Tradition, Innovation, Invention: Fortschrittsverweigerung und Fortschrittsbewusstsein im Mittelalter 9783110920840, 9783110183597

This volume examines the antagonism between tradition and innovation in the Middle Ages. There were lines of thought whi

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German Pages 467 [468] Year 2005

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Polecaj historie

Tradition, Innovation, Invention: Fortschrittsverweigerung und Fortschrittsbewusstsein im Mittelalter
 9783110920840, 9783110183597

Table of contents :
Einleitung: Ist das Neue das Bessere? Überlegungen zu Denkfiguren und Denkblockaden im Mittelalter
I. Zeit, Epoche, Veränderung / Temp, époque, changement
Novitas – Inventores. Die ,Erfindung der Erfinder’ im Spätmittelalter
Goldenes Zeitalter, Zyklus, Aufbruch ins Unbekannte – Geschichtskonzeptionen der italienischen Renaissance
Die Zeit im Werk von Albertus Magnus
II. Technik, Wirtschaft und Vermehrung der Güter / Technique, économie et augmentation des biens
Technique et augmentation des biens économiques
Tradition, nécessité et modernisme: les travaux sanitaires accomplis dans les villes du Royaume de France et des grands fiefs, à la fin du Moyen Age
Politique économique et „Innovation“. L’exemple des infrastructures (Brabant, Flandre, fin XIIe–XVe siècles)
Fortschrittsverweigerung? Die Haltung der deutschen Handelsherren gegenüber der italienischen Banktechnik bis 1475
III. Neues und altes Wissen / Savoir ancien et nouveau
The Sense of Innovation in the Writings of Peter Abelard
Paris Theologians and Responses to Social Change in the Thirteenth Century
Prophanae novitates et doctrinae peregrinae. La méfiance à l’égard des innovations théoriques aux XIIIe et XIVe siècles
Visualisierte Weltenträume. Tradition und Innovation in den Weltkarten der Beatustradition des 10. bis 13. Jahrhunderts
Spes proficiendi. Travail intellectuel et progrès individuel au Moyen Age
IV. Gesellschaft, Politik und Kirche / Société, politique et église
Gesetze finden – Gesetze erfinden
Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung vom Ende des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts
La crise de la royauté française au XlVe siècle: réformation et innovation dans le Songe du Vieil Pelerin (1389) de Philippe de Mézières
Tradition und Neuerung im Kloster. Ekkehard IV. von St. Gallen und die monastische Reform
Tradition und Innovation im hochmittelalterlichen Mönchtum. Kontroversen zwischen Cluniazensern und Zisterziensern im 12. Jahrhundert
V. Literarische Verfahren / Procédés littéaires
La création littéraire du XIIe siècle vis-à-vis de la tradition: fidélités et ruptures
Wann werden Klassiker klassisch? Überlegungen zur Wirkungsweise und zum Geltungsbereich literarisch-ästhetischer Innovation im deutschen Hochmittelalter

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Tradition, Innovation, Invention

W G DE

Scrinium Friburgense Veröffentlichungen des Mediävistischen Instituts der Universität Freiburg Schweiz

Herausgegeben von Hugo Oscar Bizzarri Christoph Flüeler Peter Kurmann Eckart Conrad Lutz Aldo Menichetti Hans-Joachim Schmidt Jean-Michel Spieser Tiziana Suarez-Nani

Band 18

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Tradition, Innovation, Invention Fortschrittsverweigerung und Fortschrittsbewusstsein im Mittelalter Herausgegeben von

Hans-Joachim Schmidt

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Veröffentlicht mit Unterstützung des Hochschulrates Freiburg Schweiz

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-018359-5 ISSN 1422-4445 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Copyright 2005 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Satz: Martin Rohde, Mediävistisches Institut der Universität Freiburg Schweiz Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

Inhaltsverzeichnis

Hans-Joachim Schmidt - Einleitung: Ist das Neue das Bessere ? Überlegungen zu Denkfiguren und Denkblockaden im Mittelalter

7

I. Zeit, Epoche, Veränderung / Temp, Ipoque, changement

25

Gerhard Dohm-van Rossum — Novitas — Inventores. Die .Erfindung der Erfinder' im Spätmittelalter

27

Volker Reinhardt - Goldenes Zeitalter, Zyklus, Aufbruch ins Unbekannte Geschichtskonzeptionen der italienischen Renaissance

51

Uta Lindgren — Die Zeit im Werk von Albertus Magnus

69

II. Technik, Wirtschaft und Vermehrung der Güter / Technique, leonomie et augmentation des biens

85

Philippe Braunstein - Technique et augmentation des biens economiques

87

Jean-Pierre Leguay - Tradition, necessite et modernisme: les travaux sanitaires accomplis dans les villes du Royaume de France et des grands fiefs, ä la fin du Moyen Age

107

Jean-Pierre Sosson - Politique economique et „Innovation" L'exemple des infrastructures (Brabant, Flandre, fin XII—XV siecles)

143

Kurt Weissen - Fortschrittsverweigerung ? Die Haltung der deutschen Handelsherren gegenüber der italienischen Banktechnik bis 1475

161

III. Neues und altes Wissen / Savoir ancien et nouveau

179

David Luscombe - The Sense of Innovation in the Writings of Peter Abelard

181

Ian P. Wei - Paris Theologians and Responses to Social Change in the Thirteenth Century

195

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Inhaltsverzeichnis

Luca Bianchi - Prophanae novitates et doctrinae peregrinae. La mefiance ä l'egard des innovations theoriques aux ΧΙΙΓ et XTV siecles

211

Ingrid Baumgärtner - Visualisierte Weltenträume. Tradition und Innovation in den Weltkarten der Beatustradition des 10. bis 13. Jahrhunderts 231 Jacques Verger - Spes proficiendi. Travail intellectuel et progres individuel au Moyen Age

277

IV. Gesellschaft, Politik und Kirche / Socidti, politique et Iglise

293

Hans-Joachim Schmidt- Gesetze finden - Gesetze erfinden

295

Knut Schulz — Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung vom Ende des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts

335

Philippe Contamine — La crise de la royaute fran9aise au XlVe siecle: reformation et innovation dans le Songe du Vieil Pelerin (1389) de Philippe de Mezieres

361

Ernst Tremp - Tradition und Neuerung im Kloster. Ekkehard IV. von St. Gallen und die monastische Reform

381

Wemer Rösener - Tradition und Innovation im hochmittelalterlichen Mönchtum. Kontroversen zwischen Cluniazensern und Zisterziensern im 12. Jahrhundert

399

V. Literarische Verfahren / Procidds littiraires

423

Jean-Yves Tilliette — La creation litteraire du ΧΙΓ siecle vis-ä-vis de la tradition: fidelites et ruptures

425

Nikolatts Henkel— Wann werden Klassiker klassisch ? Überlegungen zur Wirkungsweise und zum Geltungsbereich literarisch-ästhetischer Innovation im deutschen Hochmittelalter

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Einleitung: Ist das Neue das Bessere? Überlegungen zu Denkfiguren und Denkblockaden im Mittelalter Hans-Joachim Schmidt

Fortschritt und Fortschrittsbewußtsein sind als Werte in unserer Gesellschaft problematisch geworden. Die Frage - von Iring Fetscher gestellt - , ob der Fortschritt noch zu retten sei, zeigt Skepsis.' Die Schnelligkeit der Veränderungen erregt bei vielen Mißtrauen und Angst, die Resultate von Fortschritt gelten oft als verwerflich, der Wunsch vieler nach Langsamkeit stellt die Frage nach der Bewertung von Fortschritt. Die Skepsis ist freilich nicht neu. Leopold von Ranke hat in seinen Vorträgen, im September und Oktober 1854 gehalten, vor einem teleologischen Konzept von Geschichte gewarnt, vor jener Vorstellung einer gesetzmäßigen Entwicklung vom Niederen zum Höheren, welches als Vorbereitung zu einem Endzustand der Vollkommenheit ausgegeben wird. Er stellte dieser Vorstellung seine Sicht einer auf die individuellen Erscheinungen und Leistungen orientierten Verlaufsform von Geschichte entgegen, in der alle Epochen gleichwertig seien und für die die Idee des Fortschritts nicht anwendbar sei, weder in Kunst noch in Wissenschaft oder Politik. 1 Die Distanzierung bezog sich auf Schelling und Hegel, blieb aber auch künftig ein skeptisches Korrektiv zu einem Konzept evolutionären Fortschritts, wie es Karl M a r x , August C o m t e oder Charles Darwin zugrundelegten und als Antriebskraft von Natur und von Gesellschaft vorstellten: Höherentwicklung von Arten, Gesellschaftsformationen und Wissensformen sei das offene oder verdeckte Grundprinzip von zeitlichen Variablen und erlaube eine Interpretation von geschichtlichen Abläufen die „vernünftig" seien, „Sinn" und „Bedeutung" besäßen und zur Ablösung älterer

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Fetscher, Iring, Überlebensbedingungen der Menscheit. Ist Fortschritt noch zu retten?, Berlin 1991. Ranke, Leopold von, Über die Epochen der neueren Geschichte, in: Aus Werk und Nachlaß, Bd. 2, hg. v. Schieder, Theodor, Berding, Helmut, München/Wien 1971.

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und überholter Formen durch neue und bessere führten. Auch ohne die Projektion auf einen als Ideal vorgestellten Endpunkt - also ohne eine utopische Sinngebung — sei die Evolution das Ergebnis steter oder auch sprunghafter Verbesserungen. A u s der Fülle der Daseinsformen und Ereignisse ließe sich, wenn nicht Gesetzmäßigkeit, so doch Richtungsorientierung destillieren. Geschichte sei damit eingebettet in ein System, in dem die einzelnen Elemente als Glieder einer gerichteten Entwicklung Bedeutung haben. Es war eine Vorstellung, wie sie klassisch im 19. Jahrhundert geprägt wurde und auch später ein Movens sozialen und politischen Handelns in der westlichen Kultur war.' Selbst in der abgesunkenen und abgegriffenen Sprechweise des politischen und ökonomischen M a r ketings bewahrt die Idee des Fortschritts einen Wert und sei es auch nur, um Ziele und Interessen zu legitimieren, um sie nicht lediglich als Resultate von Opportunitäten erscheinen zu lassen. Die Idee des Fortschritts ist auch heute keineswegs obsolet, entfaltet vielmehr in stets erneuerten Anläufen seine Faszination, wechselt ebenso rasch Anwendungsbereiche, wie sie in geänderten ideologischen Begründungszusammenhängen auftaucht und in neue Kleider normativer Zielsetzungen hineinschlüpft. Fortschritt zu definieren bedeutet zugleich Werte vorzugeben. Einvernehmen zu erzielen ist und war unmöglich, wollte man nicht auf Glückseligkeit und Befreiung von Kontingenz als allgemeine und damit nicht konkretisierbare Vorgaben rekurrieren, die sich indes der Diskussion über Wünschbarkeit von N o r m e n und Zielen entziehen. Die Frage, inwieweit Fortschritt existiere, birgt ein definitorisches Dilemma, aus dem man nur durch den Verweis auf apriorische Ziele entrinnt. In unserer eigenen Zeit, in der die Vorstellung eines historisch erfahrbaren Fortschritts problematisch erscheint, in der viele meinen, daß die Idee des Fortschritts desavouiert sei und endgültig beiseite gelegt werden solle, in unserer Epoche also mag es besonders gerechtfertigt sein, nach der historischen Bedingtheit von Fortschrittsbewußtsein zu fragen, mag es nützlich sein, sich zu vergewissern, wie die Vorstellung von Fortschritt selbst ein Ergebnis historischer Entwicklung ist. Ein Blick in die Vergangenheit soll Rechenschaft ablegen über eine fundamentale Denkfigur des Okzidents. Er soll Ursprünge offenlegen. Er soll aber auch zeigen, ob und wie solche Auffassungen, die Fortschritt negieren, bestanden haben oder sich behaupteten. Der Antagonismus und zugleich die Ambivalenz von Ideen, welche sich sowohl auf Tradition als auch auf Fortschritt berufen konnten, gilt es zu beleuchten. Auch das Mittelalter war von dieser Antinomie

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Fortschrittsglaube und Dekadenzbewußtsein im Europa des 19. Jahrhunderts. Literatur - Kunst - Kulturgeschichte, hg. v. Drost, Wolfgang, Heidelberg 1986.

Einleitung

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geprägt. Es gab Konzepte, die die Zielgerichtetheit von Geschichte voraussetzten. V o n einem Urzustand ausgehend, gebe es die Abfolge von Erlösungstaten, gebe es Ausblicke auf Gefahren wie auch auf glückverheißende W e n d u n g e n und mitunter sogar die Erwartung eines idealen Endzustandes, der nicht ins Jenseits entrückt wurde, vielmehr das diesseitige Leben reicher und glückverheißender machen würde. Der Prozess war damit eigentlich erst als historischer vorgestellt. Die Beschränktheit von menschlicher Kreativität, der Mangel an ökonomischen Gütern, die Gebrechen der politischen Organisation, die Defizite des Wissens und die Unvollkommenheiten künstlerischen Schaffens könnten überwunden oder doch zumindest in einen besseren Zustand überführt werden. N e u e Verfahren, neue Fertigkeiten, neue Erkenntnisse, neue ethische Einstellungen stellten Etappen eines Fortschrittes dar. Die Sicht, welche in der eigenen Gegenwart die gesteigerte Entfaltung vergangener Potentiale annimmt und einer besseren Z u kunft entgegenblickt, war aber konfrontiert mit Auffassungen, die Veränderungen als Abweichung von vergangenen Idealen und als Verfall beklagten und Gegenwart und Z u k u n f t nur durch den Rückgriff auf erprobte und durch den jeweiligen Gründungsakt legitimierte Zustände meinten bessern zu können. Es gab beides: die Legitimierung durch Tradition, daneben das Bekenntnis zu N e u erung, die als Verbesserung bezeichnet wurde. Der Antagonismus war nicht auf die Moderne beschränkt. Die im 12. Jahrhundert formulierte Vorstellung von Zwergen, die auf den Schultern von Riesen stehen, gleichwohl aber weiter zu sehen vermögen, verweist auf eine zwiespältige Bewertung. 4 Fortschritt meint die zeitliche Abfolge von Zuständen, die eine stets höhere Vollkommenheit erlangen. Fortschritt setzt voraus, daß Vergangenheit

und

Gegenwart Möglichkeiten bergen, die noch zur Entfaltung gelangen werden. Die Erwartung eines nahen oder ferneren Entwicklungssprungs steht am A n f a n g einer Vorstellung, die im zeitlichen Kontinuum eine zielgerichtete Bewegung sucht und zu finden meint. Die Uberzeugung von der Unvollkommenheit des Lebens in Vergangenheit und Gegenwart kann sich mit der Vorstellung paaren, daß Keime sprießen, die reichere Früchte hervorbringen und das Leben wertvoller machen. Nicht weit ist es dann, Vollendungswünsche zu hegen. Fortschritt wird dann nicht nur als bereits erfahrene und erreichte Steigerung gedeutet, sondern auf ein Ziel projeziert. Im Mittelalter - in einer Epoche also, in der

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Dieser bekannte Satz Bernhards von Chartres ist bei Johannes von Salisbury überliefert: Metalogicon, hg. v. C. C. J. Web, Oxford 1929, S. 136; Haug, Walter, Die Zwerge auf den Schultern der Riesen - Epochales und typologisches Geschichtsdenken und das Problem der Interferenzen, in: Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, hg. v. Herzog, Reinhart / Koselleck, Reinhart, München 1987, S. 167-194.

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Verbesserungen nur als langsame Entwicklungen erfahren werden konnten war die zweite Variante des Fortschrittsbewußtseins besonders wichtig: Nicht als Extrapolation sukzessiver Verbesserungen in der Vergangenheit, sondern als epochaler Eintritt in einen neuen Zustand, den die Zukunft bereithalte, ließ sich Fortschritt deuten, der damit aus dem konkreten Erfahrungsbereich abgelöst war und sich in chiliastischen Erwartungen manifestierte, der damit aber auch als handlungsleitendes Moment weitgehend wegfiel. Was blieb, war das Warten. Es war eine angemessene Haltung, wenn den Ergebnissen menschlichen Tuns Mißtrauen entgegenschlug. Aber auch andere Vorstellungen bestanden während des Mittelalters, die den Manifestationen der vita activa grundsätzlich positiv gegenüberstanden. Die fundatio, d.h. der gewollte und gesetzte Neubeginn, war der adäquate Ausdruck einer Verbesserungsstrategie, die in Neuerungen und in der Korrektur des Bestehenden Ziele verfolgte, die der amelioratio dienten. Insofern ist Fortschrittsbewußtsein stets mit Kritik an der eigenen Zeit verbunden. Deren Mängel müßten und könnten überwunden werden. Nur wenn Steigerung und Vollendung historisch gedeutet, d.h. nicht für eine jenseitige Daseinsform reserviert werden, kann Fortschritt als Movens und Resultat von Geschichte konzipiert werden. Die Vorstellung impliziert einen immanent weltlichen Prozeß, selbst wenn sie auf transzendente Antriebskräfte nicht verzichtet, ja letztlich auf sie angewiesen ist, weil nur so die angenommene Perfektionierung aus einer evidenten Voraussetzungslosigkeit herausgelöst und an ein „Prinzip" im Mittelalter meist als Gottes Heilsplan und Heilsordnung zu verstehen angebunden werden kann. Das Thema lädt zum gemeinsamen Nachdenken mehrerer Fächer ein, die sich mit dem Mittelalter beschäftigen. Die Tagung des Mediävistischen Instituts der Universität Freiburg (Schweiz), die vom 16. bis zum 18. März 2001 stattfand, war daher wie es das Thema verlangt und der raison d'etre des Instituts entspricht, interdisziplinär ausgerichtet und vereinigte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Denkrichtungen und mehrerer Länder. Die Frage nach der Bewertung von Innovationen oder von Tradition während des Mittelalters mag manchem vielleicht anachronistisch erscheinen, aber wenn sich das Fragen den Ursprüngen des uns heute Vertrauten zuwendet, gilt es Optionen auszuloten, die in vergangenen Epochen angelegt waren. Das Mittelalter hielt Vor- und Frühformen bereit - inwieweit auch für das Bewußtsein des Fortschritts, ist die der Tagung und dem Tagungsband zugrundeliegende Frage. Vielleicht läßt sich auch für unser Thema die Meinung rechtfertigen, daß die „Neuzeit" vor der „Neuzeit" begonnen habe. Das Mittelalter kannte Mobilität und Wandel. Die romantische Vorstellung einer statischen, auf traditionellen Werten wurzelnden und das Gegebene akzep-

Einleitung

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tierenden Gesellschaft haben die mediävistischen Wissenschaften schon lange überwunden. Technische Neuerungen, soziale Veränderungen und politische Umwälzungen prägten das Leben. Es gab wissenschaftliche, künstlerische und literarische Errungenschaften, die bislang gültige Kenntnisse und Verfahren in Frage stellten. Die Geschwindigkeit der Wandlungen war freilich langsamer als in unserer Gegenwart. Dies mag ein Grund gewesen sein, daß die mittelalterlichen Zeitgenossen anscheinend ein nur geringes Bewußtsein von den Veränderungen, denen sie ausgesetzt waren, besaßen. Die Wiederholung dessen, was erprobt war, schien am besten geeignet, die Probleme zu meistern, mit denen sich die Menschen beschäftigten. Die Berufung auf Tradition, auf Verfahren und auf Texte, die als ehrwürdig und unangreifbar galten, entlastete von Entscheidungszwängen und schuf Legitimität. Mag die Kommentierung von Gesetzen, Ordensregeln, philosophischen Werken und vor allem der Heiligen Schrift noch so unterschiedlich gewesen sein, noch so viele Entwicklungssprünge hervorgerufen und noch so viele Kontroversen entfacht haben, das Bekenntnis, sich streng den ursprünglichen Intentionen unterworfen zu haben, war ein starkes Argument, auf das nur wenige verzichten wollten. Neuerungen traditionell erscheinen zu lassen, schützte vor Kritik, mehr noch, forderte zur Überwindung des Bestehenden auf, dessen Verderbtheit sich an der Distanz zum guten Ursprung offenbare. 5 Veränderung, besonders wenn sie als bewußt geplante und gewollte Änderung gefordert wurde, gab sich fast stets als Re-Form, d.h. als Wiederherstellung eines älteren, als vorbildlich hingestellten, normprägenden Zustandes aus. So ließ sich am besten dem Vorwurf, „willkürlich" gehandelt zu haben, begegnen. Änderungen konnten — besonders wenn sie passiv erfahren wurden — oft nur als Dekadenz, als Abweichung von strengen Idealen, als Verfall gedeutet werden, bestenfalls als das unbeständige Wechselspiel von Intrigen und Machtkämpfen oder als unvorhersehbarer und damit bedrohlicher Wandel, schlimmstenfalls als Katastrophe und Heimsuchung. Der Grundton all derer, die Veränderungen kommentierten, insbesondere im religiösen Bereich, ist pessimistisch geprägt, voll von Klagen über den Lauf der Welt, über die Verderbtheit der Zeitgenossen, über die üblen Neuerungen, die den einst blühenden Zustand von Gemeinschaften und Einrichtungen ruiniert hätten. Für Hildegard von Bingen war Geschichte ein Absinken in Verfall: Die Welt werde alt. Gegenüber der Vollkommenheit von

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Die Haltung war im gesamten Mittelalter weit verbreitet, gehörte geradezu zum Standard des Argumentierens; was die Begründung des Rechts betrifft, siehe Kortüm, Hans-Henning, Necessitas temporis: Zur historischen Bedingtheit des Rechts im früheren Mittelalter, in: ZRG RA no (1993) S. 34-55.

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Ursprüngen führe die Entwicklung in greisenhafte Schwäche. Gottes Wege zu wissen, bedeute, die Menschen zur alten Ordnung zurückzurufen. Perfektion wurde ins jenseitige Leben extrapoliert, sie war dem Diesseits vorenthalten. Einzig die Gaben Gottes blieben in ursprünglicher Frische und bedürften daher keiner Erneuerung, denn sie wirkten immer und stets, wenn ihnen nur die Menschen empfänglich blieben. Jegliche novitas vitae sei verwerflich, auch dann, wenn sie sich als Wiederherstellung ursprünglicher Ideale ausgebe. Die Warnungen Hildegards wurden rezipiert und waren auch nach ihrem Tod 1179 eine Folie für die Deutung von Geschichte.6 Für den normannischen Benediktiner Ordericus Vitalis galten die Zisterzienser als Erfinder von Neuerungen, und aus diesem Grund seien sie zu verurteilen: Sie stünden den bewährten und erprobten Gewohnheiten des Mönchtums entgegen.7 Ein skeptisches Infragestellen von Neuerung wurde genährt aus der Vorstellung, die menschlichem Handeln das Etikett der vanitas anheftete und in pessimistischer Sichtweise den contemptus mundi als einzig richtigen Ausweg ansah, dem Leben „unter der Sonne" Sinn abringen zu können." Der alttestamentliche Text des Ecclesiastes war bevorzugtes Kommentierungsobjekt solcher Art des Denkens: „Was gewesen ist, das wird wieder sein, was getan wurde, das wird wieder getan." Nichts Neues gebe es; wer es behaupte, rede Unsinn. Nicht anders als in der Natur, in der sich unablässig das stets Gleiche wiederhole, entbehre das Werken und das Denken der Menschen jeglicher Entdeckung, Neuerung und Verbesserung (Koh. 1.1—2.23).

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Hildegard von Bingen, Scivias, hg. v. Führkötter, Adelgundis / Carlevaris, Angela (CChr. C M 43-43A), Turnout 1978; II, 5, 32, 872; Kerby-Fulton, Kathryn, Hildegard of Bingen and Anti-Mendicant Propaganda, in: Tradition 43 (1987) S. 386-399; Vauchez, Andre, Saints, prophetes et visionnaires. Le pouvoir surnaturel au Moyen Age, Paris 1999, S. 117; Schmidt, Hans-Joachim, Geschichte und Prophetie. Rezeption der Texte Hildegards von Bingen im 13. Jahrhundert, in: Hildegard von Bingen in ihrem historischen U m f e l d , hg. v. Haverkamp, Alfred, Mainz 2 2 2 2 , S. 489-518; Feiten, Franz: „Novi esse u o l u n t . . . desserentes bene contritam vitam ...". Hildegard von Bingen und Reformbewegungen im religiösen Leben ihrer Zeit, in: „Im Angesicht Gottes suche der Mensch sich selbst. Hildegard von Bingen (1298-1179), hg. v. Berndt, Rainer (Erudiri Sapientia. Studien zum Mittelalter und zu seiner Rezeptionsgeschichte 2), Berlin 2 2 2 1 , S. 27-86.

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T h e Ecclesiastical History of Ordericus Vitalis, hg. v. Chibnall, Marjorie (Oxford Medieval Texts), Oxford 1973, S. 322-326.

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Gregoire, Reginald, Saeculi actibus se facere alienum. Le mepris du monde dans la litterature monastique medievale, in: Revue d'ascetique et de mystique 41 (1965) S. 253-287; Lazzari, Francesco, II contemptus mundi nella scuola di S. Vitore (Istituto italiano per gli sudi storici 19), Neapel 1965.

Einleitung

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Mit der Tradierung einer solcherart geformten Mentalität war aber keineswegs die Spannbreite des Denkbaren während des Mittelalters umschrieben. Sicher, der Begriff der novitas diente fast stets der Abwertung, nur selten wurde er positiv verwandt. Aber offensichtliche Neuerungen begnügten sich seit dem 12. Jahrhundert nicht mehr einzig damit, die Tradition, von Mißständen gereinigt, wiederbeleben zu wollen. Die ersten Zisterzienser gründeten in bewußter Abkehr vom bisherigen Mönchtum ein „neues" Kloster, welches gerade wegen der „Neuheit" zahlreiche Adepten anzog. Freilich, zu Beginn des 12. Jahrhunderts war dies ein ungewöhnlicher und ungeheuerer Vorgang, den die Zisterzienser in der Polemik mit den Cluniazensern eher zu verbergen trachteten, wohingegen ihre Gegner umso vehementer den Vorwurf der Neuerung vorbrachten und damit über ein Argument verfügten, das selbstverständliche Zustimmung erwarten durfte.' Dennoch zeigt die Polemik, wie ein geschlossenes Weltbild im 12. Jahrhundert aufbrach und wie ein dissonanter Chor erklang, der das Thema der Berechtigung und der Bewertung von Neuerung und fortschreitender Verbesserung variierte. Wie die Menschen in dieser Epoche Veränderungen ihrer Umwelt wahrnahmen und erklärten, welche Deutungsmodelle des historischen Wandeins sie entwickelten und wie sie ihre eigene Zeit in einen Prozeß der Umgestaltungen einzuordnen in der Lage waren, ist eine Frage, die der Antwort harrt und nicht damit gelöst wird, indem das Mittelalter - so wie auch noch in der aktuellen mediävistischen Forschung — gemeinhin als eine Epoche gilt, in der allein die Berufung auf Traditionen und Vorbilder die eigene Existenz und sogar Veränderungsbestrebungen zu rechtfertigen vermochte, in der hingegen die Behauptung, Neues und Ungewohntes erstreben zu wollen, stets den Vorwurf nach sich zog, in ungebührlicher Weise zu handeln oder gar Gottes Ordnung abändern zu wollen. Die Behauptung, daß das gesamte Mittelalter ein Statikgebot gekannt habe, wird auch in neuesten Publikationen vorgetragen.10 Dem Mittelalter wird als Kennzeichen eine Legitimierung durch die Tradition zugeschrieben. Daß sie Wahr-

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Constable, Giles, The Reformation of the Twelfth Century, Cambridge 1996, S. 24, 165 ff. Schneider, Klaus, Sozialer Wandel im Geschichtsdenken und in der Geschichtsschreibung des späten Mittelalters, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. v. Patze, Hans (Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1987, S. 237-286; Miethke, Jürgen / Schreiner, Klaus, Innenansichten einer sich wandelnden Gesellschaft. Vorbemerkungen zur Fragestellung und zu Ergebnissen von zwei Tagungen über Wahrnehmung sozialen Wandels im Mittelalter, in: Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, hg. v. dens., Sigmaringen 1994, 9-28.

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heit, Recht und jegliche Norm prägte, wird als Denkfigur für die gesamte Epoche vorausgesetzt, um dann umso nachdrücklicher die Wende zur Neuzeit hervorzuheben. Im Mittelalter könne es wirkliche Neuordnung nicht geben, die als Ergebnis sozialer und politischer Veränderungsstrategien intendiert sei, die die Menschen durch ihr Tun selbst konzipierten und durch ihr Denken auch rechtfertigten. Vielmehr vertrauten die Menschen des Mittelalters - so die weit verbreitete Auffassung - der Wirkung eines dem Göttlichen entspringenden Verlaufsprogramms, also dem Ergebnis eschatologischer Verheissung." Die Berechtigung dieser Aussage ist zu untersuchen. Es sind Argumentationszusammenhänge zu ergründen, die Neues negieren und ablehnen oder aber begründen und rechtfertigen. Es ist zu fragen, ob das Neue als Änderung bestehender Praxis und Theorie reflektiert wurde oder ob es einzig aus Opportunitäten abgeleitet wurde oder gar unerkannt blieb. Die ameliorationes auf unterschiedlichen Gebieten, wie Hygiene, Bauwesen, Verkehr, technische Verfahren, Wirtschaftspraktiken, Gesetzgebung, Literatur, Kunst, Philosophie, Moralität zielten immer auf Resultate und gründeten auf kreativen Akten, waren gleichwohl auf Begründungen angewiesen, um die erforderlichen Anstrengungen, vor allem aber die Überwindung eines älteren Zustandes zu rechtfertigen. Die Vorstellung des Fortschritts war nicht auf das Gebiet der Philosophie beschränkt. Reflexionen gab es auch in anderen Bereichen. Die Deutungen, in verschiedenen Milieus formuliert und für unterschiedliche Zwecke vorgestellt, formten ein Ensemble, das die Kultur des Mittelalters insgesamt prägte. Tagung und Tagungsband suchen also die Perspektive zu erweitern und die mittelalterliche Diskussion aus einem exklusiv philosophischen Kontext zu lösen.'1 Der Gegensatz zwischen alt und neu ließ sich als Abfolge von zunehmender Verbesserung deuten, stand aber auch der Ansicht offen, einem Verfallsprozess ausgesetzt zu sein. Polemische Diskussionen zwischen Vertretern dieser beiden unterschiedlichen Auffassungen kennzeichneten die Philosophie des späten Mittelalters, hatten aber auch Auswirkungen auf Kirche, Recht, Verfassung und Wirtschaft.'3 Die der novitas angeheftete pejorative Wertung ließ sich durch das durchweg positiv besetzte Adjektiv modernus umgehen, das als Selbstbezeichnung im spä-

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Nipperdey, Theodor, Die Utopie des Thomas Morus und der Beginn der Neuzeit, in: Ders., Reformation, Revolution, Utopie, Göttingen 1975, S. 113-114. Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschritsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. v. Zimmermann, Albert (Miscellanea Mediaevalia. Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln 9), Berlin / New York 1974. Walther, Helmut G., Ursprungsdenken und Evolutionsgedanke im Geschichtsbild der Staatstheorien in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in: Antiqui (Anm. 12), S. 236-261.

Einleitung

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ten Mittelalter - man denke an die devotio moderna und an die via moderna akzeptiert wurde.'4 Der okzidentalen Kultur - während des Mittelalters als der Bereich der lateinischen, papstkirchlichen Christenheit zu verstehen - waren Möglichkeiten angelegt, Neues zu erstreben und zu rechtfertigen. Bereits das Neue Testament enthielt ein Potential, das der Vorstellung von einem zielgerichteten Verlauf von Geschichte Nahrung geben konnte. Die Botschaft, daß an einem geschichtlichen Ort und zu einer geschichtlichen Zeit Gott Mensch geworden sei und daß damit eine Mitte der Geschichte gesetzt sei, bedeutete eine Abkehr von dem antiken Geschichtsverständnis, das mit der Wiederkehr des stets Gleichen rechnete, bedeutete die Hinwendung zu einer Vorstellung, die an einen Entwicklungssprung in der Geschichte glaubte und die Menschen auf dem Weg zu einem Ziel piazierte, das sich zwar erst im Jenseits verwirkliche, aber im Geschichtlichen seine Vorbereitung erfahre. Christus sei gekommen, um das zu erfüllen, was Gott versprach und die Propheten einst kündeten. Die messianische Tat müsse zwar einmalig sein, ausdrücklich sollte sie vor Wiederholung gefeit sein, nichts sollte sie mindern und sie zu einem Moment sukzessiver Erlösungstaten herabdrücken, aber der Glaube an einen providentiellen Geschichtsverlauf forderte auf, einen Sinnzusammenhang herzustellen, in dem geschichtliche Ereignisse und Taten der Menschen ihren Platz finden. Das Alte Testament offenbare seinen Sinn, indem es auf heilsgeschichtlich später sich verwirklichende Ereignisse vorausweist, die als Steigerung des Bestehenden gedeutet werden. „Verheißung" und „Erfüllung" treten in eine Relation ein, die durch die typologische Exegese erkannt werden könne. Indem das Alte Testament in Relation zum Neuen Testament gesetzt wird, war eine mentale Voraussetzung grundgelegt, die die Steigerung des Alten durch das Neue auch für die Zeiten nach dem Wirken Christi und für die Zukunft denkbar erscheinen ließ. Die typologische Schriftdeutung seit Hugo von St. Victor - also seit dem 12. Jahrhundert - formte die Bereitschaft, in den geschichtlichen Formen ein auf ein Ziel ausgerichtetes Wirken Gottes und damit einem Plan zu suchen und zu erkennen, in welchem der Mensch durch sein Handeln seine ihm eingegebenen Gaben zu höheren Stufen der Vollkommenheit zu entwickeln berufen sei."' Thomas von Aquin sah in der

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Graus, Frantisek, Epochenbewußtsein im Spätmittelalter und Probleme der Periodisierung, in: Epochenschwelle (Anm. 4), S. 153-166, S. 157; Gössmann, Elisabeth, Antiqui und Moderni im Mittelalter. Eine geschichtliche Standortbestimmung (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes N F 23), München u.a. 1974.

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Ehlers, Joachim, Hugo von St. Viktor. Studien zum Geschichtsdenken und zur Geschichtsschreibung des 12. Jahrhunderts, Wiesbaden 1973; Ohly, Friedrich, Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung, in: Typologie. Internationale Beiträ-

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Inkarnation des verbum Dei den Entwicklungsschritt, den Gott durch freien Entscheid in eine bestimmte und präzise bestimmbare Epoche angesetzt habe, um das Menschengeschlecht auf den Weg seiner Wiederversöhnung mit Gott zu führen. Der Fortschritt zum Guten gilt dabei indes als einmaliger Akt, konnte nicht wiederholt werden und verschloß sich einem evolutionären Verlaufsmodus.'' Gemäß diesem Schema konzipierten die mittelalterlichen Autoren den Gegensatz von heidnisch-alten Zuständen und christlich-neuen Errungenschaften. Mochten die Monumente des Vergangenen noch so beeindruckend sein, sie galten als wenig im Hinblick auf den von Christus verkündeten Glauben und auf die von ihm gegründete Kirche. Hildebert von Lavardin stellte zu Beginn des 12. Jahrunderts den Sieg der wahren Lehre heraus, die über ein Rom triumphierte, von dessen vergangener Größe und von dessen einstigem Ruhm nur noch Ruinen zeugten.'7 Guibert von Nogent kontrastierte wenige Jahre später die militärischen Leistungen der Alten - von Alexander dem Großen und den römischen Caesaren - mit den kriegerischen Unternehmungen der zeitgenössischen Kreuzfahrer und begründete aus dieser Gegenüberstellung die Überlegenheit derjenigen, die nicht wie einst aus eitler Eroberungslust, sondern aus Glaubenseifer in den „neuen Zeiten" Großes vollbrächten.'8 Das Wesen des Neuen und zugleich Besseren entsprang dem Glauben an die Erlösungstat Christi. Der singulare Akt, mit dem Christus Neues schuf, ließ sich indes in eine Pluralität von Neuerungen umformen, die in der Abfolge von Epochen Steigerungen des Guten hervorbringen. Das Wirken des Heiligen Geistes entfalte sich sukzessiv, halte für verschiedene Epochen neue Stufen der Verbesserung von Kenntnissen bereit und führe zu neuen Formen geistlichen Lebens. Eine solche Auffas-

ge zur Poetik, hg. v. Bohn, Volker, Frankfurt a. M. 1988, S. 2-63; Wiener, Claudia, Proles vaesane Philippi totius malleus orbis. Die Alexandreis des Walter von Chatillon und ihre Neudeutung von Lucans Pharsalia im Sinne des typologischen Geschichtsverständnisses (Beiträge zur Altertumskunde 140), München, Leipzig 2001, S. 59 f.; Rusconi, Roberto, Esegesi, teologia della storia e profezia, in: Storia della filosofia, vol. 2: II medioevo, hg. v. Rossi, P. / Viano, C. Augusto, Rom, Bari, Laterca 1994, S. 258-282. 16 17

Thomas von Aquin, Summa theologica, tertia pars (Opera omnia 11), Rom 1903, S. 6-9. Die beiden Gedichte „De Roma" und „Item de Roma" sind gedruckt in: Schramm, Percy Ernst, Kaiser, Rom und Renovatio. Studien zur Geschichte des römischen Erneuerungsgedankens vom Ende des Karolingischen Reiches bis zum Investiturstreit (Studien der Bibliothek Warburg 17), Leipzig 1929, S. 300-304; Moos, Peter von, Par tibi, Roma, nihil..., in: MJb 14 (1979) S. 119-126.

18

Guibert de Nogent, Gesta Dei per Francos, hg. v. Huybens, R. B. C. (CCContMed. 127 A), Turnhout 1996, S. 85-94.

Einleitung

17

sung präsentierte der Prämonstratenser Anselm von Havelberg zur Mitte des 12. Jahrhunderts. Er beschrieb Geschichte als Resultat dynamischer Verwirklichung von Potentialitäten, die durch die Schöpfung Gottes und die Erlösungstat Christi angestoßen worden seien und sich bis zum Jüngsten Tag fortsetzen würden, so daß ungeachtet der Einheit im Glauben und der Einheit in der Kirche die Formen der vita religiosa sich wandelten, den neuen Zeiten anpaßten und vor allem Steigerungen der Gottesnähe herbeiführten. Selbst wenn die Neuerungen als insolita und inusitata galten, waren sie in seinen Augen gerechtfertigt als Ansporn zu stetigen Verbesserung.'9 Fortschritt war damit nicht ein vergangenes, sondern ein im Diesseitigen aktuell und künftig wirksames Prinzip, dessen Antriebskräfte freilich im Numinosen angesiedelt waren und sich in Gottes Heilspläne eingliederten. Er war das Ergebnis des Waltens des Heiligen Geistes, womit die historische Einmaligkeit der Erlösungstat Christi zugunsten eines zeitlichen Kontinuums unter dem Einwirken des Heiligen Geistes überführt wurde und das Fortschreiten in der Verbesserung theologisch gerechtfertigt war. Geschichte sei zielgerichtet, gleichwohl menschlicher Intervention entzogen, weil auf einem göttlichen Plan beruhend. Ebenfalls auf den historischen Prozeß appliziert, aber sehr viel mehr auf Epocheneinschnitte projeziert, förderte seit dem 13. Jahrhundert die Rezeption der Texte von Joachim von Fiore und stärker noch die Verbreitung pseudo-joachimitischer Texte die Vorstellung des zeitlich gestreckten Erlösungswerkes Gottes. Es tränkte das von vielen bewässerte Feld spekulativer Geschichtsdeutung. Viele glaubten, am Beginn einer neuen Epoche zu stehen. Furcht vor dem, was die Zukunft bringen werde, und die Erwartung, in kurzer Zeit in das in der Johannes-Apokalypse angekündigte tausendjährige Reich des Friedens und der größeren Gottesnähe einzutreten, nährten Spekulationen über das künftige Geschick des Menschengeschlechts. Die Statik göttlicher Heilsordnung wurde aufgebrochen und machte einer Dynamik sukzessiver Offenbarungen Platz. Die dialogische Beziehung zwischen Gott und Mensch, die Botschaft und Offenbarung beschere, wurde von vielen als Prozeß gedeutet, der mit dem irdischen Wirken Christi nicht abgeschlossen und in einem Modell stufenweiser Perfektion zu durchschreiten sei. Die Trinität Gottes widerspiegele sich in einer Trinität von Epochen, deren Abfolge Fortschritt der Gottesnähe und der irdischen Glückseligkeit bewirke. Ein dritter Status der Christenheit schien nahe, in dem weder Priester und Bischöfe noch Sakramente nötig sein würden, da nun der Heilige Geist unmittelbar mit allen Gläubigen kommuniziere. In einer Atmosphäre wuchernder Prophezeiungen und chiliastischer Erwar-

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Anselm von Havelberg, Liber de unitate fidei et multiformitate vivendi, in: PL 188, S. 1139-1218; Dialogus, hg. v. Salet, Gaston (SC 118), Paris 1966.

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ι8

tungen stand das Bestehende unter dem Verdikt des Vorläufigen. D e m Absterbenden wurde das Jugendliche einer neuen Zeit entgegengestellt. Insbesondere die neuen Orden der Franziskaner, aber auch der Dominikaner nahmen die Angebote auf, suchten ihre Legitimität und ihre Neuartigkeit dadurch zu begründen, daß sie die Ordensgründer und die Gemeinschaften insgesamt als Initiatoren, Promotoren und Realisatoren neuer und gesteigerter humaner Potentiale, größerer Gottesnähe und besserer Christeneintracht vorstellten. Der Verdacht der Häresie lag auf der Hand. Nicht wenige überschritten die Grenzen der Orthodoxie. Chiliastische Erwartungen eines sich im Diesseits verwirklichenden Zustandes der fortschreitenden Perfektion, auch eines Entwicklungssprunges stellten das Bestehende in Frage. Die Kühnheit der Bettelorden, als Nachfolger der Apostel zu gelten, deren Leben sie durch vollkommenen Verzicht auf Besitz zu imitieren behaupteten, steigerte sich zur Vorstellung, eine heilsgeschichtlich notwendige und göttlich inspirierte Mission in einem Prozeß ansteigender Erlösung zu erfüllen. 1 '

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Benz, Ernst, Ecclesia spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation, Stuttgart 1934; Töpfer, Bernhard, Das kommende Reich des Friedens. Z u r Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 11), Berlin 1964, S. 149-153; McGinn, Bernard, T h e Calabrian Abbot. Joachim of Fiore in the History of Western Thought, N e w York/London 1985; Lerner, Robert Ε., Joachim of Fiore's Breakthrough to Chiliasm, Cristianesimo nella Storia 6, 1985, S. 489-512; T h e Use and Abuse of Eschatology in the Middle Ages, hg. v. Verbeke, Werner / Verhelst, Daniel / Welkenhuysen,

Andries

(Mediaevalia

Lovanensia.

Studia

15)

Louvain

1988;

Angenendt, Arnold, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, S. i8yf.; Reeves, Majoree, T h e Influence of Prophecy in the Later Middle Ages. A Study in Joachimism, Oxforf 1969; Les textes prophetiques et la prophetie en Occident (i2e-i6e siecle). Actes de la table ronde, Chantilly 30-31 mai 1988, hg. v. Vauchez, Andre, in: Melanges de 1'EcoIe fran^aise de Rome — Moyen Age 1990, S. 2 9 1 685; Emmerson, R. Kenneth / Erzman, R. B., T h e Apolyptic Imagination in Medieval Literature (Middle Ages Series n / i ) Philadelphia 1992; Crocco, Antonio, Gioacchino da Fiore e il Gioacchinismo, Napoli 1976; Haeusler, Martin, Das Ende der Geschichte in der mittelalterlichen Weltchronistik (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 13) Köln/Wien 1980, S. 85-72, 220-225. 21

Schmidt, Hans-Joachim, Legitimität von Innovation. Geschichte, Kirche und neue Orden im 13. Jahrhundert: in: Vita Religiosa im Mittelalter. Festschrift für Kaspar Elm zum 70. Geburtstag, hg. v. Franz Feiten, Nikolas Jaspert (Berliner Historische Studien 3. Ordensstudien 13), Berlin 1999, S. 371-391.

Einleitung

19

Das humane Potential wurde im 13. Jahrhundert als steigerungsfähig erachtet. Die Rezeption arabischer Philosphie während des 13. Jahrhunderts und die Beschäftigung mit den Konzepten von Averorres luden okzidentale Denker dazu ein, nach den Possibilitäten des intellectus zu forschen, dessen individuellle Ausprägungen nur Anteil an der Fülle der möglichen Erkenntnisse und Fertigkeiten aufwiesen, aber einem zeitlich gestreckten und historisch bedingten Fortschreiten offenstünden, um das zu erreichen, was der intellectus bereithalte, um die Beschränktkeit des einzelnen Menschen zu überwinden. Sowohl Bereicherung und Anreicherung des Wissens im Laufe einer persönlichen Lebensspanne als auch gesellschaftlich bedingte und alle Menschen einbeziehende Vervollkommnung ließen sich konzipieren und haben tatsächlich das Denken beeinflußt, nicht allein bei den als Averroisten verurteilten Philosophen wie Boethius von Dacien oder Siger von Brabant, sondern auch bei Dante Alighieri. Die philosophischen Konzepte könnten darüberhinaus die Vorstellung gefördert haben, daß sich die sukzessiv realisierenden Potentiale des Menschen auch auf die Verwirklichung eines guten Lebens im Diesseits auswirkten und sich damit sozial und politisch realisierten, womit der Fortschritt die Dimension des inhärent Humanen erhielt." Jedes Individuum strebe nach Vollkommenheit, war eine Prämisse des philosophischen Denkens von Dante. Vollkommenheit ließe sich aber nicht durch individuelle Akte erreichen, sondern war angewiesen auf ein dem Menschengeschlecht insgesamt eingegebenen Perfektionierungsdrang, der die Leistungen vieler einzelner hervorbringe, so daß in der Summe und für die menschliche Gattung Fortschritt ermöglicht werde. Die höchste Glückseligkeit, die im Wissen bestehe, verlange zu ihrer Verwirklichung ein kollektives Voranschreiten der Erkenntnisfülle, zu dem zwar viele, jeder einzelne aber nicht hinreichend beitragen könnten und sollten.1' Für Roger Bacon richtete sich das Versprechen auf Besserung des Lebens auch schon auf das Diesseits und lag begründet in der humanen Potenz, Neues und bisher nie Erreichtes hervorzubringen. Die Menschen bedienten sich dabei der Wissenschaft, welche Erkennt-

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23

Kuksewicz, Zdzislaw, De Siger de Brabant ä Jacques de Plaisance. La theorie de l'intellect chez les averoi'stes latins du 13ε et 14ε siecles 1968, Rom 1968; Bazän, B. C., Intellectum speculativum: Avero^s, Thomas Aquinas and Siger of Brabant on the intellegible object, in: Journal of the History of Philosophy 19 (1981) S. 425-446; Back, Anthony, The Islamic Background: Avicena and Averoes, in: Individuation in Scholasticism. The Later Middle Ages and the Counter-Reformation, hg. v. Gracia, J. E., New York 1995, S. 39-67. Dante Alighieri, Convivio, in: Opere Minori, vol 1, hg. v. Vasoli, Cesare / Robertis, Domenico, S. 3-885, Mailand /Neapel 1979, S. 3-8, 485 ff.; Imbach, Ruedi, Dante, la philosophic et les laics, Fribourg 1996.

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Hans-Joachim Schmidt

nisse steigere, die Güter mehre, die Gesundheit verbessere und die politische Verfassung vervollkommnene.M Antriebskraft von sukzessiver Verbesserung war das Bestreben, sich gegenseitig in der virtus zu übertreffen, Konkurrenten an Kenntnissen, Fertigkeiten und Leistungen zu überragen und damit Vortrefflichkeit zu erlangen. Die emulatio spornte dazu an, Neues zu schaffen, um andere hinter sich zu lassen. Die Vorstellung vertrug sich schlecht mit einer Verachtung menschlichen Vermögens, aktiv Leben und Lebensumstände zu gestalten, vertraute auch nicht einer dem historischen Ablauf innewohnenden und von Gott angelegten Entwicklung, sondern sah in Anstrengung und Mühe, aber auch in Zufälligkeit, von fortuna undurchschaubar hervorgebracht, die Voraussetzung, Prestige zu steigern, das sowohl Einzelnen als auch Gemeinschaften zugute käme und deren Vortrefflichkeit in der Öffentlichkeit beweise. Ein Heraustreten sowohl aus familiärer Intimität als auch aus monastischer Abgeschlossenheit war unabdingbar für das Austragen von Wettbewerben. Diese spornten zur Überwindung bisher gültiger Verfahren und bisher erkannter Leistungen an, so daß Neuerung als Wert anerkannt werden konnte und sich mit Fortschritt in der Leistung und in seinen Ergebnissen verband. Es sei Menschenwerk, das solche Verbesserungen hervorbrachte. In der Aufwertung der Arbeit seit dem 12. und 13. Jahrhundert war eine Neubewertung der humanen Potentiale angelegt: Arbeit war dann mehr als die Befriedigung notwendiger Lebensbedürfnisse, sie wurde ein Handeln, das auf die Schaffung wertvoller und neuer Errungenschaften abzielte und Anerkennung verlieh. Die artes — liberales und mechanicae — waren der Nährboden, auf dem Fortschritt entstehen konnte." Das Individuum hatte die Aufgabe, an der Perfektionierung mitzuwirken. Jeder Mensch war aufgerufen, selbst an der Vervollkommnung seiner Person zu arbeiten, so daß innerhalb einer Lebensspanne erstrebt werden sollte, was sich als biographischer Fortschritt realisiere. Aegidius

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Roger Bacon, Opus maius, hg. v. Bridges, J. H., London 1897, II, S. 205, 225, 377. Wolff, Philippe, Prermier epanouissement du travail dans l'Europe chretienne (ne13 siecle), in: Histoire du travail, hg. v. Parias, L. H., Bd. 3: L'äge de l'artisanat, Paris 1964, S. 87-160; Le Goff, Jacques, Travail, techniques et artisans dans les systemes de valeurs du haut moyen äge (5e-ioe siecle), in: Artigianato e tecnica della societa dell'allto mediovevooccidentale. Setimane di studio del Centro italiano di studi sull'alto medioevo 18, Spoleto 1971, S. 239-266; Arbeit, Muße, Meditation. Betrachtungen zur Vita activa und Vita contemplativa, Zürich 1985; Schmidt, HansJoachim, Arbeit und soziale Ordnung. Zur Wertung städtischer Lebensweise bei Berthold von Regensburg, in: AKG 71 (1989) S. 261-296, S. 264-270; L'innovation technique au moyen age. Actes du 6e congrts international d'archeologie medievale, Dijon 1-5 oct. 1996, Paris 1998.

Einleitung

ζι

Romanus hat in dem pädagogischen Programm, das er als Teil seines Fürstenspiegels konzipierte, diese humane Potentialität an die Natur angebunden und damit als allgemein gültiges Wirkprinzip vorgestellt: Natura semper ex imperfecto adperfectum proced.it. Der Grundsatz verwirkliche sich in der Entwicklung vom Kindes- zum Erwachsenenalter, erfasse aber darüberhinaus das gesamte Leben, das damit nicht nur als ein dem Verfall preisgegebener Vorgang gedeutet wurde. !i Verbesserung und Fortschritt waren damit nicht allein im historischen Ablauf, sondern auch innerhalb der individuellen Biographie möglich. Sie ließen sich als ein Wert konzipieren, der zum ethischen Anspruch wurde. Die Überlegungen, in einem Beitrag dieses Bandes vorgestellt, zeigen die Postulate, zugleich auch die Resultate eines solchen Denkens. Daß der Tod jedem persönlichen Perfektionssstreben ein Ende setzt, macht den erfahrbaren Gewinn freilich problematisch, sofern man ihn nicht als Vorbereitung für eine irdischer Erfahrung entrückte Erlösung im Jenseits ansah. So wie Perfektion als individuelles Geschehen und im generationenübergreifenden Prozeß gedacht werden konnte, so vereinzelt auch als hypothetische Steigerung des Bestehenden in metaphysischer Perspektive, die die Realität des Existierenden als einzige mögliche Seinsform bezweifelte. Im christlich-okzidentalen Denken die Vortrefflichkeit der geschaffenen Welt in Frage zu stellen, war zwar schlechterdings unmöglich, aber dies verhinderte nicht, daß einige Philosophen gleichwohl die gedankliche Möglichkeit formulierten, daß eine noch bessere Welt als die bestehende existieren könne. Wollte man dies a priori ausschließen, schränke man die Allmacht Gottes ein, dem es freistünde, nach seinem Willen Schöpfung und auch mehrere Schöpfungen hervorzubringen. Das Dilemma zwischen Vortrefflichkeit der einen Schöpfung und der Allmacht Gottes traktierte der Franziskaner und Universitätsmagister Wilhelm de la Mare in seinem Sentenzenkommentar am Ende des 13. Jahrhunderts. Die von ihm vorgestellten Überlegungen transzendierten zwar die Möglichkeiten menschlichen Handelns und banden die Option auf eine andere, bessere Welt an einen hypothetischen, Gott vorbehaltenen Willensakt, eröffneten aber dennoch eine Weite des potentiell Seienden, die dem Bestehenden die Exklusivität des einzig Vorhandenen vorenthielt.27 Fortschritt war damit nicht allein erlaubt, sondern prinzipiell in

26 Aegidius Romanus, De regimine principum libri tres, Rom 556, unveränderter NDr. Frankfurt a. M. 1968, II, cap. 2, 6. 27 Guillelmus de la Mare, Scriptum in primum librum sententiarum, hg. v. Kraml, Hans (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kommission für die Herausgabe ungedruckter Texte aus der mittelalterlichen Geisteswelt 15), München 1989, S. 529-538.

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Hans-Joachim Schmidt

Gottes Plänen verwoben. Fortschritt war danach nicht allein der Seele im Jenseits versprochen, sondern in der Gestalt einer neuen S c h ö p f u n g - also im Diesseits - zumindest denkbar, freilich fur den Menschen nicht erfahr- und verfugbar. D i e Überlegungen mittelalterlicher Autoren stießen eine Entwicklung an, die Fortschritt als historisches Faktum anzunehmen bereit war, diesen Fortschritt aber zugleich ahistorisch ins Transzendentale auslaufen ließ. Die im Mittelalter konzipierten chiliastischen und metaphysischen

Konzepte begründeten

eine

Alternative zum Bestehenden, dessen Fragwürdigkeit somit deutlich hervortritt, dessen Ü b e r w i n d u n g freilich menschlichem T u n entzogen wird. D i e Transzendenz von Fortschritt bleibt freilich nicht allein dem Mittelalter vorbehalten. Sie begründet auch Bedingungen eines Forschrittsbewußtseins, das für die Neuzeit als diesseitig aufgeklärt und gerne als modern bezeichnet wird, aber doch um nichts weniger transzendental ist, insofern die Kürze des menschlichen Lebens es nicht zuläßt, um sich von dem, was schon ist, in beliebigen U m f a n g durch A n dern zu lösen, und es meist nicht zuläßt, Veränderungen, die als Verbesserungen bemerkbar wären, vor dem Ende des eigenen Lebens konkret zu erfahren. So ließe sich der neuzeitliche Fortschrittsglaube nur generationenübergreifend und damit ebenfalls nur — was das Individuum betrifft — transzendental verwirklichen, wäre also dem Einzelnen vorenthalten und für die Steigerung von dessen G l ü c k irrelevant. 2 ' Erst die Beschleunigung von Veränderungen in unserer G e genwart läßt dann den Fortschritt innerhalb einer Lebensspanne wirken. In dem M o m e n t aber, in dem Fortschritt zu einer individuell erfahrbaren G r ö ß e wird, sich damit erst eigentlich verwirklicht, wird er zugleich von vielen Menschen als Bedrohung empfunden, entwertet er doch Wissen und Erfahrungen, die mit so viel M ü h e n erworben worden sind. D e r von Josef Schumpeter geprägt Begriff der schöpferischen Zerstörung erfaßt heute neben Produktionsverfahren zunehmend individuelle Strategien der Alltagsbewältigung. D i e V o l l e n d u n g des Fortschritts leitet dessen Entwertung ein. D e r Sucht nach raschen Veränderungen wird die Sehnsucht nach Langsamkeit entgegengestellt. Eschatologische und chiliastische Erwartungen genügen indes nicht, Fortschritt und eine Vorstellung von ihm hervorzubringen; vielmehr gilt es, die dem Ewigen und Himmlischen abgetrennten Realisationen des Menschen zur Entfaltung

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Marquard, Odo, Ende des Schicksals? Einige Bemerkungen über die Unvermeidlichkeit des Unverfiigbaren, in: Schicksal? Grenzen der Machbarkeit. Ein Symposium, München 1977, S. 7-25; Ders., Über die Unvermeidlichkeit von Üblichkeiten, in: Normen und Geschichte, hg. v. E. Oelmüller (Materialien zur Normendiskussion 3), Paderborn 1979, S. 332-92; Ders., Abschied vom Prinzipiellen, in: Ders., Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien, Stuttgart 1981, S. 4-22.

Einleitung

13

zu bringen, so daß Fortschritt als innerweltliche Kategorie des historischen und biographischen Prozesses hervortritt. Denn letztlich waren erst durch die Ablösung von einem religiösen Verlaufsmodell Ansätze zu einem Fortschrittsdenken möglich, das der humanen Kapazität Entfaltungsmöglichkeit zubilligt und ihr nicht allein die Erfüllung eines dem historischen Verlauf eingegebenen Programms überläßt, dessen Realisierung sich als Manifestation einer Notwendigkeit ausgibt. Und dennoch blieben - auch über das Mittelalter hinaus - spezifische religiöse Voraussetzungen unabdingbar, ohne die sich Innovationssuche und Innovationswertschätzung vermutlich nicht hätten verwirklichen lassen. Aber erst die Autonomie von Werten, die religiöser Legitimierung nicht mehr bedurften, erlaubte es dem menschlichen Handeln, Sinn zu stiften und in eine Abfolge historischer Sukzession einzutreten, den die Handelnden selbst, ihre Zeitgenossen oder Nachfahren als Fortschritt deuteten. So unerläßlich auch die religiöse Fundierung für die Entfaltung eines Innovationsdiskurses war, so notwendig war auch die Ablösung von ihr, weil nur so der Mensch als Demiurg und damit als Motor historisch sinnvoller, d.h. mit Bedeutung ausgestatteter Leistungen auftreten konnte und nur so Entwicklung nicht einzig auf ein im Jenseits lokalisiertes Ziel ausgerichtet war, sondern als Movens einer Vervollkommnung des Lebens selbst gedeutet wurde. Die dem okzidentalen Denken eigentümliche Skepsis und Verunsicherung im Hinblick auf die Erlangung des Seelenheils, die ausgeprägte Heilsungewißheit, trieb zu Handeln an, das Vergewisserungen suchte und sie in den Manifestationen dieses Handelns glaubte finden zu k ö n n e n . D i e Optimierung des Bestehenden wurde zum Beweis des sinnvollen Tuns. Damit gewann Fortschritt einen Z u g zum Technischen, wurde Ziel und Ergebnis der artes, deren Daseinsgrund sich theologischer Begründung entzog, daür sich aber um so besser in der konkreten Lebensverbesserung bewähren konnte. Daß damit zugleich das Bestehende zugunsten des Neuen und das Gute zugunsten des Besseren abgewertet wurde, führte zu einer Dynamik schöpferischen Handelns, welches stets das entwertet, was es hervorbringt. Die Ursprünge von Fortschrittsbewußtsein im Mittelalter, zugleich aber auch die Widerstände gegen ein solches Bewußtsein zu untersuchen, waren Themen der Tagung und des vorliegenden Tagungsbandes. Das Ergebnis ist in erster Linie den Mitwirkenden - als Vortragende und als Autoren - zu verdanken. Daß der Band so spät erschien, lag an Gründen, die hier zu nennen langweilen, aber auch für einige beleidigend wären. Aber weder Tagung noch Publikation wären zustande gekommen, ohne die großherzige - nicht allein finanzielle - Unterstüt-

29

Fried, Johannes, Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter, München 2001.

Μ

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zung durch die Universität Freiburg (Schweiz), durch den Schweizerischen N a tionalfonds zur Förderung der Wissenschaften und durch die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Der D a n k richtet sich auch und vor allem an die Mitarbeiter des Mediävistischen Instituts: an Herrn Prof. Dr. Ernst T r e m p , bis Oktober 2000 Wissenschaftlicher Koordinator des Instituts und nunmehr Direktor der Stiftsbibliothek St. Gallen, sowie an seinen Nachfolger, Herrn Privatdozenten Dr. Christoph Flüeler, und schließlich an Herrn Martin Rohde, der mit großer Umsicht die Druckvorlage erstellte. Die Publikation wurde möglich durch die A u f n a h m e des Bandes unter die Veröffentlichungen des Mediävistischen Instituts der Universität Freiburg Schweiz „Scrinium Friburgense".

Teil ι

Zeit, Epoche, Veränderung Temp, epoque, changement

Novitates - Inventores. Die .Erfindung der Erfinder' im Spätmittelalter Gerhard Dohrn-van Rossum

Die ,Erfindung' der mechanischen Uhrwerkhemmung gilt nach allgemeiner Überzeugung als ein für die Entwicklung der modernen, westlich geprägten Welt entscheidender Durchbruch - in technischer, in sozialer und bewusstseinsgeschichtlicher Hinsicht. Zusammen mit der Erfindung des Kompass, der Verwendung des Pulvers in Artilleriegeschützen und dem Buchdruck wird die mechanische Uhr immer dann genannt, wenn nach den Gründen oder Faktoren des westlichen Sonderwegs und der globalen Durchsetzung der westlich geprägten Zivilisation gefragt wird. Diese .Erfindung' hat daher nicht weniger Aufmerksamkeit gefunden als die .Erfindung' des Schießpulvers. Bewegt man sich bei der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern auf einigermaßen gesicherter Quellengrundlage, so ist die Geschichte des Schießpulvers und die Geschichte der mechanischen Uhren lange von Legenden bestimmt worden. Im Fall des Schießpulvers geistert der Freiburger Mönch Berthold Schwarz immer noch als Erfinder durch die Literatur; im Fall der Uhr hat man sich von der Legende ihrer Erfindung durch Gerbert von Aurillac (gest. als Papst Silvester II. 1003) zwar schon eine Weile verabschiedet, aber immer noch wird z.B. Peter Henlein aus Nürnberg als Erfinder der Taschenuhr durch die Bücher gereicht. Die Frage nach den Erfindern ist ebenso alt wie nahe liegend. Aus mnemotechnischen und didaktischen Gründen suchte und sucht man für besondere Errungenschaften nach einer Erfinderfigur, nach einem Datum der Erfindung und zuweilen auch nach einer Nation, die sich einer bestimmten Erfindung rühmen kann. N u n haben die Bemühungen um die Namhaftmachung eines Erfinders oder um die Fixierung eines Datums im Fall des Schießpulvers wie der Uhr nur zu ganz vagen Ergebnissen geführt. Unbestritten ist allerdings, dass beide .Erfindungen' ebenso wie die lange unbeachtet gebliebene .Erfindung' der Brille zeitlich an die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert zu setzen sind. Die Beschäftigung mit den zahlreichen, aber für einen Indizienbeweis nicht ganz ausreichenden Quellen zur Entwicklung der mechanischen Uhrwerkhemmung

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Gerhard Dohrn-van Rossum

waren Anlass, der Frage nach dem Begriff der Erfindung, v.a. der technischen Erfindung (.inventio'), der mittelalterlichen Wahrnehmung von Erfindern (,inventores') und von technischen und anderen technischen Innovationen (,ηονίtates') erneut nachzugehen. Technische Innovationen sind im Mittelalter nicht beachtet und kaum registriert worden. Diese allgemeine Auskunft lässt sich leicht begründen. Technische Artefakte waren im Mittelalter kein Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit, schon gar nicht schriftlicher Erinnerung würdig. Akteure und Objekte im Bereich der Artes mechanicae fanden - auch wenn die akademische Wissensklassifikation sie allmählich aufwertete' - kaum Interesse. Das entschiedene Lob der Fortschritte handwerklicher Erfindungskraft, das sich im Vorwort der Fachschrift „ D e diversis artibus" des Theophilus Presbyter in der ι. H. d. 12. Jh. als ,meditatio delectabilis novitatum' findet, steht ganz vereinzelt. 1 Handwerkliche und technische Neuerungen gehörten zum Bereich der Praxis, und blieben daher theoretisch lange irrelevant. Einer Fokussierung der Aufmerksamkeit auf technische Entwicklungen fehlte auch mangels eines Begriffs von Technik jegliche Grundlage. Z u bedenken ist auch, dass manche Innovationen zu lange gedauert haben, um im damaligen Erinnerungshorizont als die Durchbrüche wahrgenommen zu werden, als die sie uns im Rückblick erscheinen. Wir neigen dazu, und es ist auch vielfach unvermeidlich, zufällige Erstbelege, schwer zu datierende oder zeitlich weit auseinander liegende Quellenhinweise ex post zu einem Innovationsvorgang zu verdichten. Das Schicksal von Marc Blochs Thesen zu Einführung der Wassermühle im Frühmittelalter ist bekannt; die Einführung der Dreifelderwirtschaft oder des Räderpfluges sind Beispiele für unbestreitbare, aber nur unzureichend datierbare Innovationen. Im Folgenden geht es nicht um reale Innovationsvorgänge, die es in den verschiedensten agrarischen, kunsthandwerklichen und technischen Bereichen immer gegeben hat. Es geht vielmehr um die Frage, wann und unter welchen Bedingungen Innovationen wahrgenommen und für die Erinnerung fixiert worden sind, unter welchen Bedingungen sie nicht mehr als Traditionelles eingeordnet, sondern als Neues, als Ergebnis menschlicher Kreativität (.ingenium') positiv bewertet worden sind. Es geht um die Entstehung von Innova-

1 2

Sternagel, Peter, Die Artes Mechanicae im Mittelalter. Begriffs- und Bedeutungsgeschichte bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, Kallmünz 1966. Theophilus, De diversis artibus, ed. and transl. by C.R. Dodwell, Oxford 1986, S. 1; vgl. jetzt: Brepohl, Erhard, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk, Bd. 1, Köln/Weimar 1999, S. 49.

Novitas - Inventores

29

tionsbewusstsein, das, unter Umständen gefördert durch Erfahrung mit Innovationen, allerdings zu einem objektiven Innovationsfaktor werden kann. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, also seit dem ,Spätmittelalter', ist eine zunehmend wache Aufmerksamkeit gegenüber Neuigkeiten „novitates" aller Art, auch gegenüber Neuigkeiten, die wir heute dem Bereich der Technik zuordnen würden, zu registrieren. Unausgesprochen entwickelt sich dann ein Konzept von Technik, von einem Bereich technischer Objekte und Verfahren, wenn auch noch nicht ein Technikbegriff. Seit dem 14., deutlicher dann im 15. Jahrhundert lässt sich erkennen, dass Erfindungen und Innovationen als dauerhafte Phänomene und technischer Fortschritt, genauer technische Fortschritte, als historischer und als ein andauernder Prozess gesehen wurden. In dieser Zeit entsteht auch ein Konzept von einer individualisierten Erfinderperson, dem „inventor", der nicht nur Bewunderung und Ehre gebührt, sondern der auch Rechte und materielle Entgelte zustehen. Diesen Vorgang bezeichne ich in Anlehnung an eine Formulierung des 1987 verstorbenen amerikanischen Historikers Lynn White jr., einem der großen Anreger bei der Entdeckung des Mittelalters als „technisches Zeitalter", als „Erfindung der Erfinder".'

.Novitates' um 1300 Nach unserem heutigen Kenntnisstand war die mechanische Uhrwerkhemmung, wie wir sie aus Sachzeugnissen und Abbildungen erst aus dem Spätmittelalter kennen, keine .Erfindung' im Sinne einer Personen zuzurechnenden Neukonzeption, sondern ein Endprodukt vielfältiger Bemühungen an verschiedenen Orten - meist in Klöstern, in gewissem Umfang auch in Werkstätten von Instrumentenbauern — um eine Regelungsmechanik für Weckwerke, Glockenspielwerke und Antriebe von astronomischen Simulationen. 4 Als terminus post quem gilt eine deutliche Problemdefinition: Robertus Anglicus berichtet im Jahre 1271 bei der Kommentierung des Lehrbuchs ,De sphera' des Johannes de Sacrobosco von bisher vergeblichen Versuchen der „artefices horologiorum", also offenbar schon einschlägig spezialisierter Handwerker, den täglichen Ablauf

3 4

„Technology, Western", in: Dictionary of the Middle Ages, ed. Strayer, Joseph Α., Bd. π, New York 1988, S. 6jofF. Dohrn-van Rossum, Gerhard, Geschichte der Stunde. Uhren und moderne Zeitordnungen, München 1992, S. 49ff.

Gerhard Dohrn-van Rossum

30

einer Welle mit einem Seilgewicht so zu regulieren, dass diese ,Uhr' auch für astronomische Beobachtungen tauglich wäre. Die

Uhrwerkhemmung

nierend •«SeeöälkenjPoliol) Kranretii (SteigraeS I

-jSpmdeiiapc«!

simpel,

wenn

-

faszi-

man

das

Prinzip verstanden hat -

war als

Endprodukt

ein

Vergleich facher, und

vermutlich

mit Vorversuchen aber

vor

gebrauchstüchtiger

allem

Mechanismus, mechanismen ähnelte. diese

im ein-

reproduzierbarer der

für

Repetier-

Glockenschläge

Die Zeitgenossen

Entwicklung

nicht

haben wahr-

genommen, und von einer neuen Abb. i: Skizze Uhrwerkhemmung

Erfindung ist auch nirgends

die

Rede. Als terminus post quem gilt ein kleiner Bericht über die Taten des Stadtherrn von Mailand, Azzo Visconti. Z u m Jahr 1336 berichtet der Dominikanermönch Galvano Fiamma im Zusammenhang mit dem umfangreichen Bauprogramm seines Gönners von der Errichtung eines Campanile bei der Residenzkapelle San Gottardo in Corte neben dem späteren D o m b a u . Dazu heißt es: ... in der Turmspitze sind viele Glocken, und dort ist eine bewundernswerte Uhr (horologium), weil sie eine sehr große Glocke (tyntinabulum) ist, die eine Glocke (campana) vierundzwanzigmal schlägt nach der Zahl der vierundzwanzig Stunden des Tages und der Nacht, so, dass sie in der ersten Stunde einen Ton gibt, in der zweiten zwei Schläge, in der dritten drei und in der vierten vier, und so unterscheidet sie die einzelnen Stunden. Das ist für alle Stände äußerst nötig. Der hier zuerst beschriebene automatische Stundenschlag war ein zusätzlicher und neuartiger Mechanismus, der ein Schlagwerk auslöste und die Zahl der Glockenschläge mittels einer gekerbten Scheibe — einem Vorläufer der Lochkarte — regulierte. Erst die Verbindung von Uhrwerkhemmung und Stundenschlag erregte allgemeines Aufsehen. Dieser erste in Europa gebaute Automat war eine technische Sensation, deren Einführung jeweils in den Chroniken als Innovation

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Thorndike, Lynn, The Sphere of Sacrobosco and its Commentators, Chicago 1949, S. 180. Galvano Fiamma, Opusculum de rebus gestis ab Azzone, Luchino et Johanne vicecomitibus; ed. Castiglioni, E.. Muratori R.I.S. 2,1.12,4, Bologna 1938, S. 16.

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registriert wurde. In den frühen Berichten wird hervorgehoben, dass die Uhr sich selber schlüge, dass sie scheinbar belebt sei und menschliche Arbeit gleichsam von selbst verrichte. Petrarca, der das neue Instrument zuerst .horologium publicum' nennt, beschreibt es 1353 als eine Erfindung der eigenen Zeit und weiß auch, dass das Schlagwerk in Oberitalien entwickelt worden ist.7 Das innovative Potential dieser speziellen Technik wurde erkannt, und man versuchte sofort, es auch auf anderen Gebieten einzusetzen. Galvano Fiamma berichtet in einem „Quod civitas mediolanensis multis novitatibus floruit" überschriebenen Kapitel auch von anderen Innovationen, z.B. von einer Mühle, die nach Art der Uhrwerke von Gewichten und Gegengewichten und kunstvollen Radgetrieben bewegt würde. Damit könne ein Knabe leicht hintereinander vier Scheffel Getreide zu Mehl bester Qualität vermählen." Das klingt technisch nicht sehr überzeugend, und von solchen Mühlen hört man später kaum noch, aber viele andere Zeugnisse der Folgezeit verraten ein klares Bewusstsein für die neuen Möglichkeiten, Kraft wirksamer einzusetzen und Geld und Zeit zu sparen. Schon sehr früh war das auch in Venedig an der politisch-administrativen Behandlung der wasserbautechnischen Innovationen deutlich geworden. Die Stadtrepublik ohne Mauern, näherte sich in dieser Zeit dem Höhepunkt ihrer politischen und wirtschaftlichen Macht. Die rapide urbanistische Entwicklung erzeugte ein waches Bewusstsein für die prekäre ökologische Lage in der Lagune und für die aufwendige und stets problematische Versorgung mit fast allen Lebensnotwendigkeiten von der Terraferma. Das Meer schützte nicht nur; Ebbe und Flut mussten auch für die Entsorgung genutzt werden. Es überrascht daher nicht, dass sich in den venezianischen Archiven besonders viele Zeugnisse für die Entstehung bzw. einen Wandel des Innovationsklimas befinden. Ein Meister Johannes aus Deutschland mit der interessanten Berufsbezeichnung .MühlenIngenieur' erhielt im Jahre 1323 vom Großen Rat den Auftrag zum probeweisen Bau von zunächst einer besonders kunstvollen Mühle. Die Stadt übernimmt die Baukosten und will später nach Einholung sachverständiger Gutachten über die

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Brief aus Mailand an Francesco Nelli, Prior des Klosters SS. Apostoli, Florenz: (Störung durch die Geschwätzigkeit eines ungebetenen Besuchers; erst der Uhrschlag erlöst den Gastgeber am Ende des Tages):,,...sic totus ille transiisset dies, nisi publicum horologium, quo ultimo invento per omnes fere iam Cisalpinae Galliae civitates metimur temporum, praelium diremisset; admonitus enim diem ire, surrexit.", Epist. de rebus familiaribus et Variae, ed. Francassetti, F., Florenz 1863, Var. 44, S. 419. Galvano Fiamma (Anm. 6), S. 17.

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Nützlichkeit des neuen Geräts und über die Belohnung entscheiden. 9 Kurz darauf wurde Leonardo Albizio für eine von ihm erfundene Drainage- und Baggervorrichtung entschädigt, die pro Jahr 180 Golddukaten an Arbeitslohn und Material einsparen sollte.10 In der Folgezeit wurden zahlreiche vergleichbare Privilegien für Einzelpersonen, die vor allem neue Wasserbautechniken in Vorschlag brachten, nach sorgfältiger Prüfung ihrer Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit erteilt. Theoderich, gelehrter Arzt und Bischof von Cervia, erörtert nach der Mitte des 13. Jahrhunderts (1267) in einem Lehrbuch der Chirurgie die Verfahren, Pfeilspitzen aus den Gliedern von verletzten Soldaten zu ziehen. Dabei bemerkt er, dass „täglich ein neues Instrument und ein neues Verfahren durch den Fleiß und die technische Geschicklichkeit der Ärzte erfunden" würde." Dieses Diktum könnte sich auf Erfahrungen seines Lehrers Ugo dei Borgognoni (Hugo von Lucca) stützen, der als Feldscher während des 5. Kreuzzuges an der Belagerung von Damiette 1218/19 teilgenommen hatte. Auch Henri de Mondeville, Professor der Medizin und Leibarzt des französischen Königs, setzt Theoderichs Überlegungen ausdrücklich fort und sieht seine Kollegen vor täglich neuen Herausforderungen, die ständig neue .Erfindungen' im Bereich der Therapie, vor allem aber der Chirurgie und der Pharmazie nötig machten. Die Chirurgen („artifices scientifici") vergleicht er dann mehrfach mit den Bauleuten, die werktags wie sonntags durch die Straßen und Plätze von Paris eilten, um sich auf den Baustellen von Wohnhäusern, Kirchen und Palästen über neue Arbeiten zu unterrichten. Henris Argument zielt hinsichtlich der medizinischen Theorie und Praxis auf den respektvollen, aber Weiter- und Neuentwicklungen nicht behindernden Umgang mit den alten Autoritäten. Durch neue Erkenntnisse und neue Verfahren würde z.B. Galens Ruhm nicht geschmälert, seine Werke vielmehr nur korrigiert und ergänzt. Im Bereich des Bauhandwerks gibt es keinen Respekt vor den Leistungen der Alten — im Gegenteil: man reisse alte Paläste und Kirchen ab

9 10 11

Mandich, Giulio, Primi riconoscimenti veneziani di un diritto di privativa agli inventori, in: Rivista di Diritto Industriale 7,1 (1958), S. 101-55, hier S. 107. Bartolomeo Cecchetti: La Vita dei Veneziani nell 1300 (Archivio Veneto XXVII), Venedig 1885/86, Ndr. 1980, S. 58. „Quottidie enim instrumentum novum, et modus novus, solertia et ingenio medici invenitur." Chirurgica edita et compilata ab...Theodorico episcopo Cerniensi ord. praed. I, c. 22; beigebunden an: Chauliac, Guy de, Ars Chirurgica, Venedig 1546, P143.

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um sie besser zu bauen („in melius reformantur").' 1 Unter Berufung auf die Praxis der Artes mechanicae legitimiert die .moderne' Medizin die neuen Verfahren, ohne schon der traditionellen Medizin ihren Rang abzusprechen. G u y de Chauliac, Leibarzt der Päpste in Avignon, stellt dann bei der Behandlung der Pfeilextraktion 1363 eine Ingenieur-Erfindung vor, Pfeilspitzen mit Hilfe einer Armbrust herauszuschießen. Für Sehschwächen, die sich sonst nicht behandeln ließen, empfiehlt er die Verwendung der Brille. In den Annalen der Abtei Dunstable in Bedfordshire wird zum Jahre 1295 berichtet, dass der Bruder Johannes, ein Zimmermann eine unerhört neuartige Pferdemühle gebaut habe („novum molendinum novae structurae et eatenus inauditae"). Sein Versprechen allerdings, dass nur ein Pferd mit diesem Gerät Beachtliches leisten könne, erwies sich als verfrüht. Vier Pferde hätten die Mühle kaum bewegen können, und bald habe man eine alte Mühle wieder in Betrieb genommen.'' Handwerklich-technische Verbesserungen und Neuerungen erhalten seit Beginn des 14. Jahrhunderts in vielen Bereichen eine eigene Dignität. Das um 1300 kodifizierte Bergrecht der mährischen Stadt Iglau, einer der bedeutendsten mittelalterlichen Abbaustätten von Silber, schreibt über die Künste und Erfindungen der Alten, Wasser aus den Gruben abzuführen, voller Respekt, sagt dann aber deutlich, dass die, die jetzt an technischen Verbesserungen arbeiteten, mehr zu loben seien als die „ersten Erfinder".' 4 Erfindung und Erfinder („inventio"/ „inventor") sind auf handwerklichem und technischem Gebiet seit etwa 1300 eindeutig positiv besetzte Begriffe. Gleichzeitig treten sie aus einem chronologisch diffusen Schema Alt-Neu heraus und allmählich lernt man auch ihre Namen kennen. Der Wandel des kulturellen Klimas und die spätmittelalterliche Verdichtung von Innovationen" ist den Zeitgenossen nicht entgangen. In einem kleinen Rückblick auf die Entwicklung im Eisass seit Beginn des 13. Jahrhunderts, schildert ein anonymer Mönch aus dem Dominikanerkloster in Kolmar die seit der

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Pagel, Julius L. (Hg.), Die Chirurgie des Heinrich von Mondeville, in: Archiv für Klinische Chirurgie 40 (1890) S. 262 (Proem.); S. 66$f. (Poem, tract. II), ibidem 42 (1891) S. 668. Annales prioratus de Dunstaplia (a.i - a. 1297), ed. Luard, H.R., Annales monastici, vol. 3 (Script. Rer. Brit. 36/3), London 1866, S. 402. Zycha, Adolf, Das böhmische Bergrecht des Mittelalters auf der Grundlage des Bergrechts von Iglau, Bd 2., Berlin 1900, S. i36f. Ludwig, Karl-Heinz u. Hägermann, Dieter, Verdichtungen von Technik als Periodisierungsindikatoren des Mittelalters, in: Technikgeschichte 57 (1990) S. 315-28; in diesem Periodisierungsvorschlag bleibt die Wahrnehmungsebene unberücksichtigt.

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Ausbreitung des Ordens in dieser Gegend beobachteten Fortschritte. Z u Beginn des vergangenen Jahrhunderts habe es zu viel Wald und zu wenig Wein- und Getreideanbau gegeben. Erst spät sei die Eignung von Mergel für die Düngung bemerkt worden. Das Geflügel der Bauern sei recht kleinwüchsig gewesen; jetzt seien viele neue, größere und bessere Sorten, z.T. übers Meer eingeführt worden zusammen mit anderen Tieren wie Fasanen und Gemüsepflanzen. Der Ausbildungsstand und die Moral der Ritter sei schlecht gewesen und ihre Rüstungen schwer und primitiv. In den Städten habe es wenige Kaufleute, wenig Meister in den mechanischen Künsten gegeben, und überhaupt sei das Handwerk solange auf einem niedrigen Niveau gewesen, bis neuerdings vielerlei Werkzeug und Gerät ins Eisass gebracht worden sei. Nicht überall habe man bei Tisch Teller und Messer gebraucht. Es habe aber auch an Chirurgen, Ärzten und Juden gefehlt. In Straßburg und Basel seien die Stadtmauern schlecht und die Privathäuser in noch schlechterem Zustand gewesen - düster wegen der wenigen und kleinen Fenster. Erst vor kurzem habe man Gips zur Bereitung von Putz gefunden. Der Rhein habe in dieser Gegend keine Brücken gehabt, und auch zweispännige Wagen mit eisenbeschlagenen Rädern seien noch selten gewesen. Noch ohne rechte zeitliche Reihenfolge bildet der durch Kreuzzüge und Orienthandel erweiterte europäische Erfahrungshorizont den Rahmen für den Bericht über wichtige Innovationen im Oberrheingebiet. 1 ' Manche der erwähnten Neuerungen waren nur aus regionaler Perspektive neu und die zeitliche Situierung mag absichtsvoll Gleichzeitigkeiten mit der Ausbreitung der Dominikaner am Oberrhein hergestellt haben, weil diese zeigen wollten, dass mit ihnen eine neue Zeit ausgebrochen sei.'7

Die Erfinder Im Februar des Jahres 1305 hält der Dominikanermönch Giordano aus Pisa in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz eine Fastenpredigt. Auch er betont, dass jeden Tag eine neue Kunst („arte novella") gefunden und, dass das Finden neuer Künste auch in Zukunft nie zu Ende kommen würde. Seine Äußerungen sind bemerkenswert genug. Es sei noch nicht einmal zwanzig Jahre her, dass man die vorher vollkommen unbekannte Kunst Lesebrillen zu machen gefunden

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D e rebus Alsaticis ineuntis saeculi XIII, ed. Jaffe, Ph., M G H SS 17,1861, S. 232-37.

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Schmidt, Hans-Joachim, Legitimität von Innovation. Geschichte, Kirche und neue Orden im 13. Jahrhundert, in: Vita Religiosa im Mittelalter, FS Kaspar Elm (70), hg. v. Feiten Franz J. u. a., Berlin 1999, S. 371-91.

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habe - und der Prediger fügt hinzu: „Ich habe den M a n n gesehen, der sie erfunden und geschaffen hat und ich habe mit ihm gesprochen." Das Datum ist nicht nur ein Hinweis darauf, dass man mit neuen Erfindungen in relativ kurzen, jedenfalls erlebbaren Zeitabständen rechnete; sie ist auch bemerkenswert genau: U m 1280 tauchen in Venedig Hinweise auf die Herstellung gläserner Lesehilfen für die Augen auf. Eher unwahrscheinlich ist die Existenz eines schon damals namentlich bekannten Erfinders. Ein plausibles Wahrnehmungsmuster für die Zurechnung von Innovationen zu Individuen war jedoch da. Die Chronik des Dominikanerklosters Santa Catarina in Siena, dem auch Giordano entstammte, berichtet zum Jahre 1313 über einen Klosterbruder, der, weil der erste Erfinder der Brille, die man jetzt gemeinhin Augengläser (.ocularia') nenne, sein Geheimnis für diese „nützliche und neue Erfindung" (.utile ac novum inventum') nicht mitteilen wollte, sich das Gerät angesehen und sofort nachgebaut hätte." Zeugnisse für die Namhaftmachung von Erfinderpersönlichkeiten finden sich dann auf ganz verschiedenen Gebieten. Johann von Luxemburg, König von Böhmen, bestätigt im Jahre 1315 einen Vertrag mit den Gewerken der Altenberger Erzgruben in Mähren, in dem Heinrich Rotärmel ein Entgelt für eine Wasserkunst zugesichert wurde, die er „durch Anstrengung seines Geistes" zur Entwässerung der Gruben entwickelt habe. Die Wasserkunst sollte zwei Stollen entwässern, die bisherige manuelle Schöpfarbeit der Schnurzieher und Haspler entbehrlich machen und außerdem sechs Wasserräder über das ganze Jahr in Betrieb halten. Rotärmel und seine Erben sollten einen Anteil an den Erzeinnahmen erhalten, solange die neue Vorrichtung funktionierte. 1 " Not hat hier nicht nur erfinderisch gemacht, sondern den Erfindern auch neue soziale Bedeutung verschafft. Beim Versuch, die Stollen tiefer vorzutreiben, waren die europäischen Bergwerke buchstäblich „ertrunken", und die „Wassersnot" förderte die Bereitschaft, jeden neuen Einfall im Bereich der Wasserkünste wenigstens auszuprobieren und im Erfolgsfall auch zu honorieren. In Padua ließ sich 1362 ein Erbe des auch als Uhrenkonstrukteur tätigen Professors für Medizin Jacobo Dondi eine Konzession für Gewinnung und den freien Verkauf von Salz aus Thermalquellen bestätigen. Er behauptete, das Verfahren verdanke sich menschlicher Geisteskraft und sei von ihm selbst neu erfunden worden. Die Familie verfügte in der Gegend um Abano über umfang-

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Giordano da Pisa, Quaresimale fiorentino 1305-6, ed. crit. a cura di Delcorno, Carlo, Florenz 1974, S. 75. ed. Francesco Bonaini, in: Archivio Storico Italiano vol. VI-2 (1845) S. 476f. Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae, Bd. VI, Brünn 1854, Nr. 92, S. 6$f.

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reichen Grundbesitz und versuchte natürlich, ein M o n o p o l in der regionalen Salzproduktion zu erlangen." Jacopo D o n d i war der Vater des noch weit berühmteren Giovanni D o n d i dall'Orologio, ebenfalls Medizinprofessor und Erfinder-Konstrukteur

eines damals als astronomisch-mechanisches Weltwunder

bestaunten Planetariums." D i e Aufwertung der Erfinderfigur und die Aufwertung von Neuerungen verdanken sich einem veränderten intellektuellen Klima und sicher auch neuen Wirklichkeitserfahrungen. Die Fragen nach dem ersten Erfinder (,protos heuretes') und die oft in Listen bzw. Katalogen gegebenen Antworten reichen bis in das

sechste Jahrhundert

vor

Christus

zurück.* 3

In

den

Proteus-heuretes-

Diskursen ging es nur ausnahmsweise um Artefakte, sondern meist um kulturelle Errungenschaften - die auch .technai' genannt wurden - ganz unterschiedlicher Art z.B. Demokratie, Sklaverei, Olivenanbau, Kunstreiten, Briefschreiben, Bartscheren etc. Als Erfinder figurieren selten historische Personen sondern eher Heroen, Götter oder Völker, auch Städte. 14 Prototypische Erfinderfiguren sind dabei Prometheus, Orpheus, Daedalus, Erfinder vieler Techniken und Künste", Hermes und Ceres als ,inventrix' des Feldbaus. O f t werden ihnen mehrere Erfindungen,

z.B. dem Anarchsis die Töpferscheibe, der Blasebalg und der A n -

ker 1 ', zugesprochen. Im ersten J h . v. C h r . liefert Vitruv nicht nur eine sorgfältige Definition der ,inventio', 17 sondern benennt auch eine ganze Reihe „historischer" Erfinder, nicht nur Theoretiker wie Archimedes

zi 22 23

24 25 26 27

(mit dem

Ausruf

Gloria, Andrea, Monumenti della Universitä di Padova (1318-1405), Bd. 2, Bologna 1888,1216. Vgl. Dohrn-van Rossum (Anm. 4), S. I72f. Kleingünther, Adolf, Protos Heuretes. Untersuchungen zur Geschichte einer Fragestellung (Philologus Supplementbd. 26, H.i), Leipzig 1922; Thraede, Klaus, Jax, Karl „Erfinder", in: R A C 5 (1962) S. 1179-1278; Thraede, Klaus, Das Lob des Erfinders. Bemerkungen zur Analyse der Heuremata-Kataloge, in: Rheinisches Museum 105 (1962) S. 158-86. Curtius, Ernst Robert, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 5. Aufl., Bern 1963, S. 531. .Daidalos', in: Der Neue Pauly, Bd. 3,1997, Sp. 27iff. bei Ephoros (frg. 42); Plin n.h. 7, 198, 202; n. Thraede (Anm. 23), S. 172. Inventio ist mit Excogitatio ein Teil der Dispositio; „Erfindung ist die Losung dunkler Probleme und die oft mit beweglicher Geisteskraft gefundene Entdeckung von etwas Neuem. „Inventiuo autem est quaestionum obscuram explicatio ratioque novae vigore mobili reperta; 1, 2, 2 Vitruv, De architectura libri decern/ Zehn Bücher über Architektur, 3. Aufl., übers, u. mit Anm. versehen v. Fensterbusch, Kurt, Darmstadt 1981.

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„Heureka"), Erathostenes und Archytas, sondern auch Erfinder von Kunsttechniken, von verschiedenen Uhrentypen, von Wasserschöpf- und Belagerungsmaschinen. Plinius kompiliert im i. Jh. n. Chr. in seiner Naturkunde nicht nur die überlieferten Kataloge zu einer neuen Liste von 220 Erfindungen und 143 Erfindern, sondern erwähnt durchaus zeitgenössische Erfindungen wie eine Getreidemähmaschine und eine Marmorsäge. Überdies behandelt er konkurrierende Nennungen gelegentlich auch als Prozesse der Vervollkommnung, z.B. beim Alphabet 11 , dem Schiffbau und der Musik. Im Allgemeinen wird der mythische Diskurs kaum verlassen, historisch verwendbar sind nur die eher seltenen Mitteilungen, die sich chronologisch einordnen lassen.'9 In der christlichen Überlieferung treten dann konkurrierende Gestalten des Alten Testaments wie Adam als Erfinder des Hebräischen Alphabets oder die Söhne Lamechs aus den Nachkommen des Kain — er galt auch Erfinder der Maße und Gewichte, Jabal als Erfinder der Viehzucht, Jabla, der Stammvater der Flöten- und Zitherspieler, und Tubalkain als Schmied, häufig auch als Erfinder der metallenen Musikinstrumente, dazu. Vitruv und Plinius waren im Mittelalter teils direkt überliefert; die Erfinderkataloge sind vor allem aber in Isidor von Sevillas Enzyklopädie und dann durch Hugo von Saint-Victor verbreitet worden.'"

Die Umwertung von .novitas' Dass sich Neues vor dem Alten legitimieren musste und im Zweifel nachrangig blieb, dass ein Finder von Neuem verdächtig war, lässt sich an den meist theologischen Verwendungskontexten der Worte ,inventor', .innovari' und ,novitas' seit der Patristik leicht verfolgen. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle geht es um Magie, um Häresie, neue Doktrinen und den Satan und seine Agenten als Erfinder aller Übelstände.'' .Novitas' und .inventor' waren also bis zum Hochmittelalter eindeutig negativ besetzte polemische Begriffe. Akzeptiert war nur die 28 29 30 31

Plin. n.h. 7,192f. Thraede (Anm. 23), S. 186. Hugo von Saint Victor Didascalicon III, 2 ,De auctoribus artium', PL 176, col. 765 f r Diese Aussage stützt sich neben den unten in Anm. 37 und 51 genannten Arbeiten auf eine vorläufige Auswertung der in der .CETEDOC Library of Christian Latin Texts' und den bisher in der CD-Ausgabe der M G H durchsuchbaren Texte. Übergangen wurden dabei die Belege für .invenire' = finden/auffinden, z.B. in .inventio crucis' und die für rhethorische .inventio' in der Cicero-Rezeption.

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christliche ,novitas' der Inkarnation und des Neuen Bundes. Allenfalls „renovatio" war theologisch legitim.' 1 Das in dieser Rücksicht zunächst befremdliche Diktum „Nihil sub sole novum" des Alten Testaments (Eccl. i, 1 0 ) " wird auf die Abgeschlossenheit der Schöpfung bezogen. Z u r Verteidigung der erneuten T a u f e der schon von Häretikern Getauften, greift Bischof Cyprian von Karthago im J a h r 256 indirekt den Papst Stephan an, den er mit dem berühmten W o r t .Nihil innovetur nisi quod traditum est' zitiert. Wolfgang Kinzig übersetzt A l s Neuerung ist nur das zulässig, was überliefert ist', d.h. der status quo ist beizubehalten. Dagegen wendet Cyprian ein, dass es im Hinblick auf die Wahrheit auch unzureichende alte Tradition bzw. unzureichende Gewohnheit geben könne, weil Häresien erst spät in der Kirche aufgetreten seien. W e r also in der T a u f frage an der Einheit der Kirche festhalte, könne kein Neuerer sein. 34 Innovation kommt hier nicht in den Blick. Auch der Gedanke an das Schöpferische (,creatio' / .creator') ist „blockiert". Schöpfung ist nur als „creatio ex nihilo" denkbar und deshalb auf menschliche Produktivität nicht anwendbar; menschliche Kreativität bleibt Nachahmung / .imitatio'. Heftige Worte gegen verschiedene Neuerungen fallen vielfach auf den Konzilien der Karolingerzeit, z.B. auch im Zusammenhang mit dem Bilderstreit. Theodulf von Orleans warnt eindringlich vor „omnes novitates vocum et stultiloquas adinventiones", weil sie die Einheit der Kirche gefährdeten." N u n lassen sich seit dem Hochmittelalter in verschiedenen kirchenrechtlichpolitischen, theologisch-monastischen und universitär-wissenschaftlichen

Dis-

kursen, die hier nur angedeutet werden können, Modifikationen, Umwertungen dieses traditionellen Alt-Neu-Gefälles beobachten, und es stellt sich die Frage, ob und inwieweit die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts zu verfolgende Veränderung der Wahrnehmung von technischen Innovationen von diesen Diskursen vorbereitet worden ist.

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Kinzig, Wolfram, Novitas Christiana. Die Idee des Fortschritts in der Alten Kirche bis Eusebius, Göttingen 1994 Eccl. 1, 9-10, Kohelet: „Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was man getan hat, wird man wieder tun: Es gibt nicht Neues unter der Sonne. Zwar gibt es bisweilen ein Ding, von dem es heißt: Sieh dir das an, das ist etwas Neues — aber auch das gab es schon in den Zeiten, die vor uns gewesen sind." Cyprian ep. 74, 1, Correspondance II, ed. Bayard, Paris 1961, S. 279; Vgl. Kinzig (Anm. 31), S. 279ff Opus Caroli regis contra synodum (Libri Carolini), ed. Freeman, Ann ( M G H Concilia, t. II, Suppl. I), Hannover 1998, S. 101 u.ö.

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Reiches Material zur Verfolgung der allmählichen Verschiebung der Bewertung von .novitates' bieten die Texte zu den Anfängen der Kirchenreform und zu monastischen Reformen und Ordensgründungen. Das neue Gesetz war T h e m a seit dem provozierenden Diktum Gregors V I I . im Dictatus papae (1075), nach dem allein der Papst entsprechend dem Erfordernis der Zeit neue Gesetze zu schaffen berechtigt sei.' 6 Gegen Manegold von Lautenbach, einem extremen Verteidiger der gregorianischen Reform ruft ein Anhänger der kaiserlichen Position aus: „ O nova lex, Ο dogma novum, noviter fabricatum"' 7 und vertraut auf die negativen, wohl auch abschreckenden Konnotationen von ,novus'. In seiner Autobiographie findet Guibert von Nogent um 1115 für die Bildung einer städtischen K o m m u n e in Laon ( 1 1 0 7 - 1 2 ) äußerst verächtliche Worte als „ C o m m u n i o autem — novum ac pessimum nomen ... novitatis motus".' 8 Friedrich I. Barbarossa verbietet 1157 und 1161 die Schwureinigung der Trierer Bürger als Einführung neuer Gewohnheiten („novas quasdam consuetudines et quedam iura insolita") und als Verstoß gegen die alten Rechte der Stadt." Das 4. Laterankonzil hatte sich 1215 gegen neue Orden bzw. neue Ordensgründer ausgesprochen, aber auch erklärt, dass nach den Erfordernissen der Zeit „secundum varietatem temporum" Handlungsnormen zumal unter „urgens necessitas" oder „evidens utilitas" angepaßt werden müßten, weil Gott selbst von dem, was er im Alten Bunde festgelegt habe, im Neuen Bund wiederum einiges geändert habe („mutavit"). 4 ° Kurz darauf erklärt dann Kaiser Friedrich II., dass die neuen Fürsten den alten Fürsten nichts von ihrer Autorität nähmen, wenn sie „iuxta novorum temporum

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Dictatus papae, no. VII, Register Gregors VII., ed. Caspar, Erich ( M G H Ep. sei. 2,1), Berlin 1920, S. 203. M G H Lib. de lite I, hg. v. Dümmler, Ernst et al., 1891, S. 431; vgl. Smalley, Beryl, Ecclesiastical Attitudes to Novelty c.iooo - c.1250, in: Baker, Derek (Hg.), Church, Society and Politics, Oxford 1975, S. 113—31 u. in: ders., Studies in Medieval Thought and Learning, London 1981, S. 99-115. Guibert de Nogent, De vita sua, ed. Labande, Edmond-Rene, Autobiographie III, 7, (Les classiques de l'histoire de France au Moyen age 34), Paris 1981, S. 320. Mittelrheinisches Urkundenbuch I, Nr. 628, S. 689, zit. n. Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, hg. v. Weinrich, Lorenz (FSGA A, Bd. 32), Darmstadt 1977, Nr. 69, S. 264^ Lateran IV, 13, „prohibemus, ne quis de cetero novam religionem inveniat". Mansi, Collectio vol. 22, Venedig 1778, col. 1002 u. 1035; vgl. Schreiner, Klaus, „Diversitas temporum" — Zeiterfahrung und Epochengliederung im späten Mittelalter, in: Epochen-schwellen und Epochenbewußtsein, hg. v. Herzog, R., Koselleck, R. (Poetik und Hermeneutik XII), München 1987, S. 381-428, S. 40if.

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qualitatem", aus dem Schoß der Natur „nova iura" und für neue Mißstände neue Heilmittel ersännen. 4 ' Lampert von Hersfeld reagiert empfindlich auf die von Cluny und Gorze ausgehenden Reformen der ehrwürdigen Benediktinerklöster und kritisiert dabei den Beifall des neuerungssüchtigen Volkes wie der Vornehmen. 42 Schon zwei Jahrzehnte vor dem in Citeaux gegründeten .novum monasterium', das allerdings nur ganz zu Anfang so genannt wurde 43 , hatte sich Stephan von Thiers um 1076 in die Waldeinsamkeit von Muret bei Limoges zurückgezogen und seinen Anhängern erklärt, sie sollten auf Fragen, welcher monastischen Ordnung oder Regel sie folgten, mit dem Gegenvorwurf antworten, eine „novitas" seien die alten Ordensregeln selbst, denn es gäbe nur eine Regel, den von Christus vorgezeichneten Weg. 44 Die argumentative Strategie war, Innovation als Reformation zu legitimieren und Neues als Entfaltung von „diversitas" zu legitimieren. In diesem Sinn verteidigt 1144 auch Wilhelm von Saint-Thierry den Karthäuserorden als Wiederherstellung des Schmucks einer heiligen Neuheit, gegen alle ,böse Zungen', die sich am bloßen Wort .Neuheit' ereifern, dahinter nur .neuartige Eitelkeit' / .novella vanitas' vermuteten und nicht sehen können, dass es sich um die .perfectio' der in Christus begründeten Frömmigkeit handele.45 Im Weiteren bettet Wilhelm diese Gedanken in allgemeine Überlegungen über den Nutzen

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Die Konstitutionen Friedrichs II. von Hohenstaufen für sein Königreich Sizilien, ed. Hermann Conrad et al. (Studien und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II., II), Köln/Wien 1971, lib. I, tit. 38.

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Ad. A 1071: „Sicut vulgo assiduitate vilescunt omnia, et popularium animi novarum rerum avidi magis semper stupent ad incognita, nos [sc. die Benediktiner], quos usu noverant, nihil estimabant, et hos, quia novum inusitatum aliquid preferre videbantur, non homines, sed angelos, non carnem, sed spiritum arbitrantur." Lamperti Annales , M G H SSR 38, S. 132; = FSGA XIII, 1957, S. 152; vgl. den Autor der Casus S. Galli: „Diese Mönche der neuen Richtung, (novitas monachorum) erzürnen Gott mit ihren Erfindungen, (adinventiones)." Ekkehardi Casus S. Galli cap. 8 7 (ad ann. 973), ed. Haefele, J.F. (FSGA X ) 1980, S. 178.

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Marilier, Jean, Le vocable novum monasterium dans les premiers documents Cister-

ciens, in: Cistercienser-Chronik 57 (1950) S. 81-84. 44

Liber de doctrina ... beati viri Stephani primi patris religionis Grandimontensis, hg. v. Jean Becquet ( C C C M 8), Turnhout 1968, S. 6of.; vgl. Melville, Gert, Duae novae conversationis ordines: zur Wahrnehmung der frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im mittelalterlichen Religiosentum, in: Die Bettelorden im Aufbau (Vita regularis, 11), hg. v. Melville, Gert, Oberste, Jörg, Münster 1999, S. ijff.

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Guillaume de Saint-Thierry: Lettre aux freres du Mont-Dieu (Lettre d'or), ed. Dechanet, Jean (Sources chretiennes 223), Paris 1985, c. 9—11, S. I48ff.

Novitas — Inventores

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menschlicher Erkenntnisfortschritte als Weiterarbeit an der Schöpfung ein. Dabei komme es nicht darauf an, ob die lebensnotwendigen und nützlichen Dinge und Erfindungen von guten oder bösen Menschen geschaffen worden seien und auch nicht, ob sie von Weisen gebraucht oder von den Einfältigen missbraucht würden. 4 ' In einem Thomas von Celano zugeschriebenen Gedicht (um 1250) zu Ehren des hl. Franziskus und seiner Ordensgründung wird ,novitas' zum Schlüsselwort eines zukunftsfrohen Jubels: „Sanctitatis nova signa ... novus grex ... novus lex ... novus ordo ... nova vita.'"17 Robert Grosseteste, Bischof von Lincoln, beruft sich 1250 auf der Synode von Lyon vor der päpstlichen Kurie bei der Verteidigung seiner „neuen und ungewohnten" inquisitorischen Visitationsmethoden unter Anwendung der paulinischen Formulierungen vom Ablegen des alten Menschen (Eph. 4, 22-24) a u f irdische Prozeduren: Jede neue Weise, den neuen Menschen zu errichten, zu fördern und zu vollenden, die den alten Menschen verdirbt und zerstört, ist eine gesegnete Neuigkeit, „benedictum novum", wohlgefällig dem, der gekommen ist, den alten Menschen durch seine eigene Neuheit wiederzubeleben („renovare").4* Widerstand dagegen sei Unterlassung geeigneter Methoden zur Durchsetzung der Wahrheit unter Berufung auf alte Gewohnheit des Teufels. Zusammen mit ,nova peregrinatio' taucht der Begriff ,nova militia dei' meines Wissens zuerst bei Guibert von Nogent 1108 auf. Er bezeichnet Mohammeds Lehre als eine ärgerliche, 500 Jahre alte „novitas"; die Kreuzfahrer dagegen als „nova militia", die gerade wegen ihrer Neuheit so viele Leute anzöge. Einer ihrer Führer, Robert Guiscard wird als „homo novus" bezeichnet; auch von der ,novitas armorum' ist die Rede.49 Etwa zwanzig Jahre später benutzt auch Bernhard

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a.a.O, c. 58, 59, S. i Ρ· 43; a l s o Letter 190,1. 2, Sancti Bernardi Opera, 8, p. 18.

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novelties to the faith and the teaching of the Catholic Fathers." He has transgressed the limits set by the Fathers, and has changed whatever he wishes to change.'1 Paradoxically, however, the novelties are not new ones but old ones; the inventions are re-inventions. Abelard's errors concerning the Trinity are those of Arius, his errors concerning grace are those of Pelagius, and his errors concerning the person of Christ are those of Nestorius. By renewing the errors of the heresiarchs, Abelard is, therefore, guilty of deviance from orthodoxy. Walter of Mortagne, in a letter to Abelard in which he criticised his teaching on the power of God the Father and the power of God the Son, focussed on his departures from custom as it is upheld in the writings of the orthodox: "quaedam legi, quae a consuetudine scriptorum orthodoxorum discrepantThe form of deviance which Walter attacks is the formulation of personal opinion about truth: "Quis autem orthodoxns de fide catholica tractaturus non veritatem, sed sensum opinionis suae promittat exponere.·'"" The preference for personal opinion clashes with Catholic faith: "Quaedam etiam ibi legi, quae videntur a fide catholica discrepare",'6 Walter's criticism is accurate. For example, at the end of the first book of his Ethica, after concluding a critical review of the doctrine of the power of the keys, the priestly power of binding and loosing the sins of men, Abelard wrote: "In all that I write it is enough for me to present my opinion rather than the definition of truth." But he added: "At the present time reason openly given in support of truth stirs up enough envy and hatred among those who are preeminent in the name of religion."'7 More serious still, accord-

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"Novum cuditur populis et gentibus Evangelium, nova proponitur fides...in sugillationem Doctorum Ecclesiae, magnis effert laudibus philosophos, adinventiones illorum et suas novitates catholicorum Patrum doctrinae ac fidei praefert...", Letter 189, 2, 3, Sancti Bernardi Opera (note 10), 8, pp. 13,14. Letter 193, Sancti Bernardi Opera (note 10), 8, p. 45. Letter 192, Sancti Bernardi Opera (note 10), 8, p. 44; Letter 330, ed. cit., 8, p. 268. Cf. Letter 331, ed. cit., 8, p. 270; 332, ed. cit., p. 272; 336, ed. cit., 8, p. 276; 338, 2, ed. cit., 8, p. 278. Epistola Guaiteri de Mauritania episcopi ad Petrum Abaelardum, ed. Ostlender, Heinrich (Florilegium Patristicum 19), Bonn 1929, pp. 34-40, p. 34. Epistola (note 14), p. 35. Epistola (note 14), p. 35. "Sufficit mihi in omnibus que scribo opinionem meam magis exponere quam diffinicionem ueritatis promittere. Satis hoc tempore manifesta quoque ratio ueritatis in inuidiam uel odium eos etiam qui nomine religionis preminent accendit." Ethics, ed. Luscombe, David (Oxford Medieval Texts), Oxford 1972, p. 126. Cf. Theologia 'Scholarium', Praef., 5, ed. Buytaert, Eligius Μ. and Mews, Constant J., Petri Abae-

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ing to Walter, were the reports emanating from Abelard's students about Abelard's confidence in his ability to expound, in the light of full knowledge, the profound mysteries of the Trinity. These reports seemed to be confirmed by what Walter read in Abelard's TheologiaAs Jolivet once wrote, this text of Walter illustrates a conflict of mentalities. For Walter theology consists of the presentation, for each topic, of pertinent Scriptural, patristic and conciliar texts which by definition present truth, not opinions. For Abelard theology also requires the clarification of obscure formulas and the refutation of false dialecticians with the arms of dialectic, using all the arts in fact to defend and strengthen truth.'9 My purpose, however, is not, in fact, to examine the question whether Abelard was an innovator. He was an innovator, and the chapter that I contributed to Peter Dronke's volume appears in the section devoted to the Innovators of the twelfth century. Rather my purpose is to consider what sense Abelard had of his own innovations and whether he saw himself as an innovator in the face of forces of conservatism and of critics of his innovativeness. How did Abelard express himself when he created the novelties with which he is credited by his contemporaries and by modern historians? Did he develop new learning in conscious opposition to old learning? We may illustrate Abelard's own sense of innovation from the introduction he wrote to his treatment of categorical syllogisms in the first book of the second Tract in his Dialectica. He shows assurance and anxiety. He complains of the jealousies of his detractors'0 as he sets out to remedy the defects he finds in the available authorities - in Aristotle who was too brief and obscure in what he

lardi opera theologica 3 (Corpus christianorum. Continuatio mediaeualis 13), Turnhout 1987, p. 314, 11. 42-44; III. 46, p. 519, 11. 619-21; Theologia 'Summi boni' III.101, ed. Buytaert and Mews, p. 201, II. 1354-6; Theologia Christiana IV. 161, ed. Buytaert, Eligius Μ., Petri Abaelardi opera theologica 2 (Corpus christianorum. Continuatio mediaeualis 12), Turnhout 1969, p. 346,1. 2571. 18 19 20

Epistola (note 14), p. 34, 11. 2-5, 7-9, 14-20. Jolivet (note 8), p. 20. "Nec propter aemulorum detractationes obliquasque invidorum corrosiones nostro decrevimus proposito cedendum nec a communi doctrinae usu desistendum. Etsi enim invidia nostrae tempore vitae scriptis nostris doctrinae viam obstruat studiique exercitium apud nos non permittat, tum saltern eis habenas remitti non despero, cum invidiam una cum vita nostra supremus dies terminaverit, et in his quisque quod doctrinae necessarium sit, inveniet", Dialectica, II, 1, ed. de Rijk, L.M. 2nd edition, Assen 1970, p. 145.

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wrote concerning categorical syllogisms and in Boethius w h o was too prolix w h e n dealing with hypothetical syllogisms. T h e labours of both o f these Abelard seeks to better. H e is confident that his contributions are neither fewer nor less important than those of the writers w h o m the Latins have held in the greatest esteem. Although he will not depart f r o m c o m m o n teaching 1 ', he will elucidate what the authorities have dealt with only summarily or have completely omitted. H e will correct things which they have not presented well. H e will reconcile what he calls the schismatical expositions of his contemporaries and he will put to flight dissensions between the moderns. But he shows concern in the face of the hostility of others. Nonetheless, he proclaims his ability, with G o d ' s aid, to prove that he is not inferior to the peripatetic authorities w h o m the Latin world admires: if in his o w n writings he compensates for weaknesses in theirs, if he goes beyond them or if he unravels what they have left in the f o r m of implication, he should be judged fairly. A just exposition of words written by authority is not less fruitful than or inferior to original t h o u g h t . " A s R . W . Southern has observed, Abelard " d i d not think of himself (in the phrase made famous by Bernard of Chartres) as a p y g m y sitting on the shoulders of the giants of the

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"Nec propter emulorum detractationes obliquasque invidorum corrosiones nostro decrevimus proposito cedendum nec a communi doctrinae usu desistendum", Dialectica, II, 1 (note 20), p. 145.

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"Nam etsi Peripateticorum Princeps Aristoteles categoricorum syllogismorum formas et modos breviter quidem et obscure perstrinxerit, utpote qui provectis scribere consueverat, Boethius vero hypotheticorum complexiones eloquentiae latinae tradiderit, Graecorum quidem Theophrasti atque Eudemi operum moderator, qui tum de his scripserant syllogismis, uterque quidem, ut ipse ait, moderatae doctrinae terminos excedens ita ut hie lectorem brevitate, ille vero prolixitate confunderet, — post omnes tamen ad perfectionem doctrinae locum studio nostro in utrisque reservatum non ignoro. Item quae ab eis summatim designata sunt vel penitus omissa, labor noster in lucem proferat, interdum et quorundam male dicta corrigat, et schismaticas expositiones contemporaneorum nostro uniat, et dissensiones modernorum, si tanturn audeam profiteri negotium, dissolvat. Confido autem in ea quae mihi largius est ingenii abundantia, ipso cooperante scientiarum Dispensatore, non pauciora vel minora me praestiturum eloquentiae peripateticae munimenta quam illi praestiterunt quos latinorum celebrat studiosa doctrina; si quis nostra eorum scriptis compenset, et quid ibi sit et qualiter quidve nos ultra ponamus, aut qualiter eorum implicitas sententias evolvamus, aeque diiudicet. Neque enim minorem aut fructum aut laborem esse censeo in iusta expositione verborum quam inventione sententiarum," Dialectica, II, 1 (note 20), pp. 145-146.

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past. H e sat on the shoulders of forerunners of comparable stature to himself in the expectation of making new discoveries as great as any of theirs". 2 ' A similar concern is expressed in the fifth T r a c t of the Dialectica

where, towards

the end of his treatment of hypothetical syllogisms, he turns to w h a t are called conversions - that is, the transposition or swapping round of terms in hypothetical sentences. H e writes that the two types of conversion used for categorical statements apply also to hypothetical statements. T h e first type is simple conversion: a statement such as "it is either night or day", w h e n converted becomes "it is either day or night". But to convert hypothetical propositions in w h i c h there is an antecedent without which the consequence is not true w e make use o f negative statements: the hypothetical statement " i f he is a m a n , he is an animal", w h e n converted or transposed becomes " i f he is not an animal, he is not a m a n " , not "if he is an animal, he is a m a n " . T h i s is conversion b y contrapositio,

by

counterpoint. S o far, so good. But there then follows one of Abelard's outbursts against his critics. I quote part of it: "There are people who protest strongly at my mentioning the conversion of hypotheticals; they are astounded because they have not come across conversions of this type in the writings of Boethius or of anyone else who has demonstrated the nature of consequences. They do not convict me of error but of a new type of conversion. They cannot show that I have spoken in opposition to authority, but they suggest that I may have gone beyond authority. Their chicanery is unreasonable. For if they accuse me of adding something or of novelty, how can they excuse any others who, subsequent to the original accounts of any branch of learning, have made developments? Nor would they be able to accuse me of novelty in the conversion of consequences and of introducing this conversion if they remembered the statements of those whom the Latins revere in this art, namely Aristotle, Porphyry and Boethius". 24

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Southern, R.W., Scholastic Humanism and the Unification of Europe. With notes and additions by Smith, Lesley & Ward, Benedicta S.L.G. Volume 2: The Heroic Age, Oxford 2001, p. 108.

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"Sunt tamen nonnulli qui ad nomen conversionis ipoteticarum obstrepant et vehementer obstupeant eoquod de earum conversionibus Boetium tractare non viderint nec alium quemquam qui consequentiarum naturas ostenderet. Unde nos quidem non ex falsitate, sed ex novo conversionis nomine redarguunt; nec me quidem contra auctoritatem locutum, sed fortasse ultra auctoritatem ostendere possunt. Nec est quidem eorum calumnia rationabilis. Si enim ex additamento vel novitate me accusent, quomodo et ilii absolvi possunt quicumque ad alicuius scientie perfectionem ex se aliquid post primos tractatores adiecerunt? Sed nec ex novitate conver-

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Abelard's language in this passage is rich and heated: his critics obstrepant et vehementer obstupeant·, they are guilty of unreasonable calumnia·, they accuse. This is the kind of writing that is familiar to us from the Historia calamitatum where also Abelard faces his various critics - Lotulf and Alberic, the monks of St Denis, the detractors of his oratory of the Paraclete — by pointing to what authority has written but which they have overlooked. One recalls the incident during the council of Soissons in 1121 when Abelard faced his accusers who brought charges of heresy against him: they did not want to hear Abelard's reasons or his interpretations but only words of authority; so Abelard turned to the page in his treatise where the relevant passage from St Augustine had been provided and he thus embarrassed his accusers: obstupefacti erubescebantThe passage in the Dialectica to which I draw attention shows that even in logic, and not only in theology, Abelard's detractors apparently were ready to denounce innovation. To them Abelard replied that to build upon the achievements of those who provide the earliest treatments of any branch of learning should not be met by criticism. We may compare Abelard's expression of willingness to come to the rescue of defective authority in logic with his somewhat similar ambition in the writing of hymns. His attitude to the relationship between custom and innovation is expressed in the preface he wrote to his Hymnarius Paraclitensis. On the one hand, he claims that he had not wished to write new hymns. So many old hymns are available that new ones would be superfluous. Old hymns had been written by saints, so it would be quasi-sacrilegious for new hymns to be written by sinners. On the other hand, Abelard reproduces at some length the reasons given to him by Heloise and her sisters which have led him to change his mind. These include the obscuring of authority by custom, confusion in the selection of hymns, uncertainties over their authorship, faulty texts which make the accompanying melody almost impossible to sing, the lack of appropriate hymns for many solemn feasts and exaggerated claims made for certain saints. So he meets the request of Heloise. u His display of reluctance to provide new hymns may be a

sionibus consequentiarum me accusare poterunt quasi huius conversionis invectorem, si singulorum dicta quos in arte Latini celebrant, memoria confirmaverit, Aristotilis videlicet seu Porphirii seu Boetii," Dialectica IV, 1 (note 20), p. 496. 25 Abelard, Historia calamitatum, ed. Monfrin, Jacques (Bibliotheque des textes philosophiques), Paris, 4'h impression, 1978, pp. 84-5,11. 751-81,11. 770. 26 "Ad tuarum precum instantiam, soror mihi Heloisa...hymnos...composui; ad quos quidem me scribendos cum tarn tu quam, quae tecum morantur, sanctae professionis feminae saepius urgeretis, vestram super hoc intentionem requisivi. Censebam quippe superfluum me vobis novos condere, cum veterum copiam haberetis et quasi

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literary conceit, a rhetorical display of humility and reluctance followed by a gracious yielding to the pressures of her arguments. But the arguments cited are exaggerated: there was in fact no lack of hymns for some of the feasts which he mentions and it was not normal in liturgical books to name the authors of hymns.17 Abelard's preface is a clever means of suggesting that his composition of 133^ new hymns is justified by the unsatisfactory state of existing conventions and was not an act of disrespect for authority. But it was a deliberate innovation. A distinction should be drawn between deliberate innovation on the one hand, as we find it expressed here in the preface to the Hymnarius and also in the Dialectica, and, on the other hand, the adoption of a radical and unpopular position or an unusual and controversial opinion which may involve the discovery or the revival of a doctrine that has not hitherto found much favour. An example of the latter in the writings of Abelard, that is, of the adoption of a controversial position unacceptable to his critics but not necessarily innovative, is Abelard's special interest in the Holy Spirit. There is evidence of a growing interest in the Holy Spirit in the liturgy in the twelfth century, in Rome, at the abbey of St Denis and elsewhere.1' Abelard furthered this movement by naming his oratory at Quincey the oratory of the Paraclete. His critics complained that, according to ancient custom ("secundum consuetudinem antiquum"), a special dedication of a church was only allowable if it was made to God the Son alone or to the Trinity as a whole, but was not allowable if it was made to the Holy Spirit or to God the

sacrilegium videri antiquis sanctorum carminibus nova peccatorum praeferre vel aequare...His vel consimilibus vestrarum persuasionibus rationum ad scribendos per totum anni circulum hymnos animum nostrum vestrae reverentiae sanctitas compulit", Peter Abelard's Hymnarius Paraditensis. An Annotated Edition with Introduction, 2 vols., ed. Szöverffy, J . , (Medieval Classics: Texts and Studies 2 - 3 ) , Albany, N . Y . 1 9 7 5 , 1 , Libellus primus, praefatio, pp. 1 1 , 1 3 ; H y m n Collections from the Paraclete, 2 vols., ed. Waddell, Chrysogonus (Cistercian Liturgy Series 9), Gethsemani Abbey, Trappist, Kentucky 1987, 2, pp. 5, 9. 27

Szöverffy, Abelard's Hymnarius (note 26), I, pp. 3 0 - 2 comments that the dissatisfactions which Abelard reports are exaggerated and dramatized. C f ibid., II, p. io, nn. 7, 9 and 29.

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Or no. 129 according to H y m n Collections from the Paraclete (note 26), 1, Introduction and Commentary, p. 5.

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Braganca, J . O . , L'Esprit saint dans l'euchologie medievale, in: Didaskalia 3, 1973, pp. 2 3 1 - 4 6 , repr. in Le Saint-Esprit dans la liturgie, Rome 1977, pp. 39-53. This study is cited by Moonan, L., Abelard's Use of the Timaeus, in: Archives d'histoire doctrinale et litteraire du Moyen Age, 1989, pp. 7 - 9 0 , pp. 7 1 - 2 .

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Father.'" Abelard sought to correct this error with a number of reasons. One of these was that his critics failed to distinguish between the Paraclete as a name for the divine Trinity and the Paraclete as a name for the Holy Spirit in particular.'' Another reason is that St Paul writes that our bodies are the temple of the Holy Spirit, but never are they described as the temple of God the Father or the temple of God the Son.'2 Abelard concluded that the dedication of his oratory in memory of his own consolation was not done against reason, although it does not have the support of tradition: "non...rationi adversum, licet consuetudini incognttum."" A still more controversial aspect of Abelard's writing about the Holy Spirit was his interpretation of the idea of the anima mundi found in Plato's Timaeus as a beautiful allegory of the Holy Spirit.'4 Abelard maintained that in this respect he was following Christian tradition. Plato was, according to the Fathers, close to Christianity and to Christian belief in the Trinity in what he had taught." Abelard cites in support Claudian Mamertus'6, Salvian of Marseille'7 and Augustine.'8 He compares the teaching of the Timaeus with select passages from the Bible." He pressed the case for reading the Timaeus as an

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Historia calamitatum (note 25), pp. 94-7,11.1120-95. "Ad quam nimirum calumpniam hie eos error plurimum induxit, quod inter Paraclitum et Spiritum Paraclitum nichil referre crederent, cum ipsa quoque Trinitas et quelibet in Trinitate persona, sicut Deus vel adjutor dicitur, ita et Paraclitus, id est consolator, recte nuncupatur", Historia calamitatum (note 25), p. 95, II. 1130-5. I Cor., VI, 17,19; Historia calamitatum (note 25), p. 96,11.1167-77. Historia calamitatum (note 25), p. 97, 11. 1194-5. Abelard wrote eight sermons for the feast and octave of Pentecost for the nuns of the Paraclete; five of these survive (nos. 1822; PL 178, 505—24). This is the largest group of sermons in the surviving collection. See Van den Eynde, Damien, Le recueil des sermons de Pierre Abelard, in: Antonianum 37, 1962, pp. 17-54, ΡΡ- 34-6· In his Hymnarius Paraditensis (note 25) Abelard wrote four hymns for the feast of Pentecost, the same number as for other major feasts. The hymns are nos. 69-72 in the Hymnarius Paraditensis (note 26), II, pp. 147-59, and nos. 53-56 in Hymn Collections from the Paraclete (note 26), 2, pp. 75-9. "pulcherrimam involucri figuram", Theologia 'Scholarium' (note 17), 1,157, p. 383. Theologia 'Scholarium' (note 17), 1,123,181, pp. 368, 394-5. De statu animae, II, 7 (PL 53, 736D-737A); Theologia 'Scholarium' (note 17), I, 124, p. 368. De gubernatione dei, I, 1, 1 and 4 (PL 53, 29 and 30); Theologia 'Scholarium' (note 17), I, 150-1, pp. 380-1. De civitate dei, IV, 31; VIII, π (PL 41, 138, 235); De doctrina Christiana, II, 28, 43 (PL 41, 56); Confessiones, VII, 9, 13 (PL 32, 740-1); Theologia 'Scholarium' (note 17), I, 152, 181, 182, 188, pp. 381, 395, 397. Wisdom, i, 7; Theologia 'Scholarium' (note 17), 1,144, p. 378.

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allegory which sheds lights on Christian doctrine, but he always maintained that he was following the Fathers. C. Stephen Jaeger, in his book The Envy of Angels. Cathedral Schools and Social Ideals in Medieval Europe 950-12.004', has depicted what he calls the 'Old Learning' which prevailed during the Carolingian and Ottonian periods and which declined during the eleventh and early twelfth century and which was replaced by the 'New Learning'. By the O l d Learning' Jaeger meant a school education based on the seven liberal arts which became located increasingly in cathedral schools and which had as its aim the formation of 'civil manners' (civiles mores) and the provision of future administrators in secular and ecclesiastical courts and households. Its contribution to rational thought and original speculation or to critical and sceptical enquiry was minimal; teaching relied heavily on the personal authority of the master, and its cultural contribution lay largely in the formation of the social values of the aristocracy. By the 'New Learning' of the twelfth century Jaeger meant the shift to rational enquiry and systematic critical thought that took place in the independent schools of Paris as the episcopal monopoly over teaching and teachers was removed. Auctoritas made way for intelligentia. We find a celebrated illustration of this type of clash in the Historia calamitatum: Abelard insisted that his students demanded "something intelligible rather than mere words" because "nothing could be believed unless it was first understood".''1 Alberic's retort during the council of Soissons "we take no account of human reasoning nor of your interpretation in such matters; we recognise only the words of authority"41 — was a complete repudiation of this. Intelligentia and auctoritas were, then, pitted in opposition against

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M o o n a n (note 29) with full references; also Gregory, Tullio, A b o a r d et Platon in: Peter Abelard, ed. Buytaert, Eligius Μ. (Mediaevalia Lovaniensia, Series I/Studia II), Leuven 1974, pp. 38-64. R.W. Southern has brilliantly described the rise and fall of the allegory of the anima m u n d i in the writings of William of Conches; see Scholastic H u m a n i s m (note 23), 2, pp. 73-7.

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Philadelphia 1994. Ed. Monfrin (note 25), p. 83, 11. 690-701: "Accidit autem mihi u t . . . q u e n d a m theologie tractatum D e Unitate et Trinitate divina scolaribus nostris componerem, qui humanas et philosophicas rationes requirebant, et plus que intelligi quam que dici possent efflagibatant: dicentes quidem verborum superfluam esse prolationem quam intelligentia non sequeretur, nec credi posse aliquid nisi primitus intellectum, et ridiculosum esse aliquem aliis predicate quod nec ipse nec illi quos doceret intellectu capere possent".

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Ed. Monfrin (note 25), p. 84, 11. 757-9: " N o n curamus, inquit ille, rationem humanam aut sensum vestrum in talibus, sed auctoritatis verba solummodo".

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each other. Jaeger, then, sees Peter Abelard as an example of the ' N e w Learning' who set out to destroy the culture of personal charisma and authority. In his Carmen ad Astralabium

Abelard advised Astralabe:

"Care not who speaks but what is the value of his words. Things said well give an author a reputation. D o not put your faith in the words of a master out of love for him, nor let a learned man hold you in his influence by his love alone. W e are nourished not by the leaves of trees but by their fruit. T h e rhetoric of ornate words may successfully capture minds, but true learning prefers plain speech." 44 Abelard here puts understanding above eloquence and critical evaluation above personal affection. The same message underlies his assessment in the calamitatum

Historia

of the character of Master Anselm of Laon:

"Anyone who knocked at his door to seek an answer to some question went away more uncertain than he came. Anselm could win the admiration of an audience, but he was useless when put to the question. H e had a remarkable command of words but their meaning was worthless and devoid of all sense ... he was a tree in full leaf which could be seen from afar, but on closer and more careful inspection proved to be barren. I had come to this tree to gather fruit, but I found it was the fig tree which the Lord cursed". 4 ' In these conflicts between Abelard and other masters we see reason pitted against authority. Nonetheless, I have two difficulties with Jaeger's thesis about a clash between 'Old' and 'New Learning'. First, the period over which the old is substituted by the new is too long. Reason did not replace authority over a long time scale lasting four centuries. Giles Constable has written about the popularity of the idea of generational change in the Middle Ages, about the "gap across which the young cannot easily talk to the old who grew up in a different world." Between the year 1040 and the year 1160 he distinguishes different types of ecclesi-

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45

Peter Abelard. Carmen ad Astralabium, ed. Rubingh-Bosscher, J.M.A., Groningen 1987, p. 107,11. 7-18: "non a quo sed quid dicatur sit tibi cure: auctore nomen dant bene dicta suo; nec tibi dilecti iures in verba magistri nec te detineat doctor amore suo Fructu, non foliis pomorum quisque cibatur Et sensus verbis anteferendus erit. Ornatis animos captet persuasio verbis; Doctrine magis est debita planities." Historia calamitatum, ed. Monfrin (note 25), p. 68,11.165-76.

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astical reform activity and concern in successive thirty-year periods from 1040 to 1070, 1070 to 1100, 1100 to 1130 and 1130 to II6O.4 ο u 2 • — 5J JS

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Spes proficiendi. Travail intellectuel et progres individuel au Moyen Age Jacques Verger

Les notions d'innovation et de progres sont generalement entendues en un sens collectif. Meme si Ton en cherche parfois le reflet dans l'oeuvre singuliere de tel ou tel auteur, c'est ä l'echelle du groupe, voire de la societe toute entiere, que se manifestem et se mesurent, de maniere en quelque sorte collective, sinon anonyme, les transformations, generalement considerees comme irreversibles, que Ton peut, dans certaines conditions, qualifier d'innovations ou de progres. Je voudrais ici suggerer une autre approche possible, sans doute moins riche, voire marginale, mais cependant legitime, de la question: il s'agit de l'approche individuelle. Y a-t-il un sens, en histoire medievale, ä parier de progres de l'individu — ou plutöt des individus, car il ne sera pas question ici de Γ "individualisme medieval" qui est lui-meme un phenomene collectif, voire quelque peu abstrait. II s'agira seulement de l'individu concret, dans sa singularity irreductible. Naturellement, on pourrait aussi s'interroger sur les rapports entre progres individuel et progres collectif. Celui-ci n'est-il que la somme d'un certain nombre de progres individuels? Ou, ä l'inverse, l'individu ne peut-il progresser que s'il est lui-meme pris dans un courant collectif qui stimule ses capacites innovatrices? Nous n'aborderons pas ces questions, qui nous ameneraient au probleme trop vaste pour etre traite ici de la place et du role de l'individu dans les societes medievales. Qu'il s'agisse de progres collectifs ou individuels, la question n'est pas tant celle de la realite meme du phenomene, qui n'est plus guere mise en doute l'id^e d'un Moyen Age totalement immobiliste, voire obscurantiste, n'ayant evidemment plus cours —, que celle du caractere plus ou moins volontaire et organise dudit phenomene, celle de la conscience plus ou moins claire qu'en ont eue les contemporains, celle enfin du jugement moral porte sur lui par ces mercies contemporains. Qu'entendons-nous par progres individuel? Pour poser le probleme en termes tres generaux, il s'agit de savoir si l'individu medieval, prisonnier de sa nature finie et pecheresse, se sentait voue ä rester irremediablement semblable ä lui-

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meme, tel que Dieu l'avait cree a sa naissance, ou s'il pouvait au contraire, au long de son existence, esperer changer et s'ameliorer, dans des conditions et selon des moyens ä determiner. Naturellement, on ne saurait examiner cette question independamment de la situation sociale de cet individu. O n pourrait la poser pour les hommes de guerre et les nobles: la "quete" du chevalier, l'education du jouvencel ouvraient-elles la voie d'un veritable progres de l'individu? O n pourrait prendre aussi l'exemple du marchand, dont Γ experience s'enrichit au fil des voyages et de la croissance de ses affaires. Ou bien s'interroger sur l'itiniraire de l'homme de Dieu, du mystique, du saint, encore qu'il s'agisse sans doute plus ici de "conversion" que de progres. J'ai choisi de prendre dans le present expose l'exemple des hommes de savoir, qui se formaient par les etudes, au sein de l'ecole ou de l'universite. Les etudes etaient-elles per5ues au Moyen Age, corame nous sommes aujourd'hui enclins ä le croire, comme un facteur de transformation, d'enrichissement, de progres de l'individu? fitudier, etait-ce, comme on dirait volontiers de nos jours, "faire des progres"? *

*

*

Pour eviter de nous en tenir ä des reflexions generates ou de rapprocher arbitrairement des exemples par trop eloignes dans le temps ou dans l'espace, il convient de circonscrire quelque peu notre approche de la question. Je m'en tiendrai done aux siecles des universites, en me concentrant meme pour l'essentiel, quoique pas exclusivement, sur le Χ Ι Ι Γ siecle parisien. Peut-etre une investigation tirant ses references d'autres periodes ou d'autres lieux aboutirait-elle k des observations quelque peu differentes. Ce n'est cependant pas sür car, me semble-t-il, tout au long des derniers siecles du Moyen Age, on ne rencontre guere de mises en cause radicales des etudes ou de l'ecole. Meme les tenants des traditions monastiques et ascetiques les plus rigoureuses sont en fait assez ambigus sur ce sujet. II est en fait aise de trouver des textes de toute sorte definissant en termes positifs les finalites sociales et collectives des etudes. Les preambules des bulles ou diplomes de fondation d'universites ou de confirmation de privileges universitaires developpent largement ce genre de themes: la defense de la foi chretienne et le souci du bien commun de la chose publique y sont constamment evoques.' Dans leurs Oeuvres theoriques, les docteurs des diverses facultes revendiquent eux aussi leurs responsabilites sociales: le salut des ämes pour les theologiens, la sante des corps pour les medecins, la 1

Cf. Maleczek, Werner, Das Papsttum und die Anfänge der Universität im Mittelalter, in: Römische historische Mitteilungen 27 (1985), p. 85-143.

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Spes proficiendi

regularity de la vie sociale et politique pour les juristes sont les finaltes avouees d'enseignement qui ne se con9oivent pas en dehors de leurs t

concretes.

1

applications

Les auteurs medievaux sont en revanche beaucoup plus hesitants lorsqu'ils s'interrogent sur les motivations individuelles des gens de savoir. Ici, ce sont les mises en garde qui se multiplient, et les rappels ä la necessaire humilite du chretien. D a n s un passage classique de son sermon 36 sur le C a n t i q u e des Cantiques, saint Bernard avait stigmatise ceux qui n'etudient que par vaine "curiosite" ou par goüt de la gloire, des honneurs ou de la richesse; pour Γ abbe de Clairvaux, le seul savoir qui vaille etait un savoir "sobre", etroitement subordonne ä la verite revelee et Oriente tout entier ä une fin unique, qui etait le salut du docteur luimeme et de ses auditeurs.' Ces imprecations, devenues lieux c o m m u n s , seront inlassablement reprises par de multiples auteurs jusqu'a la fin du M o y e n Age, prompts ä denoncer l'orgueil des docteurs et la vanite d'une science qui enfle et n'apporte en definitive que tristesse et douleur. Des repliques seront cependant bientot trouvees ä ces critiques. J e n'insiste pas ici, car ce n'est pas notre sujet, sur celles qui se situent sur un plan social et collectif. Juristes et medecins seront naturellement les plus vehements ä justifier des le Χ Ι Γ siede par l'utilite evidente de leur discipline la juste et parfois confortable remuneration qu'ils pouvaient en tirer, en m e m e temps que la renommee meritee qu'elle devait leur valoir legitimement. 4 La celebration de la gloire des docteurs, "etoiles brillant au

firmament

[de la science] dans une eternite sans

fin" deviendra elle aussi lieu commun. 5 M a i s d'autres sauront, ce qui nous importe davantage ici, en deplaijant en quelque sorte le probleme, montrer que l'etude, en dehors de ses finalites sociales et de ses visees en derniere instance religieuses - que nul, au M o y e n Age, ne

2

Ce theme classique sera par exemple largement developpe par Gerson dans son cilfcbre discours Vivat rex de 1405 (voir Jean Gerson, CEuvres completes, έά. par Glorieux, Palemon, vol. VII/i, L'oeuvre fran^aise, Paris 1968, p. 1144-1145).

3

Cf. Verger, Jacques, Saint Bernard et l'etude: note sur les sermons 36 et 37 sur le Cantique des Cantiques, in: Papaute, monachisme et theories politiques, t. I, Le pouvoir et l'institution ecclesiale. Etudes d'histoire medievale offenes ä Marcel Pacaut, ed. par Guichard, Pierre, Lorcin, Marie-Therese, Poisson, Jean-Michel, Rubeilin, Michel (Coll. d'histoire et d'archeologie medievales, 1), Lyon 1994,

4

Voir par exemple, en ce qui concerne la replique des juristes, Bellomo, Manlio,

p. 393-403· Saggio sull'universiti nell'etä del diritto comune, Catania 1979, p. 17-23. 5

Cf. Le Bras, Gabriel, Velut splendor firmamenti: le docteur dans le droit de l'figlise medievale, in: Melanges offerts a fitienne Gilson, Toronto/Paris 1959, p. 373-388.

Jacques Verger

28ο

cherchait a nier pouvait apporter ä celui qui s'y adonnait, non pas l'enflure douloureuse et l'insatisfaction quasi permanente redoutees par saint Bernard, mais une certaine forme d'epanouissement personnel, oil l'enrichissement du savoir s'accompagnait d'un veritable progres de l'individu. II eut ete utile, pour mieux saisir cette notion, de pouvoir s'appuyer sur une veritable etude de vocabulaire. Le caractere restreint et assez disperse de la documentation mise en oeuvre dans cette communication, comme l'absence d'instruments de travail lexicologiques commodes pour la majorite des textes qui nous Interessent ici', l'interdisaient malheureusement. Un survol rapide des sources m'a amene, comme on Γ a vu dans le titre meme de cet expose, ä retenir le verbe proficere (et le substantifprofectus), mais proftcisci est aussi atteste, comme progredi/progressio, dans des acceptions tres voisines. Proficere est assez frequent, semble-t-il, dans les textes scolaires et universitaires, mais il faut reconnaitre que le sens exact du mot n'est pas toujours evident; en latin medieval comme en latin classique, proficere peut en effet signifier "faire des progres", mais aussi "profiter, etre utile a". 7 Dans nos textes, il s'agit souvent, ä l'evidence, du premier sens, mais il faut reconnaitre qu'il est des cas oü l'incertitude demeure, voire l'ambiguite, d'autant plus qu'en verite, dans le contexte du savoir medieval, et comme nous l'avons dit plus haut, l'acquisition individuelle n'est pas separable de son utilite sociale et que les progres de la premiere entrainent normalement une efficacite plus grande dans le domaine de la seconde. Peut-on dire que, chez certains auteurs, faire des progres (proficere) devienne la fin en soi des etudes ? Non. Mais il en constitue desormais, en quelque sorte, ä la fois la condition (il faut qu'il y ait "espoir de faire des progres", spes proficiendi), le moteur et la consequence, ficlairons notre propos par un texte classique, la question 35 du premier quodlibet d'Henri de Gand (1276)*: utrum melius sit stare in studio, spe plus proficiendi, sufficienter instructum quam ire ad procurandum animarum salutem (Vaut-il mieux rester ä l'etude, dans l'espoir de faire encore des progres, alors qu'on a deja un certain niveau d'nstruction, ou aller vaquer au salut des ämes [par l'exercice d'un ministere pastoral]?). Dans ce texte

6

L'excellent livre de Weijers, Olga, Terminologie des universites au Χ Ι Ι Γ siecle (Lessico intellettuale europeo, 39), Rome 1987, ne prend malheureusement pas en compte ce champ lexical.

7

Voir par exemple ['article "proficere" dans le Totius Latinitatis Lexicon de Forcellini, t. IV, Prato 1868, p. 902; il n'y a pas d'artide "proficere" dans le Glossarium Mediae et Infimae Latinitatis de D u Cange.

8

Texte edite in: Henrici de Gandavo opera omnia, V , Quodlibet I, ed. Macken Raymond, Louvain/Leiden 1979, p. 195-202.

Spes proficiendi

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oil les mots proficere et profectus ne reviennent pas moins de vingt et une fois, le raisonnement d'Henri de Gand est le suivant: un etudiant avance en theologie doit-il poursuivre ses etudes jusqu'au doctorat puis enseigner ä son tour ou vautil mieux qu'il quitte l'universite pour aller, fort de ce qu'il sait dejä, exercer le ministere pastoral de la predication dans quelque eglise paroissiale? Ä coup sur, repond Henri de Gand, s'il s'agit d'un etudiant doue pour les etudes (bene dispositus et idoneus) et en qui il y a magna spes quod possit ad summum et arduum gradum doctorispraeminentis devenire, il doit perseverer jusqu'a la reussite finale; devenu maitre, il formera lui-meme les pasteurs dont l'Eglise a besoin et qui vulgariseront le message qu'ils auront re5u de lui. Naturellement, cette regie devait etre appliquee avec discernement; s'il y avait dejä trop de bons docteurs et si le candidat s'averait lui-meme lent et laborieux, peut-etre vaudrait-il mieux le decourager par avance ou, en tout cas, une fois qu'il aurait reussi ä obtenir son grade, ne pas le laisser enseigner. On cite parfois ce texte comme un temoignage de la haute conscience, chez Henri de Gand, de l'eminente dignite du docteur et de ses responsabilites: "On est docteur pour les autres, pas pour soi-meme".' Mais ce qui nous interesse ici, c'est qu'Henri de Gand definit le bon docteur, celui qui sera reconnu par ses pairs comme un magnus clerictts, par sa capacite ä proficere, ä faire des progres, ä se depasser soi-meme et ä rayonner autour de soi au profit de ses auditeurs. Pour Henri de Gand, comme pour beaucoup d'auteurs universitaires du Moyen Age, l'acces au doctorat (en l'occurrence au doctorat en theologie), ä condition qu'il ne se fasse pas trop laborieusement, marquait la fin de la progression du docteur; il avait desormais atteint l'excellence, la perfection, il etait orne de Γ "aureole du docteur", symbole tout ä la fois de sa valeur eminente et de son rayonnement.'° Restait evidemment ä savoir qui serait juge des aptitudes du futur docteur et suivrait sa progression vers la perfection. Henri de Gand ne pose pas explicitement la question, nous y reviendrons plus bas. D'autres auteurs du ΧΙΙΓ siecle reprennent cette idee d'une ascension progressive de l'etudiant vers la perfection magistrale, en distinguant trois etapes (qui correspondaient d'ailleurs, concretement, aux trois phases successives du cursus universitaire): inchoatio (ou praeparatio) qui correspondait aux annees A'auditio du simple etudiant, progressio (ou profectus) qui etait celle du bachelier legem, perfectio enfin qui etait celle du bachelier formatus qui attendait d'etre

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Quod enim homo doctor est, hoc est propter alios, non propter se ipsum (Henrici de Gandavo opera omnia, V [note 8], p. 198,1. 67-68). Voir sur ce theme les textes reunis in: Leclercq, Jean, L'ideal du theologien au Moyen Age. Textes inedits, in: Revue des sciences religieuses 21 (1947), p. 121-148.

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Jacques Verger

admis ä la licence et ä la maitrise." Une harangue anonyme, prononcee ä Paris ou Oxford ä la fin du ΧΙΙΓ siecle pour celebrer le succ£s d'un nouveau maitre esarts, conduait simplement: "II peut sans risque etre promu au grade de maitre car beneprofecit ac didicit": il a bien etudie et progresse comme il faut." L'etudiant "bien dispose" faisait done des progres tout au long de son cursus d'etudes. Peut-on preciser un peu ce que recouvrait en l'occurence cette notion de profectusi Gilbert de Tournai, maitre en theologie franciscain de Paris, successeur probable de saint Bonaventure, ecrit dans son De modo addiscendi (vers 1265) que le resultat des etudes de theologie (fructus divins. lectionis) - mais on en dirait sans doute autant pour les autres disciplines — est scientia, informare mentem et adipisci virtutem·. acqudrir la science, former son esprit, parvenir ä la vertu." Acquerir la science, tout d'abord. Un des buts fondamentaux de l'education medievale etait, ä l'evidence, la pleine maitrise de disciplines aux contours bien balises par les classifications du savoir et aux contenus fondes sur des listes canoniques d' "autorites" dont la parfaite connaissance etait indispensable. La possession des livres contenant ces textes etait requise de tout candidat aux grades superieurs, mais la memorisation avait elle-meme un role essentiel ä jouer dans le processus d'acquisition de la science. Un adage disait que le bon juriste est celui qui parvient ä connaitre par cceur mille lois.'4 Les programmes universitaires detaillaient avec grand soin les textes ä "lire", c'est-ä-dire ä etudier, et fixaient comment (cursive ou ordinarie) et combien de fois ces livres devaient avoir ete lus au cours des annees d'etudes; les examens de baccalaureat et de licence consistaient, pour une part, ä verifier, sur la base de serments ou d'attestations ecrites des enseignants, que ces obligations avaient ete soigneusement observees.'5

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Cette distinction sert de schema directeur au De modo addiscendi de Gilbert de Tournai (troisieme partie, seule publice ä ce jour, de son Rudimentum doctrinae): procedamus ad ea quae pertinent ad discipulum informandum, agentes primo de doctrina quoad statum inchoationis, secundo quoad statum progressionis, tertio quoad statum perfectionis; Gilberto di Tournai, De modo addiscendi, ed. a cura di Bonifacio, Enrico (Pubblicazioni del Pontificio Ateneo Salesiano, 1 - Testi e studi sul pensiero medioevale, 1), Turin 1953, p. 105. Harangue editee in: Lewry, Osmund, Four Graduations Speeches from Oxford Manuscripts (c. 1270-1310), in: Mediaeval Studies 44 (1982), p. 139-180, p. 170. Gilberto di Tournai, De modo addiscendi (note 11), p. 268. Adage cite in: Juan Alfonso de Benavente, Ars et doctrina studendi et docendi, ed. critica y estudio por Rodriguez, Bernardo Alonso (Bibliotheca Salmanticensis, II, Textus, 1), Salamanque 1972, p. 86. II existe une abondante bibliographie sur les programmes et les examens des univer-

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Si ce processus cumulatif et repetitif avait incontestablement un role important dans la pddagogie medievale, celle-ci ne se ramenait cependant pas ä cela. II fallait aussi "former l'esprit", informare mentem·, on comptait tout particulierement pour cela sur la question et la dispute "qui aiguise l'esprit". C'etait sans doute cette vivacite d'esprit qui distinguait pour Henri de Gand, dans le passage cite plus haut, le magnus ctericus brillant du candidat laborieux que la lente accumulation des connaissances finissait par hisser au niveau du doctorat. Mais le veritable docteur etait celui qui savait discerner la sententia derriere la lettre, le juriste qui saisissait la mens legis derriere l'accumulation des lois particulieres, le theologien capable de passer de Γhistoria aux sens allegoriques et spirituels. Francesco Caracciolo, docteur en theologie de Paris au tout debut du X I V siede, le dit fort bien dans une de ses questions: bonus theologus est qui in divinis scripturis profecit; non dico in eis multum legendis memorieque mandandis, sed intelligendis et spiritualiter earum sensibus investigandis.'7 Une question importante se pose ici: cette capacite a depasser le contenu obvie des textes, ä faire preuve de finesse pour en degager implications et harmoniques multiples, pouvait-elle aller au-delä d'une virtuosite avant tout formelle ou meme d'une sorte d'intelligence spirituelle des disciplines pour s'identifier eventuellement ä une veritable aptitude ä l'innovation ? Progresser pouvait-il signifier, pour les lettres du Moyen Age, etre capable de dire du nouveau ? Je n'insiste pas sur ce theme, qui est aborde dans d'autres textes du present volume. II est vrai que certains contemporains ont pu faire gloire ä tel ou tel docteur de la nouveaute de son enseignement. Guillaume de Tocco en faisait la principale caracteristique de l'enseignement de Thomas d'Aquin: "Frere Thomas posait dans son cours des problemes nouveaux, decouvrait de nouvelles metho-

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sitis medievales; je citerai ici simplement, ä titre d'exemples, Glorieux, Palemon, L'enseignement au Moyen Age. Techniques et methodes en usage a la faculte de theologie de Paris au ΧΙΙΓ siede, in: Archives d'histoire doctrinale et litteraire du Moyen Age 35 (1968), p. 65-186; Verger, Jacques, Examen privatum, examen publicum. Aux origines midiivales de la thfcse, in: Melanges de la Bibliotheque de la Sorbonne, 12, filaments pour une histoire de la these, id. par Jolly, Claude, Neveu, Bruno, Paris 1993, p. 15-43; Weijers, Olga, Les regies d'examen dans les universites midiivales, in: Philosophy and Learning. Universities in the Middle Ages, ed. by Hoenen, Maarten J.F.M., Schneider, J.H.Josef, Wieland, Georg (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, 6), Leiden 1995, p. 201-223. Si forte perveniat, hoc est per magnam molestiam (Henrici de Gandavo opera omnia, V [note 8], p. 200, i. 30-31). Texte dditi in: Long, R. James, "Uttum iurista vel theologus plus proficiat ad regimen ecclesie". A Quaestio disputata of Francis Carracioli. Edition and Study, in: Mediaeval Studies 30 (1968), p. 134-162, p. 155.

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des, employait de nouveaux reseaux de preuves; et ä l'entendre ainsi enseigner une nouvelle doctrine, avec des arguments nouveaux, on ne pouvait douter que Dieu, par l'irradiation de cette nouvelle lumiere et par la nouveaute de cette inspiration, lui ait donne d'enseigner, en parole et par ecrit, une nouvelle doctrine."' 8 Ä un niveau plus modeste, en 1283, Jean de Malines, representant de la faculte des arts en conflit avec le chancelier, regrettait que celui-ci ait peuple les jurys de licence de maitres ages qui n'etaient plus capables de comprendre les nouveautes que professaient les meilleurs candidats: "la science evolue" (scientia est labilis)." Bien plus tard, ä la fin du XTV* siecle, un canoniste parisien, Ameilh du Breuil, pouvait se vanter de continuer ä faire des progres — ä "proffiter en la science" — tout en assurant son enseignement magistral, de preference meme au travail solitaire dans son cabinet. 1 " O n pourrait sans doute trouver d'autres exemples, mais il faut cependant reconnaitre

que sont globalement

plus

frequents les textes qui

presentent

l'excellence des docteurs non comme une aptitude au progres et au questionnement indefinis, mais comme une perfection aboutie, la maitrise parfaite d'un savoir acheve, ce qui finissait par autoriser certains docteurs ä considerer comme plus importante leur mission d'administration du Studium, de verification des connaissances et de controle de l'orthodoxie des plus jeunes que la poursuite de leur enseignement proprement dit. "C'est raison", diront en 1386 les regents en droit canon de Paris, "que les docteurs, qui ont longuement traveille en l'estude, soient allegez, [alors que les bacheliers doivent lire] ä matin pour estre instruis en la science", car, comprenons, ils ont encore des progres ä faire. 2 ' O n pense ä la formule d'Hugues de Saint-Victor: "L'etude est bonne, mais eile est pour les commen9ants" (Didascalicon, V , 8)."

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Texte cite et traduit in: Chenu, Marie-Dominique, St Thomas d'Aquin et la theologie (Maitres spirituels, 17), Paris 1963, p. 43-44. Chartularium Universitatis Parisiensis, ed. par Denifle, Heinrich, Chätelain, ßmile, t. I, Paris 1889, n. 515, p. 617; j'ai Studie cette affaire in: Verger, Jacques, Le chancelier et l'universite de Paris ä la fin du ΧΙΙΓ siecle, in: Verger, Jacques, Les universites franipaises au Moyen Age (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, 7), Leiden 1995, p. 68-102. Chartularium Universitatis Parisiensis, id. par Denifle, Heinrich, Chätelain, fimile, t. III, Paris 1894, η. 1528, p. 427: j'ai etudie cette affaire in: Verger, Jacques, L'affaire Ameilh Du Breuil (1386-1388). Le docteur contre la faculty, in: Academie des Inscriptions et Belles-Lettres. Comptes rendus des stances de l'annee 1998. Janviermars, 1998, p. 123-138. Chartularium Universitatis Parisiensis, t. Ill, n. 1528 (note 20), p. 425. Doctrina bona est, sed incipientium est (in: Patrologie latin, 176, col. 796).

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Troisieme dimension enfin du progres dans la voie des etudes, adipisci virtutem, acceder ä la vertu et, pourrions-nous dire, ä la sagesse. Sous la plume de Gilbert de Tournai, franciscain heritier de la tradition monastique et victorine, il s'agissait evidemment de la vertu religieuse. La lectio, rappelle-t-il ä la fin de son De modo addiscendi, se prolonge en meditatio, oratio et contemplation eile etait pour l'ltudiant voie d'ddification et de sanctification personnelles, independamment meme de son utilite pastorale. Mais cette vertu qui couronnait la progression du scolaris pouvait aussi bien etre celle du philosophe, ce bien supreme accessible ici bas dans la pure jouissance intellectuelle du savoir chere aux "averroi'stes" latins de la faculte des arts.*4 D'autres auteurs se situaient ä un niveau intermediaire. Gentile da Foligno, professeur de medecine ä Perouse dans les annees 1340, parle dans un de ses discours destines aux nouveaux licencies en medecine de la lumiere et de la joie (lux et gaudiutri), ä la fois intellectuelles et spirituelles, auxquelles accede le savant {sapiens) au terme de ses etudes.25 Bref, la vision souvent assez utilitaire des etudes et l'insistance mise sur leurs finalites sociales n'empechaient pas beaucoup d'auteurs medievaux de percevoir que celles-ci pouvaient etre porteuses, pour ceux-la memes qui les pratiquaient, de satisfaction intellectuelle et de progres moral. Deux autres questions meritent d'etre posees. Tout d'abord, comment se font ces progres intellectuels? Quels en sont les conditions et les moyens? On est evidemment tente de repondre: le travail. II est certain que les textes du ΧΙΙΓ siecle usent largement du vocabulaire du travail manuel - mots des families de labor et d'opus - pour qualifier l'activite intellec-

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Ad cujus [status perfectionis] adeptionem, quatuor sunt necessaria: lectio, meditatio, oratio, contemplatio. His enim quatuor modis animae spirituales docentur a Deo. Haec est doctrina ciaustralium; Gilberto di Tournai, De modo addiscendi (note 11), p. 265. Tel que l'ivoque par exemple Boece de Dacie dans son De summo bono: Summum autem bonum quod est homini possibile secundum potentiam intellectus speculativam est cognitio veri et delectatio in eodem. Nam cognitio veri delectabilis est. Intellectum enim delectat intelligentem, et quanto intellectum magis fuerit mirabile et magis nobile, et quanto intellectus comprehendens fuerit maioris virtutis in comprehendo perfecte, tanto delectatio intellectualis est maior. Et qui gustavit talem delectationem spernit omnem minorem ut sensibilem, quae in veritate minor est et vilior; Boethii Daci opera, vol. VI/II, Opuscula, ed. Green-Pedersen, Niels Jorgen (Corpus philosophorum Danicorum Medii Λνΐ, 6/j), Copenhague 1976, p. 370, 1. 32-40. Texte edite in: Agrimi, Jole et Crisciani, Chiara, Edocere medicos. Medicina scolastica nei secoli XIII-XV, Naples 1988, p. 257-261, p. 260.

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tuelle des maitres et des etudiants.* λ ce travail intellectuel, les institutions universitäres, dont les similitudes avec Celles du monde des metiers urbains ont ete depuis longtemps soulignees, donnaient des cadres precis et relativement uniformes, malgre des possibilites de dispense et de multiples dysfonctionnements qui iront en augmentant vers la fin du M o y e n Age. Les statuts, nous l'avons dit, fixaient en detail les programmes ä etudier, ils fixaient aussi minutieusement l'horaire des journees, le calendrier de l'annee scolaire, la duree totale des etudes, les divers types d'exercices auxquels chacun devait participer, les modalites d'examen enfin qui combinaient verification du travail d e j i accompli et epreuves orales complementaires. 17 Si ces statuts etaient convenablement respectes, les obligations de travail des etudiants medievaux etaient incontestablement lourdes malgre les vacances d'ete et les nombreux jours non legibiles, d'autant que la pratique du travail personnel, en sus des cours et disputes publiques, etait vivement recommandee. C'etait done d'un travail assidu et regulier que les statuts semblaient faire dependre au premier chef les progres des etudiants et leur reussite finale. Les traites pedagogiques du Χ Ι Ι Γ siecle rendent cependant un son un peu different lorsqu'ils s'interrogent sur la docilitas (ou docibilitas) des etudiants. La necessite du travail n'est certes pas meconnue. L'etudiant negligent ou discolus est severement condamne, l'assiduite, la docilite aux conseils du maitre recommandees. Mais l'accent est largement mis sur les facteurs naturels ou externes qui peuvent fonder de bonnes dispositions ä l'etude et permettre des progres rapides et reguliere. Les donnees materielles de lieu, de temps, de climat meme ne sont pas ä negliger. La complexion de chacun, entretenue par une alimentation appropriee, est egalement prise en compte, les sanguins etant generalement ceux qui beneficient du prejuge le plus favorable. 2 " Bref, la notion d'une certaine aptitude (aptus, idoneus) ou inaptitude (durus) innee au travail

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Voir quelques textes citis ä ce propos in: Verger, Jacques, Des ecoles ä l'universite: la mutation institutionnelle, in: La France de Philippe Auguste. Le temps des mutations, ed. par Bautier, Robert-Henri (Colloques internationaux du C N R S , 602), Paris 1982, p. 817-845, p. 836, note 77. Voir supra note 15. L'importance de la complexion pour la reussite des etudes est soulignee aussi bien dans le De disciplina scolarium, 4, 1-6; Pseudo-Boice, De disciplina scolarium, ed. par Weijers, Olga (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, 9), Leiden/Cologne 1976, p. 108-109 1 u e dans l'Yconomica, III, 1, 7 de Conrad de Megenberg (Konrad von Megenberg Werke. Ökonomik, Buch III), hg. v. Krüger, Sabine (MGH. Staatsschriften des späteren Mittelalters, III, 5/3), Stuttgart 1984, P· 35-37)·

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intellectuel semble etre le fondement de la sufficientia ou de Γinsufficientia du disciple, que le maitre doit etre capable de discerner rapidement afin de pouvoir ^carter ceux en qui il n'y a pas d' "espoir" de les voir parvenir a de bons resultats. Et nos textes n'envisagent guere de moyens de corriger, füt-ce par le travail, ces inegalites naturelles. L'autre point qui ressort avec insistance de la litterature pedagogique est l'importance de la disposition generale d'esprit de celui qui etudie, de son attitude morale, de sa bonne volonte ä se mettre dans les meilleures conditions pour reussir ses etudes. Gilbert de Tournai, par exemple, enumere longuement parmi les donnees qui conditionnent la bonne marche des etudes (pertinentia ad statum profectus etprogressionis), celles qui en constituent en quelque sorte des prealables {antecedentia), celles qui doivent les accompagner (concomitantia), celles qui pourraient les perturber de l'exterieur (extranea), celles enfin qui doivent en consacrer l'heureux achevement (consequentia) — et nous retrouvons ici cet acces au bonheur et ä la vertu signals plus haut.*9 Moins detailles, la plupart des autres traites reprennent cette idee que les etudes ne peuvent etre menees avec succes que si l'eleve se trouve dans les dispositions morales adequates; les sages de l'Antiquite, notamment Sineque, sont ici volontiers invoques, mais il est clair que c'est aussi la reference chretienne et meme, plus precisement, monastique au bon disciple — humilite, pauvrete, obeissance, amour du Christ — qui commande ce modele psychologique. On peut evidemment se demander — et Hugues de Saint-Victor en etait deji conscient dans son Didascalicon, III, 3'° — si tel etait bien l'etat d'esprit des jeunes etudiants et s'il n'aurait pas ete plus raisonnable de faire une certaine place, sinon ä l'ambition sociale, du moins au goüt du savoir et ä l'attrait de l'inconnu. Bien des textes medievaux rappelaient d'ailleurs la fameuse phrase par laquelle s'ouvre la Mitaphysique d'Aristote: "Tous les hommes desirent naturellement savoir". N'etait-ce pas lä le moteur essentiel, quoique meconnu par beaucoup, du progres intellectuel? Ajoutons d'ailleurs qu'aux vertus de l'eleve devaient repondre symetriquement celles du maitre. Comme le note le dominicain Guillaume de Tournai au

29 Ce schema qui commande toute la suite du De modo addiscendi, est annonce au debut de la troisi£me partie: primo tangamus antecedentia, secundo comitantia, tertio consequentia, quarto extranea sive contraria. Antecedentia enim voco quae animum discipuli ad addiscendum disponunt, comitantia quae dispositum perficiunt, consequentia quae perfectum ostendunt, extranea quae impediunt; Gilberto di Tournai, De modo addiscendi (note 11), p. 105. 30 Scholastici autem nostri aut nolunt aut nesciunt modum congruum in discendo servare, et idcirco multos studentes, paucos sapientes invenimus; in: Patrologie latin, 176, col. 768.

Jacques Verger

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chapitre 15 de son De instructione puerorum (avant 1264), le mauvais maitre, soucieux seulement d'argent, ne peut pas faire faire de progres ä son eleve.'1 Un dernier point est a envisager. Ces progres dans I'ordre intellectuel etaientils verifiables, mesurables? Et qui pouvait s'en porter juge? La reponse semble evidente: les maitres. C'est, on le sait, une des principales originalites des universites medievales que d'avoir rapidement mis au point un systeme d'examens — aboutissant ä la collation de grades - con^u pour garantir aux etudiants un maximum de justice et d'impartialite. Les exigences imposees aux candidats etaient precisement fixees par les Statuts, la nature et le deroulement des epreuves Etaient codifies de maniere presque maniaque: tirage au sort des textes ä commenter, nombre d'objections pouvant etre opposees au candidat, etc.11 Les examens se passaient devant des jurys de maitres assermentes, deliberant secretement, ce qui devait mettre le candidat ä l'abri de tout arbitraire, en particulier de celui du chancelier. Les examens des universites medievales gardaient cependant un caractere fortement personnalise puisque, aussi bien avant l'examen que pendant et apres, il revenait au maitre presentans de preparer, presenter, accompagner et enfin couronner lui-meme son disciple." Autant dire qu'un grand role lui revenait certainement dans revaluation prealable des capacites et de l'idoneite de celui-ci. Refuser un candidat düment presente par un maitre eut ete faire affront ä celui-ci autant qu'a celui-lä, et les jurys d'examen devaient rarement prendre cette responsabilite. Mais ä l'inverse, presenter un candidat notoirement indigne eut ete, pour le maitre presentans, s'exposer imprudemment a une humiliante rebuffade. Dans ces conditions, les diplomes venaient done avant tout sanctionner le niveau atteint par le candidat - sa sufficientia - et l'autoriser ä enseigner ä son tour; le disciple etait alors devenu maitre. Nous retrouvons ici les deux sens de proficere·. apres avoir fait les progres suffisants, on pouvait se rendre utile aux autres en enseignant.

31

Texte edite in: Corbett, James Α., T h e D e Instructione Puerorum of William of Tournai o. p. (Texts and Studies in the History of Mediaeval Education, III), Notre D a m e Indiana 1955, p. 27-28.

32

U n exemple particulierement typique du caractere tres minutieux des dispositions statutaires relatives aux examens dans les universites medievales est donne in: I piü antichi statuti della Facoltk teologica dell'Universiti di Bologna, pubbl. da Ehrle, Francesco, Contributo alia storia della scolastica (Universitatis Bononiensis M o n u menta, I), Bologne 1932, spic. les chap. 4 a 6 (p. 1 6 - 2 3 )

et 10

statuts. 33

C f . l'article cite supra de Verger, Examen privatum (note 15).

ä 14 (p. 34-46) de ces

Spes proficiendi

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Le risque etait evidemment que, de simple certificat d'aptitude, le diplöme se transformät en dignite personnelle, voire en honneur et meme finalement en statue social permanent, vis-ä-vis duquel le contenu et la valeur de la formation re5ue ne comptaient plus guere. C'est bien ce qui s'est, dans une large mesure, produit aux derniers siedes du Moyen Age,M mais il y a eu aussi, plus interessantes pour notre propos, des mises en garde, visant ä la defense de la valeur proprement intellectuelle des grades. Je ne citerai qu'un texte, la question 4, art. 1 du quodlibet III de saint Thomas d'Aquin: "Peut-on demander pour soi-meme la licence en theologie?"" Peu importe ici que cette question ait sans doute ete suscitee par les tensions entre maitres seculiers et mendiants et par le developpement, au profit de ces derniers, des licences et doctorats conferes par mandement pontifical. Les arguments de saint Thomas n'en sont pas moins interessants pour notre propos; bien sür, concedait-il, il valait mieux, le plus souvent, faire presenter la demande par un tiers, mais on pouvait, en certains cas, s'adresser soi-meme ä l'autorite competente. En effet, la licence n'etait pas une dignite (eminentia), mais une automation (auctoritas docendi, opportunity communicandi scientiam quam prim non habebat)*, un aveu, une juste sanction: la reconnaissance du röle social du nouveau docteur - nous en avons dejä parle - , mais aussi la reconnaissance de la "perfection" ä laquelle, ä Tissue de ses etudes, il etait parvenu. Cette perfection n'etait pas conferee de l'exterieur comme l'auraient ete une dignite, un pouvoir, une prelature par exemple, eile etait intrinseque, perfectio hominis secundum se ipsumΓ C'etait ce qui autorisait eventuellement ä etre de soi-meme candidal ä la licence, puisque ce n'etait que demander la sanction d'un etat de fait, la reconnaissance publique d'une reussite dont on pouvait legitimement etre fier. Mais, dira-t-on, n'y avait-il pas de risque d'erreur? Le candidat n'allait-il pas s'illusionner sur ses capacites? La reponse de saint Thomas est lapidaire et assez surprenante: dans le cas d'une dignite, d'un pouvoir, on pourrait en effet se tromper sur les capacites, le devouement du candidat, mais dans le cas du savoir, on pouvait en avoir la certitude: Potest aliquis scire per certitudinem se habere [scientiam]* Saint Thomas n'en dit pas plus. D'oü viendrait cette certitude?

34

Evolution soulignee in: Verger, Jacques, Prosopographie et cursus universitaire, in: Medieval Lives and the Historian. Studies in Medieval Prosopography, ed. by Bulst, Neithard and Genet, Jean-Philippe, Kalamazoo 1986, p. 313-332.

35

Sancti Thome de Aquino opera omnia, t. 25, Quaestiones de quolibet, vol. 2, Rome/Paris 1996, p. 251-253.

36

Ibid., p. 252,1. 47-50.

37 38

Ibid., p. 252,1. 55-56. Ibid., p. 253,1. 96-97.

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Jacques Verger

D'une sorte d'intuition du candidat lui-meme? D'une evidence interieure de la perfection harmonieuse de son savoir - l'idee sentirait un peu Γ "averroi'sme", surtout dans un texte de 1270 environ? D'une verification par des criteres objectifs, ceux des programmes universitaires? Du consensus notoire des pairs, ä defaut d'un veritable examen? Aucune de ces hypotheses n'est explicitee. Quoi qu'il en soit, cette assurance, qui fonde de maniere absolue la legitimite du docteur et la place meme au-dessus de celle du prelat, montre ä quel point, dans la perspective intellectualiste qui etait celle de saint Thomas, confiance etait faite au travail intellectuel - mene selon les regies, naturellement - pour hisser l'homme ä un niveau superieur, celui d'une perfectio hominis secundum se ipsum. *

*

*

Les quelques observations et references disparates reunies ci-dessus n'autorisent qu'une conclusion mitigee. D'une part, il ne semble guere discutable, malgre la quasi-absence, apres 1200, d'ecrits autobiographiques emanes de gens de savoir, que, au moins pour une etroite minorite masculine de la population, les etudes ont ete au Moyen Age tout ^ la fois instrument de promotion sociale et instrument d'epanouissement personnel. Guere discutable non plus que les hommes ainsi formes, de plus en plus nombreux aux derniers siedes du Moyen Age, ont ete porteurs de veritables changements, au moins dans les domaines culturels, religieux et politiques. Et il parait egalement vraisemblable que ces phenomenes n'ont pu se produire qu'autant qu'ils etaient portes, chez les interesses eux-memes, par l'ambition sans doute, inlassablement et vainement denoncee depuis saint Bernard, mais aussi par le goüt du travail, l'acceptation de l'effort et le sentiment que celui-ci pouvait etre payant. Mais a 1'oppose, il faut reconnaitre que le risque etait aussi grand de s'en tenir ä une conception purement cumulative du savoir, ä l'illusion que maitriser la totalite des connaissances accessibles ä l'homme etait en definitive le meilleur moyen de se premunir contre les nouveautes. Ce que saint Thomas appelait la "louable perfection du docteur" devenait alors orgueil de caste et la responsabilite des maitres tendait 4 ne plus etre que celle de la defense de l'ordre etabli, au mieux de la reforme bien temperee, ä la maniere d'un Gerson."

39

Voir sur ce th£me les textes de Gerson commentes in: Le GofF, Jacques, Quelle conscience l'Universite mddiivale a-t-elle eue d'elle-meme?, texte de 1964 reimpr. in: Le GofF, Jacques, Pour un autre Moyen Age. Temps, travail et culture en Occident: 18 essais, Paris 1977, p. 181-197, p. 194-197.

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La perfection du docteur medieval pouvait-elle cependant receler une faille critique, son sens meme du progres, lorsqu'il l'avait, pouvait-il laisser une place au doute ou au moins a l'humour spirituel? Ceci est un autre histoire.

Teil IV

Gesellschaft, Politik und Kirche Societe, politique et eglise

Gesetze finden - Gesetze erfinden Hans-Joachim Schmidt

i. Finden von Gesetzen Können neue Gesetze das Zusammenleben der Menschen verbessern? Kann Gesetzgebung Fortschritt einleiten, befördern oder bewirken? Ist das Recht Ergebnis einer zunehmenden Perfektion? Kann es humane Potentiale gesteigert zur Entfaltung bringen? Diese Fragen in Bezug auf das Mittelalter zu stellen, erscheint müßig, gilt doch diese Epoche als traditionsverhaftet und als innovationsfeindlich. 1 U n d diese Urteile sind nicht unbegründet. Die Aussage im Dekret Gratians, daß es vermessen, lächerlich und verabscheuenswürdig sei, Gesetze und Verfahren, die aus alten Zeiten von den Vätern übernommen worden seien, antasten zu wollen, 1 stand nicht allein und ordnete sich in ein Denken ein, das N o r m e n an Normalität band und diese in beständigen, dem Wandel entzogenen Traditionen verhaftet sah. Johannes von Salisbury verknüpfte die Geltung von Gesetzen mit der göttlichen Einsetzung. Der Herrscher müsse ihnen dienen, können aber nicht über sie verfügen, geschweige denn sie ändern. N u r der T y rann unterwerfe die Gesetze seinem Willen. D a die Gesetze über dem Herrscher stehen, waren sie der Disposition politischen Handelns entzogen.' Gewohnheit begründete Recht. Sie war nur schwer in ihrer W i r k u n g außer Kraft zu setzen am ehesten noch mit religiösen Begründungen, die aber selbst wiederum der

ι

Goetz, Hans-Werner, Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung, Darmstadt 1999, S. 7, 47-54; Miethke, Jürgen, Schreiner, Klaus, Innenansichten einer sich wandelnden Gesellschaft. Vorbemerkungen zur Fragestellung und zu Ergebnissen von zwei Tagungen über Wahrnehmung sozialen Wandels im Mittelalter, in: Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, hg. v. dens., Sigmaringen 1994, S. 9-28.

2 3

Corpus iuris canonici, hg. v. Friedberg, Emil, 2 Bde., Leipzig 1879, vol. 1, Sp. 1-5. Johannes von Salisbury, Policraticus, hg. v. Keats-Rohan, K. S. B. (CChrCM 118), Turnhout 1993, S. 229.

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Hans-Joachim Schmidt

Tradition verbunden waren und den Kern eines Unveränderlichen bewahrten. Gleichwohl war damit ein Korrektiv vorhanden, das der Gewohnheit die Rationalität des Guten und Nützlichen entgegenstellen konnte und damit ein kritisches Potential bereitstellte, um das Bestehende zu überprüfen und in ein Neues umzuwandeln, das sich als Besseres ausgeben mußte, um legitimiert zu sein. Neues Recht war dann mehr als „Willkür", es war gerechtfertigt als vereinbartes, eidlich begründetes Recht, das sich aber als neue consuetude ausgab, die selbst wiederum Altehrwürdigkeit beanspruchte, aber dem Sinne eines semper reformanda nicht verschlossen sein mußte. Insofern über das Recht reflektiert wurde, war es der Kritik ausgesetzt. Verbesserungen, Veränderungen und Neuschöpfungen konnten als Ergebnis eines Nachdenkens ausgegeben werden, welches das Bestehende in Frage stellte. Es öffnete sich somit eine Bresche in eine Mauer des schier Unumstößlichen; die Lücke öffnete einen Weg, um Neuerungen zu begründen und sie als Verbesserungen vorzustellen. Inwieweit über solche Möglichkeiten nachgedacht und von ihnen Gebrauch gemacht wurden, will ich im Folgenden zu untersuchen versuchen. Legislative Akte und Überlegungen über sie sollen daraufhin untersucht werden, ob und inwieweit Gesetzgebung als ein Prozeß der Vervollkommnung begriffen wurde und damit Innovationen freigesetzt werden konnten, was unter Umständen gar einen Fortschritt implizierte, der durch Gesetze erreichbar war/ Gesetze machen bedeutet, Recht zu definieren. Eine creatio ex nihilo war indes im Mittelalter nur schwer vorstellbar. Die Modellierung eines Vorbildes oder die Reaktivierung eines einst Bestehenden waren geeignet, Recht fortzuentwickeln, die Schaffung neuen Rechts aber zugleich zu negieren und es damit paradoxerweise überhaupt erst zu legitimieren. Gesetze waren daher genauso auf Gründungsmythen angewiesen wie so viele andere mittelalterliche Institutionen: Städte, Völker, religiöse Orden.' Recht wäre damit ein apriorisch Unvorgreifliches und durch Rechtshandlungen stets neu zu Realisierendes, aber nichts, das der Innovation bedürfte und nichts, das grundsätzlich verbessert werden könnte.

4

5

Weitzel, Jürgen, Der Grund des Rechts in Gewohnheit und Herkommen, in: Die Begründung des Rechts als historisches Problem, hg. v. Willoweit, Dietmar (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 45), München 2000, S. 137-152; Musson, Anthony, Medieval Law in Context. The Growth of Legal Consciousness from Magna Carta to the Peasants' Revolt, Manchester 2001, S. 37-44. Elm, Kaspar, Elias, Paulus von Theben und Augustinus als Ordensgründer. Ein Beitrag zur Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung der Eremiten- und Bettelorden des 13. Jahrhunderts, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. v. Patze, Hans (Vorträge und Forschungen 31) Sigmaringen 1987, S. 371-397·

Gesetzefinden- Gesetze erfinden

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Gesetze wären danach zu finden, nicht zu erfinden. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Nachdem das christliche Kreuzfahrerheer 1099 die Stadt Jerusalem erobert und nachdem das gleichnamige Königreich errichtet worden war, erteilte der erste Herrscher, Gottfried, den Auftrag, ein Gesetzbuch zu erlassen und hierfür nach Vorbildern in anderen christlichen Königreichen der Heimat zu suchen. Weise Männer wurden also ausgesandt, um verschiedene Länder zu bereisen, die dort geltenden Gewohnheiten zu erforschen, darüber schriftliche Berichte anzufertigen und sie dem König, dem Patriarchen und den adligen Ratgebern vorzulesen. Daraufhin wurde aus dem Vorgetragenen das, was den Versammelten gut erschien, ausgewählt, gesammelt und in Schriftform gebracht und auf diese Weise ein Werk geschaffen, das allen Bewohnern des Königreiches Pflichten und Rechte vorgab. Soweit der Bericht, den Jean d'Ibelin in den sechziger Jahren des 13. Jahrhunderts - also eineinhalb Jahrhunderte nach den berichteten Ereignissen - im ersten Kapitel seines Buches zu den Assisen von Jerusalem vorstellte. Zweierlei ist an seiner Darstellung bemerkenswert: erstens die Schaffung des Rechts in einer bereits fernen Vergangenheit, unmittelbar in der Phase der Gründung durch den ersten Herrscher des Königreiches selbst, zweitens die inhaltliche Begründung des Rechts, das als Sammlung des Besten, was zusammengetragen werden konnte, vorgestellt wurde. Beide Momente verleugnen einen gewollten und geplanten Akt der Gesetzgebung, suchen ihn vielmehr als Resultat einer Kompilation vorzustellen, in der dem Finden, nicht aber dem Erfinden die entscheidende Bedeutung zukam. Selbst in der Entstehungsphase des neuen Königreiches war man auf Traditionen angewiesen.7 Suche, inquisitio, „enquete" und Befragung rechtskundiger Personen standen am Anfang einer Gesetzgebung, die sich nicht dem Verdikt einer Neuerung aussetzen wollte oder konnte und Wert darauf legte, an Bestehendes anzuknüpfen, obwohl sie Voraussetzung für Neuerungen darstellte, die es indes zu legitimieren galt.8 Das Constitutum usus der Stadt Pisa, im Jahre 1160 angefertigt, erklärt im Prolog, daß wegen abweichender Auffassungen zu verschiedenen Zeiten Rechtsfälle unterschiedlich entschieden worden seien. Deshalb habe die Stadtgemeinde

6 7 8

Assises de Jerusalem, t. 1: Assises de la Haute Cour, ed. Beugnot, M. (Recueil des historiens de la croisade 5/1), Paris 1891, S. 2iff. Prawer, Joshua, Histoire du royaume de Jerusalem, 1.1, Paris 1969, S. 461-536. Bühler, Theodor, Gewohnheitsrecht - Enquete - Kodifikation (Rechtsquellenlehre), Zürich 1977, S. 54; Wolf, Arnim, Gesetzgebung und Kodifikationen, in: Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhunden, hg. v. Weimar, Peter (Zürcher Hochschulforum 2), Zürich 1981, S. 143-171, S. 153f.

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beschlossen, Rechtsexperten - sapientes - mit der Sammlung bisheriger Gewohnheiten, aber auch mit der Korrektur des Bestehenden zu beauftragen, die als Ergebnis ihrer Arbeit ein Gesetzbuch verfaßten, wodurch das Recht verschriftlicht und so für alle Zeugen gleich geworden sei.' Auch hier gilt in ähnlicher Weise die Abfolge von vorhandenem Recht, seiner Sammlung, von Verbesserung und von schriftlicher Fixierung. Zwischen Bindung an Tradition und Freisetzung von Innovation tat sich in dem Moment ein Gegensatz auf, als die Schriftform von Gesetzen über die Behandlung konkreter Einzelfälle hinaus zu prinzipieller Festlegung aufforderte. Es entstand damit das Problem, wie unabhängig von Raum und Zeit Gleichheit in der Behandlung rechtlicher Fragen ermöglicht werden könne, wie aber ebenso unterschiedliche Bedingungen des Rechtsfalles zu berücksichtigen seien. Die Starrheit des Rechts durch seine Verschriftlichung war gewollt; sie provozierte indes Fragen nach den Möglichkeiten von Veränderungen und Verbesserungen. Durch Erforschung von bestehenden Gesetzen und Expertengutachten ließ sich der Gegensatz nur scheinbar auflösen. Er brach vielmehr stets dann aus, wenn Gesetzgebung mehr zu sein beanspruchte als die Erarbeitung eines neuen Textes zur Sicherung alter Normen, wenn also Gesetze intellektuell reflektiert wurden als Ergebnis der Optimierung sozialer Ordnung. Die Unterscheidung - bei Isidor von Sevilla bereits grundgelegt und u.a. im Dekret Gratians um 1140 übernommen — zwischen von Gott eingerichteten leges naturae und den leges humanae bot die Möglichkeit, über die Rechtsordnung wenigstens partiell zu verfugen. Sie implizierte aber damit keineswegs eine Verbesserung der Rechtsordnung, sondern bedeutete vielmehr mit der Antinomie von göttlich und menschlich eine Hierarchie der Werte, die die veränderbaren und veränderlichen Gesetze dem Verdacht aussetzte, sich von einem ursprünglichen Ideal zu entfernen.'0 Durchaus ließ sich eine Verschlechterung behaupten: Einer der frühen Kommentatoren des römischen Rechts, Rogerius, erachtete das ius civilis als Abweichung vom ius naturale und damit als verderbt." Guillaume de Conches hat um das Jahr 1125 Gesetze als inventiones des Menschen bezeichnet und damit die Gefahr benannt, Verschlechterungen einzuführen, andererseits aber auch die Hoffnung ausgedrückt, Verbesserungen zu errei-

9 10 11

Statuti inediti della cittä di Pisa dal XII al X I V secolo, hg. v. Bonaini, Francesco, vol. 2, Florenz 1870, S. 813-1026, S. 814. Corpus iuris canonici (Anm. 2), Sp. 1-7. Kantorowicz, Hermann, Buckland, William Warwick, Studies in the Glossators of the Roman Law, Ndr. Aalen 1969, S. 277.

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chen.'2 In die Ambivalenz von negativen und positiven Urteilen war das Machen von Gesetzen eingebettet. Es war eine Tätigkeit, die den artes angehörte, und so wie bei ihnen ließ sich ein Streben nach Perfektion rechtfertigen, das nur durch Veränderung, aktives Handeln, Infragestellung des Bestehenden und Handhabung einer formbaren Substanz erreicht werden konnte. Inwieweit von diesen intellektuellen Angeboten Gebrauch gemacht wurde, gilt es zu untersuchen.

2. Gesetze machen Der Frage nach der Bewertung von Gesetzgebung liegt eine Prämisse zugrunde, die in der heutigen rechtsgeschichtlichen Forschung als gesichert angesehen werden kann, gleichwohl aber einer Klarstellung bedarf. Gegenüber einer älteren Auffassung — prononziert von Fritz Kern vertreten'' —, die annahm, es hätte keine Gesetzgebung im Mittelalter gegeben und sie als Errungenschaft der Neuzeit ausgab, ist eine seit dem 12. und dann vor allem im 13. Jahrhundert anschwellende Woge legislatorischer Akte zu konstatieren, so daß dem rex justificator der rex legislator zur Seite zu stellen ist, was analog auch für andere Personen und Institutionen gilt, die Quellen rechtlicher Legitimität darstellten, also Papst, Fürst, Stadtgemeinde. Die Fülle von Kodifikationen hier zu nennen, würde zu weit führen, genannt seien nur stellvertretend der Liber Extra und der Liber sextus im kirchlichen Bereich, die Konstitutionen von Melfi von Kaiser Friedrich II., die Siete Partidas Alfons' X. im Königreich Kastilien, die zahlreichen städtischen Statuten insbesondere in Italien. Eine große Zahl von Texten nahm in Anspruch, mehr zu sein als eine Sammlung des herkömmlichen Rechts, vielmehr novae constitutiones, nova iura, nova lex oder nova sanctio zu sein.'4

12

De scriptoribus ecclesiasticis, in: PL 172, S. 197-252, S. 245ff. Der Text ist fälschlicherweise Honorius Augustudonensis zugeschrieben.

13

„Man findet, daß das Mittelalter gar keine eigentliche staatliche Gesetzgebung kennt." „Ganze Jahrhunderte kommen aus ohne die leisesten Ansätze einer Gesetzgebungs- oder Verordnungstätigkeit in unserem Sinne." „Das mittelalterliche Recht ist altes und es ist gutes Recht. Es kennt nicht die Termine der Setzung und der Außerkraftsetzung." Fritz Kern, Recht und Verfassung, Basel 1954, S. 48, 76,108, in, 124.

14

Krause, Hermann, Dauer und Vergänglichkeit im mittelalterlichen Recht, in: Z R G , G A , 75 (1958), S. 206-251, S. 207ff.; Gagner, Sten, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, Stockholm u.a. i960, S. 57ff., H9ff.; Wolf, Armin, Die Gesetzgebung der entstehenden Territorialstaaten, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1: Mittelalter (1100-1500), hg. v. Coing, Helmut, München 1973, S. 517-800, S. 517-524, 55off., 590; Krause, Hermann, Gesetzgebung, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd.

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Der Gesetzgeber war fons iuris. Auch der Papst besaß die Macht, Gesetze zu kreieren, bestehende zu ändern und veraltete abzuschaffen. Dies waren die Aussagen Papst Gregors IX., als er die novae constitutiones 1234 in Kraft setzte.'5 Selbstverständlich gab es auch schon vor dem hohen Mittelalter die Setzung neuen Rechts - keineswegs immer nur durch Gesetzgebung - , aber eine neue Dynamik entfaltete sich in dem Moment, als die Schaffung neuen Rechts zur Perfektionierung bestehender Ordnung eingesetzt wurde. Das Recht wurde somit nicht nur anwendbare Norm, sondern Objekt von Gestaltung und Veränderung. Es war damit in die Verfügung menschlicher Handlung gegeben und aus der Bindung an numinose Einsetzung zumindest teilweise herausgelöst. Recht wäre danach nicht allein von Tradition vorgegeben, sondern in einen argumentativen Diskurs eingebunden, dem Kriterien der Nützlichkeit zugrundelagen.'7 Damit war überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, nach der Entstehung und der Berechtigung von Gesetzen zu fragen und sie als Ergebnis historischer Abläufe zu deuten, sie an Zielvorgaben zu messen und ihnen sogar ein Schema fortschreitender Perfektionierung aufzuprägen. Die schriftliche Fixierung von Recht bedeutete eine Fixierung auch des Rechtsinhaltes. Die Möglichkeit unmerklicher Anpassungen an geänderte Umstände war versperrt, um so wichtiger waren Begründungen und Rechtfertigungen für die Abweichung vom Früheren und Bestehenden. Fünf Deutungsmodelle, die aus den mittelalterlichen Texten gewonnen werden können, liegen den folgenden Überlegungen zugrunde: das Plenipotenzmodell, das Negationsmodell, das Dekadenzmodell, das Variationsmodell und schließlich das Progressionsmodell.

3. Gesetze promulgieren aus Machtvollkommenheit Zum ersten, zum Plenipotenzmodell: Es beruhte auf der Vorstellung, daß das Recht machbar war, daß es von legitimen, mit Macht ausgestatteten Personen und Institutionen geschaffen, erfunden und geändert werden könne und daß die

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1, Berlin 1971, Sp. 1606-1620; Fried, Johannes, Überlegungen zum Problem von Gesetzgebung und Institutionalisierung im Mittelalter, in: Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde, hg. v. Melville, Gert (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 1), Köln u.a. 1992, S. 133-136. Corpus iuris canonci (Anm. 2), II, Sp. 7-16. Sprandel, Rolf, Über das Problem neuen Rechts im früheren Mittelalter, in: ZRG KA 79 (1962), S. 117-137. Otte, Gerhard, Die Rechtswissenschaft, in: Renaissance (Anm. 8), S. 123-139, S. 130.

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bisherige rechtliche Gewohnheit nicht unumstößlich sei. Es übernahm eine zuerst von Papst Innozenz III. seit der Wende zum 13. Jahrhundert formulierte, aber schon zuvor beanspruchte plenitude potestatis, die auch als Macht, neues Recht zu kreieren, verstanden wurde und auch Kaiser und Könige reklamierten. Die Möglichkeit, Neues zu schaffen, war eröffnet und an die Bedingung legitimer Kompetenz geknüpft. Die Rezeption des antiken römischen Rechts, das Kaiserrecht war, förderte entscheidend diesen Gedanken. Durch die aus der Lex regia abgeleitete Gesetzgebungsbefugnis des Kaisers brach sich die Vorstellung Bahn, daß die Schaffung neuen Rechts möglich und in der Person des Monarchen auch die dafür zuständige Instanz vorgegeben sei. Ausdrücklich war der Wille — quodprincipi placuit — als Grund für die Geltung neuen Rechts vorgegeben und damit die Anbindung an die Tradition hinfällig, zumindest abgewertet. Der Herrscher als conditor legum war anerkannt. Bindung an Vorgaben entfiel.'9 Die Päpste bedienten sich der ihnen angetragenen und von ihnen reklamierten Kompetenz. Bereits der dictatuspapae Papst Gregors VII. sah die Macht, Gesetze zu erlassen, als jedem römischen Bischof zustehendes Recht an. Es dauerte indes noch Jahrzehnte, bis die von Gregor verfaßten Sätze Bestandteile des kanonischen Rechts wurden und von Kanonisten rezipiert wurden.10 Und auch dann war in der kanonistischen Diskussion des 12. und 13. Jahrhunderts die Frage zu beantworten, ob das gesamte Recht in der Disposition des Papstes stehe. Ivo von Chartres verneinte dies. Er stellte die lex aetema den prohibitiones mobiles gegenüber, und nur letztere dürften von Bischöfen und Konzilien geschaffen und geändert werden. Diese Auffassung setzte sich durch. Im Dekret Gratians war der Grundsatz festgehalten, daß der römische Bischof immer neue Gesetze schaffen könne - aber nur hinsichtlich der Materien, zu denen biblische Texte und die alten Statuten nichts bereits festgelegt hatten, denn durch die unbeschädigten Wurzeln belebe die antiquitas die Gegenwart. Am Ende des 12. Jahrhunderts

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Schmidt, Hans-Joachim, Vollgewalt, Souveränität und Staat. Konzepte der Herrschaft von Kaiser Friedrich II., in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, hg. v. Heinig, Joachim Paul u.a. (Historische Forschungen 67), Berlin 2000, S. 21-51. 19 Corpus iuris civilis, vol. 1: Institutiones, hg. v. Krueger, Paulus, Berlin 1922, S. 35; vol. 2: Codex Iustiniani, hg. v. dems., Berlin 1922, S. 67-74. 20 Mordek, Hans, „Dictatus papae" e „proprie auctoritates apostolice sedis". In torno all'idea del primato pontificio di Gregorio VII, in: Rivista di storia della Chiesa in Italia 28 (1974), S. 13-45; Schieffer, Rudolf, Rechtstexte des Reformpapsttums und ihre zeitgenössische Resonanz, in: Überlieferung und Geltung normativer Texte des frühen und hohen Mittelalters, hrsg. v. Mordek, Hans (Quellen u. Forschungen zum Recht im Mittelalter 4), Sigmaringen 1986, S. 51-69.

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definierte Huguccio die Grenzen päpstlicher Gesetzgebungskompetenz. Alles, was das Seelenheil betreffe, und alles, was durch Gottes O f f e n b a r u n g vorherbestimmt sei, entziehe sich ihr. Er präzisierte: quod in evangelio et lege etprophetis. D e r Zeitgenosse Simon de Bisignano war einer der ersten Kanonisten, der den Päpsten ausdrücklich die Kompetenz zuwies, mit der Schaffung neuer Gesetze auch neues Recht zu schaffen, also materiell und nicht nur textuell Veränderungen zu begründen. In seiner S u m m e zum Dekret Gratians unterschied er ältere Rechtsschichten von neuen Gesetzen, die zu seiner Zeit die Päpste erlassen hätten, die gemäß ihrem Willen handelten und so novalia s c h ü f e n . " D i e Interpretation des römischen Rechts kam zu analogen Ergebnissen. Der bedeutendste Glossator des 13. Jahrhunderts, Franciscus Accursius, stellte die Gesetze, sofern sie nicht unmittelbar auf göttlicher Setzung beruhten, als Ergebnisse herrscherlicher Gestaltung dar, so daß wegen der Verschiedenheit der Herrscher unter den Völkern verschiedene Gesetze bestünden. 1 ' Weltliche Herrscher nützen die Möglichkeiten des römischen Rechts, Gesetze zu promulgieren. Erstmals Kaiser Friedrich I. reklamierte das ihm offerierte Recht und legitimierte damit die Konstitutionen von

Roncaglia. 14 Kommentatoren

des

römischen

Rechts hielten diese kaiserliche Prärogative in Erinnerung, Könige beanspruchten sie gleichfalls, so daß damit ein Einfallstor aufgestoßen war, rechtliche N o r m zu modellieren. 1 ' D i e Konstitutionen von M e l f i für das Königreich Sizilien, im Jahre 1231 erlassen, zeigen die kaiserliche Machtvoll-kommenheit, der es zustehe, alte Gesetze zu ändern. Der Prolog vermerkt ausdrücklich, daß es

antiquitatis

Leges gebe — also veraltete Gesetze, die, sofern sie den neuen entgegenstünden, aufgehoben seien. D i e bereits früher geltenden Bestimmungen besäßen einzig dann Rechtskraft, w e n n sie in den neuen corpus der Konstitutionen aufgenommen würden.' 6 D i e Entwicklung im kirchlichen und weltlichen Recht verlief

21

C o r p u s iuris c a n o n i c i ( A n m . 2), I, S p . i o o 8 f . ; H u g u c c i o , S u m m a , M s . A d m o n t 7, ad C 25 q . 1 C7.

22 23

S i m o n d e B i s i g n a n o , S u m m a , S t a a t s b i b l i o t h e k B a m b e r g , C a n . 38, C 16, 46. F r a n c i s c u s A c c u r s i u s , G l o s s a in v o l u m e n ( C o r p u s g l o s s a t o r u m iuris civilis 11), h g . v. V i o r a , M a r i o , N d r . T u r i n 1969, fol.3r/v.

24

W o l f , G e s e t z g e b u n g ( A n m . 8), S. 528f.; A p p e l t , H e i n r i c h , F r i e d r i c h Barbarossa u n d das r ö m i s c h e R e c h t , in: F r i e d r i c h Barbarossa ( W e g e der F o r s c h u n g 390), D a r m s t a d t 1962, S . 58-82; H a v e r k a m p , A l f r e d , H e r r s c h a f t s f o r m e n d e r F r ü h s t a u f e r in R e i c h s i t a lien ( M o n o g r a p h i e n z u r G e s c h i c h t e des M i t t e l a l t e r s 1), 2 B d e . , S t u t t g a r t 1970/71.

25

C a n n i n g , J o s e p h , T h e Political T h o u g h t o f B a l d u s d e U b a l d i s ( C a m b r i d g e S t u d i e s in M e d i e v a l L i f e a n d T h o u g h t 4 1 6 ) , C a m b r i d g e u.a. 1987, S . 75.

26

D i e K o n s t i t u t i o n e n Friedrichs II. v o n H o h e n s t a u f e n f ü r sein K ö n i g r e i c h Sizilien, h g . v. C o n r a d , H e r m a n n , v o n d e r L i e c k - B u y k e n , T h e a , W a g n e r , W o l f g a n g , K ö l n / W i e n ,

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parallel: Kanonistik und Legistik im 12. und 13. Jahrhundert hoben die Bedeutung von Legislation hervor, die sich nicht in der Anwendung alten Rechts erschöpfte.17 Die Gesetzgebungskompetenz war zu Beginn des 13. Jahrhunderts in vielen Institutionen theoretisch grundgelegt und praktisch vollzogen; eine Dynamik war ausgelöst, die die Geltung von Recht mit legitimierter Legislation verknüpfte, also verfahrenstechnisch grundlegte, was zuvor traditionaler Bindung bedurfte. Damit war Gesetzgebung den Kriterien des Nutzens und seiner Vermehrung unterworfen. Das Argument trat an die Stelle von Tradition. Die Denkfigur des Bewährten und durch die bisherige Praxis hinreichend legitimierten war aber keineswegs außer Kraft gesetzt und prägte weiterhin die Vorstellungen. Neues Recht geschaffen, oktroyiert zu haben, ließ sich als Vorwurf gegen Gegner verwenden, denen damit nicht allein die Legitimität ihres Handelns, sondern auch ihrer herrscherlichen Position entzogen werden sollte. Papst Gregor IX. bestritt während des Kampfes gegen Kaiser Friedrich II. dessen Befugnis, ein neues Gesetzbuch zu promulgieren. Weder der kaiserliche Wille noch der Rat von Gefolgsleuten könnten neue Konstitutionen in Kraft setzen. Solche novitates seien gefährlich und verursachten unnötigen Skandal.14 Sicherlich war hier kein grundsätzliches Verbot von Gesetzgebung ausgesprochen worden, schließlich ließ sich das Verhalten Gregors, der ja bekanntlich den Uber Extra im Jahre 1234 offiziell als päpstlich autorisiertes Gesetzbuch durch die Ubersendung an die Universitäten Paris und Bologna promulgierte, als Vorbild interpretieren. Aber in polemischer Auseinandersetzung war das Argument Unrechter Neuerung dann doch abrufbar und ließ sich zur Diskreditierung des Gegners verwenden, vor allem dann, wenn die Gesetzgebung als Instrument zur Ausdehnung der eigenen Macht, wie es Gregor IX. ausdrücklich vorsah, nicht dem Gegner überlassen werden sollte.1' Und auch Friedrich II. war durchaus bereit, die Restauration und Bewahrung alten Rechts in Anspruch zu nehmen: approba-

S. 4, 20; Dilcher, Hermann, Die sizilische Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II.: Quellen der Constitutionen von Melfi und ihrer Novellen, Köln/Wien 1975; Stürner, Wolfgang, Friedrich II. Bd. 2. Der Kaiser, Darmstadt 2000, S. 250-253. 27 Mochi Onory, Sergio, Fonti canonistiche dell'idea moderna dello Stato (Imperium spirituale - iurisdictio divisa - sovranitä), Mailand 1951. 28 Acta imperii inedita seculi XIII et XIV. Urkunden und Briefe zur Geschichte des Kaiserreichs und des Königreichs Sizilien, 2 Bde., hg. v. Winkelmann, Eduard, Innsbruck 1880/85, H. S. 267, Nr. 3. 29 Corpus iuris canonici (Anm. 2), II, S. 2f.; Pennington, Kenneth, Gregory IX, Emperor Frederick II and the Constitutions of Melfi, in: Popes, Teachers and Canon Law in the Middle Ages. Festschrift for Brian Tierney, hg. v. Chadorow, Stanley, Sweeney, James Ross, Ithaca (N.Y.) 1989, S. 53-61.

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tae consuetudines gelte es zu schützen. Die Formulierung war indes typisch für die Gewährung von Privilegien, so in einer Urkunde vom April 1237 zugunsten der Lehnsleute des Herzogtums Österreich.'" Privilegien waren, um ihre Rechtskraft zu sichern, üblicherweise von dem jeweils neuen Herrscher zu bestätigen. Damit war aber eben kein neues Recht kreiert, im Gegenteil durch neu ausgestellte Urkunden galt es, das Bestehende zu sichern und den jeweils aktuellen Herrscher als Garanten einzusetzen.'' Veränderungen des Status von Privilegien, gar ihr Widerruf und selbstredend ihre Mißachtung wurden als Unrecht erachtet und provozierten Widerstand der in ihren Rechten sich verletzt sehenden Personen, Institutionen und Gemeinden. Die vom französischen König Ludwig IX. im Jahre 1262 eingesetzten Enquete-Kommissionen waren vor allem damit befaßt, die libertates antiquae wiederherzustellen und das jedem Zustehende am alten Zustand zu messen, den zu verändern verwerflich sei. Die consuetude antiquae zu schützen, auch gegenüber den Maßnahmen der königlichen Baillis und Senneschalle, war Aufgabe der Kommissare. Restitutio war der Leitgedanke ihres Wirkens." Daß das alte Recht das gute Recht sei, war keineswegs seit dem endenden 12. Jahrhundert, seitdem die Epoche der Kodifikationen einsetzte, obsolet. Für Richard Fitznigel, den Autor des Dialogus de Scaccario von ca. 1177, waren Neuerungen und Erfindungen nie nützlich, ja dem Nutzen diametral entgegengesetzt — im Recht und in den Gesetzen." Die Aussage zeigt, wie sehr Veränderbarkeit des Rechts und Erfindungen von Normen als Angriff auf das tradierte Recht interpretiert wurden. Den Grund für Neuerungen sah Richard weniger in den Maßnahmen der Herrscher als in der Beschäftigung mit der antiken Philosophie, mit Texten von Piaton und Aristoteles, deren Wirkung sich aber erst mehr als eine Generation später voll entfalten sollte, als sich der Corpus der verfügbaren Schriften durch Handschriften und Übersetzungen entscheidend erweiterte. Die Rechtsordnung, deren Basis die Tradition darstellte, war in der Tat bedroht. Freilich wurde sie nicht einfach durch Erfindung und Neuerung abge-

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Historia Diplomatica Friderici Secundi, hg. v. Huillard-Breholles, Alphonse, 6 Bde., Paris 1852-1861, 5,1, S. 61-65. Wolf, Gesetzgebung (Anm. 8); Sprandel, Über das Problem (Anm. 16). Recueil des Historiens des Gaules et de la Frane, t. 24, hg. v. Delisle, Leopold, partie 2, Paris 1904, S. 521, 655, 687f. Dialogus de Scaccario and Constitutio domus regis, hg. v. Johnson, Charles, neu hg. v. Carter, F.-E.-L., Greenway, D. E., Oxford 1983, S. 2. Flüeler, Christoph, Rezeption und Interpretation der Aristotelischen „Politica" im späten Mittelalter, Teil 1 (Bochumer Studien zur Philosophie 19,1), Amsterdam/Philadelphia 1992.

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löst, sondern beide Momente traten nun - seit der Wende zum 13. Jahrhundert - in ein spannungsreiches Verhältnis. Recht blieb auch weiterhin das, was es auch schon im frühen Mittelalter gewesen war: angebunden an ein als unveränderlich vorgestelltes Gefüge von Gewohnheiten und sich daran orientierenden Urteilen."

4. Negierung von Neuerungen Z u m Negationsmodell: Änderungen des Rechts wurden bewußt verdrängt. Der Innovationsschub, den die Kodifikationen des endenden 12. und des 13. Jahrhunderts zweifelsohne darstellten, wurde von den Zeitgenossen nicht selten negiert zugunsten einer Anbindung an ältere Traditionsschichten, die zu sichern und fiiir die Gegenwart nur zu aktualisieren, Prologe, Kommentare und Traktate vorgaben. Dies liegt für das Römische Recht auf der Hand, dessen Anachronismus zu gesteigerten Anstrengungen hinsichtlich seiner Verfügbarkeit und Anwendbarkeit herausforderte und die gelehrten Juristen in der Tat vor Probleme stellte. Die Reaktivierung eines alten Rechts beschleunigte zwar Rationalisierungstendenzen in der rechtlichen Bewertung von entstehender staatlicher Herrschaft und von wirtschaftlicher Aktivität, entzog sich aber einer Bewertung und kritischen Würdigung, weil das Vorbild römischer Verwaltung und römischer Staatlichkeit schlechthin als Optimum galt, das zu hinterfragen nicht lohnte und auch schlechterdings unmöglich schien, insofern die Ausgestaltung und Durchdringung juristischer Materien im Vergleich zu zeitgenössischen Rechtsordnungen des 13. Jahrhunderts als gelungener angesehen wurden. Daher das Paradox, daß das Recht, das am nachhaltigsten Innovation im hohen und späten Mittelalter beförderte, sich für die Erörterung von Neuerung oder gar Fortschritt am wenigsten eignete.'' Wie sehr Veränderungen und Neuerungen verdächtig waren und sich gegen den Vorwurf der Abweichung vom bisher Erprobten und Erlaubten wappnen mußten, wird allein daran deutlich, daß Neuerung schlicht negiert wurde. Mittels einer fiktiven Tradition konnte Legitimierung gesichert werden. Eike von Repgow, der um das Jahr 1230 den Sachsenspiegel verfaßte, verwahrte sich dagegen, selbst etwas erfunden zu haben: „Dit recht hebbe ek selve nicht irdacht, ik heb-

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Klinkenberg, Hans-Martin, Die Theorie der Veränderbarkeit des Rechts im frühen und hohen Mittelalter, in: Lex et sacramentum im Mittelalter, hg. v. Wilpert, Paul (Miscellanea Mediaevalia 6), Berlin 1969, S. 157-188. Schräge, Eltjo J. Η , Das römische Recht im Mittelalter, Darmstadt 1987; Elsener, Ferdinand, Studien zur Rezeption des gelehrten Rechts, Sigmaringen 1989.

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bet van aldere an unsik gebracht, unse guden vorevaren." Damit nicht genug, haben die zahlreichen Textausgaben des Schwabenspiegels die „Vorfahren" präzisiert und das Werk als Gesetzbuch Kaiser Karls des Großen ausgegeben und damit nicht nur höchste Autorität reklamiert, die von kaiserlicher Würde abgeleitet wurde, sondern auch hohes Alter, welches die Geltung von Recht über die Zeiten hinweg garantierte. Die Konstruktion war indes nicht frei von Widersprüchen, weil zwar Kodifikation in die Vergangenheit verlegt, aber die vom Herrscher gewollte und gesetzte Neuordnung des Rechts damit grundsätzlich als legitim und legitimitätsstiftend erachtet wurde.'7 Wie auch immer: Weiterentwicklung, Vervollkommnung und Fortschritt im Recht waren mit dem Rückgriff auf vermeintlich alte Zeitstufen, die Tradition begründeten, zwar möglich; aber das Verfahren verhinderte eine Reflexion über den Nutzen und die Folgen von Legislationen. Die Verleugnung des Neuen war kein Einzelfall. In der Urkunde Kaiser Friedrichs I. von 1156 zugunsten des Augsburger Bischofs heißt es ausdrücklich, daß nichts Neues verfügt und nichts den antiquae institutiones hinzugefügt worden sei. Daß erstmals die Rechte einer Bürgerschaft erwähnt und bestätigt wurden, wurde schlicht negiert.'8 Gesetzessammlungen - wie die leges Normanniae aus der Mitte des 13. Jahrhunderts - behaupteten, nichts anderes als früheres Recht zu tradieren und den Text als Gedächtnisstütze zu verwenden. Folglich waren Zeugen zu befragen, die das bestehende Recht zu künden in der Lage waren. Selbst den Herrscher, sollte er sich nicht an das alte Recht erinnern wollen oder können, sollten drei recordatores wieder auf den rechten Weg des alten Rechts führen, das perpetue in Kraft bleiben müsse." Statuten der Gemeinde Valsolda in den Alpen nördlich von Mailand wurden 1358 erlassen, gaben aber vor, nichts anderes als die Statuten in Kraft zu setzen, die bereits 1246 abgefaßt, inzwischen aber verloren gegangen seien.40 Die Consuetudines Neapolitanae vom Jahre 1306 legten das Recht der Stadt Neapel fest, indem die Bestimmungen -

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Eike von Repgow, Der Sachsenspiegel, hg. v. Schmidt-Wiegand, Ruth, Hüpper, Dagmar, Frankfurt a. M. 1991; Schwabenspiegel, hg. v. Eckardt, Karl August, Eckardt, Irmgard (Studia iuris suevi 4. Bibliotheca rerum historicarum studia 7), Ndr. Aalen 1979. M G H D D F I., Nr. 147; Baer, Wolfram, Das Stadtrecht vom Jahre 1156, in: Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, hg. v. Gottlieb, Günther, Stuttgart 1984, S. 132-135.

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Coutumes de Normandie, ed. Ernest-Joseph Tardif, t. 2: La summa de legibus Normmanie, Rouen/Paris 1896, S. 310-313.

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Statuti dei Laghi di Como e di Lugano dei secoli XII e XIV, vol. 2, ed. Emilio Anderloni, A. Lazzati, Rom 1915, S. 259^.

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als verae et antiquae bezeichnet die durch Befragung von zwölf rechtschaffenen Männern gesucht und gefunden worden seien, verschriftlicht wurden und Gesetzeskraft erhielten.4' In Deutschland suchten die Weistümer den Anschein zu erwecken, nichts anderes als altes Recht zu finden; Erfindung von Normen galt als verdächtig. Selbst Neuerungen gaben sich so als Reaktivierungen alter Ordnung aus.'11 Rückverweis von Rechtstexten in eine ferne Vergangenheit suchte den Mangel zu beheben, der einem veränderlichen, nicht stets gleichem, äußeren Umständen unterworfenem Recht in den Augen der Zeitgenossen anhaftete. Vertrauen in die Geltung von Gesetzen vertrug sich nicht mit Änderungen. Die Wirksamkeit von Gesetzen verlangte nach ihrer Dauer. Gleichwohl boten die Kodifikationen die Möglichkeit, Effizienz auch an anderem als an Dauer festzumachen. Geltung und Legitimität sollten sich am Nutzen zugunsten des gemeinen Wohls bemessen und waren damit einer Denkfigur unterworfen, die gleichfalls seit der Wende zum 13. Jahrhundert politisches und rechtliches Handeln prägte.4' Normendefinition verwies auf außerrechtliche Werte.

5. Gesetze zur Abwehr von Dekadenz Neue Gesetze zu erfinden, war eine Antwort auf Veränderungen. Selbst wenn dies akzeptiert wurde, mußte dies keineswegs die Vorstellung eines Fortschritts implizieren. Im Gegenteil gab es Auffassungen, die Gesetzgebung und Veränderung von Gesetzen deswegen für notwendig erachteten, weil die Menschen in Dekadenz verfielen, weil Verbrechen vermehrt begangen würden und insgesamt die Schlechtigkeit zunähme. Die Annahme eines Zerfalls ursprünglich frischer

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Consuetudines Neapolitanae, Neapel 1775, Sp. 64f., i09f., 114-117,122f., 138-141,148-151,174E, 198c, 218-221, 23of., 278-285,32if., 350-353.

76 77

M G H Const. 2, hg. v. Weiland, Ludwig, Ndr. Hannover 1963, S. 241—265. Hoffmann, Hattmut, Gottesfriede und Treuga Dei, Stuttgart 1964; Goetz, HansWerner, Kirchenschutz, Rechtswahrung und Reform. Z u den Zielen und zum W e sen der frühen Gottesfriedensbewegung in Frankreich, in: Francia 11 (1983), S. 183-239.

78

Layettes du tr&or des chartes, t. 1, Paris 1863, Nr. 427, 4269, 4272, 4367; Recueil des historiens des Gaules et de la France, t. 24, S. 530-541; Le GofF, Jacques, Saint Louis, Paris 1996, S. 2l${.

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Ludwig das königliche Handeln als Maßnahme vor, die dazu bestimmt sei, die consuetude der alten Zeiten in statum meliorem zu überführen. Es ging ihm dabei nicht nur um punktuelle, auf bestimmte Probleme fokusierte Lösungen, sondern umfassend und Herrschaft und Gemeinwesen miteinander verbindend, um das statum regni in melius reformandum, auf daß das Glück aller Untertanen befördert werde.79 Die Ameliorations- und Reformationsrhetorik begleitete auch bei den Nachfolgern des heiligen Königs die Intensivierung königlicher Eingriffe und die Zurückdrängung konkurrierender Regelungskompetenz durch Fürsten oder Gemeinden.8" Die usages entkleideten Philippe de Beaumanoir ihres unangreifbaren juristischen Wertes, sofern sie einer Verbesserung der Rechtsordnung entgegenstünden. Das Recht entwickele sich, und seine Veränderung ermögliche verbesserte Ordnung im Königreich."' Die Rationalisierung von Recht war begründet in einer Moralisierung. Administrative Perfektionierung wurde gepaart mit vermehrtem Nutzen durch eine Zunahme an Gerechtigkeit. Der König sollte Promotor dieser Entwicklung sein, die durch Innovationen im Recht ihre Ziele zu erreichen suchte.'2 Die reiche Statutengesetzgebung in den italienischen Städten verband recht häufig das Motiv von Steigerung der Effizienz und Mehrung des Gemeinwohls mit der Neufassung von Gesetzen. Die ordinamenti di giustizia in Florenz sollten pro republica den Nutzen optimieren. Ad augmentum der Republik dienten die neuen Gesetze. Die Qualität von Politik, Rechtsprechung, Militärwesen und Außenbeziehungen habe nicht allein einen Entwicklungssprung erfahren, sondern sei auf Wachstum angelegt, welches durch die 1293 neu installierte Rechtsordnung angestoßen worden sei.'3 Der Gesetzestext war das Resultat einer Findung von bisherigen Gewohnheiten, vor allem aber einer Erfindung, die in mühsamer Arbeit einer kommunalen Expertenkommission und in intensiver Befragung der maßgeblichen sozialen Gruppen Regeln des Gemeinwesens kreierte, welche dem Elend selbstzerstörerischer Parteikämpfe ein Ende bereiten sollte, wie Giovanni Villani hoffnungsvoll und patriotisch-florentinisch in seiner Chronik schrieb, aber gleichwohl — wie der Autor einräumen mußte — ambivalente Wirkungen hervorbrachte, jedenfalls sich die erwartete Besserung durchaus nicht einstellen wollte.14 Die Erwartung wurde zwar enttäuscht, aber sie bestand

79 80 81 82 83 84

Ordonannces (Anm. 46), I, S. 55f., 67-76; XI, S. 33of. Ebda., S. 357-364, 492, 494ff. Philippe de Beaumanoir, Coutumes (Anm. 59), S. 346f. Le Goff, Saint Louis (Anm. 78), S. 2i6ff. Ordinamenta (Anm. 72), S. 37, 43, 72fr. Giovanni Villani, Nuova cronica (Anm. 52), I, S. 439f., $32ff.; II, S. 9-12, 62-66,172f.

}io

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trotzdem: in einer den alten Zustand überwindenden Freisetzung bürgerlicher Tugend, die dem Gemeinwesen Frieden und Wohlstand eingeflößt hätte. Das Recht, auch wenn es vor künftiger Revision gefeit sein sollte, sollte einen Prozeß sich steigernder Wohlfahrt anstoßen. Trotz der Kautelen, die eine Änderung der Verfassung unmöglich machen sollten, war die Dynamik fortlaufender Verbesserungen angestoßen, die umso notwendiger erschienen, als das Versprechen sich steigernden Glücks letztlich unerfüllt blieb, was das Bedürfnis nach Korrekturen, Reformen und Adaptionen wachrief. Die Statuten zum Amt des Podestä in Florenz aus dem Jahre 1325 gaben vor, Regeln zu enthalten, damit die Kommune klüger und besser regiert werde. Ohne die auf fortschreitende Nützlichkeit zielende Argumentation war Gesetzgebung nicht mehr möglich, weil die verfügten Änderungen der ordinamenti einen erheblichen Aufwand an Begründungen erforderten und man sich nicht mit dem Hinweis auf wechselnde Zeitumstände begnügen konnte, vielmehr auf Glückverheißung setzen mußte."' In Bologna haben die im Jahre 1288 verabschiedeten Statuten anders als diejenigen der vorangegangenen Jahre ein Programm der Verbesserung der Kommune entwickelt, weswegen eine reformatio, vor allem aber ordinamenta nova erlassen worden seien. Bemerkenswert war hierbei, daß dieser Vorgang nicht als abgeschlossen galt, sondern als permanenter Prozeß vorgesehen war. Das Verfahren solle institutionell gebändigt sein und die Mitwirkung verschiedener Gremien und die Konsultation möglichst aller Repräsentativorgane verlangen.86 Damit war nicht allein die Wirkung von Gesetzen, nein auch diese selbst einem Fortschrittsverlauf eingegliedert, der durch das öffentliche Wohl angestoßen und auf ihn orientiert war. Die nach der zeitweisen Vertreibung der Familie d'Este in den Jahren 1306/1307 erlassenen Gesetze in Modena sahen die Voraussetzung für Frieden und Wohlstand in der Stadt in einer gegenüber der Vergangenheit agressiv ausgerichteten Grundhaltung, die die Zerstörung des alten Rechts, einschließlich ihres materiellen Substrats, verlangte, auf dessen Trümmer erst die neue, bessere Ordnung entstehen könne. Das neue Recht sei dem alten überlegen, es verhindere Tyrannei, befördere Freiheit, diene dem Wohl der Bürger. Das Ziel, der bonus status, sei durch die Erfindung eines Gesetzbuches zu erreichen. Der Optimismus, mit dem politische Ziele - und hier vor allem die Abwehr der Signorie durch die Angehörigen der Familie d'Este - durch Recht erreichbar zu sein schienen, war gepaart mit dem Bewußtsein, der Gerechtigkeit erst jetzt Entfaltung geboten zu haben und erst jetzt eine Verfassung der freien Bürgergemeinde errichtet zu haben. Aus den Schatten einer finsteren Vergan-

85 86

Statuti della repubblica (Anm. 72), S. 386, 389^ Statuti di Bologna (Anm. 73), S. 3if., 330, 336-356, 433f. 445-448, 4jif.

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genheit mit ihrer Tyrannei trat leuchtend die Gegenwart und noch leuchtender die Zukunft hervor mit der Kommune, in der Gerechtigkeit herrsche. Die frische revolutionäre Umbruchsituation und die - wie sich nur wenige Jahre später herausstellen sollte - nur allzu berechtigte Furcht vor einem „Roll Back" förderten besonders stark ein Pathos, das Fortschritt mit Verfassungsänderung verband. Der nicht ausgestandene Kampf pro meliori statu ließ den Gegensatz zwischen Alt und Neu in besonders grellen Kontrasten erscheinen.'7 Aber auch wenn es darum ging, in Schiedsverfahren den städtischen Frieden wiederherzustellen, war das Argument der Verbesserung der Kommune abrufbar und erweiterte damit das Themenspektrum, das sich ansonsten mit Kompromiß und harmonisierenden Ausgleich der Interessen befaßte. In Treviso haben in den Jahren 1314 und 1315 die Schiedsrichter eine neue gesetzliche Grundlage erlassen und dabei nicht allein den Frieden zwischen Stadtadligen und übrigen Bürgern verfügt, sondern Freiheit und friedlichen Wohlstand zu mehren gesucht. In Perugia sahen die Statuten von 1342 ebenfalls die Reform pro bono statu vor und begründeten Änderungen des bestehenden Rechts mit dem Gewinn an Wohlstand, Frieden und Effizienz. Noch Prononzierter waren die Statuten in der Stadt For 11 vom Jahre 1359. Der Prolog führte aus, daß die menschliche Natur mit Fleiß nach neuen Formen strebe und auch aus diesem Grund neue Gesetze geschaffen werden müßten.' 9 Innovation erhielt hier eine anthropologische Begründung und war als Beweggrund fur das politische Handeln gerechtfertigt, ohne daß indes bei dieser Argumentation die Vorstellung einer mit Neuerung auch verbundenen fortschreitenden Perfektion notwendigerweise verbunden gewesen wäre. Städtische Statutengesetzgebung in Italien prägte die Legislation insgesamt. Die berühmten, von Aegidius Albornoz im Jahre 1357 erlassenen Konstitutionen für das Patrimonium Petri operierten hingegen sowohl mit dem Topos der Erneue-

87 Respublica Mutinensis (1306-1307), hg. v. Vicini, Emilio Paolo (Corpus statutorum italicorum, NS 1), Mailand 1929, S. 4, 8f., 23, 28, 54-57, 7if., 148, 326f.; Guyotjeannin, Olivier, Podestä d'Emilie centrale: Parme, Reggio et Modena (fin i2e - milieu 14ε siecle), in: I podestä dell' Italia comunale, hg. v. Vigueur, Jean-Claude (Nuovi studi storici 51. Collection de l'Ecole Fran$aise de Rome), Paris 2000, s. 349-403·

88 II processo Avogari (Treviso 1314-1315), hg. v. Cagnin, Giampaolo, Viella 1999, S. 538-544· 89 Statuti di Perugia dell'anno 1342, vol. i, hg. v. Azzi, Giustiniano degli (Corpus statutorum italicorum 4), Rom 1913, S. 9, 133; Statuto di Forll dell'anno 1359, hg. v. Rinaldi, Evelina (Corpus statutorum italicorum 5), Rom 1913, S. 41.

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rung als auch mit dem der Verbesserung. Alte Gesetze würden abgeschafft, neue geschaffen. Der Einschnitt, den die Legislation bewirkte, wurde offen kundgetan. Das Alte, Überflüssige und Schädliche werde durch das Neue getilgt und ausgemerzt. Die neuen Gesetze seien besser als die alten. Damit sie besser befolgt würden, sei es notwendig, alle vorher bestehenden außer Kraft zu setzen. Es war also mehr als nur Neuerung beabsichtigt. Der päpstliche Legat ließ vermelden: „Damit der Frieden, den alle wünschen, fruchtbringender wirke (uberius), befehlen wir, daß das, was verformt gewesen war, reformiert werde, so daß der öffentliche Nutzen und die Würde der Kirche und der Zustand des Landes befördert werde." Ziel sei das Glück und die gute Regierung. Sie gelte es zu mehren und zu verbessern. Deutlich war ausgeführt, daß die Erneuerung der Gesetze mehr war als nur die Wiederherstellung der Ordnung, sondern ein Anfang gesetzt werden sollte für einen Entwicklungssprung, der einen Fortschritt in der Regierung, der Rechtsprechung und der Sicherung des Friedens einleiten sollte.9" Auch ansonsten war das Motiv der Vermehrung und der Verbesserung häufig evoziert worden, das Neuerung rechtfertigte, nicht allein in den italienischen Kommunen und im Kirchenstaat, sondern auch andernorts in Europa, vornehmlich aber ebenfalls in den städtischen Gemeinden, in denen Neuerung und Selbstbehauptung gegenüber einer adligen Umwelt die Besonderheiten kommunaler Organisationsformen als Willkür, als gesetztes und durch Eid bekräftigtes Recht, positiv bewerteten und sich allein deshalb von Traditionsbindung abzulösen suchten. Die Mehrung des Nutzens wurde als Ziel genannt. Umformung des bisherigen status war dazu notwendig.9' Vermehrung, Ausdehnung und Verbesserung wurden zu Leitbegriffen einer im 13. Jahrhundert dynamisierten Entwicklung in Europa, wo Expansion in demographischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht sich durchaus mit einer Einstellung, die diese Phänomene auch wahrnahm, verband. Die Vorstellung eines möglichen und durch aktives Handeln herbeizuführenden Fortschritts wurde aufgegriffen und motivierte Änderungen von Gesetzen.

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Costituzioni Egidiane dell'anno 1357, hg. v. Sella, Pietro (Corpus statutorum italicorum 1), Rom 1912, S. 14, 38fF., 99,123f., 2o8f., 237f.

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Als Beispiel sei auf das Stadtrecht von Neuchätel von 1214 verwiesen: „cupientes ad augmentum et statum felicem devenire tales constitutiones"; Les sources du droit du canton de Neuchätel, hg.v. Favarger, Dominique, Tribolet, Maurice de (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen 21), Bd. 1, Aarau 1982, S. 25; Ebel, Wilhelm, Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, Weimar 1958.

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9. Nachdenken über Gesetzesänderungen Von dem Paradigmenwechsel zeugen nicht allein die Gesetzestexte selbst, sondern auch die Texte, die über Gesetze und Gesetzgebung geschrieben wurden. Historiographen, Juristen und Philosophen haben sich mit der Frage beschäftigt, ob es erlaubt sei, neue Gesetze zu erfinden, alte abzuschaffen oder bestehende zu verändern und ob mit diesen Veränderungen Verbesserungen erreicht werden könnten. Das Optimierungspotential des Menschen fand eine Stütze in dem christlich verstandenen Heilsplan Gottes, der durch die Menschwerdung seines Sohnes einen Entwicklungssprung bewirkte und die Kommunikation mit den zum Heil berufenen und zum Heil fähigen Menschen auf eine höhere Ebene hob. Es blieb freilich das Problem, warum gerade in einer historisch präzisen Zeit - und nicht zu einer anderen Epoche - Christus geboren wurde, starb und auferstand. Die Entscheidung allein der Allmacht Gottes anheimzustellen und damit eine dem Menschen fremde und nicht von seinen Fähigkeiten abhängige Willkür walten zu lassen, mag wohl nicht stets befriedigt haben. Der Chronist Otto von Freising stellte vielmehr die humane Entwickung von Fähigkeiten der sozialen und politischen Organisation in Parallele zur Erlösungstat Christi. Er wurde in dem Moment „Fleisch", um die Sünde der Väter zu tilgen, als es sinnvoll - conveniens — war, nämlich dann, als die Menschen aufhörten, bar jeder Vernunft ausserhalb der Städte wie die wilden Tiere zu leben, vielmehr begannen, in Gemeinschaften zu leben, sich gegenseitig zu unterstützen, durch ihre Vernunft zur Erkennntnis von Wahrheit befähigt wurden und ihr Tun Gesetzen unterwarfen. Die Verbesserung erfolge in der Organisation des humanen Zusammenlebens, erhalte zugleich aber auch eine eschatologische Bedeutung, da sie als Voraussetzung für das irdische Wirken von Christus ausgegeben wurde. Für Otto von Freising war damit eine Entwicklungsrichtung vorgegeben und diese an ein heilsgeschichtliches Verlaufsschema angebunden. Dadurch war aber der Berechtigung einer immanent diesseitigen Optimierung der Boden entzogen. Gleichwohl erachtete er die Vervollkommnung des Rechts, wie er sie in den Zeiten des Kaisers Augustus einsetzen sah, als Movens des historischen Prozesses, der damit seinen Charakter des beliebig Schwankenden und unbeständig Ziellosen verlor und durchaus mit den Geschicken der civitas Dei enger verwoben war, als dies Augustinus in seinem Werk zum Gottesstaat annahm. Fortschritt in der Gestaltung der Lebensumstände war der Heilsgeschichte subsumiert, damit als Movens der historischen Entwicklung gedeutet, ja geradezu gerechtfertigt, wenngleich erst das Abstreifen der Hülle religiöser Deutung die Bestrebungen, mittels rechtlicher Veränderungen humanes Leben zu verbessern, eine autenthische Würdigung innerweltlicher Optimierungsstrategie ermöglicht hätte, die

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ohne den Rekurs auf eine eschatologische Perspektive Deutung angeboten und Rechtfertigung gefunden hätte.' 2 Auf der Ebene praktischer Lebensplanung, die dem Bereich der artes zugehörte, also unabhängig von einer umfassenden Reflektion über den historischen Prozess, bestand eher die Möglichkeit, eine fortschreitende Verbesserung humaner Existenz zu konstatieren. Die Kommentierung des römischen Rechts scheint zwar auf den ersten Blick wenig Spielraum zu geben, die Fortentwicklung und gar einem Fortschritt des Rechts zu konstatieren. Dennoch öffnete Franciscus de Accursius in seiner Glossierung eine solche Perspektive, indem er Perfektionierung nicht allein durch Gesetzgebung, wohl aber durch das Wirken der Juristen annimmt, wodurch sowohl die Kenntnis als auch die Anwendung des bestehenden Rechts verbessert und damit die Rechtsordnung insgesamt auf eine höhere Stufe gehoben werde. Die Zunahme des Wissens, auch durch vermehrte Schriftlichkeit weise die Dummheit in ihre Schranken." Es ist freilich die Rechtskunde, nicht die Gesetzgebung, die Fortschritt ermögliche. Zeitgenossen des berühmten Juristen haben indes auch dieses für möglich erachtet und Verbesserung in und durch die Gesetze angenommen. Henry Bracton geht in seiner Untersuchung zum englischen Gewohnheitsrecht auch der Frage nach, ob mit der Änderung von Gesetzen auch ein Fortschritt zu besseren Gesetzen möglich sei. Er bejaht diese Frage. In einem solchen Fall könne auf die ansonsten notwendige Prozedur, basierend auf consilium et consensus, verzichtet werden, weil eigentlich das Alte nicht aufgehoben werde, wenn es zum Besseren gewendet werde, vielmehr in ihm enthalten sei. Anders sei es indes, wenn irgendein neues Gesetz ein altes Gesetz ersetze, ohne daß dadurch eine Stufe höherer Vollkommenheit erreicht werde: Dann erfordere das bislang Unbekannte und Unübliche eine genaue Prüfung, wobei in Analogie zum alten Recht verfahren werden solle. Bracton erkennt damit grundsätzlich die Möglichkeit an, durch legislatorische Änderungen Perfektionierung zu erreichen.' 4

92

Otto von Freising, Chronik oder Die Geschichte der zwei Staaten, hg. v. Lammers, Waither (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 16), Darmstadt i960, S. 20-211; Augustinus, De civitate Dei, hg. v. Bombart B., Kalb, Α., Stuttgart/Leipzig 1993; Adamek, )., Vom römischen Endreich der mittelalterlichen Bibelerklärung, Diss. phil. München 1938; Goetz, Hans-Werner, Das Geschichtsbild Ottos von Freising. Ein Beitrag zur historischen Vorstellungswelt und zu Geschichte des 12. Jahrhunderts (Beihefte zum A K G 19), Köln/Wien 1984.

93

Franciscus Accursius, Glossa (Anm. 23), fol. 5V.

94

Henricus de Bracton, De legibus (Anm. 58), S. 6-9, i2f.

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3*5

Thomas von Aquin behandelt in seiner Summa theologiae das Wesen des Gesetzes und die Praxis der Gesetzgebung. Die Gesetze seien Ergebnis des Vernunfthandels der Menschen und zielten auf die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, also auf die Glückseligkeit - die vitae felicitas — und umfassender für eine verfaßte Gemeinschaft auf das allgemeine Glück - die felicitas communis. Thomas besteht darauf, daß Gesetze notwendig seien, daß sie der Schaffung von Recht durch einzelne Richtersprüche überlegen seien und dazu entscheidend beitrügen, die Tugend der Menschen zu heben. Gesetze — ausdrücklich auch die wandelbaren, nicht ewigen menschlichen Gesetze - dienten der perfectio virtutis des Individuums, ebenso dem Frieden der Allgemeinheit. Die Ziele, die durch Gesetze erreicht werden könnten und auch tatsächlich erreicht würden, so der Aquinate, seien durch göttliche Vernunft vorgegeben, aber sie verwirklichten sie nur unvollkommen, haben nur Anteil an ihr, insofern jede menschliche Vernunft nur unvollkommen die göttliche in sich aufzunehmen vermöge. Daher könne die Befolgung der Gesetze, durch die Drohung mit Strafe und durch Zwangsgewalt durchgesetzt, zwar eine Mehrung der Tugend erreichen, nie aber eine Vollkommenheit, die zu bewirken dem göttlichen ewigen Gesetz vorbehalten bleibe. Gesetzen zu gehorchen sei besser, als sich Urteilssprüchen zu fügen, da erste durchdachter, längere Zeit überlegt und mit dem Rat von mehr weisen Männern erlassen worden seien, vor allem aber weil Gesetze auch auf die Zukunft ausgerichtet seien, hingegen die Einzelurteile nur bereits eingetretene Fälle regelten. Mit der zeitlich ausgedehnten Geltung stellte sich folglich die Frage, inwieweit Gesetze verändert werden könnten. Daß dies bei menschlichen Gesetzen, anders als bei göttlichen und natürlichen, prinzipiell möglich sei, steht für Thomas fest; die Anbindung an das natürliche Recht schließe dies nicht aus. Ausdrücklich weist er das Argument zurück, das mit dem Hinweis auf die eingangs erwähnten Sätze im Dekret Gratians Gesetze stets zu konservieren seien. Anders stellt sich freilich die Frage, ob Änderungen auch nützlich seien. Hier vertritt der gelehrte Dominikaner eine vorsichtige Position: er gibt zunächst an, daß jede Gesetzesänderung an sich — quantum in se est — einen Nachteil für das allgemeine Wohl nach sich ziehe, so daß das Bessere zu erreichen zwar nicht ausgeschlossen sei, wohl aber an strenge Bedingungen geknüpft werden müsse. Eine dieser Bedingungen ist die Koppelung mit einem anthropologisch inhärenten Fortschritt. Da es dem menschlichen Verstand eigentümlich sei, daß er von Stufe zu Stufe vom Unvollkommenen zum Vollkommenen voranschreite, so wie dies in den philosophischen Wissenschaften und in den technischen Fertigkeiten geschehe, so gehöre es sich auch, bessere Gesetze zu erlassen, die dem menschlichen Fortschritt folgten und ihm dienten. Auch neue Gesetze blieben zwar selbst auf höheren Stufen der Entwicklung von der nur dem göttlichen Gesetz eigenen Perfektion entfernt, aber die Relation zwischen Gesetz und Allgemeinwohl ände-

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re sich und könne durch engere Verbindung einen verbesserten Zustand herbeiführen. Ein Gewinn an Tugend sei erreichbar. Gesetze sind Erfindungen des menschlichen Geistes, und analog zu dessen Vervollkommnung seien ebenfalls bei den Gesetzen Fortschritte zu erreichen. Bessere Reflexion ziehe bessere Gesetze nach sich. Gleichwohl rechtfertige sich die Aufgabe bestehenden Rechts nicht wegen jeder Verbesserung, sondern nur solcher, die bedeutenden Nutzen bringen oder aus drängender Notwendigkeit entspringe, um so die Nachteile einer Veränderung zu übertreffen." Die Überlegungen des Aquinaten bringen sehr prägnant ein Bewußtsein von Fortschritt auch in der Gesetzgebung zum Ausdruck. Gesetze seien Erfindungen, sie ließen sich auch von überlieferten Gewohnheiten ablösen.'6 Die perfectio im menschlichen Bereich sei gewiß unmöglich und innerhalb dieser Sphäre bleibe alles, was Verstand leiste, stets unvollkommen im Hinblick auf eine göttliche Vollkommenheit. Damit war die Existenz von Gesetzen von der Forderung befreit, einen endgültigen Stand des nicht mehr zu überbietenden Vollkommenen erreichen zu müssen. Gesetze waren auch dann legitimiert, wenn sie imperfekt waren, insofern sie damit in einem Zustand der Vorläufigkeit verblieben, der aber einer zielgerichteten, auf fortschreitende Besserung gerichteten Entwicklung durchaus offenstand. Sicher war für Thomas die Beständigkeit von Gesetzen ein hoher Wert, der nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden dürfe, aber keine prinzipielle Bremse für Weiterentwicklung hin zu entscheidenden, das Gemeinwohl fördernden Fortschritten. Indem Thomas allen menschlichen Gesetzen ihre Perfektion nimmt, befreit er sie von den Fesseln einer Permanenz, die wesensmäßig zur Vollkommenheit gehört, und setzt eine Dynamik frei, die in graduellen Verbesserungen Fortschritte erreiche, welche in der Vergangenheit

95

Thomas von Aquin, Summa (Anm. 57), S. 149-192; vgl. Gagn^r, Studien (Anm. 14), S. 186-209, 261, 27jff. Demongeot, Marcel, Le meilleur regime politique selon Saint Thomas, Paris 1928; Gilson, Etienne, The Christian Philosophy of St. Thomas Aquinas, London 1957, S. 329^; Gilby, Thomas, Principality and Polity: Aquinas and the Rise of State Theory in the West, London 1958, S. 294; Tierney, Brian, Aristotle, Aquinas, and the Ideal Constitution, in: Proceedings of the Patristic, Medieval and Renaissance conference 4, 1979, S. 1—11; Villey, Michel, La theologie de Thomas dAquin et la formation de l'Etat moderne, in: Theologie et droit dans la science politique de l'Etat moderne. Actes de la table ronde organis^e par l'Ecole fran9aise de Rome avec le concours du C N R S , Rome, 1 2 - 1 4 n o v · 1987 (Collection de l'Ecole Fran9aise de Rome 147), Rom 1991, S. 31-49; Blythe, James M., Ideal Governement and the Mixed Constitution in the Middle Ages, Princeton 1994, S. 39-59.

96

Thomas von Aquin, Summa (Anm. 57), S. I9if.

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auch tatsächlich errungen worden seien. Das Bessere sei machbar - und zwar zu allen Zeiten. Die Interpretation von Thomas veränderte aber nicht grundlegend das intellektuelle Klima der folgenden Epochen. Die Vorstellung einer im Diesseits sich vollziehenden Entwicklung zu gesteigerten humanen Potentialen auch in den Formen des Zusammenlebens fand nur wenige Anhänger. Der Dominikaner Jean Quidort de Paris verordnete fortschreitende Verbesserung in Gesetzgebung und politischer Verfassung allein in der Vergangenheit und konstatierte ihr Fehlen in Gegenwart und Zukunft. Fortschritt im historischen Prozess war der Heilsgeschichte vorbehalten, nur sie steuerte auf ein Ziel zu, während in den weltlichen Angelegenheiten den Herrschern die Verwaltung aktueller Bedürfnisse obliege. Die Dichotomie erlaubte die Autonomie profaner Lebensgestaltung, entkleidete sie damit aber von jedweder Fortschrittserwartung.97 Die apologetische Tendenz seines Werkes über das Königtum versperrte den Weg zur Kritik an dem, was zu seiner Zeit an Üblichkeiten vorhanden war. Anders Dante Alighieri in seiner Schrift De monarchia, in der er ausdrücklich einen Entwurf künftiger staatlicher Verbesserung vorstellte. Die humane Potenz entfalte sich in einem historischen Prozeß, der keineswegs abgeschlossen sei und zu höheren Graden der Glückseligkeit im diesseitigen Leben führe. Das genus humanum sei dazu bestimmt, die vollständige Verwirklichung des „möglichen Intellekts" zu erlangen — und dies durch einen vollkommenen Frieden, der wiederum durch politisches Handeln verwirklicht werden könne. Politik erlangte in der Konzeption Dantes den Rang der „ersten Philosophie"; ihr ist die Funktion zugewiesen, die Potentialität des intellectus auf die irdische Glückseligkeit zu realisieren. Dieser Zustand des Glücks wird ausdrücklich als paradisus terrestris bezeichnet, so daß der Fortschritt zu einer Rückkehr zum status innocentiae führe, die die beatitude des guten Lebens ermögliche. Fortschritt war damit anders als bei Thomas — nicht einzig als Prozeß konzipiert, sondern auf ein Ziel hin gerichtet, das durch die Verwirklichung eigener Tüchtigkeit erreicht werden könne, der philosophischen Unterweisung bedürfe und durch staatliche Organisation unter der Universalherrschaft des römischen Kaisers geleitet werden müsse.

97 Johannes Quidort von Paris, De regia potestate et papali, hg. v. Bleienstein, Friedrich (Frankfurter Studien zur Wissenschaft von der Politik 4), Stuttgart 1969, S. 154, 157; Walther, Helmut G., Ursprungsdenken und Evolutionsgedanke im Geschichtsbild der Staatstheorien in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in: Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. v. Zimmermann, Albert (Miscellanea Mediaevalia. Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln 9), Berlin/New York 1974, S. 236-261, S. 241-246.

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Fortschritt würde mit der Verwirklichung eines im Diesseits angesiedelten Idealzustandes zwar zum Stillstand gefuhrt werden; aber das der zeitgenössischen Realität entrückte und zugleich diesseitige „Paradies" beließ ein weites Feld zukunftsgerichteter Erwartung. Die sich chiliastischen Hoffnungen nicht verschließende Konzeption einer kaiserlichen Universalmonarchie, die den endgültigen Menschheitszustand des vollkommenen Glücks hätte bereiten sollen, entzog sich einer konkreten Beschreibung von politischen Verfahrenstechniken, und damit auch von Legislationen, beruhte aber um nichts weniger auf einem politischen und juristischen Ordnungsgefüge, zu dessen Instrumenten auch der Erlaß von Gesetzen zählte.'8 Konkreter gab Marsilius von Padua die Prozeduren von Gesetzgebung als Mittel einer Vervollkommnung an. Die Analogie zur Natur, die stets neue Formen hervorbringe, stellte er vor und begründete damit zunächst einmal die Berechtigung, neue Gesetze zu erfinden, insofern veränderte Umstände zu beachten seien. Aber es geht doch um mehr: aus der Erfahrung der Vergangenheit ließen sich Lehren gewinnen, um Fehler zu vermeiden. Der menschliche Verstand werde in die Lage versetzt, den Geschichtsverlauf vernünftig zu gestalten. Besserung der Tugend, der Regierung und Steigerung des Glücks seien möglich. Indes war dies das Paduaner Programm für die Zukunft; die Vergangenheit war hingegen durch das Abirren des Verstandes vom rechten Wege gekennzeichnet, so daß erst durch eine Korrektur der Institutionen Fortschritt in den Formen menschlichen Zusammenlebens angestoßen werden könne. Aus minus perfectis schritten dann die Menschen ad perfectiora. Dies sei in den technischen Fertigkeiten festzustellen, in der politischen Verfassung sei die Perfektion erst noch zu leisten." Zukunftsoptimistisch war auch das Traktat von Pierre Dubois zur von ihm ersehnten politischen Verfaßtheit Europas, deren Einheit unter der Leitung des französischen Königs für ihn die Voraussetzung für einen erfolgreichen Kreuzzug darstellte. In seiner Schrift war die Gesetzgebung als Antwort auf neue und

98

Dante Alighieri, Monarchia, in: Opera minori, vol 2, hg. v. Mengaldo, Pier Vincenzo u.a., Mailand/Neapel 1979, S. 2 4 1 - 5 0 3 , S. 2 9 5 - 2 9 7 , 499f.; Toepfer, Bernhard, Das ewige Reich des Friedens. Z u r Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte Ii), W e i m a r 1964, S. 3 8 3 - 3 8 6 .

99

Marsilius von Padua, Defensor pacis, hg. v. Kusch, Horst, Darmstadt 1958, S. 6 2 - 6 7 , 94f.; vgl. Gagner, Studien (Anm. 14), S. 123, 133; Miethke, Jürgen, Zeitbezug und Gegenwartsbezug in der politischen Theorie der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in: Antiqui (Anm. 96), S. 2 6 2 - 2 9 1 .

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zuvor unvorhersehbare Konstellationen vorgesehen, darüberhinaus aber auch als Mittel der Vervollkommnung des Nutzens und wichtiger noch des Erreichens eines allgemeinen Friedens. Gesetze waren gemäß einer solchen Konzeption, die eine Utopie vorstellte, Hebel zur Erreichung eines höheren Grades politischer, wirtschaftlicher und militärischer Kompetenz, auf deren Basis dann auch die Wiedereroberung des Heiligen Landes und Jerusalems gelingen sollte. Aber es war noch mehr als ein religiös vorgegebenes Ziel damit verbunden: es ging um die Besserung der Menschen als Gattung, zu erreichen durch den allgemeinen Frieden, der durch neue Gesetze geschaffen werden solle. Die Menschen würden tugendhafter, gebildeter und redegewandter werden und sie lebten länger, sofern sich die Herrscher nur zur Anwendung der Pläne von Pierre Dubois bewegen ließen. Der Ort, an dem sich die Ziele am vollkommensten verwirklichen sollten, wäre das wieder zu gewinnende Königreich Jerusalem, dessen Rechtsordnung gänzlich von allen Traditionen abgelöst sein sollte und einzig dem Projekt einer sich fortschreitend verbessernden Ordnung menschlichen Zusammenlebens unterzuordnen wäre. Das Programm setzte auf die Wirkung menschlichen Handelns. Es stützte sich nicht auf eine chiliastische Erwartung, die Gottes Heilspläne auf ein Ziel zusteuern sah, das Glückseligkeit im Diesseits bereithielte. In Outrmer, in einem Gebiet, das erst wieder zu erobern wäre, waren dem Gestaltungsdrang weniger Fesseln angelegt als im okzidentalen Europa, wo die Schwere des Bestehenden den Fortschritt hemmte. Das Heilige Land war die Projektion dieser Utopie, die religiöse und weltliche Motive miteinander verI too wob. Auch Wilhelm von Ockham erachtete die Erfindung von Gesetzen als Mittel, um bessere politische Zustände und eine gerechtere Herrschaft einzurichten. Änderungen der politischen Verfassung gemäß dem aristotelischen DreierSchema seien möglich, je nachdem die Umstände es erforderten. Aber er meinte damit nicht allein Adaption an sich beliebig wechselnde Konstellationen. Der Wandel der Zeiten erfordere den Wandel der Herrschaftsverfassungen. Eine Bewegungsrichtung hin zu Verbesserung sei zwar der Geschichte nicht inhärent eingegeben, aber durch einen Willensakt könne eine Verfassung in eine bessere überführt werden. Sie stehe in der Disposition der politischen Gemeinschaft, die aus der Einschätzung der Nutzenoptimierung frei und unabhängig von der Tradtion zu entscheiden die Befugnis habe. Zur Erlangung eines evidenten Nutzens müsse eine Änderung herbeigeführt und von der bisherigen Verfassung

100 Pierre Dubois, De Recuperatione terre sancte, hg. v. Langlois, Charles-V., Paris 1891, S· 39-58, 73ff·; Oexle, Otto-Gerhard, Utopisches Denken im Mittelalter, in: HZ 224 (1977), S. 291-339.

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abgewichen werden, die bislang als vernünftig und gerecht erschienen sei. Festhalten am Bestehenden könne dazu fuhren, daß Schlimmeres entstehe. Aber nicht Fortschrittsbewußtsein, das den historischen Prozess bewerte, sondern das Abwägen von Vor- und Nachteilen bei jeder einzelnen Herrschaftsform berechtige zu Veränderung. Nicht die Steigerung von Vernünftigkeit bei der Gesetzgebung, sondern die Beurteilung der konkreten Situation erlaube und verlange sogar mitunter einen Neuanfang. Selbst göttliche Gebote könnten gemäß Notwendigkeit und Nutzen abgeändert oder außer Kraft gesetzt werden. Der Freiheit in der Gestaltung des menschlichen Lebens waren nur wenige Schranken gezogen. Die Ablösung von der Tradition stellte folglich für Ockham kein Problem dar, sie fiel zur Legitimierung weitgehend aus. Der W e g zur Nutzenoptimierung war damit frei. Fortschritt war damit indes nicht impliziert, weil Veränderungen sowohl zum Guten als auch zum Schlechten bei jeder Entscheidungsfindung möglich seien. Die den Menschen anheimgestellte Dispositionsfreiheit war nicht in gültige Üblichkeiten eingebettet, aber auch nicht einem Vertrauen in die Fortschrittsfähigkeit humaner Lebensgestaltung verhaftet. Geschichte und damit auch Geschichte des Rechts, der Gesetze und Verfassungen ist aus dem Rahmen der Tradition, aber auch aus dem Raster einer fortschreitenden Evolution herausgelöst worden. Die Abfolge von rechtlichen Zuständen war das Ergebnis von isolierten Entscheidungen der politisch Handelnden, ohne dass aus ihnen eine Entwicklungsrichtung abgeleitet werden könnte. 101 Anders Nikolaus von Oresme (1322-1382), der am Hofe des französischen Königs Karls V . wirkte. Er erachtete Gesetzgebung als Mittel der Verbesserung von Lebensformen. Das gute Leben könne weiter befördert werden, weil die Menschen neue Erkenntnisse und Fertigkeiten erwerben. Er wendete sich gegen die Auffassung, daß es schädlich sei, neue Gesetze einzuführen, die doch immer nur schlechter als die älteren sein könnten und dazu beitrügen, die Achtung und Beachtung der bestehenden Gesetze gänzlich aufzuheben. Nikolaus hingegen sah einen beständigen Fortschritt in allen Tätigkeitsbereichen der Menschen wirken. Aus Erfahrung werde neues Wissen gewonnen und somit vermehrt und altes Wissen auch korrigiert. Die Dinge, die früher gefunden und erfunden worden seien, könnten so durch neue Erfindungen verändert und ersetzt werden. Dies sei eine günstige Entwicklung, weil sie zur Verbesserung von Fertigkeiten geführt habe - und zwar in allen Tätigkeitsfeldern - , woraus folgere, daß dieses Prinzip auch für die Gestaltung der politischen Verfassung und für die Gesetzgebung

101 Wilhelm von Ockham, Dialogus, in: Goldast, Monarchia (Anm. 44), III, S. 392956, S. 394-957, S. 8o6ff.; Miethke, Jürgen, Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969.

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gelte: „Et universelement en tous ars et en toutes vertus. Et donques comme ainsi soit que politique est un des ars ou des sciences, il s'ensuit que aussi est il en eile." Dieses Fortschrittsprinzip walte in der gesamten Menschheitsgeschichte, so daß eine Entwicklung von einfachen und barbarischen Gesetzen, denen die Griechen einst unterworfen gewesen seien, hin zu milderen und gerechteren Gesetzen in seiner Zeit festzustellen sei. Stets die alten Gesetze zu konservieren, seien „foles choses". Die früher lebenden Menschen hätten weniger gewußt, geringere Erfahrungen sammeln können und sich mit minderen Fertigkeiten begnügen müssen, so daß man zwar aus der Vergangenheit lernen könne, aber es nicht klug sei, sich an das Vorbild der Alten zu halten, statt Neues anzuwenden. „Et par consequent, il vault miex mettre nouvelles lays". Damit läßt es Nikolaus von Oresme aber nicht bewenden. In einem weiteren Argumentationsschritt präsentiert er nun Beweise für das Gegenteil, daß es nämlich nicht günstig sei, Gesetze zu ändern um geringer Vorteile wegen, denn die Stabilitität der Rechtsordnung gewährleiste erst die Akzeptanz von Gesetzen und sie aufs Spiel zu setzen, lohnten die Verbesserungen nicht. Im Ergebnis würde das Gesetz an Wirkung verlieren. "Et donques muer (...) les lays a autres lays nouveles ce est aflebir et debiliter la vertu de la lay." Der Autor stellt Alternativen gegenüber; eine Schlußfolgerung weigert er sich zu ziehen. Seine Bemerkung, daß es manchmal besser sei, Gesetze zu ändern, manchmal nicht und es müsse differenziert werden, beläßt die Frage nach der Existenz sich perfektionierender Gesetzgebung in der Schwebe. Der Autor wendet sich lieber einem anderen Thema zu: ,,(...)quant a maintenant nous lesseron ceste consideracion et en parleron autres foiez." Es ist ein Versprechen, das er nicht einlöst."" Ich bin geneigt, die Argumentationsweise von Nikolaus von Oresme nachzuahmen und die Widersprüche und gegensätzlichen Standpunkte unvermittelt und ohne Konklusion nebeneinander zu stellen. Die Auffassung, daß Tradition und Beharrung am geeignetsten vor Verschlechterungen rechtlicher Regeln schützen einerseits und die Vorstellung eines im Wechsel der Gesetze erkennbaren Voranschreitens humaner Gestaltung andererseits. Perpetuierung des Bestehenden zur Bewahrung des Guten oder Instrumentalisierung von Gesetzen zwecks Optimierung stehen sich gegenüber. Ein kräftiges „sowohl als auch" erschiene mir in der Tat angemessen, die Diskussion mittelalterlicher Autoren zusammenzufassen. Aber die Debatten erschöpfen sich nicht in einer Dichotomie der Alternativen. Die denkbaren Optionen reichen - wie gezeigt werden konnte - von Traditi-

102 Nikolas Oresme, Le livre de politiques d'Aristote, ed. Menut, Albert Douglas (Transactions of the American Philosophical Society N S 60,6), Philadelphia 1979, S. 97ff., 202f., z u .

Hans-Joachim Schmidt onsverhaftung, Negierung von Neuerung auch dort, wo tatsächlich Neues kreiert wurde, über die Vorstellung einer zunehmenden Dekadenz und über die Anpassung an regellos sich wandelnde Zeitumstände bis zur Annahme eines vom Urzustand ausgehenden Prozesses zunehmender Verbesserung, so daß die Fülle von Argumenten sich nicht in ein Schema sich ausschließender Lösungen pressen läßt, sich vielmehr eine Kombination von Denkfiguren auch bei einzelnen Gesetzen, Texten und Autoren festzustellen ist. Es ist festzuhalten, daß die heterogenen Elemente sich nicht zu einem Amalgam verschmelzen lassen, sondern abgeschieden Wirkung entfalten. Der vielstimmige Chor unterschiedlicher Auffassungen bringt keine harmonisierende Melodie zum klingen. Nicht einmal einzelne Stimmen halten einen bestimmten Ton, sondern variieren ihr Thema und tragen sich widersprechende Lösungen vor. Es wäre vermessen, die Widersprüche auflösen zu wollen, vielmehr zeigen sie an, daß Alternativen konzipiert, Diskussionen begonnen und Optionen eröffnet wurden, die ein einheitliches Denken ausschlossen. Es gab die Möglichkeit, Gesetze zu ändern und von Traditionen abzuweichen. Dies war im Mittelalter seit dem endenden 12. Jahrhundert der Fall und damit war eine Dynamik freigesetzt, um für Innovation Legitimität zu suchen. Die Erfindung eines Neuen — auch in den Gesetzen — ließ sich rechtfertigen, ja zumindest bei einzelnen Autoren und einzelnen Gesetzestexten als Maßnahmen zur Verbesserung deuten und in manchen Fällen sogar als Fortschritt konzipieren. Daß niemand von vorn anfangen kann, sondern jeder an das anknüpfen muß, was vorhanden ist, steht und stand dem Fortschrittsbewußtsein nicht entgegen. Ein Deutungsmonopol war freilich nicht erreicht; die spätmittelalterlichen Argumentationsangebote bildeten ein Geflecht sich teils überschneidender, teils entgegengesetzt wirkender Kräfte; nicht einmal hegemoniale Konzeptualisierung war in dieser offenen Situation durchzusetzen. Die Pluralisierung der Intentionen, der Lesarten und der Rezeptionsweisen von Texten stellte sich jeder absolut gesetzten Intention entgegen. In dem Spektrum des Gedachten und legislatorisch auch Realisierten hatte aber — und dies möge als vorläufiges Fazit genügen — die Vorstellung ihren Platz, daß sich durch menschliche Aktivität eine Entwicklung anstießen ließe, die einen jeweils höheren Verbesserungsgrad erreiche und dies bereits im irdischen Leben. Ein Verlaufsdeterminismus war wohl nirgends damit verbunden, wohl aber gab es eine optimistische, aus der Vergangenheit lernende und für die Zukunft projektierende Operationalisierung durch Gesetze. Von Tradition sich zu befreien und dem Schicksal zu entrinnen, war im Mittelalter denkbar, wohl aber noch nicht zwingendes Gebot. Gleichwohl, die Erfindung des Fortschritts änderte die Einstellung zum Recht, stellte es in die Verfügungsgewalt aktiver Umformung, machte es zum Gegenstand von Opti-

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mierungsstrategien. Gesetzgebung wurde ein schöpferischer Akt; sie war nicht mehr rezeptiv. Sie bedurfte nicht mehr stets der Berufung auf das einst oder zur Zeit Vorhandene, sie ließ sich auch als Vorgriff und Vorbereitung auf ein künftiges Besseres rechtfertigen. Das „Mittelalter" war keine Epoche, in der einheitlich gedacht wurde. Die Berufung auf die Tradition blieb nicht unwidersprochen. Es gab auch Argumente, welche Gesetze als Mittel ansahen, das Leben der Menschen zu verbessern.

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung vom Ende des n. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts Knut Schulz

Kommune und Ratsverfassung sind in der Regel in einem langgestreckten Prozeß entstanden und weisen daher sehr verschiedenartige Erscheinungsformen auf.' Mindestens ebenso gravierend sind die unterschiedlichen Voraussetzungen hinsichtlich von Raum, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, also etwa zwischen Nord- und Süditalien oder etwa zwischen älteren grund- und stadtherrlich geprägten Städten und dem neu erschlossenen Hanseraum, aber auch den Städten Flanderns." Will man Linien ziehen und Bewertungen im Sinne des Tagungsthemas vornehmen, muß man auf Details und Differenzierungen weitgehend verzichten und statt dessen Gemeinsamkeiten oder Unterschiede herausstreichen bzw. die jeweils besonderen Verhaltensmuster sichtbar machen. Anknüpfend an meine Arbeit über „Kommunale Aufstände und die Entstehung des europäischen Bürgertums"' sollen vier charakteristische Reaktionen auf die Kommunebewegung vorgestellt werden. Selbstverständlich könnte man feiner differenzieren, doch nicht in dem hier vorgegebenen Rahmen eines kürzeren Beitrags.

1

Einen Vergleich im europäischen Maßstab hat Edith Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen 1972 und öfter, vorgelegt. Für die Zeit bis um 1100 neuerdings Pitz, Ernst, Europäisches Städtewesen und Bürgertum. Von der Spätantike bis zum Hohen Mittelalter, Darmstadt 1991. Für das 12. Jahrhundert vgl. Opll, Ferdinand, Stadt und Reich im 12. Jahrhundert (1125-1190), Wien/Köln/Graz 1986 (für die drei Königreiche Deutschland, Italien und Burgund). Dilcher, Gerhard, Bürgerrecht und Stadtverfassung, Köln/Weimar/Wien 1996.

2

Der Versuch einer vergleichenden Erfassung der Ergebnisse des Entwicklungsprozesses um 1250 bei Schulz, Knut, Verfassungsentwicklung der deutschen Städte um die Mitte des 13. Jahrhunderts, in: Europas Städte zwischen Zwang und Freiheit. Die europäische Stadt um die Mitte des 13. Jahrhunderts, hg. v. Hartmann, Wilfried (Schriftenreihe der Europa-Kolloquien im Alten Reichstag; Sonderband), Regensburg 1995, S. 43-61.

3

Schulz, Knut, „Denn sie lieben die Freiheit so sehr ...". Kommunale Aufstände und Entstehung des europäischen Bürgertums im Hochmittelalter, Darmstadt 1992, "1995.

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Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

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Folgende Hauptverhaltensweisen lassen sich unterscheiden: I. Die bewußte Ablehnung oder Verteufelung des Neuen als Neues. II. Die Zurückweisung mit einem aufmerksamen oder respektvollen Blick auf das Innovative und seine Auswirkungen. III. Die bewußte Bejahung oder Förderung des Neuen als Neues. IV. Das Akzeptieren, Tolerieren, Hinnehmen aus politischer und militärischer Notwendigkeit oder aus taktischem Kalkül, wobei die Absicht zur Korrektur/Revision mitunter schon sichtbar ist. Die erste Kategorie, die bewußte Ablehnung des Neuen als Neues, ist beim Thema „Kommune" zweifellos die am häufigsten anzutreffende Verhaltensweise, die in ihrem Grundcharakter auch bemerkenswert stabil ist und vielleicht von Richard von Devizes mit Bezug auf die Londoner Ereignisse von 1189/91 auf die prägnanteste Formel gebracht worden ist: Communia est tumor plebis, timor regni, tepor sacerdotii („Die Kommune ist ein Krebsgeschwür des Volkes, ein Schrecken des Königreiches, eine Geringschätzung der Priesterschaft.").4 Gewiß ist dieser Chor von negativen Stimmen über Jahrhunderte hinweg geprägt von Herkunft und Standort der Autoren, die in der Regel adeliger Abstammung und Kleriker waren. Die dennoch erkennbaren Unterschiede in der Akzentuierung sind spürbar von den intellektuellen Fähigkeiten, der Emotionalität und der Sensibilität bei der Erfassung solcher Prozesse abhängig gewesen. Zunächst sollen einige signifikante Aussagen, verteilt auf die große Zeitspanne von etwa 1050 bis 1150/1170', zusammengestellt werden, um die wohl auffälligste Konstante, nämlich entschiedene Zurückweisung über Zeit und Raum hinweg, zu verdeutlichen.

4

Devizes, Richard de, The Chronicle of Richard of Devizes of the Time of King Richard the First, hg. und übers, v. Appleby, John T . (Nelsons's Medieval Texts 20), London 1963, S. 416.

5

Zu diesem Zeitpunkt ist der Prozeß der Kommunebildung durchaus noch nicht überall abgeschlossen, hat aber bereits so zahlreiche und aussagekräftige Reaktionen darauf evoziert, daß ein breites Spektrum von Stellungnahmen vorliegt.

Knut Schulz

33«

Teil I

A: Mailand A m A n f a n g steht das Mailänder Beispiel mit wichtigen Ansätzen schon vor 1050 und der Patarenerbewegung dann ab 1056. 6 Es handelt sich bei diesen Auseinandersetzungen um einen schweren Konflikt sozial-religiösen Charakters im Rahmen des Investiturstreites, der aber zugleich kommuneprägend war und die städtische Bevölkerung zu einer politisch handelnden Gemeinde formte, zwar durchaus kontrovers in den Positionen, aber doch vereint als Placitum ParlamentumJ

Dei und

Landulf d. Ä . , ein erbitterter Gegner sowohl der Pataria als auch

der päpstlichen Reformforderungen gegenüber der Mailänder Kirche', formuliert in seiner Historia

Mediolanensis

pointiert polemisch die Frage: „Warum

haben jene Menschen, die die frohe Botschaft Gottes vergessen hatten, eine abscheuliche Schwureinung mit schrecklichen Eiden beim V o l k unter dem Deckmantel des Gottesbundes errichtet, welche später Pataria genannt wurde?"' V o n tiefem Abscheu geprägt sind seine aggressiven Bemerkungen über die „widerlichen Volkshorden", „Eseltreiber" und „ H o f h u n d e " , wie er sie nennt, die ohne Gesetz, ohne Recht, ohne Bischof und ohne Gottesliebe nur ihren haßerfüllten Instinkten folgen und auf Raub und Plünderung aus seien.' 0 Der Angriff

6 7

8

9

10

Golinelli, Paolo, Pataria, in: LexMA VI, Sp. I776f. Violante, Cinzio, La societa milanese nell'etä precomunale (Biblioteca Universale Latetza 11), Bari 1953, '1983. Dilcher, Gerhard, Die Entstehung der lombardischen Stadtkommune (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte NF 7), Aalen 1967. Keller, Hagen, Pataria und Stadtverfassung, Stadtgemeinde und Reform: Mailand im „Investiturstreit", in: Investiturstreit und Reichsverfassung, hg. v. Fleckenstein, Josef (Vorträge und Forschungen 17), Sigmaringen 1973, S. 321-350. Golinelli, Paolo, La Pataria. Lotte religiose e sociali nella Milano dell' XI secolo, Novara/Milano 1984. Busch, Jörg W., Landulfi senioris Historia Mediolanensis. Überlieferung, Datierung und Intention, in: Deutsches Archiv 45 (1989) S. 1-30. Capitani, Ovidio, Da Landolfo seniore a Landolfo iuniore: Momenti di un processo di crisi, Atti dell' 11° Congresso Internationale di Studi sull'alto Medioevo, Spoleto 1989, Bd. 2, S. 589-622. Landulfi (senioris) historia Mediolanensis usque ad annum 1085, hg. v. Bethmann, Ludwig C., Jaffe, Philipp (MGH SS VIII), Hannover 1848, S. 32-100, hier S. 77: Cur isti obliti Dei evangelia coniurationem detestabilem terribilibus iuramentis in populo sub obtentu placiti Dei, quod postea pataliam vocatum est, exercebant? Ebd., S. 89.

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

339

auf die ambrosianische Adelskirche ist für Landulf ein Infragestellen der göttlichen Ordnung schlechthin. Wie unterschiedlich die Aussagen des politisch eigentlich gleichgesinnten und zeitgleich berichtenden Chronisten Arnulf in seinen Gesta archiepiscoporum Mediolanensium ausfallen", läßt deutlich werden, daß nicht nur die unterschiedlichen Standpunkte, sondern z.T. noch stärker die verschiedenartigen Temperamente bestimmend waren. Um sein Bemühen um Objektivität zu unterstreichen, betont Arnulf einleitend in seinem Liber tertius, daß zwar an dem Wandel von Stadt und Kirche wegen der von den Bürgern angezettelten Konflikte kein Zweifel bestehen könne, ob jedoch mit Auswirkungen zum Guten oder zum Schlechten, bleibe abzuwarten.'1 In der Tat wird bei der Darstellung der Geschehnisse dann doch die Bewertung sichtbar, nicht demonstrativ verachtend wie bei Landulf, sondern subtiler durch vermeintliche Objektivität und abschätzige Aussagen. Hier nur ein Beispiel: Nachdem die Patarenerführer die Rückendeckung aus Rom erlangt hätten, sei es ihnen nur noch darum gegangen, alle zu beherrschen und ihrer Hoheit zu unterwerfen, obwohl doch der doctor evangelicus (Christus) seine Jünger die Demut gelehrt habe.'' Arnulfs vergleichsweise ruhige und objektive Berichterstattung bleibt jedoch Ausnahme in diesem emotionsgeladenen Konflikt. Selbst der nach der Jahrhundertwende schreibende Landulf d. J. von San Paolo läßt noch seinem Haß gegen das „Lumpenpack" der Patarener freien Lauf.'4

11

Fasola, Livia, Arnulf von Mailand, in: LexMA I, Sp. 1020. Capitani, Ovidio, Storiografia e riforma della Chiesa in Italia (Arnolfo e Landolfo Seniore di Milano) (La storiografla alto medievale), Spoleto 1970, Bd. 2, S. 557-639.

12

Arnulfi gesta archiepiscoporum Mediolanensium usque ad annum 1077, hg. v. Bethmann, Ludwig C „ Wattenbach, Wilhelm ( M G H SS VIII), Hannover 1848, S. 1-31, hier S. 17: Memini dixisse me nuper propter civile iurgium mutatum urbis et ecclesiae statum. Utrum vero in melius an deterius, dicere non opportuit, cum facta collatione praeteritorum ad praesentia, facilis fiet inde cognito. Atque utinam nescirem. Quae tarnen omnia melius scribendo patebunt.

13

Ebd., S. 20: Qui cum principari appelant iure apostolico, videntur velle dominari omnium, et cuncta suae subdare ditioni, cum doctor evangelicus suos doceat humilitatem apostolos.

14

Landulfi (iunioris) de S. Paulo historia Mediolanensis a. 1097-1137, hg. v. Bethmann, Ludwig C., Jaffe, Philipp ( M G H SS XX), Hannover 1868, S. 17-49. Vgl. Capitani, Da Landolfo (Anm. 8).

340

Knut Schulz Β: Laon

In die Zeit des frühen 12. Jahrhunderts fällt auch der Höhepunkt der großen Kommunebewegung Nordfrankreichs." Aus der an anschaulichen Berichten so reichen Überlieferung ragt hier ein Autor als Augenzeuge deutlich heraus: Guibert von Nogent, A b t des kleinen Klosters Nogent-sous-Coucy-le-Chäteau westlich von Laon."

De Vita sua sive

Monodiae ist seine Autobiographie überschrieben'7, die nicht nur, weil sie aus mittelalterlicher Sicht einen neuen - wenn auch den Confessiones des Augustinus nachempfundenen - Quellentyp darstellt, so berühmt geworden ist, sondern mehr noch, weil sie an Anschaulichkeit und Lebendigkeit der Darstellung sowie in der Brillanz von Argumentation und Analyse vergleichbare Bischofsviten oder Kirchenannalen dieser Zeit und dieses Raumes weit hinter sich läßt. In der wohl pointiertesten Aussage zur Kommune, die man bei ihm finden kann, kommt beides, der persönliche Standpunkt und die genaue Analyse, klar zum Ausdruck. Danach handele es sich bei dieser neuartigen und widerlichen (novus etpessimus) Kommune um die von den Bürgern selbst gekaufte persönliche Freiheit, die allerdings durch den jährlich zu zahlenden Kopfzins und die fortbestehende gerichtliche Zuständigkeit nach Hofrecht eingeschränkt bleibe, aller anderen servilen Abgaben wie Heiratsgebühr und Todfall aber ledig sei.'8 Zwar sei dar-

15

Petit-Dutaillis, Charles, Les communes fran^aises. Caractfcres et evolution des origines au XVIIIe sifccle, Paris 1947. Vermeesch, Albert, Essai sur les origines et la signification de la commune dans le nord de la France (Xle et X l l e siecles) (fitudes presentees ä la Commission Internationale pour l'Histoire des Assemblies d'fitats 30), Heule 1966. Le Goff, Jacques, Les premieres institutions urbaines, in: Histoire de la France urbaine, Bd. 2, hg. v. Duby, Georges, Paris 1980, S. 143-181. Martinet, Suzanne, Mont Loon. Reflet fidele de la montagne et des environs de Laon de 1100 ä 1300, Laon 1972.

16

Bulst, Neithart, Guibert de Nogent, in: LexMA IV, Sp. I768f. Misch, Georg, Die Autobiographie des Abtes Wibert von Nogent, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 3 (1925) S. 566-614.

17

Guibert de Nogent, De vita sua sive Monodiae. Histoire de sa vie, hg. v. Bourgin, Georges (Collection de textes pour servir ä l'enseignement de l'histoire), Paris 1907. Guibert de Nogent, Autobiographie. Introduction, edition et traduction par Labande, Edmond-Rene (Les classiques de l'histoire de France au Moyen Äge 34), Paris 1981. Self and Society in Medieval France. The Memoirs of Abbot Guibert of Nogent, hg. v. Benton, John, New York 1970.

18

Guibert de Nogent, Autobiographie (Anm. 17), T. 3, S. 320: Communio autem novum ac pessimum nomen - sic se habet: ut capite censi omnes solitum servitutis debitum dominis semel in anno solvant et, si quid contra iura deliquerint, pensione

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

341

über eine coniuratio eingegangen worden inter clerum, proceres et populum und schließlich auch mit dem Bischof selbst, aber außer den burgenses seien alle anderen auctores novitatis nur gekaufte oder opportunistische Handlanger der Neuerungen: Denn im Grunde genommen bestehe ein unversöhnlicher H a ß des Bischofs und der Großen gegenüber den Bürgern. Aber jene könnten die „französische Freiheit" nach normannischer oder englischer Methode nicht sogleich wieder beseitigen, wenn auch der Bischof in seiner Unersättlichkeit dieses Ziel verfolge.' 9 Die pointierten Hinweise auf die Geldgier des Bischofs, welche diesen auch nicht vor dem Bruch des geleisteten Eides zurückschrecken lasse, bringen den differenzierten und differenzierenden Standpunkt von Guibert von Nogent klar zum Ausdruck. 1 " Sein H a ß auf die Kommune ist unüberhörbar, wenn bei ihm de execrabilibus communiis Ulis die Rede ist, in quibus contra jus et fas violenter servi a dominorum jure se subtrahunt', aber zugleich wird ein gewisser Respekt gegenüber den um ihre Freiheit ringenden Bürgern spürbar, auch wenn ihre Anmaßung und Brutalität bei ihm Entsetzen auslösen. Seine volle Verachtung trifft jedoch den Bischof, den hohen Klerus und die Großen in ihrer Geldgier und Unaufrichtigkeit, ja Meineidigkeit und nicht zuletzt den nur über seine Käuflichkeit zu charakterisierenden König." C: Rom War die Resonanz auf die schweren Auseinandersetzungen in Mailand und auch in den nordfranzösischen Bischofsstädten durchaus nicht nur lokal oder regional

legali emendent, caeterae censuum exactiones, quae servis infligi solent, omnimedis vacent. 19

Ebd., S. 320 und 324: Facta inter clerum, proceres et populum mutui adjutorii conjuratione, ab Anglia cum plurima copia remeavit episcopus, qui, contra hujus auctores novitatis motus, aliquandiu sese ab urbe continuit... Erat sane implacabilis invidentia episcopi ac procerum in burgenses et, d u m northmanico vel anglico more francicam non praevalet extrudere libertatem, languet pastor, suae professionis immemor, circa inexplebilem cupiditatem.

20

Kaiser, Reinhold, Das Geld in der Autobiographie des Abtes von Nogent, in: Archiv für Kulturgeschichte 69 (1987) S. 289-314.

21 22

Guibert de Nogent, Autobiographie (Anm. 17), S. 360. Ebd., S. 328/29: A d communionem itaque, quam iuraverat [= der Bischof], et regem praemiis jurare compulerat, destruendam ..., accitis proceribus et quibusdam clericis, instare decreverat. ... Igitur regius, ut dixi, appetitus ad potiora promissa defletitur eoque contra D e u m sanctiente, omnia sacramenta sua, scilicet episcopi ac procerum, sine ulla honestatis ac sacrorum dierum respectione cassantur.

Knut Schulz

342

beschränkt, so hat der Umsturz in R o m 1143/44 sogar ein „internationales" E c h o ausgelöst. 2 ' Als die beiden bedeutendsten u n d bekanntesten S t i m m e n

einer

scharfen Z u r ü c k w e i s u n g des Geschehens seien Bernhard von Clairvaux 1 4 und J o h a n n e s v o n Salisbury 1 5 genannt. Bei Bernhard von Clairvaux heißt es, gegen die römische K o m m u n e gewandt: „Was soll ich aber von dem Volk [Roms] sagen? Sie sind eben Römer. [...] Sie sind ein Volk, für das der Frieden das Ungewohnte, der Aufruhr dagegen das Gewohnte ist. [...] Sie sind vor allem klug, um Böses zu tun, Gutes zu tun aber verstehen sie nicht. Sie sind Erde und Himmel verhaßt, denn an beiden haben sie sich vergriffen. Sie sind frevlerisch gegen Gott, ehrfurchtslos gegen das Heilige, aufrührerisch gegeneinander, neidisch gegen die Nachbarn, unmenschlich gegen die Fremden ... Sie sind Menschen, die es nicht ertragen, jemandem zu unterstehen, die aber unfähig sind vorzustehen".

23

Brezzi, Paolo, Roma e l'Impero medioevale (774-1252) (Storia di Roma 10), Bologna 1947, Teil 5, Kap. 2 und 3: L'etäl eroica del comune Romano. II comune durante la lotta tra il Barbarossa e i papi, S. 317-364. - Benson, Robert L., Political Renovatio. Two Models from Roman Antiquity, in: Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, hg. v. Benson, Robert L. und Constable, Giles, Cambridge 1982, S. 339386. Baumgärtner, Ingrid, Rombeherrschung und Romerneuerung. Die römische Kommune im 12. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 69 (1989) S. 27-79. Benzinger, Josef, Invectiva in Romam. Romkritik im Mittelalter vom 9. bis zum 12. Jahrhundert (Historische Studien 404), Lübeck/Hamburg 1968.

24

Die neueste Biographie und kritische Würdigung durch Dinzelbacher, Peter, Bernhard von Clairvaux. Leben und Werk des berühmten Zisterziensers (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 1998, bes. S. 204ff., S. 3i3ff. (bes. S. 319) u. S. 348fr.; S. 205: „Die kirchliche Hierarchie, aus deren Reihen die vielfach wichtigsten Stadtherren, die Bischöfe, stammten, stand eindeutig auf Seiten der Feinde der kommunalen Bewegung (ausgenommen jene wenigen Fälle, wo sie sich selbst von einem mächtigeren weltlichen Herrn eingeschränkt sah)".

25

Guth, Klaus, Johannes von Salisbury (1115/20-1180): Studien zur Kirchen-, Kulturund Sozialgeschichte Westeuropas im 12. Jahrhundert (Münchener Historische Studien 1, Historische Abteilung 20), St. Ottilien 1978. Bernhard von Clairvaux, De consideratione ad Eugenium papam, lib. IV, cap. II: De moribus cleri et populi Romani, in: Sämtliche Werke, hg. v. Winkler, Gerhard B., Bd. i, Innsbruck 1990, S. 738-747, hier S. 738/39-740/41 u. 744/45: Quid de populo loquar? Populus Romanus est ... Quid tarnen notum saeculis, quam protervia et cervicositas Romanorum? Gens insueta paci, tumultui assueta ... Ante omnia sapientes sunt ut faciant mala, bonum autem facere nesciunt. Hi invisi terrae et caelo, utrique iniecere manus, impii in Deum, temerarii in sancta, seditiosi in invicem, aemuli

26

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

343

Der Eindruck, den dieses Schreiben Bernhards bei flüchtiger Lektüre zu erwecken vermag, als ob es sich um eine Beschreibung der latent negativen Eigenschaften und Verhaltensweisen der Römer und nicht um eine aktuelle Polemik gegen die kommunale Bewegung und deren Auswirkungen auf das Papsttum handelte, wird korrigiert, wenn man den zweiten in dieser Sache an die Römer gerichteten Brief heranzieht. Entsprechend der Absicht, die Römer zur Abkehr vom kommunalen Radikalismus und zur erneuten Anerkennung des Papstes auch als Stadtherr zu bewegen, wendet Bernhard das Stilmittel von Lob und Tadel in der Weise an, daß er neben massiver Kritik die Römer als populus sublimis et illtistris und die Stadt als urbs inclyta [et] civitas fortium charakterisiert.17 Der „Volkscharakter" hängt bei Bernhard also erkennbar von politischem Wohlverhalten im Sinne der Unterordnung unter die kirchliche Hierarchie oder aber von dem durch Verblendung und Verführung geprägten Willen zum Umsturz ab. Seine Bilder und Wertvorstellungen sind eindeutig gegen jegliche Form bürgerlicher Autonomiebestrebungen gerichtet. Johann von Salisbury steht mit seiner Berichterstattung für einen ruhigeren Ton, was jedoch nichts an der klaren Bewertung im Sinne einer entschiedenen Verurteilung ändert: Der Papst habe die Stadt wegen der Anmaßung der Römer verlassen, die ihm und den Seinen viel Unrecht zugefügt haben. Das älteste und vornehmste Recht der Gerichtsbarkeit „bis zum hundersten Meilenstein", welches die Kirche zu vergeben habe, sei ihr entzogen worden und statt dessen von den durch das Volk ernannten Senatoren gewaltsam usurpiert worden. Die regalia beati Petri habe man in honera civitatis verkehrt.

in vicinos, inhumani in extraneos, quos neminem amantes, amat nemo, et, cum timeri affectant ab omnibus, omnes timeant necesse est. Hi sunt qui subesse non sustinent, praeesse non norunt, superioribus infideles, inferioribus importabiles. 27

Bernhard von Clairvaux, Epistolae/Briefe, Nr. 243, in: Sämtliche Werke (Anm. 26), Bd. 3, Innsbruck 1992, S. 130/31—134/35: Sermo mihi est ad te, popule sublimis et illustris, cum sim vilis exiguaque persona, ac nullius paene momenti homuncio. Id quidem verecundum atque onerosum mihi, consideranti quis quibus scribam, simulque quam aliter hoc alius iudicare possit.

28

Joannis Saresberiensis Historia Pontificalis / J o h n of Salisbury's Memoirs of the Papal Court, ed. Chibnall, Marjorie, London [u.a.] 1956, S. 59: Dominus papa urbem egressus est propter improbitatem Romanorum, qui ei et suis multas iniurias irrogabant. N a m ille prefecture maximus et antiquissimus honor, ab ecdesia habens auctoritatem iuris dicendi usque ad centesimum lapidem et utens gladii potestate ad inane nomen redactus erat. Senatores enim, quos populus propria creabat auctoritate, omnem in tota civitate reddendi iuris et exequendi occupaverant potestatem. Regalia beati Petri sue rei publice vendicabant, ut inde sustinerentur honera civitatis. Patricium sibi creaverant Iordanum, virum maximum in gente Leoniana.

Knut Schulz

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D: Trier1' Das vierte und letzte Beispiel in dieser Gruppe der konsequenten Ablehnung kommunaler Neuerungen soll in eine andere Quellen- und Bezugsebene führen, nämlich die der kaiserlichen und fürstlichen Erklärungen und Beschlüsse, wie sie auf Hoftagen zustande kamen. Besonderes Interesse darf in diesem Z u s a m m e n hang das Verbot der Trierer K o m m u n e vom September 1161 deshalb beanspruchen, weil es sich um eine der frühesten Entscheidungen dieser A r t auf Reichsebene handelt und zwei in der Aussage voneinander abweichende Ausfertigungen darüber vorliegen. In dem Schreiben, das Pfalzgraf Konrad bei Rhein, der Bruder Barbarossas, gezwungenermaßen - wie er betont - aufgrund des Spruches aller Fürsten als V o g t an die Trierer richtete, heißt es: „Eurer Gemeinde teilen wir mit, daß mein Herr, der Erzbischof Eurer Stadt, vor dem Herrn Kaiser und dem allgemeinen Hoftag schwere Klage darüber erhoben hat, daß Ihr wider seine Ehre und die alten Rechte Eurer Stadt gewisse neue Gewohnheiten und gewisse ungewöhnliche Rechte einer gewissen Kommune Euch geschaffen habt Initiator des beantragten Verbots der Kommune, das der Kaiser vier Jahre zuvor schon einmal ausgesprochen hatte 3 ', war der Trierer Erzbischof, was die unterschiedliche Verhaltensweise und Interessenlage von V o g t und Stadtherr deutlich

29

Schulz, Knut, Ministerialität und Bürgertum in Trier (Rheinisches Archiv 66), Bonn 1968, bes. S. 26fF. Opll, Stadt und Reich (Anm. 1), S. 160-165. 2000 Jahre Trier, Bd. 2: Trier im Mittelalter, hg. v. Anton, Hans Hubert und Haverkamp, Alfred, Trier 1996, bes. S. 253ff.

30

Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, hg. v. Weinrich, Lorenz (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 32), Darmstadt 1967, S. 264-267: Universitati vestre significamus, quod dominus meus archiepiscopus urbis vestre coram domino imperatore et generali curia gravem querimoniam deposuit pro eo, quod contra honorem suum et antiqua iura civitatis vestre novas quasdam consuetudines et quedam iura insolita cuiusdam communionis vobis creaveritis et ad hanc voluntatem vestram consensum nostrum quibusdam occasionibus induxeritis usque adeo, itaque hec querimonia processit et ab omnibus principibus acclamatum est, quod ordine iudiciario ex sententia et auctoritate imperatoria a tali consensu vestro penitus prohibiti sumus.

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M G H , D F I. 338: ,..[C]om[m]unio quoque civium Treverensium, que et coniuratio dicit[ur], quam nos in ipsa civitate destruximus, dum presentes fiiimus, et auctoritate nostra prorsus interdiximus, que etiam postea, sicut audivimus, reiterata est, cassetur et in irritum revocetur imperiali edicto ...

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

345

hervortreten läßt, während der Kaiser auf die Rechtsposition des Trierer Erzbischofs Rücksicht zu nehmen hatte. Dies ist — wie wir noch sehen werden — kein Einzelfall. Bei allen Schwankungen in dieser Frage gibt es doch so etwas wie eine durchgehende Linie in der Ablehnung auf der Ebene vor allem der geistlichen Reichsfürsten. Die pointiertesten und umfassendsten Beschlüsse in dieser Hinsicht, die nun allerdings schon von einem unzeitgemäßen und aussichtslosen Kampf zeugen, wurden 1231 durch die Reichsfürsten gegen König Heinrich (VII.) herbeigeführt und 1232 mit Bezug auf die Bischofsstädte durch Kaiser Friedrich II. bestätigt.' 1 Hier ist von „abscheulichen Gewohnheiten, die den Anschein des Guten erwecken, indem sie das Unrecht mit einem falschen Deckmantel verhüllen" die Rede." Wenn bei der Zusammenstellung einiger Beispiele für die entschieden zurückweisende Haltung zugleich Befürworter der kommunalen Bewegung in das Blickfeld rückten, wie 1161 Pfalzgraf Konrad bei Rhein und 1231 König Heinrich (VII.), dann ist damit schon ein gewisser Vorgriff auf das im dritten Teil zu entwerfende Gegenbild erfolgt.

Teil II Lampert von Hersfeld und Otto von Freising Vorerst wollen wir uns jedoch der Variante der Ablehnung zuwenden, die die Neuartigkeit des gesellschaftlichen und politischen Engagements und Verständnisses begreift und ihm auch einen gewissen Respekt nicht versagt. Dafür sollen lediglich zwei vergleichsweise bekannte Berichte kurz angeführt werden, deren Autoren besonderes Interesse in Anspruch nehmen dürfen. Außerdem rücken damit zwei wichtige Etappen der kommunalen Entwicklung in das Blickfeld. Erinnert sei im übrigen an die Zwischentöne bei Guibert von Nogent, welcher zwar die Handlungsweise der Bürger als verwerflich, ihre freiheitliche Zielsetzung aber als honorig charakterisiert.

32

Quellen (Anm. 30), N r . 106, S. 418/19 und N r . 113, S. 428/29.

33

Ebd., S. 428ff.: ... quedam consuetudines detestande, ut boni speciem preferentes iniquitatem quodam falso pallient velamento, quibus et principum imperii iuri detrahitur et honori et imperialis nichilominus auctoritas per consequens enervatur, nostre incumbit sollicitudini precavendum, ne huiusmodi consuetudines, quas censemus pocius corruptelas, in diuturniora tempora protrahantur.

Knut Schulz

346

Ein besonders frühes und interessantes Zeugnis stellt der Bericht Lamperts von Hersfeld' 4 über den Aufstand der Wormser Bürger zugunsten Heinrichs IV. im Jahr 1073 dar." Hat der erste Teil seiner Schilderung über die Vertreibung des Bischofs aus der Stadt durch die Bürger einen deutlich negativen Akzent, so ist in den weiteren Ausführungen eine gewisse Überraschung und Bewunderung nicht zu verkennen: „Beim Herannahen des Königs also zogen sie [d.h. die Bürger] ihm bewaffnet und gerüstet entgegen, nicht um Gewalt zu gebrauchen, sondern damit er beim Anblick ihrer Menge, ihrer Rüstung, der großen Zahl kampfbereiter junger Männer in seiner Not erkenne, wie große Hoffnung er auf sie setzen könne. Bereitwillig geloben sie ihm Beistand, schwören ihm Treue, erbieten sich, jeder nach besten Kräften aus seinem Vermögen zu den Kosten der Kriegsfiihrung beizutragen, und versichern ihm, Zeit ihres Lebens treu ergeben fiir seine Ehre kämpfen zu wollen W i e beeindruckt Lampert von diesen Ereignissen war, zeigt besonders der folgende Satz über die Bedeutung der Stadt Worms für die Stärkung des Königs, wie es sämtliche in den Superlativ gesteigerte Formen deutlich hervortreten lassen.

34

Struwe, Tilman, Lampert von Hersfeld. Persönlichkeit und Weltbild eines Geschichtsschreibers am Beginn des Investiturstreits, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 19 (1969) S. 1-123. Wattenbach, Wilhelm und Holtzmann, Robert, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Die Zeit der Sachsen und Salier, Bd. 2 und 3 (1971), hg. v. Schmale, Franz-Josef, Bd. 2, S. 456-471 und Bd. 3, S. 141* und 174*.

35

Lamperti monachi Hersfeldensis Opera, hg. v. Holder-Egger, Oswald ( M G H SSrG 38), Hannover/Leipzig 1894. Lamperti monachi Hersfeldensis Annales/Lampert von Hersfeld, Annalen, nach der Edition von Holder-Egger, Oswald, erläutert von Fritz, Wolfgang Dietrich, übersetzt von Schmidt, Adolf (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 13), Berlin 1957, S. 208/09.

36

Lamperti ... Annales (Anm. 35), S. 208: ... Venienti ergo ei armati instructique obviam procedunt, non ad vim faciendam, sed ut conspecta eorum multitudine, armorum apparatu, expeditorum iuvenum frequentia animadverteret in arduis rebus suis, quantum spei in eis ponere debuisset. Operam suam benigne spondent, iusiurandum dant, sumptus ad bellum administrandum ex sua re familiari singuli pro virili portione offerunt et, quo advivant, pro honore eius devote se militaturos confirmant. Ita rex civitate munitissima potius hanc deinceps belli sedem, hanc regni arcem, hanc, utcumque res cecidissent, tutissimum asilum habere caepit, eo quod esset et civibus frequens et murorum firmitate inexpugnabilis et ubertate circumiacentium regionum opulentissima et omnibus quae in bello usui esse solent copiis instructissima.

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

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Ganz ähnlich verhält sich Otto von Freising achtzig Jahre später bei der Schilderung der Verhältnisse Oberitaliens.'7 In den Gesta Frederici charakterisiert er die oberitalienischen Stadtkommunen, welche ihm in ihrer Neuheit so fremdartig erscheinen. „Sie lieben die Freiheit so sehr, daß sie sich jedem Ubergriff der Gewalt entziehen und lieber von Konsuln als von Herrschern regieren lassen".'8 Zu ihrer maßlosen Freiheitsliebe träten ihre Neigung zur gesellschaftlichen Nivellierung (so daß sogar verachtenswerte Handwerker den Rittergürtel und höhere Würden erlangten) und ihre Aufsässigkeit, die immer wieder zu schweren Konflikten führe. Aber der Ton der Bewunderung ist bei aller Kritik an mehreren Stellen deutlich herauszuhören. Otto von Freising begreift, wenn auch mit einem gewissen Entsetzen, daß dieses kommunale Selbstbewußtsein und Selbstverständnis Macht (potentia), Reichtum (divitiae) und Tatkraft (industria) hervorgebracht hätten, wie sie in allen anderen Städten der Welt in vergleichbarer Weise nicht anzutreffen seien." Es gibt mehr Zwischentöne dieser Art, als sie in die historische Analyse oder in unser Wissen eingedrungen sind, nicht zuletzt wohl deshalb, weil die Fronten bei derartigen Konflikten in den Quellenaussagen in der Regel recht klar sind, so daß es in den historischen Darstellungen mehr um die Sachverhalte als um das Erfassen der Nebenakzente geht.40 Aber fragt man danach, inwieweit das Neue als Neues bewußt oder auch nur atmosphärisch oder intuitiv wahrgenommen worden ist, gewinnen sie ein größeres Interesse und einen höheren Aussagewert.

37

Goetz, Hans-Werner, Das Geschichtsbild Ottos von Freising (Archiv fiir Kulturgeschichte, Beiheft 19), Köln/Wien 1984. Schmale, Franz-Josef, Einleitung zu der zweisprachigen Ausgabe der Gesta Frederici/Die Taten Friedrichs (Anm. 38), S. 1-81.

38

Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris, hg. v. Waitz, Georg und von Simson, Bernhard ( M G H SSrG 46), Hannover/Leipzig 1912, N D 1978. Ottonis episcopi Frisingensis et Rahewini/Bischof Otto von Freising und Rahewin, Gesta Frederici seu rectius Cronica/Die Taten Friedrichs oder richtiger Cronica, hg. v. Schmale, Franz-Josef, übersetzt v. Schmidt, Adolf (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 17), Darmstadt 1965, II, 14, S. 308/09.

39

Ottonis episcopi Frisingensis (Anm. 38), S. 308/10: Ex eo factum / est, ut ceteris orbis civitatibus divitiis et potentia premineant. Iuvantur ad hoc ..., ut dictum est, morum suorum industria...

40

Hinzu kommt häufig das Uberlieferungsproblem solcher Berichte und die Einschätzung bzw. Einordnung weniger bekannter oder anonymer Autoren.

34

Knut Schulz

8

Teil III W o r m s - Speyer — Flandern N u n zu der entgegengesetzten Position, also der Bejahung und Förderung bürgerlicher Neuerungen durch zeitgenössische Aussagen oder M a ß n a h m e n . A m A n f a n g stehen die W o r m s e r Ereignisse von 1073/74, 4 1

n u n

jedoch aus dem ande-

ren, dem königlichen Blickwinkel, während der Bericht Lamperts v o n Hersfeld über den A u f s t a n d der W o r m s e r Bürger zugunsten des Königs als Beispiel des Erstaunens und Respekts bei eigentlich klarer A b l e h n u n g eines solchen Verhaltens bereits vorgestellt w o r d e n ist. 41 W o r u m es hier geht, ist das von Heinrich I V . den W o r m s e r n wegen ihrer T r e u e erteilte Privileg 4 ', im Kern eine Zollbefreiung, die in unserem Z u s a m m e n h a n g weniger interessiert. U m so aussagekräftiger sind die ungewöhnlich ausgestaltete Arenga und Narratio der U r k u n d e , die besondere A u f m e r k s a m k e i t in Anspruch nehmen dürfen: „Wir haben die Einwohner der Stadt Worms nicht eines ganz kleinen, sondern eines ganz großen und besonderen Entgelts für würdig, nein: für würdiger als alle Bürger jeglicher Städte angesehen, sie, von denen wir wissen, daß sie in der ganz großen Erschütterung des Reiches mit ganz großer und besonderer Treue zu uns gehalten haben [...]. Daher sollen sie bei der gebührenden Belohnung ihres Dienstes allen als Beispiel dienen, die alle in der Bewahrung des heiligen Bundes der Treue übertreffen haben. Daher sollen Einwohner aller Städte froh sein in der Hoffnung auf die königliche Vergütung, welche die Wormser tatsächlich erreicht haben. Lernen sollen alle, in deren Nachahmung dem König die Treue zu bewah44 ren r[...]i« .

41

Einen Überblick über das Geschehen bietet die „klassische" Darstellung von Boos, Heinrich, Geschichte der rheinischen Städtekultur ... mit besonderer Berücksichtigung der Stadt Worms, 4 Bde., Berlin 1897-1901, hier Bd. 1, Kap. 14, S. 313-344, bes.

s. 324-331· 42

Diese Einstellung Lamperts von Hersfeld wird besonders durch den Vergleich seiner Schilderung mit der sich anschließenden Kölner Erhebung gegen Erzbischof Anno von Köln sichtbar: Lamperti ... Annales (Anm. 35), S. 236/37-248/49, bes. S. 236/37: Id magis venit in suspicionem, quod, cum celebre apud omnes esset nomen Wormaciensium, pro eo quod regi fidem in adversis servassent et episcopum rebellare temptantem civitate expulissent, Colonienses pessimum exemplum emulati suam quoque devocionem insigni aliquo facinore regi gratificare vellent.

43 44

M G H D H IV, 267, S. 341/43. Quellen (Anm. 30), S. 132-136. Quellen (Anm. 30), S. i32ff. ... Inter quos Wormatiensis civitatis habitatores non minima sed maxima et speciali remuneratione dignos, quin omnibus cuiuslibet urbis

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

349

Diese Urkunde, die erste überhaupt, die im deutschen Reich den Bürgern einer Stadt erteilt wurde, ist mit so großem stilistischen Aufwand und politischen Engagement gestaltet worden, daß die publizistische Absicht unschwer zu erkennen ist.45 In der Tat ist Köln diesem Appell zur Nachahmung (imitatio) umgehend gefolgt. Jedenfalls spricht Lampert von Hersfeld diese Behauptung aus, wenn er berichtet: „Diesem sehr bösen Beispiel (pessimum exemplum) eiferten nun die Kölner nach und wollten ebenfalls durch irgendeine hervorstehende Tat dem König einen Gefallen tun [,..]".46 Mit der Urkunde vom 18. Januar 1074 ist zwar kein königlicher Aufruf zur Errichtung einer coniuratio und communio ergangen, aber eine ausgesprochen positive Bewertung des selbständigen politischen Handelns eines Bürgerverbandes, verbunden mit der Vertreibung eines königsfeindlichen bischöflichen Stadtherrn, erfolgt. Ein solcher Handlungsablauf kann schlechterdings nicht ohne Absprachen und Zusammenschluß erfolgen und führt zumindest vorübergehend auf die Herstellung einer politischen und militärischen Geschlossenheit hinaus. Ob und inwieweit hier Schlußfolgerungen auf ein gewolltes Bündnis von Königtum und aufstrebendem Bürgertum gezogen werden dürfen, sei dahingestellt, aber daß der König in dieser Phase Neuerungen der genannten Art förderte, ist offenkundig. 47 Die Aussage dieses Quellenzeugnisses ist sowohl von der Gestaltung und dem Inhalt als auch von der Einordnung in den Zeithorizont her so „neu" oder aus dem Rahmen fallend, daß sie abwehrend meist in dem Sinne interpretiert wird, daß von einem angestrebten Bündnis von König und Bürgertum keine Rede sein könne. Eine solche Negativaussage ist verhältnismäßig einfach formuliert

45 46 47

civibus digniores iudicavimus, quos in maxima regni commotione maxima et speciali fidelitate nobis adhaesisse cognovimus ... Sint igitur servitii renumeratione primi, qui in servitii devotione extiterunt non novissimi. Sint omnibus exemplo in debita servitii responsione, qui omnibus praestant in servata fidei religione. Sint omnium civitatum habitatores regiae munificentiae spe laetificati, quam Wormatienses ipsa re sunt consecuti. Miethke, Jürgen, Publizistik, in: LexMA VII, Sp. 313-318 mit weiterführender Literatur. Vgl. Anm. 42. Vgl. hierzu Holbach, Rudolf, ... gravissima coniuratione introducta. Bemerkungen zu den Schwureinungen in Bischofsstädten im Westen des Reiches während des Hochmittelalters, in: Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und raumübergreifende Perspektiven. Georg Droege zum Gedenken, hg. v. Nikolay-Panter, Marlene u.a., Köln 1994, S. 159-184. Dieser klare Problemaufriß bietet einen Einblick in viele Bereiche der mit dem Thema inhaltlich verbundenen Fragen sowie Hinweise auf die aktuelle Literatur, also in einigen Punkten das, was hier nicht geleistet werden kann.

350

Knut Schulz

und klingt erst einmal überzeugend; viel schwieriger ist es jedoch, zu einer positiven Einschätzung zu gelangen. Denn daß dieses ungewöhnliche Dokument Anspruch darauf hat, ernst genommen und nicht skeptisch beiseite geschoben zu werden, steht angesichts seiner bemerkenswerten Ausformung und auch Auswirkung wohl außer Zweifel, allein wenn man an die „publizistische" Absicht des Textes und an die Wirkung auf die Zeitgenossen denkt, wie sie uns Lampert von Hersfeld schildert/8 Das in der Entwicklung nächste herausragende Beispiel und Quellenzeugnis bietet wiederum die mittelrheinische Städtegruppe mit den beiden Privilegien Kaiser Heinrichs V. von i m und 1114 für Speyer und Worms.49 Im Kern geht es um die Aufhebung eherechtlicher Bindungen und erbrechtlicher Abgaben, wie sie von herrschaftlicher Seite, vor allem vom Bischof, auf hofrechtlicher Grundlage gegenüber den Zensualen, die damals den größten Teil der städtischen Bevölkerung ausmachten, eingefordert w u r d e n . D r e i Gründe bzw. Faktoren sind es vornehmlich, die einen klaren Willen des Herrschers zur Neuerung im bürgerlichen Sinn erkennen lassen: 1. Die sprachliche Gestalt, in der die beiden Privilegien präsentiert werden. Es handelt sich immerhin um das geltende Recht einer Bischofsstadt oder - besser noch — das Recht, wie es von königsnahen Bischöfen als Stadtherren vertreten wurde, welches in dem einen Fall als eine lex nequissima et nephanda, als ein nichtswürdiges und ruchloses Gesetz, durch das die ganze Stadt wegen allzu großer Armut zunichte gemacht werde, bezeichnet wird (so für Speyer 1111)." In dem anderen Fall (Worms 1114) ist von den „jammervollen Klagen" und den

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Vgl. Anm. 42. Urkunden zur Geschichte der Stadt Speyer, hg. v. Hilgard, Alfred, Straßburg 1885, Nr. 14. Urkundenbuch der Stadt Worms, hg. v. Boos, Heinrich (Quellen zur Geschichte der Stadt Worms), Berlin 1886, Bd. 1, Nr. 62 und Quellen (Anm. 30), Nr. 48, S. 178/79-182/83.

50

Schulz, Knut, Zensualität und Stadtentwicklung im 11. und 12. Jahrhundert, in: Beiträge zum hochmittelalterlichen Städtewesen, hg. v. Diestelkamp, Bernd (Städteforschung A 11), Köln/Wien 1982, S. 73-93 und ders., Von der familia zur Stadtgemeinde. Z u m Prozeß der Erlangung bürgerlicher Freiheitsrechte durch hofrechtlich gebundene Bevölkerungsgruppen, in: Die abendländische Freiheit vom 10. zum 14. Jahrhundert, hg. v. Fried, Johannes (Vorträge und Forschungen 39), Sigmaringen 1991, S. 461-484.

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Urkunden ... Speyer (Anm. 49), Nr. 14: ...omnes qui in civitate Spirensi modo habitant vel deinceps habitare voluerint, undecumque venerint vel cuiuscumque condicionis fuerint, a lege nequissima et nephanda, videlicet a parte ilia que vulgo budeil vocabatur, per quam tota civitas ob nimiam paupertatem ad nichilabatur, ipsos suosque ... heredes excussimus.

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung „unaufhörlichen Rechtsverdrehungen",

die die W o r m s e r

351

Bürger wegen

der

eherechtlichen Nachstellungen erleiden mußten, die Rede.' 2 2. D i e Art der „Veröffentlichung" zeigt, welche Bedeutung von Heinrich V . dieser Rechtsverleihung beigemessen wurde. D e n n er ordnete an, den T e x t des Privilegs über dem D o m p o r t a l in goldenen Buchstaben, versehen mit dem kaiserlichen Bild, anbringen zu lassen", wie es dann auch geschah.' 4 D a f ü r verpflichteten sich die Speyerer, das Jahrgedächtnis Heinrichs I V . jeweils feierlich zu begehen." In der T a t stellen diese Privilegien Marksteine auf dem W e g zur Erringung der Stadtfreiheit dar. 3. K o m m t die letztgenannte Einschätzung in zeitgenössischen

Zeugnissen

zum A u s d r u c k , in denen, wie bei G u i b e r t v o n N o g e n t , die Entstehung der K o m m u n e und die L ö s u n g der Bürger aus älteren Bindungen mit der A u f h e b u n g der hofrechtlichen Bestimmungen des Erb- und Eherechts gleichgesetzt werden. 5 ' Dies bringt das entsprechende Zitat für L a o n klar z u m Ausdruck, und dies galt den Zeitgenossen als Kernpunkt, wie es viele parallele V o r g ä n g e bewei-

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Urkundenbuch ... Worms (Anm. 49), Bd. 1, Nr. 62: Videlicet lamentabilem eiusdem populi clamorem et infinitas quas patiebantur insuper conubiis suis calumnias ex eorum petitione et consensu principum meorum ita terminavi, ut deinceps ob hanc causam non habeant occasionem conquerendi.

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Urkunden ... Speyer (Anm. 49), Nr. 14: Ut autem hec nostra concessio et confirmacio rata et inconvulsa omni evo permaneat, et / ne aliquis ... imperator aut ... rex vel ... episcopus aut ... comes vel aliqua potestas maior vel minor infringere audeat, in perpetuam specialis privilegii memoriam hoc insigne stabili ex materia ut maneat compositum, litteris aureis ut deceat expositum, nostre ymaginis interposicione ut vigeat corroboratum, in ipsius Tempil fronte ut pateat, annitente nostrorum opera civium, constat expositum, singularem erga ipsos continens nostre dilectionis affectum.

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Urkunden ... Speyer (Anm. 49). Auf einem beigefügten Faltblatt veröffentlicht Hilgard eine Nachzeichnung von 1755 über die ursprüngliche Anbringung der Inschrift über dem Domportal.

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Urkunden ... Speyer (Anm. 49), Nr. 14: ... ea tarnen interposita condicione, ut in anniversario patris nostri sollempniter ad vigilias et ad missam omnes conveniant, candelas in manibus teneant et de singulis domibus panem unum pro elemosina dare et pauperibus erogare studeant.

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Vgl. die in Anm. 18 wiedergegebene .Definition' der Kommune durch Guibert von Nogent.

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Das naheliegendste und zugleich bekannteste Vergleichsbeispiel ist das Mainzer. Dieses wohl in Konkurrenz zu den kaiserlichen Diplomen für Speyer und Worms von Erzbischof Adalbert den Mainzer Stadtbewohnern erteilte Privileg von 1119/1122, das 1135 bestätigt wurde (Mainzer Urkundenbuch, bearb. v. Stimming, Manfred, Darmstadt 1932, Bd. 1, Nr. 600, S. 517), erfuhr gleichfalls die „Veröffentlichung" an der

Knut Schulz

352

Das dritte und letzte Beispiel in dieser Reihe betrifft Flandern, wobei wir auf die vielen interessanten Aussagen bei Galbert von Brügge' 8 als scharfsichtigem Berichterstatter der Ereignisse von 1127/28" verzichten und uns nur auf zwei zentrale Bestimmungen des Privilegs fur St. O m e r ° beschränken werden. Diese als Chirograph sowohl von dem gescheiterten neuen G r a f e n Flanderns, Wilhelm Clito von der Normandie, im April 1127 als auch von seinem erfolgreichen Nachfolger Dietrich v o m Elsaß im August 1128 ausgestellte Urkunde steht als einzige überlieferte dieses Inhalts pars pro toto für die Rechtsverleihungen an die großen Städte Flanderns. Ihre zentrale Aussage ist die Anerkennung der K o m mune, die damit an ihr eigentliches Ziel gelangt war. „Ihre K o m m u n e aber, wie sie sie beschworen haben, soll, so befehle ich, G r a f Wilhelm Clito, bewahrt bleiben, und ich werde es nicht dulden, daß sie von irgend jemandem aufgelöst wird

W i e groß die Spontaneität der gräflichen Z u s t i m m u n g war oder wie

viel politisches Kalkül dahinter stand, ist hier nicht zu erörtern, aber die Entschlossenheit, als Landesherr diesen W e g der Anerkennung zu gehen und die neugebildeten K o m m u n e n in die politische Rechnung einzubeziehen, ist klar erkennbar und deutlich ausgesprochen. Verstärkend in dieser Hinsicht tritt eine sehr weitgehende und ganz neuartige Bestimmung hinzu, wenn es im neunten Artikel heißt, daß alle, die innerhalb der Mauer von St. O m e r bereits wohnen oder zuziehen werden, von dem Kopfzins und den Zuständigkeiten der Vögte befreit sein sollten.' 1 Damit werden die letzten an den Zensualenstatus geknüpften Bindungen und Abgaben beseitigt, so daß man von der Verbriefung der bürgerlichen Freiheit auf Kosten der bischöflichen Stadtherren, der großen Abteien und Stifte sprechen kann. Über die Durchsetzbarkeit einer so weitgehenden Befreiung ist damit zwar noch nichts ausgesagt, aber die Bereitschaft,

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bemerkenswertesten Stelle, nämlich am Marktportal des Mainzer Doms, eingraviert in die Bronzetür des Willigis. Auch hier geht es um die Reduzierung hofrechtlicher Bindungen der Stadtbewohner. Vgl. Schulz, K., Von der familia (Anm. 50), S. 476f. Galbert van Brugge, grafelijk secretaris: De moord op Karel de Goede. Dagboek van de gebeurtenisen in de jaren 1127-1128, hg. v. Caenegem, Raoul C. van und Demythenaere, Albert, Antwerpen 1978. The murder of Charles the Good count of Flandre, hg. v. Ross, James B., New York i960. Schulz, „Denn sie lieben die Freiheit so sehr"... (Anm. 3), Kap. IV, Flandern 1127/28: Brügge/Gent und St. Omer, S. 101-131. Actes des comtes de Flandre, 1071-1128, hg. v. Vercauteren, Fernand, Brüssel 1938, Nr. 127, S. 296f. Ebd: Communionem autem suam, sicut eam iuraverunt, permanere precipio, et a nemine dissolvi permitto. Ebd: Omnes qui infra murum Sancti Audomari habitant et deinceps sunt habitaturi, liberos a cavagio, hoc est a capitali censu et de advocationibus constituto.

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

353

diese Rechte zu gewähren, ist auf Seiten des Grafen jedenfalls vorhanden geweij sen. Erinnert sei hier noch einmal an die Trierer coniuratio

und communio

von

1157/1161 und die Rolle des Pfalzgrafen Konrad als Stadtvogt, der als Förderer der kommunalen Entwicklung in Trier genannt wird und sich selbst zu erkennen gibt, auch w e n n er dem Spruch der Reichsfürsten und des Kaisers unterlegen war. D a m i t ergibt sich doch eine gewisse Reihe von positiven, die kommunale Bewegung fördernden Aussagen, die sich durchaus fortsetzen ließe, aber nie die Dichte der Überlieferung negativer, die Entwicklung inhibierender Bestimmungen erreicht.

Teil IV

Cambrai - Reims Schließlich der vierte und letzte Punkt, der die geringste Eindeutigkeit aufweist, vielmehr das Schwankende und Wechselhafte der Reaktionen auf die k o m m u n a len Bestrebungen erkennen läßt. W i r konzentrieren uns auf die Fragen der kommunalen Bewegung so aussagekräftigen Beispiele Cambrai und Reims. D i e Konflikte in Cambrai, soweit sie auf Reichsebene ausgetragen wurden, stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus einem größeren Prozeß dar, denn diese Stadt hat eine mindestens von 1077-1227 reichende, also 150jährige k o m m u n a l e Entwicklung mit heftigen, kaum unterbrochenen Auseinandersetzungen, Verboten und Verbriefungen durchfochten und erlitten.' 4 1107 sorgte Heinrich V . durch militärische Intervention für die Unterdrückung der Kommune' 1 ,1138 nahm Konrad III. eine eher vermittelnde Haltung in dieser

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Schulz, „Denn sie lieben die Freiheit so sehr ..." (Anm. 3), Kap. IV, 4 u. 5, S. 119-131, bes. S. 129fr.

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Einen kompakten Überblick bietet Opll, Stadt und Reich (Anm. 1), S. 54-63. Vgl. außerdem Dieckmeyer, Adolf, Die Stadt Cambrai. Verfassungsgeschichtliche Untersuchungen aus dem zehnten bis gegen Ende des zwölften Jahrhunderts, Bielefeld 1890. Reinecke, Wilhelm, Geschichte der Stadt Cambrai bis zur Erteilung der Lex Godefridi (1227), Marburg 1896. Vermeesch, Essai (Anm. 15).

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Vita Galcheri, hg. v. de Smedt, Charles (Gestes des iveques de Cambrai de 1092 a 1138), Paris 1880, S. 96: ... sie disiuneta communio ab iniquo coniurio fecit regi Hen-

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Frage ein'* und 1174 forderte Friedrich Barbarossa die Stadt Cambrai zur Finanzleistung für den Italienzug auf*7, was eine gewisse Anerkennung dieses Rechtsgebildes impliziert. An zwei kaiserlichen Urkunden, nämlich von 1182 und 1184 , soll nochmals verdeutlicht werden, wie auf dieser Ebene die aktuelle politische Situation die Entscheidungen prägte. Im Jahre 1182 gelang es Bischof Roger von Cambrai auf dem Hoftag von Mainz, seine Klage gegen die Kommune und ihre Übergriffe gegenüber dem Klerus so geschickt und effizient zu platzieren, daß nicht nur das erwünschte Verbot ausgesprochen wurde, sondern ein Beschluß mit einer Begründung grundsätzlichen Charakters zustande kam. Die der Kirche zugefügten Schäden müßten entschlossen beseitigt und die Wiederherstellung der integra libertas ac dignitas der Kirche gesichert werden.4' Es ist in erster Linie die Entscheidung der geistlichen Reichsfürsten, welche auf der Grundlage der älteren königlichen Privilegien durch den Spruch des Kaisers in feierlicher Versammlung rechtskräftig verkündet wird und damit vom Anspruch her eine generelle Aussage über die Unzulässigkeit bzw. Strafwürdigkeit von Kommunebildungen in Bischofsstädten darstellt.7" Zwei Jahre später, im Juni 1184 in Gelnhausen, stellte Friedrich Barbarossa in dem erneuten Streit zwischen Bischof und Stadt Cambrai eine inhaltlich wie sprachlich wesentlich anders gestaltete Urkunde aus, die angeblich einen vom Kaiser vermittelten friedlichen Ausgleich zwischen den Ansprüchen des Bischofs und den Interessen der Stadt darstellt, tatsächlich aber in zahlreichen Einzelbestimmungen die Belange der Stadt verbrieft. Dabei wird allerdings konsequent der Begriff der communio und der coniuratio vermieden und statt dessen in allen

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rico fiduciam sacramento. Vgl. auch Gesta Galcheri episcopi Cameracensis, hg. v. Waitz, Georg (MGH SS XIV), Hannover 1 8 8 3 , S. 1 8 6 - 2 1 0 , hier S. 2C>of. MGH DD K. III. 141 und 143. Vgl. Opll, Stadt und Reich (Anm. 1), S. 57. Gesta episcoporum Cameracensium. Gesta pontificum abbreviata per canonicum Cameracensem a. 1 0 1 2 - 1 1 9 1 , hg. v. Bethmann, Ludwig C. (MGH SS VII), Hannover 1 8 4 6 , S. 5 0 4 - 5 1 0 , hier S. 5 0 9 . MGH DD F. I. 8 2 5 und 8 5 8 . Ebd., Nr. 825: ... eandem communionem iudicio curie nostre abiudicavimus et ex principum nostrorum sententia ore proprio dampnavimus atque destruximus, et quia occasione eiusdem communionis ipse et ecclesie sua gravia passi fuerant detrimenta, ipsum et ecclesiam suam in integram sui iuris libertatem ac dignitatem imperial! auctoritate plenarie restituimus. Ebd., Nr. 825: ... Quorum nos instabile secuti exemplum posterorum memorie decrevimus transmittere quod fidelis et dilectus princeps noster Rogerus Cameracensis episcopus in audientia nostra et curie nostre querelas graves adversus burgenses suos proposuit...

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

355

diesen Punkten der Ausdruck der pax eingeführt, was in der Kombination der Begriffsbildung domus pacts und der iurati pacts die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Repräsentanten der Stadtgemeinde fixiert, die bisher als communitas verurteilt worden war.7' Versehen mit der kaiserlichen Goldbulle, ist dieses Dokument deshalb nicht zu unrecht als die „Magna Carta der Kommune" bezeichnet worden. 71 Als Grund für den Gesinnungswandel Friedrich Barbarossas nennen die Gesta abbreviata der Bischöfe von Cambrai die Leistung hoher Geldzahlungen durch die Bürger, um abschließend folgende Klage anzustimmen: „O früheres Glück verwandelt nun in ein großes Unglück, indem das Privileg der Freiheit [der Kirche] in bestimmte Rechtsformen der Knechtschaft umgestaltet wurde".7' Gewiß war der Kaiser nicht einfach käuflich, vielmehr weisen verschiedene Entscheidungen Barbarossas in den 1180er Jahren auf ein stärkeres Entgegenkommen gegenüber der bürgerlich-städtischen Entwicklung hin.74 Aber auch diese kaiserliche Urkunde hat keine dauerhafte neue Grundlage geschaffen. In der Kommunefrage wurde ebenso erbittert weiter gestritten wie zuvor, bis 1227 mit der Lex Godefridt für Cambrai der Bischof ein definitives Verbot derselben erkämpfte und erzwang.75 Aber man sollte diese besonders weitgehende Textaussage nicht als politische Realität und Endergebnis werten. Rücken wir abschließend noch ein Ereignis in das Blickfeld, das die unterschiedlichen Positionen klar hervortreten läßt. Es geht um die Reaktion auf die Kommunebildung der Bürgergemeinde von Reims, die nach dem Tode des Erzbischofs im Januar 1139 die mit der Vakanz gegebene Chance nutzte und, nicht zuletzt um ihren Anspruch auf Mitwirkung bei der Erhebung des Nachfolgers geltend zu machen, eine auf der coniuratio aufbauende communio errichtete.76

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Ebd., Nr. 858: Item iurati pacis iusticiam facient de forisfactis quorumlibet hominum exceptis clericis et iusticiare debent milites, liberos homines et eorum mobilia et familiam. Opll, Stadt und Reich (Anm. 1), S. 61/62. Gesta pontificum abbreviata (Anm. 67), S. 510: Ο primam felicitatem magno permutatam infortunio, dum Privilegium libertatis in quaedam servitutis instituta commutatur. Die zeitlich vielleicht interessantesten Parallelen sind wohl die Entscheidungen, die Friedrich I. 1182 und 1184 zugunsten der Speyerer und Wormser Bürger in ihrem Streit mit den bischöflichen Stadtherren traf. MGH DD F. I. 827 und 853. Reinecke, Cambrai (Anm. 64) mit der Veröffentlichung des Textes als Anhang, S. 268-276. Bur, Michel, Reims, in: LexMA VII, Sp. 657-663. Hamann-Mac Lean, Richard, Die Reimser Denkmale des französischen Königtums im 12. Jahrhundert (Beiträge zur Bildung der französischen Nation im Früh- und Hochmittelalter, hg. v. Beumann, Helmut) 1983, S. 94-259. Schmugge, Ludwig, Ministerialität und Bürgertum in

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356

Von dem jungen König Ludwig VII. erhielt sie die entscheidende Unterstützung in seinem Schreiben ad maiorem et communiam RemensemJ7 Diese nach dem Vorbild des königlichen Kommuneprivilegs für Laon von 1128 gewährte Zustimmung für die Bürger von Reims steht in einem deutlichen Gegensatz zu den Reaktionen, die auf verschiedenen Ebenen von kirchlicher Seite zu beobachten sind, zumal die Neuwahl des Erzbischofs hinausgezögert wurde.7" Der König, der das Zwischennutzungsrecht an den Einkünften geltend machte und die Erteilung der licentia eligendi verzögerte, handelte im Einvernehmen mit der Bürgergemeinde. Bei allen denkbaren Motiven, die den König ansonsten bewegt haben könnten, bleibt der nach außen hin hervorstechende Sachverhalt, daß eine erkennbare Handlungsgemeinschaft zwischen dem König und der Bürgergemeinde zustande gekommen war. Daß der hohe Klerus, speziell das Domkapitel, dagegen Sturm laufen mußte, bedarf keiner Begründung, aber die Intervention, wie sie durch Bernhard von Clairvaux und Papst Innozenz II. erfolgte, geht in ihrer Heftigkeit denn doch über das übliche Maß hinaus. Bernhard fordert in seinem Schreiben den Papst zum energischen Handeln auf und verlangt, den König in seine Schranken zu verweisen, die rasche Durchführung der Wahl zu veranlassen und die „unverschämten Neuerungen" des Reimser Volkes auszumerzen.79 Tatsächlich wies der Papst den jungen König in einer geradezu provokativen Weise an, die Kommune zu verbieten und sie zu zwingen, sämtliche Entscheidungen und Entwicklungen rückgängig zu machen sowie die durch die Kommune angerichteten Schäden der Kirche zu ersetzen und deren Freiheiten und Rechte wiederherzustellen."0

Reims, in: Francis 2 (1974) S. 152-212. — Boussinesq, Georges und Laurent, Gustave, Histoire de Reims depuis les origines jusqu'ä nos jours, 2 Bde., Reims 1933, N D 1980, hier Bd. 1, S. 26off. 77

Recueil des Historiens des Gaules et de la France 16, hg. v. Brial, Michel-JeanJoseph, nouvelle edition, Paris 1878, S. 5f. (vgl. dazu auch: Luchaire, Achille, Stüdes sur les Actes de Louis V I I , Paris 1885, N D Brüssel 1964, S. 47-48): Ludovicus ... majori totique communiae Remensi, fidelibus nostris, salutem. Scitis quia nos humili petitione et precibus vestris assensum praebentes, ad m o d u m communiae Laudunensis, communiam vobis indulsimus, salvo tarnen iure et consuetudinibus archiepiscopatus et omnium ecclesiarum ... .

78 79

Dinzelbacher, Bernhard von Clairvaux (Anm. 24), S. 2 0 4 - 2 0 7 . Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke (Anm. 26), Bd. 3, Epistolae/Briefe, Nr. 318, S. 528/29: ... ne insolentia Remensis populi disperdat si quid residuum est, nisi in brachio excelso furori eius resistatur.

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Migne P L 179, Turnhout 1964 [ N D ] , Sp. 497: Et quoniam te Deus in regem elegi et ungi voluit ut sponsam suam, sanctam videlicet Ecclesiam, proprio sanguine suo redemptam, defenderes et eius libertatem illibatam servares, per apostolica tibi scripta

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

357

Die grundsätzliche Bewertung des kommunalen Gedankens durch Papst Innozenz findet sich in dessen Schreiben an die Reimser Bürger, in dem von den novas leges sive consuetudines die Rede ist und die K o m m u n e sub poena

anathema-

tis auctoritate apostolica verboten wird. 8 ' Gegenüber diesen Interventionen sah sich der König genötigt, die Exzesse der K o m m u n e zu korrigieren. Nachdem der zum Erzbischof erwählte Bernhard von Clairvaux die Amtsübernahme abgelehnt hatte und in einer zweiten Wahl der Archidiakon von Chartres, Samson Mauvoisin, zum Erzbischof erhoben worden war, destruitur

communia

Remensis regepresente et Theobalde comite [von Champagne] adiuvante

Schlußbemerkungen „Fortschrittsverweigerung und Fortschrittsbewußtsein", um abschließend noch einmal den Untertitel des Tagungsthemas aufzugreifen, sind in fast allen Z e u g nissen zur Kommunebewegung in ausgeprägtem M a ß e -

und hier vielleicht

mehr als in jedem anderen Bereich dieser an Veränderungen so reichen Zeit vom späten n . bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts — anzutreffen. Die besten Köpfe der Zeit reagierten darauf ebenso wie die politischen Entscheidungsträger und

mandamus ac in remissionem peccatorum injungimus quatenus pravos illos Remensium conventus, quos compagnias vocant, potestate regia dissipes, et tarn ecclesiam quam civitatem in eum statum et libertatem in qua erat tempore egregiae recordation is patris tui et fratris nostri Rainoldi archiepiscopi nuper defuncti reducas, damna vero quae Ecclesiae et ecdesiasticis personis a civibus sunt illata eis facias restaurari. 81

Ebd., Sp. 468f. ... Cuius rei gratia universitati vestrae mandamus et apostolica auctoritate praecipimus, quatenus in Remensem civitatem novas leges sive consuetudines nullatenus inducatis; sed potius ipsam in eo statu et übertäte penitus dimittatis, in qua tempore fratris nostri bonae memoriae R. archiepiscopi vestri noscitur extitisse. Si qui vero communiam facere in eadem civitate praesumpserint, hujuscemodi factum irritum ducimus, et ne apud vos eadem communia fiat sub poena anathematis, auctoritate apostolica prohibemus.

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Recueil 16 (Anm. 77), S. 6: Gravissimum nobis est id quod vos facitis, quod nulla alia communia facere praesumpsit; et modum Laudunensis communiae, qui vobis propositus est, omnino exceditis; et hoc ipsum quod vobis nominatim prohibuimus, scilicet ne villas extrinsecas in communiam vestram reciperetis, hoc confidenter et secure facitis; ... Pro his omnibus escessibus jam vobis mandavimus et nunc mandamus et praecipimus, quatenus in pace dimittatis, ablata eis restituatis, et ecclesiis ac canonicis justicias et consuetudines et libertates suas integre conservetis. Valete.

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Boussinesq und Laurent, Histoire de Reims 1 (Anm. 76), S. 261.

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Institutionen, weder der Klerus in allen seinen Schattierungen noch Adelige und Ritter konnten sich diesen Fragen entziehen, und in den Städten fanden die Diskussion auf den Straßen, Plätzen, ja in den Kirchen statt und machten auch nicht vor den Häusern der einzelnen Familien halt. Die für diese Zeit erst einmal fremdartig anmutenden Begriffe der Öffentlichkeit, Politisierung und Autoritätskrise bezeichnen das Neuartige des Geschehens insofern wohl angemessen, als daß sie der Aussage der Quellen nicht nur inhaltlich, sondern auch emotional entsprechen.' 4 Gewiß war die Kommunebewegung kein flächendeckender Vorgang, sondern auf die bedeutenden vorwärtsstrebenden Städteregionen konzentriert, sie erfaßte aber alle europäischen Kernlandschaften. Sie erstreckte sich über 100-150 Jahre, was zusammen mit der räumlichen Ausdehnung das Problem der Vergleichbarkeit aufwirft." Die Quellenaussagen sind - wie es der Überblick wohl gezeigt hat - in der Regel sehr anschaulich, oft leidenschaftlich und aggressiv. Fast alle Autoren oder Zeugnisse geben zu erkennen, daß sie das Neue, das hier nach vorne drängte, begreifen oder doch erahnen, mögen sie es fürchten, hassen und verfluchen oder aber mit Begeisterung und Energie propagieren und vorwärtstreiben, koste es, was es wolle. Die Zwischengruppe der klugen Beobachter und Analytiker ist zweifellos kleiner als die der Verfechter extremer Positionen. Sie stehen den Fragen aber durchaus nicht distanziert gegenüber, sondern versuchen wie Lampert von Hersfeld, Guibert von Nogent oder Otto von Freising die Mischung von Respekt und Entsetzen in ihren Reaktionen in eine rationale Darstellung und Bewertung zu kleiden. A u f diesem Wege gelangen sie zu den sicherlich scharfsichtigsten Beobachtungen. Die durchaus nicht geringe Zahl von positiven Reaktionen, über die die Quellen berichten, müssen vielfach von der historischen Forschung erst einmal als gleichberechtigte Zeugnisse akzeptiert und bewertet werden; denn in der Regel setzt in diesen Fällen sogleich eine Suche nach den verborgenen Motiven für prokommunale herrschaftliche Stellungnahmen ein. Kaiser, Könige oder andere Herrscher, die den Bemühungen um die Errichtung von Kommunen ihre Förderung oder gar Anerkennung gewährt haben, werden gewiß damit manche Nebenabsichten verfolgt haben, wie es ihre oft schwankende oder widersprüchliche Haltung nahe legt. Aber hier gilt es - gerade angesichts unserer

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Vgl. die Bemerkungen bei Schulz, „ D e n n sie lieben ..." (Anm. 3), bes. S. l j f f .

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Allerdings ging es bei dieser T a g u n g nicht um die Analyse und historische Einordnung der Vorgänge selbst, sondern um die Erfassung der Reaktionen von Zeitgenossen, was die Frage des sachgerechten Umgangs mit Zeit und Raum in einem anderen Licht erscheinen läßt.

Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung

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thematischen Orientierung - bei der Analyse eine gewisse Reihenfolge einzuhalten, also erst einmal zu erfassen, was über die Einschätzung der Kommunebewegung in diesen, meist kanzleimäßigen Texten ausgesagt wird, um dann den zweiten Schritt der historischen Einordnung und Interpretation zu machen. In unserem Zusammenhang ist es doch schon ein bemerkenswerter Sachverhalt, daß es die genannten Herrscherpersönlichkeiten für angebracht und vertretbar halten konnten, „öffentlich" ihre positive Einstellung den Neuerungen der Kommune gegenüber zu bekunden, sicherlich in dem Bewußtsein oder Wissen, daß damit die Interessen anderer, häufig bedeutender Reichsfürsten oder gar des Papsttums und der Kirche verletzt werden würden. Neben der Motivanalyse und der Suche nach dem politischen Kalkül mit Wirkung auf Konkurrenten oder der Einschätzung des Faktors von bürgerlichen Geldzahlungen verdient der Gesichtspunkt, daß manche Herrscher in der kommunalen Bewegung trotz allen damit verbundenen Gefahren und Risiken möglicherweise die Chance für Aufschwung und Prosperität gesehen haben, in unserem thematischen Zusammenhang etwas größere Beachtung. Denn die durchaus noch nicht geleistete Vergleichsanalyse, in welchen Regionen und seit wann gewisse kommunale Entwicklungen von Fürsten und Herren eher befördert oder inhibiert worden sind, verspräche bei großräumigem Zugriff interessante Aufschlüsse, die über die „tagespolitische" Zuordnung hinauszuführen versprechen. Gegenüber diesem schwankenden und oft widersprüchlichen Bild, das für die Bekundungen weltlicher Herrscher charakteristisch zu sein scheint, zeichnen sich die Stellungnahmen geistlicher Würdenträger und kirchlicher Institutionen, insbesondere bischöflicher Stadtherren, in aller Regel durch ihre Eindeutigkeit aus. Sie sind durch eine klare Ablehnung gekennzeichnet, da die kommunale Entwicklung nach dieser Einschätzung wider die göttliche Ordnung gerichtet sei. Diese entschiedene Position schließt politisch-kluges Verhalten und flexibles Verhandeln nicht aus, so daß gerade die Bischofsstädte den Wandel von Verfassung und Gesellschaft in einem längeren konfliktreichen Prozeß besonders deutlich hervortreten lassen. Die Reihe der entschiedenen Zurückweisungen des kommunalen Gedankens reicht von den Mailänder Ereignissen des frühen Investiturstreites über Laon, Cambrai, Reims und Trier bis hin zu den Grundsatzbeschlüssen auf Reichsebene noch im Jahre 1232. Dabei sind allerdings mehrere

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M G H Const. II. 299, S. 413 f., und 156, S. 192-194. Quellen (Anm. 30), Nr. 106, S. 418/19 und 113, S. 428/29-432/33: 1. König Heinrich (VII.). Reichsspruch gegen die Genossenschaften der Städte (1231, Jan. 23): ... Super quo principes nostras et ceteros proceres sacri palacii monuimus, tamquam qui universis sumus in iusticia debitores. Ipsi igitur sententialiter pronun-

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Einschränkungen anzufügen. Zum einen hat der niedere Klerus nicht selten Sympathien für die kommunalen Bestrebungen gezeigt und den Verlauf der Konflikte zwischen Stadtherrn und Stadtgemeinde beeinflußt, auch Teile der höheren Stiftsgeistlichkeit sind in ihrem Verhalten als schwankend zu charakterisieren.*7 Zum anderen ist die von vielen geistlichen Stadtherrn in der Praxis gezeigte Toleranz oft viel größer gewesen, als es ihre Erklärungen vermuten lassen. Zwar sind keine fördernden Stellungnahmen für den kommunalen Prozeß von dieser Seite direkt überliefert, aber es ist doch zu bedenken, daß in manchen Bischofsstädten die Kommunebildung frühzeitig zustande gekommen ist, ohne daß von großen Konflikten berichtet wird. Generell muß in unserem Zusammenhang davor gewarnt werden, den Blick zu stark auf die Begriffe coniuratio und communio zu lenken, die z.T. bewußt vermieden wurden, andererseits aber durchaus auch jenseits von Stadtgemeinden und Stadtfreiheiten Anwendung fanden. Beurteilungsmaßstab ist und bleibt der inhaltliche Wandlungsprozeß im Zusammenhang mit der Entstehung des Bürgertums (auch ohne coniurationes), der allerdings in einem bescheidenen Tagungsbeitrag über die ausgelösten Reflexe nur an einigen größeren Konflikten untersucht und resümierend dargestellt werden kann. Festzuhalten bleibt, daß an allen hier vorgestellten Äußerungen in unterschiedlicher Weise abzulesen ist, wie stark von den Zeitgenossen das „Neue", das sich in diesen Konflikten widerspiegelte, als Bedrohung, Tatsache oder Chance begriffen worden ist.

tiando diffinierunt: quod nulla civitas, nullum opidum communiones, constitutiones, colligationes, confederationes vel coniurationes aliquas, quocumque nomine censeantur, facere possent... 2. Kaiser Friedrich II. Gesetz gegen die Freiheit der Bischofsstädte (1232, April): ... hac nostra edictali sancione revocamus in irritum et cassamus in omni civitate vel oppido AJamannie comunia, consilia, magistros civium seu rectores vel alios quoslibet officiales, qui ab universitäre civium sine archiepiscoporum vel episcoporum beneplacito statuuntur ... 87

Vgl. dazu die Hinweise bei H o l b a c h , . . . gravissima (Anm. 47), S. 1 6 8 - 1 7 1 .

La crise de la royaute frangaise au X I V siecle: reformation et innovation dans le Songe du Vieil Pelerin (1389) de Philippe de Mezieres Philippe Contamine

Le X I V siecle fran^is, marque par le passage, suite ä un simple mais fächeux accident dynastique, de la lignee des Capellens directs ä la lignee des Valois', marque par la Peste noire et ses recurrences, regulieres puis irregulieres, marque par la premiere partie de la guerre dite de Cent ans ainsi que par l'ensemble des conflits qu'on peut y rattacher, correspondit pour la royaute fran9aise et pour l'institution monarchique dans son ensemble ä un long temps de remise en question ou plutot de tension, de destabilisation et de bouleversement. Tel fut le resultat de l'inextricable entremelement des problemes interieurs et exterieurs, si tant est qu'ä cette epoque il est possible, voire souhaitable, de distinguer Tun et l'autre aspect. A la suite de Raymond Cazelles et de son ouvrage fondateur intitule \ il est permis d'employer le terme de crise au sens de phase grave (et en l'occurrence durable) dans revolution des choses, des evenements et des idees et aussi d'ebranlement general, de malaise et de trouble. La deuxieme partie du regne de Philippe IV le Bel (1285-1314) connut l'epreuve d'un echec militaire majeur (Courtrai, 1302) et vit croitre le mecontement des sujets, notamment en tant que contribuables victimes de l'enlisement du conflit avec la Flandre'. Dans le prolongement de ces tensions, Louis X Hu-

I

En effet, bien qu'issus en droite ligne des Capetiens directs, les Valois fiirent reputes une nouvelle lignee. Article de Contamine, Philippe, s.v. Valois , in: Lexikon des Mittelalters, t. 8, M u n i c h 1997, col. 1399.

1

Paris 1958. Pour une periode posterieure, le terme de crise est egalement employe dans le titre du livre de Famiglietti, Richard C . , Royal Intrigue. Crisis at the Court of Charles V I 1 3 9 2 - 1 4 2 0 , N e w York 1986.

3

Favier, Jean, Philippe le Bel, Paris 1978; Strayer, Joseph S., T h e Reign of Philip the Fair, Princeton 1980; Poirel, Dominique, Philippe le Bel, Paris 1991; Brown, Eliza-

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Philippe Contamine

tin (1314-1316) dut affronter le mouvement des alliances baronniales et y repondre par des concessions au moins apparentes 4 . Puis vint la prise de pouvoir de Philippe le Long (1316-1322), au detriment de Jeanne, fille mineure de Louis X : il s'ensuivit un regne de six ans au cours duquel intervinrent d'importantes innovations d'ordre institutionnel 5 . Charles I V le Bei (1322-1328) sut profiter de cet heritage et liquida de fa£on somme toute avantageuse la guerre dite de SaintSardos (1324-1325). Mais Philippe de Valois (1328-1350) subit de plein fouet le choc de la guerre anglaise, dans le Sud-Ouest, dans la France du N o r d et du Nord-Ouest ainsi qu'en Bretagne. T a n t bien que mal, il lui fallut mobiliser ses sujets, trouver ä grands frais des allies exterieurs, financer les effectifs considerables qu'il lui arriva ä plusieurs reprises de reunir. Son drame - un drame, quoi qu'on en ait dit, imprevisible au depart - fut de ne connaitre a peu pres que des echecs militaires, mineurs ou majeurs, sur mer comme sur terre. N i les batailles rangees ni les sieges ne lui furent favorables. D ' o ü la montee en puissance des forces d'opposition, de mecontentement, au centre comme ä la peripheric, ce qui se traduisit par les crises politiques de 1343 et 1347. Jean II le Bon (1350-1364) ne parvint pas ä retablir durablement la situation militaire, il ne put empecher la montee en puissance d'un adversaire redoutable en la personne de son gendre Charles II, roi de Navarre et comte d'Evreux, qui, longtemps populaire, parvint ä se constituer mieux qu'une clientele et qu'un reseau de fideles: un parti. Survinrent alors (1356-1360) la defaite du roi Jean ä Poitiers, sa captivite en Angleterre, la crise certes sociale mais aussi constitutionnelle ä laquelle fut confronte son fils aine, le futur Charles V , alors dauphin de Viennois, due de Normandie et regent du royaume, les negociations avec l'adversaire d'Angleterre qui aboutirent par la paix de Calais au singulier abaissement de la royaute franchise et ä l'amputation du royaume de France'. II appartint ä Charles V

(1364-1380),

moyennant des initiatives ä la fois reflechies et hardies, de rouvrir le conflit, de retablir dans sa majeste l'autorite royale, au sein de sa famille comme aupres de ses sujets des trois ordres, d'obtenir les ressources indispensables grace ä une

4

5

6

beth R., Customary Aids and Royal Finance in Capetian France. The Marriage Aid of Philip the Fair, Cambridge, Mass. 1992. Id., Reform and Resistance to Royal Authority in Fourteenth-Century France: the Leagues of 1314-1315, in: Id., Politics and Institutions in Capetian France, Londres 1991. Pour le moment, se reporter aux deux volumes de Lehugeur, Paul, Histoire de Philippe le Long, Paris 1897, et Philippe le Long, roi de France: le mecanisme du gouvernement, 1316-1322, Paris 1931. Cazelles, Raymond, Societd politique, noblesse et couronne sous Jean le Bon et Charles V, Geneve et Paris 1982; Autrand, Fran^oise, Charles V le Sage, Paris 1994.

La crise de la royaute frangaise au XTV sifecle

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politique fiscale sans management mais en gros toleree, d'adopter pour son Instrument militaire, düment reorganise, une Strategie et une tactique adequates: en depit d'un certain nombre de maladresses et compte tenu d'un contexte economiquement et demographiquement difficile, un grand regne, quoique trop court, pour ce roi manifestement tres superieur en intelligence, en savoir-faire, en «faire savoir» ä son predecesseur comme ä son successeur7. Les premiers temps de la minorite de Charles V I (1380-1422) furent marques par un fort vent de revolte, ä Paris et ailleurs, que vint indirectement apaiser la victoire de Roosebeke (1382). Pendant plusieurs annees, les ondes du jeune roi — surtout Philippe, due de Bourgogne, et Jean, due de Berry — gouvernerent le royaume, avec plus ou moins de bonheur, s'efforqant de mettre ä profit leur position en vue de poursuivre leurs interets politiques et financiers, lesquels ne co'incidaient pas necessairement, c'est le moins qu'on puisse dire, avec ceux du roi*. C e tres bref survol tendrait ä conduire l'analyste un peu presse ä faire siennes deux constatations: 1. toute cette evolution s'explique par la presence au sommet de l'Etat de personnalites d'inegale valeur, d'inegale competence (en d'autres termes, il y eut de bons et de mauvais rois, des rois qui n'etaient pas a la hauteur de leur charge et d'autres qui portaient avec aisance le poids de la couronne 9 ); 2. une clef essentielle pour suivre ce parcours se trouve dans la succession des revers et des victoires militaires. Et apres tout, l'histoire parallele de la royaute anglaise ne montre-t-elle pas qu'il y eut lä aussi plus ou moins convergence entre insucces militaires et crise de la royauti et que les qualites intrinseques des souverains joufcrent un role esentiel dans le deroulement du processus? Mais il ne s'agit pas seulement d'une histoire cyclique, avec ses hauts et ses bas: un mouvement de fond est visible, portant sur l'essor de l'Etat (monarchique) ä travers toute une gamme d'innovations. *

*

*

C'est en tenant compte de tout cet arriere-plan qu'il faut envisager un moment caracteristique du regne de Charles V I que, depuis Jules Michelet, les historiens ont qualifie de «gouvernement des Marmousets» 10 , se referant ä un terme de

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Id. et Delachenal, Roland, Histoire de Charles V, 5 vol., Paris 1927-1931. Autrand, Fran^oise, Charles VI. La folie du roi, Paris 1986; Id., Jean de Bery. L'art et le pouvoir, Paris 2000. Cazelles, Raymond, Charles V et le fardeau de la couronne, Annuaire-Bulletin de la Socidti de l'histoire de France, 1978-1979-1980, p. 67-75. Michelet, Jules, Histoire de France, t. IV, Paris 1874, p. 29 et 354. Sur le sens exact du mot, voir entre autres Autrand, Charles VI (note 8), p. 190, et Henneman, John

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364

d e r i s i o n e m p l o y e ä l ' e p o q u e p o u r d e s i g n e r , s e m b l e - t - i l , ces figures b a r o q u e s et g r o t e s q u e s , b u r l e s q u e s et s i m i e s q u e s , ces f a r c e u r s d e petit etat, ces m e d i o c r e s b o u f f o n s q u i , p a r leur e n t r e g e n t et n o n p a r la sagesse d e leurs avis, s ' i n t r o d u i saient a u p r e s des detenteurs naturels et legitimes d u p o u v o i r - rois, p r i n c e s et s e i g n e u r s t a n t lai'cs qu'ecclesisastiques, l e u r p a r l a i e n t a u c r e u x d e l'oreille, g a g n a i e n t leur c o n f i a n c e et leur f a v e u r et s ' a r r a n g e a i e n t a u b o u t d u c o m p t e p a r leurs intrigues et leurs petits m o y e n s p o u r g o u v e r n e r ä leur p l a c e " .

Bell, Olivier de Clisson and Political Society under Charles V and Charles V I , Philadelphie 1996, p. 131-132. 11

«Vrayement le terme que je coury le monde, je ne vey nul hault seigneur qui n'eust son marmouset ou de clergie ou de g a ^ o n s , montez par leurs gueules et leurs bourdes en honneur, except^ le conte de Foeis [Gaston Febus] mais cil n'en avoit oncques nul car il estoit saige naturelment; si valoit son sens plus que nul autre sens que on Ii peust donner; je ne di mie que les seigneurs qui usent par leurs marmousez soient folz mais ilz sont plus que folz car ilz sont tous aveuglez et si ont deux yeulx». Jean Froissart, Chroniques, ed. Mirot, Leon, t. XII, Paris 1931, p. 227. A la place du mot gueules, les manuscrits dits de Breslau et de Besanfon emploient le mot geugles (ibid., p. 373), qu'il faut lire sans doute gengle, au sens de bavardage, caquet, häblerie (Godefroy, Frederic, Dictionnaire de l'ancienne langue fran^aise, t. I V , Paris 1938, 632, col. A). Autre passage de Froissart, dans l'edition des Chroniques de Froissart par Kervyn de Lettenhove, t. X V , Bruxelles 1871, p. 2: «Les marmousets du roy et du due de Touraine». «Clichon mort, petit a petit on destruiroit tous les marmousets du roi et du due de Thouraine, e'est a entendre le seigneur de la Riviere, messire Jehan le Merchier, Montagu, le Begue de Villeynes, messire Jehan de Bueil et aucuns autres de la chambre du roy, lesquels aydoient a soustenir l'oppinion du connestable car le due de Berry et le due de Bourgoingne ne les aymoient que moult petit pour plusieurs causes, quelque semblant que ils leurs monstrassent». II y avait ä l'epoque ä Paris un hotel des Marmousets situe dans la Cite (Registre criminel du Chätelet, ed. Duples-Agier, Η . , t. I, Paris 1861, p. 108) ainsi qu'une rue des Marmousets (ibid., t. II, Paris, 1863, p. 476). Equivalent possible utilise par Philippe de Mezieres: mahomet. Pour ce dernier auteur, il y a certes des mahomets dont il faut se mefier mais aussi de bons mahomets qui peuvent rendre de vrais, voire d'eminents services: Le Songe du Vieil Pelerin, ed. Coopland, George William, C a m bridge 1969, t. II, p. 228-234. Philippe de Mezieres deplore que la cupidite des justiciers, senechaux et baillis vienne en partie de ce qu'il leur faille payer leurs mahomets (espions, entremetteurs ?) ä la cour royale; Songe (note 11), t. I, p. 470. «Le proverbe commun en a esti trouve qui dit: chascun seigneur a son mahommet» ibid., p. 573. «Les mahommes des grans seigneurs et dames sont prins et assez bien congneus sans figure pour les secrez et amez gouverneurs des grans seigneurs et dames qui sans aucune grant vertu gouvernent a leur guise et si subtilment que les seigneurs et dames aucunesfoiz ne le peuent amender» ibid., p. 112. Sur le sens du

La crise de la royaute fran^aise au XTV siecle

365

Au retour de la Campagne contre le due de Gueldre Guillaume I" - cette expedition militaire, certes victorieuse mais coüteuse et peu exaltante, dans les pluies et les brouillards d'automne, que les contemporains appelerent le «voyage d'Allemagne» 11 - , Charles VI, alors äge de pres de 20 ans0, convoqua ä Reims, dans une salle du palais archiepiscopal du Tau, sans doute le 2 novembre 1388, les princes du sang royal, les prineipaux comtes et barons ainsi que plusieurs notables prelats. II s'agissait pour lui, selon le Religieux de Saint-Denis'4, d'affermir la situation politique, de gouverner avec une sage moderation, d'apporter au peuple la paix, de faire le choix de la prosperite dans le traitement des affaires publiques. Au cours de ce conseil extraordinaire, le plus äge des prelats, le venerable cardinal de Laon Pierre Aycelin de Montaigut", aurait prononce un long discours oü il disait en substance que la force des royaumes reside dans l'obeissance des sujets, qu'il faut done retablir ou raffermir cette obeissance en defendant le peuple de toute oppression en sorte qu'il puisse goüter aux joies de la paix. II ajoutait: le roi est juste, avise, prudent, il convient qu'il gouverne seul. Ainsi fut-il decide: le roi obtint le gouvernement du royaume (regni regimen). Dans le prolongement de ce «coup d'Etat» , le roi donna conge ä ses oncles paternels apres les avoir chaleureusement remercies, ne retenant aupres de lui que le frere de sa mere, son onde Louis, due de Bourbon. Un peu plus tard, en decembre de la meme annee, il retint comme prineipaux conseillers Bureau, sire de la Riviere'7, Jean le Mercier, seigneur de Nouvion-en-Thierache'8, et Jean de Montaigu'9, lesquels, significativement, contracterent aussitot un acte de compagnie fraternelle en vue de s'epauler mutuellement dans une entreprise qui s'an-

12 13 14 15 16

17 18 19

mot marmouset, voir aussi Gay, Victor, et Stein, Henri, Glossaire archeologique du Moyen Age et de la Renaissance, t. II, Paris 1927, p. 116. Schaudel, L., Campagne de Charles VI en 1388 contre le due de Gueldre, Montmedy 1900. II etait ne le 3 decembre 1368. D&ormais identifie i Michel Pintoin. Notice de Mollat, Guillaume, dans le Dictionnaire d'histoire et de geographie ecclesiastiques, t. Ill, Paris 1931, col. 1276. Lehoux, Fran^oise, Jean de France, due de Berri, t. II, De l'avenement de Charles VI ä la mort du due de Bourgogne, Paris 1966, p. 330, n. 3, emploie l'expression avec des guillemets. Autrand, Charles VI (note 8), p. 191, la reprend, mais cette fois sans guillemets. Notice de Autrand, Fran^oise, in: Lexikon des Mittelalters, t. 7, Munich 1995, col. 881-882. Moranvilli, Henri, Etude sur la vie de Jean Le Mercier, 13??—1397, Paris 1888. Notice de Merlet, Lucien, dans la Bibliotheque de l'Ecole des chartes, t. XIII (18511852), p. 248.

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noniait risquee. Avec l'assentiment de Charles V I et du due de Bourbon, en vue de concilier honneur royal et utilitd publique, ils prirent plusieurs mesures: - pour gagner Γ affection du peuple, abolition de la collecte generale annuelle pesant sur les pauvres comme sur les riches 10 ; - destitution et remplacement du prevot de Paris2', de plusieurs baillis et d'une bonne partie du haut personnel des finances royales"; — pour plaire au peuple de la capitale, nomination de Jean Jouvenel comme prevot des marchands de Paris"; — envoi en Picardie d'une delegation conduite par Arnaud de Corbie 24 , eveque de Bayeux, qui de fait devait bientöt conclure avec les Anglais une treve de trois ans"; — nomination comme premier president au Parlement de «l'excellent jurisconsulte et habile orateur» maitre Oudart Bertin dit de Moulins" 1 ; - promesse faite ä un certain maitre Jean, docteur en theologie, moine de l'abbaye cistercienne de Grandselves, au diocese de Toulouse, porte-parole des pays de langue d'oe, de visiter cette region du royaume ruinee par la fiscalite oppressive du due de Berry et d'y remettre de l'ordre 27 . Cette «revolution de palais»28, quasiment sans precedent dans l'histoire politique de la France du X T V siecle en ce quelle ecartait brutalement trois tres puissants

zo

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22 23 24 25 26

En fait, il ne semble pas que cette decision ait etd suivie immidiatement d'effet: Rey, Maurice, Le domaine du roi et les finances extraordinaires sous Charles VI, 1388— 1413, Paris 1965, p. 326. A la place d'Audouin Chauveron, un protege du due de Berry (Chauvernon, R. de, Des maillotins aux marmousets, Audoin Chauvernon, prevot de Paris sous Charles VI, Paris 1992), Jean, seigneur de Folleville (Dupont-Ferrier, Gustave, Gallia regia, t. IV, Paris 1954, n°. 16480). Rey, Le domaine du roi (note 20), p. 175. Batiffol, Louis, Jean Jouvenel, prevot des marchands de la ville de Paris (1360-1431), Paris 1894. Alors premier president du Parlement de Paris, il fiit nommi chancelier de France en decembre 1388. Le 18 juin 1389. Autrand, Fran^oise, Naissance d'un grand corps de l'Etat. Les gens du parlement de Paris 1345-1454, Paris 1981, p. 289 et 297.

27

Chronique du religieux de Saint-Denys, id. et trad. Bellaguet, Louis, t. I, Paris 1839,

28

P· 554-575· L'expression est de Maurice Rey.

La crise de la royaute fran^aise au X I V sifecle

367

dues (Berry, Bourgogne et Bretagne) 1 ', dut sans doute beaueoup ä Taction determinee du connetable de France Olivier de Clisson, soutenu par les chefs de l'armee royale alors reunis' 0 . O n peut supposer qu'il revint en propre au connetable d'aehever de convaincre le roi. Pendant plusieurs annees les Marmousets se maintinrent au pouvoir, ainsi que le dit, non sans une nuance de bläme, la chronique attribuee ä Jean Juvenal des Ursins: «Iis tenoient le roy de si pres que nul office n'estoit donne sinon par eux et de leur consentement. Et sembloient par leurs manieres qu'ils cuidoient estre perpetuelz en leurs offices et qu'on ne leur pouvoit nuire: hautement et en grande auetorite se gouvernoient»''. Mais il ne s'agissait pas seulement pour eux d'exercer le pouvoir pour le pouvoir ni meme pour leur profit particulier, qu'ils se garderent bien sür de negliger. Ainsi

que l'expose le Religieux

de Saint-Denis,

ce soudain

changement

d'equipe' 2 au sommet de l'Etat s'accompagna sinon d'un programme du moins de plusieurs mesures destinees ä la rendre aussitöt populaire. D e son cote, la chronique dite de Jean Juvenal des Ursins met l'accent sur la remise en vigueur, moyennant certains amendements, d'ordonnances royales tombees dans l'oubli: «Et s'en vint le roy a Paris et fit voir et visiter les ordonnances anciennes que ses predecesseurs avoient fait, en les confirmant et adjoustant ou mestier estoit et les fit publier et ordonna qu'elles fussent gardees et observees sans enfraindre»". L'impression aupres de l'opinion publique devait etre Celle d'un gouvernement ä la fois fort et personnel: «Item, en chel an mil C C C IUI** et V I I I a la Saint Martin d'iver, le roy n'avoit oneques gouverne son royaume de soy et commencha a gouverner et a regenter au fort et remuer officiers et fist son chanssellier 29 30

31 32

33

C'est un point sur lequel insiste John Henneman, Olivier de Clisson and Political Society (note 10), p. 130-131. «Je tout seul Tai fait roy et seigneur de son royaume et mis hors du gouvernement et des mains de ses oncles»: paroles attributes ä Clisson. Son neveu Jean de Harpedenne, sen&hal de Saintonge, devait protester aupres de son seigneur, Jean, due de Berry et comte de Poitou, en affirmant qu'il n'avait nullement trempe dans le complot, que malgrd tout il confirme: «Je s^ay bien de vray et de certain que lui et ceulx de sa bende ont de tres longs temps machine que vous et monseigneur de Bourgoingne fussies deschargies du gouvernement du roy et du royaume». Histoire de Charles VI, ed. Godefroy, Denis, Paris 1653, p. 90. Le mot tquipe est employe par Ε. Deprez, La France et l'Angleterre en conflit, Paris 1937, p. 27 (Histoire generale, dd. G. Glotz, Histoire du Moyen Age, t. VII, Premiere partie). Sur la composition de cette equipe, riche d'une bonne quarantaine de noms, voir Henneman, Olivier de Clisson and Political Society (note 10), p. 133, et Id., Who were the Marmousets?, in: Medieval Prosopography 5 (1984) p. 19-63. Op. cit., p. 69. Ainsi 1'innovation n'etait pas exclue.

Philippe Contamine

368

maistre Pierre [sie] de C o r b i e et le prevost de Paris depose, tous baillyz, v i c o m tes, ofFiciers nouviax»

M.

Le fait est q u a partir de decembre 1388 et pendant quasiment u n e annee, des o r d o n n a n c e s en n o m b r e respectable furent promulguees, relatives: ä la reduction des impöts indirects"; ä la suppression d ' u n certain n o m b r e d'officiers reputes inutiles et ä la d i m i n u t i o n des gages des officiers maintenus' 6 ; au parlement' 7 ; ä l'hötel d u roi'"; aux eaux et forets"; aux aides pour la guerre 40 ; a la C h a m b r e des comptes 4 '. A la Fin de fevrier 1389, p o u r la premiere fois depuis les annees 1350, u n e ref o r m e generale d u royaume fut entreprise o u envisagee, avec n o m i n a t i o n de reformateurs ayant vocation ä parcourir la France entiere 41 . P o u r u n e partie de l'opinion, l'experience des M a r m o u s e t s fut une reussite. O n en trouve l'expression dans une c h r o n i q u e d u temps qui, apres avoir evoque la prise de pouvoir par Charles V I , le röle des quatre conseillers privilegies d u roi (la b ä n d e des quatre: ici Clisson, La Rivere, Le M e r c i e r et le Begue de Villaines), le remplacement de Pierre de G i a c par A r n a u d de C o r b i e c o m m e chancelier de France, la quality exemplaire d u conseil royal, «bien et g r a n d e m e n t f o u r n y de notables gens, tant prelats, chevaliers, clercs que autres et mesmes de ceulx qui avoient este principalement de la nourriture d u roy C h a r l e s Q u i n t » , apres avoir e n u m e r e les seigneurs d u sang et autres grands seigneurs alors c o n t i n u e l l e m e n t en la c o m p a g n i e d u roi (les dues d ' O r l e a n s , de B o u r b o n , de Bar et de Baviere, les comtes de C l e r m o n t , d u Perche, de Foix et de Sancerre), c o n c l u t triomphal e m e n t et peremptoirement: «Et dura ledit g o u v e r n e m e n t quatre ans p e n d a n t lequel temps ne couroit aueunes tallies au royaume de France, justice et police y estoient si bien gardez que le royaume fleurissoit plus que jamais au precedent

34

Chronique normande de Pierre Cochon, ed. Ch. de Robillard de Beaurepaire,

35

Ordonnances des rois de France, t. VII, Paris 1745, p. 768 (decembre 1388).

36

Archives nationales, Paris, Ρ 2296, p. 452. Les gages du capitaine de Vincennes

Rouen 1870, p. 182-183.

passent ainsi de 500 ä 300 francs (th4se de l'Ecole des chartes de Zang, Marie-Odile, sur les capitaines de Vincennes, Paris, 2001). 37

Archives nationales, Paris, Ρ 2296, p. 225 (5 fevrier 1389).

38

Fdvrier 1389. Ibid., p. 793-834.

39

Ibid., p. 599-634 (mars 1389).

40

Ordonnances des rois de France (note 35), p. 245-249.

41

D'aprfcs Henneman, en avril 1389, Archives nationales, Paris, Ρ 2296, p. 659-678.

42

Ordonnances des rois de France (note 35), p. 236-243.

La crise de la royaute frar^aise au X T V siecle

369

n'avoit fait et tellement que les estrangers du royaume et mesmes les infidelles se soubmettoient a la justice du roy et a sa cour de Parlement» 41. A leur tour, non sans quelques nuances, les historiens ont suivi ce verdict. Eugene Deprez par exemple parle d'une sorte de dualisme: d'un cöte, «la vie de cour et les jeux elegants de la grande politique exterieure», de l'autre «les ennuyeuses besognes d'administration» confiees ä des «ministres, admirateurs de Charles V , formes ä son ecole» et responsables d'«une serie de remarquables ordonnances dans l'esprit du dernier regne, en vue d'introduire cette si souvent reclamee dans les traitds de Philippe de Mezieres et de Nicole Oresme». Cela dit, pour Deprez, les Marmousets ne furent pas des «createurs», ils remirent simplement en vigueur, en les adaptant, les mesures du temps de Charles V mais avec «un ton net et tranchant», «un souci des sanctions oü se revelent des tendances de doctrinaires». Le meme historien credite les Marmousets de l'etablissement d'un «Statut des [hauts] fonctionnaires» destine ä leur donner une «autonomie presque syndicale» par rapport au pouvoir. Sous l'impulsion de Jean Le Mercier, la stabilisation monetaire fut mieux assuree. Cinq reformateurs prirent les mesures necessaires d'assainissement. O n vit «les impots diminuer, les Juifs proteges, l'hötel du roi reforme, les bureaux de la chancellerie mieux specialises, les fonctions des gens de finances mieux precisees» et meme la pluie d'or un temps s'arreter44. Si John Henneman se situe quelque peu en retrait par rapport ä cette appreciation louangeuse et laisse meme poindre un certain scepticisme, si Maurice Rey se montre au bout du compte critique mais sans exces45, F r a n ^ i s e Autrand va sensiblement plus loin qu'Eugene Deprez en resumant Taction des Marmousets par une süperbe expression: «changer l'Etat». Changer l'Etat en reprenant des mesures anciennes mais aussi en introduisant une forte dose d'innovation dans les structures en place et en tentant de modifier radicalement les mentalites des officiers, qui se virent offrir a la fois un ideal et un Statut. D'une part, ils se virent proteges «dans l'exercice de leurs fonctions». Mais d'autre part, ils de-

43

Piece Werlte en ce temps-lä, dit Denis Godefroy dans son Histoire de Charles V I , cit., p. 773.

44

Ddprez, Eugine, La France et I'Angleterre, cit., p. 36-39.

45

Rey, Maurice, Les finances royales sous Charles V I . Les causes du deficit, 1388-1413, Paris 1965, p. 573-577. Mais ailleurs, il sait gre aux Marmousets d'avoir voulu «remettre de l'ordre dans toutes les branches de l'activite gouvernementale» (Id., Le domaine du roi et les finances extraordinaires sous Charles V I 1388-1413, Paris 1965, p. 175). Et «les Marmousets se devaient de ramener un peu d'ordre [dans le domaine des monnaies] comme ils cherchaient ä le faire dans toutes les branches de l'administration royale», ibid., p. 135-136.

Philippe Contamine

370

vaient etre choisis, «elus» ou pour tout dire cooptes (comme des chanoines au sein de leur futur chapitre) en tant que «suffisants, idoines et convenables» et devaient faire preuve d'assiduite dans l'exercice de leur metier. «Changer l'Etat, par la loi, par les idees, plus encore dans le coeur de ses serviteurs, les M a r m o u sets l'ont voulu, avec passion et si, nes trop tot, ils n'y sont pas parvenus, au moins, en creant la fonction publique, ont-ils pose les fondements sur lesquels repose toujours l'Etat» 4 '. Sur un point precis, on retrouve la meme tonalite chez Claude Gauvard lorsqu'elle analyse le celebre Registre criminel du Chätelet de Paris tenu par Aleaume Cachemaree 47 : «Le registre est Marmouset: son enseignement n'est pas seulement social et juridique, il est politique. II lie le crime ä une certaine conception de Γ Etat»48. *

*

*

C'est dans ce contexte de changement des hommes, de reforme des institutions et de mutation mentale que l'ancien chancelier de Chypre 4 9 le chevalier Philippe de Mezieres, alors age d'une bonne soixantaine d'annies et retire depuis 1380 au couvent des celestins de Paris, ä proximite immediate de l'hötel Saint-Pol qui fut pendant toute la periode un lieu de pouvoir important, ecrivit ou acheva d'ecrire, au cours de l'annee 1389, son fameux Songe du Vieil Pelerin dedie ä Charles V I , autrement dit au «faucon pelerin blanc au bec et piez dorez» dont il avait ete, sous le regne de son pere, le «premier fauconnier», au grand maitre des eaux et forets des blanches fleurs dorees, au souverain maitre de la nef fran9aise, au «cerf volant couronne», au «jeune Moyse couronne» qui avait dejä si clairement montre, ä cinq ou six reprises, «sa haulte volonte, vaillance et proesse» qu'il etait permis de le qualifier de «faucon pelerin de hault vol». L'esperance etait ä l'ordre du jour. M e m e s'il s'employait ä multiplier et 4 entretenir les contacts avec toutes sortes de personnages, franfais aussi bien qu' etrangers, afin d'obtenir le nombre le plus eleve possible de concours dans la realisation de son dessein fondamental de creation de l'ordre de la chevalerie de la Passion du Crucifix, de relance de la croisade et de reconquete de la Terre de promission, il est de fait que les liens furent specialement etroits entre Philippe de Mezieres et quelques-uns des M a r -

46 47 48 49

Autrand, Charles VI (note 8), p. 204-213. Registre criminel du Chatelet de Paris du 6 septembre 1389 au 18 mai 1392 (note 11). Gauvard, Claude, «De grace especial». Crime, Etat et societi en France a la fin du Moyen Age, Paris 1991, p. 44-45. II s'intitule tout bonnement le chancelier, comme s'il s'agissait la d'un titre viager.

La ctise de la royaute fransaise au X I V siecle

371

mousets. Laissons de cote le frere cadet de Charles V I , Louis, alors due de T o u raine, «le faueon gentil aux blanches helles» du Songe du Vieil Pelerin 5 ", qui n'en etait q u a ses tout debuts. E n revanche, parmi les «princes, barons et chevaliers qui a la chevalerie au service de Dieu se sont ja vouez et dediez par leur foy, par escriptures de leurs mains ou par offerte et promesse souffisante» dont notre Philippe (on l'appellera desormais Philippe) dresse la liste ä l'occasion d'une nouvelle redaction de la regle de son ordre, en 1395, figure, premier nomme, Louis, due de Bourbon". Et parmi les «IIII euvangelistes» qui, ecrit-il, de 1385 ä 1395, «en divers pays et royaumes par la grace de Dieu ont preschie et anoncie la dicte sainte chevalerie», est mentionne «monseigneur Jehan de Blezi, seigneur de Mauvilly, de Bourgoingne, chambellan du roy et chevetaine de Paris»: or ce capitaine double d'un diplomate, qui ä un moment fut charge de la garde pers o n n e l s de Charles V I s 1 , qui devait par ailleurs tout un temps se specialiser dans la Iutte contre les Compagnies devastant la France centrale (une preoccupation primordiale pour Philippe de Mezieres") et qu'on voit ä l'ceuvre aux cötes du prevöt de Paris dans la severe repression menee alors contre les larrons et les meurtriers 54 , peut etre considere comme un authentique Marmouset". Surtout,

50

Songe (note 11), t. II, p. 491.

51

Molinier, Auguste, Description de deux manuscrits contenant la regle de la Militia Passionis Jhesu Christi de Philippe de Mezieres, Archives de l'Orient latin, I (1881), p. 363. L'abbe Lebeuf signale que dans la librairie des dues de Bourbon figurait un exemplaire du Songe du Vieil Pellerin (cite par Iorga, Nicolas, Philippe de M£zieres, 1327-1405, Paris 1896, p. 468, n. 3).

52

Douet-d'Arcq, Louis, Comptes de l'hötel des rois de France aux X I V et X V siecles, Paris 1865, p. 126.

53

Contamine, Philippe, Guerre et paix a la fin du Moyen Age: Taction et la pensee de Philippe de M£zi£res (1327-1405), in: Krieg im Mittelalter, ed. Kortüm, HansHenning, Berlin 2001, p. 193-194.

54

Registre criminel (note 11), t. II, p. 183,190, 201.

55

Quelques points de repere sur sa carriere dans l'ddition des Chroniques de Froissart par Kervyn de Lettenhove, t. X X , Bruxelles 1875, p. 328-329. Voir aussi les tables de Lehoux, Franchise, Jean de France, cit., et Dupont-Ferrier, Gustave, Gallia regia (note 21), t. IV, n°. 16418. II mourut en 1396 ä la bataille de Nicopolis, ainsi que Philippe le mentionne non sans emotion dans son Epistre lamentable et consolatoire (Contamine, Philippe, La Consolation de la desconfiture de Hongrie de Philippe de Mezifcres [1396], in «Nicopolis 1396-1996», id. Paviot, Jacques, Chauney-Bouillot, Martine, Dijon 1997, p. 39-40. Pour le voyage de Hongrie, Jean de Blaisy avait empörte un exemplaire de la regle de Philippe. D'autres noms de Marmousets dans la liste de Philippe: l'amiral Jean de Vienne, Enguerran, sire de Coucy, Guillaume Martel.

Philippe Contamine

37*

Philippe etait sinon Γ intime du moins Γ «ami singulier» de Bureau, sire de la Riviere, qu'il qualifie de «gracieux fourestier, singulier commensal et faulconnier du blanc faulcon» et de «seigneur du petit pare», ainsi que de sa «gracieuse espouse et compaigne» Marguerite d'Auneau. Ce fut pour consoler Bureau de la Riviere, un temps en disgrace apres la mort de Charles V , qu'il ecrivit Le pelerinage du povre pelerin et reconfort de son pere et de sa mere 5 ' (cet ouvrage, aujourd'hui perdu, devait etre une sorte de resume de son parcours spirituel et temporel); ce fut par son intermediaire qu'un peu plus tard, sans doute entre 1384 et 1389, il s'effor^a d'influer sur le jeune roi au moyen d'un autre livre . Cet ouvrage, lui aussi perdu, etait destine en effet ä «introduire le blanc faucon a bien et saigement voler et enseigner aussi au jeune cerf volant couronne comment il se doit fort garder» des trois «chiens de sang du grand veneur d'enfer», Tyre, Myre et Bouf, symbolisant respectivement l'avarice, le peche de chair et l'orgueil". Dans la vaste, captivante, etrange et parfois obscure allegorie appelee le Songe du Vieil Pelerin'*, Philippe, qui n'hesite pas ä se qualifier de «docteur de l'ordre des celestins»", se presente non pas seulement comme un esprit anime depuis quarante ans par l'«ardent desir» de mettre en oeuvre derechef, comme jadis Pierre l'Ermite, son compatriote, et Godefroy de Bouillon (deux de ses admirations majeures), le «saint passage d'outremer», mais comme un homme de large

56

Ainsi, assez etrangement car il devait etre plus age, Philippe se presente comme le fils du sire de la Riviere et de sa femme. Philippe assista avec d'autres quasiment aux derniers moments de Charles V ä Beaute-sur-Marne. Gazier, G . , U n manuscrit inedit de Philippe de Mezi£res retrouvi a Besar^on, Bibliotheque de l'Ecole des Chartes, 80 (1919), p. 1 0 1 - 1 0 8 . II s'y d&igne par la titulature suivante: «Philippus, cancellarius Cipri, quondam ac nuper chrsitianissimi regis Francie Karoli nomine quinti pie memorie servulus domesticus, licet inutilis». Sur sa presence a Beaute-sur-Marne, voir le document publik par Noel Valois dans l'Annuaire-Bulletin de la Societe de l'histoire de France, 1887, p. 251-255 oil il est qualifie de chevalier et de chancelier de Chypre. Son nom figure juste apres celui d'Arnaud de Corbie, alors premier president du Parlement de Paris, ce qui montre le rang qu'on lui attribuait a la cour. Puis, selon ses propres termes, il ριέίέιζ

au blanc faucon une dame appelee Solitude.

Peut-etre est-ce k Γ instigation de Philippe de Mezifcres que Bureau de la Riviere entreprit en 1394 un pelerinage en Terre sainte (Bibliotheque nationale de France, fonds Clairambault, 191, n. 25, cite par Iorga, Philippe de Mezieres [note 51], p. 467, n. 3.) 57

Autrand, Charles V I (note 8), p. 199. Songe (note 11), t. I, p. 86.

58

Autres

termes

employes

ymaginacion». 59

Songe (note 11), t. I, p. 105.

pour

designer

l'ouvrage:

«vision,

consideracion

ou

La crise de la royaute franchise au XTV siicle

373

experience, qui a parcouru le m o n d e de longue date, a ete au service de six rois'° - sans compter Charles V I - et «a este en personne a la court de plusieurs papes et de tous les roys crestiens, peu exceptez, aux grans communes et seigneuries de la crestiente et en region mainte des ennemis de la foy». C o m m e jadis saint Antoine, saint Hilaire et saint Basile le G r a n d , docteurs de l'Eglise, saint Benoit, pere des moines, Bernard, «le bon Bourguignon», D o m i nique et F r a n c i s , il propose, ä la fois modestement et ambitieusement, la «reformation [re-formation ?] de tout le monde», «la reformacion de l'umayne generacion»*', de la chretiente, de la chretiente catholique et de ses dix-huit royaumes, compares ä autant de nefs' 1 , et, de fa^on plus circonscrite,

du

royaume de France''. Et cela fondamentalement au moyen de la remise en circulation parmi les h o m m e s des quatre vertus de paix, misericorde, justice et verite, autrement dit, selon l'image qu'il choisit, en suscitant la forge de bons besants d'or fin ä vingt-quatre carats, qui chasseront la mauvaise et fausse monnaie, celle qui a eu malheureusement cours depuis un certain temps. Ainsi fera-t-il fructifier le besant que la Providence lui a confie' 4 . II s'agit done bei et bien d ' u n retour ä Γ etat anterieur, afin que le besant de l'Eglise et le besant de la puissance seculiere soient «une foiz reformez et ramenez a leur premier aloy et a la vraie estampe d u souverain maistre de la monnoye» 6 ', en d'autres termes de revenir ä la «sainte archemie» dont se servaient «les appostres et les docteurs Constantin et Charlemaine». T o u t cela marquera le retour (ä nos yeux utopique) ä Tage d'or, aux «temps dorez», qu'il a connus dans sa jeunesse et dont il garde la nostalgie, alors que le m o n d e etait plein c o m m e un oeuf et que les gens, «rempliz de paix et de transquilite (...), estoient simples et de bonne f o y » " . «Alors la foy catholique

60

Deux rois de Chypre, Hugues IV et Pierre Ier de Lusignan; Philippe de Valois, Jean le Bon et Charies V; Andri, roi de Sicile, l'un des epoux de la reine Jeanne.

61 62

Songe (note Ii), t. I, p. 96. Le royaume d'Angleterre est la nef Malvoisine, le royaume de France la nef Gracieuse.

63

Songe (note 11), t. I, p. 88-89.

64

Philippe adresse ä cette occasion une priere ä la Vierge «pour la reformation de la chrestientd et multiplicacion du besant commun des chrestiens et de la foy catholique, par especial par le bon estat du blanc faueon au bec et piez dorez».

65

Songe (note 11), t. I, p. 90.

66

Songe (note 11), t. I, p. 484. Frappante evocation de l'äge d'or, ibid., t. I, p. 205: «En cellui temps les riches merchans, qui aueunes foiz sus leurs sommiers portoient X X mil besans, pour l'aise de leurs corps laissoient les bonnes villes et aloient gesir enmy la forest de Bievre et ne doubtoient larrons ne pillars qui lors veinssent derriere. Chascun estoit contemps du sien et sergens ne gaignoient riens. Les vignes lors jamais ne geloient ny ne failloient ne les bestes point n'aourtoient. Un grain de fro-

374

Philippe Contamine

et la sainte paour de Dieu aloient tousjours multipliant, l'Eglise, les seigneurs et le peuple estoient riches, contemps et en paix, et les nobles et saints roys du royaume de France» triomphaient noblement' 7 . Avec le retour espere ä la bonne monnaie morale, Dieu cessera de battre les hommes de sa verge, «tous biens habunderont, guerres et mortalitez cesseront» «et partout de grant joye on criera »". Pour Philippe, cette «doulce et amoureuse reformation» implique done le retour stable ä l'ordre social traditionnel (clerge, noblesse, marchands et bourgeois, gens de metier et laboureurs et surtout le moins possible de gens de justice), la proscription de ce facteur desastreux de desequilibre economique et psychologique que constituent les vains et pompeux etats, tels que les menent et les montrent les rois, les princes, les grands seigneurs et de proche en proche l'ensemble de la societe, la fin des guerres entre princes chretiens au moyen de cette «reformacion d'amour et de dilection» 6 ', done la disparition ou du moins l'allegement de la nouvelle fiscalite, ce qui entrainera l'assoupissement de la haine que les menus, dit-il, eprouvent main tenant envers les gros7". Parmi les indices qui montrent Philippe en phase avec revolution politique de son temps figure le röle qu'il accorde aux assemblies, qualifiees de «parlement general», de «grant consistoire», de «public consistoire», oil auront lieu ä la fois l'expose en bonne et due forme de tout ce qui ne va pas (l'«inquisicion», ce que nous appellerions l'inventaire) et la mise en oeuvre de la tres souhaitable et tres attendue reformation 7 '. Retour en arriere, au bon temps du tres vaillant saint Charlemagne et du «benoist», juste et devot saint Louis 71 , soit. II n'empeche que Philippe tend aussi ä Charles V I , dans l'une ou l'autre des soixante-quatre cases de son «nouvel et mysterieux eschequier», qualifie de precieux, royal et moral, le miroir d'un gou-

67 68

69 70 71 72

ment mis en terre en apportoit cent et les gens longuement vivoient, et quant nature estoit failly par vieilliesse comme une chandelles s'en aloient (...). On ne vendoit pas a l'enquant les prevostez ne les deeimes des evesques comme une grange qu'on afferme». Songe (note 11), t. I, p. 478. Songe (note 11), t. I, p. 93. Eloge de la «sainte monnoye par laquelle les Francois en liberte a haulte voix crieront (ibid., t. I, p. 484). «Les Gallicans comme resuscitez et en franchise nouveauz nez en crieront (ibid., t. II, p. 496). Songe (note 11), t. II, p. 422. Songe (note 11), t. I, p. 456. Une meilleure gestion du domaine royal devrait permettre au roi de France de vivre essentiellement du sien. Sieges envisages pour ces parlements: Venise et Paris. Songe (note 11), t. I, p. 473.

La crise de la royaute fran^aise au XTV siecle

375

vernement ideal non exempt d'innovations et d'inventions (meme si ces mots ne figurent pas tels quels 7 3 ), qui s'inspire le cas echeant de pratiques situees ä la pointe de ce que nous appellerions la modernite: Philippe par exemple n'est pas systematiquement hostile au mode de gouvernement des tyrans Italiens, certains d'entre eux d'ailleurs ayant officiellement donne leur appui ä l'ordre de la Passion de Jesus-Christ 74 . Les tyrans en effet sont susceptibles de donner des Ιεςοηβ meme au libre peuple de France. Iis peuvent bien avoir mis en place une fiscalite lourde, mais au moins, quand les bonnes gens ont paye leurs impöts, ce qui leur reste est bien ä eux: tenus en main par la rigoureuse puissance publique, les gens d'armes, contrairement ä ce qui se passe en France, ne viennent pas les piller 7 '. Au premier rang de ses preoccupations se placent les marchands, «par lesquels les royaumes sont enrichis, secourez et confortez» 7 '. Pour qu'ils frequentent le royaume de France, ou y reviennent, il faut qu'ils y soient assures d'une monnaie stable, d'une fiscalite legere, notamment pour ce qui est des peages, d'une justice commerciale prompte et efficace, d'un usage judicieusement restreint du droit de marque. Inspires partiellement par des rdalites transalpines, les conseils prodigues par Philippe en vue de l'instauration d'organismes de pret ä vocation charitable (disons des monts-de-piete) se veulent innovants, comme l'indique l'expression de «loy nouvelle» servant ä designer par avance l'acte de fondation de ces futurs organismes 77 . O n trouve dans le Songe une denonciation ä la fois prolixe et vehemente des juges et surtout des avocats qui, pour allonger les proces et s'enrichir outre mesure, usent de tous les subterfuges. La mefiance est profonde, viscerale, exacerbee meme, envers les legistes et les juristes7*, ce qui semble aller ä l'encontre d'une

73

74

75 76 77 78

Le mot innovation est attest^ en fran^ais ä partir de 1297: «Par maniere de innovacion». Son sens est en g^n£ral negatif: «Faire innovation ou derogation en prejudice du droit de ladicte contesse» (1318); Godefroy, Frdddric, Dictionnaire de l'ancienne langue fran^aise, t. X, Paris 1938, p. 18. «Le comte de Vertus, due de Milan, qui a offert pour ladicte chevalerie XXXm florins, comme il appert par ses lettres et tres grant aide de bouche», Molinier, Description de deux manuscrits (note 51), p. 364. Songe (note 11), t. II, p. 321. Songe (note 11), 1 . 1 , p. 479. Songe (note 11), t. II, p. 291. Krynen, Jacques, Un exemple de critique n^dievale des juristes professionnels. Philippe de M&ifcres et les gens du Parlement de Paris, in Histoire du droit. Melanges en hommage ä Jean Imbert, ^d. Harouel, J.-L., Paris 1989, p. 333-334. L'auteur de cet article estime que l'ordonnance du 5 fevrier 1389 repond ä quelques-unes des

Philippe Contamine

376

tendance de fond dans revolution de la societe fran5aise du X I V siecle. En ce sens, Philippe serait bien un esprit retrograde. Toutefois il ne s'agit pas seulement pour lui de revenir aux Assises de Jerusalem ni aux jugements sommaires et equitables de Saint Louis sous son chene. II envisage de remplacer le systeme en vigueur, coüteux et inefficace, par toute une serie de mesures judiciaires assez complexes, qui, sans abolir loin de lit le droit ecrit - il n'est pas question un instant de brüler le Code Justinien! - , reposeront sur une «nouvelle loy et pratique de justice civile», qualifiee de decret du seigneur . La creation d'une garde du corps, ä Γ imitation certes de celle qui etait censee avoir existe autour et au service de Salomon et de Charlemagne (toujours les modeles anciens) est expressement envisagee, toutefois «sans tirannie, a bonne discrecion»8": ici Philippe ouvrait l'avenir. Par certains de ses aspects, la reforme avancee des institutions militaires n'est pas sans prefigurer les grandes innovations de Charles V I I en 1445—1449 . La fa^on dont sont envisagees les relations internationales frappe par sa modernite' 1 , tout comme la place accordee ä la transmission des ordres royaux"' et plus encore aux renseignements et ä l'espionnage, en temps de guerre. Le but est ici de surveiller en permanence les rois et les princes ennemis declares ou potentiels, en recourant aux services soit de sujets prisonniers de l'adversaire, soit de prisonniers esperant obtenir la grace royale, soit de «marchands lombards et estranges» habitues ä communiquer par lettres avec leurs facteurs. II s'agit bei et bien de corruption, «par bon moyen et subtil», autrement dit «par force d'amitie, de monnoye et de promesse», toujours evidemment avec le risque que le marchand etranger en question soit en fait ä la solde de l'ennemi du roi. C'est

preoccupations de Philippe (p. 342). O n se reportera aussi avec profit aux deux ouvrages essentiels de Krynen, Jacques, Ideal du prince et pouvoir royal en France a la fin du Moyen Age (1380-1440). Etude de la litterature politique du temps, Paris 1981, et L'empire du roi. Idees et croyances politiques en France, X I I F - X V siecles, Paris 1993. 79

Songe (note 11), t. I, p. 487.

80

Songe (note 11), t. II, p. 218.

81

Contamine, Guerre et paix ä la fin du Moyen Age (note 53).

82

Contamine, Philippe, Introduction, in: La circulation des nouvelles au M o y e n Age,

83

Philippe demande que soient toujours disponibles des chevaucheurs et des messagers

Paris 1994, p. 9 - 1 0 . ä pied, bien payds, au service du roi et plus encore du chancelier (il parle ici en orfevre), lequel doit etre constamment inform^ de ce qui se passe, des chambellans et du grand conseil. Ces chevaucheurs et ces messagers, allant deux par deux pour plus de süreti, seront porteurs des lettres royales.

La crise de la royaute fran9aise au XTV sifcde

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une veritable partie d'echecs: «Qui scet le mieulx trayre et le plus subtilement, il matte son compaignon». Cela dit, toujours «a la doubtance de Dieu» et jamais ä l'encontre de «loyaute et honnourable guerre», avec constamment l'idee d'obtenir au bout du compte une bonne paix. La morale - une certaine morale - doit etre sauve, on n'en est pas encore au temps de Machiavel. Ces «espies», «secretes et publiques», viendront faire leur rapport au roi, a ses chefs de guerre, ä son chancelier, ä ses secrets chambellans, mais de la fa^on la plus discrete possible puisqu'il convient que la cour n'en sache rien84. Ce que dit le Songe sur l'«election» des conseillers, officiers et serviteurs royaux va dans le meme sens que le programme des Marmousets8'. De meme, tout comme les Marmousets, Philippe reprouve Tabus des remissions des crimes, suite ä l'intervention d'«un chevalier, un officier ou un varlet de chambre, amy ou corrompu de l'omicide» en question: misericorde royale certes, mais aussi, quand il le faut et tout bien considere, rigueur de justice"6. Le Vieil Pelerin denonce (tel est l'objet du onzieme point du quatrieme quartier de l'echiquier moral) les tyrannies, oppressions et radons resultant de Taction des «preneurs orgueilleux et souvent corrompuz» de l'hotel royal qui, charges de son ravitaillement, preferent ne pas payer tout de suite mais delivrer une cedule. On les voit requisitionner sans menagement les biens de dix ou douze pauvres hommes, ne prendre finalement les vivres que d'un seul d'entre eux mais, en attendant, les autres ne peuvent ecouler leurs marchandises. Certes, il est admissible que le droit de prise soit maintenu et qu'on y ait parfois recours mais ä condition que les prises soient payees au juste prix. Toutefois, la preference de Philippe va au modele du roi Salomon qui faisait transporter tous les vivres dont il avait besoin lors de ses deplacements, de ville en ville, de cite en cite, dans 12 000 chariots tires par 40 000 chevaux! Or ces vivres provenaient de son domaine et non de ses sujets. Philippe oppose en d'autres termes les prises et les provisions: l'hotel royal devrait subsister avant tout de provisions et non de prises, et par provisions il ne s'agit pas seulement, dans son idee, des vivres mais aussi des draps, des chevaux, des harnois et des armures necessaires dans la paix comme dans la guerre"7. Reconnaissons ici que les mesures decidees par l'ordonnance du 17 mars 1390 en vue de reformer le droit de prise non seulement sont plus modestes mais encore vont dans un autre sens: reduites ä l'essentiel, elles aboutissent ä ce que les officiers charges du paiement versent les sommes dues directement ä ceux 84 Songe (note 11), t. II, p. 404-406. 85 Ibid., p. 326. 86 Ibid., p. 324. 87 Ibid., p. 412.

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Philippe Contamine

auxquels les vivres ont ete prises et non aux preneurs censes ensuite les leur remettre et que les preneurs soient de «notables chevaucheurs», expressement commis ä cette täche par les maitres de l'hotel du roi. Ces preneurs auront ainsi le choix. Ou bien payer aussitot, ou bien remettre aux vendeurs une cedule scellee et signee contenant la formule suivante: «Le roy nostre sire est tenu a tel, demourant en tel lieu, pour tele chose prinze de lui par moi, tel chevaucheur ou commis a faire les garnizons de l'hostel dudit seigneur et la lui promet a faire compte en la chambre aux deniers»88. II n'est pas question en l'occurrence de se reposer sur les ressources du domaine. Philippe est loin de refuser radicalement la croissance des institutions royales qui, avec des hauts et des bas, se manifesta tout au long du XIV siecle, que ce soit dans le domaine de la fiscalite, de la guerre, de la justice, de la «policie». II admet que la sainte et saine recherche du bien commun pour le royaume de France exige le recours ä des solutions carrement inedites, ou bien empruntees ä telle puissance contemporaine nullement ä la traine, comme Venise, meme s'il n'est pas mauvais de placer ces solutions sous le patronage de l'Antiquite romaine, de Salomon, de Charlemagne ou de Saint Louis. Simple mesure de pedagogie, simple procede de presentation. Des taxes nouvelles, certes, mais sous certaines conditions, düment repertoriees. Oui ä la guerre du roi, mais ä condition qu'elle se revele necessaire. Oui k l'intervention de la justice, mais ä condition quelle ne s'eternise pas en vaines procedures, qu'elle n'entretienne pas les dissensions et qu'elle soit aussi peu coüteuse que possible. Oui ä la souveraine autorite du roi, mais sans qu'elle se transforme en tyrannie. Philippe ne refuse pas au jeune Moi'se couronnd le recours ä des officiers, en nombre finalement non negligeable, pourvu qu'ils soient bien choisis, assidus, honnetes et organiquement attaches ä sa seule personne. Et apres tout, comment ne pas comprendre la nostalgie qu'eprouve l'auteur du Songe pour les temps anciens, autrement dit pour l'epoque retrospectivement fortunee qui preceda la Peste noire et la guerre de Cent ans? II disposait ici de solides arguments, que tous ses contemporains etaient disposes ä accepter. *

*

*

Ainsi serait-ce trop vite aller en besogne que de voir dans le pauvre et vieil solitaire des celestins de Paris un moraliste morose, un intellectuel ä l'ancienne mode, un utopiste perdu dans ses allegories fumeuses, un esprit deliberement retrogade, regardant sans cesse derriere lui, un simple laudator temporis acti: ce porte-parole par excellence de l'esprit de reforme non seulement fut le temoin Ordonnances des rois de France, t. XII, Paris 1777, p. 173-176.

La crise de la royauti fran^aise au XTV siecle

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clairvoyant de nombre des maux dont souffrait la societe de son temps, non seulement il etait attentif ä ce qui se faisait de mieux dans les Etats contemporains qu'il connaissait directement, mais il lui arriva frequemment de proposer une medecine ä la fois audacieuse et neuve. Cette medecine, il crut le moment venu de la formuler a l'intention du jeune Charles VI et de la nouvelle equipe au pouvoir: ce serait trop dire de penser qu'ils y furent insensibles meme s'ils firent montre pour le moins d'une tres grande discretion ou prudence quant ä sa mise en ceuvre. Peut-etre en retinrent-ils seulement l'esprit. Quoi qu'il en soit, dans des registres bien sür differents (d'un cöte des hommes de la pratique, confrontes ä la politique reelle, de l'autre ce que nous appelerions un intellectuel, un homme de savoir), l'exemple des Marmousets et celui de Philippe de Mezieres montrent que souvent les partisans du «mouvement», pour reprendre le terme de Fran5ois Goguel, pouvaient passer ou se faire passer pour des partisans de la «resistance». Mais n'est-ce pas lä toute l'ambiguite, au moins ä la fin du Moyen Age, du concept de reformation? Pour presenter les choses autrement, les Marmousets, en dehors de la poursuite de leur profit particulier, voulaient ä la fois plus d'Etat et moins d'Etat (ou en tout cas un Etat plus efficace) et Γ on ςοηςού que cette grande conscience que fut Philippe de Mezieres ait eu partie liee avec eux puisque son message politique exprimait lui aussi cette ambivalence et presque cette contradiction.

Tradition und Neuerung im Kloster Ekkehard IV. von St.Gallen und die monastische Reform Ernst

Tremp

„Zur Arbeit, zur Arbeit unseres Ordens und insbesondere dieses Klosters gehört und zwar als ihr Wesenskern - das Studium und die Bewahrung des Wissens. [... ] Ich sage Bewahrung und nicht Erforschung, denn es ist das Proprium des Wissens als einer menschlichen Sache, dass es vollendet und abgeschlossen worden ist in der Zeitspanne von der Weissagung der Propheten bis zu ihrer Deutung durch die Väter der Kirche. Es gibt keinen Fortschritt, es gibt keine epochale Revolution in der Geschichte des Wissens, es gibt nur fortdauernde und erhabene Rekapitulation."' Diese Sätze sind dem Leser gewiss schon begegnet. Jorge von Burgos schleuderte sie in seiner grossen Antichrist-Predigt den M ö n c h e n seines Klosters, erschüttert durch die Mordserie und eingeschüchtert durch die Gegenwart des Inquisitionsgerichts, an den Kopf. Was Umberto Eco hier, an einer Schlüsselstelle des Romans „ D e r N a m e der Rose", kunstvoll verpackt hat, stammt gedanklich zur Hauptsache aus der Feder Bernhards von Clairvaux (1090-1153). 2 Für Bernhard wie für Jorge von Burgos kann es in der Menschheitsgeschichte keinen fundamentalen Fortschritt mehr geben, seitdem die heilsgeschichtliche Offenbarung abgeschlossen ist. Alles Trachten des menschlichen Geistes hat sich auf das Ergreifen und Bewahren dieser geoffenbarten letzten Wahrheiten auszurichten. Insbesondere hat der M ö n c h , dessen Bestimmung die „Vita contemplativa" in der Nachfolge Christi ist, einen Zustand möglichst vollkommener Beharrung anzustreben. Die monastische „stabilitas" verträgt sich nicht mit Veränderung und neuer Ausrichtung, sie hat vielmehr einen präexistenten Zustand vollkommenen Lebens anzustreben, ihn zu erkennen und nachzuahmen. Garanten des

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Eco, Umberto, Der Name der Rose, aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber, München/Wien 1982, S. 509. Vgl. Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum XXXVI, 1-7, in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, hg. v. Winkler, Gerhard B., Bd. 5, Innsbruck 1994, S. 560-571.

Ernst T r e m p

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rechten Weges sind die Väter, die bereits einen höheren G r a d der V o l l k o m m e n heit erreicht haben. In der Nachahmung der Väter kehrt das häufig verwendete rhetorische M o t i v der imitatiolaemulatio

patrum!veterum

wieder.'

Ein literarisch prominenter Zeuge für dieses fortschrittsskeptische Weltbild ist hundert Jahre vor Bernhard von Clairvaux der M ö n c h Ekkehard IV. von St.Gallen (t nach 1057). Gleich am A n f a n g seiner St.Galler Klostergeschichten (Casus sancti Galli) 4 setzte er in einem abrupten Schnitt einer besseren Vergangenheit seine eigene Gegenwart kritisch gegenüber: ut nunc morum et temporum estDie

laudatio temporis acti gehört zwar zur gängigen Exordialtopik von G e -

schichtswerken. D o c h dass Ekkehard darüber hinaus von der Sache selbst her argumentiert,' wird bei der Textanalyse ebenso wie beim Weiterlesen in den Casus bald einmal deutlich. Nunc temporis!temporum

schafft auch an den übri-

gen Stellen in den Casus stets einen kritischen Bezug zur eigenen Gegenwart, 7 während tunc temporis sich auf eine glanzvolle Vergangenheit beruft. W i e ein roter Faden von mehr oder weniger verschlüsselten Anspielungen zieht sich die

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Zum Topos der imitatio vgl. Curtius, Ernst Robert, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1948, S. 463. Für das Aufspüren dieses und weiterer literarischer Zusammenhänge danke ich meinem Freiburger Kollegen Prof. Udo Kühne. Zitierte Ausgabe: Ekkehard IV., Casus sancti Galli / St.Galler Klostergeschichten, hg. und übersetzt v. Haefele, Hans F. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 10), Darmstadt 1980; eine kritische Neuausgabe im Rahmen der Monumenta Germaniae Historica ist in Vorbereitung. Zu Autor und Werk vgl. Haefele, Hans F., Art. Ekkehard IV. von St.Gallen, in: V L ' 2 (1980), Sp. 455-465; Schmuki, Karl, Klosterchronistik und Hagiographie des 11. bis 13. Jahrhunderts, in: St.Gallen. Geschichte einer literarischen Kultur, hg. v. Wunderlich, Werner, Bd. 1: Darstellung, St.Gallen 1999, S. 181-188. Casus, Prael., S. 16. Dem entgegen steht die Auffassung von Haefele, der diese (an Terenz, Phormio 55 anklingende) Zwischenbemerkung und weitere Bemerkungen im Praeloquium nicht als Kritik an Reformtendenzen der Gegenwart, sondern nur als „Devise mönchischer Selbstbescheidung" versteht; vgl. seine Einleitung zur Ausgabe der Casus, S. 7 mit Anm. 15, und dens., Tu dixisti. Zitate und Reminiszenzen in Ekkehards Casus sancti Galli, in: Florilegium Sangallense. Festschrift für Johannes Duft zum 65. Geburtstag, hg. v. Clavadetscher, Otto P., Maurer, Helmut, Sonderegger, Stefan, St.Gallen / Sigmaringen 1980, S. 181-198, hier S. I9iff. Casus, c. 124, S. 240: invidi monachis nunc temporis episcopi; c. 134, S. 260: hilaritas ... eius, [...], ut nunc moris est, delitiis ascribatur. Casus, c. 1, S. 18: Isoni ... tunc temporis doctori nominatissimo; c. 78, S. 164: ad quendam tunc temporis magni nominis solitarium. Zum Topos der laudatio temporis acti vgl. Curtius, Europäische Literatur (Anm. 3), S. i03f.

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Gegenüberstellung von - hellerer - Vergangenheit und - dunklerer - Gegenwart durch das ganze Werk. Sie bildet neben dem Aspekt der fortunia et infortunia, dem Auf und Ab von Glück und Unglück, das literarisch-thematische Grundgerüst der Gasus. Unter welchen Voraussetzungen standen und entstanden Ekkehards Klostergeschichten? Ekkehard IV., geboren einige Jahre vor der Jahrtausendwende, war in St.Gallen Schüler Notkers III. des Deutschen und danach selbst Magister an der Schule des Gallusklosters. In den zwanziger und frühen dreissiger Jahren des 11. Jahrhunderts wirkte er als Schulmeister in Mainz, bevor er an die St.Galler Schule zurückkehrte. Von Ekkehards „vielseitigem Magisterfleiss"' zeugt eine Reihe von Dichtwerken. Erst in reiferen Jahren scheint er sich der Aufgabe zugewandt zu haben, die „Klostergeschichten" Ratperts, die mit dem Jahr 883 endeten, fortzusetzen. Um und nach der Jahrhundertmitte hat er sich mit der Ausarbeitung dieses Werkes befasst. Die im Vorwort bekundete Absicht, die Casus bis in seine Gegenwart, bis in die Abtszeit Norperts von Stablo (10341072), zu führen, blieb unerfüllt. Krankheit oder Tod werden Ekkehard die Feder aus der Hand genommen haben;'" die Klostergeschichten enden mit dem Kaiserbesuch in St.Gallen im Jahr 97z, mitten in der Regierungszeit des Abtes Notker (971-975). In der überlieferten Form bieten die Casus sancti Galli infolgedessen Vergangenheitsgeschichte, dies obwohl der Autor eine Gegenwartsgeschichte, die Darstellung auch des zeitgenössischen Geschehens in seiner Abtei, intendierte." Die Gegenwart ist in der geschilderten Vergangenheit daher wie in einem Spiegel oder vielmehr einem Zerrspiegel - präsent. In die Vergangenheit projizierte Ekkehard Themen und Vorstellungen, die ihn und seine Mitbrüder beschäftigten. Es waren nämlich die Mitbrüder, die ihn dazu bewegten, sich in diese höchst schwierige Sache (rem arduam)'1 einzulassen. Dabei ist nicht zu übersehen, dass sich dieses „topische" Motiv gerade für gemeinschaftsstiftende Literatur, wie sie die St.Galler Klostergeschichten bilden, gut eignet.

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Haefele, in: V L ' 2 (1980), Sp. 464.

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Schon der anonyme erste Fortsetzer der Casus, der um 1075 schrieb, wusste keinen Grund mehr für den Abbruch des Werks anzugeben; Casuum sancti Galli continuatio anonyma, hg. und übersetzt v. Leuppi, Heidi, Zürich 1987, S. 58; vgl. Schmuki, Klosterchronistik (Anm. 4), S. 187.

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Zur Typologisierung von Vergangenheits- und Gegenwartsgeschichte in der mittelalterlichen Historiographie vgl. Schmale, Franz-Josef, Funktion und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung. Eine Einführung, Darmstadt 1985, bes. S. 17. Casus, Prael., S. 16.

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Welcher Art die Themen waren, die die Mönche beschäftigten, geht schon aus einer quantifizierenden Inhaltsübersicht der Casus deutlich hervor. Zwanzig Kapitel (c. 99-119) der nach moderner Zählung 147 Kapitel umfassenden Klostergeschichten beschäftigen sich mit der Visitation durch 16 Bischöfe und Äbte, die in den sechziger Jahren des 10. Jahrhunderts auf Anordnung des Kaiserhofes St.Gallen reformieren sollten. Die „Grossvisite",'' die ihr vorangehenden Ereignisse und die anschliessenden Reformbemühungen der 960er und 970er Jahre dominieren praktisch den letzten Drittel des Geschichtswerkes.'4 Das Verhalten des traditionsbewussten alten Reichsklosters gegenüber den anstürmenden neuen Vorstellungen des Reformmönchtums bildete für Ekkehard offensichtlich eine zentrale „Causa scribendi". Es ging ihm nicht um „die zuständliche Lebensform eines Mönchskonvents vor der Klosterreform",'* sondern in Konfrontation mit dieser Reform. Er schilderte die Verhältnisse in früheren Zeiten kaum je ohne Seitenblick auf die Verhältnisse der eigenen Gegenwart. Es ging ihm „und seinen älteren Mitbrüdern um eine Verherrlichung der guten alten Zeit, deren letzte Blüte sie noch erlebt hatten und die durch die von ihnen nicht gutgeheissenen Reformen ihres Abtes [Norpert von Stablo] endgültig verloren schien".'6 Ist aber die latent oder offen vorgetragene Kritik am „Zeitgeist" geradewegs als Negierung von Fortschritt zu interpretieren? Wie nahm Ekkehard die Anliegen der Reform auf? Äusserte er, der nicht nur Erzähler, Dichter und Lehrer, sondern auch theologisch gebildet war, sich grundsätzlich zum Gegensatz zwischen Tradition und Fortschritt?

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Den Begriff prägte Hallinger, Kassius, Gorze-Kluny. Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter (Studia Anselmiana 22, 23), 2 Bde., Rom 1950-1951, hier Bd. 1, S. 197; zu den Reformbemühungen in St.Gallen im Jahrhundert vgl. hier S. 187-199. Demgegenüber ist es nicht sinnvoll, die Casus in Hauptabschnitte nach den Regierungszeiten der einzelnen Äbte zu gliedern, wie es Haefele vorschlägt; Haefele, Hans F., Z u m Aufbau der Casus Sancti Galli Ekkehards IV., in: Typologia Litterarum. Festschrift für Max Wehrli, hg. v. Sonderegger, Stefan, Zürich 1969, S. 155-166, hier IO.IU.

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S. 158. Dies ergäbe eine völlig disproportionierte Gliederung: 46 c. für das Abbatiat Salomos, 2 c. für Hartmann, 17 c. fur Engilbert, 3 c. für Thieto, 13 c. für Craloh, 46 c. für Purchart und 20 c. für Notker - die Casus sind eben keine Gesta abbatum, Ekkehard legt wenig Wert auf die chronologische Abfolge. 15 16

So Schmale, Funktion (Anm. 11), S. 136. Schmuki, Klosterchronistik (Anm. 4), S. 187; nicht zuzustimmen ist Haefeles Auffassung, wonach Ekkehard gegenüber den Reformen seines eigenen Abtes Norpert keine kritische, missbilligende Haltung eingenommen habe (vgl. oben Anm. 6 und unten bei Anm. 72).

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Solche Fragen fuhren mitten in die Thematik dieser Tagung hinein, die Antworten darauf liefern aber auch neue Zugänge zum Verständnis der Casus sancti Galli. Wir nehmen die Untersuchung in drei Schritten vor: Zuerst ist das Wesen der guten Mönchstradition im Sinne Ekkehards zu erforschen und sind die Grundsätze und Inhalte des altsanktgailischen Mönchtums aus seiner Sicht herauszuarbeiten. Dann stellen wir uns mit Ekkehard den Neuerern und ihren neuen Ideen, suchen in den zahlreich referierten Beratungen und Gesprächen nach den Argumenten, Beweisführungen und konkreten Forderungen der Reformer. Im letzten Teil wird nach einer Synthese zwischen den beiden gegensätzlichen Standpunkten zu fragen und nach dem wirklichen reformerischen Fortschritt in St.Gallen sowie seiner Legitimation gegenüber dem früheren Zustand - immer aus der Sicht Ekkehards - zu forschen sein.

i. Die gute alte Zeit U m die Vollkommenheit des alten sanktgallischen Mönchtums zu demonstrieren, lässt Ekkehard gerne aussenstehende Zeugen zu Wort kommen. So berichtet er in c. 7 von Bischof Adalbero von Augsburg (887—910), der einmal am Gallusfest (16. Oktober) zum Grab des Heiligen gepilgert sei. Nach seiner Rückkehr befragt, ob dort die Frömmigkeit, Gelehrsamkeit, Strenge und Zucht wirklich so gross seien, wie man überall rühme, soll Adalbero geantwortet haben: „Einen einzigen Heiligen, einen toten Heiligen habe ich gesucht, und fand dabei [... ] lebendige heilige Brüder. Ihre Wissenschaft aber und ihre Zucht kann man in ihren Tugendwerken erkennen".' 7 Zucht und Strenge auf der einen Seite, Wissenschaft und Gelehrsamkeit auf der anderen waren es, die nach Ekkehards Überzeugung das Kloster St.Gallen einst berühmt gemacht hatten. Dies demonstrierte er an Gestalten und Begebenheiten aus den verschiedenen Lebenskreisen im Kloster. Der Lebenswandel der Mönche sei so tadellos gewesen, dass sie nach dem Wort des Psalmisten als „Heilige unter Heiligen, als Auserwählte unter Auserwählten" gelebt hätten, der Nachwelt zum Vorbild.'* Im Kernraum des Klosters, in der Klausur von Kirche und Konventsgebäuden, sei den Laien der Zutritt

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Casus, c. 7, S. 28: Unum egomet sanctum et hunc defunctum qu?sivi; vivos autem sanctissimos, ut vere fatear, fratres inveni. Doctrinam autem illorum et disciplinam in virtutum eorum operibus videre est. Casus, c. 37, S. 84, nach Ps. 17, 26f.: cum sanctis sancti, cum electis electi, ... in exemplum posteris.

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streng verwehrt gewesen.'9 Das klösterliche Gemeinwesen sei zu jener Zeit von einem Senat von unvergleichlicher Ehrwürdigkeit geleitet worden (erat senatus reipublicq nostrq tunc quidem sanctissimus).*° Der Abt an dessen Spitze habe dazu wesentlich beigetragen. Um dies mit einer konkreten Abtspersönlichkeit zu belegen, wählte Ekkehard das unverfängliche, weil nur wenige Jahre dauernde und von seiner eigenen Gegenwart genügend weit entfernte Abbatiat Hartmanns (922-925). 11 Fast in der Art eines Abtspiegels werden Hartmanns Verdienste gewürdigt (c. 47, 48): Er sei allein darauf bedacht gewesen, die Zucht nach Väter Weise zu regeln und streng zu üben; ausserdem habe er die Wissenschaft in Kloster und Schule gefördert und im besonderen den kunstvollen Chorgesang in seiner „gültigen Form" gelehrt." Daran, am richtigen und feierlichen Psalmodieren, könne man überhaupt den frommen Geist des Gallusklosters erkennen.13 Frommer Geist und strenge Zucht verboten es den Mönchen, zu unpassender Zeit zu lachen. Als bei einem heiteren Zwischenfall im Refektorium die anwesenden Gäste, die visitierenden Abte, in Lachen ausbrachen, soll keiner der St.Galler Mönche miteingestimmt haben."4 Die monastische Tugend von der Unschicklichkeit des Lachens'5 hinderte sie allerdings nicht daran, Festtage und Zeiten der Rekreation „in der Wonne unschuldiger Fröhlichkeit"16 zu verbringen. Wen wundert's, dass eine solche Klosterzucht herausragende Mönchsgestalten hervorgebracht hat? Allen voran stellte Ekkehard das Dreigestirn des sankt-

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Casus, c. 5, S. 24: Nimis tarnen ... insolens semper erat et est praeter monachici nostri habitus quemdam introire intima nostra. Casus, c. 6, S. 26. Der römische Senat als Metapher für die einstige Mönchsgemeinschaft von St.Gallen begegnet in den Casus noch ein weiteres Mal (vgl. unten bei Anm. 28); durch diesen Vergleich entrückt Ekkehard die Verhältnisse in den guten alten Zeiten der Kritik seiner Zeitgenossen.

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Vgl. die Abtsvita in: Helvetia Sacra III/i, 2, Bern 1986, S. I282f. Casus, c. 47, S. 106: maxime autem authenticum antiphonarium docere et melodias Romano more tenere sollicitus.

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Casus, c. 42, S. 96: Et ut videas loci nostri religionem ?tiam in psalmodiis. Casus, c. no, S. 220: nemo quidem loci fratrum motus est in risum. Vgl. Schmitz, Gerhard, „... quod rident homines, plorandum est". Der „Unwert" des Lachens in monastisch geprägten Vorstellungen der Spätantike und des frühen Mittelalters, in: Stadtverfassung, Verfassungsstaat, Pressepolitik. Festschrift für Eberhard Naujoks zum 65. Geburtstag, hg. v. Quarthai, Franz, Setzier, Wilfried, Sigmaringen 1980, S. 4-15.

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Casus, c. i n , S. 220: in sanct; hilaritatis gaudio.

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gallischen „Goldenen Zeitalters",17 Notker, Ratpert und Tuotilo, ins Rampenlicht. Die drei waren in seinen Augen wahrhaftige Senatoren der einstigen klösterlichen Republik (tales cum essent tres isti nostrq reipublicae senatores). Nicht zuletzt dank Ekkehards biographisch dichten Erzählungen wurden diese Männer berühmt und blieb ihre Erinnerung in St.Gallen lebendig. Bei seinen Zeitgenossen muss die idealisierende Heldendarstellung in den Casus allerdings auf Widerspruch gestossen sein. Kritischen Einwänden begegnete Ekkehard einerseits mit dem Hinweis auf den heiligmässigen Lebenswandel; dieser war wenigstens für Notker den Stammler (ille sanctissimusf auch bei seinen Mitbrüdern offenbar unbestritten. Andererseits suchte er die Kritiker als Vertreter des neuen Zeitgeists (ut nunc saeculum est), die allem Alten mit Misstrauen und Ablehnung begegnen würden, zu disqualifizieren.'0 Um seine Beweisführung von der guten alten Zeit zu untermauern, zog Ekkehard deren konkrete Leistungen in Dichtung, Musik, Kunst, Schule und Scriptorium heran. Auf diesem Feld konnte er in der Tat nur schwer geschlagen werden. Zahlreiche Werke bezeugen die damalige Hochblüte des Gallusklosters. Besonders einleuchtend waren sichtbare, tangible Gegenstände wie etwa die Prachtcodices in der Bibliothek. Nicht ohne Grund führte man die Äbte der Visitations-Delegation oder andere hohe Gäste in den Bibliotheksraum, damit sie hier die Kunstfertigkeit der Mönche rühmen konnten.'' Ekkehard selbst kannte die Bestände der Klosterbibliothek und benutzte sie fleissig.'1 Aus den Werken, die er in den Casus beschreibt, greifen wir ein illustres Beispiel heraus: das „Evangelium longum", den heutigen Codex 53 der Stiftsbibliothek St.Gallen. In c. 22 schildert er ausführlich die Entstehung des Codex, ausgehend von den beiden ungewöhnlich grossen Elfenbeintafeln, die Abtbischof Salomo III. dem Kloster geschenkt hatte. Tuotilo schnitzte die Tafeln kunstvoll als Einband und schmückte sie mit Gold und Edelsteinen. Der nicht weniger berühmte Kalligraph Sintram schrieb den Text des Evangelistars. Wenn Ekkehard dazu feststellte: „Es ist dies heute ein Evangelienbuch und eine Schrift, dergleichen es

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Die Bezeichnung „Goldenes" und „Silbernes Zeitalter", die ursprünglich aus der griechischen Mythologie stammt, wird seit dem frühen 19. Jahrhundert auch für die erste Blütezeit des Klosters St.Gallen verwendet; vgl. Ochsenbein, Peter, Klosterliteratur der Blütezeit, in: St.Gallen. Geschichte einer literarischen Kultur (Anm. 4), S. 161-180, hier S. 161.

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Casus, c. 35, S. 80; vgl. oben Anm. 20.

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Casus, c. 46, S. 102.

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Casus, c. 45, S. 102.

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Casus, c. 112, S. 220/222. Vgl. Schmuki, Klosterchronistik (Anm. 4), S. 182.

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unseres Erachtens nicht mehr geben wird (cui nulla, ut opinamur, par erit ultra). Denn in diesem einen Werk erlebt die Kunst Sintrams, dessen Finger ja alle Welt diesseits der Alpen bewundert, bekanntlich ihren höchsten Triumph", und weiter zur Schreibkunst Sintrams: „auch das war an ihm bewundernswürdig und einzigartig: indes seine elegante Schrift durch ihre Stetigkeit besticht, findest Du auf einer Seite kaum je ein einziges falsches Häkchen radiert"" - wenn also Ekkehard die unübertreffbare Vollkommenheit dieses Werkes rühmte, dann musste es einem auf Veränderungen drängenden Reformer schwer fallen, den Gegenbeweis anzutreten. Die gleiche Zucht und Vollkommenheit habe in der guten alten Zeit auch die Klosterschule, den besonderen Stolz des Schulmeisters Ekkehard, ausgezeichnet. Mancher der alten Lehrer sei ebenso streng gewesen wie erfolgreich {doctor prosper et asper, hier bezogen auf Ekkehard II.).'4 Die Zuchtmethoden eines Ratpert, der in der Schule „kapitelte" statt dem Mönchskapitel beizuwohnen und nach dessen Überzeugung das grösste Verderben die Straflosigkeit sei", hatten offenbar schon bei den jüngsten Schülern Erfolg. Wer erinnert sich nicht an die schöne Geschichte von den Äpfeln, die König Konrad bei einer Prozession der Kinder mitten auf den Boden der Kirche hinschütten liess - und nicht einer der Kleinen „sich rührte oder auch nur danach schielte"?'6 Als Musterschüler erwies sich in besonderem Masse der spätere Bischof und Heilige Ulrich von Augsburg (92.3—973). Wie Sintram im Schreiben, habe es Ulrich im Vorlesen zur höchsten Vollkommenheit gebracht: „Vor den Vätern im Refektorium, wo ein Schnitzer auch nur im Geringsten schon ein Hauptvergehen war (übt vel in puncto peccare capitale erat), durfte er als tadelloser Vorleser immer wieder auf» . «. J7 treten Die St.Galler Klosterschule habe — wird Ekkehard nicht müde zu beteuern von ihrem Überfluss in weite Gebiete des Reiches ausgegossen, durch Schüler, die eine glänzende Laufbahn eingeschlagen hätten, ebenso wie durch ihre auswärts wirkenden Lehrer. So schreibt er über den als Magister ins jurassische Kloster Moutier-Grandval gesandten gelehrten Mönch Iso: „Als dann jenes

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Casus, c. 22, S. 58; zum Evangelium longum auch c. 28, Weltrang wird zuletzt: beschrieben von Schmuki, Karl, Hundert Kostbarkeiten aus der Stiftsbibliothek St.Gallen, Ochsenbein, Peter, Dora, Cornel, St.Gallen '2000, S. 94L·,

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Casus, c. 89, S. 182.

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Casus, c. 34, S. 78. Casus, c. 14, S. 40. Casus, c. 57, S. 124.

S. 68. Diese Zimelie von in: Cimelia Sangallensia. beschr. v. Schmuki, Karl, 218.

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Gefäss des Heiligen Geistes dorthin gekommen war, bot es des heiligen Gallus süsseste Becher dar und wurde gepriesen in Ländern und Reichen".' 8 Die strengen Lehrmethoden und die Zucht in St.Gallen stiessen freilich an Grenzen, sie stürzten das Kloster einmal sogar in eine grosse Katastrophe. Der verheerende Brand von 937, Fanal fur das Ende des „Goldenen Zeitalters" in der Geschichte der Abtei, wurde durch einen unbotmässigen Schüler ausgelöst, der sich und seine Kameraden dadurch den drohenden Rutenschlägen zu entziehen hoffte - was ihm dann auch gelungen ist... Ekkehard selbst stellte den Kausalzusammenhang zwischen der strengen Zucht in der Schule und der Brandkatastrophe her:" Wie wenn er hier eine Bruchstelle in sein verklärendes Bild der guten alten Zeit hätte einbauen wollen. Der Leser ahnt längst, dass der Ubergang zu weniger heilen Zeiten abrupt erfolgen würde.

2. Die Neuerer brechen herein Vorbildliche Mönche müssen nicht zwingend auch äusserlich schön sein. Der mit einem körperlichen Gebrechen behaftete Notker der Stammler ist dafür ein glänzendes Beispiel. Doch nicht selten stellt Ekkehard sympathische Mönchsgestalten in den Casus auch in ihrer äusseren Erscheinung als schön dar. Hochgewachsen, wie Ekkehard II. der Höfling, mit strahlendem Antlitz, „mit Blitze schiessenden Augen", elegant gekleidet, selbstbewusst, „dem Stolz näher als der Demut". 4 ° Solchen Männern stellt der Autor wirkungsvoll das Aussehen und Benehmen der Neuerer entgegen, der eifernden Reformer und überstrengen Asketen, die im Zuge der Ottonischen Klosterreform auch St.Gallen ins Visier nahmen. Nicht körperliche Nachteile, durch Geburt erworbene oder durch Unfall sich zugezogene Gebrechen, unterscheiden den Neuerer vom altsanktgallischen Mönch, sondern seine den Körper verachtende, das Äussere vernachlässigende Haltung. Hauptzielscheibe für Ekkehards scharfe Feder war Sandrat, Mönch von St.Maximin in Trier und späterer Abt von Gladbach (f 984/85). Der einflussreiche Reformer besass das Vertrauen Ottos I. und betreute in den Jahren zwischen 963 und seinem T o d einen weitgespannten Reformkreis, der neben St.Gallen

38

39 40

Casus, c. 31, S. 74; sancti Galli ... pocula korrespondiert hier mit vas ... spiritus sancti, sollte daher wohl nicht, wie Haefele es tut, mit „St.Gallens ... Becher" übersetzt werden. Casus, c. 66f., S. 140-144. Casus, c. 89, S. 182: oculis fulgurosus; glori? ... humilitati proximior.

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auch Einsiedeln, Reichenau, Ellwangen, Weissenburg im Eisass und Gladbach umfasste.4' In St.Gallen weilte Sandrat 972/73 für längere Zeit und hatte hier im Auftrag des Hofes die Einhaltung der Reformbeschlüsse zu überwachen. Mager und bleich soll er gewesen sein und in seinem Ausseren vernachlässigt (despectibilis-, macilentum videns et pallidum habituque neglectum), wie gemäss Ekkehard die Kaiserin Adelheid selbst habe einräumen müssen.41 Es war dann ein Leichtes, das unsympathische Auftreten auszuweiten zu einer unfreundlichen Persönlichkeit, Sandrat zu einem Heuchler, Säufer und Wüterich, ja zum zweiten Satan zu machen!4' Den effektvollen Kontrast zwischen den Männern des alten Mönchtums und den unansehnlichen Gestalten der Reform steigerte Ekkehard noch durch scharfe Kritik an der humorlosen, eifernden Strenge der Neuerer und ihrer zerstörerischen Kritiksucht.44 Ihr angeblich schärferer Verstand (altioris ingenit) sei nicht einmal scharf genug, um ein Jugendwunder des heiligen Ulrich, die berühmte Bestrafung des Griffeldiebes, richtig zu begreifen. Dieser, ein Schulkamerad Ulrichs, hatte dem künftigen Heiligen den Griffel gestohlen und sich damit unter dem Gewand die Hände zerstochen, wodurch sein Diebstahl entlarvt wurde. Wer am Wundergehalt der Griffelgeschichte zweifle, sei eben verstockten Herzens (rigidi corde).45 Die Reformer werden aber vor allem wahrgenommen als Eindringlinge, die dreimal hintereinander in den Schafstall des heiligen Gallus eingebrochen seien. Eine fulminante Rede vor den beiden Ottonen, Vater und Sohn, Hess Ekkehard II. Palatinus in folgender Anklage gipfeln: „Es ist ein schwerwiegender Fall, eure armen Schlucker [d.h. die Mönche von St.Gallen] innerhalb so kurzer Zeitspanne schon zum drittenmal anzugreifen".4' Es ist geradezu ein Kennzeichen der

41

Vgl. Feine, Hans Erich, Klosterreformen im 10. und 11. Jahrhundert und ihr Einfluss auf die Reichenau und St.Gallen, in: Aus Verfassungs- und Landesgeschichte. Festschrift zum 70. Geburtstag von Theodor Mayer, Lindau/Konstanz 1955, Bd. 2, S. 77-91, hier S. 84; Hallinger, Kassius, Willigis von Mainz und die Klöster, in: Willigis und sein Dom. Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte 24 (1975) S. 93-134, hier S. 106-109, 112-116.

42

Casus, c. 137,144, S. z66, 28ο.

43 44

Casus, c. 141, S. 274: se alterius satan? tegnis ... pari. Casus, c. 134, S. 260: propter quod invidi detrahere, desueti autem cum gemitu clamare nunc poterunt: „O tempora, ο mores!".

45

Casus, c. 58, S. 126.

46

Casus, c. 117, S. 230: grave quidem est, [... ] in tarn brevi articulo tercia vice pauperes vestros ingredi.

Tradition und Neuerung im Kloster

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Gegner St.Gallens, dass sie heimlich auftreten wollten.47 Der erste Einbruch, das erste feindliche Eindringen (inimica invasio)4" geschah des Nachts, als Ruodmann von der Reichenau in die Klausur eindrang, von wachsamen Mönchen in den Latrinen(!) gestellt und entlarvt wurde. Um die Dramatik zu erhöhen, machte Ekkehard den Eindringling zum Abt der Reichenau; dabei war Ruodmann zum Zeitpunkt des Geschehens in den frühen 960er Jahren erst Propst des Inselklosters.'" Was der Chronist beharrlich verschweigt: Ruodmann war bei seiner Aktion von ehrenhaften Motiven geleitet, er war ein ernsthafter und angesehener Reformer, ein „hervorragender Vertreter der monastischen Erneuerung im Sinn der lothringischen Reform."50 Als zweites Eindringen, ja als Invasion empfanden die Traditionalisten in St.Gallen den Besuch der bereits erwähnten „Grossvisitation" von 16 Bischöfen und Äbten. Die vom Hof entsandte gemischte Kommission bestand aus entschiedenen Kritikern des Gallusklosters, aber auch aus ihm wohlgesinnten Prälaten.'' Das dritte Eindringen, jenes von Sandrat, geschah wie der Besuch Ruodmanns wieder inkognito. Sandrat suchte sich — immer nach Ekkehard — in der Masse der Pilger, die am Gallusfest das Münster besuchten, zu verstecken. Der Mönch im Pilgergewand beziehungsweise der Wolf im Schafspelz entging freilich den Blicken der wachsamen Mönche nicht." Bei aller Uberzeichnung seiner Kontrahenten - als semimagister wird Sandrat einmal tituliert, mit Judas Iskarioth ein andermal assoziiert" - informiert Ekkehard seine Leser recht ausführlich über die Anliegen und Forderungen der Reformer. Schon die Tatsache, dass sie heimlich ins Innere des Klosters zu gelangen trachteten, erfährt eine plausible Begründung: Man suchte nach Unregelmässigkeiten (aliquid irreguläre)54, nach Abweichungen vom regelkonformen

47

Casus, c. 137, S. 266: quod tarn palam promissus ita supervenerit occultus (Sandrat).

48 49

Casus, c. 101, S. 204. Vgl. Hallinger, Gorze-Kluny (Anm. 13), S. 190, 6nf. Der Abbatiat Ruodmanns auf der Reichenau dauerte von 972 bis zu seinem Tod 985.

50

Feine, Klosterreformen (Anm. 41), S. 84.

51 52

Vgl. Hallinger, Gorze-Kluny (Anm. 13), S. 192-194. Casus, c. 137, S. 266.

53 54

Casus, c. 141, S. 274; vgl. auch oben bei Anm. 42. Casus, c. 5, S. 24; die Angst vor dem Entdecken von Unregelmässigkeiten im innersten Bereich des Klosters und ihre Denunzierung am Hof bestimmte bereits die Abwehrhaltung des Konvents gegenüber dem „intrusus" Salomo III. Vgl. auch die Sandrat bei seinem heimlichen Eindringen zugeschriebenen Motive, Casus, c. 137, S. 266: Latere se posse, dum omnia perspiceret, quasi nemini notus, credidit, und weiter: Volebat..., exploratis qu? posset omnibus, astus suos tandem acturus erumperet in medium liberius.

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Gemeinschaftsleben, wie das Gerücht (infamia)" solches weit herum im Reich und bis an den Kaiserhof verbreitet hatte - und fand sie natürlich auch. Als Erzbischof Heinrich von Trier (956-964), der Vorsitzende der Visitationskommission, in der Klausur erste Umschau gehalten hatte, rief er aus: „Fürwahr, solch ein Nest geziemt feinen Vögeln". 5 ' Von der wirklichen oder angeblichen Strenge im alten Galluskloster war man unterdessen weit entfernt. Trotz der, wie Ekkehard oft beteuert, streng abgeschlossenen Klausur nahmen an Festtagsessen im Refektorium auch Laien teil; leicht konnte so das Mahl in ein Saufgelage ausarten.57 Mit der wirtschaftlichen Erholung nach der Mitte des 10. Jahrhunderts war Luxus in St.Gallen eingekehrt. Nicht grundlos wurde der Vorwurf laut, die Mönche lebten nach Lust und Laune (pro libitu viventes).5" Im Besonderen richtete sich die Kritik auf zwei schwerwiegende Verstösse gegen die Benediktsregel: Den Mönchen war erstens privater Besitz gestattet.59 Es gab somit ein beträchtliches Gefalle zwischen Arm und Reich im Kloster, wobei die Wohlhabenderen einen nicht geringen Zeitaufwand für die Vermögensverwaltung betrieben. Der zweite Verstoss betraf das Verbot des Fleischkonsums, woran man sich in St.Gallen recht locker hielt. Nicht nur die Kranken durften gemäss der Regel Fleisch essen, der zart gebaute Abt Purchart — von Otto d. Gr. als sein Äbtlein bezeichnet (abbatulus meus)6" — hatte sich ebenso an diesen Luxus gewöhnt, und mit Bewilligung des Abtes gab es auch für den Konvent Fleischspeisen. Voll beissender Ironie wandte gegen solchen Regelverstoss Erzbischof Heinrich von Trier ein, der Bodensee in der Nähe wäre doch wohl gross genug, um ausreichend Fisch für die Tafel der Mönche zu liefern („Mirum ", ait, „tarn latum lacum hicpatere et hicpiscium copiam non esse").6' Den visitierenden Reformern war es ein Anliegen, die schlimmsten Verstösse gegen die Regel in St.Gallen zu beseitigen, die alte Strenge und Zucht wiederherzustellen. Dabei wurden sie nachhaltig unterstützt vom ottonischen Hof, wo

55 56

Casus, c. 99, S. 200. Casus, c. 102, S. 206: „Enimvero", ait, „talis nidus bonas aves decet". Das Bild entnahm Ekkehard der Epistola ad Grimaldum abbatem Ermenrichs von Ellwangen, c. 27: raro usquam repperi, sicuti bene in nido apparet, quales volucres ibi inhabitent (hg. v. Dümmler, Emst, M G H Epist. 5, S. 565), wo der ironische Unterton aber fehlt.

57

Casus, c. 136, S. 264.

58

Casus, c. 91, S. 186.

59

Casus, c. 98, S. 200; zwar war es Ruodmann, der den Vorwurf erhob, in der Sache blieb er aber auch von der Gegenseite unbestritten. Casus, c. 86, S. 176. Casus, c. 105, S. 212.

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man sich sehr um das altehrwürdige Reichskloster annahm." Wie der Erzbischof von Trier am Ende seiner Mission feststellte, ging es ihnen allen darum, die Mönche vom Weg ihrer Väter auf den Weg der Regel hinüberzulenken (viros virtutum magnarum patrum viam sanctissimam gradientes in regulq viam convertere) - oder, wie es Ekkehard selbst entschlüpfte: „den Weg Benedikts vor den Küken des Gallus (Gallipullis)" zu beschreiten"/' Noch weiter in die Richtung der lothringischen Reformbewegung wollte Sandrat das Kloster erneuern. Ein Dorn im Auge war ihm beispielsweise der liturgische Gesang, wie er in St.Gallen seit den Zeiten Notkers des Stammlers gepflegt wurde. Der Chorgesang war der Stolz der Mönche, Schulmeister und ehemaligen St.Galler Schüler. Sandrat empfand ihn hingegen als „ruhmsüchtiges Jubilieren der Stimmen in der Kirche"'4 und wollte ihn durch Modernisieren vereinfachen. Solches ging der selbstbewussten alemannischen Reichsabtei entschieden zu weit und erschöpfte endgültig ihr Geduldsmass: Sandrat musste gehen. Wie die Mönche - immer gestützt auf das Zeugnis Ekkehards - im Ganzen auf die Einwirkungen der Reformer reagierten, soll nun im dritten und letzten Teil dieser Abhandlung untersucht werden.

3. Die Antwort der M ö n c h e - Anpassung und Widerstand Die Auseinandersetzung zwischen Reform und Beharrung drehte sich im Kern um die Frage, welche Lebensform regelkonformer war. Auch der ottonische Hof, die visitierende Delegation und die hierher gesandten Verfechter einer radikaleren Reform hielten sich nicht für revolutionäre Veränderer. Es ging ihnen wie allen monastischen und kirchlichen Reformbewegungen des früheren Mittelalters darum, eine ursprüngliche Authentizität wiederherzustellen. Die während langer Jahrhunderte angewachsenen Gewohnheiten im klösterlichen Alltag St.Gallens sollten unter die Lupe genommen und an der Benediktsregel neu ausgerichtet werden. Im Auftrag des Abtes mussten daher die ehrwürdigsten

62

Vgl. Casus, c. 86, S. 176/178.

63

Casus, c. 118 u. 119, S. 232; in der Sache zutreffend, aber allzu frei ist die Übersetzung dieser Stelle bei Hallinger, Gorze-Kluny (Anm. 13), S. 197: „den Hühnern des heiligen Gallus den W e g des heiligen Benediktus zu weisen". Ich danke meinem Freund und Kollegen Dr. Hannes Steiner für seine wertvollen Hinweise zur Übersetzungsproblematik der Casus.

64

Casus, c. 140, S. 272: in ecclesia exaltationes vocum gloriosas et nequaquam monachicas.

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Männer des Konvents, der Dekan Ekkehard I. und Notker II. der Arzt, während der „Grossvisitation" in der Versammlung aufstehen und den Tagesablauf im Kloster von Prim zu Prim lückenlos schildern.' 5 Regularissimus zu sein, peinlich genau, buchstabengetreu auf Konformität mit der Regel zu achten, war besonders den Eiferern vom Schlage Sandrats ein Anliegen. Deswegen nannte ihn Ekkehard monachus regularissimus*, freilich mit unüberhörbarem ironischem Unterton. Wie sehr die Enge einer solchen Geisteshaltung mit dem altsanktgallischen Mönchtum kontrastierte, zeigen die Casus mit einer schönen Episode, die sich ebenfalls während der „Grossvisitation" zugetragen haben soll. Ein eifriger junger Bischof, Theoderich von Metz (965984), trug während der Inspektion in den Konventsräumlichkeiten das Buch mit der Benediktsregel aufgeschlagen in der Hand; offenbar wollte er Norm und Wirklichkeit fortlaufend überprüfen. Beim Eintreten in den Kapitelsaal zu den Beratungen mit den Mönchen flüsterte ihm sein ehemaliger St.Galler Lehrer Gerald zu: „Du trägst das Buch gegen mich daher, das ich geschlossen besser kenne als du geöffnet? Mach es zu!" - was der junge Mann errötend schleunigst tat... Den regularissimi setzten die St.Galler die sanctissimi entgegen, dem Buchstaben der Regel deren geistigen Gehalt und tieferen Sinn. Ihre Leitlinie war die Caritas, die Liebe im paulinischen Sinn, die kein Unrecht begehen kann und über dem Gesetz steht. Abt Notker verglich angesichts der unbeugsamen Härte der Reformer die Regel mit einem zerbrechlichen Saiteninstrument, dem durch fortwährende Strenge entweder „der Bogen zerbricht oder ihre Saite zerreist".69 Die Weisheit hingegen lässt in der Anwendung der Regel einen Ermessensspielraum und beruft sich dabei auf den Erfahrungsschatz der Väter. Solche hehre Grundsätze vermochten indessen selbst für Ekkehard die aufgedeckten Missstände im Kloster nicht zu kaschieren. Wie reagierte man auf die konkreten Kritikpunkte der Inspektoren? Grosse Diskussionen löste ihre Forderung aus, den Privatbesitz aufzugeben und zu einer gemeinschaftlichen Wirtschaftsweise zurückzukehren. Bischof Hiltebald von Chur (968-995), ein Freund des Klosters, lieferte für diese sanktgallische Besonderheit eine ökonomischhistorische Begründung. Er sprach von der früheren Armut und Schwierigkeit, den Lebensunterhalt für alle Klosterbewohner zu sichern, und von den Vorteilen

65

Casus, c. 104, S. 210.

66

Casus, c. 98, S. 200; Otto I. selbst bezeichnete gemäss den Casus (c. 133, S. 256/258) Sandrat gleich zweimal als regelgetreuen Mann (regularis).

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Casus, c. 103, S. 208/210. Casus, c. 16, S. 44; vgl. 1. Kor. 13, 4. Casus, c. 135, S. 262.

Tradition und Neuerung im Kloster

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dieser bewährten Lösung, die dem Kloster als Ganzem zugute kommen würde. Der Schluss seiner Beweisführung mutet wie ein neoliberales Plädoyer für die Privatinitiative an: „Wenn man denen, die [Besitz] haben, das Besitzrecht verwehrt und ihnen verbietet, sich ab und zu mit der Hände Arbeit ... Erwerb zu verschaffen oder auch von Verwandten und Freunden Erbetteltes zusammenzubringen, so wird jenes Kloster ... vernichtet werden".70 Hiltebald sprach also der wirtschaftlichen Deregulierung das Wort, er sah in der Einzelinitiative einen höheren Gewinnanreiz als im urchristlichen Ideal des gemeinsamen Besitzes aus heutiger Sicht ein unerwartet „modernes" Argument aus dem Mund eines ottonischen Bischofs und aus der Feder Ekkeharts, eines Gegners von Veränderungen! Heisse Köpfe gab es offenbar bei der Diskussion um den zweiten grösseren Missstand im Kloster, den regelwidrigen Fleischkonsum. Als Ekkehard beiläufig die Kritik am Fleischgenuss des Abtes Purchart erwähnte, löste dies bei ihm selbst eine heftige Polemik gegen die Neuerer seiner Zeit aus. Direkt und massiv wandte er sich hier gegen die „neuerungssüchtigen Mönche (novitatis monachi), die jetzt fortwährend Gott erzürnen mit ihrem Tun ... Es stünde ihnen besser an, rohes Fleisch zu zerreissen, als die vielen unaussprechlichen Dinge zu tun, die sie als vorgeblich fromme Leute in einer Art von schismatischem Irrglauben {supersticione scismatica) treiben".7' An anderer Stelle zeigte er noch direkter mit dem Finger auf die Schismatiker: Die Welschen (Galli) seien „die Frommen der Gegenwart" (religiosi huius temporis); damit gemeint sind unzweideutig die Vertreter der lothringischen Reformbewegung mit Abt Norpert aus Stablo persönlich an ihrer Spitze. Von ihnen hätten die St.Galler ein monastisches Schisma (tempora monachorum scismatis) zu erdulden.7* Am Ende der ottonischen „Grossvisitation" der 960er Jahre fanden sich die Reformer und die Bewahrer der alten Ordnung in langen Beratungen und nach einem „Time out" des Konvents71 zu einem Kompromiss. Den Weg dahin bereiteten vermittelnde Voten von angesehenen Mönchen und wohlwollenden Visi-

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Casus, c. 100, S. 204.

71

Casus, c. 87, S. 178.

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Casus, c. 136, S. 264. Entgegen diesen empörten Äusserungen Ekkehards, die den anfänglich heftigen Widerstand der alten Mönche zum Ausdruck bringen, waren die aus Stablo in St.Gallen eingeführten Reformen gemässigt; es ging vor allem um die Durchsetzung einer strengeren Lebensführung. „Abt Norbert hat in St.Gallen ein gutes Gedächtnis hinterlassen" (Feine, Klosterreformen [Anm. 41], S. 90). Vgl. neuerdings auch: Wiech, Martina, Das Amt des Abtes im Konflikt (Bonner Historische Forschungen 59), Siegburg 1999, S. 221-223.

73

Casus, c. 106, S. 214.

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tatoren. Sie sind im Zusammenhang mit der Fragestellung unserer Tagung interessant, weil sie theoretische Überlegungen zur Relativität menschlicher Satzungen, zum Verhältnis zwischen Norm und sich wandelnder Wirklichkeit enthalten. Bischof Arnulf von Toul konzedierte den St.Gallern, dass ein gewichtiger Grund vorliegen müsse, wenn die Satzung geändert werden solle: „Denn nicht über eine einzige Bahn wird das Himmel- und Gottesreich erstiegen. ... Und so viele Wohnungen im Reiche des Vaters sind, so viele Wege [...] führen [...] hinein".74 Doch unter dem Druck der Zeitläufe müsse sich St.Gallen entscheiden, gab Erzbischof Heinrich von Trier zu bedenken und riet dem Konvent, das von den Vätern Empfangene, selbst wenn es infolge Gewohnheit als das Wertvollere (meliora) erscheine, in das sozusagen Billigere (viliora) der Regel zu verwandeln.7' Den Beteiligten war bewusst, wie schwierig es psychologisch für einen Einzelnen war und um wieviel schwieriger für den vielgliedrigen Organismus eines Mönchskonvents, tradierte, eingewurzelte Gewohnheiten zu ändern. Oder mit den Ekkehard II. zugeschriebenen Worten ausgedrückt: „Es ist für die auf das Gute Eingeschworenen immer mühsam, ein gutes Werk in ein ebenso gutes oder in ein kaum besseres umzuwandeln".7' Schliesslich rang sich der Konvent zu dieser Einsicht durch und willigte in die zwei Hauptneuerungen ein, in die Einführung des gemeinschaftlichen Wirtschaftens und in den Verzicht auf Fleischkonsum.77 Nachdem weitergehende Reformversuche Sandrats offenbar gescheitert waren7', entliessen am Ende der Casus sancti Galli die beiden Ottonenkönige die St.Galler in die alte und doch reformierte Freiheit: Sie sollten nach Ekkehard künftig ihr Leben führen, wie immer sie wollten, da man nun wisse, „dass sie jedenfalls das Richtige wollten" (quod bene quidem [vivere] vellent)P

74 75 76 77 78

79

Casus, c. ioo, S. 202; die Bilder in Arnulfs Rede entstammen der Bibel; vgl. Luc. 17, 21; Joh. 14, 2. Casus, c. 106, S. 212. Casus, c. 107, S. 216. Casus, c. 106, S. 214. So nach der Darstellung Ekkehards. Ganz ohne Niederschlag blieb das Wirken Sandrats im Galluskloster nicht; denn in einer späten Abschrift (Cod. Sang. 942, p. 374-404, 15. Jahrhundert) sind Consuetudines seines Schülerkreises (Sandrat starb 984/85) überliefert; herausgegeben sind die sog. Sandrat-Consuetudines von Kassius Hallinger in: Consuetudinum saeculi X/XI/XII Monumenta non-cluniacensia (Corpus Consuetudinum Monasticarum VII/3), Siegburg 1984, S. 257-302. Casus, c. 146, S. 282.

Tradition und Neuerung im Kloster

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Ergebnisse Ekkehard IV. von St.Gallen verschloss sich, indem er rückwärtsgewandt die grosse Blütezeit seiner Abtei idealisierte, im Grundsatz dem Fortschritt. Wie Umberto Ecos Jorge von Burgos und wie Bernhard von Clairvaux sah er die Aufgabe des Mönchs darin, das tradierte Wissen zu bewahren und weiterzugeben. In der Praxis jedoch, im lange dauernden, zähen Ringen um innerklösterliche Reformen bewegte er sich vorwärts. Er nahm Fortschritt wahr als Verbesserung früherer Zustände und als Veränderung materieller oder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Auch unterzog er die normative Grundlage seiner Gemeinschaft einer kritischen Prüfung. Ohne in einen Relativismus zu verfallen, gestand er doch der Vielfalt der Lebensformen eine Vielzahl möglicher Wege zur Vollkommenheit zu. Dadurch Hess er auch Raum offen für Veränderungen und Weiterentwicklungen. Gewiss: Ekkehard blieb ein Traditionalist. Aber sein dem Menschlichen in all seinen Ausprägungen sosehr zugewandtes Interesse machte ihn wenigstens offen für die Wahrnehmung von Veränderung und Fortschritt.

Tradition und Innovation im hochmittelalterlichen Mönchtum. Kontroversen zwischen Cluniazensern und Zisterziensern im 12. Jahrhundert Werner Rösener

Im Jahre 1098 verließ eine Gruppe von einundzwanzig Mönchen unter Führung des Abtes Robert das burgundische Benediktinerkloster Molesme und gründete in der Einöde von Citeaux eine Niederlassung, die sie programmatisch novum monasterium (Neukloster) nannten.' Aus welchen Gründen hatten die Mönche ihr altes Kloster verlassen und wagten in der Wildnis einen Neuanfang? Nach Aussage zeitgenössischer Quellen hatte Abt Robert in seinem Stammkloster vergeblich versucht, eine strengere Lebensordnung einzuführen. Anfängliche Meinungsverschiedenheiten hatten sich allmählich ausgeweitet, und es war zu scharfen Spannungen gekommen. 1 Die Gegensätze zwischen alten Gewohnheiten und neuen Ansätzen waren offenbar unüberbrückbar; dem mächtigen Einfluß der Consuetudines von Cluny stand eine radikale Schar von Mönchen gegenüber, die diese Gebräuche für veraltet und unbefriedigend hielten.' Nach

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2 3

Les plus anciens textes de Citeaux, hg. v. Bouton, Jean de la Croix, van Damme, Jean Baptiste, Achel 1974, S. 113. Vgl. Marilier, Jean, Le vocable Novum monasterium dans les premiers documents cisterciens, in: Cistercienser-Chronik 57 (1950) S. 83. Bouton/Damme, Les plus anciens textes (Anm. 1), S. 60. Zu den Gründungsverhältnissen in Citeaux: Lekai, Ludwig J., Geschichte und Wirken der Weißen Mönche. Deutsche Ausgabe, hg. v. Schneider, Ambrosius, Köln 1958, S. 2iff.; Ders., The Cistercians. Ideals and Reality, Kent (Ohio) 1977, S. 33ff.; Miethke, Jürgen, Die Anfänge des Zisterzienserordens, in: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit, hg. v. Elm, Kaspar, Bonn 1980, S. 4 1 46; Zakar, Polycarpe, Die Anfänge des Zisterzienserordens, in: Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis 20 (1964) S. 103-138; van Damme, Jean Baptiste, Autour des origines cisterciennes, in: ebd. 21 (1965) S. 128-137; Rösener, Werner, Das Wirken der Zisterzienser im südwestdeutschen Raum im 12. Jahrhundert, in: Anfänge der Zisterzienser in Südwestdeutschland, hg. v. Rückert, Peter, Planck, Dieter, Stuttgart 1999, S. 9-24.

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harten Auseinandersetzungen und vergeblichen Bemühungen entschlossen sich die Reformmönche zum Exodus und versuchten einen Neuanfang in dem abseits gelegenen Citeaux. Welche Intentionen verfolgten diese Reformmönche in ihrem Neukloster? Von welchen Zielen wurden sie geleitet? Die Gründungsmönche von Citeaux wollten sich dezidiert einem strengen Klosterleben abseits vom Getriebe der Welt zuwenden und mit Entschiedenheit die ursprünglichen Vorschriften der Benediktsregel befolgen. Dazu heißt es in der Gründungsgeschichte 4 : „Es drängte die Mönche auszuführen, was sie gemeinsam beraten hatten und einmütig erstrebten. Nach vielen Mühen und übergroßen Schwierigkeiten, die alle erleiden müssen, die fromm in Christo leben wollen, kamen sie endlich zum Ziel ihrer Sehnsucht, nach Citeaux, das damals eine schreckliche Einöde war. Die Streiter Christi waren indessen der Meinung, die unwirdiche Gegend passe gut zu dem einmal gefaßten Entschluß; sie hielten den Platz, den Gott ihnen gegeben hatte, für genehm, wie ihnen ihr Vorhaben teuer war." Bischof Walter von Chalon bestätigte die neue Gründung 5 , so daß das Konventsleben im Frühjahr 1098 beginnen konnte. Für die wirtschaftlichen Bedürfnisse kam zunächst Herzog Odo von Burgund auf, der sich in der Anfangszeit als großzügiger Wohltäter des Neuklosters erwies.6 Z u m Nachfolger Roberts, des ersten Abtes, wählte man 1099 den früheren Prior Alberich. Als unerschrockener Vorkämpfer der Reform setzte dieser konsequent den eingeschlagenen Weg fort, obwohl viele Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden waren. Nach Alberichs T o d folgte 1109 sein Prior Stephan Harding als Abt, der sich als glänzender Organisator erwies und den fulminanten Aufstieg der Zisterzienser einleitete.

4

Bouton/Damme, Le plus anciens textes (Anm. 1), S. i n : C o m m u n i consilio, communi perficere nituntur assensu quod uno spiritu conceperunt. Igitur post multos labores ac nimias difficultates quas omnes in Christo pie vivere volentes pati necesse est, tandem desiderio potiti Cistercium devenerunt, locum tunc scilicet horroris et vastae solitudinis. Sed milites Christi loci asperitatem ab arto proposito quod jam animo conceperunt non discedere judicantes, ut vere sibi divinitus praeparatum, tarn gratum habuere locum quam carum propositum.

5

Bouton/Damme, Les plus anciens textes (Anm. 1), S. 73f.: Epistola episcopi cabilonensis.

6

Bouton/Damme, Les plus anciens textes (Anm. 1), S. 60: T u n c domnus O d o , dux Burgundiae,

sancto

fervore

eorum

delectatus

sanctaeque

romanae

ecclesiae

praescripti legati litteris rogatus, monasterium ligneum quod inceperunt de suis totum consummavit, illosque inibi in omnibus necessariis diu procuravit, et terris et peccoribus abunde sublevavit.

Tradition und Innovation im hochmittelalterlichen Mönchtum

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Das wirtschaftlich und rechtlich abgesicherte Citeaux hatte zuerst aber noch unter Nachwuchssorgen zu leiden. Lage und Lebensweise des Neuklosters waren anfangs wenig bekannt, ja abschreckend, so daß die Zahl der Novizen eine längere Zeit spärlich blieb. Dies änderte sich mit einem Schlag, als Bernhard, der spätere Abt von Clairvaux, um Aufnahme bat und zusammen mit mehreren Verwandten und Freunden 1112 in Citeaux eintrat. 7 Bernhards Beispiel und Beredsamkeit wirkten nun im Umfeld der Zisterzienser wie ein Magnet, so daß in kurzer Zeit zahlreiche Neugründungen entstanden. Im Jahre 1153, im Todesjahr Bernhards von Clairvaux, gehörten bereits 335 Männerabteien dem mächtig expandierenden Reformorden an. Ein Jahrhundert später waren weitere 312 Niederlassungen hinzugekommen, so daß der Zisterzienserorden damals fast 90 Prozent seiner späteren Gesamtzahl von 742 Klöstern im gesamten abendländischen Raum erreichte." In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts treten zwei unterschiedliche Phasen der Expansion klar hervor: Bis 1125 wurden nur 26 Zisterzienserabteien gegründet, während von 1125 bis 1151 sogar 307 neue Niederlassungen auftauchten. In dieser Zahlenrelation erkennt man deutlich den ungeheuren Einfluß, den die herausragende Gestalt des Bernhard von Clairvaux auf die Ausbreitung des jungen Zisterzienserordens ausübte. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstand somit aus den bescheidenen Anfängen in Citeaux ein Ordensverband von Klöstern, der in fast allen Ländern Europas vertreten war. Der italienische Religionshistoriker Raoul Manselli hat im Hinblick auf Gestalt und Ausbreitung des Zisterzienserordens zu Recht hervorgehoben, daß es sich beim frühen Zisterziensertum „um eine Erneuerungsbewegung handelt, die man durchaus als revolutionär bezeichnen kann." 9 Kaspar Elm hat im Kontext der

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Zu Bernhard von Clairvaux: Bredero, Adriaan H., Bernhard von Clairvaux im Widerstreit der Historie, Wiesbaden 1966; Ders., Bernhard von Clairvaux (10911153). Zwischen Kult und Historie, Stuttgart 1996; Miethke, Jürgen, Bernhard von Clairvaux, in: Elm, Zisterzienser (Anm. 3), S. 47-55; Sancti Bernardi Opera i-8, hg. v. Leclercq, Jean, Rochais, Η. M., Rom 1957—1977; Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne, hg. v. Bauer, Dieter R., Fuchs, Gotthard, Innsbruck u. a. 1996; Dinzelbacher, Peter, Bernhard von Clairvaux. Leben und Werk des berühmtesten Zisterziensers, Darmstadt 1998.

8

Janauschek, Leopold, Originum Cisterciensium tomus 1, Wien 1877; Lekai, Geschichte und Wirken (Anm. 3), S. 47fF.; Donkin, R. Α., The Growth and Distribution of the Cistercian Order in Medieval Europe, in: Studia monastica 9 (1967) S. 275-286; Winkler, Gerhard B., Die Ausbreitung des Zisterzienserordens im 12. und 13. Jahrhundert, in: Elm, Zisterzienser (Anm. 3), S. 87-92. Manselli, Raoul, Die Zisterzienser in Krise und Umbruch des Mönchtums im 12. Jahrhundert, in: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit,

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deutschen Ordensforschung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Gründer von Citeaux mit der Selbstbezeichnung .Novum monasterium' den Bruch mit dem traditionellen Mönchtum cluniazensischer Prägung deutlich gemacht haben; sie wollten sich dadurch von den Cluniazensern und deren Reichtum in Liturgie, Pracht der Kirchen und Weite des politischen Einflusses distanzieren.10 Von dem in Citeaux entstandenen Novum monasterium sei eine im Vergleich zu früheren Klosterreformen normierende Wirkung ausgegangen, die eine ,neue Qualität' erreicht habe." Worin bestand nun das Neuartige, die Innovation des Zisterziensertums, die das traditionelle benediktinische Mönchtum in Frage stellte? Welche grundlegenden Neuerungen lassen sich bei den Zisterziensern des 12. Jahrhunderts erkennen? Im folgenden sollen Antworten auf diese Fragen versucht werden, wobei sich meine Darlegungen an vier Hauptpunkten orientieren. Zuerst sollen die Neuerungen angesprochen werden, die die Zisterzienser in ihrer Spiritualität, im Konventsleben und im Hinblick auf die Beobachtung der Benediktsregel einführten. In einem zweiten Schritt sollen die Innovationen aufgezeigt werden, die die Zisterzienser im wirtschaftlichen Bereich durchführten. Anschließend sollen in einem dritten Schritt die Verfassungselemente des Zisterzienserordens und die Organisationsformen der Einzelklöster untersucht werden, welche die Zisterzienser vom traditionellen benediktinischen Mönchtum unterschieden. In einem vierten Schritt soll dann beleuchtet werden, wie sich die Innovationen der Zisterzienser in der Kontroversliteratur spiegelten, die im 12. Jahrhundert zwischen Citeaux und Cluny entstand.

i. Spiritualität und Neuerungen im Konventsleben der Zisterzienser Im Exordium parvum, dem frühesten Bericht über die Entstehung des Zisterzienserordens, werden aufschlußreiche Angaben über die Anstöße zur Neuordnung des Klosterlebens mitgeteilt.'1 Die Mönche, die das Kloster Molesme unter Abt Robert verlassen hatten, um das .neue Kloster' zu gründen, gelangten zu diesem Entschluß, nachdem sie häufig miteinander über die Mißachtung der Regel des hl. Benedikt, der grundlegenden Norm des Mönchtums, gesprochen hatten. Sie beklagten sich bitter darüber, daß viele Mönche, die in einer feierli-

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hg. v. Elm, Kaspar, Joerißen, Peter, Ergänzungsband, Köln 1982, S. 31. Elm, Kaspar, Die Stellung des Zisteraenserordens in der Geschichte des Ordenswesens, in: Ders., Zisterzienser (Anm. 3), S. 31-40.

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Ebd. S. 36. Bouton/Damme, Les plus anciens textes (Anm. 1), S. 51-86: Exordium parvum.

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chen Profeß gelobt hatten, dieser Regel zu folgen, sich zu wenig um die Vorschriften dieser Regel kümmerten.'' Die Gründungsväter von Citeaux wollten die Mißstände des zeitgenössischen Mönchtums und besonders der Cluniazenser dadurch beseitigen, daß sie zu den ursprünglichen Anweisungen der Benediktsregel zurückkehrten und diese ohne alle jene Veränderungen befolgten, welche die Regel durch die Consuetudines, die im traditionellen Mönchtum aufgekommen waren und verbindlichen Charakter besaßen, erfahren hatte. Im Großkloster Cluny und seinen Prioraten spielten die Consuetudines eine überragende Rolle und bestimmten dort das alltägliche Leben der Mönche.'4 Die Mönche von Citeaux betrachteten sich dagegen als Reformer, die besonderen Wert auf die genaue Beachtung der Regula sancti Benedicti legten und auch das letzte Kapitel dieser Regel ernst nahmen. Darin wird diese als eine Regel für Anfänger bezeichnet und besonders auf zusätzliche Beachtung der Lehren der Väter verwiesen, deren Befolgung die Mönche auf den Höhepunkt der Vollkommenheit {adperfectionem conversationis) führt." Die Väter sind die Vorgänger des hl. Benedikt und insbesondere die Vertreter des orientalischen Mönchtums, die in Personen wie Basilius und Kassian hervortraten. Angesichts der Verehrung, die die Gründer von Citeaux diesen Wüstenvätern und Eremiten entgegenbrachten, ist zu Recht auf das eremitische Element im Zisterziensertum hingewiesen worden.' Die Zisterzienser fühlten sich bei der Gründung ihrer Niederlassungen gewissermaßen als Eremiten, die gänzlich der Welt entfliehen und die Einsamkeit abseits vom Getriebe der Welt (in locis a conversatione bomi-

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Ebd. S. 60. Zu Cluny und den Cluniazensern: Sackur, E., Die Cluniazenser in ihrer kirchlichen und allgemeingeschichtlichen Wirksamkeit bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, 1-2, Halle 1892/94; Hallinger, Kassius, Gorze-Kluny. Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter, Rom 1950/51; Teilenbach, Gerd, Zum Wesen der Cluniacenser, in: Saeculum 9 (1958) S. 370-378; Neue Forschungen über Cluny und die Cluniazenser, hg. v. Tellenbach, Gerd, Freiburg 1959; Cluny. Beiträge zu Gestalt und Wirkung der cluniazensischen Reform, hg. v. Richter, Helmut, Darmstadt 1975; Wollasch, Joachim, Cluny - „Licht der Welt". Aufstieg und Niedergang der klösterlichen Gemeinschaft, Zürich u.a. 1996; Poeck, Dietrich W., Cluniacensis Ecdesia. Der cluniacensische Klosterverband (10.-12. Jahrhundert), München 1998. Benedicti Regula, hg. v. Schmitz, Philibert, Maredsous '1962, S. 205. Lekai, Geschichte und Wirken (Anm. 3), S. 34; Elm, Stellung des Zisterzienserordens (Anm. 10), S. 3iff.

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num semotis) aufsuchen wollten.' 7 Sie kehrten damit, wie sie glaubten, zum alten M ö n c h t u m zurück, das sie in ihrem Sinne interpretierten. In Wirklichkeit jedoch gingen ihre Vorstellungen und Verhaltensweisen aus ihrer eigenen Situation im gesellschaftlichen Rahmen des Hochmittelalters hervor, die sie mit derjenigen des alten Mönchtums gleichsetzten. A n dieser Fiktion hielten sie auch dann fest, wenn die Voraussetzungen für die Gründung neuer Klöster nicht den idealen Vorstellungen entsprachen und diese sich keineswegs in einsamer Lage befanden, wie dies bei vielen Zisterzienserklöstern verständlicherweise der Fall war. In manchen Klosterchroniken und Gründungsgeschichten wird daher die Weltabgeschiedenheit neugegründeter Abteien hervorgehoben, obwohl dies in der Realität nicht gegeben war.' 8 Ausdrücke wie eremus und desertum dürfen daher nicht im wörtlichen Sinne verstanden werden. Es gab damals Wälder, die zwar sehr groß, aber nicht gänzlich unbewohnt waren; es gab abgelegene Gegenden, aber keine, die mit den Wüsten des Sinai oder Palästinas verglichen werden konnten. Diese Hinweise verdeutlichen, daß die frühen Zisterzienser unter dem alten Mönchtum etwas anderes verstanden, als es sich in der historischen Realität entwickelt hatte. W e n n man über das Verhältnis der Gründungsväter von Citeaux zum alten Mönchtum etwas aussagen will, dann muß vor allem von ihrem Verhältnis zum traditionellen benediktinischen M ö n c h t u m die Rede sein, wie es sich im burgundischen Cluny und den von dort beeinflußten Benediktinerklöstern in Frankreich und Deutschland entwickelt hatte.' 9 Die Klöster der Zisterzienser und Cluniazenser lagen nämlich in der Frühzeit, als sich die Zisterzienser noch vornehmlich im französischen Raum ausbreiteten, sehr dicht aufeinander. Bei der Ausbreitung nach Deutschland entstand zwischen den Zisterziensern und den dort vorhandenen Hirsauer Klöstern, die ebenfalls von den cluniazensischen Gewohnheiten beeinflußt waren, eine gewisse Rivalität. 10 Diese

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Statuta Capitulorum Generalium Ordinis Cisterciensis ab anno Iii6 ad annum 1786, ed. Canivez, Josephus-Maria, 1—8, Löwen 1933-1941, hier 1, S. 13. Vgl. Epperlein, Siegfried, Gründungsmythos deutscher Zisterzienserklöster westlich und östlich der Elbe im hohen Mittelalter und der Bericht des Leubuser Mönches im 14. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1967/III, S. 303ff.; Wiswe, Hans, Grangien niedersächsischer Zisterzienserklöster, in: Braunschweigisches Jahrbuch 34 (1953) S. 5-134, hier S. 4of.; Rösener, Werner, Die Zisterzienser und der wirtschaftliche Wandel des 12. Jahrhunderts, in: Bauer/Fuchs, Bernhard von Clairvaux (Anm. 7), S. 8of. Vgl. Bredero, Adriaan H., Cluny et Citeaux au douzieme siecle. L'histoire d'une controverse monastique, Amsterdam 1985. Jakobs, Hermann, Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung und Rechtsstellung im Zeitalter

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Rivalität zwischen Zisterziensern und Cluniazensern war schon im Anfang vorhanden, als die Gründungsmönche von Citeaux aus dem traditionellen Benediktinerkloster Molesme auszogen und in der eremitischen Einsamkeit des Neuklosters ein strengeres Konventsleben begannen, verstärkte sich aber im Zuge der Expansion der Zisterzienserabteien. Das Zisterziensertum stellt sich demnach bereits im Moment seiner Entstehung als Ausdruck einer Unruhe im traditionellen Mönchtum dar; zugleich war es aber auch das Ergebnis eines Bedürfnisses nach Distanzierung von den älteren monastischen Bewegungen, insbesondere vom Cluniazensertum. Welche Momente und Motive leiteten die Zisterzienser bei dieser Absetzbewegung? Die Gründer von Citeaux wollten vor allem Armut, Handarbeit und asketische Lebensführung realisieren, wie es eine strenge Auslegung der Benediktsregel verlangte. Trotz dieser Hochschätzung der Benediktsregel haben die Zisterzienser keineswegs daran gedacht, die Regel in allen Einzelheiten zu erfüllen. So lehnten sie ζ. B. die von Benedikt befürwortete Erziehung von Knaben ab, wie sie in den meisten Benediktinerklöstern üblich war. Dieses Oblatensystem wurde von den Zisterziensern aufgegeben, die statt dessen nur erwachsene Männer als Novizen akzeptierten. 2 ' Manche Vorschriften Benedikts über Nahrung und Kleidung, die für den sonnigen Süden Italiens gedacht waren, konnten im nordalpinen Klima mit seinen kalten Wintern nicht ohne weiteres übernommen werden. Für die Ablehnung aller Zusätze und Milderungen der Regel, die vor allem Cluny eingeführt hatte, sprach durchaus der Geist der Benediktsregel; sie erwähnte aber nichts über die Beziehungen zwischen Konvent und Feudalherrschaft, die erst im Laufe des Mittelalters aufkamen. Mit Erfolg gebrauchten die Zisterzienser diese Tatsache als Argument gegen die komplizierte Verfassung Clunys und suchten damit die Einfachheit frühbenediktinischen Lebens wiederherzustellen. Das anfängliche Vorbild konnte aber erst dann verwirklicht werden, wenn ein Kloster jede enge Berührung mit der Welt aufgab. Aus diesem Grunde mieden die Zisterzienser Städte und Burgen und zogen sich in die Einsamkeit der Täler zurück. Zweifellos enthielten die frühen Satzungen von Citeaux auch einzelne Bestimmungen, die in der Regel nicht genannt wurden, wie detaillierte Vorschriften über liturgische Gewänder und Geräte. In diesen Fällen interpretierten die Gründer von Citeaux die Benediktsregel nach dem strengen Ideal der Armut, da

des Investiturstreites, Köln u. a. 1961; Wollasch, Joachim, M ö n c h t u m des Mittelalters zwischen Kirche und Welt, München 1973, S. i82f. 21

Benedict! Regula (Anm. 15), S. 171: D e filiis nobilium aut pauperum qui offeruntur; Lekai, Geschichte und Wirken (Anm. 3), S. 32.

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sie fest davon überzeugt waren, dies entspreche dem ursprünglichen Geist der Regel. Auf die grundlegende Innovation des Laienbrüderinstituts wies die Regel in keiner Weise hin. Dennoch installierten die Mönche von Citeaux diese Neuerung fest in ihrer Klosterverfassung und schufen damit einen Eckpfeiler für ihren Aufstieg." Die Bestimmungen der Charta caritatis, des Grundgesetzes der Zisterzienserklöster, blieben als Ganzes nur teilweise im Rahmen der alten Benediktsregel. Auch stimmte die Zentralisierung im Zisterzienserorden kaum mit der uneingeschränkten Autorität des Abtes überein, wie sie die Regel mit Nachdruck forderte. Dennoch fand das System einer umfassenden Kontrolle in den Augen der Zisterzienser ihre Rechtfertigung, weil ohne derartige Maßnahmen die genaue Befolgung der Regel gefährdet schien. Citeaux schreckte demnach keineswegs vor fundamentalen Neuerungen zurück, wenn dadurch eine gründlichere Beobachtung der Regel erreicht werden konnte. Diese Innovationen wurden aber nach außen als Rückkehr zum alten M ö n c h t u m vertreten, um dem Vorwurf der Neuerung zu entgehen. Neu im Sinne des alten Mönchtums war keineswegs die zisterziensische Forderung nach strenger Durchführung der Armut, aber in der Nähe der reichen Abtei Cluny mußte dieser Grundsatz als Protest und Provokation wirken. Neben der konsequenten Befolgung des Armutsgebots war auch im alltäglichen Leben der frühen Zisterzienser und in der Ausstattung ihrer Klöster deutlich der Wille zu erkennen, alles Überflüssige und Unnütze, das nicht Ausweis für ein armes Leben sein konnte, zu vermeiden und zu beseitigen. Uber die Kleidung heißt es daher in den frühen Statuten: „Die Kleidung sei einfach und wohlfeil, ohne Pelze und Unterkleidung, wie sie die Regel beschreibt." 2 ' Hinsichtlich der Ernährung wurde bestimmt: „Bei der Nahrung beachte man die Bestimmungen der Regel über das Pfund Brot, Getränkemaß und die Zahl der Gerichte. Das Brot sei grob gesiebt."14 Diese strengen Vorschriften über Kleidung und Nah-

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Allgemein zum Konverseninstitut der Zisterzienser: Hoffmann, Eberhard, Das Konverseninstitut des Cisterzienserordens in seinem Ursprung und seiner Organisation, Freiburg (Schweiz) 1905; Donnelly, J. S., The Decline of the Medieval Cistercian Laybrotherhood, New York 1949; Leclercq, Jean, Comment vivaient les freres convers, in: Analecta Cisterciensia 21 (1965) S. 239-258; Toepfer, Michael, Die Konversen der Zisterzienser. Untersuchungen über ihren Beitrag zur mittelalterlichen Blüte des Ordens, Berlin 1983; Rösener, Werner, Die Konversen der Zisterzienser. Ihr Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg am Beispiel von Eberbach und anderen Zisterzienserklöstern, in: Nassauische Annalen i n (2000) S. 13-27.

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Bouton/Damme, Les plus anciens textes (Anm. 1), S. 122: Vestitus simplex et vilis absque pelliciis, camisiis, qualem denique regula describit. Ebd. S. 122: In victu praeter hoc quod regula distinguit, de panis libra, de mensura

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rung richteten sich indirekt gegen Cluny, wo aufwendige Kleidung und Nahrung zur Alltagspraxis der Mönche gehörten. Bedeutsam war insgesamt die feste Absicht der Gründungsväter von Citeaux, im zeitgenössischen M ö n c h t u m die tragenden Fundamente des benediktinischen Mönchtums zu erneuern, wozu an vorderster Stelle Armut und Einfachheit in der Lebensführung gehörten. Im Kontext der Neuerungen der Zisterzienser spielte auch die Handarbeit der Mönche (labor manuurri) eine herausragende Rolle. Die Gründungsväter von Citeaux verlangten von ihren Mönchen, daß sie sich ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit verschaffen sollten. Dazu heißt es lapidar in den frühen Statuten: Monachis nostri ordinis debet provenire victus de labore manuum, de cultu terrarum, de nutrimentopecorum (Die Mönche unseres Ordens müssen von ihrer Hände Arbeit, Ackerbau und Viehzucht leben). 1 ' Diese Forderung nach körperlicher Arbeit war eine schwere Z u m u t u n g für das damalige Mönchtum, da nach traditioneller Auffassung solche Tätigkeit allein hörigen Bauern zukam. Die Mönche von Cluny, die zu einem großen Teil adeliger Herkunft waren, empörten sich daher über derartige Knechtsarbeit: Standesgemäße Aufgaben der Mönche seien Gebet und Gottesdienst, nicht jedoch das Düngen von Feldern und die Aufzucht von Schafen und Rindern. Es wurde von den Cluniazensern als entwürdigend und standeswidrig angesehen, daß Mönche körperliche Arbeiten verrichten sollten, die von hörigen Bauern zu leisten waren. 17 Die Zisterzienser beriefen sich auf die Benediktsregel, in der die Handarbeit der Mönche als Mittel gegen den Müßiggang gefordert wurde. 28 Benedikt hatte aber keineswegs verlangt, daß die einzelnen Klöster sich ausschließlich durch die Handarbeit der Mönche absicherten; vielmehr hatte er die Mithilfe weltlicher Arbeitskräfte vorausgesetzt und gebilligt. Im cluniazensischen Bereich entfernte

potus, de numero pulmentariorum hoc etiam observandum, ut panis grossus id est cum cribo factus. 25

Ebd. S. 123.

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Z u r Handarbeit der Mönche: Kurze, Dietrich, Die Bedeutung der Arbeit im zisterziensischen Denken, in: Elm, Zisterzienser (Anm. 3), S. 1 7 9 - 2 0 2 ; Rösener, Werner, Spiritualität und Ökonomie im Spannungsfeld der zisterziensischen Lebensform, in: Citeaux 34 (1983) S. 245-274.

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Schreiner, Klaus, Zisterziensisches Mönchtum und soziale Umwelt. Wirtschaftlicher und sozialer Strukturwandel in hoch- und spätmittelalterlichen Zisterzienserkonventen, in: Elm/Joerißen, Zisterzienser (Anm. 9), S. 83f.; Kurze, Die Bedeutung der Arbeit (Anm. 26), S. 183.

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Benedicti Regula (Anm. 15), S. 141: Otiositas imimica est animae; et ideo certis temporibus occupari debent fratres in labore manuum, certis iterum horis in lectione divina.

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man sich aber weit vom Vorbild des alten Mönchtums und vom Arbeitsethos der Benediktsregel; man erwartete in Cluny keineswegs, daß Mönche sich von ihrer Hände Arbeit ernährten, vielmehr setzte man auf Mönche, die sich vornehmlich der Liturgie, dem Gebet und dem Totengedächtnis widmeten. Aber sie blieben auch Benediktiner genug, so daß sie das opus manuum in ihren Gewohnheiten nicht einfach übergingen. Es gehörte jedoch zur Realität, daß die gottesdienstlichen und geistlichen Pflichten den Cluniazensern kaum Zeit für kontinuierliche Handarbeit ließen und daß man grobe Arbeit gänzlich mied.29 Handarbeit betrachteten die Gründer von Citeaux nicht nur als Gebot der Regel Benedikts; sie war außerdem Bestandteil der von den Zisterziensern angestrebten vita apostolica und bildete eine Grundvoraussetzung für herrschaftsfreie Existenzsicherung in der Abgeschiedenheit. Handarbeit war für Robert von Molesme mehr als eine Beschäftigungstherapie, die Mönche vom Nichtstun abhalten sollte. Er übte daher heftige Kritik daran, daß die Cluniazenser, weil sie nicht arbeiten, sondern nur beten und studieren wollten, sich gezwungen sahen, sich fremde Zehntleistungen anzueignen, die ihnen eigentlich gar nicht zustanden. Abt Robert wollte, wie Odericus Vitalis berichtet, in seinem Reformkloster eine Lebensordnung installieren, die nicht durch Herrschaft getrübt war.'° Die reformunwilligen Mönche betrachteten dagegen ständische Ungleichheit als eine von Gott gewollte soziale Tatsache. Sie hielten es daher für eine Umkehr der von Gott geheiligten Ständeordnung, wenn sich Adelige und studierte Mönche mit niedriger Knechtsarbeit von Bauern abgeben sollten. Der rigorose Grundsatz der Handarbeit und der eigenen Wirtschaftsleistung fand Eingang in die bis 1134 kodifizierten Ordensstatuten. In diesen heißt es lapidar, daß Zisterzienser verpflichtet sind, von der Arbeit ihrer Hände im Rahmen der Landwirtschaft zu leben.'' Alle Formen eines arbeitslosen, durch feudale Herrschaftsmechanismen vermittelten Einkommens wurden dagegen strikt abgelehnt. Unvereinbar mit der zisterziensischen Lebensform waren daher Zehnten aus fremder Arbeit, grundherrschaftlich organisierte Höfe und Dörfer, abgabenpflichtige Hörige und Zinsen aus verpachteten Ländereien, ferner alle Besitzund Herrschaftstitel herkömmlicher Art.' 1 Was aber wollten die Zisterzienser an

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Vgl. Kurze, Die Bedeutung der Arbeit (Anm. 26), S. 181. The Ecclesiastical History of Odericus Vitalis 4, hg. v. Chibnall, M., Oxford 1969, S. 314, 320; Schreiner, Zisterziensisches Mönchtum (Anm. 27), S. 83. Canivez, Statuta 1 (Anm. 17), S. 14: Monachis nostri ordinis debet provenire victus de labore manuum, de cultu terrarum, de nutrimento pecorum. Ebd. S. I4f.: Ecclesias, altaria, sepulturas, decimas alieni laboris vel nutrimenti, villas, villanos, terrarum census, furnorum et molendinorum redditus, et cetera his similia

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die Stelle der traditionellen Klosterwirtschaft setzen? Welche neuartigen Formen der Ökonomie praktizierten sie in ihren sich ausbreitenden Niederlassungen?

2. Innovationen der Zisterzienser in der Wirtschaft Die Forderung der Gründer von Citeaux, zur Handarbeit der Mönche zurückzukehren und eine in eigener Regie betriebene Klosterökonomie aufzubauen, ließ eine zisterziensische Wirtschaftsorganisation entstehen, die im Unterschied zur Klosterwirtschaft der älteren Benediktinerabteien äußerst innovativ war. Hier ist an vorderster Stelle das Grangiensystem zu nennen, das die Zisterzienser im Bereich ihrer Niederlassungen aufbauten. Da die Statuten von Citeaux ausdrücklich Zinswirtschaft und Fronhofsverfassung ablehnten, kehrte man zur Eigenwirtschaft zurück, indem die einzelnen Zisterzienserklöster ein System von landwirtschaftlichen Großhöfen (Grangien) aufbauten." Jede dieser Grangien wurde von einem Hofmeister (magister grangiae) geleitet, bei dem es sich um einen Konversen (Laienbruder) handelte. Dazu heißt es in den frühen Statuten: Grangias habere possumus per converses custodiendas et procurandas (Wir können Grangien haben, die von Konversen beaufsichtigt und verwaltet werden).' 4 Bevor dieses Grangiensystem näher erläutert wird, ist eine kurze Erklärung zum Konverseninstitut angebracht. Die Gründungsväter von Citeaux stellten offenbar schon frühzeitig neben den Mönchen auch Konversen und weltliche Lohnknechte ein. Es hatte sich nämlich als sinnvoll erwiesen, mithelfende Kräfte vor allem bei Außenarbeiten einzusetzen, da die Mönche nur auf diese Weise ihren regelmäßigen Gebetsverpflichtungen nachkommen konnten." Die Zisterzienser haben das Konverseninstitut von

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monasticae puritati adversantia, nostri et nominis et ordinis excludit institutio. Allgemein zur Grangienwirtschaft der Zisterzienser: Wiswe, Grangien (Anm. 18), S. 4ff.; Donkin, R. Α., The Cistercian Grange in England in the Twelfth and Thirteenth Centuries, in: Studia monastica 6 (1964) S. 95-144; Piatt, Colin, The Monastic Grange in Medieval England, New York 1969; Higounet, Charles, Essai sur les granges cisterciennes, in: L'economie cistercienne. Geographie. Mutations du Moyen Age aux Temps modernes (Troisiemes Journees internationales d'histoire, 1981. Flaran 3), Auch 1983; Rösener, Werner, Zur Wirtschaftstätigkeit der Zisterzienser im Hochmittelalter, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 30 (1982) S. 117-148. Bouton/Damme, Les plus anciens textes (Anm. 1), S. 123. Bouton/Damme, Les plus anciens textes (Anm. 1), S. 78: Tunc diffinierunt se conversos laicos barbatos licentia episcopi sui suscepturos, eosque in vita et morte, ex-

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anderen Reformklöstern übernommen und zu einem festen Element ihrer Klosterverfassung ausgebaut. Die Laienbrüder waren daher neben den regulären Mönchen in großer Zahl in jedem Zisterzienserkloster vertreten und leisteten dort die Hauptarbeit auf den landwirtschaftlichen Betrieben und in den Klosterwerkstätten. Das Konverseninstitut war demnach keine Erfindung der Zisterzienser, aber die systematische Anwendung und die enorme Zahl der Konversen war eine Neuerung. 3 ' Die Größe des Landes, das zu den von den Konversen bewirtschafteten Grangien gehörte, differierte von Hof zu Hof. Dies war abhängig von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der einzelnen Klöster, von der Bodenbeschaffenheit und der Lage in unterschiedlichen Siedlungszonen. Die Grangien der Abtei Villers in Belgien waren durchschnittlich 500 Hektar groß, die Höfe der Abtei Igny in Frankreich umfaßten dagegen nur rund 240 Hektar.' 7 In Südwestdeutschland lassen sich ebenfalls vergleichbare Unterschiede feststellen. Fünf in der Altsiedelzone des Breisgaus gelegene Grangien der Zisterzienserabtei Tennenbach wiesen eine Durchschnittsgröße von 170 Hektar auf.'* Vier Grangien des Bodenseeklosters Salem im Hegau hatten dagegen eine weit höhere Flächengröße, nämlich 235 Hektar." Acht Grangien der Zisterzienserabtei Bebenhausen, die in den Lagerbüchern detailliert beschrieben werden, besaßen eine durchschnittliche Größe von 193 Hektar. 4 " Im Vergleich mit den damaligen Fronhöfen der weltlichen und geistlichen Grundherren waren die Grangien der Zisterzienser bedeutend umfangreicher und erreichten in der Regel die vier- bis fünffache Größe von Herrenhöfen.^ Diese Relation verdeutlicht, daß die Zisterziensergrangien

cepto monachatu, ut semetipsos tractaturos, et homines etiam mercenarios; quia sine a m m i n i c u l o istorum non intelligebant se plenarie die seu nocte praecepta regulae posse servare. 36

V g l . Lekai, Geschichte u n d W i r k e n ( A n m . 3), S. 58ff.; Hallinger, Kassius, W o h e r k o m m e n die Laienbrüder?, in: Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis 12 (1956) S. 1 104; T o e p f e r , Konversen ( A n m . 22), S. 19fr.; Rösener, D i e Konversen der Zisterzienser ( A n m . 22), S. i3ff.

37

R i b b e , W o l f g a n g , D i e Wirtschaftstätigkeit der Zisterzienser i m Mittelalter: Agrarwirtschaft, in: E l m , Zisterzienser (Anm. 3), S. 206.

38

Rösener, W e r n e r , Grangienwirtschaft und Grundbesitzorganisation

südwestdeut-

scher Zisterzienserklöster v o m 12. bis Γ4. Jahrhundert, in: Elm/Joerißen, Zisterzienser ( A n m . 9), S. t47· 39

E b d . S. 147.

40

Neuscheler, Eugen, D i e Klostergrundherrschaft Bebenhausen, in: Württembergische J a h r b ü c h e r f ü r Statistik und Landeskunde 1928, S. 129.

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Rösener, W e r n e r , Grundherrschaft im W a n d e l . Untersuchungen zur E n t w i c k l u n g

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ein auffälliges Novum in der Agrarwirtschaft des Hochmittelalters darstellten. Hinsichtlich ihrer Größe, ihrer Gebäudeausstattung, ihres Arbeitskräftebedarfs, ihres Viehbestandes und ihrer Produktionsformen waren sie exzeptionell und nur partiell mit den Wirtschaftsbetrieben der Grundherren und Bauern vergleichbar. Große Zisterzienserklöster wie Salem und Maulbronn verfügten dabei über etwa 20 Grangien, während kleinere Klöster wie Herrenalb und Schönau ungefähr 15 Grangien besaßen.41 Zum Aufbau solcher für ihre Zeit ungewöhnlich großen Wirtschaftshöfe verwandten die Mönche viel Energie und Ausdauer, da derartige Höfe sich nur im Zuge aufwendiger Gütertransaktionen errichten ließen und starke Widerstände der Bauern und Grundherren zu überwinden waren. Auf die innovativen Leistungen der Zisterzienser im Landesausbau bei der Entwässerung von Niederungen, beim Roden von Wäldern und bei der Kultivierung von Ödland kann hier nur allgemein hingewiesen werden. Eigens erwähnt werden sollen aber die Anstöße und Erfolge, welche die Zisterzienser im Handel und im Verhältnis zu den expandierenden Städten des Hochmittelalters erzielten.4' Die produktive Bewirtschaftung der Grangien, durch die hohe Überschüsse an Getreide, Wein und Vieh entstanden, brachte die Zisterzienserklöster in einen engen Kontakt zu den Märkten der benachbarten Städte. Übertriebene Vorstellungen von der weitabgewandten Lage der Zisterzienserklöster haben lange Zeit den Blick dafür verstellt, daß die Zisterzienser schon frühzeitig intensive Beziehungen zu den Märkten der Städte unterhielten. Für die Versorgung ihrer mitgliederstarken Konvente und für ihre umfangreichen Landkäufe benötigten die Abteien große Geldmittel, die sie vor allem durch den Verkauf von Agrarprodukten auf den städtischen Märkten gewinnen konnten. Der erstaunliche Aufschwung der zisterziensischen Klöster und ihrer Wirtschaft beruhte daher größtenteils auf der erfolgreichen Wirtschaftsverflechtung der Zisterzen

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geistlicher Grundherrschaften im südwestdeutschen Raum vom 9. bis 14. Jahrhundert, Göttingen 1991, S. J71. Rösener, Grangienwirtschaft (Anm. 38), S. 140. Vgl. Schich, Winfried, Die Wirtschaftstätigkeit der Zisterzienser im Mittelalter: Handel und Gewerbe, in: Elm, Zisterzienser (Anm. 3), S. 217fr.; Rösener, Wirtschaftstätigkeit (Anm. 33), S. 138; Lekai, Geschichte und Wirken (Anm. 3), S. 3ioff.; Bender, Wolfgang, Zisterzienser und Städte. Studien zu den Beziehungen zwischen den Zisterzienserklöstern und den großen Urbanen Zentren des mittleren Moselraumes (12.-14. Jahrhundert), Trier 1992; Rösener, Werner, Religion und Ökonomie. Zur Wirtschaftstätigkeit der Zisterzienser, in: Von Citeaux nach Bebenhausen. Welt und Wirken der Zisterzienser, hg. v. Scholkmann, Barbara, Lorenz, Sönke, T ü b i n g e n 2 0 0 0 , S . 117fr.

Werner Rösener

412

mit den aufblühenden Städten/ 4 Nahtstellen dieses Netzwerkes waren die zisterziensischen Stadthöfe 45 , die seit der Mitte des 11. Jahrhunderts in vielen Städten auftauchten; die Stadthöfe, deren Ausbau vorrangig von den Zisterziensern betrieben wurde, dienten sowohl dem Absatz von Klosterprodukten als auch dem Einkauf benötigter Waren für die Konvente. N e b e n Agrarprodukten hatten auch gewerbliche Erzeugnisse eine große Bedeutung im Handel der Zisterzienserklöster. 46 Jede Abtei besaß im inneren Klosterbezirk eine Anzahl von effizienten Werkstätten, in denen Mönche, Konversen und Klosterknechte Rohstoffe verarbeiteten

und

Artikel

wie

Schuhe,

Kleidungsstücke

und

alltägliche

Gebrauchsgegenstände herstellten. Die starke Beteiligung der Zisterzienser am Handel und die Beziehungen zu den Märkten wurden dadurch erleichtert, daß eine erfahrene Gruppe von Laienbrüdern den Handel der Klöster organisierte und über gute Kenntnisse im Verkehrswesen verfügte. 47 D i e wirtschaftlichen Erfolge der Zisterzienser und die schnelle Ausbreitung ihrer Niederlassungen beruhten aber nicht allein auf den neuartigen Wirtschaftsmethoden, die effizient angewandt wurden. Daneben ist auf den allgemeinen Wirtschaftsboom des 12. Jahrhunderts zu verweisen, der die innovativen Wirtschaftsformen der Zisterzienser begünstigte. Die Zisterzienserklöster, die sich schnell ausbreiteten, nutzten planmäßig die Chancen, die sich ihnen im Zeitalter der hochmittelalterlichen

Urbanisierung

und Wirtschaftsexpansion boten. 4 "

Die

Cluniazenser dagegen, die an den traditionellen Formen der Klosterökonomie und Landnutzung festhielten, konnten diese Möglichkeiten größtenteils nicht nutzen; zahlreiche alte Benediktinerabteien gerieten im Z u g e des Wandels der

44

45

46 47

48

Dazu Rösener, Zisterzienser (Anm. 18), S. yoff.; Despy, Georges, Les richesses de la terre: Citeaux et Premontre devant l'economie de profit aux Xlle et Xllle siecles, in: Problemes d'histoire du christianisme, hg. v. Preaux, Jean, 5, Brüssel 1974/75, S. 58ff. Zu den Stadthöfen der Zisterzienser: Schneider, Reinhard, Stadthöfe der Zisterzienser: Zu ihrer Funktion und Bedeutung, in: Zisterzienser-Studien 4, Berlin 1979, S. 11-28; Rösener, Wirtschaftstätigkeit (Anm. 33), S. I34f.; Schich, Winfried, Die Stadthöfe der fränkischen Zisterzienserklöster in Würzburg, in: Zisterzienser-Studien 3, Berlin 1976, S. 45ff.; Steinwascher, Gerd, Die Zisterzienserstadthöfe in Köln, Bergisch-GIadbach 1981. Vgl. Schich, Handel und Gewerbe (Anm. 43), S. 2i7ff.; Rösener, Wirtschaftstätigkeit (Anm. 33), S. 133. Vgl. Schulz, Knut, Fernhandel und Zollpolitik großer rheinischer Zisterzen, in: Zisterzienser-Studien 4, Berlin 1979, S. 29-59; Gießler-Wirsig, Eva, Die Beziehungen mittel- und niederrheinischer Zisterzienserklöster zur Stadt Köln bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Verkehrsgeschichte, in: ebd. S. 61-132. Dazu Rösener, Zisterzienser (Anm. 18), S. 7off.

Tradition und Innovation im hochmittelalterlichen Mönchtum

413

Grundherrschaftsstruktur und der Wirtschaftsbedingungen in große finanzielle und organisatorische Schwierigkeiten. Neben dem Großkloster Cluny sind hier Abteien wie Reichenau, St. Gallen und Fulda zu nennen, die in der Mitte des 12. Jahrhunderts in schwere Krisen stürzten. 4 ' Die Grangien der Zisterzienser entstanden damals nicht selten auf den Bruchstücken alter Herrenhöfe und Fronhofsverbände dieser älteren Klöster.

3. Neue Verfassungsstrukturen des Zisterzienserordens Die erstaunliche Ausbreitung der Zisterzienser wurde auch durch einige organisatorische Elemente befördert, die den Zisterzienserorden vor den Klöstern der Cluniazenser auszeichneten. Im 10. und 11. Jahrhundert war das im Jahre 910 gegründete Cluny Mittelpunkt einer umfassenden Erneuerungsbewegung des abendländischen Mönchtums gewesen. Clunys Gründung war verbunden mit dem Privileg der freien Abtwahl und der direkten Unterstellung unter den Schutz des Papstes. Ziel der cluniazensischen Bewegung war die grundlegende Reform und geistige Erneuerung des benediktinischen Mönchtums, die in den von Cluny entwickelten Consuetudines deutlich zum Ausdruck kamen. 50 Z u r liturgischen Erneuerung Clunys gehörten die tägliche Feier der Messe und die besondere Ausgestaltung des Totengedächtnisses. U m die Einheit von klösterlichem und liturgischem Leben zu gewährleisten, übte der Abt von Cluny eine unmittelbare und uneingeschränkte Jurisdiktion in seinem Klosterverband aus", obwohl nach dem Geist der Benediktsregel jedes einzelne Kloster doch unabhängig sein sollte. Unter der Führung von Abt Hugo (1049-1109), dem zahlrei-

49

50

51

Vgl· Duby, Georges, Le budget de l'abbage de Cluny entre 1080 et 1155. Economie domaniale et economie monetaire, in: Hommes et structures du moyen äge, hg. v. Duby, Georges, Paris 1973, S. 61-82; Wollasch, Cluny (Anm. 14), S. 225; Ders., Gemeinschaftsbewußtsein und soziale Leistung, in: Frühmittelalterliche Studien 9 (1975) S. 268-286; Teilenbach, Gerd, Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert, in: Die Kirche in ihrer Geschichte 2, Fr, Göttingen 1988, S. 267; Rösener, Grundherrschaft im Wandel (Anm. 41), S. 456fF. Dazu Hallinger, Kassius, Zur geistigen Welt der Anfänge Klunys, in: Richter, Cluny (Anm. 14), S. 9iff.; Violante, Cinzio, Das cluniazensische Mönchtum in der politischen und kirchlichen Welt des 10. und 11. Jahrhunderts, in: ebd. S. I4lff.; Wollasch, Cluny (Anm. 14), S. 19fr. Zum cluniazensischen Klosterverband neuerdings: Poeck, Cluniacensis Ecclesia (Anm. 14).

414

Werner Rösener

che Klöster unterstellt waren, erreichte Cluny den Gipfel seiner Größe." Die zentralistische Organisation des duniazensischen Klosterverbandes war durch eine Prioratsverfassung garantiert, in deren Rahmen die Einzelklöster zwar von Prioren geleitet, dem Großabt von Cluny aber unterstellt waren. Mit dem Wachstum und der Ausbreitung dieses Großverbandes von Benediktinerklöstern in Burgund, Frankreich und Westeuropa während des 10. und n. Jahrhunderts war der Reichtum gekommen, mit dem Reichtum aber auch die Macht und der Einfluß in kirchlichen und weltlichen Kreisen sowie das Bedürfnis nach Prachtentfaltung, was den Protest der Zisterzienser herausforderte. In duniazensischer Tradition stehend, ohne freilich dem Klosterverband von Cluny anzugehören, führte Abt Robert zuerst in seinem Stammkloster Molesme, dann im Neukloster Citeaux seine Reformen durch, die sich von Cluny deudich unterscheiden sollten." Die Grundzüge der neuen Verfassung des Zisterzienserordens wurden von Stephan Harding geschaffen, der als dritter Abt von Citeaux von 1108 bis 1133 an der Spitze der einflußreichen Reformbewegung stand.54 Wenn auch die Einzelheiten der Herausbildung der neuen Verfassung und die genaue Datierung der Charta caritatis, des Grundgesetzes des Ordens, kontrovers beurteilt werden, so steht doch fest, daß unter der Leitung des organisationserfahrenen Stephan Harding die Schar der Mönche enorm wuchs und eine große Zahl von neuen Klöstern gegründet wurde. Es entstanden nicht nur bedeutende Tochterklöster wie La Ferte, Pontigny, Clairvaux und Morimond, sondern darüber hinaus war Citeaux imstande, ältere monastische Gruppen in seinem neuen Verfassungsmodell einzubinden; dies beförderte die Entwicklung des benediktinischen Mönchtums vom Kloster und von der Klostergruppe zu einem transregionalen Orden neuen Stils." Entgegen dem Modell der duniazensischen Verfassung sollte bei den Zisterziensern jedes Kloster seinen eigenen Abt haben. Hatte eine Gründungsgruppe von zwölf Mönchen das Stammkloster verlassen, war der neue Konvent grundsätzlich selbständig und hatte das Recht, einen Abt zu wählen. Um die Gleichheit der Regelbeobachtung und die Übereinstimmung im ordo monasticus zu sichern,

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Wollasch, Cluny (Anm. 14), S. 141fr Lekai, Geschichte und Wirken (Anm. 3), S. 2if.; Spahr, Kolumban, Das Leben des hl. Robert von Molesme, Freiburg (Schweiz) 1944. Lekai, Cistercians (Anm. 3), S. 17fr.; Duvernay, Roger, Citeaux, Vallombreuse et Etienne Harding, in: Analecta Sacri Ordinus Cisterciensis 8 (1951) S. 379-495. Miethke, Anfänge des Zisterzienserorden (Anm. 3), S. 4iff.; Zakar, Anfänge des Zisterzienserordens (Anm. 3), S. i03ff.; Schimmelpfennig, Bernhard, Zisterzienser, Papsttum und Episkopat im Mittelalter, in: Elm, Zisterzienser (Anm. 3), S. 69ff.

Tradition und Innovation im hochmittelalterlichen Mönchtum

415

entwickelten die Zisterzienser drei grundlegende Verfassungsmomente: das Filiationsprinzip, die Visitationspflicht und das G e n e r a l k a p i t e l . D a s Filiationsprinzip mit den Aufsichtspflichten der Mutterabtei über ihre Tochterklöster und das jährliche Generalkapitel aller Zisterzienserabteien in Citeaux garantierten den Zusammenhalt des Ordens, ohne dabei der Zentralität ein zu starkes Gewicht zu verschaffen. So wurde jedes Tochterkloster alljährlich vom Abt des Mutterklosters visitiert, dem die Aufgabe zufiel, das monastische Leben und die Verwaltung der Tochterklöster zu überprüfen. Die Einsetzung von Äbtekommissionen bei der Neugründung von Klöstern gab die Gewähr dafür, daß keine neuen Niederlassungen ohne ausreichende ökonomische und organisatorische Voraussetzungen entstanden. Man darf annehmen, daß sich erst allmählich ein Gleichgewicht zwischen der Autonomie eines jeden Klosters, der höchsten Kompetenz des jährlich stattfindenden Generalkapitels und dem Kontrollinstrument der Visitation herausbildete. Dies verdeutlicht die Entwicklung der Charta caritatis während des 12. Jahrhunderts in ihren verschiedenen Stufen; sie wurde dadurch sukzessive zu einem grundlegenden Verfassungsdokument, in dem alle wichtigen Fragen der Organisation der Einzelklöster, des Verhältnisses der Klöster untereinander und der Struktur des Gesamtordens geregelt wurden.' 7 Anders als in Cluny, wo die Herrschaft des Großabtes über die zahlreichen Klöster und Priorate des Verbandes auf unterschiedlichen Rechtsverbindlichkeiten beruhte, entwickelte Citeaux eine homogene, auf Filiation, Visitation und Generalkapitel beruhende moderne Verfassung, die genossenschaftliche und hierarchische, zentralistische und föderalistische Elemente in klarer Einfachheit verband und dadurch die Einheit und den Zusammenhalt des Ordens garantierte.5' Die Zisterzienser schufen einen gegen die Außenwelt abgegrenzten und im Inneren einheitlichen Verband von Klöstern: den ersten Orden im eigentlichen Sinn." Die Einheitlichkeit der Einzelklöster und erprobte Verfassungselemente verschafften dem Zisterzienserorden im 12. Jahrhundert eine organisatorische Modernität, die ihm einen Vorsprung vor Cluny und dem traditionellen

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Moßig, Christian, Verfassung des Zisterzienserordens und Organisation der Einzelklöster, in: Elm, Zisterzienser (Anm. 3), S. 115-124; Mahn, Jean-Berthold, L'ordre cistercien et son gouvernement des origines au milieu du Xllle siecle (1098-1265), Paris 't95r; Wollasch, Mönchtum (Anm. 20), S. I72ff.

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Vgl. Lekai, Geschichte und Wirken (Anm. 3), S. 27fr.; Mikkers, Edmond, Die Charta caritatis und die Gründung von Citeaux, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 4 (1985) S. n-22; Auberger, J.-B., L'unanimite cistercienne primitive: mythe ou realiti?, Achel 1986. So zu Recht Elm, Stellung des Zisterzienserordens (Anm. 10), S. 36. Vgl. Wollasch, Mönchtum (Anm. 20), S. r/8.

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Mönchtum verschaffte. Wie aber reagierten die Cluniazenser auf die Herausforderung durch den jungen Zisterzienserorden? Wie entwickelte sich die Diskussion über die vielfältigen Unterschiede in der monastischen Lebensgestaltung zwischen den beiden Richtungen?

4. Kontroversen zwischen Cluny und Citeaux Anlaß zu kontroversen Diskussionen zwischen Cluniazensern und Zisterziensern über die Unterschiede zwischen dem traditionellen Mönchtum in Cluny und dem Neuansatz in Citeaux waren konkrete Streitfälle, die durch das Überwechseln von Mönchen von Cluny nach Citeaux und umgekehrt entstanden. Dieses Problem war an sich nicht neu, hatte doch die Benediktsregel dafür Vorschriften erlassen. Sie empfahl den Äbten, Mönche aus anderen Klöstern nicht ohne Zustimmung oder Empfehlung der davon betroffenen Abte in ihren eigenen Klöstern aufzunehmen/0 Demnach war es durchaus möglich, daß ein Abt die Zustimmung zum Übertritt eines Mönches gab, wenn dieser seine bisherige Lebensweise zugunsten einer strengeren ändern wollte. Weiter als diese Praxis ging das Privileg, das Cluny 1097 von Papst Urban II. erhalten hatte, nämlich Mönche aus einem anderen Kloster aufnehmen zu können, ohne sich um die Einwände des Heimatklosters kümmern zu müssen, wenn der betroffene Mönch diesen Schritt pro vitae melioratione vollzog. Bernhard von Clairvaux, der prominenteste Wortführer in der Debatte mit Cluny, war der Auffassung, daß der Wille zu einer strengeren Lebensweise einen Mönch berechtige, aus einem Cluniazenserkloster in ein Kloster der Zisterzienser überzutreten.'1 Mit großer Empörung reagierte Bernhard aber auf die Tatsache, daß ausgerechnet sein Verwandter Robert von Chatillon, der in Citeaux eingetreten war, zum Kloster Cluny wechselte. In einem um 1119 geschriebenen Brief an seinen Neffen warf er ihm vor, statt der strengeren Lebensform der Zisterzienser den leichteren und weniger regeltreuen Weg der Cluniazenser gewählt zu haben. Bernhard nennt den Prior, der Robert aus dem Kloster weggelockt hatte, einen Wolf im Schafspelz: Er predige ein neues Evangelium, in

60 61

Benedicti Regula (Anm. 15), S. 175fr. (c. 61). J a f f f , Philipp, Löwenfeld, Samuel, Regesta Pontificum Romanorum, Leipzig 1885/88, Nr. 5676.

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Bredero, Adriaan H., Das Verhältnis zwischen Zisterziensern und Cluniazensern im 12. Jahrhundert: Mythos und Wirklichkeit, in: Elm/Joerißen, Zisterzienser (Anm. 9), S. 51.

Tradition und Innovation im hochmittelalterlichen Mönchtum

417

dem Trunkenheit empfohlen und Mäßigkeit verurteilt, freiwillige Armut als Elend gestempelt, Fasten und Schweigen aber als Dummheit bezeichnet würden.'' Er verteidigt dabei ausdrücklich die Handarbeit der Zisterzienser, die sich bei der Bebauung und Düngung des Bodens als Form der Askese vollziehe. Bald darauf kritisiert Bernhard in seiner berühmten Schrift Apologia, die er auf Bitten des Benediktinerabtes Wilhelm von Saint-Thierry schrieb, erneut die Lebensweise der Cluniazenser und stellt sie derjenigen der Zisterzienser plakativ gegenüber/ 4 Er wiederholt darin die Vorwürfe, die er schon in seinem Brief an Robert gemacht hatte, aber wandte sich darüber hinaus auch gegen andere Mißstände in Cluny: gegen den Pferdeaufwand, den die Cluniazenseräbte auf ihren Reisen treiben, gegen den Kleiderschmuck und gegen den Luxus beim Bau von Kirchen und Klostergebäuden. Demgegenüber sei die Lebensweise der Zisterzienser durch Kargheit und Härte, durch Ärmlichkeit in der Kleidung und durch täglichen Schweiß bei den Handarbeiten gekennzeichnet. Obwohl er die Vielfältigkeit der Orden akzeptiert, verurteilt er doch die traditionelle Lebensform der Cluniazenser. Wie können, so stellt er die Frage, „diejenigen die Regel einhalten, die in Pelze gekleidet sind, die sich, obwohl sie gesund sind, mit Fleisch oder dem Fett von Fleisch nähren, die drei oder vier gekochte Speisen an einem einzigen Tag zulassen, was die Regel verbietet, dagegen die Handarbeit nicht verrichten, die sie gebietet, und schließlich nach ihrem Belieben vieles ändern, hinzufügen oder abschwächen?"' 5 Bernhard von Clairvaux richtete seine Angriffe gegen die Lebensweise der Cluniazenser zu einem Zeitpunkt, als der neue Abt von Cluny, Petrus Venerabiiis, erste Reformversuche in seinem Kloster unternahm. Damals, als sich Bernhard gegen Cluny wandte, stieß der neue Abt auf den starken Widerstand der Anhänger seines 1122 abgesetzten Vorgängers Pontius." Abt Petrus reagierte relativ gelassen auf die heftigen Anklagen Bernhards und verteidigte sich in einem

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Sancti Bernardi Opera 7 (Anm. 7), S. 9. Apologia ad Guillelmum abbatem, in: Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke 2, hg v. Winkler, Gerhard B., Innsbruck 1992, S. 138-204. 65 Ebd. S. 167. 66 Vgl. Bredero, Adriaan H., Cluny et Citeaux au Xlle stecle: les origines de la controverse, in: Studi Medievali 3s., 12 (1971) S. i35ff.; Ders., Pierre le Venerable: les commencements de son abbatiat ä Cluny, in: Pierre Ab^lard - Pierre le Venerable: les courants philosophiques, littiraire et artistiques en Occident au milieu du Xlle siecle, Paris 1975, S. 99fr.; Teilenbach, Gerd, Der Sturz des Abtes Pontius von Cluny und seine geschichtliche Bedeutung, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 42/43 (1963) S. 13-55; Wollasch, Cluny (Anm. 14), S. i ^ 8 f f .

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langen Brief, in welchem er alle in Cluny bestehenden Gebräuche erläuterte und verteidigte/7 Nachdem sich die Wogen der Auseinandersetzung dank der moderaten Stellungnahme des Petrus Venerabiiis längere Zeit geglättet hatten, entstand zwei Jahre nach dem Tod Bernhards von Clairvaux 1155 eine neue Kontroverse zwischen Cluniazensern und Zisterziensern, die von dem Mönch Idung mit seiner Schrift .Dialog zwischen einem Cluniazenser und einem Zisterzienser' (Dialogus inter Cluniacensem monachum et Cisterciensem) ausging. Idung war aus dem cluniazensisch geprägten Benediktinerkloster St. Emmen in die bayerische Zisterzienserabtei Aldersbach übergewechselt/' Diesen Verstoß gegen das Gebot der Stabilitas sucht er mit gelehrten Argumenten durch den Nachweis zu rechtfertigen, daß nur bei den Zisterziensern die Benediktsregel streng befolgt werde. Dabei diskutiert er ausführlich die unterschiedlichen Lebensformen sowie die Rolle von Handarbeit, Lesung und Gebet in beiden Orden. Der zisterziensische Gesprächspartner wirft dem Cluniazenser vor, daß er die Regel Benedikts und die Heiligen Schriften zu wenig kenne. Im weiteren Verlauf des Dialogs sucht er zu beweisen, daß ein kontemplatives Leben durchaus mit Handarbeit zu vereinbaren sei und daß die Muße der Cluniazenser eher ein Müßiggang sei, der mit der Benediktsregel nicht übereinstimme. Unter den Begründungen, die Idung von Aldersbach für die Mönchsarbeit aufzählt, steht die selbständige Deckung der täglichen Bedürfnisse an erster Stelle: Einem Mönch, der sich durch andere ernähren läßt, nutzen Gebet und Fasten wenig. Moderne Züge trägt Idungs Arbeitsethik, wenn er die Beschwerlichkeit zisterziensischen Schaffens mit der müßigen Beschäftigung der Cluniazenser vergleicht.70 Die Schlichtheit der neugebauten Kirchen der Zisterzienser wird der Pracht und den übertriebenen Schmuckformen der Cluniazenserkirchen gegenübergestellt.7' Im Hinblick auf die Verfassung des Zisterzienserordens wird die Einheitlichkeit hervorgehoben, die durch das jährliche Generalkapitel aller Zisterzienseräbte gewährleistet wer-

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The Letters of Peter the Venerable 1, hg. v. Constable, Giles, Cambridge (Mass.) 1967, S. 52.ff.

68

Thesaurus novus anecdotorum V, hg. v. Martene, Edmundus, Durand, Ursinus, Paris 1717, Sp. 1569-1654. Vgl. Kurze, Die Bedeutung der Arbeit (Anm. 26), S. 184; Lekai, Geschichte und Wirken (Anm. 3), S. 34; Wollenberg, Klaus, Die Stellung des Zisterzienserordens im mittelalterlichen Ordenswesen und seine Ausbreitung in den deutschsprachigen Gebieten, in: Weltverachtung und Dynamik, hg. v. Schwillus, Haraldus, Hölscher, Andreas, Berlin 2000, S. 12.

69

70 71

Martene/Durand, Thesaurus V (Anm. 68), Sp. Ebd. Sp. 1584.

i6i}ff.

Tradition und Innovation im hochmittelalterlichen Mönchtum

419

de; die Absetzung unwürdiger Äbte sei bei den Zisterziensern zudem leichter durchführbar als bei den Klöstern der Cluniazenser. 7 * Durch die Grundherrschaft und die Abgaben höriger Bauern sei C l u n y stärker in der Welt verstrickt als Citeaux, das sein Land abseits der Städte selbst bebaue. D i e Anfänge seines Ordens schildert der Zisterziensermönch in dem Sinne, daß Abt Robert von Molesme sein altes Kloster vor allem deswegen verlassen habe, weil die Benediktsregel dort zu wenig ernstgenommen worden sei; dagegen sei die Regel in dem neugegründeten Citeaux streng beachtet w o r d e n . "

5. Resümee Gegen Ende des 12. Jahrhunderts konnte der Zisterzienserorden auf eine stolze Leistung zurückblicken. 74 Er hatte sich mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit über ganz Europa ausgedehnt, und seine zahlreichen Niederlassungen waren zu mächtigen Klöstern aufgestiegen. Dieser Erfolg beruhte in spiritueller Hinsicht auf der Attraktivität seiner monastischen Ideen, die von den Gründern des N e u klosters in Citeaux in Opposition zu den traditionellen Benediktinerklöstern propagiert wurden. In wirtschaftlicher Hinsicht ist vor allem auf den innovativen Charakter der zisterziensischen Klosterwirtschaft mit seinen Grangien und Stadthöfen, ferner auf die intensive Verflechtung der Zisterzienserklöster mit den Märkten der expandierenden Städte hinzuweisen. Diszipliniert durch eine asketische Lebensführung, investierten die Zisterzienser ihren erwirtschafteten G e w i n n in den Ausbau ihrer Grundbesitzungen und Klosterhöfe. Der aufkommende Reichtum vieler Zisterzienserklöster war dabei nicht das Ergebnis besonderer Pionierleistungen im Landesausbau, sondern beruhte vor allem auf der hohen Effizienz der Grangienwirtschaft und auf einem herausragenden Organisationsvermögen. Im Hinblick auf die Verfassung des Zisterzienserordens sind die neuartigen Organisationselemente hervorzuheben, die sich in Form von Filiation, Visitation und Generalkapitel herausbildeten. Citeaux entwickelte eine exzellente Verfassung, die einen Mittelweg zwischen einem zu starken Zentralismus im Sinne von C l u n y und einer zu weitgehenden Unabhängigkeit von Einzelklöstern darstellte, wie dies bei den älteren Benediktinerklöstern der Fall war.

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Ebd. Sp. 1641. Ebd. Sp. 1593.

74

Vgl. Rösener, Zisterzienser (Anm. 18), S. yoff.; Ders., Religion und Ökonomie (Anm. 43), S. ii7ff.

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Obwohl es den Zisterziensern nicht gelungen ist, das benediktinische M ö n c h tum in seiner Gesamtheit auf ihre Interpretation der Benediktsregel und ihr Konzept der monastischen Lebensform einzuschwören, so hat der neue Orden die religiösen Bewegungen des Hochmittelalters doch stark beeinflußt. Sein monastisches Konzept und seine ausgezeichnete Verfassung wurden zum V o r bild sowohl für die Rechtsgestalt des traditionellen Mönchtums als auch der zahlreichen aus der Erneuerungsbewegung hervorgegangenen Orden monastischer und kanonikaler Prägung. 7 ' Ihre im Verlauf des 12. Jahrhunderts erwiesene Effizienz veranlaßte schließlich nicht nur viele Benediktinerklöster dazu, sich zu Kongregationen zusammenzuschließen, sondern ließ auch die Vallombrosaner und Kamaldulenser, ja sogar die Kartäuser und Prämonstratenser auf das Vorbild der Charta caritatis zurückgreifen. Die Ritterorden des 12. und die Bettelorden des 13. Jahrhunderts verraten in ihren Verfassungen ebenfalls zisterziensische Einflüsse. A u c h die Cluniazenser, die von den Zisterziensern in der Mitte des 12. Jahrhunderts heftig attackiert worden waren, fanden schließlich den Anschluß an diese Entwicklung: Im Jahre 1200 erließ Abt H u g o V . von C l u n y Statuten, mit denen C l u n y und seine Klöster die Verfassung eines Ordens nach zisterziensischem Vorbild erhielten. 7 ' Die Zisterzienser haben somit das hochmittelalterliche M ö n c h t u m durch neuartige Ziele und Methoden stark verändert und einen Bruch mit dem traditionellen M ö n c h t u m duniazensischer Prägung vollzogen. Die Gründer von Citeaux, die nach ihrer Selbstaussage zum alten M ö n c h t u m und zur strengen Auslegung der Benediktsregel zurückkehren wollten, schufen in ihrem .Neukloster' tatsächlich einen neuen monastischen Lebensentwurf. Die Gegner der Zisterzienser, die die Gebräuche von Citeaux vorwurfsvoll als ,Neuerungen* brandmarkten, hatten weitgehend recht mit dieser Charakterisierung. W e n n sich Citeaux damals entschieden gegen die Anschuldigung der Neuerung wandte und argumentierte, daß man zum ursprünglichen Geist der Benediktsregel zurückkehren wolle, so sollten damit die Attacken gegen die neue Mönchsbewegung abgewehrt werden. N a c h mittelalterlichem Verständnis mußten Neuerungen als Rückkehr zur ursprünglichen Form, Reformen als Wiederherstellung des alten Zustands ausgegeben werden. 7 7 Dieses Verständnis der Erneuerung darf aber nicht den Blick

75 76 77

Vgl. Elm, Stellung des Zisterzienserordens (Anm. 3), S. 36f. Wollasch, Cluny (Anm. 14), S. 324. Dazu Wolgast, Eike, Reform, Reformation, in: Geschichtliche Grundbegriffe 5, hg. v. Brunner, Otto, u. a., 1984, S. 313-360, hier S. 318; Spörl, Johannes, Altes und Neues im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 50 (1930) S. 309^; Fleckenstein, Josef, Die Bildungsreform Karls des Großen als Verwirklichung der „norma rectitudinis", Bigge-Ruhr 1953, S. 58ff.; Tellenbach, Gerd, Das Reformmönchtum und die

Tradition und Innovation im hochmittelalterlichen Mönchtum

421

dafür verstellen, daß die Zisterzienser im Hochmittelalter mit ihren Organisationsformen und Aktivitäten tatsächlich Innovationen in G a n g setzten, die intensiv nach außen wirkten und die monastische W e l t grundlegend veränderten.

Laien im elften und zwölften Jahrhundert, in: Richter, Cluny (Anm. 14), S. 37iff.; Schramm, Percy Ernst, Kaiser, Rom und Renovatio. Studien und Texte zur Geschichte des römischen Erneuerungsgedankens vom Ende des Karolingischen Reiches bis zum Investiturstreit 1, Leipzig u. a. 1929, S. 68ff.

Teil V

Literarische Verfahren Procedes litteraires

La creation litteraire du Χ Ι Γ siecle vis-ä-vis de la tradition: fidelites et ruptures Jean-Yves Tilliette

Au debut du poeme qu'il intitule en termes enigmatiques Entheticus de dogmate philosophorum, Jean de Salisbury evoque d'une plume acerbe les attitudes intellectuelles de la nouvelle generation. „Si, ecrit-il, tu tiens un discours autre que celui qui plait aux jeunes gens, la foule jacassiere te crachera au visage. Si tu as du goüt pour les auctores [nous dirions „les classiques"], si tu te reportes aux ecrits des anciens pour etablir ce que tu cherches ä demontrer, de partout Γοη s'exclamera: 'Que veut cette vieille bourrique? Pourquoi nous rebat-elle les oreilles des dits et des faits des anciens? C'est de nous-memes que nous tirons notre sagesse - ou: notre gout [A nobis sapimus: le verbe sapere s'apparente etymologiquement ä sapientia et ä sapor\"! Cette ironique diatribe semble annoncer de loin l'apologue, prete ä fisope par Jonathan Swift dans sa Bataille des livres, de l'abeille et de l'araignee: la premiere fait son miel de la diversite des fleurs butinees au hasard des prairies - ce que Jean de Salisbury appelle recensere veterum scripta — la seconde, orgueilleuse, extrait de ses propres entrailles Γelegance geometrique de sa toile.. .*

ι

Sic nisi complacito pueris sermone loquaris, Conspuet in faciem turba garrula tuam. Si sapis auctores, veterum si scripta recenses, U t statuas si quis forte probare velis, Undique clamabunt: „Vetus hie quo tendit asellus ? C u r veterum nobis dicta vel acta refert ? A nobis sapimus...". Johannes Saresberiensis, Entheticus Maior, v. 39-45, ed. van Laarhoven, Jan (Studien

und

Texte

zur

Geistesgeschichte

des

Mittelalters),

Leiden/New

York/Kobenhavn/Köln 1987, p. 107. 2

Recit complet et veridique de la bataille livree vendredi dernier entre les livres anciens et les livres modernes dans la Bibliotheque Saint-James, in: Swift, Jonathan, (Euvres

(trad, fr.) (Bibliotheque de la Pleiade), Paris 1965, p. 544-549.

Cf.

4 26

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Que Jean de Salisbury et Swift aient pris resolument le parti des abeilles nous importe pour le moment assez peu: on aurait pu trouver en faveur des araignees des champions aussi valeureux - par exemple Stendhal, qui deplore que le genie litteraire de l'Italie, victime de la quete humaniste des manuscrits d'ceuvres anciennes, ait ite „empoisonne par les pedants grecs".3 Ce que je veux suggerer, c'est que la recurrente „quereile des Anciens et des Modernes" apparait ä premiere vue comme Tun des invariants de notre tradition culturelle. C'est bien ainsi que l'entend Curtius qui, dans le chapitre que son grand livre dedie au classicisme, la definit comme „un phenomene constant de l'histoire et de la sociologie litteraires", de l'epoque hellenistique jusqu'ä l'explosion romantique.4 Nihil novi sub sole. Constater, dans le cadre d'une rencontre sur l'idee de progres, une teile permanence et une telle fixite dans les positions antagonistes, est, on l'avouera, bien decevant. La pertinence meme du propos que j'ai choisi de tenir dans un tel cadre peut etre mise en cause: qui oserait en effet, a part quelques illumines trop sürs de leur genie, parier de „progres" en litterature? A quoi se mesure-t-il ? Comment le quantifier ? La valorisation des avant-gardes, la politique de la table rase volontiers pratiquee par les mouvements litteraires et artistiques du XXC siecle peuvent sans doute expliquer, au moins en partie, les mecanismes de la creation au cours de l'ere romantique ä laquelle nous continuons d'appartenir. Une teile problematique est-elle adaptee ä l'analyse des rapports que les ecrivains medievaux conijoivent entre leur oeuvre et le temps? II est permis d'en douter. Car la litterature latine du moyen äge, dont il sera surtout question ici, se caracterise d'abord par son Statut d'heritiere. Ne serait-ce que pour une evidente rai-

l'admirable commentaire de cet apologue donne par M a r c Fumaroli dans sa preface ä „ L a Querelle des Anciens et des Modernes. Χ Υ Ι Γ — X V I I I ' siecles", ed. Lecoq, A n n e - M a r i e , Paris 2 0 0 1 , p. 7 - 2 1 8 . O n notera que la fiction elaboree par S w i f t reprend, mutatis mutandis, l'argument d u dit en octosyllabes „ L a Bataille des sept arts" c o m p o s t vers 1 2 4 0 par le trouvere parisien H e n r i d'Andeli. 3

„Histoire de la poesie", in: Qu'est-ce que le romanticisme ?, M i l a n 1818.

4

Curtius, Ernst Robert, La Litterature e u r o p & n n e et le m o y e n age latin (trad, fr.), Paris 1986', t. I, p. 3 9 5 - 4 0 1 . C e point de vue a-historique est fort justement nuance par H a n s R o b e r t Jauss, La „modernite" dans la tradition litteraire et la conscience d'aujourd'hui, in: Pour une esthetique de la reception (trad, fr.), Paris 1978, p. 158— 209. S u r les aspects revetus par ladite „querelle" dans la culture medievale, voir les articles recueillis par Albert Z i m m e r m a n n in: Antiqui und M o d e r n i . Traditionsbewußtsein u n d Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter (Miscellanea Medievalia 9) B e r l i n / N e w Y o r k 1974, et G ö s s m a n n , Elisabeth, Antiqui u n d M o d e r n i im Mittelalter. E i n e geschichtliche Standortbestimmung (Veröffentlichungen des G r a b m a n n Institutes 23), M ü n c h e n / P a d e r b o r n / W i e n 1974.

La creation litteraire du X l l ' s i i c l e vis-ä vis de la tradition

427

son pratique: la langue dans laquelle eile s'exprime a töt cesse d'etre langue maternelle, si eile l'a jamais ete. Certes, eile continue ä vivre: on en voudra pour essentiel temoignage sa remarquable inventivite dans le domaine du lexique, avec la latinisation de termes grecs ou vulgaires et surtout la vigueur de la creation neologique par composition ou derivation.' Elle est en revanche beaucoup plus timide (je parle ici bien sür des ecrits ä pretention litteraire, non de la production documentaire courante) dans le domaine de l'innovation syntaxique et tend meme, par hypercorrection, a s'imposer une norme plus rigoureuse encore que celle appliquee par les anciens. Ainsi, au debut du livre 4 de son Ars versificatoria composee vers 1175 - un ouvrage qui passe pourtant pour un manifeste de la modernite —, le grammairien Matthieu de Vendome met-il en garde l'apprenti poete contre plusieurs defauts ä eviter et proscrit-il de la sorte aux moderni (le mot revient cinq fois dans le contexte) certaines licences que s'autorisaient pourtant les grands auteurs classiques, comme l'allongement de syllabes breves, l'accord ad sensum pratique par Stace lorsque, au vers 4,63 de sa Thebaide, il rapproche le nom feminin singulier manus, la troupe, du participe secuti au masculin pluriel, ou encore la construction improprement transitive de verbes comme ardere dont Virgile fournit un cdlebre exemple au premier vers de la deuxieme bucolique/ On pourrait fournir encore bien d'autres exemples de ce purisme par surenchere, notamment dans le domaine de la versification.7 II s'explique aisement par le fait que la connaissance du latin resulte d'un apprentissage scolaire et que sa pratique est gouvernee par Γ application des regies enoncees par Donat, premiere lecture, apres le psautier, des jeunes eleves. Un tel conservatisme est en deuxieme lieu motive par un principe esthetique, celui de 1 'imitatio. On prefere le terme latin ä sa traduction franchise, chargee de connotations pejoratives. Car ce n'est pas de plagiat qu'il s'agit ici, mais de l'idee selon laquelle toute beaute litteraire se mesure ä l'aune de la confrontation, ä la fois reverencieuse et agonistique, avec un modele. Que ce point de vue retrospec-

5

C f . Stotz, Peter, Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters, 2. Bd: Bedeutungswandel und Wortbildung (Handbuch der Altertumwissenschaft 11-5.2), M ü n chen 2000, p. 231-482.

6

Figurative etiam constructions a modernorum exercitio debent relegari, licet ab auctoribus inducantur, ut ( . . . ) Statius : Hec manus Adrastum numero ter mille secuti ( . . . ) . Debent etiam evitari improprie verborum positiones, ut apud Virgilium in Bucolicis: Ardebat Alexim... . (Matheus Vindocinensis, Ars versificatoria 4, 7 - 8 , ed. Munari, Franco [Storia e letteratura. Raccolta di studi e testi 171], Roma 1988, p. 196).

7

Par exemple, le refus tres systematique de Γ elision et de l'hiatus. (Norberg, Dag, Introduction ä l'etude de la versification latine mediivale [Acta Universitatis Stockholmensis 5], Stockholm 1958, p. 32-33.)

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tif ait longtemps defini les objectifs du travail d'ecriture, il suffit de lire les prefaces aux tragedies de Racine pour s'en persuader. Mais il orientait dejä l'entreprise des auteurs de l'Antiquite: que l'on songe seulement aux rapports entre Terence et Menandre, Horace et Pindare, Virgile et Theocrite ou Homere. Dans le meme esprit, les redacteurs d'epopees bibliques des I V , V et VT siecles transposent en hexametres le texte du livre sacre, avouant en termes explicites leur intention d'ameliorer Virgile (Virgilium mutare in melius). Les ecrivains du moyen age leur emboiteront le pas: qu'elles chantent les mysteres sacres, les vertus de saint Martin ou la gloire de Guillaume le Conquerant, les epopees mediolatines empruntent d'innombrables formules, clausules et images ä la koine poetique constitute par la tradition. L'exemple le plus troublant ä mes yeux en est peut-etre represente par les dix Bucoliques de l'obscur Metellus de Tegernsee (milieu du ΧΙΓ siecle), qui reprennent chacune les personnages, la structure, dialoguee ou monologuee, et souvent l'incipit de l'eglogue correspondante de Virgile, mais pour celebrer les miracles de saint Quirin, patron du monastere.9 On peut comprendre que la composition en vers metriques, fondee comme eile Test sur une principe phonetique, l'alternance des syllabes breves et longues, qui ne correspond plus ä aucune realite acoustique au moyen age, ait eprouve la necessite de recourir ä des tournures et expressions d'emprunt. Guibert de Nogent relate avoir ete exerce, dans ses jeunes annees, ä la redaction de lettres hero'ides ä la maniere d'Ovide.'0 Mais la meme demarche caracterise egalement d'autres genres et d'autres formes: les lettres de Gerbert s'emploient ä reproduire la phraseologie de Symmaque, la moniale Rosvitha de Gandersheim imagine au benefice de ses consoeurs des comedies dans le goüt de Terence, l'historien de Guillaume le Conquerant, Guillaume de Poitiers, mime le style de Cesar et de Salluste... ." Dans ces essais parfois fort reussis, on ne verra pas la marque de l'impuissance creatrice - bien plutöt la fascination exercee par la magie d'une forme sublime, que l'on s'echine ä egaler. Car aux contraintes linguistiques et esthetiques qui viennent d'etre evoquees s'en ajoute une troisieme, de nature ideologique: c'est le poids de Γauctoritas - une 8 9

10 11

Cf. Thill, Andree, Alter ab illo. Recherches sur l'imitation dans la poesie personnelle ä I'epoque augusteenne, Paris 1979. Jacobsen, Peter Christian, Die Quirinalien des Metellus von Tegernsee. Untersuchungen zur Dichtkunst und kritische Textausgabe (Mittellateinische Studien und Texte 1), Leiden/Köln 1965. Guibert de Nogent, Autobiographie 1, 17, 6d. Labande, Edmond-Rene (Classiques de l'Histoire de France au Moyen Age 34), Paris 1981, p. 134. Voir notre article Classiques (imitation des), in: Gauvard, Claude, de Libera, Alain, et Zink, Michel (dir.), Dictionnaire du Moyen Äge, Paris 2002, p. 298-300.

La creation littiraire du Xll'siecle vis-ä vis de la tradition

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notion d'ailleurs qui deborde largement Ies limites du seul champ litteraire.'1 Le seul moyen de fonder en raison une these ou une opinion, suggere Jean de Salisbury dans les vers cites en tete de cet article, c'est de l'appuyer sur les acta et dicta veterum. Le meme auteur, comme beaucoup d'autres, prodame son desir de mettre ses pas dans l'empreinte, les vestigia, de ceux des sages d'autrefois, comme si, par une curieuse inversion du cours du temps, c'etaient les hommes du passe qui frayaient la voie du futur. Ce genre d'attitude parait proceder d'une conception du sens de l'histoire vecue comme etiolement, decadence. Elle trouve sa representation adequate dans la fameuse image, attribuee ä Bernard de Chartres, des nains et des geants.'' On notera au passage qu'elle n'est pas re^ue comme une metaphore, mais comme une donnee anthropologique: des les premieres lignes du traite qu'il consacre au divertissement et ä l'edification des gens de cour, Gautier Map souligne ä quel point l'espece humaine „est dechue de sa beaute, de sa force et de sa vertu primitives", rappelant qu' „Adam fut cree geant par la taille et par la vigueur".' 4 Et le squelette du roi Arthur exhume par les moines de Glastonbury dtait, selon Giraud de Barri, temoin de son invention, celui d'un homme a la stature colossale.'' Quelles peuvent done etre, s'il se borne ä s'identifier ä la recensio scriptorum veterum, la fonction et meme l'utilite du travail litteraire? A cette question, la reponse des auteurs est unanime et sans equivoque. L'oubli est la pire malediction qui puisse frapper les societes humaines, qu'il ramenerait k la sauvagerie. II s'agit de maintenir et de sauvegarder une memoire precieuse. Temoins, pour citer encore Jean de Salisbury, la splendide preface du Policraticus'6, mais aussi bien Celles des Lais de Marie de

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Cf. Guenee, Bernard, „Authentique et approuve". Recherches sur les principes de la critique historique au moyen age, in: La lexicographic du latin medieval et ses rapports avec les recherches actuelles sur la civilisation du moyen age, Paris 1981, p. 218-227. Dicebat Bernardus Carnotensis nos esse quasi nanos gigantum umeris insidentes, ut possimus plura eis et remotiora videre, non utique proprii visus acumine, aut eminentia corporis, sed quia in altum subvehimur et extollimur magnitudine gigantea (Johannes Saresberiensis, Metalogicon 3, 4, ed. Hall, J.B., et Keats-Rohan, K.S.B. [CCCM 98], Turnhout 1991, p. 116). A pristina forma, viribus et virtute facti sumus degeneres (...). Creatus est Adam statura gigas et robore (Walter Map, De nugis curialium 1, 1, ed. James, M.R., Brooke, C.N.L., et Mynors, R.A.B [Oxford Medieval Texts], Oxford 1983, p. 4). Liber de principis instructione 1, 20, in: Giraldi Cambrensis Opera, vol. VIII, ed. Warner, G.F. (RSBrit 21), Londres 1891, p. 127. Nam et artes perierant, euanuerant iura fidei et totius religionis officia quaeque corruerant(...), nisi in remedium infirmitatis humanae litterarum usus mortalibus diuina miseratio procurasset, ed. Keats-Rohan, K.S.B. (CCCM 118), Turnhout 1993, p. 21.

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France'7, du Roman de Troie de Benoit de Sainte-Maure" ou du Roman de Rou de Wace: Si escripture ne fut feite et puis par ders litte et retraite" mult fussent choses ubliees ki de viez tens sunt trespassees."

Mais suivre ä rebours le fil du temps pour en detecter les vestiges, c'est aussi mesurer l'incessante mutabilite des etres et des mots — un mouvement dans lequel on est soi-meme pris. Et ä cet dgard, le ΧΙΓ siecle, plus sans doute que ses devanciers, se per^oit clairement lui-meme comme une periode d'innovation. „Voici que tout se faisait neuf, la grammaire etait renovee, la dialectique modifiee, la rhetorique meprisee", lit-on au troisieme chapitre du Metalogicon." On a tort, sans doute, d'extraire cette citation fameuse du contexte polemique dans lequel eile apparait. II reste que les trois sciences du langage sont desormais le lieu de profondes mutations, que se font jour de nouvelles faijons de penser - et c'est la logica modemorum - , de nouvelles fa^ons de lire — et c'est la transformation, ä laquelle je reviendrai, des principes qui gouvernent l'exercice grammatical du commentaire de texte, la lectio - et de nouvelles fa5ons d'ecrire. Sur ce dernier point, les maitres venus au terme de la periode consideree inscrivent dans le titre meme de leurs oeuvres la trace de la mutation dont ils enregistrent les effets: peu apres 1200, GeofFroy de Vinsauf substitue avec succes ä la Poetria vetus d'Horace sa Poetria nova·, quelques decennies plus tard, le notaire italien Boncompagno da Signa α>ηςοκ en termes franchement agressifs, dans la Rhetorica novissima, le projet de demoder la doctrine ciceronienne. Un bon indice de 1'evolution acceleree du goüt est fourni par celle du canon des auteurs scolaires. A l'epoque carolingienne, les modeles recommandables sont

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N e dutai pas, bien le saveie, / Ke pur remambrance les firent / Des aventures k'il o'irent / Cil ki primes les comencierent / Ε ki avant les enveierent. / Plusurs en ai o'i conter, / Nes voil laissier ne oblier , v. 34-40, ed. Rychner, Jean ( C F M A ) , Paris 1978, p. 2.

18

Les philosophes, les traitiez, / Dont toz li monz est enseignez / Se fussent teii, veirement / Li siecles vesquist folement: / C o m e bestes eüssons vie..., v. 9 - 1 3 , ed. Baumgartner, Emmanuele, et Vielliard, Fran^oise (Lettres gothiques), Paris 1998, p. 40.

19

C'est tres exactement l'exercice de la reecriture, en latin 'retractatio', ci-dessus decrit, qui est designe par ce mot.

20 21

fid.

Holden, A . J . ( S A T F ) , vol. I, 3' partie, v. 7 - 1 0 , Paris 1970, p. 161.

Ecce

nova

fiebant

omnia,

innouabatur

grammatica,

dialectica

immutabatur,

contemnebatur rhetorica, ed. Hall - Keats-Rohan (note 13), p. 17; C f . , dans le present volume, la communication du Prof. David Luscombe.

La creation littdraire du XIFsi^cle vis-ä vis de la tradition

431

avant tout les Peres de l'figlise et les poetes bibliques de l'Antiquite tardive." Vers 1140, l'ecolätre clunisien Conrad de Hirsau, de temperament plutot conservateur, preconise l'etude de vingt et un auctores, paiens et chretiens confondus, mais dont le plus recent est Boece.1' Trois quarts de siecle plus tard, le poeticien fivrard l'Allemand, dans son Laborintus, suggere ä son eleve la lecture de quarante textes poetiques, dont seize, soit 40%, appartiennent ä l'actualite litteraire recente (la Cosmographia de Bernard Silvestre, le Tobias de Matthieu de Vendome, XAlexandriide de Gautier de Chätillon, ΓAnticlaudianus d'Alain de Lille, ...)> voir quasi-contemporaine (le Solimarius de Gunther de Pairis et la Poetria nova).M On le voit, il s'agit d'un processus cumulatif plutöt que cyclique. II n'est pas question de rejeter les anciens, mais plutot de les enrichir, de les completer. C'est ä la lumiere de tels faits qu'il faut reexaminer l'image des nains et des geants: loin de se reduire ä l'interpretation pessimiste precedemment evoquee, eile souligne que les modernes, juches sur les epaules de leurs glorieux predecesseurs, peuvent fouiller du regard un horizon jusqu'alors inexplore. Quanto juniores, tanto perspicaciores... Cette progression verticale, si j'ose dire, s'accompagne d'un deplacement horizontal, geographique. Je fais ici allusion au fameux theme de la translatio. Selon lui, le pouvoir (translatio imperii) tout autant que le savoir (translatio stud.it) ont au fil des siecles glisse d'Orient en Occident, en passant par la Grece et Rome. II vaudrait la peine d'etudier avec precision l'articulation mutuelle entre les deux aspects du theme, la succession des empires decrite par Otton de Freising et le flux culturel evoque par Chretien de Troyes, et le lien entre politique et sagesse que leur entrecroisement suggere. Ce concept de translatio n'est-il pas la fa5on qu'a l'epoque de penser le devenir historique en termes quasi-hegeliens d''Aufhebung, d'integration — depassement? Le prologue du Cliges auquel je viens de faire allusion est en tous cas parfaitement clair ä cet egard: il faut que la Grece et que Rome aient ä jamais peri pour que ce qu'il nomme „France" prenne leur relais et ranime la „vive braise" eteinte en ses anciens foyers.'5 22

Cf. Glauche, Günther, Schullektüre im Mittelalter. Entstehung und Wandlungen des Lektürekanons bis 1200 nach den Quellen dargestellt (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 5), München 1970, p. 10-61. 23 Dialogus super auctores, id. Huygens, R.B.C., Leiden 1970, p. 79-122. 24 fid. Faral, Edmond, in: Les Arts po&iques du XII' et du ΧΙΙΓ siäcle. Recherches et documents sur la technique littdraire du moyen äge, Paris 19711, p. 358-361. 25 Ce nos ont nostre livre apris / Que Grece ot de chevalerie / Le premier los et de clergie, / Puis vint chevalerie a Rome / Et de la clegie la somme, / Qui or est en France venue / (...) Dex Γ [sc. la gloire] avoit as altres prestee, / Que des Grezois ne des Romains / Ne dit en mais ne plus ne mains, / D'eus est la parole remese / Et es-

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II n'est done plus question pour les ecrivains de gerer vaille que vaille un precieux heritage, mais de creer en y puisant de nouvelles richesses. Cet enthousiasme conquerant adopte volontiers les accents de la polemique, surtout dans le dernier quart du siede. Si Jean de Salisbury considere encore avec une suspicion hautaine les modernes de son epoque, les meilleurs representants de la generation de 1180 proclament haut et fort qu'ils n'ont pas ä s'excuser d'etre jeunes. Dans la preface ä son Alexandreide, Gautier de Chatillon admet son inferiorite vis-ä-vis de Virgile et d'Homere, mais sur un ton qui laisse entendre qu'il n'en pense absolument rien, et pour ajouter que du moins il affronte une entreprise vierge de tout precedent, puisque l'histoire d'Alexandre n'a jamais ete ecrite en vers.*6 Son contemporain Joseph d'Exeter, auteur de l'autre grande epopee ä sujet antique du ΧΙΓ siecle, une Made, s'exclame, plus brutal: „Si, ä nos contemporains, rien de neuf ne semble etre doux, rien ne parait utile de ce qu'enfantent les vertes annees, si Ton se borne ä faire memoire de l'äge d'or de Saturne et que nulle faveur ne va aux talents du novice, aie quand meme I'audace, δ jeunesse, de la difficulte! Iis sont chenus par le menton; nous, soyons-le par le mental..." "

Quant a Gautier Map, il conclut la lettre qu'il a placee sous l'autorite contrebandiere de Valere Maxime et qui, de ce fait, a rencontre un grand succes, en ces termes: „Mon seul delit, e'est d'etre en vie (...). Lorsque mon corps aura pourri, alors seulement cette oeuvre deviendra savoureuse; ses defauts seront tous excuses par mon deefcs et, dans le lointain avenir, mon antiquite fera de moi une autorite, car, aujourd'hui comme hier, on juge le vieux cuivre superieur ä l'or neuf (...). Chaque siecle a en horreur sa propre modernite [on rencontre ici le premier emploi non pejoratif du terme modemitas, alors vieux d'un peu plus d'un

16 27

teinte la vive brese. Chretien de Troyes, Cliges, v. 30-35 et 40-44, id. Mela, Charles, et Collet, Olivier (Lettres gothiques), Paris 1994, p. 44-46. Galteri de Castellione Alexandreis, ed. Colker, Marvin (Thesaurus Mundi 17), Padova 1978, p. 3-5. Si nostris nil dulce novum, nil utile visum Quod teneri pariunt anni, si saecula tantum Aurea Saturni memorant et nulla recentis Gracia virtus, aude tamen ardua, pubes ! Mento canescant alii, nos mente... . Joseph Iscanus, Daretis Frigii Ylias 1, 15-19, ed. Gompf, Ludwig (Mittellateinische Studien und Texte 4), Leiden/Köln 1970, p. 77.

La creation litteraire du ΧΙΓ siecle vis-ä vis de la tradition

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siecle18] et tous les äges, depuis l'origine, ont prefere celui qui les avait precedes". 2 ' Redoutable critique, par antiphrase, du principe meme de l'auctoritas: si l'aloi d'un ecrit n'est fonction que du temps qui s'ecoule, alors ils s'equivalent tous. Ainsi, avec une lucidite tranchante, Map annonce-t-il dejä la proposition stendhalienne selon laquelle la modernite d'aujourd'hui est le classicisme de demain. Portees par ces jugements optimistes et sürs d'eux-memes, quelles sont les innovations litteraires du Χ Ι Γ siecle, äge d'or inconteste de la litterature mediolatine? II serait bien trop long d'en etablir l'inventaire exhaustif, et je renvoie pour cela ä la remarquable synthese de Pascale Bourgain sur „le tournant litteraire du milieu du Χ Ι Γ siecle"'". De son propos circonstancie, je retiens deux traits dominants. ι. Le premier est l'emprise sur l'ecriture de la rhetorique. Ce n'est certes pas que l'on ignorait auparavant les preceptes de cette science et que Γοη negligeait de les appliquer. Mais ils sont desormais raisonnes et systematises. Par 1'effet de ce que j'appelle ailleurs un „bricolage inventif', les regies de l'eloquence ciceronienne sont adaptees avec une rigueur toute formaliste ä des genres pour lesquels elles n'etaient pas c o g u e s , la lettre ofFicielle ou amicale, ä travers 1 'ars dictaminis, ou, de faijon plus inattendue, les enonces poetiques tels que les decrivent les poetriae qui fleurissent en nombre ä partir de la fin du siecle. Comme l'ont montre les historiens de la litterature, la poetique du temps est celle de la surcharge ornementale, de la saturation du discours par les figures. Si les compositions les plus reussies de Tage carolingien sont, du point de vue stylistique, parfaitement equivalentes ä Celles de l'Antiquite tardive, les poemes en vers metriques ecrits apres

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Sur l'histoire du mot 'modernus', d'abord utilise dans des acceptions purement techniques, pour se charger ensuite, ä partir de la querelle des investitures, de connotations franchement depreciatives, voir Chenu, Marie-Dominique, Antiqui, Moderni, in: Revue des sciences philosophiques et theologiques 17 (1928) p. 82-94; Freund, Walter, Modernus und andere Zeitbegriffe des Mittelalters (Neue Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung 4), Köln/Graz 1957; Hartmann, Wilfried, „Modernus" und „Antiquus": zur Verbreitung und Bedeutung dieser Bezeichnungen in der wissenschaftlichen Literatur vom 9. bis zum 12. Jahrhundert, in: Antiqui und Moderni, ed. Zimmermann (note 4), p. 21-39.

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Hoc solum deliqui, quod vivo (...). Cum enim putuerim, tum primo [epistula] sal accipiet totusque sibi supplebitur decessu meo defectus et in remotissima posteritate michi faciet auctoritatem antiquitas, quia tunc ut nunc vetustum cuprum preferetur auro novello (...). Omnibus seculis sua displicuit modernitas et quevis etas a prima preteritam sibi pretulit. De nugis curialium 4, 5, ed. James et alii (note 14), p. 312. In: Gasparri, Fran^oise (ed.) Le ΧΙΓ sifccle. Mutations et renouveau en France dans la premiere moitie du ΧΙΓ siecle (Cahiers du Leopard d'Or 3), Paris 1994, p. 303-323.

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1 1 2 0 rendent un son tout different. O n pourrait en f o u r n i r maints exemples. J e m e bornerai ä en citer d e u x , extraits Tun et l'autre de p o e m e s qui traient le t h e m e classique par excellence, la guerre de T r o i e (mais la fa^on d o n t Pierre R i g a , d a n s son epopee biblique intitulee Aurora,

reecrit le texte sacre n'est en

rien differente). V o i c i d o n e c o m m e n t le c h a n o i n e parisien S i m o n C h e v r e d ' O r , dans sa transposition en distiques de Yexcidium

Troiae, glose le qualificatif tradi-

tionnel d ' f i n e e , l'epithete pitts: „ T u souhaites connaitre son coeur? il est sage. Sa parole? eloquente. Son apparence? belle. Son lignage? sublime. Tout cela, et le reste, il le tire, en petit-fils de Zeus et de Priam, du sang des rois comme de celui des dieux. Si tu approuves les prouesses, il est preux, guerrier eprouve; la ρϊέτέ: il arracha, d'une main pieuse, les dieux ä l'incendie". E t le poete de conclure, en toute modestie, ce beau d e v e l o p p e m e n t p a r les mots: „ V i r g i l e n ' a y a n t pas p u embrasser dans ses vers l ' i m m e n s e etendue d e sa gloire, S i m o n l u i - m e m e n e le peut pas n o n p l u s . . J o s e p h d ' E x e t e r , q u a n t ä lui, declare tirer la matiere de s o n lliade

n o n d u recit enjolive q u ' e n f o n t les poetes V i r g i l e

et H o m e r e , mais d u seul t e m o i g n a g e d i g n e de foi, l'aride c o m p t e r e n d u j o u r n a listique d e D a r e s le P h r y g i e n . M a i s il le fait dans une l a n g u e ä la syntaxe torturee, constellee d ' i m a g e s bizarres. A i n s i , p o u r dire q u ' H e l e n e tient la b l a n c h e u r eclatante de sa carnation d u c y g n e adultere qui seduisit sa m e r e L e d a , il n'hesite pas ä dcrire: „ P a r tous ses m e m b r e s s o u f f l e n t les m e n s o n g e s laiteux d u c y g n e m a t e r n e l . . I I y a, dans cet e x e m p l e extreme, mais de ce fait revelateur, une singuliere discordance entre le parti pris de veracite et l'etrangete, ä la limite d u

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Si pectus queris, sapiens, si verba, disertus, Si formam, pulcher, si genus, altus erat. Ipse Iovis Priamique nepos cum sanguine regum Vel superum pariter cetera queque trahit. Si proba gesta probas, probus est in marte probatus, Si pia facta, pie traxit ab igne deos ( . . . ) . Ipsius immensas complecti carmine laudes N e c Maro prevaluit nec Symon ipse potest. Simon Chevre d'Or, (Pofcme sur la guerre de Troie), v. 423-428 et 435-436, ed. Boutemy, Andri, in: Scriptorium 1 (1946-47) p. 276.

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... totosque per artus Lactea materni spirant mendacia cigni. Ylias 4, 175-176, id. G o m p f (note 27), p. 146. Sur le style de Joseph, voir notam-· ment Sedgwick, Walter Bradbury, T h e 'Bellum Troianum' of Joseph of Exeter, in: Speculum 5 (1930) p. 49-76.

La creation litteraire du XIFsifccle vis-ä vis de la tradition

435

charabia, de l'expression. On notera au passage que, par une ruse rhetorique inverse, Geoffroy de Monmouth, capable d'ecrire des vers aussi compliques que ceux de Joseph (voir sa Vita Merlini), traduit dans le style sec de Dares les inventions fabuleuses de son Histoire des rots de Bretagne. Les deux breves citations qui viennent d'etre faites illustrent assez exactement les deux figures que, contre la tradition rhetorique antecedente, valorisent les ,,nouveaux arts poetiques", ä savoir, au niveau phonetique, la paronomase, ou annominatio, qui fait jaillir le sens du choc sonore des vocables, et la metaphore, translatio - revoici notre terme-cle! - , qui fait voyager les mots au plus loin de leurs significations coutumieres. On aura ä revenir sur le sens de ces preferences." 2. La seconde caracteristique novatrice de l'ecriture litteraire du ΧΙΓ siecle est ce que j'appellerai, faute d'un meilleur terme, le detournement de contexte, pour eviter pastiche ou parodie, trop connotes. Comme on l'a rappele en commen^ant, la litterature latine du moyen age est par nature une litterature au second degrd, qui s'ecrit en palimpseste sur des textes anterieurs. Mais il me semble que le ΧΙΓ sifede fait de l'intertextualite un usage plus ruse, plus pervers, que la periode precedente. Pour tester dans le cadre de la reference troyenne, lorsqu'il s'agissait pour eux d'exalter un heros guerrier et fondateur, Charlemagne, Otton ou Guillaume, les panegyristes farcissaient tout naturellement leurs epopees de references a \'£neide. Au debut de son Historia, lorsqu'il s'apprete ä retracer la geste de Brutus, pere de la race bretonne, qui rejoue ä bien des egards celle d'finee, Geoffroy de Monmouth liquide en trois phrases lapidaires l'intrigue entiere du poeme virgilien: „Apres la guerre de Troie, finee, fuyant la ville devastee avec son fils Ascagne, atteignit l'ltalie par mer. Comme le roi Latinus l'y avait accueilli avec les honneurs, Turnus, rois des Rutules, en prit ombrage et lui livra bataille. Au cours de ce combat, finee eut le dessus et tua Turnus".' 4 Difficile de ne pas voir dans cette reduction drastique une intention

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Nous avons par ailleurs entrepris d'analyser de fa^on circonstanciee les causes de la valorisation singuliere de ces deux figures par les theoriciens medievaux de la poetique dans notre ouvrage Des mots ä la Parole. Une lecture de la 'Poetria nova' de Geoffroy de Vinsauf, Geneve 2000, p. 122-134 e t 142-144. Eneas post Troianum bellum excidium urbis cum Ascanio filio suo diffugiens navigio Italiam adivit. Ibi cum a Latino rege honorifice receptus esset, invidit Turnus rex Rutilorum et cum illo congressus est. Dimicantibus ergo illis prevaluit Eneas perem(it)que Turn(um). Geoffrey of Monmouth, Historia regum Britanniae, 6, ed. Wright, Neil, Cambridge 1985, p. 2.

43 6

Jean-Yves Tilliette

ironique et l'indice qu'finee, et la puissance romaine, doivent etre depasses par meilleur et par plus fort qu'eux." Or, la prise de distance ironique vis-ä-vis des modeles me parait constituer la caracteristique majeure de seul genre litteraire latin vraiment neuf au Χ Ι Γ siecle, a savoir la poesie lyrique, en vers rythmes et non plus mesures, de contenu profane. La reference est lä non plus tant au corpus de la litterature antique qu'a la liturgie et peut-etre ä la poesie des troubadours. Le propos desacralisant de la poesie dite goliardique est bien connu. II suffit d'evoquer la plus ancienne chanson d'amour du moyen age, le poeme lam dulcis arnica venito, qui n'est sans doute, contrairement ä l'opinion resue, guere anterieure au milieu du XT siecle'6 et joue avec une ambigu'ite raffinee sur le double registre de l'erotisme et du mysticisme.'7 Les jeux de l'equivoque et du double sens, les effets du travestissement burlesque (nouvelle manifestation de transfert semantique, de translatio) s'incarnent notamment dans la strophe cum auctoritate, qui pose en conclusion de trois vers grivois ou sarcastiques une grave sentence de Seneque ou de Caton, la detournant ainsi totalement de son sens premier.'8 Cette manipulation joyeuse des codes litteraires se manifeste de fa^on specialement visible dans la topique: les lieux communs ne sont pas, contrairement ä ce qu'essayait d'etablir Curtius, ces etres de langages immuables, temoins privilegies de la perennite de la tradition. Tout au contraire, ils signifient selon l'emploi specifique que Ton veut bien faire d'eux. Voyons par exemple ce qu'il en est de celui du locus amoenus, le lieu de plaisance, si eher au cceur du savant allemand.39

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39

Cf. Tilliette, Jean-Yves, Invention du recit: La „Brutiade" de Geoffrey de Monmouth (Historia regum Britanniae, § 6-22), in: Cahiers de Civilisation Medievale 39 (1996) p. 217-233. Selon l'etude, encore inedite, conduite par notre elfcve, M. Ricardo Bentsik, et presentee par lui dans le cadre d'une conference ä l'Institut d'Histoire de la Reformation de Geneve le 12 fevrier 2001. La tradition critique a plutöt tendance ä attribuer ce texte au X' siecle, mais sur des bases fragiles. Cf. Dronke, Peter, The Song of Songs and Medieval Love-Lyric, in: The Bible and Medieval Culture, ed. Lourdaux, W., et Verhelst, D. (Mediaevalia Lovaniensia Series I /Studia VII), Leuven 1979, p. 236-262. Cf. Schmidt, Paul Gerhard, The Quotation in Goliardic Poetry: The Feast of Fools and the Goliardic Strophe 'cum auctoritate' in: Latin Poetry and the Classical Tradition. Essays in Medieval and Renaissance Literature, ed. Godman, Peter, et Murray, Oswin, Oxford, 1990, p. 39-55. Curtius, La Litterature europeenne (note 4), t. 1, p. 301-326. Sur le caractere fondateur de cette representation dans le projet intellectuel et moral du savant allemand, voir Jacquemard-de Gerneaux, Christine, Ernst Robert Curtius (1886-1956). Origi-

La creation litteraire du XII'siecle vis-ä vis de la tradition

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Le paysage idyllique renvoie d'abord, pour les bucoliques pai'ens, ä Tage d'or et ä l'innocence primitive; tres logiquement, les premiers poetes chretiens en font le cadre du paradis terrestre, du jardin d'fiden;4" puis, les moines des X' et XI' siecles (et encore Metellus de Tegernsee) l'identifieront au site oü un pieux fondateur a choisi d'implanter leur abbaye;4' mais il sera aussi le decor oü les goliards instalient leurs bergeres peu farouches, celui oü, si Ton en croit Andre le Chapelain, le dieu d'Amour a etabli sa cour, tandis que les dames vertueuses subissent, quant ä elles, les tourments de l'enfer.41 Selon les temps et les contextes, les intentions de la monotone description varient du tout au tout. Si, comme l'affirme Pierre de Blois, l'autorite a un nez de cire, celui-ci n'aura jamais ete tordu avec plus de jubilation que par les ecrivains du ΧΙΓ siecle. II aurait enfin fallu faire droit ä une troisieme modalite - la plus spectaculaire et la plus lourde de consequences historiques - de la translatio, je veux parier de l'essor formidable des oeuvres litteraires en langues vulgaires, qui se definissent d'abord elles-memes en terme de traduction. J'y renonce, faute de competence, et me borne ä rappeler que le mot de „roman", avant de designer un genre litteraire appele ä un fort bei avenir, renvoie d'abord a une operation linguistique: c'est la transposition dans la langue maternelle, en vue de l'adapter au gout du public feodal, du recit des exploits des grands heros antiques, Alexandre et finee, Polynice et Achille, ou aussi bien chretiens, Apollonius de Tyr, Lucinius, disciple des Sept sages de Rome. Dans leur lignee va s'inscrire en litterature une nouvelle memoire, celle des rdcits bretons. Comme l'a soigneusement etabli Francine Mora-Lebrun4', les mesaventures courtoises et chevaleresques d'Eneas prefigurent et annoncent Celles d'Erec et de Lancelot. Reste pour finir ä rendre raison globalement de ces mutations ä la fois insidieuses et brutales du langage litteraire, ä travers, s'il se peut, le denominateur commun aux formes diverses et multiples que prend la translatio. A titre tres conjectural, je suggererai l'hypothese suivante: la figuralite du discours et le jeu des deplace-

nes et cheminements d'un esprit europeen (Contacts - ßtudes et documents 43), Bern/Berlin/Frankfurt/New York/Paris/Wien 1998, p. 382-392. 40 Par ex. Avit de Vienne, Histoire spirituelle 1, 191-298, ed. et trad. Hecquet-Noti, Nicole (Sources chretiennes 444), Paris 1999, p. 121-124 et 154-167. 41 Cf. Von der Nahmes, D., Über Ideallandschaft und Klostergründungsorte, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, 84, 1973, p. 195-270. 42 Andreas Capellanus, De amore libri tres 1, 6 D, ed. Trojel, E., Kobenhavn, 1892, p. 88-104. 43 „L'fin&de" medievale et la naissance du roman, Paris 1994.

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Jean-Yves Tilliette

ments ironiques — tout comme aussi le bilinguisme - indexent, chacun ä sa miniere, le fait que les mots de la litterature ne sont plus desormais transparents ä eux-memes, ne sont plus percjus comme immediatement adequats aux choses qu'ils designent. Les parades de la rhetorique n'ont pas pour fin ultime la pure jouissance echolalique, mais au contraire le besoin ardent de creuser le sens, en cernant, par approximation ou analogie, une realite qui se derobe, et dont le detournement parodique souligne le caractfcre incertain et fugace; l'accession des parlers vulgaires ä la dignite de langues litteraires atteste quant ä eile que l'expressivite n'est plus l'apanage d'un idiome unique et univoque. En somme, la litterature du ΧΙΓ siede porte le deuil de la conception realiste du langage (le mot comme signe de la ,,chose-en-soi") activee par la tradition grammaticale d'inspiration isidorienne. II me semble que ce phenomene traduit l'influence conjointe de deux pensees, souvent pe^ues pourtant comme antagonistes. Tout d'abord, la reflexion linguistique promue par la logtca modernorum, et au premier rang la semantique abelardienne. Irene Rosier a bien montre que le concept de translatio (toujours lui!), tout ä fait peripherique dans la logica vetus de Boece, devenait l'instrument central de l'analyse de la signification elaboree par Abelard dans ses commentaires aux Categories et au Perihermeneias. Translatio, le transfert semantique (dont la metaphore est une realisation parmi d'autres), denote le deplacement de sens induit par le contexte particulier du terme, qui en entraine un usage impropre, different de celui defini par son imposition premiere.44 Cela revient ä constater que, dans un environnement aussi connote que celui du langage litteraire, le sens du mot ne peut etre celui que lui confere Γ usage courant. Cependant, si les mots des poetes ne disent pas ce qu'ils ont l'air de dire, c'est l'effet non seulement de leur position dans la chaine syntaxique, mais aussi de leur epaisseur semantique propre. Celle-ci est mise en evidence par la seconde influence dont je repere la trace, celle de la pensee chartraine. L'authentique coup de force des maitres de l'ecole de Chartres a ete, selon moi, d'appliquer les principes de la lecture allegorique, jusqu'alors reservee au seul texte inspire de la Bible, aux grandes oeuvres profanes, Celles de Virgile, Stace ou Ovide. lis ont ainsi postule que, sous la chatoyance des discours et des recits git une verite profonde et cachee, d'ordre moral ou philosophique. II revient au lecteur de la dechiffrer sous les mots et, par un mouvement symetrique, ä l'ecrivain de la parer du voile verbal qui en revelera les contours. Tel est bien le propos d'un Alain de Lille, et aussi d'un Chretien de Troyes ou d'une Marie de France: 44

Rosier, Ir£ne, Evolution des notions d' 'equivocatio' et 'univocatio' au XII' siecle, in: L'Ambigui'te. Cinq Etudes historiques, id. Rosier, Irtne, Lille 1988, p. 103-166 (m-117).

La creation littäraire du ΧΙΓ siecle vis-a vis de la tradition

439

„ Custume fu as anciens (...) Es livres que jadis feseient Assez obscurement diseient Pur ceux qui a venir esteient Ε ki apprendre les deveient K'i peüssent gloser la lettre Ε de leur sen le surplus mettre".45 Ce retour ä Chartres nous ramene au vieux maitre Bernard, ä ses geants et ä ses nains. L'image n'a pas ä etre interpretee en termes de decadence, mais pas non plus en termes de progres lineaire, au sens que le catechisme positiviste a donne ä ce mot. Malgre Gautier Map, je ne crois pas que les hommes du ΧΙΓ siede se pensent comme les geants de futurs nains. Comme le suggerent les vers de Marie de France qui viennent d'etre cites, la superiorite des modernes sur les anciens n'est pas de savoir plus qu'eux, mais de le savoir mieux, de comprendre enfin, grace ä la glose, ce que, sans le savoir, ils ont voulu dire. Le rapport entre geants et nains est done plutot ä entendre, selon moi, en relation avec une histoire cesuree par l'evenement de la Revelation, comme typologique. Les temps d'apres l'Incarnation sont vecus comme la completion, l'accomplissement des temps passes. Ainsi, au vitrail du transept Sud de Notre-Dame de Chartres, les evangelistes chevauchent les quatre grands prophetes. La sagesse, souligne Chretien ä l'aide d'un verbe que Ton n'a pas suffisamment commente, n'avait ete que pretee (et par qui, sinon par Dieu?) ä la Grece et ä Rome. La voici de retour dans sa vraie demeure, oü il convient de la faire resplendir. Un tel point de vue informe en profondeur les conceptions de la beaute litteraire. Munis des nouveaux instruments de la logique et de l'exegese, les ecrivains du ΧΙΓ siecle cessent enfin d'etre fascines par le mirage d'une restauration. Prendre conscience de l'impropriete du langage ä dire le Vrai et le Beau ideal, c'est du meme coup mettre ä distance les verites et les beautes perissables et datees des modeles antiques; c'est aussi mettre en branle le processus d'une creation tendue vers cet horizon d'attente qu'est l'absolu divin. Dante laisse Virgile au seuil du paradis: il ne fait lä que suivre la voie que lui avaient tracee les poetes et poeticiens du ΧΙΓ siecle.

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Prologue, ν. 9-16, ed. Rychner (note 17), ρ. 1.

W a n n werden die Klassiker klassisch? Überlegungen zur Wirkungsweise und zum Geltungsbereich literarisch-ästhetischer Innovation im deutschen Hochmittelalter Nikolaus Henkel

W e r mit den Begriffen Klassik und klassisch umgeht, bewegt sich auf unsicherem Terrain. Etwas zu leicht hatte es sich wohl - jedenfalls aus heutiger Sicht der alte Goethe gemacht, der sich in einem von Eckermann reponierten Tischgespräch am 2. April 1829 folgendermaßen dazu äußerte: „Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke. U n d da sind die Nibelungen klassisch wie der Homer, denn beide sind gesund und tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, und das Alte nicht klassisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist. W e n n wir nach solchen Qualitäten Klassisches und Romantisches scheiden, so werden wir bald im Reinen sein."' Goethes Prognose einer leichten Lösung des Klassik-Problems hat sich - die reiche Forschung erweist es - nicht erfüllt. D o c h uns sollen auch hier weder Goethes metaphorische Kategorienbildung und ihre Zeitgebundenheit noch die Wort- und die Begriffsgeschichte von Klassik interessieren, sie sind unlängst überzeugend zusammengefasst worden. 1 Vielmehr gelten die folgenden Ausführungen einem eng begrenzten Problem, der sog. Höfischen Klassik der deutschen Literatur um 1200. Sie ist ein ex post geprägtes literarhistorisches „Werkzeug" wie nahezu alle Kategorien, mit denen der Wissenschaftler umgeht. U n d so hat Ursula Schulze die Höfische Klassik prägnant beschrieben als ein im 19. Jahrhundert entstande-

1

2

Eckermann, Johann Peter, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, hg. von Schlaffer, Heinz (= Goethe, Johann Wolfgang, Sämtliche Werke [Münchner Ausgabe] 19), München 1986, S. 300, 20-29. Thome, Horst, Klassiki, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 2, Berlin/New York 2000, S. 266-270. Vgl. außerdem: Weitmann, Pascal, Die Problematik des Klassischen als Norm und Stilbegriff, in: Antike und Abendland 35 (1989) S. 150-186.

442

Nikolaus Henkel

nes „Epochenkonstrukt, das die Literatur zwischen 1 1 7 0 und 1230 (in Analogie zur Weimarer Klassik) als Höhepunkt der deutschen Literatur und als normsetzend für die Folgezeit heraushebt".' Im folgenden Beitrag geht es indes nicht um dieses erst im 19. Jahrhundert erscheinende Konstrukt. Vielmehr verfolgt er drei Ziele: Z u m einen richtet er sich auf die deutsche Literatursituation um 1 2 0 0 und auf die dort zu beobachtende Konstruktion klassischer Autorschaft und die dabei zugrundegelegten Parameter literarisch-ästhetischer Wertung sowie auf die daraus folgende Kanonbildung (I.). Z u m andern gilt er dem Wirksamwerden des Kanons im Laufe des 13. Jahrhunderts (II.). Schließlich sind die Werke in den Blick zu nehmen, die außerhalb der exkludierenden Grenzen des Kanons stehen, jedoch zeitgleich mit ihm tradiert werden (III.). Verbunden sind die drei Teile durch die gemeinsame Frage nach der Entstehung, der Wirkungsweise und dem Geltungsbereich literarisch-ästhetischer Innovationen in der Zeit um 1200 und im Fortgang des 13. Jahrhunderts. Abschließend werden Probleme der literarischen und insbesondere literarhistorischen Wertung der Texte um 1200 untersucht (IV.).

I. Im .Tristan'-Roman Gottfrieds von Straßburg, entstanden um 1210, haben wir ein singuläres, aber authentisches Zeugnis, wie um 1 2 0 0 ein literarischer Kanon konstruiert werden konnte, und zwar unmittelbar bezogen auf die Gegenwart und die zeitnahe Vergangenheit. 4 Es handelt sich um einen Exkurs, der bruchlos

3

Schulze, Ursula, Höfische Klassik, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 2, Berlin/New York 2000, S. 64-67 und Thomd, Klassik 1 (Anm. 2). Siehe dazu auch den älteren Beitrag von Gumbrecht, Hans Ulrich, „Mittelhochdeutsche Klassik". Über falsche und berechtigte Aktualität mittelalterlicher Literatur, in: LiLi 11 (1973), S. 97-116; Haug, Walter, Klassikerkataloge und Kanonisierungseffekte. Am Beispiel des mittelalterlich-hochhöfischen Literaturkanons, in: Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation II, hg. v. Assmann, Aleida und Jan, München 1987, S. 259-270; Brinker-von der Heyde, Claudia, Autorität dank Autoritäten. Literaturexkurse und Dichterkataloge als Mittel zur Selbststilisierung, in: Autorität der/in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997, hg. v. Fohrmann, Jürgen, 2 Bde., Bielefeld 1999, Bd. 2, S. 442-464.

4

Ich zitiere nach der Ausgabe: Gottfried von Straßburg, Tristan, hg. v. Marold, Karl. Dritter Abdruck mit einem durch F. Rankes Kollationen erweiterten und verbesserten Apparat besorgt und mit einem Nachwort versehen von Werner Schröder, Berlin 1969 (und spätere Nachdrucke); hilfreich ist der Kommentar in der Ausgabe

Wann werden die Klassiker klassisch?

443

eingelagert ist in den Fluss der Handlung, und zwar an der Stelle, an der die Schwertleite des jungen Tristan am H o f e seines ihm noch unbekannten Onkels Marke geschildert werden müsste. 5 D o c h Gottfried scheut vor der an dieser Stelle gattungsmäßig kompositionell obligaten Descriptio dieses festlichen Ereignisses zurück (v. 4587—4618). Er begründet das mit einem Argument der Sprachskepsis: Die Prachtentfaltung solch eines höfischen Ereignisses könne er nicht angemessen wiedergeben, da das Mittel der Sprache so abgenutzt sei, dass niemand mehr an solch einer Beschreibung Freude haben könne (v.

4616-

4 6 2 0 ) . ' U n d sogleich beginnt Gottfried mit einer revueartigen Vorstellung einer Reihe von Autoren seiner Zeit, zunächst mit Hartmann von Aue, dem eine Gruppe ungenannter literarischer Antipoden folgt, sodann Bligger von Steinach und schließlich, als der Begründer höfischer Dichtung, Heinrich von Veldeke. A u f diese hauptsächlich als Romanautoren gewürdigten N a m e n folgen die nahtegalen, die Minnesänger Reinmar von Hagenau und Waither von der Vogelweide.

Gottfried von

Straßburg,

Tristan.

Mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch,

hg.

v.

Krohn, Rüdiger, Bd. 3: Kommentar, 4., durchges. Aufl., Stuttgart 1995. Die gegenwärtig beste Einführung in Gottfrieds Werk gibt Huber, Christoph, Gottfried von Straßburg, Tristan, 2., verb. Aufl., Berlin 2001; zum Literaturexkurs hier S. 61-65. 5

Der Literaturexkurs ist die wohl am häufigsten interpretierte Passage des Werks. Ich verweise nur auf wenige Titel. Besonderes Gewicht haben nach wie vor die folgenden gleichzeitig erschienenen Arbeiten: Fromm, Hans, Tristans Schwertleite, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 41 (1967) S. 333-350; Hahn, Ingrid, Z u Gottfrieds von Straßburg Literaturschau, in: Zeitschrift für Deutsches Altertum 96 (1967) S. 2 1 8 236; Schulze, Ursula, Literarkritische Äußerungen im Tristan Gottfrieds von Straßburg, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 88, Tübingen 1967, S. 285-310. Eine gute Zusammenfassung und Verarbeitung der Forschung bietet die Bochumer Dissertation von Müller-Kleimann, Sigrid, Gottfrieds Urteil über den zeitgenössischen Roman. Ein Kommentar zu den Tristanversen 4619-4748 (Helfant Studien 6), Stuttgart 1990. Einen methodisch äußerst anregenden Beitrag zur Bedeutung Gottfrieds fiir die Herausbildung einer Tradition volkssprachiger Literatur im Hochmittelalter hat vorgelegt: Kellner, Beate, Autorität und Gedächtnis. Strategien der Legitimierung volkssprachlichen Erzählens im Mittelalter am Beispiel von Gottfrieds von Straßburg .Tristan', in: Autorität der/in Sprache, Literatur, Neuen Medien (Anm. 3), Bd. 2, S. 484-508.

6

Dabei weiß der Hörer bzw. Leser, der den Roman bis hierher verfolgt, wie vollendet Gottfried das Mittel der poetischen Beschreibung beherrscht, sichtbar etwa an der Beschreibung des Pfingstfestes bei König Marke (v. 524-584) oder der Schönheit der Blanscheflur (v. 625-649).

Nikolaus Henkel

444

In wohlberechnender Absicht beginnt G o t t f r i e d nicht mit dem chronologisch frühesten A u t o r Heinrich von Veldeke, sondern mit H a r t m a n n von A u e , dem Verfasser zweier Artusromane nach Vorlagen des Chrestien de Troyes: Hartman der Ο u w i r e , 4620

ähi, wie der diu m s r e beide uzen unde innen mit Worten und mit sinnen durchverwet und durchzieret! wie er mit rede figieret

4615

der äventiure meine! wie luter und wie reine sine kristallinen wortelin beidiu sint und iemer müezen sin! si koment den man mit siten an,

4630

si tuont sich nähe zuo dem man und liebent rehtem muote. swer guote rede ze guote und ouch ze rehte kan verstän, der muoz dem Ouwasre län

4635

sin schapel unde sin lörzwi. (v. 4619-4635)

.Hartmann von Aue, (4620) ja, wie der seine Geschichten sowohl in ihrer äußeren Gestalt als auch in ihrem Gehalt mit der Wahl seiner Wörter wie auch in der Stiftung von Sinn farbig fasst und verziert! Wie genau er mit seiner sprachlichen Gestaltung trifft, (4625) was die Geschichte sagen will! Wie lauter und makellos seine kristallklaren Wörter sind und (allzeit) bleiben sollen! Sie nahen sich dem Leser mit edlem Anstand (4630) und gefallen dem, der die rechte Einstellung dazu hat. Jeder, der es versteht, eine (so) vollendete Sprachgestalt in rechter Weise aufzunehmen, der muss auch dem von Aue (4635) seinen Siegerkranz und Lorbeer belassen.' N a c h der N e n n u n g von Hartmanns von A u e N a m e n gibt das einleitende ähi (v. 4 6 2 0 ) den T o n staunenden Bewunderns vor, der die folgende Passage prägt. 7 D i e Unterscheidung von „außen" und „innen" des sprachlichen Kunstwerks, denen im folgenden Vers die K o m p o n e n t e n W o r t und S i n n korrespondieren,

7

Ich verzichte hier auf die Einzelnachweise aus der reichen Forschungsliteratur und verweise nur auf die entsprechenden Referate der in Anm. 4 und 5 genannten Kommentare.

Wann werden die Klassiker klassisch?

445

sowie die stilistischen Mittel der colores und des ornatus (durchverwet und durchzieret, v. 4623), schließlich die in den kristallinen wortelin (v. 4627) ausgedrückte Makellosigkeit der rhetorisch-stilistischen claritas und perspicuitas werden gerühmt, schließlich kommen (v. 4629^) auch noch die auf das ästhetische Empfinden des Menschen wirkenden und ihn erfreuenden Kräfte der Kunst ins Wort. Was Gottfried hier versammelt, sind die zentralen Kategorien der Poetik, die hier erstmals und in solch kohärenter Dichte in der Volkssprache formuliert werden.8 Und es ist eine Poetik, die nicht nur den „technischen" Aspekt der Sprachgestalt im Auge hat, sondern auch den ethischen einer jeden Kunst. Deshalb muss jeder, so beschließt Gottfried diesen Abschnitt, der ein Gespür für sprachliche Kunst hat, Hartmann den Lorbeerkranz lassen, den Gottfried ihm bereits zugesprochen hat. In der Tat gibt es kaum eine Untersuchung zu Hartmann von Aue, die ihm nicht, Gottfried zitierend, die stilistische Klarheit seiner kristallinen wortelin (v. 4627) nachrühmt.' Aber es geht hier nicht oder doch nicht n u r um das Lob dieses einen Autors. Vielmehr instrumentalisiert Gottfried den Rekurs auf Hartmann, um zentrale und verbindliche Kategorien literarischer Wertung und eine ethische Fundierung von Kunst zu etablieren, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen. Und es sind eben diese Kategorien, unter denen Gottfried zuerst einmal sein e i g e n e s Werk gewertet wissen will. Dem kundigen Leser oder Hörer der Zeit um 1210, der Hartmanns Werk kannte, fällt nämlich auf, dass sich in dessen gesamtem Werk keine einzige Passage findet, die in solch sprachlicher Dichte und stilistischer Eleganz poetologische Terminologie und ästhetische Kategorien formulierte, wie Gottfried das hier tut. Damit markiert Gottfried gleichzeitig den qualitativen Sprung in der Erfüllung der gesetzten Kategorien, durch den sich sein Werk von dem Hartmanns unterscheidet. Schließlich ist die zitierte Passage auch deshalb bedeutsam, weil hier zum ersten Mal in der deutschsprachigen Literatur die Institution des Kunstrichters in den Blick gerückt wird, dessen, der Kennerschaft und Urteilsfähigkeit besitzt: Er muss Hartmann seinen Siegerkranz und seinen Lorbeer lassen. Gottfried sagt nicht ausdrücklich, wer in seinen Augen zum Kunstrichter berufen ist, eigentlich

8

Siehe zur Rekonstruktion einer hochmittelalterlichen Poetik in der Volkssprache Haug, Walter, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. V o n den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Eine Einführung, 2., verb. Aufl., Darmstadt 1992; zu Gottfried von Straßburg bes. S. 1 9 1 - 2 2 1 . Siehe zur ersten Auflage auch die weiterführende Rezension von Huber, Christoph, in: Anzeiger für deutsches Altertum 99 (1988) S. 6 0 - 6 8 .

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Freilich steht eine einlässliche Untersuchung der Stilistik immer noch aus.

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genügt, dass er sich den von Gottfried etablierten Kategorien anschließt und nach ihnen verfährt.' 0 Aber es dürfte noch eine zweite Bedingung für den Kunstrichter geben. Der Lorbeer als Auszeichnung des Dichters ist um 1200 nur über die Klassikerlektüre eines Horaz, Vergil oder Ovid bekannt. Die Vergabe des Lorbeers und mit ihr das Amt des Kunstrichters setzen, um verstanden zu werden, diese Lektüre voraus." Die hier etablierte literarisch-ästhetische Deutungs- und Bewertungskompetenz ist also eindeutig auf die Schicht der Litterati bezogen.' A n zweiter Stelle unter den gerühmten Autoren steht Bligger von Steinach, dessen Gottfried noch bekanntes Werk, auf das er sein Urteil bezieht, offenbar schon im Laufe des Mittelalters verloren ging (v. 4 6 8 9 - 4 7 2 0 ) . ' ' W i e Hartmann beherrscht auch Bligger die colores rhetorici und wird deshalb von Gottfried unter die verware (v. 4689) gezählt. Noch ist der verwahre mer: 4690

von Steinahe BlikSr, diu siniu wort sint lussam. [... ]

4703

sin zunge, diu die harphe treit diu hat zwo volle saslekeit:

4705

daz sint diu wort, daz ist der sin. [... ] (v. 4689-4691; 4703-4705)

10

Ein ganz vergleichbares Verfahren werbender Einbeziehung des Lesers findet sich bekanntlich im Prolog zu Gottfrieds .Tristan' mit der Konstituierung der Gemeinschaft aller Minnenden in der Schar der edelen herzen.

11

Siehe dazu besonders Schulze, Literarkritische Äußerungen (Anm. 5), S. 489ff.; Müller-Kleimann (Anm. 5), bes. S. 68-78 und 8if. Zur Verbreitung des Motivs in der europäischen Literatur siehe Flood, John L., Schapel und lorzwi: Poetic laurels between Antiquity and Renaissance, In: Blütezeit. Festschrift für L. Peter Johnson zum 70. Geburtstag, hg. v. Chinca, Marc, Heinzle, Joachim, Young, Christopher, Tübingen 2000, S. 395-408.

12

Siehe dazu Bumke, Joachim, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 9. Aufl. München 1999, bes. S. 596-609; Henkel, Nikolaus, Litteratus illitteratus. Bildungsgeschichtliche Grundvoraussetzungen bei der Entstehung der höfischen Epik in Deutschland, in: Akten des VIII. Internat. GermanistenKongresses Tokyo 1990. Begegnung mit dem .Fremden'. Grenzen - Traditionen Vergleiche. Bd. 9, München 1991, S. 334-345.

13

Siehe zu den zahlreichen Fällen verlorener Werke Brunner, Horst, Dichter ohne Werk. Zu einer überlieferungsbedingten Grenze mittelalterlicher Literaturgeschichte (mit einem Textanhang: Die Dichterkataloge des Konrad Nachtigall, des Valentin Vogt und des Hans Folz), in: Überlieferungsgeschichtliche Editionen und Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters. Kurt Ruh zum 75. Geburtstag, hg. v. Kunze, Konrad, u.a., Tübingen 1989, S. 1-31.

Wann werden die Klassiker klassisch?

447

(4690) .Bligger von Steinach: seine Wortwahl ist voll Anmut. [... ] Seine Sprache steht im Zeichen der (Orpheus-)Harfe und hat das volle Ausmaß zweifacher Vollkommenheit: hinsichtlich der Wortgestalt und hinsichtlich der Sinnstiftung [.·.].' Wieder sind (äußere) Wortgestalt und die von der Sprache getragene (innere) Sinnstiftung und ihre enge Bezogenheit aufeinander die entscheidenden Wertungskategorien, dazu die präzise treffende Reimtechnik. Und erst nach Bligger wird der Autor genannt, der von nun an bis zu den Literaturgeschichten unserer Zeit als Begründer der Erzählkunst der höfischen Klassik gelten wird: Heinrich von Veldeke. von Veldeken Heinrich 4725

der sprach üz vollen sinnen. wie wol sang er von minnen! wie schöne er sinen sin besneit! ich wasne, er sine wisheit uz Pegases ursprunge nam,

4730

von dem diu wisheit elliu kam. ine hän sin selbe niht gesehen, nu hoere ich aber die besten jehen, die, die bi sinen jären und sit her meister waren,

4735

die selbe gebent im einen pris, er inpfete daz erste ris in tiutscher Zungen: da von sit este ersprungen, von den die bluomen kämen [...]. (v. 4724-4739)

,Heinrich von Veldeke, der sprach aus vollem Kunstverstand. Wie schön sang er von Minne! Wie vollendet hielt er seine Kunstgabe im Zaume! Ich bin überzeugt, er schöpfte seinen Kunstverstand aus der Quelle des Pegasus, woher alle Weisheit kommt. Ich selbst habe ihn nicht (mehr) gesehen, doch höre ich heutzutage die Besten, die schon zu seiner Zeit und auch später meisterhafte Kenner (von Literatur) waren, dass sie an ihm vor allem eines anerkennen: Er war es, der das erste Reis in deutscher Sprache gepfropft hat. Daraus sind später Aste hervorgewachsen, aus denen Blüten sprossen [...].' Seinen Kunstverstand (wisheit) schöpft Heinrich von Veldeke aus dem Quell des Pegasus (v. 4729). Gottfried hat ihn selbst nicht kennengelernt, doch habe er die besten Kenner seiner Zeit diesem Dichter nachrühmen hören (v. 4735), dass er

448

Nikolaus Henkel

das erste Reis in deutscher Sprache gepfropft habe, aus dem später blütentragende Äste emporgewachsen seien. Auch hier sind es also die Kunstkenner, die meister, die das Wissen von den Anfängen höfischen Erzählens weitergeben. Gottfried etabliert hier zwei Kategorien der Vorbildlichkeit. Im Bereich der literarischen Ästhetik liegen die Kategorie der Übereinstimmung von Wort und Sinn, als Formkategorien treten colores und ornatus auf. Sie werden ergänzt durch Felder vegetabiler Metaphern: die Veredlung des Baumes durch Pfropfen, das Wachsen und in Ästen sich Verbreiten sowie die Blüten (flores). Angelagert sind an diese formalästhetischen Kategorien mythologische Bezugspunkte der Dichtkunst wie die Quelle des Pegasus (v. 4729) sowie, an späterer Stelle, der Sänger Orpheus (v. 4788), der Helikon, Apoll und die Musen (v. 4863fr.). Sie sollen den etablierten Kategorien den Charakter der poetologischen „Überzeitlichkeit" verleihen. Mit diesen Kategorien und den angeführten Autoren konstruiert Gottfried einen exkludierenden Zusammenhang ausgewählter zeitgenössischer Literatur: einen Kanon. Doch haben wir hier wie in den folgenden Beispielen die Frage zu stellen, in welchem Verhältnis der Autor Gottfried selbst zu diesem Konstrukt steht. Für denjenigen, der die dem Exkurs voraufgehenden gut 4.500 Verse gelesen oder gehört hat, ist die Antwort klar: Gottfried selbst ist Höhepunkt und Erfüllung des Kanons. Der Klassiker konstruiert seine eigene Klassizität. Mit der so gestalteten Definition des Kanons ist einerseits die Abgrenzung gegenüber der gar nicht mehr genannten voraufgehenden Literatur vollzogen, andererseits die qualitative Überlegenheit der kanonisierten Texte und ihrer Autoren markiert. Dieser Vorgang sucht in der deutschen Literatur des Mittelalters seinesgleichen, und man fragt sich, ob es dafür ein Modell gegeben haben könnte. Und in der Tat: Litterate Autoren wie Gottfried, deren Lektüre der römischen Klassiker bekannt und gut nachweisbar ist, sind selbstverständlich mit Horaz, Vergil und Ovid vertraut, auch mit einer Wendung wie: Exegi monumentum aere perennitts, mit der Horaz im Bewusstsein seiner eigenen Klassizität die letzte Ode seines dritten Odenbuchs einleitet.'4 Das hier sichtbare Modell der Selbstkonstruktion der augusteischen Klassik scheint mir das Muster zu sein,

14

Horaz, carm 3, 30,1. Auch der Elegiker Properz zeigt eine vergleichbare, offenbar von Horaz inspirierte Wendung (3, 2,i7f.). Ovid knüpft gleichfalls an Horaz an, wenn er am Schluss der Metamorphosen (XV, 87of.) formuliert: Iamque opus exegi, quod nec Iovis ira nec ignis / Nec poterit ferrum nec edax abolere vestustas (,Nun habe ich ein Werk erschaffen, das weder der Zorn Iupiters, noch Feuer, noch Eisen, noch das nagende Alter wird auslöschen können.'). Zusammenfassend zur sog. augusteischen Klassik siehe Riemer, Peter, Klassizismus, in: Der Neue Pauly 6, Stuttgart, Weimar 1999, Sp. 493-496·

Wann werden die Klassiker klassisch?

449

das hinter dem Kanon steht, den Gottfried mit sich selbst als Zentrum konstruiert. Der literarische „Fortschritt" wird also durch eine Rückbindung an die überzeitliche Gültigkeit sprachlicher Normen und an die antiken Klassiker begleitet. Auch auf den um 1200 sich etablierenden Kanon trifft der im Beitrag von Luca Bianchi zitierte Satz zu: Istud, quamvis credatur novum, antiquum tarnen est et antiquitus reprobatum." Es ist bemerkenswert, dass die sich dem Mittelalter zuwendende junge Nationalphilologie des 19. Jahrhunderts den von Gottfried etablierten Kanon nahezu unverändert übernahm, lediglich ergänzt durch den schon im weiteren 13. Jahrhundert, bald nach Gottfried, in den Kanon aufgenommenen Wolfram von Eschenbach. Dieser, dazu Hartmann, Gottfried und Waither von der Vogelweide sind die großen Dichter der dem 19. Jahrhundert leuchtenden, großen Vergangenheit des untergegangenen Reichs. Die Herausbildung eines Kanons hochmittelalterlicher deutscher Klassiker im 19. Jahrhundert ist bereits kompetent untersucht worden.'6 Sie zeigt sich zuerst 1815 in Jacob Grimms Kommentar zum Armen Heinrich' Hartmanns von Aue. Grimm hebt beispielsweise die „Milde und geschlossenheit" von Hartmanns ,Iwein' hervor, im Tristan Gottfrieds „Fliesst die rede sanft", sie sei „aber noch lieblicher, anmuthiger, manchmal bis ins Spielende", Wolframs .Parzival' sei „herber und schwerer als beide, aber kühner und prächtiger."'7 Auf die Kategorien der Wertung gehe ich nicht weiter ein, wohl aber auf eine bemerkenswerte Erweiterung dieser auch fortan kanonischen Trias Hartmann, Gottfried, Wolfram durch einen Text, der insbesondere der Zerspaltenheit der Nation in ihrer Kleinstaatlichkeit entgegenkam, weil er in seiner heroischen Größe und vermeintlichen Tragik als Nationalepos gefeiert wurde, das Nibelungenlied'.'11 Ihm wurde nachgerühmt, es könne „die teutsche Ilias werden".'' Dies galt dem um seine Nationalstaatlichkeit ringenden Deutschland umso mehr, als sich dieses Werk nicht französischer Vorlagen

15 16 17 18

19

Beitrag von Luca Bianchi, Prophanae novitates (...) in diesem Band, S. 221. Siehe den Beitrag von Gumbrecht (Anm. 3). Zitiert bei Gumbrecht (Anm. 3), S. 102. Siehe hierzu das von Ehrismann, Otfrid zusammengestellte Material: Nibelungenlied. Epoche - Werk - Wirkung, 2., neu bearb. Aufl., München 2002, S. 242-285; Schulze, Ursula, Das Nibelungenlied, Stuttgart 1997, S. 278-289; Henkel, Nikolaus .Nibelungenlied' und .Klage'. Überlegungen zum Nibelungenverständnis um 1200. In: Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster, hg. v. Palmer, Nigel F., Schiewer, Hans-Jochen, Tübingen 1999, S. 73-98, bes. S. 83-85. So bereits 1776 der Schweizer Historiker Johannes von Müller, zit. bei Schulze (Anm. 18), S. 279f.

Nikolaus Henkel

450

bediente wie der Höfische Roman, sondern in Gegenstand und Auffassung autochthon und in die Frühzeit des Volkes hinabzureichen schien. Durch die Literaturgeschichten eines Georg Gottfried Gervinus (1835), eines August Friedrich Christian Vilmar (1845) oder Wilhelm Scherer (1883) gewann der aus dem Mittelalter adaptierte Kanon der Höfischen Klassik eine suggestive Wirkung sowohl auf die interessierte Öffentlichkeit als auch auf die philologische Einschätzung der gesamten Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, die sich bis weit ins 20. Jahrhundert verfolgen lässt.10 Ich komme unten noch einmal darauf zurück, welche weitreichenden Folgen diese Adaptierung des mittelalterlichen Kanons insbesondere für die neuzeitliche philologische Beschäftigung mit den außerhalb des Kanons stehenden Texten hatte.

II. Ich kehre zunächst zum 13. Jahrhundert zurück. Die Gültigkeit der von Gottfried von Straßburg um 1210 etablierten Normen und des darauf aufbauenden Kanons erweist sich in seiner Adaptation und Erweiterung in der unmittelbaren Folgezeit. Literaturexkurse und Namenslisten von als vorbildlich geltenden Autoren tauchen im Fortgang des 13. Jahrhunderts mehrfach auf und verschwinden am Beginn des 14. Jahrhunderts zusammen mit der Gattung des höfischen Versromans. 21 Neben die bei Gottfried beobachtete Verbindung von Dichtername und wertenden Kategorien tritt eine neue Form, die auf die kategoriale Begründung von Vorbildlichkeit verzichtet und nur noch die als vorbildlich geachteten Namen auflistet." Die Sangspruchtradition des 14. Jahrhunderts

20

Siehe hierzu die in A n m . 18 genannte Literatur sowie Ehrismann, Otfrid, Das Nibelungenlied in Deutschland. Studien zur Rezeption des Nibelungenlieds von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg (Münchener Germanistische Beiträge 14), München 1975.

21

Aus späterer Zeit kann lediglich auf eine katalogartige Aufzählung von vorbildlichen Helden und Frauen aus der Artusliteratur verwiesen werden, die innerhalb eines Spruchgedichts gewissermaßen als personenorientierte „ S u m m e " der Gattung zusammengestellt werden, doch wird hier keinerlei literarische Wertung mehr transportiert; siehe Henkel, Nikolaus, .Spruch von den Tafelrundern', in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2. Aufl. hg. v. Ruh, Kurt u.a., Bd. 9, Berlin/New York 1995, Sp. 188-190.

22

Siehe zu diesen Katalogen vor allem Haug (Anm. 3), S. i6iff.,

dem es freilich vor

allem darauf ankommt, das Doppelweg-Schema als Teil der Kanon-Diskussion aufzudecken, eine Verbindung, die sich meiner Einschätzung nach nicht plausibel er-

Wann werden die Klassiker klassisch?

451

und der daran anknüpfende Meistergesang eröffnen später eine neue gattungsbezogene Tradition der „Alten Meister", die sich bis ins 16. Jahrhundert verfolgen lässt.1' Einen Dichterkatalog, der deutlich im Gefolge Gottfrieds steht, bietet etwa 20 Jahre später, um 1230, Rudolf von Ems in seinem , Alexanderroman'. In den formalen und wirkungsästhetischen Kategorien stimmt er mit Gottfried überein, doch ordnet er die Namen jetzt nach der Gattungschronologie: Veldeke steht an erster Stelle; er hat auf den Stamm der Kunst das erste Reis gepfropft, aus dem drei weitere bluten tragende Zweige gefolgt seien: 3113

von Veldeke der wise man der rehter rime alrerst began

3115

der künsteriche Heinrich, des stam hat wol gebreitet sich, den uns sin höhiu wisheit ζ anevange hat geleit. driu künsterichiu bluomenris

3120

hänt sich dar üf in mange wis vil spaehliche zerleitet und bluomen üz gespreitet. (v. 3113-3122) 14 ,Der kluge und kunstbegabte Heinrich von Veldeke begann zuerst mit regelgerechten Versen. Schön ausgebreitet hat sich der Stamm, den uns seine hohe Be-

gabung am Anfang geschaffen hat. (3119) Drei kunstreiche und blühende Zweige haben sich auf diesem Stamm in unterschiedlicher Weise und überaus üppig ausgebreitet und ihre Blüten entfaltet.'

gibt. Das Textmaterial ist abgedruckt in: Dichter über Dichter in mittelhochdeutscher Literatur, hg. v. Schweikle, Günther (Deutsche Texte 12), Tübingen 1970 (vgl. dazu die Rezension von Heimo Reinitzer, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 94, Tübingen 1972, S. 293-296 sowie ders., Geschichte der deutschen Literaturkritik im Mittelalter, Diss, [masch.] Graz 1966). 23

Siehe Henkel, Nikolaus, Die zwölf Alten Meister. Beobachtungen zur Entstehung des Katalogs. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 109 (1987) S. 375-389; Obermaier, Sabine, Von Nachtigallen und Handwerkern. .Dichtung über Dichtung' in Minnesang und Sangspruchdichtung (Hermaea 75), Tübingen 1993; Meisterlieder des 16. bis 18. Jahrhunderts, hg. von Klesatschke, Eva, Brunner, Horst. Tübingen 1993, hier S. 231-250 Lieder über den Meistergesang und über Hans Sachs.

24

Zitiert nach Rudolf von Ems, Alexander, hg. von Junk, Viktor, Leipzig 1928/29 (Nachdruck in einem Bd., Darmstadt 1970).

Nikolaus Henkel

45*

Mit diesen blütentragenden Zweigen sind Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach sowie, alle übertreffend, Gottfried von Straßburg als Inbegriff künstlerischer Vollendung gemeint: O b ich nü prisen wolde 3140

als ich von rehte solde daz dritte vollekomen ris, sö müeste ich sin an künsten wis: dest sp«ehe guot wilde reht, sin süeziu bluot ebensieht

3145

wache reine vollekomn, daz ris ist eine und üz genomn von künsterichen sinnen, wie suoze ez seit von minnen! wie süezet ez den herzen

3150

den süezen minne smerzen! wie güetet ez der guoten guot, der höchgemuoten höhen muot! daz stiez der wise Gotfrit von Sträzburc der nie valschen trit

3155

mit valsche in siner rede getrat. (v. 3139-3155) ,Wenn ich nun das dritte vollkommene Reis so loben wollte, (3140) wie ich es eigentlich sollte, dann müsste ich von Kunst erfüllt sein: Das (dritte Reis) ist herrlich, vollkommen, von ungewohnter Fremdheit und (dennoch) regelhaft. Seine duftende Blüte ist ebenmäßig, (3145) kostbar, rein und vollkommen. Dieses Reis ist einzig und in besonderer Weise von reicher Kunstbegabung geprägt. Wie angenehm macht es den Herzen (3150) den süßen Schmerz der Liebe! Wie veredelt es das Gute in den Guten und den Edlen ihre Hochgestimmtheit! Dieses Reis pfropfte der begabte Gottfried von Straßburg, der sich (3155) in seiner Erzähl weise nie einen Fehler zu Schulden kommen ließ.'

V o n Gottfried als Inbegriff aller Kunst abgesetzt, jedoch gleichfalls als vorbildlich eingestuft ist die darauf folgende Gruppe von weiteren 13 Autoren. Auch hier ergibt sich die Frage, in welchem Verhältnis Rudolf von Ems selbst mit seinem Werk zu der Reihe früherer und zeitgenössischer Dichter steht. Mehrfach betont er, dass er sich nicht den von ihm genannten künsterichen Dichtern zu vergleichen wage (v. 3084, 3269). Doch hat auch er dem Leser seines Werks in den gut 3.000 vor dem Literaturexkurs liegenden Versen Gelegenheit gegeben, diese Einschätzung als topisch und in der Sache unzutreffend zu er-

Wann werden die Klassiker klassisch?

453

kennen. Bereits der strophische Prolog des .Alexander' und sein Akrostichon wie auch die weitere Gestaltung des Werks hatten Gottfried als das große Vorbild Rudolfs von Ems erkennen lassen, dessen Gestaltungsprinzipien Rudolf im Vorgang der nachschaffenden Imitatio gerecht zu werden sucht - und dies gelingt ihm in formaler Hinsicht auch. Die Prägung eines Kanons im M e d i u m der Literatur selbst fuhrt also stets auch zu der Frage, in welchem Verhältnis derjenige, der den Kanon dichterisch formuliert, zu ihm steht oder, besser gesagt, gesehen werden will. Die Literaturkataloge des 13. Jahrhunderts wie auch die Stilistik und Poetik der Texte bestätigen die kanonische Geltung der von Gottfried aufgestellten Prinzipien, die lediglich zu ergänzen wären durch das von W o l f r a m von Eschenbach gesetzte Muster, das in der Folgezeit neben der Vorbildlichkeit Hartmanns von A u e und Gottfrieds kanonisch und prägend wirkt. Diesen Vorbildern imitierend zu folgen oder sie im qualitativen Sprung der Aemulatio zu erreichen und zu übertreffen, ist Ziel zahlreicher Werke des beginnenden Spätmittelalters. Imitatio und Aemulatio gelten als literarästhetische Produktionskonzepte also auch für die Gattungsreihen mittelalterlich-volkssprachiger Literatur. 15 Das zeigt uns ein Autor des ausgehenden 13. Jahrhunderts besonders deutlich, Heinrich von Freiberg aus Böhmen, der um 1285/90 den von Gottfried von Straßburg unvollendet zurückgelassenen .Tristan' fortsetzt. 14 Im Prolog entfaltet er ein wahres Feuerwerk der Stilkunst:

25

Die beiden hier einschlägigen neueren Artikel berücksichtigen denn das Mittelalter auch: Kaminsky, Nicola, Imitatio, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 4, Tübingen 1998, Sp. 235-285; zum Mittelalter speziell Sp. 250-257; Bauer, Barbara, Aemulatio, in: ebd. 1, Tübingen 1992, Sp. 141-187; zum Mittelalter hier Sp. 150-164. Eine knappe Übersicht gibt Entner, Heinz, Imitatio, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft (RLW) 2, Berlin/New York 2000, S. 133-135.

26

Ich zitiere den Text nach: Heinrich von Freiberg, hg. von Bernt, Alois, Halle/S. 1906. Zur Gottfriednachfolge siehe Lutz-Maß, Beate, Nachfolge und Neuansatz. Die Auseinandersetzung mit Gottfried von Straßburg im 13. und 14. Jahrhundert (Regensburger Skripten zur Literaturwissenschaft 14), Regensburg 1999; vor allem aber: Schausten, Monika, Erzählwelten der Tristangeschichte im hohen Mittelalter. Untersuchungen zu den deutschsprachigen Tristanfassungen des 12. und 13. Jahrhunderts (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 24), München 1999. Zum literarhistorischen Ort der Fortsetzung Heinrichs von Freiberg im Zusammenhang der Tristandichtungen siehe auch Strohschneider, Peter, GotfritFortsetzungen. Tristans Ende im 13. Jahrhundert und die Möglichkeiten nachklassischer Epik, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 65 (1990) S. 70-98; Müller, Jan-Dirk, Tristans Rückkehr. Zu den Fortsetzern Gottfrieds von Straßburg, in: Festschrift für

Nikolaus Henkel

454

Wä nü richer künste hört, wä schoene rede, wä blüende wort, wa vünde violin gevar, wä Sprüche sam die rösen dar, 5

wä sinnic saz, wä vündic sin? der aller ich ein weise bin. getichtes des gar spehen, des riehen und des wehen bin ich ein erbelöser man

io

und hän mich doch genumen an zu volbringene diz mer, daz so blüende hät unz her mit schoener rede betichtet und meisterlich berichtet

15

min herre meister Gotfrit von Sträzburc, der so mangen snit, spehen unde riehen, schone unde meisterlichen näch durnechtiges meisters siten

20

üz blüendem sinne hät gesniten und hät so richer rede cleit disem sinne an geleit, dise materien er hät gesprenzet in so lichte wät,

25

daz ich zwivele dar an, ob ich indert vinden kan in mines sinnes gehüge rede, die wol stende tüge bi disen Sprüchen guldin. (v. 1-29) ,Wo gibt es heutzutage einen Schatz so reicher Kunst, wo eine so schöne Erzählweise, wo blühende Worte, wo veilchenfarbene Erfindungen, wo Sentenzen leuchtend wie Rosen, (5) wo sinnerfüllte Aussprüche, erfinderische Sinnstiftung? In all diesen Dingen bin ich ein Waisenknabe. An herrlicher Dichtung, schön und kunstvoll ausgeführt, habe ich kein Erbteil. (10) Dennoch habe ich mir vorgenommen, diese Erzählung zu vollenden, die uns bis hier her [d.h. bis zum

Walter Haug und Burghart Wachinger, hg. von Janota, Johannes u.a. 2 Bde., Tübingen 1992, Bd. 2, S. 529-548.

Wann werden die Klassiker klassisch?

455

Fragmentschluss von Gottfrieds Roman] in solcher Pracht rhetorischer flores, in so ästhetischer Ausführung und so meisterhaft (15) Meister Gottfried von Straßburg erzählt hat. Er hat einen so kunstvollen und reichen Gewandschnitt nach Art eines vollkommenen Meisters (20) aus blühendem Sinn gefertigt und ein so herrliches Gewand sprachlicher Gestaltung diesem Sinn angepasst, dazu diese Materie in solch ein strahlendes Gewand gekleidet, (25) dass ich daran zweifle, ob ich überhaupt in meiner Erinnerung etwas finden kann, das sich dieser goldglänzenden sprachlichen Gestaltung (29) an die Seite stellen ließe.' A u c h H e i n r i c h v o n Freiberg versteht es, d u r c h die p e r f e k t g e h a n d h a b t e Stilistik seines P r o l o g e i n g a n g s seine B e h a u p t u n g zu w i d e r l e g e n , er h a b e k e i n e n A n t e i l a m E r b e einer K u n s t (v. 9), die seiner „ k u n s t l o s e n " G e g e n w a r t verloren gegang e n sei. J a , die starke stilistische D u r c h a r b e i t u n g der A u s s a g e fordert v o m H ö r e r oder Leser dieser Passage eine B e w e r t u n g der Aussage. In e i n e m zweiten A n l a u f (v. i o f f . ) w i r d d e m beklagten ästhetischen D e f i z i t der Jetztzeit die e h e d e m präg e n d e M e i s t e r s c h a f t G o t t f r i e d s gegenübergestellt, w o b e i sich vegetabile

und

textile M e t a p h e r n f e l d e r kunstvoll überschneiden. G o t t f r i e d ist, n a c h der A u s s a g e des Prologs, der unerreichte M e i s t e r sprachlicher K u n s t . A u f f ä l l i g ist n u r -

und

das markiert den o f f e n gezeigten G e g e n s a t z z u m W o r t s i n n dieser Passage - , m i t w e l c h e m sprachlich-stilistischen A u f w a n d die A u s s a g e des Prologs u m g e b e n , j a „verkleidet" ist. N e i n , H e i n r i c h versteht sich nicht w i r k l i c h als künstlerisch m i n d e r w e r t i g e r N a c h l ä u f e r , s o n d e r n präsentiert sich d e m L e s e r / H ö r e r

seiner

T r i s t a n - F o r t s e t z u n g , die in den H a n d s c h r i f t e n u n m i t t e l b a r a u f d e n F r a g m e n t schluss des ,Tristan' folgt, gleich i m P r o l o g als der D i c h t e r , der d e n Klassiker G o t t f r i e d , jedenfalls hinsichtlich der Stilkunst, sogar z u ü b e r t r e f f e n versteht.' 7

27

Ich verweise in diesem Zusammenhang noch auf ein Beispiel aus der gleichfalls Klassikerrang beanspruchenden lateinischen Literatur um 1200. Walter von Chatillon betont in seiner .Alexandreis' (um 1180/85), dem bedeutendsten Epos des Hochmittelalters, seine Nachrangigkeit gegenüber dem großen Vorbild Vergil, der, wie Walter selbst, dem Neid der Zeitgenossen ausgesetzt gewesen sei. Gleichzeitig zeigt die .Alexandreis', mit welcher Könnerschaft Vergils formalästhetische Normen umgesetzt wurden. Siehe dazu die Äußerungen im Prologus der

.Alexandreis':

Non

enim arbitror, me esse meliorem Mantuano uate, cuius opera mortali ingenio altiora carpsere obtrectantium linguae poetarum et mortuo derogare presumpserunt, quem, dum uiueret, nemo potuit equiparare mortalium. (Galteri de Castellione Alexandreis, ed. Colker, Marvin L., Patavii 1978, Prol. 19-23; ich füge die Übersetzung der Passage an: Walter von Chätillon Alexandreis. Das Lied von Alexander dem Großen, übers., komm, und mit einem Nachwort versehen von Streckenbach, Gerhard, Heidelberg 1990, S. 27: ,Gewiß halte ich mich nicht für einen besseren Dichter als den Mantuaner Vergil, dessen über allen Menschengeist erhabene Werke gleichwohl die Läster-

456

Nikolaus Henkel

Imitatio und Aemulatio bezeichnen die literarischen Verfahren, in denen sich Literatur n a c h den Klassikern mit dem Kanon auseinandersetzt, zwar in der Adaptation seiner Normen, aber im Bewusstsein, außerhalb des Kanons zu stehen. Die im Gefolge Hartmanns, Gottfrieds, Wolframs stehenden Texte und ihre Autoren bestätigen so die Gültigkeit der etablierten formalästhetischen Kategorien. Klassisch werden die Klassiker also erst um 1220/30, zehn bis 20 Jahre nach der Begründung des Kanons in Gottfrieds von Straßburg .Tristan'. Doch die von ihnen gesetzten Normen bleiben anerkannt bis gegen Ende des Jahrhunderts, freilich auch nicht viel weiter, denn die folgende Versdichtung des 14. und 15. Jahrhunderts zeigt eine zunehmende Entfernung von den klassischen Formkonstituenten der kanonischen Autoren um 1200, wie Hartmann von Aue und Gottfried von Straßburg sie in den Augen der Zeitgenossen und nächsten Nachfahren vorbildlich vertreten hatten.

III. Aber auch in der unmittelbaren zeitlichen Umgebung ist die Reichweite der formalästhetischen Kategorien der Klassiker durchaus begrenzt. Das soll nun an einer Gruppe von vier Werken gezeigt werden, deren Entstehungszeit v o r der Etablierung des Kanons liegt, die aber n a c h Etablierung des Kanons, also ab etwa 1220 neu bearbeitet worden sind. Sie zeigen, wie unterschiedlich die in den klassischen Texten zur Geltung kommenden Normen aufgegriffen und angewandt wurden. Das .Rolandslied' des Pfaffen Konrad, um 1172 entstanden, ist gegen 1220 von dem Stricker in eine umfangreichen Erzählung von Karl dem Großen eingearbeitet worden. Noch deutlich sind Einzelverse des altertümlich vorklassischen Textes nachweisbar, jedoch keine geschlossenen Versgruppen. Was der Stricker daraus gemacht hat, ist eine komplett neue Dichtung, die den bei Hartmann und Gottfried gesetzten Normen metrischer Glätte und Reinheit des Reims voll entspricht und auch das Prinzip der abschnittbildenden Brechung gekonnt handhabt. Ahnlich ging es der .Maria' des Priesters Wernher. Auch dieser Text

28

zunge neidischer Poeten heruntergesetzt und nach seinem Tode ihm sogar abzusprechen gewagt hat, ihm, dem sich niemand auf Erden zu seinen Lebzeiten gleichstellen konnte.'). Text: Karl der Große von dem Stricker, hg. v. Bartsch, Karl, Quedlinburg und Leipzig 1856 (Nachdruck mit einem Nachwort von Kartschoke, Dieter, Berlin/New

Wann werden die Klassiker klassisch?

457

ist 1 1 7 2 entstanden und in mehreren Fassungen überliefert, von denen die u m 1 2 2 0 anzusetzende Fassung D eines begabten, aber namenlos gebliebenen Bearbeiters der Verbindlichkeit der von Gottfried gesetzten N o r m e n jedenfalls in Verstechnik und Stilistik zu entsprechen sucht.* 9 Andere Bearbeitungen der 20er J a h r e des 13. Jahrhunderts entsprechen den v o m Klassikerkanon gesetzten N o r men nur teilweise oder gar nicht. D i e Bearbeitung der alten .Herzog Ernst'D i c h t u n g aus den 70er Jahren des 12. Jahrhunderts in der Fassung des .Herzog Ernst B ' bringt eine weitgehende Reimglättung, nicht jedoch die regelmäßige Versgestalt.' 0 D i e S c h a f f u n g einer Wort-Sinn-Korrespondenz gar liegt ganz außerhalb der Möglichkeiten des anonymen Bearbeiters. Schließlich ist, wohl im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, nachdem G o t t frieds , T r i s t a n ' - R o m a n unvollendet geblieben war, wieder die ältere TristanD i c h t u n g Eilharts von Oberge ins Licht des literarischen Interesses gerückt. Sie war zwar formal unbeholfen und stilistisch ohne A m b i t i o n e n , hatte jedoch den Vorteil, dass sie die „Geschichte" von Tristan und Isolde bis zum Schluss erzählte. Sie ist wohl u m 1 2 2 0 leicht bearbeitet worden, doch sind hier im G r u n d e g e n o m m e n nur geringe Verbesserungen gegenüber der früheren „vorklassischen"

York 1965). Eine Tabelle der Übereinstimmungen mit Versen des Rolandslieds findet sich im Anhang des Nachdrucks, S. 445-447. 29

Freilich sind dies Normen, die allgemein in der Bildungswelt der Litterati bereit stehen, nicht als typisch für Gottfried allein angesehen werden dürfen.- Zum Forschungsstand siehe Gärtner, Kurt, Priester Wernher, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 10, Berlin/New York 1999, Sp. 903-915, zur Fassung D hier Sp. 9i2f. Text: Priester Wernher, Maria, hg. v. Wesle, Karl, 2. Aufl. bes. durch Fromm, Hans (ATB 26), Tübingen 1969. Zur Stellung dieser Bearbeitung im Zusammenhang der Höfischen Literatur siehe Henkel, Nikolaus, Religiöses Erzählen um 1200 im Kontext höfischer Literatur. Priester Wernher, Konrad von Fußesbrunnen, Konrad von Heimesfurt, in: Die Vermittlung geistlicher Inhalte im deutschen Mittelalter. Internationales Symposium Roscrea 1994, hg. v. Jackson, Timothy R., u.a., Tübingen 1996, S. 1-22, bes. S. 7f. und ders., Bild und Text. Die Spruchbänder der ehem. Berliner Handschrift von Priester Wernhers .Maria'. In: Scrinium Berolinense. Tilo Brandis zum 65. Geburtstag, hg. v. Becker, Peter Jörg, u.a., Wiesbaden 2000, Bd. 1, S. 246-275.

30

Die ältere Ausgabe lässt das wegen ihrer normierenden Tendenz nicht so klar erkennen (Herzog Ernst, hg. v. Bartsch, Karl, Wien 1869, S. 13-125); für unsere Fragestellung ist deshalb (trotz einiger Einwände) die neuere Ausgabe heranzuziehen, die den erst im 15. Jahrhundert fassbaren Überlieferungsstand wiedergibt: Cornelia Weber, Untersuchung und überlieferungskritische Edition des Herzog Ernst B, mit einem Abdruck der Fragmente von Fassung Α (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 6n), Göppingen 1994.

Nikolaus Henkel

458

Fassung eingebracht worden.'' N u r in dieser - späten - Fassung, die zudem vergleichbar dem .Herzog Ernst B' - nur in zwei Handschriften des 15. Jahrhunderts komplett erhalten ist, lesen wir heute den .Tristrant' Eilharts. D e r aus diesen vier Fällen gewonnene Befund ist im G r u n d e nicht erstaunlich. Er zeigt die Begrenztheit von literarischen Innovationen innerhalb komplexer kultureller Zusammenhänge. Freilich ist das keineswegs ein Zeichen von Fortschrittsverweigerung. Es zeigt sich vielmehr, dass die Faszinationskraft von D i c h t u n g nicht abhängig sein muss von der Erfüllung formalästhetischer Normen, sondern sich frei davon entfalten kann - und nachweislich entfaltet hat. Bemerkenswert scheint mir in diesem Z u s a m m e n h a n g noch, dass die beiden sich den W i r k u n g e n des Kanons entziehenden W e r k e , .Herzog Ernst B' und Eilharts .Tristrant', ausweislich ihrer Überlieferung eine späte G e l t u n g im 15. Jahrhundert gewinnen, zu einer Zeit also, als die innovative und prägende Kraft des Kanons lange erloschen ist.

IV. Kanonbildung bedeutet Abgrenzung, vor allem gegenüber dem, was vorausgegangen ist. Ich verfolge das auf zwei Ebenen: auf derjenigen der Philologie, die das Phänomen untersucht und bewertet, und auf derjenigen der Texte, die dem K a n o n voraufliegen oder zeitgleich mit ihm anzusetzen sind, jedoch seine N o r men nicht erfüllen. Es ist ein für den ordnenden Philologen bedauerliches Faktum, dass die Masse der Texte des 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts undatiert auf uns gek o m m e n ist. Relativ leicht ist die Gruppenbildung nach inhaltlichen Kriterien: Mit

den

Sammelbegriffen

Bibeldichtung,

geistlich-lehrhafte

Dichtung

und

Geschichtsdichtung in weitestem Begriff (.Kaiserchronik', Lambrechts .Alexander', .König Rother', .Rolandslied') lässt sich ein Gros der Texte bereits fassen. Wesentlich schwieriger ist es aber, die so gruppierten W e r k e in eine zeitliche O r d n u n g zu bringen, denn dazu bedarf es einlässlicher Begründungsstrategien. Als Orientierungspunkt boten sich die formal-ästhetischen N o r m e n des Klassikerkanons an: Je weiter ein Denkmal in formaler Hinsicht von der metrischen und reimtechnischen N o r m der klassischen Texte entfernt war, umso größer musste auch sein zeitlicher Abstand v o m Kanon der W e r k e u m 1200 sein. Lite-

31

Das lässt sich sehr gut anhand der Parallelausgabe verfolgen: Eilhart von Oberg, Tristrant. Synoptischer Druck der ergänzten Fragmente mit der gesamten Parallelüberlieferung, hg. von Bußmann, Hadumod (ATB 70), Tübingen 1969.

Wann werden die Klassiker klassisch?

459

ratur vor Hartmann von Aue konnte so leicht in den Status des „Noch nicht" gerückt werden. Es liegt heute auf der Hand, wie fragwürdig dieses Verfahren ist. Dabei gingen zwei Kriterien Hand in Hand. Das erste betraf die Einschätzung vers- und reimtechnischer Faktoren: Verse von mehr oder weniger unregelmäßiger Länge und Hebungszahl, deren Bindung durch Assonanzen und unreine Reime erfolgte, deuteten auf weitere oder weniger weite zeitliche Entfernung von einer seit etwa 1180 zu beobachtenden klassischen Norm in Versbau und Reimtechnik. Sie war ab etwa 1180 aufzufinden, zunächst im Werk des von Gottfried so hoch gelobten Hartmann von Aue und bezog sich lediglich auf die formale Elementarkategorie des vierhebigen, rhythmisch alternierenden und rein gereimten Verses der Klassiker. Das zweite Kriterium betraf die Überlieferung vornehmlich der drei großen Sammelhandschriften der sog. Frühmittelhochdeutschen Literatur. 11 Nachdem die hier überlieferten Texte hinsichtlich der Formalkategorien weit von den kanonischen Normen entfernt waren, lag es nahe, auch die überliefernden Handschriften früh anzusetzen. Unzureichende Kenntnisse der Paläographie verführten zu einer in der Regel viel zu früh angesetzten Datierung der drei Sammelhandschriften frühmittelhochdeutscher Literatur, wodurch sich ein argumentativer Zirkel schloss: Als altertümlich eingeschätzter Versbau korrespondierte einer ungerechtfertigt frühen Datierung der Handschriften, die allesamt in die erste Hälfte oder bestenfalls in die Mitte des 12. Jahrhunderts gesetzt wurden, weit ab also von den kanonischen Texten um 1200." Die erstmals zusammenfassende Sichtung und Ordnung der deutschsprachigen Textüberlieferung des 12. und 13. Jahrhunderts durch Karin Schneider bietet indes ein gänzlich anderes Bild; ich komme darauf noch zurück. Für diese aus heutiger Sicht unbegründete Frühdatierung von Texten des 12. Jahrhunderts gebe ich einige Fallbeispiele. Zunächst ein mittlerweile geklärter Paradefall für das Dilemma zwischen formaler „Rückständigkeit" und Werkdatierung. Aufgrund der Vorlage der altfranzösischen ,Chanson de Roland' vom

32

Siehe die abgewogene literaturgeschichtliche

Darstellung von

Vollmann-Profe,

Gisela, Wiederbeginn volkssprachiger Schriftlichkeit im hohen Mittelalter. 1 0 5 0 / 6 0 1 1 6 0 / 7 0 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit, hg. v. Heinzle, Joachim, Bd. 1,2), 2., durchges. Aufl. Tübingen 1994; weiterhin zusammenfassend: Hellgardt, Ernst, Frühmittelhochdeutsche Literatur, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft Bd. 1, Berlin/New York

1997,

S. 636-640. 33

Die älteren Datierungsansätze zusammengefasst bei Hennig, Ursula, .Altdeutsche Genesis', in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2., Aufl., Bd. 1 , 1 9 7 8 , Sp. 279-284, hier Sp. 280.

460

Nikolaus Henkel

Anfang des 12. Jahrhunderts dichtet ein uns nicht näher bekannter Pfaffe Konrad sein deutsches .Rolandslied'. 34 Der Epilog nennt seine Gönner: einen Herzog Heinrich und dessen aus königlichem Geblüt stammende, namentlich freilich nicht genannte Gattin. Im 12. Jahrhundert kommen drei herzogliche Träger des Namens Heinrich infrage: einer um 1130, der zweite um 1150, der späteste um 1170. Hinsichtlich der Formbeherrschung liegt das ,Rolandslied' mit seiner freien Taktfüllung und Verslänge und seinen unreinen Reimen weit ab von der Verstechnik der Klassiker eines Heinrich von Veldeke oder Hartmann von Aue aus den 70er oder 80er Jahren des 12. Jahrhunderts. Deshalb hat man auch lange einen beträchtlichen zeitlichen Abstand zwischen dem ,Rolandslied' und dem Auftreten der Klassiker gesehen und fand in den 30er Jahren des 12. Jahrhunderts in Heinrich dem Stolzen (reg. 1126-1138) und seiner Gattin Gertrud, Tochter Lothars von Supplinburg, auch das zeitlich passende Gönnerpaar. Die neuere Forschung stimmt hingegen darin überein, dass das deutsche .Rolandslied' wesentlich später zu datieren ist, Heinrich den Löwen zum Gönner hat und um 1172, im Zusammenhang mit Heinrichs Jerusalemfahrt, entstanden ist. Die Überlieferung des Werks ist nur schmal, setzt aber erst gegen 1200 ein und ist auch nur auf diesen Zeitraum beschränkt. Bald danach, wohl gegen 1220, hat die oben erwähnte Karlsdichtung des Stricker das ,Rolandslied' ersetzt. Dieser Fall zeigt, dass der Grad der Formbeherrschung, soweit sie sich an der Norm des Kanons orientiert, keineswegs einen sicheren Indikator für zeitliche Nähe oder Ferne gegenüber den klassischen Texten darstellt. Und weiter: Die Faszination der älteren, nicht der klassischen Norm folgenden Texte erlischt keineswegs mit dem Auftreten der Klassiker, sondern erst in dem Augenblick, in dem deren Normsetzung wirksam wird, in diesem Fall gegen 1220/30. Stellvertretend für die große Gruppe der sog. Frühmittelhochdeutschen Dichtung greife ich die Koppelung der beiden Texte .Ältere Judith' und ,Die drei Jünglinge im Feuerofen' heraus. Sie wird noch in einem neueren Artikel aufgrund formaler Kriterien wie „sorglos gereimt" und unregelmäßige Füllung der Takte wie der Verse ins frühe 12. Jahrhundert gesetzt. Die Texte seien „im frühen 12. Jh. Zeugnisse weitester Annäherung der geistlichen Dichter an die erst viel später wieder literaturwürdig werdende weltliche Erzähltechnik"." Mit

34

35

Den besten Zugang bietet: Das Rolandlied des Pfaffen Konrad. Mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch, hg., übers, und komm. v. Kartschoke, Dieter, Stuttgart 1993; zur Datierungsfrage hier S. 790-794, wo auch die früheren Vorschläge referiert werden. Schröder, Werner, .Altere Judith' und .Die drei Jünglinge im Feuerofen', in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 1, Berlin/New York 1978, Sp. 288-294, hier Sp. 293.

Wann werden die Klassiker klassisch?

461

diesen Argumenten wird eine Datierung ins frühe 12. Jahrhundert vorgeschlagen, die sich vornehmlich auf die Differenz von Formkriterien gegenüber den klassischen Texten als Begründung der Datierung stützen kann. Ein drittes Beispiel: Eine Berliner Handschrift des 13. Jahrhunderts überliefert eine Margarethen-Legende. Aufgrund der unbeholfenen Reimbindungen und Verstechnik wird der T e x t ins 12. Jahrhundert, also vor die Entstehung des Kanons, datiert. N u n enthält der Text aber einen klaren Hinweis auf die Kanonisierung der hl. Elisabeth, die erst 1235 erfolgte. Aber hier wusste sich ein meisterhafter Philologe wie Moriz Haupt zu helfen, indem er die entsprechende Verspartie mit der heiligen Elisabeth einfach zur Interpolation eines späteren Redaktors erklärte.* Damit war die über das Argument der Verstechnik angesetzte Frühdatierung gerettet. Die Fragwürdigkeit solcher Formkriterien bei der Datierung ist seit längerem erkannt.' 7 Nachdem die Philologie des 19. Jahrhunderts, orientiert an den Versnormen der kanonischen Texte, die Datierungen der sog.

Frühmittelhochdeutschen

Literatur je von Fall zu Fall zu klären suchte, brachte das 20. Jahrhundert mit den Reimstudien Karl Wesles (1925) und der Frühgeschichte des deutschen Reims von Ulrich Pretzel (1941) einen systematischen, durch Statistiken untermauerten Z u g a n g zur Bewertung der Vers- und insbesondere der Reimtechnik, ausgehend von der Grundanschauung einer sich regelmäßig weiterentwickelnden Formbeherrschung.' 8 Kriterien sind nach wie vor die Differenzen im beobachteten Versbau gegenüber den vergleichbaren Phänomenen, die für die Texte der Klassiker festzustellen waren. Hier wie in der Philologie des 19. Jahrhunderts ist die Formcharakteristik der klassischen Texte um 1 2 0 0 das Ergebnis eines längeren teleologisch verstandenen Prozesses, an dessen Ende der Kanon steht.

36

Siehe hierzu Williams-Krapp, Werner, .Margarethe von Antiochien' , in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2., Aufl., Bd. 5, Berlin/New York 1985, Sp. 1239-1247, hier Sp. 1241.

37

Vgl. dazu Henkel, Religiöses Erzählen um 1200 (Anm. 29), S. 1-2. Siehe jetzt auch zu diesem Problem die methodischen Überlegungen in: Das Münchner Gedicht von den 1$ Zeichen vor dem Jüngsten Gericht. Nach der Handschrift der Bayerischen Staatsbibliothek Cgm 717. Edition und Kommentar, hg. v. Gerhardt, Christoph, Palmer, Nigel F. (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 41), Berlin 2002, S. 30-32. Wesle, Karl, Frühmittelhochdeutsche Reimstudien, Jena 1925; Pretzel, Ulrich, Frühgeschichte des deutschen Reims. Bd. 1: Allgemeiner Teil, Besonderer Teil I: Die Entwicklung bis zur Volltonigkeit des Reims (Palaestra 220) Leipzig 1941 [mehr nicht erschienen], bes. S. 161-226. Sehr vorsichtig und die Verstechnik als eigenständige Leistung interpretierend: Hennig, Ursula, Untersuchungen zur frühmittelhochdeutschen Metrik am Beispiel der .Wiener Genesis' (Hermaea 24), Tübingen 1968.

38

Nikolaus Henkel

4*>2

D e m korrespondiert die vielfach anzutreffende, aus der Biologie in die Textwissenschaft entlehnte Metaphorik von Werden und Wachsen, Wurzel und Keim, Blüte und Vergehen. Sollte man nun die gesamte frühere Datierung der vor dem Klassikerkanon liegenden Literatur außer Kraft setzen? K a u m , denn es wäre gänzlich unklar, was man an die Stelle setzen müsste. Vordringliche Aufgabe ist aber, die Ausprägung der klassischen N o r m e n nicht nur hinsichtlich ihrer formalen Dimension zu erkennen, sondern sie in weitere kulturhistorische Bezüge einzuordnen und ihre Tragweite von da aus zu bestimmen. Kurz anzudeuten sind die Richtungen, in die solche Überlegungen gehen könnten. Z u m einen ist das Zeugnis der handschriftlichen Überlieferung neu zu bewerten. Dass die Überlieferung eines Werks von dessen Entstehung zeitlich mehr oder weniger weit abliegen kann, ist ein geläufiges Faktum. D i e neuere paläographische Untersuchung der drei großen Sammelhandschriften, die die frühmittelhochdeutsche Literatur überliefern, hat aber zu dem bemerkenswerten Ergebnis geführt, dass alle drei in etwa dem gleichen Zeitraum des ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts entstammen." D a m i t fällt sie - und wir können hier die .Rolandslied'-Überlieferung einbeziehen — genau in die Zeit der als klassisch charakterisierten Werke Hartmanns, Gottfrieds und Wolframs. Das bedeutet, dass diese Werke, die um diese Zeit längst als hoffnungslos „veraltet" einzustufen wären, um und nach 1200 noch ein Publikum gefunden haben, das an ihnen interessiert gewesen ist, und dazu Auftraggeber, die die Herstellung der Handschriften zu

finanzieren

bereit waren. Die zeitliche Koexistenz solcher

älteren, außerhalb des Kanons stehenden Werke und der als kanonisch eingestuften Literatur ist uns also ein sicherer Indikator gerade für die Vielschichtigkeit der literarischen Wertschätzung und des künstlerischen Geschmacks der Zeit um 1 2 0 0 und auch der Faszination von Werken, die dem zeitgenössischen Kanon denkbar fern standen. 40

39

40

Siehe hierzu. Schneider, Karin, Gotische Schriften in deutscher Sprache. I. Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300, 2 Bde., Wiesbaden 1987. Dabei stellt Schneider folgende zeitlichen Ansätze fest: Vorauer Sammelhandschrift (Vorau, Stiftbibliothek, Cod. 276): letztes Viertel 12. Jh. mit Nachträgen um 1200 bzw. Anfang 13. Jh.(S. 3 7 41). - Wiener Sammelhandschrift (ÖNB, Cod. 2721): letztes Viertel 12. Jh. (S. 4 1 44). Millstätter Sammelhandschrift (Klagenfurt, Geschichtsverein, Cod. 6/19): um 1200 bis frühes 13. Jh. (S. 85-88). In diesem Zusammenhang wäre auf die Einbettung von Literatur in gesellschaftliche Zusammenhänge einzugehen. Ich verweise hier nur auf zwei einschlägige Titel: Lutz, Eckart Conrad, Literatur der Höfe - Literatur der Führungsgruppen. Zu einer anderen Akzentuierung, in: Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von

Wann werden die Klassiker klassisch?

463

Gleichzeitig wird sichtbar, dass die literarische Produktion der „Klassiker" Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue und Gottfried von Straßburg in ihrer zeitlichen Umgebung offenbar noch keine verbindliche Normierung des ästhetischen Geschmacks bewirkt hat. Die literaturgeschichtliche Periode der Höfischen Klassik um 1200 ist also ganz und gar unvollständig beschrieben, wenn sie sich nur am Kanon der um 1200 neuproduzierten Werke orientiert und nicht die in dieser Zeit überlieferten, d.h. verfügbaren und geschätzten älteren Werke einbezieht. 4 ' Ein weiterer Gesichtspunkt betrifft die Reim- und Verstechnik. Bekanntlich ist der elsässische Benediktiner Otfrid von Weißenburg der erste, der in seinem um 865 entstandenen Evangelienbuch den Endreim eingeführt hat. Trotz dieser innovativen Leistung hat er weder in seiner näheren zeitlichen Umgebung der althochdeutschen Literatur noch in der Folgezeit nennenswerte Nachfolge gefunden. Es gibt schlichtweg keine durchgängige Tradition des Endreims von Otfrid ins 12. Jahrhundert. Im 11. und besonders im 12. Jahrhundert ist die althochdeutsche Literatur nahezu völlig der Vergessenheit anheim gefallen und mit ihr Otfrids Einfuhrung des Endreims. Fragt man nach der Geschichte der Reimund Verstechnik im deutschen Sprachraum im 12. Jahrhundert, dann darf sie nicht wie bisher als formgeschichtliche Entwicklung begriffen werden, deren Telos die ästhetischen Normen der „Klassiker" sind. Vielmehr müssten zwei bislang kaum ansatzweise berücksichtigte Traditionen in den Blick genommen werden. Das eine ist die Verstechnik der lateinischen Dichtung des Mittelalters. Hier finden wir eine schier unermessliche Fülle metrischer und rhythmischer, silbenzählender Formen und einfacher bis höchst komplizierter Reimschemata. Man wird sicherlich zugeben müssen, dass die lateinische (wie übrigens auch die französische) Sprache wegen ihres grammatisch-morphologischen Systems und der deshalb ungemein weiteren Möglichkeit, endungsgleiche Formen im Reim zu verbinden, den Versbau erleichterte. Ein weiterer Faktor von eminent bildungsgeschichtlicher Relevanz ist die Tatsache, dass der Gebrauch des Lateinischen, gerade auch der Formelemente der Dichtung, im Schulbetrieb seit dem frühen Mittelalter systematisch eingeübt wurde. Eine vergleichbar institutionalisierte Schulung im Gebrauch der Volks-

41

Hof und Kloster. Ergebnisse der Berliner Tagung, 9.-11. Oktober 1997, hg. v. Palmer, Nigel F., Schiewer, Hans-Jochen, Tübingen 1999, S. 29-52; siehe außerdem den Forschungsbericht von Peters, Ursula, Mittelalterliche Literatur am Hof und im Kloster. Ergebnisse und Perspektiven eines historisch-anthropologischen Verständnisses, in: Ebd., S. 167-192. Zur Vielschichtigkeit der Literatursituation um 1200 habe ich mich an anderer Stelle geäußert: Henkel, Religiöses Erzählen um 1200 (Anm. 29).

Nikolaus Henkel

464

Sprache, deren B e n u t z u n g z u d e m w e i t g e h e n d o h n e v o r g e p r ä g t e M u s t e r auszuk o m m e n hatte, g i b t es bis ins 15. J a h r h u n d e r t nicht. S o ist es auch nicht erstaunlich, dass w i r i m Bereich lateinischer D i c h t u n g die f o r m a l e R e g e l m ä ß i g k e i t des V e r s b a u s w i e a u c h der R e i m b i n d u n g früher

wesentlich

b e o b a c h t e n k ö n n e n , auch u n d gerade i m deutschsprachigen R a u m . S o

f i n d e n sich beispielsweise in d e n . C a r m i n a C a n t a b r i g e n s i a ' (geschrieben n a c h einer deutschen V o r l a g e u m 1050) 4 1 zweisilbige vokalische A s s o n a n z e n u n d sogar zweisilbig reine R e i m e , ebenso in den lateinischen D i c h t u n g e n e t w a W i l l i r a m s v o n E b e r s b e r g ( u m 1065).'" B e i m A r c h i p o e t a , also etwa 3 0 J a h r e v o r H a r t m a n n v o n A u e , ist zwei- u n d dreisilbig reiner R e i m die spielerisch-leicht bewältigte Regel. 4 4 In Frankreich

finden

w i r eine virtuos gehandhabte Regelmäßigkeit in

V e r s b a u u n d zwei- bis dreisilbig reinem R e i m sowohl in der lateinischen D i c h tung, etwa bei H u g o Primas v o n Orleans 4 5 w i e auch in der Volkssprache. S o ist beispielsweise in der französischen R o m a n t r a d i t i o n seit den 60er J a h r e n des 12. Jahrhunderts, also etwa seit d e m . R o m a n d ' E n e a s ' , der reine zweisilbige R e i m u n d die regelmäßig alternierende V e r s f u l l u n g die Regel. S o w o h l in der lateinischen D i c h t u n g des Mittelalters als auch hier, in den französischen R o m a n e n ihrer V o r l a g e n , k o n n t e n H e i n r i c h v o n V e l d e k e , H a r t m a n n v o n A u e , G o t t f r i e d v o n S t r a ß b u r g o d e r W o l f r a m v o n E s c h e n b a c h die Leitbilder ihrer R e i m - u n d V e r s t e c h n i k f i n d e n . Ihre K e n n t n i s der lateinischen Literatur der klassischen auctores w i e auch des Mittelalters erweiterte das S p e k t r u m n o r m a t i v e r E x e m p e l v o r allem hinsichtlich Stilistik u n d W e r k s t r u k t u r .

42

Siehe Langosch, Karl, .Carmina Cantabrigensia', in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 1, Berlin/New York 1978, Sp. 1186-1192. Text: Die Cambridger Lieder, hg. v. Strecker, Karl ( M G H ) (1926). 3. unv. Aufl., Berlin-Zürich/Dublin 1966; vgl. hier etwa die Nrn. 1 0 , 1 6 , 1 7 , 27, 33, 35, 40, 42 usw.

43

Siehe Gärtner, Kurt, Williram von Ebersberg, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. io, Berlin/New York 1999, Sp. 1156-1170. Die lateinischen Gedichte sind herausgegeben von Dittrich, Marieluise, Sechzehn lateinische Gedichte Willirams von Ebersberg, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 76 (1939) S. 45-63. Die lateinische Hohelieddichtung ist jetzt verfügbar in: Die älteste Überlieferung von Willirams Kommentar des Hohen Liedes. Edition, Übersetzung, Glossar, hg. v. Schützeichel, Rudolf, Meineke, Birgit (Studien zum Althochdeutschen 39), Göttingen 2001.

44

Text: Die Gedichte des Archipoeta. Krit. bearb. von Watenphul, Heinrich, hg. v. Krefeld, Heinrich, Heidelberg 1958; hier werden etwa in Nr. II bis zu 16 Verse auf den gleichen zweisilbig reinen Versausgang gereimt.

45

Siehe etwa: Die Oxforder Gedichte des Primas (des Magisters Hugo von Orleans), hg. v. Meyer, Wilhelm, Berlin 1907 (Nachdruck Darmstadt 1970).

Wann werden die Klassiker klassisch?

465

S o gesehen sind die klassischen deutschen Texte des Kanons um 1200 nicht End- und Zielpunkte einer sich über mehr als hundert Jahre erstreckenden formgeschichtlichen Entwicklung oder eines längeren

literaturgeschichtlichen

Prozesses, sondern Zeugnisse für die fruchtbare Adaptation formalästhetischer und poetologischer Standards aus dem litterat-lateinischen Bildungsumkreis der klassischen Autoren u m 1200 wie aus der vorbildlichen französischen Literatur der Zeit, die ihnen die Vorlagen ihrer Romane lieferte. 46 U n d so verdankt sich die innovative Kanonkonstruktion innerhalb der deutschen Literatur vergleichbaren Tendenzen im weiteren europäischen Mittelalter: in der französischen Literatur wie auch - mindestens ebenso wichtig - in der lateinischen Literatur des 12. Jahrhunderts einschließlich ihrer Rezeption der römischen Klassiker. V o n diesen Zusammenhängen koppelt sich freilich die Entwicklung innerhalb der deutschen Literatur des fortschreitenden 13. Jahrhunderts weitgehend ab. Z w a r bleibt es weitgehend beim fortwirkenden Einfluss der lateinischen Bildungstradition, der sich bei Autoren wie R u d o l f von Ems, Konrad von Würzburg oder Heinrich von Freiberg deutlich zeigt. Der anspornende Zusammenhang mit der französischen Literatur bricht aber unvermittelt ab in dem Augenblick, in dem sich - sozusagen autochthon - die innovative Kraft des von Gottfried von Strassburg konstruierten Klassikerideals entfaltet. Hier erst werden die Klassiker „klassisch".

V. Die Etablierung eines Kanons vorbildlicher deutschsprachiger Romanliteratur durch Gottfried von Straßburg ist ebenso fulminant wie - auf das Spätmittelalter bezogen - folgenlos; erst die junge Philologie des 19. Jahrhunderts nimmt ihn wieder auf und bestätigt ihn. Für zahlreiche Autoren der Literatur des 13. Jahrhunderts sind zwar die durch den Kanon gesetzten N o r m e n verpflichtender Auftrag, auch lässt sich in einer Reihe von Bearbeitungen älterer Werke die Vorbildlichkeit des Kanon ablesen: Neben der .Maria' des Priesters Wernher sei nur an die Bearbeitungen Β (Anfang 13. Jh.) und C (nach 1250) der Regensburger .Kaiserchronik' erinnert. Doch ist der in den Werken des Kanons sich dokumentierende Fortschritt literarischer Ästhetik keineswegs „flächendeckend". Die Werke Hartmanns, Gottfrieds oder Wolframs werden zwar vielfach abgeschrieben, bis ins 14. und 15. Jahrhundert hinein. Die klassische Regelhaftigkeit

46

Eine über ihren engeren Gegenstand weit hinausweisende Untersuchung zu diesem Problem stammt von Worstbrock, Franz Josef, Dilatatio materiae. Zur Poetik des ,Erec' Hartmanns von Aue, in: Frühmittelalterliche Studien 19 (1985) S. 1-30.

466

Nikolaus Henkel

der Verskunst ist den Schreibern aber vielfach nicht mehr in dem Maße gegenwärtig, dass sie in den Abschriften gewahrt würde. Vollends Werke der „Neuproduktion" des 14. oder 15. Jahrhunderts wie etwa der .Friedrich von Schwaben' verweigern sich dem durch die kanonischen Texte gesetzten Fortschritt. Im Fall des .Friedrich von Schwaben' ist dies umso erstaunlicher, als dieser Text die Kennerschaft der Werke Hartmanns oder Wolframs gezielt bei seinem Publikum abruft. 47 Was für die Seite der Produktion und Reproduktion von Texten mit einiger Sicherheit ausgesagt werden kann, ist für die Seite des Publikumsgeschmacks nur umrisshaft erkennbar. Ganz unsicher ist, in welchem Maße die formalen Errungenschaften der kanonischen Texte überhaupt das ästhetische Bewusstsein geprägt haben. Das Interesse an erzählenden Texte scheint sich stärker am erzählten Gegenstand der Werke, an der „story", zu orientieren als an ihrer formalen Ästhetik. Das ist nun kaum als reflektierte Fortschrittsverweigerung zu interpretieren, eher zeugt es von der Alterität der Kategorien einer literarischen Wertung im Spätmittelalter gegenüber den Kategorien des gegenwärtigen wissenschaftlichen Betrachters. Die Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit ist immer wieder von Phänomenen durchzogen, die als „Fortschritt" im heutigen Sinn gedeutet werden können, doch enden diese „Fort-Schritte" regelmäßig in der Folgenlosigkeit. Sie bilden keineswegs eine zusammenhängende Reihe der Innovationen aus: Die aus heutiger Sicht als bahnbrechend angesehene Einführung des Endreims im 9. Jahrhundert durch Otfrid von Weißenburg bricht eben keine Bahn, denn die Verstechnik des 11./12. Jahrhundert muss neu gelernt werden, weil Otfrid dieser Zeit unbekannt ist. Ebenso zeitlich und lokal begrenzt wie auch folgenlos ist die Ubersetzungsweise Notkers III. von St. Gallen innerhalb der Geschichte des Übersetzens im Mittelalter. Die Formkunst des Minnesangs hat eine durchaus von Fortschritten und Innovationen geprägte interne Geschichte von etwa 1160-1330. Aber die ist nach anderthalb Jahrhunderten beendet, ohne dass sie nach 1350 weitere Beachtung nach sich zöge oder sich in andere Bereiche der Literatur auswirkte. Fortschritt braucht auch keineswegs die dialektische Gegenbewegung der Fortschrittsverweigerung, um zum Erliegen zu kommen, vielmehr scheint es, dass vielfach die sich abschwächende „Aufmerksamkeit" (um ein Stichwort der neueren Medienstrategie aufzunehmen) dafür verantwortlich ist.

47

Siehe dazu etwa Gärtner, Kurt, Z u r Rezeption des Artusromans im Spätmittelalter und den Erec-Entlehnungen im .Friedrich von Schwaben', in: Artusrittertum im späten Mittelalter. Ethos und Ideologie, hg. v. Wolfzettel, Friedrich (Beiträge zur deutschen Philologie 57), Gießen 1984, S. 6 0 - 7 2 .

Wann werden die Klassiker klassisch?

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Das Beispiel der höfisch-klassischen Literatur des deutschen Mittelalters zeigt, dass Fortschritt lediglich auf einer partiellen Wahrnehmung der Andersartigkeit und Neuheit von Wertungskategorien aufruht, keineswegs eine umfassende geistig-kulturelle Bewegung darstellt, die das Merkmal der Nachhaltigkeit erfüllt.