Tradition als Interpretation in der Chronik: König Josaphat als Paradigma chronistischer Hermeneutik und Theologie [Reprint 2015 ed.] 3110127911, 9783110127911

The series Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (BZAW) covers all areas of research into the

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Tradition als Interpretation in der Chronik: König Josaphat als Paradigma chronistischer Hermeneutik und Theologie [Reprint 2015 ed.]
 3110127911, 9783110127911

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abkürzungen
Das Thema
Α. Die Fragestellungen
1 Forschungsgeschichtliche Grundprobleme der Chronikbücher
2 Historiographie in der Spannung von Tradition und Interpretation – eine Problemskizze
Β. Die Texte
3 Chronistischer und historischer Josaphat
4 II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats
5 II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat
6 II 20,31-21,1a: Der „späte Josaphat“
7 Interpretation und Verifikation. Die Chronikbücher und ihre Ausleger
Ausblick
Personenregister
Verzeichnis der Bibelstellen
Bibliographie
Anhang: Kategorienschlüssel (nach: Th. WILLI)

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Kim Strübind Tradition als Interpretation in der Chronik

w DE

G

Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von Otto Kaiser

Band 201

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1991

Kim Strübind

Tradition als Interpretation in der Chronik König Josaphat als Paradigma chronistischer Hermeneutik und Theologie

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1991

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek —

ClP-Einheitsaufnahme

Strübind, Kim Tradition als Interpretation in der Chronik : König Josaphat als Paradigma chronistischer Hermeneutik und Theologie / Kim Strübind. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1991 (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft ; Bd. 201) Zugl.: Berlin, Kirchl. Hochsch., Diss., 1989 ISBN 3-11-012791-1 NE: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft / Beihefte

ISSN 0934-2575 ©

Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz und Bauer, Berlin 61

Meinen Eltern und Schwiegereltern in Dankbarkeit

Vorwort „Die menschlichen Dinge - auch diejenigen, über die man einige Macht zu haben meint - laufen immer wieder anders, als man plant. Hominum confusionef Dei Providentia? Sicher auch und sicher entscheidend: Dei Providentia, aber sicher so, daß auf der anderen, der menschlichen Seite zunächst und an sich alles confusio ist, viele Pläne gar nicht und so ziemlich alle Pläne ganz anders zur Ausführung kommen, als man sie jeweils geplant hatte." (Karl Barth K D 1/1, VI)

Die vorliegende Untersuchung wurde im September 1989 an der Kirchlichen Hochschule Berlin als Dissertation eingereicht. Daß diese Studie jenseits meines subjektiven Wohlgefühls über den Abschluß der Aufgabe auch objektive Wertschätzung im Kreis der theologischen Lehrer fand, konnte bei den Vorarbeiten der geplanten Untersuchung nicht vorausgesehen, ja nicht einmal geahnt werden: „Dei Providentia" also. Die anthropologische Kehrseite mußte folglich „hominum confusione" sein, wenngleich freudige confusio meinerseits! Welche Beziehungen auch immer zwischen Karl Barth, einem der „Kirchenväter des 20. Jahrhunderts", und dem jüdischen Theologen, den wir den „Chronisten" nennen, bestehen mögen - dies im einzelnen aufzuzeigen mag Aufgabe eines Magister ludi in Hesses Glasperlenspiel sein - zumindest verbindet beide eine bisweilen kompromißlose Konsequenz und Souveränität ihrer theologischen Entwürfe, die hier wie dort in der Souveränität des Wortes Gottes gründet. Es ist für mich eine freudige „Kür" (und keineswegs nur konventionelle „Pflicht" des akademischen Betriebes) meinen Lehrern und Förderern zu danken, unter ihnen Professor Dr. Peter Welten, der mein Interesse an den Chronikbüchern weckte. Professor Dr. Rüdiger Liwak verhalf mir durch seine Konnotationen zu mancher Einsicht. Auch Professor Dr. Peter C. Bloth gebührt Dank, der als Rektor der Kirchlichen Hochschule Berlin die Einleitung des Promotionsverfahrens engagiert unterstützte und ökumenische Weitsicht walten ließ. Gedankt sei besonders Professor Dr. Otto Kaiser für die Aufnahme der Untersuchung in die BZAW-Reihe sowie für seine freundliche Ermutigung, die alttestamentliche Wissenschaft als theologische Disziplin zu betreiben. Unter den vielen von mir hochgeschätzten Lehrern der Kirchlichen Hochschule weiß ich mich der Arbeit und der Person von Professor Dr. Peter von der Osten-Sacken verbunden, der uns Lernenden Wege zu einer besseren christlichen Theologie des Judentums wies. Ihm verdanke ich u.a. die Teilnahme an einem Studienjahr an der Hebräischen Universität in Jerusalem, das vom Arbeitskreis „Studium in Israel" gefördert wurde. Die dort erworbenen judaistischen Kenntnisse kamen auch in der vorliegenden Untersuchung zum Tragen. Frau Dr. theol. Andrea Strübind ist nicht nur meine liebe Frau 31Ö XXÖ n&'X KXÖ (Spr 18,22) - , sondern zugleich kompetente Kollegin, deren Rat für mich zu jeder Zeit Gewicht hatte. Cand. theol. Olaf Lange

VIII

Vorwort

und Wolfgang Pfeiffer besorgten Durchsicht und Druckvorlage. Ihre selbstlose und engagierte Hilfe ist für mich von unschätzbarem Wert gewesen. Undenkbar wären Studium und Promotion ohne die tatkräftige und gleichbleibende Unterstützung meiner Eltern und Schwiegereltern, die nicht nur liebevolle „Sponsoren" des Unternehmens waren, sondern auch selbst auf vieles verzichteten, um meiner Frau und mir beides zu ermöglichen. Kim Strübind

Berlin-Lichterfelde, Juni 1991

Inhalt Vorwort Verzeichnis der Abkürzungen Das Thema

VII XIII 1

A. Die Fragestellungen 1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme der Chronikbücher . . . .

1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.2.1 1.4.2.2 1.4.3 1.4.3.1 1.4.3.2 1.4.3.3 1.4.3.4 1.5 2

Vorbemerkung Einleitungsfragen Name und Stellung im Kanon Inhalt und Aufbau Quellen, Redaktion und Kreation des Chronisten Sprache, Stil und Text Verfasser, Zeit und Milieu „Chronik" - oder „Chronistisches Geschichtswerk"? Linguistische und literarische Gesichtspunkte Theologische Zusammenhänge in der Chronik und in Esr-Neh Die Kanongeschichte als Argument Das Ergebnis Theologische Intentionen Vorbemerkung Das Problem theologischer Strömungen in nachexilischer Zeit. Theokratie und Eschatologie als Interpretationsrahmen der Chronik Kritische Einwände Theologische Einzelmotive Allgemeine Beobachtungen (Rothstein / Hänel) Ergänzungen und Modifikationen (v.Rad, Rudolph, North) . . . Ergänzungen und Modifikationen (Noth, Goldingay, Welten und Williamson) Anthropologische und kosmologische Perspektiven Zusammenfassung

Historiographie in der Spannung von Tradition und Interpretation - eine Problemskizze

2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.2.1

Vorbemerkung Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit Die Geschichtlichkeit alttestamentlicher Rede von Gott Tradition und Interpretation im Alten Testament Das Problem von Kontinuität und Diskontinuität

9 9 10 10 12 14 21 23 25 26 29 35 36 37 37 37 38 42 45 45 49 52 56 59 61 61 61 61 64 64

X

Inhalt

2.2.2.2 Tradition als Prozeß 2.2.2.3 Tradition als Interpretation Exkurs: Geschichtliches und weisheitliches Denken im Alten Testament 2.2.3 Anfänge der Historiographie im Alten Testament 2.2.3.1 Die Sonderstellung Israels im Alten Orient 2.2.3.2 Einwände und Modifikationen 2.2.3.3 Die ältesten Geschichtswerke Israels 2.2.4 Die deuteronomistische Geschichtstheologie 2.2.4.1 Der Charakter des Werkes (Noth) 2.2.4.2 Einwände und Ergänzungen 2.3 Tradition als Interpretation in der Chronik 2.3.1 Die Chronik als Auslegung 2.3.1.1 Textkritische Differenzen (KAT I-II) 2.3.1.2 Redaktion (KATIII-V) 2.3.1.3 Interpretation (KAT VI-IX) 2.3.1.4 Glossierende Interpretamente 2.3.2 Auswertung 2.3.3 Die Chronik als Geschichtsschreibung 2.4 Zusammenfassung

64 66 70 72 72 74 75 76 77 79 82 83 85 86 89 93 93 95 98

B. Die Texte 3

Chronistischer und historischer Josaphat

3.1 3.2 3.2.1 3.2.1.1 3.2.1.2 3.2.1.3 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.2.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.5

Josaphat - ein synoptischer Überblick Der chronistische Josaphat Josaphat im Kontext der Chronik Die Einbettung in den vorangehenden Kontext Die Einbettung in den nachfolgenden Kontext Zusammenfassung Josaphat in den Texten der Chronik (allgemeine Beobachtungen) Uberlieferungsgut und Sondergut im Vergleich Die Gliederung der Josaphattexte in der Chronik Der Textaufbau - ein Deutungsversuch Zusammenfassung Der historische Josaphat Palästina im Kräftespiel der Großmächte des 9. Jahrhunderts v.Chr Israel zur Zeit der Omriden Juda unter Josaphat II 17-21,1: Geschichtliche Kontinuität und historische Diskontinuität Zusammenfassung

103 103 104 104 104 107 109 110 110 113 114 119 119 120 121 124 129 132

Inhalt 4

II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.3 5

II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.3.1 5.1.3.2 5.1.3.3 5.1.3.4 5.1.4 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5

Textanalyse Der Textbestand Literarische Analyse Einzelauslegung Die Binnenstruktur des Textes Die Eingangsnotizen (V lf) Der Jahwetreue (V 3-6) Der Lehrer des Volkes (V 7-9) Der im Ausland Hochgeschätzte (V lOf) Der Bauherr (V 12f) Der Heeresreformer (V 14-19) Zusammenfassende Beurteilung

Die Niederlage (II 18,1-19,3) Die Binnenstruktur des Textes Exkurs: Zur Komposition von lKön 22,1-38 Die chronistische Rezeption der Vorlage Die chronistische Interpretation der Vorlage Der Textbestand Die Einleitung (18,lf) Der Ramoth-Feldzug (V 3-9.17.28-34) Die Deutung (19,1-3) Exkurs: Prophetie und Weissagung in der Chronik Zusammenfassende Beurteilung Der bußfertige Rechtsreformer (19,4-11) Der Textbestand Einzelauslegung (V 4-11) Zusammenfassende Beurteilung Der Sieg (20,1-30) Theologische Vorfragen zur Binnenstruktur des Textes Der Textbestand Die Not (V 1-13) Der jahwetreue König (V 18.20f.25.27.29f) Zusammenfassende Beurteilung

II 20,31 -21,1 a: Der „späte Josaphat" Der Textbestand Die Binnenstruktur des Textes Statistische Angaben der Königschronik (V 31-34) Das Bündnis mit Ahasja und die Folgen (20,35-21,la) Zusammenfassende Beurteilung

XI 134 134 134 135 141 141 141 143 145 147 149 151 153 155 155 155 156 158 159 159 160 161 164 167 171 171 171 172 176 176 176 179 181 184 187 189 189 190 192 195 198

XII 7 7.1 7.2 7.3 7.4

Inhalt

Interpretation und Verifikation Die Chronikbücher und ihre Ausleger Die literarischen Ergebnisse Die historische Situation - und die Konsequenzen Die materiale „Lokalmethode" als Beitrag zur chronistischen Theologie Die Chronik als auslegendes Geschichtswerk

199 199 200 202 204

Ausblick

207

Personenregister

209

Bibelstellenregister

212

Bibliographie

217

Anhang: Kategorienschlüssel (nach Th. Willi)

Abkürzungen I II BH BHK BHS ChrG Dtn Dtr dtr DtrG DtrH DtrN DtrP Esr-Neh Hs(s) KAT (I-IX) L LXX M

Q s

Sam-Kön

T

u.ö. V V (+Zahl)

= = = =

= -

= = =

= = =

= = = = = —

=

= = = = = =

=

1. Buch der Chronik 2. Buch der Chronik Biblia Hebraica (Codex Leningradensis) Biblia Hebraica (Kittel) Biblia Hebraica Stuttgartensia Chronistisches Geschichtswerk Deuteronomium der „Deuteronomist" deuteronomistisch Deuteronomistisches Geschichtswerk Deuteronomist („Historiker") Deuteronomist („Nomist") Deuteronomist („Prophet") Esra- und Nehemiabuch (als Gesamtwerk) Handschrift(en) Kategorie der Differenzen-Analyse nach Th. Willi (Anhang) Vetus Latina Septuaginta masoretischer Text (BH) Logienquelle (synoptische Evangelien) syrische Ubersetzung („Peschitta") Bücher Samuelis und Könige (als Gesamtwerk) Targum und öfter Vulgata Vers (mit Verszahl) im laufenden Bibeltext

(weitere Abkürzungen entsprechen literarischer Konvention und den Verzeichnissen in 3 R G G bzw. TRE)

Das Thema Als Julius WELLHAUSEN 1878 in seinem epochemachenden und später „Prolegomena zur Geschichte Israels" 1 genannten Werk die Ergebnisse seiner traditions- und literarkritischen Studien vorlegte, war damit, gleichsam als „Nebenfrucht" 2 der Pentateuchforschung, auch ein Meilenstein der Chronikforschung gesetzt. In Anlehnung an DE WETTES Beiträge zur Chronikforschung 3 , die beim Erscheinen der „Prolegomena" bereits mehr als siebzig Jahre alt waren, ist der Forschung durch dieses Werk eine präzise Bestimmung des Verhältnisses von Tradition und Interpretation an biblischen Texten aufgegeben, der literarkritische Lösungsansatz der Chronikfrage durch EICHHORN4 dagegen fragwürdig geworden. Der Chronist ist bei WELLHAUSEN keineswegs ein gewissenhafter Sammler von Lokaltraditionen, vielmehr sei die Chronik als wohldurchdachte „Umdichtung" 5 zu verstehen, von der gelte: „In dem Gesamtgebilde, welches sie malt, spiegelt sich ihre eigene Gegenwart, nicht das Altertum wieder" 6 . Weder wolle sie den Samuel-Könige Büchern (Sam-Kön) ihren kanonischen Rang streitig machen, noch das als Autorität zitierte „Buch der Könige" 7 ersetzen. Vielmehr stelle das Geschichtswerk einen Midrasch zu dieser in II 24,27 zitierten Schrift dar: „Ob man Chronik sagt oder Midrasch des Buchs der Könige, ist dabei ziemlich gleichgiltig, sie sind Kinder des selben Schoßes [...], während dagegen die wörtlich aus dem kanonischen Buche der Könige beibehaltenen Stücke in beider Hinsicht sofort auffällen."8

Durch WELLHAUSENS Analyse sind nicht nur fundamentale Fragestellungen und Probleme der Chronik präzise erfaßt und formuliert worden, die scharfsinnigen Lösungen sind, trotz mancher Kritik im Detail, auch heute von erstaunlicher Aktualität 9 . Die „Prolegomena" stellen neben DE WETTES 1 Vgl. J. WELLHAUSEN, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 6 1927. Zur Bedeutung dieses Werkes vgl. H.J. KRAUS, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 3 1982, 255-274. 2 TH. WILLI, Die Chronik als Auslegung. FRLANT 106, Göttingen 1972, 44. 3 Vgl. W.M.L. DE WETTE, Beiträge zur Einleitung in das Alte Testament I, Halle 1806 (Nachdr. Hildesheim / N e w York 1971), 3-132.

4 Vgl. WILLI, Auslegung, 3lf. 5 WELLHAUSEN, P r o l e g o m e n a , 2 1 9 .

6 A.a.O., 206. 7 Vgl. II 24,27. Dabei denkt WELLHAUSEN nicht an Teile des DtrG, vielmehr werde hier ein „spätes Machwerk" zitiert, das eine „apokryphe Aufputzung und Erweiterung" von SamKön darstelle (Prolegomena, 222); vgl. auch Punkt 1.2 Einleitungsfragen (s.u.). 8 WELLHAUSEN, P r o l e g o m e n a , 2 2 3 .

9 Sowohl das Problem der Unterscheidung von primärer, sekundärer und tertiärer Geschichtsschreibung (s.u.) als auch WELTENS Verständnis des Chronisten als „Autor" sind bei WELLHAUSEN im Prinzip erkannt und formuliert worden. Vgl. Prolegomena, 165-223; E. JENNI, Aus der Literatur der chronistischen Geschichtsschreibung, ThR 45, 1980, 101106.

2

Das Thema

Untersuchungen den terminus a quo der modernen Chronikforschung dar und bleiben ein ernster Gesprächspartner auch der vorliegenden Arbeit zur Theologie des Chronisten. Die brillianten Darlegungen W E L L H A U S E N S bedürfen allerdings auch einer grundsätzlichen Kritik. Dessen vom Positivismus und Historismus geprägtes Vorverständnis verstellte eine Würdigung der theologischen Arbeit des Chronisten, dessen Darstellung allzu voreilig als „Geschichtsfälschung" und damit in tnalam partem interpretiert wurde. „Die Änderungen und Supplemente der Chronik fließen schließlich alle aus dem selben Brunnen: es ist die Judaisirung der Vergangenheit, in welcher sonst die Epigonen ihr Ideal nicht wieder erkennen konnten. Das Gesetz und die Hierokratie, und der deus ex machina als einzig wirksamer Faktor der heiligen Geschichte sind [...] hinzugesetzt." 10

Die an sich wertfreie Gattungsbezeichnung „Midrasch" erfährt ein ebenso negatives Urteil: „Der Midrasch ist die Folge der Heilighaltung der Reliquien der Vergangenheit, eine ganz eigene Wiedererweckung der toten Gebeine [ . . . ] Wie Efeu umgrünt derselbe den abgestorbenen Stamm mit fremdartigem Leben, Altes und Neues in sonderbarer Vereinigung mischend. Es ist die Hochschätzung der Überlieferung, welche sich in ihrer Modernisirung äußert; aber dabei wird sie auf das willkürlichste umgedeutet, verrenkt und mit fremdartigen Zutaten versehen." 11

Hinter die positivistischen und antijüdischen Urteile W E L L H A U S E N S wird der Theologe Fragezeichen stellen und die Gefolgschaft verweigern müssen. Wir fragen von vorne: In welchem Verhältnis stehen geschichtliche Kontinuität und historische Diskontinuität in der Neuerzählung von Geschichte, wenn man, wie M. K A H L E R , Faktizität und Wirkungsgeschichte vergangener Ereignisse terminologisch zu differenzieren versucht12? Wenn sich Tradition als Interpretation vollzieht, ist dann eine schroffe Diastase beider Größen denkbar? Ferner ist zu bedenken, daß die Feststellung dessen, „wie es eigentlich gewesen" ( v . R A N K E ) , als Kriterium jeglicher Historiographie durchaus fragwürdig ist und keineswegs die Dignität eines Axioms theologischer Erkenntnisbemühungen besitzt. Nach G. S T R E C K E R ist es die Aufgabe des Exegeten, „nicht Wahrheit, sondern Richtigkeit zu erfragen, d.h. festzustellen, was gewesen ist und was geglaubt wurde, nicht aber zu prüfen oder zu werten, ob das Geglaubte zu Recht oder zu Unrecht geglaubt wurde"".

10

WELLHAUSEN,

Prolegomena, 219.

11 A.a.O., 223. 12 Die Unterscheidung der Attribute „historisch" und „geschichtlich" folgt der theologiegeschichtlich klassischen Distinktion M. KÄHLERS, der auf diese Weise die (s.E. illusionäre Suche) des historischen Positivismus nach den „facta bruta" von der in der Geschichte wirksamen Rezeption eines vergangenen Ereignisses durch die Umwelt abhob, welches allein historisch-kritisch erfaßbar sei. K A H L E R explizierte dieses Problem anhand der seiner Zeit aktuellen Frage nach dem „historischen Jesus". Näheres und Literatur, s.u. 13 G. STRECKER, Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, in: ders. (Hg.), Das Problem der Theologie des Neuen Testaments. W d F 367, Darmstadt 1975, 23.

Das Thema

3

Der Chronist14 teilte jedenfalls nicht die Denkvoraussetzungen des Historismus des 19. Jahrhunderts, wie gerade der Historiker zugeben wird. Sein Neuerzählen von Geschichte ist ein Deutungsversuch, ist anredendes Kerygma, fern aller objektivierenden historischen Distanz. Diesem Deutungsversuch will die vorliegende Arbeit nachgehen. Tradition als Interpretation im Rahmen der Chronikbücher ist die Darstellung der Geschichte als Theologie. Dogmatisch gesprochen: es soll der Versuch unternommen werden, den „usus theologicus historiae" dieses Geschichtswerkes zu erarbeiten - freilich ohne das Recht eines „usus historicus historiae" des Exegeten und zeitgenössischen Historikers zu abrogieren. Tradition als Interpretation bzw. Geschichte als Theologie chiffriert somit das hermeneutische Problem des Chronisten, nicht jedoch die Frage nach einem zeitgenössischen, christlichen Verstehen der Chronik oder gar des Alten Testaments15. Innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft führt die Chronikforschung im deutschsprachigen Raum seit langer Zeit eine Randexistenz. Seit 1955 ist trotz zahlreicher neuer Erkenntnisse kein deutschsprachiger wissenschaftlicher Kommentar mehr erschienen, theologische Kompendien wissen über die Chronikbücher meist nicht viel zu sagen. Daß dieses späte Geschichtswerk neben Esr-Neh zu den wenigen und wichtigen Quellen der spätnachexilischen Geschichte Israels und seines theologischen Selbstverständnisses zählt 16 , wird in vielen Darstellungen nicht angemessen berücksichtigt 17 . Die Mehrzahl der neueren Arbeiten und Kommentare entstam-

14 „Der Chronist" steht in dieser Untersuchung als Kürzel für den oder die Verfasser, ohne eine Vorentscheidung hinsichtlich der Singularität oder Pluralität präjudizieren zu wollen. Näheres siehe Punkt 1.2 Einleitungsfragen. 15 Zum hermeneutischen Streit in Geschichte und Gegenwart vgl. A.H.J. GUNNEWEG, Vom Verstehen des Alten Testaments. Eine Hermeneutik, ATD / E 5, Göttingen 1977; M. OEMING, Gesamtbiblische Theologien der Gegenwart. Das Verhältnis von AT und N T in der hermeneutischen Diskussion seit G. v.Rad, Göttingen 2 1987. 16 Vgl. S. HERRMANN, Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, München 2 1980, 53f; P. WELTEN, Geschichte und Geschichtsdarstellung in den Chronikbüchern, Neukirchen 1973, 45f. 201-206; A. WEISER, Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 1939, 271; O . ELSSFELDT, Einleitung in das Alte Testament, Tübingen 3 1964, 732. 17 Die Vernachlässigung der Chronikbücher im Bereich der alttestamentlichen Forschung ist verblüffend: G. FOHRER, Geschichte der israelitischen Religion, Berlin 1969, widmet der Theologie der Chronik gerade eine Seite (370f.) in einer 400 Seiten umfassenden Darstellung der alttestamentlichen Religionsgeschichte! In einem persönlichen Gespräch am 25.5.1986 im Kreise einiger Theologiestudenten in FOHRERS Jerusalemer Wohnung votierte dieser gar für eine „Streichung" der Chronik (sowie Deuterojesajas und aller apokalyptischer Traditionen) aus dem Kanon, da ihr Inhalt ein historisch falsifiziertes Konstrukt darstelle. C. WESTERMANN, Theologie des Alten Testaments in Grundzügen, ATD/E 6, Göttingen 1978, 186, würdigt nach der Darstellung der alttestamentlichen Geschichtswerke P, J und DtrG die Chronik nur eines einzigen Satzes: „Das chronistische Geschichtswerk kann nur erwähnt, hier aber nicht dargestellt werden." - Offensichtlich zählt die chronistische Sicht der Geschichte für WESTERMANN nicht mehr zu den „Grundzügen" einer Theologie des Alten Testaments, wobei eine Begründung dieses willkürlichen Satzes unterbleibt. Eine negative Würdigung erfährt die Chronik auch bei A. WEISER, Einleitung, 271. R. SMEND, Die Entstehung des Alten Testaments, Theologische Wissenschaft 1, Stuttgart/Berlin u.a. 3 1984, 229, nennt die Theologie des Chronisten eine „wirklichkeitsfremde, nach einer theologischen Doktrin gestaltete Geschichtsdarstellung", wobei dieses

4

Das Thema

men der angloamerikanischen Forschung, während im deutschsprachigen Raum die Arbeiten von Th. WILLI, P. WELTEN und R. MOSIS in den Jahren 1972-1973 neue Perspektiven eröffneten 18 . Das Forschungsdefizit mag darin begründet sein, daß die historische Zuverlässigkeit der Nachrichten über das vorexilische Israel eher im DtrG als in den Chronikbüchern zu suchen ist. Andererseits ist das letzte Buch des Tenach, des jüdischen Kanons, von unschätzbarem Wert für die Erhellung der Zeit des Chronisten, wie schon WELLHAUSEN erkannte. Diese Erkenntnis ist erst durch die o.g. neueren Arbeiten auf den Traditionsstoff und das Sondergut hin bedacht und theologisch fruchtbar gemacht worden. Zu der erwähnten „Chronikvergessenheit" mag auch das von O . PLÖGER wirkungsgeschichtlich ungemein bedeutsame Geschichtsbild von „Theokratie und Eschatologie" 1 9 beigetragen haben, worauf noch einzugehen ist. Die vorliegende Arbeit will die historische Frage nach dem, was gewesen ist, nicht ausblenden, aber kritisch darauf hinweisen, daß die exegetische Aufgabe damit noch nicht erledigt ist: Sie umfaßt das Verständnis kontingenter Geschichtsereignisse durch den Chronisten, wobei auf die Neuinterpretation des Überlieferungsstoffes ebenso zu achten ist wie auf die Intention und Form des Sondergutes 20 . Zu diesem Zweck bietet sich die Josaphat-Rezeption als Paradigma chronistischer Geschichtstheologie an: Traditionsstoff und Sondergut sind an dieser Stelle der Chronik eng miteinander verbunden. Die Darstellung der Tradition als Interpretation in der Chronik ist darum zum einen überlieferungsgeschichtlich, zum anderen aber auch traditionsgeschichtlich transparent zu machen 21 . Ferner ist Josaphat auch ein „wichtiger" König für den Chronisten. In 102 Versen bzw. vier Kapiteln (II 17,1-21,1) kommt eine Fülle zentraler Themen zur Sprache. Der Gang der Erkenntnis folgt dabei einer systematischen Überlegung. Unter dem Stichwort A. Die Fragestellungen wird versucht, den gegenwärtigen, äußerst kontroversen Stand der Chronikforschung darzustellen, wie er sich in der Einleitungswissenschaft und der Theologie im engeren Sinne

18

19

20 21

Werk für die Geschichte des vorexilischen Israel fast wertlos sei. Unerwähnt bleibt aber der Quellenwert der Chronik für die spätnachexilische Geschichte (s.u.). Vgl. WILLI, Auslegung; WELTEN, Geschichte; R . MOSIS, Untersuchungen zur Theologie des chronistischen Geschichtswerkes, Freiburg / Basel / Wien 1973. Zur Würdigung dieser Arbeiten vgl. E. JENNI, ThR 45, 101-106. Vgl. O . PLÔGER, Theokratie und Eschatologie, Neukirchen 1959, positiv rezipiert von A.H.J. GUNNEWEG, Geschichte Israels bis Bar Kochba, Theologische Wissenschaft 2, Stuttgart / Berlin / Köln u.a. 5 1984, 150-152. Auch das fragwürdige sogenannte „Vergeltungsdogma" der Chronik mag einer ablehnenden Haltung Vorschub geleistet haben (s.u.). Stellvertretend für beide Aufgaben stehen die Arbeiten von WILLI, Auslegung (Überlieferungsgut), und WELTEN, Geschichte (Sondergut). Die Uberlieferungsgeschichte ist hier in einem weiteren Sinne verstanden und meint die Morphologie von Texten, die dem Chronisten vorlagen (z.B. das DtrG) und bearbeitet wurden. Dieses Verständnis von Uberlieferungsgeschichte ist u.E. aufgrund des literarischen Charakters der Chronik (s.u.) sachlich geboten und im Rahmen der Forschung terminologisch vertretbar. Zum Problem vgl. H. BARTH / O . H . STECK, Exegese des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1 0 1984, 13f.40f.

Das Thema

5

widerspiegelt. Dieser Gliederungspunkt stellt u.E. eine wichtige Vorarbeit dar, da Exegese als Gemeinschaftsunternehmen nur im Dialog gelingen kann. Der erste Abschnitt hat seinen „Sitz im Leben" somit in der Gesprächseröffnung. Es folgt eine Problemskizze zur theologischen Geschichtsschreibung im Alten Testament, die der Frage nach dem Selbstverständnis dieses Werkes nachgeht. Probleme der Forschung und Tradition als Interpretation artikulieren die Aufgabe, die der zweite Abschnitt B. Die Texte am konkreten Beispiel verifiziert. Durch den textimmanent vollzogenen synoptischen Vergleich mit dem DtrG werden Beobachtungen gesammelt, kommentiert und Lösungen diskutiert. Unter den Stichworten Interpretation und Verifikation schließt die Arbeit mit dem Versuch der Rückbindung der gewonnen Erkenntnisse an den gegenwärtigen Diskussionstand, wie er im ersten Abschnitt dargestellt wurde. Damit hoffen wir, dem uns gestellten Thema gerecht zu werden und einen „Beitrag zur Theologie des Chronisten" zu leisten, der eine atomisierende oder partikularistische Betrachtungsweise ausschließt. Die vorliegende Arbeit versucht, Geschichtlichkeit als Formmerkmal alttestamentlicher Theologumena zu interpretieren. Daß die Geschichte des Volkes Israel in der Chronik „auf das willkürlichste umgedeutet, verrenkt und mit fremdartigen Zusätzen versetzt" 22 wurde, mag dabei als entrüstete Invektive einer fides quaerens historiam einige Berechtigung haben, als theologisches Verdikt wird es hermeneutisch durch das Wort dessen beschränkt, der nach dem Matthäusevangelium als Herr zu seiner Gemeinde spricht: „ D a r u m ist jeder Schriftgelehrte, der im Reich der Himmel unterrichtet ist, gleich einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorbringt." (Mt 13,52)

In dieser theologischen Perspektive könnte der chronistische „Geschichtsfälscher" einen ausgesprochen „sympathischen Eindruck" 23 hinterlassen. Ja, es besteht gar die zumindest für meine Person keineswegs auszuschließende Gefahr, dem Charme dieses spätnachexilischen Theologen zu erliegen, dessen Welt sich als Welt der stets aktuellen Heiligen Schrift präsentiert und damit „voller Bibel" ist.

22 WELLHAUSEN, Prolegomena, 223.

23

E. JENNI, ThR 45, Untersuchungen.

105, im Blick auf

das Verständnis der Chronikbücher durch Mosis,

A. Die Fragestellungen

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme der Chronikbücher

1.1 Vorbemerkung Ein Vergleich der literarischen Gattungen „Kommentar" 1 , „Einleitung" und ihrer Mischformen 2 vermittelt einen ersten Einblick in die Geschichte der Fragestellungen der Chronikforschung. Wie einer der neuesten Kommentare zur Chronik von H.G.M. WlLLIAMSON darlegt, konzentrieren sich die „main areas of disagreement" 3 der letzten 150 Jahre auf die Problembereiche Chronistisches Geschichtswerk (ChrG), Literarkritik, Redaktionsgeschichte und Verfasserschaft 4 . Diese Fragen sind zum „Schibboleth" der modernen Chronikforschung geworden und bewegen sich im Grenzbereich von Einleitung und Theologie (im engeren Sinne), da formale Beobachtungen oft zu keinen eindeutigen Ergebnissen führten. Die Exegeten sind daher gezwungen, einen hermeneutischen Zirkel zu betreten, indem sie voraussetzen, was erst noch zu beweisen ist. „Needless to say, the commentator's attitude [...] will profoundly affect his interpretation of the Chronicler's presentation" 5 . Das Postulat eines ChrG bedarf als Schlüsselfrage neben den klassischen Einleitungsfragen 6 und der Theologie als Grenzgänger beider Bereiche einer eigenständigen Erörterung. Die vorliegende Gliederung orientiert sich hinsichtlich der Fragestellungen an der Anordnung M. SAEB0S 7 . Innerhalb der systematischen Gliederung folgt die Darstellung chronologischen Gesichtspunkten, ausgehend vom Erscheinungsjahr der Letzt1 Vgl. I. BENZINGER, Die Bücher der Chronik, K H C XX, Tübingen / Leipzig 1901, VIIXVII; R. KITTEL, Die Bücher der Chronik, H K I / 6, Göttingen 1902, V-XVI; J.W. ROTHSTEIN / J. HANEL, Kommentar zum ersten Buch der Chronik, KAT 28 / 2, Leipzig 1927, IX-LXXXV; E.L. CURTIS / A.A. MADSEN, The Books of Chronicles, ICC, Edinburgh 1952, 1-30; K. GALLING, Die Bücher der Chronik, Esra und Nehemia. ATD 12, Göttingen 1954, 7-17; K. RUDOLPH, Chronikbücher, HAT 21, Tübingen 1955, III-XXVI; H.G.M. WlLLIAMSON, The New Century Bible Commentary (NCBC): 1 and 2 Chronicles, Grand Rapids / London 1982, 3-36. 2 Zu „Einleitungen" vgl. WEISER, Einleitung, 267-271; O. ElSSFELDT, Einleitung in das Alte Testament, Tübingen 3 1964, 718-734; O. KAISER, Einleitung in das Alte Testament, Gütersloh 51984, 186-194; R. SMEND, Entstehung, 227-229. - Zu den „Mischformen" von Einleitung und Einführung vgl. W.H. SCHMIDT, Einführung in das Alte Testament, Berlin / New York 31985, 161-171; G. FOHRER, Das Alte Testament II-III, Gütersloh 3 1980, 119-126; R. RENDTORFF, Das Alte Testament. Eine Einführung, Neukirchen-Vluyn 2 1985, 297-303; M. SAEB0, Art. Chronistische Theologie / Chronistisches Geschichtswerk, T R E 8, Berlin / New York 1981, 74-87. 3 Vgl. WlLLIAMSON, N C B C , 5f. 4 Vgl. a.a.O., 12-15. 5 WlLLIAMSON, N C B C , 6.

6 Zur Fraglichkeit und zum Recht der klassischen Einleitungsfragen vgl. O. KAISER, Einleitung, 16.23-25 (besonders Anm. 155). 7 Vgl. SAEB0, T R E 8, 74-85

10

1.2 Einleitungsfragen

auflage der jeweiligen Untersuchung. Damit soll ein Stück „Tradition als Interpretation" auch in der Geschichte der Fragestellungen sichtbar werden.

1.2 Einleitungsfragen 1.2.1 N a m e und Stellung im Kanon 1. Das letzte Buch des hebräischen Kanons wird verschieden bezeichnet. I m masoretischen Kanon (M) findet sich die Uberschrift O W i l , was am besten mit „Tagesereignisse" oder „Annalen" wiederzugeben ist 8 . Von dieser Bezeichnung leitet sich die zuerst bei HIERONYMUS sicher nachweisbare griechische Übersetzung XPONIKON ab, die LUTHER schließlich mit „Chronica" wiedergab 9 . Die Vulgata (V) folgte jedoch der in der Septuaginta gebräuchlichen Uberschrift IlAPAAEinOMENQN, die sie als griechisches Lehnwort übernahm 1 0 . I m Anschluß an eine Studie BACHERS wird diese Bezeichnung dahingehend interpretiert, daß sie, aufgrund des Sondergutes, als Ergänzung zu dem in Sam-Kön verarbeiteten Material, als dort „Übergangenes" oder „Ausgelassenes" verstanden wurde 1 1 . W.H. SCHMIDT verweist auf eine andere mögliche Interpretation. D a sich die Bezeichnung IIA PA AEHIOMENQN nur in der Septuaginta ( L X X ) sowie in der Vulgata findet, könnte „das Ausgelassene" darauf hinweisen, daß die Chronikbücher wegen ihrer Parallelität mit Sam-Kön zunächst aus dem Kanon „ausgelassen" und später in den Kanon nachgetragen wurden 1 2 . Die divergierenden Überschriften rechtfertigen den Zweifel an der Ursprünglichkeit der Inscriptio, wenngleich die masoretische Bezeichnung auch im Talmud nachweisbar ist 1 3 und innerbiblische Parallelen 14 dem Werk formal am ehesten zu entsprechen scheinen. Da die Chronik keineswegs nur in Sam-Kön „Übergangenes", sondern in der selben Intensität „Übernommenes" berichtet, erscheint die LXX-Überschrift „ziemlich ungeschickt" 1 5 und ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit sekundär. D i e LXX-Bezeichnung für die Chronikbücher ist allenfalls ein wichtiges Indiz für das ursprüngliche F e h len einer Inscriptio 1 6 . 8 Seit KITTEL, HK I / 6, V bis heute durchgängig vertretene Übersetzung; vgl. auch G. GERLEMANN, THAT I, 4 1984, 437. 9 Vgl. RUDOLPH, HAT 21, III. Dort wird wie in fast allen Kommentaren der „Prologus galeatus" zitiert: „Dabre Aiamim, id est Verba Dierum quod significantius Xp0ViK0V totius divinae historiae possumus appellare [...]" 10 Vgl. A. RAHLFS, Septuaginta I, Stuttgart 5 1952, XLVIII.752ff. Die Übernahme des Lehnwortes in V hat wohl apologetische Gründe, vgl. WILLI, Auslegung, 17. 11

V g l . K I T T E L , H K I / 6, V.

1 2 V g l . W . H . SCHMIDT, E i n f ü h r u n g , 1 6 1 . 13 Vgl. WILLI, Auslegung, 15 (Anm. 16) 14 Vgl. l K ö n 15

14,29.

K I T T E L , H K I / 6, V ; vgl. WILLIAMSON, N C B C , 4 .

16 Ein ursprüngliches Fehlen ist u.E. wahrscheinlicher als ein späteres Verlorengehen. Warum sollte ausgerechnet die Überschrift verlorengehen? Vergleichbare Probleme zeigen

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

11

2. Ebenso wie die Überschrift divergiert auch die Stellung im Kanon zwischen M und L X X . Die in M Texten erst seit dem 15. Jahrhundert nachweisbare Zweiteilung der Chronik 1 7 findet sich erstmals in L X X . Während die Chronikbücher als letztes Werk der D^aiiO auf Esr-Neh folgend den Abschluß des dritten und letzten Teils des hebräischen Bibelkanons darstellen, folgt das Werk in L X X auf die vier Könige-Bücher BAIIAEIQN A-A (= Sam-Kön). Es ist eingeordnet in die „geschichtlichen Bücher" des zweiten Kanonteils, gefolgt von der apokryphen Schrift EEAPAZ A ' und dem auch in M vorhandenen EXAPAZ B' (= Esr-Neh) 1 8 . Wie E.L. CURTIS / A.A. MADSEN und O. KAISER bemerken, sind die Texttraditionen von M und L X X nicht ungebrochen: Eine sogenannte „palästinische Reihenfolge" könnte die Chronikbücher am Anfang der „Schriften" (in M) geführt haben, während einige L X X - H s s die Chronik auch vor Sam-Kön gestellt oder ganz ausgelassen hätten 19 . Die Divergenz der Stellung im Kanon erklärt sich aus der unterschiedlichen Konzeption der Textsammlungen M und L X X . Während die hebräische Bibel die drei Etappen eines sukzessiven Kanonisierungsprozesses autoritativer Schriften nachzeichnet 20 , setzt L X X einen lediglich an den Rändern offenen Kanon bereits voraus, den sie übersetzt und systematisch gruppiert 21 . Unabhängig davon, ob man eine Drei- oder Vierteilung als Gliederungsprinzip annimmt 22 , die Chronikbücher wurden in L X X den geschichtlichen Uberlieferungen zugeordnet, die durch die nAPAAEIIlO— MENQN am Ende vervollständigt werden. Die Stellung der Chronik in M läßt viel Raum zu Vermutungen. Wenn ihre „historischen" Angaben bereits von den Rabbinen bezweifelt wurden 2 3 oder einer schriftgelehrten Esoterik vorbehalten blieben 24 , so ließen sich damit leicht Zweifel an der Autorität dieser Schriften rechtfertigen. Andererseits scheint gerade die Zugehörigkeit zum Kanon in der rabbinischen Literatur nicht in Frage gestellt worden zu sein 25 . Dann bliebe als Erklärung für die Stellung der Chronik in M nur der Hinweis auf eine späte Verfasser-

17 18 19 20 21 22

23 24 25

sich auch im Neuen Testament, vgl. P. VlELHAUER, Geschichte der urchristlichen Literatur, Berlin / N e w York 1975, 399. Vgl. ROTHSTEIN / HANEL, K A T 28 / 2, L X X X I I I ; RUDOLPH, H A T 21, III; WILLIAMSON N C B C , 4. Vgl. R. KITTEL (Hg.), Biblia Hebraica, Stuttgart 1937 (Nachdruck 1951); RAHLFS, Septuaginta I-II. Vgl. CURTIS / MADSEN, I C C , 2; KAISER, Einleitung, 404ff, beide erwähnnen bBB 14b. Vgl. KAISER, Einleitung, 402-416. Vgl. a.a.O., 407; vgl. KAISERS berechtigte Kritik an der Jeremia-Hypothese a.a.O., 411 f. Vgl. W.H. SCHMIDT, Einführung, 3; KAISER, Einleitung, 404 bezieht sich auf ELSSFELDTS temporale Dreiteilung: Vergangenheit = Pentateuch und Geschichtswerke, Gegenwart = poetische Bücher, Zukunft = Prophetie. Dieses Schema ist jedoch nicht zwingend, da prophetische Bücher keineswegs nur die Zukunft und die poetischen Schriften nicht nur die Gegenwart reflektieren. Vgl. CURTIS / MADSEN, I C C , 2. Vgl. WILLI, Auslegung, 15f. Vgl. CURTIS / MADSEN, I C C , 2.

12

1.2 Einleitungsfragen

schaft dieses Geschichtswerkes übrig 2 6 , oder man verzichtet ganz auf eine definitive Erklärung: „The precise reason for the position of Chronicles at the end of the Hebrew Canon thus remains unexplained, but within the miscellaneous collection of which the third division, the Writings, is made up this need occasion no surprise."27

Das auf II 24,20-22 anspielende Logion Mt. 22,35 (par) aus der Logienquelle Q mag dabei als Indiz für die Kanonizität und Stellung der Chronik am Ende des Kanons (M) um die Mitte des 1. Jahrhunderts n.Chr. gewertet werden 2 8 . Auf die exponierte Stellung des Werkes im Kanon wird bei der Frage nach der Existenz eines vormals zusammenhängenden ChrG zurückzukommen sein (s.u.).

1.2.2 Inhalt und Aufbau 1. Die Chronik erzählt und interpretiert Geschichte, konkreter, die in die Menschheitsgeschichte eingebettete Geschichte Israels von den Anfängen bis zum - nach chronistischer Darstellung das ganze übriggebliebene Volk betreffende - Exil (II 36,17-21). Während eine Schilderung der Exilszeit unterbleibt, schließt das Werk versöhnlich mit dem Ausblick auf das „Evangelium" des Kyros-Erlasses und dem Aufruf an die Exilierten zur Rückkehr und zum Tempelbau. Diese Geschichte vollzieht sich vor allem als Geschichte der Könige von Juda, von deren qualifiziertem Verhalten Wohl und Wehe des Volkes mitbestimmt werden. 2. Beim Aufbau der Chronik ergibt sich nach Meinung fast aller Forscher ein recht eindeutiges Schema der Stoffverteilung 29 :

A. „Genealogische Vorhalle" B. Regierungszeit Davids C. Regierungszeit Salomos D. Regierung der restlichen Könige von Juda

11-9 110-29 II 1-9 II 10-36

Forscher, die ein ChrG annehmen, können Esr-Neh in diese Gliederung einbeziehen. G. F O H R E R ergänzt diese Gliederung wie folgt 30 :

26

Vgl. ebd.

2 7 WILLIAMSON, N C B C , 5.

28 Vgl. CURTIS / MADSEN, ICC, 2; vgl. auch die parallelen Formulierungen in Mt 21,33ff, 23,34f und II 36,14-17. 29 KAISER, Einleitung, 187. Ebenso gliedern (fast) alle in Anm. 1 und 2 erwähnten Beiträge. Anders jedoch WELTEN, der eine Dreiteilung des Stoffes vorschlägt: A. Das Werden Israels (I 1-9), B. Gründungsund Entstehungsgeschichte des Jerusalemer Tempels (I 10-11 9), C. Bewährung und Versagen der davidischen Könige bis zum Exil (nach einer Vorlesungsmitschrift im WS 1989 / 90). 3 0 V g l . FOHRER, A T , 1 1 9 - 1 2 2 .

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

E. Kyrosedikt, Rückkehr, Tempel F. Esras Sendung und Neuordnung G. Nehemias Sendung, Mauerbau H. Innerer Aufbau

13

Esr 1-6 Esr 7-10 Neb 1-7 Neh 8-13

Eine ähnliche Einteilung vertritt auch O. ElSSFELDT, wenngleich Esr 7 bis Neh 13 von ihm unter dem einen Gliederungspunkt „Festigung der Gemeinschaft durch Esra und Nehemia" subsumiert werden 31 . Eine von dieser Disposition abweichende Vierteilung des Chronikstoffes schlägt WlLLIAMSON vor, der die Existenz eines ChrG entschieden verneint und in Hiskias „Panisraelitismus" (s.u.) eine entscheidende Zäsur sieht 32 : Auf den Abschnitt The Genealogies (11-9) folgt bei ihm das Kapitel The United Monarchy (I 10-11 9), das die Regierungszeit Davids und Salo-

mos zusammenfaßt, dann The Divided Monarchy (II 10-28) und schließlich Hezekiah To The Babylonian Exile (II 29-36).

3. Die seit WELLHAUSEN sogenannte „Genealogische Vorhalle" (I 1 -9) umfaßt zahlreiche Genealogien (u.a. von Adam bis Israel, Stämmeverbände, Leviten), Listen (Levitenstädte 6,39ff), sowie Notizen über Kriege und Stämmewanderungen (2,23; 4,38). Aber auch erzählende Partien finden sich in ihr (2,3.7; 5,25f). Ausführlich werden die Nachkommen Davids (3,1-24) und Levis (5,27-6,66) aufgezählt. Bevor pflichtgemäß Sauls Abstammung und episodenhaftes Königtum (9,1-10,14) Erwähnung findet, wird die (vor allem levitische) Einwohnerschaft Jerusalems beschrieben - ein Anachronismus, da Jerusalem erst durch David erobert wurde. Damit werden Interessensschwerpunkte deutlich. Der zweite Hauptteil konzentriert sich ganz auf die Regierungszeit Davids (I 10-29), der zusammen mit „ganz Israel" 33 Jerusalem einnimmt und Israel eint. Durch die Uberführung der Lade in die neue Hauptstadt wird die Schaffung eines Zentralheiligtums vorbereitet. Wieder wirkt „ganz Israel" mit, wobei die levitischen Ladeträger und Sänger in den Vordergrund treten 34 . Der dritte Hauptteil, die Regierungszeit Salomos (II 1-9) führt das Bild des weisen und reichen Großkönigs vor Augen, dessen entscheidende Tat

31 Vgl. EISSFELDT, Einleitung, 720f. 32 Vgl. WlLLIAMSON, NCBC, 34-36. Hiskia stellt für WlLLIAMSON eine Zäsur dar, da er in der Chronik als „zweiter Salomo" die Einheit des Reiches wiederhergestellt habe. Vgl. auch WlLLIAMSON, Israel in the Book of Chronicles, Cambridge / London / New York u.a. 1977, 1 1 9 - 1 3 1 . 1 4 0 3 3 V g l . S A E B 0 , T R E 8, 7 5 .

34 Vgl. ebd. Daran schließt sich ein geschlossener Komplex der Darstellung der Kriege Davids an, die das Großreich begründen und festigen, bevor chronistisches Sondergut, unter Auslassung großer Partien aus Sam-Kön, den ungefährdeten und reibungslosen Übergang der Herrschaft auf Salomo schildert. Schon David ordnet präzise die Einteilung des Kultpersonals am späteren Tempel und trifft selbst alle notwendigen Vorbereitungen für dessen Bau nach seinem Tod.

14

1.2 Einleitungsfragen

im Verlauf seiner makellosen Herrschaft die Vorbereitung, der Bau und die Weihe des neuen Zentralheiligtums in Jerusalem darstellt. Der letzte Hauptteil, die Regierung der übrigen Könige Judas (II 1036), erzählt und beurteilt die Geschichte der getrennten Reiche aus der Perspektive des „legitimen" dynastisch-davidischen Königshauses35 in Juda bis zum Exil. Bestimmte Könige ragen qualitativ und, was die Stoffülle betrifft, auch quantitativ heraus36. Nach der Herrschaft des „bösen Dreigestirns"37 und der negativen Zustandsbeschreibung von Priestertum und Volk (II 36,14ff) folgen Untergang und Ausblick auf die Erlösung. 1.2.3 Quellen, Redaktion und Kreation des Chronisten 1. Ein synoptischer Vergleich der Chronikbücher mit ihren biblischen Seitenreferenten38 zeigt weitreichende Gemeinsamkeiten und Abweichungen von deren Textbestand sowie eine große Fülle chronistischen Sondergutes39. Diese Beobachtung nötigt zu einer Verhältnisbestimmung von Uberlieferungs- und Sondergut. E I C H H O R N formulierte analog zur neutestamentlichen These vom „Urevangelium" eine Ergänzungshypothese, die eine Minimalbestimmung der redaktionellen Arbeit des Chronisten vornahm. Sowohl Sam-Kön als auch den Chronikbücher hätten gemeinsame Quellen (z.B. ein „Leben Davids") zugrunde gelegen40. Demgegenüber hatte D E WETTE schon zu Beginn seiner „Beiträge zur Einleitung in das Alte Testament" kategorisch festgestellt: „Die Relation der BB Samuels und der Könige und die der Chronik stehen mit einander im Widerspruch; und zwar nicht bloß in einzelnen Nachrichten (was sich vielleicht leicht übertragen ließe), sondern im Ganzen der Geschichte." 41

Nicht aus Quellen geschöpfte, historische Nachrichten wolle der Chronist zu einer Geschichtsdarstellung verbinden, vielmehr handle es sich bei den Zusätzen um „mythische Vermehrungen"42 aus der Denkart einer späteren Zeit ohne historischen Wert für die vom Chronisten erzählte Zeitspanne. Die Extrempositionen EICHHORNS und D E WETTES sind auch im 2 0 . Jahrhundert häufig repristiniert und zugleich modifiziert worden. Daß der Chronist einer späteren Zeit als der Verfasser von Sam-Kön angehört und auf den Pentateuch (oder P) und das DtrG literarisch zurückgreift, kann als 35 Vgl. FOHRER, AT, 120: „Für den Chronisten freilich ereignete sich nach dem Tode Salomos nicht die Reichsteilung, sondern der Abfall der zehn nördlichen Stämme vom Davidshaus." 36 Rehabeam, Asa, Josaphat, Hiskia, Josia. 37 Jojakim, Jojachin, Zedekia. 38 Dazu zählen als Quellen vor allem die Bücher Gen bis 2Kön. 39 Vgl. J. KEGLER / M. AUGUSTIN, Synose zum Chronistischen Geschichtswerk, Frankfurt a. M. / Bern / New York u.a. 1984. 4 0 V g l . WILLI, A u s l e g u n g , 3 2 . 4 1 DE WETTE, B e i t r ä g e , 4 .

42 A.a.O., 50.

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Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

15

gesichert gelten 4 3 . D e r vehemente Protest gegen EICHHORNS Ergänzungshypothese durch DE WETTE - „Leere Hypothese auf leere H y p o t h e s e " 4 4 und durch WELLHAUSEN stellen, abgesehen von dessen inakzeptablen dogmatischen Prämissen 4 5 , den cantus firmus gegenwärtiger Forschungsmeinung dar. 4 6 Wenn sich die teilweise apologetisch motivierten literarkritischen Spekulationen stets von neuem entzünden, dann nicht zuletzt aufgrund der verwirrenden Fülle von Quellenangaben in der Chronik, die man seit WELLHAUSEN in zwei Gruppen einteilt 47 : Zum einen wird in den Chronikbüchern häufig ein „Buch der Könige von Israel und J u d a " 4 8 zitiert, dessen Titel terminologisch variieren kann 4 9 ; zum anderen werden 13 prophetische Quellen erwähnt. WELLHAUSENS Lösung der Quellenfrage ist überraschend einfach. Das „Buch der Könige von Israel / Juda" sei eigentlich ein in nachexilischer Zeit verfaßter Midrasch zu Sam-Kön, während die sogenannten prophetischen Quellen nicht Quellen im engeren Sinn des Wortes meinten. Sie dienten „in einer Zeit, welche keine Kapitel noch Verse k e n n t " 5 0 als Stellenverweise auf Sam-Kön, offenbar in der Meinung, „daß jeder Prophet seine Periode selbst beschrieben habe [...] Bei geringen historischen Ansprüchen wurde es leicht, für jeden Abschnitt den nötigen propheta eponymus zu finden"51. 2. WELLHAUSENS Erklärung stieß in der Blütezeit der literarkritischen F o r schung auf Widerspruch. I. BENZINGER52 verfocht eine literarkritische L ö sung bei gleichzeitiger Gattungsbestimmung der in den Chronikbüchern genannten Quellen, die nicht „Geschichten im strengen Sinne des Wortes" seien, sondern allesamt „Midrasche" 5 3 . Charakteristisch für die fortgeschrittene Art chronistischer Geschichtsschreibung sei die häufige Steigerung ins Wunderbare. D e r Unterschied zur Legende bestehe in der bewußten U m formung des Stoffes durch einen einzelnen Verfasser zu einem bestimmten religiösen Zweck. Abgesehen von einer Midrasch-Sammlung habe der A u tor weiteres historisches Material verwendet, wie z.B. Nachrichten über die Königsfamilie, Bauten, Ladeüberführung, die mit der Chronik „geistesverw a n d t " 5 4 seien. Schließlich liege auch den Genealogien in I 1-9 eine nicht

43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

Vgl. Punkt 1.2.5 Verfasser, Zeit, Milieu (s.u.). DE WEITE, Beiträge, 24. Vgl. DE WEITE, Beiträge, 50; WELLHAUSEN, Prolegomena, 219.223 u.ö. Vgl. WILLI, Auslegung, 35-47. Vgl. WELLHAUSEN, Prolegomena, 221. Ihm folgen die unter Anm. 1 und 2 unserer Arbeit angegebenen Kommentare und Einleitungen. Vgl. II 27,7; 35,27; 36,8. Vgl. WELLHAUSEN, Prolegomena, 221 ff; ELSSFELDT, Einleitung, 723; KAISER, Einleitung, 187; RUDOLPH, H A T 21, X I - X I I I u.ö. Z.B. II 12,15; 13,22; 20,34 u.ö. Ausführliche Aufzählung bei WELLHAUSEN, Prolegomena, 221; RUDOLPH, H A T 21, XI; SAEB0, T R E 8, 77f. WELLHAUSEN, Prolegomena, 221 f. Zur Rezeption dieser These vgl. SAEB0, T R E 8, 78. Zum Folgenden vgl. BENZINGER, K H C 20, X I - X V I . Vgl. a.a.O., X I . Vgl. a.a.O., X I I I .

16

1.2 Einleitungsfragen

näher genannte, „offenbar aber sehr unvollständige" schriftliche Vorlage zugrunde. Daraus ergibt sich dann: „Die Tätigkeit von Chr ist mehr die eines Redaktors als eines selbständigen Schriftstellers"55. Änderungen durch die Hand des Chronisten dienten lediglich der terminologischen Aktualisierung, d.h. der Verdeutlichung von sonst Unverständlichem, oder erfolgten aus „sachlichen Gründen", womit B E N Z I N G E R die spezifisch theologischen Interessen meint. Das Verfahren sei aber „außerordentlich konservativ" (ebd.) angewandt worden und bestehe hauptsächlich in der Auslassung von theologisch anstößigem Material in den Vorlagen56. R. K I T T E L S Einleitung zum Kommentar57 bemüht sich um eine weitere Differenzierung der Quellen. Der Chronist habe gelegentlich neben Sam-Kön auch deren Vorlage benutzt, das „ältere judäische Königsbuch" sowie einen Midrasch desselben (vgl. II 24,27), der allerdings nicht mit dem von W E L L H A U S E N identifizierten Midrasch identisch ist. K I T T E L will damit nicht nur zwei, sondern mindestens drei Quellengruppen unterscheiden, folgt aber in der Beurteilung der prophetischen Quellen (mit zwei Ausnahmen) der Annahme W E L L H A U S E N S 5 8 . Die meisten dieser Quellen ließen sich auf Sam-Kön zurückführen, aber auch auf „das große Königsbuch, einen großen Midrasch zur Königsgeschichte und unser Jesajabuch"59. Die genealogische Vorhalle und weiteres Sondergut enthielten Urkunden unterschiedlicher Provenienz und verschiedenen Alters, die historisch wertvolles Material tradierten und im ganzen vorexilische Verhältnisse getreu wiedergäben. Auch diese Quellenschichten ließen sich im ganzen recht präzise datieren, wenngleich KITTEL immer wieder Unsicherheiten konzedieren muß60. Gegen diese subtilen literarkritischen Hypothesen protestierte C.C. TORREY61 vehement: „It is tirae, that scholars were done with this phantora ,source', of which the internal evidence is absolutely lacking, and the external evidence is limited to the Chronicler's transparent parading of .authorities', while the evidence against it is overwhelming".' 2

Die fruchtlose Suche nach Quellen werde der „vivideness of imagination" und Originalität des Chronisten nicht gerecht, der nur als Novellist recht verstanden sei 63 . 3. Der Chronikkommentar von R O T H S T E I N / H Ä N E L 6 4 greift die Quellenfrage noch einmal neu auf und identifiziert noch weitere Quellen und ur55 56 57 58 59 60 61 62 63 64

BENZINGER, ebd. Vgl. a.a.O., XHIf. Vgl. KITTEL, H K I / 6, X - X V I . Vgl. a.a.O., X l f . Vgl. a.a.O., X I I . Das Jesajabuch lasse sich als Quelle des Chronisten durch einen Vergleich von II 32,32 mit Jes 1-39 nachweisen. Vgl. a.a.O., X I I I - X V I . Das Gemälde der Quellen und Traditionsschichten wird immer farbenreicher und, trotz wichtiger Beobachtungen im Detail - immer spekulativer. Vgl. C.C. TORREY, The Chronicler as Editor and as Independant Narrator (1910), Nachdruck in: ders., Ezra Studies, New York 1970, 208-251. TORREY, Chronicler, 230. Vgl. TORREY, Chronicler, 250f; WILLI, Auslegung, 49 (Anm. 7). Vgl. ROTHSTEIN / HANEL, KAT 28 / 2, X L I V - L X I X .

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Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

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kundenartige Zusätze. Im Gegensatz zur Behauptung M. NOTHS, der Chronist habe im genealogischen Einleitungsteil auf den ganzen Pentateuch „in seiner uns vorliegenden Endgestalt" 6 5 als seiner Hauptquelle rekurriert, meinen ROTHSTEIN / HÄNEL, der Verfasser habe lediglich eine noch für sich existierende Ausgabe der Priesterschrift (P) neben dem Hexateuch benutzt 6 6 . Weiteres genealogisches Material, das nicht aus P stamme, aber mit dieser Quelle „besonders gleichgeartet" sei, ist i.E. ebenfalls verarbeitet worden. Dabei handle es sich um listenartiges Material, das über die Zeit von Mose bis Josua, woran P ausschließlich interessiert gewesen sei, hinausgehe und bis in die Zeit Davids reiche 6 7 . Diese und andere (schwer verifizierbare) Quellenfragmente seien später kompositioneil zusammengearbeitet und von einer „doppelten Redaktion" 6 8 überarbeitet worden, die sich durch das ganze Werk ziehe. Hinter der älteren durchlaufenden Redaktion verberge sich der Schöpfer des chronistischen Werkes, der P außerhalb der hexateuchischen Verarbeitung benutzt habe. Der jüngere Redaktor habe eine abändernde und ergänzende Überarbeitung des „opus princeps" vorgen o m m e n 6 9 . Beide Hauptredaktionen ( C h p und C h R ) lägen zeitlich etwa 3 0 Jahre auseinander 7 0 . D i e Annahme zweier Verfasser der Chronikbücher ist von K . GALLING aufgegriffen und weiterentwickelt worden 7 1 . Innerhalb des C h r G ließen sich anhand von Dubletten und Verklammerungen (Stichwortanschluß) 7 2 zwei Autoren nachweisen, die sich zwar theologisch aufs engste berührten, doch in ihrem Verhältnis zu den vorgefundenen Quellen divergierten. D e r erste Chronist folge in Stoff und Deutung dem Deuteronomiker, dessen B e rufung auf Quellen der Chronist nachahme. Während die vermeintlich „prophetischen Quellen" auf volkstümliche Vorstellungen zurückgingen und mit Sam-Kön identisch seien, hätten dem ersten Chronisten fiir die Darstellung der nachexilischen Geschichte durchaus eigene Quellen zur Verfügung gestanden 7 3 , aus denen das antisamaritanisch orientierte C h r G um 300 v.Chr. entstanden sei 7 4 . D e r zweite Chronist, der sich durch zahlreiche Anachronismen als Nicht-Zeitgenosse entlarve 7 5 , habe die ursprünglich selbständigen Memoi-

65 Vgl. M. NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien I, Darmstadt 2 1957 (Nachdruck 1963), 132. 66 Vgl. ROTHSTEIN / HANEL, K.AT 28 / 2, XLIVff. 67 Vgl. a.a.O., Lff. 68 A.a.O., L I X . 69 Vgl. a.a.O., L X . Neben diesen beiden durchgehenden Hauptredaktionen unterscheiden die Verfasser zahlreiche Bearbeitungen einzelner Quellen, vgl. a.a.O., L X - L X I X . 70 C h p um 432 v.Chr. und C h R um 400 v.Chr., vgl. a.a.O., L X I X . 71 Vgl. GALLING, A T D 12, 8-17. 72 Vgl. a.a.O., 8; als Beleg führt GALLING Esr 2 und Neh 7 (Dublette) an, sowie II 14,5 und 15,15 (Stichwortanschluß). 73 Vgl. a.a.O., 9. GALLING zählt dazu eine „aramäische Chronik von Jerusalem" (Esr 4,66,15), die die Feindschaft der Samaritaner belege, sowie eine Personenstandsliste (Esr 2). 74 Vgl. a.a.O., 14f. 75 Vgl. a.a.O., 15-17.

18

1.2 Einleitungsfragen

ren Nehemias dem chronistischen Werk angefügt und Esr mit Neh verzahnt (Neh 8-10) 76 . Weitere sekundäre Erweiterungen seien von diesem „Deuterochronisten" hinzugefügt worden: Der genealogische Vorbau und die Leviten- und Priesterlisten (I 23ff) stellten ebenso sekundäre Einschübe dar, wie auch die Nachrichten über Wehrverfassung, Festungen, Verwaltung, Rechtspflege, Krongut und Thronerbe, die „das chronistische Werk durch Einzelzügen zu erweitern und zu verlebendigen"77 suchten. Dieser zweite Chronist sei aufgrund des Anachronismus in Esr 6,22 in die Zeit Antiochos III (217-169 v.Chr.) zu datieren78. F.M. C R O S S nahm G A L L I N G S These auf und erweiterte sie. Er erkannte gar die Hand eines dritten chronistischen Herausgebers und postulierte eine chronistische Schule79. 4. Die Hypothesen von mehreren Autoren bzw. durchlaufenden Redaktionen in der Chronik fanden in der neueren Forschung ebensowenig Resonanz 80 , wie T O R R E Y S Verdikt über alle Quellenpostulate - „they are a mere show" 81 - und die Repristination der Ergänzungshypothese durch K E I L 8 2 . Auch der Vorschlag S. M O W I N C K E L S , den über das DtrG hinausgehenden Sonderstoff der Chronik einer eigenen Gesetzen unterliegenden, „lebendigen mündlichen Tradition"83 zuzuschreiben, ist nicht weiter verfolgt worden. Meist werden die literarkritischen Erklärungen W E L L H A U S E N S modifiziert übernommen84. Umstritten bleibt der Quellenwert des chronistischen Sondergutes. Handelt es sich dabei um „chronistische Dichtung" ( W E L L H A U S E N ) , um Auszüge aus den Königsannalen ( N O T H ) , oder um eine erweiterte Fassung des dem Chronisten vorliegenden Königebuches ( R U D O L P H ) 8 5 ? Dabei rechnet R U D O L P H im Anschluß an N O T H mit Einschüben in Form von sukzessiven Nachträgen, die vor allem im disparaten genealogischen Material ihren Niederschlag gefunden hätten, für N O T H „ein Gewirr von sekundären wilden Textwucherungen"86. Die vielen Quellenverweise werden deutlich relativiert. „Daß es sich dabei nur um einen nach dem Vorbild von Dtr geübten literarischen Brauch, aber nicht um das genaue Zitieren von benutzten Quellen handelt, läßt sich exakt nachwei-

76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86

87

Vgl. a.a.O., 9f. GALLING, ATD 12, 12 (vgl. auch Seite 11). Vgl. a.a.O., 16. Vgl. EM. CROSS, A Reconstruction of thejudean Restoration, J B L 94, 1975, 11-14. Vgl. SMEND, Entstehung, 228. TORREY, Chronicler, 223. Vgl. CURTIS / MADSEN, ICC, 20. Vgl. S. MOWINCKEL, Erwägungen zum chronistischen Geschichtswerk, T h L Z 85, 1960, 4f. Vgl. ElSSFELDT, Einleitung, 721-732; RUDOLPH, HAT 21, X - X I I I . Vgl. KAISER, Einleitung, 187f. Vgl. NOTH, Studien I, 110-150 (vor allem 122), der vorwiegend in I 1-9 und 23-27 mit sekundären Zusätzen rechnet. Vgl. auch RUDOLPH, H A T 21, 1-5.93. Zustimmend auch SAEB0, T R E 8, 79. NOTH, Studien I, 134.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

19

5. Demgegenüber weiß WILLI in einer bemerkenswerten Studie die Quellenverweise des Chronisten vom Geschichtsverständnis des Autors her theologisch aufzuschlüsseln, , 3 s geht in den Quellenzitaten also nicht um reale oder fiktive Quellen des Chronisten, sondern um seine überlieferungsgeschichtliche Konzeption" 8 8 . Historisch gesehen benutze der Autor keine außerbiblischen Quellen 89 . Ausgehend von der Beobachtung, daß sich mit einer Ausnahme alle chronistischen Quellenverweise an derselben Stelle wie in Sam-Kön befinden, versteht WILLI im Kontext seines Verständnisses der Chronik als „Auslegung" seiner biblischen Vorlage die chronistischen Quellenverweise nicht als freies literarisches Produkt, sondern als „Auskunft über das chronistische Verständnis der Quellen des Deuteronomisten"90\ Nach der Meinung WILLIS „sollen ja die deuteronomistischen Quellenverweise durch die chronistischen exegesiert werden" 9 1 . Treibendes Motiv sei dabei die Frage nach der Gültigkeit und Vollmacht der Quellen des DtrG, die durch den propheta eponymus ( W E L L H A U S E N ) zementiert werde. Die namentliche Anführung prophetischer Berichte verbürge die Autorität des Quellenmaterials des DtrG (nicht aber der Chronik!) 9 2 . M.a.W. man kann von einem apologetischen Motiv des Chronisten zugunsten seiner Vorlage sprechen. Die suggerierte historiographische Arbeit der Propheten sei vom Chronisten als eine dem DtrG übergeordnete „primäre Geschichtsschreibung" zu verstehen, während das verschieden bezeichnete „Buch / Midrasch der Könige" eine aus der Sicht des Chronisten „sekundäre Geschichtsschreibung" darstelle, der das Sammeln der „Quellen" als Hauptaufgabe oblag (vgl. II 20,34) 9 3 . Die biblischen Königebücher (SamKön) stellten eine dtr Epitome der postulierten Prophetenannalen dar. Der Verweis auf das (nichtkanonische) „Buch der Könige" unterstreiche das dreigliedrige chronistische Konzept von Geschichtsschreibung: sowohl der primären (Prophetenquellen), als auch der sekundären (Könige-Buch und DtrG) und der tertiären Historiographie 94 . „Diese Konzeption [...] hatte weitreichende Folgen. Sie steht hinter der Bezeichnung ,frühere Propheten' für die erste Hälfte des zweiten Teils des hebräischen Kanons; sie führte zum Titel der Samuel-Bücher; sie war der Grund für Übertragungen wie der von 2.Kön 18,13-20,19 in das Jesajabuch." 9 5

Das Werk des Chronisten verstehe sich als dritte Phase des Prozesses, d.h. als „Auslegung" von Sam-Kön: „dem Propheten und Epitomator trat der Exeget an die Seite" 96 . Zwar präsentiert WILLI keine neuen literarkritischen

88 89 90 91 92 93 94 95 96

WILLI, Auslegung, 233. Vgl. a.a.O., 220.237 (einschl. Anm. 82). A.a.O., 233 (kursive Hervorhebung nicht im Original). A.a.O., 238 A.a.O., 235 Vgl. a.a.O., 237. Vgl. a.a.O., 238f. A.a.O., 240 A.a.O., 241

20

1.2 Einleitungsfragen

Erkenntnisse97, aber er überträgt die bisherigen Beobachtungen in eine wegweisende hermeneutische Studie über den Sinn der Quellenverweise. WELTENS Arbeit zur Geschichtsschreibung in den Chronikbüchern98 brachte neue Bewegung in der Frage nach Quellen und Redaktion. Noch J.M. M Y E R S ging hinsichtlich des Sondergutes von der Verarbeitung im wesentlichen authentischen Materials durch den Chronisten aus99 und konkludierte: „Moreover, sources of Information [...] which were drawn f r o m the archives of the temple and were authentic, as can be shown from archaeological discoveries and topographical studies, were utilized." 100

Dies bestreitet WELTEN - von wenigen Ausnahmen abgesehen gestützt auf literarische und archäologische Studien für das umstrittene Sondergut in II 10-36. Er lenkt zur Annahme WELLHAUSENS zurück, der in diesen Abschnitten eine Kreation des Chronisten sah, die anachronistische Eintragungen der eigenen Zeit in die Vergangenheit darstellten101. Im Gegensatz zu Sam-Kön seien die Chronikbücher ein literarisches Werk, das sich durch die Verwendung stereotyper „Topoi" als ein solches verrate: „Der, der diese Topoi [...] in den sonst in enger Anlehnung an seine Vorlage formulierten Text einfügte, ist nicht mehr als ,Tradent' oder .Redaktor' zu bezeichnen, sondern als Autor." 102

Dieser Autor ist nicht nur „Ausleger" - darin liegt seine Kritik an W I L L I noch einfach „freischaffender Künstler"; die Eigenart der Chronik bestehe vielmehr in ihrer Mittelstellung, „daß sie einerseits literarisch-auslegend mit vorgegebenen Texten umgehen, zugleich aber doch frei schaffend, bestimmte Züge ihrer Zeit deutend"103 die Hoffnungen Judas erneuere. Als historisches Material aus vorexilischer Zeit läßt WELTEN in II 10-36 nur wenige, kleinere Notizen gelten104, während sich in manchen Nachrichten zumindest noch „Vorstellungen aus vorexilischer Zeit"105 erhalten hätten. Insgesamt spiele altes Material außerhalb von Sam-Kön eine „ganz untergeordnete Rolle". G A L L I N G S Postulat einer zweiten, das ganze Geschichtswerk durchlaufenden Redaktion beurteilt WELTEN ebenso abschlägig106. G A L 97 Bezüglich der sekundären Zusätze in I 1-9 und I 23-27 schließt er sich weitgehend NOTH an (vgl. Studien I, a.a.O., 110-150). 98 Vgl. WELTEN, Geschichte. 99 Vgl. J.M. MYERS, II Chronicles. Anchor Bible 13, Garden City / N.Y. 2 1981, XXXI: „It is fairly certain, that he was in possession of copies or official documents and memoirs [...] The availability and use of some independant prophetic materials appear quite plausible." 100

MYERS, A B 1 3 , X X X I f .

101

V g l . WELTEN, G e s c h i c h t e , 9 - 1 7 2 .

102 WELTEN, Geschichte, 188. 103 A.a.O., 205. 104 Nach WELTEN, Geschichte, 192ff handelt es sich um die Fragmente II ll,5b.6a-10ab; 26,6a.l0; 32,30a. Dieses Material stamme aus annalenartigen Vorlagen, ohne daß deren Amtlichkeit erwiesen sei (vgl. 194). 105 WELTEN, Geschichte, 193, im Blick auf die Familiennachrichten in II l l , 2 2 f ; 21,1-4. 106

V g l . WELTEN, G e s c h i c h t e ,

189-191.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

21

LINGS Beobachtungen ließen sich auch anders deuten, zumal theologische Differenzen zwischen den postulierten „Chronisten" nicht festzustellen seien. Damit sei die These vom „als Individualität greifbaren Autor" 107 sehr relativiert 108 . Es ist zu beachten, daß sich W E L T E N S Untersuchung auf II 10-36 beschränkt. W l L L I A M S O N will die These von der Benutzung (bereits redaktionell bearbeiteter) Quellen durch den Chronisten im gesamten Werk nicht so schnell preisgeben 109 . Die Tradierung weiter Teile des Alten Testaments beweise, daß selbst altes Material die exilische Katastrophe überlebt habe. Vor allem das Listenmaterial in I 1-9 sei schwerlich als bloße Erfindung („fabrication") vorstellbar. Wahrscheinlicher sei die Verwendung alter WehrpflichtListen, in die auch manche militärische Nachricht Eingang gefunden haben könnte. Aus einer solchen Quelle könne der Verfasser durchaus geschöpft haben, wenngleich er diese stark bearbeitet habe und auch sonst schöpferisch tätig gewesen sei 110 . W l L L I A M S O N S Theorie macht allerdings nicht recht einsichtig, warum der Chronist seine biblischen Quellen weniger konservativ bearbeitete als die von ihm angenommenen nicht-biblischen. Mit einem Verweis auf W E L T E N S Arbeit konzediert auch W l L L I A M S O N : „But overall the Chronicler shows himself as the master, not the servant, of his sources." 111

6. Dieser Überblick unter der Uberschrift „Quellen, Redaktion und Kreation des Chronisten" war notwendig, da bei der Beantwortung dieser Fragen wichtige Vorentscheidungen für das Verständnis des Verfassers als Theologen fallen. Wie die Überlegungen W I L L I S und W E L L H A U S E N S (aber auch die literarkritischen Lösungsansätze) zeigen, führt bereits die Quellenfrage zum Problem der Verhältnisbestimmung von Tradition und Interpretation. Alle Lösungsvorschläge sind zumindest diskutabel und haben Einfluß auf die Josaphat-Rezeption in der Chronik. 1.2.4 Sprache, Stil und Text 1. Wie K I T T E L bemerkte 112 , trägt das chronistische Hebräisch Kennzeichen ihres letzten biblischen Stadiums, das mit Esr-Neh, Est, Dan, Koh und den späten Psalmüberschriften übereinstimme. „Es tritt an Stelle des leichten Flusses der klassischen Sprache eine gewisse Härte und Schwerfälligkeit ein" 113 . K I T T E L meinte, das Hebräisch des Chronisten sei keine dem Leben entnommene Sprache mehr, sondern habe als „Papiersprache" nur noch lite107 GALLING, ATD 12, lOf. 108 Vgl. WELTEN, Geschichte, 191; GALLING, ATD 12, 8. 109 Vgl. WlLLIAMSON, N C B C , 19-23. Freilich verbürge die Existenz solcher Quellen nicht zugleich deren Authentizität (vgl. 20F). 110 Vgl. a.a.O., 20. 111 WlLLIAMSON, N C B C , 23. 112 Vgl. KITTEL, H K I / 6, v i f ; RUDOLPH, H A T 21, XIII. 113 KITTEL, HK I / 6, VII.

22

1.2 Einleitungsfragen

rarische Verwendung gefunden. Nur so erklärten sich die sonderbaren und unschönen Wendungen. C U R T I S / M A D S E N vermuten, daß der zweisprachige Autor (hebräisch-aramäisch) des Hebräischen nur mit Schwierigkeiten mächtig gewesen sei 1 1 4 . Die bisweilen vertretene These, der Autor habe eine ursprünglich aramäische Vorlage ins Hebräische übersetzt, ist nicht recht einsichtig 115 . Dem widerspricht schon die wörtliche Übernahme zahlloser Texte der hebräischen Vorlage durch den Chronisten. Ein permanent alternierender Sprachenwechsel ist u.E. nicht vorstellbar, wenn das Werk als Einheit gedacht werden soll. 2. Die sprachliche Form der Chronik hat im Blick auf Sprachstil und Vokabular ihre Eigenart und ist durch Sprünge und Uneinheitlichkeit gekennzeichnet 116 . Nach NOTH ist die Differenz der Chronik zum DtrG beträchtlich. Statt der stereotypen, einfachen Sprache biete die Chronik einen ungepflegten und unregelmäßigen Sprachgebrauch. NOTH erklärt diese Beobachtung mit dem Hinweis, „daß die formale Geschlossenheit und Einheitlichkeit seines Werkes für Chr. kein wesentliches Anliegen war" 1 1 7 . Während Dtr alles Gewicht auf den festen Rahmen des Gesamtwerkes gelegt habe, zeigten die sehr losen und mangelhaften chronistischen Ubergänge (vgl. I 10,1; Esr 7,1; Neh 1,1), daß das eigene Herstellen von Zusammenhängen nicht zu den besonderen Stärken des Chronisten gezählt habe 1 1 8 . Zwar übernehme der Verfasser den chronologischen Rahmen des DtrG, trage darüberhinaus aber keine Sorge für die Fortführung des chronologischen Fadens 1 1 9 . Ziel des Verfassers der Chronik sei die lebendige Veranschaulichung der Tradition, was zu zahlreichen Ergänzungen führte. Dieses literarische Ziel habe der selbständige Erzähler mit Hilfe seiner eigenen Vorstellungswelt zu erreichen gesucht 120 . Die von NOTH behauptete sprachliche Nähe zu Esr-Neh ist linguistisch nicht unumstritten 121 . 3. Der Text ist qualitativ ungleichmäßig überliefert. Innerhalb der „genealogischen Vorhalle" sind, offenbar durch Schreibfehler und Auslassungen, z.T. „schwere Verstümmelungen" 122 eingetreten, wenn man nicht überhaupt das Ganze als „ein Gewirr von sekundären wilden Textwucherungen" 123 be-

114 115 116 117 118 119 120 121 122 123

Vgl. CURTIS / MADSEN, ICC, 27. Vgl. RUDOLPH, H A T 21, X I I I (Anm. 2); SAEB0, T R E 8, 76. Vgl. CURTIS / MADSEN, ICC, 27flF, NOTH, Studien 1,156-161. NOTH, Studien I, 156 Vgl. a.a.O., 157. NoTH setzt die Existenz eines Chronistischen Geschichtswerkes voraus. Vgl. ebd. Nach NOTH zeigt der Chronist kein Interesse an einer Gesamtchronologie, sondern richte sein Augenmerk auf die Datierung von Einzelereignissen. Vgl. a.a.O., 159-161. Vgl. S. JAPHET, The supposed Common Authorship of Chronicles and Ezra-Nehemia Investigated Anew, V T 18, 1968, 334-371. RUDOLPH, H A T 21, IV; offenbar ein sehr altes Problem, wie die Klage des HIERONYMUS (vgl. ebd.) zeigt. NOTH, Studien I, 122. Anders M. OEMING, Das wahre Israel. Die „genealogische Vorhalle" 1 Chronik 1-9, B W A N T 128, Stuttgart / Berlin / Köln 1990, der die Kohärenz und kerygmatische Qualität dieses Abschnittes unterstreicht.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

23

zeichnen muß. Die bevorzugte Pleneschreibung läßt Rückschlüsse auf die Entstehungszeit und späte Kanonisierung der Chronik z u 1 2 4 . Die alten Übersetzungen sind für die Rekonstruktion des hebräischen Textes recht hilfreich. Die Septuaginta L X X ist, was den Chroniktext betrifft, mit besonderen innergriechischen Problemen belastet 125 , hilft aber bei einigen textkritischen Problemen, die RUDOLPH aufgelistet hat 1 2 6 , zur Wiederherstellung von M. Die Vetus Latina (L) ist für 2Chr bezeugt und kongruiert vielfach mit L X X , schließt sich aber stärker als üblich an M an 1 2 7 . Die Syrische Übersetzung (S) der Chronikbücher, die ursprünglich nicht im Kanon der „Peschitta" geführt wurde 1 2 8 , ist von geringerem textkritischen Wert, da sie viele Fehler und Lücken aufweist, den Text an Sam-Kön assimiliert und zudem reich an Ausschmückungen ist 1 2 9 . Die Targumausgabe von Lagarde ( T L ) sowie die Vulgata (V) scheinen für manche Rekonstruktion des ursprünglichen Textes hilfreich zu sein, während Qumran bezüglich des letzten Buches der hebräischen Bibel eigenartigerweise fast völlig schweigt 1 3 0 .

1.2.5 Verfasser, Zeit und Milieu 1. Entstehungszeit und Verfasserschaft der Chronik sind in der Forschung nicht unumstritten. Die literarkritischen Lösungsvorschläge und die theologischen Deutungen der Chronik führen auch in dieser Frage zu unterschiedlichen Ergebnissen 1 3 1 . Der Frühdatierungsthese steht als „Antithese" eine Spätdatierung entgegen, während die Voraussetzung einer doppelten Verfasserschaft beide Lösungen in einer „Synthese" von Früh- und Spätdatierung gleichsam dialektisch aufhebt. Daneben gibt es auch eine durative oder „epochale" 1 3 2 Datierung, die von einem Verfasserkreis ausgeht (vgl. „Prophetenschule"). Sie läßt den Beginn chronistischer Geschichtsschreibung um 500 v.Chr. einsetzen und irgendwo in hellenistischer Zeit enden. Diese Theorie leidet ebenso, wie die Annahme einer Zweiquellentheorie, unter der Aporie eines fehlenden Nachweises theologischer und literarischer Heterogenität, die eine solche Annahme erzwingen würde. 2. Allgemein ist festzuhalten: Da die Chronik den in Sam-Kön gebotenen Text bearbeitete 133 und zumindest P (ROTHSTEIN / HÄNEL), wahrscheinlich aber sogar den ganzen Pentateuch (NOTH) voraussetzt, und da sprach124 Vgl. RUDOLPH, H A T 21, IVf. 125 Vgl. SAEB0, T R E 8, 76. 126 Vgl. RUDOLPH, H A T 21, V I .

127 Vgl. a.a.O., Vif.

128 Vgl. SAEB0, T R E 8, 76; RUDOLPH, H A T 21, V I I . 129 RUDOLPH, H A T 21, ebd. 1 3 0 Zu V und T vgl. RUDOLPH, ebd.; zu Q u m r a n vgl. SAEB0, T R E 8, 76; WELTEN, G e s c h i c h -

te, 199.

131 Vgl. RENDTORFF, Einführung, 302; KAISER, Einleitung, 189. 1 3 2 Vgl. SAEB0, T R E 8, 80. 133 So s c h o n WELLHAUSEN, Prolegomena, 165-223.

24

1.2 Einleitungsfragen

liehe und theologische Parallelen zu Esr-Neh unbestreitbar sind 134 , ist als terminus a quo der Enstehung die Zeit um 400 v.Chr. 135 , als terminus ad quem etwa das Jahr 190 v.Chr. anzugeben, da Sir 47,2-11 das chronistische Davidsbild voraussetzt 136 . 3. Für eine Frühdatierung wird gewöhnlich angeführt 137 : a) Die Infragestellung eines zusammenhängenden ChrG (s.u.) erzwinge keine Spätdatierung wie das Werk Esr-Neh; b) die Betonung Davids und der davidischen Dynastie stehe in sachlicher Nähe zur Hoffnung auf Wiederherstellung des davidischen Königtums bei Haggai und Sacharja. Die etwa bis 400 v.Chr. reichende Davididenliste (I 3) muß dann als späterer Zusatz erklärt werden 138 . 4. Für eine extreme Spätdatierung ins 2. Jahrhundert v.Chr. sprechen gewichtige Gründe. Nicht so sehr die umstrittene antisamaritanische Ausrichtung der Chronik und das schwer zu datierende „antisamaritanische Schisma" 1 3 9 , als vielmehr einige wichtige archäologische und literarische Beobachtungen WELTENS140: a) Manche Bauberichte der Chronik entsprächen archäologischen Funden aus hellenistischer Zeit; b) die Nichterwähnung des Mauerbaus Nehemias setze einen gewissen Abstand zur Zeit des Chronisten voraus; c) einige Nachrichten über das Heerwesen enthielten deutliche Hinweise auf eine gewisse Kenntnis des griechischen Söldnertums; d) die chronistische Zeit spiegle deutlich den Zustand einer permanenten Bedrohung von allen Seiten wider, was sich in die Epoche der Kämpfe von Ptolemäern und Seleukiden um die Vorherrschaft über Palästina historisch gut einordnen ließe; e) die in II 26,15 erwähnten Torsionsgeschütze seien in Griechenland erst seit etwa 400 v.Chr. bekannt. Als weitere Argumente werden angeführt141: die Erwähnung griechischer Drachmen in I 29,7 und die späte Vorstellung des Inspirationsgedankens „prophetischer" Bücher. Das in II 8,3f erwähnte persische Satrapiensystem sei ebenfalls mit einer Spätdatierung vereinbar, da dieses System auch in der Diadochenzeit fortbestanden habe. 5. Dieser Spätdatierung widersprechen ACKROYD und WlLLIAMSON, die eine mittlere Datierung favorisieren. I.E. finden sich in der Chronik weder sprachliche noch ideologische Hinweise eines hellenistischen Einflusses 142 . Als Argumente für eine Datierung in spätpersischer Zeit führen sie an 1 4 3 :

134 Vgl. WELTEN, Geschichte, 199; WILLI, Auslegung, 1 7 9 - 1 8 4 ; W.H. SCHMIDT, Einführung, 161. 135 Vgl. ElSSFELDT, Einleitung, 733; W ü T E N , Geschichte, ebd. 1 3 6 WELTEN, Geschichte, ebd.; NOTH, Studien I, 155. 1 3 7 Vgl. RENDTORPF, Einführung, 302; SAEB0, T R E 8, 79. 1 3 8 So etwa K . GALLING, Art. Chronikbücher, in: 3 R G G 1, 1957, 1805. 1 3 9 Z u m P r o b l e m vgl. WILLI, Auslegung, 190-204; WELTEN, Geschichte, 172f; WILLIAMSON, Israel, 84. 1 4 0 Vgl. WELTEN, Geschichte, 4 5 - 4 7 . 6 5 f . l l 0 - 1 1 3 . 141 Vgl. KAISER, Einleitung, 189; NOTH, Studien I, 150-155; WELTEN, G e s c h i c h t e , 200. 1 4 2 Vgl. WILLIAMSON, N C B C , 16f; ders., Israel, 83-86. 143 WlLLIAMSON, Israel, 85f.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

25

a) II 36,21 als ursprünglicher Schluß der Chronik endet in persischer Zeit; b) die Genealogie I 3,17-24 (Davididen) endet sechs Generationen nach Serubbabel, was auf eine Zeit um 400 v.Chr. hindeute 144 ; c) die Münze in I 29,7 lasse sich, anders vokalisiert, als persische „Dareike" lesen. Gegen WELTENS archäologische Deutung wendet W l L L I A M S O N kritisch ein, daß dieser selbst die Alternative „spätpersische Zeit" als Möglichkeit konzedieren müsse. Griechisches Militärwesen sei zudem auch schon vor dem Alexanderzug als in Palästina bekannt vorauszusetzen; auch sei die Deutung von II 26,15 auf Torsionsgeschütze umstritten. 6. Die klassischen literarkritischen Lösungen vermeiden diese Schwierigkeiten durch die Annahme mehrerer Quellen aus verschiedenen Zeiträumen, leiden aber unter z.T. äußerst spekulativen und apologetischen Hypothesen 145 . Für eine etwaige „Grundschrift" wird meist ein Zeitraum zwischen 400 und 300 v.Chr. angenommen. 7. Der namentlich unbekannte Verfasser 146 läßt sich am ehesten unter den Angehörigen der Leviten vermuten, da dieser Bevölkerungsschicht und der von ihr verrichteten Religionspraxis das besondere Interesse der Chronik gilt 147 . Auch wenn es sich, wie N O T H behauptet hatte, hinsichtlich des levitischen Listenmaterials um sekundäre Einscnübe handeln sollte 148 , widerlegt die Redaktion eines levitischen Trägerkreises die levitische Verfasserschaft u.E. keineswegs. Auch eine levitische Redaktion muß in diesem Werk irgendeinen Ausdruck ihres Selbstverständnisses vorgefunden haben, an das sie anknüpfen konnte. Die große Bedeutung der sogenannten „levitischen Predigt" in den Chronikbüchern 149 unterstützt diese These hinsichtlich der Verfasserschaft. Da die Leviten nach dem Exil den Priestern subordiniert und zu niederen Diensten ausschließlich am Jerusalemer Heiligtum herangezogen wurden 150 , wird man den Autor in oder in der Nähe Jerusalems zu suchen haben 151 .

1.3 „Chronik" - oder „Chronistisches Geschichtswerk"? Die Erkentnis, daß die Chronik zusammen mit Esr-Neh ursprünglich als ein einheitliches, fortlaufendes Chronistisches Geschichtswerk (ChrG) ver144 WlLLIAMSON rechnet I 1-9 zum ursprünglichen Bestand der Chronik, vgl. a.a.O., 83f. 1 4 5 V g l . KITTEL, H K I / 6 ,

X - X V I ; G A L U N G , A T D 12, 8 - 1 7 ; RUDOLPH, H A T 21, X ; E i s s -

FELDT, Einleitung, 733. 146 Die meisten Forscher gehen weiterhin von einer einzelnen Verfasserpersönlichkeit aus, vgl. SAEB0, T R E 8, 80.

147 Vgl. KITTEL, H K I / 6, Xlllff; RUDOLPH, HAT 21, XXIf; KAISER, Einleitung, 189. 148 Vgl. NOTH, Studien I, 114-122; SAEB0, TRE 8, 77f. 149 Vgl. G. V.RAD, Die levitische Predigt in den Büchern der Chronik, in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, München 1965, 248-261; WlLLIAMSON, NCBC, 17. 150 Vgl. W. ZlMMERLI, Grundriß der alttestamentlichen Theologie, Theologische Wissenschaft 3,1, Berlin / Köln / Mainz u.a. 51985, 80f. 151 Vgl. KAISER, Einleitung, 189.

26

1.3 „Chronik" - oder „Chronistisches Geschichtswerk" ?

faßt worden sei, galt seit den Arbeiten von ZUNZ (1832) und M O V E R S (1834)152 lange Zeit als communis opinio der alttestamentlichen Forschung153. Eine Einschränkung dieser These bildete die u.a. von MOWINCKEL bestrittene Zugehörigkeit der „Nehemiadenkschrift" zum ChrG 154 . Dieses forschungsgeschichtliche „Dogma" ist seit dem Ende der 60er Jahre durch die Arbeiten von JAPHET, W I L L I , B R A U N und WLLLIAMS O N 1 5 5 eine offene, neu zu diskutierende Frage geworden, die noch zu keinem Konsens führte156. Jeder Lösungsvorschlag „beeinflußt die Gesamtinterpretation erheblich, weil damit die Frage verbunden ist, ob der Verfasser der Chronikbücher auch den nachexilischen Fortgang der Geschichte Israels beschrieben und interpretiert hat"157. Die Antwort entscheidet darüber, ob die Chronikbücher unter Zuhilfenahme von oder gar von Esr-Neh her zu interpretieren sind. Da sich die Forschungsdiskussion sprachlich-formaler sowie ideologischer Argumente bedient, ist das Problem im Grenzbereich zwischen „Einleitungswissenschaften" und „Theologie" verortet158. 1.3.1 Linguistische und literarische Gesichtspunkte 1. Die semantischen Gemeinsamkeiten von Chronik und Esr-Neh wurden von DRIVER und C U R T I S / MADSEN mit Akribie aufgelistet159. Das wortstatistische Material, das den einheitlichen Gebrauch älterer und neuerer Wörter in überzeugender Fülle belegt, weist ebenso wie syntaktische Gemeinsamkeiten160 auf einen identischen linguistischen Kontext der Werke. „Many old words are made to do service in new ways either rare or unknown in the older language, and new words, the product of the late religious organisation and view point, appear frequently." 161

Die zahlreichen „peculiarities of diction"162, wie auch die „peculiarities of style and vocabulary", führten CURTIS / MADSEN zu dem Urteil: „No OT. 152 Vgl. a.a.O., 192 (Literaturangabe 186). 153 Sie ist in WELLHAUSEN, Prolegomena, 165 als gültig vorausgesetzt und seither immer wieder bestätigt worden, vgl. NOTH, Studien I, 110-155, sowie für die angloamerikanische F o r s c h u n g TORREY, C h r o n i c l e r , 2 0 8 - 2 5 1 .

154 Vgl. MowiNCKEL, ThLZ 85, 6f; zum Umfang dieser Quelle vgl. KAISER, Einleitung, 182. 1 5 5 V g l . JAPHET, V T 1 8 , ( A n m . 118); WILLI, A u s l e g u n g , 1 7 6 - 1 8 9 ; R . L . BRAUN, C h r o n i c l e s ,

Ezra and Nehemia: Theology and Literary History, VTS 30, 1979, 52-64; WILLIAMSON, NCBC, 5-11. 1 5 6 V g l . KAISER, E i n l e i t u n g , 1 9 2 - 1 9 4 . 1 5 7 RENDTORFF, Einführung, 3 0 1 .

158 Damit soll keinem einleitungswissenschaftlichen Purismus das Wort geredet werden: Einleitung und Theologie ergänzen einander als gegenseitige Hilfswissenschaften (vgl. KAISER, Einleitung, 16f). Aus technischen Gründen wird an der Trennung beider Bereiche bei konzedierter Grenzüberschreitung - festgehalten. 159 Vgl. S.R. DRIVER, An Introduction to the Literature of the Old Testament, Edinburgh / N e w Y o r k 1 9 6 7 , 5 3 5 - 5 3 7 ; CURTIS / MADSEN, I C C , 2 7 - 3 6 . 1 6 0 V g l . DRIVER, a . a . O . , 5 3 7 ^ CURTIS / MADSEN, I C C , 2 7 . 3 4 f . 1 6 1 CURTIS / MADSEN, I C C , 2 7 .

162 Zu diesen Eigentümlichkeiten vgl. CURTIS / MADSEN, ICC, ebd. „Sentences are often

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writer reveales himself more certainly" 163 . Auch DRIVER ist der Ansicht, daß die zahlreichen Besonderheiten und das gekünstelte Gehabe („mannerism") sich sonst in keinen anderen nachexilischen Schriften fände: „In some instances they appear in germ, or occasionally [...] at an earlier period of the language; in others, they consist of a peculiar application of old words." 1 6 4

Strittig sind weniger diese faktischen Gemeinsamkeiten, als vielmehr die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen: Ergibt sich aus diesen Beobachtungen zwingend die Existenz eines ChrG 1 6 5 ? Darf man „mit Fug auf zwei Werke desselben Autors schließen" 166 , oder beweist die Statistik lediglich einen gemeinsamen „Rahmen der Spätstadien althebräischer Sprachgeschichte" 1 6 7 (im soziologisch-transindividuellen Sinn)? 2. Die These eines kohärenten ChrG, die bis vor wenigen Jahren „fast axiomatische Würde besessen" 168 hatte, ist durch neuere linguistische Analysen (JAPHET, W I L L I A M S O N ) erschüttert worden. JAPHETS 1968 erschienene Untersuchung leitete - man beachte den fast programmatischen Titel 1 6 9 - eine kritische Revision der sprachlichen Gemeinsamkeiten ein. Im Rückblick auf die bisherige Forschungsarbeit stellt sie fest: „The weakness of these studies was their lack of interest in the differences between the two books" 1 7 0 . JAPHET müht sich um den Erweis einer zwischen der Chronik und Esr-Neh bestehenden „true linguistic opposition" 171 , die nur die Annahme verschiedener Autoren zulasse, „fully aware of the common linguistic basis" 1 7 2 . Die Unterschiede betreffen vor allem den verschiedenen Gebrauch von Langund Kurzformen bei Namen und Verben sowie das Fehlen relevanter chronistischer Begriffe in Esr-Neh. Gerade in kultischen Abschnitten, wo die stereotype Verwendung von termini technici am ehesten zu erwarten sei, fänden sich in beiden Werken verschiedene Bezeichnungen 173 . Hinzu träten bemerkenswerte stilistische Differenzen 174 . Auf eine methodische Schwäche der Untersuchung JAPHETS hat allerdings W E L T E N zu Recht verwiesen:

awkward and unnecessarily involved. The author's pet phrases are introduced without stint and almost without fail on every possible opportunity." 163 Ebd. 1 6 4 DRIVER, I n t r o d u c t i o n , 5 3 5 . 1 6 5 V g l . KITTF.L, H K I / 6, V l f ; CURTIS / MADSEN, I C C , 5; RUDOLPH, H A T 21, I I I ; E i s s -

FELDT, Einleitung, 720; NoTH, Studien I, 2 f . l l 0 ; SMEND, Entstehung, 226. 1 6 6 WILLI, A u s l e g u n g , 180. 1 6 7 S A E B 0 , T R E 8, 8 2 . 1 6 8 S A E B 0 , T R E 8, 81. 1 6 9 V g l . JAPHET, V T 18, 3 3 0 . 1 7 0 JAPHET, V T 18, 3 3 2 .

171 172 173 174

Ebd. A.a.O., 333. Vgl. etwa den Gebrauch von tflj? und "17ID, JAPHET, VT 18, 34lf. JAPHET verweist auf die andersartige Beschreibung von Bundesschlüssen in der Chronik und in Esr-Neh: „The descriptions of Esr-Neh. are short, dry and matter of fact [ . . . ] those of Chr. are elaborate and pompous, describing in detail the inner feeling of the participants and giving a tinge of exaggeration to every aspect mentioned", a.a.O., 363.

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1.3 „Chronik" - oder „Chronistisches Geschichtswerk"? „Dabei sind die sprachstatistischen und stilistischen Untersuchungen von S.JAPHET deswegen noch nicht voll überzeugend, weil bei ihr überhaupt nicht unterschieden ist zwischen chronistischem Gut, Quellen und sekundären Abschnitten." 1 7 5

3. Eine kritische Sichtung der Listen von D R I V E R und C U R T I S / M A D S E N nimmt W I L L I A M S O N vor, der J A P H E T S Ergebnisse verteidigt 176 . Von den 136 bei C U R T I S / M A D S E N aufgelisteten „peculiarities" beurteilt W I L L I A M SON 74 Besonderheiten als nicht beweiskräftig 177 . Für den Rest des Listenmaterials versucht er nachzuweisen: „It will emerge from this that the majority are also inconclusive as evidence for common authorship, that others point rather to diversity of authorship , whilst only a few actually support it on the basis of the criteria established." 178

4. Die Herausforderungen von J A P H E T und W I L L I A M S O N beantwortete A.H.J. G U N N E W E G mit einer Interpretation, welche die traditionelle Einheit eines ChrG verteidigt 179 . Die stilistischen Unterschiede werden z.T. mit spezifisch theologischen Absichten des Chronisten in Verbindung gebracht. Die linguistischen Abweichungen könnten einerseits durch die benutzten Vorlagen bedingt (vgl. W E L T E N s.o.), oder gar vom Verfasser beabsichtigt sein. Andere Differenzen ließen sich auf „unterschiedliche Schreibgewohnheiten" zurückführen, die sich nach der Trennung beider Werke und ihrer je spezifischen Sonderüberlieferung bemerkbar machen mußten 1 8 0 . Die differierende Verwendung von Lang- und Kurzformen (Langformen von Namen in der Chronik, Kurzformen in Esr-Neh; aber umgekehrt Verblangformen in Esr-Neh, Kurzformen in der Chronik) könne beabsichtigt sein: „In der vorexilischen Erzählung wird archaisierend die ,kanonische' Sprache bevorzugt; für die nachexilische Zeit die ,authentische' Sprache der Gegenwart verwendet" 181 . 5. Die linguistische Argumentation hat damit „zu einer Art Pattsituation" 1 8 2 geführt. Ein vermeintlicher locus classicus als Beleg für ein ChrG, 175 WH.TEN, Geschichte, 4 (Anm. 15). Um die an dieser Stelle erforderliche literarkritische Differenzierung bemüht sich (zumindest für Esr-Neh) D. TALSHIR, A Reinvestigation of the Linguistic Relationship Between Chronicles and Ezra-Nehemia, V T 38, 1988, 168. Für die Chronik unterbleibt die nötige literarische Analyse erstaunlicherweise! Damit ist nur die halbe Arbeit getan. 176 Vgl. WLLLIAMSON, Israel, 37-59. 177 Vgl. a.a.O., 41-44, wo WLLLIAMSON durch ein Subtraktionsverfahren die Gemeinsamkeiten auf ein Minimum reduziert. 178 WlLLIAMSON, Israel, 45 (vgl. 59). 179 Vgl. A.H.J. GUNNEWEG, Nehemia. KAT 1 9 / 2 , Berlin (ehem. D D R ) 1987, 26f (Lizenzausgabe). 180 Vgl. a.a.O., 26. 181 GUNNEWEG, K A T 1 9 / 2 , ebd. 182 Ebd. Die allgemeine Verwirrung wird durch die jüngste linguistische Studie von TALSHIR, V T 38, 168-193) nicht geringer, wenn dieser die Ergebnisse JAPHETS und WLLLIAMSONS auf den Kopf stellt und zu den Resultaten von DRIVER und CURTIS / MADSEN zurücklenkt (s.o.). Da eine stringente Trennung von Überlieferungsgut, Sondergut und Redaktion in TALSHIRS Untersuchung der Chronikbücher (sie!) unterbleibt - eine Tatsache, die der Verfasser zwar konstatiert, aber nicht begründet - bleibt die Untersuchung in ihrer

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die Tatsache, daß sich der vermudich redaktionelle Zusatz II 36,22f mit kleinen Abweichungen auch in Esr 1,1-3a findet183, hat aufgrund der ambivalenten Deutbarkeit des Phänomens heute keine Beweiskraft mehr, wie auch Befürworter eines ChrG bestätigen 184 . Ebenso problematisch ist jeder Versuch einer auf 3Esr ( L X X ) aufbauenden Argumentation 185 . Diese apokryphe Schrift, aus der J O S E P H U S recht frei zitierte 186 , verbindet II 35f mit Neh 7f, was zur Vermutung geführt hatte, in 3Esr sei das Fragment einer ursprünglich aus dem hebräisch-aramäischen Original angefertigten Ubersetzung eines ChrG zu sehen, das eine Vorstufe der kanonischen Esr-Neh-Bücher darstellte 187 . T O R R E Y meinte gar, 3Esr stelle die eigentliche L X X Ubersetzung von M dar, während EsrNeh von Theodotion herrühre 188 . Doch ist auf die nicht unbeträchtlichen Unterschiede zwischen 3Esr und Esr-Neh hinzuweisen sowie auf die bisher unzureichend geklärten literarischen Verhältnisse dieses nicht im Tenacb enthaltenen Buches 1 8 9 . Selbst G U N N E W E G lehnt eine auf 3Esr beruhende Argumentation ab 1 9 0 . Die linguistischen und literarischen Argumente brachten bisher kein eindeutiges Ergebnis. Sie sind, wie die Interpretationen zeigen, ambivalent und haben innerhalb eines Begründungszusammenhanges nur supplementären Stellenwert.

1.3.2 Theologische Zusammenhänge in der Chronik und in Esr-Neh 1. Die alttestamentliche Forschung war bis zum Beginn der 70er Jahre dieses Jahrhunderts überwiegend von der Aufdeckung theologischer Kongruenzen zwischen den Chronikbüchern und dem Geschichtswerk Esr-Neh

183 184 185 186 187 188 189 190

Methodik fragwürdig. Sie stellt lediglich einen weiteren „Zwischenschritt" auf dem Weg zu einer definitiven linguistischen Bearbeitung des Problems dar. TALSHIR ist vorsichtig genug, trotz der von ihm festgestellten sprachlichen Nähe von Esr-Neh und Chronik definitive Schlußfolgerungen hinsichtlich einer einheitlichen Verfasserschaft beider Werke nicht zu ziehen: „The aim of this article was not to prove that Ezra-Neh. and Chr. have one author, but rather, by lingustic examination, to demonstrate that the assumption that these two books are the product of separate authors is unfounded" (192). Dieser Umstand wird als Argument für ein Chronistisches Geschichtswerk gewertet, vgl. KITTEL, H K I / 6, VII; CURTIS / MADSEN, I C C , 3; SMEND, Entstehung, 226. Vgl. GUNNEWEG, KAT 19 / 2, 25. Es läßt sich bestenfalls wahrscheinlich machen, daß ein Redaktor II 36 mit Esr 1 verbinden wollte. Vgl. SAEB0, T R E 8, 8lf; GUNNEWEG, KAT 19 / 2, 21-24; WILLIAMSON, Israel, 12-36. Vgl. GUNNEWEG, KAT 19 / 2, 21. Vgl. a.a.O., 21-23. Vgl. TORREY, Chronicler, llfF.62ff.66ff.87fF. Vgl. M. SAEB0, Art. Esra / Esraschriften, T R E 10, Berlin / New York 1982, 374-376; ders., T R E 8, 81 f. GUNNEWEG, KAT 19 / 2, 24: „Es handelt sich [...] um eine selbständige Schrift mit eigener Intention und eigenständigem Gehalt. Das Buch hat als Zeugnis des frühhellenistischen Judentums auch seinen eigenen Wert, ist aber, von textkritischen Einzelheiten abgesehen, für die Wiederherstellung einer älteren Gestalt von E N (= Esr-Neh; Anm.) ohne alle Bedeutung."

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1.3 „Chronik" - oder „Chronistisches Geschichtswerk"?

geprägt 191 . K I T T E L fand in beiden Werken ein gemeinsames Interesse an Genealogien sowie eine an P orientierte Beschreibung des Kultes 192 . Die nicht harmonisierbaren Unterschiede der Listen I 9 und Neh 11 über die Einwohnerschaft Jerusalems nivelliert K I T T E L durch den Hinweis, Neh 11 reflektiere die Bevölkerung aus der Zeit Nehemias, I 9 dagegen die Besiedlungsverhältnisse aus der späteren Zeit des Chronisten 193 . Darüberhinaus benannten C U R T I S / M A D S E N weitere Anhaltspunkte, die auf ein zusammenhängendes ChrG schließen lassen. So zeigten beide Werke eine Vorliebe für das Beschreiben von Feierlichkeiten „of special religious occasions" 194 . Die offensichtliche Aufmerksamkeit, die Priestern, Leviten (vor allem Sängern, Musikanten und Torhütern) entgegengebracht werde, sei im Alten Testament ohne Parallele195. Zusammen mit den linguistischen Besonderheiten folge daraus: „the conclusion, that both are from the same person, is irresistible" 196 . R U D O L P H erweiterte die Argumentationsbasis durch den Hinweis, daß Esr-Neh exakt die Wiedergewinnung all dessen schildere, was am Ende der Chronik durch das Exil verlorengegangen sei 197 . E L S S F E L D T erwog aufgrund einer Stelle im (babylonischen) Talmud 1 9 8 , ob sich dort nicht etwaige historische Reminiszenzen einer einheitlichen Verfasserschaft von Chronikbüchern und Esr-Neh erhalten haben 199 . Dieses Zitat bezieht sich aber, wie W I L L I zeigte 200 , wohl nur auf den (vermeintlichen) Zusammenhang von 1 1 - 9 mit Esr-Neh, nicht aber auf die Chronik insgesamt. R. S M E N D S Hinweis auf eine gemeinsame Geschichtstheologie beider Werke 201 wird von G U N N E W E G präzisiert202. Die Chronik und Esr-Neh verrieten eine gemeinsame Vorstellungswelt bezüglich Tempel, Kult und Kultdiener. Die chronistische Stilisierung Davids (und Salomos) vom Feldherrn und Staatsmann zum Kultstifter und Tempelbauer finde seine theologische Entsprechung in der akzentuierten Restauration von Tempel und Kult in Esr-Neh. Ferner habe ein chronistisches Werk, das wie das DtrG mit der Katastrophe ende - „allenfalls mit einer schüchternen Andeutung, daß vielleicht doch eines Tages eine Wende zum Besseren eintreten könn191 Eine oppositionelle Minderheit (u.a. DE WETTE!) war jedoch bereits mit dem Einsetzen der historisch-kritischen Forschung für eine ursprüngliche Trennung beider Werke eingetreten, vgl. WLLLIAMSON, Israel, 5 (Anm. 3). 192 KITTEL, H K I / 6, VI. 193 Vgl. ebd. 194 CURTIS / MADSEN, I C C , 4; dazu zählen sie I 15f; II 5-7; 29-31; 35; Esr 3; 6,16-18.19-22; N e h 8,13-18; 12,27-43. 195 Vgl. a.a.O., 5 (mit Stellenangaben). 196 CURTIS / MADSEN, I C C , ebd. 197 Vgl. RUDOLPH, H A T 21, III. 198 Vgl. b B B 15a. 199 Vgl. ElSSFELDT, Einleitung, 720. 200 Vgl. WILLI, Auslegung, 14 (einschl. Anm. 15); zur Problematik des Gewinns historischkritischer Erkenntnisse aus dem (babylonischen) Talmud vgl. H . L . STRACK / G. STEMBERGER, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 7 1982, 55-71. 201 Vgl. SMEND, Entstehung, 226. 202 Zum Folgenden vgl. GUNNEWEG, K A T 1 9 / 2 , 25.

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te" 2 0 3 - keine Existenzberechtigung neben dem DtrG. Vielmehr fordere der pessimistische Schluß des DtrG eine Fortsetzung durch Spätere heraus, eine Aufgabe, der sich der Chronist angenommen habe. Von besonderer Wichtigkeit sei auch die in der Chronik und in EsrNeh zu beobachtende Konzentration der Darstellung auf das „Südreich". Der aus der Sicht des Chronisten seit der Reichsteilung apostatische Norden werde in der chronistischen Darstellung der Geschichte nach Möglichkeit ausgelassen, was seine Fortsetzung in der Konzeption von Esr-Neh fände. Allein die aus dem Exil heimkehrenden Judäer und Benjaminiten würden als wahres, aus dem Gericht gerettetes Israel akzeptiert. Die mehrdeutige Talmudnotiz (bBB 15a s.u.) habe dagegen ebensowenig Beweiskraft wie das durch 2Mak 2,13 implizierte Verständnis einer nehemianischen Verfasserschaft 2 0 4 . 2. Gegen diese Argumente werden Einwände geltend gemacht. Eine differenzierte und im Urteil vorsichtig abwägende Untersuchung theologischer Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegt in dem Aufsatz von R.L. BRAUN vor, „Chronicles, Ezra and Nehemia: Theology and Literary History" 2 0 5 . BRAUN, der die kritischen Stimmen von FREEDMAN, CROSS und NEWSOME zusammen mit PLÖGERS These von „Theokratie und Eschatologie" diskutiert 206 , befragt die klassischen theologischen Leitmotive - Vergeltungslehre, Samaritaner und Ausländer, Monarchie und Tempel - auf ihre Tragfähigkeit für die Begründung der Einheitlichkeit von Chronik und EsrNeh. BRAUN beschränkt sich dabei auf die Untersuchung des Sondergutes in der Chronik „because of the likelihood that the author's own thoughts would appear more clearly in positions of the work, where he appears to be composing independently of known sources" 2 0 7 . Die für die Chronik unzweifelhafte und spezifische, immanente Vergeltungslehre („retribution") fehle fast gänzlich in Esr-Neh, das zudem von einem anderen Sündenverständnis geprägt sei 2 0 8 . Aus der paränetisch konzipierten Vergeltungslehre in der Chronik wird, nach BRAUN, in Esr-Neh eine Doxologie der unverdienten Gnade (vgl. Esr 9 und Neh 9). Ferner differiere das Verhältnis von Südreich und Nordreich in den Darstellungen beider Werke erheblich. Während der Chronist um eine ständige rekonziliante Einbeziehung des apostatischen Nordreiches bemüht

2 0 3 GUNNEWEG, ebd.

204 Vgl. GUNNEWEG, ebd., im Anschluß an TORREY, Chronicler. 205 BRAUN, VTS 30, 52-64. 206 Vgl. a.a.O., 59-62. 2 0 7 BRAUN, V T S 30, 5 3 .

208 Vgl. a.a.O., 53-56. Ein „concept of reward and punishment" (55) zeige sich nur in den Texten Esr 9 und Neh 9, die in enger Beziehung zu II 12 stünden. Allerdings seien die Unterschiede auffallig: Sünde meine in Esr 9 die Mischehe, „an attitude, never found in Chronicles" (ebd.). Zudem berichte Esr 9 von keiner faktischen Bestrafung, während beim Chronisten auf Apostasie immer Strafe folge. Anders als in der Chronik liege sowohl in Esr 9 als auch im Bußgebet des Volkes in Neh 9 der Akzent auf der Gnade, nicht auf der Vergeltung (56).

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1.3 „ C h r o n i k " - oder „Chronistisches Geschichtswerk" ?

sei 209 , herrsche in Esr-Neh offene Feindschaft zwischen den nicht mit den ehemaligen Nordstämmen identischen (sie!) „foreigners" 210 , die den Heimkehrern mit offener Feindschaft begegneten. BRAUNS Beobachtungen wollen nicht ein in beiden Werken différentes Verhältnis zwischen Nord und Süd belegen - die „foreigners" sind ja keine Israeliten - sondern aufgrund der ganz anderen historischen Verhältnisse die Inkompatibilität der Entstehungsverhältnisse von Chronikbüchern und Esr-Neh verdeutlichen. Das Mischehenproblem gerät bei BRAUN nicht in das Blickfeld des Chronisten, weil es in Bezug auf das Nordreich noch gar kein Problem darstelle. Die für die Spannungen in Esr-Neh verantwortlichen „foreigners" seien, wie die Texte zeigten, vielmehr in den Reihen der „Persian officiais" sowie der „settlers imported by an Assyrian King, Esarhaddon" 211 zu suchen. Die paränetische Warnung vor den Gefahren der Mischehen unter kritischem Verweis auf die Polygamie Salomos und ihre verheerenden Folgen (vgl. Neh 13,26) habe keine Parallele in den Chronikbüchern, wo vielmehr (im Gegensatz zum DtrG) aller Anstoß von der salomonischen Regierungszeit ferngehalten werde 212 . Eine weitere Differenz betreffe die in der Chronik greifbaren „futuristic hopes" 2 1 3 , die sich mit der breiten Darstellung des davidischen Königtums einstellen mußten. Die Bedeutung des Königtums 214 erfahre keine adäquate Würdigung in Esr-Neh. Material für eine mögliche messianische Interpretation sei auf Esr 1-4 begrenzt, aber auch dort trete der Davidide Serubbabel ganz hinter dem Tempelbau zurück, bei dessen Fertigstellung er nicht einmal mehr erwähnt werde 215 . Dennoch warnt BRAUN vor eiligen Konsequenzen. Aus den genannten Beobachtungen ließen sich verschiedene Schlußfolgerungen über den ursprünglichen Bestand der Chronik ziehen216. Die Irrelevanz des Königtums in Esr-Neh könne, analog zu Dtjes, auf die Neuinterpretation des davidischen Bundesgaranten als dem Befreier Cyrus zurückgehen 217 . Soviel aber sei deutlich, ein Großteil von Esr-Neh gehe nicht auf den Chronisten zurück. Wo sich theologische Berührungspunkte fänden 218 , vermutet BRAUN redaktionelle Bearbeitung der Texte durch eine chronistische Schule:

209 „After the division of the kingdom the writer is constantly concerned to indicate acceptance of and participation in the Jerusalem cult by people from the north", BRAUN, VTS 30, 57. Vgl. II 11,16; 15,9-31; 28,8-11; 29,9. 210 Ebd. 211 BRAUN, VTS 30, 57. 212 Vgl. a.a.O., 58 (auch Anm. 23). 213 WJ=. ST1NESPRING, J B L 80, 1961, 219, zit nach: BRAUN, V T S 30, 59. 214 Vgl. 2Sam 7 mit I 17, sowie die Einführung und Präsentation Davids in I 10-29. 215 BRAUN, VTS 30, 61. 216 Vgl. a.a.O., 6 l f . Strittig bleibt, wo der Chronist die Geschichte abschloß: Vor dem Tempelbau (NEWSOME, WILLIAMSON), bei der Grundsteinlegung des Tempels (CROSS), oder erst nach Wiederaufbau und Einweihung (FRJEEDMAN)? 217 Vgl. BRAUN, V T S 30, 62. 218 BRAUN, V T S 30, 63, führt als Beispiel die sachliche Nähe von Esr 1-3; 6,14-18; 7-8; N e h 8 zu chronistischem Denken an.

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„That such later authors or redactors considered themselves as following faithfully in the train of the author of Chronicles is no doubt true. At the same time, the new problems [...] departed significantly from the theology of their model." 21 '

3. Eine Fülle weiterer Anhaltspunkte gegen die Existenz eines ChrG hat zusammengetragen 220 . In Esr-Neh fehle nicht nur das in der Chronik so wichtige „Prophetenwort" und die „Levitenpredigt" 221 . Der signifikante Unterschied beider Werke bestehe darüberhinaus im Gebrauch und Verständnis des Begriffes Israel222. Für die Chronik gewinne die Bezeichnung „Israel" eine geradezu fundamentaltheologische Bedeutung und durchziehe als Leitbegriff das ganze Werk. Israel sei in der Chronik nicht, wie meist behauptet werde, exklusiv auf das „wahre" Israel (= Südreich) zu beziehen. Angefangen vom Patriarchen Jakob, der in der Chronik immer „Israel" genannt werde, bis in nachexilische Zeit ziele die Chronik auf das davidisch-salomonische Ideal einer „united monarchy", die unter Hiskia, dem „zweiten Salomo", noch einmal wiederhergestellt worden sei 223 . Der Chronist wolle kein wahres Israel ausgrenzen (wie Esr-Neh), sondern ganz Israel sammeln (was wir nachfolgend Panisraelitismus nennen). WILLIAMSON

„Inasmuch as the term .remnant' is applied to the survivors of the former Northern Kingdom, the Chronicler presents a unique witness in the Bible to the reunification of the people in the land before the exile."224

Diese Maxime behalte für den Chronisten gerade auch nach der Rückkehr aus dem Exil seine Gültigkeit 225 . Die Chronik sei als selbständiges Werk durchaus in sich verstehbar, ein Zwang („demand"), die Geschichte bis zu des Verfassers eigener Gegenwart schreiben zu müssen, lasse sich nicht nachweisen. Es gebe genügend Hinweise in der Chronik, die auf eine zukünftige Wiederherstellung („eventual restoration") ganz Israels vorausblickten 226 . 4. Auf manche dieser Einwände hat G U N N E W E G nach einer Antwort im Rahmen der chronistischen Theologie gesucht 227 . Das Zurücktreten der Davididen in Esr-Neh beruhe auf der unübersehbaren Tatsache, daß die nachexilische Gemeinde nicht mehr von Davididen regiert werde, „und daß auch die tendenziöseste Darstellung dieses Faktum nicht umgehen konnte" 228 . Wie von BRAUN erwogen, finde das davidische Königtum in der göttlich inspirierten Schirmherrschaft der persischen Könige, die Tempel 219

BRAUN, V T S 3 0 , 6 4 .

220 Vgl. WILLIAMSON, N C B C , 5-11; ders., Israel 60-70.87-140. 221

V g l . WILLIAMSON, N C B C , 9 . 1 1 .

2 2 2 V g l . d a z u d i e B e o b a c h t u n g e n v o n WILLI, A u s l e g u n g , 1 6 0 - 1 6 4 , auf d e n e n WILLIAMSON

aufbaut. 223 Vgl. WILLIAMSON, Israel, 102-110.126-131.140. 224

WILLIAMSON, Israel, 1 3 1 .

225 Vgl. a.a.O., 140. 226 Vgl. ders., N C B C , 11. Solche Hinweise („hints") sieht WILLIAMSON u.a. in I 3; 9; II 36,20f. 2 2 7 V g l . GUNNEWEG, K A T 1 9 / 2 , 2 6 - 2 8 . 228

GUNNEWEG, K A T 1 9 / 2 , 2 5 .

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1.3 „ C h r o n i k " - oder „Chronistisches G e s c h i c h t s w e r k " ?

und Gottesdienst wiederhergestellt hätten, durchaus eine Fortsetzung in Esr-Neh. Dort trete zwar das „Vergeltungsdogma" gegenüber der chronistischen Darstellung zurück, wo es den Untergang des Reiches begründen sollte. Der erfolgte Untergang mußte dagegen in der nachexilischen Gemeinde nicht länger begründet werden. Ein Rest des Vergeltungsdenkens habe sich aber auch in Esr-Neh erhalten (Esr 9). „Diente der Vergeltungsgedanke im ersten Teil des Werkes als Erklärung, so in EN (= Esr-Neh, Anm.) als Warnung"229 vor erneutem Abfall von Gott und Gesetz. Andere Unterschiede seien ebensowenig stichhaltig. Auch in der Chronik sei nach erfolgtem „Schisma" allein das Südreich „wahres Israel" 230 , die Wiedervereinigung mit dem Norden gerate nach dem Untergang der zehn Stämme nicht mehr in den Blick, wie die Rückkehr Juda-Benjamins aus dem Exil zeige. Das Zurücktreten der Propheten in Esr-Neh sei begreiflich, „ [ . . . ] waren sie d o c h vor allem die B o t e n des Untergangs gewesen, während sie - Haggai und Sacharja - in E N eine Rolle als geistliche Berater b e k o m m e n (und vgl. E 9,11). D i e U n t e r s c h i e d e bezüglich der Rangordnungen des Tempelpersonals sind solche der verarbeiteten Q u e l l e n im Verhältnis zur ehr Darstellung." 2 3 1

und W l L L I A M S O N müssen sich u.E. kritisch fragen lassen, ob ihr erkenntnisleitendes Interesse nicht in (freilich völlig gegensätzlichen) apologetisch-harmonisierenden Prämissen ihren Ursprung hat. Vor allem G U N N E W E G S Erklärungen der Differenzen wirken z.T. künstlich und heben die Unterschiede beider Werke nur umso deutlicher hervor232. GUNNEWEG

6. W I L L I 2 3 3 hat noch einmal auf die stilistischen Unterschiede zwischen Esr-Neh und der Chronik aufmerksam gemacht. Stil oder sprachliche Form ist s.E. mehr als nur die Summe charakteristischer Wendungen, (worin gerade große Ähnlichkeiten beider Werke festzustellen seien)234. Stil wird dabei definiert als Korrelation zwischen auszusagender Sache und ihrem spezifischen Ausdruck235. Für den chronistischen Stil seien Typologie und Analogie zum autoritativen kanonischen Wort konstitutiv, das die Chronik auslegen wolle. „Die schriftstellerische Originalität, wie sie dem Chronisten nicht abzusprechen ist, unterwarf sich dem prophetischen Wort" 236 . W I L L I bezeichnete die Stileigenart der Chronik, eine zur normativen Schrift ge2 2 9 A . a . O . , 27. 2 3 0 GUNNEWEG, ebd., verweist auf I I 13,12-20. 231 E b d . 232 K a n n n o c h v o n einem einheitlichen, durchlaufenden Geschichtswerk die R e d e sein, wenn das theologische Konzept des davididischen K ö n i g t u n v in beiden Werken derart divergiert? V o n einer Ersetzung der Davididen durch die Perserkönige (vgl. D t j e s ) findet sich kein Anhaltspunkt in der C h r o n i k , und ein R e k u r s auf J e s 45,1 stellt für die Interpretation des C h r o n i s t e n einen kühnen Versuch dar! A u ß e r d e m scheint GUNNEWEG nicht zu b e d e n k e n , daß D t j e s nicht zur „theokratischen", sondern allenfalls zur „eschatologis c h e n " R i c h t u n g gehört, eine Unterscheidung, die GUNNEWEG ansonsten von PLÖGER (s.u. A n m . 2 5 5 ) kritiklos übernimmt. Vgl. GUNNEWEG, Geschichte, 1 5 0 - 1 5 2 . 2 3 3 Vgl. WILLI, Auslegung, 176-180. 2 3 4 Vgl. P u n k t 1.3.1 dieser Arbeit. 2 3 5 Vgl. WILLI, Auslegung, 179f. 2 3 6 WILLI, Auslegung, 177.

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Forschungsgeschichtliche G r u n d p r o b l e m e

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wordenen Geschichtserzählung nach dem Prinzip scriptum sui interpres auszulegen, in Anlehnung an F. R O S E N Z W E I G als „Musivstil" 237 , der sich von einer unmittelbaren Rezeption von Geschichte (wie bei Esr-Neh) unterscheide. „Läßt sich nun wahrscheinlich machen, daß die Prämissen bei E s r a - N e h e m i a andere waren (wie es zumindest in bezug auf die auszusagende Sache bzw. die verwendeten Q u e l len der Fall zu sein scheint), während sich doch in gewissen charakteristischen W e n d u n gen die gleiche H a n d verrät, so wird man mit Fug auf zwei Werke desselben A u t o r s schließen d ü r f e n . " 2 3 8

1.3.3 Die Kanongeschichte als Argument 1. Ein Grundproblem der Befürworter eines ChrG bleibt die Erklärung der getrennten Überlieferung von Chronikbüchern und Esr-Neh sowohl im palästinischen wie auch im alexandrinischen Kanon, wobei die Stellung der Chronik am Kanonende (M) besonders auffälig ist 2 3 9 . Meist wird dies damit begründet, daß Esr-Neh vor den Chronikbüchern kanonisiert worden sei, da es über Sam-Kön hinausgehendes Geschichtsmaterial enthalte. Aus diesem Grund sei die Chronik im Kanon zunächst entbehrlich gewesen 240 . Die mangelhafte Textpflege (s.o.) spreche ebenso für eine späte Kanonisierung wie die Beibehaltung baalhaltiger Namen und die Nichtaufnahme der Chronik in die Pescbitta. Die frühe Rezeption in L X X sei durch das freiere Kanonverständnis der griechischen Bibel zu erklären 241 . 2. W I L L I 2 4 2 sieht dagegen bereits in der Tatsache der getrennten Uberlieferung von Esr-Neh und Chronik (LXX) sowie die Nachordnung der Chronik hinter Esr-Neh hinreichende Gründe für die unterschiedliche Abfassung beider Werke. Die Annahme einer nachträglichen Teilung beruhe auf der falschen Prämisse, daß das Kriterium der Kanonisierung ein inhaltliches gewesen sei. Aber die Kanonfrage sei ausschließlich eine Frage der Autorität, die eine Schrift beanspruchen könne; sie beruhe auf der Qualität des Verfassers (nicht des Inhalts), zumindest auf einer „mediierten Dignität" 2 4 3 , die göttliche Autorität beanspruche: „[...] wer sollte es da noch wagen, arbiträr nur Teile als normativ, als kanonisch anzuerkennen?" 244 Zudem, wie sollten spätere Erwägungen der Kanonisatoren bei gleichem Inhalt doch zu dem Entschluß der Aufnahme in den Kanon geführt haben? Die nur bei H I E R O N Y M U S belegbare Folge Chronik-Esr-Neh zeige die starken Hem2 3 7 Vgl. a.a.O., 1 7 7 - 1 8 0 ; 182-184. 2 3 8 WILLI, Auslegung, 180. 2 3 9 S.o. P u n k t 1.2.1. 2 4 0 Vgl. CURTIS / MADSEN, I C C , 3; GALLING, A T D 12, 7; ELSSFELDT, Einleitung, 720; NOTH, Studien I, 2f; RUDOLPH, H A T 21, IV. 241 Vgl. RUDOLPH, H A T 21, IV. 2 4 2 Vgl. WILLI, Auslegung, 1 8 0 - 1 8 4 . 2 4 3 WILLI, Auslegung, 180. 244

Ebd.

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1.3 „Chronik" - oder „Chronistisches Geschichtswerk" ?

mungen, die gegen eine solche Reihenfolge bestanden habe. Diese lasse sich am leichtesten aus der ursprünglichen Eigenständigkeit beider Werke erklären. Die Anordnung von M sei gar ein, wenngleich nur subsidiärer Beleg für die zeitlich spätere Abfassung der Chronik (nach Esr-Neh) 2 4 5 . 1.3.4 Das Ergebnis In den Einleitungskompendien herrscht hinsichtlich der Existenz eines ChrG gegenwärtig eine gewisse Ratlosigkeit vor 2 4 6 . Da ein Konsens bisher aussteht, war ein Eingehen auf das Problem an dieser Stelle wichtig. Die zeitliche und z.T. auch geistige Nähe beider Werke ist u.E. nicht zu bestreiten. SAEB0 konstatiert zurecht: „Doch ist im allgemeinen übersehen worden, daß eben bei der zeitlichen und geistigen Nahe dieser Werke ihre Unterschiede um so beachtenswerter erscheinen" 247 . Die von BRAUN aufgezählten Differenzen sind u.E. überzeugend und lassen bis zum Erweis des Gegenteils nur die Annahme einer ursprünglichen Trennung beider Werke zu. Plausibel, wenngleich nicht zwingend, ist das kanongeschichtliche Argument WILLIS. Eine sukzessive Kanonisierung zweier Werke desselben Verfassers ist durchaus denkbar und hat innerhalb der neu testamentlichen Kanongeschichte möglicherweise eine Parallele (Lk und Apg) 2 4 8 . Für die Josaphat-Rezeption der Chronik kann auf die Existenz eines ChrG als Prämisse jedenfalls nicht zurückgegriffen werden. Die Beweislast für ein ChrG liegt heute bei den Vertretern der fraglich gewordenen These. Die Chronik ist apriori aus sich selbst und nicht von Esr-Neh her zu erklären.

245 Vgl. a.a.O., 180-182. Analog ließe sich u.E. darauf verweisen, daß z.B. JOSEPHUS um 7579 n.Chr. zuerst den ,Jüdischen Krieg" als Beitrag zur Gegenwartsgeschichte schrieb, bevor er etwa 15-20 Jahre später mit den ,Jüdische(n) Altertümer(n)" ein umfassendes Geschichtswerk schuf (und auch die eigenen Erlebnisse neu interpretierte!) vgl. W. FOERSTER, Art. JOSEPHUS, 3 R G G 3, 1959, 868f. Mehr als Analogiecharakter kann dieser Hinweis allerdings nicht haben. 246 Vgl. KAISER, Einleitung, 194; W.H. SCHMIDT, Einführung, 160-162; RENDTORFF, Einführung, 301 f. 2 4 7 S A E B 0 , T R E 8, 8 2 .

248 Vgl. P. VIELHAUER, Geschichte der urchristlichen Literatur, Berlin / New York 1975 (Nachdruck 1978), 383.406. Allerdings ist zu beachten, daß das lukanische Doppelwerk wohl nie als ein Werk bestanden hatte, was eine teilweise Kanonisierung erleichtern mußte. Hätte ein einheitliches Chronistisches Geschichtswerk je existiert, so hätte man es zunächst teilen müssen, wobei nur einem Teil kanonische Ehren zuteil geworden wären. Ein solcher Vorgang ist in der Tat mit WILLI als abwegig zu bezeichnen.

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1.4 Theologische Intentionen 1.4.1 Vorbemerkung Der bisherige Gang der Darstellung brachte bereits zentrale theologische Themen der Chronik zur Sprache und zeigte die Interdependenz von Einleitungsfragen und theologischen Motiven. Versteht sich die vorliegende Arbeit als Beitrag zur Theologie des Chronisten, so ist es u.E. methodisch erlaubt und geboten, Schwerpunkte dieser Theologie zu benennen, wie sie sich in der Forschung spiegeln, um diese anhand der Josaphat-Rezeption zu überprüfen. Aufgabe dieses Abschnitts ist die Sichtung des „Materials", nicht jedoch der Form (Geschichtserzählung). Die Relation von Form und Inhalt wird in einer eigenen Problemskizze erörtert (s.u.). Nach dem unter 1.3 dieser Arbeit Festgestellten ist zu beachten: „Als chronistische Theologie darf also - wenigstens in erster Linie - nur die Theologie der Chronik gelten"249. Wenn denn B U L T M A N N S Theologumenon gilt, daß jeder Satz über Gott zugleich ein Satz über den Menschen ist und umgekehrt250, dann darf ein anthropologischer Abschnitt innerhalb der Theologie nicht fehlen. Dieser Aufgabe hat sich in besonderer Weise JP. W E I N B E R G angenommen251. 1.4.2 Das Problem theologischer Strömungen in nachexilischer Zeit Wie O.H. S T E C K betonte252, gehört zum Verständnis geistiger Äußerungen nicht nur die analytische Konstatierung verschiedener Einzeltraditionen und Traditionselemente, sondern auch die auf einen theologiegeschichtlichen Zusammenhang weisende Synthese, die er als „Hinterland jener Denkwelt" 253 bzw. als Zugehörigkeit zu einer „Strömung"254 bezeichnet. Identifikation und Zuordnung zu einer bestimmten Strömung konstituieren den Interpretationsrahmen einzelner Theologumena, der sich aus der historischen Situation des Verfassers oder Trägerkreises ergibt. Seit O. P L Ö G E R scheint die Identifikation der beiden konkurrierenden Hauptströmungen der nachexilischen Zeit gelungen und unter die Stichworte „Theokratie und Eschatologie" subsumierbar zu sein255. Die Problematik dieses historischen Interpretationsrahmens ist im Folgenden kurz zu erörtern. 2 4 9 SAEB0, T R E 8, 83.

250 Vgl. R. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 9 1984, 192. 251 Vgl. J.P. WEINBERG, Die Natur im Weltbild des Chronisten, V T 31, 1981, 325-345; ders., Der Mensch im Weltbild des Chronisten: Seine Psyche, VT 33, 1983, 298-316; ders., Die soziale Gruppe im Weltbild des Chronisten, ZAW 98, 1986, 72-95. 252 Vgl. O.H. STECK, Das Problem theologischer Strömungen in nachexilischer Zeit, EvTh 28, 1 9 6 8 , 4 4 5 - 4 5 8 .

253 STECK, EvTh 28, 445. 2 5 4 STECK, a.a.O., 4 4 8 .

255 Vgl. O. PLÖGER, Theokratie und Eschatologie, W M A N T 2, Neukirchen 1959.

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1.4.2.1 Theokratie und Eschatologie als Interpretationsrahmen der Chronik theologiegeschichtliche Einteilung ist von verblüffender Einfachheit und Plausibilität. Er sieht in nachexilischer Zeit zwei gegenläufige Konzepte des Selbstverständnisses Israels in einen vierhundertjährigen Kampf verstrickt, deren meist anonymen Trägern er die Bezeichnung „theokratische" bzw. „eschatologische Kreise" 2 5 6 beilegt. Das friedliche Bild einer einheitlichen, jüdischen Gemeinde in persischer und hellenistischer Zeit sei ein Mißverständnis und beruhe auf dem schlechten Quellenmaterial und den Datierungsproblemen. Es ist nach dem ausdrücklich als „Vorschlag" und „Hypothese" bezeichneten Interpretationsversuch P L Ö G E R S dringend revisionsbedürftig 257 . Die Analyse eschatologischer Texte wie Dan, Jes 2427, Sach 12-14 sowie Teile des Joelbuches offenbare in einem Vergleich mit dem Geschichtsverständnis von P und Chronik tiefe Gegensätze. PLÖGERS

1. Das an P orientierte ChrG verstehe das auf Kult und Gesetz gegründete Israel als Ziel aller Wege Gottes mit der Menschheit. Am Gottesberg konstituiere sich Israel als Volks- und Kultgemeinde ein für allemal. Eine der ganzen Menschheit geltende Ordnung werde ausschließlich in Israel realisiert, das eine mit anderen Völkern inkommensurable Größe sui generis darstelle. Israel sei nach P (und der Chronik) das durch Kult und Gesetz aus der Menschheit hervorgehobene, keinem politischen Gefälle ausgesetzte Gottesvolk. P und die Chronik dächten letztlich unpolitisch und uneschatologisch (oder allenfalls noch im Sinne einer „präsentischen" oder „realisierten" Eschatologie). Der Unterschied zwischen P und Chronik bestehe darin, daß P den Sinaibund, die Chronikbücher dagegen den Davidsbund als terminus a quo der Größe Israel bestimmen 258 . PLÖGER bejaht und entfaltet damit, was RUDOLPH als den Zweck des chronistischen Werkes zusammenfaßte: „Es will die Verwirklichung der Theokratie auf dem Boden Israels schildern" 2 5 9 . Durch die Kontroverse mit den Samaritanern sei der Chronist, anders als P, genötigt gewesen, die Kontinuität der nachexilischen mit der vorexilischen Gemeinde zu legitimieren 260 . So sei das Bemühen des Chronisten erklärbar, David mit dem Tempelbau zu verbinden: „ D e n n nach dem Wegfall der Monarchie war der mit dem judäischen Königtum so eng verbundene Tempel in Jerusalem das letzte Glied, das die Gemeinde des Chronisten mit dem Jerusalem der Königszeit verknüpfte." 2 ' 1

Eine eschatologische Erwartung trete in der Chronik völlig zurück, da die in Neh 12,44-13,3 konkret geschilderte jüdische Gemeinde das Ideal der Theokratie durch Tempel und Kult bereits verwirklicht sehe 262 . Dieses 256 257 258 259

Vgl. PLÖGER, Theokratie, 19-141. Vgl. a.a.O., 139. Vgl. a.a.O., 41-58.132f. RUDOLPH, H A T 21, V I I I .

260 Vgl. PLÖGER, Theokratie, 52. 261 PLÖGER, Theokratie, 51. 262 Vgl. a.a.O., 52, in Anlehnung an RUDOLPH, H A T 21, X X I I I .

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theokratische Ideal einer uneschatologisch verstandenen Geschichte werde durch die Chronikbücher konsolidiert 263 . Das ChrG werde letztlich von einer doppelten Intention geleitet, „nicht nur durch eine nach außen gerichtete, antisamaritanische Spitze, sondern auch durch eine nach innen gerichtete, antieschatologische Blickrichtung" 264 . Diese antieschatologische Blickrichtung vertrage sich durchaus mit einer Hochschätzung der prophetisch-eschatologischen Botschaft als einer abgeschlossenen, aber bereits geschichtlichen Größe der Königszeit, „ [ . . . ] insofern der weite Zeitraum zwischen der Gründung der Theokratie am Sinai und der Neugründung dieser Theokratie unter Esra und Nehemia sich mit Hilfe der prophetischen Botschaft überbrücken ließ." 2 6 5

Prophetie sei damit innerhalb der theokratischen Bewegung auf einen bestimmten Zeitraum der Vergangenheit beschränkt gedacht, was sich letztlich im pharisäischen Verständnis der Propheten als Tradenten und Interpreten des Gesetzes wiederfinde 266 . Die Hochschätzung der bereits anachronistischen Größen Prophetie und Königtum in der Chronik stellt somit keinen Widerspruch zur antieschatologischen Blickrichtung dar. Könige, Priester und Propheten leisteten als Vertreter der drei großen Amter einen bedeutenden Beitrag zur Konsolidierung der nachexilischen Gemeinde durch die Gewährleistung der Kontinuität des Gottesvolkes und seines Selbstverständnisses mit dem Israel der Mosezeit. „Nun aber ist das, was sie geleistet haben, aufgenommen in der Theokratie, die jetzt Israel repräsentiert" 267 . Mit dem fundamentalen soziologischen Strukturwandel des alten Gottesvolkes zu einer „Gemeinde kirchenähnlichen Gepräges" erübrige sich eine geschichtliche Eschatologie, da die neue Struktur im Selbstverständnis dieser Gemeinde keinem Wandel geschichtlicher Veränderung mehr unterworfen sei. Das Festhalten an eschatolgischen Hoffnungen sei nur noch insofern gerechtfertigt, als es die verbindliche Theokratie der Gegenwart bestätige 268 . 2. Das Schwergewicht der Monographie P L Ö G E R S liegt zweifellos im Versuch der Erhellung der anderen, eschatologischen Grundströmung. Diese historisch schwer greifbaren „eschatologischen Kreise", deren Ursprünge in der dtn-dtr Bewegung zu suchen seien, hätten zwar Israels Ausnahmestellung durch Kult und Gesetz bejaht, aber unter dem bleibenden Eindruck des noch anhaltenden, von den Propheten verkündeten Gerichtes ein anderes Interesse an den prophetischen Uberlieferungen als die Chronik. Sie seien nicht Vorbilder und Lehrmeister des Glaubens einer vergangenen Epoche, ihre Zeugnisse wiesen vielmehr auf eine Zukunft hin, die noch im Kommen war 2 6 9 . Der in Esr-Neh begegnenden Reduktion des „wahren Is263 264 265 266 267 268 269

Vgl. PLÖGER, Theokratie, 53.132F. PLÖGER, Theokratie, 54. A.a.O., 133. Vgl. ebd. A.a.O., 55 Vgl. a.a.O., 57. Vgl. a.a.O., 134f.

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1.4 Theologische Intentionen

rael" auf die Exulanten Judas und Benjamins setzten diese Gruppen, nach PLÖGER, durch ihre Hoffnung auf Wiedervereinigung ebenso Widerstand entgegen, wie der „enteschatologisierte(n) Auffassung des Chronisten - und das heißt wohl: der offiziellen Linie innerhalb der Theokratie" 270 . Auf die Theokratie haben diese Kreise also zuallererst vorausgeblickt, die sich durch ein Eingreifen Gottes in der Zukunft realisieren werde. Eine solche Haltung mußte zum Konflikt mit der Jerusalemer Theokratie fuhren. Anhand des Danielbuches - einer Art „Manifest" der sich geschichtlich vielfach wandelnden, zum „Konventikel" im Judentum gewordenen eschatologischen Strömung der Asidäer (= Chassidim) - entwickelt PLÖGER eine durchaus einsichtige historische Theorie: Die Entwicklung Israels vom Volk zur Gemeinde finde ihre Entsprechung in der Entwicklung von der (monistischen) Eschatologie zur (dualistischen) Apokalyptik der spätnachexilischen eschatologischen Bewegung271. Die konventikelhafte Abgrenzung („Israel rechter Art") führe von der traditionell restaurativen Eschatologie zur individualistischen Heilshoffnung der Apokalyptik272. Obwohl es manche Querverbindungen von „Theokratie" und „Eschatologie" gegeben habe 273 , setze sich das Ringen darum, wahres Israel zu sein, bis in neutestamentlicher Zeit fort. Als Epigonen dieses Streites lassen sich dann der Sadduzäismus (Theokratie) und der Pharisäismus (Eschatologie)274 identifizieren. PLÖGER ist sich des Hypothesencharakters seiner Ergebnisse durchaus bewußt 275 und verweist selbstkritisch auf die neu entstehenden Probleme und offenen Fragen: So ist die Interdependenz von Weisheit und Apokalyptik ebenso unverständlich276 wie Fragen der Kanonbildung. Wenn die sogenannten „eschatologischen Kreise" den Prophetenkanon schufen und tradierten, wie ist die Verbindung von „Gesetz und Propheten" zu denken277? Problematisch ist auch die Synthese von Theokratie und Eschatologie in Qumran 278 , das völlig aus dem Schema PLÖGERS herauszufallen scheint. Auch die Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit eschatologischer Vorstellungen, die sich im rabbinischen Judentum fortsetzte, wie G. SCHOLEM 270 PLÖGER, Theokratie, a.a.O., 135. 271 Vgl. a.a.O., 19-36 und vor allem 60-68. „Denn der theologisch gewichtige Schritt vom Volk Israel zur Jahwegemeinde, den man als einen Vorgang der Reduktion auf einen spezifisch religiösen Bereich aussprechen kann, trägt im Vergleich zu der zweifellos hervorgehobenen Stellung, die Israel auch früher im Kreise der anderen Völker von sich behauptete, bereits den Keim einer sektenhaften Verengung in sich" (65). 272 Vgl. a.a.O., 136f.l41. 273 Vgl. a.a.O., 45. Haggai und Sacharja seien zugleich restaurativ und eschatologisch ausgerichtet gewesen; für Tritosacharja und das Danielbuch gelte Ahnliches, vgl. a.a.O., 136. 274 Vgl. a.a.O., 34f.66-68. 275 Vgl. a.a.O., 139.141. 276 Vgl. G . V.RAD, Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn 3 1985, 337-363. Weitere Literatur und Einwände (v.d.OsTEN-SACKEN) bei W.H. SCHMIDT, Altes Testament, 47f. 277 Vgl. a.a.O., 142. Mit PLÖGER ließe sich zumindest die Spannung zwischen Pharisäern und Sadduzäern in der Kanonfrage klären. 278 Vgl. E. LOHSE, Umwelt des Neuen Testaments, N T D / E L , Göttingen 1983, 63-82 (vor allem 70-78).

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gezeigt hat 2 7 9 , läßt PLÖGERS Polarisierungsthese u.E. fraglich erscheinen und fordert weitere Differenzierungen. 3. O.H. STECK führte PLÖGERS Ansatz weiter 2 8 0 . Die „theokratische" Chronik, die Israel seit dem Kyrosedikt wieder in der Kontinuität des Heilshandelns Gottes vor dem Exil sehe, betrachte die Jerusalemer Tempel theologie als den Garanten und die fremde Oberherrschaft gar als ein integratives Moment der realisierten Heilswende 281 . In zweifacher Hinsicht geht STECK über PLÖGER hinaus. Einerseits zeigten die Bußgebete des ChrG (vgl. Neh 9) eine der chronistischen Theologie gegenläufige Tendenz des noch andauernden Unheilszustandes dtr Provenienz 282 . Ihre Aufnahme in das ChrG erkläre sich daraus, daß der Chronist, wie auch sonst, den Leviten und ihrer theologischen Tradition entgegenkam, obwohl er selbst anders dächte - ein Argument, das schwerlich zu überzeugen vermag (und vielmehr gegen ein ChrG spricht). Zum anderen versteht es STECK, die späte Weisheit (vor allem Sir) für das Problem von Theokratie und Eschatologie fruchtbar zu machen. Die politische Instabilität, die durch den frühen Hellenismus verursacht worden sei, habe zu ganz neuen Fronten und Koalitionen geführt. Die hellenistische Front habe alte Differenzen zugunsten einer antihellenistischen Einheit der Kräfte relativiert und, wie Sir zeige, zu einer Öffnung der theokratischen Tempelposition für die prophetische Strömung geführt. Die Weisheitsströmung sei als synthetische Kraft für diese Vermittlerrolle geradezu prädestiniert. „Denn die Weisheitsschule war der Ort, wo das gesamte Wissen im damaligen Palästina bekannt war und gemeistert werden konnte" 2 8 3 . Diese Verbindung von Einzeltraditionen und Themen unter der geistigen Führung der Weisheit spiegle sich etwa in Tobit, Jubiläen, Test. Patr. und der „Zehnwochenapokalypse" des äthHen. wider 2 8 4 . Die so ermöglichte Synthese erlaubt dann auch eine Einordnung Qumrans in eine aus Theokratie, Eschatologie und Weisheit bestehende Synthese 285 .

279 Vgl. G. SCHOLEM, Zum Verständnis der messianischen Idee im Judentum, in: ders., Über einige Grundbegriffe des Judentums, Frankfurt, M. 1970, 121-167. 280 Vgl. STECK, EvTh 28, in: ders., Strömungen theologischer Tradition im Alten Israel, in: ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament, München 1982, 291-317. 281 Vgl. S-recK, EvTh 28, 451-453. 282 Vgl. a.a.O., 453-455. 283 STECK, Tradition, 313. 284 Vgl. a.a.O., 315. 285 Vgl. das Schaubild bei STECK, Tradition, 314. Die ansprechende Hypothese könnte helfen, die Verschränkung von weisheitlichen und apokalyptischen Strömungen im rabbinischen Judentum sowie im Neuen Testament (Jesus von Nazareth!) zu erklären, die sich nach PLÖGER im Grunde ausschließen müßten.

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1.4 Theologische Intentionen

1.4.2.2 Kritische Einwände 1. Gegen PLÖGERS griffige Formel sind Einwände erhoben worden. Die Anwendung von Gesetzmäßigkeiten und Formeln auf geschichtliche Bewegungen birgt immer die Gefahr einer reduktionistischen Simplifizierung. WILLIS rhetorische Frage, ob es exegetisch vertretbar sei, in der Chronik den Hauptexponenten einer theokratischen Position zu sehen, beantwortet er selbst mit dem Hinweis auf WELLHAUSEN, der die Theokratie als Grundlage des ganzen nachexilischen Judentums sehe286. W. ZlMMERLl287 und - im Ganzen etwas zurückhaltender - auch P.R. ACKROYD288 bestreiten eine antieschatologische Ausrichtung von P. Beide insistieren darauf, daß die der theokratischen Richtung zugeordnete Priesterschrift keineswegs nur eine Sammlung von Gesetzen darstelle, sondern Geschichte erzählen wolle. Diese Geschichte lasse sich deutlich als fortschreitende Offenbarungsgeschichte periodisieren und sei keineswegs zur Zukunft hin abgeschlossen, wie gerade ZlMMERLl immer wieder zu zeigen versucht289. Beim zentralen Thema der Sabbathheiligung etwa werde auffälligerweise nichts über die Erschließung dieses Heiligen ad hominem gesagt. „Der weitere Bericht der Priesterschrift wird sichtbar machen, daß damit eine verborgene Erwartung in die geschaffene Welt hineingelegt ist" 290 . P sei auch über die Sinai-Theophanie hinaus erfüllt von Hoffnung, selbst wenn ihr eigentliches Anliegen nicht die Eschatologie, sondern die Verherrlichung Jahwes sei. Wenn P (wie ZlMMERLl annimmt) bereits im Exil entstanden ist, dann sei diese Erzählung keine Rückschau, sondern Schilderung des Weges Gottes mit seinem Volk und seiner majestätischen Setzungen, die „Ermöglichung von Zukunft, Erschließung von Hoffnung"291. ACKROYD weist noch darauf hin, daß die Geschichte von P ohne Landnahmeerzählung bewußt offen geblieben sei 292 , da alle Zukunft Israels nicht mehr Menschenwerk sei: „it is God's act" 293 . 2. In R. M O S I S 2 9 4 findet sich ein weiterer profilierter Kritiker P L Ö G E R S . Die Stoßrichtung der Chronik sei weder als antisamaritanische Polemik, noch im Funktionieren des Vergeltungsdogmas, noch überhaupt ausschließlich in der Rechtfertigung der Gegenwart zu suchen295, sondern vielmehr in einer heilsgeschichtlichen Konzeption. Die Abfolge der Könige Saul-David-Salomo sei vom Chronisten nicht historisierend sondern typologiscb verstanden 286 Vgl. WILLI, Auslegung, 113 (einschl. Anm. 12) 287 Vgl. W. ZlMMERLl, Der Mensch und seine Hoffnung im Alten Testament, Göttingen 1968, 66-81.

288 Vgl. P.R. ACKROYD, Exile and Restoration, London 1968 (Nachdruck 1972), 102. 2 8 9 Vgl. ZlMMERLl, Hoffnung, 6 8 - 7 0 .

290 291 292 293 294 295

ZlMMERLl, Hoffnung, 73. A.a.O., 81. Vgl. ACKROYD, Exile, 102. A.a.O., 98. Vgl. R. MOSIS, Untersuchungen. Vgl. a.a.O., 14ff.81.169f.179.194.200ff.206.223-225.229.232.

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worden. Das Saulkapitel 296 sei nicht nur Vorspann zur chronistischen Davidgeschichte, sondern stelle vielmehr eine ins Grundsätzliche transportierte Erzählung der negativen Möglichkeit der Gemeinde Jahwes dar: ,Jahwe untreu werden, sein Wort nicht beachten, statt Jahwe zu suchen und sich auf ihn zu verlassen, den Totengeist befragen" 2 9 7 . Demgegenüber werde in der folgenden Salomogeschichte die schlechterdings positive Möglichkeit vorgestellt, die für Israel denkbar sei, während die Davidgeschichte als eine „Zwischenzeit" in der Mitte beider Pole stehe: Mit David beginne zwar das Heil und die Geschichte sei bereits grundsätzlich ins Positive gewendet, aber die Vollendung stehe gerade noch aus, wie der Tempelbau zeige, der trotz aller Vorbereitung durch David eine Verheißung für die Zukunft sei 2 9 8 . Dieses Dreierschema der Geschichte Israels, das dem eschatologischen Schema einiger Prophetenbücher entspreche 299 , zeige ein besonderes Interesse an der Epoche Davids, da der Chronist die eigene Zeit als eine „davidische" verstehe. Zwar sei „die Zeit des Zornes vergangen, jedoch erst ein Anfang des Heils gesetzt [...] so daß er seine Gegenwart in die Vorbereitung und Erwartung eines noch ausstehenden Heils gesetzt sieht" 3 0 0 . Die paradigmatische Reinheit des Saul-David-Salomo Königtums zeige im Rahmen der nachsalomonischen Königsgeschichte Variationen dieser idealtypischen Epochen, wobei auch die „guten" Könige das salomonische Ideal nicht mehr erreichten 3 0 1 . Auch der für den Chronisten gegenwärtige Tempel stehe in deutlicher qualitativer Distanz zum salomonischen, dessen Restitution noch erhofft werde. Uberhaupt wisse die chronistische Paränese den „heiligen Samen" des aus der Katastrophe geretteten „Restes" dem Gericht entnommen, erwarte aber noch ein letztes Heilshandeln Gottes 3 0 2 . Angesichts dieses heilsgeschichdichen Schemas mag man sich zu Recht fragen, ob die „modellhaften Typisierungen wirklich zum bewußten Kerygma des Chronisten oder eher zum Verstehenskanon des [...] heutigen Exegeten gehören" 3 0 3 . 3. Eine Zusammenfassung von Kritikpunkten an PLÖGERS Thesen bietet WlLLIAMSON 304 . Der Hauptvorwurf besteht in der Fraglichkeit einer auch nur halbwegs homogenen „theokratischen Partei". Das Problem der Mischehen etwa zeige tiefgehende Divergenzen zwischen Esr-Neh und den führenden Priesterfamilien, „these seifsame families who led the way into

296 Vgl. a.a.O., 165. 297 MOSIS, ebd. 298 Vgl. a.a.O., 165-167. „Die grundsätzliche Wende vom Unheil zum Heil ist bereits geschehen; was jedoch der Davidszeit an Heil wirklich gegeben ist, hat die Eigenart des Vorläufigen und Vorbereitenden" (167). Hier liegen enge Berührungen mit der eschatologischen Sicht von ROTHSTEIN / HANEL, KAT 28 / 2, Xf vor. 299 Vgl. M o s IS, Untersuchungen, 167. 300 MOSIS, Untersuchungen, 168 (vgl. 234). 301 Vgl. a.a.O., 203. 302 Vgl. a.a.O., 234. 303 JENNI, T h R 45, 105. 304 Vgl. WlLLIAMSON, Israel, 132-140.

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mixed marriages" 3 0 5 . Zweitens 306 sei die extreme Exklusivität einer sich als „Rest" in Israel verstehenden eschatologischen Gruppe kaum verständlich, wie auch PLÖGER eingestehe. Drittens zeige sich das Problem von Partikularismus und Universalismus des Heils über die Parteiengrenzen hinweg sowohl in der eschatologischen, wie auch in der theokratischen Richtung. MOSIS' These sei insofern Recht zu geben, als die chronistische Geschichtserzählung neue Hoffnungen wecken wolle. Eine Esr-Neh unterstellte Selbstzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation sei fragwürdig: Einerseits verstehe sich der Tempelkult nicht als unmittelbare Fortsetzung („direct continuation") des ersten Tempels, andererseits verwehrten Texte wie Esr 9 und Neh 1; 9; 13 die Annahme einer endgültigen Lösung der innergemeindlichen Probleme. „In short, it is doubtful whether any of the relevant O T writings reflect a completely non-eschatological view" 3 0 7 . Zwar lasse sich über die Situation Jerusalems im 4. Jahrhundert v.Chr. wenig Präzises aussagen - „one can say little more than it was there" 3 0 8 - aber zwei Dinge seien gesichert: Zum einen habe die im ausgehenden 5. Jahrhundert feststellbare größere Autonomie der Provinz Juda deren Identitätsfrage neu gestellt. Starke politische Spannungen mit fast allen Nachbarn machten kompensatorische Assimilationsversuche (Mischehen) mit kultisch einigermaßen akzeptablen Gruppen (Samarier) wahrscheinlich 309 . Zum anderen sei durch eine Notiz bei JOSEPHUS eine ins 4. Jahrhundert datierbare Flucht eines Teils der Jerusalemer Priesterschaft nach Norden belegt, deren Ursachen WlLLIAMSON in divergierenden Standpunkten über die Integration der „Northeners" innerhalb der Priesterschaft sieht 310 . Die Chronik habe diese Spannungen unmöglich ignorieren können. Entweder habe sie versucht, einen Mittelweg zwischen den Extremen zu gehen (ihre Loyalität zum Kult ist unzweifelhaft), oder aber sie ergreife Partei für die Integration aller bußfertigen Angehörigen des Zwölfstämmeverbandes 311 , was WlLLIAMSON meint sicher nachweisen zu können 312 . Der historisch-ideologische Argumentationsrahmen Tbeokratie und Eschatologie vermag nicht zu überzeugen, sollte auch nur ein Teil der Einwände wissenschaftlicher Überprüfung standhalten.

305 306 307 308 309 310 311

WlLLIAMSON, Israel, 134. Z u m Folgenden vgl. WlLLIAMSON, Israel, 134f. WlLLIAMSON, Israel, 135. A.a.O., 136. Vgl. ebd. Vgl. a.a.O., 137-139. Wir wollen zur terminologischen Vereinfachung des Problems im Fortgang der Untersuchung von einem Panisraelitismus sprechen. 312 Dieser Absicht dient der zweite Teil des Werkes von WlLLIAMSON, Israel. Er verweist am E n d e noch einmal auf David, Salomo und Hiskia, die das Volk sammeln, sowie auf die Ü b e r t r a g u n g des Erstgeburtsrechtes von Rüben auf J o s e p h in I 5,1 f, worin er eine besondere Hochschätzung des Nordreiches erblickt, vgl. a.a.O., 139f.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

45

1.4.3 Theologische Einzelmotive In diesem Abschnitt soll der Frage nach den „Kernpunkten chronistischer Theologie" 313 als Frage nach den theologischen Loci nachgegangen werden, wie sie sich in der Forschung niederschlagen. Ausgehend von der Untersuchung R O T H S T E I N S / H Ä N E L S werden im Anschluß nur die charakteristischen Modifikationen und Alternativen einzelner Forscher festgehalten.

1.4.3.1 Allgemeine Beobachtungen

(ROTHSTEIN / H Ä N E L )

Der Herausgeber des 1927 erschienenen und unvollendet gebliebenen Kommentars 314 beschrieb die Chronik als „[...] ein Buch, das von Anfang bis Ende voll religiöser Glut" sei - mehr noch, „Prophetin der Theologie" wolle das Werk sein 315 . Der Kommentar setzt überraschenderweise mit der Darstellung der Theologie des Chronisten ein, angefangen von der Gotteslehre, über die Forderungen Gottes bis zur Soteriologie und Eschatologie. Die Auswertung einer Fülle von Beobachtungen beschränkt sich zwar auf IChr, beschreibt aber zugleich wesentliche Grundzüge der Theologie des gesamten Werkes, deren kurze Darstellung im Zusammenhang unserer Fragestellung somit gerechtfertigt ist. 1. Das Spezifikum chronistischer Gotteslehre liege in der völligen Transzendentalität des Gottesbegriffs gegenüber der geschaffenen Welt. Damit unterscheide sich die Chronik deutlich von früheren theologischen Entwürfen im Alten Testament316. Diese Transzendentalität zeige sich einmal in der Art der Gotteserkenntnis durch den Menschen. Reale Gotteserscheinungen fehlten und auch die visionäre werde nach Möglichkeit vermieden, soweit sie nicht durch die Vorlage unumgehbar seien (vgl. Salomos Traum in Gibea). Zum anderen werde der heilige Gottesname Jahwe durch das eher Appellativ Elohim ersetzt, wobei selbst die Vorlage gelegentlich korrigiert werde, wie etwa die Lade-Erzählungen zeigten317. Gott begegne dem Menschen in den Chronikbüchern nur noch mittelbar: durch andere, inspirierte Menschen 318 , oder durch die Hypostatisierung des „Namens Jahwes" - eine Deutung 319 , der W Ü R T H W E I N widerspricht320 - oder aber mittels einer aus313 314 315 316

317 318 319 320

SAEB0, TRE 8, 84. Zum Folgenden vgl. RoTHSTEIN / HANEL, K.AT 28 / 2, IX-XLIV. Vgl. a.a.O., IX. Vgl. a.a.O., Xlf. RoTHSTEIN / HANEL bezeichnen die früheren theologischen Entwürfe des Alten Testaments idealistisch-polemisch als „primitive Auffassung der Schreckreligion" und „metaphysisch-ethischen Machtglauben" bei Mose und der „niederen Jahwereligion" (ebd.). Darin stehen die Verfasser - leider - in einer traurigen Tradition alttestamentlicher Forschung. Vgl. a.a.O., XHIf. Vgl. a.a.O., XII. Vgl. a.a.O., XIV. Vgl. E. WORTHWEIN, Die Bücher der Könige. l.Könige 1-16, ATD 11 / 1, Göttingen

46

1.4 Theologische Intentionen

geprägten Angelologie. Der „Engel Jahwes" habe in der Chronik (vgl. I 21,16) alle Erdenschwere verloren und stehe nun „zwischen Himmel und Erde" in einer Uberwelt; der Satan sei vom Ankläger zum gottfeindlichen Versucher geworden; ein „angelus interpres" übermittle göttliche Befehle 3 2 1 . Anders als P sähen die (von ROTHSTEIN / HÄNEL angenommenen) Chronisten in diesen Mittelwesen keine Gefährdung des Monotheismus, d.h. der Einzigkeit Jahwes, die weiterhin ausdrücklich gegen die „Nichtse" der Heiden verteidigt werde und auch von diesen Anerkennung fordere 3 2 2 . Zu den Gottesprädikaten zählten daher die Allmacht des Geschichtslenkers (Genealogien), wobei das Problem von Allmacht und Möglichkeit der Sünde nicht reflektiert werde. Weitere Gottesprädikate seien Allgegenwart und - ad hominem - Huld, Zorn, Treue und Weisheit Gottes, die oft für pädagogische Zwecke herhielten 323 . Gott stehe durchweg positiv zum Menschen, wie am fast fleckenlosen Glanz Davids und Salomos paradigmatisch deutlich werde. Negative Züge, wie der „Zorn Jahwes", der David in 2Sam 24 zur Sünde reizte, würden eliminiert: Jahwe werde durch Satan entlastet und aus dem Fluch (Volkszählung) könne Segen werden (Auffinden des Tempelplatzes) 3 2 4 . 2. Dieser allmächtige und transzendente Gott stelle ganz bestimmte Forderungen an den Menschen 325 , die diesem leicht erreichbar seien. Einerseits lägen sie in der bereits kanonischen Tora vor, weshalb sich der Chronist nicht scheue, die Uberlieferung nach der Tora zu ändern 326 ; zum anderen werde, was nicht in der Tora stehe, durch David verfügt, der als „zweiter M o s e " 3 2 7 fungiere. Den Forderungen müsse der Mensch in beständiger Treue und Vertrauen gegenüber Gott gehorchen („Herz und Seele") und in allem Tun Gottes Ehre suchen, wie die Gestalt Davids in der Ladeerzählung und den Tempelbauvorbereitungen lehre 328 . Bezüglich der Sorge für den T e m p e l b a u halten ROTHSTEIN / HÄNEL fest:

„Dieses Tun Davids wird noch eindrucksvoller, wenn man beachtet, daß hier nicht Einzelmotive vorliegen, sondern daß die gesamte Regierung Davids, ihr Ende ausschließlich diesem Gesichtspunkt untergeordnet ist." 3 2 9

Gottes Forderung betreffe aber auch die Sittlichkeit im sozialen Zusammenleben. Auch diese Tugenden würden durch David und Salomo verkörpert. David, dessen Idealisierung nur durch die Volkszählung getrübt werde, sei in der Chronik frei von väterlichen Schwächen, Ehebruch, mangelnder Au1985, 102f. Der „ N a m e " Jahwes wird von WORTHWEIN nicht als hypostatische Einschränkung, sondern als Äquivalent für Jahwe verstanden. Vgl. ROTHSTEIN / HANEL, KAT 28 / 2, XIV-XVII. Vgl. a.a.O., XV-XVII. Vgl. a.a.O., XVII-XX. Vgl. a.a.O., X I X . Zum Folgenden vgl. a.a.O., XIXf. Vgl. a.a.O., XXf. Vgl. a.a.O., IX; X I X - X X I . Vgl. a.a.O., XX-XXIV. A.a.O., XXIII.

2

321 322 323 324 325 326 327 328 329

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

47

torität in der eigenen Familie, Grausamkeit gegenüber Besiegten und dem eigenen Volk, wie sie im DtrG überliefert sind 330 . Vielmehr sei es des Königs Ehre, ständig Recht und Gerechtigkeit an seinem ganzen Volke zu üben (I 18,14). Eigentümlich sei die Stellung der Chronik zum Krieg. Dieser könne, entsprechend altisraelitischer Auffassung, als ,Jahwekrieg" Symptom göttlicher Allmacht sein. Das Wesen des Krieges bestehe aber im Blutvergießen, das den Menschen verunreinige, weshalb David den Tempel nicht bauen dürfe 3 3 1 . Ein besonderer Streitpunkt der nachexilischen Gemeinde sei die Kontroverse um die „völkische Reinheit" gewesen (Mischehen, Streit mit Samaritanern). R O T H S T E I N / H Ä N E L deuten die Perhorreszierung der Philister, die Tempelätiologie und die peniblen Genealogien in I als Abwehr des für das Gottesvolk unerlaubten Konnubiums und Ausdruck des Antisamaritanismus. Gleichzeitig werde der Nachweis einer „fleckenlosen Ahnenreihe" deutlich abgeschwächt: „Es ist die Tendenz, gegen die Unsicherheit, wie sie in Esra 2,59f.61f. vorliegt, zugunsten der Beunruhigten zu polemisieren" 332 . Dies zeigten die Genealogien durch die Aufnahme der Geschlechter Jerachmeels und Kalebs sowie der Rezeption ägyptischer und edomitischer Mischgeschlechter (allerdings nur in vormosaischer Zeit) 3 3 3 . 3. Den kultischen Angelegenheiten gelte die besondere Aufmerksamkeit der Chronik, wie die „starke Spezialisierung des Sachverhaltes" 334 zeige. Die Überführung der Lade nach Jerusalem, die Anweisung zum Tempelbau, die Kultordnung durch David und die Ausführung des Baus durch Salomo seien Schwerpunkte von I. Die exklusive Kultverrichtung durch Angehörige des Levistammes (Leviten und Priester) sei besonders auffällig. Zwar belasse man entsprechend der dtr Vorlage dem Kultstifter David einige priesterliche Züge, allerdings gebe es auch beim „Gesetzgeber David" Retuschen, die dessen Autorität zugunsten von Leviten und Oberpriester einschränkten 335 . Im übrigen werde das Prinzip der „klerikalen Umformung" 3 3 6 der Tradition stricte durchgeführt (auch der opferberechtigte Benjaminit Samuel wird „levitisiert"), wobei sich in der Unterscheidung von Priestern und Leviten Parallelen zu P und Ez feststellen ließen 337 . Die Leviten würden besonders herausgestellt: „Während jedoch die chronistischen Autoren größtenteils mit einer gewissen Kühle der priesterlichen Würde gegenüberstünden, seien sie lebhaft bestrebt, sich für die Sache der Leviten einzusetzen" 338 . Neben dem Bewachen der Vorräte, der Bedienung heiliger Geräte, dem Verwalten 330 331 332 333 334 335 336 337 338

Vgl. a.a.O., XXV. Vgl. a.a.O., XXVIf. U.E. könnte man in I 22,8; 28,3 eine „negative Kultätiologie" sehen. A.a.O., XXVIII. Vgl. a.a.O., XXVIIIf. Vgl. a.a.O., X X X ; zum Folgenden X X X - X L I . Vgl. a.a.O., XXXIIf. Vgl. a.a.O., X X X I I I . Vgl. a.a.O., XXXIIIf. A.a.O., X X X V .

48

1.4 Theologische Intentionen

heiliger Maße, der Überwachung der kultischen Reinheit sowie der Beteiligung am Kult würden den Leviten zwei neue Aufgaben zugewiesen, die in P noch nicht erwähnt sind: Die Ausübung der „heiligen Musik" und die „Torwache". Aber auch weldiche Geschäfte fielen ihnen zu, wie Richteramt, Schreiberdienste und Abgabenverwaltung 339 . Innerhalb der Priesterschaft würden Rivalitäten zwischen den Zadokiden und den Nachkommen Ebjatars ebenso deutlich wie innerlevitische Spannungen der Sängereeschlechter Asaphs, Hemans und Etan-Jedutuns. Auch die Zuteilung Ebea-Edoms zu einem „levitischen" Torhütergeschlecht scheint umstritten 340 . Das chronistische Ideal menschlicher Rechtschaffenheit ließe sich wie folgt zusammenfassen: „Es ist stark kultisch bestimmt, demgemäß auch rituell gefärbt, doch faßt es darum nicht minder alles eigentlich religiöse und sittliche Leben in sich" 341 . 4. Sünde ist demnach schuldhafte Nichtbeachtung des Gesetzes, verdorbene Gesinnung (nicht nur Handlung!), Versagen im Sittlichen, ritueller und kultischer Verstoß, was von der vergeltenden Gerechtigkeit des geschichtslenkenden Gottes geahndet werde 342 . Davids Glück beruhe auf seiner Frömmigkeit (I 22,18f), allen, die so handelten, sei Ähnliches beschieden (I 28,7; 2 9 , 1 7 f f ) . Unheil kann dann als Strafe der Sünde gewertet werden 343 . Jahwes Verhalten in der Chronik ist nach ROTHSTEIN / H Ä N E L aber nicht ausschließlich vom Vergeltungsgedanken bestimmt. Auch Israels Erwählung (I 1-9), Gottes Ehre und seine freie Gnade determinierten sein Handeln, das Strafe durch Buße abmildere 344 . Versöhnung durch Opfer und Sühnehandlung sei durch das Opferstatut festgelegt, werde aber bei einigen besonderen Gelegenheiten auch durch Prophetenwort geregelt, wobei Reue Strafmilderung und Ablösung der Schuld durch eine Ersatzleistung bewirken könne 345 . 5. Zwar werde über ein Leben nach dem Tode in der Chronik nichts ausgesagt, dennoch gebe es gewichtige Anhaltspunkte, die auf das Kommen eines endzeitlichen Davididen und den noch ausstehenden Anbruch des messianischen Reiches hinwiesen. ROTHSTEIN / H Ä N E L erwägen, ob diese Erwartung nicht gar das Zentrum des chronistischen Geschichtsorganismus ausmache 346 . Dafür spräche die breite Schilderung der Herrlichkeit Davids warum sollte sie sonst erzählt werden - der von Anfang an über „ganz Israel" herrsche. Die Wiedervereinigung sei aber ein wesentliches Merkmal messianischer Prophetie 347 . Betont stehe der wiederholte Hinweis, Davids

339 340 341 342 343 344 345 346 347

Vgl. a.a.O., XXXVf. Vgl. a.a.O., XXXVI-XL. A.a.O., XL. Vgl. a.a.O., XLf. Vgl. a.a.O., XLIf. Vgl. a.a.O., XLIIf. Vgl. a.a.O., XLIII. Vgl. ebd. Vgl. ebd.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

49

Königtum gehe auf einen ausdrücklichen Willensakt Gottes zurück. „Was dies gegenüber der trüben, königslosen Gegenwart zu besagen hat, liegt auf der H a n d " 3 4 8 . Weitere Hinweise: Die Genealogie der Davididen reiche bis in die Zeit der Chronisten; das Verb 1X3*1 aus 2Sam 5,1 werde in I 11,1 durch ersetzt, ein Terminus, der nicht selten die eschatologische Sammlung der Gemeinde bezeichne 349 ; die „Nathanweissagung" werde in der Chronik nicht nur am traditionellen Ort (I 17,11-14) zitiert, sondern noch zweimal wiederholt (I 22,9f; 28,6f); I 17,14 ändere die Vorlage (2Sam 7,16) dahingehend ab, daß sich der Davidide in Jahwes Tempel und Königtum treu bewähren werde, was in Ezechiels Prophetie vom kommenden Fürsten, der für die Aufrechterhaltung des heiligen Dienstes sorge, eine Parallele habe 3 5 0 .

1.4.3.2

Ergänzungen und Modifikationen (V.RAD, R U D O L P H , N O R T H )

1. Nach G. v.RADS Frühwerk 3 5 1 ist David das Hauptthema der Chronik, auf dessen Gestalt alle -weiteren Einzelthemen bezogen seien: „David und die Lade, David und das Kultuspersonal, David und der Tempel, David und der Kult, David und Israel" 3 5 2 . Ein großes Verdienst v.RADS ist neben der Entdeckung der Bedeutung des Deuteronomiums (Dtn) für die Chronik die Herausarbeitung der Ladethematik als Kristallisationspunkt des Kultes und des Kultpersonals (Leviten) 353 , wobei ein eigentümlicher Unterschied zu P erkennbar sei: „Diese David-Lade-Leviten-Tradition steht in völliger Eigenständigkeit der Mose-Stiftzelt-Aaroniden-Tradition gegenüber [...] In vollendeter Beziehungslosigkeit zu der in Gibeon stehenden Stiftshütte wird sie nach Jerusalem eingebracht." 354

Die folgende Geschichte bis Zedekia zentriere sich um den Davidsthron im Kontext der Jahwe-Verheißungen. Mose trete gegenüber David zurück, da dieser offenbar kein ausreichender Garant des Heils sei. Der von David initiierte und durch die Leviten fortgesetzte Lob- und Dankgottesdienst stelle die Verheißungen Jahwes gegen die Opfer- und Sühnetheologie von P 3 5 5 . verortete das Hauptanliegen der Chronik im Nachweis, daß allein Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem rechtmäßiger Sitz der Theokratie sei, was sich dem Chronisten als Akt reiner Gnadenwahl präsentiere 356 . 2. R U D O L P H

348 349 350 351

A.a.O., XL11I. Vgl. a.a.O., XLIV. Vgl. ebd.; femer Ez 45,17.22fr, 46,lff sowie die Parallele in Jes l l . l f f . Vgl. G . V.RAD, Das Geschichtsbild des chronistischen Werkes, B W A N T IV / 3, Stuttgart

352 353 354 355 356

V.RAD, Geschichtsbild, 134. Vgl. a.a.O., 42-63.98-115.134. A.a.O., 134. Vgl. a.a.O., 135f. Vgl. RUDOLPH, H A T 21, VIII; XHIf.

1930.

50

1.4 Theologische Intentionen

Die Anbindung an die dtr Theologie werde deutlich in der Verwendung des Grundwortes 1113 und durch die Tatsache, daß die Reformen Asas, Josaphats und Hiskias als Prolepse der josianiscben Reform erschienen 357 . Zwar stehe die kultische Jahwe-Verehrung im Vordergrund, jedoch sei v.RADS Behauptung, die Stellung der Leviten im Organismus des nachexilischen Israel sei ein zentrales Anliegen der Chronik 3 5 8 , eine Übertreibung: Der Chronist wolle nicht egoistisch den Rang der Sänger sichern, sondern unterstreiche „die als unabdingbar empfundene Verpflichtung der jüdischen Gemeinde (sie!), Jahwe recht zu preisen" 3 5 9 . Das Vergeltungsschema sei ein wichtiges Anliegen, es werde jedoch nicht als Kausalgesetz in unbedingter Konsequenz verstanden: II 25,13 zeige, daß es auch unverschuldetes Leid gebe. Die Warnungen der Propheten öffneten immer wieder Wege der U m kehr, wobei der Gehorsam als Wirkung Jahwes verstanden sei (II 30,12; I 22,12; 29,18) 3 6 0 . Ebensowenig sei der Chronist Ritualist oder Nominalist (V.RAD), denn der Gedanke der Verdienstlichkeit menschlichen Tuns sei ausgeschlossen 361 . Der Lobpreis stehe im Zentrum des Kultes, weshalb das Sühneopfer zurücktrete. Der Kultgesang ermögliche gar die militärischen Erfolge Josaphats 3 6 2 . Nicht allein der Klerus, sondern auch die Einstellung der Volksgemeinde sei von großer Bedeutung. Ihre Leistung bestehe im pünktlichen Abliefern der Abgaben, die analog zum Kultgesang, „freudig" dargebracht werden 3 6 3 . Gegen R O T H S T E I N / H Ä N E L vertritt R U D O L P H die Auffassung, die Eschatologie trete aufgrund des theokratischen Prinzips in seiner Verteidigung gegen die „falschen Brüder" 3 6 4 völlig zurück. 3. R. NORTH faßt in einem essayistischen Beitrag 3 6 5 die chronistische Theologie unter vier Gesichtspunkten zusammen: Legitimacy, Retributon, Cultus, Davidism. Der Chronik sei zum einen an der Legitimation des Volkes und seiner Repräsentanten interessiert, Gottes Willen zu tun. Wie die Levitisierung Samuels zeige, legitimiere nicht der biologische Stammbaum, sondern die juridische Adoption 3 6 6 . Das Proprium chronistischer Vergeltungslehre sei ihre Bestimmung als „short-range-retribution" 367 : Da ungewiß sei, welches Schicksal die Scbeol für den Einzelnen bereithalte, wirke Jahwes Vergeltung generationenimmanent und unmittelbar 3 6 8 . NORTH sieht im Vergeltungsdenken eine vom Chronisten bewußt vertretene, archaisierende Theologie eines Konservativen, der Gottes Gerechtigkeit in Abwehr grie-

357 358 359 360 361 362 363 364 365 366 367 368

Vgl. a.a.O., XV. Vgl. V.RAD, Geschichtsbild, 119. RUDOLPH, H A T 21, XVI. Vgl. a.a.O., X I X f . Vgl. a.a.O., X X I . Vgl. a.a.O., X X I I : Vgl. a.a.O., X X I I f . A.a.O., X X I V . R . NORTH, Theology of the Chronicler, J B L 82, 1963, 369-381. Vgl. a.a.O., 369-372. Vgl. a.a.O., 372-374. Vgl. a.a.O., 369.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

51

chischer Unsterblichkeitsvorstellungen (sie!) in seiner Paränese bewußt an die Erde binde: „Many people with some degree of good will simply do not possess enough insight to be deterred from evil by remote abstract sanctions." 3 ' 9

Die Darstellung des Kultes als „systematized expression of God's will" 3 7 0 gelte der Abwehr eines durch Babylon-Persien eingedrungenen Modernismus und der Rückführung des Willens Jahwes auf Traditionen, die in den Augen einer konservativ organisierten Gruppe als mosaisch galten 371 . N O R T H vermutet, daß angesichts einer sich mehr und mehr als untätig und nachlässig gebärdenden Priesterschaft372 die Leviten die Initiative ergriffen hätten, getreu dem Motto: „get the rights and duties from paper and pulpit into actuality" 373 . Der Davidismus der Chronik ist für N O R T H das Zentrum chronistischer Theologie 374 . Die Tatsache, daß die Exodus-, Josephs-, Mose- und Aaron-Traditionen nur als Marginalien erschienen, ließe sich verschieden deuten. Weder R U D O L P H S Chronik-Deutung („antisamaritanische Polemik"), noch BRUNETS Erklärung, Sinai und Exodus seien nur provisorische Schritte auf dem Weg zum Bündnis mit David 375 , hält N O R T H für überzeugend. Seiner Ansicht nach will der Chronist Israels Erwählung grundsätzlich nicht an Mose und dem Sinai, sondern an David und dem Zion festmachen. Der Chronist verstehe sich als Kritiker von P, da deren Theologie auf halbem Wege stehengeblieben sei 376 . So läßt N O R T H den Chronisten sagen: „We must get Moses wholly out of the picture and describe the origin of our cultic system more reallistically" 377 . Ein zweiter Akzent des chronistischen Davidismus liege auf dem implizit erkennbaren „realisierten Messianismus" 378 . Dabei unterscheidet N O R T H dezidiert vorexilische Messiasvorstellungen (z.B. der König als „Gesalbter" Jahwes) vom nachexilischen, eschatologischen Messianismus, von dem sich der Chronist in bewußter Archaisierung abwende, denn: „the Chronicler was far too reactionary to abandon so centripetal and isolating a trait as the ,awaited Davidic liberator'" 379 . Für den konservativen chronistischen Monarchisten gelte die Maxime, daß Gottes Wille in der Vergangenheit auch Norm des Gotteswillens der Gegenwart sei.

369 370 371 372 373 374 375 376

NORTH, a.a.O. 374. Ebd. Vgl. a.a.O., 369; 374f. Vgl. a.a.O., 376. A.a.O., 375. Vgl. a.a.O., 376ff. Vgl. a.a.O., 377. Vgl. a.a.O., 378.

3 7 7 NORTH, e b d .

378 Vgl. a.a.O., 378ff. Hier ist der Weg nicht mehr weit zu C.H. DODDS „realized eschatology" (vgl. ders., Parables of the Kingdom, London 151958). Ahnliches ließe sich nicht nur über Jesus, sondern unter dieser Voraussetzung auch über David sagen. 379 NORTH, a.a.O., 380.

52

1.4 Theologische Intentionen

N O R T H S ' Formulierungen und Konklusionen wirken oft phantasievoll, um nicht zu sagen kurios. Dennoch hat er u.E. mit dem Stichwort der „Archaisierung" und dem Hinweis, daß die Chronik nicht nur Vorhandenes legitimiere, sondern ein Desiderat einklage, wichtige Erkenntnisse festgehalten, die in der linguistischen Forschung (vgl. J A P H E T s.o.) und auch in W I L LIS Verständnis der Chronik als „Auslegung" (s.u.) aufgegriffen wurden.

1.4.3.3 Ergänzungen und Modifikationen

( N O T H , GOLDINGAY, WELTEN

u n d WLLLIAMSON) 1. N O T H 3 8 0 teilte v . R A D S Feststellung, die Chronik sei eher von Dtr als von P abhängig, sieht aber gleichzeitig eine wichtige Modifikation dtr Vorstellungen in der Abwendung vom kollektiven „Vergeltungsdogma" (besser: Tun-Ergehen-Zusammenhang) durch dessen Anwendung auf das Individuum 3 8 1 . Das Einsetzen des ChrG bei David läßt nach N O T H nur den Schluß

zu, daß innerisraelitische

Probleme Ausgangspunkt des Geschichtswerkes

gewesen sein müssen 382 . Die seit R O T H S T E I N / H Ä N E L und v . R A D immer wieder geäußerte Ansicht, das chronistische Werk sei geprägt von der Legitimierung levitischer Ansprüche, kann N O T H nur für „unzweifelhaft falsch halten", da sich Levitengenealogien und Listen als literarkritisch sekundäre Zusätze erwiesen hätten und ein Ausspielen Davids gegen Mose - zumal in priesterlichen Angelegenheiten! - scheitern müsse. Zu diesem Zweck wäre eine levitisierende Ergänzung der Mosetradition das geeignete Mittel gewesen 3 8 3 . „Von Mose aber hat Chr. völlig geschwiegen, und so lag offenbar das Abändern oder Ergänzen mosaischer Ordnungen ganz außerhalb des Bereichs seiner Interessen" 384 . Dieses bestechende Argument führte N O T H zu einer polemischen Bestimmung der Betonung Davids, die auch R U D O L P H S Kommentar (s.o.) vertreten hatte. Die Jerusalemer Kultgemeinde erweise damit die Legitimität des davidischen Königtums und des Jerusalemer Heiligtums als wahrer Jahwekultstätte in Abgrenzung von Ansprüchen der samaritanischen Gemeinde. „Weggelassen hat Chr. sachgemäß die der Jerusalemer und samaritanischen Gemeinde gemeinsamen Uberlieferungen" 385 . Diese umfaßten nicht nur den gesamten Pentateuch, sondern auch Landnahme, Richterzeit und saulidisches Königtum, deren Erwähnung das Interesse des Chronisten eher konterkariert hätte. Die Erwähnung der zwölf Israelstämme dient dann nur noch als Bindeglied zwischen der Menschheitsgeschichte und dem „wahren Israel" (Juda) innerhalb des genealogischen Vorspanns. Das „Königtum Da380 381 382 383

Vgl. NOTH, Studien I, 171-180. Vgl. a.a.O., 171-173. Vgl. a.a.O., 173. Vgl. a.a.O., 174 (vgl. 114); ferner Punkt 1.2.3 Quellen, Redaktion und Kreation des Chronisten (s.o.). 384 NOTH, Studien I, 174. 385 A.a.O., 175.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

53

vids" (2Sam 7,16a) wird zum „Königtum Gottes" (I 17,14), der „Thron Israels" ( l K ö n 10,9) zum „Thron Gottes" (II 9,8) 3 8 6 . Das Übergehen der G e schichte des Nordreiches geschehe nicht aus Desinteresse, sondern bestreite dessen Existenzberechtigung. Anders als BRAUN (s.o.) unterscheidet NOTH nicht zwischen „foreigners" und Nordstämmen in der Chronik einerseits und Esr-Neh andererseits 387 . Die chronistische Geschichte wird zum Präludium des nachexilischen Antisamaritanismus, der in den Chronikbüchern noch verhüllt, in Esr-Neh dagegen in voller Deutlichkeit zutage trete 3 8 8 . Konsequenterweise werde auch der dtr Kultzentralisationsgedanke als willkommene Argumentationshilfe übernommen, während die betonte Verknüpfung von Tempel und David (vgl. v.RAD und ROTHSTEIN / HÄNEL) bei NOTH theologisch marginalisiert wird 3 8 9 . Auch NOTH konzediert gewisse positive Beziehungen und Kontakte zwischen Nord- und Südreich in den nachsalomonischen Partien der Chronikbücher. E r deutet diese jedoch zumeist als Ausdruck von Besitzansprüchen der Davididen auf den apostatischen Norden (vor allem Südsamarien) 3 9 0 . In deutlicher Unterscheidung von RUDOLPH und PLÖGER vertritt der Chronist in NOTHS Darstellung die Hoffnung auf eine Erneuerung des davidischen Königtums, ein Anliegen, das sich mit der Makkabäerzeit erfüllt habe: In Jerusalem sei das Königtum wiedererstanden, der häretische Kult der Samaritaner auf dem Garizim sei gewaltsam beendet worden und das alte Wohngebiet der zwölf Stämme sei wieder unter die Königsherrschaft Jerusalems (allerdings von Nicht-Daviden!) gebracht worden. In jener Zeit sei das Werk des Chronisten mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen worden 3 9 !. 2. J . GOLDINGA YS Darstellung des Theologie des Chronisten 3 9 2 greift auf das Theokratie-Eschatologie Modell PLÖGERS zurück, stellt den Chronisten andererseits aber in die theologische Tradition Deuterojesajas (Dtjes), der im Perserkönig Cyrus die messianisch-eschatologische Frage als gelöst betrachte. Der „Davidismus" wird existentiell verstanden, wenn GOLDINGAY

386 387 388 389

Vgl. a.a.O., 175. Vgl. BRAUN, V T 30, 56ff- ferner Punkt 1.2.3 (s.o.). Vgl. NOTH, Studien I, 176f; ferner Neh 9,6-37; Esr 4,2b. Vgl. NOTH, Studien, 177. Der Chronist hat nach NOTH ganz richtig die Verbindung von davidischem Königtum und Tempel gesehen, so daß „er es sich wohl nicht anders denken konnte, als daß schon der Begründer der Dynastie die Sorge für die Errichtung des H e i ligtums als seine wichtigste Aufgabe betrachtet hatte." (Ebd.). Nicht erklärt ist damit aber, warum der Chronist den (dtr) Wunsch Davids, einen Tempel zu bauen (2 Sam 7), gewaltig ausbaute und David zum Architekten des nach Jahwes Bauplänen anzufertigenden Tempels machte. Hier liegt doch wohl eher eine deutliche Analogie (Typologie!) zur Mosetradition vor (vgl. Ex 25,8f; 34,Iff; I 28,19)! 390 Vgl. NOTH, Studien, 178f. NOTH beruft sich dabei auf II 15,9; 19,1-4; 30,1.5.10.11.18.25; 31,1; 34,6. Ganz anders interpretiert WILLIAMSON, Israel, 87-140. 391 Vgl. NOTH, Studien I, 179f. 392 Vgl. J. GOLDINGAY, The Chronicler as a Theologian, Biblical Theological Bulletin ( B T B ) 5, 1975, 97-126 (Hg. L. SABOURIN).

54

1.4 Theologische Intentionen

erklärt: „Consequently although Ch speaks of the election of David, this election implies that of the Davidic people" 3 9 3 . Damit lösten sich die theologischen Spannungen zwischen der Chronik und Esr-Neh hinsichtlich des Themas „David", der Chronist (analog das ChrG) lebe in einer „realized eschatology" 3 9 4 . Im Ganzen setze der Chronist drei theologische Schwerpunkte: Kult („worship"), Reinheit („purity") und vertrauensvoller Gehorsam („trusting obedience"). Israel präsentiere sich für den Chronisten primär als „worshipping community" 3 9 5 in Erfahrung der Realität ewiger Gottesherrschaft. Die minutiöse Kultobservanz am Tempel werde als Schlüssel zu einem gelungenen, Gott entsprechenden Leben verstanden, weshalb die chronistischen Propheten nicht die Zukunft vorhersagten, sondern zum rechten Gotesdienst ermahnten 396 . Dieser Gottesdienst mache die Reinerhaltung des dazu erwählten Volkes erforderlich (Juda), wobei auch Israel (Nordreich) nicht aus dem Blickfeld der Erwählung durch Jahwe gerate 397 . G O L D I N GAYS ausschließlich paränetisch bestimmte Funktion chronistischer Theologie setzt sich im dritten Hauptgesichtspunkt fort, wenn die Hörer / Leser angesichts universaler Bedrohtheit zum vertrauenden Gehorsam, zur fides qua creditur, aufgefordert würden 398 . 3. W E L T E N hat in zwei Arbeiten die Theologie der Chronik hinsichtlich der Frage der Geschichtsdarstellung und der Bedeutung des Zusammenhangs von Lade, Tempel und Jerusalem einer Untersuchung unterzogen 399 . In der Samaritanerfrage nimmt W E L T E N eine vermittelnde Haltung ein 4 0 0 . Zwar sei mit W I L L I festzuhalten, daß die Chronik keine antisamaritanische Schrift in Abgrenzung von einer schismatischen Gegenorthodoxie darstelle. Die zunehmende Spätdatierung des „Schismas" in der Forschung (2. Jahrhundert v.Chr.) bei gleichzeitiger Frühdatierung des Garizim-Heiligtums mache kultisch-religiöse Spannungen wahrscheinlich, nicht jedoch eine frühe, definitive Trennung. Das berechtigte Anliegen der Antisamaritanismus-These sieht W E L T E N weniger in kultischer als primär in geschichtlich-politischer Hinsicht, als Konflikt der um regionale Hegemonie ringenden Provinzen ,Jehud" und „Samerina", wie die Probleme des Wiederaufbaus Jerusalems unter Nehemia zeigten. Dabei sei zwischen ethnisch heterogenen Samariern und bereits schismatischen Samaritanem zu unterscheiden. Die Gegner des Chronisten seien Samarier gewesen, in einer Zeit, als der Kampf

393 394 395 396 397 398 399

GOLDINGA Y, BTB 5 , 1 1 5 . A.a.O., 116 (s.o. Anm. 378). A.a.O., 117. Vgl. a.a.O., 117f. Vgl. a.a.O., 119-121. Vgl. a.a.O., 121 f. GOLDINGAY verweist auf WELTEN, Geschichte. Vgl. WELTEN, Geschichte; ders., Lade - Tempel - Jerusalem: Zur Theologie der Chronikbücher, in A.H.J. GUNNEWEG / O. KAISER (Hg.), FS für E. WÜRTHWEIN zum 70. Geburtstag, Göttingen 1979, 169-183; WELTEN, Geschichte, wird im zweiten Abschnitt unserer Untersuchung erörtert (s.u. Punkt 2.3.3). 400 Vgl. WELTEN, Geschichte, 172f.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

55

um die politische Vorherrschaft noch nicht entschieden war, wie die doppelte Anfrage der Diasporagemeinde in Elephantine an Jerusalem und Samaria zeige 4 0 1 . Andererseits versucht WELTEN, die Ladeerzählungen als Leitfaden der Theologie des Chronisten fruchtbar zu machen (vgl. v.RAD). Indem er den Weg der Lade nach Jerusalem verfolgt, macht er die Kompositionstechnik der Verfassers transparent 402 . Das vermeindich retardierende Element des Philisterfeldzuges (I 14) werde vom Chronisten kompositorisch geschickt als Voraussetzung für die Ladeüberführung benutzt. Die Eroberung Jerusalems, die Königssalbung und das Einholen der Lade nach Jerusalem stünden für den Verfasser in unmittelbarem Zusammenhang miteinander. Die Lade behalte auch während der auf den Tempelbau als Ruheort der Lade zielenden Abschnitte I 17-29 ihre fundamentale theologische Bedeutung für die Chronik 4 0 3 . Wie sehr es im Rahmen der Aussagen über den Tempelbau und das irdische Königtum als der stellvertretenden Ausübung des Königtums Jahwes letzlich um die Lade gehe, bewiesen I 22; 28. Während der Tempelweihe erreiche die Lade ihr eigentliches Ziel, wie das Zitat aus Ps 132,8-10 zeige 4 0 4 . „ I m Blick auf die Ladethematik wird hier deutlich, worum es dabei theologisch geht: um die Praesenz Jahwes im Heiligtum in der Gestalt des ,Kabod'. Erst durch diesen Akt wird der Tempel das, was er sein soll: Ort von Jahwes dauernder Praesenz" 4 0 5 .

WELTEN greift die Ansicht GESES positiv auf, Zionserwählung und Erwählung der Davididen in Ps 132 als „dem Wesen nach ein und dasselbe" zu bezeichnen 406 . Von diesem Zusammenhang sieht WELTEN auch die Darstellung der Chronik geprägt, „Ps 132 kommt also im Blick auf die chronistische Darstellung in strengem Sinn eine Schlüsselfunktion zu" 4 0 7 . Für die königs- und ladelose Zeit des Chronisten seien die Erzählungen I 10-11 9 als „Gründungs und Entstehungsgeschichte des Jerusalemer Tempels und des hier vollzogenen Kultes" 4 0 8 bedeutsam. WELTEN will dies nicht als Legitimationsakt der Jerusalemer Gemeinde verstanden wissen, sondern im Zusammenhang der Zions- und Davididen-Erwählung, wie sie in Ps 132 zur Sprache kommt. 4. WlLLIAMSON subsumiert unter der Uberschrift „Some Characteristic Themes" 4 0 9 vier Interessensschwerpunkte der Chronik. Das Stichwort „The People" verfolgt die These vom „Panisraelitismus" (K. STRÜBIND) der Chronik, wie ihn WlLLIAMSON wahrzunehmen glaubt (s.o.).

401 402 403 404 405 406 407 408

Vgl. ebd. Vgl. WELTEN, Lade, 171-183. Vgl. a. a. O., 173-179. Vgl. a. a. O. 179-182. WELTEN, Lade, 180. Vgl. a:a.O., 181 f. A.a.O., 182. A.a.O., 183.

409

W I L L I A M S O N , N C B C , 24FF.

56

1.4 Theologische Intentionen

Die Bedeutung des Königtums liege einmal in der Gleichsetzung des israelitischen Königtums mit dem Königtum Jahwes, zum anderen im D y nastiegedanken sowie in der Betonung des gegenüber Mose neuen David bundes 4 1 0 . „The Temple and Worship", als dritter theologischer Schwerpunkt, verfolge die Absicht, den Jerusalemer Tempel als Kulminationspunkt verschiedener altisraelitischer Traditionen zu präsentieren. Die davidischen Könige seien nicht nur für die Konstituierung, sondern auch für die kontinuierliche Aufrechterhaltung („maintenance") des Tempelkultes von Bedeutung, w i e sich an Hiskia und Josia zeige. Diese Tendenz sei polemisch gegen hohepriesterliche Versuche gerichtet, die Kultfunktionen des Königs zu übernehmen 4 1 1 . Die davidiscne Autorität werde allgemein zur Klärung klerikaler Kompetenzen (Priester-Leviten) geltend gemacht. Bezüglich der Frömmigkeit sei der Chronist als „Ritualist", aber auch als „Spiritualist" mißverstanden worden 4 1 2 . Was den letzten Schwerpunkt betreffe, die generationsimmanente Vergeltungslehre, so sei auf die Bedeutung der „Levitical Sermons" und auf Salomos Tempelweihgebet zu achten 4 1 3 , die dem Mißverständnis der Vergeltungslehre als einem mechanischem Kausalgesetz wehrten. Der Lohn des Gehorsams der Davididen diene vielmehr als Paradigma einer zukünftigeschatologischen Segnung des Volkes unter einem König und einem Tempel 4 1 4 . „His w o r k as a whole [...] takes on the parenetic purpose of a Levitical sermon, warning and encouraging his contemporaries to a responsive faith which may again call d o w n the mercy of their G o d . " 4 1 5

1.4.3.4 Anthropologische und kosmologische Perspektiven 1. J P . W E I N B E R G untersuchte in drei Aufsätzen die psycho-soziale Welt und die Bedeutung der „Natur" im Weltbild des Chronisten. Damit leistete er wichtige Beiträge zum Selbst- und Weltverständnis des Menschen in chronistischer Zeit 4 1 6 . Ausgehend von lexikalisch-statistischen und semantischen Analysen (Schlüsselwörter, Wortfelder, Bedeutungsverschiebungen) und deren Kontext, gelangt W E I N B E R G zu Beobachtungen, die Tendenzaussagen und Schlußfolgerungen auch dort noch ermöglichen, wo sich der Chronist nur implizit zu Themen w i e „Psyche", „Soziale Gruppe" und „Natur" äußert. Eingeschränkt wird der Wert dieser Arbeit durch eine nur periphäre Berücksichtigung von literarkritischer und traditionsgeschichtlicher Textbetrachtung, eine Nachlässigkeit, die auch bei J A P H E T (s.o.) festzu410

Vgl. a.a.O., 26-28.

4 1 1 Vgl. a.a.O., 28f. 4 1 2 Vgl. a.a.O., 30f. 413

WILLIAMSON, a . a . O . , 3 2 f .

414

Vgl. a.a.O., 31-33.

415

WILLIAMSON, a . a . O . , 3 3 .

4 1 6 Vgl. die Literaturangaben in Anm. 251.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

57

stellen war. Als durchgehender Interpretationsrahmen dient WEINBERG die Auseinandersetzung zweier im Altertum vorherrschender Denkweisen, die er die mythologische und die wissenschaftlich logische Weltbetrachtung nennt. Dabei sei die Chronik wichtiges Bindeglied eines Wandlungsprozesses im Alten Testament 417 . 2. Der Mensch ist nach WEINBERG als psychosomatisches Wesen, seine Psyche als Einheit einer emotionalen und einer intellektuellen Sphäre zu verstehen 418 . Während in der mythologischen Denkweise semantisch die emotionale Sphäre dominiere, so in der wissenschaftlich-logischen Denkweise (der Antike) die intellektuelle Sphäre, etwa im Bereich der „Polis". Umstritten sei die Frage, ob die mythologische Denkweise mit ihrer unscharfen Trennung von Subjekt und Objekt die Individuation des Menschen bereits vollzogen habe oder aber das Individuum nur als Bestandteil eines organischen Ganzen (Volk o.ä.) verstehe 419 . Ein wortstatistischer Vergleich der Chronik mit prophetischen Sprüchen, Psalmen und Weisheitsliteratur offenbare ein deutlich geringeres Interesse des Chronisten für die menschliche Psyche. Die in mythologischen Weltmodellen bedeutsamen Emotionen „Weinen" und „Lachen" fehlten in der Chronik. Wie die Wortstatistik weiter zeige, nehme die intellektuelle Sphäre des individuellen Menschen breiten Raum ein, während die emotionale Sphäre - man vergleiche Begriffe wie „Freude", „Furcht" und „Liebe" - sich als überwiegend kollektives Phänomen des Kultes darstelle 420 . An David und Salomo ließen sich exemplarisch verschiedene Stufen des noch nicht abgeschlossenen Individualisierungsprozesses transparent machen: Bei David dominiere noch die emotionale Sphäre als einer früheren Stufe dieses Prozesses, während Salomos betont intellektueller Charakter eine weit höhere Stufe der Autonomie seiner Persönlichkeit, d.h. Individualität zeige 421 . Im Intellekt vollziehe sich die Absonderung (vielleicht besser: Selbstunterscheidung) des Individuums von menschlichen Gemeinschaften. Das Phänomen eines menschlichen „Charakters" ist nach WEINBERG somit dem Chronisten bekannt. In der Wahlfreiheit der judäischen Könige konstituiere sich die Individuation auf unterschiedlichen Emanzipationsstufen 422 . Damit sei bei zunehmender Individuation eine deutliche Entwicklung des chronistischen Denkens von der mythologischen zur wissenschaftlich-logischen Denkweise in Form einer aktiv-politischen Weisheit konstatierbar 423 . 3. Der Unterschied beider Denkweisen zeigt sich für WEINBERG auch in religionssoziologischer Hinsicht 4 2 4 , wobei die sozialen Gruppen im Rahmen

4 1 7 V g l . WEINBERG, V T 31, 324FFI ders., Z A W 98, 72FFJ ders., V T 33, 298FF. 4 1 8 V g l . WEINBERG, V T 33, 2 9 8 .

419 Vgl. a.a.O., 300-303. 4 2 0 Vgl. a.a.O., 305-313.315.

421 422 423 424

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

a.a.O., 314f. a.a.O., 315f. a.a.O., 316. WEINBERG, ZAW 98, 72ff.

58

1.4 Theologische Intentionen

von W E I N B E R G S idealistisch-marxistischem Geschichtsverständnis in zwei Kategorien unterteilt werden: Die primären, in der Urgesellschaft wurzelnden Gruppen (Sippe / Familie, Altersgruppe, Ortsgruppe, Berufsgruppe) und die sekundären, in der Klassen-Gesellschaft entstandenen Gruppen (Stände- / Eigentumsgruppen sowie nichtinstituierte Gruppen) 425 . Die Wortstatistik zeige allgemein die große Bedeutung der sozialen Gruppe bei deutlicher Dominanz der „primären" vor den „sekundären" Typen im Alten Testament. Andererseits unterscheide sich die Chronik (und Esr-Neh) hinsichtlich der Terminologie und der Hierarchie des DtrG. Die Sippenund Familiengruppe nehme im chronistischen Weltbild weiten Raum ein, wobei die Zweigenerationenfamilie seit der paradigmatischen Davididenzeit besonders hervortrete426. Rurale Lebensformen träten deutlich zurück hinter die eindeutig urbanistische Orientierung des chronistischen Weltbildes 427 , das die Selbstverwaltung der Städte in nachexilischer Zeit verschweige und diese eng an den König binde. Dadurch solle eine konstante Einheitlichkeit des „Wir" unterstrichen werden, das sich um Gott und König zentriere 428 . Was die sekundären Gruppen betreffe, so sei es das Bestreben des Chronisten, die im Alten Testament geläufigen „Realien sozial-ökonomischer Differentiation aus seinem Weltbild zu eliminieren"429, wie das Fehlen bestimmter Wörter und Wortgruppen zeige. So würden z.B. „Fremdling" und „Vollbürger" nicht mehr sozial unterschieden. Ganz allgemein konstatiert W E I N B E R G : „Im chronistischen Weltbild wird die Stände-Eigentumsgruppe von jeglichen mythologischen Implikationen befreit und ohne jegliche Anlehnung an die Sippen-Familiengruppe erfaßt, wobei der Chronist eine Reihe realer relevanter Formen und Komponenten dieser Gruppe überhaupt nicht erwähnt, und anderen ihre soziale Bestimmtheit, Homeostatie nimmt." 430

Da auch die nichtinstituierten Gruppen („Freund", „Gast", „Menschenmenge") vom Chronisten ignoriert würden 431 , werde dadurch andererseits das Kohäsionsbewußtsein („Wir") der nachexilischen Gemeinde um Jerusalem herum - W E I N B E R G präzisiert diese als „Bürger-Tempel Gemeinde"432 gestärkt. Damit habe sich auch in religionssoziologischer Hinsicht die antike, wissenschaftlich-logische Denkweise in der Chronik Bahn gebrochen, die das Phänomen „soziale Gruppe" unter dem Aspekt allgemeiner Gesetzmäßigkeiten begreife und im „Koordinatensystem der Gegenwart" erfasse 433 . 425 426 427 428 429 430 431 432 433

Vgl. a.a.O., 74. Vgl. a.a.O., 78-83. A.a.O., 88. Vgl. a.a.O., 85-88; 94. WEINBERG, a.a.O., 91. A.a.O., 93. Vgl. a.a.O., 93f. A.a.O., 94. Vgl. a.a.O., 73.94.

1

Forschungsgeschichtliche Grundprobleme

59

4. Zur Bestimmung des Verhältnisses von Mensch und Natur in der Chronik greift W E I N B E R G auf das Verständnis der Subsphären Himmel-ErdeFlora-Fauna zurück 434 . Während in mythologischen Weltbildern Mensch und Natur in einer „Ich-Du" Beziehung zueinander stünden, zeige sich in der Chronik die Entwicklung zur wissenschaftlich-logischen Denkweise einer „Ich-Es" Wahrnehmung der Welt im Subjekt-Objekt Schema 435 . Die sprachliche Analyse W E I N B E R G S will zweierlei zeigen: Im Unterschied zum sonstigen alttestamendichen Sprachgebrauch sei der Chronist bei der Erwähnung von Naturerscheinungen (Himmel, Erde, Flora, Fauna) sehr selektiv und restriktiv tätig. Zudem zeige sich ein charakteristisches Erfassen der Natur im Allgemeinen und Nichtspezifischen unter Vermeidung alles Detaillierten und Spezifischen, wie die Terminologie zeige 436 . Naturerscheinungen würden konsequent entmythologisiert und im SubjektObjekt Schema erfaßt („Ich-Es"), „[...] obwohl dieses Erfassen ihn noch nicht dazu veranlaßt, einen die gesamte Natur umfassenden Begriff zu erarbeiten" 4 3 7 . Diesseitsorientierung und objektivierende Weltbezogenheit des Menschen träten in chronistischer Zeit deutlich zutage 438 .

1.5 Zusammenfassung Der vorliegende Abriß ausgewählter theologischer Fragestellungen hat sich u.E. als Vorarbeit zur Josaphat-Rezeption als sinnvoll erwiesen. Einerseits korreliert jeder „Beitrag" zu einem theologischen Entwurf notwendig mit dem Ganzen einer theologischen Vorstellungswelt, zum anderen zwingen die divergierenden, oft miteinander unvereinbaren Interpretationen der Chronikbücher zu einer forschungsgeschichtlichen Positionsbestimmung. Einleitungsfragen und theologische Intention sind bei jedem der o.g. Interpretationsversuche eng miteinander verbunden, wie das ungelöste Problem Chronistisches Geschichtswerk deutlich zeigte. Diesbezüglich war eine wichtige Vorentscheidung zu treffen: Wir haben uns entschlossen, die Chronik nicht von Esr-Neh her oder in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Werk zu interpretieren (vgl. B R A U N ) , ohne auf Textvergleiche zu verzichten. Die überlieferungsgeschichtliche Frage ist hinsichtlich des kanonischen Überlieferungsgutes geklärt, hinsichtlich des Sondergutes im chronistischen Josaphat-Abschnitt von eminenter Bedeutung: Ist der Verfasser in diesen Partien vor allem tradierender Sammler, interpretierender Redaktor, oder schöpferischer Autor seiner Uberlieferungen? Anders gefragt, präsentiert sich in diesen Stücken primär die Theologie des Chronisten oder die seiner Quellen? Bis zum Erweis des Gegenteils ist u.E. von den Ergebnissen 4 3 4 V g l . W E I N B E R G , V T 3 1 , 326FF.

435 Vgl. a.a.O., 324f.344 u.ö. 436 Vgl. a.a.O., 329-342. 4 3 7 WEINBERG, a.a.O., 344.

438 Vgl. a.a.O., 333; 343f.

60

1.5 Zusammenfassung

und WELTENS auszugehen, die aufgrund gemeinsamer Merkmale des Sondergutes in diesen Partien das literarische Werk eines Autors sehen. Andere Fragen drängen ebenso auf Antwort: Ist der Interpretationsrahmen Theokratie - Eschatologie mit einem antisamaritanischen Skopus hinlänglich erfaßt oder liegt die Spitze in einem eschatologischen Panisraelitismus? Ist der Verfasser ein Konservativer oder ein Vordenker seiner Zeit? Liegt der theologische Zentralgedanke (falls es ihn gibt!) in der Legitimation der Leviten, des Tempels, der messianischen Hoflhung usw. oder in der Paränese, analog zur dtn „Alternativpredigt" (Tun-Ergehen-Zusammenhang)? Diese Fragen sind im Rahmen der bisherigen Ergebnisse nicht hinreichend beantwortet worden. In einer Problemskizze muß das Verhältnis von Tradition und Interpretation innerhalb der Chronik, d.h. das Verhältnis des Werkes zu seiner Vorlage in literarischer und ideologischer Hinsicht geklärt werden. WELLHAUSENS

2

Historiographie in der Spannung von Tradition und Interpretation - eine Problemskizze

2.1 Vorbemerkung Die chronistische Theologie ist mit der bloßen Darstellung einzelner Aussageschwerpunkte nicht hinlänglich erfaßt. „Zunächst wird man umfassend feststellen können, daß die Chronik offenbar Geschichte erzählen will" 1 . Diese vermeintlich selbstverständliche Feststellung bedarf einer Auslegung, welche die hermeneutische Schlüsselfrage nach dem Verhältnis von Form und Inhalt des Werkes beantwortet. Diese Frage stellt sich in doppelter Hinsicht: Welchen Sinn hat die spezifische sprachliche Form „Geschichtserzählung" für das Kerygma, und aus welchem Grund wird die Geschichte Israels, unter Verwendung (nicht Ersetzung!) einer zweifellos autoritativen Vorlage, ein zweites Mal erzählt? Ist der Chronist in Wahrheit ein „Tritonomist"? Das historiographische Problem berührt damit das enge Verhältnis von Tradition und Interpretation der Geschichte. Im Folgenden ist der Ursprung geschichtlichen Denkens in Israel kurz zu problematisieren und auf seine Wirkungsgeschichte in der Chronik hin zu reflektieren. Da die chronistischen Josaphat-Abschnitte auf Sam-Kön als Quelle rekurrieren, ist das Verhältnis von Chronik und DtrG für die Aufgabenstellung von besonderem Interesse. 2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit 2.2.1 Die Geschichtlichkeit alttestamentlicher Rede von Gott In der Spätorthodoxie und im Frühpietismus bahnte sich ein epochaler Wandel im Verständnis der Bibel an, der in der religionsgeschichtlichen Forschung des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt fand. Das Alte Testament (und sukzessive auch das Neue Testament) wurde nicht mehr als Kompendium für dogmatisch verwertbare dicta probantia verstanden, sondern es erschloß sich dem neuen Verstehen nur noch mittelbar durch die Bezogenheit der Gottesoffenbarung auf die sich kontingent ereignende Geschichte. Diese Geschichtsbezogenheit alttestamentlicher Theologumena konnte in verschiedener Weise interpretiert werden: als eine auf Jesus Christus zulaufende „Heilsgeschichte", als Bestandteil einer altorientalischen oder auch universalen Religionsgeschichte, oder — in unverhüllter Profani1 SAEB0, T R E 8, 83.

62

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

tat - als evolutionär bedingtes Durchgangsstadium der Menschheits- und Weltgeschichte2. Die Einbettung und gar Abhängigkeit alttestamentlicher Theologie von ihrer Umwelt warf die Frage nach dem „Proprium" oder nach der „Mitte" des Alten Testaments auf, die bis heute kontrovers beantwortet wird3. v.RAD lehnte in seiner „Theologie des Alten Testaments" die systematisierende Lokalmethode als Mittel der Darstellung prinzipiell ab, da diese dem geschichtlichen Charakter alttestamendicher Rede von Gott nicht gerecht werde4. Das griechische Denken als Frage nach einem einheitlichen, natürlichen Prinzip des Kosmos liege dem hebräischen Denken fern: „Das hebräische Denken ist ein Denken in geschichtlichen Überlieferungen, d.h. es betätigt sich vornehmlich in der sachgemäßen Kombination und theologischen Deutung des Überlieferten, wobei immer die geschichtliche Zusammengehörigkeit den Vorrang hat vor der gedanklich-theologischen."5

Die Gottesoffenbarung ist dann als lange Folge einzelner Offenbarungsakte mit sehr verschiedenen Inhalten zu verstehen, wobei sich die ordnenden Kräfte der ratio nicht in einer Prinzipienlehre entfalteten, sondern „in immer neuen Reflexionen über die Bedeutung geschichtlicher Ereignisse"6. Für v.RAD ist also die Faktizität der geschichtlichen Bedingtheit alttestamentlicher Theologie selbst schon ein alttestamentliches Theologumenon. Dabei ist u.E. der Unterschied zwischen geschichtlichem und historischem Denken zu beachten, denn Israels Theologie der Geschichte fragte nie einseitig nach dem, „was gewesen" ist, sondern qualifizierte, d.h. interpretierte historische Ereignisse durch eine Deutung, die im Gegensatz zur historischen Geschichtsbetrachtung nicht nur an der Vergangenheit, sondern an der je neuen Gegenwart interessiert war. Gegenwart und Vergangenheit stehen sich nicht diastatisch gegenüber, sondern werden im Zeitkontinuum erfahren „als ein fortgesetztes göttliches Wirken in der Geschichte"7. Die Darstellung dieses göttlichen Wirkens „[...] ermöglichte es einem Volk, Erfahrungen, die es in seiner Geschichte gemacht hat, in einer Weise anzusprechen, die das Vergangene in vollkommener Weise gegenwärtig werden ließ" 8 . Das Anliegen des Historismus war ein aus der Skepsis gewachsener Reduktionismus der Tradition auf Gewesenes, das Geschichtsdenken Israels dagegen begriff seine Vergangenheit nicht distanziert und objektivierend, sondern theologisch aktualisierend, indem es Einzeltraditionen zu einem Geschichtsganzen verband. „Die historische Forschung sucht ein kritisch gesichertes Minimum; das kerygmatische Bild tendiert nach einem theologischen Maximum" 9 . Das Auseinanderklaffen von „geschehener" und „ge2 V g l . GUNNEWEG, H e r m e n e u t i k , 5 6 - 8 4 ; KRAUS, G e s c h i c h t e .

3 Vgl. den Überblick bei W.H. SCHMIDT, Altes Testament, in G. STRECKER (Hg.), Theologie im 20. Jahrhundert, Tubingen 1983, 49-53; GUNNEWEG, Hermeneutik, 185. 4 V g l . V.RAD, T h e o l o g i e des Alten T e s t a m e n t s I, M ü n c h e n ' 1 9 8 7 , 1 1 7 - 1 3 5 .

5 6 7 8 9

V.RAD, Theologie 1,139. A.a.O., 131. A.a.O., 118. A.a.O., 122. A.a.O., 120.

2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit

63

glaubter" Geschichte, von „Historie" und „Geschichte", wie M. K Ä H L E R vor beinahe hundert Jahren das Problem terminologisch präzisierte10, ensteht erst dort, wo Geschichte um ihrer selbst willen getrieben wird („Profangeschichte"). Solange aber die Selbigkeit des je und je geschichtlich handelnden Gottes die Kontinuität und die Zielrichtung von Vergangenheit und Gegenwart garantierte11, war kein Raum für diesen „garstigen Graben". Unter Aufnahme eines Votums L. K Ö H L E R S stellte V . R A D fest „ D i e Israeliten kamen zu einem Geschichtsdenken und dann zur Geschichtsschreibung v o n ihrem Glauben an die Geschichtsmächtigkeit Gottes her. Für sie ist .Geschichte eine Veranstaltung Gottes [...] alle Geschichte rührt von G o t t her und begibt sich f ü r Gott."' 1 2

Das erkenntnisleitende Interesse altisraelitischer Theologie findet V . R A D im immer neu zu gewinnenden Selbstverständnis Israels als Gottesvolk13. Darin sei die Flexibilität und Variabilität dieser Theologie begründet, zugleich aber auch die Aporie einer Systematisierung der Glaubensinhalte. Das Allgemeine und Typische begegnet nicht unmittelbar, sondern mittels eines Erzäblfadens bzw. eines theologischen Motivs. Neue Erfahrungen mit dem geschichts mächtigen Gott zwingen zu immer neuen Reflexionen über die Kontinuität und Kausalität dieser kohärenten Geschichte, die in der Geschichtsschreibung und in der redaktionellen Bearbeitung tradierter Werke ihren Niederschlag findet. Die Darstellung alttestamentlicher Theologie ist durch die Religionsgeschichtliche Schule mit der Frage konfrontiert, ob sie diese Aufgabe - unter Beachtung des Geschichtlichen - als (christliche!) Theologie der „Lehrbegriffe" lösen soll 14 oder objektivierend als „Geschichte der israelitischen Religion" 15 , oder aber, in einer Synthese von beidem, einen „heilsgeschichtlichen Zusammenhang" transparent machen soll, wobei sie von einem alten Kernbestand der Uberlieferung ausgeht (etwa ein „altes Credo"), der genetisch zu einem Erzählzusammenhang anwuchs16. Ein Konsens besteht bisher darin, daß die Theologie des Alten Testaments nur im Zusammenhang der geschichtlichen Bedingtheit ihrer Theologumena sinnvoll darstellbar ist. Vgl. M . K A H L E R , Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische C h r i stus (1892), in der Anthologie von M. B A U M O T T E (Hg.), Die Frage nach dem historischen Jesus, Gütersloh 1984, 9 9 - 1 0 1 . Zur Unterscheidung von Historie und Geschichte bei K Ä H L E R vgl. J. JEREMIAS, Der gegenwärtige Stand der Debatte um das Problem des historischen Jesus, in: H. RLSTOW / K . M A T T H I A E (Hg.), Der historische Jesus und der k e r y g matische Christus, Berlin (ehem. D D R ) 1960, 15: „Mit .historisch' bezeichnet er (= KAHLER, Anm.) die reinen Fakten der Vergangenheit, mit geschichtlich' das, was bleibende Bedeutung besitzt." 11 A.a.O., V.RAD, Theologie II, 115f. 12 V.RAD, Der Anfang der Geschichtsschreibung im Alten Israel, in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, München 1965, 153. 10

13

V g l . V.RAD, T h e o l o g i e II, 1 3 2 .

14 Vgl. u.a. W. EICHRODT, Theologie des Alten Testaments I-III, Berlin (ehem. D D R ) (Bd. I); 4 1 9 6 1 (Bd. II-III). 15 V g l . G . FOHRER, R e l i g i o n . 16

V g l . V . R A D , T h e o l o g i e I, 1 3 5 - 1 4 2 .

51957

64

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

2.2.2 Tradition und Interpretation im Alten Testament 2.2.2.1 Das Problem von Kontinuität und Diskontinuität Der heftig entfachte Streit um die „Mitte des Alten Testaments"17 ist auch eine Auseinandersetzung um das Verhältnis von Tradition und Interpretation. Wie das Problem der Geschichtlichkeit der Theologie Israels, ist dieses Verhältnis in zweifacher Weise zu bestimmen: Einmal im Kontext altorientalischer Religiosität, zum anderen im Kontext innerisraelitischer Neuinterpretation religiöser „Topoi" und ihres je aktuellen Neuverständnisses18. In der Begegnung mit den Religionen seiner Nachbarn veränderte sich Israels „Glaube", indem er vieles rezipierte, aber auch ablehnte. In dieser doppelten (sie!) Bewegung von Rezeption und Negation vollzog sich Israels Religionsgeschichte, wobei die Frage nach dem Sachkanon dieses Auswahl- und Interpretationsverfahrens eine der zentralen Fragen alttestamentlicher Wissenschaft darstellt. Nicht nur die Einbettung in die Umwelt, sondern auch die Besonderheit Israels als „Fremdling" in dieser Welt muß herausgestellt werden. ZlMMERLI hat diesen Maßstab der Eigentümlichkeit Israels sicherlich sachgemäß in der Bezeugung der Einzigartigkeit und Selbigkeit Gottes 19 im Lauf der Geschichte Israels gesucht, der in Geschichtswerken oft redaktionell hergestellt wurde (vgl. Gen 14,18ff; Ex 3,13ff; 6,2 u.ö.). Zusammen mit W.H. S C H M I D T kann man auch das erste und zweite Gebot des Dekalogs als religionsgeschichtliche Norm bezeichnen, die (wie vielleicht das geschichtliche Bewußtsein überhaupt s.u.) im Orient ohne Parallele ist 20 . Bei der Suche nach dem Kontinuum und Diskontinuum ist die Warnung W.H. SCHMIDTS zu beachten, die er gegen einen idealistischen Geschichtsbegriff geltend machte. Er wies darauf hin, daß die vermeintlichen „Konstanten" der Geschichte selbst wieder als „Variable" erscheinen können: „Alles, was in der Geschichte erscheint, ist selbst Geschichte" 21 .

2.2.2.2 Tradition als Prozeß H. G E S E , der sich der traditionsgeschichtlichen Fragestellung besonders verpflichtet weiß, versucht bestimmte Gesetzmäßigkeiten im Traditionsprozeß des Alten Testaments sichtbar zu machen22. Für ihn liegt der Sinn ge17 Vgl. Anra. 3. 18 Vgl. W.H. SCHMIDT, Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte, Neukirchen-Vluyn 6 1987, 9-12; G . FOHRER, Tradition und Interpretation im Alten Testament (1961), Nachdruck in: B Z A W 115, 1969, 54-83. 19 Vgl. ZlMMERLI, Theologie, 11. 20 Vgl. W . H . SCHMIDT, Glaube, lof. 21 W . H . SCHMIDT, G l a u b e , 10.

22 Vgl. H . GESE, Tradition und biblische Theologie, in O . H . STECK (Hg.), Zu Tradition und Theologie im Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 1978, 87-111.

2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit

65

schichtlichen Denkens im Alten Testament in der Vergegenwärtigung der Geschichte in Israels Lebensprozeß (vgl. v.RAD) 2 3 . Tradition ist dabei für GESE ein überindividueller, in sich kohärenter Prozeß menschlicher Lebensäußerungen, der sich bewußt oder unbewußt vollzieht. Jeder biblische Text erwächst aus „Lebensprozessen" und existiert in „Lebenskontexten": „Dieses durch die Traditionsgeschichte im engeren Sinn als die Beschreibung der vorliterarischen mündlichen Überlieferung des Textes oder Textinhalts und durch die Traditionsgeschichte im weiteren Sinn als die Beschreibung der von der Tradition gegebenen Voraussetzungen formaler und inhaltlicher Art eines Textes erhellte Werden eines Textes ist [...] von entscheidender theologischer Bedeutung." 2 4

Die Traditionsgeschichte fragt über die Gattungen und den soziologisch fixierbaren Sitz im Leben eines Textes hinaus nach unterschwelligen Traditions-Zusammenhängen, die in der Geschichte auch dort wirksam sind, w o sich der ursprüngliche Sitz im Leben eines Textes verschoben hat oder im Bewußtsein verlorengegangen ist 2 5 . Als Tradition sind nach GESE solche Prozesse zu verstehen, in denen ursprünglich kontingente Theologumena oder andere Vorstellungen geschichtlich wirksam bleiben und für das Verständnis der eigenen Gegenwart benötigt werden. Nicht die übergeschichtliche Wahrheit einer Transzendenzwelt, sondern die erfahrbare Wirksamkeit in der Geschichte werde in Israel als Offenbarung begriffen und führe zur Traditionsbildung als einem selektiven und interpretierenden P r o z e ß 2 6 . Tradition ist somit nicht nur willkürliche Sammlung divergierender Einzelüberlieferungen. Wie GESE zurecht feststellt, hätte sonst jedes neue Traditionsstadium das ältere Stadium eliminiert oder rigoros „modernisiert". Andererseits sei Tradition auch nicht bloße Zusammenstellung von Wahrheiten der Vergangenheit - eben keine „Heilighaltung der Reliquien", wie WELLHAUSEN polemisch formuliert hatte 2 7 . „Vielmehr gleicht sie einem lebendigen Wachstum, in dem Altes ebenso bewahrt wie als Neues verstanden wird [...] Die Redaktion bewahrt die ältere Überlieferung, weil sie nach wie vor Wahrheit ist." 2 8

Zwischen alten und neuen Texten bestehe keine beziehungslose Koexistenz oder simples Gegeneinander von Aussagen, das zwangsläufig zur Selektion führe. Tradition als Prozeß forme vielmehr aus Altem und Neuem ein neues Ganzes ohne Unterdrückung oder Ausscheidung einzelner Offenbarungserfahrungen in der Geschichte. Wie sei es sonst etwa möglich gewesen, fragt GESE, zwei divergierende Schöpfungsberichte (vgl. Gen 1,1-2,4a; 2,4bff) miteinander zu tradieren, ohne einen der Berichte auszuscheiden? N u r die Traditionsgeschichte könne dieses Miteinander verstehbar machen, wie das Vergangene im Gegenwärtigen wirke und auch die Zukunft schon „keim23 Vgl. a.a.O., 97-99. 24 GESE, Tradition, 94. 25 26 27 28

Vgl. a.a.O., 94f. Vgl. a.a.O., 95-97. Vgl. WELLHAUSEN, Prolegomena, 223. GESE, Tradition, 99.

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2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

haft" in der Gegenwart anwesend sei 29 . Über diese traditionsgeschichtlichen Beobachtungen hinaus versucht GESE Traditionsprozesse idealistisch auf eine Teleologie hin einsichtig zu machen. Zwar sei die Geschichte voller Zufälligkeiten, aber „[...] man tut dem Kontingenzcharakter der Geschichte keinen Abbruch, wenn man demgegenüber auf den lebendigen Traditionsvollzug achtet, der Fortgefallenes ersetzt, abgeschnittene Entwicklungen kompensiert, Bedeutungsloses, Störendes, Fehlentwicklungen beseitigt. Ist die Traditionsbildung die lebendige Antwort auf die Herausforderungen der Geschichte auch in diesem äußeren Sinne, so besteht kein Grund, von einem Zufallsergebnis zu sprechen."30

Bei GESE gewinnen Traditionsprozesse eine Eigendynamik, die interpretatorische Verbindungen zwischen kontingenten Ereignissen herstellen. Als Beispiele nennt er eine für ihn unübersehbare Entwicklungslinie von König David über den messianischen Davididen von Jes 9 und 11 zum Friedensmessias in Sach 9, bis hin zum Heldenmessias in Sach 13; die Bezeichnung des Mose als „Knecht Jahwes" werde bei Deuterojesaja im Sinne des personifizierten Israel wieder aufgegriffen und ebne den Weg für die „Menschensohn-Vorstellung"; die Weisheit werde mittels der Präexistenzvorstellung zum Wegbereiter der Logos-Christologie31. Diese und andere traditionsgeschichtliche Entwicklungen beruhen nach GESE keineswegs auf Zufälligkeiten der Religionsgeschichte: „Aufgenommen, von Einfluß werden kann nur das, was der wachstümlichen Entwicklung dient, was im Gegenwärtigen schon angelegt ist, was der Ganzheit der Tradition entspricht." 32

Was immer diese u.E. schwer verifizierbare Größe der „Ganzheit der Tradition" auch sein mag, ein fiktives Beispiel mag GESES Anliegen zum Schluß verdeutlichen: Selbst eine durch die Archäologie zutage geförderte historische Äußerung eines alttestamentlichen Propheten wäre nicht eo ipso „kanonischer" Bestandteil des gleichnamigen Prophetenbuches, da diese Äußerung nicht geschichtlich wirksam geworden sei, d.h. den Lebensprozeß der Traditionsbildung nicht durchlaufen habe. Eine solche Äußerung könne niemals den Charakter einer Offenbarung haben33.

2.2.2.3 Tradition als Interpretation 1. G. FOHRER hat in einem grundlegenden Aufsatz das Ineinander von Tradition und Interpretation an konkreten Beispielen alttestamentlicher Strömungen verifiziert34. Anders als GESE trennt FOHRER streng zwischen 29 30 31 32 33 34

Vgl. a.a.O., 99f. GESE, Tradition, 101. Vgl. a.a.O., 100. GESE, Tradition, lOOf. Vgl. a.a.O., 101 f. FOHRER, Tradition.

2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit

67

Form und Inhalt von Traditionen. Nur so lasse sich einsichtig machen, daß die Interpretation von Traditionen - Tradition begegne gewöhnlich in einer aktuellen Auslegung - sogar den gegenteiligen Sinn des ursprünglich Gemeinten erhalten könne. Alte Vorstellungen und Stoffe würden oft zu bloßen Hilfsmitteln, durch die der Bearbeiter seine eigenen Gedanken ausdrükke 3 5 . Anders als G E S E rechnet F O H R E R hierbei mit Traditionen, die auch ohne aktualisierende Interpretation überliefert worden seien, wie z.B. die aus nomadischer Zeit stammenden Sechser- und Zwölfersysteme von Stämmen, und das Festhalten der „Rechabiten" (Jer 35,1-13) an ihren nomadischen Bräuchen (was diese allerdings auch zur Bedeutungslosigkeit verurteilt habe) 36 . Gegen F O H R E R ist kritisch anzumerken, daß auch dort, wo eigene oder fremde Traditionen in Israel scheinbar unverändert übernommen werden, daß überhaupt jede positive oder negative Auseinandersetzung mit der Tradition, die in einer veränderten historischen Situation „analogische Kraft" ( J Ü N G E L ) besitzt (aus diesem Grund entsteht überhaupt „Traditionsbildung"!) u.E. bereits als Interpretationsvorgang anzusehen ist, was FOHRER nicht in Erwägung zieht 37 . Die auffälligste inneralttestamentliche Verarbeitung von Traditionen sieht F O H R E R in der Existenz des Kanons selbst, als einer selektiven Auswahl autoritativer Schriften. Aber auch die nachweisbaren Glossen und die Bemerkungen der Masora können als Kommentar des Textes angesehen werden. Die Interpretation der Tradition hatte schon in der Frühzeit Israels eingesetzt, was sich nach der Ansicht V . R A D S und F O H R E R S in einer ausgeprägten Vorliebe der Geschichtserzählungen für etymologische, urgeschichtliche und kultische Ätiologien zeige, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden 38 . Die Auslegung der Tradition ist für F O H R E R in der Frühzeit Israels in doppelter Weise wirksam geworden, als Auseinandersetzung mit den nomadischen und den kanaanäischen Uberlieferungen. Die Väter- und / oder verschiedene El-Gottheiten seien mit dem El des kanaanäischen Pantheon und später mit Jahwe identifiziert worden, wie Ex 3,13ff und 6,3 noch erkennen ließen. Fast der gesamte israelitische Jahwekult sei schließlich durch die interpretierende Übernahme kanaanäischer Riten geprägt, Jahwe selbst sei vom El-Verständnis her neu interpretiert worden, wie sein Königstitel und die Ausbildung der alttestamentlichen Schöpfungstheologie zeigten 39 . Die Interpretation von geschichtlich Vorgegebenem zeige sich ebenso in der Auseinandersetzung von Kult, Königtum und Prophetie in der Frage von Heils- und Unheils zustand des Volkes, sowie dem rechten Verstehen der Vorstellung vom „Tag Jahwes" 4 0 . Die Prophetie erfahre schließlich in 35 Vgl. a.a.O., 54f; vgl. auch die Umkehrung der Vorstellung vom „Tag Jahwes" bei Arnos. 36 Vgl. a.a.O., 55f. 37 Vgl. ebd. 38 Vgl. a.a.O., 58FF; V.RAD, Anfang, 150f. 39 Vgl. FOHRER, Tradition, 60f.

40 Vgl. a.a.O., 62H; W.H. SCHMIDT, Altes Testament, 39-46.

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Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

exilisch-nachexilischer Zeit eine tiefgreifende Neuinterpretation durch Heilsverkündigung und Apokalyptik, die sich als legitime Erben der Prophetie betrachtet hatten41. Gerade in den Geschichtswerken zeigt sich für FOHRER die Wandelbarkeit der Uberlieferung bis in nachexilische Zeit, wie etwa an der Chronik deutlich werde. Alle Uberlieferungsstadien der Texte seien als deutende Geschichtsbetrachtung von zeitgeschichdichen Fragen des Erzählers bestimmt: Faktum und Deutung bildeten eine Einheit42. Die stärksten Impulse zur Neuinterpretation der Tradition sieht FOHRER im Bereich der Prophetie, vor allem bei den großen Einzelpropheten wirksam. In der Prophetie erfolgten regelrechte Umstürze herkömmlicher Glaubenserwartungen bei gleichzeitigem Rekurs auf Traditionen wie Wüstenzeit, Erwählung, Volk Jahwes u.a., die selbst wieder zu neuer oder zur Erweiterung der alten Traditionsbildung führten 43 . Besonders interessant seien die unterschiedlichen Deutungen der geschichtlichen Traditionen in Prophetie und Geschichtswerken. Anders als P und die dtr Überarbeitung des Pentateuch finde sich bei Hosea, Jesaja und Jeremia die Gegenüberstellung der idealen Frühzeit Israels (Wüste) und der verderbten Gegenwart; Ezechiel (Ez 16) rechne Jerusalem zur Welt des Heidentums, das von Anfang an von der Sünde bestimmt sei; Hosea (Hos 12,37) sehe im gefeierten Ahnherrn Jakob das heimtückische Urbild des Israel seiner Zeit und die Landnahme als Beginn der Baalisierung der Jahwereligion 44 . Bei Jesaja und Ezechiel lasse sich eine deutliche Nähe zur dtr Geschichtsideologie (Königszeit) feststellen45. Die Prophetie ist dabei für FOHRER keineswegs nur eine konservative Bewegung mit dem Ruf ad fontes, sondern suche mittels einer oft völlig konträren „Interpretation der Traditionen des alten Jahweglaubens den Weg in ein neues Verhältnis zu Gott" 4 6 . Der progressive Impuls sei dabei im Gedanken enthalten, daß dieser Weg in ein neues, heilvolles Dasein „durch die Traditionen hindurch und über die Traditionen hinweg" 47 führe. Auch bei FOHRER ist die Interpretation als Akt der Wiederbelebung von Tradition ein notwendiger Vorgang beim Versuch der Bewältigung einer sich wandelnden Welt. Dieser Vorgang gelinge aber nicht immer, vor allem dort nicht, wo Sinn und Gehalt der Tradition verfälscht werde. So drohe der Jahweglaube bei der Übernahme kultischer Vorstellungen zur jahwistisch gefärbten Baalsreligion zu werden. Auch Esra und die Apoka41 Vgl. FOHRER, Tradition, 63f; PLÔGER, Theokratie, 19-36; 60-68. FOHRER weist darauf hin, daß sich dies auch in der äußeren Gestaltung der Prophetenbücher niederschlage. Ez, Zeph und Jer ( L X X ) seien bewußt dreigeteilt: 1. Unheil für Israel, 2. Unheil für die Völker, 3. Heil für Israel, ggf. auch für die Völker (vgl. a.a.O. 64). 42 Vgl. FOHRER, Tradition, 66-71. 43 Vgl. a.a.O., 77-81. 44 Vgl. a.a.O., 81. Abgesehen von den o.g. Bibelstellen vgl. H o s 1-3; Jes 1,21; Jer 2,2; 3,1.625; H o s 9,10; 10,lf; 11,1-7; 13,5-8. 45 Vgl. FOHRER, Tradition, ebd. Bibelstellen: Jes 9,7-20; 5,25-29; E z 20,4-31a. 46 FOHRER, Tradition, 82. 47 Vgl. ebd.

2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit

69

lyptik hätten den alttestamentlichen Glauben in bedenkliche Bahnen gelenkt 4 8 . 2. Diese Urteile FOHRERS werden u.E. dem Vorgang lebendiger Traditionsbildung nicht ganz gerecht und offenbaren die ideologischen Vorurteile des Verfassers: Auch die Apokalyptik und der Beginn des Judentums durch den „Reformer" Esra stellen eine je aktuelle Antwort auf die Erfahrungen der Gegenwart dar (vgl. GESE) und sind als Teil der Traditionsbildung ernstzunehmen. Die bei allen Gemeinsamkeiten bestehenden Differenzen zwischen GESES und FOHRERS Verständnis der Überlieferung sind deutlich. Betont FOHRER eher den ambivalenten Kontingenzcharakter des Traditionsstoffes, der letztlich nur „Material" bzw. eine bestimmte Form des neu zu Sagenden darstellt, so liegt der Schwerpunkt bei GESE deutlich stärker auf dem Kohärenzcharakter der Tradition, die das Neue und Gewesene in der Gegenwart wiederfindet. Tradition als Interpretation wird entweder idealistisch (GESE), oder aber, den Idealismus gerade abwehrend 49 , existential (FOHRER) verstanden. Welche Deutung dem Selbstverständnis israelitischer Geschichtsschreibung (insbesondere in der Chronik) näher kommt, wird zu zeigen sein. Jede einseitige Betonung des Kohärenz- oder Kontingenzcharakters der Tradition birgt Gefahren in sich. Zum einen droht die Versuchung, Tradition nach ihren immanenten Gesetzen in das Schema einer teleologisch berechenbaren „Biblischen Theologie" einzuordnen. Zum anderen droht die partikularistische Auflösung der kanonisch gewordenen Traditionen in Einzelüberlieferungen, ohne daß noch recht deutlich wird, warum verschiedene Redaktionen Texte mutativ und selektiv aneinanderfügten, warum manches rezipiert, anderes verworfen wurde. Seit dem Beginn der historisch-kritischen Forschung des Alten Testaments lag der Schwerpunkt exegetischer Fragestellung recht einseitig auf der analytischen Arbeit, die das Endstadium alttestamentlicher Texte und das Selbstverständnis einzelner Redaktionen ungenügend herausarbeitete. Mit der Rekonstruktion der Quellen von Texten ist aber nur die halbe Arbeit zum Verstehen dieser Texte geleistet 50 .

48 Vgl. a.a.O., 65. 49 Vgl. ebd. 50 Zahlreiche sogenannte „Kommentare" zu biblischen Schriften gelangen über die Zerlegung von Texten in literarkritische, resp. überlieferungsgescbtchtliche Fragmente nicht hinaus und unterlassen jeden Versuch einer sinnvollen Erklärung des vorliegenden Textbestandes. Die gerade im Bereich der deutschen alttestamentlichen Forschung zu beobachtende Präferenz der analytischen vor der synthetischen Aufgabe hat ganz wesentlich zur viel beklagten Entfremdung von Bibel und Bibelleser beigetragen. Wenn eine methodische Vorstufe der Exegese - wie Überlieferungsgeschichte und Literarkritik - zur Hauptbeschäftigung des Exegeten wird, stellt die Gattungsbezeichnung „Kommentar" eine maßlose Übertreibung dar. Man nehme einmal die ursprünglich für den theologisch interessierten Laien (sie!) geschriebene ATD-Kommentarreihe zur Hand, etwa die K o m mentare NoTHS (Exodus, Göttingen ®1988, Leviticus, Göttingen '1985 und Numeri, G ö t tingen 4 1982), um ein überlieferungsgeschichtliches „Verwirrspiel" zu bestaunen, das eine Erklärung der Einzelzüge oder der Intention der vorliegenden Komposition nicht einsichtig zu machen vermag (oder es auch nur versuchte!). Von einem wissenschaftlichen

70

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

Darin liegt u.E. das berechtigte Anliegen G E S E S , solange nicht versucht wird, das Werden kontingenter Geschichtsereignisse, sondern die Traditionsbildung (als Antwort auf Geschichte s.o.) transparent zu machen. Dies soll an zwei divergenten Strömungen biblischer Tradition veranschaulicht werden.

Exkurs: Geschichtliches und weisheitliches Denken im Alten Testament der sowohl zur Erhellung der alttestamentlichen Geschichtstheologien als auch zum Verständnis der Weisheit Heraus ragendes leistete51, grenzte am Schluß seiner Untersuchung „Weisheit in Israel" 52 diese von der Theologie der Geschichtserzählungen scharf ab: V.RAD,

„ I m einen Fall durchmusterte der hebräische Mensch seinen Lebensraum auf tragfähige Ordnungen hin, er trug zusammen, was immer sich in Regeln fassen ließ. Im anderen Fall stieß er auf irreversible Geschichtssetzungen Jahwes, die sich gerade nicht in Regeln fassen ließen, die mindestens zunächst einmal im Zeichen des Einmaligen standen". 5 3

Das Postulat zeitloser Gültigkeit allgemein menschlicher Erfahrungen entspringe einem völlig anderen theologischen Verständnis als das sich auf singuläre politische und kultische Gegebenheiten gründende Geschichtsdenken. Die einzige Verbindung beider Traditionsstränge verortet V . R A D im gemeinsamen Wissen um Jahwe und der „Furcht Jahwes" als unabdingbarer Voraussetzung der Erkenntnis 54 . R. R E N D T O R F F wies darauf hin, daß v.RAD in seiner „Theologie des Alten Testaments" das Proprium alttestamentlichen Geschichtsdenkens in der von Gott hergestellten Kontinuität und Zielstrebigkeit gesucht habe, die Einzelereignisse zu einem geschichtlichen Ganzen formten, und bemängelt daher eine gewisse Inkonsequenz im Denken des ehemaligen Lehrers 55 : „Ist es richtig, daß sich Jahwes Geschichtshandeln nach alttestamentlichem Denken grundsätzlich nicht in ,Regeln' fassen läßt?" 56 . R E N D T O R F F weist in seinen Ausführungen nach, wie sehr sich Geschichtsschreiber und Propheten um die Darstellung von Ordnungen und Regeln des geschichtlichen Handelns bemühten, das eine auch dem Menschen einsichtige Folgerichtig-

51

52 53 54 55 56

Kommentar ist u.E. zu erwarten, daß er Genese und Selbstverständnis der Endstufe eines Textes - notfalls unter Zuhilfenahme von Hypothesen - transparent macht. Die Transzendierung der aus dem 19. Jahrhundert stammenden reduktionistischen analytischen Exegese bleibt, wie die hermeneutische Aufgabe, ein einzuklagendes Desiderat der Forschung. Vgl. V.RAD, Theologie, I—II; ders., Weisheit in Israel, Neukirchen 1970. Zur Bedeutung V.RADS für beide Bereiche vgl. R. RENDTORFF, Geschichtliches und weisheitliches Denken im Alten Testament, in: H . DONNER u.a. (Hg.), Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. FS für W. ZLMMERLI, Göttingen 1977, 344-353; J. v.SETERS, In Search of History, New Häven / London 1983, 209-248. Vgl. V.RAD, Weisheit, 364-375. V.RAD, Weisheit, 367. Vgl. a.a.O., 367.375. Vgl. RENDTORFF, Denken, 345f. RENDTORFF, Denken, 346.

2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit

71

keit und Berechenbarkeit der Geschichte erlaube. Das DtrG zeige in aller Deutlichkeit, daß Jahwes Handeln an Israel einem bestimmten, regelmäßigen Ablauf gehorche (vgl. die Alternativpredigt von „Segen und Fluch" in Dtn 28). Jesajas Rede vom „Plan Jahwes" und seine Aufforderung zum „Hinsehen auf das Werk Jahwes" (Jes 5,12), sowie Arnos' Hinweis auf das kalkulierbare, Zug um Zug reagierende Handeln Jahwes (vgl. Am 4,6ff) setze sich bis zu Deuterojesaja fort. In all diesen Geschichtsentwürfen sei die Frage nach der Begründung des Handelns Jahwes gestellt 57 . „Diese Frage nach den Gründen gehört zu den ältesten Elementen alttestamentlichen Geschichtsdenkens überhaupt" 5 8 . Unterstützung erhalten diese Beobachtungen durch eine Studie M. WEIPPERTS, der die Geschichtsschreibung der pentateuchischen Quellenschichten J und E für „eine einzige große Ätiologie des israelitischen Kulturlandbesitzes" 59 der nichtautochthonen Israeliten hält. Der ganze Pentateuch ist für WEIPPERT von diesem ätiologischen Konzept des Landbesitzes her entworfen, während die dtr Geschichtsschreibung, angefangen von der im Richterbuch alternierenden Folge von Hilferuf und Abfall, die große „Ätiologie des Landverlustes" 6 0 darstelle. Israels Kausaldenken darf u.E. nicht überinterpretiert werden - seine Erwählung bleibt, wie vieles andere, ein Geheimnis (Dtn 7,7f) - aber es erweist sich als keineswegs unvereinbar mit weisheitlichem Denken. Eine wichtige hermeneutische Brücke zwischen Weisheit, Geschichte, Kult und Prophetie ist die Frage nach dem Grund und den Regeln des Handelns Jahwes, soweit sie dem Menschen einsichtig sind. Auch die Theologie der großen vorexilischen Einzelpropheten stellt durch die Zweigliedrigkeit von „Scheltwort und Drohwort" einen Kausalzusammenhang göttlichen Handelns in der Geschichte her 61 . Damit sollen keineswegs die Unterschiede von weisheitlicher, geschichtlicher, prophetischer oder kultischer Theologie nivelliert werden, die sich durch ihren spezifischen Sitz im Leben Israels voneinander unterscheiden 62 . Aber die Annahme einer schroffen Diastase stellt einen ebenso falschen Reduktionismus dar. Nach RENDTORFF gilt dies auch in umgekehrter Richtung. Selbst die nach Regeln und Ordnungen Ausschau haltende Weisheit anerkenne Gottes Unverfügbarkeit und Handlungsfreiheit (Prov 3,5.7; 21,30) 63 . Alttestamentliche Wissenschaft hat sowohl auf das Herkommen wie auf die Modifikation theologischer Strömungen zu achten, da sich Traditionsbildung nur als Interpretationsakt vollzieht. Bei Nichtbeachtung dieses

57 58 59 60 61 62

Vgl. a.a.O., 346f. RENDTORFF, Denken, 348. M. WEIPPERT, Fragen des israelitischen Geschichtsbewußtseins, VT 23, 1973, 428. M.WEIPPERT, VT 23, 435. Vgl. RENDTORFF, Denken, 348, unter Berufung auf H.W. WoLFF (s.u.). Zu den bleibenden Unterschieden, etwa der Konzentration der Weisheit auf den Einzelnen und des Geschichtsdenkens auf das Volk vgl. RENDTORFF, Denken, 351 ff. 63 Vgl. a.a.O., 349.

72

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

Grundsatzes kann sie nicht Theologie des Alten Testaments, bestenfalls Theologie der Quellen des Alten Testaments sein.

sondern u.E.

2.2.3 Anfänge der Historiographie im Alten Testament 2.2.3.1 D i e Sonderstellung Israels im Alten Orient 1. Geschichtsschreibung resultiert aus einem Geschichtsdenken (s.o.). D i e Frage nach dem Ursprung der (alttestamendichen) Historiographie ist ein seit H . G U N K E L und H . G R E S S M A N N oft verhandeltes Problem der F o r schung 6 4 . Besondere Schwierigkeiten bereitet die Tatsache, daß hinsichtlich der ältesten Historiographie Israels eindeutige, kontemporäre religionsgeschichtliche Parallelen zu fehlen scheinen, was V . R A D im Anschluß an G U N KEL veranlaßte, das Denken in geschichtlichen Zusammenhängen als ein genuin israelitisches Phänomen zu sehen 6 5 . I m Gefolge E. MEYERS, GUNKELS und V.RADS unterscheidet H . SCHULTE in einer Monographie kategorial zwischen der Geschichtsschreibung Israels und der anderer Völker des Alten Orients 6 6 . So liege etwa in Ägypten und Mesopotamien der Anfang der Geschichtsdarstellung in der bildenden Kunst. „Israel dagegen vertraut das Geschehene dem Kopf und Mund des Erzählers, dem O h r des Hörers an, erst später dann so flüchtigem Material wie Pergament und Papyrus. Es will nicht festhalten und bewahren, sondern Menschen mit Menschen konfrontieren." 6 7

Ägyptische Darstellungen seien im Gegensatz zur lebendigen, individuellen Erzählung in Israel stark schematisiert. „In der gleichbleibenden Form liegt die Dauer und ist wichtiger als die zufälligen Unterschiede" 6 8 . Auch die beginnende Individualisierung der Geschichte im 14. Jahrhundert v.Chr. in Assyrien und Ägypten sei nicht an einer übergreifenden Gesamtdarstellung geschichtlicher Abfolgen interessiert, sondern vielmehr an der Gestalt des Königs, woraus die doxologisch konzipierte „Königsnovelle" entstanden sei. Ebenso seien die Annalen der Hethiter nur an der Selbstdarstellung der individuellen Gestalt des Königs orientiert 6 9 . In Ägypten und Assyrien „erscheinen uns die Menschen so, wie sie gesehen werden sollten, wie sie ihre eigene Darstellung bejahten" 7 0 . Israels Anfänge der Historiographie - vgl. die „Geschichte von Davids Aufstieg" und die „Thronfolgegeschichte" - stellten dagegen keine Hofge64 Vgl. v.SETERS, Search, 209-248. 65 Vgl. H . SCHULTE, Die Entstehung der Geschichtsschreibung im Alten Israel. BZAW 128, Berlin, New York 1972, 1-7; V.RAD, Anfang, 148FF; ders., Theologische Geschichtsschreibung im Alten Testament, ThZ 4, 1948, 161-175. 66 Vgl. a.a .O., SCHULTE, Geschichtsschreibung, 1-7; vgl. V.RAD, Anfang, 148FF. 67 SCHULTE, Geschichtsschreibung, 2. 68 Ebd. 69 Vgl. a.a.O., 2-5. 70 SCHULTE, Geschichtsschreibung, 7.

2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit

73

schichtsschreibung dar, sondern entsprängen dem Mutterboden der „volkstümlichen Erzählung", deren ursprünglicher Sitz im Leben das „Lagerfeuer" und die Familienfeste gewesen seien 71 . Die aus diesen Erzählungen herauswachsenden Sagen seien erst sekundär auf das Haus des Königs übertragen worden. „Nicht die Selbstverherrlichung des Königs ist hier treibende Kraft, sondern die Liebe und Verehrung seiner Männer und des Volkes zu ihm, eine Verehrung, die Kritik nicht ausschließt." 7 2

Das Stadium der Helden- und Familiengeschichte sei aber nur Übergang zu den im Alten Orient einmaligen, geschlossenen Geschichtsdarstellungen des Alten Testaments, deren „roter Faden" die Verwirklichung der Gerechtigkeit sei 73 . Diese seit GRESSMANN und G U N K E L entwickelte evolutionäre Sicht der Entstehung israelitischer Geschichtsschreibung mittels der formgeschichtlichen Methode - von den Legenden (bzw. „Märchen") der Vätersagen über die „Sagenkränze" zur Geschichtsnovelle und deren Mischform „Geschichtslegende"74 - setzt eine Entwicklung der Historiographie voraus, die ursprünglich disparate Einzelstoffe einem durchlaufenden Gedanken unterordnete 75 . 2. v . R A D sah Israels Geschichtsschreibung als ein Produkt dreier Faktoren: der Vorliebe für alle Formen der Kausalzusammenhänge schaffenden Ätiologie, einer „überragenden Gabe erzählerischer Darstellung" sowie der „eigentümlichen Glaubensvorstellungen dieses Volkes [...] in allen sonderlichen Ereignissen ein unmittelbares Handeln Gottes zu sehen" 76 . Dabei setzte V . R A D gegenüber G U N K E L und GRESSMANN eigene Akzente. Die Historiographie habe sich nicht von der Kurzlegende über die historische Novelle (vgl. „Thronfolgegeschichte") „irgendwie" entwickelt, sondern sei, ebenso wie J, erst durch die neue geschichtliche Ära der „Salomonischen Aufklärung" ermöglicht worden 77 . Ursprung aller geschichtlichen Uberlieferung sind für V.RAD alte Credoformeln (vgl. Dtn 26,5-9), die allmählich zu Summarien der Heilsgeschichte angewachsen seien 78 . „Eine bekenntnishafte Art ist dem Hexateuch auch in seiner Letztgestalt geblieben" 79 .

71 72 73 74 75 76 77 78 79

Vgl. a.a.O., 6. Ebd. Vgl. a.a.O., 7. Vgl. v.SETERS, Search, 209-212. Vgl. a.a.O., 228. Vgl. V.RAD, Anfang, 150-152. Vgl. V.RAD, Anfang, 186-188; v.SETERS, Search, 214-217. Vgl. V.RAD, Theologie I, 135-142. V.RAD, Theologie I, 139.

74

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

2.2.3.2 Einwände und Modifikationen 1. Der evolutionären Sicht und der vermeintlichen Sonderstellung Israels im Alten Orient ist in neuerer Zeit widersprochen worden 8 0 . J. v.SETERS wies auf die Aporien im Entwicklungsdenken des formgeschichtlichen Ansatzes hin: „Although the forms did continue to exist side by side [ . . . ] they performed différent Functions, thus making a strict evolutionary scheme difficult to sustain". 81

GESE82 bezweifelt die Einmaligkeit des Geschichtsdenkens Israels, das er auch bei Hethitern und Sumerern identifiziert, etwa im Hieros Logos eines Tempels, oder in der sogenannten Listenwissenschaft und den Darstellungen sumerischer Weltgeschichte als einer Abfolge von Tempelstadtstaaten 83 . Dennoch bestünden gewichtige Unterschiede zur israelitischen Historiographie: Zum einen habe Mesopotamien keine vergleichbar umfassenden G e schichtswerke hergestellt, zum anderen sei der mesopotamische Mensch fatalistisch in den Willen der Götter eingebunden - „bei all dem bleibt der Mensch völlig passiv" 84 . Babylonische Chroniken und Israels Geschichtsschreibung hätten den aus ihrer Umwelt bekannten Aufriß der Weltgeschichte durch den Eintrag des Zusammenhangs von Tat und Folge eigenartig verändert. „Geschichte ist nicht mehr Abfolge, sondern Folge, Folge menschlichen Tuns und Handelns" 85 . Dieser Tun-Ergehen-Zusammenhang beruhe nicht, wie v.RAD meinte, auf der Entdeckung des Kausalitätsprinzips. Vielmehr würden Tat und Folge im altorientalischen Denken so eng ineinander greifen, daß beides eine Einheit darstelle. In Babylon und in Israel beschreibe z.B. das Wort für „Sünde" eine synthetische Lebensauffassung: „ra'a ist das Böse, das jemand tut, es ist auch das Unheil, das über ihn hereinbricht" 8 6 . Ein Blick auf die hethitische Geschichtsschreibung zeige deutlich, daß sich im Alten Testament kein grundsätzlicher Wandel der Hermeneutik ereignet habe. Die „interpretatio israelitica" der Geschichte besteht für GESE im Bundesgedanken und der damit verbundenen Teleologie der Geschichte, wobei „die Verwirklichung des Bundes nicht ein einmaliges Ereignis, sondern ein historischer Prozeß, Geschichte ist" 8 7 . Geschichte wird so zur Heilsgeschichte, der ein göttlicher Plan zugrunde liegt. GESE sieht sowohl in der „Thronfolgegeschichte" als auch in J und im D t r G diesen göttlichen Heilsplan als die treibende Kraft, die auf die Bundesverwirklichung dränge 88 . 80 Vgl. V.SETERS, Search, 212f.220-227. 81 v.SETERS, Search, 212. 82 Vgl. H . GESE, Geschichtliches Denken im Alten Orient und im Alten Testament, in: ders., Vom Sinai zum Zion, München 2 1984 ( 3 1990), 81-98. 83 Vgl. a.a.O., 82-88. 84 GESE, Denken, 87. 85 A.a.O., 89. 86 Ebd. 87 A.a.O., 95f. 88 Vgl. a.a.O., 96-98.

2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit

75

2. Andere Forscher nivellieren die Unterschiede zwischen dem Geschichtsverständnis Israels und seiner Nachbarn noch weit mehr. A. ALBREKTSON sieht keine Unterschiede des alttestamentlichen Geschichtsdenkens zur Vorstellung vom Eingreifen der Götter in Mesopotamien, und W.G. LAMBERT bestreitet jede eschatologische oder teleologische Ausrichtung alttestamentlicher Historiographie 8 9 . NOTH folgt zwar dem Entwicklungsschema der Formgeschichte (GUNKEL), will aber den Ursprung der Geschichtsschreibung rückbinden an das Erreichen eines bestimmten „geistigen Niveaus" Israels zur Königszeit 9 0 . Anders als v.RAD sieht NOTH Israels Historiographie nicht als Folge bestimmter politischer, als vielmehr geistiger Entwicklungen. ELSSFELDT und FOHRER widersprechen dem evolutionären formgeschichtlichen Schema grundsätzlich, da sie das gleichzeitige Nebeneinander verschiedener Gattungen annehmen, während Forscher wie R . SMEND, B.S. CHILDS und J. FICHTNER91 die Ätiologie nicht länger als U r f o r m der G e schichtsschreibung betrachten und in ihr mit CHILDS vielmehr einen „redactional commentary on existing traditions" 9 2 ausmachen. C. CONROY, W.F. ALBRIGHT und U . CASSUTO suchen über GUNKEL und GRESSMANN hinaus nach epischen Formen poetischer Erzählung, die, analog zur „Ilias" und „Odyssee" HOMERS, den späteren Prosaformen des Alten Testaments zugrunde liegen sollen 9 3 .

2.2.3.3 D i e ältesten Geschichtswerke Israels GUNKEL und GRESSMANN hatten zwischen Geschichtsschreibung (verschiedene Gattungen) und Geschichtswerk (als Ausdruck einer sprachlichen Form) unterschieden 9 4 . So seien J und E als Sammler von Einzeltraditionen oder „Erzählschulen" im Gegensatz zum D t r G und dem C h r G noch keine Geschichtswerke, da sie von keinem durchlaufenden Gedanken bewegt seien. v.RAD hatte dagegen bereits im Werk des Jahwisten einen heilsgeschichtlichen Zusammenhang entdecken wollen 9 5 . Alle späteren Kritiker des G e dankens eines allmählichen Zusammenwachsens stehen vor dem Problem, alternativ zum Vorschlag v.RADS die Endgestalt des Pentateuch erklären zu müssen. War hier ein „Historiker" lediglich redaktionell tätig, oder fand eine Evolution des Stoffes statt - und wie soll man sich diese vorstellen? NOTH sah den Ausgangspunkt des wachsenden Uberlieferungsstoffes nicht in vermeintlich alten Bekenntnisformulierungen, sondern in fünf Ur89 90 91 92

Vgl. v.SETERS, Search, 240-242. Vgl. a.a.O., 217-219. Vgl. a.a.O., 220-222. B.S. CHILDS, J B L 82, 290 nach v-SETERS, Search, 222. Ähnlich R. SMEND, Überlieferung und Geschichte, in: O.H. STECK (Hg.), Tradition und Theologie, 17f. 93 Vgl. v.SETERS, Search, 224-227. 94 Zum Folgenden vgl. SETERS, Search, 227-229; vgl. auch Anm. 77 (s.o.). 95 Vgl. auch Anm. 77 (s.o.).

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2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

themen des Tetrateuch: Exodus, Führung ins Kulturland, Verheißung an die Väter, Wüstenwanderung, Offenbarung am Sinai 96 . Der Pentateuch sei weniger ein Werk verschiedener Autoren, als vielmehr Resultat eines Prozesses. Die o.g. Grundthemen seien mit populären Erzählformen (vgl. GUNK E L und G R E S S M A N N ) angereichert und am „Sitz der Amphiktyonie" gesammelt worden. J sei dort als Sammler und Redaktor verschiedener pentateuchischer Traditionen tätig gewesen, wobei er nur seine „eigenen" Quellen „jahwistisch" redigiert haben soll (sie!). N O T H S Amphiktyonie-These ist ebenso erschüttert worden, wie sein Postulat eines einzigen Verfassers des D t r G durch A. J E P S E N und die „Göttinger Schule" 9 7 . An die Stelle des Deuteronomisten trat eine dtr Schule (DtrH, DtrP, DtrN), die verschiedenes Material sammelte, ausschied und interpretierte. Werden J und DtrG in zeitliche Nähe zueinander gerückt 98 , so entsteht die neue Frage nach einer Verhältnisbestimmung dieser beiden Geschichtsentwürfe. Hat J nichts über die Königszeit berichtet, weil eine Geschichte der Könige bereits geschrieben war (DtrG) 9 9 , oder sind die konventionellen Urkundenhypothesen über alttestamentliche Geschichtswerke grundsätzlich revisionsbedürftig 100 ? U.E. verdienen die formgeschichtlichen Lösungsansätze auch weiterhin Beachtung, solange ein eindeutiger Nachweis kontemporärer religionsgeschichtlicher Parallelen zu alttestamentlichen Geschichtswerken, die ein Abhängigkeitsverhältnis des Alten Testaments indizieren, nicht erbracht ist.

2.2.4 Die deuteronomistische Geschichtstheologie Im Unterschied zur Frage nach einem eventuellen Chronistischen Geschichtswerk kann die Existenz eines zusammenhängenden Deuteronomistischen Geschichtswerks seit dem Erscheinen der „Uberlieferungsgeschichtlichen Studien" NOTHS 101 als gesichert gelten 102 . Gegen NOTH wird heute meist die Mehrschichtigkeit des Werkes behauptet (DtrH = Grundschrift des Historikers, DtrP = Prophet, DtrN = Nomist) 1 0 3 , ein von Jos bis 2Kön reichender, geschlossener Geschichtszusammenhang eines Autors (nicht eines Redaktors) bzw. einer Autorenschule hat alle Wahrscheinlichkeit für sich 1 0 4 . 96 Vgl. v.SETERS, Search, 230-232. 97 Vgl. SMEND, Entstehung, 111-125 (vor allem 123); v.SETERS, Search, 232f; WORTHWEIN, A T D 11 / 2, 489 verwendet eine vom Konsens abweichende Bezeichnung ( D t r G statt DtrH), die von uns aus Gründen der Einheitlichkeit der Abbreviaturen nicht übernommen wird. 98 Vgl. SMEND, Entstehung, 86-94. 99 Vgl. v.SETERS, Search, 234. 100 Vgl. im Ansatz R. RENDTORFF, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch. B Z A W 147, Berlin / New York 1976; J S O T 3, 1977. 101 Vgl. NOTH, Studien I, 3-100. 102 Vgl. W.H. SCHMIDT, Einführung, 136f. 103 Vgl. SMEND, Entstehung, 110-125; WORTHWEIN, A T D 11 / 2, 485-504. 104 Gegen ElSSFELDT, Einleitung, 278fF.

2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit

77

Damit wird keineswegs bestritten, daß „ D t r " 1 0 5 bestimmte Quellen, vielleicht sogar ganz „profaner Art", in sein Werk einarbeitete, wie N O T H im Anschluß an V . R A D S Studien zum DtrG zugestand 1 0 6 . Aber die Auswahl des Stoffes (vgl. die Rahmennotizen) sowie die Herstellung eines geschlossenen, übergreifenden Zusammenhanges geschichtlicher Perioden mit theologischen Leitgedanken und einem „Kerygma" 1 0 7 übersteigt eine lediglich redaktionelle Tätigkeit des Verfassers. H.W. W O L F F charakterisierte dieses Werk sogar als Schöpfung des „ersten umfassenden Geschichtswerks nicht nur des Alten Testaments, sondern der Weltliteratur" 108 . Das Geschichtsverständnis des DtrG ist für unsere Arbeit von besonderem Interesse, falls sich W I L L I S These bestätigt, daß sich die Chronik als „Auslegung" des D t r G versteht. Dabei wird darauf zu achten sein, ob und inwiefern die Chronik unter veränderten historischen Bedingungen das dtr Geschichtsverständnis transportiert, modifiziert oder auch negiert. Da das D t r G unzweifelhat die Vorlage des Chronisten gewesen ist, sind alle drei Bearbeitungsweisen als Interpretation von Tradition zu verstehen.

2.2.4.1

Der Charakter des Werkes

(NOTH)

1. Die geschichtlichen Vorraussetzungen des DtrG, das um die Mitte des 6. Jahrhundert v.Chr. entstanden sei, liegen für N O T H in einer Zeit, als die Geschichte des Nord- und Südreiches ihren (vorläufigen) katastrophalen Abschluß gefunden hatte 109 . Das Werk stelle Geschichte als eine zunehmende Verfallsgeschichte dar, ein Motiv, das der Verfasser in großer Konsequenz verfolge. M. W E I P P E R T bezeichnete das DtrG später als „eine einzige große Ätiologie des Landverlustes" 1 1 0 . Das Verständnis der Geschichte als Verfallsgeschichte zeigt sich für N O T H besonders deutlich im apostatischen Wunsch des Volkes nach einem König mit allen negativen Konsequenzen. Auch die josianische Reform und das „zufällige Wiederfinden" des Gesetzbuches, das die Einleitung und N o r m des DtrG darstelle 111 , zähle zu den Voraussetzungen dieses Geschichtswerkes. Trotz der starken Bezugnahme auf das grundsätzlich fragwürdige Königtum und der daraus resultierenden inner-dtr Spannungen 112 wolle das Werk die „Geschichte des Volkes Israel als ganzes" 1 1 3 reflektieren.

105 D t r hier als Chiffre für den / die Verfasser des Geschichtswerkes. 106 Vgl. NOTH, Studien I, 95(5 V.RAD, T h Z 4; ders., Anfang. 107 H.W. WOLFF, D a s Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, ZAW 73, 1961, 171-186. 108 WOLFF, ZAW 73, 186. 109 Vgl. NOTH, Studien I, 91. HO M.WEIPPERT, V T 23, 435. 111 Vgl. NOTH, Studien I, 92. 112 Vgl. a.a.O., 94f. 113 NOTH, Studien, 95.

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2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

2. Was den Umgang mit den dem Deuteronomisten vorliegenden Überlieferungen betreffe, so habe dieser „zunächst die positive Haltung des ehrlichen Maklers eingenommen" 1 1 4 , der als Sammler in großer Gewissenhaftigkeit das vorgefundene Material rezipierte, auswählte und gelegentlich korrigierte 1 1 5 . Da er auch kontradiktorisches und disparates Material miteinander verband und Unstimmigkeiten möglichst auszugleichen versucht habe, gelte zusammenfassend: „Im Ganzen hat also Dtr seiner Geschichtserzählung streng den Charakter eines Traditionswerkes gegeben, dessen Absicht die Sammlung und Erklärung der noch vorhandenen Überlieferung zur Geschichte seines Volkes war." 116

3. Zu den theologischen Leitgedanken des Werkes zählt NOTH grundsätzlich die „Belehrung über den echten Sinn der Geschichte Israels von der Landnahme ab bis zum Untergang des alten Bestandes" 1 1 7 , sowie den dtr Bundesgedanken, durch den Beziehungen zwischen Gott und Volk mittels des Gesetzes geregelt würden. Die Sinaitheophanie göttlicher Machterweisungen habe die Grundlage für das „eigentliche Thema seiner Geschichtsdarstellung" geschaffen: das Verhalten und das Geschick des Volkes im Kulturland 118 . Das dem DtrG vorliegende dtn Gesetz werde dabei - Tradition als Interpretation - als authentische göttliche Auslegung des Dekalogs und verbindliche Norm der Gottesverehrung angesehen, die im Mittelpunkt dtr Theologie stehe 119 . Kennzeichnend für die dtr Interpretation der Geschichte sei eine prinzipiell negative Einstellung zum kultischen Wesen, entsprechend seiner negativen Haltung gegenüber der Möglichkeit menschlicher Gottesverehrung überhaupt 120 . Dies zeige sich z.B. im offensichtlichen Desinteresse an der Opferpraxis, wobei der Tempel als Ort der Wohnung des „Namens" seine primäre Funktion als Gebetsstätte erhalte. „Die positive Bedeutung, die der Tempel von Jerusalem für ihn hatte [...] lag für ihn einmal einfach in der Rolle, die dieses Heiligtum in der Geschichte tatsächlich gespielt hatte" 1 2 1 . Eine weitere Bedeutung habe der Tempel im Rahmen der Kultzentralisation (NOTH: „Einheitsforderung") als Standort der Lade mit den Gestzestafeln. Im ganzen werde der dtn Zentralisationsgedanke für die vorsalomonische Zeit nicht konsequent verfolgt 122 . 4. Darüberhinaus stellt NOTH die Frage, ob die dtr Geschichtstheologie abgesehen von der Erklärung der Gegenwart aus der Vergangenheit auch eine Zukunftsperspektive (Eschatologie) beinhaltet 123 . Das offensichtliche

114 115 116 117 118 119 120 121 122 123

Ebd. Vgl. a.a.O., 95-100. A.a.O., 100. Ebd. Vgl. a.a.O., lOlf. Vgl. a.a.O., 101.103. Vgl. a.a.O., 104f. A.a.O., 105. Vgl. a.a.O., 106f. Vgl. a.a.O., 107-109.

2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit

79

Schweigen des DtrG bezüglich eines noch ausstehendes Ziels der Geschichte ist für NOTH vielsagend genug. „Er (= Dtr) hat in dem göttlichen Gericht [...] offenbar etwas Endgültiges und Abschließendes gesehen und eine Zukunftshoffnung nicht einmal in der bescheidensten und einfachsten Form einer Erwartung der künftigen Sammlung der verstreuten Deportierten zum Ausdruck gebracht."' 24

Die in „Fluch und Segen" angekündigten geschichtlichen Möglichkeiten hätten sich endgültig zum Negativen hin als geschichtlich vollzogene Wirklichkeit erwiesen. Vom unheilvollen Ende her habe Dtr seinen Blick, anders als die Zeitgenossen Ezechiel und Deuterojesja, auf die Vergangenheit gerichtet. Darin erweise sich der als „Individualität" gedachte Verfasser als Einzelgänger und, was seine geistige Welt betreffe, als Heimatloser, der aus eigener Initiative die Frage nach dem „Sinn" der Geschichte gestellt und beantwortet habe 125 . Gerade diese existentialistisch anmutende These vom „Einzelgänger" und seiner uneschatologischen Ausrichtung mußte in die Kritik geraten, bedenkt man, welche Breitenwirkung die dtr Redaktion und Komposition für die vorliegende Endgestalt vieler alttestamentlicher Texte hatte. Wie hätte es zur Rezeption dieser Theologie eines geistig heimatlosen Individualisten in den Kanon kommen können? Ferna, ist die Abfassung dieses umfassenden Geschichtswerkes und seine spätere Kanonisierung allein ex negativo vorstellbar? Wir stehen damit vor denselben Problemen, die sich auch in der Chronik aufdrängten und in der Frage um das Verhältnis von „Heil" und „Unheil" innerhalb der vorexilischen Schriftprophetie ihre forschungsgeschichtliche Parallele haben 126 .

2.2.4.2 Einwände und Ergänzungen 1. Der Reduktion der Interpretation der Geschichte auf Vergangenheit und Gegenwart im DtrG ist bereits v.RAD entgegengetreten 127 . Ausgehend von dem vielfach verifizierbaren Rahmen-Schema von Weissagung und Erfüllung des Gotteswortes gehe es im DtrG nicht nur um die Frage des subjektiven Gehorsams als alleinigem geschichtsmächtigen Faktor, sondern mehr noch um die Frage des objektiven Handelns Jahwes in der Geschichte 128 , das auf Verwirklichung ziele (Heilsgeschichte) und deshalb nicht uneschatologisch ausgerichtet sein könne. 124 125 126 127

A.a.O., 108. Vgl. a.a.O., 109f. Vgl. W.H. SCHMIDT, Altes Testament, 44-46. Vgl. V.RAD, Die deuteronomistische Geschichtstheologie in den Königebüchern, Gesammelte Studien, 1 8 9 - 2 0 4 . 128 Vgl. a.a.O., 192-195.

80

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Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

„Was Dtr darstellt, ist eigentlich eine Geschichte des schöpferischen Wortes Jahwes. Was ihn fesselte, das war sozusagen das Funktionieren des göttlichen Wortes in der Geschichte." 1 2 9

ist immer wieder um eine Differenzierung dtr Theologie bemüht. Die im Gegensatz zu den Nordreichkönigen akzentuierte Hochschätzung Davids als dem Urbild des Gott wohlgefälligen Königs beruhe auf einer Verschmelzung der disparaten Traditionselemente von prophetischer Uberlieferung (vgl. etwa die „Nathanweissagung" in 2Sam 7) mit der „Kultort- und Schem-Theologie", die in einem eigenartig widersprüchlichen Verhältnis zum wenig positiven Davidbild der ebenfalls rezipierten „Thronfolgegeschichte" stehe 130 . Diese Idealisierung Davids (vgl. auch die Chronik!) offenbare eine Entfernung des Verfassers von seinem „ursprünglichen Mutterboden", dem Deuteronomium. „Der offenbar sehr starke messianische Vorstellungskreis ist in sie eingebrochen" 131 . Die ideologische Vorgabe von Dtr sei das geschichtsschöpferische Prinzip des Wortes Jahwes, das nicht nur als Fluch gegen die Übertreter, sondern auch als prophetisches Verheißungswort des in 2Sam 7 verbürgten Davidsbundes wirksam sei 132 . In dieser Spannung von „Gesetz" und „Evangelium" habe der Verfasser des DtrG sein Werk konzipiert und „in großer Verhaltenheit" (2Kön 25,27-30) die Zukunft als Verwirklichung der Heilsgeschichte Jahwes in sein Werk eingeholt 1 3 3 . V.RAD

2. W O L F F S Untersuchung zum Kerygma des DtrG 1 3 4 erwuchs aus der Unzufriedenheit über die Vorschläge hinsichtlich des „eigentlichen Aussagewillen(s) des DtrG" 1 3 5 . N O T H S radikale Negierung einer Zukunft und V.RADS Aufweis des „Funktionierens des Jahwewortes" träfen beide die Intention dieses Geschichtswerkes nicht in befriedigender Weise. W O L F F macht darauf aufmerksam, daß Dtr innerhalb der früh einsetzenden, monotonen Kette von Apostasie und Gottergebenheit durchaus bestimmte Epochen unterscheide, die durch Jahwes Setzungen Zustandekommen und Veränderungen zuließen. So führe die Symbiose mit den Kanaanäern am Ende einer Phase des Ungehorsams zur radikalen Neuinterpretation der Landnahme (Ri 2,21 f). „Ebenso deutlich wie die Richterzeit damit von der Mose- und Josuazeit abgehoben ist, wird später die Königszeit von der Richterzeit abgehoben" 1 3 6 . So werde das Königtum gegen den Protest Gottes ertrotzt, der sich aufgrund seiner Kondeszendenz trotzdem darauf einlasse und die neue Ordnung sanktioniere. An allen geschichtlichen Schaltstellen werde dem Volk immer wieder die Umkehr angeboten, die sich als „Aufschrei zu Jahwe mit dem Bekenntnis der Schuld, dem Gebet um Errettung und der Wil129 130 131 132 133 134 135 136

V.RAD, Geschichtstheologie, 203f. Vgl. a.a.O., 197-202. V.RAD, Geschichtstheologie, 202. Vgl. ebd. Vgl. a.a.O., 203f. Vgl. Anm. 107. WOLFF, Z A W 7 3 , 172. A.a.O., 176.

2.2 Geschichte und Geschichtsschreibung in vorchronistischer Zeit

81

ligkeit neuen Gehorsams"137 realisiere. Das immer wieder genannte Leitwert begegne an entscheidenden Stellen und ermögliche durch Schuldbekenntnis und Anerkennung der Gerechtigkeit Jahwes eine Änderung des Unheilszustandes (Tun-Ergehen-Zusammenhang). Diese Theologie der Umkehr als „Aufschrei zu Jahwe"138 stehe in sachlicher Nähe zur dtn Theologie. Die Umkehr als Gebot der Stunde sei für den Verfasser in vierfacher Hinsicht von Bedeutung139: a) Als exklusive Hinwendung zu Jahwe (Schuldbekenntnis, Bitte um Errettung, Willigkeit zu neuem Gehorsam). b) Als Hören auf die „Stimme Jahwes", wie sie sich durch den „Propheten" Mose und dessen Ausleger (Dtn 18,15) kundtue. c) Als akultischer Akt ohne Jahwerituale vollzieht sie sich „im Herzen" (vgl. NOTH).

d) Umkehr entspringt nicht menschlicher Beliebigkeit, sondern ist Frucht des göttlichen Gerichts. Wenn aber Umkehr neue Setzungen Jahwes ermöglicht, dann ist Dtr das Fehlen einer positiven Zukunftserwartung nicht zu unterstellen, wenngleich diese „materialiter" unbestimmt ist. 3. Um die Erarbeitung dtr Theologie im Kontext von „Gesetz und Geschichte" ist H.J. K R A U S in einem Aufsatz bemüht140. Noch enger als N O T H und W O L F F zieht K R A U S die Verbindungslinien von Dtn zum DtrG, die in engster Korrelation zueinander stünden. „Der Deuteronomist [...] ist überall bemüht, sich aufs engste an das Gesetzwerk der gleichen Schule anzulehnen"141, wobei gelte: „Die Tora ist die vorgegebene Norm der Geschichte."142 Der Schwerpunkt dtr Theologie liege auf dem Gehorsam gegenüber dem ersten Gebot des Dekalogs, wie die zentralen, von K R A U S besonders betonten Reden in Dtn und im DtrG zeigten. Der Weg zum Untergang werde durch retardierende Kultreformen aufgehalten, für den Deuteronomisten die wahrhaft großen Stunden der Geschichte Israels"143. Geschichtswendende Macht sei vornehmlich das Gebet144. Die Kette von Schuld reiße trotzdem nicht ab, wobei das innere Gewicht der Verfehlungen von einer Generation zur anderen zunehme. Gottes Zorn leite sich immer wieder von dem für Dtr zentralen Begriff der „Gerechtigkeit Jahwes" ab. Auch in der abschließenden Katastrophe bestehe noch Hoffnung, wie das Tempelweihgebet Salomos zeige (lKön 8,46ff), das die Exilssituation, die Zeit des Ver-

137 A.a.O., 177. 138 Vgl. a.a.O., 178-183. 139 Vgl. a.a.O., 183f. 1 4 0 Vgl. H . J . K R A U S , Gesetz und Geschichte: Zum Geschichtsbild des Deuteronomisten, in: ders., Biblisch theologische Aufsätze, Neukirchen-Vluyn 1 9 7 2 , 5 0 - 6 5 . 1 4 1 K R A U S , Gesetz, 5 1 . 142 A.a.O., 54. 143 A.a.O., 59. 144 Vgl. a.a.O., 62.

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Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

fassers, voraussetze. Mit WOLFF sieht K R A U S im Schuldbekenntnis die potentielle Wende zu einem neuen Heilshandeln Jahwes 145 . K R A U S konkludiert, daß Dtr Geschichte als einen in sich geschlossenen Vorgang darstelle. Der Verfasser sei dabei von einem dreifachen Interesse geleitet 146 : - Gott handelt auch in der geschichtlichen Katastrophe „gerecht". - Israel scheitert schuldhaft an der Tora. - Gott erweist seine große Gnade und Geduld trotz der Schuld Israels. 4. Diese Korrekturen des von N O T H erarbeiteten dtr Geschichtsbildes verstehen sich alle als Ergänzungen zu dessen „Studien". Sollte der Chronist dem DtrG als dessen Ausleger folgen, so ist zu fragen, wie er an den dtr „Hoffnungsschimmer" anknüpft, vorausgesetzt, er hat diesen überhaupt in seiner Vorlage wahrgenommen (was mir keineswegs selbstverständlich zu sein scheint). Ist der Chronist „Transporteur" dieser Hoffnungen oder interpretiert er diese als geschichtlich realisiert? Sollte der Verfasser als Interpret seiner vermeintlich uneschatologisch ausgerichteten Vorlage seine Eschatologie eigenständig hinzugefügt haben, wie NOTH gegen PLÖGER behauptet hatte? Oder vollzieht sich die Auslegung durch den Chronisten nicht doch in stärkerer Kontinuität zur Vorlage, wie der Tun-Ergehen-Zusammenhang und seine relativierte Gültigkeit im DtrG und in der Chronik (s.o.) vermuten lassen? Die negative Beurteilung des Königtums sowie die Darstellung der Geschichte als einer Verfallsgeschichte werden innerhalb der Josaphat-Auslegung zu bedenken sein. Bevor dies erfolgt, soll nach den fundamentalen hermeneutischen Regeln des Autors der Chronik gefragt werden, um ein partikularistisches Mißverständnis der Josaphat-Rezeption zu vermeiden.

2.3 Tradition als Interpretation in der Chronik Die überlieferungsgeschichtliche Analyse WILLIS und ihre Modifikation durch die traditionsgeschichtliche und quellenkritische Untersuchung WELTENS setzten in beiden Fragerichtungen neue Maßstäbe der Chronikforschung 147 , wie bereits dargelegt wurde. Es ist das kaum zu überschätzende Verdienst WILLIS, ein kategorial neues Verstehen des chronistischen Werkes als „Schriftauslegung" von seinen formalen hermeneutischen Voraussetzungen her und also methodologisch eröffnet zu haben. Damit interpretierte W I L L I in Umkehrung der bisherigen Fragerichtung den Inhalt von der Form her, wodurch auch ein neues Verstehen der theologisch materialen Erkenntnisse seit D E WETTE und WELLHAUSEN ermöglicht wird. 145 Vgl. a.a.O., 63f. 146 Vgl. a.a.O., 64f. 1 4 7 V g l . WILLI, A u s l e g u n g ; WELTEN, G e s c h i c h t e .

2.3 Tradition als Interpretation in der Chronik

83

„Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die Methodik und damit die Form der Chronik in ihrer Wechselbeziehung zu den erhaltenen Vorstufen, den hier als .Vorlage' bezeichneten Büchern (Genesis-)Samuel-Könige, zu erklären." 1 4 8

Die literarischen und historischen Beobachtungen WELTENS erinnern als kritischer Begleiter WILLIS an die seit DE WETTE und WELLHAUSEN identifizierte Gegenwartsfunktion der chronistischen Geschichtsschreibung im zeitgenössischen Juda 1 4 9 .

2.3.1 Die Chronik als Auslegung Die Frage nach dem Zweck der Chronik und ihrem Verhältnis zu Sam-Kön spitzte sich in der neueren Forschung zumeist auf die Alternative Verdrängungstheorie oder Ergänzungstheorie zu 1 5 0 . Dem hält WILLI entgegen: „Es wäre eine falsche Alternative, zu meinen, wer nicht in die Skylla der Verdrängungstheorie fallen wolle, müsse sich notwendig auf die Charybdis der Ergänzungstheorie gefaßt machen. Tertium datur: die Chronik als eine Auslegung jenes Stoffes der SamuelKönigs-Bücher zu betrachten, den der Chronist seinem Thema entsprechend ausgewählt und mit Hilfe von Wortersetzungen, kurzen Interpretationen und schließlich - aber nicht zuerst, wie die Ergänzungstheorie will - auch eigener Geschichtsschreibung bearbeitet hat." 1 5 1

Der chronistische Ansatz: Auslegung einer formalen - nicht etwa inhaltlichen - kanonischen Autorität 152 bewegt sich nach WILLI im Hinblick auf ihre Vorlage zwischen den Polen der „Abhängigkeit und Freiheit, Gebundenheit und Kühnheit", was er als „[...] die gehorsame Unbotmäßigkeit der Auslegung bezeichnen möchte" 1 5 3 . Für dieses Konzept, die Chronik als Auslegung einer kanonischen Autorität zu verstehen, findet WILLI einleuchtende Indizien 154 . Jede Geschichtsschreibung benutze Quellen und interpretiere diese. Wegen der schlechten Quellenlage im Blick auf vorexilische Nachrichten habe der Chronist nur auf das DtrG rekurrieren können, die Chronik verhalte sich zum DtrG wie „Quelleninterpretation" zu „Quellenwerk" 155 . Aber nicht nur in stofflicher Hinsicht sei die Chronik von seiner Vorlage abhängig, auch dessen Geist oder Gefälle bestimme Weg und Ziel des Werkes. Als Folge des Kanonbegriffs diene die Interpretation dem Zweck, „das Original 148 WILLI, Auslegung, 188. 1 4 9 Vgl. WELTEN, Geschichte, 2 0 1 - 2 0 6 (vor allem 204). Z u r Würdigung WILLIS vgl. WELTEN,

Lade, 169-170: „Nur soviel sei angemerkt, daß die Beschreibung der Chronikbücher als Auslegung durch Th.WILLI unabdingbar in jeder Chronikauslegung mit bedacht werden muß. Eine Auslegung, die nicht davon ausgeht, dürfte ihren Gegenstand von vornherein verfehlt haben" (170).

150

Vgl. WILLI, Auslegung, 48-52.

151 WILLI, Auslegung, 69.

152 Vgl. a.a.O., 55.63.176-184. 153 WILLI, Auslegung, 54.

154 Vgl. a.a.O., 54-66. 155 Vgl. a.a.O., 55.

84

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Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

wirklich Original sein zu lassen" 156 . Ebenso wie die Geschichte Israels, so sei auch die Kunde von ihr bereits als Wille Gottes sakrosankt geworden, der mittels seiner Propheten in der epitomierten Vorlage (Sam-Kön) selbst zu Wort komme (s.o.). Hierin liege der Schlüssel zum formalen Verständnis der Chronik: Geschichtsschreibung über vorexilische Begebenheiten „mußt e " 1 5 7 in engster Anlehnung an das DtrG geschehen. Der Befund in den Chronikbüchern trage diesem Tatbestand insofern Rechnung, als sich sowohl im Uberlieferungsgut als auch im frei Zusammengefaßten und im Sondergut Verweise oder Hinweise auf kanonische Schriften identifizieren ließen. Doch ist noch zu klären, ob die Chronik jenseits des faktischen Befundes auch Auslegung sein wollte. Auf diese schwer zu beantwortende Frage findet W I L L I eine einfache, aber einleuchtende Lösung: die Chronik wolle durchaus auch Auslegung sein, da dieses Werk die Kenntnis des DtrG durch den Leser voraussetze und viele chronistische Passagen eine intime Vertrautheit mit der Vorlage erforderten (u.a. das Königtum Sauls und die Geschichte des Nordreiches), ohne die das spätere Werk oft gar nicht verstehbar wäre 1 5 8 . Zudem basierten viele Unstimmigkeiten und Inkonsequenzen des Werkes auf der getreuen Gefolgschaft der Vorlage. W I L L I kann dieses Verfahren geradezu als ein „Kleben am Buchstaben" 1 5 9 bezeichnen. Aus diesen Gründen erübrige sich auch jeder Versuch einer traditionsgeschichtlichen Einordnung der Chronik. „Was dem Chronisten vorlag, das war die Schrift; aus ihr schöpfte er für seine historiographischen Zwecke, was er brauchte; eine kritische Sichtung lag ihm fern, die Autorität seiner biblischen Quellen war eine und unteilbar." 160

Dies werde auch durch die Anwendung der Blocktechnik deutlich: Der Chronist schalte nicht willkürlich Stücke in seine Vorlage ein, sondern folge dem Duktus seiner Hauptquelle, wie etwa die „gehorsame" Einordnung des mißglückten Schiffahrtsunternehmens Josaphats analog zu l K ö n 22,41-51 hinter die Angabe der Schlußformel in der Vorlage zeige (II 20,31-37) 1 6 1 . Das Rückgrat der chronistischen Geschichtsschreibung, die Leitworttechnik (s.u.), diene ebenso der Entfaltung der Primärvorlage wie - paradox genug die Abänderung der Vorlage durch den Verfasser 162 . Diese Änderungen hätten System, allerdings weder das der Adaption der Vergangenheit an die Gegenwart, wie oft vermutet wurde, noch das der „Dogmatisierung" der Geschichte. W I L L I sieht das Charakteristikum chronistischer Eintragungen und Wortersetzungen in einem hermeneutisch reflektierten Biblizismus163.

1 5 6 WILLI, Auslegung, 55.

157 A.a.O., 56. 158 Vgl. a.a.O., 56-59. 1 5 9 WILLI, Auslegung, 59.

160 161 162 163

A.a.O., 63. Vgl. a.a.O., 63f. Vgl. a.a.O., 65f. Vgl. a.a.O., 64f.L33-138.

2.3 Tradition als Interpretation in der Chronik

85

Ist der Zweck des Unternehmens als „Auslegung" grundsätzlich richtig erfaßt, so vermag doch erst eine präzise synoptische Differenzen-Analyse zwischen der Chronik und Sam-Kön diese These zu verifizieren. Der prinzipiellen Erfassung und Systematisierung der Textabweichungen gilt der Schwerpunkt der Monographie WILLIS, die neun Kategorien von Abweichungen (KATI-IX) differenziert 164 : Textkritische Differenzen

KAT I KAT II

Redaktion

KAT III KAT IV KAT V

Interpretation

KAT VI KA T VII KAT VIII KAT IX

Textverderbnis in der Chronik, (sekundär durch Überlieferung der Chronik). Textverderbnis in Sam-Kön (sekundär durch Überlieferung von DtrG). Orthographische und grammatische Änderungen. Kleine Auslassungen und Kürzungen (Überflüssiges). Verdeutlichende Zusätze und Änderungen. Ad,(Eliminierung von Un ntem). Theologische Modifikation (Eintrag der eigenen Konzeption). Rezension (Ausgleich; Biblizismus; Musivstil) Typologie.

WILLIS Analyse der Differenzen weiß sich vor allem der überlieferungsgeschichtlichen Fragestellung verpflichtet, weshalb die Einbeziehung des Sondergutes nur am Rande geschieht und aporetisch bleibt 165 . Die Frage nach der historiographischen Konzeption des Verfassers ist daher unter Berücksichtigung der Ergebnisse WELTENS hinsichdich des chronistischen Sondergutes im Anschluß an die Analyse WILLIS zu stellen.

2.3.1.1 Textkritische Differenzen

(KATI-II)

Manche Textabweichungen führt WILLI auf Verderbnisse der Textvorlage des Chronisten zurück, die z.T. qualitativ schlechter gewesen sei als der in M gebotene Text. Diese Tatsache habe den Verfasser zu Konjekturen genö164 Vgl. a.a.O., 66-69. 165 Vgl. a.a.O., 184-189.

86

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

tigt, deren Kriterien in KAT VIII (Rezension) zu finden seien 166 . Die in KAT / - / / erwähnten Textabweichungen sind aufgrund ihrer sekundären Entstehung zur Kenntnis zu nehmen, für die theologische Frage nach der Intention des Chronisten jedoch ohne Belang.

2.3.1.2 Redaktion (KAT

III-V)

1. Orthographische und grammatische Änderungen (KAT III) durch den Chronisten lassen sich nach W I L L I in der Elementarlehre, Formenlehre, Syntax und im Stil 1 6 7 feststellen. Die ausgeprägte Pleneschreibung lasse sich als Produkt der Tradenten während der Makkabäerzeit erklären. Als die revisionistische mischnische Epoche die Pleneschreibung wieder eliminierte, habe sie die nur noch selten gelesene Chronik von dieser prämasoretischen Revision ausgespart168. Die in der Lautlehre feststellbaren Differenzen (vgl. J A P H E T ) , besonders im Bereich der theophoren Namen, gehe auf eine bewußte „Archaisierung" des Stoffes durch den Autor (vgl. N O R T H ) oder aber auf zeitgenössische linguistische Einflüsse zurück 170 . Im Bereich der Formenlehre setze sich diese Archaisierung der Sprache weiter fort, die zugleich eine gewisse Standardisierung erfahre (Vereinheitlichung, Ersetzung seltener Formen durch gebräuchlichere). Diese „Tendenz zur Normalisierung" 171 habe ihre intentionalen Ursachen in einem Bestreben nach Verdeutlichung (KAT V). Die Syntax offenbare eine Vorliebe des Verfassers für aktive und transitive Stammformen anstelle von passiven und unpersönlichen Ausdrücken der Vorlage. Dies fördere die „dem episch-historischen Charakter eines Geschichtswerkes gemäße Lebendigkeit" 172 . Neben zeitgenössischen linguistischen Entwicklungen 173 lasse sich auch eine gewisse Präzisierung bei Ortsund Richtungsangaben feststellen. Die stilistischen Eigentümlichkeiten - wie bereits festgestellt ist „Stil" für W I L L I ein Verhältnisbegriflf der „Entsprechung zwischen auszusagender Sache und ihrem spezifischen Ausdruck" 174 - haben ihre inneren Ursachen in KAT VIII und KAT IX (s.u.). Eine präzise Untersuchung zur chronistischen Stilistik wird von W I L L I als Desiderat der Forschung angesehen 175 . 1 6 9

166 Vgl. a.a.O., 69-78. 167 Vgl. a.a.O., 78-91. 168 169 170 171 172 173

Vgl. a.a.O., 79-81 NORTH, J B L 82; vgl. WILLI, Auslegung, 81-84. Wie etwa der Wechsel von 1 z u 1 , vgl. WlLU, Auslegung, 81 f. WILLI, Auslegung, 88. A.a.O., 88f. Vgl. a.a.O., 89FF; WILLI rechnet dazu die Ersetzung finiter Verbformen durch Infinitiv constructus mit , die Vorliebe für Partizipien und die Voranstellung des Subjekts im Verbalsatz. 174 WILLI, Auslegung, 91; vgl. auch Punkt 1.3.2 Theologische Zusammenhänge in der C h r o nik und in E s r - N e h (s.o.) 175

Vgl. WILLI, A u s l e g u n g , 91.

2.3 Tradition als Interpretation in der Chronik

87

2. Kleinere Auslassungen und Kürzungen (KAT / V ) 1 7 6 hätten ihre Ursachen im Bemühen um eine Raffimg des Stoffes. Mit dieser Verdichtung wehre sich der Chronist gegen Weitschweifigkeit, wobei er überflüssige Präpositionen, Adverbien, (Pro-)Nomina und Verben streiche. Ein einmal erwähnter Ortsname etwa wird im selben Zusammenhang (anders als in der Vorlage) nicht noch einmal erwähnt 177 . Selbstverständlichkeiten würden in der Chronik ausgelassen, wenn sie aus dem Genannten von selbst hervorgingen (z.B. die Bezeichnung „Israel" neben „mein Volk"). Diese Abbreviatur fördere die Generalisierung und Dramatisierung der Vorlage, wobei die Rolle des Erzählers zurücktrete 178 . Stilistische Kürzungen erfolgten, wenn ein synonymer Parallelismus bei Verben (Hendiadyoin) oder ein Pleonasmus der Vorlage dem Anliegen der Stoffverdichtung zuwiderliefen 179 . Andere Auslassungen und Kürzungen hält W I L L I für thematisch bedingt. Notizen, die für den Verfasser privaten Charakter trügen (z.B. der Palastbau Salomos), würden ausgelassen. Allgemeine Feststellungen hätten einen deutlichen Vorzug gegenüber allen Ausschmückungen innerhalb der Vorlage 180 . Im Rahmen geographischer Angaben fallen Ortsnamen nach W I L L I oft aus zwei Gründen aus: Entweder seien diese Lokalitäten dem Verfasser unbekannt gewesen oder aber die Vorlage sei an dieser Stelle besonders verderbt gewesen. Bemerkenswert ist die Beobachtung - Tradition als Interpretation - daß trotz Eliminierung des Ortsnamens der vorgegebene Konsonantenbestand und die Buchstabenfolge geschickt rezipiert und in den Text eingearbeitet worden seien 181 , denn „solche Weglassungen [...] wird sich ein Geschichtserzähler, der mit Präcision arbeitet, nicht erlauben" 1 8 2 . Die Ersetzung chronologischer Daten durch ein unbestimmtes „dann, darauf" zeige die Präferenz des Verfassers für die inhaltliche Zusammenfassung vor der exakten Datierung. Der latente Zug zur Verallgemeinerung, wie er sich z.B. in der Vereinfachung der Annalen-Angaben (Vorlage) und der Ersetzung vieler Details durch die Konzentration auf die Sache präsentiere, bilde ein komplementäres Gegengewicht zur auslegenden Spezifizierung an anderer Stelle (KAT V) 1 8 3 . Schließlich fänden sich auch einige Auslassungen, deren Ursache nicht ersichtlich sei 1 8 4 .

176 177 178 179 180 181 182

Vgl. a.a.O., Vgl. a.a.O., Vgl. a.a.O., Vgl. a.a.O., Vgl. a.a.O., Vgl. a.a.O., DE WEITE,

91-101. 92. 94f. 95f. 96-98. 89f. Beiträge, 62f, zit. nach: WILLI, Auslegung, 99.

1 8 3 Vgl. WILLI, Auslegung, 100.

184 Vgl. a.a.O., 101.

88

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

3. Verdeutlichende Zusätze und Änderungen (KAT V) würden dort in den Text eingetragen, wo der Verfasser um stilistische Präzision bemüht sei 185 . Wenn die Vorlage eine eindeutige Identifizierung des Ausgesagten nicht mehr zulasse, dann helfe die Redaktion nach, ein Verfahren, das bereits Dtr angewandt habe186. Schwer verständliche Euphemismen, Höflichkeits- und Demutsformeln, überhaupt alles, was dem Chronisten zu gewunden und bildlich erscheine, werde pointierter ausgedrückt (vgl. II 18,3). Auch würden bestimmte Bilder und Episoden durch Zusätze vervollständigt und abgerundet. Logische Schritte, die einen Handlungsfortschritt transparent machten, aber in der Vorlage fehlten, würden ergänzt187. Von besonderer redaktioneller Bedeutung seien Spezifizierung, Konkretisierung und Historisierung des Stoffes der auszulegenden Vorlage, ein Verfahren, das N.N. GLATZER auch in tannaitischen Texten angewandt sieht 188 . Die „Historisierung historischer Texte" ist für WILLI Indiz des Grenzcharakters der Chronik als einem „Geschichtswerk, aber von den Voraussetzungen des Midrasch her" 189 . Bei der Erwähnung geschichtsträchtiger Details sei die Namensnennung des Individuums für den Chronisten ebenso relevant wie die Herausstellung der Familienindividualität (vgl. I 3) und die lokale und zeitliche Spezifizierung von Einzelereignissen. Diese Tendenz offenbare das historiographische Motiv des Redaktors190. „Paradestücke der Historisierung" entdeckt WILLI in den Quellenverweisen des Werkes, vor allem in den dtr Rahmennotizen191. Die in der Vorlage häufig wiederkehrende Verallgemeinerung „alles, was er (= der König) getan hatte [...]" (lKön 15,7.23.31; 16,14 u.ö.) werde vom Chronisten in zweifacher Weise spezifiziert: Entweder durch eine zeitlich-biographische Einordnung bestimmter Ereignisse oder durch eine inhaltliche Näherbestimmung der „Taten" des Königs nach dem Schema „actio Dei - reactio hominis" 192 , an deren Korrelation der Chronist ein besonderes Interesse zeige (Tun-Ergehen-Zusammenhang). Was die vieldiskutierten chronistischen Zahlenangaben betrifft, so ist WILLI auch hier bemüht, den Eigenanteil des Verfassers so gering wie möglich zu veranschlagen. Zum einen seien alttestamentliche Zahlenangaben allgemein schlecht überliefert. Der Chronist sei keineswegs ausschließlich an einer numerischen Überhöhung dieser Angaben interessiert, oft rechne er einfach besser nach als seine Vorlage. Zudem gingen viele Übertreibungen erst auf spätere Überarbeitungen zurück193.

185 186 187 188 189 190 191 192 193

Vgl. a.a.O., 101-111. Vgl. a.a.O., 102.105. Vgl. a.a.O., 103. Vgl. a.a.O., 103f. WILLI, Auslegung, 104. WILLI ist bemüht, den Unterschied zwischen Midrasch und Geschichtsschreibung festzuhalten, vgl. a.a.O., 52f. Vgl. a.a.O., 105-107. Vgl. a.a.O., 108. WILLI, Auslegung, ebd. Vgl. a.a.O., 109 (Anra. 132).

2.3 Tradition als Interpretation in der C h r o n i k

89

Historisierung und Spezifizierung sind für WILLI auch das auschlaggebende Motiv bei der Abfassung und Einarbeitung des chronistischen Sondergutes 194 . Änderungen und Zusätze dienten dem Autor nicht selten auch zur Explizierung eines impliziten Gedankens195, haben also epexegetische Funktion.

2.3.1.3 Interpretation (KAT

VI-IX)

1. Adaption (KAT VI) als Anpassung des Uberlieferungsstoffes „unter dem Einfluß des Zeitgeistes" (WELLHAUSEN) an die Gegenwart ist unverzichtbares Interpretationsmittel jedes Auslegers. Dennoch hält WILLI den Rückschluß, der Verfasser sei Exponent der herrschenden Meinung eines bestimmten Traditionskreises (z.B. „Theokratie"), für nicht zwingend. Vieles spreche eher dafür, die Chronik als Mahnruf einer „unzeitgemäßen Betrachtung" gegen den resignierenden Zeitgeist zu verstehen, die - wie jede historiographische Bemühung - um Aktualisierung ihres Stoffes bemüht sei. „Geschichtsschreibung aber bedeutet Vermittlung der Vergangenheit an die Gegenwart, in möglichst vollkommener Gefolgschaft der Quellen" 1 9 6 . Diese Adaption des Stoffes konkretisiere sich zum einen durch Wortersetzungen im lexikalischen Bereich, etwa durch Substituierung eines allgemein bekannten Wortes (ein Verfahren, das auch das Targum anwendet) oder durch Euphemismen (vgl. 2Sam 10,4; I 19,4), aber auch durch Änderungen, die einem Mißverständnis vorbeugten 197 . Plausibel scheint auch das Weglassen bzw. die Konjektur von Unverständlichkeiten der Vorlage (vgl. 2Sam 23,20; I 11,22), ein Problem, das WILLI auf die oftmals verderbte Textvorlage zurückführt 198 . So sei die Auslassung der Schilderung kriegerischer Grausamkeiten des Feldherrn David durch den Chronisten nicht aus Gründen der Entlastung des Königs erfolgt - hier steht WILLI gegen die communis opinio - sondern sei auf das Nichtverstehen der Vorlage zurückzuführen 199 . Ein „humanistisches" Motiv sei dem Verfasser nicht zu unterstellen, da der Chronist seine Helden auch sonst die Feinde nicht schonen lasse (vgl. I 22,8; 28,3). Die Bezeichnung von Lokalitäten unterliegt naturgemäß geschichtlichen Veränderungen. Jede Bemühung um eine historische Identifikation unterliegt dem „Risiko des Irrtums" 2 0 0 , wie gerade der Archäologe zugestehen wird. Der judäische Blickwinkel des Verfassers verrate sich, wenn etwa die klassische Formulierung „von Dan bis Beer-Sheva" syntaktisch umgestellt 194 195 196 197 198 199 200

Vgl. a.a.O., 110. Vgl. a.a.O., l l O f . WILLI, Auslegung, 112. Vgl. a.a.O., 113-117. Vgl. a.a.O., 117-119. Vgl. a.a.O., U 7 f . Vgl. a.a.O., 119.

90

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

(I 21,2), oder die zeitgenössische Topographie Jerusalems mit den Angaben der Vorlage identifiziert werde 2 0 1 . Hinsichtlich der Adaption in kultischen Angelegenheiten sei besonders auf die literarkritische Unterscheidung späterer Zusätze zu achten (vgl. NOTH) 2 0 2 . Ferner müsse ernstlich gefragt werden, ob es sich im Bereich des Kultes, wie meist angenommen werde, wirklich um Eintragungen späterer Zustände in die Vergangenheit, oder nicht vielmehr um eine „historisierende Idealisierung" handle, die kritischen Vorbildcharakter für die eigene Zeit habe 2 0 3 . Zu KAT VI stellt W I L L I zusammenfassend fest, daß die Adaption der Vorlage die Grenzen einer Interpretation nicht sprenge. „Die eigentlichen Interessen des Chronisten liegen jedenfalls [...] anderswo als in der Assimilierung der Geschichte an seine Gegenwart" 2 0 4 . 2. Wo sind aber die spezifisch theologischen Modifikationen des chronistischen Geschichtsschreibers zu suchen (KAT VII)} Entspringen die Wortersetzungen sowie die Auswahl vermeintlich authentischen Materials einem „jüdischen Dogmatismus", wie oft behauptet wurde 2 0 5 ? Als allgemeine theologische Vorstellung und erkenntnisleitendes Interesse formuliert WILLI: „II 6,16 ist eine der Schlüsselstellen für die chronistische Theologie, die - und auf diesen Nenner läßt sich die ganze Arbeits- und Denkweise der Chronik auch in Sachen Wortersetzungen bringen - eine Theologie der heiligen Schrift ist." 2 0 6

Innerhalb dieses Rahmens gehe es dem Verfasser um das Verhältnis von Gottes Wort und Werk zu Israels Antwort und Leben, wie sie sich gerade auch im Kult zeige 2 0 7 . Die Hervorhebung des Kultpersonals ziele nicht auf eine Reduktion der Funktionen des Königs (vgl. R O T H S T E I N / H Ä N E L ) , „sie wird in der Tatsache zu suchen sein, daß in der Kabinettliste ja priesterliche Funktionäre bereits genannt waren (2.Sam 8,17)" 2 0 8 . Dieses hinsichtlich des Kultpersonals implizite Faktum wolle der Chronist explizit machen, nicht aber einen polemischen, „theokratischen" Standpunkt einnehmen. Dagegen spreche, daß der Hohepriester gegenüber dem König auffällig im Hintergrund bleibe 2 0 9 . Theologische Modifikationen durch den Chronisten lägen schließlich dort vor, wo dieser seinem speziellen heilsgeschichtlichen Thema folge 2 1 0 . Die davidischen Könige mediierten und repräsentierten die göttliche Theo-

201 Vgl. a.a.O., 121. 202 WILLI, Auslegung, 123 folgt hier der Erklärung NoTHS zu I 1-9 (s.o.). 2 0 3 Vgl. ebd. 204 WILLI, Auslegung, 123. 205 Vgl. a.a.O., 124. 206 A.a.O., 125. 207

Vgl. a.a.O., 108 (Anm.

208

WILLI, Auslegung,

209

Vgl. a.a.O.,

127-129.

210 Vgl. a.a.O.,

129-132.

127.

129).124.126FF.

2.3 Tradition als Interpretation in der Chronik

91

kratie einem Volk, das ebenso wie die Königsherrschaft selbst nicht dem König, sondern Gott allein gehöre. 3. Die entscheidende interpretatorische Methode sieht WILLI in der konsequenten Rezensionstätigkeit (KAT VIII)2U des Verfassers. Sie bilde den Hintergrund und die Voraussetzung aller übrigen Substitutionen. Das dominierende Prinzip dieser Rezension sei das Streben nach innerem Ausgleich (Harmonisierung) von Worten und Wortgruppen, die in ganz anderen biblischen Zusammenhängen erschienen. Exegetisches Ziel des Verfassers sei es, die verborgenen Bezüge einzelner „Schriftstellen" transparent zu machen. „Anders gesagt, es geht letzten Endes um die prinzipielle Vertauschbarkeit der Einzelzüge und -worte innerhalb des Rahmens der Primärvorlage, die in unserem Falle Thora und frühere und spätere Propheten (miteingeschlossen Hiob) umfaßt." 2 1 2

Dieser Biblizismus beruhe theologisch auf der Konzeption des Gehorsams gegenüber der mosaischen und prophetischen Autorität, dessen Movens zu allen Zeiten identisch sei und die Umschreibung scriptura ipsius interpres rechtfertige 213 . Der geistesgeschichtliche Hintergrund dieses Konzeptes liege in einem formalen KanonbegrifF, während die Literaturform eine Affinität zur Sage zeige 214 . Hier wie dort würden historische Einzelzüge einer „Urgeschichte" zugunsten einer transparenten Einheitlichkeit des Erzählten preisgegeben. Was die hermeneutischen Regeln chronistischer Exegese betreffe, so zeigten sich methodologische Analogien im rabbinischen Judentum215: Ein zwei kanonischen Stellen formal gemeinsames Merkmal impliziert Äquivalenz und Kohärenz. Ferner benutze der Chronist eine Technik bei Wortersetzungen, die M. BUBER terminologisch als „Leitworttechnik" 216 präzisierte. Ein Leitwort ist dabei als „ein Wort oder ein Wortstamm zu verstehen [...] der sich innerhalb eines Textes, einer Textfolge, eines Textzusammenhangs sinnreich wiederholt" 217 . Falls WILLIS Rekurs auf diese Technik zutreffen sollte, wären viele Änderungen der Vorlage nicht auf einen „jüdischen Dogmatismus" zurückzuführen - jüdische Theologie kennt (abgesehen von Dtn 6,4) kein „Dogma" oder etwas Vergleichbares! - , es sei denn, man bezeichnet eine biblizistische Harmonisierung bereits als „dogmatisch". Die innere Spannung dieser exegetischen Methode ist zwar dem heutigen Durchschnittsleser nicht mehr evident, „aber nicht für ihn ist die Chronik geschrieben, sondern für Leser, die mit der Vorlage, mit der Bibel überhaupt bis ins kleinste Detail, ja bis auf den Buchstaben vertraut wa211 Vgl. a.a.O., 132-160. 212

WILLI, A u s l e g u n g , 132f.

213 214 215 216 217

A.a.O., 133. Vgl. a.a.O., 133f. Vgl. a.a.O., 135-138. Vgl. a.a.O., 137. BUBER / F. ROSENZWEIG, Die Schrift und ihre Verdeutschung (1936), 211, zit. nach: WILLI, Auslegung, 65.

92

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

ren" 2 1 8 . Das Risiko eines Mißverständnisses durch eine hermeneutische Eintragung in den Text seitens des Exegeten müsse bei jedem Verstehensversuch der Chronik in Kauf genommen werden. Die inhaltliche Durchführung der biblizistischen Rezension sei konzentrisch erfolgt, als kontextuelle Normalisierung des Textes, als Angleichung einer Stelle an einen anderen belegten Sprachgebrauch oder an eine vorgefundene Realität des Chronisten (Gottes Wort widerspricht sich nicht) und schließlich durch Angleichung des Textes an den Sprachgebrauch einer kanonischen Schrift 219 . So wurden in der Chronik Tatbestand und Meldung des Tatbestandes (z.B. durch einen Boten), Verheissung und Erfüllung auch gegen den Wortlaut der Vorlage verbal aneinander angeglichen. Auf diese Weise sei „kanonische" (und nicht primär zeitgenössische) Terminologie in den Text eingeflossen. 4. Die Rezensionstätigkeit rekurrierte nach W I L L I stark auf ein typologisches Geschichtsverständnis (KAT IX), das eine „zufällige Geschichtswahrheit in den Rang einer notwendigen Vernunftwahrheit" erhebe 220 . Typologie und Kanonverständnis stünden in einer engen Korrelation, da jede beliebige Stelle der normativen „Schrift" eine allgemeine Wahrheit formuliere, die darum typologisch deutbar sei. Die Verallgemeinerung von Personen (z.B. Saul) und geschichtlichen Größen (z.B. Israel) bilde dabei das „Gegenstück" und die Voraussetzung für Historisierung und Spezifizierung (KAT V) an anderer Stelle 221 . Typologisierung bedeute Abspiegelung der Geschichte als ganze im Individuum oder im einzelnen Begebnis, „[...] die wechselnden, personal, räumlich oder zeitlich begrenzten historischen Einzelheiten kommen für die typologisierende Schau nur als Ausdruck eines gleichbleibenden, geschichtlichen Grundverhältnisses in Betracht." 2 2 2

Aus diesem Grunde heiße der Patriarch Jakob in der Chronik schon immer „Israel" und Esau „Edom". Typologisierung - als grundsätzliche Schaflensweise des Chronisten - sei kein Produkt eschatologischer Vorstellungen, wie bisher meist angenommen. Die Typologisierung der Vergangenheit (vgl. Chronik) als Frage nach den gleichbleibenden Strukturen der Geschichte bilde vielmehr die Voraussetzung für die Typisierung der Zukunft 223 ! Diese Interpretationsweise entspringe nicht exegetischer Willkür, sondern dem Glauben an die unvergängliche göttliche Wirkkraft in der Geschichte. Analog zur Sage sei die Historiographie an dem in der Gegenwart immer noch Gültigen interessiert 224 , gewandelt hätten sich lediglich die Kriterien dessen, was als das „Typische" kontingenter Ereignisse zu gelten habe:

218 219 220 221 222 223 224

WILLI, Auslegung, 137f. Vgl. a.a.O., 138-160. WILLI, Auslegung, 160. Vgl. a.a.O., 161. WILLI, Auslegung, 163. Vgl. a.a.O., 165f. Vgl. a.a.O., 166-169.

2.3 Tradition als Interpretation in der C h r o n i k

93

„Waren diese Kriterien zur Zeit der Sage noch sozusagen freischwebend aus der verschiedenen Intensität das Eindrucks gewonnen worden, so hatte sich der Eindruck [ . . . ] durch das [ . . . ] schließlich literarisch fixierte Gotteswort geändert." 2 2 5

An die Stelle der plastischen Erzählweise seien Wortersetzungen und A n spielungen getreten, die dem sachkundigen, schriftgelehrten Leser unmittelbar transparent gewesen seien. 2.3.1.4 Glossierende Interpretamente Eine ausgeprägte Mittelstellung zwischen Redaktion und freier Geschichtsschreibung nehmen für W I L L I bestimmte glossierende Interpretamente ein, die den Anspruch der Chronik, Auslegung zu sein, unterstützten 2 2 6 . Zu diesen Interpretamenten rechnet W I L L I einmal die Gruppe der Explikationen227, die dem Anliegen „Verdeutlichung" (KAT V) und „Rezension" (KAT VIII) Rechnung trügen. Interpretamente seien als Reflexionen228 zu bezeichnen, wenn der Chronist Gründe für das Geschehene reflektiere, deute oder zusammenfasse. Reflexionen fänden sich meist zu Beginn oder am Schluß von Abschnitten der Vorlage und seien aufschlußreich fiir Denkweise, Kompositionstechnik und Interpretationsweise des Verfassers. Als Glossen229 seien Interpretamente zu bezeichnen, die für ein zeitgenössisches Verstehen der Vorlage (mittels Adaption) nicht unbedingt erforderlich seien. Diese relativ freien Zusätze, die sich als Eingangs- oder Schlußnotizen und in Typologisierungen vorfinden, bildeten den Ubergang zur „eigenen" (d.h. nicht primär auslegenden) chronistischen Geschichtsschreibung.

2.3.2 Auswertung Interpretation des chronistischen Werkes von ihren formalen hermeneutischen Voraussetzungen her hat die Aporien der auf der Sammlung ambivalenter Einzelbeobachtungen (sie!) beruhenden Ansätze überwunden. Sobald der Charakter der Chronik als Auslegung hinreichend bestimmt ist, können andererseits die bisherigen forschungsgeschichtlichen Erkenntnisse neu fruchtbar gemacht werden. W I L L I S Beobachtungen wehren einem einseitigen Verständnis des Verfassers, das seit D E W E T T E und W E L L H A U S E N als theologisches Konzept nur die Eintragung der Gegenwart in die Vergangenheit zugestanden hatte. W I L L I S Deutung unterliegt seinerseits der Gefahr einer Uberbetonung des Vergangenheitsaspektes der „heiligen Geschichte" und des von ihr kündenden Gotteswortes in der kanonischen Schrift. Es muß u.E. auch deutlich WILLIS

225

WILLI, A u s l e g u n g ,

168.

226 Vgl. a.a.O., 169-175. 227 Vgl. a.a.O., 170f. 228 Vgl. a.a.O.,

171-174.

229 Vgl. a.a.O., 174f.

94

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Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

gemacht werden, wer oder was den Verfasser oder Autor zur Auslegung veranlaßte oder drängte. WILLIS Vorschlag, die Chronik als „Auslegung" der kanonischen Schrift zu verstehen, ist dennoch geeignet, viele anstehende Probleme zu lösen. So erklärt sich das „Kleben am Buchstaben" der Vorlage ebenso wie die freie Interpretation, Akkomodation, Erweiterung und Kürzung des Textbestandes. Eine Auslegung, die von der Last befreit ist, einen Text ersetzen zu müssen, ist dadurch frei genug, ihn zu kommentieren! Exegese kann so als doxologischer Akt neu verstanden werden ohne „besserwisserisches" Ergänzungs- oder Ersetzungsmotiv, das eher dem historisch-kritischen Bewußtsein heutiger Exegese entspringt als dem Verständnis, das der antike Mensch diesen Texten entgegenbrachte. So stellte v.RAD fest: „Die literarische Freiheit der Alten gegenüber überkommenen literarischen Material wird von uns meist überschätzt" 230 . WILLIS Verständnis des chronistischen Werkes als Auslegung ist dazu angetan, ein wichtiges Bindeglied zwischen alttestamentlichem und rabbinischem Geschichtsverständnis entdeckt zu haben. Seine systematische Differenzen-Analyse fand in neueren Arbeiten vielfache Bestätigung: Die typologisierende Geschichtsbetrachtung wurde von MOSIS, WlLLIAMSON (Panisraelitismus) und W E I N B E R G (Erfassung der Welt im Subjekt-Objekt Schema, Verallgemeinerung, Individuation) weiter verfolgt, die Leitwortmethode u.a. von P. WELTEN. Es tut der herrausragenden Arbeit WILLIS keinen Abbruch, auf einige Aporien hinzuweisen. So ist u.E. die kategorial verstandenene Trennung (und geschehe sie auch nur als „Unterscheidung") von Redaktion und Interpretation recht fragwürdig, wie W I L L I selbst 231 mehrmals konzedieren muß. Jede Redaktion, und bestünde sie nur in der Kompilation und Komposition von Texten, ist selbst bereits ein Akt der Interpretation. Eine weitere Schwäche besteht in der Anordnung der Kategorien. Nach W I L L I sind KAT VI-IX der eigentliche Schlüssel zum Verstehen des Werkes. Ihre Darstellung am Schluß der Differenzen-Analyse ist nicht recht einsichtig, zumal W I L L I im Rahmen der anderen Kategorien zu einem ständigen Vorverweis auf diese Schlüsselkategorien genötigt ist. Ob hier nicht die apologetische Tendenz faßbar wird, die chronistischen „theologischen Modifikationen" der klassische Ausgangspunkt zur Bestimmung chronistischer Theologie zugunsten einer engeren Anbindung an die Vorlage zu nivellieren? Anders gefragt: Erfolgte die Anordnung der Kategorien unter sachlichen, dramaturgischen („Steigerung") oder suggestiven Gesichtspunkten? Die kategoriale Differenzen-Analyse führt andererseits auch zur Erkenntnis konkurrierender Interessen des Verfassers, die W I L L I zwar notiert, aber nicht kommentiert oder einsichtig macht. Wie lassen sich das Bestreben nach „Straffung, Auslassung und Kürzung" (KAT IV) mit der Tendenz zur „Spezifizierung, Konkretisierung und Historisierung" (KAT V) zusammendenken? Wie kann „Historisierung" (KAT V) mit „Typologie" (KAT IX), wie „Verallgemeinerung" (KAT IV) mit „Spezifizierung"

2 3 0 V.RAD, G e s c h i c h t s t h e o l o g i e , 1 9 6 .

231 Vgl. WILLI, Auslegung, 78; 113.

2.3 Tradition als Interpretation in der C h r o n i k

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(KAT V) vereinbart werden? Dies muß nicht prinzipiell unmöglich sein, allerdings kann die Plausibilität des Verfahrens kritisch angemahnt werden. Undeutlich bleibt auch die formgeschichtliche Einordnung der Chronikbücher (als Gesamtwerk), was keine Schwäche der Untersuchung WILLIS sein muß, sondern auch am gattungsgeschichtlichen „Grenzcharakter" des Werkes liegen mag. Ist es als ein „Midrasch" zu bezeichnen, und wie läßt sich diese Gattung sinnvoll definieren?

2.3.3 Die Chronik als Geschichtsschreibung 1. Die seit WELLHAUSEN gebräuchliche Bezeichnung Midrasch für das chronistische Werk 2 3 2 ist aufgrund der terminologischen Unschärfe dieses Begriffs durch den Verfasser der „Prolegomena" zunächst wenig hilfreich. KITTEL und BENZINGER halten das Werk lediglich für „midraschartig", das in sich mehrere „Midrasche" (besser: Midraschim) enthalte 233 . „ D e r Midrasch [ . . . ] ist erbauliche Erzählung. Sein Z w e c k ist nicht ein Ereignis, wie es sich zugetragen hat, aus Interesse am Stoff weiterzugeben, sondern den geschichtlichen Stoff anderen, religiösen Interessen dienstbar zu m a c h e n . " 2 3 4

BENZINGER hält die Steigerung ins Wunderbare für ein besonderes Kennzeichen der Gattung Midrasch, für „[...] die am weitesten fortgeschrittene Entwicklung einer Art von Geschichtsschreibung, deren Anfänge viel weiter zurückliegen" 235 . Der Unterschied zur Legende bestehe darin, daß diese durch unbewußte Umbildung der Geschichte im mündlichen Traditionsprozeß entstanden sei, während der Midrasch eine „bewußte Umformung der Geschichte durch einen einzelnen Schriftsteller zu einem bestimmten religiösen Zweck darstellt" 236 . Damit sind Kriterien benannt, die auf ihre Tragfähigkeit in den Chronikbüchern hin untersucht werden müssen. Grundsätzlich abzulehnen ist die positivistische Vorstellung einer potentiellen Historiographie aus reinem „Interesse am Stoff' (BENZINGER), die, im Anschluß an ein treffendes Votum SMENDS, eine auch nach heutigen Mäßstäben naive Vorstellung ist: „ D a b e i darf nicht außer acht gelassen werden, daß die sogenannten objektiven Tatsachen in der G e s c h i c h t e , die nicht ohne G r u n d ,die ausgesprochen inexakte Wissenschaft' genannt wird, überaus problematisch sind [ . . . ] sind das ( = geschichtliche Ereignisse, A n m . ) nicht vielmehr die A k t e vieler, zahlloser Einzelheiten eines Vorganges, den als solchen nur die menschliche Vorstellung zusammenfaßt nach einem diesen Einzelheiten gemeinsamen Z w e c k o d e r Anlaß oder W i r k u n g u s w . ? " 2 3 7

2 3 2 Vgl. WELLHAUSEN, Prolegomena, 223. 2 3 3 Vgl. K.ITTCL, H K I / 6, I X ; BENZINGER, K H C 20, Xff. 2 3 4 BENZINGER, K H C 20, X I . 235

Ebd.

236 A.a.O., X I I . 2 3 7 SMEND, Überlieferung, 15.

96

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

Darüberhinaus: Welche Geschichtsschreibung in der Bibel diente nicht irgendwelchen „erbaulichen" oder „religiösen" Zwecken? 2. W I L L I hat die Frage, ob das chronistische Werk als Midrasch anzusprechen sei (offenbar ironisch) der emotionalen Verifikation überlassen: Es sei eine „Frage des Gefühls" ob man die Chronik mehr als Geschichtswerk oder als Programmschrift auffasse 238 , wobei die Bezeichnungen „Historiographie" und „Midrasch" (als Produkt freierer Assoziation) für W I L L I den eigentlichen Gegensatz darstellen. Da sich der Verfasser an einer historiographischen Vorlage orientierte, hält er die Bezeichnung „Midrasch" für wenig hilfreich. Dennoch konstatiert W I L L I einen eigenartigen „Grenzcharakter" der Chronik. Sie sei zwar ein „Geschichtswerk, aber von den Voraussetzungen des Midrasch her" 2 3 9 . Kanonbegriff und Typologie führten zu jenem eigenartigen „Musivstil" 240 eines literarischen Produktes, das formgeschichtlich am Anfang einer neuen Entwicklung stehe, die zum Midrasch hinführe. Da W I L L I das chronistische Sondergut ebenfalls dem Zweck der Auslegung unterordnet 2 4 1 , ist die Chronik s.E. als Geschichtswerk und nicht als Midrasch anzusprechen. Diese Geschichtsschreibung verstehe sich aber - und darin liege das spezifisch Neue - als letztes Glied einer Dreistufung: Der primären (Prophetenschriften), der sekundären (das D t r G als kanonische Epitome) und der tertiären (die Chronik als Auslegung des DtrG) Geschichtsschreibung 242 (s.o.). Damit habe sich ein grundsätzlicher Wandel der Historiographie in Israel vollzogen. Das DtrG sei für den Chronisten nicht mehr ein sich prozeßhaft wandelndes „Vorbild" für das eigene Bemühen um Neuinterpretation, sondern sei zur unantastbaren „Vorlage" geworden 2 4 3 . Der Verfasser war sich also des „unendlichen qualitativen Unterschieds" zwischen seiner Vorlage und der eigenen Auslegung wohl bewußt, denn „die Mischna ist nun einmal keine Thora; weder die Chronik, noch Esra-Nehemia oder Makkabäer entsprechen dem deuteronomistischen Geschichtswerk" 244 . Worin aber liegt die „Äonenwende" des neuen geschichtlichen Bewußtseins? Nach W I L L I stellte das Exil den entscheidenden Einschnitt dar 245 , der schon im D t r G als unüberbrückbare Zäsur zwischen Vergangenheit und Gegenwart sichtbar werde. Hier ist die Frage zu stellen, warum dann die „herrliche Vergangenheit" noch einmal erzählt wird, wenn der Autor kein „Tritinomist" sein will - die Vorlage geht ja nicht in seinem Werk auf, wie in früheren Etappen der Historiographie, sondern wird von dieser bewußt unterschieden.

238 239 240 241 242 243

Vgl. WILLI, Auslegung, 52f. WILLI, Auslegung, 104. Vgl. a.a.O., 176-180. Vgl. a.a.O., 188f. Vgl. a.a.O., 241-244. Vgl. a.a.O., 243.

2 4 4 WILLI, A u s l e g u n g , e b d .

245 Vgl. a.a.O., 205.

2.3 Tradition als Interpretation in der Chronik

97

Für W I L L I ist die in der spätnachexilischen Gemeinde latente Resignation in Bezug auf eine Erwartung neuer Gottesoffenbarung in der Geschichte Ursache der Neuerzählung, die in der Diskontinuität der Epochen die Kontinuität Gottes festhalte, damit „die Hoffnung auf die Vollendung der unterbrochenen Geschichte, der abgerissenen Linie nicht erlösche" 2 4 6 . W I L L I erbringt den u.E. überzeugenden Nachweis, daß sich die israelitische Historiographie, die sich dem historischen Verstehen verpflichtet wisse, unter veränderten Bedingungen auch im chronistischen Werk fortsetzt, die Chronik somit eine „legitime Frucht" und „kein Wildwuchs" des Geschichtsdenkens Israels darstellt: Die genetische Betrachtungsweise 247 des Chronisten sorge dafür, daß geschichtlich sukzessive Ereignisse aufeinander aufbauten, während das Prinzip der Analogie248 (hier als Analogie der „Heiligen Schrift") gleichzeitig ein lückenloses Geschichtsbild schaffe, das auch Raum für die eigene Konzeption biete. Ferner stelle der Chronist die geschichtstreibenden Kräfte249 heraus (Lade, Tempel, Dynastie), sei in der Lage, Geschichte zu periodisieren250 und zeige die Fähigkeit, seine Quellen zu interpretieren. U.E. sind damit entscheidende Kriterien genannt, die Chronikbücher in die historiographische Tradition einzuordnen und zugleich von der rabbinischen Literaturgattung der „Midraschim" zu unterscheiden 251 . Dieser Unterschied ist nicht primär formaler Natur, denn auch der Midrasch will, wie der Begriff sagt, „auslegen", kommentieren und setzt ebenso wie die Chronik die Existenz des Kanons voraus 252 . Aber der rabbinische Midrasch setzt sich aus abgeschlossenen Einzelerzählungen (Perikopen) zusammen, die als Beispielerzählungen halachische oder haggadische Texte kommentieren. Eine genetische Betrachtungsweise oder ein Streben nach einem übergeordneten Leitgedanken mit geschichtstreibenden Kräften ist nicht das Anliegen des Midrasch. Eine Differenzierung zwischen Chronik und Midrasch erfolgt daher u.E. zu Recht. Will man noch zwischen rabbinischem Midrasch und dessen Vorläufern differenzieren und die Chronik doch schon als „Midrasch" bezeichnen, so erweist sich dieses Verfahren als wenig hilfreich und verstärkt die terminologische Verwirrung nur noch. Für das Vorkommen des Begriffs „Midrasch" in der Chronik (vgl. II 13,22; 14,27) ist zweierlei zu beachten: Er ist keine Selbstbezeichnung des Verfassers für sein Werk, sondern Quellenangabe. Zum anderen bezeichnet beispielsweise der „Midrasch des Propheten Iddo" keine volkstümliche oder erbauliche Erzählung, sondern (im Gegenteil) kanonische Autorität der übergeordneten primären (II 13,22) und sekundären (II 14,27) Stufe der Geschichtsschreibung. Der chronistische Midrasch versteht sich gerade nicht als Auslegung, sondern als Auszulegendes und hat deshalb mit dem von

2 4 6 WILLI, Auslegung, 207. 2 4 7 Vgl. a.a.O., 208f. 2 4 8 Vgl. a.a.O., 209f. 2 4 9 Vgl. a.a.O., 210f. 2 5 0 Vgl. a.a.O., 2 1 1 - 2 1 4 . 251 Vgl. STRACK / STEMBERGER, Einleitung, 2 2 3 - 2 2 5 . 2 5 2 Vgl. a.a.O., 223.

98

2 Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

WELLHAUSEN, BENZINGER und KITTEL vorgeschlagenen Gattungsbezeichnung für das Werk u.E. nichts zu tun. 3. P. WELTEN 253 griff WILLIS Untersuchung auf und korrigierte gewisse Einseitigkeiten. Anhand des Sondergutes katalogisierte WELTEN stereotype Topoi (s.o.), die den „traditionellen" Gegenwartsbezug der Chronik als Auslegung neu betonten 2 5 4 . Die „aktuelle Funktion" des Werkes sei paränetischer Natur, das zugleich Hoffnungen auf eine grundsätzliche politische Verbesserung der von allen Seiten bedrohten jüdischen Gemeinde wecken wolle. Anders als WILLI sieht WELTEN nicht die Resignation der Gemeinde aufgrund eines geschichtlichen Umbruches als Primärursache der Abfassung der Chronik, als vielmehr die politische Bedrohung während der ptolemäisch-seleukidischen Kriege. Damit wird das Werk, trotz seines unzweifelhaft innergeschichtlichen Rahmens, in eine Nähe zur Apokalyptik ger ü c k t 2 5 5 . Dieser kühn anmutende Gedanke wird von WELTEN nicht mehr expliziert, sondern als Forschungsdesiderat formuliert. O b w o h l WELTEN das Aktualisierungsinteresse des Werkes neu herausstellte und damit erneut eine Brücke zum geschichtlichen Denken alttestamentlicher Theologie und seiner Geschichtswerke zu schlagen scheint (vgl. v.RAD), sieht er die Historiographie mit der Chronik doch in eine ganz neue Phase eintreten, in der ein literarisch schaffender Autor das Überlieferungsgut von Anfang bis Ende neu gestaltet, „wo nicht mehr Traditionen gesammelt und redigiert werden, wo nicht mehr ein vorgegebenes Werk in eine neue Bearbeitung aufgeht" 2 5 6 . WELTEN reklamiert für die Chronik daher eine „Mittelstellung" 2 5 7 zwischen literarischer Auslegung und freier Deutung der Gegenwart, die er im Anschluß an eine Formulierung E. HAAGS „freie, parabolische Geschichtsdarstellung" 2 5 8 nennt. D i e eigene Gestaltung durch den Autor müsse als fester Bestandteil chronistischer H i storiographie ernstgenommen werden: „Die Geschichtsschreibung, die im Sondergut, insbesondere in den Kriegsberichten mit positivem Ausgang begegnet, hat so viel Eigengewicht, daß sie nicht übergangen werden kann."25'

2.4 Zusammenfassung D i e Besinnung auf das Verhältnis von Tradition und Interpretation im Rahmen alttestamentlicher Geschichtsschreibung ermöglichte eine formale E i n ordnung des chronistischen Werkes in den Kontext anderer Geschichtsent253 Vgl. WELTEN, Geschichte. 254 Vgl. a.a.O., 200-206. 255 Vgl. a.a.O., 205f. 256 WELTEN, Geschichte, 205.

257 Ebd. 258 A.a.O., 206. 259 A.a.O., 205.

2.4 Zusammenfassung

99

würfe und stellte gleichzeitig seine Eigenständigkeit und Besonderheit innerhalb des Kanons heraus. Durch v.RAD wurde deutlich, daß Geschichtsschreibung nicht Theologie enthält, sondern als Vergegenwärtigung der Vergangenheit selbst bereits Theologie ist. GESE beleuchtete den Vorgang der Traditionsbildung als einen kohärenten „Prozeß" der Antwort Israels auf historische Ereignisse mittels der geschichtlich wirksamen Offenbarung. FOHRER wies auf den Zusammenhang von Tradition und Interpretation als Phänomen aller alttestamentlichen Schriften und Strömungen hin, wobei er - anders als GESE - eher die kontingenten Geschichtsereignisse und nicht die in der Geschichte wirksame Offenbarung (GESE) als Subjekt des Interpretationsvorganges betrachtete. Der für die Rekonstruktion der Vorlage (DtrG) hilfreiche formgeschichtliche Ansatz erwies sich als wenig aufschlußreich für die gattungsgeschichtliche Einordnung der Chronik. W I L L I und W E L T E N zeigten auf, daß die Chronik und das D t r G nicht durch eine ungebrochene historiographische Tradition miteinander verbunden sind, da eine Kontinuität des G e schichtsverständnisses nicht gegeben ist; diese muß vielmehr, wie W I L L I zeigte, „künstlich" reaktiviert werden. Wir möchten in diesem Zusammenhang auf den vielleicht zur selben Zeit wirksamen Propheten Tritojesaja verweisen, der in Jes 63,16-64,3 die tiefe Zäsur im fraglich gewordenen Selbstverständnis Israels beklagt und stellvertretend für das von seinem U r sprung entfremdete Volk um neue Offenbarung fleht: „Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht [ . . . ] Ach daß du den Himmel zerrissest und herabstiegest!" (Jes 63,16.19). Sollte sich in diesen Worten eine Parallelität des „Geschichtsverlustes" einer E p o che ausdrücken, so muß mit W I L L I gesagt werden, daß der Chronist auf diese theologische Krise antwortet. Zugleich ist mit W E L T E N die Bedrohung durch äußere Feinde als zweiter (oder erster) Impuls zur Abfassung des Werkes zu nennen. Analog zur Apokalyptik kulminieren in der C h r o nik Trost, Hoffnung und Paränese (Festhalten an den Setzungen Gottes in der Bedrohung). U . E . ist in den bisherigen Ausführungen der Tatsache zu wenig Rechnung getragen worden, daß sowohl Apokalyptik wie chronistische Historiographie auf die Gestalt Davids als Ideal-Typos des Messiaskönigs zurückgreifen, eine Tatsache, die schwerlich zufällig sein kann. Wie der bereits erwähnte Aufsatz von S C H O L E M 2 6 0 aufzeigt, bildeten monistische Eschatologie und dualistische Apokalyptik die zwei konkurrierenden K o n zepte der „Idee des Messianischen" innerhalb des Judentums bis in die G e genwart hinein. Der optimistisch denkenden restaurativen Eschatologie stand eine pessimistisch orientierte katastrophale Utopie gegenüber: „ N i e hat es im J u d e n t u m ein kanonisches Ausgewogensein zwischen dem restaurativen und d e m utopischen M o m e n t gegeben. Manchmal erscheint die eine Tendenz unter maximaler Betonung, während die andere auf ein M i n i m u m reduziert wird, aber niemals finden wir einen .reinen Fall', der ausschließlichen Auswirkung o d e r Kristallisation der

2 6 0 Vgl. G . SCHOLEM, Verständnis, 121-167.

100

2

Historiographie zwischen Tradition und Interpretation

einen dieser Tendenzen [...] Es gibt einen gemeinsamen Grund der messianischen Hoffnung." 261

Es ist durchaus von Belang, ob man Theokratie und Eschatologie oder (restaurative) Eschatologie und (katastrophale) Apokalyptik als miteinander ringende Antipoden der spätnachexilischen theologischen Entwürfe bestimmt, die einen gemeinsamen Ursprung (Messianismus) aufweisen. Fraglich ist u.E. innerhalb der Chronikbücher nicht, ob noch etwas erhofft werden darf, sondern ob Optimismus oder Pessimismus zum Grund der Hoffnung auf ein neues Handeln Gottes in der Geschichte gemacht werden. Alle weiteren Differenzen halten wir für ein Produkt dieser alternativen Einstellung des Menschen zu seiner Welt: so ist der Dualismus Folge, nicht Voraussetzung des Weltpessimismus, dessen Vorläufer vielleicht in den vorexilischen Unheilskündern des „Tages Jahwes" vermutet werden dürfen und deren Aussagen durch die Tradenten mit der wohl aus Persien stammenden Apokalyptik verbunden wurden, wie das Joelbuch indiziert (PLÖGER). Trost, Hoffnung und Treue sind beiden eschatologischen Richtungen gemeinsam. Israel hat die Frage nach der „rechten" Eschatologie in seiner Geschichte verschieden beantwortet, weil Traditionsbildung lebendige Antwort auf Herausforderungen der Geschichte ist (GESE). , J e stärker der Realitätsverlust der historischen Welt des Judentums [...] desto intensiver wird das Bewußtsein vom Chiffre-Charakter und dem Mysterium der messianischen Botschaft, die doch stets gerade auch die Wiederherstellung jener verlorenen Realität betraf, so wenig sie sich auch in ihr erschöpfte." 262

Das historiographische Prinzip Tradition als Interpretation umfaßt alle Geschichte und Zeit, die sich uns in den Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erschließt. Denn auch für den Chronisten gilt: „alle Zeit ist Gottes Zeit" ( J Ü N G E L ) , wobei zuerst Gottes Handeln die Legitimation darstellt, Zeit und Geschichte als geschlossenen Zusammenhang zu begreifen. Der von W I L L I artikulierten „Typologese" kommt dabei als der „grundlegenden Schaffensweise" des Verfassers und Bindeglied aller Zeiten besondere Bedeutung für die chronistische Interpretation zu. Die Untersuchung der Josaphat-Texte wird diesem Umstand ebenso Rechnung tragen müssen wie der Frage, ob die Funktion des Sondergutes primär oder grundsätzlich der „Historisierung und Spezifizierung" ( W I L L I ) oder / und der „Aktualisierung" (WELTEN) des Stoffes dient.

261 SCHOLEM, Verständnis, 124f. 262 A.a.O., 129.

B. Die Texte

3

Chronistischer und historischer Josaphat

3.1 Josaphat - ein synoptischer Überblick Traditionen, die sich auf den im 9. Jahrhundert v.Chr. regierenden judäischen König Josaphat beziehen (J e hoschafat = ,Jahwe hat Recht gesprochen"), finden sich im Alten Testament in l K ö n 15,24; 22,1-40.41-51; 2Kön 3,1-27; 12,19; in der Chronik I 3,10; II 17,1-21,1'. Weitere historische Reminiszenzen an diesen judäischen König könnten in der apokalyptischen Schicht des Joelbuches aufbewahrt sein, das in 4,2.12 ein „Tal (besser: Ebene) Josaphat" zum Ort des letzten Gerichts bestimmt. Diese Talebene ist seit dem 4. Jahrhundert n.Chr mit dem Kidrontal identifiziert worden, zu Unrecht, wie W O L F F 2 meint. Die biblische Überlieferung ist daher auf das DtrG und die Chronik beschränkt, wenngleich Josaphat aufgrund seines signifikanten Namens auch eine außerbiblische Wirkungsgeschichte zuteil wurde 3 . Bereits ein erster Blick auf Komposition und Rezeption des Stoffes in beiden Geschichtswerken zeigt folgende Beobachtungen: - Das chronistische Josaphatmaterial umfaßt ein vielfaches des dtr Stoffes. - Der kohärenten Darstellung in II 17,1 - 21,1 stehen versprengte Einzelnotizen über Josaphat an verschiedenen Stellen in l - 2 K ö n entgegen. - Die chronistische Darstellung setzt mit „allerlei Einschaltungen" 4 und nicht mit dem StofF der Vorlage ein. - In beiden Werken wird Josaphat im Ganzen positiv beurteilt (vgl. l K ö n 22,41 ff; II 20,32). Aus diesen formalen und inhaltlichen Erstbeobachtungen lassen sich bereits Vermutungen anstellen. Das DtrG und die Chronik erzählen die Geschichte Israels aus einer „Nordreich-" bzw. „Südreichperspektive". Josaphat erweckt in l - 2 K ö n den Eindruck eines Nebendarstellers im Kontext der Auseinandersetzung von Prophetie (Elia) und Königtum (Ahab) z.Zt. der O m riden. Der Chronist widerspricht dieser Marginalisierung seines Helden, der anders als irgendein Nordreichkönig in der Davididengenealogie (I 3,10) und in einem eigenen Erzählzusammenhang sein Amt in souveräner Größe ausfüllt. Erscheint die Waffenbrüderschaft in l K ö n 22 noch als Pakt des mächtigen Israel mit dem kleinen Juda, so in II 18 als „Kondeszendenz" eines davidischen Großkönigs (vgl. V 1). 1 Vgl. WELTEN, A r t . Josaphat, T R E 17, 1988, 242f. 2 Vgl. WOLFF, D o d e k a p r o p h e t o n 2: J o e l und A m o s . B K X I V / 2, N e u k i r c h e n - V l u y n 1969, 9 l f . D i e Identifikation des Kidrontals mit der „Talebene J o s a p h a t " kann auch mit der Tradition v o m „ J o s a p h a t - G r a b " i m Kidrontal (ca. 1. Jahrhundert n.Chr.) z u s a m m e n h ä n gen. Z u r Lokalisierung vgl. Y. YADIN, Jerusalem Revealed, Jerusalem 1975, 17f. 3 Vgl. JOSEPHUS, Ant. I X , § 44, sowie die Angaben unter A n m . 2. 4 KITTEL, H K I / 6 , 1 3 6 .

104

3.2 D e r chronistische Josaphat

Um dem chronistischen Verständnis Josaphats gerecht zu werden, ist eine Bestandsaufnahme des Uberlieferungsgutes und der „Dichtung" ( W E L L H A U S E N ) des Autors unumgänglich. Neben das geschichtlich wirksame Josaphatbild hat das historisch-authentische zu treten sowie eine Verhältnisbestimmung beider Sichtweisen. Da für unsere Aufgabenstellung nicht die historische, sondern die chronistische Sicht der Dinge im Mittelpunkt der Überlegungen steht, verfolgen wir einen induktiven Erkenntnisweg, ausgehend von der Josaphatrezeption in der Chronik über das DtrG bis hin zum authentischen „Kern", der Auslegungen und Ergänzungen transparent macht5. Die Relation von historischem Kern und „Tradition als Interpretation" ist dann für die Einzelexegese von beständiger Relevanz. Wie die Ausführungen hoffentlich zu zeigen vermögen, stellt dieser Gliederungspunkt nicht eine einleitende Vorüberlegung und Hinführung zu den Josaphattexten dar, sondern versteht sich selbst als integraler Bestandteil der Josaphatrezeption in der Chronik. Eine Darstellung dieser Rezeption ohne Rekurs auf Kontext, Komposition und historische Frage bliebe in der Tat reduktionis tisch.

3.2 Der chronistische Josaphat 3.2.1 Josaphat im Kontext der Chronik 3.2.1.1 Die Einbettung in den vorangehenden Kontext I. Nach der o.g. Gliederung steht der Josaphatkomplex im Rahmen des vierten Hauptteils des Gesamtwerkes. Im Anschluß an die „genealogische Vorhalle" sowie an die RegierungsZeiten Davids und Salomos, folgt die Darstellung der davidischen Epigonen unter der Bedingung der getrennten Reiche. Unter Rebabeam (II 10-12) erfolgte das Schisma, das dem Nachfolger Salomos angelastet wird. Auffällig ist die Neuinterpretation, die der Chronist an dieser Stelle vornimmt: Der in der Vorlage (DtrG) erhobene Vorwurf, Salomos polygame Verbindungen mit Ausländerinnen (lKön 11,1-13) sei die Primärursacne der Reichsteilung, die als Strafgericht Gottes (lKön II,14-20) über König und Volk hereinbreche, wird vom Chronisten auf Rehabeam transponiert. Er, nicht Salomo, trägt durch seine „Vielweiberei", verbunden mit Götzendienst (I 11,18-23) und Fronverschärfung (I 10), die persönliche Verantwortung für die politische Katastrophe. Die Designation Jerobeams I. wird nicht völlig verschwiegen, wie die Ersetzungshypothesen meinten, sondern durch einen Quellenverweis implizit angedeutet (I 9,29), denn eine kanonische Schrift kann nicht korrigiert werden! In Anlehnung (und Umkehrung) einer Formulierung W I L L I S könnte man diesen Vorgang 5 Anders etwa WELTEN, T R E 17, 242, dessen Ausgangspunkt im R a h m e n der lexikalischen Fragestellung sinnvollerweise beim „historisch-kritischen M i n i m u m " (V.RAD) liegt.

3

Chronistischer und historischer Josaphat

105

als „Implizierung eines (in der Vorlage) expliziten Gedankens" durch den Chronisten bezeichnen 6 . Der Sinn dieser Verlagerung scheint zu sein, daß der Tun-Ergehen-Zusammenhang als generationenimmanente Vergeltung Rehabeam noch einmal persönlich vor die geschichtsträchtige Entscheidung stellte, sein Amt gottgemäß zu verwalten. Es wird der Eindruck erweckt, als hätte das Unheil der Reichsteilung, das im D t r G definitiv ist, durch eine richtige Entscheidung Rehabeams noch einmal zur Disposition gestanden. N e u ist auch II 12,1: „ U n d es geschah, als sich die Königsherrschaft Rehabeams und seine Macht gefestigt hatte, verließ er die Tora Jahwes und ganz Israel mit ihm" ( " » n i r 4 » ! mrp m i r o m 3TU inproi osnrn lyo'ra p r o TH lös?). Die Apostasie des Nordens hat also ihre Ursache in der Apostasie Rehabeams und - ganz Israels (sie!). Der Tun-Ergehen-Zusammenhang ereilt König und Volk in Gestalt des Pharaos Schischak (Scheschonk), der durch die „ U m k e h r " des Königs und seiner Regierungsbeamten Jerusalem gegen Tribut verschont. Die Ursache der Verschonung ist für den Chronisten in Jahwes gnädiger Änderung seines Unheilsbeschlusses begründet, wie durch den prohetischen angelus interpres7 ausdrücklich festgestellt wird (II 12,2-8). Der so geläuterte König kann weitere zwölf Jahre regieren, bevor er stirbt und die Herrschaft auf seinen Sohn Abija übergeht, dessen Regierung der Chronist ganz im Zeichen der Auseinandersetzung mit dem weiter unter der Führung Jerobeams stehenden schismatischen N o r d e n sieht (II 13). 2. Der Abschnitt II 13 wird dominiert durch die in der Forschung kontrovers gedeutete Rede Abias (V 4-12) 8 , die sich vor allem gegen die illegitime Kultreform im Norden richtet und Israel als Volk von dem rebellischen Empörer Jerobeam und seiner unrechtmäßigen Oligarchie deutlich abhebt (V 6f). Auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit dem N o r d e n kann daher verzichtet werden, wenn sich das Volk auf die richtige Seite stellt (V 12). In der anschließenden Schlacht (V 13-18) greift Jahwe nach dem Hilfeschrei Judas (V 14: l p w i ) rettend ein und wendet selbst das Geschick des aussichtslosen Kampfes zum Sieg der Judäer, die dadurch „erstarkten" (V 18: HKWl). Als Katalysator der Kriegswende erweist sich der Kriegsruf bzw. das Blasen der Lärmtrompete (vgl. V 15: WT*l ) 9 , das als Leitwort Kultgesang (V 12) und Kriegsgesang (V 15) verbindet: Wer über den ordnungsgemäßen Kultgesang verfugt, trägt als Frucht des Gehorsams auch bei militärischer Unterlegenheit den Sieg über die Feinde davon. Die wahrhaft „durchschlagende" Wirkung des heiligen Gesanges erweist sich (mittels tra6 Vgl. WILLI, Auslegung, llOf (KAT V). 7 Hier im übertragenen Sinn gebrauchter Terminus. Angelus kann ja nicht nur „ E n g e l " , sondern auch „ B o t e " bedeuten. Funktional besteht u.E. eine Entsprechung zwischen a p o kalyptischem „Deuteengel" in der Apokalyptik und „prophetischem B o t e n " in der C h r o nik als einer Zwischeninstanz zwischen der transzendenten und der irdischen Welt. 8 Vgl. die kontroversen Deutungen bei RUDOLPH, H A T 21, 237f; GUNNEWEG, K A T 19 / 2, 27; anders WLLLIAMSON, Israel, 111-114. 9 Vgl. W. GESENIUS, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Berlin / Göttingen u.a. 1 7 1915 (Nachdruck 1962), 751.

106

3.2 Der chronistische Josaphat

ditionsgeschichtlicher Anlehnung an den Jahwe-Krieg s.u.) auch unter Josaphat während des Ostjordankrieges (II 20,1-30). Bemerkenswert ist das Fehlen einer definitiven theologischen Beurteilung Abias, die in der Vorlage noch eindeutig negativ ausgefallen war (lKön 15,1-5). Dies ist auffällig, da der Chronist diese Urteile des DtrG sonst weitestgehend übernimmt und ergänzt (vgl. lKön 15,11 = II 14,1; lKön 22,43f = II 20,32f u.ö.). Der Chronist erweist sich u.E. auch hier als geschickter Ausleger seiner kanonischen Vorlage, deren Urteil er nicht offen widerspricht (anders WELTEN10), sondern durch den ausdrücklichen Quellenverweis offensichtlich gelten läßt (II 13,22). Das Ausbleiben einer göttlichen Sanktion gegen Abia - eine Tatsache, die das DtrG auf die Treue Jahwes zum davidischen Thron zurückführte (lKön 15,4; vgl. 2.Sam 7) - erklärt sich für den Chronisten hinreichend durch dessen beherztes Eintreten für die Sache Jahwes im Bruderkrieg gegen den Norden (II 15,4-12 = chronistisches Sondergut). Als iustus et peccator rechtfertigt Abia auf diese Weise das Ausbleiben der Strafsanktion, wenngleich er mit einem Makel behaftet bleibt. Auffälligerweise erscheinen die Männer Judas (neben Jahwe) in V 13-18 als Subjekt des gottgeschenkten Sieges, wie die häufige Erwähnung Judas und die Pluralformen der aktiven Verben suggerieren, während Abias Anteil am Sieg marginalisiert erscheint: Sein Name wird nur zweimal und nur in Verbindung mit dem siegreichen Volk genannt (V 15.17), während Juda (bzw. „sein Volk") im selben Abschnitt der sechs Verse achtmal (sie!) erwähnt wird. Durch das „Erstarken" der Judäer und des Königs (V 18.21) meldet sich der Repräsentationsgedanke zu Wort, der auch im Josaphatbild deutlich hervortritt (s.u. II 20). 3. Auf Abia folgt König Asa, der Vater Josaphats, dessen Wirken in II 14-16 geschildert wird. Asas positive Vorzensur in lKön 15,9-24 erlaubte dem Chronisten ein breites Eingehen auf die Verdienste des Königs im Rahmen standardisierter Topoi ( W E L T E N ) 1 1 . Die Topoi Kultreform, Bauen, Heeresverfassung und Kriegsbericht sind „Bestandteil eines größeren, von 2Chr 14,1(2)-14 reichenden Komplexes verschiedener Topoi" 12 . Die innenpolitischen Reformen (14,1-8) schaffen die Voraussetzungen für die außenpolitischen Erfolge (14,8-14) und Befriedung des Landes, die ihrerseits zu neuer Bekräftigung und konsequenter Verfolgung der innenpolitischen Reformen führen (II 15). Daß aber nicht jeder politische Erfolg auf dem Segen Jahwes beruht, zeigt im Anschluß der überlieferungsgeschichtlich und traditionsgeschichtlich interessante Abschnitt des Konfliktes Asas mit Baesa, dem König von Israel (II 16,1-10). Während die Vorlage (lKön 15,16-22) nach WÜRTHWEIN die „politische Schlauheit"13 des militärisch Unterlegenen (Juda) durch eine geschickte Bündnispolitik herausstellte (V 22), interpretiert der 10 11 12 13

Vgl. WELTEN, Geschichte, 126f. Vgl. WELTEN, Geschichte, 7-175.180-186. WELTEN, Geschichte, 130. Vgl. WORTHWEIN, ATD 11 / 1, 188.

3

Chronistischer und historischer Josaphat

107

Chronist das Aramäerbündnis unter traditionsgeschichtlicher Anlehnung an die Verkündigung Jesajas (vgl. Jes 7,1-9; 8,1-15; 30,1-5.15-18) mittels des Prophten Hanani (angelus interpres, s.o.) eindeutig königskritisch (II 16,79). Die Profanisierung der Politik, die vielleicht auch als ein Verstoß gegen den latenten „Panisraelitismus" verstanden werden kann, stellt einen Einschnitt im Leben Asas dar, der ebenso wie seine anfänglichen Erfolge mit dem Kult verbunden ist. Statt Kultreform (II 14,1-4; 15,1-16) und Mehrung des Tempelschatzes (15,18) erfolgt die Preisgabe des Schatzes an Ben-Hadad (16,2) und der Abfall von Jahwe (16,7f). Trotz des Tadels ist der Chronist um eine Schadensbegrenzung bemüht, wie das betonte nKr*7» n"730l (V 9) zeigt. Der erboste König rächt sich an Hanani und bedrückte einige aus dem Volk" (V 10). Erneut sorgt die Einschränkung KTin JIM für eine Bagatellisierung des Ereignisses zur „Entgleisung". So erklärt sich, daß die anfängliche „Ruhe" (BfOTTl 14,4f) neuen Kriegen weichen muß (V 9b). Ob der Chronist einen impliziten Gedanken der Vorlage expliziert, indem er Asas „Fußkrankheit" im Alter (vielleicht ein Euphemismus für den Genitalbereich) vom Tun-Ergehen-Zusammenhang her deutet (vgl. l K ö n 15,23b), kann als Möglichkeit erwogen werden. Unterscheidet der Chronist zwei Phasen im Leben Asas, wie die Differenzierung der D'-jnnKill D-J1B>nn KOX T H (II 16,11) nahezulegen scheint (vgl. 17,3 L X X ) ? Daß die Positiva die Negativa überwiegen, zeigt das deliberativ gewonnene Urteil des Verfassers in II 15,17. Insgesamt läßt sich die mit Rehabeam einsetzende Beurteilungskonstante der Könige als iusti et peccatores (gerade nicht „simul"!) bis hin zu Josaphat verfolgen, wobei (bis Josaphat) das positive Urteil überwiegt. Die Abschnitte sind klar gegliedert und gut strukturiert.

3.2.1.2 Die Einbettung in den nachfolgenden Kontext 1. Der Josaphatkomplex ist auch an seinem Schluß deutlich vom Kontext abgegrenzt. In II 21,1 geht die Herrschaft nach dem Tode Josaphats auf dessen Sohn Joram über. Bildeten Rehabeam, Abia und Asa eine (mit Einschränkungen) positive Linie der Davididen-Dynastie, so setzt mit Joram, Ahasja und Atalja eine deutliche Degeneration des Königtums ein, bis ein Putsch unter Führung des Priesters Jojada erneut die Wende zum Guten bringt (vgl. II 21,2-23,21). Unter seiner Führung beginnen religiöse (vor allem kultische) Reformen, die eine neue Phase des Königtums unter Joas, Ussia und Jotam einleiten, deren positive Bilanz jeweils durch die Einschränkung relativiert wird, Jahwe nicht „mit ungeteiltem Herzen" gedient zu haben (vgl. 24,2.17f; 25,2; 26,5.16; 27,2). Auf Ahas, den Tiefpunkt des judäischen Königtums, folgen die Reformkönige Hiskia (II 29-32) sowie im Anschluß an den in chronistischer Sicht ambivalenten Manasse und dem revisionistischen Amon, die Reform durch Josia (II 34f), bevor der rasche Abfall unter den nur noch spärlicher Erwähnung gewürdigten Könige Joahas, Jojakim und Zedekia das angekündigte Ende rasch herbeiführt (II 36,113). Ein abschließendes Summarium (36,14-16) begründet den Untergang unter expliziter Bezugnahme auf die Weissagungen Jeremias (V 21). Das

108

3.2 D e r chronistische J o s a p h a t

Werk schließt mit einem eschatologischen Ausblick auf das Ende der geweissagten 70 Jahre Exil durch den Erlaß des Cyrus (V 22f). 2. Den unmittelbaren Anschluß an Josaphat bildet die Weiterführung der Geschichte Judas durch Joram, dessen Regime der Chronist weit über seine Vorlage hinaus perhorresziert (II 21). Der Kontrast zu den vorangegangenen Königen wird formal bereits dadurch deutlich, daß trotz des vielen (Joram-)Sondergutes die Topoi der positiven Könige fehlen, oder, wie beim Topos „Kriegsbericht", in ihr Gegenteil verkehrt werden und im militärischen und politischen Desaster enden (21,8-19). Die Joram-Rezeption vermittelt den Eindruck eines qualitativen Bruches zum vorangehenden Kontext. Mit Josaphat scheint eine Ära zu Ende gegangen, mit Joram die Epochenwende vollzogen zu sein, wie auch das schroffe Urteil in II 21,10b indiziert: Zwar erinnert das Stichwort vom „Verlassen Jahwes" (3TU ) an Rehabeams Verhalten ( 3TJ» in 12,1); dennoch scheint das Urteil des Chronisten über den unbußfertigen Joram definitiver. Er verläßt nicht (zeitweilig) die Tora, sondern Israels Gott, den „Gott der Väter" (21,10b). Die Kette des Unheils setzt ein mit der Ausrottung der königlichen Familie und der wohl als Opposition gedachten Notablen des Volkes (21,2-4 = Sondergut). Sie setzt sicn unter Verwendung überlieferungsgeschichtlichen Materials fort in der unseligen Verschwägerung mit dem „Haus Ahabs" (V 5f; vgl. 2Kön 8,17-19) und endet in Apostasie und kultischer Verführung des Volkes zum Götzendienst (V 10b-ll). Die Reaktion Jahwes erfolgt mittels der stereotypen prophetischen Vermahnung (21,12-15), wobei der Chronist kompositorisch geschickt an die Eliatraditionen der Vorlage anknüpft, die zwischen den versprengten Josaphatnotizen (lKön 15,24; 22,1-51) und seinen Nachfolgern (2Kön 8,1629) stehen und dort zusammen mit den Elisa-Erzählungen die Geschichte der Könige unterbrechen. U.E. rekurriert dieser Abschnitt vom briefeschreibenden Propheten traditionsgeschichtlich auf Jer 29. Der Chronist scheint das Schreiben autoritativer Briefe als ein „prophetisches Proprium" anzusehen14. Jedenfalls wird auf diese Weise die Verbindung zur (Einschaltung der) Vorlage gehalten. Der Chronist erweist sich als Interpret seines autoritativen Textes, der an der auch historisch verläßlichen Tradition der leibhaftigen Wirksamkeit Elias ausschließlich im Nordreich festhält. 3. Trotz des qualitativen Bruches zwischen Josaphat und Joram gelingt es dem Chronisten, die Kontinuität eines Erzählfadens durchzuhalten, wenn unter Joram für Juda genau das verlorengeht, was noch unter Josaphat gesichert war: die Herrschaft über Edom und der Friede ringsum (vgl. II 17,10ff; 20,1-30 im Gegensatz zu 21,8ff). Die Anknüpfung des Kontextes

14 M a n k ö n n t e e b e n s o einen unreflektierten A n a c h r o n i s m u s a n n e h m e n , da das V e r s e n d e n a u t o r i t a t i v e r B r i e f e der „Religionsbehörde™ (an die D i a s p o r a ) der Zeit des C h r o n i s t e n z u z u o r d n e n ist, vgl. WELTEN, G e s c h i c h t e , 173 ( A n m . 2 8 7 ) . D a ß d e m C h r o n i s t e n das J e r e m i a b u c h u n d damit der „ B r i e f J e r e m i a s " (Jer 2 9 ) b e k a n n t war, belegt n i c h t nur der Musivstil des Verfassers, s o n d e r n auch I I 3 6 , 2 1 .

3

Chronistischer und historischer Josaphat

109

an Josaphat erfolgt ex negativo noch zweimal innerhalb der Joram- und Ahasjatexte, die die Bedeutung dieses für den Chronisten herausragenden Königs unterstreichen. So stellt das „Scheltwort" des Schreibens Elias fest: „ [ . . . ] Weil du nicht wandeltest auf den Wegen Josaphats, deines Vaters, und auf den Wegen Asas, des Königs von Juda, sondern auf den Wegen der Könige Israels [ . . . ] " (II 21,12b).

Ferner läßt der Chronist Ahasja, den Nachfolger Jorams, nach dem gewaltsamen Ende seiner Regierung ein würdiges Begräbnis zuteil werden, indem das Volk sagte: „Er war / ist ein Sohn Josaphats, der Jahwe mit ganzem Herzen suchte" (II 22,9b). Dieses hohe Lob Josaphats ist ein deutliches Indiz für die herausragende Bedeutung dieses Königs in der chronistischen Geschichtsdarstellung. Die kontrastierende Erwähnung des positiven Exempels am Lebensende eines „abtrünnigen" Königs ist in der dtr Vorlage auf die Person Davids beschränkt, wo sie im Zusammenhang mit der Natansweissagung steht (z.B. lKön 15,4f). Lediglich Hiskia und Josia erzielen eine für das DtrG herausragende Bewertung (2Kön 18,3-6; 21,3; 22,2.25), wenngleich ihre spätere kontrastierende Gegenüberstellung zu anderen Königen auch im DtrG fehlt und in der Chronik (abgesehen von David) nur Asa und Josaphat vorbehalten ist. Daneben ist auch eine formal positive Anknüpfung der nachfolgenden Könige an Josaphat konstatierbar. Die Vorlage hatte Joram und Ahasja wegen ihrer familiären und damit politischen Verbindungen zum „Haus Ahab" kritisiert (2Kön 8,18.27ff). Der Chronist greift diese Anklage auf und entfaltet sie im Sondergut (II 21,12f) bzw. in der Auslegung des überlieferten Textes (22,1-10). Die nachfolgenden Könige hatten sich aber nicht durch II 18 - 19,4 und 20,35-37 warnen lassen und knüpfen damit (formal positiv, ethisch negativ) an Josaphat an. Die Kontinuität des Erzählfadens ist dadurch trotz der qualitativen Diskontinuität der Könige gewahrt. Der qualitative „Bruch" zwischen guten und schlechten Königen hat bei den Epigonen Hiskias (vgl. Manasse, der allerdings später „umkehrt") und Josias (vgl. Jojakim) eine vielleicht typologisch und paränetisch motivierte Parallele: Durch Kontraste und Polarisierungen wird ein pädagogischer Effekt erzielt.

3.2.1.3 Zusammenfassung Die am Kontext von II 17-21 gewonnenen Beobachtungen lassen sich generalisierend zusammenfassen: a) Der Chronist scheint an einer gegenüber seiner Vorlage verfeinerten Differenzierung in der Beurteilung der Könige interessiert zu sein. b) Überwiegend positiv beurteilten Königen werden anhand eines Rasters bestimmte Topoi zugeordnet, die auf das bonum communum des Volkes zielen. c) Der Tun-Ergehen-Zusammenhang wirkt unmittelbar und generationenimmanent, wird aber durch die prophetische Paränese relativiert, die eine „Umkehr" ermöglicht und so das Verhängnis aufheben kann.

110

3.2 D e r chronistische Josaphat

d) Die vom Chronisten eingeführten Prophetengestalten betätigen sich als theologische Hermeneuten einzelner Ereignisse (angelus interpres, freilich irdischer Provenienz), die das Kerygma des Chronisten (meist in einer Unheilssituation) verbalisieren. e) Der Chronist verknüpft Text und Kontext durch implizite und explizite Erzählzusammenhänge, die die Homogenität des Werkes gegenüber dem DtrG erhöhen. f) Interpretamente und Sondergut haben innerhalb der Erzähleinheiten oftmals den Charakter einer Auslegung der Vorlage (WILLI). g) Die Josaphattexte befinden sich innerhalb der Chronik an einer Schnittstelle: Hinter drei (relativ) „guten" und vor drei (sehr) „schlechten" Potentaten auf dem Davididenthron. So entsteht ein (pädagogisch motiviertes?) antithetisches Gefälle zwischen Josaphat und seinen Nachfolgern.

3.2.2 Josaphat in den Texten der Chronik (allgemeine Beobachtungen) 3.2.2.1 Uberlieferungsgut und Sondergut im Vergleich 1. Die sich von II 17,1 - 21,1 erstreckenden Josaphatabschnitte offenbaren bereits unter formalen Gesichtspunkten einen bedeutenden König im Rahmen der chronistischen Konzeption. Der Darstellung seiner Geschichte werden vom Verfasser 102 Verse eingeräumt, eine für chronistische Verhältnisse außergewöhnliche Stoffülle (die Taten negativer Könige werden durchweg weniger ausführlich geschildert)15. Daß die Ursache dieser Stoffülle nicht allein in einer breiten schriftlichen Tradition (Vorlage) gesucht werden darf, kann leicht mit Hilfe der Synopse von J. K E G L E R und M. A U G U S T I N nachgewiesen werden16. Das Verhältnis von Uberlieferungsgut (Paralleltexte) und Sondergut läßt sich nach Abschnitten geordnet wie folgt darstellen 17 : Chronik (II) Vorlage (DtrG) 17, 1

lKön 15,24b

2-6

7-9 10-13 14-19 18, 1-34 19, 1-3 4-11

lKön

22,1-38

15 Z u m Vergleich die Verszahlen anderer Könige: R e h a b e a m (58), Abija (23), Asa (47), J o ram (20), Ahasja (9), Athalja (18), Joas (27), A m a z j a (28), Usija (23). 16 Vgl. KEGLER / AUGUSTIN, Synopse, 182-191. 17 Vgl. a.a.O., 15f.l82ff. D i e Gliederung KEGLERS / AUGUSTINS wurde nachfolgend entsprec h e n d unserer eigenen Gliederung des Stoffes modifiziert.

3

Chronistischer und historischer Josaphat

20, 1-30 31-34 35-37 21, 1

(2Kön lKön lKön lKön

111

3,1-27?) 22,42-46 22,49-50 22,51

Daraus ergibt sich: Von den 102 Versen der Josaphattexte sind lediglich 43 Verse nachweislich der Vorlage entnommen18, mehr als die Hälfte des Stoffes (59 Verse) besteht demnach aus Sondergut des Chronisten. Ein statistischer Vergleich mit der Stoffülle der überragenden judäischen Könige David, Salomo, Asa, Hiskia und Josia innerhalb der erzählenden Partien (ohne genealogische Erwähnungen) unterstreicht die Bedeutung Josaphats 19 : Stoff II 11-29 II 1-9 II 14-16 II 17-21,1 II 29-32 1134-35

König

Verszahl

David Salomo Asa Josaphat Hiskia Josia 20

522 201 47 102 117 60

Seiten 31,00 14,50 3,00 6,50 8,00 4,75

Sondergut 266 2 11 59 69 5

Traditionsgut 236 199 36 43 48 55

Die Auswertung dieser formalen Beobachtungen ergibt, daß Josaphat durchaus mit den Reformkönigen Hiskia und Josia verglichen werden kann. Sollte das Sondergut ein literarisches Produkt des Verfassers darstellen (was sehr wahrscheinlich ist), so muß man annehmen, daß der Verfasser sich, abgesehen von seiner redaktionellen Arbeit, gerade in diesen Partien selbst artikuliert. Die Auswertung des synoptischen Listenmaterials von KEGLER / AUGUSTIN21 und die oben erstellte Tabelle indizieren, daß der Chronist sich durchaus berechtigt wußte, die schriftliche Uberlieferung sowohl zu glossieren als auch weite Partien der Vorlage einfach auszulassen (vgl. David, Hiskia und Josia). Anders die Josaphatpartien: Die gegenüber der Ahabüberlieferung marginalisierten Traditionen der zeitgenössischen judäischen Könige in der Vorlage werden gesammelt, redigiert und mit dem Sondergut zu einem imposanten und in sich geschlossenen Bild Josaphats (und

18 II 2 0 , 1 - 3 0 ist hinsichtlich der Frage Sondergut / Überlieferungsgut ein offenes P r o b l e m (s.u.). D i e Unterschiede zu 2 K ö n 3 sind aber so beträchtlich, daß man II 2 0 nicht als unmittelbaren Paralleltext ansehen k a n a 19 D i e erste Spalte der Tabelle hinter den Königsnamen gibt die absolute Verszahl in den C h r o n i k b ü c h e r n an, z u m Vergleich folgt die Angabe des Seitenumfangs in B H K ; die beiden folgenden R u b r i k e n differenzieren Sondergut und Traditionsgut. D e r G r u n d s t o c k für die Erstellung der folgenden Tabellen beruht auf den Daten v o n KEGLER / AUGUSTIN, S y n o p s e , 1 4 - 1 6 (nach Verszahlen). 2 0 D i e v o n N o T H , Studien I, postulierten sekundären Zusätze im Bereich des Listenmaterials (s.o.) ergeben für das chronistische Davidsbild u.U. ein ungenaues Bild. Sollte NOTHS Vermutung richtig sein, sind etwa 1 0 0 Verse des Sondergutes als sekundär zu streichen. A n der D o m i n a n z Davids ändert sich freilich damit nichts. 21 Vgl. KEGLER / AUGUSTIN, Synopse; 1 3 - 2 1 . 7 3 - 2 3 2 .

112

3.2 Der chronistische Josaphat

Asas) komponiert. Hinsichtlich der Motive dieser Neuinterpretation könnte ACKROYD zuzustimmen sein, wenn er ausführt: „ T h e accounts in Chronicles are clearly pious elaborations of the earlier narratives, partly linked with interpretation of the king's name - the theme of justice - and partly sermons on the relation between obedience and divine help." 2 2

Ausgelassen hat der Chronist aus seiner Vorlage nur l K ö n 22,41.45.47f, während er 2 K ö n 3,4-27 in II 20,1-30 zumindest völlig überarbeitete, falls man diesen Abschnitt nicht besser als Sondergut anzusehen hat (s.u.). 2. D i e Auslassungen sind u.E. verschieden motiviert. Z u m einen mag die Ausrichtung der Regierungszeit Josaphats nach der synchronischen N o t i z der Vorlage über Aliab ( l K ö n 22,41) für den Chronisten ein Pudendum dargestellt haben: ein judäischer und damit legitimer König vom Format eines Josaphat ist eine Größe sui generis und nicht unter die Regierungszeit eines Apostaten subordinierbar! D i e Auslassung von V 47f erklärt sich hinreichend durch das von WILLI hermeneutisch reflektierte Verfahren des Chronisten, den Uberlieferungsstoff zu adaptieren (KAT VI), wozu auch das Auslassen von unverständlichen Passagen der Vorlage zählt 2 3 . D i e Frage, was unter dem Pluralbegriff der in der Vorlage erwähnten „Geweihten" ( = Qedeschen) zu verstehen ist, die Josaphat aus dem Lande schaffen ließ, mag für den Chronisten analog zu heutigen exegetischen Verstehensversuchen (Kultprostitution?) ein offenes Problem gewesen sein 2 4 . N a c h H P . MÜLLER 2 5 zählen der qädes und die q'desä zu den „lebenslang tätigen Kultfunktionären" beiderlei G e schlechts, die vielleicht (sie!) als Kultprostituierte tätig waren 2 6 . Wie der statistische Gebrauch der Wurzel zeigt, fehlen die Derivate und nB>~rp in der Chronik ganz. Die Wurzel begegnet hier ausschließlich im Z u sammenhang mit der „Heiligkeit Jahwes" und des legitimen Kultes 2 7 . Die Vorlage mußte für den Chronisten also an dieser Stelle unverständlich sein, da Josaphat keineswegs das Heilige bzw. das Heiligtum aus dem Lande verbannt haben konnte. Analog erklärt sich auch die Auslassung einer parallelen N o t i z über A s a ( l K ö n 15,12 fehlt in II 14,lf). E b e n s o scheint auch l K ö n 22,48 vom chronistischen Ausleger nicht mehr verstanden worden zu sein. Der masoretische Text ist schwer verständlich und nötigt zur Konjektur (vgl. L X X z.St.) 2 8 , die nach der Differenzen-Analyse WILLIS im Rahmen von KAT VI (s.o.) verstehbar ist. Daß 22 P.R. ACKROYD, Art. Jehoshaphat, P.S. ACHTERMEIER (Hg.), Harper's Bible Dictionary, San Francisco / New York u.a. 1985, 453. 23 Vgl. WILLI, Auslegung, 117-119 (s.o.) 24 Vgl. M. GRUBER, Hebrew qedeshah and Her Canaanite and Akkadian Cognates, VF 18, 1986, 133-148. 25 Vgl. H.P. MOLLER, T H A T II, 589-609. 26 Vgl. a.a.O., 595f. 27 Vgl. a.a.O., 593f; A. EVEN-SH0SHAN, A New Concordance of the Bible, Jerusalem 1986, 999f.l 002-1005.

28 Vgl. B H K zu 2Kön 22,48; WÜRTHWEIN, A T D 11 / 2, 263 (Anra. 3).

3

Chronistischer und historischer Josaphat

113

der Chronist die Nachricht der dtr Rahmennotiz rezipierte, nach der zur Zeit Josaphats „kein König in Edom" regierte, wird daraus ersichtlich, daß im großen Ostjordan-Feldzug (II 20), anders als in der „Vorlage" 2Kön 3 (sie!), kein König von Edom erwähnt wird, sondern nur von den „Bewohnern des Gebirges Seir" die Rede ist (V 23 u.ö.). Die Auslassung von V 45 erklärt sich dadurch, daß II 20,35ff diesen Vers ausführlich exegesiert. 3. Auffällig ist die Tatsache, daß Josaphat in der Chronik, anders als im DtrG, von größerer Bedeutung zu sein scheint als Josia. Dies legt einmal der vergrößerte Textumfang bei Josaphat nahe, während die Josiatraditionen gekürzt werden (2Kön 23,4-20 ist in der Chronik ausgelassen). Dies wird aber auch daraus ersichtlich, daß die Anzahl der auf den positiven König übertragenen Topoi bei Josaphat das ganze Spektrum chronistischer Möglichkeiten einschließt (s.u.), während Josia im Wesentlichen auf den Topos „Kultreform" beschränkt bleibt. Die Gründe können nur vermutet werden. Ist die chronistische Geschichtsdarstellung (wenngleich weniger stringent als im DtrG) letzlich doch als Verfallsgeschichte konstruiert, dann kann die josianische Reform nicht mehr als grundsätzliche Wende verstanden werden. Warum sollte Jahwe im Anschluß an einen radikalen Neuanfang so plötzlich die Katastrophe herbeiführen? Dies ist besser denkbar, wenn die josianische Reform in ihrer Bedeutung gegenüber dem D t r G nivelliert und als letztes Aufflackern der Jahwetreue vor dem Untergang verstanden wird - ein Ereignis, das aufgrund der Vorlage schwerlich verschwiegen werden konnte (vgl. 2Kön 22,2; 23,25) 29 .

3.2.2.2 Die Gliederung der Josaphattexte in der Chronik Die Grobgliederung des Josaphatkomplexes läßt sich aufgrund des kompositorischen Geschicks des Autors u.E. recht eindeutig transparent machen (S = Sondergut; P = Hinweis auf Parallelstellen im Alten Testament) 30 :

17,1-19 Grundzüge der Regierung Josaphats 17, 1

(P)

2

(S)

Einführung und grundsätzliche Charakterisierung Josaphats der (allgemeine) Heeresreformer (Topos Heeres-

3-6 7-9 10-11

(S) (S) (S)

der Jahwetreue (Topos Kultreform) der Lehrer des Volkes (Topos Volksbelehrung) der im Ausland Hochgeschätzte (Topos Huldi-

12-13 14-19

(S) (S)

verfassung)

gung und Tribut)

der Bauherr (Topos Festungen / Bauten) der (spezielle) Heeresreformer (Topos Heeresver-

fassung)

29 2Kön 23,25 fehlt bezeichnenderweise in II 34f 30 Das Verzeichnis der „Topoi" richtet sich nach WELTEN, Geschichte, 9-172.180-186.

114

3.2 Der chronistische Josaphat

18,1 - 20,30 Der Feldherr Josaphat 18,1-19,3 (S/P) die Niederlage 18,1-27 der Sündenfall: Militärbündnis mit Ahab trotz prophetischer Warnung 18,28-19,3 die Folge: Niederlage und Paränese 19,4-11 (S) der reuige Rechtsreformer (Topos Rechtsreform) 20, 1-30 (S/P) der Sieg (Topos Kriegsbericht) 20,1-2 3-13 14-17 18-30

die Bedrohung die Reaktion Judas (Fasten) und Josaphats (Gebet) die Zusage Jahwes durch den Propheten die Folge: Sieg Jahwes und Gottesschrecken ringsum

20,31-21,1 Der „späte Josaphat" 20,31-34 (P) das dtr Rahmenschema (Eingangs- / Schlußformel) 35-37 (P) das gescheiterte Schiffahrtsunternehmen 20,35-36 erneuter Sündenfall: Bündnis mit Ahasja 37 die Folge: Prophetische Gerichtsansage; Scheitern des Unternehmens 21, 1 (P) Tod, Begräbnis und Regierungswechsel Qoram) Da die Komposition des Verfassers ein sekundäres, die Vorlage interpretierendes und korrigierendes Konstrukt darstellt, bleibt zu fragen, wie der künstliche und kunstvolle Aufbau theologisch zu verstehen ist: Bestehen innere Verbindungen der einzelnen Perikopen untereinander, die ein Textgefälle indizieren, oder stehen die einzelnen Abschnitte relativ unverbunden nebeneinander?

3.2.2.3 Der Textaufbau - ein Deutungsversuch 1. Die Dreiteilung des Stoffes ist u.E. aus formalen und inhaltlichen Gründen sinnvoll. Der erste Abschnitt (17,1-19) präsentiert Josaphat in einem breiten Spektrum verschiedener Rollen, die der Topos-Struktur entsprechen und in ihrer Funktion auf eine grundsätzliche Qualifizierung der Regierungszeit zielen. Die Vollständigkeit der zur positiven Beurteilung herangezogenen Kriterien ist ebenso auffällig wie die Tatsache, daß der Chronist seine Darstellung mit einem langen Sondergut- (Topos-) Abschnitt einsetzen läßt 31 . Der zweite Abschnitt (18,1 - 20,30) stellt u.E. ein komplementäres Gebilde zweier Feldzüge dar, die den Gegensatz von Ungehorsam und Gehor31 Man kann in I 17,1a eine Aufnahme von lKön 15,24 sehen. Allerdings muß bezweifelt werden, ob in II 17,3-6 bearbeitete Traditionen vorliegen, wie KEGLER / AUGUSTIN, Synopse, 15 vermuten. Eher handelt es sich um freier gestaltetes Sondergut (was einen Rekurs auf Traditionen im Sinne von „Auslegung" derselben nicht ausschließt).

3

Chronistischer und historischer Josaphat

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sam, von Unglaube und Glaube zur Sprache bringen und in Niederlage und Sieg - beide sind gottgewirkt - ihre Entsprechung finden. Notwendiges Bindeglied und Erzählachse beider Kriegszüge ist der Abschnitt 19,4-11 („Der reuige Rechtsreformer"), der als conditio sine qua non die Wende theologisch legitimiert. Dabei wird der Tun-Ergehen-Zusammenhang in dialektischer Weise zugleich bestätigt und relativiert: Einerseits ist das Verhältnis des Königs zu Jahwe vorentscheidend für Sieg und Niederlage, andererseits ist Umkehr vom falschen Weg möglich und führt zur Aufhebung des Unheilzustandes. Der ganze Komplex (18,1-20,30) besteht je etwa zur Hälfte aus Uberlieferungsgut (18,1-34) und Sondergut (19,1-20,30), wenn man darin nicht eine - allerdings sehr freie - Überarbeitung von 2Kön 3,127 sehen möchte. Der dritte Abschnitt (20,31 - 21,1) ist textlich und kompositioneil ganz an der Vorlage, dem dtr Rahmenschema orientiert (vgl. lKön 22,41-51). Das Uberlieferungsstück setzt mit 20,31 überraschend neu ein und endet mit Tod und Regierungswechsel, wobei 21,1 je zur Hälfte der Josaphat- und der Joramrezeption zuzuordnen ist (vgl. die Verstrennung in 16,14 und 17,1). Der mit dem DtrG vertraute Leser erwartet die Rahmennotiz gewöhnlich am Anfang und am Ende der Regierungszeit eines Königs. Da aber bereits die Vorlage durch die Einführung Josaphats in lKön 15,24 und 22,1 ff das Schema von DtrH durchbrochen hatte, ist die chronistische Anordnung als Auslegung durchaus verständlich und konsequent. Der Leser / Hörer versteht den neuerlichen Pakt mit dem Norden (Ahasja) als Rückfall in eine verfehlte Politik, die scheitern muß. 2. Abgesehen von der Dreiteilung des Stoffes enthält der Text weitere Gliederungssignale. An allen Wendepunkten der Geschichte Josaphats erscheinen namentlich genannte Propheten und Seher (XT3J, ntn, Hin), die geschichtliche Ereignisse theologisch qualifizieren, indem sie deuten, warnen und zu bestimmten Handlungen ermutigen. Der erste Prophet des Josaphatkomplexes ist der Vorlage entnommen (Micha Ben-Jimla), der als Anwalt Jahwes in der Spannung von Königtum und Prophetie einerseits und von Heilsprophetie und Unheilsprophetie des „wahren" Jahwepropheten andererseits deutlich ein ganz anderes Gepräge trägt, als die Propheten des chronistischen Sondergutes. Da der Chronist aber typologisch ( W I L L I ) und nicht historisch dachte, werden Propheten, Seher und Pneumatiker zur Stimme Gottes (und des Autors), wobei auf die Differenzierung der Prophetenbezeichnungen noch einzugehen sein wird 32 . Ein auffälliger Unterschied zwischen dem Traditionsstück II 18 und weiteren (redaktionellen) Erwähnungen prophetischer Gestalten in II 17-21 ist die Tatsache, daß die Wurzel K3J zur Bezeichnung des Propheten bzw. seiner Tätigkeit in II 18 zum Leitwort der Vorlage wird, während die Verwendung dieser Wurzel im Sondergut mit großer Zurückhaltung erfolgt 33 . 32 Vgl. II 18,5.6.9.11.12 u.ö.; 19,1; 20,14; 20,34. Zum Problem vgl. R. MLCHEEL, Die Seherund Prophetenüberlieferungen in der Chronik, B E T 18, Frankfurt, M. / Bern 1983. 33 V g l . EVEN-SHOSHAN, C o n c o r d a n c e , 7 3 1 - 7 3 4 .

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3.2 Der chronistische Josaphat

з. Ein auffälliges Phänomen innerhalb der Dreiteilung des Stoffes ist das bereits erwähnte Einsetzen des Verfassers mit dem Sondergut sowie das sich durch die Gliederung ergebende Gefälle in der Textaufteilung: a) Sondergut (II 17) b) Traditionsgut / Sondergut (18,1-20,30) c) Traditionsgut (II 20,31-21,1) Ein Vergleich mit anderen Königen zeigt, daß der Chronist seine Darstellung, abgesehen von Josaphat (17,1ff),Joram (21,2ff) und Ahasja (22,1 ff), mit der dtr Rahmennotiz einsetzen läßt. Auch hinsichtlich dieses Problems hilft и.E. die Deutung des Selbstverständnisses des Verfassers als „Ausleger" weiter. Zwischen lKön 15,24b, der erstmaligen Erwähnung Josaphats in der Vorlage, und lKön 22,1-33 (Ahab und Josaphat) sowie zwischen lKön 22,34 und V 41-51 besteht im Blick auf den Davididen jeweils eine Traditionslücke bzw. Unterbrechung des Josaphatstoffes im DtrG, die der Chronist geschickt für die Einfügung seines Sondergutes nutzt! Während II 17,1a mit lKön 15,24b hinsichtlich des Textbestandes kongruiert („[...] und sein Sohn Josaphat herrschte an seiner Stelle als König") und der Chronist damit deutlich an die Tradition anknüpft, setzt mit II 17,lb-19 die chronistische Interpretation dieses Satzes mittels der Topoi ein, die das vom DtrG konzedierte (relativ) positive Urteil über Josaphat (lKön 22,34) explizieren. Daß das Lob der Vorlage nicht uneingeschränkt galt (lKön 22,1-33), findet in der chronistischen Interpretation seinen Ausdruck im ambivalenten Wirken Josaphats, wie es sich in den beiden Kriegszügen manifestiert. Das Bestreben des Autors, seine Vorlage zu interpretieren, ohne ihre Geltung anzutasten, zeigt sich deutlich im dritten Textteil (20,31-21,1). RUD O L P H bemerkt hinsichtlich der Einordnung von V 35-37 hinter die dtr Rahmennotiz treffend: „Daß der Abschnitt hinter der Abschlußformel steht, erklärt sich sehr einfach daraus, daß es in 1 Rg auch so ist." 34 . Dieses Verfahren der Textanordnung hatte W I L L I im Anschluß an M O V E R S als Blocktechnik bezeichnet 35 , die trotz der vielen chronistischen Zusätze auch in den Josaphatabschnitten durchgehalten sei. An diese Erkenntnis anknüpfend läßt sich die Vorschaltung des ToposKomplexes in der Josaphtrezeption u.E. einsichtig machen. 17,lb-19 läßt sich als Explikation, als „Auslegung" des aus der Tradition entnommenen Verses 17,1a verstehen. Da Josaphat bereits von der Vorlage das Prädikat eines jahwetreuen Königs erhalten hatte, war der Chronist theologisch legitimiert, dieses Prädikat als Reformmaßnahmen zu explizieren (vgl. KAT V), Wenn unsere Deutung zutreffen sollte, dann versuchten die nachfolgenden Topoi die auch für Juda positiven Konsequenzen des der Tradition entnommenen Satzes zu erläutern, daß „Josaphat an seiner (= Asas) Stelle König wurde" (17,1a). So hatte bereits die Vorlage festgehalten: „Er (= Josaphat) wandelte auf dem ganzen Wege Asas, seines Vaters" ( " p v ' w a "l1?*! 34 RUDOLPH, H A T 21, 263. 35 Vgl. WILLI, Auslegung, 63f.

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Chronistischer und historischer Josaphat

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raK KOK , lKön 22,43). Die Parallelität der Topoi Asas mit den Topoi seines Nachfolgers legt diesen Satz aus und gewinnt von daher ihre exegetische Bedeutung. Hinsichtlich der Stellung des Sondergutes ist ferner zu bedenken, daß analog zum dtr Rahmenschema die Einführung eines neuen Königs oft das Gesamturteil präjudiziert. Die o.g. Beobachtungen zeigten, abgesehen von den idealtypischen Königen David und Salomo, ein Bemühen des Verfassers um eine Differenzierung des Königsbildes: „Licht und Schatten" finden sich selbst bei guten Königen. Dennoch fällt auch in der Chronik mit den Anfangsbemerkungen eine Vorentscheidung über die Gesamtbeurteilung des einzelnen Königs, wie gerade die unorthodoxe Einfügung des Sondergutes am Anfang der Regierungszeiten Josaphats, Jorams und Ahasjas verdeutlicht. So setzt die Joramrezeption mit der Ausrottung der königlichen Familie durch den Herrscher ein, um kontrastierend zu Josaphat den apriorischen Unrechts-Charakter seines Regimes zu unterstreichen 36 . Der Tun-Ergehen-Zusammenhang bewährt sich dann auch in der Anfangsnotiz seines Nachfolgers Ahasja (22,1, Sondergut), die noch auf Joram zielen dürfte: „der Mörder der eigenen Brüder erlebt die Ermordung der eigenen Söhne" 37 . Eine Abweichung vom chronistischen Grundsatz, die Vorlage auszulegen, ist also in der Vorschaltung des Sondergutes u.E. nicht anzunehmen, wie auch die Kongruenz im grundsätzlichen Urteil über die Könige im DtrG und in der Chronik zeigt. Die Massierung des Sondergutes am Anfang des Josaphat-Abschnittes präjudiziert das Gesamturteil. Denn: kein herausragender König der Chronikbücher begeht seine Fehler am Anfang seiner Regierungszeit! Ihr Versagen erscheint vielmehr als Abweichen vom grundsätzlich anerkannten „rechten Weg", wie die Präsentation Asas, Josaphats, Hiskias (II 32,24ff) und Josias (35,19-37) nahelegt. Die Josaphattexte des DtrG bereiteten dem Ausleger dabei besondere Schwierigkeiten. Das erste ausführliche Traditionsstück lag in lKön 22,1-33 vor, das aufgrund seiner (primär gegen Ahab gerichteten) königskritischen Tendenz als Einstieg für die Darstellung der Geschichte Josaphats ungeeignet war. Die Vorordnung von lKön 22,41-51 - nur dort finden sich die „Positiva" Josaphats - wäre ein Verstoß gegen die Blocktechnik gewesen und hätte den Charakter der Chronik als Auslegung in Frage stellen können. Das kompositorische Geschick des Autors entzieht sich diesem Dilemma durch die Explizierung des in 17,1a enthaltenen impliziten Gedankens der Fortsetzung des Reformkurses Asas durch Josaphat, wobei lKön 15,24b von lKön 22,43 her verstanden und mittels des Sondergutes interpretiert wurde. Das zusätzliche Material kompensierte so das quantitativ eher Josaphat-kritische Bild der Vorlage und entsprach damit zugleich dem

36 O b diese Darstellung auf zuverlässigen Nachrichten / Quellen beruht, wie RUDOLPH meinte (vgl. HAT 21, 265), muß dahingestellt bleiben, ist aber für die Theologie des Chronisten zunächst nicht relevant. 3 7 RUDOLPH, H A T 21, 2 6 9 .

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3.2 Der chronistische Josaphat

positiven Gesamturteil der dtr Rahmennotiz. Die grundsätzliche Solidarität mit der Vorlage wird durch das Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität innerhalb der Interpretation nicht in Frage gestellt. 4. Die o.g. Beobachtungen zwingen zu einer Korrektur eines Votums von MOSIS, der die Vorlage von l K ö n 22 „in die Mitte der ehr Joschafatsgeschichte" 3 8 rücken möchte. Die mangelnde Berücksichtigung der Korrelation von Aramäerfeldzug und (komplementärem) Ostjordan-Feldzug (II 20) verfehlt das Anliegen des Verfassers, der sowohl Jahwes gnädig gewährte Möglichkeit zu Umkehr und neuem Segen als auch die grundsätzliche Möglichkeit neuerlicher Apostasie seinen Lesern paränetisch vor Augen führte. Rückt das Bündnis mit Ahab in den Mittelpunkt der Josaphatrezeption, dann wird nicht nur die breite Vorschaltung des Topos-Komplexes in II 17 unverständlich. Ein weiteres Mißverständnis drängt sich hinsichtlich der Komposition von II 17-21 auf: J e d o c h wird, was in ihm erzählt wird, mit den übrigen Ereignissen unter Joschafat in keinerlei Verbindung gebracht: Daß wegen der Verfehlung, die dieses Bündnis mit A h a b bedeutet, ,Zorn von Jahwe' über Joschafat kam (2Chr 19,2, ohne Vorlage), findet in der übrigen Joschafatgeschichte kein E c h o . " - "

Diese Interpretation berücksicht den o.g. Zusammenhang ebensowenig wie den Text II 20,35-37, der Josaphat eindeutig als „Wiederholungstäter" identifiziert (Bündnis mit Ahasja). Da es sich bei dieser Stelle um einen redaktionellen Eingriff des Chronisten in die Vorlage handelt (sie weiß nichts von einem solchen Bündnis), zeigt im Gegenteil die kompositorische Verknüpfung durch das Motiv „Bündnis mit dem Norden". WlLLIAMSON machte auf weitere kompositorische Verbindungen 4 0 sowie auf eine Differenz zur vorangehenden Asa-Erzählung aufmerksam 4 1 . So fehle in II 17-21,1 die Einbettung der einzelnen Ereignisse in einen festen chronologischen Rahmen (vgl. Asa), da die zeitlichen Angaben nur sehr allgemein gehalten seien (18,2; 20,1.35) oder ganz fehlten (19,4). N u r in 17,4 finde sich eine präzise Datierung. „ T h u s , instead of chronological progression we find rather the juxtapositioning of varying episodes in order to ¡Ilústrate [...] the blessings of faithfulness in ,seeking the L o r d ' and the dangers of association with the wicked (19:2; 20:35), exemplified in this case b y Israel." 4 2

Im ganzen Textkomplex findet WlLLIAMSON zahlreiche Verbindungen („links" 4 3 ) zwischen dem disparaten Material II 17f. So greife 18,1a 17,5b auf, wobei das Motiv „Reichtum und Prunksucht" zur Vorbedingung der unheiligen Allianz (Verschwägerung) beider Königshäuser werde. Dieses 38 39 40 41 42 43

MOSIS, Untersuchungen, 176. Ebd. Vgl. WlLLIAMSON, N C B C , 279. Vgl. a.a.O., 278f. WlLLIAMSON, N C B C , 278. Vgl. a.a.O., 279.

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Chronistischer und historischer Josaphat

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Motiv werde entfaltet, wenn Ahab anläßlich eines Besuchs des Schwagers aus dem Süden „Klein- und Großvieh" schlachten läßt. Schwieriger gestaltet sich der Nachweis einer Verbindung des zweiten mit dem dritten Hauptabschnitt (II 18-20,30 und 20,31-21,1). Der Chronist verstand lKön 22,41-51 offenbar als Schlußbemerkung (innerhalb des dtr Rahmenschemas 44 ) zu Josaphat. Die Verbindung zum zweiten Hauptteil wird redaktionell durch die Fortsetzung der kritisierten Politik des „joint venture" 4 5 mit Israel gehalten und ist damit eher sachlich als semantisch oder syntaktisch vollzogen worden 46 .

3.2.2.4 Zusammenfassung Der Josaphatabschnitt in der Chronik ist anders als in der Vorlage kompositorisch geschickt mit dem Kontext verknüpft. Der jahwetreue Davidide hat außen- und innenpolitische Erfolge, der König „erstarkt", das Land hat „Ruhe" und Sieg über die Feinde. Dieser Segen wird aber durch den (bei positiven Königen bagatellisierten) Ungehorsam gefährdet: Die problematischen Beziehungen zum nördlichen Nachbarn setzen die Oberhoheit über die seit dem Exil als Erzfeinde geltenden Edomiter (vgl. Ps 137,7-9; O b ) und die Prosperität (HandelsschifFahrt) aufs Spiel. Die Beziehungen zu Israel und dem Ostjordanland stellen als die aus der Vorlage exegesierten Leitmotive die innertextlichen und kontextuellen Verbindungen her. Die kompositorischen Fähigkeiten und die Bibelkenntnisse des Autors schufen aus dem literarkritisch disparaten Material der Vorlage den Erzählzusammenhang einer Vita Josaphats, wobei er sich der Blocktechnik bediente. Dadurch wurden bestimmte Phasen im Leben Josaphats differenzierbar. Die konstruierte Sukzessivität der Ereignisse bei gleichzeitiger Einbettung in den Kontext und den Tun-Ergehen-Zusammenhang stellt eine literaturgeschichtlich außerordentliche Leistung des Verfassers dar.

3.3 Der historische Josaphat Der „garstige Graben der Geschichte", der den Autor von seinem Stoff (Josaphat) trennte, ist mit ca. 600 Jahren von einer nicht unerheblichen Breite und wirft die Frage auf, ob und welches Material Authentizität beanspruchen kann. Für unsere Fragestellung ist darüberhinaus relevant, ob das nichtauthentische Sondergut (bzw. die chronistische Redaktion) willkürliche Schöpfung und anachronistischer Eintrag einer anderen Epoche in die Ver4 4 Zu Aufbau und Funktion des Rahmenschemas vgl. WORTHWEIN, A T D 11 / 2, 4 8 9 - 4 9 5 ; S. TIMM, Die Dynastie O m r i : Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Israels im 9. Jahrhundert vor Christus. F R L A N T 124, Göttingen 1982, 14-40. 45 WILLIAMSON, N C B C , 280. 4 6 S.u. Einzelexegese.

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3.3 Der historische Josaphat

gangenheit darstellt oder einen Anhaltspunkt in der vorhandenen Überlieferung hatte (ggf. mit einem identifizierbaren „historischen Kern"), der in den verschiedenen Traditionsstufen als Interpretation von Geschichte historisierend entfaltet wurde (KAT V).

3.3.1 Palästina im Kräftespiel der Großmächte des 9. Jahrhunderts v.Chr. 1. Das in Personalunion verwaltete Großreich Davids und Salomos verdankte seine Erfolge abgesehen von einer geschickten Innenpolitik und dem zweifachen Sieg über die Philister einer „welthistorisch bemerkenswerten Umbruchsituation im Vorderen Orient um das Jahr 1000 v.Chr." 47 Die Großmächte Ägypten, Assyrien und die (bereits geschwächten) Hethiter waren durch innen- oder außenpolitische Herausforderungen (vgl. Abwehr der Philister und Aramäer) von Palästina abgelenkt gewesen. Das sich aufgrund dieser Schwäche ergebende Machtvakuum hatte David geschickt auszunutzen gewußt48: Edom wurde Provinz mit einem judäischen Statthalter; die Moabiter wurden in die Vasallität gezwungen; die Ammoniter wurden nach zähem Kampf besiegt, ihr Territorium zum Großteil dem neuen Reich einverleibt; die sich formierenden Aramäer unter Führung Hadadesers von Zoba (ca. 990-955) wurden geschlagen, wodurch David den Karawanenweg im Ostjordanland („Königsstraße") kontrollierte49. Die Nachfolger Davids konnten das Erreichte nicht sichern. Die Edomiter begannen unter Hadad III. einen (zunächst wenig erfolgreichen) Guerillakrieg gegen die Besatzer, und Aram (Damaskus) löste sich unter Esrom von israelitischer Oberhoheit 50 . Zur Zeit der Reichsteilung (ca. 931) kam es zu einer neuen Konstellation der politischen Kräfte. Benhadad I. festigte das zur politischen Größe aufgestiegene Aramäerreich (Damaskus), das die Auseinandersetzungen zwischen Israel und Juda für die Festigung der eigenen Macht auzunutzen wußte 51 . In der Spätphase des „Neuen Reiches" (Ägypten) versuchte Scheschonk I. mittels eines Beutezugs durch Palästina an die „traditionelle Asienpolitik" 52 seiner Vorfahren anzuknüpfen, wobei Rehabeam Jerusalem durch hohe Tribute freikaufte. 2. Nördlich des Reiches von Damaskus erstarkte Assyrien53 von neuem unter Assurdan II. (932-910) und Assumassirpal II. (883-859), der Massaker und Deportationen als erfolgreiches Mittel der Unterwerfung widerspensti4 7 HERRMANN, G e s c h i c h t e , 2 0 6 .

48 Vgl. a.a.O., 201-217; GUNNEWEG, Geschichte, 71-90. Die Machtlosigkeit Ägyptens um 1076 v.Chr. illustriert der Reisebericht des Wn'mn, vgl. K. GALLING, 3 TGI, Tübingen 1979, 41-48. 49 Vgl. HERRMANN, Geschichte, 204f; E. LlPINSKI, Art. Aramäer und Israel, T R E 3, 1978, 593f; M. WEIPPERT, Art. Edom und Israel, T R E 9, 1982, 294-296. 5 0 V g l . LlPINSKI, T R E 3, 5 9 4 f ; M . WEIPPERT, T R E 9, 2 9 4 . 5 1 V g l . LlPINSKI, T R E 3, 5 9 5 .

52 H. BRUNNER, Art. Ägypten, 3 RGG 1, 1957, 109; vgl. HERRMANN, Geschichte, 247f. 5 3 V g l . HERRMANN, G e s c h i c h t e , 287ff.

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Chronistischer und historischer Josaphat

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ger Gegner anwandte. Unter Salmanasser III. (859-824) entstand für den Aramäerstaat unter der Führung von Damaskus ein starker Gegner, der die nordsyrischen (Stadt-)Staaten tributpflichtig machte, während das mittlere und südliche Syrien unter Hadadeser, Urhilina (Hamat) und Ah ab (Israel) einen Militärpakt schlössen, der sich in der Schlacht von Q a r q a r (853) bewährte. Man erzwang gegen den Großkönig ein Remis 5 4 , auch wenn dieser sich in der sogenannten „Monolith-Inschrift" 5 5 als Sieger bezeichnete. Aber Salmanassers vierter Feldzug gegen die Koalition (841) leitete die assyrische Hegemonie über Aramäer und Israel unter Jehu ein, der als Tributär und Abkömmling des „Hauses O m r i " (sie!) in einer assyrischen Inschrift erscheint 5 6 . Die aramäischen Thronwirren nach dem gewaltsamen T o d H a d a desers und die Auflösung der Koalition Damaskus-Israel förderten noch die assyrische Position. Doch erst Tiglath-Pileser III. (745-727) machte die Oberhoheit über Aram, Israel und Juda im „syrisch-ephraimitischen K r i e g " (733-732) definitiv 57 . D a s 9. Jahrhundert ist somit von dem noch unentschiedenen Ringen der Großmächte Assyrien und Aram um die Vorherrschaft (u.a.) über Palästina bestimmt.

3.3.2 Israel zur Zeit der Omriden 1. D a s Nordreich erlebte unter dem Regime der gewaltsam an die Macht gekommenen Omridendynastie (ca. 886-842) bis zur Usurpation Jehus eine neue politische, wirtschaftliche und kulturelle Blüte 5 8 . Einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des unruhigen Staatsgebildes stellte die Gründung der neuen Hauptstadt Samaria durch Omri (ca. 886-875) dar, der sich, analog zur „Davidsstadt" Jerusalem, durch diese Maßnahme eine eigene H a u s macht sicherte 5 9 . Er schuf eine Festung, die bis zu ihrer Zerstörung (ca. 722) auch der assyrischen Ubermacht jahrelang zu trotzen vermochte 6 0 . Die innenpolitische Stabilität wurde - vgl. die Religionspolitik Davids in Jerusalem - wohl durch eine Politik der friedlichen Koexistenz von Israeliten und Kanaanäern, von Jahwe und Baal gefördert, eine kultpolitische Verbindung, die für den wohl nicht aus Israel stammenden O m r i 6 1 durchaus kompatibel zu sein schien. Außenpolitisches Ziel der Omriden war die Sicherung des 54 V g l . LIPINSKI, T R E 3, 595. 5 5 V g l . GALLING, T G I , 49f.

56 Vgl. a.a.O., 50f; HERRMANN, Geschichte, 288f; LLPINSKI, TRE 3, 597f. 57 Vgl. HERRMANN, Geschichte, 303-310. 58 Vgl. H. DONNER, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen. A T D / E 4 / 2, G ö t t i n g e n 1986, 260-274; HERRMANN, G e s c h i c h t e , 2 5 7 - 2 7 2 ; eine d a v o n

abweichende Chronologie der Regierungszeiten bietet u.a. GUNNEWEG, Geschichte, 103109. Zur Synopse der verschiedenen Datierungen vgl. WORTHWEIN, ATD 11 / 2, 516. 59 Vgl. HERRMANN, Geschichte, 257f. 60 Vgl. HERRMANN, Geschichte, 311; GUNNEWEG, Geschichte, 105. 61 Mit guten Gründen von GUNNEWEG, Geschichte, 105 erwogen.

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3.3 Der historische Josaphat

Reiches in festen Grenzen durch eine Bündnispolitik, welche die eigene Position im politischen Kräftespiel behauptete62. Durch die Heirat mit Isebel63, der Tochter des sidonischen Königs Etbaal, der vielleicht auch König der Phönizier (nicht aber König von Tyrus) gewesen war 64 , gewann Omris Sohn Ahab (ca. 875-854) 65 einen potenten wirtschaftlichen Bundesgenossen und sicherte gleichzeitig die Nordwestgrenze Israels 66 . Wenngleich, wie S. TIMM wahrscheinlich machte, der Einfluß Isebels auf die Politik Israels (und Ahabs) nicht überschätzt werden darf 67 , so brachte ihre kultische Wirksamkeit in Samaria nicht nur eine Legalisierung fremder Kulte mit sich (vgl. lKön 11,7), vielmehr erwuchs in Baal Israels Gott Jahwe ein gleichwertiger Rivale. Die daraus resultierenden innerisraelitischen Polarisierungen entluden sich schließlich in der Revolution und tiefgreifenden politischen Wende unter Jehu (ca. 842-815). 2. Die diplomatischen Bemühungen der Omriden waren von weiteren außenpolitischen Erfolgen gekrönt: Die Grenzstreitigkeiten mit Juda z.Zt. Baesas wurden durch Verschwägerung der Königshäuser (Heirat von Athalja und Joram) endgültig beigelegt, nachdem Juda sich mit den Aramäern verbündet hatte. Der assyrischen Expansion war durch die Koalition mit den Aramäern Einhalt geboten worden, wobei Ahab durch die Bereitstellung starker Heereskontingente in Qarqar (853) eine Schlüsselrolle spielte68. Der Text der sogenannten Mescha-Stele69 macht deutlich, daß Moab sich bereits vor der Omridenzeit von der israelitischen Oberhoheit (vgl. David) befreien konnte, die erst durch Omri wieder restituiert worden war. „Omri war König über Israel und hatte Moab lange Zeit gedemütigt, denn Kamos (= moabitische Gottheit) war erzürnt über sein Land" 70 . Durch Omri kam es also zur Rückgewinnung beträchtlicher Gebiete des Ostjordanlandes, die unter Jerobeam I. verlorengegangen waren, ferner zu einer Ausdehnung der Herrschaft auf das „Land Ataroth" 71 . Ob Moab bereits unter Ahab oder erst mit dem Ende der Omriden unabhängig wurde und israelitische Städte im Ostjordanland verwüstete, hängt von der Interpretation des Textes der Mescha-Stele (s.u.) ab 72 .

62 Vgl. GÜNNEWEG, Geschichte, 106f; S. TIMM, Die territoriale Ausdehnung des Staates Israel zur Zeit der Omriden, ZDPV 96, 1980, 20-40. 63 Zur Bedeutung Isebels, vgl. TIMM, Dynastie, 288-303. 64 Vgl. a.a.O., 224-231; anders GUNNEWEG, Geschichte, 106. 65 Datierungen hier und weiterhin nach HERRMANN, Geschichte, 252.269.283. 66 Vgl. TIMM, Z D P V 96, 40.

67 Vgl. TIMM, Dynastie, 302f; HERRMANN, Geschichte, 261. 6 8 V g l . G U N N E W E G , G e s c h i c h t e , 1 0 7 ; GALLING, T G I , 4 9 f .

69 Wortlaut nach GALLING, TGI, 51-53. Zur Interpretation der Stele vgl. TIMM, Dynastie, 158-171. 70 Mescha-Stele, zit. nach: GALUNG, TGI, 52. 71 V g l . T I M M , Z D P V 9 6 , 2 4 f .

72 Vgl. HERRMANN, Geschichte, 271; vgl. auch 2Kön 1,1; 3,5.

3

Chronistischer und historischer Josaphat

123

3. Angespannt blieb das Verhältnis zu den Philistern im Westen73. Ekron, das bis zur Exilierung Judas (ca. 587) wahrscheinlich niemals zu Israel gehörte, arrangierte sich mit der assyrischen Militärmacht74. Noch spannungsvoller und ambivalenter gestaltete sich das Verhältnis zu den Aramäem. Israel wurde in den zwischen der Mitte des 9. bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts dauernden Machtkampf zwischen Assyrern und Aramäern involviert75. Benhadad 1. war wechselseitig mit Baesa (ca. 910-887) und Asa von Juda (ca. 912-872) verbündet und fiel in Nordisrael ein. Der Aufstieg Assyriens zwang jedoch Aram und Israel zur Kooperation gegen den „Feind aus dem Norden". Wie die Inschrift Salmanassers76 und die Nachricht vom natürlichen Tod Ahabs (lKön 22,40) wahrscheinlich machen, scheint diese Koalition zumindest bis zum Lebensende Ahabs bestanden zu haben. In einem eigenartigen Kontrast zur dtr Rahmennotiz steht der Text lKön 22,1-38, der von einem gewaltsamen Tod Ahabs in der Schlacht gegen die Aramäer bei Ramoth in Gilead weiß. Auch lKön 20,1-34 berichtet von antiaramäischen Feldzügen Ahabs gegen Benhadad. Da das dtr Rahmenschema in der Regel zuverlässiges Annalenmaterial verwertete77, wird ihren Angaben (zusammen mit der assyrischen Notiz) in der Forschung zumeist die Präferenz gegeben78. Allem Anschein nach zerbrach die Koalition erst z.Zt. Jorams von Israel (ca. 853-842), nachdem der Usurpator Hasael König Hadadeser ermorden ließ 79 . Da die ältesten Schichten von lKön 22,1-38 nur einen anonymen „König von Israel" an der Seite Josaphats erwähnen, stellt die Nennung des Namens Ahabs nach überwiegender Ansicht einen anachronistischen Eintrag dar, der erst im Lauf der Uberlieferung entstand. Die Schlacht bei Ramoth weist vielmehr in die Zeit der Waffenbrüderschaft Jorams mit Abasja von Juda (ca. 843) 80 am Ende der Omridenzeit (vgl. 2Kön 8,25-29). GUNN E W E G verlegt die Aramäerkriege gar erst in die Zeit Jehus und macht theologische Motive der dtr Redaktion für diesen Anachronismus verantwortlich. Gilead sei auch z.Zt. Jehus noch israelitischer Besitz gewesen, wie 2Kön 10,32f vermuten lasse81. „Die Rückdatierung der Syrernot soll die Jehudynastie entlasten und die Omriden desto ärger belasten"82. Mit der Jehu-Dynastie setzte ein Revisionismus konservativer, jahwetreuer Kreise ein, der das Ende der toleranten Religionspolitik der Omriden bedeutete. Zugleich wurde das Bündnis mit Juda beendet, wo Athalja (ca. 73 Vgl. TIMM, Z D P V 96, 27-40. 74 Vgl. a.a.O., 32f. 75 Vgl. LIPINSKI, T R E 3, 595-598; TIMM, ZDPV 96, 20-22; HERRMANN, Geschichte, 296f; 282-300. 76

Vgl. GALLING, T G I , 49f.

77

Vgl. TIMM, D y n a s t i e ,

13-52.

78 Vgl. GUNNEWEG, Geschichte, 107f; HERRMANN, Geschichte, 269f; LIPINSKI, T R E 3, 595f. 79

V g l . LIPINSKI, T R E 3 , 5 9 6 .

80 Vgl. LIPINSKI, ebd.; HERRMANN, Geschichte, 269f; TIMM, ZDPV 96, 21 und Kommentare z.St., vor allem WORTHWEIN, ATD 11 / 2, 261 f. 81 Vgl. GUNNEWEG, Geschichte, 107f. 82 GUNNEWEG, Geschichte, 108.

124

3.3 Der historische Josaphat

842-837), eine Tochter Ahabs, die mit Josaphats Sohn Joram verheiratet gewesen war, grausam regierte83. Das Jahrhundert der Jehu-Dynastie" 84 begann mit einem politischen Niedergang Israels, das zwischen Assyrien und Damaskus fast zerrieben wurde, bis mit der Thronbesteigung Adadneraris III. (ca. 810) die Assyrer das damaszenische Joch über Israel zerbrachen und Joas (ca. 815-799) und Jerobeam II. (ca. 784-753) Israel in einer neuen Blütezeit regierten. Die alten Reichsgrenzen im Ostjordanland wurden wiederhergestellt, wenngleich Israel unter die Botmäßigkeit Assyriens geriet 85 .

3.3.3 Juda unter Josaphat 1. Der Zerfall des Großreiches unter Rehabeam (ca. 932-916) reduzierte Juda zum Kleinstaat mit einer gefährlich exzentrisch gelegenen Hauptstadt an der nördlichen Peripherie des Landes. Dies führte zu latenten und manifesten Spannungen mit Israel um den Grenzverlauf, die erst unter Asa (ca. 914-874) dank aramäischer Hilfe beigelegt wurden, was eine für Juda günstige Lösung brachte 86 . Geba und Mizpa sicherten fortan die Nordgrenze der judäischen Hauptstadt (lKön 15,16-23). Zu den innenpolitisch stabilisierenden Faktoren Judas zählten die Verbindung von Lade, Tempel und Palast in einer Hauptstadt, die persönlicher Besitz der Davididen war; ferner eine durch Salomo ins Leben gerufene Beamtenschaft (vgl. lKön 4,1-5,6), d.h. eine Administration, die dem wirtschaftlich potenteren nördlichen Nachbarn zunächst fehlte. Nicht zuletzt die fast ununterbrochen regierende Davididen-Dynastie garantierte eine Kontinuität, die der älteren „charismatischen" Ordnung des Nordreichs deutlich überlegen war 87 . Über die immerhin etwa 41jährige Regierungszeit Asas in Juda (ca. 914-874) ist dennoch wenig authentisches Material tradiert worden. Die „sekundäre" Geschichtsschreibung von Sam-Kön erwähnt, abgesehen von dem außenpolitischen Erfolg gegen Israel, nur wenige Einzelheiten über die Konsolidierung Judas unter Asa. Der in II 14,8-14 berichtete Feldzug gegen ein kuschitisches Heer stellt, wie die Analyse W E L T E N S zeigte 88 , einen unter theologischen Gesichtspunkten konzipierten Eintrag aus der Zeit des Chronisten dar. Es ist aber denkbar und exegetisch vertretbar, den Friedensschluß mit den Omriden bereits in die Zeit Asas zu verlegen89, ein Friede, der dann auch von Josaphat eingehalten wurde. Offenbar war Juda der schwächere Partner in diesem Bündnis, das auf eine Initiative Omris oder Ahabs zurückgehen dürfte, wenn man nicht sogar von einem „verschleier83 84 85 86 87 88 89

Vgl. HERRMANN, Geschichte, 278f. GUNNEWEG, Geschichte, 109. Vgl. a.a.O., 110; HERRMANN, Geschichte, 282-300; GALLING, T G I , 53f. Vgl. GUNNEWEG, Geschichte, 99f.l03f; DONNER, Geschichte 2, 246-248. Vgl. GUNNEWEG, Geschichte, lOOf; HERRMANN, Geschichte, 240ff. Vgl. WELTEN, Geschichte, 129-140. Vgl. DONNER, Geschichte 2, 249f.

3

Chronisrischer und historischer Josaphat

125

ten Vasallitätsverhältnis Judas gegenüber Israel" 9 0 sprechen muß. Daß es zu einer Verschwägerung der Königshäuser kam, ist der Annalennotiz in 2Kön 8,16.26 zu entnehmen. 2. Authentisches Gut über Josaphat (ca. 871-849) 91 ist aller Wahrscheinlichkeit nach in der dtr Rahmennotiz und ihren Zusätzen in l K ö n 22,41-51 zu vermuten, während der Gileadfeldzug ( l K ö n 22,1-38) aus o.g. Gründen eine „novellistische Geschichtserzählung" 9 2 der dtr Schule darstellen dürfte, die, falls sie historische Reminiszenzen enthält, einer späteren Zeit zuzuordnen ist. Die dtr Grundschrift des Königebuches 9 3 (DtrH) berichtet innerhalb ihres synchronen Schemas, daß Josaphat im vierten Regierungsjahr Ahabs 35-jährig den davidischen Thron bestieg und 25 Jahre regierte. Antrittsalter des Königs und N a m e der Königinmutter (V 42b: „Asuba, die Tochter des Schilchi") - beide Angaben wurden im D t r G nur für die Könige Judas tradiert - erlauben den Rückschluß auf eine offizielle Investitur des Davididen und ein besonderes (kultisches?) Amt der Königsmutter ( m ' J J ) in Juda 9 4 . Die Beurteilung „er wandelte ganz auf den Wegen seines Vaters Asa; nicht wich er davon ab zu tun, was recht ist in den Augen Jahwes" (V 43) ist formelhaftes dtr Prädikat eines „guten" Königs, den es seit der „Sünde Jerobeams" (vgl. l K ö n 13,33f) nur noch in Juda gibt. Dtr wird mit dieser stereotypen Wendung an das Bemühen eines Königs um Einheit und Reinheit des Kultes gedacht haben, wobei diese Beurteilung vielleicht nur dem König persönlich gilt, während das Volk noch weiterhin auf den Höhen opferte (V 44) 9 5 . Vor der Schlußnotiz des Rahmenschemas begegnet der Hinweis, Josaphat habe „Frieden gemacht / Frieden gehalten mit dem K ö nig von Israel" (V 45), was keineswegs negativ angemerkt wird (anders 2 K ö n 8,27 und Chronikbücher). Es folgt die Abschlußformel mit dem bekannten Quellenverweis auf weitere Nachrichten über den König (V 46), wobei seine „Tüchtigkeit" ( i m u i l ) besonders hervorgehoben wird. Die N o t i z schließt mit Begräbnisformel und Erwähnung des Nachfolgers (V 51). 3. Die stereotype Abschlußformel ist durch weitere Nachrichten (V 47-50) eigenartig unterbrochen, die einen literarkritischen Bruch anzeigen und sicherlich sekundär sind, ohne daß deren Authentizität generell bestritten 90 Vgl. a.a.O., 250. 9 1 Vgl. W E L T E N , T R E WORTHWEIN, A T D

17,

242f;

11 / 2,

ACKROYD,

Jehoshaphat, 452f. Zur Chronologie vgl. auch

516.

92 Vgl. DONNER, Geschichte 2, 250. 9 3 Vgl. W O R T H W E I N , A T D 1 1 / 2 , der die Grundschrift von späteren Zusätzen trennt ( 2 6 3 2 6 5 ) und im Anhang geschlossen abdruckt ( 5 0 5 F F ) . 94 Vgl. a.a.O., 4 9 l f ; TIMM, Dynastie, 18-20; „Mit der Auslassung einer A n g a b e über den offiziellen Regierungsantritt für die israelitischen Könige wurde ihrem K ö n i g t u m die Legitimation entzogen und gleichzeitig mit der Unterdrückung einer A n g a b e über die K ö nigsmutter die Diskontinuität des nordisraelitischen Königtums betont" (TIMM, a.a.O., 20). 95

Vgl. WORTHWEIN, A T D

11 / 2, 4 9 2 .

126

3.3 D e r historische Josaphat

werden muß 96 . Die Beseitigung der Geweihten aus dem Land 97 (V 47: Singular mit Pluralbedeutung) erweist sich durch die Parallelen lKön 14,24; 15,12 (hier: Plural) als redaktioneller Einschub, m^W. als Inteipretament, das wenig konkrete Züge in Sam-Kön aufweist und unverständlich bleibt (vgl. Auslassung in der Chronik, s.o.). Sie ist „eine Interpretation im Duktus der deuteronomistischen Beurteilung in I Reg 22,43f, für das 9. Jh. v.Chr. also nicht auswertbar"98. Demgegenüber scheint V 48f alte Nachrichten zu enthalten99. Da aufgrund der judäischen Oberhoheit (noch) kein König in Edom regierte100, ist Josaphat in der Lage, ähnlich wie Salomo (9,26-28) hochseetüchtige Großsegler, sogenannte „Tarschisch-Schiffe", in Ezjon Geber zu bauen. Dieser Ort bezeichnet wohl eine Insel auf edomitischem Gebiet (9,26) an der Nordspitze des Golfes von Aqaba und bot durch die Anlage eines Hafens mit Werft günstige Vorraussetzungen für die Handelsschiffahrt101, deren Ziel das sagenhafte, wohl in Südarabien oder Somaliland zu lokalisierende Goldland „Ophir" gewesen war 102 . Aufgrund einer Havarie der Schiffe (schon im Hafen?) scheiterte das Unternehmen frühzeitig103. Ein Problem stellt die Verknüpfung von V 49 mit V 50 dar. Ist das Angebot Ahasjas zum „joint venture" in der Handelsschiffahrt ursprünglich als Prolog bzw. Voraussetzung des gescheiterten Unternehmens verstanden worden? Oder stellte es den Versuch der Repristinierung eines lukrativen Projektes dar, das für einen Kleinstaatenkönig allein etwas überdimensioniert erschien, weshalb Ahasja - sicher nicht uneigennützig - zu Hilfe kam? Immerhin unterhielt Ahab gute Beziehungen zu den schiffahrtskundigen Phönikern 104 . Für beide Annahmen lassen sich gute Gründe anführen. Für das Verständnis des Angebotes Ahasjas als Reaktion auf die Havarie spricht recht eindeutig die Versanordnung (V 49f). Der Leser muß doch 105 den Eindruck gewinnen, als dränge Ahasja aufgrund des Bündnisses mit Josaphat diesen zu einem neuerlichen kooperativen Versuch der Verwirklichung. Für die Annahme, V 50 sei ein literarkritisch (noch) späterer Einschub, gibt es keine

96 97 98 99 100

Vgl. a . a . O . , 264f; WELTEN, T R E 17, 242. Z u m P r o b l e m s.o. A n m . 24 und 25. WELTEN, T R E 17, 242. Vgl. WORTHWEIN, A T D 11 / 2 , 264. Damit k o n z e d i e r t e der U r h e b e r dieser Nachricht, daß es zu seiner Zeit wieder einen edomitischen K ö n i g gab. 101 Vgl. WORTHWEIN, A T D 11 / 1, 116f. Zu den Tarschisch-Schiffen vgl. auch: GALLING, D e r Weg der PhÖniker nach Tarsis in literarischer und archäologischer Sicht, Z D P V 88, 1972, 1-18.140-181. 102 Vgl. WORTHWEIN, A T D 11 / 1, 118. 103 M e h r e r e G r ü n d e sind erwogen worden: Scheiterte der Versuch, Salomos „abgetakelte" Hochseeschiffe zu reaktivieren (vgl. DONNER, G e s c h i c h t e 2, 250), oder waren die seeuntüchtigen „ L a n d r a t t e n " aus Juda ohne tyrische H i l f e nicht in der Lage, die Schiffe zu steuern und kenterten bei einem Versuch (vgl. WORTH WEIN, A T D 11 / 2 , 2 6 4 ) ? 104 Vgl. WORTHWEIN, A T D 11 / 2 , 265; GALLING, Z D P V 8 8 . 105 Gegen WELTEN, T R E 17, 242.

3

Chronistischer und historischer Josaphat

127

Indizien. U.E. sollte erwogen werden, ob es sich an dieser Stelle nicht um eine theologisch reflektierte redaktionelle Vertauschung von V 49f handelt. Eine denkbare, ursprüngliche Vorordnung von V 50 vor V 49 hätte im Rahmen des Tun-Ergenen-Zusammenhanges den „falschen" Eindruck erweckt, als beruhe das Scheitern als göttliche Sanktion auf der mangelnden Kooperationsbereitschaft Judas, wenn nicht gar Subordination unter Israel! Eine solche Assoziation hätte das Anliegen der dtr Schule konterkariert 106 . Dem kann entgengehalten werden, daß die redaktionelle Verbindung der Verse durch eine temporale Konjunktion (V 50a) in diesem Fall recht unbestimmt erscheint: „Damals" (TK ) kann sowohl den Zeitpunkt, als auch den Zeitraum bezeichnen. Hätte ein Redaktor das Angebot Ahasjas bewußt nachordnen wollen, so hätten sich andere, eindeutige Konjunktionen angeboten (z.B. p ^ n N l II 20,35). In diesem Fall wäre zu überlegen, ob die Indifferenz der Aussage vom (in diesem Fall redaktionell tätigen) Autor nicht beabsichtigt war, z.B. aufgrund eigener Unkenntnis der Ereignisfolge. 4. Das in lKön 22,48-50 berichtete SchifFahrtsunternehmen setzt jedenfalls die judäische Herrschaft über Edom voraus, über dessen politische Verfassung (Monarchie?) und Geschichte vor dem 8. Jahrhundert keine außerbiblischen Quellen existieren 107 . Während an der Westgrenze im 9. Jahrhundert Ruhe zwischen Philistern und Judäern herrschte (ganz anders Israel) 1 0 8 , war das Ostjordanland ein latenter Krisenherd. Die durch David erfolgte Einverleibung Edoms in das Großreich (2Sam 8,13f) war bereits durch den Kleinkrieg des nach Ägypten entkommenen Prinzen Hadad in salomonischer Zeit umstritten - wenngleich nicht unmittelbar gefährdet wie 2Kön 9,26-28 nahelegt 109 . O b Edom unter Josaphat für Juda zurückerobert wurde 1 1 0 oder seit der Unterwerfung Davids unter judäischer Botmäßigkeit gestanden hatte, bis es unter Joram unabhängig wurde 1 1 1 , läßt sich historisch nicht mehr einwandfrei ermitteln. Es bleibt noch die Frage nach der Faktizität und historischen Einordnung des Feldzugberichtes in 2Kön 3,4-22 gegen die Moabiter unter Berücksichtigung des Textes der Mescha-Steleu2. Der Bibeltext wirft theologische und literarkritische Fragen auf 113 . Ein forschungsgeschichtlicher Konsens besteht bisher nur darin, die Involvierung Josaphats in diesen Koalitionsfeldzug Israels (Joram), Judas und des „Königs von Edom" (den es nach lKön 22,48 noch gar nicht gab!) gegen das aufsässige Moab für unhistorisch zu halten. 106 107 108 109 110

Vgl. TIMM, Dynastie, 18-20; vgl. auch 2Kön 8,27. Vgl. M. WEIPPERT, T R E 9, 294f. Vgl. TIMM, Z D P V 96, 27. Vgl. M. WEIPPERT, T R E 9, 294. So vermutet GUNNEWEG, Geschichte, 104, im Rekurs auf die Unruhen im Ostjordanland nach der Reichsteilung. 111 Vgl. M. WEIPPERT, T R E 9, 294. 112 Vgl. TIMM, Dynastie, 171-180; NoTH, Studien I, 83 (Anm. 7); HERRMANN, Geschichte, 270-272. 113 Vgl. WORTHWEIN, ATD 11 / 2 , 281-285; anders TIMM, Dynastie, 177f.

128

3.3 D e r historische Josaphat

Der Zeitpunkt des Abfalls Moabs von israelitischer Hegemonie ist nicht leicht auszumachen. Die sorgfältige Exegese der Mescha-Stele durch T I M M im Vergleich mit 2Kön 1,1 und 3,5 läßt kein definitives Datum für den erfolgreichen Aufstand der Moabiter im Ostjordanland gegen die verhaßten Omriden zu 114 . Die in der Stele erwähnte 40jährige Okkupation moabitischen Territoriums durch Omri und seinen Sohn (oder Söhne?) läßt im Rahmen der alttestamendichen Chronologie einen Aufstand frühestens um 846 v.Chr. zu, also in einer Zeit, in der Josaphat wohl nicht mehr lebte 115 . Die von N O T H analog zu lKön 22,1-38 vorgeschlagene Lösung, die Namen Joram und Josaphat in 2Kön 3,4-22 ebenfalls für sekundäre Zusätze einer ursprünglich anonymen Erzählung zu halten 116 , ist aufgrund der häufigen Bezeichnungen „König von Israel" und „König von Juda" recht plausibel (der „König von Edom" bleibt in der ganzen Erzählung anonym!). Auch M. W E I P P E R T , der diese Annahme für überlieferungsgeschichtlich unhaltbar erklärt, ist gezwungen, einige anachronistische Eintragungen zu konzedieren117. Wenn mit T I M M und H E R R M A N N der Krieg Meschas gegen Israel nicht als einmaliger Feldzug, sondern als kontinuierlicher Prozeß einer längeren Aufstandsbewegung mit sukzessiver Eroberung der genannten Städte verstanden wird, entschärfen sich viele Spannungen der Bibeltexte 118 . Die historische Einordnung dieses - in bonam partem interpretierten realen Feldzuges kann aber keineswegs in der Zeit Josaphats vorgenommen werden. Dagegen spricht nicht nur die Existenz eines Königs von Edom (2Kön 3,9.12.26; er spielt allerdings in der Erzählung keine große Rolle) 119 , sondern auch die Mescha-Stele: Der moabitische König hätte gewiß nicht versäumt, die Rettung seiner Hauptstadt Kir-Hareset (2Kön 3,25-27) als weiteren Sieg seines Gottes Kamosch zu erwähnen. Falls der ganze Abschnitt eine Art „Ursprungserzählung" des Abfallens der Moabiter von Israel 120 darstellen will, müssen die Ereignisse, falls sie je stattgefunden haben (was nach T I M M durchaus vorstellbar ist), auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden, vielleicht in die Zeit des Königs Joas von Israel (ca. 836-797) um die Jahrhundertwende121. Als historisch zuverlässiges Material über Josaphat ist man daher weitgehend auf lKön 22,41-51 verwiesen. Die Nachricht von den in 2Kön 12,19 erwähnten „Weihegaben", die u.a. Josaphat im Tempel deponiert haben soll, ist nach W Ü R T H W E I N ebenfalls sekundär und beruht auf redaktionellen Überlegungen122. Dennoch ist auch diese Notiz nicht ohne Wirkungsgeschichte geblieben (vgl. II 17,5.11).

114 Vgl. TIMM, Dynastie, 158-171. 1 1 5 V g l . d i e T a b e l l e n bei WORTHWEIN, A T D 11 / 2, 5 1 6 .

116 117 118 119

Vgl. NOTH, Studien I, 83 (Anm. 7); WORTHWEIN, A T D 11 / 2, 281. Vgl. TIMM, Dynastie, 172f. Vgl. a.a.O., 172f; HERRMANN, Geschichte, 270-272. N a c h V 13 wird er nur noch in V 2 6 erwähnt.

1 2 0 V g l . W O R T H W E I N , A T D 11 / 2 , 2 8 4 f . 121

V g l . TIMM, D y n a s t i e ,

175-180.

122 Vgl. WORTHWEIN, A T D 11 / 2, 358f: „Ein aufmerksamer Ergänzer erinnerte sich, daß in

3

Chronistischer und historischer Josaphat

129

3.4 II 17-21,1: Geschichtliche Kontinuität und historische Diskontinuität

1. Ist die Verwendung alter Quellen aus der Königezeit 123 durch den Chronisten heute literarisch und archäologisch fragwürdig geworden 124 , so ist für das Sondergut nach dem Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität bezüglich der Quellen (DtrG) zu fragen, die den Verfasser zur Rezeption der „Zutaten" 1 2 5 ermächtigten. Einzelne literarische und ideologische Abhängigkeitsverhältnisse kann erst die Einzelexegese aufzuzeigen versuchen, einige Überlegungen zum Textkomplex II 17,1-21,1 in seinem Verhältnis zum historischen und dtr Josaphat seien aber als vorläufiges Ergebnis unserer Untersuschung vorangestellt. Der Hinweis der Vorlage, daß Josaphat „ganz auf dem Weg Asas, seines Vaters, wandelte und nicht davon abwich" (lKön 22,43) erlaubten dem Verfasser die Übertragung aller positiven Topoi - vielleicht sollte man noch stärker qualifizierend von „Typoi" sprechen - Asas auf seinen Nachfolger (s.o.). Der Topos „Huldigung und Tribut" (17,5.10-12) kann ebenfalls als „Auslegung" von 2Kön 12,19 verstanden werden. Wie eine historische Tatsache geschichtlich entfaltet wird zeigt lKön 22,1-38: Der Friede mit Israel und die Verschwägerung mit Ahab wurde bereits in der Vorlage als Waffenbrüderschaft im Ramoth-Feldzug interpretiert. Da der Chronist den Text in seiner dtr Interpretation bereits vorfand, konnte er leicht übernommen werden, zumal er der theologischen Position des Autors sehr entgegenkam. Wesentlich komplizierter gestaltet sich das Verhältnis von II 20,1-30 zu 2Kön 3,4-27. Die Unterschiede sind so beträchtlich, daß hier ein Abhängigkeitsverhältnis grundsätzlich in Frage gestellt werden muß, will man die Gemeinsamkeit nicht überhaupt auf die Feststellung RUDOLPHS reduzieren, „außer der Tatsache, daß sich Josaphat und Moab feindlich gegenüberstehen, haben 2 Chr 20 und 2Rg 3 nichts Gemeinsames" 126 . Wie WlLLIAMSON aufzeigt 127 , sind mit dieser (wohl eher polemischen Notiz) die Gemeinsamkeiten keineswegs hinreichend erfaßt. Das Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität ist jedenfalls ohne Einzelexegese nicht in gleicher Weise evident zu machen, wie die Abhängigkeit des Abschnitts II 20,31-21,1 von der Vorlage ( l K ö n 22,41-51). Bemerkenswert ist allerdings die Umkehrung der Behauptung von lKön zu der Aussage, Josaphat habe sich auf das Angebot Ahasjas eingelassen und gar einen Bund mit ihm geschlossen, der auf prophetische Kritik stieß. Das Scheitern des Unternehmens in Ezjon Geber er-

123 124 125 126 127

l . K ö n . 15,18 Asa den Tempel- und Palastschatz dazu verwendet hatte, Aram zum Eingreifen gegen Israel zu gewinnen; seitdem, rechnete er sich aus, haben Asas Nachfolger [ . . . ] selber wieder Weihegaben im Tempel gesammelt, die jetzt abermals an die Aramäer fielen." So noch NOTH, Studien I, 139-143, zumindest im Blick auf einige Angaben über „Wehrbauten" und „Kriege" in den Chronikbüchern. Vgl. WELTEN, Geschichte. NOTH, Studien I, 169. RUDOLPH, H A T 21, 259. Vgl. WlLLIAMSON, N C B C , 279.

130

3.4 II 17-21,1: Geschichtliche Kontinuität und historische Diskontinuität

hält so im Tun-Ergehen-Zusammenhang eine neue, einsichtige Deutung, die das Adiaphoron der Vorlage theologisch qualifiziert. 2. Erweist sich das Sondergut als chronistische Kreation, so ist noch nicht über eine zumindest potentielle Historizität entschieden, d.h. es muß gefragt werden, ob der Autor abgesehen von einem Gegenwartsbezug in diesen Partien ( W E L T E N ) ein mit der Zeitgeschichte korrelierendes Interesse an der Vergangenheit, ein im weitesten Sinne „historisches Interesse" zeigt, das die Interpretation an die Vergangenheit anbindet oder aus ihr exegesiert. Josaphats Position relativer Stärke gegenüber Israel (II 17,lf) hat im Anschluß an Asas Befestigung der Nordgrenze (s.o.) die historische Wahrscheinlichkeit für sich 128 , darf aber nicht im Gefolge des Chronisten überinterpretiert werden: Juda blieb ein weltpolitisch unbedeutender Kleinstaat im wirtschaftlichen, geographischen und strategischen Windschatten seiner Nachbarn 129 . Judäische Könige fehlen in zeitgenössischen außerbiblischen Quellen, über Asas lange Regierungszeit ist fast nichts überliefert. Die in 17,11 angesprochene Vasallität der Philister stellt historisch ebenfalls eine Übertreibung dar, beruht aber sicherlich auf den auch historisch verifizierbaren unproblematischen Beziehungen beider Länder im 9. Jahrhundert 130 . Auffallig ist die geübte Zurückhaltung hinsichtlich der Erwähnung weiterer potenter „Vasallen", abgesehen von den politisch wenig relevanten „Arabern" 131 . Wäre der Verfasser nicht Ausleger, sondern freier Schöpfer seines Stoffes gewesen, so hätte sich an dieser Stelle - ad maiorem gloriam dei (und Josaphats!) - eine hyperbolische Aufzählung von Untertanen im Stil einer „Volkerwallfahrt" zum Davidsthron angeboten (vgl. lKön 10, Jes 2). Dieser Versuchung widersteht aber der biblische Realismus des Verfassers, der in seiner Vorlage keine Feindschaft zwischen Philistern und Juda zur Zeit Josaphats konstatiert und diese Tatsache im Sinne gutnachbarlicher Beziehungen auslegt. Die in II 19,1 ff einsetzenden Sonderstücke von Josaphats Reue zeigen bei näherer Betrachtung ebenfalls Anknüpfungspunkte an die Tradition. So greift das Urteil des Sehers Hanani in II 19,3 vielleicht auf lKön 22,43 zurück, eine Notiz, die auch I 17,1fflegitimierte. Die positive Beurteilung Josaphats im DtrG mußte für den Chronisten eine Buße und neuerliche Hinwendung des Königs zu Jahwe implizieren, was der Autor als Exeget lediglich explizit zu machcn versuchte. Umstritten in seiner Historizität und literarischen Abhängigkeit ist auch der Abschnitt über einen (angeblichen) Feldzug Josaphats gegen die vereinten ostjordanischen Heere in II 20,1-30. Ob das von N O T H hervorge1 2 8 V g l . WELTEN, T R E 1 7 , 2 4 2 ; DONNER, G e s c h i c h t e 2, 2 4 7 - 2 5 0 .

129 Vgl. HERRMANN, Geschichte, (15-31)23ff.29f. Das zwischen der „Via maris" und der „Königsstraße" gelegene Juda nötigte, anders als das Nordreich, keine Heere zum Durchzug. Ein schlagendes Beispiel liefert die Selbstüberschätzung Josias in der Begegnung mit Pharao Necho, wie sie noch aus der chronistischen Interpretation herauszulesen ist (vgl. II 35,20ff). Juda blieb, politisch betrachtet, quantité négligeable. 1 3 0 V g l . TIMM, Z D P V 9 6 , 27. 1 3 1 V g l . RUDOLPH, H A T 21, 2 4 3 . 2 5 1 .

3

Chronistischer und historischer Josaphat

131

hobene Lokalkolorit 132 des Textes eine - historisch freilich anders zu verortende - authentische Begebenheit erzählte, ist ebenso strittig, wie die Frage nach einer literarischen und ideologischen Beziehung zu 2Kön 3. Diese Probleme sind allein von der Komposition her nicht hinreichend zu lösen. Soviel kann aber gesagt werden, daß die Einordnung von 2Kön 3 in die Zeit Josaphats durch die Vorlage u.E. bereits auf einem Interpretationsakt der Erzählung von lKön 22,1-51 durch Dtr beruht haben wird. 1 Kön 22,4ff zeigt einige Dubletten in 2Kön 3 (V 7b.11), Micha Ben-Jimla ist durch Elisa ersetzt. Ursprung beider Erzählungen scheint u.E. eine Parabel von einem gemeinsamen Feldzug eines (wie in Parabeln üblich) anonymen Nordreichund Südreichkönigs gewesen zu sein, dem eine prophetische Warnung vorausgegangen war. Diese Parabel erhielt durch die mündliche ( M O W I N C K E L ) und später schriftliche Uberlieferung ihre vorliegende Gestalt, wobei sie bis zu ihrer literarischen Fixierung in l-2Kön zugleich immer mehr „historisiert" wurde (vgl. W I L L I S Beobachtungen bez. der Chronik in KAT V-VI\). Die Einordnung in die Zeit Josaphats bot sich an, da man von den Beziehungen dieses Königs zum Norden (Verschwägerung mit Ahab, Frieden mit Israel, Versuch eines „joint venture") aus der Tradition wußte. Die wichtigste Differenz zwischen lKön 22 und 2Kön 3 ist der unterschiedliche Ausgang der Geschichte in Niederlage und Sieg. Obwohl er nach der Vorlage zwei verschiedene Feldzüge unter Beteiligung Josaphats annehmen mußte, ist dem chronistischen Ausleger die Parallelität der Ereignisse sicher nicht entgangen. Es ist gut vorstellbar, daß er die unterschwellige Zusammengehörigkeit beider Erzählungen durch seine Einordnung der überarbeiteten Geschichte hinter den Ramoth-Feldzug zum Ausdruck brachte, um beide Geschichten als Kontrastparallelen paränetisch zu nutzen. Denn Parallelitäten innerhalb einer kanonischen Schrift konnten nach seinem Selbstverständnis nicht kontingent, sondern mußten beabsichtigt („inspiriert") sein (KAT VIII-IX). Damit ist allerdings die Frage nach der Ursache für die Neugestaltung des ÜberlieferungsstofFes noch keineswegs beantwortet. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß die Akzentuierung der kriegerischen Aktivitäten im Rahmen der Gesamtkomposition des JosaphatStoffes auffällt, zumal sich diese Aktivitäten als Anachronismen, wenn nicht gar als freie Parabeln herausgestellt haben. Verfolgt man den Weg der einzelnen Traditionsstufen zurück, dann ist folgende Erklärung denkbar: Sollte die dtr Rahmennotiz auf DtrH als der „Grundschrift" ( W Ü R T H W E I N ) der Königebücher zurückgehen, so konnten alle späteren Ausleger (auch DtrN) auf die Notiz in lKön 22,46 (nach M) rekurrieren: „Und das Übrige der Taten Josaphats und seine Tüchtigkeit (Tapferkeit), mit der er handelte und kämpfte 133 sind diese Dinge nicht aufgeschrieben im Annalen-Buch der Könige Judas?" Ein inner-dtr Interpretationsprozeß entfaltete diese Aussage in Verbindung mit anderen alten Reminiszenzen an Josaphat (Verbindung 132 Vgl. N o T H , Eine palästinische Lokalüberlieferung in 2.Chr.20, Z D P V 67, 1945, 45-71. 133 Das zweite Prädikat „und kämpfte" fehlt in L X X .

132

3.5 Zusammenfassung

zu Ahab) durch die Verbindung mit den ebenfalls vorliegenden (anonymen) gemeinsamen Kriegszügen im Ostjordanland. Der Traditionsprozeß war mit der literarischen „Sicherstellung" allerdings noch nicht beendet, wie die Neubearbeitung von 2Kön 3 in II 20 zeigt.

3.5 Zusammenfassung Komposition und Einbettung in den Kontext sind dem Autor der Chronik in hervorragender Weise gelungen. Theologisch und literarisch disparates Material über Josaphat wurde zu einem kohärenten Textganzen verbunden. Theologische Motive (z.B. Beziehungen zum Nordreich, Vasallität des Ostens), Leitworte und Topoi / Typoi stellen ein dichtes Koordinatensystem von Bezügen her und erhöhen die Homogenität der Chronik gegenüber dem DtrG. Die These, den Chronisten als „Ausleger" seiner Vorlage anzusehen ( W I L L I ) , hat sich von der Komposition des Stoffes her bestätigt. Auch das Sondergut ist nicht Produkt freier Willkür, sondern beruht auf der Exegese der Vorlage unter Beachtung hermeneutischer Regeln (KATI-IX), vor allem der Explikation impliziter Gedanken, wie wir aufgrund unserer Überlegungen vermuten. Stoffülle, Stoffanordnung und Einbettung in den Kontext offenbarten einen für die chronistische Geschichtsschreibung herausragenden König, der trotz des „unendlichen qualitativen Unterschieds" zu David und Salomo durchaus in einem Atemzug mit Hiskia und Josia genannt zu werden verdient, wobei er auch seinen (bereits positiv beurteilten) Vater Asa überragt. Mit dem Aufzeigen der Interpretationsstrukturen und den konkreten Einzelergebnissen sind wir bereits tief in die Josaphatrezeption des Chronisten und seiner Theologie vorgedrungen, wobei festzustellen war, daß sich die Tradition des Stoffes der Geschichte Israels als Interpretationsakt vollzog, d.h. in Anlehnung an ein Verfahren, dessen sich bereits die dtr Schule (und sicherlich nicht nur sie!) bedient hatte. Drei theologische Gesichtspunkte sollen als vorläufiges Ergebnis festgehalten werden: 1. Die positiv beurteilten, nachsalomonischen „Epigonen" 134 auf dem Davidsthron sind in der gegenüber dem DtrG differenzierteren chronistischen Darstellungsweise als iusti et peccatores anzusprechen, wobei das lutherische simul nicht als Gleichzeitigkeit - ein solcher Gedanke würde dem Chronisten zuwiderlaufen - sondern als Sukzessivität zu verstehen ist. 2. Der Chronist schildert die Geschichte Judas, anders als die dtr Hauptströmung, nicht ausschließlich als Verfallsgeschichte: Es mußte nicht zum Exil kommen, das Königtum entspringt nicht dem hybriden Wunsch eines apostatischen Volkes (vgl. lSam 8,7f). Die Topoi verdeutlichen, welcher Segen durch einen gehorsamen König über Volk und Land kommen kann. 134 Der despektierlich anmutende Begriff „Epigone" wurde gewählt, um den Abstand zum Ahnherrn David (und Salomo) festzuhalten.

3

Chronistischer und historischer Josaphat

133

Daß sich der Chronist in seiner Beurteilung der Geschichte gerade auf das DtrG stützt, indem es dessen implizite Urteile explizit macht, zeigt die Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität im Vollzug der Auslegung der Vorlage135. 3. Der Verfasser der Chronik ist als Autor (WELTEN) treffend beschrieben. Dies wird durch die kunstvolle Komposition in Verbindung mit den literarischen Fähigkeiten des Verfassers (Sondergut) bestätigt. Die Chronik als Kunstprodukt stellt eine außerordentliche schriftstellerische und literaturgeschichtliche Leistung an der Schwelle einer neuen Epoche der Geschichtsschreibung dar, die sich hierin ganz traditionell - zwischen den Polen von Kontinuität und Diskontinuität hinsichtlich des Tradierten bewegt. An der Chronik erreicht damit die auf mündlichen Überlieferungsprozessen aufbauende gattungsgeschichtliche Fragestellung ihre Grenze. Sie wird als Literaturgeschichte136 von (jetzt schriftlicher!) Uberlieferungsgeschichte und Traditionsgeschichte sachgemäß weiterzuführen sein, und löst die klassische Formgeschichte ab. Die tertiäre Geschichtsschreibung offenbart ein neues Denken, das sich nicht nur geschichtstheologisch (WILLI, WELTEN), sondern auch anthropologisch (WEINBERG) artikuliert, wobei die zeitliche Koinzidenz von literarisch konzipiertem Geschichtswerk und einsetzendem Erfassen der Welt im Subjekt-Objekt Schema schwerlich zufällig sein dürfte.

135 Man wäre versucht, HEGELS geschichtsphilosophische Dialektik zur Anwendung zu bringen, die allerdings eher dem griechischen als dem hebräischen „Geist" Rechnung trägt. Nur im metaphorischen Sinn könnte von einer „Aufhebung" des Alten im Neuen gesprochen werden. 136 Vgl. WILLI, Auslegung, 187-189.

4

II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

4.1 Textanalyse 4.1.1 Der Textbestand 1. BHK / BHS präsentieren einen relativ einheitlich überlieferten Text, der in den Versionen (LXX 1 ) einige Varianten aufweist, die meist leicht erklärbar oder theologisch irrelevant sind2. An zwei Stellen ist jedoch u.E. M nach L X X zu ändern. In V 3 ist M nach LXX zu korrigieren (lectio brevior). Der Name „David" stellt wohl eine Angleichung an den Wortlaut von 9,31; 21,12; 29,2; 34,2 dar. Eher wird der Chronist an Asa gedacht haben, wie das den „Wegen seines Vaters" hinzugefügte Attribut •''JUtfinn in deutlicher Anlehnung an 16,11 belegt. Allerdings werden auch die Taten Davids in „frühere" und „spätere" differenziert (I 29,29), wenngleich sie nicht mit dem theologisch gewichtigen Begriff „Wege" bezeichnet (s.u. Erklärung z. St.) und auch nicht qualitativ unterschieden werden. Die biographisch deutliche Zweiteilung des Lebens Asas (II 14f; 16) könnte andeuten, was der Chronist mit den früheren Wegen meinte: die gottgefällige Lebensphase des Vaters Josaphats, auch wenn der Begriff „Vater" in der Chronik leicht Assoziationen an David, den vorbildlichen „Vater aller Davididen" weckte (s.u. die Erklärungen zu 20,31-34). 2. Die in V 4-6 von M abweichenden Lesarten in L X X bewirken keine Sinnveränderung, sondern haben explikativen Charakter. Der (in M fehlende) Gottesname vor „der Gott seines Vaters" in V 4 könnte aber ursprünglich sein (LXX). Der Vätergott kommt in der Chronik meist im Zusammenhang mit dem Jahwenamen vor (vgl. II 11,16; 13,12; 14,3; 36,15 u.ö.). Die Interpretation von 1YHXÖ31 als „Gebote seines Vaters" (LXX) in V 4a beruht auf einer Fehldeutung des Suffixes, das sich auf das erste Glied des status constructus („Gott") bezieht. Bei allen weiteren Varianten handelt es sich um Schreibfehler der Kopisten und Übersetzer3, die sich vermehrt innerhalb der mit Transskriptionsproblemen belasteten Namenslisten (V 7f.l6, BHK) finden. 3. Fraglich ist, ob in V 7 mit M 'vrr'p'? oder mit LXX K a i T o u g vioix; tcov Swaxcov (= ) zu lesen ist, d.h. ob es sich hierbei um den ersten Eigennamen oder um die Bezeichnung einer bestimmten Personengruppe handelt. Wie RUDOLPH4 zeigt und auch der Singular VRI (LXX: Plural!) wahr1 Vgl. RAHLFS, L X X I, 835. 2 Vgl. die Erklärungen bei RUDOLPH, H A T 21, 250. 3 D i e Auslassung der Partikel TB» (= „noch, f e r n e r " ) in L X X A B ist wohl ein Versehen oder w u r d e aufgrund des überladenen hebräischen Textes nicht mehr als Steigerungspartikel verstanden.

4.1 Textanalyse

135

scheinlich macht, ist die Lesart M durchaus in sich verstehbar und muß nicht geändert werden. Die chiastisch angeordnete Namenswiederholung in V 8a rrilTN 31B1 irraiöl lnTTXl erklärt sich am besten als versehentliche Dittographie und ist nach L X X zu ändern. Sonderbar wirkt die zweifache Erwähnung der „Leviten" vor und nach der Namensliste, die V 8a gleichsam rahmen. Dieser sehr gut bezeugte, alte Text ist aus inhaltlichen Gründen in Zweifel zu ziehen. Einerseits wird dadurch der syntaktische Parallelismus der Aufzählung von Leviten und Priestern gestört, zum anderen wäre eine doppelte „Amtsbezeichnung" unsinnig und stünde im Widerspruch zu KAT IV. U.E. ist das erste D^il zu streichen 5 , da die Amtsbezeichnung (Leviten, Priester) syntaktisch gesehen nachgestellte Appositionen darstellen. Die in B H K angeführten Namensvarianten ( L X X ) innerhalb der Listen in V 7f.l6 ergeben sich durch die griechische Transkription hebräischer Eigennamen und, innerhalb der M-Hss Varianten, durch Buchstabenvertauschung und sind sicher sekundär hinzugefügt worden. 4. Die polysyndetische Aufzählung der Philisterabgaben an Josaphat in V 11 ( L X X ) ist nach M zu korrigieren. Die Abgabe (nrilö) wird durch ein Sibergeschenk (XfPÖ f|031) ergänzt, während die Dreiteilung „Tribut und Silber und Abgabe" in L X X eine unnötige Wiederholung darstellt 6 . Die Schreibweise D'KtTlSJTl ist ein Schreibfehler, der die vorher geschriebene Pluralform des Verbs D'K'Oft kopiert und zusammen mit zwei M-Hss als D^ÜIHTI zu lesen ist 7 . Die kleinen grammatischen Änderungen in V 13.16 der in B H K / BHS aufgeführten M-Varianten bestehen zurecht, M L (Cod. Leningr.) ist entsprechend zu korrigieren. Anders die M-Variante in V 19 (nur BHS), die sich als Homoioteleuton verrät.

4.1.2 Literarische Analyse 1. Literarkritische Operationen an II 17 haben in der Forschung seit den Postulaten EICHHORNS eine lange Tradition, wenngleich mit WELLHAUSEN und TORREY prominente Kritiker aller spekulativen Quellentheorien bereits früh Einspruch erhoben hatten 8 . Unter den Befürwortern von Benutzungshypothesen ist die Uneinheitlichkeit hinsichtlich der Identifizierung literarkritischer Bruchstellen in II 17,1 ff besonders auffällig. Diese Tatsache mahnt zu besonderer Vorsicht, zumal die literarische „Uneinheitlichkeit" des Textes oft einseitig aus inhaltlichen, nicht aber formalen Beobachtun4 Vgl. RUDOLPH, H A T 21, 250; anders MYERS, A B 13, 9 6 .

5 Anders RUDOLPH, H A T 21, ebd., und BHS, die die zweite Bezeichnung in V 8a als Dittographie streichen und den Parallelismus chiastisch fassen. 6

Vgl. RUDOLPH, H A T 21, ebd.

7 Vgl. ebd. 8 Vgl. Punkt 1.2.3 Quellen, Redaktion und Kreation des Chronisten.

136

4

II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

gen 9 abgeleitet wird, obwohl doch nur eine Kombination beider Bereiche ein sicheres Fundament für literarkritische Postulate darstellen könnte. Die Suggestionskraft der Namenslisten (V 7-9) und die Aufzählungen listenartigen Materials (V 10-19) präjudizieren leicht die Annahme von Quellen, auch wenn weitere formale Indizien fehlen. Der nie um einen propheta eponymus ( W E L L H A U S E N ) verlegene Autor verzichtet innerhalb des Sondergutes auf legitimierende Quellenverweise 10 . Hinweise auf literarkritische Phänomene sind methodologisch sinnvoll definiert11 und wehren inflationären und subjetivistischen Quellenpostulaten des in dieser Hinsicht äußerst produktiven 19. Jahrhunderts 12 . 2. Hinweise auf Dubletten finden sich im Binnentext und Kontext des A b schnittes II 17,1-19, der sich für B E N Z I N G E R ( U . E . ZU Unrecht) als „ziemlich unordentlich" 1 3 präsentiert. Tatsächlich erwecken 17,lf und V 12f, ferner V 3f und V 6ff sowie V 5 und V 11 zunächst den Eindruck unnötiger Wiederholungen, die der chronistischen Tendenz der Stoffraffung (KAT IV)1 A zuwiderlaufen. Anders als W L L L I A M S O N , der V 13b-19 als „an expansion of V.2, for which also it formed the historical basis" 15 interpretiert, erklärt sich der Sachverhalt u.E. plausibler durch den Erzählduktus des Toposkomplexes und seiner Stilmittel: Der Segen Jahwes entfaltet sich sukzessive und in konzentrischen Kreisen, ausgehend von Juda bis hin zur Botmäßigkeit der umliegenden Völker. Die vermeintlichen Dubletten erweisen sich a posteriori als theologisch und stilistisch reflektiertes Konstrukt, wie W E L T E N auch für die Paralleltexte nachweist 16 . Was sich in Juda unter Josaphat ereignete, wird in eine kosmopolitische Dimension gesteigert, wobei die Motivwiederholung Kontinuitäten bewußt festhält und quantitativ überhöht. 3. Eine kontextuelle Dublette von 17,7-9 ist von B E N Z I N G E R für 19,4-11 reklamiert worden 1 7 . Gemeinsam ist beiden Stellen, daß Josaphat eine Ab-

9 Z.B. Doppelungen, Brüche im Erzählablauf, terminologische Spannungen, Stilunterschiede, Suffixwechsel im Satz etc. WELTEN, Geschichte, 45, wehrt sich ebenfalls gegen eine monokausale Betrachtungsweise und macht (mit Erfolg) semantische, archäologische und kompositorische Gesichtspunkte geltend. 10 Der Chronist zitierte nur kanonisches Material als Quelle (s.o.). Auffallig ist allerdings, daß die stereotypen Topoi immer als Sondergut begegnen (und erst durch den Musivstil kanonische Dignität erlangen). Es muß ferner bedacht werden, daß der Chronist in engster Anlehnung an das DtrG für Bau- und Kriegsberichte auf das Annalenmaterial der Vorlage hätte zurückgreifen können (vgl. l K ö n 22,46). Daß der Chronist diesen Weg nicht wählte, muß auffallen und und erhöht nicht gerade die Wahrscheinlichkeit der Verwendung vermeintlich zugrundeliegender Quellen. 11 V g l . H . BARTH / O . H . STECK, E x e g e s e , 3 4 . 1 2 V g l . KITTEL, H K I / 6, X - X V . 13 BENZINGER, K H C 2 0 , 1 0 5 .

14 Vgl. ebd. Die von WlLLIAMSON, N C B C , 280 angeführten Parallelen (V 3 und V 6; V 7-9) sind u.E. keine Dubletten. 15 WlLLIAMSON, N C B C , 2 8 4 . 1 6 V g l . WELTEN, G e s c h i c h t e , 9 7 f . 17 V g l . BENZINGER, K H C 20,103FF.

4.1 Textanalyse

137

Ordnung hoher Regierungsbeamter aus „Laien" 1 8 , Leviten und Priestern mit besonderen Vollmachten ausstattet und in die Städte Judas entsendet, um das Volk zu „lehren", bzw „Recht zu sprechen". Die Unterschiede sind ebenso deutlich. Die Namenslisten in 17,7f und 19,11 sind nicht identisch 19 ; der König zieht in 19,4 selbst durch das Land; die Darstellung in 19,4-14 ist wesentlich ausführlicher und spezifizierter (z.B. Ortsangaben), wobei die neu hinzugekommenen königlichen Paränesen (V 6f.9f) im Mittelpunkt stehen. Während in 17,7.9 das Stichwort zusammen mit dem sogenannten illTr m i n ISO den Auftrag der Delegation bestimmt, wird dieser Auftrag in 19,4-11 terminologisch breiter entfaltet, wobei ÖDtf zum Leitwort wird. Diese „Rechtsprechung" umfaßt u.a. die aus 17,9 bekannte „Tora" (vgl. 19,11). Die Rückführung dieser Unterschiede auf verschiedene Quellen, die einen historischen Kern beinhalteten, ist u.E. ebensowenig zwingend wie die völlig abwegige Behauptung, der Chronist wolle ein „sakrales Jahwerecht" von einem „profanen Königsrecht" differenzieren, wobei ein Vertreter dieser Hypothese hemmungslos anachronistisch auf den „Code of Hammurabi and other royal edicts" 20 zurückverweist. Der Chronist war keinesfalls an einer „Zwei-Reiche-Lehre" mit je eigenem Rechtskorpus interessiert, da die die Königsherrschaft Gottes mediierende, kanonisierte Tora der spätnachexilischen Zeit alle Bereiche des Lebens umfaßt, wie gerade 19,4-11 deutlich erkennen läßt (V 10!). Ein eigenes „Königsrecht", dessen Ansätze sich traditionsgeschichtlich in 2Sam 8,10-18 finden, lag u.E. nicht im Blickfeld des Verfassers (außerdem war dieses „Königsrecht" selbst bereits Teil des Kanons!). Der Chronist will den legitimen König nicht wie das DtrG Jahwe polemisch gegenüberstellen, sondern verstand den davidischen König durchaus als Setzung Gottes 2 1 . Die vermeintliche Dublette erklärt sich analog zu den o.g. Parallelitäten als literarische Komposition des Verfassers. Die „Tora" läßt sich ebensowenig zum Königsrecht profanisieren wie das zur Schriftgelehrten-Terminologie gehörende "7Ö1? (17,9), das als Komplementärbegriff zu Tora in der Chronik und im rabbinischen Judentum geläufig ist 2 2 . „Im eigentlichen Sinne ist TO1? aber nun Fachwort für die Umsetzung der Tora in konkrete Anweisungen für das Leben des Einzelnen" 2 3 . 19,4ff erklärt sich unter literarischen und kompositorischen Gesichtspunkten als Produkt des Verfassers, der die programmatischen Verse 17,7-9, die eben18 Vgl. a.a.O., 104. 19 E s sei denn, m a n ändert m a l l in 19,11 mit einer M - H s in i m a t l (vgl. 17,7) ab. W a h r scheinlich handelt es sich hierbei aber um eine nachträgliche Harmonisierung. 2 0 MYERS, A B 13, 99f. 21 Mit etwas „ f r o m m e r Phantasie" läßt sich hinter derartigen Vorschlägen die Wirkungsgeschichte der Auseinandersetzung zwischen lutherischer Z w e i - R e g i m e n t e r - L e h r e und ref o r m i e r t e m Postulat der Einheit des Wortes G o t t e s wahrnehmen. Analogiafideiist der C h r o n i s t u . E . keinesfalls ein Protagonist LUTHERS! 22 Vgl. K . H . RENGSTORFF, T h W N T II, 140f. 23 RENGSTORFF, T h W N T , 140. Bis heute wird im J u d e n t u m die Tora nicht „gelesen", s o n dern „gelernt".

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4

II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

falls von ihm herrühren, entfaltet und illustriert. Diese Explikation der M o tive „Volksbelehrung" und „Rechtssprechung" - was prinzipiell nicht unterschieden werden kann 2 4 - ist auch an dieser Stelle mit einer Steigerung verbunden, welche die Erzählung belebt und als „schriftstellerische Eigena r t " 2 5 des Chronisten anzusehen ist. Die gesteigerte Aktivität des Königs zeigt die schlechterdings positive Möglichkeit des reuigen Sünders auf, die paränetisch besonders ergiebig ist. So wird WELLHAUSENS verbreitete E r klärung das Richtige treffen, wenn er sagt: „der Grund, warum vorzugsweise der letztere zu diesem Werke ausersehen wird, liegt einfach in seinem Namen Jahve ist Richter"26. 4. Die seit BENZINGER ständig repristinierte These, die Erwähnung der zur Volksbelehrung entsandten „Laien" ( Vifo1? ) in 17,7 indiziere altes Quellenmaterial, da diese Nachricht im Widerspruch zum levitisch-priesterlichen Lehrmonopol in der Chronik stehe 2 7 , beruht auf einem Mißverständnis. D i e Tora-Erteilung war, abgesehen von der familieninternen Pädagogik, bereits zur Königszeit ein priesterliches Privileg und schichtenspezifisches Merkmal. Wie das „Wort" zum Propheten gehörte, so die Erteilung der „Tora" zum Priester 2 8 . U . E . handelt es sich in 17,7ff eher um einen Eintrag aus chronistischer Zeit. Ein politisch dyarchisches System mit einer einheitlichen Rechtsordnung (Tora), wie es riir die nachexilische Zeit bezeugt ist (vgl. Sach 4,1-14; 6,9-15) 2 9 , wird vom Verfasser aufgrund seiner typologischen Denkvoraussetzungen (KAT IX) in die Königszeit zurückprojiziert. Möglicherweise war das dem Verfasser vertraute System der „ G e r u s i e " 3 0 einer Vorläuferin des Synhedriums - Ausgangspunkt seiner Überlegungen. 5. Eine Spannung im alternierenden Sprachgebrauch der Begriffe „Ephraim" und „Israel", wie RUDOLPH sie für 17,lb-5 wahrnahm 3 1 , hat in der F o r schung bleibende Unruhe ausgelöst 32 . Die traditionell adversativ verstandene Übersetzung von V l b („[...] und Josaphat erwies sich als stark gegenüber Israel") wird von RUDOLPH abgelehnt, solange „Israel" an dieser Stelle mit dem Nordreich identifiziert werde. Eine solche adversative D e u tung sei mit 18,1 ff und 20,35ff unvereinbar, da sie den Friedensschluß mit dem Norden voraussetzten. Israel meine daher in 17,1 das „wahre Israel", d.h. das Südreich, während der Norden deutlich als , E p h r a i m " bezeichnet werde (V 2). Erst mit V 4b und V 5a.6b kehre der Chronist zu seinem

24 W i e sehr geistliches und weltliches Recht i m J u d e n t u m eine Einheit bilden, lehrt u.a. der ( b a b y l o n i s c h e ) Talmud, vgl. z.B. den Traktat b B M . 2 5 N o r a , Studien I, 160. 26 WELLHAUSEN, Prolegomena, 186. 2 7 Vgl. BENZINGER, K H C 2 0 , 1 0 4 ; MYERS, A B 13, 99; WILLIAMSON, N C B C , 2 8 2 . 2 8 Vgl. G . LLEDTKE / C . PETERSON, T H A T II 1035ff; ZLMMERLI, Theologie, 82. 29 Vgl. HERRMANN, Geschichte, 373f. 30 Vgl. E . BlCKERMANN, D e r G o t t der Makkabäer, Berlin 1937, 56. 31 Vgl. RUDOLPH, H A T 21, 249. 3 2 Vgl. die K o m m e n t a r e z.St. Auch WILLIAMSON, Israel, 1 0 4 f und ders., N C B C , 281 hält II 1 7 , 1 - 5 f ü r eine der schwierigsten Stellen hinsichtlich der Bedeutung des Begriffes „Israel" in der C h r o n i k .

4.1 Textanalyse

139

gewohnten Sprachgebrauch zurück und nenne das Südreich wieder ,Juda". Daraus ergebe sich, daß der Chronist in V lb.2 eine Quelle zitiere. MOSIS klärte den Sachverhalt jedoch rasch auf und stellte korrigierend fest: ,„Efraim' bezieht sich hier jedoch auf 2 Chr 15,8 zurück, wo neben Juda und Benjamin dieselben Städte ,im Gebirge Efraim' genannt werden, von denen in 2 Chr 17,2 die Rede ist. Die Annahme einer besonderen Quelle für 2 Chr 17,lb.2 erübrigt sich." 33

Ein weiterer Beleg gegen RUDOLPHS Annahme stellt auch die Synonymität der Begriffe Israel und Ephraim in II 25,7 dar. 6. Die stärksten Indizien für die Verarbeitung alter Quellen stellen die Bauund Heeresnotizen sowie die Listen in 17,7f.l3b-19 dar 3 4 . WELTEN hat die Historizität dieser Angaben in einer vorbildlichen semantischen und archäologischen Analyse überzeugend als chronistische Stilelemente und Einträge aus der Zeit des Verfassers nachgewiesen 35 . Vor allem im Bereich der „Heeresverfassung" (V 14-19) stellte WELTEN überraschende historische Parallelen zur Organisation griechischer Söldnerheere fest 3 6 . Gegen die Authentizität dieser Angaben spricht auch die von WELTEN festgestellte einheitliche Syntax innerhalb aller Topoi sowie die völlig unrealistischen Zahlenangaben, die nicht ins 9. Jahrhundert v.Chr., dafür aber in die Zeit der hellenistischen Massenheere im 4. Jahrhundert v.Chr. weisen. Der immer wieder unternommene Versuch der Relativierung der Zahlenwerte - etwa indem D'D^K nicht numerisch bestimmt, sondern als FachbegrifF für eine Militäreinheit mit unbekannter Mannschaftsstärke verstanden wird 3 7 - stellt einen spekulativen „Kunstgriff" 3 8 dar. Da der Chronist keine auch nur annähernd genauen Vorstellungen über die Besiedlung Palästinas zur Königszeit mehr gehabt haben dürfte, entspringen die Zahlenangaben aller Wahrscheinlichkeit nach (populären?) Überlegungen des Verfassers. BENZINGER dürfte Recht zu geben sein, wenn er hinsichtlich der Motive des Verfassers feststellt: „Die frömmsten Könige haben die meisten Soldaten" 3 9 . Einzig konkreter Anhaltspunkt für zugrundeliegende Quellen bleiben daher die Listen der Personennamen, die vielleicht auf mündlicher Tradition beruhen, wenngleich auch an dieser Stelle die Datierung ins 9. Jahrhundert v.Chr. angefochten wird 4 0 . 7. Wenngleich GALLINGS Unterscheidung zweier Chronisten problematisch ist (s.o.), so ist seine literarkritische Trennungslinie zwischen V 5 und V 6 doch erwägenswert 41 . Immerhin steht 17,6 in eklatantem Widerspruch zur 33 MOSIS, Untersuchungen, 177 (Anm. 22). 34 Vgl. KITTEL, H K I / 6, X-XVI.135-137; GALLING, ATD 12, 8-1 l.i 18-122; RUDOLPH, H A T 21, 253; MYERS, A B 13, 100; WILLIAMSON, N C B C , 284.

35 Vgl. WELTEN, Geschichte, 19-24.42-52.82-87.94-114. 36 Vgl. a.a.O., 82-87.95-98.98-111. 3 7 V g l . e t w a MYERS, A B 13, 78.98.

38 WELTEN, Geschichte, 103 (einschl. Anm. 123). 3 9 BENZINGER, K H C 20, I X . 4 0 V g l . CURTIS / MADSEN, I C C , 393. 41 V g l . G A L L I N G , A T D 12,118FF.

140

4

II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

Vorlage lKön 22,44 und deren Rezeption in II 20,33! Wie das parallele Phänomen in II 14,2 (vgl. lKön 15,14!) zeigt, ist darin doch wohl (mit WELTEN) eine Prolepse der später entfalteten „Kultreform" und Eigenart der chronistischen Eingangsnotizen zu sehen42. Dabei ist u.E. zu bedenken, daß der Autor als Schöpfer der Toposkomplexe unter einer Art Systemzwang stand, wobei er die Abschaffung der Höhen zum Typischen der Kultreform zählte. Daß er diese Angabe nicht mit 21,33 harmonisierte, zwingt nicht zur Annahme einer anderen Quelle bzw. eines zweiten Verfassers. Auch einem späteren Bearbeiter (2. Chronist) hätte die Diskrepanz auffallen müssen, und ein „frei gestaltender Schriftsteller" hätte ohne große Mühe glossierend oder interpretierend den Ausgleich herstellen können. Der aus der Typologie erwachsende Systemzwang und das Selbstverständnis des Verfassers als Ausleger (und damit Bewahrer) seiner Vorlage verhinderten beides und führten zur vorliegenden Konstellation. Trotz der Gefahr einer allzu rationalistischen Interpretation, sollte doch erwogen werden, ob das Abschaffen der Höhen (V 6) vom Chronisten nicht exklusiv auf das Bemühen und Verdienst des Königs zielt, während das Nicht-Abschaffen das sich verfehlende Volk beschuldigt, wie 20,33b wahrscheinlich macht. Dann könnte der vermeintliche Widerspruch letzte Bestätigung für die präzise Interpretation der Vorlage (DtrH) sein. Diese hatte Josaphat ein positives Zeugnis ausgestellt, gleichzeitig aber die Fortexistenz der Höhen kritisch angemerkt, wodurch DtrH nach WÜRTHWEIN das Jahwe-Verhältnis von König und Volk expressis verbis unterscheiden wollte 43 . 8. Da auch die in chronistischer Zeit anachronistische Einzelnotiz von „Amasja, dem Freiwilligen" in 17,6 nicht deren Datierung in die Königszeit verbürgt (WELTEN, anders WlLLIAMSON)44, ist die Annahme chronistischer Sonderquellen in II 17 als wenig wahrscheinlich abzulehnen. WlLLIAMSON, als neuerer Vertreter von Quellentheorien, ist daher gezwungen, die Fragmentenhypothese durch eine Benutzungshypothese abzuschwächen, wobei gilt: „inhereted material underlies (sie!) the paragraph"45. Ist somit von der literarkritischen Einheitlichkeit des Textes als einer Schöpfung des Chronisten auszugehen, dann ist auch die redaktionskritische Analyse an dieser Stelle wenig ergiebig. Allenfalls kann man mit WILLI in Anlehnung an NOTHS Ausscheidung sekundärer Zusätze in der auch textkritisch problematischen Stelle 17,8a eine redaktionelle Glosse späterer Überarbeiter sehen. WILLI versteht jedenfalls „die ungelenke, durchaus nicht chronistische Erwähnung der Leviten vor den Priestern" als sekundäre Dublette zu V 8b 46 .

4 2 V g l . WELTEN, G e s c h i c h t e , 181. 4 3 V g l . WORTHWEIN, A T D 11 / 2 , 4 9 2 f .

Vgl. Welten, Geschichte, 84; anders WlLLIAMSON, NCBC, 2 8 4 . 45 WlLLIAMSON, NCBC, 284 (vgl. auch 280ff); Ausrufungszeichen hinzugefügt. 4 6 Willi, Auslegung, 198 (vgl. auch 194(1). 44

4.2 Einzelauslegung

141

Die literarische Analyse von II 17 (entsprechend auch II 19) machte deutlich, daß es sich in diesen Sondergut-Abschnitten aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Schöpfung des Chronisten selbst handelt. In ihnen artikuliert sich also chronistische Theologie und nicht die Theologie irgendwelcher „Quellen". Daher gewinnen die charakteristischen Einzelzüge des Textes für unsere Aufgabenstellung umso größere Signifikanz.

4.2 Einzelauslegung 4.2.1 Die Binnenstruktur des Textes Der Einführungsnotiz mit grundsätzlicher Qualifizierung Josaphats (V 1) folgt eine pauschal formulierte Angabe über eine Heeresreform des Königs (V 2), an die sich der Toposkomplex (V 3-19) anschließt. Dieser ist unterteilt in die „Kultreform" des Jahwetreuen (V 3-6), gefolgt von der Mission der Delegierten zur „Volksbelehrung" (V 7-9), „Huldigung und Tribut" durch benachbarte Ausländer (V lOf) sowie der Präsentation des Königs als dem Architekten von „Festungen und Bauten" (V 12f) und als dem Reformer der „Heeresverfassung" (V 14-19)47. Es fällt auf, daß im Anschluß an die der Tradition entnommenen Einleitungsformel (V la) und der Feststellung der wohl auch militärisch gemeinten „Erstarkung" gegenüber Israel (V lb) der gesamte Toposkomplex durch den Topos „Heeresreform" gleichsam gerahmt ist (V 2.14-19). Dieser Umstand hängt sicher mit dem auch sonst feststellbaren Kompositionsschema von Andeutung und Entfaltung einzelner Topoi zusammen (s.o.). Es kann auch erwogen werden, ob die aus der Tradition (lKön 22,46) geschöpfte kriegerische Aktivität Josaphats 48 , die bereits innerhalb des DtrG „ausgelegt" worden war, im Aufbau des Toposkomplexes ihren adäquaten, d.h. die Tradition auslegenden Ausdruck fand.

4.2.2 Die Eingangsnotizen (V lf) 1. Der Einsatz mit der aus der Tradition stammenden Thronwechselformel V la bindet das nachfolgende Sondergut an die Vorlage an und expliziert diese im Toposkomplex. Das „Erstarken" des Königs (ptnJVl) stellt ein beliebtes Stilmittel des Chronisten dar, der die verschiedenen Verbalstämme dieser meist in Bauberichten begegnenden Wurzel bei positiven Königen variierend wiederholt 49 . Die im DtrG (sie!), Chronik und Esr-Neh besonders häufig gebrauchte Wurzel 50 stellt für den Chronisten ein theologisches 47 Vgl. Gliederung (s.o.) 48 Vgl. auch KITTEL, H K I / 6, 136 49 Vgl. WELTEN, Geschichte, 36.51.164.

142

4

II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

Leitwort dar, das den Zusammenhang von der „Verstärkung" (Festungsanlagen) und dem „Erstarken" (König, Volk) wortspielerisch verknüpft 51 . Der vorliegende Hitpaelstamm in Verbindung mit der Präposition '713 wird (gegen R U D O L P H ) adversativ zu verstehen sein, wie die alttestamentlichen Parallelen zeigen 52 . Dieselbe Stammform (mit Präposition) findet sich auch in II 1,1 (Salomo), ohne Präposition in 13,21 (Abija), 21,4 (Joram), 23,1 (Jojada), 25,11 (Amasja) und 27,6 (Jotam). Dieses Leitwort stellt eine überwiegend positiv verstandene Prädikation dar. 2. V 2 ist ein wichtiges Bindeglied, das einerseits den Ubergang zum Toposkomplex bildet, andererseits die Verbindung zum Kontext der Königegeschichte herstellt. Die judäischen Städte sind beim Regierungsantritt Josaphats bereits durch Mauern befestigt (UVixan), was der Initiative des positiv beurteilten Vorgängers zu verdanken ist (14,5f). Damit ist die von W E L T E N konstatierte Verbindung von Baunotiz und „Erstarken" auch für Josaphat verifiziert. Josaphat setzt das Werk Asas fort, indem er die bereits befestigten Städte mit Besatzungen versieht und Gouverneure über das „Land Juda" bestellt. Dies geschieht in deutlicher Anlehnung an eine ähnliche Verwaltungsmaßnahme Davids in den besetzten Gebieten (I 18,13) und könnte traditionsgeschichtlich auf lKön 4 zurückgreifen (Salomos Einteilung des Landes in Gaue mit eigenen Gouverneuren), eine Notiz, die der Chronist typologisch auf David und Josaphat überträgt (KAT IX). Es ist aber auch denkbar, daß der Chronist das gut strukturierte persische Satrapiensystem 53 als Vorbild vor Augen hatte. Ein nicht eindeutig gelöstes Problem stellt die Erwähnung der „Städte Ephraims" (V 2b) dar, die Asa erobert haben soll. Der an sich naheliegende Bezug auf die mit aramäischer Hilfe eroberten Grenzstädte Mizpa und Geba (16,6) wird oft aus topographischen Gründen bestritten, wobei auf die Sondergut-Notiz 15,8 verwiesen wird 54 , in der neben Juda und den Städten Benjamins von der Eroberung weiterer Städte im Gebirge Ephraim durch Asa die Rede ist. Der Rekurs auf Abijas Eroberungen (13,19) 55 ist nur dann statthaft, wenn sie als motivgeschichtliche Verknüpfung verstanden wird: Erfolgreiche judäische Könige dehnen ihr Herrschaftsgebiet möglichst weit nach Norden aus (vgl. 13,19; 14,6; 31,1: 34,6.9), wobei die pauschalisierende Unbestimmtheit des Ausdrucks „Städte Ephraims" vom Chronisten durchaus beabsichtigt sein dürfte. Jedenfalls ist damit das Erstarken Josaphats gegenüber Israel eindrucksvoll unterstrichen. Möglicherweise ist damit der Panisraelitismus des Verfassers avisiert, der sich z.B. in E z 37,15-28 (V 22!) als konkrete Hoffnung der exilisch / nachexilischen Zeit ausspricht.

50 Vgl. A.S. v.d.WouDE, T H A T I, 538. 51 Vgl. WELTEN, Geschichte, 51. 5 2 Vgl. v . d . W o U D E , T H A T I, 539.

53 Vgl. GUNNEWEG, Geschichte, 137. 5 4 Vgl. RUDOLPH, H A T 2 1 , 2 4 5 . 2 4 9 f ; WILLIAMSON, N C B C , 2 6 9 . 55 Vgl. RUDOLPH, H A T 2 1 , 2 4 5 .

4.2 Einzelauslegung

143

4.2.3 Der Jahwetreue (V 3-6) 1. Die Einführung des Topos „Kultreform" an dieser Stelle mag erstaunen, da dieser in II 10-36 immer als revisionistische Maßnahme eines „orthodoxen" Königs im Anschluß an die Regierung eines „Apostaten" erfolgt56. Vielleicht hatte der Chronist die zweite Phase der Regierungszeit Asas (16,11) als ein solches „Abfallen" von Jahwe verstanden. Rätselhaft bleibt allerdings, daß dem Vater Josaphats keine explizit kultischen Vergehen vorgeworfen werden57. Was die Errichtung der „Höhen" und „Äscheren" betrifft (zum Verhältnis von 17,6 und 20,33 s.o.), so wird der Chronist darin in Anlehnung an die Vorlage den iterativen Prozeß einer latenten Verfehlung des Volkes gesehen haben, dem ein guter König mit aller Macht entgegentritt. Sollte der Chronist an dieser Stelle unter einem typologischen Systemzwang stehen - besonders fromme Könige sind, zumindest in ihrer positiven Lebensphase, für den Chronisten auch Kultreformer58 - so wäre erneut die Interdependenz von Typos (WILLI) und Topos ( W E L T E N ) erwiesen. 2. Der vom Chronisten besonders hervorgehobene Zusammenhang von „actio Dei und reactio hominis"59 tritt als ständige Korrelation im Aufbau von V 3-6 zutage. V 3a versichert Josaphat der Solidarität Jahwes, während V 3b-4 das gottgefällige Verhalten des Königs durch die Partikel kausal oder (wohl eher) konsekutiv60 anfügt. V 5 setzt wieder mit der actio Dei ein, während V 6 die Antwort Josaphats als Kultreform artikuliert. 3. Die Voranstellung von V 3a vor 3b zeigt, daß der Chronist zu Unrecht des Legalismus verdächtigt wird. Der ganze Abschnitt will nicht die Verdienste eines Königs proklamieren, sondern Jahwe als das wirksame Subjekt der Geschichte Josaphats darstellen (vgl. V 5a!). Was immer er unternahm, ,Jahwe war mit Josaphat". Diese Beistandsformel (vgl. I 1,1), die der Verfasser im Kanon vorfand61, verdeutlicht die rezensive Tätigkeit des Autors (KÄT VIII), die von WILLI als Musivstil bezeichnet wurde. V 3b-4 beschreibt das Jahwes Solidarität entsprechende Verhalten Josaphats, wobei die Verben l^n und B'TT das theologische Gewicht der Aussagen andeuten. Die Begriffsgeschichte der Wurzel "l^fl zeigt einen ursprünglich profanen Gebrauch, der vor allem durch die dtn-dtr Theologie einen eminent theologischen Charakter bekam62, aus dem sich schließlich der für das rabbinische Judentum normative Begriff der Halacha ableitete. 56 Vgl. die Parallelen bei WELTEN, Geschichte, 180-184. 57 Es sei denn, man versteht das kritisierte Bündnis Asas mit den Aramäern bereits als kultisches Vergehen des Volkes. Dagegen spricht aber, daß keine Äscheren und Höhen unter Asa bestehen, obwohl Josaphat diese später abschafft (17,6). Zum Problem s.u. 58 So David, Salomo, Asa, Josaphat, Joas, Hiskia, Manasse, Josia. 5 9 WILLI, A u s l e g u n g , 1 0 8 (vgl. 1 8 7 ) .

60 Vgl. GESENIUS, Handwörterbuch, 341-343. 61 Vgl. die parallelen Formulierungen Gen 21,22; 26,3.28 u.ö. 6 2 V g l . G . SAUER, T H A T I, 4 9 0 - 4 9 3 .

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II 17,1-19: G r u n d z ü g e der Regierung Josaphats

Daß Josaphat auf den „Wegen" seines Vaters wandelte, entstammt ebenfalls dtn-dtr Sprachgebrauch (vgl. Dtn 5,33; 11,28; 2Sam 22,5 u.ö.). Damit ist die Anbindung des Sondergutes an die Vorlage belegt, wie auch die Formulierungen in V 3b verdeutlichen. Der chronistische Gebrauch des Verbs (hier: „sich halten an") orientiert sich ebenfalls am dtr Sprachgebrauch, wobei meist Jahwe Objekt des „Suchens" und „Fragens" ist 63 . „Dieses S i c h - H a l t e n an G o t t ist eine wichtige charakteristische B e z e i c h n u n g des G o t t e s verhältnisses von der deuteronomischen Zeit an bis zur Zeit des C h r o n i s t e n . Es hat im Alten Testament etwa die Bedeutung des N t - l i c h e n und dann christlichen . G l a u b e n s an Gott'."64

Dieses ungebrochene Gottesverhältnis ist in V 3b via negationis ausgedrückt. Das „Sich-Halten an die Baale" bezeichnet kontrastierend den „Weg" der Könige Israels, wie sie dem mit der Vorlage vertrauten Verfasser (und auch dem Leser) in den Gestalten Ahabs und Isebels vor Augen standen (vgl. l K ö n 16,29-33). stellt darüberhinaus ein wichtiges Bindeglied zu II 18,4; 19,3 und 20,3 dar. Dies wird vor allem in 18,4 deutlich, wo Josaphat seinen Gastgeber Ahab zum „Befragen des Jahwe-Wortes" drängt. Dieser aus der Vorlage übernommene Text vom „Befragen" eines Propheten zeigt eine traditionsgeschichtlich deutlich ältere Stufe des Begriffes 65 , wenngleich der nicht historisch denkende Chronist sicherlich eine innere Beziehung zwischen 17,3f und 18,4 angenommen haben dürfte. Typologisches Denken nivelliert auch die feinen Unterschiede des historischen Hintergrundes beider Texte 6 6 . Das Derivat W'ITB begegnet im Alten Testament nur in II 13,22 und 24,27 und meint die aus der Sicht des Verfassers primäre Geschichtsschreibung der Propheten. Wenn Josaphat also in allem (selbst in seinem Fehlverhalten 18,4) ,Jahwe suchte", wie V 4 im antithetischen Parellelismus formulierte, so wird damit, als Zwischenton, ein insgesamt positives Verhältnis des Königs zur Prophetie 67 hörbar. Dies wird auch durch die vielen chronistischen Prophetengestalten innerhalb des Josaphatkomplexes angedeutet (II 18; 19,1-3; 20,13-17.34.37). Die Distanzierung vom Nordreich wird modal durch ^XI&T nbJ7Ö3 K*7l extra betont, weil es unter Ahab auf die Stimme der Baale und Baalspropheten hörte, wie das erneut aufgegriffene und bewußt kontrastierend gebrauchte Y7"1 und ©'"VT anzeigt. T l t o H 6 8 könnte als Wortspiel mit den Bedeutungen „Taten" und „Götzenbild" die Apostasie

63 Vgl. G . GERLEMAN / E . RUPRECHT, T H A T I, 4 6 4 - 4 6 6 . 64 C . WESTERMANN, K U D 6, i960, 16, zit. nach: GERLEMAN / RUPRECHT, T H A T I, 466; vgl. WELTEN, Geschichte, 17f.50.146. 65 Vgl. GERLEMAN / RUPRECHT, T H A T 1 , 4 6 2 . 66 So hat er das spezifisch vorexilische Problem „falscher" und „ w a h r e r " J a h w e p r o p h e t i e in l K ö n 2 2 als Proprium des Textes nicht eigens gewürdigt. Das „ S i c h - H a l t e n an die B a a l e " und die falsche . J a h w e p r o p h e t i e " konnten unter typologischen G e s i c h t s p u n k t e n t h e o l o gisch zusammenfallen (Hendiadyoin). 67 Z u r B e d e u t u n g der Prophetie in der C h r o n i k vgl. WILLI, Auslegung, 2 1 5 - 2 4 1 ; vgl. auch den E x k u r s zur Prophetie in der C h r o n i k (s.u. i m A n s c h l u ß an P u n k t 5.1.3.4). 68

Vgl. GESENIUS, H a n d w ö r t e r b u c h , 448.

4.2 Einzelauslegung

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des Nordens noch einmal unterstreichen. Jedenfalls nimmt das auch in II 20,3 begegnende chronistische Leitwort geradezu den Charakter eines „Konfessionsmerkmals" 69 an. 4. V 5 leitet durch das theologisch höchst bedeutsame Verb "¡13 wieder zu der bereits in V 3 angesprochenen actio Dei über 7 0 und stellt gleichzeitig die Verbindung zu David und den großen Davididen dar 71 . So wird die Legitimität und die Gottgefälligkeit Josaphats impliziert, der im Licht der Nathansweissagung erstrahlt. Der actio Dei folgt (V 5b) korrelierend die reactio hominis, die in diesem Fall durch das Volk geschieht, das dem König eine nmtt (Geschenk, Opfer) darbringt. Das „Geschenk" als Akt der Huldigung ist auch ein entscheidendes Stichwort im Rahmen der internationalen Anerkennung Josaphats (V 11). Da Thema und Terminologie in V lOf wieder aufgegriffen werden, ist an dieser Stelle von einer steigernden Toposwiederholung („Huldigung und Tribut") 7 2 auszugehen. Durch V 5 und V 10 wird ein vielleicht durch 2Kön 12,19 bedingtes Motiv geschaffen, das in 18,lff als kompositorisches Bindeglied zum Aramäerfeldzug fungiert. In V 6 folgt nun auch eine „reactio" Josaphats mittels der bereits erörterten Kultreform, die den Komplex abschließt, la1? r u n wird nicht als Keimzelle einer sich in II 18 entfaltenden Hybris zu verstehen sein, auch wenn der Wortsinn dies zuläßt 73 . Der Kontext (Topoi) enthält keinerlei Anhaltspunkte für eine kritische Reserve gegenüber Josaphat und seinem Reichtum. Jegliches Entwicklungsdenken würde nur einen modernistischen Eintrag des Exegeten anzeigen, nicht aber der theologischen Intention des Chronisten entsprechen. So wird der Ausdruck als Hapaxlegomenon (GES E N I U S ) positiv das „Mut-Fassen" des jungen Königs meinen.

4.2.4 Der Lehrer des Volkes (V 7-9) 1. Nach der Festigung des Königtums durch die Solidarität Jahwes und des Volkes wird der heilvolle Tun-Ergehen-Zusammenhang auf das Volk reflektiert. Dieser Aufbau macht deutlich, daß die Topoi nicht wahllos und unverbunden nebeneinanderstehen, sondern Steigerung und Handlungsfortschritt beinhalten und sich damit als literarisches Produkt erweisen. V 7-9 belohnt das Vertrauen des Volkes mit der Gabe der Tora, wodurch ein auf Recht und Gesetz Jahwes gegründetes Gottesvolk restituiert wird, das keine Bedrohung von außen zu fürchten hat, weil vielmehr umgekehrt ein ,Jahweschrecken" (V 10, s.u.) die umliegenden Volker befällt.

6 9 WiLTEN, Geschichte, 146. 70 Vgl. WILLI, Auslegung, 186f. 71 Vgl. 2 S a m 5,12 (I 14,2); 2Sam 7,12 (I 17,11); I 22,10; 28,7; weitere Stellen bei WILLI, Auslegung, 186. 72 Vgl. WELTEN, Geschichte, 186; vgl. auch II 2 7 , 5 f und I 29,28; II 1,12. 73 Vgl. GESENIUS, Handwörterbuch, 125; CURTIS / MADSEN, I C C , 392.

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II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

2. Die Entsendung der von Josaphat aus „Laien" und „Klerikern" zusammengestellten und mit richterlichen Befugnissen ausgestatteten Delegation wird in V 7 datiert. Die Formulierung „Im dritten Jahr seiner Königsherrschaft" stellt eine Historisierung der Reformmaßnahmen dar (KAT V), die vielleicht auf eine Vorliebe des Verfassers für die Dreizahl zurückgeht 74 . Zugleich bekundet sich aber auch das Interesse an einer Datierung der positiven Unternehmungen in der Anfangszeit des Königs. Alle überragenden Könige der Chronikbücher haben eine positive erste Regierungsphase (s.o.). Aus o.g. Gründen halten wir die in V 7-9 vorgestellten (dyarchischen?) Verhältnisse für einen anachronistischen Eintrag aus der Zeit des Verfassers. Die Bezeichnung des alle Bereiche des Lebens umfassenden Korpus des Gottesrechts als JiW min *1D0 (V 9) zeigt deutliche Abhängigkeiten von dtn Sprache und Vorstellungswelt, wie die Analyse V . R A D S 7 5 einsichtig macht, während der Einfluß von P sehr gering ist. Tora meint nicht (wie in P) eine konkrete Einzelweisung des Priesters, sondern „den göttlichen Auftrag in seiner Ganzheit" 76 . Allerdings setzen die in 19,10 benutzten Begriffe den ganzen Pentateuch voraus, der durch Übertragung des ursprünglich auf Dtn beschränkten Terminus insgesamt als „Tora" bezeichnet wird 77 . Daß Leviten in der Chronik richterliche und verwaltungstechnische Funktionen wahrnehmen, zeigen auch I 23,4 und 26,29, stellt aber hier wie dort einen wohl sekundären Zusatz dar 78 . Als Problem besonderer Art erweist sich die Bestellung von „Laien" zur Tora-Belehrung in einem auf levitische Trägerkreise zurückgehenden Geschichtswerk. Es bieten sich mehrere Lösungsvorschläge an. Entweder reprojiziert der Chronist das dyarchische System seiner eigenen Gegenwart in die Königszeit oder 79 er exegesiert in II 17,7-9 und 19,4-11 die dtn Vorlage, wie V . R A D meinte80, wobei sich Dtn 16,18; 17,8-20 als Schlüsseltexte anbieten. Allerdings offenbart das (nicht von der Tora differenzierbare) „Königsgesetz" in Dtn 17,14-20 nicht nur Ubereinstimmungen, sondern auch Spannungen zur chronistischen Rezeption Josaphats in II 17. Während in Dtn 17 der „Reichtum" und die „Frauen" in deutlicher Anspielung an die Mißstände Salomos königskritisch vermerkt werden, fehlt dieser Zug in II 17,1-19. Daher wird die „Laienpredigt" u.E. eher die Welt des schriftgelehrten Frühjudentums voraussetzen81, die der Chronist für eine Stiftung der Königszeit hielt. Das hohe Alter der Institution und die Autorität ihres Urhebers verbürgten die Legitimität einer das ganze Leben umfassenden Auslegung des Jahwerechtes.

74 75 76 77 78 79 80 81

Vgl. N o r a , Studien I, 158. Er verweist auf II 16,1.12f; Esr 8,12.32; 10,9.16f. Vgl. V.RAD, Geschichtsbild, 41-63. V.RAD, Geschichtsbild, 42. Vgl. a.a.O., 43 (einschl. Anm. 22-23). Vgl. WILLI, Auslegung, 195. Falls es sich überhaupt um eine Alternative handelt. Vgl. V.RAD, Geschichtsbild, 60f. Vgl. WELTEN, Geschichte, 185.

4.2 Einzelauslegung

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Auch die vorzügliche Reflexion über den „Nomos-Begriff in LXX durch E. U R B A C H legt die Annahme eines Toraverständnisses des Frühjudentums nahe, das „Weisung" und „Auslegung" (d.h. Tradition und Interpretation) aneinanderbindet. Dieser Gedanke finde durch die s.E. adäquate (sie!) Ubersetzung von Tora durch Nomos seinen semantischen Ausdruck, da dieser in LXX verwendete Begriff nicht nur „Gesetz", sondern auch „Brauch" und „Sitte" meine - und damit notwendigerweise auch aktualisierende Auslegung beinhalte (ebd.). Jedenfalls sind die engen Grenzen der noch in Ez 44,23 vorausgesetzten Priestertora durch die Maßnahme Josaphats überschritten und der Stand des nicht-priesterlichen, juristisch gebildeten Schriftgelehrten legitimiert, zumindest aber präfiguriert. Die hohe Bedeutung, die der Chronist dem Vorgang beimißt, wird durch die das Thema explizierende Toposwiederholung in 19,4-11 ausgedrückt: Josaphat zieht selbst als „Schriftgelehrter" durch das Land, bevor seine „Schüler" nach Belehrung und Paränese an seine Stelle treten. 8 2

4.2.5 Der im Ausland Hochgeschätzte (V lOf) 1. Mit V 10-19 wandelt sich die Blickrichtung des Verfassers steigernd von der judäischen zur internationalen Perspektive, bevor er mit V 19 zum Ausgangspunkt (V 2) zurückkehrt. Die Topoi reflektieren das König-JahweVerhältnis durchaus dialektisch: Vom Jahwe-Gehorsam profitiert nicht allein der König, sondern sukzessive auch das Volk, dessen Existenz durch organisatorische, wirtschaftliche und militärische Maßnahmen gesichert wird. Die Gliederung des Stoffes ergibt sich ohne Schwierigkeiten nach einem Vorschlag W E L T E N S , sofern man auf Versuche literarkritischer Differenzierungen verzichtet 83 . V 10 begründet summarisch die Friedfertigkeit der umliegenden Völker, während V 11 die sich für Josaphat ergebenden Konsequenzen konkretisiert und historisiert. Der Zusammenhang von V lOf mit V 7-9 ist mit W I L L I in der typologischen Exegese von Dtn 11,2229 durch den Chronisten begründet, der Gehorsam gegen die Tora mit dem Jahweschrecken der Völker verbunden hatte 84 . 2. Mit V 10 setzt zum drittenmal ein neuer Abschnitt innerhalb von II 17 mit einer actio Dei ein, die alles Weitere begründet und Jahwe zum verborgenen Souverän der Geschichte Josaphats macht, wobei das ,Jahwe war mit Josaphat" (V 3) entfaltet wird. Traditionsgeschichtlich relevant ist die Identifikation der Friedensursache im n w "rna, der die Völker befällt. Das Vorkommen dieses Ausdrucks und seiner Variante D'Tl^N i n s ist in der Chronik auf das Sondergut beschränkt und belegt damit die rezensive, mu82 Vgl. E. URBACH, The Sages: Their Concepts and Beliefs, Jerusalem 1979, 286-314. 8 3 Vgl. W E L T E N , Geschichte, 1 8 6 ; andere Gliederungen nach Halbversen ergeben sich nur für Vertreter von Quellentheorien, vgl. M Y E R S , AB 1 3 , 1 0 0 ; R U D O L P H , H A T 2 1 , 2 5 1 . 84 Vgl. W I L L I , Auslegung, 174. Zum .Jahweschrecken" vgl. auch W E L T E N , Geschichte, 97 (I 14,17b; II 14,13; 17,10; 20,29)

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II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

sivische Tätigkeit des Chronisten (KAT VIII) auch im Bereich des Sondergutes. Eine Ableitung des Ausdrucks von A. ALTS These vom „Gott der Vater" ist nicht möglich 85 , da der status constructus in 17,10 nicht wie in Gen 31,42.53 als subjektiver Genitiv gefaßt werden kann. Die Terminologie verweist vielmehr auf die dtn-dtr Tradition des ,Jahwe-Krieges" 8 6 , die u.a. auch in 114,17b, II 14,13 und 20,29 hervortritt. Bemerkenswert ist das modifizierte Verständnis des Jahwe-Krieges gegenüber dem DtrG: Der Gottesschrecken ist nicht mehr nur Folge bzw. Ereignis im Vollzug eines militärischen Konfliktes (so noch I 14,17; II 20), sondern kann sich auch präventiv vollziehen, d.h. bevor Jahwe als Krieger auf dem Plane ist. Die Mittelbarkeit des Jahweschreckens — Josaphats Machtzuwachs und militärische Stärke sind im Zusammenhang als Vehikel des „Schreckens" zu denken - ist dagegen der Tradition entnommen. „Dabei kann, wie Dtn 2,25 und 11,25 zeigen, der von Gott gewirkte Schrecken auch ein Erschrecken vor Menschen mit implizieren" 87 . Die Tributfreudigkeit „einiger Philister" (V 11) muß trotz dieser spezifizierenden Einschränkung nicht die Authentizität des Berichteten belegen 88 , wenngleich die historische Wirklichkeit ein entspanntes Verhältnis zum westlichen Nachbarn nahelegt (s.o.). Wie sehr der Chronist abermals typologisch denkt, zeigt die Parallele I 14,16f, wo Philister und ,Jahweschrecken" unter David in einem entsprechenden Zusammenhang stehen. II 17,11 versucht u.E. durch typologische Motive, die Regierung Josaphats mit der Herrschaft Davids zu parallelisieren, indem das Summarium (V 10) entfaltet wird, nrtfö weist auf V 5 zurück, Kleinvieh und Silber transportieren das als Bindeglied fungierende Motiv von Reichtum, Ehre und Macht Josaphats, das der Chronist in 18,1 (und später in 27,5f unter Jotam) erneut aufgreift. Auch die im Negev beheimateten und als Nomaden gedachten „Araber", die sich der Chronist wohl als Nachbarn der „Kuschiten" denkt 89 , entspringen u.E. typologischem Denken. Dies zeigt die Parallele II 21,16, wo sich „Philister" und „Araber" dem bösen Nachkommen Joram gegenüber genau gegensätzlich verhalten. Die erwähnten Tribute könnten in 2Kön 3,4 ihren motivgeschichtlichen Ursprung haben 90 .

85 Zur „Furcht Isaaks" (Gen 31,42.53) vgl. H.-P. STÄHLI, THAT II, 411; ZLMMERLI, Theologie, 2 1 ; FOHRER, Religion, 2 0 - 2 5 .

86 Vgl. STÄHLI, THAT II, 413; ZlMMERLI, Theologie, 50f; vgl. Dtn 7,20.23; Ex 23,27f; Jos 24,12. 87 STÄHLI, T H A T II, 413. 88 So WELTEN, Geschichte, 97; gegen RUDOLPH, HAT 21, 251. 89 Vgl. MYERS, AB 13, 100; WILLIAMSON, NCBC, 283. Es könnten auch die sich in chronistischer Zeit formierenden Nabatäer gemeint sein, vgl. CURTIS / MADSEN, ICC, 394. 9 0 V g l . CURTIS / MADSEN, I C C , ebd.

4.2 Einzelauslegung

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4.2.6 Der Bauherr (V 12f) 1. Die Topoi „Festungen und Bauten" und „Heeresverfassung" sind durch WELTENS Textanalysen historisch und literarisch erschlossen worden 9 1 . Die Ergebnisse dieser Arbeit sind für II 17,12-19 kurz zu referieren und ggf. durch weitere Beobachtungen zu ergänzen. Die Abgrenzung von V 12f vom nachfolgenden Kontext ist nicht unumstritten 92 , zumal V 14 an die vorher erwähnten Soldaten mit einer Musterungsliste anknüpft. Da sich aber das Thema „Festungen und Bauten" innerhalb der chronistischen Parallelen (II 14,5f; 26,9f; 27,3f; 32,5-6a; 33,14) durch stilistische Eigentümlichkeiten deutlich von dtr Baunotizen abhebt 93 und stereotype Merkmale aufweist, ist seine Abtrennung vom Kontext gerechtfertigt. V 12a leitet wiederum mit einem summarischen Hinweis auf Josaphats Machtzuwachs die eigentliche Baunotiz (V 12b) ein. Damit ist die Voraussetzung für die Einlagerung von Vorräten in judäischen Städten (V 13a) und der Stationierung von Besatzungen in Jerusalem (V 13b) gegeben. 2. *7TJ1 l^n BDB'irr TPl in V 12a weist ebenso wie die verwendeten Termini und adverbialen Bestimmungen des Abschnittes auf eine späte Sprachgestalt des Hebräischen hin und stellt eine chronistische Stileigenart dar 94 . Die erneute Erwähnung der Größe Josaphats ist ein Stilmittel, das V 12 mit V 1.5f. verbindet. Für den Leser entsteht der Eindruck ständiger Steigerung, der den Verfasser als Autor seines Stoffes ausweist. Der Machtzuwachs J o saphats führt wie bei allen positiven Königen zu providentiellem Handeln Josaphats, der Ruhm und Reichtum nicht selbstsüchtig für sich nutzt, sondern durch die Anlage von Festungen und Vorräten das Wohl des Gottesvolkes sucht und damit ein ausgesprochen „soziales" Verhalten an den Tag legt. Erstarken und Bautätigkeit eines Königs stehen in der Chronik auch sonst oft in unmittelbarem Zusammenhang 95 . Die Anlage von WTT3 und 1YU30Ü "HS in V 12b weist sprachgeschichtlich in die spätnachexilische Zeit 9 6 . Dennoch gehört diese Notiz nach der Einteilung WELTENS nicht zu den „Anachronismen im strengen Sinn", da sie „nicht so situationsgebunden" sei wie die konkreten Bauhinweise an anderer Stelle (z.B. II 26,9f; 27,3f) 9 7 . Die theologische Funktion und konkrete Bedeutung dieser typischen Maßnahmen sind von WELTEN u.E. noch nicht hinreichend erfaßt, wie dieser selbst konzediert. „Die theologischen Vorstellungen [...] sind hier nicht direkt faßbar. Es ist aber festzuhalten, daß der Ausgangspunkt für die Baunotiz nicht eine militärisch-kriegerische ist, sondern der Hinweis auf die Größe des Königs." 9 8 91 92 93 94 95 96 97 98

Vgl. WELTEN, Geschichte, 9-114. Vgl. a.a.O., 19.44. Vgl. a.a.O., 39-42. Vgl. a.a.O., 20 (einschl. Anm. 47.48). Vgl. a.a.O., 43f. Vgl. a.a.O., 20-23. WELTEN, Geschichte, 46. A.a.O., 23.

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II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

Was die „Burgen" und „Vorratshäuser" betrifft, so ist W E L T E N S Hinweis auf die „Konstanz solcher Institutionen" 99 als alleinige Erklärung nicht voll befriedigend. U.E. ist auch mit einer „Konstanz der Tradition" zu rechnen, die in einer typologisierenden Interpretation begründet sein dürfte. Archäologisch zuverlässig sind die Zeugnisse eines verstärkten Ausbaus von Festungen und Vorratshäusern in salomonisch / nachsalomonischer Zeit sowohl im Norden als auch im Süden des Landes 1 0 0 . Auch Hos 8,14 und II ll,5b.6a-10a - eines der auch von W E L T E N anerkannten authentischen Quellenfragmente aus vorexilischer Zeit in der Chronik 1 0 1 - belegen die Bautätigkeit der judäischen und israelitischen Könige im 10. und 8. Jahrhundert v.Chr. Eine solche politisch kluge Maßnahme wie das Anlegen von Festungen und Vorratshäusern konnte leicht den Charakter eines Typos / Topos gewinnen. Hinzu kommt ein psychologisches, wenngleich nicht nur spekulatives Argument. Die hellenistische Zeit brachte durch die ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen von Seleukiden und Ptolemäern auf judäischem Boden auch eine wirtschaftliche Verarmung des Landes durch Tribute, Plünderungen und die Versorgung gewaltiger Heereskontingente mit sich 1 0 2 . Der Gehorsam gegen die Tora, wie er durch Josaphat beispielhaft vorexerziert wurde, konnte Hoffnungen auf wirtschaftliche Konsolidierung („Vorratshäuser") wecken. Der Ausbau von Festungen hat in der breiten Schilderung des Mauerbaus in Jerusalem durch das zeitgleiche Werk Esr-Neh und der Jesaja-Apokalypse traditionsgeschichtliche Parallelen (vgl. Neh 3,11-4,17; 6,1-19; Jes 26,1). Kann man ausschließen, daß das Motiv der Schutz und Sicherheit vor den Feinden gewährenden „Mauer" hüben wie drüben eine theologisch ähnliche Funktion erfüllte (vgl. V 2: m i s a n j n i r r ••isr'wa)? Der Topos, ja die Chronik insgesamt könnte so aus der bedrängten Situation der spätnachexilischen Gemeinde ( W E L T E N ) und aus der restaurativeschatologische Hoffnungen weckenden typologischen Anbindung an die Traditionen der Davididen erklärt werden. Der Autor erwiese sich damit als Repräsentant einer Haltung, die aufgrund der ständigen Rückkoppelung J o saphats an David und der chronistischen Zeit an die Davididen als eschatologisch-messianisch bezeichnet werden kann.

99 A.a.O., 22. 1 0 0 So lassen sich u.a. in Hazor und Arad gewaltige Festungs- und Vorratsbauten im 10. und 9. Jahrhundert v.Chr. nachweisen, vgl. HERRMANN, Geschichte, 223 (mit Anm. 21 und 22); Y. YADIN, Hazor, Hamburg 1976, 1 8 7 - 1 8 9 . 1 9 8 - 2 0 5 (für Gezer); Z. HERZOG (u.a.), The Israelite Fortress at Arad, BASOR 254, 1984, 1-33; Überblick bei O . KEEL / M . KOCHLER, Orte und Landschaften der Bibel 2, Zürich / Göttingen 1982, 2 2 4 - 2 3 3 (Arad). 101

Vgl. WELTEN, Geschichte,

11-15.192.

102 Vgl. H . KÖSTER, Einführung in das Neue Testament, Berlin / New York 1980, 4 8 - 5 2 . 6 2 65.214-216.

4.2 Einzelauslegung

151

4.2.7 Der Heeresreformer (V 14-19) 1. Der Abschnitt, den wir mit W E L T E N zum Topos „Heeresverfassung" zählen, gehört zu den umstrittensten Passagen in II 17. Viele Ausleger und Kommentatoren, vor allem aus dem Bereich der angloamerikanischen Forschung, konzentrieren sich auf die Frage nach der Historizität sowie nach den zugrundeliegenden Quellen dieser Verse, während die theologische Bedeutung der Rezeption der Angaben zur Heeresverfassung dieser apologetischen Tendenz untergeordnet und oft nur auf wenige (Halb-)Sätze reduziert wird 1 0 3 . Wie W I L L I hinsichtlich des Umgangs mit Uberlieferungsgut für den Chronisten herausgearbeitet hat, ist der Verfasser nicht an einer möglichst vollständigen Sammlung historischer Reminiszenzen oder Quellen interessiert. Der Chronist zeigt im Gegenteil die Freiheiten eines Auslegers, seine Vorlage(n) zu kürzen und den Stoff auf das theologisch Relevante zu reduzieren (KAT IV, KAT VIII). Solange das Zerrbild vom chronistischen „Historiker" festgehalten wird, gerät man trotz kunstvoller, rationalistischer Harmonisierungsversuche in ständig neue Aporien 104 , die zudem die Frage nach dem warum und wozu des Abschnittes noch gar nicht berühren. WELT E N S Untersuchung der militärtechnischen und -organisatorischen Prämissen der Verse 105 ergibt eindeutig, daß eine Datierung der Angaben ins 9. Jahrhundert völlig ausgeschlossen ist, da hellenistische Heeresstrukturen vorausgesetzt sind. Umso mehr überrascht die zähe Repristinierung überholter Positionen des historischen Sachverhaltes106. Was für V 7f festgestellt wurde, gilt auch hier: Abgesehen von den zeitlich nicht mehr nachprüfbaren (und auf mündliche Tradition zurückgehenden?) Namenslisten beinhaltet der Text keine Indizien für die Rezeption bzw. Interpretation von Quellen. Darüberhinaus ist das Problem für unsere Aufgabenstellung nicht weiter von Belang und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht in gebührender Ausführlichkeit verfolgt werden. Hinsichtlich der Gliederung von 17,14-19 ergibt sich eine klare Vierteilung. V 14a leitet die nachfolgende Musterungsliste ein, die nach Juda (V 14b-16) und Benjamin (V 17f) hin unterschieden wird. V 19 faßt den

103 Vgl. MYERS, A B 13, 100; CURTIS / MADSEN, I C C , 394f; R.J. COGGINS, C B C , 211; WLLLLAMSON, N C B C , 284. 104 Vgl. Anm. 38 und 39 (s.o.). Problematisch ist auch, o b es sich an dieser Stelle um ein stehendes Heer oder den Heerbann der Stämme handelt. Für beides lassen sich Argumente finden (vgl. WlLLIAMSON, N C B C , 284). Indem der Chronist beide Vorstellungen vermischt, zeigt sich, daß der Verfasser keine genauen Vorstellungen v o m Heerbann des 9.Jahrhunderts v.Chr. mehr haue. 105 Vgl. WELTEN, Geschichte, 82-87.98-114. 106 Vgl. WlLLIAMSON, N C B C , 261-263. Sein als Gegenargument gedachter Verweis auf II 25,5 negiert den doppeldeutigen Charakter des Königs in chronistischer Perspektive (vgl. V 2-4). Wenn WlLLIAMSON im Topos „Heeresverfassung" kein spezifisch chronistisches Theologumenon findet, betreibt er einen Zirkelschluß; vgl. WELTEN, Geschichte, 86 (gegen JUNGE).

152

4

II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

Abschnitt zusammen und schließt den Toposkomplex durch die Verknüpfung mit V 2 ab. 2. Die Erwähnung der „Musterungsordnung" (V 14a) bezieht sich zwar auf die "TTl "HUJ (V 13b) zurück, kann aber nicht die Söldnertruppen und FestungsBesatzungen, sondern nur das Aufgebot des Heerbanns bezeichnen, wie die hohen Zahlen und die Aufteilung nach Vaterhäusern und Stämmen belegen 107 . Die Dominanz Judas gegenüber Benjamin ist deutlich erkennbar. Die Judäer werden zuerst genannt, haben mehr Soldaten (sogar freiwillige Truppenführer, V 16) und sind offenbar schwerer bewaffnet als die benjaminitischen Bogenschützen108. Die Anführer werden zuerst genannt, wobei die Judäer wiederum durch zwei „Fürsten" ( Ifen ) herausragen. Damit wird eine sich vom König abwärtsbewegende Hierarchie deutlich, wobei für Josaphat gilt, daß ein guter König nicht nur problemlos riesige Truppenverbände mobilisieren kann, sondern auch klug genug ist, kompetente Leute an ihre Spitze zu stellen. Wo der Gehorsam gegen Jahwes Tora Vorrang hat, sind „wie von selbst" (V 16: annön) ausreichende Heereskontingente vorhanden (Ps 127,2b). Hinsichtlich des Massenheeres hat das Urteil BENZINGERS nach wie vor Bestand: „[...] die Zahlen von Abias und Asas Heer (13,4 14,7) sind hier mehr als verdoppelt, denn auch Josaphats Frömmigkeit ist keine halbe, wie die seiner Vorgänger"109. Aber welche Funktion hatte ein solches Massenheer, das offensichtlich keine Kriege führte, ja führen durfte (vgl. II 20,17)? Soll es nur das Motiv vom Jahweschrecken (V 10) explizieren, wie V 14fFV lb-2 explizierte, dann fragt man sich, warum V lOf nicht hinter V 19 steht. Deutlich dominieren jedenfalls die mit einem so großen Heer verbundenen impliziten (und darum der Spekulation verdächtigen) Gedanken. Eine politisch, weil militärisch machtlose Volksgemeinschaft konnte Macht und Ruhm der hellenistischen Großkönige an deren Heeresstärken ablesen. 17,14-19 entfaltet also V lb. Sollten V 14-19 in einer erneuten Steigerung V 1.5.10 wieder aufnehmen oder im Schema von actio Dei - reactio hominis das militärische Korrelat zum ,Jahweschrecken" darstellen, dann zielte die fiktive Heeresstärke Judas unter dem guten König Josaphat auf den für die spätnachexilische Gemeinde utopischen Gedanken der Ebenbürtigkeit, wenn nicht Überlegenheit ihres (kommenden) „Großkönigs" über diejenigen der ringsum liegenden Völker. Die politische Souveränität unter einem rechtmäßigen Herrscher hängt daher von der Solidarität Jahwes und dem dieser Solidarität entsprechenden Tora-Gehorsam von König und Volk ab. Auch diese Utopie wird man als eine „restaurativ-messianische" bezeichnen müssen110. 107 Zu Juda und Benjamin vgl. die phantasievollen Überlegungen von WILLIAMSON, N C B C , 262f, dem wohl eher eine kontemporäre „amerikanische" als eine chronistische Heeresordnung vorschwebt. 108 Vgl. WELTEN, Geschichte, 102.

109 BENZINGER, KHC 20,105. 110 Für die Annahme, daß es sich hierbei um eine restaurativ-eschatologische Utopie handelt, sprechen die Federführung des Davididen Josaphat und die vielen Parallelen zu David und Salomo.

4.3 Zusammenfassende Beurteilung

153

4.3 Zusammenfassende Beurteilung 1. Die Einzelexegese von 17,1-19 bestätigte weitgehend die bisher gewonnenen Ergebnisse (vgl. Punkt 3 dieser Arbeit). Die Stilmittel Wiederholung, Steigerung und Entfaltung, sowie die Synchronität von Anfang und Schluß (V 2.19) belegen die literarische Konzeption des Sondergut-Abschnittes. Abgesehen von den anachronistischen Einträgen der eigenen Zeit (WELLHAUSEN, WELTEN), ist der Autor auch als Schriftsteller weiterhin Ausleger seiner Vorlage (WILLI), an die er in seinem Denken gebunden bleibt. BENZINGERS Eindruck, der den ganzen Abschnitt für „ziemlich unordentlich" hielt, hat sich nicht bestätigt. Vielmehr offenbarte sich eine wohldurchdachte (An-)Ordnung des Textes. Uber die Kunstfertigkeit und Professionalität des Unternehmens kann man zu Recht staunen. 2. Die Topos-Struktur reflektiert das Jahwe-König-Verhältnis im Rahmen der positiven Folgen des Tun-Ergehen-Zusammenhangs, wobei der Chronist auffällig bemüht ist, das „Volk" am „Segen" Jahwes durch providentielle Maßnahmen des Königs zu beteiligen. 3. Entgegen früheren Annahmen (RUDOLPH, PLÖGER, STECK.) tritt die o.g. eschatologische Dimension vor allem durch den Toposzusammenhang „Volksbelehrung - Festungen und Bauten - Heeresverfassung" u.E. deutlich zutage. Da es sich hierbei um chronistische Schöpfungen handelt, die die eigene Situation kritisch-paränetisch reflektieren, scheint uns diese Erklärung die plausibelste zu sein. Damit steht der Chronist - warum auch nicht? - ganz in der Tradition anderer alttestamentlicher Geschichtsentwürfe. Die von WILLI für den Chronisten reklamierte typologische Denkbewegung innerhalb der Geschichtsdeutung hat sich bestätigt. WlLLIAMSON vergleicht Salomo und Josaphat und stellt über die o.g. Gemeinsamkeiten hinaus deutliche Entsprechungen fest 111 . Es zeigen sich wörtliche und traditionsgeschichtliche Parallelen, die sich noch ergänzen lassen und schwerlich zufällig sein dürften. So knüpft II 17,1.3 an 1,1 an. Salomos Reichsreform und seine auch historisch verifizierbare Bautätigkeit ( l K ö n 4,1 ff; 9,15ff par), die Tribute der Fremdvölker, wie z.B. der Philister ( l K ö n 5,1 par), sein enormer Reichtum (lKön 10 par; II 1,12), seine Sorge um den Gottesdienst und letztlich auch sein durchorganisiertes Heerwesen ( l K ö n 9,22fF par) lassen sich auch innerhalb des Toposkomplexes für Josaphat nachweisen. 4. Hinsichtlich des Topos „Bauten" in II 2,17 ist es u.E. recht wahrscheinlich, daß für ihre Verwendung traditionsgeschichtliche Motive und meist recht allgemeine historische Erkenntnisse über den Ausbau judäischer Festungen im 10. Jahrhundert typologisch auf spätere Könige übertragen wurden. Der Anachronismus wird also nicht aus der Gegenwart, sondern aus

111 Vgl. WILLIAMSON, NCBC, 280f.

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4

II 17,1-19: Grundzüge der Regierung Josaphats

der Vergangenheit abgeleitet und könnte nicht zuletzt psychologisch motiviert gewesen sein (Schutz und Vorrat in Kriegszeiten). 5. Die Ausrichtung an einer vergangenen und neu zu erhoffenden Glanzzeit tritt in II 17 (anders als in II 20, s.u.) als theologia gloriae in Erscheinung. Sie hat in dem aus vorexilischer Zeit stammenden, später Salomo zugeschriebenen Ps 72 eine traditionsgeschichtliche Entsprechung 112 , dessen Themen in II 17 wiederkehren. Das typologische Denkschema kann zum „Systemzwang" werden und zu Spannungen mit der Vorlage führen (vgl. II 17,6). 6. Abgesehen von der Typologie finden sich auch andere traditionsgeschichtliche Hinweise, die eine restaurativ-eschatologische Blickrichtung des Verfassers verraten. So wird das für das 9. Jahrhundert utopische ,»Erstarken" des Südens über den Norden doch wohl als Hoffnungsgut auf Wiedervereinigung unter judäischer Führung anzusehen sein. Diese Hoffnungen manifestierten sich bereits in exilisch-frühnachexilischer Zeit (vgl. E z 37,15-22), wie auch die Hoffnung auf ein Leben in gesicherten Grenzen (vgl. Ez 28,24-26). Auch die „Weltkriegsdimensionen" ( W E L T E N ) der Heeres- und Kriegsangaben ist traditionsgeschichtlich längst nicht so singulär, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag (vgl. Ez 38f) 113 .

112

Z u P s 7 2 v g l . H . J . KRAUS, P s a l m e n . B K X V / 2 , N e u k i r c h e n - V l u y n

4

1972,

493-500.

113 Vielleicht gehört auch der in vielem rätselhafte Text Gen 14,1-16 zu diesem Vorstellungskreis; vgl. G. V.RAD, Das erste Buch Mose: Genesis Kapitel 1-12,9, A T D 3, Göttingen "1981,

146FF.

5

II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

5.1 Die Niederlage (II 18,1-19,3) Anders als hinsichtlich des Toposkomplexes II 17 sind Ursprung und Morphologie von II 18,1-19,3 unstrittig. Ausgangspunkt bildete die literarisch mehrschichtige und dtr überarbeitete Erzählung in lKön 22,1-38. Der Schwerpunkt unserer Textanalyse liegt daher sachgemäß auf der in Interpretamenten und Glossen greifbaren Redaktion. Zudem muß gefragt werden, inwieweit II 18,1-19,3 überhaupt für die Josaphatrezeption fruchtbar zu machen ist. 5.1.1 Die Binnenstruktur des Textes 1. Der synoptische Vergleich1 mit lKön 22,1-38 zeigt die weitgehende Textkongruenz von II 18,3-34 mit der dtr Vorlage, während 18,lf und 19,1-3 Reflexionen bzw. Glossen des Redaktors darstellen2, die den Text rahmen und chronistische Anliegen zur Sprache bringen. Dabei korrigiert der Chronist die dtr Rahmung, indem er die allgemein gehaltene Aramäerkriegs-Notiz der Vorlage und die zeitliche Einordnung des Geschehens im Leben Ahabs (lKön 22,1-2a) ebenso ausläßt, wie die Unterredung Ahabs mit seinen Knechten über den legitimen Besitzanspruch Israels auf Ramoth in Gilead. Der Chronist übernimmt nur lKön 22,2b, die Tatsache nämlich, daß Josaphat Ahab aufsuchte, wobei er die Begegnung historisierend nach Samaría verlegte (KAT V). Damit bekundet der Chronist sein offensichtliches Desinteresse an der Omridendynastie bzw. seine Ablehnung des illegitimen Königtums im Norden3, dessen Beziehungen zu Aram für ihn ebenso irrelevant sind wie etwaige „legitime" Besitzansprüche des Apostaten, die allenfalls Juda und sein König anzumelden berechtigt wären. Dieselben Motive mögen den Chronisten bewogen haben, das Ende der Vorlage wegzulassen. lKön 22,36-38 offenbart das dtr Interesse am Schema von „Weissagung und Erfüllung" (v.RAD)4, an dem der Chronist grundsätzlich ebenfalls interessiert war (II 20,35ff), wenn es den Davididen betraf. Der Tod des Verräters Ahab stellte für sein Interesse einen Nebenschauplatz dar, den der interessierte Leser in der Vorlage nachschlagen konnte. Alle Institutionen des Nordens haben keine dauerhafte Berechtigung, die positive Alternative Israels besteht in der Umkehr und Subordination unter den legitimen Gesalbten Jahwes (II 13,4-12). Von der Intention der Vorlage abweichend läßt sich festhalten: In II 18 gilt nicht Ahab, son1 V g l . KEGLER / AUGUSTIN, S y n o p s e , I84f.

2 Zu beiden Begriffen vgl. WILLI, Auslegung, 171-175. 3 Vgl. auch das Fehlen des Synchronismus in lKön 22,41. 4 Vgl. V . R A D , Geschichtstheologie, 1 8 9 - 2 0 4 .

156

5.1 Die Niederlage (II 18,1-19,3)

d e m Josaphat alle Aufmerksamkeit, wie Einleitung und Abschluß der E r zählung durch die glückliche Rückkehr und prophetische Paränese (19,1-3) verdeutlichen. Wie sehr der Chronist bemüht ist, die gegenüber Ahab marginalisierte Rolle Josaphats zu korrigieren, zeigen die allerdings nicht konsequent vorgenommenen Ersetzungen des Numerus bei Verben und Suffixen von Singular- durch Pluralformen (KAT III, KAT VIII)5. 2. D e r redaktionell bearbeitete Text gliedert sich wie folgt: V 1-3 leitet den Abschnitt ein, wobei ein „Freundschaftsbesuch " des Schwagers aus Jerusalem (nach Meinung des Chronisten!) zum Anlaß eines Militärpaktes wird. Mit V 4 scheint das bereits beschlossene Unternehmen dann unerwartet in Frage gestellt zu sein, als Josaphat auf einem Orakel besteht (dessen Befragung eigentlich vor V 3 zu erwarten wäre). V 4a (resp. l K ö n 22,5a) scheint völlig entbehrlich, da Josaphats Rede an Ahab bereits in V 3b einsetzte. Dieses Phänomen markiert ebenso wie der inhaltliche Widerspruch zwischen V 3b und 4a eine literarkritische Bruchstelle in dem vom Chronisten übernommenen Vorlagentext. V 4-27 reflektiert das Problem von falscher Heilspropbetie (Gruppe) und wahrer Unheilsprophetie (Einzelner), während V 28-34 im Anschluß an den Dialogteil den Verlauf des Feldzuges und die Erfüllung des Prophetenwortes trotz der List Ahabs schildern. II 18,1-19,3 zeigt Spuren verschiedener Motive und Bearbeitungen, die mehrere Wachstumsstufen des Textes anzeigen.

Exkurs: Zur Komposition von l K ö n 22,1-38 1. WÜRTHWEIN erbrachte in einer kompositionskritischen Analyse von l K ö n 22,1-38 den definitiven Nachweis der Mehrschichtigkeit und längeren Genese des Abschnittes zum vorliegenden Textbestand 6 . E r differenzierte zwei ursprünglich für sich bestehende Erzählungen: Eine „Sage mit märchenhaftem Einschlag" 7 , die in V 2b-4 (unter Auslassung von V 5-28) und V 29-37 rekonstruierbar sei sowie eine in sich selbst bereits mehrschichtige Micha-Erzählung (V 5-28), die erst sekundär mit der Sage verknüpft wurde. Ausgangspunkt für die Differenzierung der Erzählungen sind die bereits konstatierten Spannungen zwischen V 4f (= II 18,3f) sowie die Tatsachen, daß die Gestalt Michas, die in V 5-28 im Mittelpunkt stand, mit V 2 9 völlig aus dem Blickfeld verschwindet und Josaphat zu dem von ihm angeforderten Orakel überhaupt keine Stellung bezieht 8 . Nach WÜRTHWEIN reflektiert die in Juda entstandene und ursprünglich anonyme Erzählung v o m „betrogenen Betrüger" (Ahab) eine Zeit, in der Juda als Vasall Israels zur 5 Einige Beispiele: lKön 22,6 - II 18,5; lKön 22,15b - II 18,14b; lKön 22,19 - II 18,18; l K ö n 22,26 - II 18,25; l K ö n 22,30 - II 18,29. 6 V g l . E . WORTHWEIN, Z u r K o m p o s i t i o n v o n I R e g 2 2 , 1 - 3 8 , in: F. MAAS ( H g . ) , F S f ü r L .

ROST. BZAW 105, Berlin 1967, 245-254; ders., ATD 11 / 2 , 255-262. 7 WORTHWEIN, Komposition, 249. 8 Vgl. a.a.O., 246f.

5

II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

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Waffenhilfe gezwungen war (V 2b-4.29-37). So war die Anwesenheit Josaphats in der Residenz des israelitischen Königs keineswegs ein Freundschaftsbesuch (gegen II 18), sondern Diktat des Oberherren, dem sich der Vasall widerspruchslos zu fügen hatte. Schadenfroh werde das Motiv entfaltet, „daß der, der sich durch eine List retten will, zugrunde geht, während der durch die List gefährdete Waffengefährte mit dem Leben davonkommt" 9 . Angespielt werde daher nicht auf ein konkretes historisches Einzelereignis. „Was erzählt wird, ist nicht für einen bestimmten König allein bezeichnend, sondern für den Typ ,König von Israel', wie er vom judäischen Standpunkt aus gesehen wird." 10

2. Ganz anders die Micha-Erzählung (V 5-28). In ihr werde das Problem von wahrer und falscher Prophetie verhandelt. Auffällig sei, daß mit V 1923 - stilistisch sehr hart - eine zweite Vision Michas berichtet wird, „die ohne allen Zusammenhang mit der ersten ist" 11 . Sie erkläre nicht mehr, was sich entgegen den Behauptungen der Heilspropheten tatsächlich ereignen werde, sondern suche nach einer Erklärung für die falsche Vorhersage. Im ganzen stellt WÜRTHWEIN innerhalb der Micha-Erzählung drei Schichten fest: a) Die älteste Schicht12 umfasse V 5-9.13-17(18?).26-28. Hier werde das Thema von Heil verkündender Gruppenprophetie und unheilverkündender Einzelprophetie zur Sprache gebracht, wobei V 28 den „Prophetenkanon" von Dtn 18,22 aktualisiere. b) Eine zweite Schicht (V 10-12.24.25) führe die Gestalt Zedekia Ben Kenaanas ein, der als Sprecher der Hofpropheten zum Gegenspieler Michas werde und dessen Kennzeichen der Geistbesitz sei13. c) Die dritte Schicht (V 19-22) setze sich mit diesem Anspruch auf den „Geistbesitz" auseinander, der keineswegs abrogiert, aber als von Jahwe gesandter Lügengeist identifiziert werde 14 . Wie die Kriegssage (s.o.) sei auch die Micha-Erzählung nicht eigentlich als „Geschichtserzählung" zu bezeichnen, sondern eine in erzählerische Form gekleidete typische Kontroverse 15 um das Problem von wahrer und falscher Prophetie. Das „Typische" der Erzählung zeige sich auch darin, daß die großen vorexilischen Schriftpropheten (analog zu Micha) den „Geist" als Legitimation ihrer Verkündigung ablehnten 16 . 3. Wenngleich uns die Abhebung der dritten von der zweiten Schicht nicht recht zu überzeugen vermag - der Geist ist in beiden Abschnitten das entscheidende Stichwort und verbindet u.E. beide „Schichten" - so scheinen 9 10 11 12 13 14 15 16

WORTHWEIN, Komposition, 248. A.a.O., 249. Ebd. Vgl. a.a.O., 251 f. Vgl. a.a.O., 252; ders., ATD 11 / 2 , 257. Vgl. WORTHWEIN, Komposition, 252; V 23 ist s.E. ein redaktioneller Zusatz. Vgl. a.a.O., 253. Vgl. ebd.

158

5.1 Die Niederlage (II 18,1-19,3)

die übrigen Erklärungen W Ü R T H W E I N S einleuchtend. Die Endgestalt von lKön 22,1-38 gab den einzelnen Erzähleinheiten - Tradition als Interpretation - einen neuen Sinn: Die List Ahabs im Ramoth-Feldzug wird durch die Ankündigung Michas zu einem vergeblichen Versuch, Jahwes geweissagtem Unheil zu entfliehen. Gottes Willen kann sich der Mensch nicht entziehen. „So wächst die alte Sage in die Dimension einer religiösen Lehrerzählung, die das trotz der Verkündigung der Heilspropheten eingetroffene Unheil zu verstehen sucht." 17

Das als vaticinium ex eventu getroffene Urteil der „siegreichen" Unheilsprophetie über die Heilsprophetie suchte nach einer Erklärung für das Phänomen der ekstatischen Konkurrenten: Selbst die Falschprophetie steht noch im Dienst des Willens Jahwes - ein theologisch kühner Versuch der dtr Schule, mit dem Problem der ambivalenten vorexilischen Prophetie fertig zu werden.

5.1.2 Die chronistische Rezeption der Vorlage Die Analyse der vom Chronisten übernommenen Vorlage läßt fragen, inwiefern II 18,1-19,3 für die Josaphat-Rezeption von Belang ist. In 18,1016.18-27 wird Josaphat nicht erwähnt, der „König Israels" scheint alleiniger Ansprechpartner Michas zu sein. Er steht vor der Entscheidung, die wahre Prophetie anzuerkennen. Eine solche Auseinandersetzung kann sich für den Chronisten nur im Nordreich abspielen. Sind die judäischen „Propheten" und „Seher" doch durchweg jahwetreue Gestalten, die analog zu Micha Ben Jimla auch vor Königskritik nicht zurückschrecken (II 16,7-10; 19,1-3 u.ö.). Die Rezeption der Micha-Erzählung in II 18 dürfte bei dem sonst hinsichtlich der Nordreich-Uberlieferungen äußerst zurückhaltenden chronistischen Verfasser auf die willkommene Diskreditierung des „Königs von Israel" in der Vorlage zurückgehen. Die Falschprophetie wird zum Indikator der Apostasie. Wie sehr das israelitische Königtum in II 18 diskreditiert und perhorresziert wird, zeigt die betonte, redaktionelle Hinzufügung des Titels ^Klfe"'""!^ hinter den Namen Ahabs in 18,3.19, die die typologischen Züge der Geschichte noch verstärkt. Die Person Ahabs hat für die chronistische Josaphat-Rezeption lediglich die Funktion einer Kontrastfigur. Zwei coram Deo völlig verschiedenartige Personen begegnen einander, wie der Chronist erstaunt feststellt (19,2). Denn Josaphat „sucht" (= tfTT 18,4.6), anders als die Könige Israels, den Rat Jahwes. Die chronistische Josaphat-Rezeption wird sich daher sinnvollerweise auf 18,1-9.17.28-34; 19,1-3 (Feldzug) beschränken. Die subtilen Spannungen von Heils- und Unheilsprophetie dürften dem in ganz anderen historischen Bezügen lebenden Chronisten nicht mehr bewußt gewesen sein. Dies wird schon daraus ersichtlich, daß dieses Thema theologisch nicht weiter verfolgt wird. 17 WORTHWEIN, A T D 11 / 2, 262.

5

II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

159

5.1.3 Die chronistische Interpretation der Vorlage 5.1.3.1 Der Textbestand 1. Die Auswertung des textkritischen Apparates von BHK / BHS hinsichtlich der für die Josaphat-Rezeption relevanten Verse (18,1-9.17.28-34; 19,13) zeigt keine herausragenden textkritischen Probleme. Vielmehr kopiert der Chronist, wie in II 18,1-34 insgesamt, im wesentlichen die dtr Vorlage und versieht diese mit kommentierenden Zusätzen. 2. Die bereits erwähnten Änderungen des Numerus bei Verben und Suffixen (V 5.29) sind von wichtigen LXX-Hss revidiert und an den Wortlaut von lKön 22 adaptiert worden18. Dieser Harmonisierungsversuch der Ubersetzer verkannte wohl das Ringen des Verfassers um Ebenbürtigkeit, ja vielmehr Überlegenheit seines Helden gegenüber dem abtrünnigen Ahab. Eine linguistische Härte stellt das im Paralleltext fehlende "pUl in V 3b dar. M las an dieser Stelle einen weiteren polysyndetisch angeschlossenen Hauptsatz, wobei allerdings das Subjekt im jetzigen Text fehlt (Josaphat? Volk?). Wichtige LXX-Hss 1 9 lasen an dieser Stelle die Konjunktion nicht mit, wobei sich dann das „mit dir" auf das Volk bezieht, ohne daß ein zweiter, beigeordneter Hauptsatz nötig wird („[...] wie ich, so bist auch du, wie dein Volk, so ist auch mein Volk gemeinsam mit dir im Krieg"). Da auch Josaphats Bereitschaft zum Feldzug deutlich artikuliert wird, entsteht keine echte Sinnverschiebung innerhalb der Varianten. Vielleicht ist die Konjunktion l als Dittographie zu "]ÖB31 (V 3b) zu streichen und L X X Recht zu geben. 3. Die aufgrund unterschiedlicher Vokalisierung verschieden gelesene Präposition (mit Suffix) WKö (V 6b.7a) wird wohl mit L X X instrumental („mit, durch") und nicht als nota accusativi (M) zu verstehen sein 20 . In V 29 wird M mit der Lesart 1*713 gegen L X X Recht zu geben sein. L X X hatte die Vorlage so verstanden, daß Josaphat nicht seine eigenen königlichen Kleider, sondern die Kleider Ahabs anziehen sollte. Diese Pointierung des Geschehens widerspricht dem nachfolgenden Kontext, wie R U D O L P H richtig feststellte21. In V 30a ist vor der zweiten nota accusativi eine Konjunktion ausgefallen und muß ergänzt werden. In V 31 ist mit M DiVD*) zu lesen, eine Lesart, die LXX, V und T aufgrund seiner anstößigen Bedeutung (s.u.) abschwächten22. Dadurch nahmen sie allerdings dem chronistischen Interpretament die Pointe. runnn (M) bzw. nan^mn (LXX-Vorlage) in V 33 wiederholt ein textkritisches Problem der Vorlage (vgl. lKön 22,34), ist aber für unsere Untersu18 Vgl. B H K zu II 18. 19 Vgl. B H K z.St. 20 Vgl. GESENIUS, Handwörterbuch, 77. 21 Vgl. RUDOLPH, H A T 21, 255. 22 Vgl. ebd. Er gibt der „originellen" Lesart M den Vorzug, vgl. Einzelauslegung V 3.31. (s.u.).

160

5.1 Die Niederlage (II 18,1-19,3)

chung irrelevant, da der Chronist den bereits ,,verderbten(?)" Text übernahm (KAT II).

4. Es bleibt noch zu fragen, ob im Scheltwort Hananis (19,2) ,Jahwe-Hasser" (= Q a l Aktiv, vgl. M) oder, aufgrund einer anderen Vokalisierung, die „von Jahwe Gehaßten" (= Qal Passiv, vgl. L X X ) gemeint sind. Auch an dieser Stelle hilft u.E. nur die „innere Textkritik" weiter, wenn beachtet wird, daß Xlb bereits in 18,7 im Q a l Impf, aktivisch gebraucht worden war (ähnlich l K ö n 22,8). Sollte unsere Vermutung richtig sein, daß die chronistische Redaktion an dieser Stelle einen Ausdruck der Tradition aufnahm und durch das Seherwort interpretierte, dann ist der Lesart M der Vorzug zu geben (,Jahwe-Hasser"). In Ubereinstimmung mit der hohen Meinung, die der Chronist von den (nota bene) „wahren" Propheten hatte - „der Gesandte ist soviel wie sein Herr" 2 3 - gilt dann: Wer den Propheten haßt (II 18,7), der haßt Jahwe selbst (19,2)! Im ganzen ergibt sich, daß M den ursprünglichen Wortlaut zuverlässiger überlieferte als die oft harmonisierende und interpretierende LXX-Version. Die Abweichungen sind jedoch theologisch nur wenig bedeutsam.

5.1.3.2 Die Einleitung (18,lf) 1. Die Erwähnung von Josaphats „Reichtum und Ehre" in V 1 wiederholt 17,5.1 lf und erweist sich schon dadurch als ein chronistisches Interpretament. Josaphat kommt nicht als Vasall (wie in l K ö n 22) 24 , der aufgrund kommerzieller oder politischer Dependenzen zu Besuch und Bündnis gezwungen wäre. Josaphat kommt als der im In- und Ausland Hochgeschätzte nach Samaria, der seine „Stärke" gegenüber Israel bewiesen hat (17,1). Nicht politische Zwänge, sondern verwandtschaftliche Verpflichtungen unter Gleichrangigen - der Chronist weiß aus 2Kön 8,18 von der Verschwägerung der Königshäuser - veranlaßten ihn zum Freundschaftsbesuch „nach einigen Jahren" (KAT TV)25, die der Chronist für die Reformmaßnahmen in Juda veranschlagt hatte (II 17). Die Erwähnung Samarias (V 2) entspringt chronistischer Interpretation und identifiziert das „Zentrum des Unheils" mit einem Ort, der auch in spätnachexilischer Zeit für den Chronisten die Hauptstadt der ,Jahwe-Hasser" war. Die Tatsache, daß Josaphat zu Ahab „hinabzog", entnahm der Autor der Tradition, die ihm weniger anstößig war als die Verlegung des Ereignisses nach Jerusalem. Die Existenz falscher Jahwe-Propheten war für ihn nur in Samaria denkbar. Ahab empfängt Josaphat standesgemäß, wie die Fülle des geschlachteten Viehs verdeutlicht (vgl. 31*7 V 1.2). Daß Ahab J o saphat zum Feldzug „verführte" ( lrUTü*! ) zeigt als wörtliche „Kontrastparallele" (WILLI) zu V 31 die meisterhaft durchgeführte Rezension der Über23 Vgl. WILLI, Auslegung, 227 (vgl. 216-229). 24 Vgl. WÜRTHWEIN, Komposition, 248f. 25 Z u r Zeitangabe vgl. WILLI, Auslegung, 99.

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lieferung durch den Chronisten, der den eigenen Wortlaut dem kanonischen Sprachgebrauch sorgfältig anglich. „Josaphats Vertrauen auf Ahab hatte seine Irreführung in dem lebensgefährlichen Kampf zur Folge, sein Gebetsschrei zu Gott aber die Irreführung der Feinde" 26 . WILLIAMSON hat im Gefolge ACKROYDS darauf hingewiesen, daß der Chronist mit fllO ein Verb gebraucht, das in Dtn 13,7 Verführung zur Abgötterei („apostasy") meint27 und in I 21,1 eine Aktivität des „Satans" beschreibt 28 . Zu Recht kann es daher als ein chronistisches Leitwort bezeichnet werden, das einen bestimmten Sachverhalt theologisch qualifiziert. 2. Welche Funktionen haben die vom Chronisten gestalteten V lf? Sicherlich wollte der Verfasser nicht, einer Vorliebe für Prophetengeschichten folgend, diese lediglich einleiten29, wie WILLIAMSON (gegen MYERS) betonte 30 . Vielmehr soll doch wohl erklärt werden, wie es zur Verurteilung und zum „Zorn Jahwes" (19,2) über Josaphat gekommen war, während umgekehrt die Prophetengeschichte nur die ,Jahwe-Hasser" näher beschreiben soll und keineswegs im Zentrum des Textes steht: In 19,1-3 wird Micha Ben Jimla mit keinem Wort mehr erwähnt! Verweisen die Formulierungen "jnnm (V 1) und pinuT? (V 2) nicht viel eher auf die Mischehenproblematik, wie sie in Esr-Neh entfaltet wird? Durchaus erwägenswert scheint auf diesem Hintergrund die Erklärung WILLIAMSONS: „If so, unlike the rigorous exclusivists, he will have wished to encourage his people along the road of repentance and restoration by showing them first how low even a Jehoshaphat could sink and then how marvellously the consequences of that failure could be reversed."31

3. Die wohldurchdachte Einleitung offenbart mit viel psychologischem Einfühlungsvermögen, wie es zum „Sündenfall" des Jahwe-Schützlings kommen konnte, „der fromme König läßt sich in einer schwachen Stunde durch Ahabs Liebenswürdigkeit verlocken" 32 .

5.1.3.3 Der Ramoth-Feldzug (V 3-9.17.28-34) 1. In V 3 wird die Verführung durch eine wörtliche Rede Ahabs expliziert. Der Vers ist gegenüber der Vorlage leicht abgeändert. „Ahab, der König Israels" wird jetzt als Sprecher eingeführt, nachdem sein Name (ohne Titel!) bereits in V 1 erwähnt worden war. Die vom Chronisten aus apologetischen oder polemischen Gründen äußerst selten gebrauchte Bezeichnung „König Israels" begegnet entweder nur im Rahmen des Uberlieferungsgutes oder 26 WILLI, Auslegung, 144 (Kursivschrift nicht im Original). 2 7 Vgl. WILLIAMSON, N C B C , 285. 28 Vgl. WILLI, Auslegung, 156. 29 Vgl. MYERS, A B 1 3 , 1 0 4 f ; ähnlich GALLING, A T D 12, 121. 30 Vgl. WILLIAMSON, N C B C , 284. 31 WILLIAMSON, N C B C , 285. 32 BENZINGER, K H C 2 0 , 1 0 6 .

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z u r B e z e i c h n u n g v o n Quellenangaben der sekundären Geschichtsschreibung^. D a ß es sich in V 3 nicht u m eine beiläufige Titulatur handelt - die Bezeichnung könnte theoretisch aus l K ö n 22,4b vorgezogen w o r d e n sein zeigt 18,19, w o „ A h a b , der K ö n i g Israels" ebenfalls redaktionell ergänzt w u r d e , o b w o h l jeder Leser längst weiß, von w e m die R e d e ist. Wir verstehen dieses Interpretament (gegen WILLI 3 4 ) als ein Stück chronistischer Ironie, die in d e m abtrünnigen A h a b den typischen N o r d r e i c h k ö n i g vorführt u n d damit d a s typologische Anliegen der alten judäischen S a g e ( l K ö n 22,2b-4.29-37) aufnimmt. 2. Weitere Eingriffe in die Vorlage erfolgten mittels der E r s e t z u n g v o n TttC durch ""Ötf (V 3) sowie durch die Reduzierung der „ L o y a l i t ä t s t r i a s " ( K ö n i g , Volk, Pferde) auf die konstitutiven Elemente „ K ö n i g " und „ V o l k " (KAT IV). Weiterhin fällt auf, daß der Terminus ilörfTöa aus der F r a g e A h a b s in die (positive) A n t w o r t Josaphats an das E n d e des Verses verschoben wird. S o bringt der C h r o n i s t z u m A u s d r u c k , daß sich die Solidarität J o s a p h a t s , der als „ K ö n i g J u d a s " dem K ö n i g Israels entgegentritt, auf den gemeinsamen K r i e g s z u g begrenzt bleibt („mit dir im Krieg"). D i e S ü n d e wird d a durch zur (Einzel-)Verfehlung abgeschwächt (Josaphat muß von seinem Fehltritt wieder umkehren können), wobei gleichzeitig der Textbestand nach Möglichkeit bewahrt wurde! D a s in V 3b hinzugefugte "|ÖS1 verallgemeinert als verdeutlichender Z u s a t z (KAT V) die „ z u gewunden u n d bildl i c h " 3 5 erscheinende Ubereignung der Pferde an Ahab. 3. D i e Z u s ä t z e , Auslassungen und Änderungen (meist Präpositionen) in V 4-9 entspringen, w i e die Synopse zeigt, zumeist d e m Anliegen der Verdeutlichung der Vorlage (KAT III-V) oder versuchen durch Pluralformen, J o s a p h a t neben A h a b zur Geltung zu bringen (vgl. V 5.18). V 5 ersetzt den Gottesnamen der Vorlage ( , J a h w e " 3 6 ) durch das determinierte ff'ifTKJl. A u s dieser Wortersetzung darf allerdings nicht gefolgert werden, die Propheten Ahabs meinten andere, von J a h w e zu unterscheidend e „ G ö t t e r " 3 7 . D e r Chronist kann , J a h w e " und „ E l o h i m " (mit Artikel) fakultativ gebrauchen (z.B. I 22,19; II 18,31) und unterstreicht durch das (universalistische) Appellativ auch ein neues Verständnis des G o t t e s Israels. D e r J a h w e n a m e konnte zurücktreten, „weil die Unterscheidung zwischen E i g e n n a m e n u n d Gattungsbegriff durch das Bekenntnis zu Israels G o t t als d e m einzig wahren Weltherrn hinfällig w u r d e " 3 8 . Wenn V 7a durch

33 Zu den Quellenangaben vgl. I 9,1; II 16,11; 20,34; 21,6.13; 28,27; 33,18; 35,18. Zu der textkritisch und redaktionskritisch problematischen Stelle II 28,27 vgl. RUDOLPH, H A T 21, 293. 34 Vgl. WILLI, Auslegung, 140, der in diesem Additiv einen „verdeutlichenden Ausgleich" sieht. 35 WlLLI, Auslegung, 103. 36 M liest in l K ö n 22,6 zwar „Adonai", aber der Apparat ( B H K / B H S ) macht . J a h w e " als ursprüngliche Lesart wahrscheinlicher. 37 D a s wiederlegt die konkordante Statistik, vgl. EVEN-SHOSHAN, Concordance, 70f. 38 W.H. SCHMIDT, T H A T 1 , 1 6 6 .

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nsn1? W ' W von der Vorlage sprachlich abweicht, so korrigiert und präzisiert der Chronist damit die umständliche Ausdrucksweise in l K ö n 22,8, ohne den Sinn zu verändern (KAT V). Auch das in V 9 hinzugefügte D,a»",1 glättet lediglich den offenbar verderbten Text der Vorlage (vgl. BH). 4. Mit V 28 setzt, nach der Einschaltung der Michaperikope, der RamothFeldzug ein, für den Chronisten hochwillkommener Anlaß, das Geschick Josaphats zu thematisieren. Die üblichen stilistischen Änderungen (Numerus, Präpositionen, apokopierte Verben) erscheinen auch in V 28ff. Der Chronist folgt dem Stoff vom „betrogenen Betrüger" Ahab, dessen Kleidertausch ihn nicht retten kann. Dies ist für ihn allerdings nur ein Nebenmotiv. Sein Hauptinteresse an der Tradition artikuliert sich in V 31: „Und es geschah, als die Obersten der Streitwagen Josaphat sahen, da sagten sie: ,Er ist der König Israels', und sie wandten sich ihm zu, um ihn anzugreifen. Da schrie Josaphat (= pUll) und Jahwe half ihm, und Gott lockte sie von ihm weg".39

Der Hinweis auf Josaphats Notschrei in der Todesangst („Stoßgebet") 4 0 dürfte bereits einen dtr Einschub in die ursprüngliche Sage darstellen. Wie WOLFF herausarbeitete 41 , ist pUT ein eminent wichtiger anthropologischer Grundbegriff im DtrG, der als Hoffnungsschimmer die pessimistische Grundhaltung dieses Geschichtswerkes transzendiert. „Die Wende [...] wird mit dem Aufschrei Israels zu Jahwe heraufgeführt" 42 . Nach dem Notschrei, der der Sage eine theologische Deutung gibt, drehen die Feinde tatsächlich ab, was vom Chronisten auslegend kommentiert wird. Im ganzen möchten wir drei Traditionsstufen innerhalb von V 31f (lKön 22,32f) unterscheiden: a) Die ursprüngliche Erzählung (typologisierende Sage) wußte nichts von einem Notschrei Josaphats, wie der problemlose Anschluß von l K ö n 22,33a an V 32a deutlich macht. Die Wagenlenker drehen nicht aufgrund eines Eingreifens Jahwes ab, sondern weil sie sehen, daß Josaphat nicht der israelitische König ist, auf den sie es abgesehen hatten. Der Skopus ist die Variation des Motivs vom „betrogenen Betrüger". b) Die dtr Schule theologisierte diesen Vorgang durch die Einfügung von V 32b, indem sie den Namen Josaphats und seinen Hilferuf hinzufügt. c) Der Chronist explizierte schließlich den impliziten Gedanken der Vorlage (KAT V) durch die Erklärung: „Und Jahwe half ihm, und Gott lockte sie von ihm weg" (II 18,31b). Dieser Text zeigt deutlich, daß der Verfasser Ausleger seiner Vorlage ist 43 . Abgesehen von den durch den Chronisten verfaßten Eingangs- und Schlußnotizen stellt dieses Interpretament (WILLI: „Reflexion" 44 ) den wich39 Chronistischer Zusatz kursiv. 40 Gegen RUDOLPHS Deutung des Ausdrucks als „Kriegsschrei". 41 Vgl. WOLFF, 2 A W 73, 175-177. 42 WOLFF, ZAW 73, 177. 43 Zum „Weglocken" vgl. V 2; abwegig dagegen die Bemerkungen des Schreis Josaphats als „Kriegsschrei", RUDOLPH, H A T 21, 253. 44 Vgl. WILLI, Auslegung, 171 ff.

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5.1 Die Niederlage (II 18,1-19,3)

tigsten und umfangreichsten Eingriff in die Tradition dar. Der Chronist weiß aus dem D t r G , daß Jahwe das Schreien der Israeliten während der Richterzeit erhört und immer wieder einen Retter in Kriegsnöten berufen hatte (Ri 3,9 u.ö.). In diesem Zusammenhang von Schrei und Rettung besteht die traditionsgeschichtliche Kontinuität der Auslegung. Die Diskontinuität zur Vorlage besteht darin, daß der Chronist die dtr Andeutung explizierte und damit ein bestimmtes Verständnis definitiv machte. 5. Die übrigen Änderungen in 18,28-34 bleiben im Rahmen der bisher festgestellten Differenzenanalyse (vgl. WILLI). Die in l K ö n 22,31 erwähnten 32 Wagenlenker stellen wohl eine spätere, nach-dtr Glosse dar, die der Chronist noch nicht kannte (KATI)45. Entsprechend KAT II wird der Chronist das ursprüngliche Hin der Vorlage in 18,32 als TVn gelesen haben. Die spezifizierende Änderung von "f-ttin ( l K ö n 22,35) zu 'TKIfr* "fTöl in V 34 hat ihre Ursache erneut in dem o.g. polemischen Motiv, ist also nicht durch KAT V, sondern durch KAT VIII zu erklären. Den Apostaten ereilt seine gerechte Strafe. Darüberhinaus hat der Chronist kein weiteres Interesse an Ahab und kürzt den Schluß der Vorlage zusammenfassend durch tfatfn XU nu1? n » l . Daß er den Hofal TöBö ( l K ö n 22,35) als Hifil TüU» (II 18,34) las, nimmt dem Ende Ahabs die makabre Pointe. Ahab wird nicht mehr wie in l K ö n 22 durch die Hitze der Schlacht unfreiwillig aufrecht erhalten, sondern hält sich selbst bis zum Abend aufrecht. Gegenüber diesen Feinheiten zeigt sich der Chronist indifferent, da sein Interesse der Person Josaphats gilt.

5.1.3.4 Die Deutung (19,1-3) 1. In 19,1-3 wird der eigentliche Abschluß der Perikope gesetzt, der den Sinn des Geschehens durch eine Prophetengestalt abschließend deutet. Solche Deutungen sind charakteristisch für chronistisches Sondergut 46 , und es wäre zu überlegen, ob WELTENS Auflistung chronistischer Topoi nicht durch einen Topos „prophetische Ansprache" ergänzt werden sollte. V 1 schildert die Rückkehr Josaphats; in V 2f ergeht das Urteil Jahwes durch den Seher Jehu Ben Hanani, das Kritik (V 2) und Würdigung Josaphats (V 3) gleichermaßen zur Sprache bringt und damit Kap. 17 und 18 zusammenfaßt. 2. V 1 setzt den Erzählfaden durch die wie durch ein Wunder erfolgte, unversehrte Rückkehr ( ) Josaphats nach Jerusalem bruchlos fort. Wie CURTIS / MADSEN treffend feststellten, wird durch die Wortwahl das Michawort aus 18,16 im Sondergut aufgegriffen47. Indem Josaphat als „König 4 5 Vgl. B H S l K ö n 20,1.16. 4 6 Vgl. die umfassende Studie von R . MlCHEEL, Die Seher- und Prophetenüberlieferungen in der C h r o n i k , F r a n k f u r t a. M . / B e r n 1983. 47 Vgl. CURTIS / MADSEN, I C C , 401.

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Judas" bezeichnet wird, kopiert der Chronist geschickt den Stil des vorangehenden Uberlieferungsstücks. Die Fortsetzung der Geschichte durch die Wendung ist vom Chronisten vielleicht doppeldeutig angelegt worden. WOLFFS Aufsatz zum dtr Kerygma 48 untersuchte den Zusammenhang von pS7T und und stellte fest: „Dieses offenbare Wort ist jetzt das [...] Wort von der Umkehr, daß Israel mit ganzem Herzen auf die Stimme seines Gottes allein höre" 4 9 . Daher entspricht die Rückkehr Josaphats einer doppelten Umkehrbewegung - zum „Vaterhaus", d.h. zum Regierungssitz und Thron Davids, damit aber zugleich auch zum „Gott der Väter" (17,4; 20,33), den er in seiner Drangsal angerufen hatte. 3. U m jeden Zweifel am rechten Verständnis des Abschnittes zu beseitigen, tritt Jehu, der Seher, auf und verkündet das Urteil Jahwes über das Geschehene (V 2). Erstaunlicherweise unterbleibt eine Aufforderung zur Umkehr. Vielmehr scheint die Ansprache Jehus „ätiologisch" das Ausbleiben weiterer Sanktionen, die der Leser erwarten könnte, zu erklären. Die Verbindung von Hilferuf mit nachfolgendem Auftreten eines Propheten, der ein Scheltwort verkündet, ist ebenso traditionell (Ri 6,7-10) wie die Rede vom ausgehenden „Zorn Jahwes". ISj? kann als Verb und Substantiv anthropologisch eine heftige, rasch wieder abklingende Gemütsbewegung, aber auch den göttlichen Zorn bezeichnen, der durch menschlichen Ungehorsam entsteht und findet sich in dieser Bedeutung oft im dtr, chronistischen und prophetischen Sprachgebrauch 50 . Analog zum anthropologischen Gebrauch des Wortes gilt in nachexilischer Zeit auch vom „Zorn Jahwes", daß er nicht ewig anhält, sondern durch Gnade und Erbarmen abgelöst wird 51 . Durch die Begriffswahl wird so noch einmal der episodale Charakter des Ungehorsams Josaphats unterstrichen. Vor dem „Zorn" kann man sich präventiv schützen, wie 19,10 zeigt. Ein dichtes Netzwerk theologischer Leitbegriffe schafft eine enge Verbindung zwischen Sondergut, Traditionsgut und redaktionellen Übergängen, durch den der ganze Abschnitt eine große Kohärenz und theologische Dichte erhält. Als theologische Leitbegriffe sind abgesehen vom „Zorn" auch die ,Jahwe-Hasser" (18,7; 19,2) und das „Sich-Halten an Jahwe / Gott" (17,3; 18,4; 19,3 u.ö.) zu nennen. 4. Auffälligerweise spricht Jehu von ,Jahwe-Hassern" im Plural, während der sich eindeutig auf Ahab beziehende BtfT (= Frevler, Bösewicht) nur im Singular erscheint. Soll das so verstanden werden, daß Ahab der „Frevler" ist, während die ,Jahwe-Hasser" das (falsche) Israel, n u W . das Nordreich als Ganzes meint? U.E. zielt V 2 nicht auf einen „Antisamaritanismus", da

48 Vgl. WOLFF, ZAW 73, 175-186. 49 WOLFF, 2 A W 73, 186. 50 Vgl. G . SAUER, T H A T II, 663-666; Stellen in der Chronik: I 27,4; II 19,2.10; 24,18; 29,8; 32,25.26. 51 Vgl. a.a.O., 665.

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der Jahwe-Hasser nach 18,7 ebenfalls Ahab ist. Diese Bezeichnung findet sich sonst nicht im chronistischen Wortschatz 52 und ist aus der Tradition ins Sondergut übernommen und interpretiert worden. ,Jahwe-Hasser" und „Frevler" stellen u.E. einen synonymen Parallelismus dar, wobei der Singular die Einzelperson, der Plural aber das (nord-)israelitische Königtum schlechthin meint, nicht jedoch das Volk 53 . Unterstützt wird diese Deutung durch den Gebrauch des Verbs 3HK, das im Bereich diplomatischer Beziehungen „den politischen Nebensinn der Loyalität des Untertanen gegenüber dem König" 5 4 anzeigt. Man wird auch nicht fehlgehen, den dtn-dtr Sprachgebrauch dieser theologisch ungemein relevanten Wurzel (Dtn 6,5!) mitzuhören, der die Liebe zu Jahwe als Nicht-Abweichen von seinen Geboten verstand. Das Bündnis mit Ahab erscheint in diesem Licht als ein Abweichen von der Tora selbst. HB1? bezieht sich wahrscheinlich auf die chronistische Reflexion 18,31 zurück. Anstatt dem Frevler zu helfen, soll Josaphat seine Hilfe exklusiv von Jahwe erwarten. 5. Eingeleitet durch ein adversatives ^a« begründet V 3 im Anschluß an Jehus Scheltwort den grundsätzlichen Unterschied, der zwischen dem „Apostaten" Ahab und dem „Lapsus" Josaphats besteht. Jehu erinnert an das jahwetreue Verhalten Josaphats in der Vergangenheit und schafft dadurch eine weitere Verbindung zum Kontext. Erwähnung findet die Abschaffung der Äscheren (ifn®'xn f T i W O vgl. 17,6 55 ) und die „Ausrichtung des Herzens auf Jahwe". Indem der Chronist das bereits in 17,5 verwendete Verb "J13 wieder aufgreift, präsentiert er abermals die „Korrelation von actio Dei und reactio hominis" (WILLI). Hatte Jahwe in 17,5 Josaphats Königsherrschaft „gefestigt", so hatte dieser sein Herz „fest auf Jahwe" gerichtet (19,3). Es fehlt der in 17,6 erwähnte Hinweis auf das Abschaffen der Höhen, damit scheint der Chronist an dieser Stelle der Vorlage (lKön 22,44) eher gerecht zu werden. Es könnte sich aber auch um eine lediglich stilistische Variierung desselben Motivs handeln (s.u. II 20,33). Das D'TiJKn » n 1 ? faßt das positive Verhalten Josaphats durch einen musivischen Leitbegriff der Chronik zusammen. 6. Eine Erklärung verlangt das Verhältnis von König und Prophet, der in 19,2 „Seher" (Hin) genannt wird. Jehu Ben Hanani ist bereits aus lKön 16,1.7 bekannt, als er dem israelitischen König Baesa das Ende der Herrschaft seiner Dynastie ansagte (in der Chronik ausgelassen). Offensichtlich ist der Chronist vom Gedanken einer prophetischen Sukzession bewegt, die sich innerhalb einer Familie von einer Generation zur anderen fortsetzt. Dies zeigt die Erwähnung von Jehus Vater Hanani in II 16,7. Analog lautet 52 Vgl. EVEN-SHOSHAN, Concordance, 1186f; E. JENNI, T H A T II, 835-837. 53 Gegen GALLING, ATD 12, 122. 54 Vgl. JENNI, T H A T I, 66. 55 Die hebräischen Singular- bzw. Pluralformcn für die Äscheren (vgl. 17,6; 19,3) können in der Chronik alternativ gebraucht werden, vgl. GESENIUS, Handwörterbuch, 75; CURTIS / MADSEN, I C C , 401.

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auch hier der Vorwurf gegen den König: Kooperation mit den Feinden Judas und Jahwes, was einer Kündigung des Jahwe-Vertrauens gleichkommt (16,7ff). Mit W I L L I kann diese Sukzession der Verkündigung als „Ansatz zu einer Dynastie im Reich des Geistes" bezeichnet werden, die im rabbinischen Schriftum zur Lehre weiterentwickelt wurde 56 . Da Prophetie und Weissagung durch geistbegabte Männer innerhalb des Josaphatkomplexes häufig und stets an entscheidender Stelle begegnen (II 18 = Micha; 19,1-3 = Jehu; 20,14-17 = Jahasiel; 20,37 = Elieser) und meist dem chronistischen Sondergut angehören, ist es angebracht, das chronistische Prophetenbild in kurzen Zügen zu skizzieren.

Exkurs: Prophetie und Weissagung in der Chronik 1. Die einzigartige Bedeutung der Propheten als - nach chronistischer Vorstellung - Verfasser autoritativer Schriften (primäre Geschichtsschreibung) wurde bereits im Einleitungsabschnitt dieser Arbeit thematisiert (s.o.). Die sich darin aussprechende Hochschätzung der Propheten soll an dieser Stelle durch weitere Beobachtungen ergänzt werden. V . R A D stellte in einem Beitrag zur levitischen Predigt in der Chronik fest, „daß gerade in der Chronik die religiöse Unterweisung in Form von eingelegten Reden einen breiten Raum einnimmt" 57 . V . R A D bezeichnete die chronistische Form dieser Unterweisung im Rahmen der von ihm untersuchten Abschnitte als „Predigten" 58 , die in den an der Weitergabe der Lehre auf kommende Generationen interessierten dtn Predigten eine traditionsgeschichtliche Parallele hätten 59 . Die levitische Predigt greife in konkrete Lebenslagen ein, „[...] aber sie bewegt sich nicht in der immanenten Problematik, sondern sie stößt von da auf die grundsätzlichen Glaubensfragen durch" 6 0 . Thema dieser meist durch prophetische Gestalten erfolgten Unterweisung ist häufig die Warnung an den König, sein Vertrauen nicht auf irdisch-militärische Machtmittel zu setzen (vgl. II 16,7-9; 32,7-8), sondern auf Jahwe zu vertrauen. Dabei greift der „Prediger" oft auf dtr Sprachgebrauch und Prophetenworte (Schriftprophetie) zurück, die z.T. wörtlich zitiert werden 61 . Der Zusammenhang von Tradition und Interpretation tritt besonders deutlich in II 20,20 zutage, wo Jes 7,9 zitiert und umformuliert wird. Dabei stellt v. RAD fest: „Das Nebeneiander des Mahnens zum Glauben an Jahwe und seine Propheten schlägt dem wahren Sinn des Jesajawortes ins Gesicht" 6 2 . v . R A D nimmt als Hintergrund dieser Predigten ein vorVgl. W I L L I , Auslegung, 2 2 9 . 57 G. V.RAD, Die levitische Predigt in den Büchern der Chronik, Gesammelte Studien, München 1965, 249. 58 Im einzelnen handelt es sich um: I 18,2-10; II 15,2-7; 16,7-9; 19,6f; 20,20; 25,7f; 32,7f. 59 Vgl. V.RAD, Predigt, 248f.

56

60 V.RAD, Predigt, 249. 61

Vgl. a.a.O.,

251-255

62 V.RAD, Predigt, 255.

(Beispiele).

168

5.1 D i e Niederlage (II 18,1-19,3)

gegebenes Schema an, das in prophetischen und königlichen Ansprachen vorherrsche und von ihm mit dem Gattungsbegriff „levitische Predigt" bezeichnet wurde, obwohl die meisten dieser Ansprachen nicht von Leviten, sondern von prophetischen Gestalten gehalten werden. Wenngleich ein eindeutiger „Sitz im Leben" äußerst hypothetisch bleibt, suchte v.RAD eine formgeschichtliche, nicht jedoch eine literarische Lösung 6 3 des Problems. Trotz dieser Fehleinschätzung behalten zahlreiche Beobachtungen v.RADS ihre Aktualität und sind z.T. neu interpretiert worden. 2. Für W I L L I ist die chronistische Interpretation der Prophetie ein Schlüssel zum Verstehen des Geschichtswerkes überhaupt 64 . Dies wird durch die Fülle der erwähnten prophetischen Gestalten in der Chronik belegt. Dabei macht W I L L I deutlich, daß die Prophetie für den Chronisten ein gesamtisraelitisches Phänomen darstellt (vgl. II 21,12ff), das die strengen Grenzen zwischen Nord und Süd transzendiert und eine antisamaritanische Frontstellung des Werkes fraglich macht 6 5 . Wie V . R A D identifiziert W I L L I in den prophetischen Ansprachen zahlreiche Entlehnungen aus dem D t r G und Schriftprophetie (speziell aus dem Jeremiabuch) 6 6 , während er sich hinsichtlich des formalen Kanonbegriffs deutlich von V . R A D unterscheidet 67 . Auch was die Prophetie betreffe, wolle der Chronist nur „Testamentsvollstrecker der Deuteronomisten" sein 68 . Im Hinblick auf die Bedeutung der Prophetenworte gelte: „Prophetenwort ist Gotteswort, und der Gesandte ist soviel wie sein H e r r " 6 9 . Die Wurzel des chronistischen Prophetenbildes lokalisiert W I L L I in Dtn 18,15.18, wo Mose als „Erzprophet" erscheine. In einer Entsprechung zu ihm „ [ . . . ] treten die Propheten ganz in das Licht jenes Mannes, der für den C h r o n i s t e n das U r b i l d des Mittlers ist, und in sich die beiden Aspekte, nämlich die R e p r ä s e n t a n z Israels v o r G o t t und die Repräsentanz G o t t e s in seinem Volk zusammenfaßt: M o s e . " 7 0

Der traditionsgeschichtliche Beleg sei in dem Titel „Gottesknecht" zu finden, dem Mose mit den bedeutenden Davididen teile 71 . 3. I.L. S E E L I G M A N N vergleicht in einer Studie 72 das dtr und chronistische Prophetenbild mit der klassischen Schriftprophetie und hält, abgesehen von den Gemeinsamkeiten, mehrere Unterschiede fest. So verkündeten, von wenigen Ausnahmen abgesehen (2Kön 10,30; 14,25), die dtr Propheten immer Unheil und Untergang. Anders als die Chronik weise das D t r G keinerlei 63 Vgl. a.a.O., 258f. 64 Vgl. WILLI, Auslegung, 215-241. 65 66 67 68 69

Vgl. a.a.O., 2 2 2 . Vgl. a.a.O., 2 2 3 . Vgl. V.RAD, Predigt, 260f; WILLI, Auslegung, 229-241. WILLI, Auslegung, 224. WILLI, a . a . O . 227.

7 0 WILLI, Auslegung, 228. 71 Belege bei WILLI, ebd. (Anm. 42). 72 Vgl. I . L . SEELIGMANN, D i e Auffassung von der Prophetie in der deuteronomistischen und chronistischen Geschichtsschreibung, V T S 29, G ö t t i n g e n 1977, 2 5 4 - 2 8 4 .

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II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

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Einflüsse der klassischen Schriftprophetie auf, und selbst Jeremia, eine der vom Chronisten am häufigsten benutzten Prophetenquellen, fehle innerhalb des DtrG gänzlich73. In der Chronik könnten sogar (judäische) Könige des öfteren prophetische Züge tragen, was angesichts der dtr Spannung zwischen König und Prophet undenkbar sei74. „In der Chronik erscheinen die Propheten als Mahner und Warner, die zur Umkehr auffordern"75. Allerdings werde der Umkehrruf meist überhört - Josaphat sei hier eine leuchtende Ausnahme - wie das Summarium II 36,15f abschließend feststelle. Abgesehen vom Jeremiabuch, das SEELIGMANN für „eine Art Ubergang zwischen der deuteronomistischen und der chronistischen Auffassung von der Prophetie"76 betrachtet, stehe der Chronist der Prophetie Jesajas sehr nahe: In der Geschichte handelt allein Gott, auf den man sich verlassen soll. Deshalb fehle die in lKön 15,23; 22,46; 2Kön 20,20 erwähnte „Heldenhaftigkeit" judäischer Könige ( m i a i ) . „Für den Chronisten sind Macht und Kraft keine menschlichen Eigenschaften, sondern ausschließlich Gott vorbehalten"77. 4. Eine umfassende Studie zu den Uberlieferungen prophetischer Gestalten in der Chronik liegt durch die Arbeit von R. MlCHEEL vor 78 , die sowohl die Verarbeitung dtr Traditionen in den Chronikbüchern als auch das prophetische Sondergut des Autors überprüfte und verglich. Was die Bearbeitung des Traditionsstoßes betrifft, so decken sich MlCHEELS Ergebnisse mit unseren Beobachtungen in II 18. Die stilistischen und, im engeren Sinn, theologischen Unterschiede stimmen mit der von WILLI vorzüglich erarbeiteten Differenzenanalyse überein (KAT /-/AT)79. Was allerdings die oftmals von der Vorlage abweichenden, alternierenden Prophetenbezeichnungen KtJJ, ntn und iliO betrifft - das Phänomen wiederholt sich im Sondergut - so führt MlCHEELS Untersuchung einen großen Schritt weiter. Die o.g. aus der Tradition entliehenen Bezeichnungen prophetischer Gestalten dienen dem Chronisten nicht mehr wie in altisraelitischer Zeit zur Unterscheidung von ekstatischer Gruppenprophetie von dem wohl aus nomadischer Zeit stammenden (individuellen) Sehertum80, zwischen denen eine geschichtliche Kontinuität erst sekundär hergestellt werden mußte (lSam 9,9). In den Chronikbüchern begegnen dagegen Prophet und Seher zeitgleich und sind zu festen Amtsbezeichnungen von Einzelpersonen geworden, wobei festzustellen ist, daß zur selben Zeit nur je ein „Prophet" bzw. „Seher" tätig sein kann. Der Chronist vermeidet es durchweg, zwei prophetische Gestalten, die vor demselben König „weissa-

73 74 75 76 77 78 79

Vgl. a.a.O., 266f. Vgl. a.a.O., 271 f. SEELIGMANN, Auffassung, 275. A.a.O., 284 (vgl. auch 279-284). A.a.O., 278. Vgl. MlCHEEL, Seher. Vgl. a.a.O., 38.

8 0 V g l . FOHRER, R e l i g i o n , 2 2 2 - 2 2 9 .

170

5.1 Die Niederlage (II 18,1-19,3)

gen", mit dem gleichen Titel zu belegen und ändert die Tradition gegebenenfalls ab 81 . Wir sehen darin ein weiteres Indiz für die Ersetzung eines Denkens in geschichtlichen Variablen durch eine typologische Betrachtung, die nicht notwendig ungeschichtlich ist, aber einen formalen Kanonbegriff („Inspiration") voraussetzt. Diese differenzierte Titulatur hält sich auch im Sondergut durch bzw. in Textkomplexen, die aus Traditions- und Sondergut bestehen. Als Paradigmen können die verschiedenen prophetischen Gestalten des Josaphatkomplexes angesehen werden, der damals wirkende und der Tradition entnommene Jf3J (= Micha Ben Jimla, II 18) und der Hin des Sondergutes (=Jehu Ben Hanani, 19,2f). Eine dritte zeitgenössische Prophetengestalt, der Levit Jahasiel (20,14-17), erhält keinen prophetischen Amtstitel mehr, obwohl auch er im Geist Jahwes redet. Die Weissagung gerade eines Leviten offenbart dabei erneut die Fragwürdigkeit der postulierten Diastase von Theokratie und Eschatologie in der Chronik. Grundsätzlich kann festgestellt werden, daß eine wesentliche inhaltliche Differenz der Botschaften aller prophetischen Gestalten nicht feststellbar ist. Auch Elieser aus Marescha „weissagt" (K33JV1) Königskritisches (20,37). MlCHEELS Beobachtungen zum prophetischen Sondergut lassen sich wie folgt zusammenfassen82: a) Prophetische Männer reflektieren und interpretieren politische Ereignisse auf das Verhältnis von Jahwe und König, an den sie sich in erster Linie wenden (Ausnahmen II 24,20.23; 28,9-11). Allerdings werden König und Volk gemeinsam durch ihren Ungehorsam gegenüber der Predigt schuldig (II 33,10). b) Hauptthema prophetischer Verkündigung ist die Mahnung zu uneingeschränktem Gottvertrauen, das Jahwe belohnt und dessen Unterlassung er ahndet. Das Angebot zur Buße wird meist nicht angenommen, weshalb chronistische Propheten vor allem Gericht verkündigen (Ausnahmen: II 15,1-7; 20,14-17). c) Der Chronist übernimmt und ergänzt Seher- und Prophetengestalten aus der Überlieferung, die für ihn ein festes Amt bekleiden und in einer prophetischen Sukzession stehen. d) Der Chronist kennt den um seiner Botschaft willen leidenden Pro)heten, was eine Vertrautheit mit der Tradition (Jer!) verrät. Die Repressaien eines Königs gegen Jahwes Gesandte ahndet Jahwe durch Krankheiten bzw. durch ein gewaltsames Ende des Königs (II 16,12; 24,25f; 25,27). e) Von den zehn Prophetengestalten des Sondergutes bewirken Schemaja, Odet, ein namenloser „Gottesmann" (II 25) und Jehu eine Buße des Königs und Abmilderung des Gerichts. Daran wird ersichtlich, daß Jahwes Gerichte keine unabänderliche Tatsache darstellen.

[

81 Vgl. MICHEEL, Seher, 18f.38. 82 Vgl. a.a.O., 67-70.81 f.

5

II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

171

5.1.4 Zusammenfassende Beurteilung 1. Die traditionelle und literarisch vielschichtige Erzählung l K ö n 22,1-38 wird vom Chronisten um Josaphats willen übernommen und auf ihn hin interpretiert, wie vor allem Anfangs- und Schlußnotizen, sowie die Bearbeitung des Ramoth-Feldzuges zeigte. 2. Die Gestalt Ahabs wird durch redaktionelle Bemerkungen, insbesondere durch die wiederholt und betont hinzugefügte Bezeichnung „der König Israels" zum Prototyp der apostatischen Nordreich-Monarchie. Als „Verführer" Josaphats und ,Jahwe-Hasser" wird er vom Chronisten perhorresziert. Josaphats Abfall von Jahwe wird dagegen zum „Lapsus" bagatellisiert, wobei Umkehr möglich, ja geboten ist. Die Annahme eines vermeintlich radikalen chronistischen „Vergeltungsdogmas" stellt ein Mißverständnis dar. 3. Die redaktionellen Zusätze (Reflexionen) am Anfang und Ende des Abschnitts sind geprägt von biblischer, vor allem dtr Sprache (Musivstil, KAT VIII) wobei die Explizierung impliziter Gedanken der Vorlage (KAT V) den Charakter der Chronik als Auslegung unterstreichen (18,31b). 4. Die Gemeinsamkeit von traditionellen und chronistischen Propheten wird vom Chronisten in ihrer rückhaltlosen Königskritik und ihrem Selbstverständnis als Jahwe-Gesandte gesehen. Diese Interpretation der Prophetie stellt gegenüber der differenzierten Sicht der Vorlage ( l K ö n 22) einen Reduktionismus des Prophetenbildes dar. Es ist fraglich, ob der Autor Kenntnis von den subtilen Auseinandersetzungen von Heils- und Unheilsprophetie in der Königszeit hatte, die sich in lKön 22 niederschlugen. 5. Propheten und Seher werden vom Chronisten als nebeneinander wirkende Amtspersonen verstanden (Jahasiel ist als Levit ebenfalls „Amtsperson"), was auf typologisches Denken (KAT IX) und ein formales Kanonverständnis hinweist, wobei ein harmonisierender Musivstil Spannungen innerhalb der biblischen Traditionen möglichst auszugleichen versucht (KAT VIII).

5.2 Der bußfertige Rechtsreformer (19,4-11) 5.2.1 Der Textbestand Die in B H K / BHS aufgeführten Textvarianten zum vorliegenden hebräischen Text (M) sind quantitativ und, mit einer Ausnahme, auch qualitativ unbedeutend. Allgemein läßt sich festhalten, daß die bisherigen Sondergutabschnitte textkritisch relativ wenig Probleme bieten, während das Vorhandensein von Paralleltexten späteren Harmonisierungen Vorschub leistet. Die von BHS vorgeschlagene Konjektur in V 6, die zu D3ÖB1 ein fehlendes Subjekt ergänzen möchte (Haplographie ist möglich 83 ) ist u.E. nicht 83 Vgl. RUDOLPH, H A T 21, 256.

172

5.2 D e r bußfertige Rechtsreformer (19,4-11)

nötig, da wir ein ähnliches Phänomen bereits in 18,3b beobachteten ("|ö»l). Es könnte sich also, falls in 18,3b nicht LXX der Vorzug zu geben ist, um eine chronistische Stileigentümlichkeit handeln, die ein logisches Subjekt gedanklich voraussetzt. Der Sinn bleibt beide Male unverändert. Eine wirklich relevante Textabweichung bieten L X X und V in V 8, die in ihrem hebräischen Grundtext wohl D^tfvr 'atf* („und hinsichtlich der Streitsachen der Bewohner Jerusalems") lasen. Die von M gebotene Lesart ergibt keinen Sinn84. Abgesehen von diesen textkritischen Beobachtungen ist mit WILLI zu überlegen, ob die Erwähnung der levitischen Aufgaben in V 11 (V 8?) nicht als sekundärer Einschub einer späteren Redaktion angesehen werden muß 85 . Ihre Dienstanweisung wirkt neben dem Oberpriester (Kleriker) und dem Fürsten (Laie) deplaziert und überflüssig.

5.2.2 Einzelauslegung (V 4-11) 1. Es ist u.E. unzulässig, in 19,4-11 von der Verarbeitung einer von Kap. 17 verschiedenen Quelle auszugehen86, da die Bezüge zum vorangegangenen Toposkomplex semantisch und strukturell deutlich zutage treten. Entscheidende Stichworte lassen sich in beiden Sondergutabschnitten nachweisen: Die Annahme judäischer Städte im Gebirge Ephraim (17,2; 19,4); der „Vätergott" (17,4; 19,4); das „Erstarken" als positives Ziel (17,1; 19,11); die Erwähnung der „Tora" (17,9; 19,10) und der „Mizwot" (17,4; 19,10). Dazu kommen inhaltliche Gemeinsamkeiten: Die gemischte Kommission aus „Klerikern" und „Laien", die lehrend durch das Land und die „befestigten Städte Judas" ziehen (17,2; 19,5), gehören beide Male zum Topos „Volksbelehrung". Die bestehenden Differenzen im Wortlaut lassen sich als stilistische Variationen eines mit literarischen Stilmitteln arbeitenden Autors verstehen, der sein in 17,7-9 angeschnittenes Thema expliziert und steigert. Ziel dieses Abschnittes ist offenbar der Rückgewinn der iustitia originalis vom Anfang der Regierungszeit, die den bußfertigen König erneut in das ursprüngliche Jahweverhältnis zurückversetzt. Der Abschnitt gliedert sich wie folgt: V 4 berichtet summarisch von der tätigen Reue Josaphats und der eigenhändig durchgeführten religiösen Reform im ganzen Land. V 5-11 beschreiben die generelle Rechtsreform, die sich einmal in Juda (V 5-7) und dann (ausführlicher) in Jerusalem vollzieht (V 8-11). Zentrum und Abschluß beider Maßnahmen bildet eine Paränese des Königs an die bestellten Richter (V 6f.9-ll).

84 Vgl. ebd. 85 Vgl. WILLI, Auslegung, 198, der auch entsprechende textkritische LXX-Varianten für seine Vermutung vorweisen kann. 86 Vgl. BENZINGER, K H C 20, 103f; ähnlich die meisten Kommentatoren, vor allem im englischen Sprachraum.

5

I I I 8,1-20,30: D e r Feldherr Josaphat

173

2. Leitwort von V 4 ist unübersehbar 3H2f, das aus 19,1 übernommen wird und mit („und Josaphat wohnte in Jerusalem", V 4a) den Eindruck eines Wortspiels erweckt. Die Umkehr des Königs vollzieht sich, indem dieser nach seinen fragwürdigen Unternehmungen im Ausland wieder in Jerusalem „seßhaft" wird. Daß es sich hierbei nicht um eine beiläufige Floskel handelt, sondern um den metaphorischen Ausdruck des auch lokal (Tempel) zu verstehenden „mit Jahwe-Seins" (vgl.17,3), wird durch die Bußpredigt des Königs unter dem Volk eindrucksvoll unterstrichen (V 4b). Der Leitwortcharakter der „Umkehr" wird durch das stilistisch harte Sttfl (hier: „und er kehrte um") unterstrichen, das mit dem „und er veranlaßte, daß sie umkehrten" (D3,B',1) korreliert. Der Büßer wird selbst zum Bußprediger, der das ganze Land 87 zu Jahwe zurückführt. Die Tatsache muß überraschen, da in II 18 keine Verfehlung des Volkes vorliegt - sie könnte allenfalls vom Chronisten aus 18,3 „exegesiert" worden sein. Man kann daher annehmen, daß der König nach vollzogener Umkehr zu Jahwe die in 17,6 und 19,3 erwähnte Bekämpfung des Äscheren- und Höhenkultes fortsetzt. Die Umkehr des Volkes wird flankiert durch eine Kontinuität verbürgende Rechtsreform (V 5-11), wobei DBtf zum neuen Leitwort 88 des Abschnitts wird. In der Sorge um ein der Tora, und damit Jahwe entsprechendes „Richten" verwirklicht sich die Bestimmung Josaphats wie sein Name sagt (KAT IX)89. Man wird in dem Rechtsinstitut Josaphats eine Einrichtung der spätexilischen Zeit sehen müssen. Dieser anachronistische Eintrag entspringt jedoch nicht reiner Willkür, wie die Traditionsgeschichte der Wurzel BStf zeigt (s.u.). Typologie (KAT IX) und Musivstil (KAT VIII) verbinden sich mit dem Anliegen der aktualisierenden Auslegung (KAT VI). „ M e h r und m e h r hatte jede Stadt ihr eigenes Synhedrium, während in Jerusalem das g r o ß e S y n h e d r i u m seinen Sitz hatte. Diesen Synhedrien war die Gerichtsbarkeit ü b e r t r a gen, so daß die Gerichtsverfassung der späteren jüdischen Zeit in der Tat d e m ähnlich war, was wir hier als Einrichtung Josaphats l e s e n . " 9 0

Dieser Erklärung K I T T E L S z.St. entspricht die breite Schilderung der Jerusalemer Rechtssitten, die das Ideal des Synhedriums formulieren (19,7.9-11). 3. Josaphats Einsetzung von „Richtern" beruht sicher nicht auf einer historischen Reminiszenz, sondern entspricht dem Denken von Dtn und D t r G 9 1 , wenngleich historisch zutreffend ist, daß der Amtstitel „Richter" bereits in der mittleren Königszeit in prophetischen Listen (Südreich) erscheint 92 . Die Bedeutung von öötf ist reich an Nebentönen. Richterliche 87 „ V o n Beer-Sheva bis z u m Gebirge E p h r a i m " ersetzt die klassische Formel „ v o n D a n bis B e e r - S h e v a " (vgl. die chronistische U m b i l d u n g der Formel I 21,2; 30,5 aufgrund der S ü d N o r d Pespektive des Verfassers). 88 Vgl. das siebenmalige V o r k o m m e n der Wurzel in V 5.6.8.10. 89 Vgl. WELLHAUSEN, Prolegomena, 186; WILLI, Auslegung, 163f. 90 KITTEL, H K I / 6 , 1 3 9 . 91 Vgl. LIEDTKE, T H A T II, 1004; RUDOLPH, H A T 21, 257; vgl. auch D t n 16,18;

17,9(1;

19,17fl; 21,10; 25,2ffj J o s 8,33; 23,2; 24,1. 92 Vgl. LIEDTKE, T H A T I I , 1003f; j e s 1,26; 3,2f; H o s 7,7; A m 2,3; Zeph 3,3. Vgl. W . THIEL, D i e soziale E n t w i c k l u n g Israels in vorstaatlicher Zeit, N e u k i r c h e n - V l u y n 2 1 9 8 5 , 1 3 3 - 1 3 6 .

174

5.2 Der bußfertige Rechtsreformer (19,4-11)

Funktionen gehören im Alten Orient durchaus auch zu den Aufgaben eines Königs (Am 2,3 ) 9 3 . Allgemein bezeichnet die Wurzel ein Handeln, „durch das die gestörte Ordnung einer (Rechts-)Gemeinschaft 'wiederhergestellt wird" 9 4 . Ein gestörtes Verhältnis zwischen zwei Parteien wird durch eine dritte Instanz, den Richter, wieder in den Zustand des „Schalom" gebracht. Als Wiederherstellung der gerechten Ordnung transzendiert diese Tätigkeit eine Einzelhandlung in den Raum eines kontinuierlichen Geschehens der Bewahrung des Rechtsfriedens. „Richten" erhält daher auch die Bedeutung „regieren, herrschen", die u.a. im Richterbuch mitzuhören ist (Ri 3,10; 4,4; 10,2.3 u.ö.) 9 5 . Die Sorge um das sich auf Jahwes Willen gründende Recht (= Tora) ist auch vom Chronisten als Herrschaftsakt verstanden worden, wie II 1,10f und 19,5-11 in aller Deutlichkeit zeigen. Abweichend vom DtrG, das geschichtliche Prozesse und Wandlungen im Ubergang von der Richter- zur Königszeit reflektiert (vgl. lSam 8,4-22), erlaubt das typologische Denken des Chronisten ein problemloses Nebeneinander von König und Richtern. Der König herrscht als König, indem er das Recht durchsetzt. Josaphats Predigt (V 6f) verdeudicht: „Gott steht hinter der irdischen Institution des Rechtes" 9 6 . Daß Jahwe dies seit Mose getan hat, belegt der Chronist durch ein Mischzitat aus Dtn 10,17 und Zeph 3,5 in II 19,7b („denn bei Jahwe, unserm Gott, ist kein Unrecht, oder Ansehen der Person oder Annehmen von Geschenken") 97 . So wird aus zweier Zeugen Mund in beiden Kanonteilen das dtn Ideal einer jahwegemäßen Rechtssprechung, das auch die großen Schriftpropheten einklagten, durch Josaphat realisiert. Die bedrängte spätnachexilische Gemeinde wird durch das Beispiel Josaphats paränetisch zu Umkehr und Gehorsam gegenüber der Tora und ihren amtlich bestellten Garanten aufgefordert. Die durch den König mediierte Gottesherrschaft ist auch in einer königslosen Zeit nicht hinfällig, denn die vom König eingesetzten Amtsträger garantieren die institutionelle Ordnung und bilden so auch in der Gegenwart die „hypostatische" Fortsetzung des Königtums. Dadurch wird das nachexilische Rechtssystem historisierend legitimiert, aber gleichzeitig an die Heilige Schrift angebunden. Nur in dieser Dialektik kann von einem „anachronistischen Eintrag" gesprochen werden. Wer hinter dieser Legitimation nur Apologetik vermutet, unterliegt u.E. einem Reduktionismus. Wie die Imperative der Königspredigten (V 6f.9ff) und die dtn-dtr Zitate und Anspielungen zeigen, zielt der Chronist vielmehr paränetisch auf eine noch ausstehende, umfassende Verwirklichung dieses Rechts und weiß auch um die Gefahr einer korrumpierten Rechtssprechung. Die „hypostatische" Ersetzung des Königtums durch „Recht" und „Richter", die sich in 17,7-9 bereits andeutete, gleicht einem

93

Vgl. W O L F F , D o d e k a p r o p h e t o n 2, 198.

94 LlEDTKE, T H A T II, 1001. 95 Vgl. a.a.O., 1002f (mit weiteren Belegen). 96

V.RAD, Predigt,

97 Vgl. ebd.

253.

5

II 18,1 -20,30: Der Feldherr Josaphat

175

Ordinationsakt, in dem Jahwes Solidarität (vgl. 17,3: „Und Jahwe war DB Josaphat") durch 19,6.11 ("S^Ö "Öia Q3ÖÖ1 / aiBTTOU 7117V *7T«1 ) auf die Richter übertragen wird. U.E. äußert sich an dieser Stelle der Gedanke der Repräsentation bzw. der Sukzession. Das Königtum als Garant einer ewig gültigen, institutionellen Rechtsordnung wäre, falls unsere Interpretation richtig sein sollte, in seiner eigenen Dignität relativiert. Die auf die Tora verpflichteten führenden Repräsentanten des Volkes - Priester, Fürst und Honoratioren (19,8) - führen das Werk stellvertretend weiter. 4. Mit V 8 wird die Rechtsreform in Jerusalem entfaltet, das innerhalb des Josaphatkomplexes von den übrigen Städten Judas stets unterschieden wird (z.B. 20,5.15.17). Wieder steht die Predigt Josaphats (V 9-11) im Mittelpunkt, die noch ausführlicher ausfällt als in V 6f. Jerusalem als kultisches und geistiges Zentrum besitzt keine grundsätzlich andere Ordnung als die umliegenden Städte, bedarf aber als oberste rechtliche Instanz des Synhedriums 98 einer vorbildlichen Organisation und Motivation. In V lOf werden deutlich Streitfälle vorausgesetzt, die die Kompetenzen eines KleinstadtSynhedriums übersteigen oder besonders strittig sind. Die drohende Rechtsunsicherheit wird durch Josaphats Maßnahmen abgewehrt, der zu diesem Zweck ein Zweikammergericht oder einen Gerichtshof mit paritätischer Besetzung der gesellschaftstragenden Kräfte in Jerusalem einrichtet". Der Chronist entnimmt den „Instanzenweg" sowie die Vertretung von Priestern und Leviten im obersten Gerichtshof Dtn 17,8ff und verbindet sie mit den Notablen des Volkes (V 8: mann TWO»! Q-J713711) und dem T U (V 11), die als „weltliche" Richter bereits eine lange Tradition besitzen 100 und auch in dem dem Chronisten vorliegenden Schriftenkanon verankert waren (Ex 18,21 ff). Die „Furcht Jahwes" in V 9 greift 19,7 auf, hat aber hier wie dort den Bezug zum ,Jahwekrieg" verloren und meint die ehrfürchtige Bindung an Jahwe als Rechtsprinzip (vgl. Spr 1,7). Die 71J1ÖK ist zum terminus techniCHS geworden und meint „feste Position, dauerndes Amt" 1 0 1 (vgl. I 9,22.26.31) und zielt auf die geschichtliche Kontinuität der Institution. V 10 beschreibt in durch und durch traditioneller, d.h. dtn-dtr Sprache 102 die Kompetenzen des obersten Gerichtshofes. Der dem Leser aus 18,219,3(2!) bekannte drohende „Zorn Jahwes" verbindet Text und Kontext und rundet das Bild paränetisch ab. V 11 identifiziert im Anschluß an die Betonung der Autorität der Institution (V 10) die Autorität der (Amts-)Personen. Die „Angelegenheiten des Königs" (vgl. I 26,30) meinen wie in 17,7-9 kein säkulares Königsrecht, wie die theologischen Rechtstermini in V 10

98 Vgl. CURTIS / MADSEN, ICC, 403; RUDOLPH, H A T 21, 256f; WLLLIAMSON, N C B C , 290. 99 Vgl. RUDOLPH, H A T 21, ebd.

100

Vgl. L. KÖHLER, Der hebräische Mensch, Darmstad: 101 Vgl. H. WLLDBERGER, THAT I, 196.

1953

(Nachdruck

1980), 143-171.

102 Eine Unterscheidung der einzelnen Rechtstermini würde den Rahmen unserer Fragestellung (Josaphat-Rezeption) sprengen. Den Nachweis dtn Sprache und Gedankengutes führte v.RAD, Geschichtsbild, 41-44.60-63; vgl. LLEDTKE, T H A T II 999-1009.

176

5.3 Der Sieg (20,1-30)

belegen, sondern „Heerbann, Fron und Abgabepflicht" 103 , die der Chronist aus l S a m 8,lOff bekannt waren 104 . RUDOLPHS Ansicht, 19,4-11 sei als „Vordatierung der deuteronomischen Reform in die Zeit Josafats" 1 0 5 zu verstehen, trifft nicht den Kern der Sache, weil sie am Toposcharakter der „Volksbelehrung" (vielleicht besser: „Rechtswesen") vorbeigeht und den typologischen Denkansatz des Autors nicht berücksichtigt.

5.2.3 Zusammenfassende Beurteilung 1. Der Chronist zeigt den Zusammenhang von „Umkehr" und ihren „Früchten" exemplarisch am Verhalten Josaphats in seinem auf Dtn ausgerichteten Rechtsverständnis, das die Kontinuität der wiedergewonnenen Solidarität mit dem „Gott der Vater" (19,4) sichern soll. 2. Durch die explizierte Möglichkeit der „Buße" geht der Chronist über die im D t r G nur am Horizont sichtbare Hoffnung auf Restitution von Volk und Staat hinaus. Umkehr wird durch Jahwes gnädige Zuwendung zur anthropologischen Möglichkeit und eröffnet eine neue, heilvolle Zukunft. Die Imperative der „Königspredigt" unterstreichen das paränetische, auf Zukunft und Hoffnung ausgerichtete Interesse des Verfassers, während sich für eine antisamaritanische Apologetik in unserem Text keine Anhaltspunkte finden. 3. Das besondere Interesse des Verfassers liegt auf der Organisation des Rechtswesens als einer Kontinuität verbürgenden Institution. Biblizistischer Musivstil und Gegenwartsinteresse verbinden sich dialektisch. Auffälligerweise reduziert sich die Aktivität des Königs im wesentlichen auf die paränetische Predigt an die Gerichtsbeamten. Die Aufmerksamkeit des Verfassers richtet sich nicht primär auf das Geschick und die Person des Königs selbst, sondern vielmehr auf dessen Repräsentation und Sukzession durch das Amt und die Institution einer allzeit gültigen Rechtordnung. Die Predigt Josaphats trägt Züge eines „Vermächtnisses" und erinnert an die stilisierte Moserede in Dtn.

5.3 Der Sieg (20,1-30) 5.3.1 Theologische Vorfragen zur Binnenstruktur des Textes 1. Der Kriegsbericht gegen die vereinigten Feinde Judas im Ostjordanland stellt den Höhepunkt und gewissermaßen auch den Abschluß des chronistischen Josaphatbildes dar (vgl. 20,30). Exegetisch kontroverse Diskussionen 103 GALXING, ATD 12, 125. 104 Vgl. auch Dtn 17,14-20 sowie unsere Bemerkungen zu 17,7-9 (s.o). 105 RUDOLPH, H A T 21, 257.

5

II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

177

mühen sich einerseits um die überlieferungsgeschichtliche Frage nach dem Verhältnis des Textes zu 2Kön 3 1 0 6 , andererseits setzen sie sich mit dem Postulat einer potentiellen (literarischen?) nichtkanonischen Vorlage und ihrer chronistischen Überarbeitung 107 auseinander. Beide Probleme scheinen seit dem Nachweis der Toposstruktur chronistischer „Kriegsberichte mit positivem Ausgang" durch die Analyse W E L T E N S 1 0 8 zugunsten einer chronistischen Verfasserschaft des Abschnittes entschieden zu sein. Dennoch wird weiterhin Widerspruch erhoben, der um eine (u.E. berechtigte) Modifikation der literarischen Ergebnisse W E L T E N S bemüht ist (vgl. V 26!) 1 0 9 . W E L T E N S synchron durchgeführte Untersuchung der Texte II 13,3-20; 14,8-14; 20,1-30; 26,6-8; 27,5f mächt, auch wenn kein festes Formular vorzuliegen scheint, auf wichtige Gemeinsamkeiten aufmerksam, die eine Authentizität der berichteten Ereignisse unwahrscheinlich machen und ein theologisches Konzept verraten 110 : a) Eine einleitende Disposition nennt jedesmal Größe, Kampfort und Angreifer. b) Es folgt ein Kampfbericht, in dem der betreffende König solo Deo gewinnt. c) Die Kriegsfolgen umfassen Plünderung und Jahweschrecken über die umliegenden Völker, während Juda „Ruhe" findet. d) Die drei ausführlichen Berichte umfassen Reden und Gebete. e) Die zumeist kleinräumig angelegten Kriegszüge, die mit den Massenheeren eigenartig konstrastieren, richten sich offenbar bewußt auf alle vier Himmelsrichtungen und entsprechen damit den in Neh 2,11-7,3 präsentierten Feinden der Provinz Jehud in nachexilischer Zeit 111 . f) Bei den Lokalangaben handelt es sich um auch in spätnachexilischer Zeit nachweisbare Ortlichkeiten. g) Alle Kriegszüge sind durch die Motive von Trost, Zuversicht und Paränese bestimmt. Eine historische Kontinuität solcher Gemeinsamkeiten durch die gesamte Königegeschichte mit ihren außen- und innenpolitischen Erschütterungen ist schwerlich vorstellbar. Die Annahme von zugrundeliegenden Quellen ist daher wenig wahrscheinlich.

106 Vgl. den Überblick bei MYERS, AB 13, 114; CURTIS / MADSEN, I C C , 404; WlLLIAMSON, N C B C , 279. 107 Vgl. NOTH, ZDPV 67, 45-71; dagegen RUDOLPH, H A T 21, 258f. 108 Vgl. WELTEN, Geschichte, 141-153.166-172. 109 Vgl. WlLLIAMSON, N C B C , 292f; MlCHEEL, Seher, 50f. Daß der Chronist an dieser Stelle eine alte Ortsätiologie („Beracha-Tal") verarbeitet bzw. neugestaltet, kann u.E. k a u m bestritten werden (V 26). Dies wird schon dadurch sehr wahrscheinlich, daß die Wurzel T D , aus der „Beracha" gebildet ist, in II 20 gar nicht vorkommt. Der Chronist wird hier auf eine mündliche Tradition zurückgreifen. 110 Zum Folgenden vgl. WELTEN, Geschichte, 166-172. 111 WELTEN, Geschichte, 169, erwähnt Sanballat (Norden), Gesem, den Araber (Süden), Tobia und die Ammoniter (Osten) und die Asdoditer (Westen).

178

5.3 Der Sieg (20,1-30)

2. Eine weitere, für unsere Aufgabenstellung wichtige Vorfrage, betrifft die Signifikanz des Abschnittes für die chronistische Josaphat-Rezeption112. Die Frage ist insofern berechtigt, als der Skopus des Textes nicht nur auf die Aktivität Gottes zielt, die im Gegensatz zur Passivität Israels im J a h w e krieg" steht, sondern weil der Sieg „genauer als Wirkung des heiligen Gesangs" 113 angesehen werden muß. Zur Präzisierung unserer Anfrage an den Text ist eine Gliederung von II 20,1 -30 unumgänglich. V lf leitet den Kriegsbericht durch die Schilderung der Bedrohung ein. V 3-5 beschreiben summarisch die Reaktionen Josaphats und Judas insgesamt, die im großen Bittgebet des Königs (V 6-12) und des Volkes (V 13) münden. Dieses Gebet wird durch die aktuell ergehende Botschaft Jahwes mittels der prophetischen Ansprache Jahasiels (V 14-17) beantwortet. V 18f schildern Anbetung und Gotteslob als unmittelbare Reaktion von König, Volk und Leviten, V 20-22 den darauf folgenden, positiven Kriegsverlauf nach königlicher Ansprache und levitischem Lobpreis. Dieser Sieg wird in V 23-28 entfaltet, indem die Kriegsfolgen (Plünderung, Rückkehr und Gotteslob) beschrieben werden. Es folgt die Erwähnung der langfristigen Konsequenzen des Feldzuges für die „Königsherrschaft Josaphats" (V 29f), womit der Abschnitt schließt. Die handelnden Subjekte der Erzählung sind neben Jahwe (als dem verborgenen Subjekt), Josaphat und den levitischen Sängern auch ,Juda und die Bewohner Jerusalems" (V 4.13.15.17f.20f.24f.27f). Diese Tatsache wird auch durch die vielen Pluralformen der Verben und durch das „Wir" im königlichen Gebet unterstrichen. Ohne Zweifel beschreibt das Zentrum des Textes eine gottesdienstliche Versammlung der spätnachexilischen Gemeinde mit Fasten, Bittgebet und Predigt 114 . Der König agiert als ein wichtiger man beachte den Rekurs auf das Tempelweihgebet Salomos mit der Rekapitulation der Heilsgeschichte (lKön 8,14-53) - aber keinesfalls als der alleinige Funktionär 115 . Vielmehr initiiert er jeweils den Handlungsfortschritt: durch Gebet und Ausrufung des Fasttages (V 3), durch Fürbitte (V 5ff), durch eine predigtartige Ansprache (V 20) und durch die Beratung mit dem Volk (V 21). Wider Erwarten und gegen die communis opinio der Forscher ist der Chronist u.E. nicht an einer doxologischen Überhöhung des Königtums interessiert. Vielmehr bekleidet dieser als Sprachrohr des Volkes zu Jahwe hin (V 5ff) und als Prediger des Gotteswortes zum Volk hin (V 20) eine ausgesprochene Mittlerstellung zwischen Jahwe und seinen Propheten (Jahasiel) einerseits und dem Volk andererseits. Damit ist der König nicht wie der elohistische und dtn Mose Mittler zwischen Gott und Volk (vgl. Ex 20,18-21; Dtn 5,23-31). Das unmittelbare Jahwewort besitzt allein der Prophet. Aber der König mediiert die Anordnungen und die Durchführung des Jahwewillens innerhalb des Volkes. In dieser Funktion scheint der Chronist

112 113 114 115

Vgl. unsere Überlegungen zu II 18 - 19,3 (s.o.). WELTEN, Geschichte, 149, in Anlehnung an H. GESE. Vgl. WELTEN, Geschichte, 146f. Darin weicht der Chronist charakteristischerweise von l K ö n 8 ab!

5

II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

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den „Sitz im Leben" des Königtums zu sehen (vgl. 17,7-9; 19,4-11). Eine Auslegung, die anredendes Kerygma in einer königslosen Zeit sein wollte, mußte das nachdavidische / nachsalomonische Königtum 1 1 6 in dieser Weise relativieren (vgl. II 13,13-20). Indem das Volk zum Ziel der Wege Jahwes wird, macht sich der soziologische Wandel der nachexilischen Gemeinde in einer für die israelitische Geschichtsschreibung typischen Dialektik von Vergangenheit und Gegenwart im Traditionsprozeß bemerkbar. 3. Diese Vorbemerkungen waren notwendig, um unsere Fragestellung in einem exegetisch umstrittenen und in vielfacher Hinsicht für die chronistische Theologie relevanten Text zu präzisieren und einzuschränken. Unsere Konzentration auf die Gestalt Josaphats verwehrt ein noch intensiveres Eingehen auf die literarischen und historischen Einzelprobleme. Untersuchungen zur Rolle der Leviten und des Kultgesangs im Heiligen Krieg - der Kultgesang scheint das Mitführen der Bundeslade abgelöst zu haben - sind im Rahmen unserer Fragestellung weder möglich noch erforderlich. Aufgrund der geleisteten Vorarbeiten zu II 20,1-30 setzen wir voraus, daß es sich in diesem Abschnitt um einen von chronistischer Terminologie durchdrungenen und entworfenen Text handelt, der biblische (Dtn, DtrG) und außerbiblische Traditionen (V 26: „Beracha-Tal") souverän verarbeitet, ohne sich an eine Vorlage im engeren Sinn anzulehnen. 2Kön 3 kann jedenfalls nicht als literarische Vorlage gedient haben, wie die Differenzen (trotz gewisser Ähnlichkeit der Einzelzüge) zeigen 117 . Der Chronist kann es sich als Ausleger (nicht Ersetzer) seiner Vorlage leisten, bestimmte Textabschnitte der Vorlage, die seine Lieblingskönige betreffen, auszulassen, zumal die „Chronik Jehus" (20,34) auf die primäre Geschichtsschreibung und ihre dtr Epitome verweist, die für den interessierten Leser ergänzendes Material bereithielten. Textkritik und Einzelauslegung wird sich im Rahmen unserer Aufgabenstellung auf das Josaphat-relevante Material in 20,l-13.18.20f.25.27. 29f. beschränken.

5.3.2 Der Textbestand 1. V 1: An der wohl versehentlichen Verschreibung von „Maonitern" (vgl. L X X ) durch Buchstabenvertauschung zu „Ammonitern" (M) wird kaum zu zweifeln sein, da die Ammoniter unmittelbar vorher bereits erwähnt sind und die Maoniter auch an anderen Stellen des chronistischen Sondergutes belegt sind (I 4,41; II 26,7) 1 1 8 . Ebenso leicht ist in V 2 die Verschreibung von DIKö zu t n x a zu erklären (Buchstabenvertauschung). Sinnvoll ist al116 David und Salomo waren davon nicht betroffen, da sie als feste Bezugspunkte ihrer Epigonen das messianische und wieder zu erhoffende eschatologische Königtum (s.o.) repräsentierten. 117 Vgl. NOTH, Z D P V 67, 48; CURTIS / MADSEN, ICC, 405; WlLLIAMSON, N C B C , 279. 118 Vgl. auch WELTEN, Geschichte, 143f.

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5.3 Der Sieg (20,1-30)

lein die Lesart „Edom", das als Apposition zur Ortsbezeichnung „Totes Meer" die Stoßrichtung der feindlichen Truppen angibt. Aufgrund der Ortsangabe (En-Gedi) kann nur Edom (Idumäer) gemeint sein. In V 5 lassen einige M-Hss, L X X und T die Versammlung der Judäer durch Hinzufügung einer Präposition „in Jerusalem" stattfinden (V 5a). Das versteht sich allerdings von selbst, da der Tempel erwähnt wird. Für den polysyndetischen Anschluß „und Jerusalems" (status constructus) spricht die stereotype Phrase ,Juda und (die Bewohner) Jerusalem(s)", die in 20,1-30 häufig erscheint (V 15.18.20.26.27). Eine sichere Entscheidung ist allerdings nicht möglich. In V 6 liest eine M-Handschrift flKTl statt D'lJn. Diese Abweichung dürfte auf die gebräuchlichere, universalistische Formel „im Himmel und auf Erden" (vgl. Dtn 4,39) zurückgehen. Diese Adaption ist verständlich, verdirbt aber die Pointe, da im Folgenden gerade Jahwes Herrschaft über die Völker demonstriert werden soll. Die interpretierende Übersetzung von V 7 durch L X X („dem Samen Abrahams, deinem Freund") kann auch als „dem Samen Abrahams, deines Freundes" gelesen werden. M läßt beide Möglichkeiten offen. "I1? (V 8) ist in guten LXX-Hss, V und S ausgelassen, da das folgende - p f o als unnötige Reduplikation erschien. Wurde aber der „Name" vom Chronisten als Hypostase Jahwes verstanden, dann ist das „für dich" keineswegs überflüssig. Dies wird auch durch V 9 nahegelegt. Einige M-Hss und Lagardes LXX-Ausgabe ergänzten hinter ein tnpJ. Damit wurde der „Name Jahwes" nicht hypostatisch bzw. als Jahwes tatsächliche Gegenwart im Tempel verstanden, sondern anthropologisch erklärt (Name = Jahwe in seiner Anrufbarkeit). Da unser Text aber am Tempelweihgebet Salomos (lKön 8) orientiert ist und da die Variante in V 7 dasselbe verdächtige Korrekturmerkmal aufweist, halten wir an der Lesart M fest, zumal ihre Bezeugung auch in LXX-Hss recht gut ist. V 9: Der Infinitiv BIS®' ist u.E. mit den Konjekturen in BHK / BHS und RUDOLPH in oder gar •ptf zu ändern (vgl. II 6,28). Schwierigkeiten bereitet nicht nur die sonderbare Infinitivform (M), sondern auch die Verwendung dieser Wurzel überhaupt, die in II 19,4 (ebenfalls Sondergut) positiv die Erhaltung der Ordnung der Rechtsgemeinschaft meinte, nicht aber einen unheilvollen Akt des göttlichen Gerichts. Die Varianten zu M in V 11 sind alle wenig überzeugend. Die durch L X X erfolgte Änderung des Suffixes, die „aus deinem Besitz" in „aus unserem Besitz" abändert, scheint die schlechtere Lesart darzustellen, da nach Meinung des Chronisten Volk und Land Jahwe allein gehören (I 17,14; 28,5; 29,11.23)» 9 . 2. Die Variante einiger LXX-Hss in V 20, die Kai eßor|aev zu M ergänzt, ist wohl als sekundär hinzugefügte Dramatisierung des Geschehens zu verstehen. Der LXX-Text in V 21 scheint auf eine verderbte Vorlage zurückzu-

119 Vgl. CURTIS / MADSEN, I C C , 407.

5

II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

181

gehen. Er läßt den Jahwenamen aus und die Sänger „das Heiligtum" besingen (vgl. RAHLFS, L X X 1,840; BHS z.St.), statt Jahwe im heiligen Schmuck zu preisen (M). Einige M-Hss ergänzen den Lobpreis der Leviten in V 21 b nach dem Wortlaut von Ps 136,1 durch Hinzufügung von 21B "O. Der äußere textkritische Befund (LXX, V und die meisten M-Hss) spricht eher für eine harmonisierende Ergänzung eines späteren Abschreibers als für die Ursprünglichkeit dieser Lesart. Mit L X X ist in V 25 nana (= Vieh) statt DT13 (= unter ihnen) zu lesen. Die Lesart M ist von der Syntax her unmöglich, da ein Objekt des Findens vor der nächsten Konjunktion fehlt. Hier ist wohl ein Buchstabe ausgefallen. Ebenso ist mit zwei M-Hss, V und L O'HJDl durch D'HJai zu ersetzen. Die Judäer erbeuten natürlich keine sie verunreinigenden „Leichen", sondern kostbare „Kleider" bzw. „Rüstungen" (LXX: aicuX,a). L X X läßt in V 27 alle Judäer „nach Jerusalem" zurückkehren (vgl. die Textkritik zu V 5!), während die wohl ursprüngliche Lesart M Judäer und Jerusalemer im status constructus beiordnet (vgl. V 5). Folgerichtig muß L X X die adverbiale Bestimmung des Ortes dann als unnötige Wiederholung in V 27b auslassen.

5.3.3 Die Not (V 1-13) 1. Die neue Situation wird in V 1 durch die typisch chronistische Formulierung 120 pnnK eingeleitet, wodurch ein chronologischer Zusammenhang geschaffen wird. Josaphat ist rehabilitiert und das Volk ist zu Jahwe zurückgebracht. Dennoch folgt keine Epoche neuer Blüte 121 , sondern ärgste Bedrohung durch äußere Feinde (theologia crucis). Analog zum passend gewählten Jesajazitat (Jes 7,9) in V 20 präsentiert der Chronist eine politische Konstellation, die der Bedrohung Judas im syrisch-ephraimitischen Krieg 122 durch eine feindliche Koalition nicht unähnlich ist. Der Chronist betont die Größe der Not durch die Erwähnung dreier gegnerischer Völkerschaften (Moabiter, Ammoniter, Maoniter). Es handelt sich um eine „große Menge" Kriegsvolk (V 2.12.15), die bereits in Juda einmarschiert ist (V 2). Wie in Jes 7,2 wird der König von der Bedrohung unterrichtet, wobei ihm die Lage des feindlichen Heeres mitgeteilt wird (V 2). Wie Ahas, so befällt auch Josaphat Furcht, womit allerdings die Gemeinsamkeiten beider Könige auch erschöpft sind. Denn Josaphat stellt in einer analogen Situation die schlechthin positive Alternative zu Ahas dar. Die Warnung Jesajas (Jes 7,9) wird im Munde des Königs zur Verheißung (20,20). Die grundsätzliche Differenz zu Ahas ist in V 3 durch das „Sich-Halten an Jahwe" (©"TT) benannt, das als chronistisches Leitwort immer wieder begegnet (s.o.). Das Fasten (D1S), das vom König ausgerufen wird, begegnet im Alten Testament 120 Vgl. WELTEN, Geschichte, 142. 121 Vgl. die theologia

gloriae in II 17.

122 Der allerdings erst ca. 100 Jahre später stattfand.

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5.3 Der Sieg (20,1-30)

als individuelles und kollektives Phänomen und ist Zeichen der Selbstdemütigung 123 in akuter Bedrohung und im Alten Testament weit verbreitet 124 . Die in Judith 4,1-15 ergriffenen Maßnahmen und Details sind dem chronistischen Bericht verblüffend ähnlich125. Dtr Einflüsse auf den Text sind unverkennbar. Der Zusammenhang von Fastgottesdienst, Fürbitte und Paränese begegnen hier wie dort im Kontext des Jahwekrieges126. Allerdings fehlen in II 20 Opfer und explizites Schuldbekenntnis, was aufgrund der religiösen Reform von 19,4-11 nicht verwundert. Bemerkenswert ist die chronistische Modifikation der erweiterten dtr (und jeremianischen?) Unheilsdrohungen in V 9, die den Tun-Ergehen-Zusammenhang von Fluch und Segen ausspart (s.u.). Die drohende Katastrophe ist nicht in einer Verfehlung des Volkes oder des Königs begründet. Diese Tatsache zeigt erneut, wie problematisch die Annahme eines chronistischen „Vergeltungsdogmas" ist. 2. V 4f und V 13 zeigen die aktive Rolle des Volkes im Krisenfall, das typologisch ,Juda", ,Jerusalem" und in V 29 sogar „Israel" genannt wird 127 . Erst in V 5a spielt Josaphat wieder eine aktive Rolle, dessen Bittgebet durch rhetorische Fragen eingeleitet wird und Israels Geschichte („Heilsgeschichte") bis zur Landnahme rekapituliert. Der König als Bittsteller handelt als Repräsentant des Volkes, wie der Numerus der Verben und Suffixe in V 612 verdeutlicht. Die Lokalisierung des Geschehens „im Haus Jahwes vor dem neuen Vorhof" weckt Assoziationen zur Einweihung des Tempels durch Salomo (lKön 8 par). Die formelhafte Zusammenfassung der Heilsgeschichte in V 6-12 stellt eine Art freies Florilegium verschiedener Bibelstellen dar, wobej Zitat und Anspielung ineinander übergehen. Das Gebet zeigt auffallende Ähnlichkeit mit Ps 44,1-9, wo ebenfalls Jahwe als Initiator der Landnahme beschworen wird. Josaphats Gebet setzt ein mit der Feststellung der Allmacht Jahwes (V 6), dessen Werk auch die Landgabe an Israel ist, das - reactio hominis - Jahwe dafür den Tempel baute. Israel ist daher berechtigt, Jahwe in Notzeiten um Hilfe anzurufen (V 9; vgl. lKön 8,30ff), zumal der Angriff der Feinde illegitim ist und dem friedvollen Verhalten Israels gegenüber den „Bruderstaaten" widerspricht (V lOf). Daraus ergibt sich, daß der Angriff der Feinde Feindschaft gegen Jahwe selbst und seine Setzungen ist (V 12), der darum als Kriegsherr gefordert ist. Die Gottesprädikation (V 6) entspricht chronistischer Gepflogenheit (vgl. 17,4; 19,4). Gottes Allmacht wird doxologiscb ausgesagt, seine universale Herrschaft ist in der Chronik vorausgesetzt (I 29,10-12). ri3 und m u ) sind traditionelle Gottesattribute der Psalmen128. V 7-10 enthält mit Aus123 Vgl. F. STOLZ, T H A T II, 537f. 124 Vgl. Jes 2 2 , 1 - 1 4 ; Jer 36,6.9.; Joel 1,13-15; J o n a 3,5-9. 125 Vgl. WELTEN, Geschichte, 146. 126 Vgl. STOLZ, T H A T II, 537f; vgl. auch l S a m 7,3-11; Ri 20,26ff. 127 Vgl. WILLI, Auslegung, 1 6 l f (vor allem Anm. 204-206); nach WILLI impliziert dieses D e n ken gerade keine Polemik gegen das Nordreich. 128 Vgl. Ps 65,7; 66,7; 89,14; 111,6; 145,11; 147,5; Jer 10,6; H i 12,13; 9,19; 36,22; E x 15,6; vgl. auch I 29,1 lf.

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II 18,1-20,30: D e r Feldherr Josaphat

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nähme von V 9 ein „geschichtliches Credo" des Verfassers, das, wie v.RAD nachwies, elohistische (Num 20,14ff), dtn (Dtn 2,4f.9.19) und dtr Traditionen (Ri ll,16f) aufgreift, hingegen kaum Einflüsse aus P aufweist 129 . Die Rede vom „Samen Abrahams, meines Freundes" ist Zitat aus Jes 41,8 1 3 0 . Im Gefolge der in Ri 11,24 und Ps 44,3 vorausgesetzten Tradition hat Jahwe selbst Israel das Land zugeteilt (V 7.11). Jahwe, der Besitzer des Landes (Lev 25,23), wird von Josaphat als Richter in einem Rechtsstreit angerufen. Der Krieg der ostjordanischen Volker wird als Reflex der Landnahme (besser: Landgabe) verstanden. Landnahmezeit, Königszeit und die von Kriegen erschütterte Gegenwart des Verfassers verschmelzen unter einem gemeinsamen theologischen Gesichtspunkt. Die Verarbeitung verschiedener Traditionen verrät den Verfasser erneut als Literaten, ohne daß eine Einordnung in einen bestimmten Traditionsstrom möglich wäre. „Was dem Chronisten vorlag, das war die Schrift"™. Der souveräne Umgang mit der Tradition zeigt sich auch in V 9. Vorausgesetzt ist das Tempelweihgebet Salomos, wobei die ökologischen und politischen Katastrophen 3ST) (Hungersnot), I T T (Pest) und 11D1®' (Getreidebrand) 1 3 2 aus l K ö n 8,37; II 6,28 durch die ebenfalls aus „Unheilslisten" stammenden Begriffe nsn (allgemeines Unheil) und 3"in (Schwert, Krieg) ergänzt wurden 1 3 3 . Diese Ergänzungen formulieren die über Salomos Gebet hinausreichenden aktuellen Bedrohungen des Volkes. Hin als allgemeine Bezeichnung eines Unheilszustandes weist auf dtn-dtr Sprachgebrauch hin 1 3 4 , ist aber auch als Glied einer antithetischen Formel in Jes 7,15 belegt. Auf welche dieser Traditionen der Chronist im einzelnen zurückgriff, läßt sich schwer sagen und ist im Einzelfall unerheblich. Zum einen wird man mit der mündlichen Tradition solcher Formeln und Formelfragmente zu rechnen haben, zum anderen bedient sich der Autor des ganzen Kanons (Musivstil), was der schriftgelehrten hermeneutischen Technik entspricht (d'resat s'mükim) 1 3 5 . Die erneute Gottesanrede in V 12 leitet die Feststellung der Hilflosigkeit Judas ein, das unfähig ist, sich gegen „die große Menge" zu wehren. Neben der Unrechtmäßigkeit des Angriffs wird die Unfähigkeit zur Selbstverteidigung als Argument der Bitte um Hilfe angeführt, die in Jahwes (schieds-)richterlicher Tätigkeit erhofft wird. V 13 verdeutlicht noch einmal den repräsentativen Charakter des königlichen Bittgebets, hinter dem sich die spätnachexilische Gemeinde verbirgt. Sie weiß um ihre legitimen Rechte, sieht aber keine Möglichkeit, diese auch politisch durchzusetzen. Der Re-

129 Vgl. V.RAD, Geschichtsbild, 77-80; da V.RAD einen Hexateuch annahm, ist f ü r ihn R i l l , 1 6 f zur elohistischen Schicht zu rechnen, was nach neueren U n t e r s u c h u n g e n wenig wahrscheinlich ist. 1 3 0 Vgl. CURTIS / MADSEN, I C C , 4 0 6 . 131 WILLI, Auslegung, 63. 132 So lesen wir 2 0 , 9 mit einer K o n j e k t u r (s.o.). 133 Vgl. E x 5,3; Klgl 1,20; A m 4,10; J e r 18,21; 21,9; 24,10; 27,8.13 u.ö. (vgl. E z , Sam, D t n ) . 134 Vgl. D t n 30,15; 2 S a m 14,17. 135 Vgl. WILLI, Auslegung, 219 (Anm. 14).

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5.3 Der Sieg (20,1-30)

kurs auf Num, Dtn, Jos und Ri soll die altisraelitischen Vorstellungen vom Jahwekrieg 1 3 6 , in dem Jahwe selbst für sein Volk stritt, mit den aus chronistischer Sicht analogen Verhältnissen der Gegenwart verbinden. Die altisraelitischen Traditionen, vor allem die der Landnahme und der daraus resultierenden Spannungen mit den Nachbarn im Osten, werden vom Chronisten typologisch verstanden, „als Ausdruck eines gleichbleibenden geschichtlichen Grundverhältnisses" 137 . Verheißung, Ohnmacht und Errettung enden schließlich im,Jahweschrecken".

5.3.4 Der jahwetreue König (V 18.20f.25.27.29f) 1. Durch den Leviten Jahasiel manifestiert sich die göttliche Antwort (V 1417). Die Mahnung zur Furchtlosigkeit und die zweifach gegebene Zusage, daß Jahwe allein den Krieg für sein Volk führen wird, korrespondieren mit dem Gebet Josaphats, wobei dtr Formulierungen und prophetische Botenformeln aus der Tradition übernommen werden 1 3 8 . V 18 beschreibt in einem synonymen Parallelismus die Anerkennung des Jahwewortes durch König und Volk. Vor dem gehorsamen Auszug in die Steppe von Tekoa ergreift Josaphat zum zweiten Mal das Wort (V 20), diesmal jedoch in einer predigtartigen Paränese an das Volk. Nach der vorbildlichen Abfolge von Bitte, Antwort und Lob gilt es nun, das Volk auf Jahwes offenbaren Willen zu verpflichten. Auf die traditionsgeschichtliche Parallele der priesterlichen „Kriegspredigt" in Dtn 20,1-4 ist mehrfach hingewiesen worden 1 3 9 . Die Predigt Josaphats artikuliert die Bereitschaft zum unbedingten Vertrauen auf Jahwe und ist charakteristisch für die „levitische Predigt" und ihre Stilmerkmale, wie sie V . R A D beschrieben hatte 1 4 0 . Die Eröffnung der Predigt durch den Aufmerksamkeitsruf („Höret mich") inmitten des versammelten Volkes ist bezeichnend für eine auch sonst in der Chronik zu beobachtende „demokratische Tendenz" 1 4 1 , die Volk und König aufeinander bezogen sein läßt. 2. Im Mittelpunkt von V 20 steht die Auslegung des Jesajawortes Jes 7,9 durch C h r 1 4 2 . Bemerkenswert ist das Verhältnis von Tradition und Interpretation, die sich in dieser Auslegung artikuliert. Wie bereits festgestellt, Vgl. Z L M M E R L I , Theologie, 4 9 H ; grundlegend G. V . R A D , Der Heilige Krieg im alten Israel, Göttingen 4 1 9 6 5 ; C . C O L P E , Bezeichnung und Bezeugung des „Heiligen Krieges" ( I I ) , BThZ 1 , 1 9 8 4 , 1 9 9 - 2 0 2 ; W.H. S C H M I D T , Glaube, 9 4 - 9 8 . 1 3 7 W I L L I , Auslegung, 1 6 3 ; dort weitere grundlegende Literatur. 1 3 8 Vgl. M L C H E E L , Seher 5 2 . Zur Problematik der Bezeichnung „Levitische Predigt" für V 1 4 1 7 , vgl. A. S C H M I T T , Das prophetische Sondergut in 2 Chr 2 0 , 1 4 - 1 7 , in: L. R U P P E R T (Hg. u.a.), Kinder des Wortes. FS Josef Schreiner, Würzburg 1 9 8 2 , 2 7 3 - 2 8 5 . 139 Vgl. R U D O L P H , HAT 21, 261; W I L L I A M S O N , N C B C , 299. 140 Vgl. V.RAD, Predigt. 136

141 WILLI, Auslegung, 161 (mit A n m . 201).

142 Weitere Belege für die Verarbeitung von Prophetenworten durch den Chronisten bei WILLI, Auslegung, 177 (Anm. 2).

5

II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

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verliert das Prophetenwort durch die Auslassung der Negationspartikeln jeden drohenden Unterton des ursprünglichen Bedingungssatzes und erhält den Charakter einer Verheißung: „Haltet Jahwe, eurem Gott, die Treue und ihr werdet bestehen bleiben, haltet seinen Propheten die Treue und ihr werdet Erfolg haben."

Der Rollenwechsel des Königs vom Sprachrohr des Volkes zum Prediger an das Volk wird formal durch den Wechsel von „unser Gott" (V 7) zu „euren Gott" (V 20) angezeigt. Theologische Kritik wurde vor allem am zweiten Glied des Parallelismus laut, die u.E. auf einem Mißverständnis beruht. v . R A D hatte gemeint, der Glaube an die Propheten schlage dem „wahren Sinn des Jesajawortes ins Gesicht" 1 4 3 . Dabei wird jedoch verkannt, daß Jah-

we in der Chronik

durch seine Propheten seihst zu Wort kommt144.

Der

Vers will u.E. als synonymer Parallelismus verstanden sein, nicht als ein „Additiv" zur Jahwetreue. In Wahrheit fällt für den Chronisten beides zusammen: Der Erweis der Jahwetreue auch in der Not ereignet sich mittelbar durch die gehorsame Annahme des Prophetenwortes. Der umstrittene Halbsatz muß u.E. als ein epexegetisches Interpretament verstanden werden. Die vermeintliche Verkehrung des Jesajawortes zum „Fürwahrhalten" durch den Chronisten 1 4 5 verkennt, daß der chronistische Prophet (analog zum König!) nichts für sich selbst ist und schon gar keine Größe darstellt, an die geglaubt werden müsse. Vielmehr ist der Prophet Mittler des Jahwewortes und nur insofern ist ihm, d.h. dem Wort, das er verkündet, Gehorsam zu leisten. In diesem Sinn forderte auch Jesaja Glauben an seine (und doch gerade nicht an „seine") Botschaft. Der Chronist expliziert abermals einen für ihn impliziten Gedanken des kanonischen Wortes (KAT V). Eine solche Interpretation ist durch das zunehmende Bewußtsein der Transzendenz Gottes und der Mittelbarkeit seines Redens ( R O T H S T E I N / H Ä N E L ) nicht nur motiviert, sondern geradezu notwendig. 3. An die Ansprache schließt sich in V 21 eine Beratung von König und Volk an - ein weiteres Symptom der latenten „Demokratisierung". Auch in dieser entscheidenden Situation präsentiert sich Josaphat nicht als autoritärer Despot, sondern als ein auf Konsens zielender Mahner mit pädagogischen Zügen. Durch die Anordnung zur Aufstellung eines Musikkorps, das Jahwes Treue preisend dem Volk 1 4 6 voranzieht (vgl. 13,12-15), ist Josaphat vollends zur integrativen Leitfigur und zum „Vorbild" der Jahwetreue geworden, der in der Schlacht nicht seinen Ruhm, sondern die Ehre Gottes sucht. Dieses paradoxe Vertrauen wird nicht enttäuscht. Die Feinde vernichten sich gegenseitig, während König und Volk gerade noch rechtzeitig zur 143 V.RAD, Predigt, 255; zum Sinn des Jesajawortes vgl. H . WILDBERGER, Jesaja (I), B K X / 1 , Neukirchen-Vluyn 1972, 283ff. 144 Vgl. WILLI, Auslegung, 227. Analoges gilt für Ex 14,30f, vgl. H J . HERMISSON / E. LOHSE, Glauben. Biblische Konfrontationen, Stuttgart / Berlin u.a. 1978, 33f. 145 So WILDBERGER, B K X / 1, 285. 146 Von einem „Heer" kann eigentlich nicht gesprochen werden, vgl. V13!

186

5.3 Der Sieg (20,1-30)

Plünderung der großen Beute das Schlachtfeld erreichen. Abgesehen von traditionsgeschichtlichen Anleihen beim Jahwekrieg könnten dem Verfasser die Diadochenkämpfe oder die sich daraus ergebenden jahrhundertelangen Auseinandersetzungen zwischen Seleukiden und Ptolemäern mit ihren ständig wechselnden Koalitionen, Fronten und Vertragsbrüchen vor Augen gestanden haben. Sicherlich verarbeitete der Chronist Traditionen wie Ri 7,22, deren Wirkungsgeschichte in nachexilischer Zeit nachweislich anhielt (Ez 38,21; Sach 14,13) 147 . Der Schlußpunkt wird durch die freudige Rückkehr der Judäer und Jerusalemer mit ihrem König an der Spitze zum Tempel Jahwes gesetzt (V 27f). Beachtenswert ist das Fehlen jeder Opferhandlung vor und nach dem Feldzug, während die levitische Liturgie den Text durchzieht (V 19.21.28). V 29f bildet den für die Topoi stereotypen Abschluß des Kriegsberichts. „Der Gottesschrecken breitet sich aus über die Königreiche der Länder, und die Ruhe, die Josaphat damit erreicht, ist jedenfalls für seine Lebenszeit gesichert" 148 . Im Zusammenhang von 17,10 ist damit ausgesagt: „[...] als einzelne Gegner den Bann zu brechen suchten, den der Gottesschrecken (17,10) auf sie gelegt hatte, mußten sie erleben, was es heißt, dem Gott Israels im Kampf gegenüber zu treten" 149 . Aus der Bezeichnung „Feinde Israels" wird man schwerlich einen ausgrenzenden politischen Unterton gegen den Norden heraushören dürfen. Auch an dieser Stelle erklärt sich der Gebrauch des Namens „Israel" durch die typologische Denkstruktur des Verfassers. Nicht ein Alleinvertretungsanspruch der Davididen steht auf dem Spiel - er versteht sich von selbst! - Den Chronisten wird eher „der Gedanke des umfassenden Gottesvolkes und der bloß interimistischen Stellvertretung" (WILLI) des Südens bewegt haben (II 15,17; 24,16; 28,23; 29,24)»o.

Die „Ruhe" (Bptfm und nj*l) ist als Zeit ohne Krieg zu verstehen und rekurriert traditionsgeschichtlich auf das Richterbuch und die Taten seiner charismatischen Rettergestalten151. Für das DtrG ist die Friedenszeit an die Lebenszeit des Richters, für den Chronisten an die des Königs gebunden. Wahrend der Unfriede in Ri durch den Ungehorsam der Israeliten provoziert wird, hängen in der Chronik Ruhe und Frieden am Verhalten des Königs 152 , was allerdings für den Chronisten keinen Gegensatz darstellt, zumal der König zugleich Repräsentant des ganzen Volkes ist. Auch die Schuld wird „demokratisiert" (II 21,1!), wobei das Volk auch vom ungerechten König differenziert und zur Revolution gegen den Potentaten aufgerufen werden kann (13,4-12). Die Parallelisierung der Königszeit mit der Zeit des Verfassers ist aufgrund bestimmter Entsprechungen gelungen, wie W E L T E N überzeugend 147 148 149 150 151

Vgl. RUDOLPH, H A T 21, 261. WELTEN, Geschichte, 152; vgl. auch 15f.49.97.201. RUDOLPH, H A T 21, 260. WILLI, Auslegung, 162 (Anm. 206). Vgl. J o s 11,23; 14,15; Ri 3,11.30; 5,31; nach WELTEN, Geschichte, 49.

152 Vgl. WELTEN, Geschichte, ebd.

5

II 18,1-20,30: Der Feldherr Josaphat

187

nachwies 1 5 3 . So sind die Gegner geographisch fast dieselben geblieben; Nord- und Südreich sind immer noch unabhängige und miteinander rivalisierende „Staaten" (Provinzen), die auch durch religiöse Gegensätze voneinander getrennt sind. Dennoch weiß man weiterhin um die spezifische Kohäsion beider Völker (II 28,9-15). 4. Abschließend soll noch einmal auf das höchst problematische Verhältnis von II 20,1-30 zu 2Kön 3,4-27 eingegangen werden. Die historischen und kompositorischen Implikationen dieses Textes wurde bereits angesprochen 1 5 4 . Von einer „Uberlieferungsgeschichte" des Textes, die sich in II 20 niedergeschlagen habe, kann u.E. keine Rede sein, nicht einmal von einer Überarbeitung der Tradition. Eher wäre von einer gemeinsamen Motivgeschichte zu sprechen, wobei der Jahwes Beistand zusagende Prophet hier wie dort eine wichtige Rolle im Kriegsfall spielt. Die Auslassung der Erzählung in der Chronik ist alles andere als eine Marginalie und offenbart die theologische Arbeitsweise des Autors. U.E. handelt es sich um eine nach KATIV und KAT VI vorgenommene Auslassung, die im Rahmen chronistischer Bearbeitungen der Uberlieferung nichts Ungewöhnliches darstellt. Der Chronist hielt sich als ein nicht auf Vollständigkeit angewiesener Ausleger einer „sichergestellten" kanonischen Schrift für durchaus berechtigt, weite Partien der David-, Hiskia- und Josiaerzählungen auszulassen (s.o.). Das bereits behandelte Thema „Kriegsbündnis mit dem Norden" brauchte nicht noch einmal wiederholt zu werden. 2Kön 3 konnte aufgrund inhaltlicher Dubletten (vgl. V 7.11) als entbehrlich erscheinen (vgl. l K ö n 22,4.7). Darüberhinaus enthielt die Erzählung keine neuen oder nur sehr schwer verständliche (2Kön 3,27) theologische Gesichtspunkte. Immerhin übernahm der Chronist einzelne Motive und gestaltete sie aus: die Not in einer militärisch und existentiell brisanten Situation und Jahwes durch Prophetenspruch zugesagte Rettung. Die Not wird gesteigert, indem aus der Übermacht der Verbündeten (2Kön 3) eine übermächtige feindliche Koalition (II 20) und aus einem hegemonialen Angrißkrieg ein auf die Revision der Landnahme zielender Vernichtungskrieg wird.

5.3.5 Zusammenfassende Beurteilung 1. Der Abschnitt II 20,1-30 verarbeitet verschiedene biblische Traditionen, wobei die chronistisch bearbeiteten Überlieferungen vom ,Jahwekrieg" sowie Jes 7 besonders hervortreten. Die noch im DtrG festgehaltenen geschichtlichen Differenzen zwischen Landnahme-, Richter- und Königezeit sowie der eigenen Gegenwart werden vom Chronisten zugunsten bleibender geschichtlicher Grund Verhältnisse nivelliert (WILLI).

153 Zum Folgenden vgl. a.a.O., 170. 154 S.o. Punkt 3.4.

188

5.3 Der Sieg (20,1-30)

2. Die traditionsgeschichtlichen Anlehnungen zeigen, wie gelungen die Wahl der sprachlichen Formen für die Erklärung des Inhalts ist. ,Jahwekrieg" (DtrG) und ,Jahwetreue" im Krisenfall (Jes 7) werden im politischen Horizont der chronistischen Zeit zu einer kongruenten Einheit verschmolzen. Die beiden verwendeten Traditionen erwiesen sich als hilfreich, die Optionen einer machtlosen und von allen Seiten bedrohten Gemeinde zu artikulieren. Die o.g. Traditionen besaßen daher eine für die chronistischen Zwecke analogische Kraft. 3. Die Unterschiede zum vorangehenden Ostjordanfeldzug sind fundamental: Josaphat ist nicht der Angreifer, sondern der Bedrohte; er ruft Jahwe als Richter in einem Rechtsstreit gegen die Unschuldigen und Ohnmächtigen an, wobei er diesmal den richtigen Koalitionspartner (Jahwe) wählt; durch Fasten, Gebet, Prophetenwort, Gehorsam und Gotteslob wird ersichtlich, daß Israels Hilfe im Gottesdienst zu finden ist, in dem König, Volk, Propheten und Leviten (Priester fehlen!) die entscheidenden Komponenten darstellen. Damit ist der Dienstweg im Verteidigungsfall vorgezeichnet, den der Chronist seinen Zeitgenossen paränetisch vor Augen hält. 4. Im Textzusammenhang ließ sich eine Tendenz zur „Demokratisierung" des Königtums feststellen, die sich als Repräsentationsgedanke auch in anderen Abschnitten des Sondergutes bemerkbar machte. Der König wird andererseits zum Hermeneuten des durch Prophetenwort ergangenen Wortes Gottes. Er bekleidet damit die Mittlerposition des weisen und gerechten Anführers, die er pars pro toto für seine Untertanen wahrnimmt. Die vom König geschaffenen Institutionen und Präzedenzfälle (vgl. 19,4-11) legitimieren nachexilische Verhältnisse und Lebensordnungen. Wie einst David (I 28f) trifft Josaphat die notwendigen Anordnungen hinsichtlich des Kultpersonals (II 20,21) und garantiert dadurch ein hohes Alter sowie die Existenzberechtigung und Verbindlichkeit bestimmter Einrichtungen.

6

II 20,31-21,1a: D e r „späte J o s a p h a t "

6.1 Der Textbestand 1. Die in BHS / BHK angebotenen variierenden Lesarten finden sich zumeist in redaktionellen Abschnitten des Textes, da das Uberlieferunesgut durch den Paralleltext (lKön 22,41-51) verifizierbar blieb. Aufgrund der Vokalisierungs- und Transkriptionsproblematik (LXX) sind die Abweichungen im Bereich der Eigennamen am größten: Der Name der Großmutter Josaphats (V 31) wird verschieden vokalisiert, ist aber aufgrund der guten Bezeugung (vgl. lKön 22,42) nicht abzuändern. In V 37 wird LXX (vgl. R A H L F S z.St.) im theophoren Namen 17PTT die ältere Lesart bewahrt haben. Der von den Masoreten gelesene Hofal il^yn (V 34) ist im Sinne von „kanonisieren" im Alten Testament singulär1. Es läßt sich nicht erklären, warum der Chronist an dieser Stelle auf das sonst in Quellenangaben oft stereotyp verwendete 31fD verzichtete. LXX ( R A H L F S ) indiziert durch die Lesart Kaxeypayev (V = digessit), die im Rahmen der Quellenangaben nur noch in I 9,1 erscheint und das übliche ")eypa(i(X£VOI (vgl. 16,11) ersetzt, eine gewisse Verlegenheit der Ubersetzer. Die Lesart M ist somit sicherlich alt und muß als lectio difficilior nicht unbedingt auf einen verderbten Text zurückgehen2. 2. LXXB hebt sich durch zwei Auslassungen von den übrigen Textzeugen ab. In V 35 fehlt die Apposition rniil,~|170, in 21,1 die Wiederholung des vnWKTB». Beide Kürzungen könnten dem chronistischen Bemühen um eine Raffung der Vorlage entsprechen, die oft Selbstverständlichkeiten und überflüssige Informationen einfach ausließ (KATIV). Im Paralleltext lKön 22,51 findet sich dieselbe abweichende Lesart, was vermuten läßt, daß LXX B (resp. die hebräische Vorlage) eine ältere Textgestalt repräsentieren könnte. Das zweimalige „mit seinen Vätern" in 21,1 ist u.E. dittograpbisch zu erklären, zumal die zweimalige Erwähnung im Rahmen der Begräbnisformel singulär ist (vgl. II 12,16; 13,23). Dagegen spricht die Bezeugung der M-Lesart in den meisten LXX-Hss am ehesten für eine vorchronistische Textverderbnis (KAT II). Schwierig ist auch eine Entscheidung hinsichtlich des redaktionellen Zusatzes V 35. Daß Josaphat „der König Judas" ist, muß dem Leser nicht länger gesagt werden. Andererseits erhält der Text durch die Antithese „König Judas - König Israels" seine polemische Spitze. Ahnliche antithetische, vom Chronisten verfasste Zusätze fanden sich bereits in 1 Vgl. GESENIUS, H a n d w ö r t e r b u c h , 591; CURT1S / MADSEN, I C C , 412. 2 A n d e r s CURTIS / MADSEN, I C C , ebd., die H A T 21, 262.

Dittographie

v e r m u t e n ; d a g e g e n RUDOLPH,

190

6.2 Die Binnenstruktur des Textes

II 18,3.19, weshalb an der Ursprünglichkeit der Lesart M wohl festzuhalten ist. Der Pluralform lfesn (V 36) ist der Vorzug gegenüber LXX (Singular) zu geben, da der Chronist die verwerfliche Kooperation der Könige unterstreichen will. Dies wird auch durch die wiederholte Notiz vom Bündnis in V 36a nahegelegt, woraus sich die Konsequenzen von V 36b ergeben. Die Ausdehnung der direkten Rede Eliesers in V 37 durch Ergänzung eines Suffixes hinter JTTJX stellt eine theologisch relevante Abweichung durch LXX dar. Die griechische Ubersetzung liest den Parallelismus als „der Herr vernichtet dein Werk und deine Schiffe zerbrechen" (Aorist). Anders M, der den Abschnitt im Schema von „Weissagung - Erfüllung" verstand und die beiden letzten Halbsätze konsekutiv verstand (synthetischer Parallelismus): „und die Schiffe wurden zerbrochen und waren nicht imstande, nach Tarschisch zu fahren." Da M der Tradition näher steht (vgl. lKön 22,49) - die Perfektform wird durch das vom Chronisten bevorzugte konsekutive Imperfekt ersetzt - und da eine Bestätigung der Weissagung durch das Verständnis von LXX bestenfalls angedeutet ist, muß u.E. M der Vorzug gegeben werden. Allgemein kann M als der gegenüber LXX besser überlieferte Texttyp gelten, der auf Interpretationen und stilistische Glättungen verzichtet. Manche Varianten von LXX werden auf eine verderbte Vorlage zurückzuführen sein.

6.2 Die Binnenstruktur des Textes 1. Die kompositionskritische Analyse von II 20,31-21,1 hatte hinsichtlich des Textaufbaus und der Verteilung von Redaktion und Uberlieferungsgeschichte zu konkreten Ergebnissen geführt 3 . Das Fehlen von lKön 22,41 b.47f in II 20 erklärt sich als bewußte Auslassung unverständlicher Passagen (V 47, entsprechend KAT VI), durch eine verderbte Vorlage (V 48, entsprechend KAT II) und als Tilgung des für den Chronisten inakzeptablen dtr Synchronismus, der die Regierungszeit des Apostaten mit der des Davididen parallelisierte (KAT VII). Die Auslassung von lKön 22,45 („und Josaphat hielt Frieden mit dem König Israels") beruht darauf, daß der Chronist diesen Satz im Folgenden historisierend interpretierte und mit dem Schiffahrtsunternehmen verknüpfte (II 20,35-37). Recht verstanden handelt es sich an dieser Stelle nicht um eine Auslassung (gegen R U D O L P H ) 4 , sondern im Gegenteil, um eine Auslegung der Vorlage mit chronistischen Stilmitteln.

3 Vgl. Punkt 3.2.2.1 und 3.2.2.3 (s.o.). 4 V g l . RUDOLPH, H A T 21, 263.

6

II 2 0 , 3 1 - 2 1 , l a : Der „späte Josaphat"

191

2. Komplexität und Disparität der Vorlage stellten den chronistischen Ausleger vor nicht unerhebliche Probleme. Nach W Ü R T H W E I N zeigt der Abschnitt lKön 22,41-50 Spuren einer längeren Uberlieferungsgeschichte 5 :

22,41-44 45 46 47 48-50

DtrH (Rahmenschema) vordeuteronomistisch DtrH nachdeuteronomistische Glosse vordeuteronomistisch

II 20,31-33 (bearbeitet) (fehlt in der Chronik) II 20,34 (bearbeitet) (fehlt in der Chronik) 1120,35-37 (V 48 der Vorlage fehlt; der Rest ist stark bearbeitet)

So wenig es der heutige Historiker auch honorieren mag, es ist das Verdienst des Autors, dieses disparate Material in einen chronologischen Zusammenhang gebracht (vgl. V 35: "p'HniO) und unter theologischen Gesichtspunkten verarbeitet zu haben. Der Übergang vom Sondergut zum Traditionsgut bringt einen Wechsel der Perspektive mit sich. Die zugunsten des Volkes abgeschwächte Bedeutung des Königtums in II 17; 19; 20,1-30 wird zugunsten der Intention der Vorlage aufgegeben. Die dtr Grundschrift (DtrH), als „Einführung" in die Identitätsfindung ermöglichende große Vergangenheit Israels, konzentrierte ihre Geschichtsdarstellung ganz auf den König 6 . Das Anliegen der Identitätsfindung teilte der Chronist mit seinem literarischen Vorbild. Seine gegenüber dem DtrG längst verblaßten Erinnerungen an die altehrwürdige Institution der davidischen Monarchie kompensierte der Chronist durch eine latente „Demokratisierung", die König und Volk aneinanderband. Daß der Chronist sich erneut auf die Person Josaphats einließ, zeigt auch, welche Autorität das DtrG für ihn hatte, zu dessen Verstehen er als Ausleger beitragen wollte. 3. Durch die Überarbeitung der Vorlage ergibt sich aus dem Text eine trotz der redaktionellen Eingriffe immer noch etwas sperrige Dreiteilung, da die dtr Abschlußformel zweigeteilt wird und der Autor seiner Blocktechnik treu zu bleiben versuchte:

20,31-34 35-37 21, 1

Statistische Angaben (Teil I) zur Regierungszeit; Literaturhinweis Bündnis mit Ahasja und die Folgen Statistische Angaben (Teil II); Tod, Begräbnis, Regierungswechsel

Gerade der zweite Abschnitt ermöglicht einen bemerkenswerten Einblick in die Arbeitsweise des Chronisten, dessen Neubearbeitung der Tradition

5 V g l . WORTHWEIN, A T D U / 2 , 263f. 6 Vgl. a.a.O., 495f.

192

6.3 Statistische Angaben der Königschronik (V 31-34)

durch die Bezeichnungen Sondergut und Traditionsgut nur noch unscharf erfaßt wird. Der Autor hat seine Vorlage „bis zur Kenntlichkeit entstellt".

6.3 Statistische Angaben der Königschronik (V 31-34) 1. Die chronistische Darstellung in V 31-34 folgt präzise dem dtr Rahmenschema7. Zwar verzichtet der Autor auf den dtr Synchronismus, aber er repetiert die knappen Angaben über das Lebensjahr des Königs zur Zeit seiner Investitur, die darauf folgende Anzahl der Regierungsjahre sowie den Namen der ein offizielles Amt bekleidenden Königsmutter (V 31b). Es folgt die theologische Zensur über den König (V 32) und die Kritik am Höhendienst des Volkes (V 33). Mit dem Quellenverweis (V 34) setzte gewöhnlich die dtr Abschlußformel ein8, die vom Chronisten entsprechend den Nachträgen in der Vorlage auseinandergerissen wird und erst in 21,1 ihren Abschluß findet. Dies war dem Verfasser möglich, weil er nicht formgeschicbtlich, sondern biblizistisch dachte. 20,31-21,1 stellte für ihn als ganzes eine Art Abschlußnotiz zur Regierungszeit Josaphats dar. 2. V 31 setzt abrupt neu ein, nachdem mit V 30 die chronistische Josaphatgeschichte ihren relativen, d.h. für die chronistische Theologie spezifischen Abschluß gefunden hatte („Ruheaussage"). Die Konstatierung der Königsherrschaft Josaphats über Juda (V 31a) stellt ein vom dtr Synchronismus befreites Rudiment von lKön 22,41a dar9. Die weiteren statistischen Angaben werden unverändert übernommen. Auch in V 33 zeigen sich nur kleinere Eingriffe in die Vorlage, die aber (theologisch gezielt) Josaphat von Asa vorsichtig abheben. Der Wandel Josaphats KOK " p T ^ M (lKön 22,43) ist für den Chronisten zu allgemein, weshalb er 'TS ausläßt10. Josaphat ist ihm, bei aller Sympathie für Asa, die bedeutendere Gestalt, wie Textumfang und vollständige Anwendung aller Topoi sowie die (bei Asa nicht erfolgte) Buße seines Schützlings verdeutlichen. Dieser Umstand drückte sich bereits in 17,3 aus 11 , wo ausdrücklich nur „die ersten Wege seines Vaters" zum positiven Paradigma für Josaphat werden. Die gegenüber der Vorlage erfolgte Vertauschung der Elemente NOK raN ist aufgrund der Vorziehung der Apposition stilistisch hart und hat, soweit wir feststellen konnten, im Zusammenhang von Namensformel mit Apposition in den Chronikbüchern keine weiteren Parallelen. Möglicherweise beabsichtigte der Chronist eine Betonung des Begriffs 3 X , der, analog zu der für ihn charakteristischen Bezeichnung Jahwes als dem „Gott 7 Zu Aufbau und Funktion des Rahmenschemas vgl. Punkt 3.2.2.3; ferner WORTHWEIN, ATD 11 / 2, 489-495; S. TIMM, Dynastie, 14-40. 8 Vgl. WORTHWEIN, A T D 11 / 2 , 4 9 5 .

9 Dieser Halbvers fehlt unverständlicherweise in der Synopse von KEGLER / AUGUSTIN, Synopse, 190. 10 Anders WILLI, Auslegung, 162 (Anm. 207), der die Auslassung auf KAT IV zurückführt und sie für rein stilistisch hält. 11 Vgl. WILLIAMSON, N C B C , 301.

6

II 20,31-21,la: Der „späte Josaphat"

193

der Vater" 12 , die für den Autor fundamentale Bedeutung der Tradition hervorhob. Dies wird auch durch 17,3 unterstützt, wo der Verfasser die „ersten Wege seines Vaters" erwähnt, aber den Namen Asas ausläßt. Ob der Chronist damit an den „Gott der Väter" erinnern wollte? Nicht Asa, sondern der „Vater" David als Typos der Jahwetreue schlechthin wies auch Josaphat den „Weg", wie die gegenüber V 34 vertauschte Reihenfolge "paK t t t in II 9,31; 21,12; 29,2; 34,2 zeigt. Sollte unsere Erklärung nicht allzu phantasievoll sein, dann impliziert die (in der Chronik singulare) Vertauschung eine Abschwächung - und damit im weitesten Sinne eine Auslegung — der Tradition, wobei der Chronist den Namen Asas an dieser Stelle nur ungern übernahm und durch 17,3 und 20,32 einschränkte13. Die gegenüber lKön 22,43 feststellbare „Femininisierung" der Präposition UFLÖ zu N I A A wird meist als bloß linguistische Adaption (KAT III) erklärt 14 . Diese Deutung ist möglich, wenngleich u.E. auch überlegt werden sollte, ob der Chronist seine Vorlage durch diese Änderung vielleicht präzisieren wollte. Maskuliner und femininer Gebrauch von "|TT sind im Alten Testament belegt15, die Femininform des Suffixes ist also linguistisch legitim. Vielleicht (sie!) wollte der Chronist durch diese Modifizierung verdeutlichen, daß das „Nicht-Abweichen von ihm" unbedingt auf *p"T, d.h. auf den von Jahwe vorgeschriebenen Lebenswandel 16 und nicht etwa auf Asa (maskulin!) zu beziehen ist. Abermals erwiese sich die chronistische Tendenz zur vorsichtigen Distanzierung Josaphats von Asa bei gleichzeitiger Anbindung an dessen positive Lebensphase. 3. Der sich in V 33a ergebende Widerspruch zu 17,6; 19,3 wurde bereits thematisiert 17 . Die Rezeption dieser im chronistischen Kontext anstößigen Stelle und der Verzicht auf Harmonisierung der Texte verdeutlichen abermals das „Kleben am Buchstaben" und die Anerkennung der Autorität der Vorlage durch den Chronisten 18 . M Y E R S Interpretation - „This is a clear indication of the stubborness of the problem and the fact that the religious reformation was only temporarily successful" 19 - zeigt, wie sehr auch der heutige Exeget der Suggestion des Verfassers (II 36,14-16) erliegen kann: Der König war willig, aber das Volk war (auf Dauer) schwach! Nach II 17 und 19,4-20.30 ist die Fortexistenz der Höhen an sich unverständlich. Aus diesem Grund führt der Parallelismus in V 33b aus: DTPJiaX Tl'7X'? dm 1 ? u r s n - K ^ D»n TUJ1. Damit wird zum einen der Höhen12 Vgl. II 11,16 (parallel zu „Gott Israels"); 13,12; 14,3; 15,12; 24,18; 30,19.22; 33,12; 34,3.21.32.33; 36,15. 13 Vorsichtige Unterstützung erhält unsere These ducch 17,2, wo B H „Davids" anstelle von „seines Vaters" liest und damit den Text vielleicht der Intention des Chronisten entsprechend interpretiert. 14 V g l . RUDOLPH, H A T 2 1 , 2 6 2 ; W I M , A u s l e g u n g , 8 7 . 1 5 V g l . GESENIUS, H a n d w ö r t e r b u c h , 1 6 8 . 16 V g l . WILLI, A u s l e g u n g , 145.

17 S.o. die Erklärungen zu den Stellen. 18 V g l . WILLI, A u s l e g u n g , 5 9 - 6 3 (vor a l l e m 61).

19 MYERS, AB 13, 114 (Note 33).

194

6.3 Statistische Angaben der Königschronik (V 31-34)

kult entsprechend der dtr Notiz als Verfehlung des Volkes expliziert 20 und Josaphat entlastet, zum anderen nimmt diese Stelle eine Formulierung aus 19,3 auf und zeigt ein Neuverständnis des Höhenkultes, der in dtn Manier „spiritualisiert" wird (vgl. Dtn 10,16; 30,6). Die Wurzeln des Übels sind nicht mehr Schlachtopfer und Räuchern (lKön 22,44b) - der Chronist ignoriert diese Angaben - als vielmehr der innere Abfall des „Herzens". 113 als chronistischer Leitbegriff ist auch an dieser Stelle im Schema von actio Dei - reactio hominis zu verstehen21 (vgl. 17,5; 19,3). Das Volk beantwortet Jahwes Segnungen im vorangegangenen Kriegszug mit dem Ungehorsam des Herzens. Die verallgemeinernde Nachricht der Vorlage wird chronologisch verstanden: Die Treue des Volkes war nicht von langer Dauer, weil „das Volk sein Herz nicht fest auf den Gott der Väter gerichtet hatte". Damit zeigt die chronistische Interpretation zugleich auch die historische Distanz des Verfassers von seinem Erzählstoff auf. Der Höhenkult ist für ihn nicht Verstoß gegen die Monolatrie (vgl. die dtn Kultzentralisation) oder Kritik am „Synkretismus" dieser Heiligtümer, die oft Jahweheiligtümer waren 22 , sondern Abfall zu einem fremden Gott. Die Institution der Höhen war m.a.W. für den Chronisten kein primär kultisches Delikt, sondern ein Verstoß, der sich im Verborgenen, im Herzen des Menschen ereignete. Dieser anthropologische Begriff beschreibt den Bereich der Vernunft, des Bewußtseins und des Willens23. Sollte unsere Deutung richtig sein, daß „Höhe" für den Chronisten Chiffre des Abfallens von Jahwe ist, dann wird die Differenz zwischen 17,5; 19,3 und 20,33 gegenstandslos. Das in 19,3 (vermeintlich) fehlende und nicht positiv gewürdigte „Abschaffen der Höhen" (17,5) wird innerhalb der Rede Jehus durch D V ^ K n »TT 1 ? " p j 1 ? n i r a m (19,3b) implizit ausgedrückt bzw. paraphrasiert. Die vom Chronisten gern gebrauchte Bezeichnung „Gott der Väter" 24 für Jahwe stammt aus Dtn und soll „die Traditionsbindung des eigenen Glaubens zum Ausdruck bringen" 25 . 4. In V 34 setzt die dtr Abschlußformel ein (DtrH), die einen Literaturhinweis enthielt, der den näher Interessierten auf „Auszüge aus den Hofannalen" 26 verwies. Charakteristisch sind auch hier die chronistischen Interpretamente: die Unterscheidung von „früheren und späteren Taten" eines Königs sowie der Hinweis auf den propheta eponymus ( W E L L H A U S E N ) und die dtr Epitome27. Die Auslassung von lKön 22,46a („und seine Tapferkeit, welche er vollbrachte und mit der er kämpfte") erfolgten aufgrund der theologischen Rezensionstätigkeit (KAT VII). i m i a j und ÜTl^J können im Zusammenhang des Jahwekrieges nur vordergründig Josaphat zugesprochen 20 21 22 23 24 25 26 27

Vgl. WORTHWEIN, ATD 11 / 2 , 492. Vgl. WILLI, Auslegung, 186f. Vgl. WORTHWEIN, ATD 11 / 1, 29f. Vgl. H.W. WOLFF, Anthropologie des Alten Testaments, München 4 1984, 86-95. S.o. Anm. 12. W.H. SCHMIDT, T H A T 1 , 1 5 8 . WORTHWEIN, A T D 1 1 / 1 , 180. S.o.; vgl. WILLI, Auslegung, 229-241.

6

II 20,31-21,la: Der „späte Josaphat"

195

werden. Was die Vorlage mit dieser Notiz eigendich gemeint hatte, explizierte der Chronist in II 20,1-30: Jahwe allein kämpft für sein Volk (V 15.17) und die Tüchtigkeit kommt ihm allein zu (V 6) 2 8 . Die Kürzung der eigendichen Literaturangabe und die Abwandlung des rhetorischen Fragesatzes (Vorlage) in einen Aussagesatz stellt eine vereinfachende Verallgemeinerung dar (KATIV)29. Um verdeudichende Zusätze (KAT V) handelt es sich, wenn ein dtr Quellenverweis durch die in der Chronik häufige Unterscheidung von früheren und späteren Taten eines Königs spezifizierend ausgelegt wird 30 . Nach W I L L I handelt es sich um ein Interpretament, „das offenbar keine andere Bedeutung hat als den dürren deuteronomistischen Ausdruck im Sinne einer biographisch-zeitlichen Perspektive aufzulokkern" 3 1 . Wie 17,3 andeutet, könnte diese Unterscheidung eine qualifizierende Funktion haben, was sich aber aus der Angabe nicht zwingend ergibt (vgl. I 29,29). Die Bezeichnung der (dtr) Epitome als „Buch der Könige Israels" (Vorlage: „Buch der Könige Judas") ist nach W I L L I nicht polemisch, sondern typologisch-inklusiv gemeint32.

6.4 Das Bündnis mit Ahasja und die Folgen (20,35-21,la) 1. Mit V 35 setzt die chronistische Verarbeitung des gescheiterten Schifffahrtsunternehmens ein, dessen überlieferungsgeschichtliche Problematik bereits ausführlich erörtert wurde33. Mit P'iriKl wird ein bewußt chronologisches Gliederungssignal gesetzt, das einerseits den „späten Josaphat" von dem in 17,1-20,30 Berichteten deutlich abhebt; andererseits wird so das im Ganzen positive Urteil über Josaphat auf das bisher Berichtete beschränkt. So war es dem Verfasser möglich, den Josaphatabschnitt in seinem Sinn auszugestalten und den König zum Paradigma des - iustus et peccator - jahwetreuen Potentaten zu stilisieren, ohne die aus der Überlieferung stammenden kritischen Töne ignorieren zu müssen. Mit Hilfe des sekundären chronologischen Rahmens wahrt die chronistische Darstellung den Charakter einer Auslegung. Daß die erneute Beschuldigung Josaphats kein grundsätzliches Tabu oder auch nur ein Pudendum für den Verfasser darstellte, zeigt der erst von ihm geschaffene Tun-Ergehen-Zusammenhang im Rahmen des SchifFahrtsunternehmens, den er aus seiner Vorlage (subjektiv) heraus-, gleichzeitig aber auch (objektiv) in sie hineinlas: Hatte doch das DtrG auf eine Datierung der Ereignisse ganz verzichtet. Daß lKön 22, 49f ambivalent interpretierbar war, wurde bereits gezeigt34. Die erkenntnisleitenden Gesichtspunk28 Mit Ausnahme von David, vgl. I 29,30. 2 9 V g l . WILLI, Auslegung, 1 0 0 (mit A n m . 95).

30 31 32 33 34

Vgl. a.a.O., 108; I 29,29; II 9,29; 12,15; 16,11; 20,34; 25,26; 26,22; 28,26; 35,27. WILLI, Auslegung, 100 (Kursivdruck im Original). Vgl. a.a.O., 164. S.o. Punkt 3.3.3. Vgl. ebd.

196

6.4 Das Bündnis mit Ahasja und die Folgen (20,35-21,la)

te für die chronistische Umgestaltung sind von WILLI erhellt worden, der das Verhältnis von Vorlage und Auslegung in beiden Texten reflektierte: „Gegeben waren dort in l K ö n 22,49: der Schiffbau Josafats, dessen Scheitern, das Kooperationsangebot Ahasjas bezüglich der Schiffahrt und die Ablehnung durch Josafat. Nach dieser Abfolge - daß Abfolge in der Vorlage als solche für den Chronisten keine quantite negligeable war, zeigt gerade der in Rede stehende Abschnitt, der auch in der Chronik der Schlußnotiz nachfolgt - war es eigentlich Unsinn, daß josafat das Mitarbeitsangebot noch ausdrücklich ablehnte, als die Schiffe ohnehin schon gescheitert waren. Zudem: warum war es überhaupt zu dieser Havarie gekommen? Alles löste sich für den Chronisten, sobald er das IHK (unter Berufung auf »K in der Bedeutung ,zu jener Zeit' statt .danach') plusquamperfektisch verstand und das Angebot Ahasjas damit nicht mehr bloß auf die Schiffahrt, sondern auch auf den Schiffbau bezog. Schlagartig wurde so klar, warum der Schiffbau scheitern mußte: wegen der unheiligen Allianz." 3 5

2. In der redaktionellen Notiz V 35 erinnert nur noch der Name Ahasja an die Vorlage. Das entscheidende Leitwort der folgenden Verse ist das dreimal betonte ian (V 35a.36a.37b), dessen aramaisierte Hitpael-Form (V 35) 3 6 die Hand des zweisprachigen Verfassers (KITTEL) verrät. Beide Vertragspartner werden vorgestellt, wobei der Chronist l K ö n 22,50 in seinem Sinne interpretierte. Ahasja wird ausdrücklich als „König Israels" eingeführt (Vorlage: „Ahasja, der Sohn Ahabs") und rückt dadurch von vornherein in ein schlechtes Licht (vgl. 18,2f; 19,2). V 36a wiederholt die Bündnisnotiz, wobei iiVJK mfes1? ebenso finalen Sinn hat wie ©"'©in ro1?1?. Formal wird man diese Interpretamente als „Reflexionen" (WILLI) bezeichnen können; sie „[...] geben Gedanken des Chronisten wieder, welche bei einer neuen geschichtlich-theologischen Auswertung der alten Berichte unabdingbar erscheinen mußten" 37 . Während die erste Reflexion einer plausiblen Überlegung entspringt und aus der Vorlage herausgelesen werden kann, ist die Fahrt der Schiffe nach Tarsis von Ezjon Geber aus (sie!) ein krasses Mißverständnis und eine objektive Fehlinterpretation von lKön 22,49 (vgl. auch l K ö n 9,26-28; II 9,21). „Tarsisschiffe" 38 waren längst nicht mehr nur eine Bezeichnung für die um 800 v.Chr. - d.h. auch in l K ö n 9,26ff und 22,49 schon anachronistischen! - phönizischen Handelsschiffe, die nach Tartessus (Südspanien) unterwegs waren, sondern wurden in der Folgezeit zur „Gattungsbezeichnung für Großsegler überhaupt" 39 , die auch das Rote Meer befuhren. Eine Fahrt nach Tartessus von Ezjon Geber aus um das „Kap der guten Hoffnung" war unsinnig und gefährlich. Zum Sinn der chronistischen Interpretation stellte GALLING fest: „Daß trotz eines Hafens am Roten Meer als Ziel der Schiffe das spanische Tarschisch genannt wird [ . . . ] könnte damit zusammenhängen, daß dem Chron und seinen Zeitge35 WILLI, Auslegung, 219. 3 6 V g l . RUDOLPH, H A T 2 1 , 2 6 2 .

3 7 WILLI, Auslegung, 171. 3 8 S . o . ; vgl. RUDOLPH, H A T 21, 2 2 4 . 2 6 4 ; GALLING, Z D P V 8 8 , 1 - 1 8 ; 1 4 0 - 1 8 1 ; WÜRTHWEIN,

A T D 11 / 1, 1 2 6 . 39 WORTHWEIN, A T D 11 / 1, ebd.

6

II 20,31-21,la: Der „späte Josaphat"

197

nossen die Schiffsroute Jaffa-Tarschi sch besonders bekannt war und sie sich so die Bezeichnung Tarschisch-Schiffe verdeutlichten (vgl. Jon. 1,3). 040

3. Der chronistische Umbau der Notizen der Vorlage zu einer kleinen Erzählung wird durch die Weissagung Eliesers in V 37 fortgesetzt. So entsteht aus l K ö n 22, 48-50 ein in sich schlussiges Schema mit der Motivfolge „Abfallen von Jahwe - prophetische Strafankündigung - Eintreffen der Strafe" 4 1 . Die direkte Rede Ahasjas (lKön 22,50) wird vom Chronisten ganz gestrichen, da sie keinen gedanklichen Fortschritt bringt (KATIV) und J o saphats Ablehnung vorausging, die für den Verfasser unverständlich war (KAT VI). Was man nicht versteht, das kann man auch nicht auslegen. Der ohne nähere Amtsbezeichnung erwähnte und weissagende ( i O J m ) Elieser aus Marescha ist wie viele andere „Propheten" der Chronik eine historisch nicht greifbare Gestalt. Personen dieses Namens werden in nachexilischer Literatur häufiger erwähnt. O.g. Prophet könnte in II 20 auf eine vielleicht junge Lokaltradition zurückgehen 42 . Marescha, die in chronistischer Zeit wichtigste idumäische Stadt 43 , die in II 14,8-14 auch Schauplatz einer kriegerischen Auseinandersetzung ist (Topos), wurde wohl aus geographischen und theologischen Gründen gewählt. Der Ort erinnerte an Jahwes Rettung vor den Kuschiten und lag in einem Gebiet, das wie der Hafen von Ezjon Geber z.Zt. des Verfassers auf idumäischem Gebiet lag. Die in der Chronik einzigartige Erwähnung einer vierten prophetischen Gestalt innerhalb der Vita eines Königs mag als weiteres Indiz für die aus chronistischer Sicht hohe Bedeutung dieses Königs gewertet werden 4 4 . Gesprächspartner Eliesers ist allein der Davidide, dem der Prophet in klassischer Manier entgegentritt, wobei der Chronist die Form des Unheilsspruches einer Grundform vorexilischer Schriftprophetie - imitiert: Auf die „Anklage" folgt die „Gerichtsankündigung" (WESTERMANN)45, wobei das dtr Schema von „Weissagung - Erfüllung" 4 6 in den Text eingetragen wird, "ptoft meint vordergründig den Schiffsbau, hintergründig das Bündnis mit Ahasja, wie die polemische Anwendung des Begriffs auf das Nordreich in 17,4b zeigt. Die Wortwahl mag auch hier in der Doppeldeutigkeit des Begriffs begründet sein, der neben „Tat, Handlung, Unternehmung" auch das von Handwerkern gefertigte „Götzenbild" meinen kann 4 7 . 4. Der Josaphatkomplex schließt in 21,1 mit den aus der Vorlage entnommenen und noch ausstehenden Elementen der dtr Abschlußformel, d.h. der Mitteilung des Todes, des Begräbnisses, des Bestattungsortes sowie der Erwähnung der Investitur des Nachfolgers (Joram). Abgesehen von der Aus4 0 GALLING, A T D 12, 128.

41 MlCHEEL, Seher, 54. 42 Vgl. a.a.O., 54f. 43 Vgl. WH.TEN, Geschichte, 137.169; Marescha wird im Alten Testament siebenmal erwähnt, davon fünfmal in der Chronik, vgl. MlCHEEL, Seher, 54. 44 Vgl. MlCHEEL, Seher, 54f. 4 5 Vgl. SMEND, Entstehung, 142. 4 6 S.o., P u n k t 2.2.4.2. 4 7 D t n 4,28; J e s 2,8; 17,8; 37,19; J e r 2 5 , 6 f . l 4 ; GESENIUS, H a n d w ö r t e r b u c h , 448.

198

6.5 Zusammenfassende Beurteilung

lassung der im Verszusammenhang pleonastischen und als überflüssig empfundenen Apposition vatc (lKön 22,51a), übernimmt der Chronist die Vorlage wörtlich. Daß der Autor trotz des insgesamt positiven Urteils des für ihn überragenden Königs keine erneute Umkehr Josaphats andeutet, könnte u.E. zwei Gründe haben. Der Chronist könnte das Ereignis nivellierend als Episode aufgefaßt haben. Dagegen spricht allerdings die Schwere des Vergehens „Bündnis mit einem Jahwe-Hasser". Eher wird man davon auszugehen haben, daß der Chronist einen Zusammenhang von Verfehlung und Tod des Königs annahm. Dafür spricht die chronologische Konzeption des Verfassers und die unmittelbar folgende Sterbeformel des Textes (vgl. II 16,7-14).

6.5 Zusammenfassende Beurteilung 1. Der Wechsel vom Sondergut zum Traditionsgut implizierte zwar kein völlig neues Königsbild des Verfassers, bringt aber eine Akzentverschiebung des Josaphatbildes mit sich. Die „Demokratisierung" der Monarchie, die auf die Interdependenz von Volk und König zielte, ist in der auf den König konzentrierten Geschichtsschreibung von DtrH nicht unmittelbar gegeben. Dennoch wollen beide Darstellungen Identitätsfindungen ermöglichen: DtrH durch die Erinnerung der „großen Vergangenheit Israels" ( W Ü R T H W E I N ) , der Chronist durch die im König sich manifestierende Repräsentation des Volkes, dessen gute Institutionen die zur Geschichte gewordene Monarchie überdauern. 2. Der sekundär geschaffene chronologische Rahmen harmonisiert die Widersprüche zwischen der Uberlieferung und der eigenen Geschichtsschreibung, denen auch der heutige Exeget erliegen kann (vgl. M Y E R S ZU 20,33). 3. Die Umgestaltung des Schiffahrtsunternehmens zum „joint venture" soll nicht allein das Unglück moralisch begründen ( W E L L H A U S E N ) 4 8 , sondern gründet u.E. zunächst auf exegetischen Beobachtungen und Schlußfolgerungen, die sich für den Chronisten aus der Vorlage ergaben. Zwar ist dem Autor das Kausaldenken nicht abzusprechen, aber es stellt nicht sein erkenntnisleitendes Interesse bzw. das Prinzip seiner Überarbeitung dar, das in dem Bemühen um eine Auslegung zu suchen ist, die erklärt und verstehbar zu machen sucht, was das kanonisch fixierte Gotteswort eigentlich sagen wollte. So erklären sich die Abweichungen nicht durch Mißtrauen und Besserwisserei des Chronisten gegenüber der Vorlage, sie haben lediglich teil „an der gehorsamen Unbotmäßigkeit jeder Auslegung" ( W I L L I ) .

48 Vgl. WELLHAUSEN, Prolegomena, 200.

7 Interpretation und Verifikation Die Chronikbücher und ihre Ausleger Das im ersten Abschnitt dieser Arbeit begonnene Gespräch der Exegeten ist bisher ohne wirklichen Abschluß geblieben, wenngleich Zwischenergebnisse den Gang der Verstehensbemühungen begleiteten. Unsere Arbeit versuchte, ausgehend von einem repräsentativen Ausschnitt chronistischer Geschichtsschreibung, Ursachen und Ziele dieses Unternehmens zu beleuchten. Die fachgelehrten Interpretationen zur Theologie dieses spätnachexilischen Dokuments bedürfen, falls sie Gültigkeit für das Gesamtwerk beanspruchen, der Verifikation durch die einzelnen Textausschnitte, da die Chronik - anders als ihre Vorgänger - das reflektierte Produkt eines literarisch schaffenden Autors darstellt. Ausgangspunkt unserer Überlegungen war der Zweifel an der diastatischen Verhältnisbestimmung von Vergangenheit und Gegenwart, von Vorlage und Neubearbeitung durch WELLHAUSEN, der eine schroffe Diskontinuität behauptet hatte. Der gelehrte „Orientalist" und der schriftgelehrte „Biblizist" scheinen nicht dieselbe Sprache zu sprechen. WELLHAUSENS Beobachtungen, die in einem „hinreißend geschriebenen Werk" (KRAUS) ihren bleibenden Niederschlag fanden, verlangen auch heute nach einer Erklärung, die dem Selbstverständnis der Chronik gerecht wird. 7.1 Die literarischen Ergebnisse 1. Die literarischen Beobachtungen der beiden „Altmeister" der Chronikforschung, DE WETTE und WELLHAUSEN, sind auch heute noch von erstaunlicher Aktualität. Das chronistische Sondergut stellt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine Schöpfung des Verfassers dar, der im wesentlichen auf die kanonischen Quellen angewiesen war. Die Quellenverweise sind von WILLI glänzend im Rahmen der primären, sekundären und tertiären Stufen der Geschichtsschreibung (nach chronistischer Vorstellung) gedeutet worden. Außerbiblische Traditionen lassen sich in II 17,1-21,1 nur mit Mühe feststellen. Sie reduzieren sich auf die Namenslisten (17,7f; 19,11), die „Lobetal-Ätiologie" (20,26) und den Propheten Elieser aus Marescha (20,37), die allesamt auf mündliche Traditionen (MOWINCKEL) zurückgehen dürften. In zweierlei Hinsicht sind DE WETTES und WELLHAUSENS Interpretationen der literarischen Phänomene nur mit Einschränkungen zu akzeptieren. Zum einen sollten die chronistischen Zusätze nicht länger als „mythologische Vermehrungen"1 bezeichnet werden. Gerade II 17 und 19,4-11 machten deutlich, wie wirklichkeits- und gegenwartsbezogen das Sondergut L D E W E T T E S.O., 14.

200

7.2 Die historische Situation - und die Konsequenzen

konzipiert ist. Auch 20,1-30 zeigt kein echtes Interesse am Mythos. Jahwes Eingreifen wird vielmehr mit äußerster Zurückhaltung beschrieben und ist als solches erst am Ergebnis (sola fide) erkennbar2. DE WETTES Sprachgebrauch entstammt einer Zeit, in der „mythisch" soviel wie „unhistorisch" hieß (vgl. BULTMANNS Mythosverständnis!). Ein weiteres Veto ist gegen die Behauptung einzulegen, bei diesem Sondergut handle es sich um „fremdartige Zutaten"3, dessen Darstellung „im ganzen der Geschichte"4 zu Sam-Kön im Widerspruch stehe. W I L L I S Bezeichnung der Chronik als Auslegung der kanonisch fixierten Geschichte Israels bewies das Gegenteil, das auch durch unsere traditionsgeschichtlichen Beobachtungen in II 17,1-21,1 bestätigt wurde. Dabei zeigte sich, daß chronistisches Sondergut aus allen Kanonteilen zitiert5 (und interpretiert), was als „zitathaftes Leben" (Th. M A N N ) auf den Begriff „Musivstil" gebracht werden kann ( W I L L I in Anlehnung an F . R O S E N Z W E I G . ) . 2. Stil und Sprache des Sondergutes zeichneten sich durch eine „literarische Schwerfälligkeit"6 aus, die den chronistischen Autor vom dtr Epitomator unterscheiden. Unser in 17,1-21,1 gewonnener Eindruck kann NOTHS Urteil nicht bestätigen, daß sich der Text durch Sprünge und Uneinheitlichkeit besonders auszeichne7. Der Josaphatabschnitt ist vielmehr glänzend komponiert und strukturiert, wobei der Autor verschiedene Interessen (Blocktechnik, Auslegung, Paränese) miteinander ausgleichen mußte. Dies ist ihm innerhalb des Josaphatkomplexes in hervorragender Weise gelungen, eine Tatsache, die den Verfasser als eigenständigen Erzähler (TORREY) bzw. als Autor (WELTEN) kenntlich macht. Gerade das von NOTH monierte „Herstellen von Zusammenhängen" stellt angesichts des z.T. disparaten Überlieferungsmaterials u.E. eine der herausragenden Leistungen des Verfassers dar (Kompositions- und Leitworttechnik).

7.2 Die historische Situation - und die Konsequenzen Hinsichtlich des Streits um Früh- und Spätdatierung ergaben sich wenig konkrete Erkenntnisse. Am ehesten läßt sich eine Datierung in hellenistischer Zeit rechtfertigen, die eine Situation existentieller Bedrohung der Provinz Jehud durch übermächtige Gegner mit sich brachte. Angesichts dieser Bedrohung formulieren die Topoi „Bauen" und „Kriegsbericht" ein Desiderat des Verfassers, das nur als Hoffnungsziel (und damit „eschatologisch") sinnvoll verstehbar ist. 2 Dies läßt sich durch 20,37 gut veranschaulichen: Der Chronist übernimmt das aus der Vorlage bekannte Passiv („und die Schiffe wurden zerbrochen", vgl. l K ö n 22,49) - vielleicht ein passivum divinum? 3 WELLHAUSEN S.O., lf. 4 DE WETTE S.O., 14. 5 Vgl. II 19,5-11 („Tora"); 20,20 („Propheten"); 20,21 („Schriften"). 6 Z.B. 18,3b; 19,2.10. 7 S.o., 22.

7

Interpretation und Verifikation

201

Was das Verhältnis zum Norden (Samaria) betrifft, so liegt auch hier der Ton nicht auf Apologetik als vielmehr auf der Polemik und ist auf das gottlose Regime, nicht aber auf die Bewohner des Nachbarstaates bezogen. Unsere Analyse brachte keine Indizien für die Rechtfertigung eines status quo, der als „Theokratie" von einer „Eschatologie" abzugrenzen wäre. Selbstverständlich ist die Chronik ein „theokratisches" Werk, sofern Theokratie die durch den König, Gottesdienst und Propheten mediierte Gottesherrschaft bedeutet. Darin unterscheidet sich die Chronik allerdings nur unwesentlich von anderen alttestamentlichen Entwürfen, wie die Rezeption von Jes 7 in II 20 zeigte. Meint Theokratie aber Hierokratie im Sinne von Herrschaft des Kultpersonals - so meinen wir PLÖGER verstanden zu haben - so finden sich für diese Theorie keine Anhaltspunkte in dem von uns untersuchten Textabschnitt. Der Kult selbst ist vielmehr marginalisiert und Opferhandlungen fehlen ganz, obwohl Zeit und Gelegenheit dazu vorhanden waren, ja sich bisweilen geradezu aufdrängen würden (II 20). An die Stelle sakramentaler Kulthandlungen tritt vielmehr eine aktive, zum Gottesdienst versammelte Gemeinde. Von einer Dominanz der Leviten kann ebenfalls keine Rede sein. Selbst die Aufstellung des levitischen Musikkorps geht auf eine Anordnung des Königs zurück (II 20,21), und das Volk darf durchaus in das Gotteslob miteinstimmen (20,27f). Auch die Rechtskommissionen aus „Laien" und „Klerikern" (17,7-9; 19,4-11) entbehren jedes klassenkämpferischen Pathos und der König beugt sich nicht primär dem Leviten-, sondern dem Gotteswort, das sich nach Form und Inhalt als traditionell prophetisches Wort erweist8. Dagegen zeigt die Darstellung, wie sich der Chronist das Miteinander von König, Kultpersonal und Volk vorstellt und auf welche Weise innenpolitische und außenpolitische Krisen gemeistert werden sollen: durch objektive Rechtssprechung im Sinne der Tora und unbedingtes Jahwevertrauen. Letzteres äußert sich im Bitt- und im Dankgottesdienst, sowie im konkreten Gehorsam gegen das aktuell ergehende Jahwewort9. Dieses Jahwewort kann, muß aber nicht von Leviten „verwaltet" werden, wenngleich die festen Amtsbezeichnungen prophetischer Gestalten ein institutionalisiertes Prophetentum sowie eine Sukzession bis hin zu Ansätzen einer dynastischen Heredität des Prophetenamtes erkennen lassen. Diese Ergebnisse zeigen, wie wenig hilfreich der in der Forschung dominierende Interpretationsrahmen Theokratie und Eschatologie für die Darstellung der Theologie der Chronik tatsächlich ist. Fraglich ist u.E. nicht, ob, sondern welche Eschatologie der Chronist vertritt. Restaurative und letztlich optimistische Eschatologie könnte einer sich formierenden katastrophalen, apokalyptischen Eschatologie durch die chronistische Darstellung entgegengestellt worden sein, wenngleich unser Text keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche Auseinandersetzung aufwies.

8 Vgl. MlCHEEL, Seher, 52.

9 Vgl. V.RAD S.O., 49.

202

7.3 Die materiale „Lokalmethode" als Beitrag zur chronistischen Theologie

7.3 Die materiale „Lokalmethode" als Beitrag zur chronistischen Theologie 1. U.E. liegt die Ursache der zahlreichen divergierenden Deutungen der Chronik in der meist mangelhaften Einschätzung des Verhältnisses von Form und Inhalt dieses Werkes und seiner Beziehung zur Vorlage. Während die materialen Differenzen zwischen den Chronikbüchern und dem DtrG seit DE WETTE und WELLHAUSEN immer präziser erfaßt wurden, blieb die Interpretation dieser Unterschiede meist recht willkürlich, solange der Charakter des Werkes als Auslegung nicht hinreichend erfaßt war. Wie instruktiv und hilfreich eine Theologie der Lehr begriffe dennoch sein kann, zeigt die Darstellung chronistischer Theologie in dem leider unvollständigen Kommentarwerk von ROTHSTEIN / HÄNEL10, deren Interpretationen zur Gotteslehre, Anthropologie, Soteriologie und Eschatologie sich im wesentlichen bestätigten. Wenn David von ROTHSTEIN / HÄNEL als „zweiter Mose" 1 1 bezeichnet wird, so ließe sich dieses Prädikat, falls es dem chronistischen Mosebild entsprechen sollte, auf Josaphat übertragen. Auch seine Anordnungen begründen in Form von Ursprungserzählungen bedeutende Institutionen (Rechtswesen, Kult). Die ambivalente Stellung der Chronik zum Krieg (ROTHSTEIN / HÄNEL) war auch in II 18; 20 festzustellen. Krieg scheint für den Chronisten kein legitimes Mittel der Politik zu sein. In unserem Abschnitt (und nicht nur dort 12 ) ist der Feldzug nur im Verteidigungsfall, und auch dann nur als Jahwekrieg zu führen. Die von den Verfassern beobachtete „klerikale Umformung" der Tradition muß nicht auf eine Vorliebe für kultische Angelegenheiten zurückgehen, sondern wird ebenfalls Produkt des harmonisierenden Musivstils (WILLI)13 sein. Volksbelehrung und Gottesdienste waren nun einmal schlecht ohne Kultpersonal vorstellbar, weshalb die Erwähnung der „Laien" in diesen Zusammenhängen umso auffälliger erscheinen muß. Sehr schön ist die treffende Formulierung ROTHSTEINS / HÄNELS, nach der die Chronik „Prophetin der Theologie" sein wolle. 2. RUDOLPH hielt u.E. zu Recht fest, daß die vermeintlich zentrale Stellung der Leviten im Kult (v.RAD) eigentlich auf die Verpflichtung der jüdischen Gemeinde zum Gotteslob ziele14 (ähnlich NOTH15). Dies wird durch unsere Beobachtungen nachdrücklich unterstrichen. Die von RUDOLPH und NOTH immer wieder fokussierten „innerisraelitischen Probleme" stellen u.E. dagegen eine Uberinterpretation dar, zumal Polemik und nicht Apologetik den Ton angeben: Mit einem Apostaten diskutiert man nicht! Die Führung des Nordens ist nicht nur kein gleichwertiger, sondern überhaupt kein

10 11 12 13

S.o., 45ff. S.o., 46. Vgl. WELTEN, Geschichte, zum Topos „Kriegsbericht"; vgl. 13,4-12; 35,15ff! Auf das Konto des verschiedene Bibelstellen ausgleichenden Musivstils wird auch die nachträgliche „Levitisierung Samuels" zurückgehen. 14 S.o., 50. 15 S.o., 52f.

7

Interpretation und Verifikation

203

Gesprächspartner der jüdischen Orthodoxie. Beide Forscher vernachlässigen den paränetischen und eschatologischen Charakter des Werkes (RUD O L P H stärker als N O T H ) , auf den mit Recht N O R T H , W I L L I und W E L T E N aufmerksam machten. 3. Für W L L L I A M S O N S Panisraelitismus- These16 fanden sich in unserem Text wenig konkrete Anhaltspunkte, ebensowenig wie für die u.a. durch V . R A D und W E L T E N postulierte vermeintlich zentrale Ladethematik 17 . Die alternierenden Bezeichnungen ,Juda" und „Israel" werden innerhalb der Josaphattexte nur in 17,4 polemisch, sonst aber typologisch gebraucht ( W I L L I ) und können abwechselnd dasselbe meinen (17,10; 20,29). Die integrative Deutung des Israel-Namens durch W L L L I A M S O N wird dem typologischen Denkansatz des Verfassers dennoch gerecht. Die Ladethematik wird durch den Tempel abgelöst, der durch den „Kabod" der Lade geheiligt ist und in II 20 zum Ort des Gottesdienstes (Fasten, Fürbitte, Jahwewort) wird und damit ein Anliegen von lKön 8 aufgreift. 4. W E I N B E R G S Erhellung der anthropologischen und kosmologischen Perspektiven des Verfassers 18 korrespondiert mit der von W I L L I behaupteten typologischen Denkweise, die als „grundlegende Schaffensweise des Chronisten" 1 9 zu bezeichnen ist. Wenngleich wir eine „Entmythologisierung" der chronistischen Welt ( W E I N B E R G ) nicht als Proprium dieses Werkes gegenüber der Vorlage bezeichnen können, so hat doch das Erfassen der Welt und der Menschen im Subjekt-Objekt-Schema („Ich-Es" statt „Ich-Du") in der allgegenwärtigen Typologie seinen Ursprung. Dijjerenzierungen und Spezifizierungen werden zugunsten gleichbleibender geschichtlicher Grundverhältnisse nivelliert: Die Nordkönige sind samt und sonders Apostaten; die vermeindlichen Brudervölker Moab, Ammon und Idumäa bekriegen Israel aus denselben Gründen wie z.Zt. der Landnahme (20,1 Of). Ferner ist die Topos-Typos-Struktur des Sondergutes zu beachten ( W E L T E N ) , das stets dieselben Themen wiederholt. Josaphats Kultreform ist darum nicht Prolepse der josianischen Reform ( R U D O L P H ) 2 0 , sondern die sich durch „Systemzwang" ergebende Konsequenz der Jahwetreue, die stets gegenwärtige, existentielle Möglichkeit ist. Für das typologische Denken spricht auch, daß David zum Protoplasten aller gehorsamen Davididen wird und Maßstab der Jahwetreue bleibt. Dieser Gehorsam zielt letztlich auf den Gehorsam des ganzen Volkes ( G O L D I N G A Y ) 2 1 . W E I N B E R G ist auch hinsichtlich der urbanistischen Orientierung des Verfassers Recht zu geben, da Jerusalem und die Städte Judas im chronistischen Sondergut für Land und Volk stehen. Der vermeintlichen Entwick16 S.o., 55f. 17 S.o., 49.55. 18 S.o., 56ff. 19 S.o., 92. 20 S.o., 50. 21 S.o., 52.

204

7.4 Die C h r o n i k als auslegendes Geschichtswerk

lung des chronistischen Menschen in Richtung auf eine „Diesseitsorientierung" ist allerdings zu widersprechen. Sie geht auf das Konto eines linksheglianischen Geschichtsbildes, nicht aber des Verfassers der Chronikbücher! Zum einen ist die .Jenseitsorientierung" selbst ein relativ spätes Produkt alttestamentlicher Theologie (Apokalyptik) und hängt gerade mit der in der Chronik latenten Vorstellung einer Trans zendenzwelt zwischen Gott und Mensch aufs engste zusammen ( R O T H S T E I N / H Ä N E L ) . Zum anderen zeigt die Rezeption von Jes 7,9 in II 20,20 eine „Entweltlichung der Existenz" (R. B U L T M A N N ) , die das eigene Leben nicht durch das Verfügbare zu sichern sucht. Der Jahwekrieg verdeutlicht: Der Mensch, zumal der Israelit, ist außerstande sich selbst zu helfen und bleibt auf Jahwes gnädige Hilfe angewiesen.

7.4 Die Chronik als auslegendes Geschichtswerk 1. Die von W I L L I neu gestellte Frage nach dem Selbstverständnis der chronistischen Geschichtsdarstellung - „Geschichtserzä/?/««gÄ wäre aufgrund des literarischen Charakters eine nicht ganz angemessene Bezeichnung - befreite die Chronik von Verzeichnungen und Fehldeutungen, die in diesem Werk ein gnadenloses „Vergeltungsdogma" bzw. einen „deus ex machina" und eine „Dogmatisierung der Geschichte" ( W E L L H A U S E N ) konstatierten. v . R A D S Verdienst war es, die Sackgasse zwischen religionsgeschichtlicher und religionsphänomenologischer Betrachtung der Theologie alttestamentlicher Geschichtswerke zu überwinden. Die Geschichtlichkeit alttestamentlicher Theologie implizierte für ihn nicht mehr die Relativierung der Gültigkeit ihrer Aussagen für die Gegenwart. Vielmehr sah er in den Geschichtswerken eine aktualisierte Neuinterpretation der Vergangenheit des um sein Selbstverständnis bemühten alttestamentlichen Gottesvolkes. Ein Geschichtswerk setzt auch ein Geschichtsdenken voraus 22 . Damit war ein hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis auch des chronistischen Werkes gegeben, die analog zu ihren alttestamentlichen Vorgängern Kontingenz und Kohärenz der Geschichte darzustellen versuchte. 2. Die Diskontinuität zu den vorherigen Geschichtsentwürfen ist mit WELTEN in der Tatsache zu sehen, daß das vorgegebene Werk („Vorlage") nicht mehr in der Neubearbeitung aufgeht 23 . Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn bedacht wird, daß die Chronik ihre Vorlage weder ersetzen noch ergänzen, sondern schlicht „auslegen", d.h. gerade zu Wort kommen lassen will ( W I L L I ) . Ein solches Denken setzt einen formalen Kanonbegriff voraus. In dieser Solidarität und in der anerkannten Autorität der Vorlage ist das in der Chronik feststellbare Element der Kontinuität innerhalb der Traditionsbildung zu suchen. Die Bezeichnung der Chronik als „Auslegung" stellt 2 2 S.o., 62f.72. 2 3 S.o., 98.

7

Interpretation und Verifikation

205

den formalen Interpretationsrahmen dar, der Kontinuität und Diskontinuität zur Vorlage gleichermaßen umfaßt. Noch einmal: Nicht die dem Chronisten oft vorgeworfene Aktualisierung mittels anachronistischer Einträge der eigenen Zeit in die Vergangenheit ist das entscheidend Neue chronistischer Historiographie - Geschichtsschreibung ohne Aktualisierung wäre eine contradictio in adjecto und ein völlig nutzloses Unterfangen - sondern die Vorstellung von primärer, sekundärer und tertiärer Geschichtsschreibung, die den qualitativen Unterschied zwischen der Chronik und ihrer Vorlage festschrieb. Die bei aller Kongruenz feststellbaren theologischen Differenzen fallen aus der zwischen Gebundenheit und Freiheit liegenden „gehorsamen Unbotmäßigkeit der Auslegung" ( W I L L I ) nicht heraus. Unsere Textanalyse zeigte, wie sehr Komposition, Stil und Semantik von der kanonischen Vorlage geprägt sind. Der Chronist zitierte, imitierte und interpretierte, was ihm an „Schrift" vorlag und ihm für seine Darstellung zweckmäßig erschien. Dabei bestätigte sich, was W I L L I im Anschluß an seine Studie für das nicht im einzelnen untersuchte Sondergut vermutet hatte 24 : Es ist ebenso „bibliomorph" wie die eingefügten Interpretamente im Bereich des Uberlieferungsgutes. Die Aufteilung: Überlieferungsgut = Vergangenheitsinteresse, Sondergut = Gegenwartsinteresse halten wir für grundsätzlich fragwürdig. Daß das Überlieferungsgut in der Regel älter ist, als das Sondergut, ist sicher zutreffend, wie gerade W E L T E N S Begriffsanalysen zeigen, die in die spätnachexilische Zeit weisen. Man wird aber mit dieser Differenzierung dem Musivsül des Werkes nicht gerecht, der die Unterschiede beider Textbereiche überbrückt. Für das Selbstverständnis des Verfassers waren die Unterschiede zwischen Traditions- und Sondergut u.E. nicht allzu groß, zumal in beiden Partien die Schrift zu Wort kommen sollte. Umgekehrt gilt, daß die Gegenwart, d.h. die vorgefundene Realität des Verfassers auch in den redaktionellen Bearbeitungen des Überlieferungsgutes vorzufinden ist (vgl. W E L L H A U S E N S Prolegomena). Musivstil, Leitworttechnik und Typologie beschreiben die grundlegenden Arbeitsweisen des Autors in einem Geschichtswerk, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Gottes Händen weiß, „weil alle Zeit Gottes Zeit ist" ( J Ü N G E L ) . Die existentiellen Bezüge der Heiligen Schrift erhellen, das wollte dieser schriftgelehrte Lehrer, der wohl nicht ohne Vorgänger, ganz sicher aber nicht ohne Nachfolger geblieben ist. Die Methoden der Schriftexegese wurden im Rabbinat gesammelt und systematisiert und mit anderen schriftgelehrten „Middot" kombiniert25. Die Problematik der Bezeichnung Midrasch für die Chronik wurde bereits erörtert. Die Indifferenz dieses Begriffs trägt nichts zur Erhellung des Werkes bei und konterkariert das Midrasch-Verständnis des Autors 26 . Um 24 Vgl. WILLI, Auslegung, 188f. 25 Vgl. STRACK / STEMBERGER, Einleitung, 26-40. 26 S.o., 95-98. Wird das Herstellen geschlossener Erzählzusammenhänge innerhalb kontingenter Ereignisse zum Maßstab für das, was man „Geschichtswerk" nennt, so erweist sich die Chronik gegenüber dem DtrG zumindest als gleichwertiger, u.E. in dieser Hinsicht sogar überlegenes Werk. Die chronistische Auslegung verarbeitet das oft disparate und

206

7.4 Die Chronik als auslegendes Geschichtswerk

die Unsinnigkeit und Aporie einer solchen Gattungsbezeichnung zu veranschaulichen, sei auf das Neue Testament verwiesen. Wie die Chronikbücher enthalten auch Evangelien und Paulusbriefe sogenannte „Midraschim" in Form von Schriftauslegungen. Dennoch kann eine formgeschichtliche Identität dieser Gattungen nicht ernsthaft behauptet werden. Der häufig zu beobachtende terminologische Wildwuchs der formgeschichtlichen Methode muß also weiterhin beklagt werden27.

widersprüchliche Material des DtrG durch eine theologisch und literarisch wesentlich homogenere Komposition des Stoffes. 27 Vgl. BARTH / STECK, Exegese 60f; FOHRER (Hg. u.a.), Exegese, 84.

Ausblick Im Anschluß an das oben Ausgeführte mag es paradox erscheinen, daß die Auslegung einer kanonischen Schrift selbst Teil dieses Schriftenkanons wurde. Bei näherem Zusehen wird dieses Erstaunen gemildert, wenn mit GESE bedacht wird, daß sich Traditionsbildung als geschichtlich wirksamer „Prozeß" vollzieht. Die Aufnahme der Chronik in den alttestamentlichen Kanon verdeutlicht, daß die Kanonisatoren in der Interpretation zugleich die sie durch die Geschichte begleitende Tradition des „ewig Gültigen" wahrnahmen, das der Autor neu zur Sprache brachte. Die Kanonizität der Chronik beweist, daß das Unternehmen, Tradition als Interpretation zu betreiben, gelungen ist. Wollte man aufgrund historischer Bedenken die Chronik aus dem Kanon streichen (FOHRER), so täte man dem Geist der Bibel selbst Gewalt an. Jedes Kerygma kann nicht ein für allemal fixierte Vernunftwahrheit sein, sondern begegnet immer in einer bestimmten „Ausgelegtheit" (BULTMANN). „Theologische Sätze [...] können nie Gegenstand des Glaubens sein, sondern nur die Explikation des in ihm selbst angelegten Verstehcns" 1 . Das Problem jeder Auslegung ist ihr ambivalenter Charakter, der die Frage nach wahrer und falscher Interpretation aufwirft. Dazu bedarf jede Auslegung ihrerseits eines subjektivistischer Willkür wehrenden Sach- oder Schriftenkanons, der das Neue am Bewährten mißt, der integriert oder negiert, was (in-)kompatibel ist. Aktualisierung und Rückbindung an die Schrift machen das Verfahren des Verfassers verifizierbar und transparent. Dieses Verfahren findet im rabbinischen Judentum seine Fortsetzung. Die rabbinische Exegese zeigt die Anbindung der Halacha an das Schriftwort. Gerade in den halachischen Entscheidungen spricht sich das Bewußtsein der geschichtlichen Wandelbarkeit des „Ganges der Dinge" aus2, das um die Problematik jeder Aktualisierung weiß und im Falle besseren Wissens zur Revision von Entscheidungen durch ein Mehrheitsvotum3 bereit ist. Uberhaupt beweist das Judentum, daß es mit der definitiven Kanongrenze das Prinzip von Tradition als Interpretation keineswegs preisgegeben hat. Das nachträglich historisierte Phänomen der mündlichen Tora setzte sich in der Mischna fort, die um 200 n.Chr. durch die Rezension „RABBIS" (= Rabbi Jehuda Ha-Nasi) selbst kanonisch wurde. 1 BULTMANN, Theologie, 586 (vgl. auch 586-588). 2 Vgl. die Erklärung des hochverehrten Lehrers aus Jerusalem, Y. LEIBOWITZ, Vorträge über die Sprüche der Väter, Oberhausen 1984, vor allem 21-26. 3 Die demokratische Struktur halachischer Entscheidungen wird im Rabbinat via negationis aus Ex 23,2 exegesiert (besser: „hineingelesen"): „Folge der Mehrheit, (nur nicht) zum Bösen." Die Demokratisierung der Theologie zeigt sich besonders deutlich in der rabbinischen Schuldiskussion, wobei nicht nur die verbindliche Entscheidung (Halacha), sondern auch die Meinung der unterlegenen Minderheit tradiert wird.

208

Ausblick

Die lebendige Traditionsbildung ließ sich davon nicht aufhalten. Auf die Tannaiten folgten Amoräer, Saboräer, die die Auslegungsarbeit in der „Gemara" (Talmud) fortsetzten, bis diese ebenfalls kanonisch wurden. Die Traditionsbildung setzte sich auch im Mittelalter weiter fort (Gaonäer), wobei der Exeget „Raschi" (gest. 1105) und „Rambam" (= M A I M O N I D E S , gest. 1204), der bedeutendste jüdische Philosoph, nebst Joseph C A R O (gest. 1575) besonders herausragen und im rabbinischen Judentum heute ein zumindest semikanonisches Ansehen besitzen. Eine u.E. reizvolle Aufgabe stellte eine intensive Weiterarbeit am Prophetenkanon („Spätere Propheten") hinsichtlich des Phänomens von Tradition und Interpretation dar, die die Genese dieser oft zu „kleinen Bibliotheken" ( W E L T E N ) angewachsenen Prophetenbücher erhellte und sich nicht mit der meist leicht erkennbaren dtr Redaktion zufrieden gäbe. Mit einem Ausblick auf einige charakteristische Texte sollte diese Untersuchung ursprünglich schließen. Der Umfang der vorliegenden Arbeit - in malam partem die „Geschwätzigkeit" ihres Verfassers - ließ dafür keinen Raum mehr. Mag man sich nun abschließend und durchaus außerhalb unserer Problemstellung die Frage gefallen lassen, was der spätnachexilische Schriftgelehrte, den wir den „Chronisten" nannten, auch uns Nachgeborenen zu sagen hat. Dann kann dialektisch formuliert werden: Die Freiheit der Rede von Gott erwächst aus der Anbindung an das überlieferte und bewährte „Wort", das nicht nur Schall und Rauch, sondern begeisternde Macht ist, welcher der Verfasser der Chronikbücher verfallen war. Diese Anbindung impliziert eine Freiheit, ohne die keine hermeneutische Bemühung um „Auslegung" auskommt. In einer freien, weil gebundenen Schriftauslegung liegt auch eine Chance, die gegenwärtige „theologische Larmoyanz" über die sprachliche „Ortslosigkeit Gottes" ( J Ü N G E L ) zu überwinden4. Das in der Heiligen Schrift bezeugte und sich „ubi et quando visum est Deo" artikulierende Gotteswort war auch die Triebfeder, die den des „Biblizismus" bezichtigten Safenwiler Pfarrer Karl B A R T H 1918 die seinerzeit aufsehenerregenden Sätze formulieren ließ, die mich durch das Studium begleiteten und - analogia fidei — auch dem Chronisten gefallen könnten: „ [ . . . ] meine ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, durch das Historische hindurch zu sehen in den Geist der Bibel, der der ewige Geist ist. Was einmal ernst gewesen ist, das ist es auch heute noch und was heute ernst ist und nicht bloß Zufall und Schrulle, das steht auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem, was einst ernst gewesen ist." 5

4 E . JONGEL, G o t t als Geheimnis der Welt, Tübingen 3 1 9 8 3 , 2. 5 K . BARTH, Der Römerbrief, Zürich 5 1 9 2 6 , V (Vorwort zur ersten Auflage 1918).

Personenregister Abia 105ff, 110, 142, 152 Abraham 99 Achtemeier 112 Ackroyd 24, 42, 112, 125, 161 Adam 13 Ahab . . . . 103, 112, 117ff, 122-126, 129, 131f, 144, 155-166, 196 Ahas 107, 181 Ahasja . . . . 107, 109f, 115-118, 126, 129, 196f Albrektson 75 Albright 75 Alt 148 Amasja 110, 142 Amon 107 Asa 14, 50, 106f, 109-112, 116ff, 123f, 129f, 132, 134, 142f, 152, 192f Atalja 107, 110, 122f Augustin 14, llOf, 114, 155, 192 Bacher Baesa Barth, H Barth, K Baumotte Benzinger 161, 172 Bickermann Braun Brunet Brunner Buber Bultmann

10 106, 122f, 166 4, 136, 206 208 63 9, 15f 95, 98, 136, 138f, 152f, 138 26, 31 ff, 36, 53, 59 51 120 91 37, 200, 204, 207

Cassuto 75 Childs 75 Coggins 151 Colpe 184 Conroy 75 Cross 18, 31 f Curtis . . . . 9, 11 f, 18, 22, 26-30, 35, 139, 145, 148, 151, 164, 166, 175, 177, 179f, 183, 189 Cyrus 32, 108 David 13, 14, 17, 24, 30, 32, 42ff, 46-49, 51-54, 57, 66, 72, 80, 89, 99, 104, 109, 111, 117, 120ff, 127, 132, 134, 142f, 145, 150, 152, 165, 179, 187f, 193, 195 De Wette . . . 1, 14f, 30, 82f, 87, 93, 199f, 202 Dodd 51 Donner 70, 121, 124ff, 130 Driver 26ff Edom

92

Eichhorn 1, 14f, 135 Eichrodt 63 Eissfeldt 3, 9, 11, 13, 15, 18, 24f, 27, 30, 35, 75f Elia 103, 109 Elieser (Marescha) . . . 167, 170, 190, 197, 199 Elisa 132 Esau 92 Even-Shoshan 112,115,162,166 Fichtner 75 Foerster 36 Fohrer 3, 9, 12, 14, 63f, 66-69, 75, 99, 169, 206f Freedman 31 f Galling . . . . 9, 17f, 20f, 24f, 35,120-124, 126, 139, 161, 166, 176, 196f Gerlemann 10, 144 Gese . . . . 55, 64-67, 69f, 70, 74, 99f, 178, 207 Gesenius . .105, 143ff, 159, 166, 189, 193, 197 Glatzer 88 Goldingay 52ff, 203 Greßmann 72f, 75f Gruber 112 Gunkel 72f, 75f Gunneweg 3f, 28-31, 33f, 54, 62, 105, 120-124, 127, 142 Haag 98 Hänel 9, 11, 16f, 23, 43, 45-48, 50, 52f, 90, 185, 202, 204 Hegel 133 Hermisson 185 Herrmann . . . . 3, 120-124, 127f, 130, 138, 150 Herzog 150 Hieronymus 10, 22, 35 Hiskia 14, 33, 44, 50, 56, 107, 109, 111, 117, 132, 143, 187 Homer 75 Israel Jahasiel Jakob Japhet Jehu Jenni Jepsen Jeremias Jerobeam 1 Joahas Joas Joj achin Jojada

13, 92, 99 167, 171, 184 33, 68, 92 22, 26ff, 52, 56, 86 164-167, 170, 179, 194 1, 4f, 43, 166 76 63 104, 122 107 107, 110, 128, 143 14 107, 142

210

Personenregister

Jojakim 14, 107, 109 Joram . .107-110,115ff, 122ff, 127f, 142,148, 197 Josaphat4, 14, 50, 84, 103f, 106-119, 123132, 134ff, 138, 140-150, 152f, 155-166, 169, 172-176, 178f, 181-186, 188-198, 202 Joseph 44 Josephus 29, 36, 44, 103 Josia 14, 56, 107, 109, 111, 113, 117, 132 143, 187 Josua 17 Jotaml 07, 142, 148 Junge 151 Jüngel 67, 100, 205, 208 Kahler 2, 63 Kaiser 9, 11 f, 15, 18, 23-26, 36, 54 Keel 150 Kegler 14, llOf, 114, 155, 192 Keil 18 Kittel 9ff, 16, 23, 25, 27, 29f, 95, 98, 103, 136, 139, 141, 173, 196 Köhler 63,175 Köster 150 Kraus 1, 62, 8lf, 154, 199 Küchler 150 Lambert Leibowitz Levi Liedke Lipinski Lohse Luther

75 207 13 138, 173ff 120f, 123 40,185 10, 137

Maas 156 Madsen 9, 11 f, 18, 22, 26-30, 35, 139, 145, 148, 151, 164, 166, 175, 177, 179f, 193, 189 Manasse 143 Mann, Th 200 Matthiae 63 Meyer 72 Micha Ben-Jimla 115, 131, 158, 161, 167, 170 Micheel . . . .115, 164, 169f, 177, 184, 197, 201 Mose 17, 46, 49, 5lf, 56, 66, 81, 168, 174, 178, 202 Mosis 4f, 42ff, 94, 118, 139 Movers 26, 116 Mowinckel 18, 26, 131, 199 Müller 112 Myers . . . .70, 135, 137ff, 147f, 151, 161, 177, 193, 198 Newsome North Noth

3lf 50ff, 86, 203 17f, 20-27, 35, 52f, 69, 75-82, 90,

111, 127-131, 138, 140, 146, 177, 179, 200, 202f Oeming Osten-Sacken, v.d

3, 22 40

Peterson 138 Plöger . 4, 31, 34, 37-44, 53, 82, 100, 153, 201 Rad, v. 25, 40, 49f, 52f, 55, 62f, 65, 67, 70, 72ff, 77, 79f, 94, 98f, 104, 146, 154f, 167f, 174f, 183ff, 201-204 Rahlfs 10, 134, 181, 189 Ranke, v. 2 Rehabeam 14, 104f, 107f, 110, 124 Rendtorff, R 9, 23f, 26, 36, 70f, 76 Rengstorff 137 Ristow 63 Rosenzweig 35, 91, 200 Rost 156 Rothstein . . 9, 11, 16f, 23, 43, 45-48, 50, 52f, 90, 185, 202, 204 Rüben 44 Rudolph 9ff, 15, 18, 21-27, 30, 35, 38, 49-53, 105, 116f, 129f, 134f, 138f, 142, 147f, 153, 159, 162f, 171, 173, 175ff, 180, 184, 186, 189f, 193, 196, 202f Ruppert 184 Ruprecht 144 Sabourin 53 Saeba. 9, 13, 15, 18, 22-25, 27, 29, 36f, 45, 61 Salomo 13f, 30, 32f, 42-47, 57, 81, 87, 104, 111, 117, 120, 124, 126, 132, 142f, 146, 152ff, 179f, 183 Samuel 50 Sauer 143, 165 Saul 13, 42f, 92 Schmidt, W.H 9ff, 24, 36, 40, 62, 64, 67, 76, 79, 162, 184, 194 Schmitt, A 184 Scholem 40f, 99f Schulte 72 Seeligmann 168f Serubbabel 25, 32 Seters, v. 70, 72-76 Smend, R 3, 9, 18, 27, 29f, 75f, 95, 197 Stähli 148 Steck 4, 37, 41, 64, 75, 136, 153, 206 Stemberger 30, 97, 205 Stinespring 32 Stolz 182 Strack 30, 97, 205 Strecker 2, 62 Talshir Thiel Timm Torrey

28f 173 119, 122f, 125, 127f, 130, 192 16, 18, 26, 29, 31, 135, 200

Personenregister Urbach Usia Vielhauer

147 107, 110 11,36

Weinberg 37, 56-59, 94,133, 203 Weippert, M 71, 77, 120, 127f Weiser 3, 9 Wellhausen lf, 4f, 13, 15f, 18-21, 23, 26, 42, 60, 65, 82f, 89, 93, 95, 98, 104, 135f, 138, 153, 173, 194, 198ff, 202, 204f Welten 3f, 12, 20f, 23ff, 27f, 52, 54f, 60, 82f, 85, 94, 98ff, 103f, 106, 108, 113, 124 ff, 129f, 133, 136, 139-154, 164, 177ff, 18lf, 186, 197, 200, 202-205, 208 Westermann 3, 144, 197 Wildberger 175, 185 Willi . . . 1, 4, lOf, 14ff, 19, 24, 26f, 30, 33-36,

211

42, 52, 54, 77, 82-100, 104f, 110, 112, 115f, 13lff, 140, 143-147, 151, 153, 155, 160-164, 166-169, 172f, 182-187, 192196, 198ff, 202-205 Williamson . . . .9-13, 21, 24-30, 32ff, 43f, 52f, 55f, 94, 105, 118f, 129, 136, 138ff, 142, 148, 151 ff, 161, 175, 177, 179, 184, 192, 203 Wolff 77, 80ff, 103, 163, 165, 174, 194 Woude, v.d 142 Würthwein 45f, 54, 76, 106, 112, 119, 121, 123, 125-128, 131, 140, 156ff, 160, 191f, 194, 196, 198 Yadin Zedekia Zimmerli Zunz

103, 150 14, 49, 107 25, 42, 64, 70, 138, 148, 184 26

Verzeichnis der Bibelstellen Genesis 14,1-16 21.2 2 26,28 26,3 31,42 31,53

154 143 143 143 148 148 Exodus

5. 3 14,30f 15. 6 18,2lff 20,18-21 23,2 23,27f

183 185 182 175 178 207 148 Leviticus

25.23

18,18 18.22 19,17ff 20,1-4 21,lff 25,2ff 26,5-9 28 30,6 30,15 Josua 8,33 11.23 14,15 23,2 24.1 24,12

183 Numeri

20,14ff

183

Deuteronomium 2,4f 2,9 2.1 9 2,25 4,28 4,39 5,23-31 5,33 6. 4 6. 5 7,7f 7.2 0 7,23 10.1 6 10.1 7 11,22-29 11,25 11,28 13. 7 16.1 8 17 17,14-20 17,8-20 17,8ff 17,9ff 18,15

183 183 183 148 197 179 178 144 91 166 71 148 148 194 174 147 148 144 161 146, 173 146 146, 176 146 175 173 81, 168

168 157 173 184 173 173 73 71 194 183

173 186 186 173 173 148 Richter

2,21 f 3.9 3.10 3.11 3.30 4,4 5.31 6,7-10 7,22 10.2 10.3 ll,16f 11.24 20,26ff

80 164 173 186 186 173 186 165 186 173 173 183 183 182 1 Samuel

7.3-1 1 8.4-2 2 8,7f 8,1 Off 9,9

182 174 132 176 169 2Samuel

5.12 7 8,10-18 8,17 10.4 14,17 22.5

145 80, 106 137 90 89 183 144

23,20

89 1 Könige

4 142 4,1-5,6 124 4,Iff 153 5,1 153 8 178, 180, 182, 203 8,14-53 178 8,30ff 182 8,37 183 8,46ff 81 9,22ff 153 9,26-28 196 9,26ff 196 10 130, 153 11,1-13 104 11,7 122 11,14-20 104 13,33f 125 14,24 126 15,1-5 106 15,4 106 15,4f 109 15,7 88 15,9-24 106 15.1 1 106 15.1 2 112, 126 15,14 140 15,16-22 106 15,16-23 124 15,18 129 15.23 88, 107, 169 15.24 103, 108, 110, 114-117 15,31 88 16,1 166 16,7 166 16,14 88 16,29-33 144 20,1-34 123 22 . 103, 118, 131, 144, 159f, 164, 171 22,If 155 22,lff 115 22,1-33 116f 22,1-38 . 110, 123, 125, 128f, 155f, 158, 171 22,1-40 103 22.1-51 108, 131 22,2 155 22.2-4 156 22,2-4 157,162

213

Verzeichnis der Bibelstellen 22,4 162 22. 4 187 22,4f 156 22,4ff 131 22. 5 156 22,5-28 156, 157 22,5-9 157 22.6 156, 162 22. 7 187 22.8 160, 163 22,10-12 157 22,13-17 157 22,15 156, 162 22.1 8 157 22.1 9 156 22,19-22 157 22,19-23 157 22.24 157 22.25 157 22.26 156 22,26-28 157 22.28 157 22.29 156 22,29-37 156, 157, 162 22.30 156 22.3 1 164 22,32f 163 22.34 116, 159 22.35 164 22,36-38 155 22.40 123 22.41 . . . . 112, 155,190, 192 22,41-44 191 22,41-50 191 22.41-51 . . 84, 103, 115-117, 125, 128f, 189 22.41 ff 103 22.42 125, 189 22.42-46 111 22.43 . . . . 1 1 7 , 125, 129, 192, 193 22,43f 106, 126 22.44 . . . . 125, 140, 166, 194 22.45 . . . . 112, 125, 190, 191 22.46 125, 141, 169, 191, 194 22.47 126, 191 22,47-50 125 22,47f 112, 190 22.48 112, 191 22,48f 126f, 191, 197 22.49 . . . . 127, 190, 196, 200 22,49f 111, 195 22.50 126f, 1%, 197 22.51 . . . . 111, 125, 189, 198 2Könige 1,1 128 3 ...113, 13lf, 177, 179, 187

3,1-27 3.4 3,4-22 3,4-27 3,4-27 3,4-27 3.5 3.7 3.8 3.11 3.12 3,25-27 3.26 3.27 3,45 8,16 8.16-2 9 8.17-1 9 8,18 8.25-29 8.26 8.27 8,27ff 9.26-28 10,30 10,32f 12.19 14,25 18.3- 6 20.20 21,3 22,2 22,25 22,43 22,46 23,25 23.4-20 25,27-30

103, 111, 115 148 127f 112 129 187 128 131,187 128 131, 187 128 128 128 187 113 125 108 108 109, 160 123 125 125 109 127 168 123 103, 128f, 145 168 109 169 109 109, 113 109 130 131, 136 113 113 80

63,16 63,16-64,3 63,19 Jeremía 10,6 18.21 21. 9 24.1 0 25,6f 25,14 27. 8 27,13 29 36,6 36. 9

173 130 197 173 71 187, 188, 201 107 181 167, 181,184,204 183 107 197 182 152 107 107 197 183

182 183 183 183 197 197 183 183 108 182 182 Ezechiel

28,24-26 37,15-22 37,15-28 37.22 38ff 38,21 44.23

154 154 142 142 154 186 147 Hosea

7,7 8,14

173 150 Joel

1,13-15 4. 2 4,12

Jesaja 1,26 2 2.8 3,2f 5,12 7 7,1-9 7,2 7.9 7,15 8,1-15 17,8 22,1-14 26,1 30,1-5 30,15-18 37,19 41,8

99 99 99

182 103 103 Amos

2. 3 4,6ff 4,10

173, 174 71 183 Jona

1,3 3,5-9

197 182 Zephanja

3,3 3,5

173 174 Sachar ja

4,1-14 6,9-15

138 138

214

Verzeichnis der Bibelstellen

14.13

186 Psalmen

44,1-9 44,3 65,7 66,7 72 89.14 111,6 136,1 137,7-9 145,11 147,5

182 183 182 182 154 182 182 181 119 182 182

Hieb 9.1 9 12,13 36,22

182 182 182

, , 1>7 3'5-7 21.3°

175 71 71

Klagelieder

1

183

IT5" 8'12

14 146

.

?' 10,9

n32

146

Nehemia .»-7'3 3,11-4,17 6,1-19 2

174

180,183

>21 ' 9>31 n>16

9

196

9 29

195 193 193

12)15

195

' 13,3-20

189 177

12 16

. "12 ' 13.12-15 13,13-20 13,23 H3 14,8-14 i5>1'7 15,12 15,17 16,7-14 16>n 16,12 13 12

186

>202

193

185 179 189 193 177, 197 170

193 186 198

195

170 116, 118, 135, 140f, 146f, 151, 154f, 164, 172, 181, 191, 193, 199

17f

118

17,1 . . . . 110, 113-117, 138f,

1«, 149, i52f, 160, 172

146

.16f

2Chronik

-10f

17

1.20

180 195 173

.

13 4

Sprüche

10

29,23 29,29 30,5

150 150

1 Chronik 1 1» 9 175 175

9,31 16,11 I7." 21,2 26,30 28f 28,5 29,10-12 29,11 29,1 l f

175 189 180 173 175 188 180 182 180 182

17,3f 136, 143f 17,3-6 113, 141,143 17,3-19 141 17,4 118,134, 138,144,165, 172, 182, 197, 203 17,5 . . . 118, 128f, 136, 138f, 143, 145, 148, 152, 160, 166, 194 17,5f 149 17,4-6 134

9

i6o 149 17'l2f . . . . 1 1 3 , 136, 141, 149 17.12-1 9 149 17,13 135, 149, 152 17.13-1 9 136, 139 17*14 149,151^152 1714ff 152 1714_16 151 1 7 , 1 4 - 1 9 . 1 1 0 , 113, 139,141, 151f 17 n

f

17>12

17,16 1 7 1 7 f 17

134f, 152 151

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18,lff 138,145 i81_3 i56 i81_9 158f isii-iv'::::::::::::.^

17

79

128

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146, 153 17,1-20,30 195 17,1-21,1 . 4, 103, 109ff, 115, 118,129, i99f

. >1 9,22 9,26 41

147

108,110,129 136,147 130, 135f, 145,

138 >1"5 17,1-19 . 114, 116, 134, 136,

130, 136,141,152 130, 135

136> 1138f' 1 4 l f 147> 150, 152f, 172, 193 I7.2-4 151 17,2-6 110 17,3134, 136, 143ff, 147, 153, 173, 175, 192f, 195

4

152 17,1 Off 17,10-19 1 7 > n _

18 . . . . 103, 115, 144f, 156ff, 164, 157, 169f, 173, 202 18,1 103, 118, 148, 160f 1 8 i f 155 1 6 0 f

17, l f 17,lff 17

177

17,6136, 138f, 140, 143, 145, 154, 166, 173, 193 17,6ff 136 17,7 134, 137f, 146 17,7f . . . 134f, 137, 139, 151, 199 17,7ff 138 17,7-9 . . 110, 113, 136f, 141, 145ff, 172, 174f, 176, 179,201 17,8 135,140 17,9 137, 146,172 1 7 , 1 0 . . . 145, 147f, 152, 186, 203 17,10f . . . 113, 141, 145, 147,

>2

18,1-19,3 . . . .114, 155f, 158, i78 18,1-20,30 . . 114ff, 119, 155 ig,.34 110,115,159 i8]-27 114 18^2 . . . ! ! ! ' . 1! US, 160f,' 163 ]96 19 3 175 1 ^ 3 . . . . . 8 8 , 156, 158f, 16lf, 172f, 190 200 1 8 3f 156 1 8 3 . 9 161 183-34 155 18>4 . . . ! ! -144," 156," 158,' 165 1^4.9 i62

1 8 2

1 8 2

f

Verzeichnis der Bibelstellen 18,4-27 156 18.5 115, 156, 159, 162 18. 6 115, 158f 18. 7 159f, 162, 165f 18,9 115, 163 18,10-16 158 18.11 115 18.12 115 18,14 156 18.16 164 18.1 7 158f, 161 18.18 156, 162 18,18-27 158 18.19 158, 162, 190 18,25 156 18.28 162 18,28ff 163 18,28-34 .156, 158f, 161, 164 18,28-19,3 114 18.29 156, 159 18.30 159 18.31 . . . 159f, 162f, 166, 171 18,3lf 163 18.32 164 18.33 159 18.34 164 19 141,191 19.1 115, 164, 173 19,lff 130 19,1-3 . 110, 144, 155f, 158f, 161, 164 19,1-20,30 115 19.2 . . . 1 1 8 , 158, 160f, 164ff, 175, 196, 200 19,2f 164,170 19,3130, 144, 164ff, 173, 193f 19.4 . 53, 118, 137, 172f, 176, 180, 182 19,4ff 137 19,4-11 110, 114f, 136f, 146f, 17lf, 176, 179, 182, 188, 199, 201 19.4-20,30 193 19. 5 172f 19.5-7 172 19,5-11 172ff, 200 19.6 171, 173, 175 19,6f 137, 167, 172, 174f 19. 7 173ff 19. 8 172f, 175 19.8-11 172 19.9 175 19,9f 137 19,9ff 174 19.9-11 172f, 175 19.10 . . . 137, 146, 165, 172f, 175, 200 19,1 Of 175 19.11 . . . . 137, 172, 175, 199

20 . . 132, 148, 154, 177, 182, 187, 190, 197, 20lff 20,1 118, 179, 181 20,1-30 . . .106, 108, 111-114, 118, 129, 176-180, 187, 191,195,200 20,lf 114, 178 20,1-13 179, 181 20,2 179, 181 20,3 144f, 178, 181 20,3-5 178 20,3-13 114 20,4 178 20,4f 182 20,5 175,180ff 20,5ff 178 20,6 180, 182, 195 20,6-12 178, 182 20,7 180, 183, 185 20,7-10 182 20,8 180 20,9 180, 182f 20,10f 182,203 20,11 180,183 20,12 18lff 20,13 . . . . 178, 183, 185, 187 20,13-17 144 20,14 115 20,14-17114, 167, 170, 178, 184 20,15 175, 180f, 195 20,17 152, 175,195 20,17f 178 20,18 179f, 184 20,18f 178 20,18-30 114 20,19 186 20,20 . . 1 6 7 , 178, 180f, 184f, 200f, 204 20,20f 178f, 184 20,20-22 178 20,21 . . .178, 180, 185f, 188, 200 20,23-28 178 20,24f 178 20,25 179, 181, 184 20,26 177, 179f, 199 20,27 179ff, 184 20,27f 178, 186,201 20,28 186 20,29 147f, 182, 203 20,29f 178f, 184, 186 20,30 176, 192 20,31 115, 189,192 20,31-33 191 20,31-34 . 111, 114, 134, 19lf 20,31-37 84 20,31-21,1 . . . 1 1 5 f , 119, 129, 189f, 192

215 20,32 103, 192f 20,32f 106 20,33 . . 1 4 0 , 143, 165f, 192ff, 198 20,34 . .15, 19, 115, 144, 162, 179,189, 191-195 20,35 . . . . 1 1 8 , 127, 189, 191, 195f 20,35f 114 20,35ff 138, 155 20,35-37 109, 111, 113f, 116, 118, 190f 20,35-21,1 195 20,36 190, 196 20,37 . . . 114, 144, 167, 189f, 196f, 199f 21,1 107, 111, 114f, 186, 189, 19lf, 197 21,1-4 20 21,2ff 116 21,2-4 108 21,4 142 21,5f 108 21,6 162 21,8-19 108 21,10 108 21,10f 108 21,12 109, 134, 193 21,12f 109 21,12ff 168 21,12-15 108 21,13 162 21,16 148 21,33 140 24,16 186 24,18 193 24,20 170 24,23 170 24,25f 170 25 170 25,26 195 25,27 170 26,6-8 177 26,7 179 26,22 195 27,5f 177 28,23 186 28,26 195 28,9-11 170 28,9-15 187 29,2 193 29,24 186 30,19 193 30,22 193 33,10 170 33,12 193 34,2 193 34,3 193 34,21 193

216 34.32 34.33 35,15ff 35,27 36,14-16

Verzeichnis der Bibelstellen 193 193 202 195 193

36,15

193 Judith

4,1-15

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