symbole und Zeremonien des Alltagslebens einer Organisation. Das bedeutet auch, zu untersuchen, wie eine Organisationskultur in der Vergangenheit entstanden ist und heute bzw. morgen lebendig gehalten werden soll (Senior und Swailes 2010). Anders ausgedrückt, Organisationskultur ist, „wie die Dinge hier erledigt werden“ (Martin 2002). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie das Verhalten der Organisationsmitglieder offen oder auch weniger offen bestimmt, geformt und gelenkt wird. Im Rahmen von digitalen Transformationsprojekten werden heute häufig agile Soft­ ware-­Entwicklungmethoden wie z. B. das Scaled Agile Framework® (SAFe®) eingesetzt, um schneller die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Die traditionellen Methoden wie der Wasserfall-Entwicklungsansatz treten immer mehr in den Hintergrund. Die organisatorische Verortung findet in der Regel in der IT-Abteilung statt, da angenommen wird, dass dort die entsprechenden Ressourcen vorhanden sind. Dies bedeutet, dass eine neue Sub-Kultur etabliert wird mit grundsätzlich anderen Vorgehensweisen und Verhalten (Siedl 2018). Aber was ist eigentlich Agilität beziehungsweise agiles Management? In verschiedenen Studien werden der Stand der Entwicklung und die wichtigsten Elemente und Funktionen beschrieben sowie Vor- und Nachteile der verfügbaren Implementierungsstrategien dargestellt (Weckmüller 2017; Fischer et  al. 2017). Hinweise, wer agiles Management einführen soll/kann/muss, werden ebenfalls häufig angeführt. Dasselbe gilt für die Unterschiede bei der Einführung in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße inklusive der Rahmenbedingungen. Schließlich gibt es nicht nur die förderlichen, zum Beispiel Offenheit, Nähe, Transparenz, sondern auch hinderliche Rahmenbedingungen, unter anderem Distanz in den Beziehungen der Mitglieder der Organisation. Selbstverständlich werden Führungskräfte herausgehoben bezüglich ihrer besonderen Vorbildfunktion im Rahmen der Selbstorganisation von Teams.

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In diesen Studien ist aber auffällig, dass keine oder nur sehr wenige Querverweise auf beziehungsweise Verbindungen zur existierenden Unternehmenskultur sowie dem Change-­Charakter dieser Aktivitäten und der Bedeutung der damit verknüpften Emotionen hergestellt werden (Smollan und Sayers 2009). Die herausragende Relevanz dieser beiden Kategorien zeigt sich immer dann, wenn Probleme auftauchen. Ein Beispiel liefert etwa die Finanzabteilung, die die Aufgabe hat, einen revisionsfesten Jahresabschluss zu erstellen und kein großes Interesse an Schwarmmanagement zeigt. Denn hier ist Compliance wichtig und nicht der nächste Stand-up, Sprint oder Retro. Die Einhaltung strikterer Vorschriften der Rechnungslegung ist wichtiger und somit ist es nicht so ohne Weiteres möglich, auf den agilen Zug aufzuspringen. Dies führt sehr häufig zu Konflikten und emotionsgeladenen Diskussionen, die einen großen Einfluss auf den Erfolg des gesamten Projektes haben können. Waren Konflikte früher eher durch klassische Hierarchiethemen dominiert – man denke an das Chef-Entwickler-Verhältnis – geht es in agilen Umfeldern eher um horizontale Konflikte mit Gleichgestellten. Insbesondere in Change Projekten werden emotionsbezogene Faktoren vernachlässig, d. h. Ankündigungen, Workshops, Interaktionen mit Managern und Kollegen lösen Emotionen bei Beteiligten aus. Wie Emotionen und Gruppenidentität zusammenhängen Dieser Ansatz basiert auf der „Social Identity Theory“ (Tajfel 1978; Ashforth und Mael 1989) und der „Self-Categorization Theory“ (Turner et al. 1987). Die Grundaussage dieser theoretischen Ansätze besagt, dass wichtige Mitglieder einer Gruppe Teil der Identität eines Individuums der gleichen Gruppe werden. Darin eingeschlossen sind ihre einzigartigen persönlichen Eigenschaften, wie zum Beispiel offen, cholerisch oder zuverlässig. Die Gruppengröße kann dabei von sehr klein bis sehr groß variieren. In dieser Dimension stehen sich beispielsweise Teams politischer Parteien oder Gesamtunternehmen gegenüber. In den unterschiedlichsten Gruppensituationen verstehen sich die Mitglieder nicht mehr als einzigartiges Individuum, sondern als austauschbares Mitglied dieser Gruppe. Dieser Vorgang wird auch „Depersonalisierung“ genannt und ist die Voraussetzung für „Intergroup-Situationen“, in denen soziale Vergleiche, Wettbewerb oder Konflikte stattfinden. Dies führt zu unterschiedlichen Konsequenzen. Auf der kognitiven Ebene erfolgt eine Normenkonformität, das heißt, die Einstellung zu bestimmten Themen und Verhaltensweisen werden an die Gruppennorm angepasst. Auf der Verhaltens- und Motivationsebene erfolgt ebenfalls eine gleichgerichtete Justierung: also alles, was die Gruppe voranbringt, wird als erstrebenswert und nützlich angesehen. Emotional werden die Mitglieder der eigenen Gruppe (Ingroup) als ähnlich eingestuft und wohlwollendender behandelt als fremde Gruppen (Outgroup). Die Gruppe hat damit für jedes Mitglied eine hohe emotionale Bedeutung. Ein wichtiger Unterschied liegt in den Group-based-Emotionen und Group-Emotionen. Letzteres beschreibt einen emotionalen Zustand einer Gruppe, der in einem gemeinsamen Erlebnis begründet liegt. Ein klassisches Beispiel dafür ist ein Fußballspiel, bei der alle Gruppenmitglieder sich über ein Tor oder den Sieg ihrer Mannschaft freuen, unabhängig

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von den Beziehungen untereinander. Beiden Kategorien gemeinsam ist aber die Tatsache, dass alle Emotionen individuell wahrgenommen werden, das heißt, es gibt keinen „group-­ mind“ oder ein Gruppengefühl (Tajfel 1978). Wie Emotionen Identität und Verhalten innerhalb des Unternehmens beeinflussen Emotionen werden geteilt von einzelnen Personen, ausgedrückt durch Sprache, Gesichtsausdrücke und Gestik. Die Group-based-Emotionen setzen einen Prozess der „Depersonalisierung“ voraus, also dass Individuen auf das externe Umfeld als Gruppenmitglied zwar als Einzelperson reagieren. Dabei werden aber die Emotionen als gruppenrelevant eingestuft und nicht als persönlich relevant. Der funktionale Aspekt dieses Prozesses umfasst die Regulierung des gruppenbezogenen oder kollektiven Verhaltens und nicht des persönlichen, individuellen Verhaltens. Relevanz und Funktionalität sind also die Unterscheidungskriterien für Group-based- und Group-Emotionen. Zur Überprüfung, ob eine Emotion gruppenbasiert oder individuell ist, lässt sich anhand einer Frage herausfinden: Ist eine emotionale Reaktion auf den gleichen Vorgang ähnlich, wenn dieser Vorgang einem anderen Gruppenmitglied widerfahren wäre. Falls ja, so liegt eine gruppenbasierte Emotion vor. Intergroup-Emotionen motivieren Menschen, bestimmte Aktivitäten auszuführen, die sich auf spezifische Situationen in der Gruppe beziehen. Beispielsweise kann ein Bedürfnis oder Wunsch existieren, • eine andere Gruppe zu konfrontieren, anzugreifen oder zu vermeiden, oder auch • Mitglieder der eigenen Gruppe zu unterstützen, oder • deren Nähe zu suchen, ohne persönlich davon zu profitieren. Dies ist das Resultat der vorherrschenden Intergroup-Emotionen: Hier wird auf der Gruppenebene eine Einschätzung von Emotionen vorgenommen und damit eine Tendenz für bestimmte Aktivitäten verknüpft. Dies drückt sich zum Beispiel aus in Aussagen wie „Sie bedrohen uns!“ oder „Wir sind auf sie wütend“. Dies sind wichtige Gründe für bestimmte Verhaltensformen im Gruppen. Denn nur so kann eine bestimmte Situation, der eine Gruppe ausgesetzt ist, verändert beziehungsweise verbessert werden. Emotionen wie Wut, die auf eine bestimmte Gruppe gerichtet werden, können dann mit vorurteilsbehafteten Einstellungen und diskriminierendem Verhalten verknüpft werden (Fischer und Manstead 2016).

18.4 Changemanagement und Emotionen In der Literatur zum Change Management wird ebenfalls die Bedeutung von Emotionen in Veränderungsprozessen thematisiert. Schon 1948, als Coch und French (1948) auf der Basis der Arbeiten von Lewin (Burnes 2004) ihre erste Studie vorstellten, beschäftigten sie

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sich mit den Emotionen von Arbeitern während der Einführung von neuen Produktionsmethoden. Bormann et al. (2019) verfolgen einen ganzheitlichen, systemtheoretisch orientierten Ansatz der Co-Creation, um damit die Bedeutung der gemeinsamen, teamorientierten Veränderungsarbeit zu betonen und von den klassischen Top-down-ansätzen des Changemanagement abzurücken. Talat (2017) beschreibt die Bedeutung von Emotionen im organisationalen Changemanagement aus den unterschiedlichsten theoretischen Per­ spektiven. Beispielsweise stellt Talat aus psychologischer Sicht das Sicherheit-­ Unsicherheit-­Kontinuum vor, welches die möglichen Ausprägungen von positiven und negativen Emotionen abbilden kann. Je größer die Unsicherheit, desto größer sind Gefühle der Angst, z. B. nach einem Change-Projekt, arbeitslos zu werden. In einem frühen Konzept von Crites et al. (1994) werden Emotionen, z. B. Liebe, Hass, Traurigkeit, Glück, Ärger oder Langeweile, die positive wie negative Eigenschaften und Intensitäten in Veränderungsprozessen annehmen können, adressiert. Liu und Perrewé (2005) entwickelten den Ansatz weiter, indem sie ein kognitiv-emotionales Prozessmodell vorstellten, dass auch die Entwicklung und Veränderung von Emotionen über den Zeitablauf eines Change-Projekts untersuchten. Primärer Untersuchungsgegenstand war in diesen Studien die Analyse von diskreten Emotionen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dynamische Aspekte, also die Entwicklung von Emotionen im Zeitablauf und die Verknüpfung mit kognitiven Elementen wie z. B. Coachinggesprächen, Workshops, etc. sowie der strikt individuell ausgerichtete Ansatz, vernachlässigte, aber aufkommende Tendenzen in der Organisationkultur von IT-getriebenen Unternehmen. Hier wir sehr stark Wert auf Teamwork, flache Hierarchien und Gemeinschaft gelegt. Diese Neuorientierung muss auch beim Thema Emotionen berücksichtigt werden. Wenn der Fokus auf die Notwendigkeit von Agilität im Unternehmen gelegt wird, stellt sich automatisch die Frage, welchen Stellenwert Agilität für wen im Unternehmen einnimmt (Weckmüller 2017). Bei einer genaueren Analyse wird klar, dass sich die Perspektiven von SW-Entwicklung, Controlling und Einkauf hier stark unterscheiden – mitunter so stark, dass (emotionsgeladene) Konflikte innerhalb des Unternehmens entstehen können. Um diese zu verstehen und ergebnisorientiert in der Unternehmenskultur einzubeziehen, wird jedoch eine Betrachtung von Emotionen im Unternehmensalltag unausweichlich. Daher ist es notwendig, den Fragen nach der sozialen Funktion von Emotionen nachzugehen, wie Emotionengruppen sich sowohl verbinden als auch unterscheiden und welche elementare Rolle Emotionen im Unternehmensalltag tatsächlich einnehmen. Veränderungen im Unternehmen lösen Emotionen aus und nehmen immensen Einfluss auf die Unternehmenskultur. Dieser Komplex des Emotion Management umfasst noch weitere Elemente. Change-Projekte wie die Einführungen von agilen Managementprinzipien lösen regelmäßig Gefühle bei den Organisationsmitgliedern aus. Die Unternehmenskultur und damit die Regeln, die innerhalb dieser Kultur gültig sind, spielen dabei eine große Rolle (Schein 1995; Smollan und Sayers 2009). Eine nähere Betrachtung folgender Kategorien könnte erste Ideen für die Lösung der Probleme liefern, etwa anhand folgender Fragen:

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• • • • •

Wie werden Emotionen in Intergroup-Konflikten erlebt? Wie werden welche Emotionen warum reguliert? Wie werden Group-based-Emotionen sozial geteilt beziehungsweise weiterverbreitet? Welches Verhalten resultiert aus welchen Emotionen? Welche Rolle spielt Sprache – „Words into emotions or emotions into words?“ – und soziale Herkunft (Barrett 2017b)? • Welche Instrumente zur Erfassung von Gruppenemotionen gibt es bereits? (Kupiek 2016, 2018)? Mithilfe eines geschärften Bewusstseins für diese Fragestellungen und die Relevanz von Emotionen im Unternehmensalltag verfügen Führungskräfte über ein essenzielles Werkzeug. Denn letztendlich findet sich hierin eine elementare Voraussetzung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit sowie des Unternehmenserfolgs allgemein. Somit kann die Darstellung des Zusammenhangs von Kultur, Changemanagement und Emotionen einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des Verständnisses der Herausforderung im Zeitalter der digitalen Transformation leisten. Aktives, offenes Gestalten der Emotionslandschaft einer Organisationskultur mit dem Enterprise Transformation Cycle Konsequenterweise sollte nach Vorgehensweisen und Methoden gesucht werden, die es erlauben, aktiv mit Emotionen umzugehen. Und da es sich im Rahmen von Digitalisierungsprozessen fast immer um Teams handelt, die den Wandel verantwortlich treiben müssen, sollte die Emotionslandschaft der Gruppe angeschaut und nicht auf das Individuum beschränkt werden (Kupiek 2019a, b, c). Ein bewährtes Vorgehensmodell stellt der Enterprise Transformation Cycle (ETC) mit den iterativen Phasen „Envision“, „Engage“, „Transform“ und „Optimize“ dar (Pfannstiel und Steinhoff 2018). Das Modell beschreibt einen Zyklus der zu berücksichtigenden ­Elemente (Strategie, Prozess, Organisation, Menschen, technische Systeme, Governance und als verknüpfende Themen Werte und Prinzipen) und kennt keinen definierten Anfang oder kein bestimmtes Ende (siehe Abb. 18.1). Abb.  18.1 verdeutlicht, dass der ETC es ermöglicht, an einem beliebigen Punkt mit einem beliebigen Thema das Projekt zu beginnen, ohne Gefahr zu laufen, die Orientierung in diesem komplexen Vorhaben zu verlieren. Alle unten angeführten Methoden können übergreifen eingesetzt werden und erlauben eine größtmögliche Flexibilität im Vorgehen (Steinhoff 2018). Die Komplexität des Vorhabens per se und die zahlreichen Kontaktpunkte des Teams zu anderen Teams erfordern Ideen wie mit Intra- und Intergruppenkonflikten umgegangen werden kann. Emotionen öffentlich preiszugeben ist aber immer noch eine höchst delikate Angelegenheit, denn wer will schon vor Kollegen und Vorgesetzten kundtun, dass man Angst vor Veränderung hat oder total begeistert ist von dem Ansatz. Je nach Kultur kommen dann mehr oder weniger unverfängliche Aussagen zustande, die aber nur unzureichend die reale Emotionskarte der Gruppe beschreibt. Was fehlt ist eine Art Kompass, der

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BUSINESS TRANSFORMATION Strategy Processes

Governance Values & Principles

Systems & Tools

Organization People

ENVISION

ENGAGE

TRANSFORM

OPTIMIZE

Abb. 18.1  Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International 2018; Stiles et al. 2012, S. 45)

von einem Ausgangspunkt die Richtung anzeigen kann. Ganz pragmatisch kann dies mithilfe einer Vier-Felder-Matrix abgebildet werden. Jedes Teammitglied kann erstmal seinen aktuellen emotionalen Zustand beschreiben, indem er das aktuell wahrgenommene Gefühle als angenehm oder unangenehm einschätzt. Kombiniert wird dies mit der gefühlten Intensität der Emotion, z.  B. Ärger (unangenehm) und starke Intensität bzw. Erregung. Wenn alle Teammitglieder diese Selbsteinschätzung vorgenommen haben, ergibt sich eine Emotionslandschaft, die den Zustand aller Beteiligten abbildet. Dies kann in eine negative Kombination, z. B. großer Unmut, Abneigung und Ärger, münden, wenn eine hohe Erregung und starke unangenehme Gefühle dargestellt sind. Bei niedriger Erregung ist eher eine Form von Lethargie, Inaktivität und Frustration zu sehen (Russell 1980, 2003). Hier liegt also ein Schlüssel, um ein Team zu begeistern und positive Gefühle zu erzeugen, sodass ein Change-Projekt zu Erfolg geführt werden kann. Der Sprache kommt dabei eine herausragende Bedeutung bzgl. der emotionalen Ausdrucksfähigkeit zu (Barrett 2017b). Es lassen sich drei Ausprägungen unterscheiden. Eine hohe emotionale Sprachfähigkeit bedeutet, dass eine Person sehr viele unterschiedliche Begriffe und damit emotionale Konzepte kennt. Diese kann er oder sie für mindestens ein Ziel einsetzen, in der Regel jedoch für mehrere. Die Person kann hunderte verschiedene Konzepte abrufen, also z. B. im Rahmen des Emotionskonzepts Wut kennt sie auch Zorn, Empörung, Aufgebrachtheit, Wildheit, Auflehnung, Erregung, Streit, Angriff, Cholerisch-­ Sein, Aufgewühltheit, Widerstand und ist damit in der Lage, in einer ganz spezifischen Situation eine angemessene Emotion zu zeigen. Eine mittlere emotionale Sprachfähigkeit umfasst weniger Konzepte, vielleicht einige Dutzend, und eine verfeinerte Ausdrucksfähigkeit ist nicht vorhanden. Die verfügbaren Konzepte allerdings ermöglichen es aber der Person, in bestimmten Situationen adäquate Emotionen zu zeigen. Eine niedrige Sprachfähigkeit lässt sich beobachten, wenn eine Person nur über wenige Emotionswörter verfügt, die in der Regel auch nur einem übergeordneten Konzept zugeordnet ist. Beispielsweise kennt man nur das Wort Frust für alle unangenehmen Gefühle, ohne näher den

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Kontext beschreiben zu können. Aber Konzepte sind der kritische Input, um Emotionen zu erfahren und wahrzunehmen und mit ihnen entsprechend umzugehen. Diese Fähigkeiten können entscheidend dazu beitragen, dass innerhalb einer Gruppe ein emotionaler Zustand visualisiert werden kann, der es ermöglicht, in einem professionellen Kontext über Gefühle zu reden und zielorientiert zu verändern. Auch das geschriebene Wort im Rahmen einer Sentiment Analysis (Mohammad 2012) kann analysiert werden, um z.  B. die Verbreitung von Emotionswörtern in Mails, Geschäftsberichten, Kundenkorrespondenz etc. zu untersuchen. Hiermit lässt sich der Grad der Emotionalität in einem Unternehmen feststellen, ob man eher sachlich kommuniziert oder ob Befürchtungen und andere negative Emotionen im Vergleich zu positiven, optimistischen und zuversichtlichen Botschaften im Vordergrund stehen. Eine exzellente Form, um Teamemotionen sichtbar und bearbeitungsfähig zu machen, ist das 4I-Modell von Menges und Kilduff (2015). Die vier I steht für Identifikation, Interaktion, Inklination und Institutionalisierung und repräsentieren die wichtigsten Variablen eines integrieren Ansatzes zur Entstehung von Teamemotionen. Voraussetzung für die Identifikation mit einem Team ist Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, die durch formale Delegation in das Team, gemeinsame Meetings, Teilnahme an Veranstaltungen sowie gemeinsam zu erreichende Teamziele manifestiert wird. Durch die Identifikation mit der Gruppe und den Interaktionen mit den einzelnen Gruppenmitgliedern werden durch gemeinsame Erfahrungen in Gruppenveranstaltung Group-based-Emotionen erzeugt. Der Grad der Interaktion der Gruppenmitglieder ist dabei entscheidend für das Ausmaß bzw. die Stärke der geteilten Emotionen. Dies führt auch zu einem Konformitätsprozess im Sinne der Institutionalisierung von Gruppenemotionen, d. h. das Zeigen und Regulieren von Emotionen unterliegt gemeinsamen Regeln. Das bedeutet auch, dass Gruppenmitglieder dazu neigen, weniger spontan als normativ ihre Gefühle auszudrücken. Gerade in den einzelnen Phasen des ETC kann dies eine große Rolle spielen, wenn es im Rahmen von Ankündigungen über größere Veränderungen zu harschen Reaktionen kommt und der Wandel abgelehnt wird. Inklination ist ein wichtiges Element, wenn es darum geht, zu einer bestimmten Gruppe gehören zu wollen. Die gemeinsam geteilten Emotionen können ein attraktives Angebot für Nicht-Mitglieder sein, um Zugehörigkeit zu werben. Dies verstärkt die bestehende Emotionsbasis und bestätigt die Mitglieder in ihrer Mitgliedschaft. Beispielsweise kann eine individuell wahrgenommene Unfähigkeit, Gruppenemotionen zu teilen, Mitglieder in ihrem Glauben bestärken, dass sie nicht zur Gruppe gehören. Ist die Mehrzahl der Gruppenmitglieder „lustig“ und das Individuum ist eher melancholisch, dann wird es nachvollziehbar, dass dieses Individuum sich nicht oder nur eingeschränkt zugehörig fühlt. Die emotionale Dynamik in der Gruppe kann also zu einem „Attraktivität der Gruppe-Selektion-Attrition“-Zyklus führen, mit dem Ergebnis, dass eine homogene Gefühlslandschaft erzeugt wird. Group-based-Emotionen können also den Wunsch erzeugen, mit anderen gemeinsam bestimmten Aktivitäten zu verfolgen auf der Basis geteilter Emotionen. Wenn dies z. B. Angst, Ärger oder Wut ist, kann es im Rahmen von Change-Aktivitäten zu negativen Konsequenzen führen, d.  h. der Prozess kann verlangsamt oder komplett eingestellt

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­ erden. Auch die Leistungsfähigkeit von Teams können durch Emotionen deutlich positiv w oder negativ beeinflusst werden, u. a. in der Qualität ihrer Entscheidungen und im Grad der Kreativität, die insbesondere in innovativen Prozessen wichtig ist. Die Art der Aufgaben und das Vertrauen innerhalb der Gruppe sind aber wichtige Voraussetzungen, ob positive Emotionen die Leistung erhöht oder negative Emotionen die Leistungserbringung verschlechtert.

18.5 Schlussbetrachtung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Dreiklang aus Organisationkultur, Change Management und Emotionen weitaus bedeutsamer ist als es in der Vergangenheit angenommen wurde. Neue Ergebnisse in der Emotionsforschung haben eindrucksvoll aufgezeigt, dass nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern auch Emotionen z. B. bei der Zusammenstellung und der Zusammenarbeit von Teams zu berücksichtigen sind. Unter Nutzung des ETC (siehe oben) ist es möglich, in jeder Phase des Projekts eine angemessene Antwort zu finden (Kupiek 2018). Die Veränderungen in allen verschiedenen Bereichen wie Technologie, Produkten, Dienstleistungen, Customer Experience, Unternehmensprozessen oder Geschäftsmodellen durch digitale Technologien benötigen einen klugen Plan und eine klare Implementierungsstrategie (Berghaus und Back 2016). Die Nutzung und Anwendung von Innovationen verlangen aber auch den Erwerb von neuen mentalen Haltungen und Denkweisen, da sich die dauerhafte Präsenz von Technologie, das Nutzerverhalten und die Nutzererwartungen an Produkte und Services ändert. Die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit bekommt einen noch größeren Stellenwert, um diese Herausforderung meistern zu können. Damit verknüpft ist aber auch ein größeres Konfliktpotenzial und stärkere Emotionen durch die ungewisse Zukunft und die komplexe, neuartige Aufgabe. Die Berücksichtigung von Emotionen im Rahmen des ETC erlaubt es, eine verbesserte Steuerung und Durchführung eines solchen Vorhabens zu gewährleisten, unabhängig von der Projektphase und dem zu bearbeitenden Element. Eine geschulte Wahrnehmung ist unerlässlich, um die Auswirkung von positiven und negativen Emotionen erfahren und konsequenterweise im Sinne der Organisation damit umgehen zu können. Beispielsweise signalisieren positive Emotionen grundsätzlich, dass sich die Gruppenmitglieder sicher fühlen, sodass eher lockere Umgangsformen gepflegt werden. Dies kann dann wiederum zu einem entspannten, flexiblen und wenig regelbestimmten Miteinander führen, das wiederum die Aufgabenerfüllung, wenn Kreativität gefragt ist, fördern kann. Chancen werden eher ergriffen, denn positive Gruppenemotionen bedeuten auch, dass Gruppenmitglieder durchaus Risiken eingehen können, ohne die Gruppe selbst zu gefährden. In Summe heißt das, dass positive Emotionen in einer Gruppe eine unbürokratische Zusammenarbeit fördert und damit die Innovationskraft des Einzelne und des gesamten Teams gesteigert werden kann (Menges und Kilduff 2015).

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Im Gegensatz dazu führen negative Emotionen häufig zu einem angespannten Verhältnis der einzelnen Teammitglieder untereinander, sodass eher darauf Wert gelegt wird, die Regeln genau zu beachten, um keinerlei Risiko mit nachteiligen Konsequenzen für den Einzelnen ausgesetzt zu werden. Situationen werden dann genau analysiert, um das Risiko von Konflikten abschätzen zu können. Diese Situation zu erfassen und zu verstehen verlangen nicht Einfühlungsvermögen, sondern auch analytische Methoden, z. B. das Verfolgen der Entwicklung von Emotionen über den Zeitraum eines Change-Projekts (Kupiek 2016). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Organisationskultur, Changemanagement und Emotionen untrennbar miteinander verwoben sind. Nur die gesamtheitliche Berücksichtigung der Einzelfaktoren verspricht Erfolg in Zeiten der digitalen Transformation.

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18  Die Wechselbeziehung von Organisationskultur, Changemanagement und …

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Dr. Martin Kupiek  arbeitet als selbstständiger Unternehmensberater und Dozent. Er studierte in Dortmund, den USA und Österreich und erwarb Abschlüsse als Diplom-­Kaufmann, MBA und PhD. Mehr als 30 Jahre Berufserfahrung als Berater und Manager ermöglichen es ihm, seine Arbeit im Organizational Change Management für mittelständische und große Unternehmen sowie in internationalen Konzernen aus den verschiedensten Perspektiven wahrzunehmen.

Collaboration Management – Zusammenarbeit im Projekt erfolgreich gestalten

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Helmut Schäfer

Inhaltsverzeichnis 19.1  Einleitung  19.2  Collaboration und Collaboration Management  19.3  Collaboration im Projekt  19.4  Barrieren einer erfolgreichen Zusammenarbeit  19.5  Gestaltung der Zusammenarbeit  19.6  Schlussbetrachtung  Literatur 

 384  384  385  386  387  394  395

Zusammenfassung

Der in den letzten Jahren zunehmend verwendete Begriff Collaboration steht für eine besondere Form der Zusammenarbeit, die über den normalen Austausch von Information hinausgeht. Die intensive Nutzung von Collaboration-Systemen und Social-­Media-­ Plattformen fördert darüber hinaus diese Entwicklung. Es reicht aber nicht aus, solche Technologien in Projekte und Organisationen einzuführen. Kommunikation und Zusammenarbeit muss vielmehr proaktiv gestaltet werden. Zu einem großen Teil ist dies auch Aufgabe des Projektleiters, der im Rahmen des technisch Möglichen gezielt da­ rüber nachdenken muss, wie die Experten im Team miteinander arbeiten und kommunizieren.

H. Schäfer (*) Managing Partner TCI GmbH, Baden-Baden, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_19

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H. Schäfer

19.1 Einleitung Es gibt keinen Zweifel daran, dass Teamarbeit zu den effizientesten Ansätzen gezählt werden kann, um die Projektaufgaben im magischen Dreieck Zeit – Kosten – Qualität zu lösen. Teams arbeiten besser und schneller und sie lösen vor allem das Wissensdilemma des Einzelnen, gleichzeitig in der Breite und in die Tiefe denken und arbeiten zu können. Insofern überrascht es nicht, dass die Qualität der Zusammenarbeit immer wieder als eines der wichtigsten Kriterien für den Projekterfolg genannt wird. Letztendlich geht es um die bestmögliche Nutzung der Kompetenz und des Wissens der in einem Projekt versammelten Individuen. Und diese Aufgabe wird zunehmend schwieriger. Produkte und Lösungen werden komplexer, Innovations- und Entwicklungszyklen immer kürzer. Die Anzahl der in einem Projekt erforderlichen Experten mit einem hohen Spezialisierungsgrad steigt und damit auch das Konfliktpotenzial. Gleichzeitig wird die internationale Zusammenarbeit zur Normalität im Projektalltag. Die Frage ist, wie unter diesen Umständen Zusammenarbeit gelingen kann. Dabei geht es weniger um die technischen Aspekte, wie z. B. dem Datenaustausch zwischen den in­ stallierten Softwaresystemen, als vielmehr um die beteiligten Menschen, die in den Prozessen miteinander interagieren sollen. Die Fähigkeit, Zusammenarbeit unter den oben genannten Bedingungen zu gestalten wird zu einem entscheidenden Faktor für den Projekterfolg. In der fachlichen Diskussion der letzten Jahre hat sich zu diesem Thema der Begriff Collaboration durchgesetzt. Er wird im Folgenden genauer definiert und mit dem Begriff Collaboration Management verknüpft.

19.2 Collaboration und Collaboration Management Mit dem Begriff Collaboration wird eine besondere Form der Zusammenarbeit bezeichnet, die über den normalen Austausch von Informationen im Sinne von Kooperation hi­ nausgeht. Der Begriff Collaboration wird insbesondere dann verwendet, wenn die beteiligten Personen gemeinsam bestrebt sind, durch intensive Zusammenarbeit eine optimale Lösung zu finden. Die üblicherweise sequenzielle Vorgehensweise bei der Bearbeitung der Arbeitspakete und die damit verbundene Weitergabe von Ergebnissen und Zwischenergebnissen in einer Kooperation geht über in ein synchronisiertes Bearbeiten der Aufgabenstellungen, ohne dass man sich vorher über einen Freigabeprozess absichert. Es wird gemeinsam nach Lösungen gesucht, Entwürfe werden erarbeitet und wieder verworfen, gemeinsame Entscheidungen getroffen, Feedback gegeben und in Iterationsschleifen die Hinweise der Kollegen verarbeitet. Dabei wird gemeinsam das gleiche Ziel verfolgt, um eine optimale Lösung zu erreichen (Abb. 19.1). Unter Collaboration Management wird hier die Organisation dieser intensiven Zusammenarbeit unter den oben genannten Zielsetzungen verstanden. Dabei geht es nicht um

19  Collaboration Management – Zusammenarbeit im Projekt erfolgreich gestalten Kooperativer Ansatz

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Collaboration-Ansatz

Teammitglied A

Teammitglied B Teammitglied C

Weitergabe von Zwischenergebnissen

Synchronisation von Zwischenergebnissen

Abb. 19.1  Der Collaboration-Ansatz geht über die „normale“ Zusammenarbeit im Sinne von Kooperation hinaus. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

die Koordination von Einzelaufgaben, sondern um die Steuerung eines gemeinsam ­abgestimmten Prozesses. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die beteiligten Teammitglieder, deren produktive Interaktionen und gemeinsame Lernprozesse. Die verfügbaren digitalen Technologien spielen bei der Ausgestaltung der Interaktionen zwar eine wichtige Rolle, bilden aber nur eine Dimension der zu berücksichtigenden Gestaltungsgrößen. Viel wichtiger ist die konstruktive Unterstützung bzw. Einflussnahme auf das Miteinander im Projektteam. Collaboration Management in diesem Sinne wird als eine zentrale Aufgabe des Projektmanagements verstanden, bei der bewusst die Zusammenarbeit zum Zweck einer optimalen Interaktion im Projekt gestaltet wird.

19.3 Collaboration im Projekt Projektarbeit bedeutet, dass in der Regel Experten aus verschiedenen Bereichen zur Abwicklung eines Auftrags zusammenarbeiten. Die Zusammensetzung der Teams ist abhängig vom Projektumfang und den Kundenanforderungen. Projektteams sind deshalb unterschiedlich strukturiert und besetzt. Sie variieren in der Anzahl der Teammitglieder, in der fachlichen Zusammensetzung oder in der internationalen Ausrichtung. Diese Variation der Teamzusammensetzung von Projekt zu Projekt ist ein wesentlicher Unterschied zur kontinuierlichen Teamarbeit in einem operativen Bereich, wo sich die Zusammenarbeit mit der Zeit entwickeln kann. In einem Projekt kommen Experten für eine temporäre Aufgabe zusammen und müssen sich möglichst schnell aufeinander einstellen. Deshalb brauchen Projektteams klare funktionale Strukturen und Spielregeln. Sie brauchen adäquaten Entscheidungsspielraum, um ihrer Verantwortung gerecht werden zu können. Das gilt für den Projektleiter ebenso wie für seine Teammitglieder. Wo ein Problem auftritt, werden

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H. Schäfer

­ emeinsam Lösungen gesucht, muss entschieden und gehandelt werden. Komplexe Aufg gaben können nur dann kreativ erfüllt werden, wenn Freiräume gewährt und Verantwortungen delegiert werden, wenn das Projektteam zur Zusammenarbeit befähigt wird und wenn die soziale Kompetenz der Projektteammitglieder gestärkt wird.

19.4 Barrieren einer erfolgreichen Zusammenarbeit Zunächst gilt es zu verstehen, welche Barrieren in einem Projekt eine optimale Zusammenarbeit erschweren oder behindern können (Hansen 2009, S. 45). Je nach Art der Barriere lassen sich dann Maßnahmen ergreifen, mit denen die Zusammenarbeit in einer konkreten Projektsituation verbessert werden kann. Im Folgenden sind einige der wichtigsten Barrieren der Projektarbeit aufgeführt. Größe/Komplexität Große Teams erschweren die Gestaltung der Zusammenarbeit. Was in kleinen Teams relativ schnell geregelt werden kann, kann in komplexeren Strukturen sehr aufwendig werden. Damit verbunden ist meist auch die hohe Komplexität des zu bearbeitenden Problems, für das wiederum komplexes Wissen erforderlich ist. Räumliche Distanz Je mehr die Teammitglieder über verschiedene Standorte verstreut sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Zusammenarbeit reibungslos funktioniert. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Man kennt sich nicht, es mangelt an gemeinsamen Erfahrungen. Es fehlt die Gelegenheit für informelle Diskussionen und Teamevents. Wenn Zeitzonen berücksichtigt werden müssen, ist oft keine spontane Kommunikation möglich. Deshalb ist es schwierig, komplexes Wissen über größere Entfernungen fehlerfrei zu transferieren. Verschiedenheit Verschiedenheit ist eine weitere Barriere, die sich in unterschiedlicher Art und Weise zeigen kann. Kulturen können sich in den Arbeitsmethoden, in den Erwartungen, im Zielverständnis und im Umgang mit Konflikten unterscheiden. Verschiedene Sprachen erschweren die Kommunikation und damit z. B. eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Problem. Bei der Beteiligung vieler unterschiedlicher Berufsgruppen bzw. Disziplinen kann man nicht davon ausgehen, dass die Experten sich auch verstehen. Jede Berufsgruppe entwickelt ihre eigene Sprache, ihre eigenen Methoden, Prozesse und Tools, die häufig nicht kompatibel sind. Wettbewerb Nicht selten besteht ein gewisser Wettbewerb zwischen den beteiligten Teammitgliedern, selbst wenn sie aus der gleichen Organisationseinheit stammen. Die Gründe hierfür sind oftmals individuelle Leistungsanreize, die auf die Leistungsoptimierung des Individuums

19  Collaboration Management – Zusammenarbeit im Projekt erfolgreich gestalten

387

zielen und damit die Zusammenarbeit mit anderen nicht fördern. Eng damit verbunden ist die Furcht, durch das Teilen von Wissen seine eigene Leistung außerhalb des Teams nicht mehr ausreichend anerkannt zu bekommen. Die Gefahr besteht insbesondere dann, wenn eine Person im Gegensatz zu anderen Personen Wissen besitzt, das für eine Problemlösung äußerst wichtig und relevant ist. Solange man dieses Wissen alleine besitzt, ist Einfluss und Macht gesichert. Silo-Mentalität Das Silo-Denken fokussiert sich auf die Optimierung des eigenen Bereichs und verhin­ dert dadurch Collaboration über die Bereichsgrenzen hinweg. Das „Not-invented-here-­ Syndrom“ verhindert, dass Teammitglieder sich außerhalb ihres eigenen Bereichs nach passenden Problemlösungen umschauen. Die Vorbehalte gegenüber nicht selbst entwickelten, externen Ideen sind eine zentrale Barriere kreativer Zusammenarbeit. Wenn Silo-­ Mentalität und Bereichswettbewerb zusammenkommen, wird eine gemeinsame Lösungssuche unmöglich. Misstrauen Vertrauen zu den beteiligten Teammitgliedern ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Durchführung anspruchsvoller Projekte. Misstrauen verhindert jegliche Form von Collaboration. Dabei geht es z. B. um Mistrauen in die Kompetenz der anderen, um Misstrauen in deren Verhalten oder um Misstrauen zu abgegebenen Commitments. Man glaubt, dass andere nur ihre eigenen Ziele verfolgen wollen und misstraut deren Bereitschaft für eine offene Teamarbeit. Die aufgezeigten Barrieren lassen sich sicherlich noch weiter ergänzen und detaillieren. Es wird jedoch deutlich, dass in allen Fällen das Verhalten der beteiligten Mitarbeiter den Ausgangspunkt für eine Problemlösung bilden. Bei der Gestaltung der Zusammenarbeit stehen sie dementsprechend im Mittelpunkt der Betrachtung.

19.5 Gestaltung der Zusammenarbeit Die Gestaltung der Zusammenarbeit ist eine Aufgabe, die in jedem Projekt proaktiv angegangen werden muss. Dies gilt insbesondere für komplexe, international ausgerichtete Projekte. Die Art und Weise, wie zusammengearbeitet wird, kann in solchen Projekten nicht unreflektiert aus dem gewohnten Arbeitsalltag übernommen werden. Die zielgerichtete Rollenverteilung im Projektteam, der bewusste Umgang mit den Kommunikationsmedien, das zusätzliche Präsenzmeeting, um sich kennenzulernen – sind Beispiele für proaktives Collaboration Management. Im Folgenden werden die durchzuführenden Maßnahmen des Collaboration Management in vier Handlungsfelder gegliedert (Abb. 19.2). Zwei Handlungsfelder wurden direkt aus den vier Dimensionen „Organization“, „Governance“, „Processes“ und „Systems & Tools“ des Enterprise Transformation Cycle (ETC) abgeleitet (Pfannstiel und Steinhoff

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H. Schäfer

2018; Stiles et al. 2012; Transformation Consulting International 2018). Die beiden anderen wurden auf der Basis der ersten Dimension des ETCs, „Values and Principles“, mit system- und verhaltenstheoretischen Ansätzen ergänzt und vertieft. Die daraus resultierenden Themen wurden dann in vier Felder bzw. Zielrichtungen gegliedert, in denen die jeweiligen Maßnahmen zur Förderung der Projekt-Collaboration aufgeführt sind: • Projektorganisation und Führung: Wie wird das Projekt strukturiert, welche Rollen und Verantwortungen werden verteilt, wie wird Führung zur Förderung von Collaboration wahrgenommen? • Prozesse und Tools Wie werden Lösungen erarbeitet und Entscheidungen getroffen, wie wird informiert, welche Tools werden wann eingesetzt? • Vertrauen und Beziehung Wie gut kennen sich die Teammitglieder, haben sie genügend Vertrauen zueinander, werden sie wirklich ihre besten Ideen austauschen? • Collaborative Einstellung und Verhalten Welche Annahmen und Erwartungen haben die Teammitglieder im Hinblick auf eine professionelle Zusammenarbeit, wie werden die Leute miteinander umgehen?

19.5.1 Projektorganisation und Führung Im ersten Handlungsfeld geht es darum, für alle Projekt-Stakeholder eine klare organisatorische Orientierung zu schaffen. Hierbei stehen folgende Punkte im Vordergrund:

ProjektOrganisation und Führung

Prozesse und Tools

Collaborative Einstellung und Verhalten

Vertrauen und Beziehung

Abb. 19.2  Handlungsfelder des Collaboration Management. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

19  Collaboration Management – Zusammenarbeit im Projekt erfolgreich gestalten

389

• Beim Projektstart ist die Struktur des Projektteams festzulegen. „There is no ‚one structure fits all‘“. Die Struktur muss vielmehr an die Aufgabenstellungen und an die räumliche Distanz angepasst werden. Was muss z. B. dezentral, was zentral organisiert werden? Wer übernimmt welche Führungsrolle in einem Teilprojekt, wer trägt welche Verantwortung, wer übernimmt zusätzliche Koordinationsaufgaben (Abb. 19.3)? • Jedes Teammitglied muss die Gesamtaufgabe des Projekts kennen und seinen eigenen Beitrag zum Gesamtergebnis verstanden haben. Die entsprechenden Projektplanungen müssen klar, eindeutig und aussagekräftig sein. Insbesondere bei einer Zusammenarbeit über Distanz ist es im Nachhinein ungleich schwieriger, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. • Jedes Teammitglied sollte sich committed haben. Das notwendigen Commitment ist mit dem Aufgabenverantwortlichen zu verhandeln und zu bestätigen. • Gerade in weiträumig verteilte Teams sollten Selbstverantwortung und Selbstorganisation der Teammitglieder durch mehr Entscheidungskompetenz gestärkt werden. • Die Arbeitspakete sollten hierbei so „geschnürt“ werden, dass Sub-Teams räumlich zusammenarbeiten können. • Der Teamleiter muss erkennen, welche Hürden sein Projekt besonders schwierig machen. Er hat die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen (Tools, Ordnungssysteme, Meetingregeln etc.), dass seine Teammitglieder optimal arbeiten können. • Der Teamleiter muss sich über seine Vorbildfunktion im Klaren sein. Die Phrase „walk the talk“, also den Worten auch Taten folgen zu lassen, bringt dies am besten zum Ausdruck.

Zentrale Koordination der Logistik Projektleiter

Lokale Koordinatoren

Logistik Arbeitspakete Zentrale Koordination Entfernte Standorte

Entfernte Standorte

Logistik Koordination

Abb. 19.3  Beispiel einer Projekt-Team-Organisation mit dezentralen Koordinatoren. (Quelle: In Anlehnung an Binder (2007), S. 137)

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H. Schäfer

19.5.2 Prozesse und Tools Bei internationalen Projekten sind die zu gestaltenden Prozesse in hohem Maße von den verfügbaren Kommunikationstools abhängig. Die zentrale Frage muss lauten: „Wie kann ich alle Beteiligten einbeziehen?“ Hierbei sollten folgende Punkte berücksichtigt werden: • Das Projektteam muss den Projektprozess, die erforderlichen Schnittstellen, die zu erbringenden Leistungen als Ganzes und in seinen Einzelheiten verstanden haben. Eine hohe Transparenz lässt sich dadurch schaffen, dass die Teammitglieder von Anfang an aktiv an der Projektplanung beteiligt werden. • Bei der Zusammenarbeit über größere Distanzen ist gezielt darüber nachzudenken, wie die gemeinsamen Arbeitsprozesse realisiert werden sollen. Was funktioniert über die Distanz und was nicht? Was muss man tun, damit trotzdem professionell zusammengearbeitet werden kann (z. B. regelmäßige Präsenzmeetings und/oder Videokonferenzen)? • Dazu gehört auch die Frage nach dem Zuschnitt der Arbeitspakete. Wenn es gelingt, die Arbeitspakete entsprechend der räumlichen Verteilung zu schnüren, dann lassen sich zusätzliche Abstimmungsprozesse an den Schnittstellen reduzieren. • Um die verbleibenden Abstimmungsprozesse besser steuern zu können, sind sie konkret im Projektplan als Meilensteine einzuplanen. Wer hat wann über welches Zwischen­ ergebnis zu berichten? Was muss bis wann in welcher Teamzusammensetzung diskutiert werden und wann wird welche Entscheidung getroffen? • In gleichem Maße gilt dies auch für die Projektmanagementprozesse wie das Risikomanagement, Vertragsmanagement, Change- und Claimmanagement. • Zusätzlich zu den formalen Arbeitsprozessen sind auch die informellen Kommunikationsprozesse festzulegen. Wer ist wann erreichbar und müssen eventuell unterschiedliche Zeitzonen berücksichtigt werden? Wie häufig finden Meetings statt. Welche sind „face-to-face“ durchzuführen (z.  B.  Kick-off-Meeting oder Projektreview), welche werden virtuell mit einer Collaboration-Plattform durchgeführt. Wie regelmäßig sollten z.  B.  Informationen in einem Collaboration-System überprüft werden und wie schnell soll hierzu Feedback gegeben werden? • Darüber hinaus sind Vereinbarungen notwendig, welche Informationen und Dokumente für alle im Zugriff sein sollen und in welchem System sie abgelegt werden. • In verteilten Teams sehen sich die Projektteilnehmer nur selten oder nie, informelle Gespräche finden kaum statt. Deshalb muss hier die Projektkommunikation strukturierter als in einem Team, das an einem Standort zusammengefasst ist, ablaufen. Die Erarbeitung formaler Kommunikationspläne ist ein wesentlicher Teil bei der Festlegung von verbindlichen Regeln der Zusammenarbeit.

19  Collaboration Management – Zusammenarbeit im Projekt erfolgreich gestalten

391

• Der Teamleiter muss bei der Nutzung der bestehenden Collaboration-Systeme eine Vorreiterrolle einnehmen. Falls nicht alle Teammitglieder die entsprechende Toolkompetenz besitzen, sind im Rahmen des Projekts frühzeitig Trainingsmaßnahmen vorzusehen. • Last but not least ist im Projektverlauf die Zusammenarbeit immer wieder zu reflektieren. Bei agilen Ansätzen ist dies in der Regel standardmäßig vorgesehen (z. B. durch Retrospektiven). Bei klassischen Ansätzen muss dies ergänzt werden. Die im laufenden Projekt immer wieder zu stellende Frage lautet: Was läuft in unserer Zusammenarbeit gut, was können wir besser machen?

19.5.3 Vertrauen und Beziehung Die gegenseitige Unterstützung der Teammitglieder untereinander ist umso größer, je besser sich die Teammitglieder kennen. Wenn man sich nicht oder nur flüchtig kennt, kommt es bei der geringsten Abweichung zu Zweifeln und Unsicherheiten. Es braucht Vertrauen, um diese Unsicherheitslücke zu schließen. Vertrauen zu einem anderen Teammitglied basiert auf einer guten Beziehung untereinander. Da man Vertrauen nicht einfordern kann, muss man Bedingungen schaffen, mit der die Beziehungen verbessert werden können. Fladnitzer (2006, S. 184) nennt hierzu sechs Gründe, die für eine Vertrauensintension ausschlaggebend sind und die durch vertrauensbildende Maßnahmen beeinflusst werden können (Abb. 19.4) Beim „rationalen Kalkül“ geht der Vertrauensgeber davon aus, dass der Vertrauensnehmer einen hohen Schaden durch Vertrauensmissbrauch erleidet. Beim „Vertrauen durch Identifikation“ identifiziert sich der Vertrauensgeber selbst mit dem Vertrauensnehmer oder dessen Zielen und Motiven (Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Persönlichkeitsmerkmale, Verhaltensweisen). Die „positive Einschätzung der Fähigkeiten“ eines Teammitgliedes z. B. anhand von Informationen über seine Rolle in einem erfolgreichen Projekt ist ein weiterer Grund, diesem Teammitglied Vertrauen zu schenken. Bei dem

Dritte Partei

Vertrauenstransfer durch Dritte

Transfer von Institutionsvertrauen

Institution

Positive Einschätzung der Fähigkeiten Vertrauensgeber

Vertrauensnehmer Vertrauen durch Identifikation Rationales Kalkül Positive Erfahrungen Vorhergehender Prozess

Abb. 19.4  Grundlagen der Vertrauensentscheidung. (Quelle: in Anlehnung an Fladnitzer (2006), S. 184)

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H. Schäfer

Grund „positive Erfahrung“ wird die Vertrauenswürdigkeit des Vertrauensnehmers aufgrund vorhergehender Interaktionen zwischen Vertrauensnehmer und -geber eingeschätzt. Weiterhin kann einer Person aufgrund einer dahinter stehenden Institution vertraut werden oder durch die Bezeugung der Vertrauenswürdigkeit bzw. Empfehlung durch eine dritte Person. Werden diese Vertrauensgründe auf die Zusammenarbeit im Projekt übertragen, so lassen sich folgende Maßnahmen ableiten: • Teamleiter erzeugen von Anfang an Vertrauen, indem sie offen und umfassend informieren. Dies gilt sowohl für das Projektteam als auch für die Key-Stakeholder des Projekts (Kunden, Partner, Bereichsverantwortliche). • Ohne Zweifel sind Präsenzmeetings die beste Gelegenheit, Beziehungen und Vertrauen zwischen den Teammitgliedern aufzubauen. Videokonferenzen können das persönliche Kennenlernen mit allen Sinnen nicht ersetzen, sind aber bei knappen Budgets als Alternative zu nutzen. • Falls es nicht möglich ist, dass sich alle Teammitglieder gleichzeitig „face-to-face“ treffen, sollten Teil-Meetings mit Sub-Teams durchgeführt werden, so dass zumindest dort ein persönliches Kennenlernen und somit ein schneller Vertrauensaufbau möglich ist. • Vertrauen entsteht in der Zusammenarbeit insbesondere durch positive Erfahrungen (Fladnitzer 2006). Je mehr Interaktionen zwischen den Teammitgliedern zustande kommen, desto größer ist die Chance zum Vertrauensaufbau z. B. durch häufigere, aber kürzere Meetings, regelmäßige Informationen über Projektaktivitäten oder regelmäßiges Feedback. • Die Teammitglieder vertrauen sich umso mehr, je offener das vorhandene Wissen ausgetauscht wird. Offene Kommunikation setzt jedoch voraus, dass sie nicht öffentlich geführt wird. (Management der Zugriffsrechte, geschlossene Collaboration-Bereiche, die nur für Teammitglieder zugänglich sind). • Das Gleiche gilt für das Management der Projekt-Stakeholder. Es geht auch darum, das Vertrauen der wichtigsten Interessengruppen zu stärken, indem man sie regelmäßig informiert und z. B. Zusammenfassungen mit dem Status kritischer Aktivitäten verteilt. • Auf Reisen zu den weiter entfernten Standorten sollte jede Gelegenheit genutzt werden, ein persönliches Gespräch mit allen Teammitgliedern unabhängig von ihrer hie­ rarchischen Position zu führen. • Dies kann auch unabhängig vom laufenden Projekt geschehen. Es geht um den gezielten Aufbau von dauerhaften Beziehungen als Grundlage für das gegenseitige Vertrauen. • Es gibt keine schnelle Lösung für Missverständnisse. Konfliktmanagement braucht Zeit, insbesondere wenn unterschiedliche kulturelle Hintergründe, verschiedene Sprachen und Zeitzonen hinzukommen.

19  Collaboration Management – Zusammenarbeit im Projekt erfolgreich gestalten

393

19.5.4 Collaborative Einstellung und Verhalten Wenn die organisatorischen und technischen Voraussetzungen gegeben sind, kommt es letztendlich auf die collaborative Einstellung (Mindset) und das Verhalten jedes einzelnen Teammitglieds an. Ob eine professionelle Collaboration im Projekt zustande kommt oder nicht, hängt zum einen von dem Verhalten der Teammitglieder und insbesondere der Führungskräfte ab. Zum anderen spielt die gemeinsam geteilte und gelebte Projektkultur eine wesentliche Rolle (Abb. 19.5). Unter Projektkultur werden, vergleichbar mit der Unternehmenskultur, die in einem Projektteam gemeinsam geteilte und gelebte Wertehaltung, die Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster, Gebräuche und Umgangsformen verstanden (Wunderer 2001, S. 154). Zur Förderung der collaborativen Einstellung und des Verhaltens im Projekt können folgende Maßnahmen hilfreich sein: • Teammitglieder sind gerade am Projektstart besonders sensitiv für neue Normen und Regeln der Zusammenarbeit. Diese Chance sollte der Projektleiter nutzen, um im Projekt die Zusammenarbeitskultur vorzuleben und zu verdeutlichen. • Hierbei geht es insbesondere darum, ein Klima von gegenseitiger Akzeptanz und Wertschätzung zu schaffen, in dem abweichende und kontroverse Beiträge jederzeit willkommen sind und ernsthaft geprüft werden. • Weitere collaborationsfördernde Verhaltensmuster sind das freiwillige Geben von Informationen innerhalb des Teams, das Angebot bei Fragen jederzeit verfügbar zu sein, oder die unkomplizierte Unterstützung bei einem konkreten Problem.

Kommunikationsorientierte Ausdrucksformen: • Mythen, Storries, Slogans, • Glaubenssätze

KULTURKERN

Handlungsorientierte Gestaltungsformen: • Riten, Rituale, Zeremonien (Feiern von Jubiläen, Verabschiedung, Ernennungen, Veröffentlichung von Beförderungen • Symbolische Handlungen: Tragen von Namensschildern, Kaffeepausen zu informellen Abstimmung • Gemeinschaftsbildende Handlungen: Ausflüge nach Projektabschluss, Welcome-Parties Objektbezogene Ausdrucksformen: • Statussymbole, Führungsgrundsätze, • Unternehmens und Arbeitsorganisation, Logo, • Leitbilder wie Verhalten gegenüber Kunden und Geschäftspartnern, Verhalten gegenüber Kollegen

Abb. 19.5  Ausdruckformen bzw. Gestaltungselemente der Unternehmenskultur. (Quelle: Wunderer (2001), S. 155 und 159)

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• Grundsätzlich ist zu überprüfen, ob individuelle Anreizsysteme sich nicht negativ auf das collaborative Verhalten auswirken. Wenn es möglich ist, sollten zumindest auch entsprechende kollektive Anreizsysteme etabliert werden. • Die Identifikation bzw. das Zusammengehörigkeitsgefühl im Projekt kann gefördert werden, indem explizit die Herausforderungen und die Bedeutung des Projekts kommuniziert wird. Dabei muss klar werden, wie wichtig der Beitrag der Teammitglieder für den Projekterfolg ist. • Dabei ist es erforderlich, den lokalen Hintergrund der Teammitglieder zu kennen, z. B. die jeweilige Organisation, die Länderkultur und ihre individuellen Eigenschaften. • Eine Schlüsselrolle spielt das collaborative Verhalten der am Projekt beteiligten Führungskräfte, sowohl im Projekt, wie z. B. Projekt- und Teilprojektleiter, als auch außerhalb des Projekts in den verantwortlichen Fachbereichen (Gratton 2007, S.  55). Der Projektleiter hat die Aufgabe, dies den Stakeholdern entsprechend zu verdeutlichen. • Rituale helfen, die Komplexität im Projektablauf zu reduzieren. Der Projektablauf wird dadurch vertrauter und kalkulierbarer. Hierzu gehören z. B. feste Zeiten, um Meetings zu starten, feste Strukturen im Meetingablauf oder der Abschluss eines Präsenzmeetings mit einem kleinen Event oder auch das Feiern von Zwischenerfolgen. • Last but not least sei auf die Bedeutung von Symbolen hingewiesen, z. B. Erkennungszeichen oder Projektlogos, die den Zusammenhalt stärken und eine Teamidentität schaffen. Dies ist besonders wichtig bei virtuellen Teams, da es sehr schwierig ist, über Distanz und Grenzen hinweg ein Projektzugehörigkeitsgefühl zu erzeugen.

19.6 Schlussbetrachtung Die oben genannten Maßnahmen bilden eine Basis zur Gestaltung der Zusammenarbeit im Projekt. Sie sind grundsätzlich in jedem Projekt anwendbar, werden aber umso wichtiger, je mehr Barrieren zu überwinden sind. Der Projektleiter und das Projektteam müssen sich diesem Gestaltungsspielraum bewusst werden. Gerade in Projekten ist dieser oftmals größer als vermutet, da die meisten Restriktionen, die einer Linienorganisation Stabilität verleihen, in der Projektorganisation auf den Prüfstand gestellt werden können. Die zukünftigen Herausforderungen können nur mit einer proaktiven Herangehensweise gemeistert werden. Es gilt sowohl im Projekt als auch im Unternehmen, Bedingungen zu schaffen, dass über Hierarchie und Bereichsgrenzen hinweg optimal zusammengearbeitet werden kann. Dies ist ein Gestaltungsprozess, der sowohl auf der Projektebene als auch auf der Unternehmens- und Netzwerkebene vorangetrieben werden muss. Die Projektleiter müssen in ihren Verantwortungsbereichen bzw. Projekten proaktiv vorangehen und damit sukzessive den Weg für eine collaborative Unternehmenskultur ebnen.

19  Collaboration Management – Zusammenarbeit im Projekt erfolgreich gestalten

395

Literatur Binder J (2007) Global project management. Communication, collaboration and management across borders. Gower Publishing, Burlington Fladnitzer M (2006) Vertrauen als Erfolgsfaktor virtueller Unternehmen. Deutscher Universitätsverlag/GWV Fachverlag, Wiesbaden Gratton L (2007) Hot spots. Why some companies buzz with energy and innovation – and others don’t. Berrett-Koehler Publishers, San Francisco Hansen T (2009) Collaboration. How leaders avoid the traps, create unity, and reap big results. Harvard Business Press, Boston Pfannstiel MA, Steinhoff PF-J (Hrsg) (2018) Der Enterprise Transformation Cycle, Theorie, Anwendung, Praxis. Springer Gabler, Wiesbaden Stiles P, Uhl A, Stratil P (2012) Meta management. In: Uhl A, Gollenia LA (Hrsg) A handbook of business transformation management methodology. Routledge, New York, S 41–59 Transformation Consulting International (2018) Der Enterprise Transformation Cycle. Transformation Consulting International (TCI). https://www.tci-partners.com/de (TCI-Facts). Zugegriffen am 19.09.2018 Wunderer R (2001) Führung und Zusammenarbeit, 4. Aufl. Luchterhand, Neuwied-Kriftel

Helmut Schäfer,  Dr.-Ing., ist seit 2012 Partner bei der TCI. Er studierte am KIT in Karlsruhe und promovierte über die Planung langfristig gültiger CAD/CAM-­Gesamtkonzeptionen. Seine Laufbahn begann am Forschungszentrum Informatik (FZI), wo er die Abteilung CAD-­ CAM-Technologie leitete. Bei der ABB Management Consulting verantwortete er als Mitglied der Geschäftsleitung weltweit das Competence Center „Engineering und Projektmanagement“. Als Geschäftsführer der Eurosysteam GmbH war er zuständig für die Konzeption und Umsetzung komplexer Veränderungsprojekte. Im TCI-Netzwerk unterstützt er als Managing-Partner die Bereiche „Project Management Excellence“ und „Projects & Processes for Engineering“

Der Erfolgsfaktor Kommunikation Entwicklung und Bewertung von Change-­ Kommunikationsmaßnahmen mithilfe des Enterprise Transformation Cycle (ETC)

20

Benjamin Steinegger und Peter F.-J. Steinhoff

Inhaltsverzeichnis 20.1  Einleitung  20.2  Anwendungsbeispiel: Einführung von SAP Fieldglass im Konzern  20.3  Anwendung der ETC-Umsetzungsphasen  20.4  Schlussbetrachtung  Literatur 

 398  399  400  411  413

Zusammenfassung

Die sich schnell wandelnden Rahmenbedingungen in der Wirtschaft geben den Unternehmen Anlass, ja sogar die Notwendigkeit vor, sich unter mancherlei Gesichtspunkten ebenfalls grundlegend zu verändern. Jedoch scheitern die meisten dieser Change-Projekte in der Praxis. Einen Schlüsselfaktor während solcher Veränderungsprozesse und -projekte mit Hinblick auf deren Erfolg bildet die Kommunikation. Ihr kommt die Rolle zu, jeglichem Misslingen von Veränderungen zuvorzukommen bzw. Veränderungen bis zur erfolgreichen Umsetzung zu begleiten. Dieser Beitrag soll eine Handlungsempfehlung für die Kommunikation bei Veränderungsprojekten, die sogenannte Change-Kommunikation, geben. Die geeignete Kommunikation wird anhand eines B. Steinegger (*) PricewaterhouseCoopers GmbH, München, Deutschland E-Mail: [email protected] P. F.-J. Steinhoff Transformation Consulting International GmbH (TCI), Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_20

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398

B. Steinegger und P. F.-J. Steinhoff

Anwendungsbeispiels, welches die Einführung von SAP Fieldglass in einem Konzern mithilfe des Enterprise-Transformation-Cycle(ETC)-Modells zum Gegenstand hat, aufgezeigt. Hierbei wird der Fokus auf die ETC-­Umsetzungsphasen Envision, Engage, Transform und Optimize gelegt und der kommunikative Aspekt Schritt für Schritt entwickelt.

20.1 Einleitung „Veränderung ist oft unbequem, schmerzhaft und anstrengend. Veränderung kann zunächst Angst und Unbehagen hervorrufen. Aber auf Veränderung zu verzichten, kann noch viel schmerzhafter werden (Fischer 2016).“

Fischer beschreibt, wie sich die meisten Menschen während eines Veränderungsprozesses fühlen. Ganz gleich ob im Privaten oder Beruflichen, es fällt vielen schwer, eine Veränderung anzugehen und durchzustehen (Forster 2017). Die Zahl der Changemanagementmaßnahmen in Unternehmen ist in den letzten zwei Jahrzenten stark angestiegen. Wettbewerbsdruck, Kostensenkungen, die Notwendigkeit zur stetigen Qualitätsverbesserung von Produkten und Dienstleistungen, das Ziel beständiger Produktivitätssteigerung, die erhöhte Markttransparenz durch die Globalisierung und komplett neue Rahmenbedingungen durch das Internet veranlassen und nötigen Unternehmen dazu, sich strategisch zu erneuern (Kotter 2012, S. 3). Veränderungen können beispielsweise durch Restrukturierungsmaßnahmen, Carve-outs, Kulturwandel oder Near- und Offshoring erfolgen. Diese Veränderungen durch ein Change- respektive Transformationsmanagement zu flankieren, ist dabei essenziell für Unternehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Vor allem müssen sich deutsche Unternehmen an den Anforderungen der digitalen Transformation ausrichten. Das ist dringend erforderlich, da eine massive Konkurrenz in vielen Branchen und damit eine gewisse Bedrohung beispielsweise durch Uber, Netflix, Amazon oder Apple bereits allgegenwärtig ist. So sind Unternehmen wie Blockbuster, Karstadt, Kaufhof oder Blackberry, die nicht schnell genug auf die Digitalisierung reagierten, entweder von der Bildfläche verschwunden oder wirtschaftlich stark angeschlagen (Myron 2016, S. 2). Mithilfe von Changemanagement versucht die Mehrheit der Unternehmen, ihre Transformationsprojekte in geordnete Bahnen zu lenken und steuerbar zu machen. Das ist ein guter Ansatz. Allerdings ist ein Change-Projekt nicht einfach zu gestalten. Die Praxis zeigt, dass rund 70 % der Veränderungsprojekte scheitern (Mast 2008, S. 2). Jedes fünfte Projekt wird mangelhaft umgesetzt und in jedem zehnten ist die Lösung minderwertiger oder ungenügender als das vorherige System oder die vorherige Praxis. Die Ursachen hierfür liegen Experten zufolge in Visionslosigkeit, schwachem Prozessmanagement sowie fehlender Verpflichtung der am Veränderungsprozess mitwirkenden Entscheidungs-

20  Der Erfolgsfaktor Kommunikation

399

träger und deren Mitarbeiter. Ein weiterer Grund für das Scheitern von Veränderungen ist gemäß Jansen die Einstellung, die viele Unternehmer und Manager gegenüber ihren ­Mitarbeitern haben. Jansen führt aus, dass das Verständnis für den Sinn eines Wandels nicht von allen Mitarbeitern vorausgesetzt werden kann. Unternehmen sind aber oft der Meinung, dass die Betroffenen mit Veränderungen einverstanden sein müssten oder es automatisch seien. Insbesondere ist es sogar für viele Mitarbeiter ein Unterschied, von wem die Veränderungen initiiert bzw. an sie herangetragen werden. Das Rollenvorbild scheint hierbei ausschlaggebend. Jansen stellt die These auf, dass die Mitarbeiter in den Unternehmen Sehnsucht nach Sinnstiftern, nach sogenannten Wachstumshelden, und nicht nur nach Verwaltern des Geschäfts haben (Jansen 2005, S.  37). Damit impliziert Jansen, dass eine Veränderung von Arbeitnehmern eher mit Wachstumshelden als mit Verwaltern akzeptiert wird. Ein wirkungsvoller Ansatz zur Reduktion vieler der oben genannten Schwierigkeiten kann eine gezielte, die Veränderung flankierende Kommunikation sein (Deutinger 2013, S. 13). In den nächsten Kapiteln werden auf Basis des Enterprise Transformation Cycle (ETC) (Pfannstiel und Steinhoff 2018) mögliche Maßnahmen für eine solche Kommunikation erarbeitet und bewertet. Dem vorangestellt sei ein Abschnitt, der das Anwendungsbeispiel vorstellt.

20.2 A  nwendungsbeispiel: Einführung von SAP Fieldglass im Konzern Als Anwendungsbeispiel dient die Einführung von SAP Fieldglass in einem Konzern. Im Folgenden wird SAP Fieldglass erklärt und anhand der Abb. 1 gezeigt, welche manuellen Prozesse mit SAP Fieldglass optimiert werden können. SAP Fieldglass ist ein cloudbasiertes Vendor Management System, in welchem ein End-to-End-Prozess zwischen suchendem Unternehmen (Kunde) und Verleiher (Lieferant) abgebildet wird, um externe Arbeitskräfte zu beschaffen (siehe Abb. 20.1). Mit SAP Fieldglass ist es möglich, den Rekrutierungsprozess zu optimieren und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten zu intensivieren. Das System betreut alle Stufen des Einkaufsprozesses und verwaltet die externen Arbeitskräfte während ihrer gesamten Einsatzzeit beim Kunden. Folgende Stufen können unterschieden werden (vgl. SAP Fieldglass Datasheet 2019): 1. Job Posting des Hiring-Managers: Hier gibt der Hiring-Manager online bekannt, dass er eine externe Stelle bei sich zu besetzen hat. 2. Auswahl eines Kandidaten: Der Hiring-Manager erhält Profile potenzieller Bewerber von unterschiedlichen Lieferanten und besetzt die offene Position nach sorgfältiger Prüfung der Bewerber. 3. Onboarding: Die externe Arbeitskraft erhält alle notwendigen Unterlagen über den Auftrag durch SAP Fieldglass.

400

B. Steinegger und P. F.-J. Steinhoff

Nachfrage Login SAP Fieldglass

Job Posng geht an Lieferanten

Job Posng

Angebote von Lieferanten Verleiher (Lieferant)

Angebote von unterschiedlichen Lieferanten

Hiring Manager (Kunde)

Angebot

Einigung

Bewerbungs gespräche (offline)

Bereit für die Arbeit

Auswahl potenzieller Kandidaten

Onboarding

Abb. 20.1  Der SAP-Fieldglass-Einkaufsprozess. (Quelle: Eigene Darstellung (2019))

4. Finanzen: Die Arbeitszeit des externen Kollegen kann über SAP Fieldglass erfasst werden. Dadurch bekommt der Hiring-Manager eine stets aktuelle Übersicht über die Stunden und damit auch über die Kosten für den Einsatz der externen Arbeitskraft. 5. Offboarding: Nach Beendigung des Arbeitsvertrags erfolgt über SAP Fieldglass das Offboarding des externen Mitarbeiters.

20.3 Anwendung der ETC-Umsetzungsphasen Ziel dieses Abschnitts ist die Entwicklung geeigneter Kommunikationsmaßnahmen am Beispiel des untersuchten Unternehmens, um bei den Mitarbeitern eine größtmögliche Akzeptanz für die Einführung von SAP Fieldglass zu erzielen. Dazu werden die Phasen Envision, Engage, Transform und Optimize des ETC als Methode (siehe Abb. 20.2) zur Umsetzung der Veränderung, die durch die Einführung von SAP Fieldglass entsteht, angewendet.

20.3.1 Envision mit Stakeholder-Analyse und Managementplan Im folgenden Abschnitt wird in einem ersten Schritt der Begriff Stakeholder definiert sowie eine Stakeholder-Analyse durchgeführt. Anschließend soll auf dieser Basis ein Stakeholder-­Managementplan erarbeitet werden.

20  Der Erfolgsfaktor Kommunikation

401

BUSINESS TRANSFORMATION Strategy Processes

Governance Values & Principles

Systems & Tools

Organizaon People

ENVISION

ENGAGE

TRANSFORM

OPTIMIZE

Abb. 20.2  Der Enterprise Transformation Cycle als Management- und Beratungstool. (Quelle: Zusammenstellung nach Transformation Consulting International (2018), o. S., Stiles et  al. (2012), S. 45, Steinhoff (2018), S. 7)

Stakeholder sind Einzelpersonen oder Gruppen von Einzelpersonen, die direkt oder indirekt durch ein Unternehmen oder eine Aufgabe beeinflusst werden (Sutterfield et al. 2006, S. 27). Aus Sicht der Stakeholder kann ein Unternehmen als eine Reihe von Beziehungen zwischen Gruppen und Einzelpersonen, die Anteile an den Aktivitäten dieses Unternehmens besitzen, definiert werden. Das Steuern und Begleiten solcher Beziehungen sollte heutzutage eine Stärke des Unternehmensmanagements sein, da die Bildung von Partnerschaften durch die Globalisierung in den letzten Jahren immer relevanter geworden ist (Freeman et al. 2010, S. 24). Das Management muss dabei in der Lage sein, eine offene, stabile und partnerschaftliche Beziehung zu den Stakeholdern im Unternehmen zu schaffen. Eine zielgerichtete und gut strukturierte Kommunikation ist dabei essenziell. Um dies zu gewährleisten, bedarf es einer Identifizierung und Kategorisierung der Stakeholder in einem übersichtlichen Plan. Zu Beginn muss eine Übersicht der Stakeholder im Unternehmen erstellt werden. Kumar und Varma schlagen folgendes Vorgehen vor (Varma und Kumar 2016, S. 134–135): 1 . Identifizierung der Stakeholder 2. Priorisierung der Stakeholder 3. Erstellung eines Stakeholder-Managementplans

1. Identifizierung der Stakeholder Mit einem sogenannten Stakeholder-Schnappschuss, der die aktuellen Stakeholder identifiziert, lässt sich eine einfache Übersicht über interne und externe Stakeholder gewinnen und darstellen (O’Donovan 2014, S.  80). Im Anwendungsfall von SAP Fieldglass sind dies folgende Stakeholder: Hiring-Manager, Einkäufer, Betriebsrat, Mitarbeiter von Hu-

402

B. Steinegger und P. F.-J. Steinhoff

man Resources, Mitarbeiter des Supply Chain Management, Lieferanten und die SAP-­ Fieldglass-Berater. Diese Stakeholder werden durch die Einführung von SAP Fieldglass und der damit verbundenen Veränderung maßgeblich beeinflusst. Um die Relevanz und das Interesse eines Stakeholders zu kategorisieren, wird in einem nächsten Schritt eine Power-Interest-Matrix verwendet. 2. Kategorisierung der Stakeholder Eine Kategorisierung der Stakeholder muss in jeder Kommunikationsstrategie berücksichtigt werden, mit dem vorrangigen Ziel, wichtige Stakeholder mit der für sie relevanten kommunikativen Maßnahmen zu versorgen, damit alle wesentlichen Punkte der auf sie abzielenden Kommunikationsstrategie abgedeckt werden. Im Hinblick auf eine derartige Einordnung der Stakeholder ist die Power-Interest-Matrix – ein Tool, welches die wichtigsten Stakeholder eines Projekts in vier Quadranten kategorisiert – besonders gut geeignet (siehe Abb. 20.3). Zum einen, weil daraus sofort ersichtlich ist, welcher Stakeholder den größten Einfluss hat. Zum anderen verdeutlicht es die Häufigkeit bzw. „Dichte“ der erforderlichen Kommunikation sowie die notwendigen Hilfsmittel oder Kanäle für die Übermittlung der Nachrichten. Zusätzlich stellt diese Matrix das Interesse am Unternehmen und die Wirkungsmacht des jeweiligen Stakeholders deutlich heraus. Wendet man die Power-Interest-Matrix auf die Stakeholder, die von der Einführung von SAP Fieldglass betroffen sind, an, ergibt sich folgende Kategorisierung:

High

Keep sasfied

Manage closely • Einkäufer • Hiring Manager • Human Resources Mitarbeiter • Supply Chain Management Mitarbeiter

• Betriebsrat

Power

Abb. 20.3 Power-Interest-­ Matrix. (Quelle: Zusammenstellung nach Johnson (2017), S. 137)

Keep informed

Monitor • Lieferanten (Zeitarbeitsfirma)

• SAP Fieldglass Berater • Restlichen Konzernmitarbeiter

Low Low

Interest

High

20  Der Erfolgsfaktor Kommunikation

403

„High power, high interest (manage closely)“ Bei der Einführung von SAP Fieldglass bilden die Stakeholder Hiring-Manager, Einkäufer, Human-Resources-Mitarbeiter und die Mitarbeiter aus dem Supply Chain Management die wichtigste Kategorie, da sie den größten Einfluss und das höchste Interesse besitzen. Für diese Stakeholder muss demnach eine enge und sehr gezielte kommunikative Begleitung erfolgen. „High power, low interest (keep satisfied)“ Der Betriebsrat und jene Konzernmitarbeiter, die vom Change nur indirekt betroffen sind, wie beispielsweise Accounting- und Controllingmitarbeiter, sind neben den Interessengruppen der Kategorie „High power, high interest“ ebenfalls wichtig zu nehmende Stakeholder. Sie sollten während des Projektfortgangs beständig informiert werden, zumal sie einen großen Einfluss beispielweise auf die Genehmigung der zukünftigen Einstellungen ausüben. An der technischen Einführung von SAP Fieldglass selbst haben sie jedoch ein geringes Interesse, womit diesbezügliche Kommunikationsinhalte für sie nicht so sehr im Vordergrund stehen sollten. „Low power, high interest (keep informed)“ Genau anders herum ist der Fall für die Verantwortlichen von SAP Fieldglass gelagert. Sie sollten permanent über den Stand des Projekts informiert werden, haben sie doch hohes Interesse daran, dass das Projekt und damit ihr Produkt möglichst erfolgreich eingeführt wird. „Low power, low interest (monitor)“ Die Lieferanten sind diejenigen, die am wenigsten Macht (im Sinne der Beeinflussung des Projekts) und das geringste Interesse an selbigem besitzen, denn es ist für Lieferanten nicht groß von Bedeutung, wie der Einstellungsprozess des Kunden aussieht. Es ist lediglich nötig, diese Anspruchsgruppe informiert zu halten. Letztlich haben sie wenig bis gar keinen Einfluss auf den Veränderungsprozess. 3. Erstellung des Stakeholder-Managementplans Der Stakeholder-Managementplan ist das Ergebnis bzw. die Verknüpfung der Vorarbeit aus den Punkten 1 und 2 und soll dem Management eine klare und strukturierte Übersicht über alle Stakeholder und die geplanten Maßnahmen geben (siehe Abb. 20.4). Er stellt dar, wann, wie, mit welchem Inhalt kommuniziert wird und wer der Empfänger der Nachricht ist. Der Stakeholder-Managementplan kann mittels verschiedener Programme wie z. B. Excel, PowerPoint oder Word aufgesetzt werden, je nach Präferenz des jeweiligen Unternehmens. Die nächste Darstellung zeigt, wie ein Stakeholder-Managementplan aussehen könnte. Für die Übermittlung der Informationen zu den Veränderungsmaßnahmen sind den Umständen angemessene Kanäle zu verwenden. Gemäß einer Studie der Kommunikationsberatung „IFOK GmbH“ sind beispielsweise Online-Medien wie Intranet, E-Mails und

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B. Steinegger und P. F.-J. Steinhoff Stakeholder-Management-Plan

Stakeholder

Power/Interest

Kern Interessen & Risiken

Projekt Phase (ETC)

Kommunikaons -kanal

Häufigkeit

Comments

Abb. 20.4  Stakeholder-Managementplan. (Quelle: Eigene Darstellung (2019))

Newsletter in Veränderungssituationen nicht so geeignet wie Face-to-Face-Gespräche, Workshops oder Town-Hall-Meetings. Das persönliche Gespräch ist dementsprechend der zentrale Kanal zur Übermittlung von Nachrichten der Unternehmensleitung oder anderen Führungsebenen an die Betroffenen. Weitere Kommunikationskanäle wie Flyer, Plakate und Filme zeigen kaum Wirkung und werden folglich am schlechtesten in der Umfrage bewertet (IFOK 2010, S. 11). Ferner legt Deekeling dar, dass die Unternehmenskommunikation ein heikles und komplexes Unterfangen sei und Botschaften, selbst wenn es inhaltlich um digitale Transformationen geht, nicht über digitale Medien überbracht werden sollen. Die digital unterstützten Kanäle können und dürfen nicht der Ersatz für wichtige Gespräche sein, um Betroffene von der Veränderung zu unterrichten und zu überzeugen (Deekeling und Bargshop 2017, S. 11). Welches Medium für welche Stakeholder im Anwendungsbeispiel zum Einsatz kam, wird im Folgenden kurz aufgezeigt. Die von der Veränderung direkt betroffenen Stakeholder, die im Stakeholder-Managementplan in der Kategorie „manage closely“ (Abb. 20.3, Power-Interest Matrix) erfasst wurden, sind Hiring-Manager, Einkäufer, die Mitarbeiter des Supply Chain Management und die Human-Resources-Mitarbeiter. Am stärksten betroffen wird von der Einführung des Systems die Human-Resources-Abteilung sein, da der gesamte HR-Prozess von der Suche bis hin zur Vertragserstellung sowie dem On- und Offboarding der externen Arbeitskraft dann automatisiert abläuft. Möglicherweise führen die Implementierung von SAP Fieldglass und die damit verbundene Automatisierung der Prozesse in Zukunft auch zu einem Abbau von Stellen in der Personalabteilung. Im untersuchten Fall hat es sich als ausgesprochen hilfreich erwiesen, die Mitarbeiter aus dem HR-Bereich eng in das Projekt einzubinden. Dadurch können die tendenziell vorhandenen Ängste des Arbeitsplatzverlustes thematisiert und oftmals entkräftet werden. Das kommt der Umsetzung des Projekts sehr zugute. Unterrichtung von und Austausch mit den Stakeholdern der Kategorie „manage closely“ erfolgt in Form von gezielten Gruppengesprächen beispielsweise durch Town-Hall-­ Meetings, da diese wie oben erwähnt zu den wirksamsten Kommunikationsmethoden im

20  Der Erfolgsfaktor Kommunikation

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Changemanagement zählen (Gerharz 2009, S. 164). Für solche Kommunikationsmaßnahmen ist ein fähiger Kommunikator erforderlich. Ein schlechter Redner gefährdet hingegen die Umsetzung des Transformationsprojekts. Sprachliche Fähigkeiten wie z. B. ein großer, nuancierter Wortschatz, eine gute Rhetorik, Stilsicherheit und eine einwandfreie Grammatik sollte der Gesprächsleiter neben Charisma, Einfühlungsvermögen, Überzeugungskraft und Leadership-Erfahrung mitbringen (Priya et al. 2017, S. 32). Im Anwendungsbeispiel übernimmt der Change-Kommunikator, der gleichzeitig eine Führungskraft im Konzern ist, diese Rolle. Die Mitarbeiter von SAP Fieldglass, die im Projekt als Berater tätig sind, gehören im Stakeholder-Managementplan in die Kategorie „keep informed“. Sie müssen jederzeit über den Projektstatus informiert werden, weil sie als Begleiter in der Implementierungsphase daran interessiert sind, das Tool erfolgreich einzuführen. Hier erfolgt die Kommunikation entweder direkt, z.  B. persönlich vor Ort, oder indirekt, z.  B. per E-Mail. Für wichtigere Angelegenheiten wie beispielsweise Ergänzung fehlender Funktionalitäten in SAP Fieldglass erweisen sich Videokonferenzen oder Arbeitstreffen für ein effizienteres Vorgehen als vorteilhaft. In die Gruppe „keep satisfied“ des Stakeholder-Managementplans fallen der Betriebsrat und jene Konzernmitarbeiter, die nur indirekt vom Wandel betroffen sind, aber später mit dem Tool arbeiten müssen. Da z.  B. der Betriebsrat oder Mitarbeiter aus dem Controlling-­Bereich SAP Fieldglass zukünftig nutzen werden, müssen sie im Umgang mit Fieldglass befähigt werden. Im betrachteten Beispielfall benötigt man zu diesem Zweck ein Training für die Anwendung von SAP Fieldglass, welches im Blended-Learning-­ Format durchgeführt wird. Blended-Learning verbindet Online-Lernen mit Präsenztrainings. Der Vorteil dieser kombinierten Lernmethoden ist, dass die Teilnehmer den Zeitpunkt der Trainings großteils frei wählen können. Zusätzlich ist jedoch die Möglichkeit gegeben, sich als Teilnehmer untereinander und mit den Dozenten persönlich auszutauschen. Je nach Lerntyp kann dieser persönliche Austausch sehr wichtig für den Lernerfolg sein (Baum 2018, S. 239). Zusammenfassend ist zu sagen, dass Nachrichten im Kontext von Change-Prozessen selbst in unseren digitalen Zeiten am effizientesten von Angesicht zu Angesicht übermittelt werden. Alternativen hierfür sind Videokonferenzen oder Town-Hall-Meetings, damit eine große Menge an Mitarbeitern gleichzeitig adressiert werden kann. Mithilfe der Power-­Interest-Matrix können Stakeholder sehr exakt kategorisiert und die geeignetsten Kommunikationsmaßnahmen für sie abgeleitet werden.

20.3.2 Engage mit der ersten Botschaft des Top-Managements Im Schritt „Engage“ geht es darum, die Stakeholder zu motivieren und darin zu unterstützen, die Veränderung mitzutragen, sowie um die konkrete Vorbereitung der Transformation (Stiles et al. 2012, S. 44–47). Der erste Schritt in unserem Anwendungsfall ist die Aussendung einer konzernweiten E-Mail, die eine Videobotschaft beinhaltet und alle

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B. Steinegger und P. F.-J. Steinhoff

Stake­holder darüber in Kenntnis setzt, dass externe Mitarbeiter in Zukunft zentral über SAP Fieldglass bestellt werden. Diese Information kommt im Projekt vom Top-Management und wird in einer „Change-Story“ verpackt, die unten detaillierter dargestellt wird. Mit dieser ersten Botschaft erhalten alle Stakeholder eine Information über das Veränderungsvorhaben. Das bedeutet, dass das Warum und Wie sowie das Ziel respektive die Vision der Einführung von SAP Fieldglass für das Unternehmen und die Mitarbeiter klar darzulegen ist. Eine Vision ist „ein Traum mit Verfallsdatum“ (Kell 2005, S. 237). Um sie greifbar zu machen, sodass sie auch emotional von allen direkt und indirekt Betroffenen mitgetragen werden kann, ist sie am besten über eine bildhafte Schilderung, wie das Unternehmen mit SAP Fieldglass nach der Implementierung aussehen wird, zu transportieren. Damit lassen sich bereits im Vorfeld viele mögliche Bedenken und Widerstände – die ja häufig psychologischer Art sind – verschiedenster Stakeholder vermeiden. Zwischen dieser ersten allgemeinen Botschaft des Top-Managements und der nächsten Kommunikation an die direkt betroffenen Stakeholder, wie beispielsweise im HR-Bereich und im Supply Chain Management, sollte der zeitliche Abstand möglichst gering sein, da in dieser Phase die Gefahr einer zu starken Verunsicherung besteht. Ein Lösungsansatz, der sich im Projekt als überaus hilfreich erwiesen hat, lag darin, beide Kommunikationsmaßnahmen am selben Tag, ja sogar parallel zueinander durchzuführen. Alternativ könnten die direkt betroffenen Stakeholder bereits im Voraus von der bevorstehenden Transformation unterrichtet werden. In einer Studie, die verschiedene Gründe für den Misserfolg von Veränderungsprozessen darstellt und gewichtet, belegt eine „nicht klar verständlich formulierte Vision“ den zweiten von zehn Plätzen (C4 Consulting GmbH 2007, S. 7). Deshalb ist es ausschlaggebend für den gesamten Prozess, gleich zu Anfang eine gute Change-Story mit einer Vision aufzusetzen, die den Stakeholdern eine klare Orientierung zu geben vermag (Kühn und Kühn 2017, S. 490). Allerdings gibt es divergierende – und oft nur „intuitive“ – Ansichten zum Inhalt einer Change-Story. Deshalb sollen nachfolgend die wichtigsten Elemente systematisch beleuchtet und zu einem Leitfaden verdichtet werden. Egal ob man eine Geschichte in Filmen, Büchern, zwischen Freunden oder in Unternehmen erzählt, sie beinhaltet stets eine oder mehrere Botschaften, die eine bestimmte Zielgruppe erreichen soll. Als bewusst eingesetztes Format ist die Story „eine interaktive Form der Kommunikation, da es zu einem Dialog und Austausch zwischen Publikum und Erzählern kommen kann“ (Wieskamp 2018, o. S.). Eine Change-Story sollte nach Deutinger folgendermaßen aufgebaut werden: • • • • •

Emotionaler Start Einsatz von Identifikationsfiguren Prägnante, einfache und klare Formulierung der Kernbotschaft Spannungsbogen Verwendung eines positiven Abschlusses (Happy End) oder einer „Moral von der Geschichte“ (Deutinger 2013, S. 104)

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Der von Deutinger vorgeschlagene Aufbau einer Change-Story ist für die erste Mitteilung an die Stakeholder sicherlich angemessen. Inhaltliche Aspekte, wie z. B. der Ist-Soll-­ Zustand im Unternehmen, werden jedoch vernachlässigt. Der Schriftsteller Christopher Vogler hingegen präsentiert umfassend den schrittweisen Aufbau einer Change-Story, die insgesamt zwölf Punkte beinhaltet. Diese zwölf Etappen können die Kommunikation in Veränderungsprozessen strukturieren bzw. als Leitfaden einer Change-Story dienen und ergeben gemäß Vogler die Storytelling-Methode, die sich an die sogenannte Heldenreise des Mythenforscher Joseph Campbell anlehnt. Die Heldenreise erzählt eine Geschichte über einen Protagonisten auf seinem Weg zu einem glücklichen Ausgang (Vogler 2007, S. 3). Auf die Change-Kommunikation angewandt ist die Story demnach wie folgt aufgebaut (Vogler 2007, S. 81–215): 1. Die gewohnte Welt: Wo stehen wir, bevor wir mit dem Change beginnen? 2. Der Ruf: Was ist der Auslöser für den organisatorischen Wandel? 3. Die Weigerung: Welche Strukturen, Prozesse und Routinen sind besonders beliebt oder gewohnt/etabliert und müssen nun aufgegeben werden? 4. Der Mentor: Welche Begleiter haben wir auf dem Weg? Wie helfen sie uns? 5. Das Überschreiten der ersten Schwelle: Ab wann gibt es kein Zurück mehr? 6. Die Prüfungen, Verbündeten und Feinde: An welchen Stellen im Change erwarten wir Barrieren und Reibungen? Welche Unterstützer haben wir und wie können wir Skeptiker evtl. zu Co-Gestaltern machen? 7. Das Vordringen zur tiefsten Höhle: Welche Gefahren lauern an den riskanten Stellen? 8. Die entscheidende Prüfung: Was muss uns unbedingt gelingen, damit wir die Veränderung bewältigen und der Wandel erfolgreich ist? 9. Die Belohnung: Was bekommen wir nach bestandener Prüfung? 10. Der Rückweg: Wie geht unsere Veränderung nun weiter – in ruhigeren Gefilden? 11. Die Auferstehung: An welchem Punkt müssen wir angelangt sein, damit unsere Veränderung tatsächlich unumkehrbar ist? 12. Rückkehr mit Elixier: Was haben wir durch den Change über uns als Organisation und als Individuen gelernt? Was können wir für die Zukunft mitnehmen? Wendet man diese Punkte auf die Einführung von SAP Fieldglass an, ergibt sich folgende Change-Story: Der erste Punkt der Heldenreise zeigt den Ist-Zustand des Unternehmens vor Einführung von SAP Fieldglass. Es folgt eine kurze Erklärung, wie sich die Technologie im Bereich Supply Chain Management in den letzten Jahren entwickelt hat, bevor dann explizit auf SAP Fieldglass eingegangen wird. Im Schritt „Weigerung“ in Voglers Heldenreise bzw. zur Überwindung dieser Schwierigkeiten erläutert die betrachtete Kommunikation den Ist-Prozess im Unternehmen und zeigt das Optimierungspotenzial durch die Einführung von SAP Fieldglass auf. Dies kann durch eine Abbildung des Soll-Prozesses unterstützt werden. In diesem Schritt wird grundsätzlich die Frage beantwortet: Was wird besser durch die Veränderung?

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Der Change-Kommunikator des Transformationsprojekts, in der Heldenreise auch Mentor genannt, kommt in der Geschichte ebenfalls vor und wird im folgenden Kapitel detaillierter beschrieben. Des Weiteren werden die Projektdauer sowie der Zeitpunkt der Datenmigration mithilfe eines Projekt- und Zeitplans dargestellt, damit sich jeder Stakeholder darauf einstellen kann, ab welchem Zeitpunkt es keine Rückkehr zum alten System mehr gibt. Für eine gute Vorbereitung ist es ratsam, im Projektplan auch die Barrieren und Risiken, die an bestimmten Stellen des Projekts auftauchen könnten, aufzuführen. Nicht vergessen werden dürfen das Ziel der Veränderung sowie die Belohnung zum Abschluss des Projekts. Am Ende der Change-Story muss ein Ausblick auf den Zustand nach der Einführung des Systems vorhanden sein, der möglichst anschaulich erzählt, wie der Alltag mit SAP Fieldglass aussehen wird. Abschließend sollte das Erlernte als möglichst griffige Quintessenz zusammengefasst werden. Die Strategieberatung McKinsey schlägt vor, die Change-Story am besten von den Betroffenen selbst entwickeln zu lassen. McKinsey belegt diese Empfehlung anhand eines Verhaltensexperiments: Eine Hälfte der Teilnehmer dieses Experiments erhielt nach dem Zufallsprinzip Lotterielosnummern, während die andere Hälfte ihre Lotteriescheine selbst ausfüllen durfte. Bevor die Gewinnzahlen gezogen wurden, boten die Forscher allen Teilnehmern an, ihre Scheine zurückzukaufen. Damit wollte man ihnen die Möglichkeit zu einem Ausstieg geben. Das Ergebnis zeigte, ganz gleich in welcher geografischen oder demografischen Umgebung das Experiment stattfand, dass zirka fünfmal mehr für diejenigen gezahlt werden musste, die ihre eigenen Zahlen auf dem Lotterieschein angekreuzt haben. Sobald der Mensch selbst entscheiden darf, ist er dem Ergebnis weitaus mehr verpflichtet und trägt die volle Verantwortung. Dieses Verhalten soll und kann laut McKinsey in Changemanagementprojekten durch Verantwortung für und Einbindung in das Change-­ Projekt erzeugt werden (vgl. Aiken und Keller 2009). Das von McKinsey vorgeschlagene Vorgehen kann durchaus als eine Alternative in Betracht gezogen werden, um Stakeholder bei der Veränderung mitzunehmen. Da jedoch in dem betrachteten Konzern sehr viele Stakeholder bei einer Einführung von SAP Fieldglass beteiligt sind, hätte es sich sehr schwierig gestaltet, eine gemeinsame Change-Story zu entwickeln. So gibt es Stakeholder, wie das Supply Chain Management, welche die Einführung von SAP Fieldglass unterstützen. Es gibt aber auch diejenigen, die der Einführung skeptisch gegenüberstehen. So befürchtet beispielsweise die HR-Abteilung einen Stellenabbau, da durch SAP Fieldglass ein Teil der HR-Prozesse automatisiert wird. Diese unterschiedlichen Sichtweisen und Ausgangslagen von Befürwortern und Gegnern können schwer in eine gemeinschaftliche Story verpackt werden. Ferner wären der Koordinationsaufwand und die Abstimmung der Texte innerhalb des Konzerns in einem angemessenen Zeitraum nicht machbar. Aus dem Grund zeigt sich die Alternative von McKinsey in diesem Anwendungsfall als nicht zielführend und es wurde stattdessen dem Lösungsansatz der Storytelling-Methode „Heldenreise“ von Vogler, die zentral und nicht von den betroffenen Mitarbeitern entwickelt wird, der Vorzug gegeben.

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20.3.3 Transform mit den richtigen Change-Kommunikator In der Transform-Phase wird die eigentliche Veränderung umgesetzt. In dieser Phase erfolgen im Anwendungsfall die Übertragung der Daten vom alten System auf SAP Fieldglass sowie die Produktivsetzung des neuen Vendor-Management-Systems. Gemäß der oben vorgestellten Heldenreise nach Vogler korreliert die Transform-Phase mit dem Überschreiten der ersten Schwelle. Ab diesem Punkt ist das Zurückkehren zum alten Prozess ausgeschlossen. Wie oben erwähnt sind die Stakeholder-Gruppen Hiring-Manager, Einkäufer, Supply Chain Management sowie die Human-Resources-Abteilung die wichtigsten Adressaten bei der Einführung von SAP Fieldglass. Es ist wichtig, dass die Mitarbeiter dieser Stakeholdergruppen von einem Mitglied des Managements bei der Transformation begleitet werden. Diese Person sollte im besten Fall für viele im Unternehmen als eine Symbolfigur gelten. Wie wichtig das ist, kann mithilfe des folgenden Beispiels verdeutlicht werden: Angenommen, jemand läge im Krankenhaus. Wem würde dieser Mensch am meisten glauben und vertrauen, was die Therapie anbelangt? Dem Arzt oder der Krankenschwester, die ihn jeden Tag betreut und seinen Gesundheitsstand sowie den Verlauf der Genesung am besten kennt? Die meisten Patienten würden dem Arzt vertrauen. Der weiße Mantel des Arztes signalisiert geradezu symbolhaft langjährige Erfahrung sowie seine gehobene Stellung im Krankenhaus. So verhält es sich auch mit dem Vertrauensfaktor in der Kommunikation bei Veränderungen. Es ist wesentlich, die richtige Person als Change-­ Kommunikator zu wählen, ansonsten besteht die Gefahr, dass die Stakeholder die Transformation nicht mitgehen (Deutinger 2013, S. 113). Von zentraler Bedeutung ist es daher, auf einen Change-Kommunikator, welcher eine Identifikationsfigur im Unternehmen ist, zu setzen. Damit stellt sich natürlich die Frage, welche Charaktereigenschaften dieser Change-Kommunikator auszeichnen, damit die Mitarbeiter ihn in dieser Rolle anerkennen. Welche Qualitäten eine Identifikationsfigur haben sollte, zeigt der folgende Abschnitt. Identifikationsfigur als Change-Kommunikator Wie oben beschrieben wird für die von der Veränderung stark betroffenen Stakeholder eine enge Kommunikation benötigt, um sie gezielt durch die Veränderung zu begleiten. Hierfür muss die richtige Person die Kommunikationsfunktion übernehmen. Die folgende Übersicht skizziert ein mögliches Profil mit den erforderlichen Charakterzügen eines solchen Change-Kommunikators. Eine Symbolfigur als Change-Kommunikator sollte laut Berner und Tracy folgende Eigenschaften und Kompetenzen besitzen (Winfried 2006 o. S.; Tracy 2014 S. 24): • • • •

Leadership-Erfahrung (Kommunikation als Grundvoraussetzung), mehrjährige Erfahrung innerhalb eines Konzerns (> 10 Jahre), Eigenschaften wie Einfühlsamkeit und Ehrlichkeit, Kenntnisse im Konfliktmanagement,

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• Fähigkeit, ein guter Zuhörer zu sein, • Fähigkeit, komplexe soziale Situationen zu erfassen und richtig einzuschätzen, • hohes Maß an Krisenfestigkeit, frei sein von Angst vor negativen Einflüssen (Deekeling 2009, S. 27), die den Change-Kommunikator vom Ziel abbringen könnten, • ausgeprägte Kompetenz im Aufbau von persönlichen Beziehungen, um Respekt und gegenseitiges Vertrauen zu erlangen, • Risikobereitschaft und Konfliktfähigkeit, um selbst unter Berücksichtigung des evtl. daraus entstehenden Konflikts Stellung beziehen zu können, • Mut zur Veränderung, • gutes Beziehungsmanagement zu Top-Management und Mitarbeitern. Im Anwendungsbeispiel ist eine Führungskraft für diese Rolle vorgesehen, welches das Anforderungsprofil im Sinne der oben genannten Eigenschaften am besten erfüllt. In einem Konzern ist eine Führungskraft oftmals ein Mitarbeiter mit mehrjähriger betrieblicher Erfahrung. Zudem bringt ein guter Change-Kommunikator Leadership-Erfahrung mit, eine Rolle, die die Führungskraft durch ihre Position im Unternehmen ohnehin erfüllen muss. Führungskräfte haben die Aufgabe, das vorgegebene Ziel durch Vorbildfunktion, Tatkraft und Begeisterung zu unterstützen. Außerdem sollte eine Führungskraft ein ausgezeichneter Kommunikator sein. Kommunikationsbegabung ist eine Kernqualität der Führung. Studien zufolge hängen 85 % des Erfolgs als Führungskraft von deren Fähigkeit ab, effektiv mit anderen zu kommunizieren (Tracy 2014 S. 24).

20.3.4 Optimize mithilfe eines Feedbackprozesses Nach vollendeter Transformation ist es wichtig, eine Stabilisierungsphase einzuplanen. In dieser Optimize-Phase geht es darum, die Veränderungen zu verinnerlichen und zu institutionalisieren. Nur so kann die Veränderung nachhaltig wirken (Stiles et al. 2012, S. 44–47). Ein wirkungsvolles Instrument dieser Phase ist die Einführung eines Feedbacksystems, um Kommunikation und Stimmung analysieren und bewerten zu können. Anhand der daraus gewonnenen Daten besteht die Möglichkeit, die Transformationsergebnisse zu optimieren. Einer Definition Dopplers folgend ist Feedback die „allgemeine Rückkopplung, Rückmeldung – wörtlich genommen eigentlich Rückfütterung – von Informationen innerhalb bestimmter Regelungsprozesse“ (Doppler et al. 2002, S. 249). Die Methode des schriftlichen Feedbacks ist der meistverwendete Ansatz für eine detaillierte Analyse von Stimmungen in Veränderungssituationen. Die Ergebnisse einer solchen Umfrage können als Grundlage für Optimierungsmaßnahmen bei Veränderungs­ prozessen verwendet werden (Heyder 2014, S.  101). Im Projekt werden zwei Umfragemethoden eingesetzt. Das sind einmal eine Blitzumfrage sowie eine jährlich durchgeführte Umfrage. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass die jährliche Umfrage tiefer, ausführlicher und an alle Stakeholder gerichtet ist. Die Blitzumfrage hingegen wird an die Stakeholder gemäß der Power-Interest-Matrix angepasst und ist ­weniger

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umfangreich (Reinecke 2014, S. 601). Beide Umfragen wurden im Projekt online durchgeführt. Erweist sich die Blitzumfrage für einen Stakeholder als nicht ausreichend, so gibt es für die Teilnehmer die Möglichkeit eines persönlichen Feedbackgesprächs. • Die Blitzumfrage erwies sich im Anwendungsfall als eine adäquate Maßnahme, um Stimmungen bei den betroffenen Stakeholdern sowie Optimierungspotenziale schnell zu identifizieren. Sie ist auch deswegen geeignet, da sie jederzeit anwendbar und kurzfristig d. h. in kürzeren Zyklen, im Projekt durchgeführt werden kann. Ferner ist sie vor allem bei IT-Implementierungsprojekten zu empfehlen, bei welchen allein schon technisch bedingt Optimierungsmaßnahmen regelmäßig durchgeführt werden müssen. Gemäß dem Change-Berater Stefan Bald sind bei einer Blitzumfrage folgende vier Komponenten abzufragen, damit rechtzeitig die richtigen Maßnahmen ergriffen werden können (Bald 2008): • Informationsfluss: Wie gut fühlen sich die Befragten informiert und wie beurteilen sie den Informationsfluss? • Engagement: Inwieweit identifizieren sie sich mit den Zielen des Projekts und sind sie bereit, sich hierfür zu engagieren? • Dialog: Inwieweit fühlen sie sich in den Prozess integriert und wie beurteilen sie die Chance, eigene Anregungen sowie Ideen einzubringen? • Handlungsunterstützung: Erhalten sie, sofern gewünscht und nötig, die erforderliche Unterstützung, um ihren Beitrag zum Erreichen der Ziele zu leisten?

20.4 Schlussbetrachtung Ein Fazit und ein kurzer Ausblick auf die Beschaffenheit zukünftiger Changemanagementprojekte bilden den Abschluss dieses Beitrags. Wie in der Einleitung angeführt, scheitern über 70 % der Change-Projekte in der Praxis. Als ein wesentlicher Grund für diese enorm hohe Quote des Misslingens konnte die fehlende Einbeziehung der Stakeholder in den Veränderungsprozess identifiziert werden. Hier bietet sich ein wesentlicher Ansatzpunkt zur Verbesserung durch zielführende Kommunikationsmaßnahmen, die jedoch auf ein solides Fundament zu stellen sind. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der ETC eine hilfreiche Methode ist, anhand derer treffgenaue Maßnahmen für eine erfolgreiche Change-Kommunikation generiert werden können. Jede Transformation kann in die ETC-Phasen Envision, Engage, Transform, Optimize eingeteilt werden. Dies konnte auch für das Anwendungsbeispiel gezeigt werden. Für jede dieser ETC-Phasen werden gezielte Kommunikationsmaßnahmen entwickelt (siehe Abb. 20.5), die die Veränderung Schritt für Schritt begleiten. Somit entsteht ein gewisser Automatismus, der wissenschaftlich fundierte Sicherheit in die Change-­ Kommunikation bringt: Sobald das Projekt in eine neue ETC-Phase eintritt, kann die geplante Kommunikationsmaßnahme, deren Eignung vorher aus dem Model abgeleitet

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Kommunikaonsmaßnahmen

Envision StakeholderAnalyse und Management-Plan: Identifikation von Stakeholder Kategorisierung der Stakeholder Erstellung von StakeholderManagement-Plan

Engage Erste Botschaft des Top-Managements: Klar, definierte Vision haben Aufbau einer guten Change Story mit Hilfe der „HeldenreiseGeschichte“

Transform

Optimize

Der richtige Storyteller als ChangeKommunikator:

Feedback als Kontrollsystem:

Identifikationsfigur oder Symbolfigur als ChangeKommunikator Auf die notwendigen Eigenschaften achten

Feedback durch Online-Umfrage während des Veränderungsprozesses Einjähriges Feedback für alle Stakeholder

Abb. 20.5  Die Zusammenführung des Enterprise-Transformation-Cycle-Modells und der Kommunikationsmaßnahmen. (Quelle: Eigene Darstellung (2019))

wurde, Anwendung finden. Die folgende Abbildung zeigt noch einmal in übersichtlicher Form, welche Handlungsempfehlungen für welche ETC-Phase ausgesprochen werden. Für die Envision- sowie Engage-Phase werden eine Stakeholderanalyse, ein Stake­ holder-­Managementplan sowie die erste Botschaft an alle Stakeholder im Detail erarbeitet und als zentrale Maßnahmen umgesetzt. Die Stakeholderanalyse erfolgt in zwei Schritten, einerseits durch die Identifikation der Stakeholder und andererseits durch die Kategorisierung der Stakeholder mithilfe der Power-Interest-Matrix. Der guten Übersicht über die Analyseergebnisse in der Envision-Phase dient der Stakeholder-­Managementplan. Die erste Botschaft wird als zentrale Maßnahme in der Engage-Phase angewendet und sollte vom Top-Management an alle Stakeholder abgeschickt werden. Dabei soll diese Botschaft eine sogenannte Change-Story enthalten bzw. entwickeln, wobei man in der Praxis bewährten kommunikationspsychologischen Regeln folgt, die sich an die mythische Heldenreise anlehnen. Daran schließt sich die Umsetzungsphase des Projekts an, welche der Transform-Phase aus dem ETC gleichzusetzen ist. Dabei müssen definierte Change-Kommunikatoren, die sich durch klar benennbare soziale Fähigkeiten auszeichnen, mit den stark betroffenen Stakeholdern sprechen, damit jenen die mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Integrationsphase auftretende Angst vor Misserfolg genommen wird. Der Change-Kommunikator soll durch geeignete Maßnahmen soweit als möglich die Motivation und die positive Grundstimmung der Stakeholder aufrechterhalten. Die Kontrolle in der Optimize-Phase gelingt am besten mit einer Online-Blitzumfrage, die kurz nach dem Training anonym durchgeführt wird. Die ausgewerteten Daten dienen schließlich der Unterstützung von Prozessoptimierungen im Change-Projekt. Die Anzahl der Businesstransformationen stieg in den letzten Jahrzenten rapide an. Es kann festgestellt werden, dass durch die technologischen Veränderungen unternehmeri-

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sche Transformationen derzeit und künftig sogar noch beschleunigt werden. Autonomes Fahren, künstliche Intelligenz, Robotic-Automation-Process-Systeme u.  v.  m., die in atemberaubendem Tempo weiterentwickelt werden, sind die zentralen Herausforderungen für die Unternehmen. Dieser technische Fortschritt ermöglicht es den Unternehmen, ihre Prozesse zu verbessern, indem die Fehlerquote gesenkt und die Qualität sowie Geschwindigkeit der Produktion erhöht werden und in manchen Fällen die digitalen Lösungen Fertigkeiten und Fähigkeiten eines Menschen sogar übertreffen. Diese Entwicklung wird auch weiterhin massive Veränderungen in der Unternehmenswelt treiben. Umso mehr ergibt sich die dringende Notwendigkeit, dass derartige Veränderungen Hand in Hand gehen mit einer adäquaten Change-Kommunikation, die das Tempo, die Inhalte, aber auch die menschliche Dimension in diesen Umbrüchen mitgehen und mittragen kann. So aufgeschlüsselt und systematisch aufgesetzt wird sie zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor jeglicher Transformation und damit zum Treiber und Wegbegleiter zukunftsfähiger Entwicklungen.

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Benjamin Steinegger, M.Sc.  ist Technology Consultant bei der PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC). Er besitzt einen Bachelorabschluss der Fachhochschule für angewandtes Management in Betriebswirtschaftslehre und einen Masterabschluss in „International Business Management“ der Coventry University. Vor seiner Zeit bei PwC arbeitete er u.a. in der Inhouse Consulting der Siemens AG und bei Atos Consulting. Dort unterstützte er das Projekt- bzw. Programmmanagement bei der Umsetzung von größeren IT-Transformationen interner sowie externer Kunden.

Prof. Dr. Peter F.-J. Steinhoff  ist Professor für Betriebswirtschaftslehre – insbesondere für Unternehmenssteuerung sowie internationales/interkulturelles Management an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning bei München. Er studierte Kulturwirtschaft an den Universitäten Passau, Quito und Charleston. Die Promotion erfolgte an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Würzburg. Der ehemalige Siemens-Manager ist Managing Partner des Beratungsunternehmens Transformation Consulting International (TCI). Dort verantwortet er den Beratungsschwerpunkt Business Transformation sowie die Internationalisierung von Unternehmen. Ferner ist er Geschäftsführer der IndiGate GmbH, die sich auf Transformationsprojekte in Indien und den Ländern der arabischen Halbinsel spezialisiert hat.

Projekte scheitern überwiegend an mangelnder Kommunikation – Was kann dagegen nachhaltig getan werden?

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Karl-Heinz Hellmann

Inhaltsverzeichnis 21.1  Einleitung  21.2  Lösungsansätze  21.3  Einsortierung in den ETC  21.4  Chaos als Ursache der Misserfolgsfaktoren  21.5  Best-Practice-Beispiel Mittelfristplanung DAX-Konzern  21.6  Best-Practice-Beispiel Interim Management Automotive  21.7  Best-Practice-Beispiel Internationale Steuern DAX-Konzern  21.8  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Studien belegen, dass Projekte überwiegend an mangelnder Kommunikation scheitern. Nachfolgend wird auf eine solche Studie Bezug genommen. Die Ursachen der Misserfolge werden anhand eines physikalischen Fundamentalgesetzes hergeleitet und es wird eine neue Projektmanagementmethode vorgestellt, die gegen die benannten Ursachen konstant und konsequent wirkt. Die Einordnung dieser Methode in den ETC wird beschrieben. Kernstück des Beitrags sind drei Best-Practice-Beispiele aus unterschiedlichen Branchen mit unterschiedlichen Anwendungen.

K.-H. Hellmann (*) Dr. Hellmann Unternehmensberater e. K., Schriesheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7_21

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21.1 Einleitung In Abständen führt die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V., Nürnberg, die Studie „Projektmanagement  – Erfolg und Scheitern im Projektmanagement“ durch. Die letzte Studie wurde gemeinsam mit der PA Consulting Group, Eschborn, durchgeführt und im Dezember 2008 veröffentlicht (Engel et al. 2008). Gemäß Seite 11 der o.  g. Studie sind die beiden wichtigsten Erfolgsfaktoren Kommunikation und klare Ziele. Erst danach folgen die Position des Projektleiters und die PM-Prozesse. An drei Praxisbeispielen werden die Handlungsbedarfe aufgezeigt und welche Lösungsansätze nachhaltig zum Erfolg führen.

21.2 Lösungsansätze In der neuen Projektmanagementmethode „Chaos-Exorzismus“ (Hellmann 2017a) werden drei zentrale Lösungsansätze aufgeführt: Prozessoptimierung Projekte sind die Transformation von schwachstellenbehafteten Prozessen hin zu optimierten und digitalisierten Prozessen (eigene Definition 2019). Aus der Optimierung lassen sich • • • • • •

eindeutige Ziele, Schnittstellen, Kompetenzmatricen, Stellenbeschreibungen, Rollen- und Berechtigungskonzept und Integrationstestpläne und -dokumentationen

ableiten. Damit sind die häufigsten Streitpunkte/Missverständnisse zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer geklärt. Nur so ist ein späteres Claim und Change Request Management gemäß ITIL möglich. Darüber hinaus liefert die Optimierung • • • •

Bestandteile für Schulungsunterlagen, Fachkonzepte, Pflichtenhefte, Serviceverträge und Process Wikis/Librarys.

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Strategieentwicklung Um einen Prozess zu optimieren, muss eine Strategie für mindestens fünf Jahre vorliegen. Es macht keinen Sinn, einen Prozess zu optimieren, wenn die strategischen Ziele nicht berücksichtigt werden (können). Nur daraus lassen sich die Optimierungen und Prozessziele ableiten. Weltweit betrachtet (außer China) wird dieser Schritt stark vernachlässigt, was eine der Hauptursachen (unklare Ziele) für gescheiterte Projekte ist. Dieser Lösungsansatz ist in der Wertigkeit höher einzustufen als die Prozessoptimierung. In der Praxis wird das nicht so gesehen. Kommunikationskonzentrierte Projektsteuerung Kommunikationskonzentrierte Projektsteuerung kommt in den meisten Standard-­ Projektmanagementmethoden nur am Rande vor. Laut der oben genannten Studie ist das jedoch Erfolgsfaktor Nummer 1. Besonders auffällig in der Projektsanierungspraxis ist die Fixierung auf funktionales Projektmanagement. Für ein erfolgreiches Projektmanagement steht die nicht funktionale Projektsteuerung im Vordergrund. Es hat die Schwerpunkte • Prävention, • Eskalation und • De-Eskalation. Dabei beruht der Erfolg auf kontinuierlicher Kommunikation im Projektteam und möglichst frühzeitiger Reaktion auf sich ankündigende Probleme (Prävention), um Eskalation über den Lenkungskreis zu vermeiden. Lässt sich diese Eskalation nicht vermeiden, muss eine Risikoanalyse als Bestandteil der Projektsteuerung durchgeführt werden. Das Ergebnis sind Maßnahmen und Entscheidungen in einem Aktionsplan zur Risikosteuerung, die der Lenkungskreis bestätigen bzw. fällen muss. In der o. g. Methode wird nicht nach Ursachen unterschieden, sondern der Abschluss aller Maßnahmen und das Treffen aller Entscheidungen wird in einem geschlossenen Regelkreis überwacht, dokumentiert und regelmäßig, z. B. wöchentlich, aktualisiert. Mit diesem ersten Regelkreis ist sichergestellt, dass alle Mitglieder des Projektteams zur gleichen Zeit die gleichen Informationen haben. Sollten im Lenkungskreis keine Entscheidungen fallen, muss eine Auswirkungsanalyse durchgeführt werden und die Ergebnisse an den Lenkungskreis kommuniziert und dokumentiert werden (2. Regelkreis). Diese „vermaschten“ beiden Regelkreise sind in einer unternehmensweiten Datenbank abgebildet und stellen eine sehr effiziente Kommunikation sicher. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die Ent-Emotionalisierung des Projektteams und Lenkungskreises durch geeignete Methoden wie Faktenbasierung (Faktencheck, Wikipedia 2019a) und die Psychologie des Resonanzprinzips (Resonanzprinzip, Wikipedia 2019b). Dafür muss der Projektleiter oder Projektsteuerer nach der o. g. Methode eine ganz andere, nämlich nicht funktionale Qualifikation als heute üblich (funktional, technisch) haben. Er muss ein zertifizierter Moderator und Kommunikator sein (Toastmasters International 2019).

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21.3 Einsortierung in den ETC Der Enterprise Transformation Cycle (ETC) unterscheidet beim Transformation Management (TM) danach, „wie“ und „was“ transformiert werden soll: „Der ETC beschreibt ein ganzheitliches Modell, das in unterschiedlichsten Transformationsszenarien eingesetzt werden kann. Zentral dabei ist, dass er nicht nur die Art und Weise der Transformation (Envision, Engage, Transform und Optimize), sondern auch die inhaltliche Komponente und damit das, was transformiert werden soll, beschreibt. Einer der großen Vorteile des Modells ist einerseits seine hohe Flexibilität, da er keine dogmatische Fokussierung auf bestimmte Vorgehensweisen und Tools vorschreibt, sondern nur Angebote unterbreitet. Andererseits zeigt er jedoch einen klar strukturierten Rahmen eines Transformationsprozesses auf. Aus diesem Grund können u. a. Elemente und Methoden der Organisationsentwicklung wie des Change Managements in dieses ganzheitliche Modell integriert werden. Diese Flexibilität birgt aber auch die Herausforderung, dass derjenige, der dieses Modell in der Praxis einsetzt, umfassende Kenntnisse und Erfahrung im TM sowie in den inhaltlichen Themen respektive Dimensionen mitbringen muss.“ (Steinhoff 2018)

In diesem Zitat wurden bereits die einzelnen Module des „Was“ aufgeführt. Die einzelnen Module des „Wie“ sind gemäß Steinhoff (2018): • • • • • • •

Value & Principles, Strategy, Processes, Organization, People, System & Tools, Governance.

Tab. 21.1 gibt zusammenfassend einen Überblick über die Zuordnungen der Module des ETC, der Module des Chaos-Exorzismus sowie über die Verwendung in den Best-Practice-Beispielen. Im üblichen Controllerblick wird das Unternehmen Top-down betrachtet. Daher ist auch die Projektsteuerung („project control“) üblicherweise dem „Was“, Governance, zugeteilt. Gemäß der hier betrachteten neuen Methode wird Bottom-up gedacht und gearbeitet, womit die Verortung schwerpunktmäßig in den „Wie“-Bereich Transform fällt.

21.4 Chaos als Ursache der Misserfolgsfaktoren Mit unklaren Zielen Projekte zu starten ist eine große Form von Unordnung gleich Chaos. Weitere Anzeichen für Chaos sind schwachstellenbehaftete Ist-Prozesse und unstrukturierte Projektkommunikation z.  B. über mehrseitiges E-Mail-Ping-Pong oder Bespre-

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Tab. 21.1  Überblick über die Zuordnungen der Module des ETC, der Module des Chaos-­ Exorzismus sowie über die Verwendung in den Best-Practice-Beispielen. (Quelle: Eigene Zusammenstellung 2019) Module ETC Wie Strategy People

Module Chaos-Exorzismus Strategieentwicklung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung Prozessoptimierung

Processes Was Envision Strategieentwicklung Optimize Prozessoptimierung Transform Kommunikationszentrierte Projektsteuerung

Interim Mittelfristplanung Management

Internationale Steuern

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chungsprotokolle, die per Textverarbeitung als Einzeldokumente erstellt und auf Gruppenlaufwerken ohne Dokumenten-Identnummer abgelegt werden. Durch diese Vorgehensweisen vergrößert sich Chaos und Projekte scheitern daran, wie es die Top-four-Auswertung der zitierten Studie bestätigt. Aufgrund der großen Bedeutung der Ursachen dieser Misserfolgsfaktoren soll nachfolgend intensiv auf die Zusammenhänge eingegangen werden. Es handelt sich um ein physikalisches Fundamentalgesetz, welches mit seinen verschiedenen Erscheinungsformen in Hellmann (2017b) beschrieben ist: „Es gilt, wie Schwerkraft, zu jeder Zeit, an jedem Ort und für jeden … Dieses Fundamentalgesetz heißt Entropie“. Dieses Gesetz wird in neun verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen beschrieben: • • • • • • • • •

Maschinenbau: zweiter Hauptsatz der Thermodynamik, Entropieerhaltung Biologie Psychologie: „Verschieberitis“ oder „innerer Schweinehund“ Mathematik: Chaos Physik Chemie Astrophysik Informatik Sozialwissenschaften

Einfach erklärt bedeutet Entropie: Jedes System nimmt von sich aus den energieärms­ ten Zustand an. Im (Selbst-)Management heißt das Chaos. Sobald „sie“ (Menschen, Personen, Individuen) Ordnung in ein Chaos bringen wollen, müssen sie investieren (Energie). Auch hier empfiehlt es sich, dass sie mit einem möglichst kleinen Schritt beginnen, der eben wenig Energie beziehungsweise Engagement erfordert.

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Dieses „Gesetz“ begleitet uns ein Leben lang. Die Welt ist selbst abbildend (fraktal). Sie können nicht managen, wenn sie sich nicht selbst managen können. Wenn sie ihr ­eigenes Chaos nicht ordnen können, brauchen sie es im Unternehmen oder am Arbeitsplatz gar nicht erst versuchen. In einem solchen Fall kommen sie nicht durch das Lesen von Büchern weiter. Sie brauchen einen (NLP-)Coach. Ein weiterer Effekt tritt ebenfalls ständig auf, sowohl bei der Zielfindung als auch bei allen anderen Umsetzungsphasen. Es gibt zwei Arten, wie man Frösche kochen kann. Dieses Bild wurde zuerst von Senge (1996) verwendet. Er beschreibt die lernende Organisation wie folgt: „Die dort aufgeführten Prinzipien gelten auch für Menschen, die lebenslang lernwillig sind …. Die eine Art ist, den Frosch in kochendes Wasser zu werfen. Er wird mit aller Kraft um sein Leben kämpfen, um wieder herauszukommen. Die andere […] Methode spiegelt die Entropie wider: Der Frosch wird in angenehm temperiertes Wasser gelegt, da fühlt er sich so richtig wohl in einer in diesem Fall lebensgefährlichen Komfortzone. Dann nimmt man den Topf mit dem im Wasser badenden Frosch und stellt ihn auf eine Kochplatte, deren Temperatur ganz langsam und gleichmäßig hochgefahren wird. Der Frosch […] wird sich nicht bewegen und ohne Widerstand still sterben. Was für Frösche gilt, gilt auch für Menschen und damit für Unternehmen. Wir Menschen sind unempfindlich gegen kleine Veränderungen […]. Die Entropie arbeitet schleichend in ganz kleinen unmerklichen Schritten und versucht, uns immer wieder von einem einmal erreichten Ziel zurück zu locken, uns zu stoppen oder uns an einem Beginn zu hindern […]. Wenn wir unsere Zielerreichung und unser Umfeld nicht ständig auf kleine Veränderung hin beobachten, merken wir die Veränderung erst, wenn sie schon weit vorangeschritten ist und dann ist es häufig zu spät. Da die Entropie für jeden gilt, leiden wir alle an der Volksseuche „Verschieberitis“, der eine mehr, der andere weniger. Wir können uns nur dagegen wehren, wenn uns dieser Mechanismus bewusst wird […]. Gerade wenn Sie den ersten kleinen Schritt gehen wollen oder auch später, hört jeder dieses feine, sympathische, „schützende“ Stimmchen […]. Der innere Schweinehund präsentiert uns immer eine Ausrede, auf die wir nur zu gerne hereinfallen.“ (Senge 1996)

Um diesem Fundamentalgesetz entgegen zu arbeiten, ist die o. g. Methode mit ihren drei Säulen entwickelt und eingeführt worden. Nachfolgend werden Best-Practice-­ Beispiele beschrieben, die belegen, dass unter ihrer strikten Verwendung Chaos nachhaltig gemanagt werden kann.

21.5 Best-Practice-Beispiel Mittelfristplanung DAX-Konzern Anforderungsbeschreibung Für eine der Konzerngesellschaften sollte eine weltweite Mittelfristplanung aufgebaut werden. Basis war eine PC-Anwendung in einer Regionalgesellschaft, auf der ein SAP-­ Nebenprodukt betrieben wurde. Die Vorstellung der Geschäftsseite war: Server in der Regionalgesellschaft abschrauben und in der Zentrale aufbauen. Nebensächlich wurde in einer Zeile der zweiseitigen Leistungsbeschreibung erwähnt, dass alle Produkte und alle Länder zu berücksichtigen seien.

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Problembeschreibung Die Hinweise des zuständigen IT-Abteilungsleiters, dass die PC-Anwendung in jeder Hinsicht ungeeignet wäre und die neue Lösung aufgrund Komplexität und Datenvolumen im SAP-BW realisiert werden müsste, führte zu einer Beschwerde durch den Vorstand der Geschäftsseite bei der Geschäftsführung der IT-Tochtergesellschaft. Der einzig freie Entwickler wurde zum Projektleiter ernannt, ohne seine Qualifikation zu überprüfen. Da es sich um ein SAP-Nebenprodukt handelte, war die Anzahl der SAP-Experten sehr klein. Es stellte sich im später beauftragten Projekt-Review heraus, dass gravierende Mängel im Datenmodell vorlagen. Funktionen wurden ungetestet an den Kunden ausgeliefert. Es gab zwar einen an PRINCE II angelegten Projektmanagementprozess, der aber nicht beachtet wurde und der rein funktional ausgerichtet und mit Details überfrachtet war. Ein nicht funktionaler Krisenmanagementprozess und eine Krisenmanagementkommunikation existierte nicht. Nachdem das Budget um 20 % überschritten, aber noch keine Testversion verfügbar war, wurde eine externe Projektsteuerung zur Projektsanierung beauftragt. Lösungsbeschreibung Gemäß Chaos-Exorzismus-Methode wurde ein First Cut Risk Assessment und eine Stakeholder-­Analyse durchgeführt. Auf dieser Basis wurde ein Gutachten für die Geschäftsführung der IT-Tochter erstellt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen wurden genehmigt. Daraufhin wurde ein Projekt-Review durchgeführt und ein Releaseplan erstellt. Release 1 war die kleinste sinnvolle Anwendung (Land der Regionalgesellschaft und drei andere Länder mit wenig Umsätzen und wenigen Produkten). Die internen und externen Software-Architekten wurden durch SAP-Mitarbeiter ersetzt, da die Kenntnisse über das Nebenprodukt gemäß Review nicht ausreichten. Daraufhin wurde erstmals ein wöchentliches Status-Meeting (kommunikationszentrierte Projektsteuerung) eingeführt. Mit sehr großem Aufwand konnte der globale Schulungstermin für die Anwender gehalten werden, die aus der ganzen Welt angereist waren. Der Projektleiter versagte bei der Durchführung am ersten Schulungstag komplett, worauf die Teilzeit-­ Projektsteuerung, die an diesem Tag nicht vor Ort war, zu einem Krisengespräch zur Hauptbereichsleitung der Geschäftsseite innerhalb von zwei Stunden aufgefordert wurde. Die Projektsteuerung verschaffte sich nach Anreise einen Überblick über die Problematik und briefte Projektleiter und Stellvertretung in Reklamationsmanagement. Er übernahm die Moderation und De-Eskalation. Es wurde keine einzige funktionale Frage gestellt, für die die Projektleiter teilnehmen mussten. Die vorausschauend gebuchten SAP-Experten übernahmen anschließend erfolgreich den 2. Schulungstag. Beide Projektleiter wurden abgesetzt und ein neuer eingestellt. GoLive-Termin war Gründonnerstag. Im Februar traten gravierende Laufzeitprobleme auf, worauf direkt über die Geschäftsführung an den SAP-Bereich eskaliert wurde und der Notfallvertrag mit entsprechend hohen Kosten in Anspruch genommen werden musste.

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Der wöchentliche Zyklus der Status-Meetings wurde auf täglich reduziert. Alle Bereiche der IT-Tochter (auch Betrieb) wurden teilnahmepflichtig, da es gravierende Abstimmungsprobleme zwischen den Bereichen gab. Bei fehlenden Zulieferungen wurde direkt im Anschluss an die jeweiligen Vorgesetzten, unter Information der anderen Vorgesetzten und Geschäftsseite, eskaliert. Der GoLive-Termin wurde unter Verwendung der PC-Anwendung gehalten. Es wurde ein Folgeprojekt aufgesetzt, um eine Migration nach SAP-BW durchzuführen und dort den restlichen Release-Plan umzusetzen. Als der neue Projektleiter eingestellt und eingearbeitet war, wurde an ihn die Projektsteuerung übergeben. Tab. 21.2 gibt zusammenfassend einen Überblick über Probleme/Lösungen des Best-­ Practice-­Beispiels Mittelfristplanung DAX-Konzern.

21.6 Best-Practice-Beispiel Interim Management Automotive Anforderungsbeschreibung Ein Automotive-Lieferant hatte fünfzehn Monate erfolglos einen Leiter für eine sehr wichtige Hauptabteilung gesucht, die die Schwächen des Unternehmens sichtbar und messbar macht. Daher wurde sich entschieden, einen Interim-Manager einzustellen, der die größten Baustellen schließen, seinen Nachfolger einstellen sowie einarbeiten sollte. In den Niederlassungen in Detroit und Shanghai gab es Probleme. Für die ersten sechs Monate wurde gefordert, dass sowohl Detroit als auch Shanghai jeweils einmal im Monat besucht werden müssen. Bei Bedarf sollte der Vertrag verlängert werden. Problembeschreibung Je nach Befragung wurde 15–30 Jahre nur minimal investiert. Es herrschte die Misstrauenskultur der 1950er-Jahre: Der Mitarbeiter ist der natürliche Feind des Vorgesetzten. Alle Einkäufe über 1000 € mussten vom Vorsitzenden der Geschäftsführung, neben den vielen untergeordneten Freigaben, unterschrieben werden, was regelmäßig verzögert wurde und zu einem großen Nachverfolgungsaufwand führte. In Deutschland herrschte eine Not-­ Invented-­Here-Kultur. Das Unternehmen dachte und agierte nicht global. Der vorhandene Platz war nicht ausreichend. Umzüge in Shanghai und Deutschland waren dringend überfällig. Prozesse waren zwar Top-down-generisch beschrieben, konnten aber so nicht gelebt werden. Es fehlte die Bottom-up-Beschreibung als Arbeitsanweisung, um die Einhaltung der Prozesse messen zu können. Jeder konnte machen, was er wollte, ohne dass Konsequenzen gezogen wurden. Das gesamte kommerzielle Berichtssystem war aufgrund einer Top-down-Umorganisation komplett unbrauchbar. Die Reorganisation wurde unter Beteiligung einer Unternehmensberatung ohne Umsetzungskonzept verordnet. In Shanghai wurde entgegen dieser Anordnung noch wie vor der Reorganisa-

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Tab. 21.2  Überblick über Probleme/Lösungen des Best-Practice-Beispiels Mittelfristplanung DAX-Konzern. (Quelle: Eigene Zusammenstellung 2019) 1 2

Problem Schlechte Kommunikation Unklare Ziele

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Qualifikation Projektleiter Keine PM-Prozesse

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Lösung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung Strategieentwicklung Prozessoptimierung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung

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tion gearbeitet. Der Interim-Manager musste die Umsetzung sicherstellen. Im Rahmen der Budgetierung erwartete der Vorgesetzte taktische Unterstützung vom Interim-Manager. Seit fünf Jahren stiegen die Non Conformity Cost (NCC, Qualitätsmängel und Vertragsstrafen) kontinuierlich an und überstiegen inzwischen erheblich den EBIT. Speziell die Software-Qualität war sehr schlecht. Es gab während der Software-Tests keine Frozen Zone (Entwicklungsstopp), sondern es wurde permanent weiterentwickelt, sodass die Testkosten sehr hoch waren, da nach jeder Änderung immer wieder neu getestet werden musste. Das Projektmanagement war ohne Methodik und Wirkung. Requirement und damit Claim Management existierten nicht. Kundensonderwünsche wurden ohne Mehrpreis umgesetzt. Die im Vorjahr beantragten neuen Mitarbeiter wurden nicht genehmigt. Daraufhin musste in erheblichem Maße weltweit externe Mitarbeiter als Dienstleistung eingekauft werden, da die mit Vertragsstrafen besetzten Endtermine unter allen Umständen gehalten werden mussten, wodurch der administrative, kommerzielle und kommunikative Aufwand sehr stieg. In einem Fall wurde einer dieser Dienstleister nicht geführt. Kurzfristige Spitzen konnten später aufgrund der notwendigen Einarbeitungszeit nicht mehr mit externen Dienstleistern geschlossen werden. Die Niederlassung der Hauptabteilung in Detroit wurde von einem Manager geführt, der nur 10 % seiner Zeit für diese Aufgabe aufbringen konnte. Der Interim-Manager sollte einen Vollzeit-Abteilungsleiter einstellen. Nach dem ersten Besuch war deutlich, dass der eingesetzte Manager in Shanghai völlig ungeeignet war und dass dort gravierende Know-how-Defizite herrschten. Ein hauptabteilungsweites, technisches Berichtssystem war nicht vorhanden. Die „Zusammenarbeit“ zwischen den Abteilungen und Länderorganisationen war sehr mangelhaft und von tiefem Misstrauen gekennzeichnet. Es wurde aus Deutschland direkt mit amerikanischen Kunden kommuniziert, ohne die zuständigen Bereiche zu beteiligen. Die mangelnde Kundenorientierung führte mehrfach zu Hausverboten von Mitarbeitern sowohl in Deutschland als auch in den USA. Neue Produktentwicklungen, die seit Jahren zu hohen Kosten betrieben wurden, hatten keine Serienreife. Eine Strategie war nicht vorhanden. Die Umsetzung von Bottom-up-Teilstrategien wurde immer wieder verzögert. Das Chaos war sehr groß.

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Lösungsbeschreibung Da die vorgeschlagene Bottom-up-Prozessoptimierung nicht von dem zuständigen Top-­ down-­Bereich zugelassen wurde, wird an dieser Stelle nur der sehr erfolgreiche Einsatz der kommunikationszentrierten Projektsteuerung der der o. g. Methode beschrieben. Die an den Interim-Manager berichtenden Abteilungsleiter benannten sofort die Krisenprojekte. Für diese Krisenprojekte wurde die o.  g. Projektsteuerungsmethode ­eingeführt, die sich erstmalig auf die nicht funktionalen Punkte konzentrierte. Zwei dieser Projekte waren so unreif bzw. risikobehaftet, dass der Interim-Manager die Geschäftsführung dazu aufforderte, diese Projekte sofort zu stoppen, was dann später von zwei weiteren eingeschalteten Unternehmensberatungen bestätigt und dann auch durchgesetzt wurde. Für die anderen Krisenprojekte und für den Aufbau der Organisationen in Detroit und Shanghai wurden wöchentliche Status-Besprechungen eingeführt. Nach der o. g. Methode dauerte eine Besprechung nie länger als eine Stunde, in der 20–50 Punkte aktualisiert wurden. Zum Ende konnten zwölf Projekte in sechs Stunden gesteuert werden, da alle Krisenprojekte in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten stabilisiert wurden. Die Besprechungsdauer war dann selten länger als 30 Minuten. Zwei Besprechungen konnten sogar auf einen zweiwöchigen Rhythmus umgestellt werden. In den Besprechungen nahmen Vertreter zweier anderer, angrenzender Bereiche mit Anwesenheitspflicht teil, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten den gleichen Informationsstand hatten. Die Protokolle wurden online erstellt und direkt im Anschluss in Gruppenlaufwerken abgelegt, da kein Dokumentenmanagementsystem vorhanden war. Hierdurch entfiel die Protokollkontrolle. Wurden Aufgaben nicht fristgerecht erledigt, bewertete das Projektteam die Auswirkungen ad hoc und entwickelte Maßnahmen sowie notwendige Entscheidungen, die durch den Interim-Manager direkt an seinen Vorgesetzten eskaliert wurden, der wiederum direkt an die Geschäftsführung eskalierte. Zur Übergabe an den Nachfolger wurden entweder First Cut Risk Assessments oder Risk Assessments erstmalig ein- und durchgeführt. Nachfolgend werden Detaillösungen für drei ausgewählte Programme vorgestellt. Ein Programm besteht aus mehreren Projekten, die entweder ein gleiches betriebswirtschaftliches Ziel haben (z. B. Strategieumsetzung) oder andere z. B. technische Abhängigkeiten untereinander haben (eigene Definition 2019). In den nachfolgenden Fällen lagen technische Abhängigkeiten vor. In einem Programm gab es Kreuz- und Querkommunikation ohne Abstimmungen, die zu Verärgerung von Kunden führten. Die o. g. Methode setzt auf kanalisierte Kommunikation durch SPoCs(Single Point of Communication). Hierbei handelt es sich um Sprecher, die ausschließlich die Kommunikation mit anderen SPoCs inklusive Kunden führen. Für jeden Bereich muss ein SPoC inklusive Vertreter benannt werden. Er verteilt eingehende Informationen an seinen Bereich oder an andere SPoCs. Weiter wurden klar geregelte Eskalationspfade mit garantierter Reaktionszeit eingeführt. Ein anderes Programm wurde zu 100 % an einen Dienstleister ausgelagert, ohne das die Liefer- und Leistungsgrenzen definiert waren. Das Projektmanagement wurde über E-Mail geführt. Es gab massive Klagen über die angebliche schlechte Lieferqualität. Als das Programm an den Interim-Manager eskaliert wurde, wurde sofort eine gemeinsame, ganz-

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tägige Besprechung angesetzt, um die Leistungsbeschreibung fertigzustellen. Der Interim Manager moderierte die Besprechung straff und neutral, sodass nach sechs Stunden ca. 80 % der zu erbringenden Leistungen beschrieben war. Danach wurde die kommunikations­ zentrierte Projektsteuerung eingeführt. Ein Ergebnis war, dass der Lieferant monatelang auf Antworten wartete. Um die Termine zu halten, hatte er Annahmen treffen müssen, die zum Teil korrigiert werden mussten und damit Mehraufwand erzeugten. Sobald die notwendigen ­Informationen übergeben waren, war die Lieferqualität sehr gut. Der durch Eskalation eingeschaltete Einkauf inkl. Rechtsvertreter konnten ausgeladen werden. Beim dritten Beispiel wurde neben der kommunikationszentrierten Projektsteuerung erstmalig ein Lenkungskreis definiert, dessen Teilnehmer am Status-Meeting teilnehmen mussten. Auf diese Weise konnten wichtige Entscheidungen sofort abgestimmt und gefällt werden. Eine Eskalation auf die nächsthöhere Managementebene konnte verhindert werden. Erstmalig wurde eine Multiprojektübersicht über die technischen, kapazitiven und zeitlichen Abhängigkeiten der Projekte untereinander aufgestellt, um gegenüber der Geschäftsführung die sehr hohen kapazitiven Engpässe eines Bereiches schriftlich nachzuweisen. Die Beantragung von fehlenden zweiunddreißig Vollzeitkräften wurde abgelehnt. Daraufhin wurde der Fertigstellungstermin verschoben. Das Betriebsklima war sehr schlecht. Jeder unterstellte der jeweils anderen Seite Vorsatz und Unfähigkeit. Da von den anderen Bereichen keine Änderung zu erwarten war, änderte der Interim-Manager kurz nach Antritt durch die verpflichtende Einführung des Resonanzprinzips in seinem Bereich die Kultur und überwachte deren Einhaltung persönlich (Chefsache). Jeder Mitarbeiter war verpflichtet, Unschuld auf der anderen Seite zu vermuten. Diffamierende Äußerungen führten zu Coaching-Gesprächen, die überraschenderweise sehr gut angenommen wurden. Dem Interim-Manager war klar, dass eine 180-Grad-Wende mehrere Monate dauert, was zu sehr vielen Einzelgesprächen führte. Beschwerde-E-Mails mussten von den Abteilungsleitern auf Faktenbasierung und positive Wortwahl gegengeprüft werden (Vier-Augen-Prinzip). Kam es zu keiner oder ablehnender Reaktion durch die Gegenseite, musste sofort an den Interim-Manager eskaliert werden, der sofort seine Eskalationspfade aktivierte. Alle Konflikte und Eskalationen wurden faktenbasiert in der Statusbesprechung mit den beiden anderen SPoCs in positiver, offener und hilfsbereiter Atmosphäre abgesprochen und verfolgt. Konflikte z. B. aus Telefonaten/ Flurfunk mussten als kurzes, formloses Ergebnisprotokoll (E-Mail) mit der Gegenseite abgestimmt werden und wurden erst dann für die Statusbesprechung zugelassen. Tab.  21.3 gibt einen Überblick über Probleme/Lösungen des Best-Practice-Beispiels Interim Management Automotive.

21.7 Best-Practice-Beispiel Internationale Steuern DAX-Konzern Anforderungsbeschreibung Jeder deutsche Konzern muss die HGB-Steuerbilanz in IFRS und US-GAAP umrechnen. Dazu wurden in diesem hier beschriebenen Konzern fünfzig Tabellenverarbeitungsdateien

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Tab. 21.3  Überblick über Probleme/Lösungen des Best-Practice-Beispiels Interim Management Automotive. (Quelle: Eigene Zusammenstellung 2019) 1 2

Problem Schlechte Kommunikation Unklare Kundenanforderungen

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Qualifikation Projektleiter Keine PM-Prozesse

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Lösung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung Strategieentwicklung Prozessoptimierung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung

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manuell verknüpft. Diese Vorgehensweise wurde von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft reklamiert. Problembeschreibung Der Konzern entschied sich, eine entsprechende Standard-Softwarelösung einzukaufen. Nur wenige Anbieter wurden durch die Geschäftsseite geprüft. Die Entscheidung fiel durch die Geschäftsseite entgegen den Warnungen der IT-Abteilung, die nur am Rande informiert wurde. Ein Pflichtenheft war nicht vorhanden, da man die Lösung eines anderen Konzerns 1:1 übernehmen wollte, mit der Begründung, dass die Steuergesetze für alle gleich wären. Später stellte sich heraus, dass die Software keine weiteren Referenzen hatte und dass die Kontenrahmen völlig unterschiedlich waren. Der Referenzkonzern war zen­ tral und der hier beschriebene Konzern sehr dezentral organisiert. Die Software wurde von einer Unternehmensberatung ohne Software-Kernkompetenz entwickelt und extern programmiert. Der Projektleiter der Unternehmensberatung war sehr arrogant und führte den Projektleiter der Geschäftsseite, der generell keine Kritik an dem Projektleiter gelten lies und selbst arrogant auftrat, was von allen anderen Beteiligten bestätigt wurde. Beide Projektleiter hatten keine Projektmanagementkenntnisse. Die IT-Abteilung entschied sich aufgrund des großen Risikos, gegen den Willen der Geschäftsseite, eine Leistungsbeschreibung zu erstellen. Die Mitwirkung der Geschäftsseite war völlig unzureichend und der interne IT-Projektmanager entsprechend frustriert. Der vorliegende Vertrag war, aufgrund des fehlenden Pflichtenheftes, unbrauchbar. Ein Claim Management war nicht möglich. Lösungsbeschreibung Der interne Projektleiter gab die Aufgabe „Erstellung Leistungsbeschreibung“ ab und ein externer Projektsteuerer wurde beauftragt, diese zu erstellen. Nach Prüfung der vorliegenden Fragmente in vielen Einzeldokumenten (alle möglichen Office-Formate) forderte der Projektsteuerer zwingend eine Sollprozessbeschreibung gemeinsam mit der Geschäftsseite zu erstellen, auf deren Basis eine Leistungsbeschreibung durch den Projektsteuerer erstellt und abgestimmt wird. Diese Forderung wurde von den beteiligten Konzerngesellschaften akzeptiert.

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In wenigen Werkstätten war der Sollprozess beschrieben. Der Prozess war wesentlich komplexer als angenommen und notwendige Schnittstellen zu nicht berücksichtigten SAP-Systemen waren in der bereits erteilten Beauftragung nicht enthalten. Die ausgearbeitete Leistungsbeschreibung wurde an den Lieferanten zur Prüfung übergeben. Das ­Ergebnis waren dreiundzwanzig kostenpflichtige Change Requests und die Aussage, dass der Kontenrahmen in der bestehenden Individual-Software abgebildet werden kann. Daraufhin schaltete der Projektsteuerer den Einkauf der IT-Abteilung sowie den Konzernrechtsanwalt zur Neuverhandlung des Vertrages ein. Zusätzlich wurde ein Lenkungskreis, bestehend aus Abteilungsleiter Steuern, Geschäftsseite und IT, installiert sowie die kommunikationszentrierte Projektsteuerung eingeführt. Nach sechs Monaten stellte sich heraus, dass der Kontenrahmen nicht abgebildet werden konnte, die Software instabil war und unbekannte Drittsoftware integriert werden musste. Zu diesem Zeitpunkt lag keine testfähige Version vor und die Kosten waren bereits um 140 % überschritten. Das Projekt wurde entgegen den erneuten Empfehlungen der IT-Abteilung und des Projektsteuerers fortgeführt. Der externe Projektsteuerer legte daraufhin seine Beauftragung nieder. Das Projekt wurde Jahre später mit entsprechenden Mehrkosten abgebrochen. Tab.  21.4 gibt einen Überblick über Probleme/Lösungen des Best-Practice-Beispiels Internationale Steuern DAX-Konzern.

21.8 Schlussbetrachtung Das physikalische Fundamentalgesetz Entropie (Chaoserhöhung) herrscht branchen- und firmengrößenunabhängig. Chaos-Management lässt sich gut im ETC abbilden und hilft, in Not geratene Projekte zu stabilisieren oder Krisen bereits im Vorfeld zu vermeiden. Wie Studien immer wieder belegen, wird Chaos u. a. durch unklare Ziele und mangelnde Kommunikation erzeugt und verstärkt. Mithilfe von Strategieentwicklung, Prozessoptimierung und kommunikationszentrierter Projektsteuerung kann das Chaos nachhaltig gemanagt werden. Die dadurch vermiedenen Kosten sind sehr hoch.

Tab. 21.4  Überblick über Probleme/Lösungen des Best-Practice-Beispiels Internationale Steuern DAX-Konzern. (Quelle: Eigene Zusammenstellung 2019) 1 2

Problem Schlechte Kommunikation Unklare Ziele

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Qualifikation Projektleiter Keine PM-Prozesse

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Lösung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung Strategieentwicklung Prozessoptimierung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung Kommunikationszentrierte Projektsteuerung

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Literatur Engel C, Tamdjidi A, Quadejacob N (2008) Projektmanagement – Erfolg und Scheitern im Projektmanagement. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V., Nürnberg Hellmann K-H (2017a) Die Chaos-Exorzisten. Firma kompakt. http://chaos-exorzisten.de. Zugegriffen am 30.05.2019 Hellmann K-H (Hrsg) (2017b) Gesund bleiben mit HERZ und Verstand. Waldkirch, Feudenheim Senge PM (Hrsg) (1996) Die fünfte Disziplin. J.G. Cotta’sche Nachfolger, Stuttgart, S 34–35 Steinhoff PF-J (2018) Der Enterprise Transformation Cycle – Ein praxiserprobtes Modell für die erfolgreiche Unternehmenstransformation. In: Pfannstiel MA, Steinhof PF-J (Hrsg) Der Enterprise Transformation Cyle, Theorie, Anwendung, Praxis. Springer Fachmedien, Wiesbaden, S 3–20 Toastmasters International (2019) Startseite Toastmasters. Toastmasters. https://www.toastmasters. org. Zugegriffen am 30.05.2019 Wikipedia (2019a) Faktencheck, Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Faktencheck. Zugegriffen am 30.05.2019 Wikipedia (2019b) Resonanzprinzip Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_der_Anziehung. Zugegriffen am 30.05.2019

Karl-Heinz Hellmann,  PhD, MBA, ACG, studierte Maschinenbau in Aachen und promovierte im Bereich System- und Regelungstechnik. Zusätzlich qualifizierte er sich als Dipl. Consultant in St. Gallen, Schweiz und als Advanced Communicator Gold bei Toastmasters International. Seinen Erfahrungsschatz sammelte er weltweit in verschiedenen Führungspositionen im Vertrieb von Industrie-, Prozessund Büroautomation im Mittelstand, zuletzt als Geschäftsführer. Seit 1994 ist er Top Management Consultant, seit 2007 selbständiger Trainer und seit 2012 Keynote Speaker. 2013 wurde er Top-100Trainer und 2014 im Deutschen Rednerlexikon aufgenommen. Der Schwerpunkt seiner internationalen Einsätze sind Program Management Officer, PMO-Trainer und Interim Manager besonders in Krisen- oder Sanierungssituationen. Dazu verwendet er eigene Methoden und Werkzeuge, die branchen-, projektart- und projektgrößenunabhängig wirken. Seine Erfahrungen setzt er sowohl in Konzernen als auch im international tätigen Mittelstand ein. Darüber hinaus hält er die Motivationsreden: „Das Selbstheilungsprinzip“, „Unmögliches machen“ und „Wie meistere ich Chaos?“ Er ist als Serienunternehmer vierfach in Folge und als Redner sowie Trainer zahlreich ausgezeichnet. Ferner ist er Lizenzgeber, Moderator und Autor.

Stichwortverzeichnis

A Agil 99, 239 Agilität 92 Alleinstellungsmerkmal 279 Ambidextrie 285, 287 Ambiguität 302, 366 Ambiguity 26, 92 Analyse strategische 205 Anbietermarkt 37 Anpassungspotenzial 81 Anreizmodell 116 Anreizsystem 394 Applikation-Management 224 Arbeitsgestaltung 335 Arbeitsmarkt 37 Arbeitsprozess digitalisierter 174 Artificial Intelligence (AI) 158, 164 Assistent, personalisierter 162 Aufbauorganisation 24, 212, 218, 296 Augmented Reality (AR) 162 Automatisierung 26, 39, 155, 174, 404 B B2B 261 Beratungsansatz 303, 317 Beratungspraxis 309 Bewertungsraster 78 Beziehungsmanagement 208 Big-Change-Taktik 72 Big Data 154 Brand Experience Guidelines 241

Burnout-Syndrom 324, 345 Business Capability 152, 158, 166 Intelligence 275 Model Canvas 268, 272 Modell Canvas 85 Transformation 237, 254 Business-Transformation 279 C Chance 145, 234 Chancenmanagement 44 Change 114, 407 Management 223, 398 Manager 216 Change-Berater 411 Change-Kommunikation 407, 412 Change-Kommunikator 409, 412 Changemanagement 4, 15, 72, 255, 367, 374, 379 Change-Management-Projekt 411 Change-Story 406 Chaos 105, 420, 429 Chaos-Exorzismus 418, 420 Chaos-Management 429 Cloud 161 Cloudangebot 160 Cloud-Dienst 160 Coach, agiler 96 Co-Creation 242 Collaboration 384, 393 Management 384, 387 Competitive Intelligence 275

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel, P. F.-J. Steinhoff (Hrsg.), Transformationsvorhaben mit dem Enterprise Transformation Cycle meistern, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28494-7

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432 Complexity 26, 92 Compliance 112, 122, 129 Benchmarking 123 Compliance Management System (CMS) 115 Controlling 29 Corporate Governance 114, 340 Covernance 420 Crowdfunding 175 Crowdinnovation 175 Crowdmarketing 175 Crowdsourcing 175 Crowdworker 176 Crowdworking 175 Customer Analytics 239 Centricity 235, 263, 278 Co-creation 242, 277 Experience 230, 236, 238, 243, 246, 248, 278, 379 Experience Design 198 Experience Management 196 Experience Solution Framework 233 Experience Transformation 196, 198 Insights 239 Intelligence 239, 240 Journey 197, 208, 231, 236, 248, 261 Journey Mapping 198, 240, 247 Lifecycle 248 Lifetime Value (CLV) 247, 260, 280 Service Excellence 238, 271 Story Mapping 240 Success 267 Touchpoint 261 Value Proposition (CVP) 240 Customer Centricity 230 Customization 259, 279 CX Business Model Canvas 240 CX-Lösung 238 D Danaher Business System 272 Daten 150, 155, 165 Datenanalyse 150, 154, 156 Datenaufbau 150 Datenaufbereitung 150 Datenbereinigung 154 Datenethik 164 Datenmenge 156, 161, 165

Stichwortverzeichnis Datenmigration 408 Datenqualität 156 Datenschutz 150 Datensicherheit 150 Datenspezialisten 154 Depersonalisierung 373, 374 Design Thinking 241, 242, 247 Dezentralisierung 35, 41 Dienstleistung 43, 197, 213, 232, 272, 379, 398 Dienstleistungslebenszyklus 161 Digitalen Zwilling 152 Digitalisierung 14, 50, 119, 154, 174, 196, 235, 236, 255, 302, 322, 398 E Effektivität 78, 197 Effizienz 72, 78, 118, 174, 197, 285, 303 der Leistungserbringung 274 Effizienzorientierung 306, 318 Emotion 15, 366, 371, 379 Empathy Map 205 Employee Engagement 271 Experience 243, 271 Journey Mapping 244 Engage 7, 14, 114, 201, 207, 217, 304, 312, 341, 376, 400, 405, 411, 420 Engineering Intelligence 149 Engpassanalyse 79 Enterprise Transformation Cycle (ETC) 7, 31, 54, 68, 73, 94, 114, 123, 128, 158, 174, 183, 196, 208, 213, 226, 247, 248, 284, 304, 317, 336, 345, 354, 376, 399, 429 Entwicklungsteam 18 Envision 7, 12, 114, 201, 207, 213, 304, 312, 341, 376, 400, 411, 420 Erfahrung, personalisierte 257 Erfolg 324 Erfolgsfaktor 45, 75 Erfolgskontrolle 272 Erleben 330 Erlebensmuster 330 Excellence-Prozess 254 Experience Design 239, 241 Level Agreement 258 Exploitation 183, 284 Exploration 183, 284

Stichwortverzeichnis F Fachkompetenzen 286 Falsifizierung 146 Feedback 79 Firefightermodus 8 Flash Organizations 177 Flexibilität 4, 10 Flussprinzip 75 Führung 6, 180, 357, 388 Führungskompetenz 287 Führungskraft 15, 17, 354 Führungskultur 200 Führungsmannschaft 16 Führungspersönlichkeit 358 Führungsprozess 339 Führungsstil 118, 181, 291, 359 Führungsstrategie 19, 20 Führungsstruktur 366 Führungsverantwortung 9, 294 Führungsverhalten 86, 291 G Geschäft 32, 207, 291, 302, 310 Geschäftsermöglichung 50 Geschäftsfeld 284 Geschäftsführung 58 Geschäftsmodell 81, 85, 153, 166, 187, 213, 234, 236, 259, 279, 295, 314, 360, 379 Geschäftsprozess 25, 217, 291 Geschäftsstrategie 81 Geschäftszweck 50 Gesichtserkennung 145 Gesundheitswesen 150, 159 Glaubensmuster 74 Globalisierung 236, 256, 302 Governance 9, 60, 78, 113, 140, 158, 163, 340, 354, 376, 387 Großunternehmen 72 Growth Hacking 242 Gruppe 373 Gruppennorm 373 H Handlungsfähigkeit 302 Handlungskompetenz 286 Handlungspotenzial 83 Hidden Champions 79

433 I Ideengeber 196 Implementation Roadmap 123 Ineffizienz 325 Informationsgewinnung 256 Informationsrisikomanagement 126 Informationssicherheit 129 Informationssicherheitsmanagement 126 Informationstechnologie 129, 217, 334 Informationsüberflutung 332 Ingroup 373 Innovation 109, 181, 197, 213, 257, 285, 303, 309 Innovationsfindung 177 Innovationsgrad 290 Innovationskraft 303, 361 Innovationsorientierung 306 Innovationstreiber 196 Innovator’s Dilemma 183 Integrationslösung 245 Intelligenz 145, 175, 189 ISS ServiceCompass 272, 277 IT-Ablauforganisation 212 IT-Abteilung 362 IT-Aufbauorganisation 212 IT-Betrieb 127 IT-Dienst 214 IT-Dienstleistung 127 IT-Governance 126, 127, 129 IT-Infrastruktur 212, 362 IT-Managementprozess 127 IT-Organisation 217 IT-Projekt 127 IT-Provider 214, 226 IT Service Management 213 IT-Strategie 126, 127 J Jobs-to-be-Done (JTBD) 240 K Kapazität 29, 72 Kapazitätenflexibilität 72 Kapazitätsauslastung 292 Kapazitätsplanung 29 Kapitalmarkt 37 Kaufentscheidung 237, 279 Kenngröße 78

434 Kennzahl 31 Kennzahlenset 46 Key-Performance-Indikator (KPI) 216 Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) 72 Kognition 368 Kommunikation 28, 38, 333, 386, 399, 407 Kommunikation, kontinuierliche 419 Kommunikationskanal 404 Kommunikationsmaßnahme 343, 400, 406, 411 Kommunikationsprozess 390 Kommunikationsstrategie 402 Kommunikationstechnologie 334 Kompetenz 175, 284 personale 286 soziale 286 Kompetenzbereiche 203 Kompetenzeinschätzungsgespräch 294 Kompetenzentwicklungsprozess 294 Kompetenzhierarchien 203 Kompetenz, individuelle 286 Kompetenzkatalog 286 Kompetenzlücken 287 Kompetenzmodell 292 Komplexität 74, 302, 366, 376 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) 188 Kontrollsystem 226 Kooperation 34, 38, 384 Kosten 285, 384 KPI 273 Kreativität 361 Künstliche Intelligenz (KI) 93, 144, 148, 156, 165 Kultur 86, 179, 303, 359 Kulturwandel 237, 263 Kunde 34, 35, 166, 207, 212, 231, 234, 237, 240, 245, 257 Kundenanforderung 34, 196 Kundenanforderungen 199 Kundenbedarf 240, 248 Kundenbedürfnis 196, 199, 233, 237, 245 Kundenbegeisterung 234, 243, 260 Kundenbeziehung 196, 204 Kundenbeziehungsmanagement 201 Kundenbild 197 Kundenbindung 238, 261 Kundendaten 207 Kundenerfahrung 233, 279 Kundenerlebnis 198, 236, 261, 274

Stichwortverzeichnis Kundenerwartung 233, 237, 245, 247, 248 Kundenfeedback 198 Kundenfokus 262 Kundeninteraktionsqualität 199 Kundenklassifizierung 204 Kundenloyalität 196, 260 Kundenmacht 236 Kundenorientierung 25, 179, 208, 257 Kundenwert 205 Kundenwunsch 205 Kundenzentrierung 196, 206, 231, 235, 239, 262, 278 Kundenzufriedenheit 34, 196, 236, 260, 274 Kundenzufriedenheitsanalyse 247 L Lean 99 Innovation 239 Portfolio Management 41 Lean Management 74 Leistung 28, 30, 310, 387 Leistungsanreiz 386 Leistungsbeschreibung 427 Leistungsbewertung 44 Leistungserbringung 32, 41, 218 Leistungsfähigkeit 311, 325 Leistungsgrenze 335 Leistungskennzahl 41 Leistungsoptimierung 386 Leistungsplanung 44 Leistungsprozess 34, 35 Leistungsübernahme 310 Leistungsziel 41 Lernen, kontinuierliches 7 Lernkompetenz 287 Lernprozess 7, 130, 385 Lieferant 402 Lösung 233, 302, 312, 384, 428, 429 Lösungsansatz 312 Lösungsbaustein 313 Lösungsfindung 312 Lösungsorientierung 9, 271 Lösungsvorschlag 79 Lösungsweg 303, 312 M Machine Learning 147, 157 Mäusestrategie 84

Stichwortverzeichnis Management 401 agiles 119, 121 Managerentwicklung 359 Manifest agiles 96 Markt 10, 29, 53, 363 Markterfolg 158 Marktfolg 10 Marktführerschaft 183 Marktorientierung 25 Markttransparenz 398 Maschine 145 Maßnahme 28, 44, 137, 140, 200, 233, 284, 308, 315, 340, 344, 361, 371, 391, 394, 398, 402, 419 Maßnahmen 52 Maßnahmenkontrolle 207 Maßnahmenplanung 207 Maßnahmenumsetzung 207 Maturity Development 239 Maβnahme 354 Medizinprodukt 150 Mehrwert 95, 105 Mehrwertgenerierung 271 Mensch 161 Menschen 9, 14, 38, 78, 145, 340, 354, 376, 398 Methodenkompetenz 286 Mindset 101, 104, 355, 362 agiles 99, 105 Mindshift 84, 87 Minimal Viable Product (MVP) 242 Mitarbeiter 118, 185, 212, 230, 243, 257, 308, 354, 403 Mitarbeiterakzeptanz 198 Mitarbeiter-Engagement 275 Mitarbeiterentwicklung 359 Mitarbeiterorientierung 179 Mitarbeiterzufriedenheit 197 Monitoring 151 Motivation 117, 181, 308, 325, 343 Motivator 197 Multitasking 330 N Nachfragermarkt 37 Nachhaltigkeit 272 Net Promotor Score 260

435 Netzwerk 334 Nutzen 95, 103, 147 Nutzenanalyse 34 Nutzenorientierung 197 Nutzenversprechen 199 Nutzererwartung 379 Nutzerorientierung 197 Nutzerverhalten 379 O Objekterkennung 145 Ökosystem 165 Offboarding 404 Omni-Channel 236, 280 Onboarding 244, 404 Online-Kanal 241 Operationalisierungsgrad 113 Optimierung 75, 155, 179 Optimierungspotenzial 35, 80 Optimierungsprozess 189 Optimize 7, 18, 114, 201, 207, 225, 304, 341, 376, 400, 410, 411, 420 Organisation 4, 20, 25, 30, 31, 35, 58, 73, 78, 105, 117, 185, 212, 237, 306, 339, 354, 366, 371, 376, 384, 387, 407 Organisation, ambidxtrene 295 Organisationkultur 379 Organisationseinheit 218 Organisationsentwicklung 4, 95, 255, 284 Organisationsform 25, 118 Organisationskonzept 218 Organisationskultur 366, 371 Organisationsstruktur 35, 182, 284, 296 Outgroup 373 Outsourcing 310

P Pareto-Prinzip 205 Performance 17, 121, 203 Performancesteuerung 43 Per-se-Ansatz 81 Per-se-Prozess 83 Persönlichkeit 357 Persönlichkeitsentwicklung 357 Persönlichkeitsprofil 358 Persönlichkeitstyp 358 Personalabteilung 293

436 Personalauswahl 292 Personalbeurteilung 292 Personalentwicklung 284 Personalführung 296 Personalization 248, 258 Personalmanagement 292 Personalmanager 292 Personalmangel 79 Personas 197 Plan 44 Planung 32 strategische 32 Planungsprozess 44 Point of Sale (POS) 241 Point Of Truth 261 Potenzial 20, 150, 159, 178, 234, 363 Prinzip 284, 376 Probleme 428, 429 Problemlösung 387 Problemlösungsprozess 293 Product Owner 101, 106 Produkt 29, 53, 149, 197, 213, 379, 398, 403 Produktdaten 207 Produktentwickler 293 Produktentwicklung 35, 198, 290 Produktivität 107 Produktkatalog 61 Produktlebenszyklus 149, 161 Produktoptimierung 154 Produktportfolio 291 Produktqualität 43, 148 Produkt-Service-System 266 Projekt 63 Projektablauf 394 Projektaufgabe 384 Projekterfolg 309, 384 Projektgeschäft 304 Projektinstrument 306 Projektkommunikation 390 Projektleiter 394, 418 Projektleitung 223 Projektmanagement 18, 121, 385, 418, 425 Projektmarketing 64 Projektorganisation 388 Projektsteuerung 419, 427, 429 Projektteam 64, 294, 315, 385, 394, 419, 426 Projektzyklus 272

Stichwortverzeichnis Prozess 9, 34, 54, 102, 105, 140, 149, 158, 161, 162, 212, 219, 245, 246, 274, 284, 307, 354, 366, 376, 387, 407 agiler 102 Prozessanalyse 78 Prozessattribut 134 Prozessautomatisierung 33 Prozessbefähigungsattribut 134 Prozessbeschreibung 34 Prozessdaten 35 Prozesse 339 Prozessinhaber 137 Prozesskreislauf 233 Prozesslandschaft 218, 226 Prozessleistung 134 Prozessmanagement 33, 35, 127, 398 Prozessmanager 216 Prozessmodell 34, 213 Prozessoptimierung 148, 154, 426, 429 Prozessplanung 207 Prozessschritte 7, 74 Prozesssteuerung 35 Prozessverantwortliche 137 Prozessverantwortung 140 Q Qualität 11, 29, 75, 118, 152, 214, 285, 384, 413 Qualitätsbewusstsein 121 Qualitätsmanagement 43, 290 Qualitätsverständnis 9

R Reifegrad 79, 127, 131, 245 Reifegradmodell 78, 245 Reinforcement Learning 146, 157 Reorganisation 424 Ressource 16, 58, 64, 72, 130, 175, 207, 213, 322, 328 Ressourcenausstattung 82, 87 Ressourcenoptimierung 371 Ressourcenverschwendung 82 Risiko 44, 145, 164, 357, 428 Risikoanalyse 419 Risikobereitschaft 293

Stichwortverzeichnis Risikocontrolling 129 Risikomanagement 44, 127, 390 S Sandbox 182 Scaled Agile Framework (SAFe) 39, 95, 106, 120 Schlüsseltechnologie 150 Schwarmintelligenz 189 Scrum 242 Scrum Master 101, 106 Service 216 als Business 264 Blueprint 240 Business Model Canvas 240, 269 Design 238 Excellence 262, 270, 275, 278, 280 Level Agreement (SLA) 258 Life Cycle 261 Operation Assessment 247 Organisation 240 Portfolio 240 Service-Delivery-Management 223 Service Desk 224 Service Excellence Transformation Cycle 238 Servicekatalog 216 Servicelösung 234 Service Manager 216 Serviceorientierung 257, 261 Servitization 248, 256, 258, 263, 279 Servitization-Prozess 259 Shadowing 80 Shared Economy 259 Shareholder Value 245 Sicherheit 16 Skillset 363 Smart Services 272 Spracherkennung 145, 165 Stabilität 4, 10, 394 Stakeholder 400, 404 Stakeholderanalyse 400, 412 Stakeholdergruppe 409 Stakeholder-Management 400, 403, 412 Stakeholder-Management-Plan 403, 412 Stakeholder-Schnappschuss 401 Standards 107 Step-by-Step-Taktik 72

437 Steuerung 24, 25, 155 Steuerungsgrundsatz 24 Steuerungskreislauf 24 Storytelling-Methode 407, 408 Strategie 9, 31, 58, 68, 78, 93, 147, 158, 284, 310, 338, 344, 354, 376 Strategieberatung 408 Strategiebildungsprozess 288 Strategieentwicklung 13, 187, 205, 419, 429 Strategien 302 Stress 323 Stresserleben 328 Stressreaktion 323 Stresswahrnehmung 333 Struktur 63, 284, 303, 307, 385, 407 Struktur, ambidextre 289 Superintelligenz 145 künstliche 145, 153 Supervised Learning 147 Supply Chain Management 402, 407 System 9, 40, 60, 78, 149, 164, 340, 354, 376, 387, 399 T TCI Enterprise Transformation Cycle 232, 238, 271 Team 61, 86, 100, 102, 106, 118, 361, 376, 379 Transformation 239 Teamarbeit 384, 385 Teamentwicklung 102 Teamentwicklungsphase 102 Teamerfolg 103 Teamleiter 86, 389 Teammitglieder 391 Teamperformance 104 Teams 37, 41, 368 Teamspirit 103 Teamzusammenhalt 85 Technologie 52, 175, 284, 302, 310, 331, 335, 366, 379 Techno-Stress 323 Testperson 145 Testszenario 145 Tools 9, 40, 78, 107, 340, 354, 387 Touchpoint-Analyse 204 Touchpoints 179, 197, 208, 231, 236 Touchpointstruktur 197

438 Transform 7, 114, 201, 207, 218, 304, 341, 376, 400, 409, 411, 420 Transformation 6, 12, 25, 30, 96, 109, 118, 199, 237, 255, 260, 304, 316, 354, 398, 404, 411, 418 digitale 109, 175, 398, 404 Transformationskosten 311 Transformationskreislauf 18 Transformationsmanagement 128, 398 Transformationsmaßnahme 200 Transformationsmethode 72 Transformationsprojekt 255, 372, 398, 405 Transformationsprozess 72, 76, 128, 184, 199, 203, 208, 237, 246, 273, 295, 341, 354 Transparenz 112, 181, 207 Troubleshooter 81 U Überwachung, kontinuierliche 140 Umdenkungsprozess 263 Umsetzungsmodell 305 Uncertainty 26, 92 Unsicherheit 302 Unternehmen 28 serviceorientiertes 260 Unternehmensentwicklung 285 Unternehmenserfolg 202 Unternehmensführung 284 Unternehmensgrenze 33 Unternehmenskodex 340 Unternehmenskultur 76, 116, 197, 241, 315, 343, 394 Unternehmensplanung 46 Unternehmenssteuerung 28, 31, 33, 37 Unternehmensstrategie 120 Unternehmensstruktur 76 Unternehmenstransformation 202, 355 Unternehmensumfeld 33 Unterstützungsprozess 339 Usability 241 User Experience 232, 236, 247 Interface 232, 247 Stories 240, 241 Testing 241

Stichwortverzeichnis V Value Proposition 240 Veränderung 74, 360 Veränderungsmanagement 75 Veränderungsmaßnahme 114, 344 Veränderungsprozess 72, 105, 213, 246, 263, 292, 308, 355, 398 agiler 307 Veränderungsstrategie 341 Verbesserung, kontinuierliche 272 Verbesserungspotenzial 121, 206 Verbesserungsprozess, kontinuierlicher 202, 206 Verfügbarkeit 245 Verhalten 330 Verhaltensänderung 336 Verhaltenskodex 340 Verhaltensmodifikation 341 Verhaltensmuster 74, 330, 393 Verhaltensweise 292, 325, 343 Verifizierung 146 Vernetzung 146, 182, 244 Verschwendung 74 Vertrauen 391 Vertrauensgeber 391 Vertrauenskultur 291 Vertrauensnehmer 392 Vertrauenswürdigkeit 392 Virtual Reality (VR) 162 Vision 116, 307, 354, 363, 406 Voice of Customer (VoC) 198 Volatilität 302, 366 Volatility 26, 92 Vorbild 116 Vorgehen, agiles 65 VUCA 302 VUCA-Bedingung 27 VUCA-Welt 4, 9, 20, 26, 44, 92, 95, 108, 118, 255, 304 W Wachstum 213, 309 Wachstumspotenzial 205 Wahrnehmungsmuster 393 Wandel 4, 85 Wandel, strategischer 207

Stichwortverzeichnis Wert 9, 19, 284, 376 Wertbeitrag 129 Wertehaltung 393 Werteorientierung 187 Werteversprechen 257 Werteverständnis 11, 116, 119 Wertschätzung 5, 16, 180 Wertschöpfung 30, 39 Wertschöpfungsnetzwerk 29 Wertschöpfungsprozess 74, 339 Wertschöpfungsprozessmodell 287 Wertsteigerung 45 Werttreiber 38 Wertversprechen 235 Wettbewerb 53 Wettbewerber 51, 166 Wettbewerbsdaten 207 Wettbewerbsdifferenzierung 261 Wettbewerbsdruck 398 Wettbewerbsfähigkeit 34, 122, 284, 289, 366 Wettbewerbsposition 285

439 Wettbewerbsvorteil 257 Wirtschaftlichkeit 212 Wissen 175

Z Zeit 384 Ziel 43, 65, 197, 213, 221, 363, 384, 398, 406 Zielarbeit 65 Zielbild 199 Zieldefinition 207 Zielerreichung 45, 139, 205, 422 strategische 205 Zielgruppe 196, 406 Zielplanung 343 Zielreifegrad 137 Zielsetzung 13, 41, 162 Zielsystem 45 Zukunftsszenario 145 Zusammenarbeit 244, 386