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German Pages 445 [446] Year 2024
Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Kapitel 1: Einleitung
1.1 Toradidaktik als Aufgabe christlicher Religionspädagogik
1.1.1 Toradidaktik in der jüdischen und der christlichen Religionspädagogik
1.1.2 Die Tora im Zentrum jüdischer und christlicher Religionspädagogik
1.1.3 Toradidaktik als „Kommunikation der Tora“
1.2 Methodik der Studie: Bibeldidaktischer Vergleich in lernender Absicht
1.3 Aufbau und Gedankengang der Studie
Teil I: Prolegomena
Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
2.1 Tora in der Hebräischen Bibel
2.1.1 Begriffsdefinition von Tora
2.1.2 Die Vor-Gabe der Tora im Kanon
2.1.3 Inhaltliche Bestimmungen der Tora
2.2 Tora in der jüdischen Tradition
2.2.1 Tora im rabbinischen Judentum
2.2.2 Tora als Gnade
2.2.3 Tora in der jüdischen Glaubenspraxis
2.3 Tora in der christlichen Tradition
2.3.1 Tora – Nomos – Gesetz
2.3.2 Tora im Neuen Testament
2.3.3 Evangelium ohne Tora
2.4 Fazit
Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
3.1 Tora in der christlichen Bibeldidaktik
3.1.1 Ingo Baldermann: Didaktik der Tora
3.1.2 Horst Klaus Berg: Tora als Weisung
3.1.3 Ralf Koerrenz: Multiple Zugänge zur Tora
3.2 Hermeneutik des Ersten Testaments
3.3 Tora in den Lehrplänen und Materialien für den Religionsunterricht
Exkurs: Curricula für evangelische Religion an Grundschulen
Exkurs: Rahmenrichtlinien der Bundesländer für den evangelischen Religionsunterricht der Sekundarstufen I und II an Gymnasien
3.4 Judentum und Erstes Testament in der universitären Ausbildung der Lehrer:innen
3.5 Jüdisch-christlicher Dialog und Religionspädagogik
3.6 Fazit
Kapitel 4: Methodische Rahmung: Vergleichende Religionspädagogik
4.1 Impulse: Funktionen der Vergleichenden Religionspädagogik
4.2 Rahmen: Methodische Grundsätze der Komparativen Theologie
4.3 Spiegeln: Jüdisch-christlicher Dialog und Komparative Theologie
4.4 Zugang: Dichtes und detektivisches Lesen
4.5 Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis
Teil II: Jüdische Didaktiken der Tora
Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
5.1 Biografische Notizen
5.1.1 Von Riga nach Jerusalem
5.1.2 Mora – die Lehrerin
5.2 Kontexte
5.2.1 Denomination und Toraverständnis
5.2.2 Lernorte
5.3 Das didaktische Viereck
5.3.1 Der Text
5.3.2 Die Lernenden
5.3.3 Die Lehrenden
5.3.4 Die Lebenswelt
5.4 Kritische Würdigung
5.4.1 Würdigung
5.4.2 Kritik
5.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten
Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
6.1 Biografische Notizen
6.2 Kontexte
6.2.1 Denomination und Toraverständnis
6.2.2 Lernorte
6.3 Das didaktische Viereck
6.3.1 Die Lebenswelt
6.3.2 Der Text
6.3.3 Die Lehrenden
6.3.4 Die Lernenden
6.4 Kritische Würdigung
6.4.1 Würdigung
6.4.2 Kritik
6.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten
Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
7.1 Biografische Notizen
7.2 Kontexte
7.2.1 Denomination und Toraverständnis
7.2.2 Lernorte
7.3 Das didaktische Viereck
7.3.1 Der Text
7.3.2 Die Lernenden
7.3.3 Die Lehrenden
7.3.4 Die Lebenswelt
7.4 Kritische Würdigung
7.4.1 Würdigung
7.4.2 Kritik
7.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten
Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
8.1 Biografische Notizen
8.2 Kontexte
8.2.1 Jüdische Gemeinschaften in Deutschland
8.2.2 Jüdische Bildung in Deutschland
8.3 Das didaktische Viereck
8.3.1 Der Text
8.3.2 Die Lernenden
8.3.3 Die Lehrenden
8.3.4 Die Lebenswelt
8.4 Kritische Würdigung
8.4.1 Würdigung
8.4.2 Kritik
8.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten
Kapitel 9: Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler
9.1 Biografische Notizen
9.2 Kontexte
9.3 Das didaktische Viereck
9.3.1 Der Text
9.3.2 Die Lernenden
9.3.3 Die Lehrenden
9.3.4 Die Lebenswelt
9.4 Kritische Würdigung
9.4.1 Würdigung
9.4.2 Kritik
9.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten
Kapitel 10: Systematisierung: Jüdische Toradidaktik
10.1 Tora ist nicht gleich Tora
10.1.1 Das Toraverständnis von Nehama Leibowitz
10.1.2 Das Toraverständnis von Zvi Adar
10.1.3 Das Toraverständnis von Barry W. Holtz
10.1.4 Das Toraverständnis von Daniel Krochmalnik
10.1.5 Das Toraverständnis von Hanna Liss/Bruno Landthaler
10.2 Toradidaktik ist nicht gleich Toradidaktik
10.2.1 Nehama Leibowitz: Beziehungsweisen
10.2.2 Zvi Adar: Jüdische Paideia
10.2.3 Barry W. Holtz: Ambivalenz
10.2.4 Daniel Krochmalnik: Sozialisation
10.2.5 Hanna Liss/Bruno Landthaler: (Vor-)Lesen
10.3 Unterschiede jüdischer Toradidaktik
10.4 Gemeinsamkeiten jüdischer Toradidaktik
10.5 Allgemeine Charakteristika jüdischer Toradidaktik
10.6 Tabellarische Zusammenfassung
Teil III: Eine christliche Didaktik der Tora
Kapitel 11: Rezeption jüdischer Toradidaktik?
11.1 Rezeption und Inspiration
11.2 Vorbehalte und Möglichkeiten der Rezeption
Kapitel 12: Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik
12.1 Christliches Toraverständnis: Tora als Fragment
12.2 Hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik
12.2.1 Hermeneutische Grundfragen christlicher Toradidaktik
12.2.2 Die multiperspektivische Hermeneutik
12.2.3 Hermeneutik der Ambivalenz
Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
13.1 Der Text
13.1.1 Der Text im Zentrum
13.1.2 Tora als bibeldidaktischer Lerngegenstand
13.1.3 Tora als interreligiöser Lerngegenstand
13.2 Die Lernenden
13.2.1 Die lesenden und fragenden Schüler:innen
13.2.2 Von der Ambiguitätstoleranz zur Ambiguitätssolidarität
13.3 Die Lehrenden
13.3.1 Die Rolle der Lehrkraft: Schüler:in, Übersetzer:in und Zeug:in der Tora
13.3.2 Religionspädagogische Kompetenz
13.4 Die Lebenswelt
13.4.1 Das Ende der Eindeutigkeit
13.4.2 Antisemitismus als dauerhaftes Hintergrundrauschen
13.5 Christliche Toradidaktik – eine Fantasie der Praxis
13.6 Tabellarische Übersicht: Christliche Toradidaktik
Kapitel 14: Fazit und Ausblick
14.1 Jüdische Toradidaktiken in vergleichender Perspektive
14.2 Christliche Toradidaktik in the making
14.3 Jüdische und christliche Toradidaktik im Zusammenhang
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart herausgegeben von
Christian Albrecht, Tobias Braune-Krickau, Stefanie Lorenzen und Bernd Schröder
42
Marie Hecke
Toradidaktik Eine Studie zu jüdischer Bibeldidaktik und ihrer Rezeption in der christlichen Religionspädagogik
Mohr Siebeck
Marie Hecke, geboren 1986; Studium der Ev. Theologie und Judaistik in Leipzig, Münster, Jerusalem und Berlin; 2023 Promotion; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für feministische Theologie, Theologische Geschlechterforschung und soziale Vielfalt der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. orcid.org / 0009-0000-2591-4886
ISBN 978-3-16-162631-9 / eISBN 978-3-16-163522-9 DOI 10.1628 / 978-3-16-163522-9 ISSN 1862-8958 / eISSN 2569-4219 (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über https: //dnb. dnb.de abrufbar. © 2024 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und dort gebunden. Printed in Germany.
Für Cosi (1948–2023)
Vorwort Das vorliegende Buch Toradidaktik. Eine Studie zu jüdischer Bibeldidaktik und ihrer Rezeption in der christlichen Religionspädagogik ist eine leicht überarbeitete Fassung der gleichnamigen Studie, die im November letzten Jahres von der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen wurde. Es stellt das Ergebnis – und damit hoffentlich nur einen Zwischenstand – meines langjährigen Lernens und Engagements im jüdisch-christlichen Dialog dar, mit dem ich hoffe, einen Beitrag zu einer antisemitismuskritischen Theologie und Religionspädagogik leisten zu können. Begegnungen mit jüdischen Auslegungstraditionen und jüdischer Lebenspraxis begleiten mich seit meinem Studium der Theologie in Leipzig, Berlin, Münster und Jerusalem. Ein Studienjahr an der Hebräischen Universität mit dem „Verein Studium in Israel“ ermöglichte mir das Studieren jüdischer Traditionsliteratur und ein Erleben von „Fantasie und Akribie“ jüdischer Lernkultur an und mit der Tora. Die „AG Theologie“ von „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ eröffnet mir einen Raum für fragendes Lesen biblischer Texte im Angesicht ihrer doppelten Nachgeschichte und die Erprobung theologischer und liturgischer Formen vor dem Hintergrund und in der Auseinandersetzung mit der Schuldgeschichte von Kirche und Theologie. Die „AG jüdisch&christlich beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“ bietet mir bis heute einen Ort des Gesprächs, des Austauschs und der Auseinandersetzung für aktuelle Fragen des jüdisch-christlichen Verhältnisses auf allen Ebenen seiner gesellschaftlichen, intersektionalen und theologischen Realität. Alle diese Vereinigungen und Foren der Begegnung, des Diskurses und des Dialogs waren wesentliche Wegbereiter:innen und Begleiter:innen meiner Arbeit – ihnen allen und den Menschen, die sich in ihnen und für sie engagieren und engagiert haben, bin ich zutiefst dankbar. Herausgehobener Dank gilt meinen beiden Betreuer:innen: Meinem Erstbetreuer Prof. Dr. Bernd Schröder für die Ermutigung zu dieser Studie und das ungebrochene Vertrauen in die Arbeit und ihre Autorin, auch wenn Aus- und Sperrzeiten das Projekt in die Länge gezogen haben. Sein detailliertes, kenntnisreiches und kritisches, aber stehts wohlwollendes und produktives Feedback haben mir enorm geholfen und diese Studie erst ermöglicht; Apl. Prof.’in Dr. Klara Butting für ihre Bereitschaft, sich als Alttestamentlerin auf eine religionspädagogische Studie einzulassen, ihren Zuspruch und ihre Beratung
VIII
Vorwort
zum Forschungsprojekt ab dessen erster Stunde. Darüber hinaus danke ich Prof. Dr. Jan Hermelink und Prof. Dr. Florian Wilk für ihr Mitwirken in meiner Prüfungskommission; Dr. Howard Deitcher, Dr. Marla Frankel und Gabriel H. Cohn für ihre Unterstützung bei der Recherche in Israel und die Möglichkeit, mir Einblicke in aktuelle israelische toradidaktische Diskurse zu gewähren. Dank gilt ferner Dr. Christian Staffa für sein Zuhören und Zutrauen, seine Lust an Ambivalenzen, Wein, Käse und der Heiligen Schrift; Prof.’in Dr. Claudia Janssen für unsere intensiven Gespräche und die Zusammenarbeit an „Luises Küchentisch“, für all die Freiräume, die sie mir zur Fertigstellung dieser Arbeit gelassen hat und für die empowernde Begleitung auf den letzten Metern dieses Projektes. Aline, Amelie, Dome, Elise, Hannah, Jakob, Maria, Milena, Moritz, Nele, Steph, Susanne, Verena, Wanda S., Katrin, Martin und Hannes danke ich für unzählige unterstützende Gespräche und Telefonate, Spazier- und Mensagänge, Briefe und Postkarten, Kaffee, Wein und Gedichte; Birgit für ihre Erzählungen biblischer Geschichten in meiner Kindheit; Wanda und Noam für ihre Fragen und die Unterbrechungen; Günter und Gertraud für das unermüdliche Korrekturlesen; der Lydia Gemeinde Bielefeld und Heidi und Rolf für „ein Zimmer für sich allein“ im ersten Corona-Lockdown und darüber hinaus. Danken möchte ich meinen Eltern und dem „Evangelischen Studienwerk e.V.“ Villigst für die finanzielle Unterstützung meines Theologiestudiums und den Raum für Vertiefung und Umwege, den sie mir gelassen haben; der „Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers“, als deren Repetentin ich in Göttingen für dreieinhalb Jahre wirken und meine Studien betreiben konnte; der „Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen“ (GSGG) und der Hannoverschen Landeskirche für ihre finanzielle Unterstützung der Archivund Bibliotheksaufenthalte und Expertengespräche in Israel; dem „Verein zur Förderung der Praktischen Theologie und Religionspädagogik in Göttingen e.V.“ für einen Zuschuss zu den Druckkosten. Herrn Prof. Dr. Christian Albrecht und meinem Doktorvater danke ich für die Aufnahme der Studie in die Reihe „Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart“. Vom Verlag Mohr Siebeck danke ich Tobias Stäbler für die umsichtige Betreuung und Realisierung der Publikation; Dr. Claus-Jürgen Thornton für das umsichtige Lektorat, Elinor Höke für die Unterstützung beim Erstellen des Registers. Anerkennung, nicht im Sinne des Dankes, wohl aber im Sinne von einer Realität, muss ich meiner chronischen Erkrankung zollen. Sie stellt die gleichbleibend ungleichen Umstände all meines Seins und Tuns dar. Ich bin nicht ihr, sondern IHR dankbar dafür, die Arbeit trotz aller körperlichen und sozialen Widrigkeiten verfolgt und abgeschlossen haben zu dürfen. Diese Studie würde es ohne Simon, ohne sein kritisches Fragen und Mitdenken, seine unermüdliche Ermutigung zur erneuten Über- und Bearbeitung, ohne seine ganze Carearbeit nicht geben. Gewidmet ist diese Studie meinem Co-Vater, Heinz Behrends (1948–2023), mit dem ich bereits in jungen Jahren
Vorwort
IX
zusammen erste Bibeltexte im NDR-Rundfunk auslegen durfte und der mir fortwährend die Liebe zum intellektuellen Leben und Umgang mit biblischen Texten vermittelt hat. Bielefeld, am 2. Advent 2023
Marie Hecke
Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Abkürzungen ........................................................................................... XVII
Kapitel 1: Einleitung ............................................................................... 1 1.1 Toradidaktik als Aufgabe christlicher Religionspädagogik ...................... 1 1.1.1 Toradidaktik in der jüdischen und der christlichen Religionspädagogik ............................................... 2 1.1.2 Die Tora im Zentrum jüdischer und christlicher Religionspädagogik ..................................................... 8 1.1.3 Toradidaktik als „Kommunikation der Tora“.................................12 1.2 Methodik der Studie: Bibeldidaktischer Vergleich in lernender Absicht ..................................14 1.3 Aufbau und Gedankengang der Studie ...................................................17
Teil I: Prolegomena Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora .........................................................23 2.1 Tora in der Hebräischen Bibel................................................................23 2.1.1 Begriffsdefinition von Tora ...........................................................23 2.1.2 Die Vor-Gabe der Tora im Kanon .................................................24 2.1.3 Inhaltliche Bestimmungen der Tora ...............................................26 2.2 Tora in der jüdischen Tradition ..............................................................32 2.2.1 Tora im rabbinischen Judentum .....................................................33 2.2.2 Tora als Gnade ..............................................................................36 2.2.3 Tora in der jüdischen Glaubenspraxis ............................................38 2.3 Tora in der christlichen Tradition ...........................................................40 2.3.1 Tora – Nomos – Gesetz .................................................................40 2.3.2 Tora im Neuen Testament .............................................................42 2.3.3 Evangelium ohne Tora ..................................................................45 2.4 Fazit .......................................................................................................48
XII
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik ...................................49 3.1 Tora in der christlichen Bibeldidaktik ....................................................49 3.1.1 Ingo Baldermann: Didaktik der Tora .............................................51 3.1.2 Horst Klaus Berg: Tora als Weisung .............................................54 3.1.3 Ralf Koerrenz: Multiple Zugänge zur Tora ....................................57 3.2 Hermeneutik des Ersten Testaments .......................................................59 3.3 Tora in den Lehrplänen und Materialien für den Religionsunterricht .....63 Exkurs: Curricula für evangelische Religion an Grundschulen ...............63 Exkurs: Rahmenrichtlinien der Bundesländer für den evangelischen Religionsunterricht der Sekundarstufen I und II an Gymnasien ..............65 3.4 Judentum und Erstes Testament in der universitären Ausbildung der Lehrer:innen.....................................................................................70 3.5 Jüdisch-christlicher Dialog und Religionspädagogik ..............................77 3.6 Fazit .......................................................................................................81
Kapitel 4: Methodische Rahmung: Vergleichende Religionspädagogik ....................................................83 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
Impulse: Funktionen der Vergleichenden Religionspädagogik ...............83 Rahmen: Methodische Grundsätze der Komparativen Theologie ...........87 Spiegeln: Jüdisch-christlicher Dialog und Komparative Theologie ........90 Zugang: Dichtes und detektivisches Lesen .............................................92 Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis.....95
Teil II: Jüdische Didaktiken der Tora Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz ...........................105 5.1 Biografische Notizen ........................................................................... 107 5.1.1 Von Riga nach Jerusalem ............................................................108 5.1.2 Mora – die Lehrerin .................................................................... 111 5.2 Kontexte ..............................................................................................117 5.2.1 Denomination und Toraverständnis .............................................118 5.2.2 Lernorte....................................................................................... 124 5.3 Das didaktische Viereck ....................................................................... 126 5.3.1 Der Text ......................................................................................127 5.3.2 Die Lernenden .............................................................................134 5.3.3 Die Lehrenden .............................................................................138 5.3.4 Die Lebenswelt............................................................................142
Inhaltsverzeichnis
XIII
5.4 Kritische Würdigung ............................................................................ 145 5.4.1 Würdigung ..................................................................................146 5.4.2 Kritik ...........................................................................................147 5.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten...........................................152
Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar .............................................155 6.1 Biografische Notizen ........................................................................... 155 6.2 Kontexte ..............................................................................................160 6.2.1 Denomination und Toraverständnis .............................................161 6.2.2 Lernorte....................................................................................... 167 6.3 Das didaktische Viereck ....................................................................... 174 6.3.1 Die Lebenswelt............................................................................175 6.3.2 Der Text ......................................................................................179 6.3.3 Die Lehrenden .............................................................................188 6.3.4 Die Lernenden .............................................................................191 6.4 Kritische Würdigung ............................................................................ 193 6.4.1 Würdigung ..................................................................................193 6.4.2 Kritik ...........................................................................................196 6.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten...........................................200
Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz .................................203 7.1 Biografische Notizen ........................................................................... 204 7.2 Kontexte ..............................................................................................207 7.2.1 Denomination und Toraverständnis .............................................208 7.2.2 Lernorte....................................................................................... 213 7.3 Das didaktische Viereck ....................................................................... 215 7.3.1 Der Text ......................................................................................215 7.3.2 Die Lernenden .............................................................................221 7.3.3 Die Lehrenden .............................................................................226 7.3.4 Die Lebenswelt............................................................................232 7.4 Kritische Würdigung ............................................................................ 237 7.4.1 Würdigung ..................................................................................237 7.4.2 Kritik ...........................................................................................238 7.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten...........................................241
Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik ........................243 8.1 Biografische Notizen ........................................................................... 244 8.2 Kontexte ..............................................................................................246 8.2.1 Jüdische Gemeinschaften in Deutschland ....................................246 8.2.2 Jüdische Bildung in Deutschland .................................................248
XIV
Inhaltsverzeichnis
8.3 Das didaktische Viereck ....................................................................... 251 8.3.1 Der Text ......................................................................................251 8.3.2 Die Lernenden .............................................................................256 8.3.3 Die Lehrenden .............................................................................258 8.3.4 Die Lebenswelt............................................................................260 8.4 Kritische Würdigung ............................................................................ 261 8.4.1 Würdigung ..................................................................................261 8.4.2 Kritik ...........................................................................................262 8.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten...........................................264
Kapitel 9: Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler .......265 9.1 Biografische Notizen ........................................................................... 265 9.2 Kontexte ..............................................................................................267 9.3 Das didaktische Viereck ....................................................................... 267 9.3.1 Der Text ......................................................................................268 9.3.2 Die Lernenden .............................................................................272 9.3.3 Die Lehrenden .............................................................................278 9.3.4 Die Lebenswelt............................................................................279 9.4 Kritische Würdigung ............................................................................ 281 9.4.1 Würdigung ..................................................................................281 9.4.2 Kritik ...........................................................................................281 9.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten...........................................283
Kapitel 10: Systematisierung: Jüdische Toradidaktik..................285 10.1 Tora ist nicht gleich Tora ....................................................................285 10.1.1 Das Toraverständnis von Nehama Leibowitz .............................286 10.1.2 Das Toraverständnis von Zvi Adar ............................................ 287 10.1.3 Das Toraverständnis von Barry W. Holtz .................................. 288 10.1.4 Das Toraverständnis von Daniel Krochmalnik ..........................289 10.1.5 Das Toraverständnis von Hanna Liss/Bruno Landthaler ............289 10.2 Toradidaktik ist nicht gleich Toradidaktik .......................................... 290 10.2.1 Nehama Leibowitz: Beziehungsweisen ..................................... 290 10.2.2 Zvi Adar: Jüdische Paideia ........................................................291 10.2.3 Barry W. Holtz: Ambivalenz .....................................................292 10.2.4 Daniel Krochmalnik: Sozialisation ............................................293 10.2.5 Hanna Liss/Bruno Landthaler: (Vor-)Lesen...............................294 10.3 Unterschiede jüdischer Toradidaktik ...................................................295 10.4 Gemeinsamkeiten jüdischer Toradidaktik ........................................... 296 10.5 Allgemeine Charakteristika jüdischer Toradidaktik ............................ 298 10.6 Tabellarische Zusammenfassung ........................................................ 301
Inhaltsverzeichnis
XV
Teil III: Eine christliche Didaktik der Tora Kapitel 11: Rezeption jüdischer Toradidaktik? .............................305 11.1 Rezeption und Inspiration ................................................................... 305 11.2 Vorbehalte und Möglichkeiten der Rezeption ..................................... 308
Kapitel 12: Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik ....................................315 12.1 Christliches Toraverständnis: Tora als Fragment ................................315 12.2 Hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik ............... 320 12.2.1 Hermeneutische Grundfragen christlicher Toradidaktik ............ 321 12.2.2 Die multiperspektivische Hermeneutik ...................................... 323 12.2.3 Hermeneutik der Ambivalenz .................................................... 324
Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik........................331 13.1 Der Text ............................................................................................. 335 13.1.1 Der Text im Zentrum ................................................................. 335 13.1.2 Tora als bibeldidaktischer Lerngegenstand ................................ 338 13.1.3 Tora als interreligiöser Lerngegenstand ..................................... 344 13.2 Die Lernenden .................................................................................... 347 13.2.1 Die lesenden und fragenden Schüler:innen ................................ 347 13.2.2 Von der Ambiguitätstoleranz zur Ambiguitätssolidarität ........... 354 13.3 Die Lehrenden .................................................................................... 358 13.3.1 Die Rolle der Lehrkraft: Schüler:in, Übersetzer:in und Zeug:in der Tora .........................359 13.3.2 Religionspädagogische Kompetenz ........................................... 364 13.4 Die Lebenswelt ................................................................................... 367 13.4.1 Das Ende der Eindeutigkeit .......................................................367 13.4.2 Antisemitismus als dauerhaftes Hintergrundrauschen ................370 13.5 Christliche Toradidaktik – eine Fantasie der Praxis ............................ 374 13.6 Tabellarische Übersicht: Christliche Toradidaktik ..............................379
Kapitel 14: Fazit und Ausblick ..........................................................381 14.1 Jüdische Toradidaktiken in vergleichender Perspektive ...................... 382 14.2 Christliche Toradidaktik in the making ...............................................385 14.3 Jüdische und christliche Toradidaktik im Zusammenhang .................. 388
XVI
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis ....................................................................................391 Personenregister .........................................................................................421 Sachregister ................................................................................................423
Abkürzungen ABIG ANTZ APrTh APTh APTLH ARPäd BiInS BiKi BiSe BWANT BZAR BZNW DNP DtPfrBl EJ2 EKL3 ErTh EvErz EvTh FAT FSÖTh GlLern HBM HBS HerKorr IJPT JaBuKi Jdm JK JPer Jud. KStTh KuD KuI
Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte Arbeiten zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte Arbeiten zur Praktischen Theologie Arbeiten zur Pastoraltheologie Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie Arbeiten zur Religionspädagogik Biblical Interpretation Series Bibel und Kirche The Biblical Seminar Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Beihefte zur Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche Der neue Pauly, hg. v. Hubert Cancik und Helmut Schneider, 15 Bde., Stuttgart/Weimar 1996ff. Deutsches Pfarrerblatt Encyclopaedia Judaica. Second edition, hg. v. Fred Skolnik und Jonathan Frankel, 22 Bde., Detroit 2007 Evangelisches Kirchenlexikon, hg. v. Erwin Fahlbusch u.a., 5 Bde., Göttingen 1986–1997 Erfahrung und Theologie Der evangelische Erzieher Evangelische Theologie Forschungen zum Alten Testament Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Glaube und Lernen Hebrew Bible Monographs Herders biblische Studien Herder-Korrespondenz International Journal of Practical Theology Jahrbuch für Kindertheologie Judaism – A Quarterly Journal Junge Kirche Journal of Personality Judaica Kohlhammer-Studienbücher Theologie Kerygma und Dogma Kirche und Israel. Neukirchener theologische Zeitschrift
XVIII NBST NHRPG2 NSK.AT NTG ORA Ph.S PrTh PTh PTHe PThGG RelEd RGG4
RPäB RPBE RPG SFSHJ SKI N.F. STh StJ TBLNT2
ThLZ ThLZ.F ThWAT
TPT TRE TSMJ VDWI VIKJ VKHW VWGTh WdL WMANT ZPT ZThK
Abkürzungen Neukirchener Beiträge zur Systematischen Theologie Neues Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe, hg. v. Gottfried Bitter, München 22006 Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament Neue Theologische Grundrisse Orientalische Religionen in der Antike Philologus. Supplemente Praktische Theologie Pastoraltheologie Praktische Theologie heute Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart Religious Education Religion in Geschichte und Gegenwart. Vierte, völlig neu bearbeitete Auflage hg. v. Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski und Eberhard Jüngel, 8 Bde., Tübingen 1998– 2005 Religionspädagogische Beiträge Religionspädagogik in der Blauen Eule Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft South Florida Studies in the History of Judaism Studien zu Kirche und Israel. Neue Folge Studien zur Theologie Studia Judaica Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament. Neubearbeitete Auflage hg. v. Lothar Coenen und Klaus Haacker, 2 Bde., Ausgabe mit aktualisierten Literaturangaben, Witten 2010 Theologische Literaturzeitung Theologische Literaturzeitung. Forum Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, hg. v. G. Johannes Botterweck und Helmer Ringgren, 10 Bde., Stuttgart 1973–2000 Themen der praktischen Theologie. Theologia practica Theologische Realenzyklopädie, hg. v. Gerhard Krause und Gerhard Müller, 36 Bde., Berlin/New York 1976–2004 Texts and Studies in Medieval and Early Modern Judaism Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum Veröffentlichungen der Kirchlichen Hochschule Wuppertal(/Bethel N.F.) Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie Wege des Lernens Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Zeitschrift für Pädagogik und Theologie. Der Evangelische Erzieher Zeitschrift für Theologie und Kirche
Kapitel 1
Einleitung Denkt nicht, ich sei gekommen, die Tora und die prophetischen Schriften außer Kraft zu setzen! Ich bin nicht gekommen, sie außer Kraft zu setzen, sondern sie zu erfüllen. Jesus von Nazareth, Bergpredigt
1.1 Toradidaktik als Aufgabe christlicher Religionspädagogik 1.1 Toradidaktik als Aufgabe christlicher Religionspädagogik
Die vorliegende Studie erschließt und erkundet systematisch Ansätze und Konzeptionen jüdischer Toradidaktik und formuliert Voraussetzungen und Möglichkeiten ihrer Rezeption in der christlichen Religionspädagogik. Sie rekonstruiert jüdische Didaktiken der Tora unterschiedlicher Denominationen und nationaler Kontexte mit dem doppelten Ziel, diese für eine christliche bzw. christlich-religionspädagogische Leser:innen- und Rezipient:innenschaft sowohl in ihrem Eigenwert als didaktischen Konzeptionen und Praxen jüdischer Toradidaktik sichtbar und bekannt zu machen als auch in ihrem Mehrwert für eine christliche, dialogisch orientierte Bibeldidaktik zu diskutieren und darzustellen. Mittels inter- wie innerreligiöser vergleichender Verfahren arbeitet sie zentrale Charakteristika, Modi und Funktionen jüdischer Toradidaktik auf der Ebene einzelner Ansätze wie auf allgemeinerer Ebene heraus und setzt diese mit bestehenden wie potenziellen Arbeits- und Reflexionsweisen christlicher Bibeldidaktik und ihrer Hermeneutik produktiv-kritisch in Beziehung: Welche religionspädagogischen Einsichten lassen sich aus einer eingehenden Beschäftigung mit jüdischen Toradidaktiken gewinnen? Welche bibeldidaktischen und hermeneutischen Irritationen, und damit: welche Ansatzpunkte interreligiösen Lernens halten jüdische didaktische Reflexionen und Konzeptionen der Vermittlung von Tora bereit? Welche in der christlichen Bibeldidaktik bisher vielleicht noch fehlenden oder zu wenig berücksichtigten Inhalte und Formen der Kompetenzvermittlung lassen sich im Feld jüdischer Toradidaktik ausmachen, und unter welchen Bedingungen ließen sie sich gegebenenfalls übertragen? Welchem Verständnis von Tora und welchen Formen von Hermeneutik sollte eine am jüdisch-christlichen Dialog geschulte christliche Bibeldidaktik des Ersten Testaments folgen?
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Kapitel 1: Einleitung
Ziel der Studie ist es, auf dem Wege der Exploration und Rekonstruktion einflussreicher, der christlichen, zumal deutschsprachigen Religionspädagogik bislang jedoch weitgehend unbekannt und unzugänglich gebliebener Toradidaktiken jüdischer Provenienz einen Beitrag dazu zu leisten, Bedingungen und Möglichkeiten einer christlichen Toradidaktik genauer bestimmen und angeben zu können. Sie geht davon aus, dass eine intensive Auseinandersetzung mit jüdischen Bedeutungen, Formen und Inhalten der Vermittlung von Tora und der detailliertere Wissenserwerb darüber vor dem Hintergrund eines neu verstandenen Verhältnisses zwischen Judentum und Christentum nicht nur einen gebotenen und längst überfälligen Schritt darstellen, „Bildungsverantwortung in Achtsamkeit füreinander wahr[nehmen]“1 zu können. Sie sieht darin zudem eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung dafür, christliche Bibeldidaktik in einer Weise betreiben zu können, die der „Hebräische[n] Bibel und ihre[r] zweifache[n] Nachgeschichte“ theoretisch wie praktisch gerecht wird.2 Das Wissen um jüdische Lesarten und Vermittlungsformen des Ersten Testaments und der Respekt vor ihnen sind mithin Ziele und wechselseitige Bedingungen von Toradidaktik im christlich-religionspädagogischen Kontext zugleich.3 Sie anzustreben bzw. herzustellen, verstehe ich als wichtigen Teil des größeren Anliegens, die Tora in eine am christlichjüdischen Dialog geschulte und orientierte Theologie zu (re-)integrieren.4 1.1.1 Toradidaktik in der jüdischen und der christlichen Religionspädagogik Während die Tora seit jeher ein zentraler Gegenstand jüdischen Lehrens und Lernens ist und ihre Didaktik daher, wie wir in dieser Studie sehen werden, ganz selbstverständlich als vielfältige Praxis gelebt und als ebenso vielfältiger, 1
Vgl. dazu BERND SCHRÖDER, Art. Judentum, als Thema christlich verantworteter Bildung, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex. de), 2015, 6. 2 Der Begriff der „zweifachen Nachgeschichte“ wurde geprägt durch die Arbeiten von Rolf Rendtorff und die ihm gewidmete Festschrift: ERHARD B LUM/CHRISTIAN MACHOLZ/ EKKEHARD W. STEGEMANN (Hg.), Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. FS Rolf Rendtorff, Neukirchen-Vluyn 1990. Ohne die besondere Bedeutung der „zweifachen Nachgeschichte“ der Hebräischen Bibel im jüdisch-christlichen Verhältnis damit schmälern zu wollen, ist von Schröder in seinem Artikel zur Toradidaktik mit Blick auf Samaritaner, Karäer und Muslime auf ihre „mindestens fünffache Nachgeschichte“ hingewiesen worden. BERND SCHRÖDER, Toradidaktik, in: ZPT 67/2 (2015), 125–134, 132. 3 Vgl. bereits B. SCHRÖDER, Toradidaktik, 131, zum „Wissen um und den Respekt vor der jüdischen Lesart des sog. Alten Testaments“ als einem der Hauptanliegen von Toradidaktik im Rahmen einer christlichen Bibeldidaktik. 4 Vgl. prominent dazu FRIEDRICH-WILHELM MARQUARDT, Zur Reintegration der Tora in eine Evangelische Theologie, in: Blum/Macholz/Stegemann, Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte, 657–676. Marquardt hatte als Systematiker damals vor allem die Dogmatik vor Augen. Der religionspädagogische Bereich kam nicht in seinen Blick, wohl aber die für diesen Bereich zentralen hermeneutischen Fragen.
1.1 Toradidaktik als Aufgabe christlicher Religionspädagogik
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wenn auch disziplinär kaum integrierter Diskurs über jüdische Erziehung und Bildung gepflegt wird, existiert demgegenüber auf christlicher – evangelischer wie katholischer – Seite Toradidaktik bislang kaum.5 Gleichwohl ist auch auf jüdischer Seite mit „Toradidaktik“ keineswegs ein feststehender Begriff oder gar ein disziplinäres Feld religionspädagogischer Forschung oder Praxis bezeichnet. Wie wir sehen werden, wird in verschiedenen jüdischen Traditionen und Strömungen und in verschiedenen nationalen Kontexten jeweils recht Unterschiedliches unter „Tora“ verstanden und auch recht Unterschiedliches in Bezug auf ihre didaktische Erschließung und Vermittlung diskutiert, vorgeschlagen und praktiziert. Ob etwa Tora auf der materiellen Ebene, wie bei der israelischen Toragelehrten und -lehrerin Nehama Leibowitz,6 die schriftliche und die mündliche Überlieferung umfasst oder, wie bei dem israelischen Bibeldidaktiker Zvi Adar,7 dezidiert alle Bücher des Tanach, aber eben nicht die mündliche Tradition, ist ähnlich variabel wie die Hermeneutik und Methodik, mit denen sie gelesen, unterrichtet und gelernt wird. Weiterhin behält daher die Feststellung Schröders Geltung, nach der es „die jüdische Toradidaktik“ nicht gibt, „wohl aber eine Mehrzahl von Lesarten, deren Diskussion allerdings nicht disziplinär strukturiert ist: Eine Religionsdidaktik jüdischer Provenienz als Wissenschaftsdisziplin ist weder in Israel noch in den USA, geschweige denn in Europa greifbar.“8 Worin sich die verschiedenen Formen und Denominationen des Judentums von säkular bis orthodox jedoch in ihren Toradidaktiken gleichen, ist die zentrale und gemeinschafts- wie identitätsstiftende Stellung und Funktion, die sie darin der Tora als Gegenstand jüdischen Lernens und Lebens zuweisen. Ob als kulturelle „Identitätsurkunde“ bei Adar oder als Offenbarungsquelle Gottes in religiösen didaktischen Konzeptionen – in allen Fällen ist die Tora als Fundament jüdischen Selbstverständnisses adressiert oder impliziert. Kommunikation der Tora – wir gehen auf diesen Begriff im Folgenden noch ein (Abschnitt 1.1.3) – meint daher in all diesen unterschiedlichen Entwürfen immer und besonders auch die Weitergabe der Tora an die nachfolgenden Generationen und deren Subjektwerdung als Jüd:innen. Stets sind tradierende und sozialisierende Funktionen impliziert und miteinander verknüpft. Im Zusammenhang und für den Zweck der vorliegenden Untersuchung verstehe ich unter jüdischer Toradidaktik daher ein Feld heterogener, teils verknüpfter, teils unverbundener jüdischer (aber nicht notwendigerweise religiöser) Diskurse der Reflexion über das Lehren und Lernen der Tora. Bei aller Verschiedenheit der in entsprechenden Entwürfen jüdischer Toradidaktik zum Ausdruck gebrachten Toraverständnisse sowie der in ihnen entwickelten und 5
Vgl. für diese Diagnose B. SCHRÖDER, Toradidaktik, 129 und 125. Zur Toradidaktik von Nehama Leibowitz siehe unten Kapitel 5. 7 Zur Toradidaktik von Zvi Adar siehe unten Kapitel 6. 8 B. SCHRÖDER, Toradidaktik, 131. 6
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Kapitel 1: Einleitung
vorgeschlagenen hermeneutischen und methodischen Verfahren eint diese Diskurse die Frage nach geeigneten Formen der didaktischen Kommunikation der Tora. Als Reflexionsformen jüdischen Lernens und Lehrens lassen sie sich daher auch dem weiten Feld der Theorien jüdischer Erziehung zuordnen. Leuchtet trotz der großen Heterogenität und Verstreutheit toradidaktischer Diskurse der Begriff „Toradidaktik“ für den Bereich jüdischer Religionspädagogik immer noch unmittelbar ein, mag hingegen das Begriffspaar „christliche Toradidaktik“ Lesende auf den ersten Blick irritieren. Handelt es sich dabei nicht um ein Oxymoron, eine Verbindung zweier einander ausschließender Begriffe, genauer gesagt um den Spezialfall einer Contradictio in Adjecto, bei der durch die „Beifügung“ des Adjektivs „christlich“ dieses zum Begriff der „Toradidaktik“ in einen Widerspruch tritt? Gehört die Didaktik der Tora nicht einzig und allein zum Kernbestand jüdischer Religion? Ist sie nicht, wenn man so will, „geistliches Eigentum“ des Judentums und insofern ihre christliche bzw. evangelische Bestimmung und das damit einhergehende Anliegen einer „Re-integration der Tora“ in die christliche Bibeldidaktik eine Form der Enteignung oder Vereinnahmung? Für diese Sicht ließen sich mit Blick auf das christlich-jüdische Verhältnis interessanterweise Argumente aus zwei völlig gegensätzlichen Richtungen finden: Die eine – ich nenne sie in Bezug auf die christliche Auseinandersetzung mit dem Judentum „reaktionär“ – würde dafür plädieren, die Tora exklusiv zum Proprium des Judentums zu zählen, sie als ein Korpus zu begreifen, in dem und mit dem nur das Volk Israel, nicht aber die Christenheit angesprochen ist. Ihre didaktische Erschließung und Vermittlung könne daher keine Aufgabe christlicher Religionspädagogen und Theologinnen sein – oder eben nur zum Preis ihrer Enteignung gegenüber dem Judentum.9 Die andere Perspektive – in Bezug auf das christlich-jüdische Verhältnis hier „progressiv“ genannt – würde ihre Bedenken gegenüber einer „christlichen Toradidaktik“ ebenso mit den Gefahren einer Vereinnahmung begründen, jedoch aus dem umgekehrten 9 Dass solch ein Einwand kein Gedankenspiel sein muss, zeigt die Argumentation Notger Slenczkas, der seine Anfrage an die Bedeutung und Relevanz des Ersten Testaments für das Glaubensleben von Christ:innen ebenfalls darauf gründet, dass die Kanonisierung des Alten Testaments eine Vereinnahmung eines jüdischen Textes darstelle, und damit eine große Debatte auslöste. Zu Slenczkas Thesen vgl. die zu dem Thema von ihm inzwischen herausgegebene Monographie: NOTGER SLENCZKA, Vom Alten Testament und vom Neuen. Beiträge zur Neuvermessung ihres Verhältnisses, Leipzig 2017. In der Religionspädagogik wurde die Debatte jedoch kaum geführt. Drei Ausnahmen seien hier genannt: die Stellungnahme des GESAMTVERBANDS FÜR KINDERGOTTESDIENST IN DER EKD, Das Alte Testament im Kindergottesdienst, https://kindergottesdienst-ekd.de/wp-content/uploads/2020/12/DasATim Kindergottesdienst1.pdf (21.07.2022); HARALD SCHROETER-WITTKE, Außer Frage. Vom Alten Testament im Religionsunterricht, in: JK 77/1 (2016), 18f.; MICHAEL FRICKE, Bedeutung und Umgang mit dem Alten Testament in der Religionspädagogik, in: Markus Witte/Jan Gertz (Hg.), Hermeneutik des Alten Testaments (VWGTh 47), Leipzig 2017, 188–208.
1.1 Toradidaktik als Aufgabe christlicher Religionspädagogik
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Motiv heraus: Ihr wäre nicht an der Minimierung der Auseinandersetzung mit dem Judentum gelegen, sondern an einer Intensivierung des dialogischen Austauschs und Lernens. Der Dialog und das Lernen bedürften jedoch einer Vorgehensweise, die, eingedenk der bisherigen unheilvollen Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen, dezidiert nichtvereinnahmend und nichtanbiedernd der jüdischen Religion gegenüber gestaltet werden kann. Die vorliegende Arbeit geht in Anbetracht dieser potenziellen wie realen Einwände hingegen davon aus, dass eine christliche Toradidaktik aus einer evangelischen Perspektive nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist. Die didaktische wie theologische Nichtbeachtung der Tora, wie sie eine reaktionäre Perspektive für das jüdisch-christliche Verhältnis vorschlagen würde, lässt sich schon durch die zweifache Nachgeschichte dieses Korpus heiliger Schriften und Jesu Selbstverständnis als Jude und seine damit einhergehende Stellung zur Tora10 nicht schadensfrei begründen. Dass sich eine christliche Toradidaktik entwickeln lässt, die sich – wie es die progressive Perspektive fordert – selbstkritisch und respektvoll den jüdischen Lesarten und dem jüdischen Umgang mit diesem Gegenstand gegenüber verhält, möchte diese Arbeit zeigen. Sie baut dazu auf die Vorarbeiten des evangelischen Religionspädagogen Bernd Schröder auf, der den Begriff und das Programm einer „Toradidaktik“ im christlichen Kontext bereits 2015 mit einem gleichlautenden Zeitschriftenaufsatz in die religionspädagogische Debatte eingebracht hat.11 Schröder entwickelt in seinem Text differenziert und behutsam ein Verständnis davon, was „Toradidaktik“ aus evangelisch-religionspädagogischer Sicht meint und für das Fach zu leisten in der Lage wäre. Mit dem Begriff, so Schröder, wird „geltend [ge]macht, dass ein ganzes Corpus biblischer Texte, eben die Tora, unterrichtliche und didaktische Beachtung verdient“.12 Indem mit Tora ein Konzept jüdischer Theologie rezipiert wird, wird gleichsam eo ipso damit das Desiderat zur Geltung gebracht, Einsichten des jüdisch-christlichen Dialogs und den Austausch mit jüdischer Religionspädagogik und Bibeldidaktik religionspädagogisch fruchtbar zu machen.13
10 Vgl. dazu z.B. die Auslegung der Tora in der Bergpredigt, die nur innerhalb der zeitgenössischen jüdischen Diskurse zur Tora und Torainterpretation zu verstehen ist. Vgl. KLAUS WENGST, Das Regierungsprogramm des Himmelreiches. Eine Auslegung der Bergpredigt in ihrem jüdischen Kontext, Stuttgart 2010. 11 Vgl. B. SCHRÖDER, Toradidaktik; weitergeführt wurde das Konzept der Toradidaktik dann in DERS./MARIE HECKE, Art. Toradidaktik, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2019. Schröder hat wegweisende Forschung für eine Religionspädagogik im Angesicht des Judentums vorgelegt. Seine vielfältigen Veröffentlichungen in diesem Feld hat er 2023 in Buchform zusammengefasst: BERND SCHRÖDER, Religionspädagogik angesichts des Judentums (PThGG 39), Tübingen 2023. 12 B. SCHRÖDER, Toradiaktik, 126. 13 Vgl. B. SCHRÖDER/HECKE, Art. Toradidaktik, 1f.
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Kapitel 1: Einleitung
Denn unter dem Blickwinkel von Toradidaktik werden gleich mehrere markante Leerstellen auf verschiedenen Ebenen christlicher Religionspädagogik und insbesondere Bibeldidaktik deutlich:14 So findet erstens in der christlichen Bibeldidaktik schon das Alte Testament insgesamt traditionell sehr viel weniger Aufmerksamkeit als das Neue – von einer besonderen Achtsamkeit für die Tora (hier im Sinne der sog. fünf Bücher Mose) kann nicht die Rede sein. Zweitens findet in den Lehrplänen und didaktischen Konzeptionen häufig die jeweils dominante Hermeneutik des Alten Testaments und, damit verbunden, von „Israel“ (im Sinne des biblischen Gottesvolkes) bzw. des Judentums starken Widerhall. Diese Hermeneutik war in der Vergangenheit meist pejorativ und subordinatorisch geprägt. Mittlerweile stellt sich die Lage differenzierter und vielschichtiger dar – eine Hermeneutik, die die doppelte Interpretationsund Rezeptionsgeschichte der Tora in Judentum und Christentum berücksichtigt, ist, abgesehen von einzelnen positiven Ausnahmen, jedoch eine anhaltende Leerstelle in der christlichen Bibeldidaktik. Das bibeldidaktische Aufmerksamkeitsdefizit bezüglich der Tora spiegelt sich drittens in den Lehrplänen für das Schulfach Evangelische bzw. Katholische Religionslehre wider. So kommt Tora in den Kerncurricula, wie wir etwa für den evangelischen Religionsunterricht noch sehen werden, nur recht selten und selektiv vor. Ein Verständnis für die Eigenart und Rolle der Tora im Rahmen der Hebräischen Bibel, aber auch der jüdischen und christlichen Tradition wird kaum erarbeitet. Die Kollateraleffekte dieser Befunde sind exemplarisch in einer jüngst erschienenen Untersuchung zu antijüdischen Stereotypen im christlichen Religionsunterricht in Deutschland und Österreich erkennbar.15 Zwar wird die Tora bezüglich des Judentums meist positiv dargestellt, jedoch wird kaum nach ihrer Relevanz für christliche Theologie und Identität gefragt; es kommen sogar bei christlichen Identitätskonstruktionen in Bezug auf die Tora antithetische Wertungsmuster in Abgrenzung zum Judentum zum Tragen.16 Viertens ist eine fehlende Qualifizierung zukünftiger Lehrer:innen im Studium insbesondere bei jüdischchristlichen Lehrinhalten und interreligiöser Didaktik, aber auch im Feld der
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Vgl. hierzu und im Folgenden bereits die „Bestandsaufnahme“ bei B. SCHRÖDER/ HECKE, Art. Toradidaktik. Für eine ausführliche Analyse dieser Leerstellen vgl. unten Kapitel 3. 15 Vgl. dazu JULIA SPICHAL, Vorurteile gegen Juden im christlichen Religionsunterricht. Eine quantitative Inhaltsanalyse ausgewählter Lehrpläne und Schulbücher in Deutschland und Österreich (ARPäd 57), Göttingen 2015. 16 Vgl. a.a.O., 73. Zum Zusammenhang von Antisemitismus und christlichem Selbst- und Schriftverständnis und seiner Bedeutung für die außerschulische Bildungsarbeit vgl. MARIE HECKE/CHRISTIAN STAFFA, Die Wahrheit beginnt mit zwei. Die Bibel als Ausgangspunkt einer antisemitismuskritischen außerschulischen Bildungsarbeit der Kirchen, in: ZPT 73/2 (2021), 178–189.
1.1 Toradidaktik als Aufgabe christlicher Religionspädagogik
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Judaistik festzustellen.17 Schließlich spiegeln sich fünftens diese Lücken im allgemeinen religionspädagogischen Diskurs wider, in dem – von einzelnen Versuchen abgesehen – weder alttestamentliche Exegese noch jüdische (Religions-)Pädagogik verlässlich eine Rolle spielen. Schon diese kurze und im Weiteren (siehe Kap. 3) noch zu vertiefende Übersicht zur Stellung der Tora in der christlichen Religionspädagogik macht deutlich: Der Begriff der Toradidaktik bezeichnet ein religionsdidaktisches Desiderat und eine religionspädagogische Aufgabe zugleich.18 Von „Toradidaktik“ im christlichen Kontext zu sprechen, ist daher bis dato vor allem als eine (Selbst-)Aufforderung zu verstehen, neben dem Gespräch mit Exegese und Theologie des Alten Testaments über Dignität und Eigenart der Tora auch endlich einen engeren Austausch mit jüdischer Bibelauslegung und Bibeldidaktik zu suchen, ohne dabei die Bibelrezeption und -interessen von Schüler:innen aus dem Blick zu verlieren.19 Die vorliegende Studie greift vor diesem Hintergrund den Begriff und das Programm der „Toradidaktik“ von Schröder auf und vertieft beide in der intensiven Auseinandersetzung mit bibeldidaktischen Ansätzen und Konzeptionen jüdischer Autor:innen unterschiedlicher Strömungen und nationaler Kontexte. Ihr Anliegen ist es, mit der Tora eine aus christlicher Sicht zwar vielfältige, aber doch oft einseitig verkürzte, eine bekannte, aber doch meist missverstandene und verkannte, eine irgendwie vertraute, aber zugleich fremd anmutende Quelle religiöser Wirklichkeitserfahrung in den Mittelpunkt didaktischer Untersuchungen und Überlegungen zu stellen – sie also bekannter, vertrauter und relevanter für das christliche Bibelverständnis und die christliche Bibelvermittlung zu machen. Kurz: Es geht der Studie folglich um nicht mehr, aber auch nicht weniger als die (Re-)Integration der Tora in die christliche Religionspädagogik und insbesondere in die Bibeldidaktik. Zumindest auf den zweiten Blick muss eine „christliche Toradidaktik“ aus evangelischer Perspektive also weder in ihrer Bezeichnung noch in ihrer Unternehmung einen Widerspruch in sich bilden. Ihren Gegenstand selbst, und das 17 Vgl. etwa die Ergebnisse einer Erhebung aus dem Jahr 2016/2017, durchgeführt im Auftrag der AG Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag von MARIE HECKE/JULIA NIKOLAUS/BERND SCHRÖDER, Jüdisch-christlicher Dialog und das Studium der Evangelischen Theologie bzw. Religion in Deutschland – Ergebnisse einer Analyse der Studien- und Prüfungsordnung für das Pfarramts- und Lehramtsstudium in Bezug auf jüdische und/oder jüdisch-christliche Lehrinhalte, in: epd Dokumentation 21 (2017), 5–19. Ferner MARIE HECKE u.a., Jüdisch-christlicher Dialog und das Studium der Evangelischen Theologie bzw. Religion in Deutschland, in: KuI 32/2 (2017), 174–177; MARIE HECKE/ JULIA NIKOLAUS/BERND SCHRÖDER, Judentum und christlich-jüdischer Dialog in der theologischen Ausbildung in Deutschland, in: Johannes Ehmann u.a. (Hg.), „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“. Festschrift zum vierzigjährigen Bestehen von Studium in Israel e.V. (SKI N.F. 10), Leipzig 2018, 89–94. Vgl. auch unten Abschnitt 3.4. 18 So auch schon B. SCHRÖDER/HECKE, Art. Toradidaktik, 1. 19 Vgl. ebd.
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Kapitel 1: Einleitung
sei an dieser Stelle den Lesenden bereits verraten, zeichnet jedoch sicherlich eine gleichsam positive Widersprüchlichkeit aus: Die Tora ist, wie wir auch in dieser Studie sehen werden, ein in Material, Inhalt und Rezeption durchaus heterogenes, diverses und nicht zuletzt ambivalentes und ambiges Phänomen.20 Die Studie geht davon aus, dass sich diese innere Qualität ihres Gegenstands didaktisch fruchtbar machen lässt, indem sich durch sie Verständnis, Akzeptanz und Würdigung gesellschaftlicher Vielfalt und Komplexität sowie die Widersprüchlichkeit und Mehrdeutigkeit menschlichen (Zusammen-)Lebens vermitteln lassen. Toradidaktik, so die Annahme, kann etwa beitragen zum Erlernen einer Ambiguitätstoleranz21 im gesellschaftlichen Sein und im Umgang der Menschen miteinander.22 Sie kann Teil einer „Erziehung zur Zartheit“23 darstellen, gerichtet gegen Barbarei, Menschenverachtung und Unmündigkeit.24 Dieses lebensbejahende Ziel der Toradidaktik, so eine Einsicht dieser These, spiegelt sich schließlich in ihren didaktischen Mitteln selbst wider: Toradidaktik, nimmt man ihre jüdischen Konzeptionen und Entwürfe ernst und auf, kann nur einhergehen mit Freude, ja sogar Lust und Leidenschaft am Lehren und Lernen der Tora. 1.1.2 Die Tora im Zentrum jüdischer und christlicher Religionspädagogik Wer die 2020 eröffnete neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin besucht, bekommt die Stellung und den Stellenwert, den die Tora im jüdischen Leben und in der jüdischen Kultur seit jeher einnimmt, vor Augen geführt: Im religiösen wie im säkularen Judentum steht sie im Mittelpunkt, am Anfang und 20
Zur Definition von Tora in der Hebräischen Bibel, in jüdischer und in christlicher Tradition, vgl. Kapitel 2 der vorliegenden Studie. 21 Der Begriff der Ambiguitätstoleranz geht auf die Psychoanalytikerin und Psychologin Else Frenkel-Brunswik zurück. Sie untersuchte das Verhalten von Kindern gegenüber Autoritätspersonen und stellte vermehrt einen unterschiedlichen Umgang in Bezug auf ambige Phänomene bei ihren Eltern fest. Sie definierte Ambiguitätstoleranz dementsprechend als eine Fähigkeit, die Koexistenz von positiven und negativen Eigenschaften in ein und demselben Objekt wahrnehmen zu können. „Sie unterscheidet dabei zwischen dem psychoanalytischen Konzept der Ambivalenztoleranz und dem kognitiv ausgerichteten Konzept der Ambiguitätstoleranz“ (ANDREA BIELER, Ambiguitätstoleranz und empathische Imagination. Praktisch-theologische Erkundungen, in: Dies./Henning Wrogemann [Hg.], Was heißt hier Toleranz? Interdisziplinäre Zugänge [VKHW N.F. 15], Neukirchen-Vluyn 2014, 131–145, 136f.). Ambiguitätsintoleranz zeigt sich dagegen, laut Frenkel-Brunswik, in der Tendenz, zu Schwarz-Weiß-Einschätzungen und einfachen Lösungen und Konfliktsituationen zu gelangen. Vgl. dazu ELSE FRENKEL-BRUNSWIK, Intolerance of Ambiguity as an Emotional and Perceptual Personality Variable, in: JPer 18 (1949), 108–143. 22 Vgl. dazu die Begriffsklärung zur Tora in Kapitel 2. 23 ALBRECHT GRÖZINGER, Christliche Erziehung nach Auschwitz. Bemerkungen zu einigen Thesen der EKD-Bildungssynode, in: TPT 16/1 (1981), 106–116, 113. 24 Vgl. THEODOR W. ADORNO, Erziehung zur Entbarbarisierung, in: Ders., Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt am Main 1971, 120–132, 132.
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am Ende. Sie ist Ausgangs- und Zielpunkt gesellschaftlicher und individueller Ordnungs- bzw. Lebensentwürfe im Judentum. „Mit der Schriftrolle, der Tora“, so berichtete Yael Kupferberg dementsprechend in einer Rezension, ist der Auftakt der Ausstellung in Szene gesetzt – ihr wird der erste Raum zugesprochen. Die Schrift, so wird es den Besucher/innen vor Augen geführt, ist das Fundament des Judentums. Das Buch ist die unumstößliche Referenz jüdischen Lebens, das Gesetz und Geschichte gleichermaßen umfasst.25
Auch Cilly Kugelmann, leitende Kuratorin der neuen Dauerausstellung, beschrieb die Tora in einem Interview als das Zentrum des jüdischen Seins. Ohne diese Texte gibt es keine Juden und das Judentum. Und deshalb steht die Tora am Anfang und am Ende. Was nicht bedeutet, dass jeder Jude nach der Tora lebt. Aber es ist als historisches Buch auch ein zentrales Element im säkularen Judentum. 26
Diese Zentralität der Tora ist nicht nur kennzeichnend für jüdisches Leben, Kultur und Geschichte im Allgemeinen. Wie bereits erwähnt, ist sie besonders auch für den Bereich der jüdischen Religionspädagogik charakteristisch. Unabhängig von den jeweiligen religiösen bzw. säkularen Orientierungen steht auch hier die Tora stets im Mittelpunkt von didaktischen Überlegungen und Bemühungen, bildet sie Ausgangs- und Zielpunkt jüdischer Bildung und Erziehung. Für den Bereich der christlichen Religionspädagogik aus evangelischer Perspektive lässt sich eine Zentralität des Alten bzw. Ersten Testaments kaum behaupten. Schon von einer „Zentralität der Bibel“ in der christlichen Religionspädagogik zu sprechen, wäre empirisch nicht gedeckt. Hier mag bereits die Forderung, die Heilige Schrift (wieder) in den Mittelpunkt des Religionsunterrichts zu stellen, viele Akteur:innen überraschen; sie mutet manche vielleicht gar konservativ, biblizistisch oder gar reaktionär an.27 Die Zentralstellung der Bibel und besonders die der Tora innerhalb der christlichen Religionspädagogik bedeutet jedoch keineswegs „didaktische Restauration“, sondern verspricht vielmehr Reflexion und Innovation. Man könnte gleichsam von einer Bewegung ad fontes sprechen, wäre dieser Leitsatz historisch nicht so eng mit 25 YAEL KUPFERBERG, Jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland, Rezension, in: H-Soz-Kult vom 23.8.2020, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen369 (21.07.2022). 26 CARSTEN DIPPEL, Die Tora am Anfang, die Tora am Ende. Wiedereröffnung des Jüdischen Museums, Deutschlandfunk, Sendung vom 21.8.2020, https://www.deutschlandfunk. de/wiedereroeffnung-des-juedischen-museums-die-tora-am-anfang.886.de.html?dram: article_id=482745 (03.07.2022). 27 Und das, obwohl seit der Grundsatzfrage von Hans Bernhard Kaufmann, ob die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen sollte, die Bibel explizit nicht mehr das Zentrum des evangelischen Religionsunterrichts darstellt. Vgl. HANS BERNHARD KAUFMANN, Muß die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen? (1966), in: Ders. (Hg.), Streit um den problemorientierten Unterricht, Frankfurt am Main 1973, 23–27.
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Kapitel 1: Einleitung
einem Autor verbunden, der gerade so energisch für eine Abwertung, Aufgabe und gar „Zerstörung“ des „Alten Testaments“ plädiert hatte.28 Einen produktiveren, ebenfalls geschichtlichen Bezugspunkt für die (Rück-)Besinnung auf die biblischen Quellen innerhalb der Religionspädagogik bildet daher der jüdisch-christliche Dialog selbst: Die Umkehrbewegung nach 1945 im jüdischchristlichen Gespräch gewann ihre Überzeugungskraft aus einer Neuinterpretation zunächst der Paulusbriefe, insbesondere Röm 9–11, dann der Evangelien und schließlich aus einer Neudefinition des Verhältnisses von „Altem“ und „Neuem“ bzw. „Erstem“ und „Zweitem Testament“.29
28 Aus verschiedenen Briefen des Erasmus von Rotterdam der Jahre 1517 bzw. 1518 zitiert nach DAVID PRINCE, Johannes Reuchlin and the Campaign to Destroy Jewish Books, Oxford 2011, 7 bzw. 179: „I would prefer […] that the whole Old Testament be destroyed rather than that the peace of Christendom be broken on account of the books of the Jews.“ Und: „If only the church of Christians did not attach so much importance to the Old Testament! It is a thing of shadows, given us for a time; and now it is almost preferred to the literature of Christianity.“ 29 Mit der Frage nach der Bezeichnung der Teile der christlichen Bibel befindet man sich umgehend mitten in der Diskussion sowohl um das Verhältnis und den Stellenwert der Teile je einzeln und ihr Verhältnis zueinander. Der Alttestamentler Erich Zenger begibt sich auch auf die Suche nach einer neuen Bezeichnung für das „Alte Testament“, da diese Begrifflichkeit das Missverständnis transportieren könne, dass das „Alte Testament“ veraltet und überholt sei und von vielen Jüd:innen als diskriminierend empfunden werden könnte. Historisch stammt der Begriff „Altes Testament“ aus dem 2. Jahrhundert und somit aus der Zeit der Absetzung des Christentums vom Judentum. Für Zenger stellt sich auch der in jüdischchristlichen Kreisen verbreitete Begriff der „Hebräischen Bibel“ als problematisch dar, da dieser die Tradition der Septuaginta, und damit auch Teile des katholischen Kanons, verschweige und nicht die Kontinuität zum „Neuen Testament“ ausdrücke. Zenger selber schlägt den Begriff des „Ersten Testaments“ für die christliche Theologie vor. Er vermeide die traditionelle Abwertung, die dem Begriff „Altes Testament“ innewohne, und drücke gleichzeitig die konstitutive Bedeutung des „Ersten Testaments“ als Fundament des „Zweiten Testaments“ aus. Gleichzeitig ist auch dieser Begriff nicht unproblematisch, da ein „Zweites Testament“ im juristischen Sinne immer ein „Erstes Testament“ außer Kraft setzt. Für den Begriff des Alten Testaments kann man wiederum anbringen, dass alt im Sinne von ehrwürdig verstanden werden könne. In den religionspädagogischen Diskurs ist die Debatte um den Begriff des Alten Testaments/der Hebräischen Bibel/des Zweiten Testaments, wenn überhaupt, bis jetzt nur sehr partiell eingeflossen (vgl. FRICKE, Bedeutung, 193). Eine positive Ausnahme bildet hier etwa Schröder, der den Begriff des Alten Testaments problematisiert, indem er vom „sogenannten“ Alten Testament spricht (vgl. B. SCHRÖDER, Toradidaktik). Um sowohl die Problematik auf der einen als auch die Vorteile auf der anderen Seite von jedem dieser Begriffe deutlich zu machen, werde ich in der vorliegenden Studie sowohl die Formulierung Altes Testament als auch die des Ersten Testaments, als auch die der Hebräischen Bibel verwenden, da meiner Meinung nach allen Begriffen Vor- und eben auch Nachteile innewohnen. Vgl. hierzu FRICKE, Bedeutung, 188–208; ERICH ZENGER, Das Erste Testament. Die jüdische Bibel und die Christen (Topos Taschenbücher 760), Kevelaer 4 2011, bes. 144–154.
1.1 Toradidaktik als Aufgabe christlicher Religionspädagogik
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Die Erfahrungen und Erkenntnisse, die seither im jüdisch-christlichen Dialog gemacht und gewonnen wurden, zeigen, dass gerade diese Verhältnisbestimmung der beiden Testamente das Verhältnis von Christentum zu Judentum insgesamt entscheidet.30 Sie ist für eine christliche Toradidaktik entsprechend konstitutiv: Toradidaktik als christliches Unterfangen muss ernst nehmen, dass die Tora sowohl das Zentrum des jüdischen Tanach und der rabbinischen Traditionsliteratur als auch die hermeneutische „Vor-Gabe“31 der beiden christlichen Testamente ist. Sie muss verstehen und darauf aufbauen, dass die Tora den Beginn der heiligen Schriften von Judentum und Christentum zugleich darstellt und in den beiden Religionen besagte „zweifache Nachgeschichte“ besitzt. Rendtorff hatte dafür plädiert, „die historische Tatsache, daß es [sc. das Erste Testament] eine doppelte Wirkungsgeschichte hat, eine jüdische und eine christliche, auch theologisch anzuerkennen“. Denn dies, so der Alttestamentler weiter, „würde die christliche Theologie freimachen von dem Versuch, die eigene Auslegungsgeschichte für kanonisch zu erklären, und es würde zugleich die Möglichkeit eröffnen zu einem Gespräch zwischen Juden und Christen über die gemeinsamen Grundlagen in der Hebräischen Bibel und deren heutige Relevanz im Lichte der je verschiedenen Auslegungs- und Wirkungsgeschichte“.32 Die vorliegende Studie möchte mithelfen, diese „Möglichkeiten“ des jüdisch-christlichen Gesprächs zu eröffnen, indem sie didaktische Dimensionen und Implikationen der „doppelten Wirkungsgeschichte“ der Tora in den beiden Religionen vergleichend in den Blick nimmt. Sie (an)erkennt damit eine fundamentale Vor-Gegebenheit der Tora für das Christentum. In ihrer zweifachen Interpretations- und Wirkungsgeschichte ist die Tora, so könnte man in Anlehnung an Peter von der Osten-Sacken formulieren, der Christin, wie das „christlich-jüdische Verhältnis“ insgesamt, „einfach mit dem Christ[in]sein gegeben“.33 Es ist entsprechend ihre Verantwortung, mit dieser Vor-Gabe in Achtung, Respekt und Verantwortung für die komplexe und oft von Gewalt 30 Vgl. dazu FRANK CRÜSEMANN, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen. Die neue Sicht der christlichen Bibel, Gütersloh 2011, 16–78. Dort geht er den bisher wirksam gewordenen Verhältnisbestimmungen von Altem und Neuem Testament seit Marcion nach, die selbst bei seltener Anerkennung des Alten Testaments als eigenständiger und wichtiger Offenbarungsquelle, wie etwa bei Bonhoeffer, immer noch die Überlegenheit des Neuen Testaments konstatieren. 31 ERICH ZENGER, Der Pentateuch als Tora und als Kanon, in: Ders. (Hg.), Die Tora als Kanon für Juden und Christen (HBS 10), Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1996, 5–34, 7. 32 ROLF RENDTORFF, Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1991, 62f. (Hervorhebung MH). 33 Eigentlich: „Dem christlich-jüdischen Dialog kann man sich als Christ relativ leicht entziehen, dem christlich-jüdischen Verhältnis nicht. […] es ist einfach mit dem Christsein gegeben“ (PETER VON DER OSTEN-SACKEN, Zum gegenwärtigen Stand des jüdischchristlichen Dialogs und seinen Perspektiven, in: Rainer Kampling/Michael Weinrich [Hg.], Dabru emet – redet Wahrheit, Gütersloh 2003, 206–218, 206).
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Kapitel 1: Einleitung
und Missachtung geprägte interreligiöse Beziehung umzugehen. Eine christliche Toradidaktik kann daher nur im Austausch mit der Vielfalt jüdischer Toradiaktik entwickelt werden. Sie setzt dabei Respekt, ehrliches Interesse und wirkliche Lernbereitschaft gegenüber jüdischen Les- und Vermittlungsarten voraus sowie die Offenheit, entgegen lang gepflegten Traditionen und Vorurteilen der Tora einen größeren und entscheidenderen Stellenwert in der christlichen Religionspädagogik einzuräumen. 1.1.3 Toradidaktik als „Kommunikation der Tora“ Eingangs wurde bereits von der Toradidaktik als „Kommunikation der Tora“ gesprochen. Dieser Begriff weist nicht zufällig Ähnlichkeit mit einem zentralen Leitbegriff christlicher Religionspädagogik34 und der Praktischen Theologie insgesamt35 auf: der Kommunikation des Evangeliums. Aus verschiedenen Gründen möchte ich vorschlagen, diesen religionspädagogischen Leitbegriff auf das Feld zunächst der christlichen Toradidaktik zu übertragen bzw. fruchtbar zu machen. Ansetzend zunächst beim Kommunikationsbegriff, spricht hierfür: 1) Jegliche Didaktik, ob jüdisch oder christlich, ob religiös oder säkular, vollzieht sich im Medium von Kommunikation: Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Lerngegenstand und Lernumfeld: in multiplen Konstellationen. Der Begriff der „Kommunikation des Evangeliums“ war daher auch in erster Linie vor dem Hintergrund des interdisziplinären Austausches entstanden, der Bezugnahme insbesondere der Praktischen Theologie und Religionspädagogik auf die Erfahrungs- und Humanwissenschaften. Mit der Ausweitung auf das Feld der Toradidaktik kann das interdisziplinäre Gespräch zugleich zu einem interreligiösen werden. Auch wenn Toradidaktik jüdischerseits disziplinär wenig integriert und christlicherseits bisher nur in Ansätzen bzw. Intentionen vorhanden ist, mag die Kommunikation der Tora als Gesprächsgrundlage über verschiedene Vermittlungsweisen und -inhalte von Tora und als Vergleichsgesichtspunkt zwischen ihnen dienen. 2) Kommunikation als Vergleichsgesichtspunkt führt also nicht nur formale Gleichheit und Gemeinsamkeiten, sondern auch inhaltliche und methodische Unterschiede jüdischer und christlicher Didaktiken der Tora vor 34
BERND SCHRÖDER, Religionspädagogik (NTG), Tübingen 2012, 10–12. Der Begriff Kommunikation des Evangeliums geht wörtlich auf den Berliner Praktischen Theologen Ernst Lange zurück. Der Begriff wurde von Christian Grethlein unter Bezugnahme auf Ernst Lange als Leitbegriff in die Praktische Theologie eingebracht. Vgl. CHRISTIAN GRETHLEIN, Kommunikation des Evangeliums in der Mediengesellschaft (ThLZ.F 10), Leipzig 2003; DERS., Kirchentheorie. Kommunikation des Evangeliums, Berlin 2018; MICHAEL DOMSGEN/BERND SCHRÖDER (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie (APrTh 57), Leipzig 2014. 35
1.1 Toradidaktik als Aufgabe christlicher Religionspädagogik
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Augen: So stellt, wie bereits erwähnt, die Tora das Zentrum des Judentums von säkular bis orthodox dar. Ihre Kommunikation ist eng verknüpft mit dem Ziel ihrer Tradierung: ihrer Weitergabe an die nachfolgenden Generationen. Christlicherseits zielt eine Kommunikation der Tora zunächst einmal auf die (Re-)Integration der Tora in die christliche Religionspädagogik, meines Erachtens als Fragment christlicher Identität (vgl. unten Abschnitt 12.1), und macht das jüdisch-christliche Verhältnis theologisch explizit. Vollzieht sich ferner jüdische Toradidaktik, wie wir sehen werden, vor allem in den Modi des Lesens, Fragens und Tuns, so steht für eine christliche Toradidaktik die Entwicklung und Explikation geeigneter didaktischer Modi des Lehrens und Lernens weitgehend noch aus. 36 3) Der Kommunikationsbegriff verweist schließlich auf die grundlegende Unverfügbarkeit, damit aber zugleich auch auf die grundsätzliche Gestaltungsbedürftigkeit37 jeglicher didaktischer Vermittlungsprozesse. Ihre Unverfügbarkeit liegt schon in der Dynamik, Ergebnisoffenheit und Dialogizität von jeglichen kommunikativen Prozessen begründet, wurzelt aber auch in ihrem Gegenstand selbst: der Tora. In ihrer Gestaltungsbedürftigkeit bedarf die Kommunikation der Tora einer Toradidaktik, die aussagefähig zu Rahmenbedingungen, Gestalt und Form der Vermittlung von Tora ist. Kommunikation der Tora, analog zu der des Evangeliums,38 sollte dabei idealerweise ohne Zwang und Manipulation, wohl aber mit Grund und Ziel erfolgen. Grund und Ziel der Kommunikation der Tora ist – auch und besonders in ihrer christlichen Form – vor allen Dingen Beziehung zum Gott Israels und zum Volk Israel zu ermöglichen und zu stiften, in ihrem Reichtum der Vorgaben und Vor-Gabe der Tora Orientierung im Leben zu finden. Auch christlicherseits kann sie damit, religionspädagogisch gesprochen, wie die Kommunikation des Evangeliums39 einen Beitrag zur Subjektwerdung leisten. Jenseits des Kommunikationsbegriffs selbst verdeutlicht eine Analogisierung der Zentralbegriffe „Tora“ und „Evangelium“ auf christlicher Seite die Konkretion der Forderung nach (Re-)Integration der Tora in die christliche Theologie. Impliziert sie doch, dass das Evangelium Teil von Tora und die Tora Teil ist des Evangeliums. Mit dem Begriff Evangelium ist traditionell das „christliche Wirklichkeitsverständnis“40 aufgerufen. „Dieses Wirklichkeitsverständnis verdankt sich“ aber, wie Schröder expliziert, 36
Einen Vorschlag über wesentliche Grundbedingungen sowie Grundelemente einer christlichen Didaktik der Tora bietet Kapitel 13. 37 Vgl. für die „Kommunikation des Evangeliums“ B. SCHRÖDER, Religionspädagogik, 11. 38 Vgl. hierfür erneut B. SCHRÖDER, ebd. 39 Vgl. noch einmal B. SCHRÖDER, a.a.O., 12. 40 Für den Begriff des Wirklichkeitsverständnisses vgl. WILFRIED HÄRLE, Dogmatik, Berlin/New York 42012, Hauptteil II.
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Kapitel 1: Einleitung
wesentlich der Botschaft Jesu von Nazareth und der Verkündigung seiner Auferweckung als der guten Nachricht. Der Umstand, dass Jesus Jude war und in den Traditionen des jüdischen Volkes gelebt hat, dass zudem die Anfänge christlicher Verkündigung auf Judenchristen wie Paulus zurückgehen, verbindet dieses Wirklichkeitsverständnis historisch wie strukturell mit dem Judentum. 41
Die Botschaft des Evangeliums ist auf die Tora also konstitutiv ver- und angewiesen: Sie braucht, so kann man mit Crüsemann formulieren, den „Wahrheitsraum“ der Tora.42 Die Tora ist mithin hermeneutische Vor-Gabe der Botschaft des Evangeliums, während das Evangelium wiederum Teil der mehrfachen Nachgeschichte der Tora darstellt. Das Evangelium ist durch das Judesein Jesu historisch wie strukturell auch an die Tora gebunden. Die Kommunikation der Tora im christlichen Kontext ist daher immer auch Kommunikation des Evangeliums. Die Kommunikation des Evangeliums sollte im christlichen Kontext immer auch Kommunikation der Tora bedeuten. In seiner hier skizzierten Mehrdimensionalität und Bedeutungsvielfalt eignet sich der Begriff der Kommunikation der Tora meines Erachtens daher als Leitbegriff und übergeordnetes Ziel von Toradidaktik im christlichen Kontext wie auch im religionspädagogischen jüdisch-christlichen Gespräch.
1.2 Methodik der Studie: Bibeldidaktischer Vergleich in lernender Absicht 1.2 Methodik der Studie: Bibeldidaktischer Vergleich in lernender Absicht
Die vorliegende Studie will jüdische Bibeldidaktik kennenlernen, an ihr und von ihr lernen. Sie wählt daher methodisch einen religionsvergleichenden Zugang, informiert und ergänzt durch Einsichten der Komparativen und der Interreligiösen Theologie, mit dem Ziel des interreligiösen Lernens.43 Beide Gebiete, die Komparative wie die Interreligiöse Theologie, bieten wichtige Erkenntnisse und Methoden auch für den religionspädagogischen Vergleich, sind aber für das jüdisch-christliche Verhältnis wenig expliziert und reflektiert. 41
B. SCHRÖDER, Religionspädagogik, 10f. Vgl. CRÜSEMANN, Wahrheitsraum. 43 Wegweisend und maßgeblich für die religionspädagogisch-vergleichende Forschung, gerade im christlich-jüdischen Verhältnis, ist die Studie von BERND SCHRÖDER, Jüdische Erziehung im modernen Israel. Eine Studie zur Grundlegung Vergleichender Religionspädagogik (APrTh 18), Leipzig 2000, 22–43. Siehe dazu auch DERS., Vergleichende historische Religionspädagogik – methodologische Überlegungen, in: ZPT 68/2 (2016), 238–251 und DERS., Religionspädagogik, 363–423. Für die Komparative Theologie vgl. vor allem KLAUS VON STOSCH, Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen (Beiträge zur Komparativen Theologie 6), Paderborn u.a. 2012; für die interkulturelle Theologie insbesondere HENNING WROGEMANN, Interkulturelle Theologie und Hermeneutik. Grundfragen, aktuelle Beispiele, theoretische Perspektiven (Lehrbuch Interkulturelle Theologie/Missionswissenschaft 1), Gütersloh 2012. 42
1.2 Methodik der Studie: Bibeldidaktischer Vergleich in lernender Absicht
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Die Studie nutzt diese Ansätze daher nicht nur an einem vergleichsweise neuen und seltenen Gegenstand, sondern diskutiert und erprobt sie. Anschließend an eine Unterscheidung verschiedener Funktionen und Formen religionspädagogischen Vergleichens legt diese Studie einerseits einen Schwerpunkt auf informativ-pluralitätssensibilisierende und innovativ-inspirative Dimensionen komparativer Verfahren.44 Beide kommen dem Anliegen der Studie, jüdische Toradidaktik in ihrer historischen Entwicklung, ihren vielfältigen Formen und Kontexten anhand ausgewählter, aber repräsentativer Ansätze genauer zu erkunden und zu rekonstruieren sowie diese dann in ihrer Bedeutung für die christliche Bibeldidaktik hin zu befragen, am besten entgegen. In Bezug auf die Formenvarianten des Vergleichs wählt die Studie andererseits das Design eines impliziten Vergleichs. Während bei seiner Alternative, dem „expliziten Vergleich“, „beide (bzw. alle) Vergleichsgrößen ausdrücklich und gleichgewichtig dargestellt und zueinander in Beziehung gesetzt“ werden, bleibt „im Falle des impliziten Vergleichs […] der Herkunftskontext des Forschenden ohne ausführliche Aufarbeitung, gleichwohl werden ausgewählte Sachverhalte des Herkunftskontextes zum elaborierten Gegenüber in Beziehung gesetzt“.45 So auch in der vorliegenden Studie: Sie formuliert zwar im ersten und letzten Teil der Studie (I und III) gleichsam Ausgangslage und Zielvorstellungen christlicher Bibel- bzw. Toradidaktik, legt aber den Schwerpunkt (Teil II) auf die Exploration und Rekonstruktion – wiederum, aber hier intrareligiös vergleichend – jüdischer Konzeptionen von Toradidaktik, um diese danach problemgeleitet für den christlichen Zusammenhang zu diskutieren und zu rezipieren. Hauptgegenstand des impliziten Vergleichs bilden daher ausgewählte toradidaktische Entwürfe aus der zweiten Hälfte des 20. und dem 21. Jahrhundert, aus unterschiedlichen Strömungen des Judentums und unterschiedlichen nationalen Kontexten: Abgebildet werden dabei jüdische Toradidaktiken religiöser Denominationen von orthodox (Nehama Leibowitz und Daniel Krochmalnik) über konservativ (Barry W. Holtz und Hanna Liss/Bruno Landthaler) bis säkular (Zvi Adar). Mit Israel (Leibowitz und Adar), den USA (Holtz) und Deutschland (Krochmalnik und Liss/Landthaler) werden die drei für den bestehenden Diskussionszusammenhang relevantesten nationalen Kontexte beschrieben. Beim verwendeten und ausgewerteten Material handelt es sich um wesentliche Primärliteratur von und einschlägige Sekundärliteratur zu den genannten toradidaktischen Autor:innen. Sie umfassen Publikationen in verschiedenartigen Zeitschriften, Sammelbänden und in Form von Monografien. 44
Für die sechs Funktionen der Vergleichenden Religionspädagogik vgl. BERND SCHRÖArt. Religionspädagogik, komparative, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2016. Zuerst benannt bei B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 37ff. 45 B. SCHRÖDER, Art. Religionspädagogik, komparative, 6. DER,
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Kapitel 1: Einleitung
Sie lagen zum größeren Teil in hebräischer, englischer oder deutscher Originalsprache, zum kleineren Teil in verschiedensprachigen Übersetzungen vor. Zugriff auf das Untersuchungsmaterial konnte die Studie über verschiedene deutsche und internationale Bibliotheken gewinnen. Ein Großteil der hebräischen und israelbezogenen Literatur konnte durch einen längeren Aufenthalt an der israelischen Nationalbibliothek und an der Bibliothek des Melton Center for Jewish Education der Hebräischen Universität in Jerusalem eingesehen werden. Mit der vorliegenden Studie wird daher manche toradidaktische Literatur jüdischer Provenienz, zumindest indirekt, einer deutschsprachigen Leser:innenschaft zum ersten Mal zugänglich gemacht.46 Als wesentlichen und sie mehrfach gliedernden Vergleichsgesichtspunkt jüdischer und christlicher Toradidaktik greift die Studie auf einen „alten Bekannten“ religions- wie allgemeindidaktischer Forschung zurück: das sogenannte „didaktische Viereck“. Das Viereck mit seinen vier Dimensionen – den Lernenden und Lehrenden, dem Gegenstand und der Lebenswelt – zum Tertium Comparationis der folgenden inter- wie innereligiösen Vergleiche zu machen, hat mehrere Vorteile: Es erfasst erstens wesentliche Dimensionen der Toradidaktiken und nimmt dabei ernst, dass es bei der Toradidaktik um die Entwicklung einer Didaktik geht: Gerade eine Toradidaktik darf sowohl Bibelrezeption und -interesse als auch die Fragen und die Lebenswelt von Lernenden und Lehrenden nicht aus dem Blick verlieren, sondern muss hingegen diese explizit zu ihrem Thema machen und sich an ihnen messen lassen.47 Dies gilt insbesondere, da sie beabsichtigt, mit der Tora einen sperrigen und vermeintlich abständigen, den Schüler:innen in Form und teilweise auch Inhalt fremden Gegenstand bewusst und wissentlich in den Mittelpunkt des Religionsunterrichts zu stellen. Hier gilt es daher, eine Lücke zwischen den Erkenntnissen des jüdisch-christlichen Dialogs auf der einen und der didaktischen Umsetzung derselben auf der anderen Seite zu bearbeiten. Denn, so Bernd Schröder,
46
Vgl. zur Frage und zum Problem der Zugänglichkeit jüdischer Toradidaktik aus christlicher, zumal deutschsprachiger Sicht bereits B. SCHRÖDER, Toradidaktik, 130: „Während gelehrte Kommentierungen der Tora aus jüdischer Perspektive leicht zugänglich sind, verhält es sich mit didaktischen Reflexionen anders: In deutscher oder englischer Sprache liegt keine elaborierte Toradidaktik vor; auch in hebräischer Sprache sind konzeptionelle Äußerungen selten und schwer zugänglich.“ 47 Zumal der Religionsunterricht ohnehin mit dem schwindenden Interesse an und Kenntnissen von der Bibel bei Schüler:innen konfrontiert ist. Vgl. dazu MICHAEL LANDGRAF, Biblische Inhalte im Religionsunterricht. Überlegungen zu einem neuen Bibelcurriculum, in: Karin Finsterbusch (Hg.), Bibel nach Plan? Biblische Theologie und schulischer Religionsunterricht, Göttingen 2007, 155–173; JOACHIM THEIS, Art. Einstellungen zur Bibel, von Jugendlichen, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2017.
1.3 Aufbau und Gedankengang der Studie
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[d]ie didaktische Frage nach einem Religionsunterricht, der Judentum wie christlichjüdisches Verhältnis sachlich angemessen, schülerorientiert und abwechslungsreich in der Wahl seiner Lernarrangements (bis hin zur „Kooperation“ mit jüdischem Religionsunterricht) erschließt, bleibt drängend.48
Das didaktische Viereck ermöglicht zweitens sowohl die systematischvergleichende Inbeziehungsetzung der unterschiedlichen toradidaktischen Entwürfe jüdischer Provenienz (innerreligiöser Vergleich), wie es auch die Aufmerksamkeits- und Diskussionskriterien für die Inbeziehungsetzung der Ergebnisse mit dem Feld christlicher Bibeldidaktik (interreligiöser Vergleich) formuliert. Nicht zuletzt ist mit den vier Dimensionen ein Abstraktions- und Allgemeinheitsgrad des Vierecks erreicht, der vor einer zu starken Vorgeprägtheit der eigenen, letztlich vergleichenden Perspektive bewahren mag. Dafür spricht, dass auch jüdischerseits das Unterrichts- bzw. didaktische Viereck bereits für religionspädagogische Forschung angewandt worden ist.49
1.3 Aufbau und Gedankengang der Studie 1.3 Aufbau und Gedankengang der Studie
Aus den bisher skizzierten Aufgaben und Zielen einer Studie zu Toradidaktik, christlicher- und jüdischerseits, ergibt sich ein dreiteiliger Aufbau: Zunächst sollen in den Prolegomena (Teil I) einleitende, vor allem begriffliche Fragen geklärt, der relevante Forschungsstand aufgearbeitet sowie die methodischen Weichenstellungen der empirischen Untersuchung vorgenommen werden. Hierfür erfolgt zuerst eine Begriffsklärung des Phänomens der Tora (Kapitel 2) in der Hebräischen Bibel und in der jüdischen und christlichen Tradition. Dabei wird die Tora als ein ambiges, diverses Phänomen in den unterschiedlichen Traditionen dargestellt und in ihrer facettenreichen Vielfalt erschlossen. Daran anschließend bietet der Forschungsüberblick eine Bestandsaufnahme der Tora in der christlichen Religionspädagogik und der damit einhergehenden Leerstellen (Kapitel 3): Auf welche Art und Weise wird die Tora in der christlichen Bibeldidaktik rezipiert? Welche Hermeneutik ist hier federführend? Welche Rolle spielt die Tora in den Lehrplänen für die Grundschule und für die Sekundarstufen I und II? Welche Rolle spielen jüdisch und/ oder jüdisch-christliche Lehrinhalte in der Ausbildung von zukünftigen Lehrkräften? Und: In welchem Verhältnis stehen der jüdisch-christliche Dialog und christliche Religionspädagogik zueinander? Darauf folgt die Darstellung der methodischen Rahmung der Studie durch die Vergleichende Religionspädagogik (Kapitel 4). Hierfür stelle ich als Impulse die Funktionen der 48 BERND SCHRÖDER, Julia Spichal. Vorurteile gegen Juden im christlichen Religionsunterricht, in: ThLZ 141/5 (2017), 572–574, 574. 49 Vgl. dazu unten Abschnitt 4.5 „Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis“.
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Kapitel 1: Einleitung
Vergleichenden Religionspädagogik, als Rahmen die Methodik der Komparativen Theologie, die wiederum durch die Arbeitsweisen und Grundsätze des jüdisch-christlichen Dialogs gespiegelt werden muss, sowie den Zugang zum Material als dichtes und detektivisches Lesen dar. Der zweite Teil der Studie (II) steht im Zeichen der Exploration und Rekonstruktion jüdischer Didaktiken der Tora. Dieser Teil beginnt mit einer Hinführung, in der die Darstellung der jüdischen Toradidaktiken durch das unterrichtsdidaktische Viereck als Tertium Comparationis erläutert wird. Darauf folgt die exemplarische Darstellung der bibeldidaktischen Entwürfe aus unterschiedlichen Ländern und Strömungen des Judentums. Diese werden chronologisch anhand des Entstehungszeitpunktes dargestellt. Begonnen wird mit Nehama Leibowitz (Kapitel 5) und Zvi Adar (Kapitel 6), zwei israelischen Entwürfen, wobei der erste in der Strömung und Tradition des modernorthodoxen, der zweite in der des säkularen Judentums wurzelt. Beide sind nach der Staatsgründung Israels entstanden und bis heute für Tanachunterricht in Israel und darüber hinaus prägend. Darauf folgt die Darstellung einer USamerikanischen Bibeldidaktik konservativer Prägung von Barry W. Holtz (Kapitel 7). Daran schließen sich mit Daniel Krochmalnik (Kapitel 8) und Hanna Liss/Bruno Landthaler (Kapitel 9) zwei Konzepte aus dem deutschsprachigen Raum an, die im 21. Jahrhundert entwickelt wurden. Die Darstellung der toradidaktischen Konzeptionen erfolgt stets innerhalb und mittels des unterrichtsdidaktischen Vierecks von Lehrenden und Lernenden, Text und Lebenswirklichkeit. In die unterschiedlichen toradidaktischen Entwürfe wird zu Beginn eines jeden Kapitels durch eine Kontextualisierung und durch biografische Notizen zu den entsprechenden Autor:innen kurz eingeführt. Am Ende jedes Kapitels werden die Entwürfe zusammenfassend kritisch gewürdigt und auf ihre christlichen Rezeptionsmöglichkeiten hin befragt. Abschließend (Kapitel 10) werden die gewonnenen Ergebnisse systematisiert, um zunächst innerhalb einer vergleichenden Systematisierung Gemeinsamkeiten und Unterschiede der toradidaktischen Ansätze darzustellen; schließlich werden Modi und Funktionen jüdischer Bibeldidaktik rekonstruiert, die sich in allen Entwürfen, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung finden. Der dritte und letzte Teil der Studie (III) widmet sich dann wiederum der Frage nach einer christlichen Didaktik der Tora, indem er gleichsam Bedingungen und Möglichkeiten der Rezeption jüdischer Toradidaktik in der christlichen Bibeldidaktik diskutiert. Hierfür werden zunächst in einer weiteren Hinführung (Kapitel 11) generellere Vorbehalte und Möglichkeiten der Rezeption jüdischer Toradidaktiken erläutert. Daran anschließend werden Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen einer christlichen Toradidaktik skizziert (Kapitel 12): Wie kann und sollte Tora innerhalb einer christlichen Bibeldidaktik verstanden werden? Welche biblische Hermeneutik wird der doppelten Nachgeschichte der Tora in Judentum und Christentum gerecht? Schließlich erfolgt mit den Elementaria christlicher Toradidaktik (Kapitel 13)
1.3 Aufbau und Gedankengang der Studie
19
der Vorschlag einer christlichen Toradidaktik entlang den vier Dimensionen des didaktischen Vierecks: dem Text, den Lernenden, den Lehrenden und der Lebenswelt. Abgerundet wird dies durch einen praxisbezogenen Ausblick christlicher Toradidaktik: eine hoffnungsvolle „Fantasie der Praxis“ (Abschnitt 13.5). Die Studie schließt mit einem Fazit und Ausblick zur Gegenwart und möglichen Zukunft, zum Eigenwert, aber auch zum wechselseitigen Mehrwert von Toradidaktik jüdischer und christlicher Prägung (Kapitel 14).
Teil I
Prolegomena
Kapitel 2
Begriffsklärung: Tora Die Beschäftigung mit einer Didaktik der Tora setzt die Klärung des vielschichtigen und vielfältigen Begriffs Tora voraus, der sowohl in der jüdischen Tradition (2.2) als auch in der christlichen Rezeption (2.3), also im Neuen Testament und in der christlichen Tradition, mehrdeutig ist. Davon ist der Bedeutungskontext von Tora zu unterscheiden, der durch die Hebräische Bibel selbst gegeben ist (2.1). Alle drei Kontexte sind hier zu skizzieren und dann abschließend in Bezug auf eine Toradidaktik hin zu fokussieren.
2.1 Tora in der Hebräischen Bibel 2.1 Tora in der Hebräischen Bibel
2.1.1 Begriffsdefinition von Tora Der Begriff „Tora“ ist ein Schlüsselbegriff der Hebräischen Bibel. Das wird schon durch seine Verwendung illustriert.1 Er kommt 220mal in der Hebräischen Bibel vor. Dieser Zahl wird als Ergebnis einer systematischen Berechnung von 22×10 eine eigene inhaltliche Qualität zugeschrieben. Beide Zahlen, 22 als Entsprechung zum hebräischen Alphabet und die Zahl Zehn, sind „runde Zahlen“, die für Vollkommenheit und Totalität stehen. Tora wird von der hebräischen Wurzel jrh abgeleitet, das mit lehren, unterweisen, zeigen übersetzt werden kann und meist mit den Weg weisen/Weisung geben wiedergegeben wird. Dabei unterliegt das Bedeutungsspektrum von Tora in der hebräischen Bibel einem Wandel: Es bezeichnet zunächst „in der Alltagssprache der alttestamentlichen Zeit“, so der Alttestamentler Frank Crüsemann, „die Weisung der Mutter (Prov 1,8; 6,20; vgl 31,26) und des Vaters (4,1f.) an ihre Kinder, um sie in die Wege des Lebens einzuweisen und vor den Fallen des Todes zu warnen“.2 Von der alltäglichen Bedeutung her wird es zunächst Terminus technicus für die Weisung der Priester an die Laien (Dtn 4,8; Jer 18,18; Ez 7,26) und zugleich Bezeichnung für die Worte des Weisheitslehrers 1
Vgl. B. SCHRÖDER, Toradidaktik, 126f. FRANK CRÜSEMANN, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, München 1992, 7. Der Begriff beinhaltet aber schon in seinem alltäglichen Gebrauch, wie dann auch in den folgenden Verwendungen, „Information und Anweisung, Instruktion und Normsetzung, damit Zuspruch wie Anspruch, das Gebot genau wie die Geschichte der Zuwendung, der es entspringt“ (a.a.O., 7). 2
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Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
(Prov 7,2; 13,14) oder des Propheten (Jes 8,16.20; 30,9) an die Schüler:innen. Im Deuteronomium wird Tora dann zum Schlüsselbegriff „für den einen, umfassenden und schriftlich vorliegenden Willen Gottes (z.B. Dtn 4,44f.; 30,10; 31,9)“.3 Schon im Deuteronomium umfasst Tora sowohl Erzählung (Dtn 1,5)4 als auch Gebote und Gesetze (vgl. dazu auch Ps 78). Der Begriff Tora umschließt somit die beiden Seiten des einen Gotteswortes. Im Buch Nehemia ist Tora dann der Begriff für das Esra-Gesetz (z.B. Neh 8,1); ob es schon den gesamten Pentateuch5 oder nur Teile davon meint, ist umstritten. Dass mit Tora der ganze Pentateuch, also auch die erzählenden Passagen, bezeichnet wird, ist erst ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. eindeutig zu belegen.6 2.1.2 Die Vor-Gabe der Tora im Kanon Die Tora ist bei allen folgenden Unterschieden in der kanonischen Anordnung im Judentum und im Christentum der erste Schriftenkomplex der jeweils heiligen Schriften.7 Diese Vorrangstellung der Tora ist, so Zenger, „eine 3 A.a.O., 8. Siehe auch a.a.O., 238.245. Vgl. zur Tora im Deuteronomium GEORG FISCHER (Hg.), Deuteronomium – Tora für eine neue Generation (BZAR 17), Wiesbaden 2011. 4 Dtn 1,5: „Jenseits des Jordan im Lande Moab begann Mose diese Tora folgendermaßen darzulegen.“ Crüsemann interpretiert mit diesem Vers das Deuteronomium als Teil der Tora: „Mit dem letzten Wort (lemor) wird die ab v. 6 folgende Rede als Beginn der Tora bezeichnet. Damit ist der hier einsetzende und die ersten drei Kapitel des Deuteronomiums umfassende Geschichtsrückblick ganz eindeutig Teil der Tora selbst. Das gilt für den jetzigen Text ganz unabhängig davon, wie man sein Zustandekommen erklärt“ (CRÜSEMANN, Tora, 385). 5 Die Genese des Pentateuchs ist ein komplexer Prozess, der sich über mehrere Jahrhunderte hinzieht und dessen genauer Ablauf in der Pentateuchforschung umstritten ist. Für einen Überblick vgl. JAN CHRISTIAN GERTZ (Hg.), Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments, Göttingen 4 2010, 214–217.228–233.241–244.252–258.262–265.274–276.282–284. Einen prägnanten Überblick über die Entstehung der Tora bietet auch ERHARD BLUM, Die Entstehungsgeschichte der Mosetora. Fragestellungen und Tendenzen der neueren Forschung, in: ZPT 67/2 (2015), 163–178. Der zeitliche und historische Rahmen für den Abschluss des Pentateuchs lässt sich, so Crüsemann, so fassen: „Der Pentateuch muß zwischen dem Exil und dem Beginn der hellenistischen Zeit entstanden sein, also in der persischen Periode“ (CRÜSEMANN, Tora, 386). Terminus post quem wäre demnach das Exil, der Terminus ad quem ist schwerer zu fassen, müsste aber ins letzte Drittel des 4. Jahrhunderts fallen, also vor dem Beginn des Hellenismus liegen. 6 Vgl. Jub 30,12, was die Erzählung von Gen 34 als Teil der Tora betrachtet, und den Prolog zu Jesus Sirach. Für die Spätschichten des Ersten Testaments gilt noch immer die Formulierung Otto Eißfeldts: „Ob diese umfassendere Anwendung des Wortes schon im AT vorkommt, ist nicht sicher zu erkennen, da die hier in Betracht kommenden Stellen alle so verstanden werden können, daß sie nur die gesetzlichen Partien im Auge haben“ (OTTO EIẞFELDT, Einleitung in das Alte Testament, Tübingen 31964, 206; vgl. bes. CRÜSEMANN, Tora, 384). 7 Allerdings unterscheiden sich schon die Bezeichnungen der Tora wie der einzelnen Bücher: Die Tora besteht aus fünf Büchern, weshalb sie im Judentum auch als chamischa
2.1 Tora in der Hebräischen Bibel
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fundamentale hermeneutische Vor-Gabe“.8 Alle folgenden Schriften stehen unter dieser Vorgabe und müssen unter ihr gelesen und interpretiert werden. Der jüdische Kanon folgt im Tanach einem dreiteiligen Ordnungsschema. TaNaCh ist ein Kunstwort und eine Bezeichnung für den Kanon der Hebräischen Bibel, der sich aus ihren drei Teilen zusammensetzt: der Tora („Wiesung“), den Nebiim („Propheten“) und den Ketubim („Schriften“). Die Tora bildet das Fundament, auf das die anderen Teile bezogen sind bzw. um die sie in konzentrischen Kreisen angeordnet werden. Der jüdische Kanon des Tanach ist also torakonzentriert. So verweisen der Beginn und das Ende der Bücher jeweils auf die Tora: Die vorderen Propheten werden in Jos 1,8 mit „Das Buch der Tora soll nie aus deinem Mund weichen“ eingeleitet, und die hinteren Propheten werden in Mal 3,22 mit „Gedenke der Tora des Mose, meines Knechtes, dem ich geboten habe“ beendet. Die „Schriften“ setzen dann wiederum in Ps 1 mit „selig ist der Mensch, der nicht geht […], sondern dessen Lust ist in der Tora JHWHs“ ein. Beschlossen wird der Tanach mit dem KyrusEdikt, das für die Hoffnung auf eine Rückkehr nach Jerusalem und den Aufbau des Tempels steht, in 2 Chr 36,22f.9 Die Tora ist also das Buch für den Zweiten Tempel.10 Der christliche Kanon hingegen ordnet im Ersten Testament, dem hellenistischen Judentum folgend, die gattungsmäßig verwandten Bücher je zusammen.11 „Dadurch entsteht“, so Zenger, „insgesamt eine vierteilige, geschichtstheologische Struktur.“12 Ihr liegen die vier Blöcke: Pentateuch, Geschichtsbücher, poetische Bücher, Prophetenbücher zugrunde.13 Am Anfang steht, wie im Tanach, die Tora, die auch in der christlichen Bibel „die in der Schöpfung grundgelegte und über Israel zu allen Völkern kommende Ur-Offenbarung chumsche tora („Die fünf Fünftel der Tora“) bezeichnet wird. In den christlichen Bibelübersetzungen wird entweder die deutsche Form der griechischen Bezeichnung pentáteuchos („Fünfgefäß“, wobei mit „Gefäß“ die Behälter gemeint sind, in denen die Schriftrollen aufbewahrt wurden) oder die Bezeichnung „fünf Bücher Mose“ verwendet. Die einzelnen Bücher werden im Judentum je nach dem ersten Wort des jeweiligen Buches benannt: Bereschit (dt. „Im Anfang“), Schmot (dt. „Namen“), Wajikra (dt. „Und er rief“), Bemidbar (dt. „In der Wüste“) und Devarim (dt. „Worte“). Im Christentum haben sich die Bezeichnung 1.–5. Buch Mose oder die griechisch-lateinischen Bezeichnungen Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium durchgesetzt. 8 ZENGER, Pentateuch als Tora, 7. 9 Vgl. ERICH ZENGER u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 82012, 25–27. 10 Vgl. RÜDIGER LUX, Diaspora – Was bedeutet das im Alten Testament?, in: Ders., Ein Baum des Lebens. Studien zur Weisheit und Theologie im Alten Testament, hg. v. Angelika Berlejung und Raik Heckl (ORA 23), Tübingen 2017, 300–312. 11 Vgl. CHRISTOPH DOHMEN/GÜNTER STEMBERGER, Hermeneutik der jüdischen Bibel und des Alten Testaments (KStTh 1/2), Stuttgart 22019, 157–171. 12 ZENGER, Einleitung, 30. 13 Wobei die Anordnungen innerhalb der Prophetenbücher und der poetischen Bücher unterschiedlich sein können.
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Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
Gottes“14 darstellt. Zu einem Leben mit ihr sollen die folgenden Teile hinführen. Sie folgen dem Schema: Vergangenheit (Josua bis Ester als Darstellung der Geschichte Israels im Land), Gegenwart (Hiob bis Hohelied mit Lebensweisheiten) und Zukunft (Jesaja bis Maleachi mit ihrer jeweiligen Prophetie).15 Der christlichen Anordnung16 liegt damit, im Gegensatz zum jüdischen Kanon, ein geschichtlich-lineares Verständnis zugrunde, das auf das Neue Testament zuläuft.17 Beide Kanons verfolgen dementsprechend ein eigenes theologisches Konzept. Ungeachtet aller Differenzen haben beide Konzepte die Tora als Fundament, Grundlage und Vor-Gabe des jeweiligen Kanons. 2.1.3 Inhaltliche Bestimmungen der Tora Ein grundlegendes inhaltliches Kennzeichen der Tora als Teil und innerhalb der Hebräischen Bibel bildet ihre Vielfältigkeit: Vielfältig sind die in ihr erzählten Lebens- und Glaubensentwürfe, gesellschaftlichen Ordnungen, lebens- und zusammenlebensrelevanten Weisungen und Fragen, ihre Erinnerungs- und Zukunftskultur und ihre ethische Aufforderung zur Tat. Die Vielfältigkeit der literarischen Formen, die im Pentateuch versammelt sind, lassen sich auf zwei Formen reduzieren: zum einen erzählende bzw. narrative und zum anderen gebietende bzw. regulative bzw. appellative Texte. Rein quantitativ nach Kapiteln ergibt die Verteilung zwischen „Geschichte“ und „Gesetz“ ein ungefähres Verhältnis von eins zu eins;18 inhaltlich lässt sich eine Verschränkung der beiden Teile feststellen. Die Tora enthält eine dialektische Struktur zwischen erzählenden Teilen und Gebotstexten. „Das ‚Gesetz‘ wächst jeweils aus der ‚Geschichte‘ heraus und will zugleich die Dynamik der ‚Geschichte‘ schützen und offenhalten.“19 In den erzählenden Teilen spannt die Tora einen Bogen von der Erschaffung der Welt in der Urgeschichte (Gen 1–11) über die Erzählungen der Stammeltern Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Jakob und Lea und Rahel 14
ZENGER, Einleitung, 34. Vgl. a.a.O., 34f. Die beiden Teile der christlichen Bibel, also Altes und Neues Testament, sind dabei parallel aufgebaut: Dabei erfolgt im Neuen Testament eine Grundlegung parallel zur Tora in den Evangelien, dann wird die Vergangenheit in der Apostelgeschichte, die Gegenwart in den Apostelbriefen und die Zukunft in der Johannesapokalypse dargestellt. 16 Die Reihenfolge der katholischen und der evangelischen Kanonanordnung stimmt grundsätzlich überein. Der katholische Kanon fügt die deuterokanonischen Bücher jeweils in die verschiedenen Kanonteile ein (Tobit, Judit, Zusätze der Septuaginta zu Ester, 1. und 2. Makkabäer an die Bücher der Geschichte; Weisheit Salomos, Jesus Sirach an die Bücher der Weisheit; Baruch, Dan 13–14 innerhalb der Prophetie). In der Lutherbibel werden sie als Anhang gedruckt. Vgl. ZENGER, Einleitung 32. 17 Vgl. dazu B. SCHRÖDER, Toradidaktik, 128. Siehe dort auch die illustrierenden Schaubilder zu diesem Thema. 18 Vgl. ZENGER, Einleitung, 82. 19 Ebd. 15
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(Gen 12–36) zur Josefsgeschichte (Gen 37–50). Daran schließen sich die Volkwerdung Israels in Ägypten (Ex 1,9), der Exodus (Ex 1–15), die Verkündigung der Gebote am Sinai (Ex 19–Num 10), eine 40jährige Wanderung Israels durch die Wüste (Num 10–20) und die Abschiedsrede des Mose (Dtn 1–34) an. Sie spannt einen Erzählbogen von den toledot adam (Gen 5,1), also dem ersten Stammbaum der Geschichte, zum Tod des Mose (Dtn 34,5); von der Verheißung des Landes an Abraham (Gen 12) zu dem Verbleiben im Vorletzten: Mose bekommt das versprochene Land vor seinem Tod gezeigt, darf es aber nicht mehr betreten (Dtn 34,1–4). Ein besonderes Merkmal liegt in der Unvollständigkeit des Erzählbogens: Die Landnahme Kanaans, seine Besiedlung durch die zwölf Stämme und damit die Ankunft des Volkes Israel im Heiligen Land, die Erfüllung der Verheißung, werden in der Tora nicht mehr erzählt, sondern erst in den nachfolgenden Büchern (Josua, Richter etc.). Die Tora ist erzählerisch also mit einem offenen Ende ausgestattet, was auch programmatisch verstanden werden kann.20 Sie ist unvollständig und darin auf die ständige Auslegung und Aktualisierung hin angelegt, sie ist offen bis in die gegenwärtige Zukunft hinein. Inhaltlich lassen sich folgende Schwerpunkte der Tora ausmachen: 1) Die Tora ist ein Buch des Lernens: Dies wird schon an dem Begriff Tora als Weisung, Wegweisung für ein gelungenes Leben, deutlich, aber auch daran, dass Mose als Schlüsselfigur der Schriftgruppe zum Lehrer und Israel zur Lehrund Lerngemeinschaft der Tora wird.21 Vor allem steht im Deuteronomium das Lernen und Lehren im Zentrum.22 In der Tora „spricht sich ein Selbstverständnis derer aus, die an den Gott Abrahams und Saras, Isaaks und Rebekkas, Jakobs und Leas glauben, das eben diesen Glaubens verbunden sieht mit der Bereitschaft zum physischen und geistigen Aufbruch: zum Unterwegs-sein und Lernen“.23 2) Die Tora ist ein Buch des Unterwegsseins: Der Erzählbogen der Tora wird von dem Ruf Gottes an Abraham, sich auf den Weg zu machen (Gen 12), bis hin zu Mose, dem nach langer Wüstenwanderung selbst das Betreten des
20 In der christlichen Tradition wird dieses offene Ende manchmal übergangen, indem die Tora nicht als eigenständiger Textkorpus, sondern gleich im Zusammenhang mit den vorderen Propheten behandelt wird. Dabei rückt die charakteristische Eigenschaft des unvollständigen und darin offenen Erzählbogens der Tora in den Hintergrund bzw. geht verloren. Vgl. dazu z.B. GERTZ, Grundinformation, 193–311. 21 Vgl. KARIN FINSTERBUSCH, Weisung für Israel. Studien zu religiösem Lehren und Lernen im Deuteronomium und in seinem Umfeld (FAT 44), Tübingen 2005, 306–312. 22 Vgl. a.a.O., 117–305. Aber dies wird nicht nur im Deuteronomium deutlich, sondern auch schon ganz am Anfang der Tora: Die erste Erzählung nach der Erschaffung der Welt, der sog. Sündenfall, handelt im Kern vom Wissenwollen des Menschen (Gen 3,5.22). 23 BERND SCHRÖDER, Die Torah – Religionspädagogisch gelesen, in: Bernhard Dressler (Hg.), Religionspädagogischer Kommentar zur Bibel, Leipzig 2012, 15–25, 19.
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Heiligen Landes verwehrt bleibt (Dtn 34,4), gespannt.24 Dieser „Moment des Unvollendeten, des auf Dauer Unterwegs-seins“,25 des Verbleibens im Vorletzten, hält die Tora für die Zukunft und für ein Heute offen, weil sie selber auf Vollendung wartet. Kontinuität gibt es dabei nur in Brüchen: in Abbrüchen und in Aufbrüchen.26 3) Die Tora ist ein Buch der Befreiung: Der Exodus, die Befreiung der Israeliten aus der Versklavung in Ägypten (Ex 1–15), ist eine zentrale Botschaft der Tora. Die Gebote der Tora stehen auf dem Fundament und unter der Vor-Gabe der Befreiung und erinnern dabei auch immer wieder an dieselbe.27 Zwar ist der Exodus konstant die entscheidende Voraussetzung für die Forderungen und Gebote Gottes, gleichwohl wird diese Zuwendung Gottes zu seinem Volk an kein Tun, keine Eigenschaften Israels geknüpft, sondern „sie gründet sich in Gottes Liebe und der Treue zu seinen Zusagen an die Väter, wie sie besonders im Abrahambund Gestalt gewonnen hat“.28 4) Die Tora ist ein Buch der Erinnerung: An diese Befreiung wird schon innerhalb der Erzählung die Erinnerung an den Exodus geknüpft.29 Die Erinnerung ent- und besteht in der dialogischen Grundstruktur zwischen den
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Dtn 32,52: „Du sollst das Land vor dir sehen, das ich den Israeliten gebe, aber du sollst nicht hineinkommen.“ Dieser Spannungsbogen wird dann im weiteren Tanach fortgeführt: über Josua, der das Werk Moses vollenden soll (Jos 1,2), bis hin zum Ende des Tanach mit dem Kyrus-Edikt in 2. Chr 36,23, in dem Israel im Exil von Kyrus, dem König von Persien, aufgefordert wird, wieder zum Tempel nach Jerusalem „hinaufzuziehen“. Also endet auch der Tanach, wie die Tora, außerhalb des gelobten Landes im Vorletzten. 25 B. SCHRÖDER, Torah, 21. 26 „Die Wahrheit über die Geschichte liegt ja nicht ‚irgendwo in der Mitte‘, sondern bei beiden Linien, die beide ganz wahr sind und doch gegeneinander stehen und dabei gemeinsam ‚lehren‘, daß es eine Kontinuität nur in Brüchen und Abbrüchen (in der großen ‚Geschichte‘ ebenso wie in den großen und kleinen ‚Lebensgeschichten‘) geben wird und daß umgekehrt die Brüche und Abbrüche, die Überschreitungen, die ‚kleinen Fluchten‘, die Diskontinuitäten und die Erfahrungen von Gewalt und Rettung, Katastrophen und Bewahrungen einen Fluß des Lebens, eine Kontinuität des Lebens selbst darstellen“ (JÜRGEN EBACH, Verstehen, Lernen und Erinnerung in der hebräischen Bibel. Aspekte alttestamentlicher Didaktik und Hermeneutik, in: EvErz 38 [1986], 106–117, 109). 27 Vgl. das Vorwort zum Dekalog: Ex 20,2 (par. Dtn 5,6): „Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ Es wird auch zur Begründung der Solidarität mit anderen Gruppen, vgl. Ex 22,21: „Einen Fremdling sollst du nicht bedrücken noch bedrängen, ihr seid ja auch Fremdlinge gewesen in Ägypten.“ 28 FRANK CRÜSEMANN, Maßstab: Tora. Israels Weisungen für die christliche Ethik, Gütersloh 2003, 43. 29 Ex 13,14: „Wenn dich dann künftig dein Sohn fragt: Was hat das zu bedeuten? So sollst du antworten …“ Innerhalb der jüdischen Tradition wird dies in dem Pessach-Fest manifestiert, bei dem rituell an die Befreiung aus Ägypten erinnert wird. Hierzu findet sich im Talmud (b. Pesachim 10,5) folgende Bestimmung: „In jeder Generation ist ein Mensch verpflichtet, sich selbst so anzusehen, als sei er aus Ägypten ausgezogen, denn es heißt
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Generationen. Es geht in ihr um die Weitergabe des Verstandenen und des Gelernten. „Dem Fluß des Tradierens, des Übersetzens von Generation zu Generation“, so Jürgen Ebach, „korrespondiert in der hebräischen Bibel der Strom der Erinnerung von Generation auf Generation“.30 Dargestellt wird dies in der Tora durch die Genealogien,31 sie ziehen sich wie ein Erzählgerüst durch die Tora und stellen eine Geschichtstheorie dar. Sie sind Teil der Gedächtnisstruktur Israels und bringen die Erfahrungen Israels in Raum und Zeit zum Ausdruck.32 Die Erinnerung ist aber nicht nur theoretisch, sondern mündet ins Tun: So ist der Sabbat die Praxis der Erinnerung, wenn er im Dekalog mit der Erinnerung an die Schöpfung bzw. den Exodus begründet wird. 5) Die Tora ist ein Buch des Tuns und Hörens. In Ex 24,7 antwortet das Volk Israel auf die Verlesung des Bundesbuches durch Mose mit: „Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun und darauf hören.“ Das Tun, die Praxis, wird damit dem Hören vorgeordnet. Es geht dabei um ein intrinsisches, Leben verheißendes Tun.33 6) Die Tora ist ein Buch der orientierenden Lebensregeln: Innerhalb des Erzählbogens enthält sie eine Fülle von Regeln und Gesetzen und bietet mit ihnen Orientierung für eine Fülle von Lebenssituationen und -vollzügen.34 Die Gesetzestexte der Tora werden entweder in größeren Blöcken (Bundesbuch, Heiligkeitsgesetz, das sog. Zweite Gesetz) dargestellt oder in narrative Texte, wie z.B. in Ex 12–18 und Num 10–36 in die Erzählung der Wüstenwanderung, eingebettet. Bereits das Bundesbuch (Ex 20,22–23,33) als ältestes biblisches Rechtsbuch und somit „tragende Grundlage“35 der Tora enthält drei Gruppen (Ex 13,8): Und du sollst es deinem Sohn an jenem Tage so erzählen: ‚Es geschieht‘ um dessentwillen, das der Herr getan hat an mir, als ich auszog aus Ägypten.“ 30 EBACH, Verstehen, 108. 31 Beispielsweise in Gen 4; 5; 10; 11; 25; 35; 36; 37; 47. 32 Vgl. RÜDIGER LUX, Die Genealogie als Strukturprinzip des Pluralismus im Alten Testament, in: Ders., Baum des Lebens, 219–233. Lux unterscheidet dabei zwischen multilinearen Genealogien (z.B. Gen 25,12–18), die einem Familienfoto gleichen und synchron sind, und unilinearen Genealogien (Gen 11,10–26), die einer Ahnengalerie gleichen und diachron sind. Genealogien sind dementsprechend das kulturelle und kommunikative Gedächtnis Israels und ermöglichen die Darstellung von ethischer, sozialer und kultureller Struktur. 33 Vgl. B. SCHRÖDER, Torah, 19. Vgl. dazu Lev 18,5: „Wer sie [die Tora] tut, wird durch sie leben“ oder das Schma Jisrael, das zu dem Bekenntnis des Judentums wurde. Es fordert dazu auf, die Gebote zu hören, sie zu Herzen zu nehmen, sie sich vor Augen zu halten und sie zu lehren (Dtn 6,4–9). 34 Sie blendet dabei kaum einen Bereich des Lebens aus, sondern will eine Orientierungshilfe für alle Bereiche des Lebens sein: So beschreibt sie z.B. das „Zusammenleben der Geschlechter zwischen idealer Partnerschaft (Gen 1,27) und Mehrehe (Gen 26,34f.), Inzest (Gen 19,30ff.) und Vergewaltigung (Gen 34)“ (B. SCHRÖDER, Torah, 20). Deshalb fordert Frank Crüsemann auch mit großem Nachdruck, sie zur biblischen Grundlage christlicher Ethik zu machen. Vgl. CRÜSEMANN, Maßstab, 20–37 und B. SCHRÖDER, Torah, 15–25. 35 Vgl. CRÜSEMANN, Tora, 132–234.
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von Geboten, die Crüsemann als Torastruktur kennzeichnet:36 (i) theologische und religiöse Kernsätze wie vor allem das erste Gebot (Ex 20,23; 22,19; 23,13.24.32f.) als „das Verbot der Verehrung anderer Gottheiten, das die gesamte Komposition beherrscht und prägt“;37 (ii) Sammlung von eigentlichen Rechtssätzen:38 Es geht um positives Recht, das in Rechtsverfahren angewendet werden soll. Themen sind sowohl Todes- und Sklavenrecht als auch Regelungen für Körperverletzungen und Eigentumsschädigung; (iii) Schutzbestimmungen für die sozial schwächsten Glieder der Gesellschaft: Hierunter fallen das Fremdenrecht, die Rechte für Witwen und Waisen, für Arme und den Schutz von Tieren. Sie entsprechen „sowohl inhaltlich wie rechtstheoretisch dem, was in der Neuzeit in den Menschen- und Grundrechten Gestalt gewonnen hat“.39 Für die Torastruktur sowie religionsgeschichtlich und theologisch entscheidend ist, so Crüsemann, „dass diese drei unterschiedlichen thematischen Gruppen als gemeinsame Forderung des einen Gottes auftreten“.40 An der Einhaltung dieser Gebote hängt nicht weniger als die Gottesbeziehung. Entscheidend ist, dass diese nicht nur durch religiöses Fehlverhalten beeinflusst wird, sondern eben auch durch die Missachtung der Rechte von Fremden und Armen. Dem Deuteronomium (Dtn 12–26), dem wörtlich „zweiten Gesetz“, das Crüsemann als Verfassung für Israel kennzeichnet,41 liegt auch diese Toragrundstruktur zugrunde, aber sie wird in ihm noch um den Bereich der Politik und Wirtschaft,42 um den Bereich des Ehe- und Sexualrechts43 und
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Vgl. auch für die folgende Darstellung CRÜSEMANN, Maßstab, 39–43. A.a.O., 39. Aber auch das Bilderverbot (Ex 20,23) in seiner fundamentalen Unterscheidung von Gott und Welt oder die religiöse Zeitstruktur z.B. im Sabbat oder auch im Sabbatjahr (Ex 23,10). 38 Diese ähneln in Form und Inhalt anderen altorientalischen Rechtskorpora, besonders dem Kodex Hammurabi. 39 CRÜSEMANN, Maßstab, 40. 40 Ebd. 41 Vgl. CRÜSEMANN, Tora, 235–322. Es baut auf dem Bundesbuch auf, entwickelt dies aber entscheidend weiter. 42 Beispielsweise im Königsgesetz Dtn 17,14ff. Dazu kommt die Ausweitung z.B. der Bestimmungen zum Armenrecht zu einer Art umfassendem sozialen Netz mit Schuldenerlass, Zinsverbot und die Umwandlung des traditionell an Tempel und König zu zahlenden Zehnten in eine Sozialsteuer für den Unterhalt der Landlosen, also marginalisierter Gruppen. „Alle diese Sozialgesetze binden mit der stets wiederholten Formel, ‚damit dich Jhwh dein Gott segne in allem Tun deiner Hand, das du verrichtest‘ ([Lev] 14,29; vgl. 15,18; 16,15; 23,21; 24,19), den Segen Gottes an die Partizipation der Ärmeren und Landlosen am Reichtum des Landes durch die angeredeten israelitischen Landbesitzer“ (CRÜSEMANN, Maßstab, 41). 43 Dies betrifft die Familie, die Rolle der Frau, aber auch die Festschreibung, dass Vergewaltigung wie ein Tötungsdelikt behandelt werden soll. „Wohl das Wichtigste dürfte sein, dass überhaupt dieser ‚private‘ Bereich einschließlich von Streitfragen zwischen Eltern und Kindern vor das öffentlich tagende Ältestengericht gehört (z.B. [Dtn] 21,18ff.) und diese 37
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um den Bereich der Natur- und Tierethik erweitert. Als drittes großes Gesetzeskorpus gilt das Priesterliche Gesetz,44 das sich im Sinaigesetz insbesondere im Buch Levitikus findet. Die aufgeführten Gesetze reagieren grundlegend auf die Situation Israels im Exil und den Verlust von Land und Königtum. Mit ihm entstehe eine Diasporaethik. In den Geboten der Tora wird damit einerseits der Versuch unternommen, die gesamte Wirklichkeit der Menschen mit allen ihren alltäglichen Bereichen mit dem Willen des einen Gottes zu verbinden.45 Eine weitere Besonderheit liegt andererseits in der uns heute vorliegenden Fassung des Pentateuchs: Wiederholungen und Widersprüche werden nicht angeglichen, sondern nebeneinander stehen gelassen. Crüsemann bezeichnet diese Eigenschaft geradezu als ein „Prinzip der Pentateuchkomposition“.46 7) Die Tora ist ein Buch der Versöhnung: Hängt an der Einhaltung der Gebote und orientierenden Lebensregeln nicht weniger als die Gottesbeziehung, dann stellt sich die drängende Frage, was bei einer Übertretung passiert. Die Tora ist aber kein Buch des Zorns, der Rache und der Zwietracht, sondern der Versöhnung. Im Zentrum ihrer konzentrischen Komposition steht das Buch Levitikus.47 Exegetisch wird meist Lev 16 als theologische Mitte des Buches und damit auch der ganzen Tora angesehen.48 Unter anderem Erich Zenger bezeichnet Lev 16 als die „große Botschaft von dem versöhnungswilligen Gott“.49 Dabei steht die von Gott gewährte Aufhebung von Schuld, jedoch nicht die individuelle, sondern die kollektive des Volkes, im Fokus. Die nachexilische Sühnetheologie des Buches Levitikus institutionalisiert mit dem Fest nicht wie vorher einfach durch die Macht des pater familias gelöst werden können (so noch in Gen 38)“ (CRÜSEMANN, Maßstab, 41). 44 CRÜSEMANN, Tora, 323–380. 45 Allerdings ist für die heutige Rezeption dieser Texte wichtig zu beachten, dass sie sich auf die damalige soziale Wirklichkeit beziehen, also auf eine vorneuzeitliche, agrarische Welt. Crüsemann betont deshalb die theologische Notwendigkeit einer sozialgeschichtlichen Interpretation; vgl. CRÜSEMANN, Maßstab, 42. 46 CRÜSEMANN, Tora, 382. „Die geschichtlich aufeinander folgenden Rechtskorpora stehen im Pentateuch nebeneinander als Teile des einen Gesetzes des Mose. Kodizes, die ihre Vorgänger kritisiert haben und ersetzen wollten, werden zu einer Einheit zusammengefügt. Aus einem Nacheinander wird ein Miteinander des Nacheinanders, aus einem Gegeneinander ein Miteinander der Widersprüche. Der Weg zum Ziel wird Teil des Ziels, er erweist sich im Grunde als das Ziel selbst, denn inhaltlich Neues kommt nur noch weniges dazu“ (a.a.O., 381). 47 Die Masoreten haben unterschiedliche zählerische Mitten der Tora ausgemacht: Nach Versen ist es Lev 8,8, nach Wörtern liegt sie in Lev 10,16 und nach Buchstaben bei Lev 11,42, vgl. JOHANNES WACHOWSKI, Lernen am Leviticus, in: ZPT 67/2 (2015), 134– 144, 135. 48 Dies wird auch durch seine Zentralstellung zwischen den beiden Komplexen der priesterlichen Reinheitsgebote (Lev 11–15) und dem Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26) deutlich (vgl. CRÜSEMANN, Tora, 364). 49 ZENGER, Das Erste Testament, 168.
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des Versöhnungstages die Vergebung Gottes. Der Ritus umfasst zwei sogenannte Sündenböcke: Der eine Bock soll geschlachtet und mit seinem Blut das Allerheiligste von Schuld gereinigt werden. Über dem Kopf des zweiten Bockes werden alle Verfehlungen des Volkes benannt, dem Bock damit symbolisch aufgeladen. Anschließend wird er in die Wüste getrieben. Crüsemann beschreibt diese Versöhnung so: „Vom Gesamtansatz der priesterlichen Theologie aus kann kein Zweifel sein, daß damit eine jährliche Totalreinigung des gesamten Volkes gemeint ist. Nur so kann trotz vielfältiger Vergehen aller Art ein Leben ohne elementare Bedrohung durch den gerechten Zorn Gottes ermöglicht werden, nur so das Miteinander von Volk und Gott, das durch Erwählung und Exodus begründet wurde, auf Dauer Gestalt gewinnen.“50 Zusammenfassend kann die Tora inhaltlich als ein Buch des Lernens und des Unterwegsseins, der Befreiung und des Erinnerns, des Tuns und des Hörens, der orientierenden Lebensregeln und der Versöhnung charakterisiert werden. Sie formuliert darin die Einheit von Gottes Zuspruch und Anspruch, von Recht und Barmherzigkeit. Dadurch wird auch verständlich, warum sich der hebräische Begriff der tora als Bezeichnung für die fünf Bücher Mose durchgesetzt hat: Im alltäglichen Gebrauch der biblischen Zeit verstand man, wie eingangs erwähnt, unter diesem Wort die liebevolle Zuwendung besonders der Mutter (Prov 1,8; 6,20), aber auch des Vaters (4,1f.) zu ihren/seinen Kindern. „Die aus der Liebe der Mutter entspringende Zuwendung zum Kind“, so Crüsemann, „die mahnenden Worte, durch welche sie die Kinder vor den Gefahren des Lebens bewahren und zum richtigen Leben anleiten will, heißt Tora.“51
2.2 Tora in der jüdischen Tradition 2.2 Tora in der jüdischen Tradition
„Mose empfing Tora vom Sinai“ (m.Avot 1,1) – das Fehlen des Artikels vor Tora im Mischnatraktat Avot spielt bewusst auf die Möglichkeit an, dass es nicht die Tora, sondern eine Vielzahl von Torot gibt. Die Tora ist, so der Judaist Günter Stemberger, „genau umgrenzt und doch unendlich“.52 Der Begriff Tora hat im Judentum ein noch breiteres Bedeutungsspektrum als in der Hebräischen Bibel selbst: So kann er Manuel Goldmann zufolge auf „den Pentateuch ebenso gut angewandt werden wie auf den ‚Brauch der Väter‘, auf die Hebräische Bibel als ganze, ebenso wie auf die vom Tempel ausgehende Unterweisung, auf die charakteristische Lehre einer bestimmten Person, ebenso wie auf die
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CRÜSEMANN, Tora, 365. CRÜSEMANN, Maßstab, 45. 52 GÜNTER STEMBERGER, Biblische Traditionen im Rabbinischen Judentum. Judaica Minora 1 (TSAJ 133), Tübingen 2010, 6. 51
2.2 Tora in der jüdischen Tradition
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Gesamtheit der das Judentum konstituierenden Traditionsinhalte“.53 Der im christlich-jüdischen Dialog aktive Shemaryahu Talmon forderte meines Erachtens zu Recht, dass die „Mannigfaltigkeit des Verständnisses von Tora im Judentum […] auch im Rahmen eines christlich-jüdischen Gesprächs im Auge behalten werden“54 müsse. Hierfür ist es zunächst einmal wichtig, von christlicher Seite aus das jüdische Toraverständnis zu kennen. Im Rahmen eines solchen Kapitels kann es sicher nicht gelingen, jüdisches bzw. rabbinisches Toraverständnis in seinem ganzen Umfang abzubilden. Es geht vielmehr darum, hier wichtige Linien, Konturen und Charakteristika des jüdischen Toraverständnisses nachzuzeichnen. So skizziere ich zunächst das Toraverständnis des rabbinischen Judentums (2.2.1), dann das Verständnis von Tora als Gnade (2.2.2) und schließlich die Tora in der jüdischen Glaubenspraxis (2.2.3). 2.2.1 Tora im rabbinischen Judentum Stemberger beschreibt die Grundzüge rabbinischen Denkens als Widerstreben gegen jede lehrbuchhafte Dogmatik und als Misstrauen gegenüber klaren Dogmen der Theologie, vielmehr versucht sie sich ihrem „Gegenstand von 53 MANUEL GOLDMANN, „Die große ökumenische Frage …“. Zur Strukturverschiedenheit christlicher und jüdischer Tradition und ihrer Relevanz für die Begegnung der Kirche mit Israel (NBST 22), Neukirchen-Vluyn 1997, 137. Dieses Bedeutungsspektrum spiegelt rabbinisches Selbstbewusstsein wider, dass nicht nur die schriftlich im Tanach fixierte Mose-Tora Tora ist, sondern auch der Prozess des Studierens der Tora und ihrer Umsetzung Teil der Toraoffenbarung ist. Vgl. a.a.O., 137–146. 54 SHEMARYAHU TALMON, Tora – Nomos – Gesetz. Die Bedeutung des Judentums für die christliche Theologie, in: Martin Stöhr (Hg.), Lernen in Jerusalem – Lernen mit Israel. Anstöße zur Erneuerung in Theologie und Kirche (VIKJ 20), Berlin 1993, 130–147, 131. Auch hier gilt es, Pauschalisierungen zu vermeiden: So wie z.B. die Christologie oder das Abendmahlsverständnis in den verschiedenen christlichen Konfessionen sehr unterschiedlich ausfallen, so differiert auch die Interpretation und Vorstellung dessen, was Tora sein kann, in den unterschiedlichen Strömungen des Judentums. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert hat sich das Judentum in ein liberales, ein konservatives und ein orthodoxes Judentum ausdifferenziert. Zwar haben alle Denominationen die Tora als Zentrum im Synagogengottesdienst beibehalten, aber die theologischen Vorstellungen von dem, was Tora ist, sind doch sehr unterschiedlich. So rückt z.B. im Reformjudentum die mündliche Tora weiter in den Hintergrund, während die prophetischen Bücher größere Aufmerksamkeit erlangen, die Predigt tritt in den Mittelpunkt, und die Toralesung wird teilweise auf drei Jahre ausgeweitet. Dagegen hat das orthodoxe Judentum die mündliche Tora und das Religionsgesetz als Wegweiser und Richtschnur durch das tägliche Leben beibehalten. Alle Denominationen des Judentums müssen sich aber mit der Bedeutung der Tora in der und für die Moderne auseinandersetzen. Bedeutung und Auslegung der Tora sind also im Judentum mindestens diskussionsfähig, wenn nicht sogar strittig. Unstrittig ist dagegen ihre zentrale Stellung. Talmon weist darauf hin, dass Kreise des konservativen und des liberalen Judentums in einem christlich-jüdischen Dialog über die Tora sicher die meisten Anknüpfungspunkte bieten. Vgl. HANNA LISS, Tora im Judentum, in: ZPT 67/2 (2015), 113–124, bes. 122–124; TALMON, Tora, 141.
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Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
verschiedenen Seiten zu nähern und bis zum Schluss allen möglichen Zugängen ihr Recht zu belassen“.55 Diesem Diktum folgend fasst Stemberger die Grundlinien rabbinischen Toraverständnisses in Antithesen zusammen:56 1) Die Tora ist genau umgrenzt und doch unendlich; 2) die Tora ist präexistent und doch in der Geschichte gegeben;57 3) die Tora ist Weltgesetz und doch nur Israel verliehen;58 4) die Tora ist vom Himmel und doch in menschlicher Sprache;59 und 5) die Tora ist auf einmal und doch stufenweise geoffenbart.60 Stembergers erste These findet sich in der Ausprägung von schriftlicher und
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STEMBERGER, Traditionen, 6. A.a.O., 1–15. 57 So führt Stemberger aus: „Die Tora und ihre Annahme durch Israel ist jedoch nicht nur Bedingung aller Existenz; sie ist der Bauplan der Welt“ (a.a.O., 4). Vgl. dazu auch BerR 1,1. 58 Die zweite und die dritte Antithese sind eng miteinander verknüpft: „Wenn die Tora der Bauplan der Welt ist, müssen alle Menschen (rabbinisch ‚alle, die in die Welt kommen‘) nach ihr leben“ (STEMBERGER, Tradition, 6). Sie bezieht sich immer auf konkrete Handlungen und ist in Geschichte, konkret die Befreiung aus Ägypten, eingebundene Anweisung für konkretes Tun. Die Frage des Verhältnisses der Völker zur Tora wird ambivalent beschrieben: Zum einen wird betont, dass nur Tora lernen kann, wer beschnitten ist (ShemR 30,12; TanB Mishpatim 3, beides in Bezug auf Dtn 33,4), zum anderen wird mit Lev 18,5 erklärt, dass, wer sie tut, auch durch sie leben soll – unabhängig von der Zugehörigkeit zum Judentum. Gleichzeitig steht „die Aussage“, so Stemberger, „dass die Tora Erbbesitz Israels ist, […] im Gegensatz zur auch den Rabbinen bewussten Tatsache, dass die schriftliche Tora längst nicht mehr allein Juden zugänglich war, nicht zuletzt durch die griechische Übersetzung der Tora“ (STEMBERGER, Tradition, 7). Somit entwickeln die Rabbinen die mündliche Tora zum Unterscheidungsmerkmal zwischen den Völkern und Israel: Nur sie ist exklusives Bundesdokument Israels. Eine Auslegung zu Ex 34,27 bestätigt dies: „Mose wollte, dass auch die Mischna schriftlich sei. Doch der Heilige, gepriesen sei er, sah voraus, dass die Völker der Welt die Tora übersetzen und auch Griechisch lesen und sagen werden: Diese sind nicht Israel. Der Heilige, gepriesen sei er, sagte zu Mose: Die Völker werden sagen: Wir sind Israel, wir sind die Söhne Gottes. Und Israel sagt: Wir sind die Söhne Gottes. Und die Waagschalen sind ausgeglichen. Da sagt der Heilige, gepriesen sei er, zu den Völkern: Wie könnt ihr sagen, dass ihr meine Söhne seid? Ich kenne nur, wer mein Mysterium besitzt. Der ist mein Sohn. Da fragten sie: Und was ist dein Mysterium? Er antwortete ihnen: Das ist die Mischna“ (PesR 5, zitiert nach STEMBERGER, Tradition, 8). Vgl. zu dem Thema KLAUS MÜLLER, Tora für die Völker. Die noachidischen Gebote und Ansätze zu ihrer Rezeption im Christentum (SKI 15), Berlin 1994. 59 Diese Antithese basiert auf dem Grunddogma der „Göttlichkeit der Tora“ (m.Sanhedrin 10,1). Dagegen steht die Rabbi Jischmael zugeschriebene Aussage: „Die Tora spricht die Sprache der Menschen“ (SifBem §112). „Seit Gott die Tora den Menschen gegeben hat, ist sie seinem Zugriff entzogen, wie man unter Berufung auf Dtn 30,12 zu betonen nicht müde wird“ (STEMBERGER, Traditionen, 9). Die mündliche Tradition schützt die Tora wie ein Zaun (m.Avot 3,13) vor willkürlicher Auslegung. 60 „Die Tora, einst vollkommen gegeben, ist durch die Schwäche des Menschen zum Teil in Vergessenheit geraten. Auf eine neue Offenbarung darf man nicht mehr hoffen; alles hängt nun von menschlicher Auslegung ab“ (STEMBERGER, Traditionen, 14). 56
2.2 Tora in der jüdischen Tradition
35
mündlicher Tora wieder.61 Anschließend an das programmatisch offene Ende des Pentateuchs und damit der Tora, besteht die Tora in der jüdischen Tradition aus schriftlicher und mündlicher Überlieferung. Neben der schriftlichen MoseTora, das heißt dem Pentateuch, hat Mose gemäß der jüdischen Tradition auf dem Sinai auch die mündliche Tora, also die Mischna, den Talmud und die Midraschim empfangen. Erst gemeinsam umfassen sie die ganze Offenbarung Gottes. Die Begründung für die zwei Torot findet sich der rabbinischen Tradition gemäß in Lev 26,46: „Das sind die Satzungen, Vorschriften und Gesetze (torot)“. Eine rabbinische Auslegung der Verse interpretiert dies als mündliche und schriftliche Tora: „Und die Torot“: Das lehrt, dass Israel zwei Torot gegeben wurden, eine schriftliche und eine mündliche. Es sagte R. Aqiva: Hatte denn Israel nur zwei Torot? Es wurden Israel doch viele Torot gegeben! „Das ist die Tora des Brandopfers“ (Lev 6,2); „das ist die Tora des Speiseopfers (6,7); „das ist die Tora des Schuldopfers“ (7,1); „das ist die Tora des Heilsopfers“ (7,11); „das ist die Tora, wenn ein Mensch in einem Zelt stirbt“ (Num 19,14). „Die der Herr zwischen sich und den Israeliten gegeben hat“: Mose verdiente es, zum Mittler (shaliah) zwischen Israel und seinem Vater im Himmel zu werden. „Auf dem Sinai durch die Hand Moses“: Das lehrt, dass die Tora mit ihren Halakhot, ihren Feinheiten und ihren Erklärungen durch Mose vom Sinai gegeben wurde.62
Mit der mündlichen Tora, so die Vorstellung, sind auch die zukünftig notwendigen Neuauslegungen der Tora implizit am Sinai mit offenbart worden. Damit wird das Problem gelöst, fixierte Glaubensinhalte in einer sich über die Zeit wandelnden Umwelt flexibel zu halten: Einerseits gilt, dass die am Sinai geoffenbarte Tora keiner substanziellen Änderung mehr bedarf; andererseits ist sie aber immer wieder auf das Leben hin neu auszulegen. Der Begriff mündliche Tora stellt die Tradition in Kontinuität und Differenz zur schriftlichen Tora dar: Durch die Qualifizierung der Tradition als Tora wird sie an das Sinaigeschehen zurückgebunden, von dem alle gültige Lehre ausgeht, gleichzeitig markiert der Begriff mündlich die Differenz zu genau dieser schriftlichen Tora und darin das innovative Potenzial der mündlichen Tora, die sich auf Fragen und Herausforderungen der Gegenwart bezieht. Durch die Dialektik von schriftlicher und mündlicher Tora erneuert und aktualisiert sich die Tora immer wieder und zeigt darin die innovative Offenheit „eines nicht abgeschlossenen und nicht abzuschließenden Diskussionsprozesses“.63 Die Tora hat damit teil an der Zeitgenossenschaft Gottes mit der Welt, nicht an der Zeitlosigkeit, und
61 Vgl. dazu GÜNTER STEMBERGER, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 2009, 43–58 und GOLDMANN, Ökumenische Frage, 137–146. 62 Sifra Behuqqotai 8,12, zitiert nach STEMBERGER, Tradition, 3. Obwohl R. Aqivas Einwand hier noch einmal die Einheit der Tora betont. 63 MARTIN STÖHR, Thesen zur Bedeutung der Tora für die moderne Gesellschaft. Was ich als Christ im jüdisch-christlichen Dialog gelernt habe, in: Klaus Müller/Alfred Wittstock (Hg.), Dreinreden. Essays, Vorträge, Thesen, Meditationen, Wuppertal 1997, 395–402, 398. 9
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Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
drängt ihrem Wesen nach auf ständige Erneuerung und Aktualisierung.64 Neben der schriftlichen und der mündlichen Tora unterscheidet die jüdische Tradition innerhalb der Tora zwischen Haggada, erzählenden, theologischen Stoffen, und Halacha, praktischen Weisungen für die Lebensgestaltung. Die Halacha klärt damit, wie man leben soll, die Haggada, wer Gott und der Mensch sind. Erst im Zusammenspiel geben sie sowohl dem menschlichen Denken als auch dem Handeln Orientierung.65 „Auf zwei Worten/Dingen steht“ nach A.J. Heschel somit „die Tora: auf der Halacha und auf der Haggada“.66 Das Wechselspiel von Halacha und Haggada bestimmt entsprechend auch den hermeneutischen Umgang der Rabbinen mit der Tora. Alexander Deeg fasst dieses hermeneutische Wechselspiel treffend unter den Begriffen Fantasie und Akribie zusammen.67 2.2.2 Tora als Gnade Nach jüdischem Verständnis ist die Tora ein Geschenk Gottes und Ausdruck der Gnade Gottes.68 Der jüdische Religionswissenschaftler R.J. Zwi Werblowsky hat in einem Vortrag vor der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 1980, die sich mit der Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden beschäftigte, Tora als Gnaden- und Liebesoffenbarung Gottes bezeichnet:
64
A.a.O., 395. ANDREAS RUWE/MARTIN VAHRENHORST, Art. Tora/Nomos, in: Frank Crüsemann u.a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, 590–598, 592. 66 Zitiert nach ALEXANDER DEEG, Predigt und Derascha. Homiletische Textlektüre im Dialog mit dem Judentum (APTLH 48), Göttingen 2006, 390. Vgl. dazu auch STEMBERGER, Einleitung, 11–122. 67 Vgl. ALEXANDER DEEG, Phantasie und Akribie. Haggada und Halacha im Judentum und die christliche Predigt, in: PTh 96/4 (2007), 144–159. 68 „Zu einer ‚Theologie nach Auschwitz‘ und zur ‚geschwisterlichen Redlichkeit‘ gehört es“, so Heinz-Günter Schöttler, „das Leben aus der Tora so zu verstehen, wie Juden es verstehen und die Tora leben, und das ‚Tun‘ der Tora nicht als ‚ethischen Formalismus‘, ‚Leistungsfrömmigkeit‘ oder ‚Werkgerechtigkeit‘ abzutun, geschweige denn als Negativfolie“ (HEINZ-GÜNTER SCHÖTTLER, Christliche Predigt und Altes Testament. Versuch einer homiletischen Kriteriologie, Ostfildern 2001, 573). Der jüdische Religionswissenschaftler R.J. Zwi Werblowsky beschreibt, dass nie das Faktum von Tora und Gnade trennend für Juden und Christen gewesen sei, sondern was „uns getrennt hat, ist ein christliches Mißverständnis, bzw. die Weigerung des Christen, die Tora des Juden als Gnade zu sehen. Was den Juden das Gespräch mit den Christen verbaut hat, war nicht nur die unglückselige Historie des christlichen Antisemitismus, sondern auch die Tatsache, daß der Jude, wenn er den Christen verstehen wollte, auf einen Christen stieß, dessen christliches Selbstverständnis immer schon a priori ein Mißverständnis der jüdischen Position enthielt“ (R.J. ZWI WERBLOWSKY, Tora als Gnade, in: Kairos 15 [1973], 156–163, 162f.). 65
2.2 Tora in der jüdischen Tradition
37
Die Thora [… ist] für den gläubigen Juden die Gnaden- und Liebesoffenbarung Gottes. Daher ist auch das Thorastudium in der jüdischen Tradition nicht mit Scholastik vergleichbar, sondern eher mit einem Sakrament. Das Hauptsakrament des Judentums, in dem der Jude mit Gott bzw. dem Logos Gottes kommuniziert, ist das Studium der Thora. Darum halte ich es auch für verfehlt, wenn man vom Alten Testament und Neuen Testament als zwei vergleichbaren Größen oder Texten spricht. Für den Juden geht es um die Thora, und was dem Juden die Thora ist, ist für den Christen Jesus als der Christus. […] Ich würde also nicht Thora und Neues Testament gegenüberstellen, sondern Thora auf der jüdischen, Jesus Christus auf der christlichen Seite.69
Die Tora ist Ausdruck der Gnade Gottes,70 ist Evangelium. 71 Sie spricht nicht ohne Begründung, sondern redet Israel mit Gründen an: Die Erwählung Israels und die Befreiung aus Ägypten gehen der Tora voran. Werblowsky stellt in seinem Aufsatz „Tora als Gnade“ die Frage, ob es im Judentum, wenn man von dem üblichen protestantischen Gegensatz von Gesetz und Evangelium ausgeht, überhaupt so etwas wie Gesetz gibt? „Der klassische Jude“, so Werblowsky weiter, „lebt mit der Tora, hält die Tora, freut sich der Tora. Am Feste Simchat Tora, dem Freudenfest der Tora, an dem man recht wenig vom ‚drückenden Joch des Gesetzes‘ merkt, tanzen die frommen Juden, eben die Träger der Tora, mit dieser Tora im Arm.“72 Wenn das Christentum Tora mit Gesetz wiedergibt, übersetzt es eigentlich Halacha und nicht Tora. Wollte man von einem christlichen Äquivalent zur Tora sprechen, müsste man Christus und Tora gegenüberstellen, da beide Offenbarungen der Gnade Gottes sind.73 Wenn die Tora Gnade ist, dann kann sie Israel nicht oktroyiert worden sein, sondern beruht auf der freiwilligen Annahme: Gott hat sie, so eine rabbinische Geschichte, einem Volk nach dem anderen angeboten und sie deshalb im Niemandsland siebzigfach proklamiert, aber alle Völker haben die Tora abgelehnt, nachdem sie sie gehört hatten. Schließlich hat Gott von Israel allein die Antwort bekommen: „Wir wollen tun und hören“ (Ex 24,7).74 Dies bedeutet ein Voranstellen des Tuns gegenüber dem Hören. Die Tora zielt auf die Heiligung des Alltags. Die Tora, die schriftliche und die mündliche, bestimmt das religiöse und das 69 Vgl. R.J. ZWI WERBLOWSKY, Trennendes und Gemeinsames, in: Zur Erneuerung des Verhältnisses Christen und Juden. Handreichung für Mitglieder der Landessynode, der Kreissynode und der Presbyterien in der Evangelischen Kirche im Rheinland 21985, 29–43, 39. Zur Kontextualisierung des Begriffs Sakrament führt er an: „Betrachten Sie bitte diese bewußt überspitzte Formulierung nicht als theologische These, sondern als Anregung zur Erneuerung des Denkens und Verstehens, im Hinblick auf eine Erneuerung des Verhältnisses zwischen Christen und Juden“ (ebd.). 70 Vgl. WERBLOWSKY, Tora. 71 Vgl. zu dem Thema FRIEDRICH AVEMARIE, Tora und Leben. Untersuchungen zur Heilsbedeutung der Tora in der frühen rabbinischen Literatur (TSAJ 55), Tübingen 1993. 72 WERBLOWSKY, Tora, 157. 73 Ebd. 74 Mekhilta de-Rabbi Jishmaʻel, Baḥodesh, Kap. 2 zu Ex 19,8. Vgl. STEMBERGER, Traditionen, 6.
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Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
weltliche Leben im Tun und gibt darin dem Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft eine Ausrichtung. So ist sie das lebensformende Grundprinzip des jüdischen Glaubens. Inhaltlich zielt die Tora auf Befreiung von Schuld, Gewalt und Elend; auf Frieden mit Gott, den Menschen und den Völkern; auf Gerechtigkeit vor allem für Rechtlose und Schwache und auf Liebe zu Gott und zum Nächsten.75 2.2.3 Tora in der jüdischen Glaubenspraxis Die theologische Zentralstellung der Tora hat Konsequenzen für die jüdische Frömmigkeit und spiegelt sich in dieser wider. „Die Tora“, so die Judaistin Hanna Liss, „ist eben nicht nur theoretisch und abstrakt der theologische Mittelpunkt des Judentums, sondern auch ganz praktisch“.76 Dies wird besonders an dem Gebrauch der Tora in der Synagoge deutlich: Erstens ist der Toraschrein, Aron haQodesch, nicht nur das architektonische, sondern auch das inhaltliche Zentrum der Synagoge. In ihm werden die Torarollen aufbewahrt. Seine Begrifflichkeit erinnert nicht zufällig mit Aron an die in der Hebräischen Bibel so benannte Bundeslade, in der die zwei Bundestafeln liegen, die Mose auf dem Berg Sinai empfangen hat. „Es ist eine bewusste Parallelisierung zwischen den zwei Tafeln des Bundes und der Torarolle in der Synagoge.“77 Die Tora wird dadurch zum Grunddokument des Bundes zwischen Gott und seinem Volk. Zweitens sind die Torarollen schon in ihrer Form und Herstellung kein gewöhnliches Buch. Sie wird von Tora-Schreibern, Soferim, handschriftlich mit verschiedenen, genau definierten Verzierungen auf Pergament geschrieben und auf eine Rolle gezogen.78 Während ihrer Anfertigung vollzieht der Sofer verschiedene Rituale und spricht einen Segensspruch, damit die Torarolle den Kaschrut entspricht und dementsprechend eine koschere Rolle ist.79 Drittens stellt die Tora nicht nur das architektonische Zentrum der 75
STÖHR, Thesen. LISS, Tora im Judentum, 120. Liss unterscheidet zwischen der Tora als Rechtskorpus – und darin als dem theoretischen Zentrum des Judentums – und als Torarolle und damit als dem praktischen Zentrum des Judentums. Ihre Vorstellung der Tora führe ich in Kapitel 9 zur Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler aus. 77 Ebd. 78 Dabei ist in der jüdischen Tradition akribisch bis ins kleinste Detail festgelegt, wie die Tora aufgeschrieben werden soll: Umfang und Länge der Abschnitte, Abstände zwischen den Absätzen, Verzierungen, Art von Schreibfeder und Tinte. 79 Eine solche Rolle kann dann dementsprechend auch nicht einfach entsorgt werden, sondern muss in einer Genisa und am besten auf dem Friedhof entsorgt bzw. beerdigt werden. In der aschkenasischen Tradition wird die Tora zudem noch „wie ein Priester gekleidet und auf diese Weise veranschaulicht, dass zwischen Gott und Israel kein Mensch oder sonstige Mittler stehen, sondern alleine die Tora“ (LISS, Tora im Judentum, 121). Sie trägt, wie die Priestergewänder in Ex 28 beschrieben werden, Gürtel, Mantel mit Glöckchen und Granatäpfeln am Saum, Brustschild und Kopfbedeckung. 76
2.2 Tora in der jüdischen Tradition
39
Synagoge, sondern auch das liturgische Zentrum des Synagogengottesdienstes dar. Zur Lesung wird sie aus dem Toraschrein geholt und durch die Synagoge zum Lesepult, zur Bima, getragen. Währenddessen steht die Gemeinde als Zeichen der Ehrerbietung, die Tora wird geküsst, und man verbeugt sich vor ihr. Die Tora wird in 54 Leseabschnitte, Parashat haShavua, eingeteilt, die durch das ganze Jahr in der Synagoge gelesen werden. Die Heiligkeit der Tora tritt noch deutlicher durch die hohe Bedeutung der hebräischen Sprache zutage: In allen Strömungen des Judentums sind das Hebräische und damit auch die Unaussprechlichkeit des Namens G’ttes, die Zeitformen, die Poesie des Hebräischen präsent. In all dem „spielt die Torarolle als Sakralgegenstand im Leben der jüdischen Gemeinde eine eminent wichtige Rolle“.80 Viertens steht die Tora auch im Zentrum der Gebetstraditionen. Als Beispiel sei hier eine Benediktion aus dem jüdischen Abendgebet angeführt. Sie verdeutlicht erneut, dass die Tora Ausdruck der Liebe und Zuwendung Gottes ist: Mit unendlicher Liebe hast Du Dein Volk, das Haus Israel, geliebt; Tora und Gebote, Gesetze und Vorschriften hast Du uns gelehrt. Darum, Herr, unser Gott, wenn wir uns niederlegen und wenn wir aufstehen, sprechen wir von Deinen Gesetzen und freuen uns und frohlocken ob der Worte der Lehre Deiner Tora und Deiner Gebote und Gesetze für immerdar. Denn sie sind unser Leben und die Dauer unserer Tage … So möge denn Deine Liebe nimmer von uns weichen.81
Schließlich hat die Tora mit Simchat Tora ein eigenes Fest, das die Freude an der Tora verkörpert und ritualisiert. Es wird am 23. Tischri, dem ersten Monat des jüdischen Kalenders, als Abschluss des Laubhüttenfestes, Sukkot, gefeiert. Es begeht das Ende und den Anfang der Toralesung, die innerhalb eines Jahres im liturgischen Kalender der Synagoge stattfindet. Während des Gottesdienstes werden alle Torarollen aus dem Schrein geholt und in feierlichen Umzügen, Hakkafot, siebenmal um die Bima, das Lesepult, getragen. Dabei dürfen alle Gemeindemitglieder die Tora tragen.82 Bei dieser Prozession werden besonders von den Kindern Fähnchen geschwenkt, es wird getanzt und gesungen. In vielen Gemeinden werden alle anwesenden Männer, in Reformgemeinden auch Frauen, zur Toralesung aufgerufen, wobei der entsprechende Toraabschnitt so oft wiederholt wird, bis alle an der Reihe waren. Am Ende werden alle Kinder zur Tora gerufen. In den meisten Gemeinden wird zwei Gemeindemitgliedern mit der Lesung des letzten Toraabschnittes, also des Endes des Buches Devarim, und des ersten Toraabschnittes, also dem Beginn der Tora in Bereschit, 80
LISS, Tora im Judentum, 122. WERBLOWSKY, Tora, 157. Vgl. dazu ISMAR ELBOGEN, Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung, Nachdruck der 3., verb. Auflage Frankfurt am Main 1931, Hildesheim 1995, 100f. 82 Das „alle Gemeindemitglieder“ umfasst in manchen z.B. orthodoxen Strömungen nur die Männer, während in reformierten Strömungen des Judentums auch die Frauen direkt an der Zeremonie beteiligt sind. 81
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Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
eine besondere Ehre zuteil. Sie werden als Chaten oder Kallat Tora („Bräutigam“ oder „Braut der Tora“) bzw. als Chatan oder Kallat Bereschit („Bräutigam“ oder „Braut des Anfangs“) bezeichnet.83 Der Systematiker FriedrichWilhelm Marquardt beschreibt das Besondere an diesem Fest aus christlicher Perspektive: Zur Tora, zum „Gesetz“ hat das jüdische Volk nicht nur ein Respekts- und ein Autoritätsverhältnis – so wie wir, wenn wir Worte wie Gesetz und Gebot, Verbot und Recht, Gehorsam und Pflicht, „law and order“ hören. Israel hat zur Tora Gottes ein intimes Liebesverhältnis, wie zwischen Braut und Bräutigam. Sie putzen sich heraus, singen ihr Lieder, tanzen mit ihr, turteln mit ihr. Vor allem schwatzen sie, reden mit ihr hin und her, fragen sie liebevoll, auch besorgt, was sie will, lauschen auf ihre Worte, widersprechen ihr, aber vor allem: Stolz sind sie auf sie, die Tora, ihre Königin. Unablässig beschäftigen sie sich mit ihr, bemüht, sich in ihr auszukennen, und nichts Schöneres wissen sie, als wenn ein bisschen von ihrem Glanz auf jede und jeden von ihnen fällt. Keine Freude wie diese: Gesetzesfreude, „Simchat Tora“.84
2.3 Tora in der christlichen Tradition 2.3 Tora in der christlichen Tradition
Angesichts der Zentralstellung der Tora als Schlüsselbegriff und Schlüsselkonzept in der Hebräischen Bibel und ihrer dementsprechenden Rezeption innerhalb des Judentums drängt sich die Frage nach der Bedeutung und dem Stellenwert der Tora innerhalb der christlichen Theologie und Tradition nahezu auf. Hierfür kommt zunächst die Übersetzung von Tora mit nómos und Gesetz in den Blick (2.3.1), dann der Umgang mit Tora im Neuen Testament (2.3.2) und schließlich die Toravergessenheit in der christlichen Tradition und Theologie einerseits und die Forderung nach einer (Re-)Integration von Tora in die christliche Theologie andererseits (2.3.3). 2.3.1 Tora – Nomos – Gesetz Das christliche Missverstehen der Tora beginnt mit der Übersetzung: Tora – Nomos – Gesetz. „Die Formulierung Tora – Nomos – Gesetz repräsentiert also“, so der Neutestamentler Wolfgang Stegemann, „in der christlich-theologischen Tradition nahezu ein Negativgefälle, in dem die vom ursprünglichen Sinn mit dem hebräischen Wort gemeinte Sache nicht nur viele Aspekte verloren gegangen, sondern damit – zumal dann in der deutschen Übersetzung – vor
83 Zu dem Fest Simchat Tora vgl. YEHUDA ASCHKENASY, Tenachon. Die jüdischen Feste, Uelzen 2010; ELIESER L. EHRMANN (neu hg. v. Peter von der Osten-Sacken), Von Trauer zur Freude. Leitfäden und Texte zu den jüdischen Festen und Feiern, Berlin 2012; ISRAEL M. LAU, Wie Juden leben. Glauben, Alltag, Feste, Darmstadt 62005, 212–217. 84 FRIEDRICH-WILHELM MARQUARDT, Evangelische Freude an der Tora, Tübingen 2 2011, 10.
2.3 Tora in der christlichen Tradition
41
allem negative Konnotationen verbunden worden sind.“85 In der Septuaginta kommt das griechische nómos86 rund 430-mal vor, davon 200-mal ohne hebräisches Äquivalent, für die übrigen Stellen stellt es die Übersetzung von Tora dar. Problematisch ist, dass an vielen Stellen, an denen Tora mit Nomos übersetzt wird, das Wort keineswegs die Bedeutung von Nomos bzw. Gesetz hat. Es kann nicht von dem einen Gesetz im Ersten Testament gesprochen werden. Tora umfasst, wie oben beschrieben, kasuistisches und apodiktisches Recht sowie kultische Bestimmungen, Erzählungen und Ätiologien. Außerdem waren die Gebote „kein Gesetz, sondern ein Geschehen, das jeder Generation von Jahwe her jeweils in ihrem hic et nunc widerfuhr und dem sie sich zu stellen hatte“.87 Das Neue Testament übernimmt den Begriff Nomos aus der Septuaginta.88 In den synoptischen Evangelien steht der Begriff meist neben den Propheten als zweitem, umfangreichem Teil der Heiligen Schrift.89 Durch die Wiedergabe von Tora mit Nomos – lex, law, Gesetz – findet eine Reduzierung der Tora auf Ritual- und Kultgesetze statt, und ihr Sinnreichtum und ihre Vielfalt gehen damit verloren. „Im Neuen Testament“, so Wengst, „ist mit nómos aber meistens gemeint, was in der jüdischen Bibel und Tradition auf Hebräisch als toráh bezeichnet wird“.90 Deswegen plädiert er dafür, dort, wo Nomos Tora im alttestamentlichen Sinne meint, es auch mit Tora zu übersetzen. Dies fordert Talmon, der Professor für Bibelwissenschaft an der Hebrew University in Jerusalem und Leiter des internationalen jüdischchristlichen Dialogs war, von den christlichen Gesprächspartnern ein, damit diese einerseits über den Begriff „stolpern“ und andererseits registrieren, dass Tora mehr ist als Gesetz.91 85 WOLFGANG STEGEMANN, Tora – Nomos – Gesetz. Zur Bedeutung des Judentums für das Christentum, in: Martin Stöhr (Hg.), Lernen in Jerusalem – Lernen mit Israel. Anstöße zur Erneuerung in Theologie und Kirche (VIKJ 20), Berlin 1993, 148–168, 148f. 86 Das Wort nómos wurde im Griechischen klassisch auf drei Ebenen verwendet: Es kennzeichnete Vorgänge, bei denen Menschen in Gemeinschaft ihre Verhältnisse in verbindlicher, Recht setzender Weise ordnen, im übertragenen Sinn bedeutete es hüten, behüten, achten, ansehen als. Außerdem war es ursprünglich orientiert an dem Vorgang des Verteilens im Sinne von Sitte, Brauch, Satzung, Gesetz als Verteilungs- und Ordnungsgesetzen. Schließlich wurde nómos im politischen Gebrauch als positiver Gehalt der Polis, richterliche Norm, Rechtsbrauch, politisches Gesetz verstanden. Vgl. HANS HELMUT EẞNER, Art. Νóμος I, in: TBLNT2 1 (2010), 628–632, 628. 87 EẞNER, Art. Νóμος, 630. 88 Νóμος kommt 195mal im Neuen Testament vor, davon 118mal bei Paulus, 8mal im Matthäus-, 9mal im Lukas-, 15mal im Johannesevangelium. 89 Vgl. Mt 5,17; 7,12; 11,13; 22,40; Lk 16,16. 90 WENGST, Regierungsprogramm, 64. 91 Vgl. TALMON, Tora, 130–147, 145. Stegemann bemerkt, dass, wenn man Gerhard von Rad folgend Tora mit Willensoffenbarung übersetzt und diese Übersetzung dann auch in die Formel von Gesetz und Evangelium überträgt, es also als Willensoffenbarung und Evangelium bezeichnet, man „Stolpersteine“ in die Theologie einbauen würde, die die Menschen zum Nachdenken und Nachfragen brächten. Vgl. STEGEMANN, Tora, 150.
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Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
2.3.2 Tora im Neuen Testament Eine grundlegende Frage ist die nach der Bedeutung des ersten Teils der Schrift und damit auch der Tora für den zweiten Teil der christlichen Bibel, das Neue Testament:92 Welchen Stellenwert sprechen die unterschiedlichen neutestamentlichen Schriften, Strömungen und ihre Autoren ihr zu, welchen Umgang üben sie mit ihr, und welches Konfliktpotenzial ergibt sich daraus? Die zentralste und grundsätzlichste Antwort, nach der im Kern schon alles gesagt ist, lautet gemäß Frank Crüsemann: Für das Neue ist das Alte Testament „die Schrift“. […] Der spätere erste Teil der zweigeteilten christlichen Bibel war also zur Zeit der Entstehung des Neuen Testamentes und ist damit für die neutestamentlichen Schriften die Bibel, also im vollen Sinne „heilige Schrift“, vorgegebene und gültige Autorität und Tradition, das, was von Gott her gilt.93
Dies zeichnet sich auch in der Ausrichtung des Aufbaus des neutestamentlichen Kanons an der Torakonzentration des Kanons der Hebräischen Bibel ab: Den Auftakt und das Portal in das Zweite Testament hinein bildet das Matthäusevangelium mit seiner eindeutigen Anbindung von Leben und Werk Jesu an die Tora (Mt 5,17–19); der Briefteil wird vom Römerbrief mit seinen ebenso eindeutigen Sätzen zur Tora eröffnet (z.B. Röm 3,21.31; 7,12; 8,4 usw.). Die Tora wird als Gottes Gabe an Israel uneingeschränkt vorausgesetzt. Alle neutestamentlichen Schriften greifen in haggadischer Form auf die Tora zurück und deuten sie vom Jesusgeschehen her.94 „Jeder theologische Weg“, so Frank Crüsemann, „der an der Tora vorbeiführt, verlässt damit auch das 92
Für die verschiedenen Typen der Zuordnung der Testamente zueinander vgl. CRÜSEWahrheitsraum, 31–64. Nach Crüsemann ist das Zweite Testament vom ersten bis zum letzten Vers auf das Erste Testament bezogen. Vgl. dazu den Beginn Mt 1,1 („Das ist das Buch vom Ursprung Jesu, des Messias, des Nachkommen Davids und Abrahams“) und Offb 22,19 („Die von den Worten dieses prophetischen Buches etwas wegnehmen, werden von Gott ihren Anteil am Baum des Lebens und an der heiligen Stadt, wovon in diesem Buch geschrieben ist, weggenommen bekommen“). So ist weder der Messias noch David und Abraham, noch der Baum des Lebens oder die Heilige Stadt ohne Bezug und Kenntnisse der Tradition des Ersten Testaments zu verstehen. Und zwischen Anfang und Ende reißt die Kette der Bezüge nicht ab. Vgl. a.a.O., 95f. 93 A.a.O., 93. 94 RUWE/VAHRENHORST, Tora, 593. Einerseits bekennt Jesus sich zur Unvergänglichkeit der Gesetze (vgl. Mt 5,18), andererseits gibt es Überlieferungen, in denen sein Tun den Vorwurf der Gesetzesübertretung bekommt (vgl. Mk 1,21–31 par.; Mk 3,1–16 par.); allerdings kann man diese Stellen auch als Streit über die traditionelle Auslegung der Tora (Halacha) interpretieren. Vgl. KLAUS HAACKER, Art. Νóμος III, in: TBLNT2 1 (2010), 632– 637. Zum Verhältnis Jesu zur Tora vgl. GERHARD DAUTZENBERG, Jesus und die Tora, in: Erich Zenger (Hg.), Die Tora als Kanon für Juden und Christen (HBS 10), Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1996, 345–378; HUBERT FRANKEMÖLLE, Die Tora Gottes für Israel, die Jünger Jesu und die Völker nach dem Matthäusevangelium, in: Zenger (Hg.), Die Tora als Kanon für Juden und Christen, 379–414. MANN,
2.3 Tora in der christlichen Tradition
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Neue Testament.“95 Dabei gehen die einzelnen Schriften sowohl inhaltlich als auch methodisch sehr unterschiedlich mit der vorgefundenen biblischen Tradition um. Die Tora wird notwendigerweise zu dem Wirken Jesu in Beziehung gesetzt, sie wird durch ihn in Kraft gesetzt und erfüllt. Trotzdem treten schon früh Spannungen in Bezug auf bestimmte Gebote auf: Der spätere Bruch zwischen Juden und Christen zeichnet sich hier schon konkret in den Konflikten um Beschneidung, um Speisegebote, um kultische Bereiche im Festkalender, um Opfer und Reinheitsbestimmungen ab.96 Alle neutestamentlichen Schriften müssen mit der Herausforderung umgehen, dass Nichtjuden eine volle Gottesbeziehung zum Gott Israels bekommen, und eruieren, welche Rolle die Tora damit für sie spielen soll. Diesen Befund werde ich schlaglichtartig für drei wichtige Schriften des Neuen Testaments hin konkretisieren: 1) Das Matthäusevangelium hat als kanonisch erstes Evangelium eine Schlüsselfunktion inne und stellt das gesamte Neue Testament unter ein bestimmtes Vorzeichen bzw. gewissermaßen unter eine Lektüreanweisung. Besonders hervorzuheben ist hier die sog. Bergpredigt, die als erste Rede im Matthäusevangelium einer Grundsatzerklärung gleichkommt. Jesus leitet die Bergpredigt mit der Zusage ein, dass er nicht gekommen sei, die Tora außer Kraft zu setzen noch den kleinsten Buchstaben zu verändern, sondern sie zu erfüllen (Mt 5,17–19).97 Die folgenden sog. Antithesen können dann als rabbinische Auslegung, als „Zaun um die Tora“, und Jesus als Toralehrer, der kein Jota an der Tora verändern will, interpretiert werden.98 „Das Matthäusevangelium“, so fasst Crüsemann es zusammen, „will 95
CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 223. Zu dem Prozess der Trennung von Juden und Christen vgl. besonders die Arbeiten von Daniel Boyarin, die mit ihrer Annahme eines jahrhundertelangen Prozesses, in dem sich beide späteren Identitäten von Judentum und Christentum herausgebildet haben, zu einem neuen Paradigma geführt haben. Vgl. DANIEL BOYARIN, Abgrenzungen. Die Aufspaltung des Judäo-Christentums, aus dem Amerikanischen von Gesine Palmer (ANTZ 10), Berlin u.a. 2009. Des Weiteren PETER SCHÄFER, Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums. Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria corda 6), Tübingen 2010; DERS., The Jewish Jesus. How Judaism and Christianity Shaped Each Other, Princeton/Oxford 2012. 97 Das Wort Tora bzw. Nomos kommt im Matthäusevangelium und damit auch im gesamten Neuen Testament das erstmals an dieser Stelle vor. Auch deswegen ist diese Stelle als Überschrift zu verstehen. 98 Vgl. dazu beispielhaft die Frage des Schwörens in der rabbinischen Literatur: MARTIN VAHRENHORST, „Ihr sollt überhaupt nicht schwören“. Matthäus im halachischen Diskurs (WMANT 95), Neukirchen-Vluyn 2002 und WENGST, Regierungsprogramm. Ein weiteres prägnantes Beispiel für die Bedeutung der Tora inklusive ihrer rabbinischen Auslegung ist Mt 23,2: „Auf dem Stuhl Moses sitzen Toragelehrte und pharisäische Leute. Alles, was sie euch lehren, das tut und daran haltet euch.“ Frank Crüsemann kommentiert diesen Vers mit besonderem Nachdruck: „Alles! Alles, was die pharisäischen Toragelehrten lehren, ist von den AnhängerInnen Jesu zu halten! Das geht weit über die Schriften selbst hinaus und tief 96
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Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
ohne die Tora nicht gelesen werden, und nach ihm gilt die ganze Tora uneingeschränkt auch für die Völker.“99 2) Auch für das Lukasevangelium steht die uneingeschränkte normative Bedeutung der Tora außer Frage.100 Das wird sowohl bei Jesu erstem öffentlichen Auftreten in der Synagoge von Nazareth (Lk 4,18f.) als auch mit den Themenschwerpunkten des Evangeliums auf Armut und Schuldenerlass deutlich.101 Grundlegend für die bleibende Bedeutung und Geltung der Tora ist auch die Erzählung vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,29–31), in der selbst die Totenauferstehung nichts an der immer schon vorausgesetzten Geltung der Tora und der Propheten ändert.102 3) Paulus gilt traditionell als der Prototyp der christlichen Ablösung und Überwindung der Tora durch Jesus. Dabei wird leicht übergangen, dass die paulinischen Antworten zur Tora in all ihrer differenzierten Komplexität an dem Grundsatz festhalten, dass die Tora „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12) ist. Gleichzeitig wird Christus als das Ziel der Tora (Röm 10,4) bezeichnet, was wiederum eine bestimmte Qualifizierung der Tora darstellt.103 Neutestamentliche Torarezeption ist im Licht der Nachfolge Jesu zu sehen.104 Diese Nachfolge ist existenziell, ein Tun, welches eine Bindung an den von Jesus vorgezeichneten Weg darstellt. Jesus setzt für die Nachfolgenden die Autorität der Tora in Kraft. Die Christen, so Heinz-Günther Schöttler, in die jüdische, pharisäische, die sich anbahnende rabbinische Auslegung, Aktualisierung und Weiterschreibung der Tora hinein, kurz in die mündliche Tora“ (CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 101). 99 CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 216. 100 Vgl. DIETRICH RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas (BZNW 112), Berlin/New York 2003, 127. 101 In seiner Schriftauslegung spricht Jesus indirekt sowohl das Erlassjahr (Dtn 15,1ff.) als auch das Jobeljahr (Lev 25) an. „All das beginnt sich jetzt zu ‚erfüllen‘, und so wird das hier angeschnittene Thema des Streichens aller Schulden, der Befreiung der Armen und Überschuldeten dann durch das ganze Evangelium hindurch verfolgt (z.B. Lk 11,4: 6,30.34; 12,33; 19,8; 6,24)“ (CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 217). Vgl. dazu MARLENE CRÜSEMANN/ FRANK CRÜSEMANN, Das Jahr das Gott gefällt. Die Tradition vom Erlass- und Jobeljahr in Tora und Propheten, Altem und Neuem Testament (Dtn 15; Lev 25; Jes 61; Lk 4), in: Deutsche Bibelgesellschaft und Katholisches Bibelwerk (Hg.), Bibelsonntag 1999: Das Jahr das Gott gefällt. Materialheft, Stuttgart 1998, 3–10; KERSTIN SCHIFFNER, Lukas liest Exodus. Eine Untersuchung zur Aufnahme ersttestamentlicher Befreiungsgeschichte im lukanischen Werk als Schrift-Lektüre (BWANT 172), Stuttgart 2008, 297ff. 102 Der Konflikt über die volle Gültigkeit der Tora für die Völker in der Apostelgeschichte ändert an diesem Befund nichts. Im sog. Apostelkonzil (Apg 15) einigt man sich dann, der Toratradition folgend, auf die noachidischen Gebote für die Völker. Vgl. K. MÜLLER, Tora, 137–199. 103 Vgl. dazu PETER VON DER OSTEN-SACKEN, Der Gott der Hoffnung. Gesammelte Aufsätze zur Theologie des Paulus (SKI N.F. 3), Berlin 2014, bes. 247–475 und KLAUS WENGST, „Freut euch, ihr Völker, mit Gottes Volk!“ Israel und die Völker als Thema des Paulus – ein Gang durch den Römerbrief, Stuttgart 2008. 104 Vgl. Mt 19,16–26.
2.3 Tora in der christlichen Tradition
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haben „in der Nachfolge an Jesu Tun der Tora teil“.105 Dabei ist das Wechselspiel von Lehren und Tun entscheidend.106 Es geht für die christliche Gemeinde um eine christusbezogene und nicht christozentrische Torarezeption. Die Gebote werden z.B. im Matthäusevangelium an Jesu Vollmacht und Sendung gebunden, „an seine Person und Geschichte[,] und gehen damit weit über die Autorität einer rabbinischen Lehrmeinung und Auslegung hinaus“.107 Die Autorität der Tora liegt für die christliche Gemeinde darin, dass Jesus sie für die Nachfolge in Kraft setzt und auslegt, aber sein Kommen setzt die Tora nicht neu in Kraft: Sie ist und bleibt in Gültigkeit und war nie aufgehoben. Durch Jesus und seine (Er-)Füllung, sein Tun der Tora nimmt die christliche Gemeinde an der Tora teil. Christliche Torarezeption ist durch Christus vermittelt, ist christusbezogen.108 Diese christusbezogene Torarezeption und mit ihr die neutestamentlichen Modelle im Umgang mit der Tora haben sich in der christlichen Tradition und ihrer Torarezeption kaum bis gar nicht durchgesetzt. Es ist sogar überraschend, wie es trotz der hohen Stellung der Tora in den neutestamentlichen Schriften zu einer Marginalisierung und zum Teil sogar Diffamierung der Tora in der christlichen Theologie und Tradition kommen konnte. 2.3.3 Evangelium ohne Tora Die Tora hat, reduziert auf Gebots- und Gesetzestexte und damit identifiziert, in der protestantischen Theologie und Tradition einen schweren Stand. Traditionell wurden diese Gebots- und Gesetzestexte zu Zwang und unerfüllbarem Joch degradiert, die der „Freiheit eines Christenmenschen“ gegenüberstehen und welche in Christus vollendet und durch das Neue Testament überwunden worden seien. Dies geht zu großen Teilen auf die Theologie Martin Luthers und seine Interpretation des Gesetzes zurück.109 Luther stellte sich in eine Tradition und baute diese weiter aus,110 die Gebots- und Gesetzestexte als 105
SCHÖTTLER, Predigt, 578. Vgl. Mt 4,23–25; 9,35–38. 107 SCHÖTTLER, Predigt, 537. Vgl. Mt 7,29. 108 Die christusbezogene Torarezeption kann die Kirche davor bewahren, Israel die Tora streitig zu machen: „Kirche partizipiert in Jesus an der Tora Israels“ (a.a.O., 619). Vgl. auch KLAUS WENGST, Christsein mit Tora und Evangelium. Beiträge zum Umbau christlicher Theologie im Angesicht Israels, Stuttgart 2014. 109 So schreibt Martin Luther: „Nemlich daß wir durchs gesetz lere nicht können gerecht noch selig werden, sondern nur dadurch zum erkentnis unser selbs komen, wie wir nicht einen tütel vermögen recht zu erfullen aus eignen krefften, und ob wir gleich, nach dem wir Christen sind worden durch die tauffe und glauben, thun soviel wir können, so können wir doch nymer dadurch fur Gott bestehen, sondern mussen jmer zu Christo krichen“ (WA 32,259,15–27). 110 Vgl. ALBRECHT PETERS, Art. Gesetz, in: EKL 2 (1989), 143–149. So proklamiert z.B. schon Marcion ein „gereinigtes paulinisches Evangelium gegen den neidischen Schöpfergott 106
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Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
Beichtspiegel auslegt, der dem Menschen die eigene Unfähigkeit vor Augen hält. Das Gesetz ist so weder Hilfe, um vor Gott zu bestehen, noch Anleitung für ein Leben nach Gottes Willen, noch hat es eine soteriologische Funktion.111 Wirkungsgeschichtlich konnte dies zu einer Reduktion des Gesetzes als unerfüllbarer Anforderung für den Menschen führen. Erschwert werden eine Wertschätzung und eine Würdigung der Tora in der protestantischen Theologie auch durch die Rezeption der lutherischen Hermeneutik von Gesetz und Evangelium.112 So schärft Martin Luther selber ein, dass man dort, wo es an der Kunst mangele, Gesetz und Evangelium zu unterscheiden, „einen Christen von einem Heiden oder Juden nicht erkennen“113 könne. Luther definiert das Gesetz in erster Linie im negativen Gegenüber zum Evangelium.114 Ihm zufolge ist das Gesetz das erste Wort, das die Glaubenden trifft und unter die Erkenntnis ihrer Sündhaftigkeit stellt. Dagegen ist das „Evangelium das ‚andere Wort‘, das zweite und letzte, das endgültige Wort Gottes“.115 Dieses Wortereignis spricht für den Menschen (pro me), es ist Ausdruck der geschenkten Gnade des Handelns Gottes in Christus und seines Zuspruchs der Sündenvergebung. Problematisch dabei ist, dass die christliche Rede von Gesetz und Evangelium nicht zu denken ist, ohne das christliche Bedürfnis der Abgrenzung vom Judentum. „Seine Tora zum Heil gegeben und nicht zum Sterben, verstanden in einem engeren Sinn als Gebot oder in einem des Sinai-Gesetzes“ (a.a.O., 143). Aber erst Augustin etabliert das Schema von Gesetz und Gnade in der abendländischen Theologie. „Das Gesetz ist gegeben, damit die Gnade wird; die Gnade ist gegeben, damit das Gesetz erfüllt wird“ (a.a.O., 143f.). Das Gesetz kann zwar die Ursünde aufdecken, aber sie zu überwinden vermag nur die kirchlich vermittelte Gnade. 111 Vgl. GERHARD EBELING, Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik, Darmstadt 21962, 261ff., hier bes. 263. 112 Die Inversion der Formel von Gesetz und Evangelium erfolgte durch Karl Barth, so z.B. in einem Vortrag von 1935 über Evangelium und Gesetz. Barth stellte die Formel von Evangelium und Gesetz unter die eine Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Entscheidend sei, dass Jesus selbst die Gebote erfüllt hat und dass das Gesetz der geoffenbarte Wille Gottes ist. In der Nachfolge würde den Christen das Handeln Jesu, an dem Gottes Handeln für die Christen ablesbar sei, zum Vorbild. Barth fasst das Verhältnis der Formel in der Unterscheidung von Form und Inhalt des Evangeliums zusammen: Das „Gesetz ist nichts anderes als die notwendige Form des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist“ (KARL BARTH, Evangelium und Gesetz [ThExH N.F. 50], München 1956, 11; vgl. BERTOLD KLAPPERT, Promissio und Bund. Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth (FSÖTh 34), Göttingen 1976. 113 WA 36,9,28f. 114 Das Evangelium ist, so fasst der Systematiker Rudolf Mau Luther in diesem Punkt zusammen, das „Wort der Gnade, des Trostes, der Freude, die Stimme des Bräutigams. Es kommt zu denen, die unter dem Gesetz als dem Wort des Zorns, der Betrübnis, des Schmerzes, der Stimme des Richters gefangen und verzweifelt sind“ (RUDOLF MAU, Art. Gesetz V, in: TRE 13 [1984], 82–90, 82). 115 OSWALD BAYER, Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung, Tübingen 2003, 53.
2.3 Tora in der christlichen Tradition
47
weiteren Sinn als Gottes Wort und Offenbarung an sein erwähltes Volk“, so von der Osten-Sacken, „brauchte eine Antwort“.116 Diese Trennung von Gesetz und Evangelium hat in der Geschichte des Christentums immer wieder zu einer dualistischen, asymmetrischen, hierarchischen Sicht auf alt- und neutestamentliche Texte und Glaubensgehalte geführt.117 Sie hatte zur Folge, so von der Osten-Sacken weiter, dass „biblische Gottes-, Schrift- und Ethikvorstellungen in ihrer Einheit und Einzigartigkeit beschädigt wurden“.118 Luthers Gesetzesverständnis ist damit aus mindestens zwei Richtungen zu hinterfragen und erweiterungsbedürftig: Es ist zum einen durch alle Zeiten Barriere für ein Verständnis des Judentums gewesen,119 welches dem Judentum als eigener Größe gerecht wird und es nicht als Negativfolie missbraucht, und hat zum anderen zu einer innerchristlichen Engführung von Gebots- und Gesetzestexten geführt. Das Gesetz erschöpft sich nicht im Sündenspiegel, vielmehr gehört zu ihm gleichermaßen der Blick auf den Nächsten und das befreiende, weil mögliche Tun.120 In Bezug auf die Religionspädagogik halten die Religionspädagogen Reinhold Boschki und Thomas Schlag unmissverständlich fest: 116
PETER VON DER OSTEN-SACKEN, Art. Gesetz und Evangelium, in: EKL 2 (1989), 149–153, 151. 117 Die Geringschätzung der Tora wird auch in der liturgischen Praxis evangelischer Gottesdienste deutlich: Die Tora ist zwar Teil der Lesungen, wird aber nicht in jedem Gottesdienst gelesen und nur in vier von sechs Perikopenreihen gelegentlich gepredigt. 118 VON DER OSTEN-SACKEN, Art. Gesetz und Evangelium, 150. Von der Osten-Sacken nennt hier als Beispiele die klassische Dogmatik der Missouri-Synode, Hanna Wolffs psychische Jesus- und Gottesbilder, Nolls Gesetzeskritik oder Harnacks Beurteilung des Alten Testaments als Gesetz. „In allen Entwürfen ist Israel bzw. das heutige Judentum überwiegend als negativer Träger des Gesetzes, die Christenheit als positiver Träger des Evangeliums gesehen“ (ebd.). 119 Crüsemann knüpft das Versagen der Kirche angesichts der Schoa an das Vergessen der Tora: „Das Versagen von Christen und Kirchen angesichts der Entrechtung und Vernichtung des europäischen Judentums hängt zutiefst mit einem Verständnis des Evangeliums zusammen, das es von der ethischen Tradition des Alten Testaments, also von der Tora, losgelöst hat“ (CRÜSEMANN, Maßstab, 11). 120 PETER VON DER OSTEN-SACKEN, „Bausteine einer nicht-antijüdischen reformatorischen Theologie, ausgehend von Luthers Judenschriften“, Vortrag in der Konferenz landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden am 15.1.2016, 1–22 (unveröffentlicht), 12. Deswegen plädiert von der Osten-Sacken für die Einführung eines usus legis empathicus in die lutherische Theologie, der die zwei Funktionen des Gesetzes, die Luther diesem in seiner Galaterbrief-Vorlesung von 1532 zugewiesen hatte, den usus politicus und den usus theologicus, ergänzen solle, und fragt damit nach einer nicht antijüdischen reformatorischen Theologie. Dies macht er am Beispiel von Lev 19,18 deutlich: So könne man „diese Funktion des Gesetzes, d.h. die paritätische Hinführung zum Nächsten – ‚du sollst ihn lieben, wie dich selbst‘ – am ehesten den mit dem Nächsten solidarischen, den einfühlsamen, mitfühlenden oder empathischen Gebrauch des Gesetzes, mithin seinen usus empathicus nennen“ (a.a.O., 13). Die klassische Funktion des Gesetzes nach Luther richtete den Blick auf die eigene Not, der usus empathicus richtet ihn hingegen auf die Not des Nächsten. Einen anderen Weg der
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Kapitel 2: Begriffsklärung: Tora
Beide, Gedenken bzw. Vergegenwärtigung der Tora und des Evangeliums, gehören untrennbar zusammen und können weder in der Lehre (markionitische, antijüdische Tendenzen, auch in der heutigen Theologie) noch im Leben (Antisemitismus als bleibende gesellschaftliche und kirchliche Herausforderung) als überwunden gelten […]. Die Frage nach dem Verständnis und Verhältnis von Gesetz/Tora und Evangelium wird damit zum Testfall christlich-jüdischer Lehr-Lernprozesse.121
2.4 Fazit 2.4 Fazit
Ziel und Voraussetzung christlicher Toradidaktik ist die (Re-)Integration der Tora in die christliche Theologie im Allgemeinen und die Bibeldidaktik im Besonderen. Die hier aufgezeigten groben Linien und Merkmale von Tora, nicht nur im Ersten Testament und im Judentum, sondern auch im Neuen Testament, haben die Vielfältigkeit des Lern- und Lehrgegenstandes der Tora deutlich vor Augen treten lassen. Sie ist als hermeneutische und inhaltliche Vor-Gabe das Fundament für alles Folgende, dementsprechend sollte sie auch einen zentralen Bestandteil innerhalb der christlichen Theologie bilden. Die Wahrnehmung der Vielfältigkeit von Tora als Buch des Lernens und des Unterwegsseins, der Befreiung und des Erinnerns, des Tuns und Hörens, der orientierenden Lebensregeln und der Versöhnung – in der Hebräischen Bibel, aber auch in der jüdischen Tradition und im Neuen Testament – kann helfen, die Tora in einem größeren und zugleich gewichtigeren Bedeutungsspektrum wahrzunehmen und neu danach zu fragen, welchen Stellenwert Tora innerhalb der christlichen Theologie haben kann und soll. Dabei geht es nicht um eine Enteignung oder unreflektierte Übernahme des jüdischen Torabegriffs durch bzw. in die christliche Theologie, sondern um Lernen und Selbstaufklärung in der Begegnung mit dem eigentlich bekannten, in so vielen Aspekten aber doch noch unvertrauten und verkannten Anderen. Toradidaktik verweist auf die Gemeinsamkeit im Differenten, den konstitutiven, wenn auch vermittelten Bezug christlichen Glaubens, Denkens und Tuns auf die jüdische Religion. (Re-)Integration der Tora in die protestantische Theologie wählt Friedrich-Wilhelm Marquardt mit dem Konzept der „evangelischen Halacha“. Er versteht unter Halacha einen Weg, der dem Handeln, dem Tun, gegenüber dem Denken Vorrang einräumt, und will hierfür einen Ort in der protestantischen Dogmatik finden. Er entwickelt die evangelische Halacha in möglicher Nähe und notwendiger Verschiedenheit zur jüdischen Halacha. Vgl. FRIEDRICH-WILHELM MARQUARDT, Von Elend und Heimsuchung der Theologie. Prolegomena zur Dogmatik, München 21992, 166–262; DERS., Auf dem Schulweg. Kleinere christlich-jüdische Lerneinheiten, Berlin 1999, 229–255. Siehe dazu auch AKTION SÜHNEZEICHEN FRIEDENSDIENSTE E.V. (Hg.), Was bedeutet „Evangelische Halacha“? Gedenken an Friedrich-Wilhelm Marquardt. Eine Dokumentation, Berlin 2005. 121 REINHOLD BOSCHKI/THOMAS SCHLAG, Art. Gesetz und Evangelium – Evangelium und Torah, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www. wirelex.de), 2016.
Kapitel 3
Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik Die Beschäftigung mit einer Didaktik der Tora setzt die Klärung des vielschichtigen und vielfältigen Begriffs Tora voraus, der sowohl in der jüdischen Tradition (siehe oben Kapitel 2.2) als auch in der christlichen Rezeption (Kapitel 2.3), also im Neuen Testament und in der christlichen Tradition, mehrdeutig ist. Davon ist der Bedeutungskontext von Tora zu unterscheiden, der durch die Hebräische Bibel selbst gegeben ist (Kapitel 2.1). Alle drei Kontexte sind hier zu skizzieren und dann abschließend in Bezug auf eine Toradidaktik hin zu fokussieren. Zu Beginn der Studie ist es notwendig, das Feld abzustecken, auf dem eine christliche Toradidaktik einerseits verortet und andererseits fruchtbar gemacht werden kann. Dafür sind fünf Bestandsaufnahmen fundamental: Zum einen soll analysiert werden, in welcher Form die Tora in der Bibeldidaktik des Alten Testaments behandelt wird (3.1). Zum Zweiten soll gefragt werden, auf welche hermeneutischen Grundfragen eine Torahermeneutik, die den Heraus- und Anforderungen der „zweifachen Nachgeschichte“1 des Alten Testaments in Judentum und Christentum gerecht wird, Antworten finden muss (3.2). Drittens soll konkretisiert werden, in welcher Form Tora derzeit in den Rahmenrichtlinien und Unterrichtsmaterialien für den evangelischen Religionsunterricht der Sekundarstufen I und II des Gymnasiums und der Grundschule vorkommt (3.3). Viertens soll geprüft werden, welche Rolle Judentum bzw. jüdisch-christliche Lehrinhalte und das Erste Testament in der universitären Ausbildung zukünftiger Lehrer:innen spielen (3.4). Und schließlich soll verortet werden, wie sich der jüdisch-christliche Dialog und die Religionspädagogik zueinander verhalten und wie sie einander bereichern können (3.5).
3.1 Tora in der christlichen Bibeldidaktik 3.1 Tora in der christlichen Bibeldidaktik
Traditionell findet schon das Alte Testament als selbstständiges Buch, das einer eigenständigen Didaktik und Hermeneutik bedarf und eine „zweifache
1
BLUM, Hebräische Bibel.
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
Nachgeschichte“ umfasst, wenig Aufmerksamkeit2 in der Bibeldidaktik.3 In den meisten Entwürfen wird es, wenn es als eigenständiges Buch behandelt wird, im Rahmen einer gesamtbiblischen Didaktik erschlossen.4 Dementsprechend wird der Tora als autonomer Größe noch weniger Beachtung 2
Eine andere Meinung vertritt hier der Regensburger Religionspädagoge Michael Fricke in seinem Aufsatz zu „Bedeutung und Umgang mit dem Alten Testament in der Religionspädagogik“: Er kommt abschließend zu dem Urteil, dass das „Alte Testament […] einen festen, ‚würdigen‘ Platz in der Religionspädagogik [hat] und der Umgang mit ihm […] im Wesentlichen angemessen [ist]“ (FRICKE, Bedeutung, 207). Allerdings benennt auch er „die weitergehende Verankerung all dieser Erkenntnisse und Haltungen in der religionspädagogischen (Diskurs-)Gemeinschaft in Universität und Schule“ als ein bleibendes Desiderat (a.a.O., 208). Kritisch muss angemerkt werden, dass sich seine positiven Beispiele größtenteils auf eine Stellungnahme des Dachverbandes des Kindergottesdienstes, verschiedene Entwürfe von Kinderbibeln oder auf gesamtbiblische, bibeldidaktische Entwürfe beziehen, während er die Frage, inwiefern das Erste Testament einerseits und zuerst jüdische Bibel ist und bleibt und andererseits direkt zu uns Christen und Christinnen spricht, unbeantwortet lässt. 3 So findet die zweifache Nachgeschichte in der Didaktik des Alten Testaments von Wilms keine Erwähnung (FRANZ-ELMAR WILMS, Didaktik des Alten Testamentes. Ein Handbuch für die Sekundarstufe I, München 1978). In dem alttestamentlichen Arbeitsbuch von Friedrich Johannsen betont dieser zwar in den Vorbemerkungen, dass in der dritten Auflage verstärkt „dem Sachverhalt Rechnung getragen [wurde], dass das Alte Testament zugleich Heilige Schrift des Judentums ist“ (FRIEDRICH JOHANNSEN, Alttestamentliches Arbeitsbuch für Religionspädagogen, Stuttgart 32005, 11). Als Konsequenz dieser Tatsache wird dann aber nur die Verwendung der Bezeichnung Hebräische Bibel und des Tetragramms (JHWH) benannt. Das Arbeitsbuch hat keinen Abschnitt zur Hermeneutik des Alten Testaments und zu ihren Besonderheiten für die alttestamentliche Bibeldidaktik. Innerhalb des sehr kurzen Abschnitts zum Thema „Das AT – ein christliches Buch“ finden die historische Debatte um Marcion und der Bezug der Deutschen Christen in der Zeit des Nationalsozialismus auf dieselbe Erwähnung. Eine Aktualisierung der Fragestellung fehlt. Positiv hervorzuheben sind hier die bibeldidaktischen Grundregeln des Alten Testaments innerhalb des katholischen Arbeitsbuches der Religionsdidaktik in Grundregeln. Anton A. Bucher macht gleich in seiner ersten Grundregel deutlich, dass das „Alte Testament als eigenwertiges Dokument des unaufkündbaren Ersten Bundes“ gewürdigt werden müsse; gerade in „Anbetracht der theologischen Wurzeln des Antisemitismus, der noch in keiner Weise überwunden ist, erhält die Einstellung gegenüber dem AT nicht nur religionsdidaktische, sondern auch politisch Brisanz“ (ANTON A. BUCHER, Bibeldidaktische Grundregeln. Altes Testament, in: Engelbert Groß/Klaus König [Hg.], Religionsdidaktik in Grundregeln. Leitfaden für den Religionsunterricht, Regensburg 1996, 68–94, 68). Eine Begründung der Diskreditierung des Alten Testaments sieht er in der klischeehaften stereotypen Darstellung des Judentums als Gesetzesreligion, wobei er Gesetz mit Tora gleichsetzt (a.a.O., 70). Die Tora wird zwar als jüdische Offenbarung bezeichnet, findet aber in den Konkretisierungen für die christliche Bibeldidaktik und in den weiteren Grundregeln in ihrer Bedeutung für das Christentum keine Erwähnung mehr. 4 So z.B. bei prägenden Entwürfen wie INGO BALDERMANN, Einführung in die biblische Didaktik, Darmstadt 1996; HORST KLAUS BERG, Ein Wort wie Feuer. Wege lebendiger Bibelauslegung (Handbuch des biblischen Unterrichts 1), München u.a. 1991; MIRJAM
3.1 Tora in der christlichen Bibeldidaktik
51
beigemessen:5 Explizit wird ihr nur in den bibeldidaktischen Entwürfen von Ingo Baldermann und Horst Klaus Berg Aufmerksamkeit gewidmet – diese beiden Entwürfe stelle ich deswegen im Folgenden ausführlicher dar (3.1.1/3.1.2). Einen wesentlichen Beitrag, um die Tora als Themenfeld in der Religionspädagogik in den Fokus zu rücken, hat außerdem das Themenheft „Tora“ der Zeitschrift für Pädagogik und Theologie. Der evangelische Erzieher geleistet, welches unter der Federführung von Ralf Koerrenz entstanden ist (3.1.3).6 3.1.1 Ingo Baldermann: Didaktik der Tora Ingo Baldermann entwickelt in seiner Bibeldidaktik erste Ansätze einer Didaktik der Tora. Er versteht Bibeldidaktik als Didaktik der Bibel, also als eine der Bibel inhärente Didaktik. Damit stellt er den Text in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. „Der Text“, so schreibt er in seiner Einleitung zur Einführung in die biblische Didaktik, „ist in diesem Lernprozess nicht Objekt meiner Didaktik, sondern selbst ein didaktisches Subjekt.“7 Die biblischen Texte seien mit einem didaktischen Ziel in der Bibel versammelt. 8 Baldermann
SCHAMBECK, Bibeltheologische Didaktik. Biblisches Lernen im Religionsunterricht (UTB 3200), Göttingen 2009; GERD THEIẞEN, Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik, Gütersloh 2003; MIRJAM ZIMMERMANN/RUBEN ZIMMERMANN (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik (UTB 3996), Tübingen 22018. Darüber hinaus gibt es einige neuere bibeldidaktische Entwürfe, die spezielle Fragestellungen in Bezug auf das Alte Testament bearbeiten, aber die hermeneutischen Herausforderungen seiner zweifachen Nachgeschichte kaum in den Blick nehmen. Vergleiche hierzu MICHAEL FRICKE, ‚Schwierige‘ Bibeltexte im Religionsunterricht. Theoretische und empirische Elemente einer alttestamentlichen Bibeldidaktik für die Primarstufe (ARPäd 26), Göttingen 2005; NELE SPIERING-SCHOMBORG, „Man kann sich nicht entscheiden, als was man geboren wird“. Exodus 1 im Horizont von Intersektionalität und empirischer Bibeldidaktik (Religionspädagogik innovativ 19), Stuttgart 2017. Für einen Überblick über die Geschichte des Alten Testaments in der Religionspädagogik vgl. FRICKE, Bibeltexte, 44–68. 5 So findet sich z.B. in dem sehr umfangreichen Handbuch Bibeldidaktik von Zimmermann/Zimmermann kein Abschnitt zur Tora, sondern es werden nur einzelne Themen der Tora behandelt wie Schöpfung, Bund, Dekalog etc. oder wie Figuren: Adam und Eva, Kain und Abel, Noah etc. Die zweifache Nachgeschichte in Judentum und Christentum bzw. die gemeinsame Rezeption der Hebräischen Bibel mit dem Judentum kommt in dem Handbuch höchstens unter der Überschrift „Probleme“ in dem Artikel zum Thema „Bibel und Antisemitismus“ zum Tragen. Siehe ZIMMERMANN/ZIMMERMANN, Handbuch Bibeldidaktik. 6 Vgl. BALDERMANN, Einführung, 37–42 und HORST KLAUS BERG, Altes Testament unterrichten. Neunundzwanzig Unterrichtsentwürfe (Handbuch des biblischen Unterrichts 3), München 1999, 166–187; RALF KOERRENZ (Hg.), ZPT 67/2 (2015). 7 BALDERMANN, Einführung, 3. 8 Ihren Ausgangspunkt nimmt Baldermanns Bibeldidaktik bei den Psalmen für Kinder. Sie erfolgt in drei Schritten: Zunächst geht es um eine Wahrnehmung der Texte, ihrer Sprache an sich; der zweite Schritt ist dann, die biblischen Worte zum Anlass zu nehmen,
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
liest, und das ist der Kern seiner Bibeldidaktik, die biblischen Texte als existenzielle Texte, denen die Ängste und Hoffnungen der Menschen inhärent sind.9 Didaktik stellt ihm zufolge die Frage nach dem Notwendigen für die nächsten Generationen. Die Antwort findet er in der glaubwürdigen Hoffnung der Bibel. Die „Bibel aber ist ganz einzigartig in der Konsequenz und Leidenschaft, mit der sie dieses Thema verfolgt“.10 Baldermann stellt beide Testamente, also das Alte und das Neue, unter die „Didaktik der Hoffnung“.11 Sie ist demzufolge auch der hermeneutische Schlüssel, mit dem er beide Testamente liest. Alles, selbst die Christologie, ordnet er diesem Thema unter; damit bleibt das Erste Testament als Eigenwort bestehen und geht nicht im Neuen Testament oder in einer Christologie auf. Die „Didaktik der Tora“12 verortet er innerhalb des Themenfeldes „Prophetischer Einspruch: Die Sprache der Gerechtigkeit“.13 Er charakterisiert die Tora als das elementare Wort der Bibel für Jüdinnen und Juden und kritisiert eine christliche Übersetzung des Begriffs mit Gesetz als Ausdruck von Geringschätzung.14 „Die Tora ist für Juden“, so Baldermann, „die Weisung, sie ist unentbehrlich als Weisung für den Weg des Lebens.“15 Die Frage nach den elementaren Sätzen der Tora führt zu der einfachen Form der Gebote und damit zu den Grundfragen der Ethik.16 Die Absicht der Tora ist es, einen Zaun, eine Barriere um die Verführung zu errichten, wie Baldermann es beschreibt:
um sie mit eigenen Emotionen und Erfahrungen zu verknüpfen; drittens geht es darum, die biblischen Worte als Gegenworte zur Angst wahrzunehmen und einzubringen. 9 „Es geht darum, die Gottesfrage als existentielle Frage aufzuzeigen. Das aber kann nur geschehen, wenn die biblischen Texte als existentielle Texte gelesen werden“ (SCHAMBECK, Bibeltheologische Didaktik, 25). 10 BALDERMANN, Einführung, 13. 11 A.a.O., 15. 12 A.a.O., 148–153. 13 In seiner Einführung in die biblische Didaktik entfaltet Baldermann seine Didaktik anhand der Themenfelder: (1) Worte zum Leben; (2) Geschichten gegen den Tod; (3) Prophetischer Einspruch: Die Sprache der Gerechtigkeit; und (4) Auferstehung. 14 A.a.O., 148. Zum christlichen Umgang mit der Tora siehe oben den Abschnitt 2.3 „Tora in der christlichen Tradition“. 15 Ebd. 16 Um zu ihrem didaktischen Kern vorzudringen, analysiert Baldermann die sprachliche Form der Gebote: Die Übersetzung aus dem Hebräischen müsste heißen: „Du wirst nicht morden, nicht stehlen, nicht ehebrechen …“, die Sätze sprechen damit wie ein unmittelbar dramatischer Zuruf. „Die Gebote sprechen Grundfragen der Ethik an, doch anders, als wir es sonst in der Sprache der Ethik tun. Die so formulierten Gebote verhalten sich zu dem, was wir Ethik nennen, wie das unmittelbar gesprochene Wort der Liebe zu einem Vortrag über Liebe. Die Gebote sind Grundworte, auf denen alle Ethik erst aufbaut, Grundmuster, die das Handeln leiten“ (a.a.O., 149). Baldermann bezieht sich bei seinen Auslegungen auf CRÜSEMANN, Tora.
3.1 Tora in der christlichen Bibeldidaktik
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Ein learning by heart ist also gefordert, das mehr ist als nur ein Auswendiglernen. Die Worte der Tora sollen sich einprägen, aber nicht als lastendes Gesetz, sondern als Anweisung zu einem Leben, das sich nicht blindlings treiben läßt, sondern die Grenzen kennt, jenseits derer die Menschlichkeit im Chaos untergeht, sei es in dem politischen Chaos, das die gewalttätigen Übertreter heraufbeschwören, sei es in dem inneren Chaos, das auch in mir selbst aufsteigt.17
Didaktik müsse auch die Gebote in ihren Kontexten lesen und interpretieren, damit sie verständlich werden und lebendig zu uns sprechen. Der Kontext der Gebote sei, so Baldermann, Ansturm der Gefühle und der Widerstreit der Gedanken zwischen Anklage und Selbstrechtfertigung.18 Die Gebote müssen immer an die Verheißung des Gottes geknüpft sein, der für die Schwachen eintritt und sie aus der Versklavung führt. Nur so kontextualisiert würden sie auch Kindern einleuchten. Die Frage nach einer sachgerechten und wirksamen Didaktik der Tora ist für Baldermann zentral; denn aus ihr erwachsen sowohl die prophetischen Aktualisierungen als auch die schriftgelehrten Forderungen und die neutestamentlichen Diskussionen.19 Baldermann hat mit seiner Didaktik der Tora erste Schritte in Richtung einer Toradidaktik unternommen, die zur Weiterentwickelung herausfordern. Er konzipiert seine Didaktik der Tora durch ein Hinsehen und Wahrnehmen der Bedeutung von Tora in ihrem biblischen und ihrem jüdischen Kontext – meiner Meinung nach stellt dies einen sehr vielversprechenden Ansatz dar. Baldermanns Entwurf einer biblischen Didaktik darf daher als eine erste Arbeit gelten, „die dieser der Bibel eigenen Didaktik Stimme verleiht und jüdisches Denken für Christen hör- und nachvollziehbar macht“.20 Er schöpft dabei aber bei Weitem noch nicht das religionspädagogische und bibeldidaktische Potenzial der Tora aus. Baldermann verwendet für seine Didaktik der Tora eine gesamtbiblische Didaktik, wobei er „auf die spezifischen Fragen einer Didaktik des Alten Testaments kaum explizit [eingeht], andererseits [lässt er] das Alte Testament in seinem Eigenwort sprechen […] und [stellt es] dem Neuen Testament gleichberechtigt an die Seite“.21 Sein direkter, existenzieller Zugang für Schüler:innen zum Alten Testament birgt Chance und Gefahr zugleich: So 17
BALDERMANN, Einführung, 151. Methodisch schlägt er für diese Kontextualisierung das Bibliodrama vor. „Es durchbricht die Oberflächlichkeit der banalen moralischen Diskussionen, in deren Kontext die Gebote nur als ‚Gesetze‘ erscheinen, und läßt die Abgründe erkennen, an deren Rand uns die Gebote vor dem Absturz bewahren wollen“ (a.a.O., 152). 19 Vgl. a.a.O., 153. 20 INGRID SCHMIDT/HELMUT RUPPEL, Selig, wer liest. Zu einem neuen Lesen des sogenannten Alten Testamentes, in: ZPT 50 (1998), 343–354, 346. 21 RAINER LEMAIRE, Christliches Verstehen des Alten Testaments und das Verhältnis Kirche – Israel. Eine Untersuchung zur Berücksichtigung des Verhältnisses Kirche – Israel in christlichen Entwürfen zur Hermeneutik und Didaktik des Alten Testaments, Schenefeld 2004, 421. 18
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setzen sich die Lernenden einerseits direkt zu den Texten der Tora in Beziehung, andererseits besteht die Gefahr einer Vereinnahmung der Texte.22 Hier würde eine spezifisch alttestamentliche Hermeneutik nottun, die das Alte Testament als Teil der christlichen Bibel, aber auch und zuerst als jüdische Bibel liest. Diese hermeneutische und bibeldidaktische Herausforderung der „zweifachen Nachgeschichte“ des Alten Testaments ist bis jetzt in der religionspädagogischen Fachdiskussion kaum in den Blick genommen worden.23 3.1.2 Horst Klaus Berg: Tora als Weisung Horst Klaus Berg befasst sich mit der Tora als einem Aspekt der Bibeldidaktik. In seiner Korrelations- oder Kontextdidaktik untersucht er dreizehn verschiedene Auslegungsarten der Bibel.24 Mit und durch diese sehr unterschiedlichen Lesarten werden je andere oder neue Zugänge zur Bibel und zu ihrem Verständnis eröffnet. Mirjam Schambeck fasst das Ziel seiner Bibeldidaktik unter dem Stichwort der Erfahrungsrelevanz zusammen: Damit wird die Frage nach der Erfahrungsrelevanz der Bibel vorbereitet, an der sich entscheidet, inwieweit die Bibel auch in Zukunft von den Menschen als tröstendes, Hoffnung stiftendes und orientierendes Wort Gottes aufgesucht wird.25
Dies sei, laut Berg, das eigentliche Ziel biblischen Lernens, um den Relevanzverlust, den Evidenzverlust und den Realitätsverlust der Bibel zu überwinden.26 Er stellt damit eine mehrdimensionale Bibelauslegung vor, die einen Zugang
22
Eine andere Gefahr sehen Christina Kalloch und Bettina Kruhöffer, indem sie Baldermanns Umgang mit der Tora und den prophetischen Texten hinterfragen. Sie betonen die Wichtigkeit der geschichtlichen Einbettung der biblischen Texte und kritisieren, dass man es sich auch und gerade im Primärbereich zu einfach mache, wenn man die Fremdheit der Bibel negiere. Sie plädieren deswegen für die Aufrechterhaltung einer Distanz zur Bibel und problematisieren Baldermanns Ansatz. Schambeck kritisiert seinen Ansatz dahin gehend, dass ihm die „Distanzspielräume“ gerade für Kinder fehlen. Vgl. CHRISTINA KALLOCH/ BETTINA KRUHÖFFER, Das Alte Testament „unmittelbar“ erschließen? Kritische Anfragen an die bibeldidaktische Konzeption Ingo Baldermanns, in: Loccumer Pelikan 2/2001, 59– 64; SCHAMBECK, Bibeltheologische Didaktik, 39. 23 Vgl. B. SCHRÖDER, Religionspädagogik, 611. 24 Die 13 verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten und Zugänge zur Bibel sind: Historisch-Kritische Auslegung, Existenziale Auslegung, Linguistische Auslegung, Tiefenpsychologische Auslegung, Interaktionale Auslegung, Ursprungsgeschichtliche Auslegung, Materialistische Auslegung, Feministische Auslegung, Lateinamerikanische Auslegung, Intertextuelle Auslegung, Wirkungsgeschichtliche Auslegung, Auslegung durch Verfremdung und als Letztes die jüdische Auslegung. Er beschreibt erst knapp die jeweilige Vorgehensweise, stellt Optionen und Methoden des Arbeitens vor und wendet diese dann immer auf zwei Bibeltexte (Gen 4,1–16 und Mk 5,1–20) an. Vgl. BERG, Wort. 25 SCHAMBECK, Bibeltheologische Didaktik, 29. 26 BERG, Wort, 16–18.
3.1 Tora in der christlichen Bibeldidaktik
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zu dem Erfahrungsreichtum der Bibelauslegung eröffnet, den es zu ermessen, zu würdigen und zu verdeutlichen gilt. Zwei Abschnitte seines umfangreichen Entwurfs sind für eine christliche Toradidaktik relevant: 1) Als eine mögliche Auslegungstradition der Bibel beschäftigt Berg sich mit jüdischer Bibelauslegung,27 da eine „Beschäftigung mit der hebräischen Bibel ohne den ökumenischen Dialog mit den jüdischen Vätern […] wichtige Quellen [… zuschüttet]“.28 Die jüdische Exegese sei so vielfältig, dass es bereichernd sei, ihr von christlicher Seite aus Beachtung zu schenken. Nach einem sehr komprimierten Überblick über die Geschichte der jüdischen Hermeneutik charakterisiert er drei fruchtbare Elemente der jüdischen Hermeneutik: erstens die narrative Exegese, bei der die jüdische Exegese schon lange betreibt, was christliche Exegese erst vor einigen Jahren entdeckt hat: „Sie legt sich nicht den Text als Gegenstand objektiver Untersuchung zurecht“, so Berg, „sondern nimmt gleichsam am Tisch der biblischen Erzähler Platz und beteiligt sich an ihrem Gespräch.“29 Zweitens verdeutlicht er am Beispiel der Talmudseite die kommunikative Exegese, die viele widersprüchliche Meinungen in Offenheit und Toleranz nebeneinander stehen lassen kann.30 Drittens ist in der jüdischen Hermeneutik die Offenbarung nicht abgeschlossen und somit die Bibel nicht zu ihrem Ende gelangt, sondern geht weiter und drängt auf Aktualisierung hin.31 2) Gegen die traditionelle christliche Ablehnung der Tora als Gesetz stellt Berg die Tora als „Weisung“ und Heilige Schrift in den Mittelpunkt von drei Unterrichtsentwürfen zum Alten Testament.32 Hierfür erläutert er als Erstes jüdisches Toraverständnis anhand des Festes Simchat Tora,33 charakterisiert die Tora als Heilige Schrift und als Weisung Israels34 und kommt dann anhand 27
Allerdings problematisiert schon Berg selbst die Bezeichnung des Kapitels, wenn er schreibt: „Natürlich gibt es nicht ‚die Jüdische Hermeneutik‘, ebenso wenig wie es ‚die christliche Hermeneutik‘ gibt“ (a.a.O., 386). 28 Ebd. 29 A.a.O., 390. 30 „Die Jüdische Hermeneutik geht von dem Basis-Satz aus: Nur Gott besitzt die volle Wahrheit, die Menschen können versuchen, ihr durch das Zusammentragen ihrer ‚Funken‘ ein wenig näher zu kommen“ (a.a.O., 391). 31 Berg sieht zwei Lernmomente von jüdischer Hermeneutik: Sie versteht seiner Meinung nach die Arbeit an der biblischen Überlieferung als ökumenischen Prozess und sucht konsequent nach der Bedeutung der biblischen Überlieferung für die Gegenwart. Als kritische Anfrage benennt er die Gefahren, dass die jüdische Hermeneutik zu willkürlichen Interpretationen der Bibel führen kann und dass zu wenig deutschsprachiges Material vorliegt, um die jüdische Auslegung allgemein fruchtbar zu machen. Vgl. a.a.O., 401–403. 32 Vgl. BERG, Altes Testament, 166–187. 33 Vgl. dazu oben Abschnitt 2.2.3 „Tora in der jüdischen Glaubenspraxis“. 34 Angelehnt an Martin Buber beschreibt er Tora als „die hilfreiche Lebens-Unterweisung, die die Heranwachsenden an den guten Erfahrungen der Generationen vor ihnen beteiligt“ (BERG, Altes Testament, 167).
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
des Dekalogs zu der Beschreibung von Tora als Gebot und Gesetz. Berg macht sich stark für eine Leseweise der Gebote als befreiender, lebensspendender Zuwendung Gottes zu den Menschen. 35 Anhand dieser Grundsätze entwickelt er drei didaktische Konkretisierungen des Themas „Tora“ für den Unterricht.36 Bergs Bibeldidaktik ist eine Didaktik der beiden Testamente, die er als „das eine Wort“37 charakterisiert. Er interpretiert die Einheit der Testamente als eine wechselseitige Beziehung, die dann ohne typisierende und abwertende Polarisierungen und pauschale Wertung auskomme, sondern einen Wachstums- und Lernprozess ermögliche.38 Hierfür beschreibt er das Verhältnis der Testamente als eine „wachsende Überlieferung“39 und verwendet das Bild einer wachsenden Stadt: Wenn Christen in der weiträumigen Stadt der biblischen Überlieferung nun vorwiegend die Häuser des Neuen Testaments bewohnen, sollten sie sich daran erinnern lassen, daß die Hebräische Bibel noch ganz andere Erfahrungsräume bereithält, die nicht ohne Not leerstehen sollten. Das Verhältnis der Testamente wäre aus christlicher Sicht also als eine Einladung zu verstehen, die Glaubenserfahrungen der Väter neu zu entdecken und sich neu in ihnen einzuleben.40
Dabei äußert sich Berg nicht zu der Tatsache, dass die „Häuser der hebräischen Bibel“, um im Bild zu bleiben, nicht leer stehen, sondern dass sie schon immer von Jüdinnen und Juden und ihrer Tradition bewohnt worden sind und in der Stadt dementsprechend nicht nur die christlichen Häuser, sondern auch und zuerst die der jüdischen Traditionsliteratur stehen. Christliche Theologie hat sich zu lange so verhalten, als würden diese Häuser einfach leer stehen oder 35
Innerhalb des Dekalogs ist die Selbstvorstellung JHWHs als Gott, der Israel aus Ägypten in die Befreiung geführt hat, zentral. „Diese Zusage – im neutestamentlichen Sinne müsste man sagen: dieses Evangelium – ist die Basis des Dekalogs, der Schlüssel zum Verständnis“ (a.a.O., 168). 36 In seinen drei didaktischen Konkretisierungen samt Unterrichtsmaterial stellt er dann den Tora-Baum (Grundschule), das Licht der Tora (5.–7. Klasse) und die lebenserhaltende Tora (7.–10. Klasse) vor. In der Grundschule wird die Tora als Lebensweisung in existenzialer Auslegung erarbeitet. Den christlichen Bezugspunkt stellt Berg dadurch her, dass die Lehrkraft darauf hinweisen soll, „daß für Christen nicht nur die Hebräische Bibel ‚Tora‘ ist, sondern auch das Neue Testament“ (a.a.O., 173). Für die 5.–7. Klasse schlägt er das Fest Simchat Tora und jüdische Feste als Thema vor, da den Schüler:innen daran bewusst werden könnte, „dass Tora in der jüdischen Tradition und Praxis eben nicht enge Gesetzlichkeit bedeutet, sondern Lebensweisung, über die man sich freut“ (a.a.O., 176). Aus der Behandlung des Festes ergebe sich organisch die Besprechung der Bedeutung von Tora im Judentum. In der Mittelstufe sollen die Lernenden dann die Gebote in historisch-kritischer Auslegung kennenlernen. 37 A.a.O., 450. 38 Vgl. a.a.O., 454. 39 A.a.O., 453. Berg grenzt dieses Konzept der „wachsenden Überlieferung“ explizit von einem das Erste Testament abwertenden Fortschrittsdenken ab. 40 A.a.O., 453f.
3.1 Tora in der christlichen Bibeldidaktik
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sogar nicht existieren. Auch wenn Berg sich um eine eigenständige Darstellung jüdischer Auslegung und jüdischer Religion bemüht und deutlich macht, dass das Alte Testament nicht auf die Kategorie des Gesetzes beschränkt werden darf, so umgeht er die Frage nach dem Verhältnis von Christentum zu Judentum. Das komplexe Verhältnis von Israel zur christlichen Identität kommt in seiner Konzeption nicht vor.41 Zwar stellt gerade der dritte Band, Altes Testament unterrichten, mit seinen 29 Unterrichtsentwürfen eine Didaktik des Alten Testaments in den Mittelpunkt, allerdings lässt er eine Einführung in die spezifischen Fragen alttestamentlicher Fachdidaktik vermissen. Auch beantwortet Bergs Entwurf zum Thema Tora nicht, inwieweit sie Teil der christlichen Theologie ist oder für Christinnen und Christen gilt; stattdessen wählt er dort die unverfänglichere Darstellung der Bedeutung von Tora im Judentum.42 Trotzdem hat Berg mit seinem Entwurf einer alttestamentlichen Bibeldidaktik sowohl die Tora als eigenständiges Thema des christlichen Unterrichts stark gemacht als auch jüdische Exegese und Hermeneutik in religionspädagogische Überlegungen integriert und damit erste Weichenstellungen für eine christliche Toradidaktik vornimmt. 3.1.3 Ralf Koerrenz: Multiple Zugänge zur Tora An dieser Stelle sei noch abschließend das Themenheft „Tora“ der Zeitschrift für Pädagogik und Theologie genannt, welches Ralf Koerrenz herausgegeben hat: Es konnte einen wesentlichen Beitrag leisten, um die Tora als Themenfeld in der Religionspädagogik in den Fokus zu rücken, wobei es ganz unterschiedliche didaktische Zugänge zur Tora zusammenstellt. So fordert Bernd Schröder dort die Entwicklung und Etablierung einer Toradidaktik und zeichnet erste Grundpfeiler derselben auf.43 Eine Toradidaktik erschließt demnach im Rahmen einer christlichen Bibeldidaktik (1) den Respekt vor der jüdischen Lesart des Alten Testaments; trägt (2) dem sog. Canonical Approach Rechnung; erschließt (3) das Alte Testament als das erste Wort Gottes; respektiert (4) das Alte Testament als Weisung Gottes; und liest (5) die Texte der Tora als Resonanz der Erfahrung mit Gott.44 Schröder beschreibt die Grundlinien der Tora als ein Buch des Zeichensetzens, Erinnerns und Lernens; als eine Verbindung von Verheißen und Wegweisen, Erkennen und Tun; als des Lebens in Fülle in 41
Vgl. LEMAIRE, Christliches Verstehen, 425–427. Auch stellt er jüdische Auslegung und Hermeneutik in eine Reihe mit anderen christlichen Auslegungstraditionen wie z.B. feministische oder historisch-kritische Exegese. Dabei übergeht er, dass es z.B. sowohl eine feministisch-jüdische Exegese als auch eine Tradition der historisch-kritischen Exegese im Judentum gibt. Vgl. hierzu MARIANNE GROHMANN, Aneignung der Schrift. Wege einer christlichen Rezeption jüdischer Hermeneutik, Neukirchen-Vluyn 2000, 73–129. 43 Zu seinem Postulat einer Toradidaktik in der Religionspädagogik siehe oben Kapitel 1. 44 Vgl. B. SCHRÖDER, Toradidaktik, 131–133. 42
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
Orientierung an Gott oder Götzen; als Dokument des Unterwegsseins und als Vollzugsform von Leben nach der Weisung Gottes.45 Neben Schröders Grundsatzentwurf einer Toradidaktik stellt das Heft thematische Entwürfe zu einzelnen Themen oder Büchern der Tora vor: So fordert Johannes Wachowski eine Wiederentdeckung des Buches Levitikus als Mitte und Herzstück der Tora,46 Reinhold Boschki und Thomas Schlag stellen das in der Tora angelegte Thema der Erinnerung in den Mittelpunkt ihrer didaktischen Überlegungen,47 Micha Brumlik legt ein ethisches Lernarrangement der Tora zugrunde48 und Mirjam Zimmermann stellt mit ihrem Vorschlag, die Genesis als Ganzschrift zu lesen, einen methodisch spannenden Zugang zur Tora dar.49 Das Themenheft bietet also viele Ansätze und Ideen, wie sich eine (Re-)Integration von Tora in die Religionspädagogik christlicher Provenienz gestalten könnte, und macht damit einen ersten Schritt in diese Richtung. Diese unterschiedlichen Entwürfe aufnehmend, zielt die Entwicklung einer christlichen Toradidaktik darauf, explizit eine Bibeldidaktik des Alten Testaments zu entwickeln, die die jüdische Nachgeschichte nicht miss-, sondern beachtet und von ihr und ihrer Didaktik lernt. Eine grundsätzliche Frage ist dann auch, welche Hermeneutik des Ersten Testaments dabei konstruktiv sein könnte; denn wie Michael Meyer-Blank zu Recht konstatiert: „Bibeldidaktik ist eine Form der hermeneutischen Theologie.“50
45
A.a.O., 133. Vgl. auch WACHOWSKI, Lernen, 134f. Er betont die Bedeutung des Buches Levitikus und seine zentrale Stellung im kulturellen Gedächtnis des Judentums: „Ich bin überzeugt, dass nur eine Kirche, die ein hermeneutisch komplexes Verhältnis zum Kanon des Alten Testaments hat und eine im Dialog mit der jüdischen Tradition profilierte Identität besitzt, dass also nur eine Kirche, die ein bewusst reflektiertes, hermeneutisch komplexes, dem Kanon der Bibel entsprechendes und dialogisch zum Judentum offenes Rezeptionsverhältnis zum Dritten Buch Mose hat, dem christlich-jüdischen Traditionszusammenhang gerecht werden und mit dem Judentum selbstaufgeklärt dialogisieren kann“ (a.a.O., 140). 47 REINHOLD BOSCHKI/THOMAS SCHLAG, Zeit-Wege und Wege-Zeit der Tora – Chancen eines beziehungsorientierten Erinnerungslernens, in: ZPT 67/2 (2015), 145–154. 48 MICHA BRUMLIK, Advokatorisches Lehren und Lernen im Horizont der Tora, in: ZPT 67/2 (2015), 155–162. 49 MIRJAM ZIMMERMANN, „Die ganze Genesis lesen?!“ Ganzschriften im Religionsunterricht in Bezug auf die Thora, in: ZPT 67/2 (2015), 179–186. Zur Fragestellung der Ganzschriften im Religionsunterricht vgl. auch CHRISTIAN DERN, Dialogische Bibeldidaktik. Biblische Ganzschriften des Alten und Neuen Testaments in den Sekundarstufen des Gymnasiums – ein unterrichtspraktischer Entwurf, Kassel 2013 und unten Abschnitt 13.1.2 „Tora als bibeldidaktischer Lerngegenstand“. 50 MICHAEL MEYER-BLANK, Hermeneutik und Bibeldidaktik, in: Zimmermann/Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik [2013], 382–387. 46
3.2 Hermeneutik des Ersten Testaments
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3.2 Hermeneutik des Ersten Testaments 3.2 Hermeneutik des Ersten Testaments
„Jede Annäherung an die Tora“, so schreibt der Alttestamentler Frank Crüsemann, „trifft auf die Grundspannung, dass das Sinaigesetz an Israel gerichtet ist, für (und historisch in) Israel formuliert und Israel anvertraut wurde, dass es gleichwohl als der eine Wille des einen Schöpfergottes einen universalen Anspruch stellt.“51 Auch eine christliche Toradidaktik muss dieser Spannung sachgerecht entsprechen, ohne dass sich Christ:innen einfach an die Stelle Israels setzen. Eine Toradidaktik bedarf also, um diesen An- und Herausforderungen der zweifachen Nachgeschichte des Ersten Testaments gerecht zu werden, einer Torahermeneutik. Die Grundpfeiler einer solchen Torahermeneutik innerhalb der christlichen Toradidaktik sollen am Ende der vorliegenden Studie dargestellt werden. Grundfragen und Voraussetzungen der alttestamentlichen Hermeneutik für die Bibeldidaktik werden aber schon hier aufgezeigt. In seiner berühmten Studie Das Erste Testament. Die jüdische Bibel und die Christen argumentiert Erich Zenger eindrücklich und überzeugend dafür, dass nach Auschwitz die Kirche das sogenannte Alte Testament52 anders lesen müsse.53 Prägnant formuliert er die provokative Schlüsselfrage, ob „es überhaupt einen genuin christlichen Umgang mit dem sogenannten Alten Testament [gibt], der dieses als jüdische Bibel respektiert und zugleich als christliche Heilige Schrift in das Zentrum christlichen Lebens stellt“,54 und fordert einen Paradigmenwechsel im Verhältnis der Kirche zum Judentum, der sich auch auf der Ebene der Hermeneutik niederschlagen müsse.55 Zengers Ansatz aufnehmend, geht Christoph Dohmen noch einen Schritt weiter, wenn er fordert, die Zweieinheit der christlichen Bibel, die immer beinhaltet, dass eben das Erste Testament vom Judentum übernommen wurde und mit ihm geteilt wird, zum christlichen Grundverständnis und Fundament der Hermeneutik desselben zu erklären. Dies führe dazu, die „scheinbare Selbstverständlichkeit zu hinterfragen und bewusst zu machen, was das Besondere des Verstehens dieser
51
CRÜSEMANN, Maßstab, 9f. Zu der Frage der Bezeichnung Erstes/Altes Testament bzw. Hebräische Bibel siehe oben S. 10, Anm. 29. 53 Die Herausforderungen einer Theologie nach Auschwitz formulierte der Systematiker Friedrich-Wilhelm Marquardt prägnant: „Die Judenmorde unseres Jahrhunderts und ihre von Theologie und Kirche zu verantwortenden Voraussetzungen und Folgen sind die Zeichen der Zeit, die jede Theologie in bisher unbekannter Weise in Frage stellen“ (MARQUARDT, Elend, 74). Zu den praktisch-theologischen Konsequenzen einer Theologie nach Auschwitz vgl. B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 53–62. 54 ZENGER, Das Erste Testament, 22. 55 Zenger geht es, wie er sagt, „nicht mehr um Einzelkorrekturen, sondern um eine Totalrevision“ der bisherigen theologischen und christlichen „Denk- und Handlungsmuster“ (a.a.O., 16). 52
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
Buchsammlung als Altes Testament ist“.56 Die Problematisierung aufnehmend möchte ich auf die alttestamentliche Bibeldidaktik hin zuspitzend fragen: Gibt es überhaupt einen bibeldidaktischen Umgang mit dem Alten Testament, der dieses als jüdische Bibel respektiert und zugleich als christliche Heilige Schrift in das Zentrum christlichen Lernens und Lehrens, also ins Zentrum der evangelischen Religionspädagogik, stellt? Und welche Selbstverständlichkeiten würde eine derartige Hermeneutik hinterfragen? Ziel dieser Studie ist es, nach einer Hermeneutik innerhalb der alttestamentlichen Bibeldidaktik zu fragen, die den An- und Herausforderungen der zweifachen Nachgeschichte der Hebräischen Bibel gerecht wird und die dies nicht als Last, sondern mit Lust und Leidenschaft an der Vielfalt des Lern- und Lehrgegenstandes vermittelt.57 Die Frage der Hermeneutik des Alten Testaments ist für die Religionspädagogik und insbesondere für die Bibeldidaktik des Alten Testaments von besonderer Bedeutung, da aus der jeweiligen Gesamtkonzeption immer unterschiedliche Akzentuierungen und Bewertungen sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments folgen.58 Lehrkräfte, ob in der Schule oder der Gemeinde, müssen sich bewusst sein, „daß die irgendwie immer präsente gesamtbiblische Grundentscheidung in jede Auslegung des AT entscheidend hineinspielt“.59 Hermeneutik beinhaltet immer auch „eine soziologische Dimension [und] impliziert eigenes Selbstverständnis, besonders bei echter oder vermeintlicher Bedrohung eigener Selbstbehauptung“.60 Herbert Schmid fordert, dass jegliche Hermeneutik der Hebräischen Bibel auch ein Verständnis für die jüdische Hermeneutik haben und dieses in den eigenen Verstehensprozess eingebracht werden müsse. Denn, so Schmid, „[c]hristliche Hermeneutik des Alten Testaments hat es immer – bewusst oder unbewusst – mit dem Judentum zu tun“.61 Die Frage nach der Bedeutung des Ersten Testaments zielt damit immer auf die Grundsatzfrage des Verhältnisses der Kirche zu Israel und zwischen Christentum und Judentum.62 56
DOHMEN/STEMBERGER, Hermeneutik, 216. Prägnant formuliert Dohmen die These, dass „die Besonderheit der christlichen Rezeption der Bibel Israels – nämlich als erster Teil einer zweigeteilten Heiligen Schrift – zum Wesen der Hermeneutik des Alten Testaments gehört“ (ebd.). 57 Vgl. ALEXANDER DEEG/ANDREAS SCHÜLE, Die neuen alttestamentlichen Perikopentexte. Exegetische und homiletisch-liturgische Zugänge, Leipzig 2018, 35ff. 58 So können bestimmte Hermeneutiken der Hebräischen Bibel auch einen Antijudaismus bzw. Antisemitismus transportieren. 59 MANFRED OEMING, Biblische Theologie – was folgt daraus für die Auslegung des AT?, in: EvErz 37 (1985), 233–243, 243. 60 HERBERT SCHMID, Erwägungen zur christlichen Hermeneutik des Alten Testaments unter Beachtung der „bleibenden Erwählung Israels“, in: Jud. 37 (1981), 16–30, 16. 61 Ebd. 62 Angesichts des gegenwärtig wieder sehr viel offener zutage tretenden Antisemitismus ist dies immer auch eine gesellschaftliche und politische Frage. Vgl. dazu die Studie „Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland“, die systematisch Jüd:innen zu ihren
3.2 Hermeneutik des Ersten Testaments
61
Auch die neuere Diskussion um den Stellenwert des Ersten Testaments in Theologie und Kirche, wie sie der Berliner Systematische Theologe Notger Slenczka mit seinem bereits 2013 veröffentlichten, aber erst 2015 in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommenen Beitrag Die Kirche und das Alte Testament ausgelöst hat, hat erneut aufgezeigt, dass der Stellenwert des Ersten Testaments in der christlichen Theologie und dessen Bedeutung für sie und den christlichen Glauben keineswegs unangefochten sind.63 In Bezug auf die Religionspädagogik sind zwei Phänomene dieser Debatte auffallend: Während die Debatte erstens um die Bedeutung des Alten Testaments in der evangelischen Theologie relativ breit und ausführlich geführt wurde,64 wurde sie in der evangelischen Religionspädagogik kaum rezipiert.65 Zweitens ist augenscheinlich, dass die Reflexion über die Hermeneutik des Ersten Testaments in der Bibeldidaktik ein Desiderat derselben darstellt,66 während dagegen zum Beispiel eine breitere Debatte über die Predigt des Alten Testaments in der Homiletik existiert, die
Wahrnehmungen, Interpretationen und Bewertungen des Antisemitismus befragt. Diese Studie erstellte Julia Bernstein und Nathalie Perl zusammen mit Andreas Zick, Andreas Hövermann und Silke Jensen vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld im Auftrag des „Zweiten Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“ des Deutschen Bundestages: ANDREAS ZICK u.a., Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland. Ein Studienbericht für den Expertenrat Antisemitismus, Bielefeld 2017. Abrufbar unter: https://uni-bielefeld.de/ikg/daten/JuPe_Bericht _April2017.pdf (08.07.2020). 63 Vgl. SLENCZKA, Die Kirche und das Alte Testament. Die grundsätzliche Anfrage von Slenczka lautet, ob das Alte Testament legitimerweise Teil des christlichen Kanons sei. Er selbst bezweifelt, dass es für das Glaubensleben der Christ:innen in gleicher Weise relevant sei wie das Neue Testament. Dabei geht es auch um das Verhältnis der Testamente zueinander und dementsprechend um das von Christusoffenbarung und Erstem Testament. Faktisch wiederholt Slenczka Argumente einer 1800 Jahre alten Diskussion, indem er erneut fragt, ob der in der Alten Kirche als Häretiker verurteilte Marcion, der sowohl das Alte Testament als auch alle jüdischen Elemente aus dem christlichen Kanon ausschließen wollte, nicht doch recht hatte. 64 Exemplarisch sei an dieser Stelle nur der Sammelband zu diesem Thema genannt: MARKUS WITTE/JAN GERTZ (Hg.), Hermeneutik des Alten Testaments (VWGTh 47), Leipzig 2017. 65 So gab es weder vonseiten der Religionslehrerverbände noch von fachwissenschaftlicher Seite eine Stellungnahme. Ein Grund mag auch darin liegen, dass Slenczka explizit den Gebrauch des Alten Testaments im Gottesdienst in den Blick nahm. Drei Ausnahmen seien hier genannt: Der Gesamtverband für Kindergottesdienst in der EKD erklärte, dass nur beide Bibelteile, Altes und Neues Testament, gemeinsam die Grundlage für den Kindergottesdienst bilden (siehe oben S. 4, Anm. 9). Ein Grund für dieses augenscheinliche Fehlen von Reaktionen ist sicher auch, dass Slenczka sich in seinen Thesen explizit mit dem Gebrauch der Hebräischen Bibel im Glaubensleben der Kirche auseinandersetzt, was aber im Umkehrschluss meiner Meinung nach nicht bedeutet, dass die Religionspädagogik sich von der Debatte nicht angesprochen fühlen müsste. 66 Als Ausnahme sei hier SCHAMBECK, Bibeltheologische Didaktik, 91–94, genannt.
62
Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
auch eine kritische Auseinandersetzung mit hermeneutischen Herausforderungen der zweifachen Nachgeschichte des Ersten Testaments für die Predigt umfasst. 67 Sie stellt hermeneutische Grundfragen, die auch für eine Toradidaktik relevant sind:68 1) Die Frage der Adressaten: Kann die Kirche, können Christ:innen sich einfach als mitgemeint, mitangesprochen verstehen, wenn das Erste Testament zu und von Israel bzw. dem Volk Gottes spricht? Was bedeutet es, wenn dem so ist, für Jüdinnen und Juden? Was für den jüdischchristlichen Dialog? 2) Die Frage nach dem Inhalt der beiden Testamente: Wie bezieht sich die Botschaft des Neuen bzw. Zweiten Testaments auf die Verheißungen im Alten bzw. Ersten Testament? Theologisch wurde hier immer wieder nach dem Verhältnis von Universalität und Partikularität, nach der Bedeutung des Gesetzes, aber zum Beispiel auch nach dem Umgang mit Gewalt im Alten und Neuen Testament gefragt.69 3) Die Frage nach der historischen Distanz:
67 Vgl. dazu nur in Auswahl: WALLACE ALSTON/CHRISTIAN MÖLLER/HELMUT SCHWIER (Hg.), Die Predigt des Alten Testaments (Altes Testament und Moderne 16), Münster u.a. 2003; ALEXANDER DEEG, Art. Christliche Predigt des Alten Testaments, in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2017; DERS., Selbstverständlich und Israel-sensibel, in: JK 77/1 (2016), 27–29; DERS., Predigt und Derascha; DERS., Faktische Kanonen und der Kanon der Kirche. Überlegungen angesichts der Diskussionen um die Rolle der Bibel in der Evangelischen Kirche, um die Kanonizität des Alten Testaments und die Revision der Lese- und Predigtperikopen, in: PTh 104 (2015), 269–284; ALEXANDER DENECKE, Als Christ in der Judenschule. Grundsätzliche und praktische Überlegungen zum christlich-jüdischen Gespräch und zur Rede von Gott (Schalom-Bücher 4), Hannover 1996; CHRISTOPH LEVIN, Das Alte Testament und die Predigt des Evangeliums, in: KuD 57 (2011), 41–55; HORST D. PREUẞ, Das Alte Testament in christlicher Predigt, Stuttgart u.a. 1984; SCHÖTTLER, Predigt; RUDOLF SMEND, Altes Testament – christlich gepredigt (Dienst am Wort 86), Göttingen 2000; STUDIUM IN ISRAEL E.V. (Hg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, o.O., später: Wernsbach, dann: Berlin 1996ff.; ROLF ZERFAẞ/ HERBERT POENSGEN (Hg.), Die vergessene Wurzel. Das Alte Testament in der Predigt der Kirchen, Würzburg 1990. 68 Vgl. DEEG, Art. Christliche Predigt, 2f. 69 Mit der Frage nach dem Verhältnis der beiden Testamente als zentralem Themenfeld beschäftigt sich Fricke in seiner Studie zu schwierigen Bibeltexten des Alten Testaments. Da sich seine Studie auf die Grundschule bezieht, fragt er zwar an, inwieweit das Verhältnis schon explizit Thema im Unterricht sein könne, betont aber die Wichtigkeit, dass sich Lehrkräfte mit dem Verhältnis der beiden Testamente beschäftigen. Er stellt zunächst verschiedene Modelle der Zuordnung wie das Kontrastmodell, das Relativierungs- bzw. Subordinationsmodell, das heilsgeschichtliche Modell, das Evolutionsmodell, das Modell des Christuszeugnisses als mysterium fidei, das Modell der doppelten Leseweise und das Modell der Dauerreflexion innerhalb des Kanons vor. Im Hinblick auf die Bibeldidaktik hält er die beiden letzten Modelle für geeignet und betont, dass sich dies schon in den Lehrplänen niederschlage, aber auch in der Lehrer- und Lehrerinnenausbildung und in der Auslegungspraxis durch die Einbeziehung jüdischer Quellen berücksichtigt werden müsse. Vgl. FRICKE, Bibeltexte, 121–131.
3.3 Tora in den Lehrplänen und Materialien für den Religionsunterricht
63
Mit der Neuzeit und der Entwicklung eines im engeren Sinne historischen Bewusstseins wurden die Texte des Alten Testaments auch in einem historischen Sinn als „vor-christlich“ beschrieben und dies in eine Entwicklungsgeschichte des Religiösen eingezeichnet, die vor allem im 19. Jh. nicht selten den Weg zu einer Vollendung im Christentum beschrieb, zu einer Abwertung des Judentums führte und so christlichen Antijudaismus verstärkte.70
Mit diesen drei Grundsatzfragen muss sich eine Hermeneutik des Ersten Testaments und dementsprechend auch eine Torahermeneutik auseinandersetzen und sinnvolle Antworten anbieten können. Ein Angebot und eine Konkretion für eine solche Hermeneutik unterbreite ich am Ende dieser Studie (Abschnitt 12.2).
3.3 Tora in den Lehrplänen und Materialien für den Religionsunterricht 3.3 Tora in den Lehrplänen und Materialien für den Religionsunterricht
Eine Bestandsaufnahme von Tora in der Bibeldidaktik und in der Hermeneutik des Ersten Testaments soll komplementiert werden durch einen Blick in die Lehrpläne für das Fach des schulischen evangelischen Religionsunterrichts an Grundschulen und der Sekundarstufen I und II an Gymnasien: In der Primarschule wird ein wichtiger Grundstein für den Umgang mit biblischen Geschichten gelegt. Insbesondere die erzählenden Teile der Tora spielen dafür eine zentrale Rolle: So kommen, mit leichten Abweichungen und differenzierter Schwerpunktsetzung, in allen Curricula für evangelische Religion an Grundschulen folgende Schwerpunkte aus der Tora vor: Schöpfungsgeschichten (Gen 1,1–3,24), Noah (Gen 6–9), Abraham und Sara (Gen 12–25), Jakob und Esau (Gen 25–35); Josef und seine Brüder (Gen 37–50), Mose/Exodus (Ex 1–20) und die Zehn Gebote (Ex 20). Der Textumfang variiert dabei, und oft wird die Ergänzung „in Auszügen“ hinzugefügt. Exkurs: Curricula für evangelische Religion an Grundschulen Der Deutsche Bildungsserver, Lehrpläne für die Grundschule, https://www.bildungsserver. de/Lehrplaene-fuer-die-Grundschule-1660-de.html (19.07.2022), bietet eine Übersicht mit Hyperlinks zu den Curricula der Grundschulen in den deutschen Bundesländern. Für die hier und im Folgenden berücksichtigten Lehrpläne der einzelnen Bundesländer vgl.: Für Baden-Württemberg: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hg.), Bildungsplan der Grundschule. Fachplan Evangelische Religionslehre, in: Kultus und Unterricht. LPH 1/2016, http://www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/get/documents/ lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/BP2016BW_ALLG_GS_REV.pdf (19.07.2022). Für Bayern: Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, Fachlehrplan Ev. Religion für die Grundschule, Jahrgangsstufen 1/2 und 3/4, https://www.lehrplanplus.bayern. de/schulart/grundschule/fach/evangelische-religionslehre/inhalt/fachlehrplaene (18.07.2022). Für Berlin: Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (Hg.), Rahmenlehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 1 bis 10, 70
DEEG, Art. Christliche Predigt, 3.
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
Berlin 2018, https://www.ekbo.de/fileadmin/ekbo/mandant/ekbo.de/3._THEMEN/03._ Bildung/Schule_Bildung/NEU/EKBO_Rahmenlehrplan_A4_180528.pdf (03.07.2022). Für Bremen gilt für den Religionsunterricht die sog. Bremer Klausel (vgl. Art. 141 GG). Für Hamburg: Freie und Hansestadt Hamburg – Behörde für Schule und Berufsbildung (Hg.), Bildungsplan Religion für die Grundschule, Hamburg 2011, https://www.hamburg. de/contentblob/2482202/12eac945b4b3b7606ac899b5e8c1fd6d/data/religion-gs.pdf (18.07.2022). Für Hessen: Hessisches Kultusministerium (Hg.), B1 Religion: Evangelische Religion, in: Dass. (Hg.), Rahmenplan Grundschule, Wiesbaden 1995, 36–62, https://grundschule. bildung.hessen.de/rahmenplan/Rahmenplan.pdf (18.07.2022). Für Mecklenburg-Vorpommern: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Hg.), Rahmenlehrplan Evangelische Religion für die Grundschule, Schwerin o.J., https://www.bildung-mv.de/export/sites/bildungsserver/ downloads/unterricht/rahmenplaene_allgemeinbildende_schulen/Religion/rp-evrel-gs.pdf (18.07.2022). Für Niedersachsen: Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum Evangelische Religion für die Grundschule, Schuljahrgänge 1–4, Hannover 2020, https://cuvo. nibis.de/cuvo.php?p=download&upload=252 (18.07.2022). Für Nordrhein-Westfalen: Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Lehrplan Evangelische Religionslehre, in: Dass. (Hg.), Lehrpläne für die Primarstufe in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2021, 130–151, https://www. schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplan/300/ps_lp_sammelband_2021_08_02.pdf (18.07.2022). Für Rheinland-Pfalz: Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz (Hg.), Teilrahmenplan Evangelische Religion für die Grundschule, Mainz 2010, https://lehrplaene.bildung-rp.de/no-cache.html?tx_pitsdownloadcenter_pitsdownloadcenter %5Bcontroller%5D=Download&tx_pitsdownloadcenter_pitsdownloadcenter%5Baction%5 D=forceDownload&tx_pitsdownloadcenter_pitsdownloadcenter%5Bfileid%5D=9jyQUXU UYXvl04OANM%2FjzQ%3D%3D (18.07.2022). Für das Saarland: Ministerium für Bildung und Kultur Saarland (Hg.), Lehrplan Evangelische Religion für die Grundschule, Saarbrücken 2016, https://www.saarland.de/Shared Docs/Downloads/DE/mbk/Lehrplaene/Lehrplaene_Grundschule/GS_Lehrplan_Evangelische Religion.pdf?_blob=publicationFile&v=1 (18.07.2022). Für Schleswig-Holstein: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein (Hg.), Fachanforderungen Evangelische Religion für die Primarstufe/ Grundschule, Kiel 2020, https://fachportal.lernnetz.de/files/Fachanforderungen%20und%20 Leitf%C3%A4den/Grundschule_Primarstufe/Fachanforderungen%20Primarstufe/20–13610 %20Fachanforderungen%20Ev%20Religion%20GS_WEB.pdf (18.07.2022). Für Sachsen: Sächsisches Staatsministerium für Kultus (Hg.), Lehrplan Evangelische Religion für die Grundschule, Dresden 2019, http://lpdb.schule-sachsen.de/lpdb/web/ downloads/5_lp_gs_evangelische_Religion_2019.pdf?v2 (18.07.2022). Für Sachsen-Anhalt: Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt (Hg.), Fachlehrplan Evangelischer Religionsunterricht für die Grundschule, Magdeburg 2019, https:// lisa.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MK/LISA/Unterricht/ Lehrplaene/GS/Anpassung/lp_gs_evrel_01_08_2019.pdf (18.07.2022). Für Thüringen: Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hg.), Lehrplan Evangelische Religionslehre für die Grundschule und für die Förderschule mit dem Bildungsgang der Grundschule, Erfurt 2010, https://www.schulportal-thueringen.de/tip/ resources/medien/13965?dateiname=lp_gs_ER_2010.pdf (18.07.2022).
3.3 Tora in den Lehrplänen und Materialien für den Religionsunterricht
65
Manche Curricula fügen dem noch einzelne Erzählungen aus der Tora hinzu, so z.B. Kain und Abel (Schleswig-Holstein), Turmbau zu Babel (Hessen) oder Lev 16 und 19 (Sachsen). Die Curricula der Grundschule umfassen also von der Schöpfung bis zum Sinai die Geschichten der Tora; da sie aber meist Themen zugeordnet werden (Schöpfung, Gott, Mensch, Verantwortung etc.), ist es fraglich, ob sich Erzählrahmen und Verlauf der Tora für die Kinder erschließen. Einen großen Unterschied gibt es, ob – und wenn ja in welcher Form – das Judentum als Religion und das Judentum als Wurzel des Christentums in den Curricula vorkommen: So werden in den Curricula von Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein, also in knapp der Hälfte der Rahmenpläne, das Judentum entweder als Wurzel des Christentums hervorgehoben, das Erste Testament als jüdische und christliche Bibel bezeichnet und/oder die Zugehörigkeit Jesu zum Judentum betont. Zumeist findet in diesen Curricula auch die Tora als wichtige Schrift des Judentums Erwähnung.71 Dagegen findet das Judentum und die Tora keine Erwähnung in den Curricula von Niedersachsen,72 MecklenburgVorpommern, Thüringen, Berlin/Brandenburg und Baden-Württemberg.73 In Bezug auf die Rahmenrichtlinien der Bundesländer für den evangelischen Religionsunterricht der Sekundarstufen I und II an Gymnasien gebe ich hier erst eine grobe Übersicht, in welcher Form Textgruppen aus der Tora an sich in den Rahmenrichtlinien eine Rolle spielen, stelle dann die Ergebnisse der Analyse des Rahmenplans für das Land Niedersachsen exemplarisch vor und gehe konkret darauf ein, wo und in welcher Form die Tora begriffliche Erwähnung findet. Exkurs: Rahmenrichtlinien der Bundesländer für den evangelischen Religionsunterricht der Sekundarstufen I und II an Gymnasien Hierfür habe ich die entsprechenden Kerncurricula für alle Bundesländer in Bezug auf die aufgeführten Textbeispiele und Themenbeispiele ausgewertet. Für Baden-Württemberg: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hg.), Gemeinsamer Bildungsplan der Sekundarstufe I. Evangelische Religionslehre, in: Kultus und Unterricht. LPH 2/2016, http://www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/ get/documents/lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/BP2016BW_ALLG_SEK1_REV.pdf (03.07.2022). Für Bayern: Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (Hg.), Fachlehrplan Evangelische Religion für das Gymnasium, Jahrgangsstufe 5, https://www.lehrplanplus. bayern.de/fachlehrplan/gymnasium/5/evangelische-religionslehre (18.07.2022). Für Berlin und Brandenburg: Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (Hg.), Rahmenlehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 1 bis 10, Berlin 2018, https://www.ekbo.de/fileadmin/ekbo/mandant/ekbo.de/ 71
Eine Ausnahme bildet hier das Curriculum von Nordrhein-Westfalen. Niedersachsen nennt aber Tanach als Grundbegriff für den Kompetenzerwerb. 73 In den Rahmenrichtlinien von Sachsen-Anhalt wird das Judentum als Religion erwähnt. Der „RU für alle“ in Hamburg wurde bei der Auswertung nicht erhoben. 72
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
3._THEMEN/03._Bildung/Schule_Bildung/NEU/EKBO_Rahmenlehrplan_A4_180528.pdf (03.07.2022); Dies. (Hg.), Kerncurriculum für den Evangelischen Religionsunterricht in der Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe, Berlin 2012, https://www.ekbo.de/fileadmin/ ekbo/mandant/ekbo.de/3._THEMEN/03._Bildung/Schule_Bildung/Kerncurriculum_Sek_II. pdf (19.07.2022). Für Bremen: Die Senatorin für Bildung und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen (Hg.), Bildungsplan Religion. Grundschule – Oberschule – Gymnasium. Jahrgangsstufen 1– 13 (Die Schulen im Lande Bremen), Bremen 2014, http://www.reli-bremen.de/wpcontent/uploads/2016/03/Bildungsplan.pdf (03.07.2022). Für Hessen: Hessisches Kultusministerium (Hg.), Bildungsstandards und Inhaltsfelder. Das neue Kerncurriculum für Hessen. Sekundarstufe I – Gymnasium, Wiesbaden 2011, https://kultusministerium.hessen.de/sites/kultusministerium.hessen.de/files/2021–07/ kerncurriculum_evangelische_religion_gymnasium.pdf (03.07.2022); Dass., Kerncurriculum gymnasiale Oberstufe: Evangelische Religion, Wiesbaden 2016, https:// kultusministerium.hessen.de/sites/kultusministerium.hessen.de/files/2021–07/kcgo_ evangelische_religion.pdf (03.07.2022). Für Mecklenburg-Vorpommern: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern (Hg.), Rahmenplan Evangelische Religion. Jahrgangsstufen 7– 10 (Regionale Schule, Verbundene Haupt- und Realschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Integrierte Gesamtschule), Schwerin 2002, https://www.bildung-mv.de/export/ sites/bildungsserver/downloads/unterricht/rahmenplaene_allgemeinbildende_schulen/Relig ion/rp-religion-evangelisch-7–10.pdf (03.07.2022); Dass. (Hg.), Rahmenplan Evangelische Religion für die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe, Schwerin 2019, https://www.bildung-mv.de/export/sites/bildungsserver/downloads/unterricht/rahmenplaene_ allgemeinbildende_schulen/Religion/RP_EVANGR_SEK2.pdf (03.07.2022); Dass. (Hg.), Rahmenplan Evangelische Religion. Schulartenunabhängige Orientierungsstufe, Klassen 5 und 6, Schwerin 2002, https://www.bildung-mv.de/export/sites/bildungsserver/downloads/ unterricht/rahmenplaene_allgemeinbildende_schulen/Religion/rp-ev-rel-5–6.pdf (03.07.2022). Für Niedersachsen: Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum Evangelische Religion für das Gymnasium, Schuljahrgänge 5–10, Hannover 2016, https:// cuvo.nibis.de/cuvo.php?p=download&upload=159 (03.07.2022); Dass. (Hg.), Kerncurriculum Evangelische Religion für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, die Gesamtschule – gymnasiale Oberstufe, das Berufliche Gymnasium, das Kolleg, Hannover 2017, https:// cuvo.nibis.de/cuvo.php?p=download&upload=175 (03.07.2022). Für Nordrhein-Westfalen: Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Kernlehrplan Evangelische Religionslehre für das Gymnasium – Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2011, https://www.schulentwicklung. nrw.de/lehrplaene/upload/klp_SI/ev_religionslehre/KLP_GY_ER.pdf (03.07.2022). Für Rheinland-Pfalz: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung des Landes Rheinland-Pfalz (Hg.), – 1 – Lehrplan Evangelische Religion. Orientierungsstufe (Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Regionale Schule, Gesamtschule), Mainz 1997, https://religion.bildung-rp.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/Evangelische_ Religionslehre_Orientierungsstufe.pdf (03.07.2022); Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend des Landes Rheinland-Pfalz (Hg.), Lehrplan Evangelische Religion. Klassen 7–9/10 (Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Regionale Schule, Gesamtschule), Mainz 2002, https://religion.bildung-rp.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/Evangelische_ Religionslehre_Sekundarstufe_I.pdf (03.07.2022).
3.3 Tora in den Lehrplänen und Materialien für den Religionsunterricht
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Für das Saarland: Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes (Hg.), Kernlehrplan Evangelische Religion für Gemeinschaftsschule, Klassenstufen 5 bis 10, Saarbrücken 2012, https://www.saarland.de/SharedDocs/Downloads/DE/mbk/Lehrplaene/Lehrplaene_ Gemeinschaftsschulen/Evangelische_Religion/KLP_EvRel_GemS_Juli_2012.pdf?__blob= publicationFile&v=2 (03.07.2022). Für Sachsen: Sächsisches Staatsministerium für Kultus (Hg.), Lehrplan Evangelische Religion für das Gymnasium, Dresden 2019, http://lpdb.schule-sachsen.de/lpdb/web/ downloads/2433_lp_gy_evangelische_religion_2019.pdf?v2 (03.07.2022). Für Thüringen: Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hg.), Lehrplan Evangelische Religionslehre für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife, Erfurt 2013, https://www.schulportal-thueringen.de/tip/resources/medien/15756?dateiname =LP_GY_ER_Endfassung_22_8_13.pdf (03.07.2022). Ausgenommen von der Analyse sind Hamburg, da der „Religionsunterricht für alle“ einen Spezialfall darstellt, und das Land Sachsen-Anhalt, dessen Kerncurricula nicht öffentlich einsehbar waren.
Grundsätzlich findet das Alte Testament in den Kerncurricula nur selektiv, also vorrangig in auf Themen bezogenen Einzeltexten Erwähnung: So kommen in sämtlichen Rahmenplänen für den Lehrplan Gen 1–3 und das Themenfeld der Schöpfung vor, ebenfalls enthalten ist der ganze Dekalog in Ex 20,1–17 (bzw. der Parallelstelle Dtn 5,6–21) oder Auszüge daraus. Außerdem spielen in den meisten Richtlinien personenbezogene Textgruppen zu Abraham, Jakob, Joseph oder Mose eine Rolle.74 In manchen Rahmenrichtlinien werden zudem noch Teile der Urgeschichte (Gen 4; 6–9; 11), der Exodusgeschichte oder das Gebot der Nächstenliebe in Lev 19,18 genannt.75 Beispielhaft lässt sich dies am Kerncurriculum des Landes Niedersachsen76 verdeutlichen: In der Sekundarstufe I stehen hier Teile der Urgeschichte (Themenbereiche: Schöpfung, Ethik, Sterben und Tod u.a.), die Zehn Gebote (Themenbereich: Rechtfertigung) und die Berufung des Mose (Themenbereich: gnädiger und gerechter Gott) im Mittelpunkt. Ein längerer Abschnitt aus der Tora, große Teile des Buches Exodus, kommen nur in der Unterrichtseinheit über das Judentum vor. Der Begriff oder das Phänomen der Tora wird, wenn überhaupt, nur für das Judentum bzw. als Aspekt des jüdischen Glaubens erwähnt.77 In Bezug auf das Christentum wird die Tora in zwei von dreizehn Rahmenrichtlinien erwähnt: 74
Meist werden zu einer oder zwei der genannten Personen Angaben gemacht. In einzelnen Rahmenrichtlinien können noch andere Texte vorkommen: So kommt im Rahmenplan des Bundeslandes Baden-Württemberg z.B. noch der Aaronitische Segen (Num 6,24–26) vor. 76 NIEDERSÄCHSISCHES LANDESINSTITUT FÜR SCHULISCHE QUALITÄTSENTWICKLUNG (Hg.), Niedersächsischer Bildungsserver – Curriculare Vorgaben für allgemein bildende Schulen und berufliche Gymnasien, www.cuvo.nibis.de (03.07.2022). 77 So in fünf von 14 analysierten Rahmenrichtlinien: Bayern, Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz. Keine Erwähnung findet die Tora in den Kerncurricula der restlichen neun Bundesländer: Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und das Saarland. 75
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
In Niedersachsen wird eine Beschäftigung mit der Stellung Jesu zur Tora für die Sekundarstufe II vorgeschlagen, und sie wird im Bereich der Ethik als biblische Grundlage genannt. In den Rahmenrichtlinien des Bundeslandes Sachsen wird sie häufiger erwähnt: So ist sie auch hier Teil der Einheit zum Thema Judentum, daneben wird sie in der sechsten Klasse in Bezug auf Jesu jüdische Herkunft und seine Stellung zur Tora behandelt, in der achten Klasse kommt sie in dem Themenfeld Gerechtigkeit und Tora, zu biblischen Vorstellungen von Gerechtigkeit, vor.78 Außerdem spielt sie im Grundkurs der Sekundarstufe II bei der Frage nach dem historischen Jesus und seiner Stellung zu Tora und Tempel sowie im Leistungskurs für die Begriffsklärung der biblischen Bezeichnungen (Tanach, Tora, Altes Testament, Neues Testament) und als biblische Grundlage für christliche Ethik eine Rolle.79 Angesichts dieses Tableaus wird deutlich, dass der Unterricht, mit wenigen Ausnahmen, weder auf die Erschließung von einzelnen Textkorpora, Kompositionszusammenhängen oder Büchern, geschweige denn auf die Tora abzielt.80 Komplementiert wird dieser Befund durch eine 2015 erschienene Untersuchung zu antijüdischen Stereotypen und Beschreibungen im christlichen Religionsunterricht von Julia Spichal.81 Sie führte eine quantitative Inhaltsanalyse ausgewählter Lehrpläne und Schulbücher in den (beiden) Ländern Deutschland und Österreich in Bezug auf Vorurteile gegen Jüd:innen im christlichen Religionsunterricht durch. Die Ergebnisse ihrer Analyse stellen sich ambivalent dar: Sie hebt vor dem Hintergrund früherer Studien82 zum einen die 78 Als biblische Grundlage wird Joh 8,1–11 genannt. Der Rahmenplan lässt hier allerdings offen, ob mit Gerechtigkeit und Tora zwei thetische Gegensätze oder eine komplementäre Einheit zu verstehen ist. 79 Vgl. SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR KULTUS (Hg.), Lehrplan Evangelische Religion für das Gymnasium, Dresden 2019, http://lpdb.schule-sachsen.de/lpdb/web/ downloads/2433_lp_gy_evangelische_religion_2019.pdf?v2 (03.07.2022). 80 Vgl. B. SCHRÖDER, Toradidaktik, 125f. 81 SPICHAL, Vorurteile. 82 Seit den 80er-Jahren gibt es, sowohl auf evangelischer als auch auf katholischer Seite, Kommissionen, die sich mit den Schulbüchern für den Religionsunterricht kritisch in Bezug auf Antisemitismus, Judentümer und das jüdisch-christliche Verhältnis beschäftigen. Die erste umfassende Analyse hat Peter Fiedler vorgenommen. So kommt er noch zu dem Ergebnis, dass die Tora als „Gesetz“ dargestellt werde, von dem Jesus befreie; eine christliche Mitschuld an der Schoa nicht erwähnt werde; die Pharisäer als beliebteste Kontrastfolie zur Botschaft Jesu dienen und die Verwurzelung des Christentums im Judentum meist heilsgeschichtlich interpretiert werde. Das heißt, sie gehen davon aus, dass das christliche Volk Gottes an die Stelle Israels getreten sei, und dies wiederum führe oft zu einer christlichen Vereinnahmung des Alten Testaments (PETER FIEDLER, Das Judentum im katholischen Religionsunterricht. Analyse, Bewertung, Perspektiven, Düsseldorf 1980). Zehn Jahre später, 1991, kann die Analyse von Helga Kohler-Spiegel eine positive Entwicklung konstatieren, da sich einige Länder bemüht haben, ihre Lehrpläne und Lehrbücher diesbezüglich zu überarbeiten. Allerdings bestehe noch immer in Bezug auf die Hermeneutik und Vereinnahmung des Ersten Testaments ein zentrales Problem und es komme, sobald es um die eigene
3.3 Tora in den Lehrplänen und Materialien für den Religionsunterricht
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positive (Weiter-)Entwicklung der Lehrpläne und Schulbücher hervor, die sich bemühen, die verschiedenen Judentümer angemessen und zeitgemäß darzustellen.83 Zum anderen zeigt sie aber auch noch Themenfelder auf, auf denen die Lehrbücher und Materialien noch großen Nachholbedarf hinsichtlich einer israelsensiblen Religionspädagogik haben.84 Die Behandlung des jüdischen Verständnisses der Tora in den Lehrplänen und Materialien changiert zwischen wohlwollender Darstellung und antijüdischer Polemik.85 Spichal charakterisiert drei Darstellungsmuster der Tora: Das erste umfasst Lehrbücher und Materialien, die die Tora negativ als einengendes christliche Identität gehe, zu negativen Abgrenzungen vom Judentum (HELGA KOHLERSPIEGEL, Juden und Christen, Geschwister im Glauben. Ein Beitrag zur Lehrplantheorie am Beispiel des Verhältnisses von Christentum und Judentum, Freiburg im Breisgau/Basel/ Wien 1991). Martin Rothgangel hat drei Jahre später, 1994, seine Ergebnisse veröffentlicht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass in den Schulbüchern noch immer antithetische Wertungsmuster existieren. So sei z.B. die Darstellung der Tora ambivalent: Aus religionskundlicher Perspektive wird sie in Bezug auf das Judentum sachlich korrekt dargestellt, dient aber trotzdem als Gegensatz zur christlichen Botschaft. Er beklagt eine Unkenntnis der Schüler:innen in Bezug auf jüdische Geschichte zwischen 70 n. Chr. und der Schoa und die weitgehend rein christologische Deutung des Ersten Testaments (MARTIN ROTHGANGEL, Antisemitismus als religionspädagogische Herausforderung. Eine Studie unter besonderer Berücksichtigung von Röm 9–11, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 21997). Barbara Schäuble und Michael Tilly stellen beide fest, dass ein Grundproblem in den Einheiten zum Thema Judentum darin bestehe, dass es von einer negativen Grundstimmung beherrscht werde, da sie jeweils mit den Themen Antisemitismus und Schoa beginnen und selten das Judentum als eine lebende, individuelle und vielgesichtige Religion darstellen. Schröder bemängelt, diesen Gedanken weiterführend, dass lediglich die Frage nach einer angemessenen Didaktik des Judentums behandelt, aber das jüdisch-christliche Verhältnis nicht religionspädagogisch reflektiert werde. Vgl. BARBARA SCHÄUBLE, „Anders als wir“. Differenzkonstruktionen und Alltagsantisemitismus unter Jugendlichen, Berlin 2012; MICHAEL TILLY, Elementarisierung oder Fehlinformationen? Anmerkungen zur Darstellung des Judentums im christlichen Religionsunterricht, in: ZPT 51/4 (1999), 378–390; BERND SCHRÖDER, Praktische Theologie und Religionspädagogik im Gespräch mit dem Judentum? Bilanzierende und perspektivische Überlegungen, in: PrTh 39/4 (2004), 280–285; einen guten Überblick über die Studien und ihre Ergebnisse bietet SPICHAL, Vorurteile, 69–83. 83 So werden Spichals Analyse zufolge z.B. die Pharisäer in einer großen Mehrheit der Lehrbücher nicht mehr als Negativfolie missbraucht, um das Christentum besonders positiv darzustellen, sondern es existiert ein bewusster Umgang mit diesem neuralgischen Punkt. Oder es ist das Bemühen zu sehen, das Alte Testament als Heilige Schrift des gegenwärtigen Judentums darzustellen und zu würdigen. Vgl. SPICHAL, Vorurteile, 204f.213–215. 84 Bei der Behandlung der Passion Christi werde oft noch die Verantwortung für den Tod Jesu pauschal bei „den Juden“ verortet; der Staat Israel werde als Themenfeld des evangelischen Religionsunterrichts nicht berücksichtigt, obwohl israelbezogener Antisemitismus ein zentraler Bezugspunkt des gegenwärtigen Antisemitismus sei, und jüdische Geschichte zwischen 70 n. Chr. und der Schoa spiele weiter kaum eine Rolle. Vgl. a.a.O., 209f.219f. 222f. 85 A.a.O., 217.
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
Gesetz beschreiben. So wird die Tora als Negativfolie für das barmherzige Christentum missbraucht und Paulus in einem Lehrbuch als Gesetztesfanatiker bezeichnet und somit die Torafrömmigkeit mit Fanatismus gleichgesetzt.86 Zweitens gibt es eine positive Darstellung von Tora im Judentum. Tora wird in diesen Materialien und Lehrbüchern als befreiend und als Ursprung der Freude thematisiert. Trotzdem erscheint es drittens höchst problematisch, dass, selbst wenn es zu einer positiven Darstellung der Tora in Bezug auf das Judentum kommt, kaum nach deren Relevanz für das Christentum gefragt wird und es sogar, sobald es um die christliche Identität geht, in Bezug auf die Tora zu antithetischen Wertungsmustern in Abgrenzung zum Judentum komme. Spichal gelangt zu dem Ergebnis, „dass in den untersuchten Lehrplänen und Schulbüchern an mehreren Stellen hinsichtlich des jüdischen Toraverständnisses deutliche antijüdische Polemik zu finden ist“.87 Insgesamt liege also eine Diskrepanz vor, die bereits vorherige Studien aufgezeigt und problematisiert haben, nämlich die „zwischen einer wohlwollenden Darstellung der Tora einerseits und einem sachlich falschen Zerrbild des jüdischen Toraverständnisses in Abgrenzung zu Jesu Botschaft andererseits“.88 Bilanzierend lässt sich festhalten, dass dem Aufmerksamkeitsdefizit im Umgang mit der Tora als eigenständiger Größe in der Bibeldidaktik und in der Hermeneutik einerseits also die Gewichtung der Lehrpläne für das Fach des schulischen Religionsunterrichts andererseits entspricht. Eine Ausnahme bilden hierbei die Rahmenrichtlinien ungefähr der Hälfte der Bundesländer in Bezug auf die Grundschule.
3.4 Judentum und Erstes Testament in der universitären Ausbildung der Lehrer:innen 3.4 Judentum und Erstes Testament in der universitären Lehrer:innenausbildung
Die Gestaltung des Unterrichts und seiner Themen sowie die Übersetzung der Themen in die Gegenwart der Schüler:innen hängen im Religionsunterricht, wie in anderen Fächern auch, maßgeblich von der jeweiligen Lehrkraft ab. Damit die Tora für Schüler:innen sowohl als ein Zentrum der jüdischen als auch als ein „Fragment der christlichen Identität“ (vgl. Abschnitt 12.1) erfahrbar wird, ist es entscheidend, dass sie für christliche Lehrkräfte in diesen Facetten während des Studiums theologisch elementar wird. Zukünftige Religionspädagog:innen sollten also selbst in ihrer Ausbildung prägende Begegnungen mit dem Ersten Testament, mit der Tora, mit jüdischer Auslegung, mit jüdisch-christlichen Fragestellungen haben, damit sie diese später weitergeben können. Für eine christliche Toradidaktik ist deshalb die Frage zentral, welche 86
A.a.O., 216f. Ebd. Spichal fordert daher eine Überarbeitung der betreffenden Darstellungen. 88 A.a.O., 218. 87
3.4 Judentum und Erstes Testament in der universitären Lehrer:innenausbildung 71
Rollen sowohl das Erste Testament als auch das Judentum und jüdischchristliche Lehrinhalte in der Ausbildung von zukünftigen Lehrkräften spielen. Einen ersten Überblick über jüdische und/oder christlich-jüdische Lehrinhalte im Lehramtsstudium liefert eine Erhebung im Auftrag der AG Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag von 2016/2017. In dieser ist erstmals eine (nahezu) flächendeckende Analyse der Studien- und Prüfungsordnungen für das Pfarramts- und Religionslehramtsstudium in Deutschland mit der Fragestellung durchgeführt worden, ob und in welcher Form und Dichte sie jüdische und/oder jüdisch-christliche Lehrinhalte festschreiben.89 Die Studie kommt für die Lehramtsstudiengänge zu folgenden Ergebnissen: 1) In den Prüfungsordnungen wurde nur in zwei Bundesländern der interreligiöse Dialog als Studieninhalt genannt. Eine positive Ausnahme stellt hier die bayrische Prüfungsordnung dar, sie benennt dezidiert Grundkenntnisse des Judentums als Zulassungsvoraussetzung. 2) Keine Studienordnung enthält ein obligatorisches Modul zu jüdisch-christlichen Themen. 3) Fast keine Studienordnung enthält ein obligatorisches Modul im Bereich Judaistik. 4) Die fakultativen Veranstaltungen sowohl zu judaistischen als auch zu jüdisch-christlichen Themen variieren zwischen sechs bis gar keiner.90 Abschließend kommt die Studie zu folgendem Ergebnis:
89 Die operative Durchführung oblag aufseiten der AG Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag Aline Seel und Christian Staffa, in Kooperation mit Marie Hecke, Julia Nikolaus und Bernd Schröder, Lehrstuhl für Religionspädagogik, Göttingen, die ein Konzept zur Datenerhebung entwickelt und die kriteriengeleitete Auswertung vorgenommen haben. Für die Studienergebnisse vgl. EVANGELISCHE AKADEMIE ZU BERLIN (Hg.), Reform der Reformation. Zum Stand und Stellenwert jüdisch-christlicher Lehrinhalte in der theologischen Ausbildung (Fachgespräch der Evangelischen Akademie zu Berlin) (epd-Dokumentation 21/2017), Frankfurt am Main 2017. 90 Die Studie kommt auf dieser Basis zu den Ergebnissen: 1) Es gibt wenige Pflicht- und viele Kürveranstaltungen sowohl im jüdisch-christlichen als auch im judaistischen Bereich. 2) Die Festschreibung in einem Pflichtmodul wäre besser als die Einordnung in den Wahlpflichtbereich. 3) In der Einordnung in die Religionswissenschaften liegen eine Chance, dass jüdische Themen vorkommen, und die Gefahr, dass das spezifisch jüdisch-christliche Verhältnis nicht vorkommt. 4) Ob das Thema in der Ausbildung eine Rolle spielt, liegt in hohem Maße an einzelnen Personen und Einrichtungen. 5) Es gibt quantitative Unterschiede zwischen Pfarramt und Lehramt und zwischen Fakultäten und Instituten. 6) Es mangelt an Begegnungen mit dem Judentum und dessen (wissenschaftlichen) Vertreter:innen. 7) Jüdischchristlicher Dialog/Judaistik ist nirgends obligatorischer Gegenstand des Examens. 8) Es gibt eine Asymmetrie zwischen kirchlichem Selbstverständnis und theologischer Ausbildung. Vgl. dazu MARIE HECKE/JULIA NIKOLAUS/BERND SCHRÖDER, Judentum und christlich-jüdischer Dialog in der theologischen Ausbildung in Deutschland, in: Johannes Ehmann u.a. (Hg.), „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“. Festschrift zum vierzigjährigen Bestehen von Studium in Israel e.V. (SKI N.F. 10), Leipzig 2018, 89–94.
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
So erfreulich und groß die Fortschritte im christlich-jüdischen Dialog sind, so sporadisch und instabil ist dieses Themenfeld einschließlich der erforderlichen judaistischen Hintergründe in der Ausbildung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren verankert.91
Die Verfasser:innen der Studie kommen folglich zu dem Schluss, dass es fraglos wünschenswert wäre, „dass niemand ein Studium der evangelischen Theologie bzw. Religion absolvieren kann, ohne durch die Fülle der entsprechenden Lehrangebote oder gar durch verbindliche Vorgaben der Studienordnung auf die Befassung mit dem gegenwärtigen Judentum und seiner Geschichte sowie mit Herausforderungen und Einsichten des jüdisch-christlichen Gesprächs zu stoßen“.92 Um diesen Fragen noch einmal konkret und in Bezug auf die Frage sowohl nach jüdisch-christlichen und/oder jüdischen Lehrinhalten als auch nach dem Vorkommen des Ersten Testaments in den Lehramtsstudiengängen nachzugehen, erfolgt an dieser Stelle eine exemplarische Tiefenbohrung93 über Judentum/jüdisch-christliche Lehrinhalte und das Erste Testament als Studieninhalte im Lehramtsstudiengang an vier Standorten. Um die Befunde einordnen zu können, ist es zunächst notwendig, sich bewusst zu sein, dass das Lehramtsstudium stark reguliert wird: Es existieren formale Vorgaben der europäischen Wissenschaftspolitik, bundesweite Rahmenvereinbarungen zwischen den theologischen Fakultäten bzw. Instituten und den Kirchen und standortindividuelle Bestimmungen.94 Eine Grundlage bilden die Empfehlungen der Gemischten Kommission zur theologisch-religionspädagogischen Kompetenz von 2008.95 Sie benennen Kompetenzen und Standards für die Religionslehrer:innenausbildung. Eine zentrale Kompetenz stellt, neben der fachwissenschaftlichen, die Dialogkompetenz dar:
91
A.a.O., 94. Ebd. 93 Die Gestaltung der exemplarischen Tiefenbohrung lehnt sich an die Studie zum Thema „Judentum und christlich-jüdischer Dialog in der theologischen Ausbildung in Deutschland“ von der AG Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag an. Vgl. a.a.O., 84f. 94 Vgl. a.a.O., 85. Dokumentiert sind diese Regeln für das Lehramtsstudium in: HARTMUT LENHARD/MANFRED L. PIRNER/CHRISTOPH SCHNEIDER-HARPPRECHT (Hg.), Theologisch-religionspädagogische Ausbildung. Dokumente und Texte aus der Arbeit der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums/Fachkommission II (Lehramtsstudiengänge) von 1993 bis 2015, Leipzig 2019. 95 Vgl. Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz. Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung. Empfehlungen der Gemischten Kommission (EKD-Text 96) (2008), in: Lenhard/Pirner/Schneider-Harpprecht (Hg.), Theologischreligionspädagogische Ausbildung, 243–279. 92
3.4 Judentum und Erstes Testament in der universitären Lehrer:innenausbildung 73 Religionslehrerinnen und -lehrer beteiligen sich am interdisziplinären Gespräch und an fächerverbindenden Kooperationen, am Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Religionen und am gesellschaftlichen Diskurs über die Bildungsaufgabe und Bedeutung des Religionsunterrichts im Rahmen des Bildungssystems.96
Die Dialogkompetenz ist eine von fünf Kompetenzen, die dann wiederum in zwölf Teilkompetenzen (TK) untergliedert und konkretisiert wird, TK (5) beispielsweise umfasst die „Fähigkeit zur religionsdidaktischen Auseinandersetzung mit anderen konfessionellen, religiösen und weltanschaulichen Lebens- und Denkformen“. Es geht dabei sowohl darum, dass die Studierenden die Grundlagen des interreligiösen Dialogs kennen als auch lernen, diesen mit Schüler:innen zu erschließen.97 Durch TK (11) „[i]nterkonfessionelle und interreligiöse Dialog- und Kooperationsfähigkeit“98 sollen sich Studierende der Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Grenzen des Dialogs und der Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Religionen bewusst werden und „religiösen Pluralismus als religionsdidaktische Herausforderung wahrnehmen und den Schülerinnen und Schülern eine Erweiterung des Horizontes eröffnen“.99 Unter den Kompetenzen und Teilkompetenzen für das Lehramtsstudium befinden sich also durchaus solche, die Anschlussmöglichkeiten für die Thematisierung des Judentums und des jüdisch-christlichen Dialogs bieten. Allerdings nimmt keine Kompetenz konkret auf das Judentum oder jüdisch-christliche Lehrinhalte Bezug, sodass diese Themen nicht unersetzlich sind. Diese Kompetenzen gelten für Lehrer:innen aller Schulstufen und Schulformen. 100 96
A.a.O., 259. Vgl. a.a.O., 271. 98 A.a.O., 277. 99 Ebd. 100 Die Empfehlung der Gemischten Kommission „Zur Weiterentwicklung von Lehramtsstudiengängen Evangelische Religionslehre“ von 2015 nimmt diese Kompetenzen auf und betont, dass diese bereits im Studium angebahnt und mit entsprechenden Ausbildungsangeboten hinterlegt werden müssen (vgl. a.a.O., 288). Auch die Kultusministerkonferenz nimmt in den „Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktik in der Lehrerbildung“ in Bezug auf die evangelische Religionspädagogik die Dialog- und Diskurskompetenz als eine von sieben Teilkompetenzen auf: Die Studienabsolventinnen und -absolventen „können in der Begegnung mit anderen wissenschaftlichen Perspektiven, aber auch mit Vertretern anderer Konfessionen und Religionen sowie anderer weltanschaulicher Lebens- und Denkformen die eigene theologische Position reflektieren und im Dialog argumentativ vertreten“ („Ländergemeinsame inhaltliche Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktik in der Lehrerbildung“, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.10.2008 i.d.F. vom 12.10.2017, Auszug, in: Lenhard/Pirner/ Schneider-Harpprecht (Hg.), Theologisch-religionspädagogische Ausbildung, 340–344, 341f. Es werden Studieninhalte für verschiedene Bereiche benannt, von denen zwei für den Kontext dieser Studie von Interesse sind: 1) Bibelwissenschaft (AT und NT) für das Lehramt für die Sekundarstufe I: zentrale Texte und Zusammenhänge (Bibelkunde), Einführung in die wissenschaftliche Exegese, schwerpunktmäßiger Überblick über die Entstehung bibli97
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
Zur Konkretisierung und Umsetzung dieser Rahmenrichtlinien in der Praxis der Ausbildung habe ich exemplarisch die Studienordnungen und Vorlesungsverzeichnisse von zwei Instituten und zwei Fakultäten, an denen evangelische Theologie für das Lehramt studiert werden kann, analysiert. 101 Unter den vielen Lehramtsstudiengängen konzentriere ich mich wiederum exemplarisch auf die Studiengänge für die Grundschule und denjenigen für das Gymnasium/die Gesamtschule. Somit erfolgt eine blitzlichtartige Bestandsaufnahme in einem Studiengang mit hohem und in einem mit niedrigem fachbezogenen Studienanteil.102 Für diese exemplarische Bestandsaufnahme wurden nur öffentlich zugängliche Materialien wie Studienordnungen und Vorlesungsverzeichnisse und Ähnliches zugrunde gelegt. An den je zwei Instituten und Fakultäten wurden die Veranstaltungen eines exemplarischen Studienjahres untersucht, nämlich des Sommersemesters 2021 und des Wintersemesters 2021/2022.103 Als exemplarische Fakultäten bzw. Institute habe ich solche ausgewählt, an denen sowohl die Qualifikation erworben werden kann, um Religion an der scher Schriften in der Bibel als Kanon, Exegese und Theologie zentraler biblischer Themenkomplexe im Kontext der Geschichte Israels, und für das Lehramt für die Sekundarstufe II: Vertiefung; Hermeneutik biblischer Schriften; Schwerpunkte der Theologie des Alten Testaments; Schwerpunkte der Theologie des Neuen Testaments; 2) Ökumene, Weltreligionen und Weltanschauungen für das Lehramt für die Sekundarstufe I: Geschichte, Inhalte und Formen des jüdischen Glaubens – Geschichte des christlichen Antijudaismus, und für das Lehramt für die Sekundarstufe II: Aufgaben und Grenzen des interreligiösen Dialogs, vgl. die Tabelle a.a.O., 342–344. 101 In Deutschland gibt es 20 evangelisch-theologische Fakultäten bzw. zwei Kirchliche Hochschulen und 34 „Institute für Evangelische Theologie“. Vgl. die Übersicht über die Standorte der Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen, deren Programm hier zu finden ist: EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND (EKD), Wie ist der Weg in den Pfarrberuf?, in: Portal „Beruf trifft Kirche“, Kategorie „Werde Pfarrer*in“, 2020, https://www.beruf-trifftkirche.de/beruf/pfarrerin/studium (03.07.2022); KONFERENZ DER INSTITUTE FÜR EVANGELISCHE THEOLOGIE (KIET): Institute, http://kiet.online/?page_id=18 (03.07.2022). 102 Im Studiengang für evangelische Religionspädagogik an der Grundschule sind ca. 30 Credits (entsprechen 900 Arbeitsstunden), in dem für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen ca. 100 Credits (entsprechen 3.000 Arbeitsstunden, gegebenenfalls zuzüglich Bachelor- oder Masterarbeit) für fachbezogene Inhalte vorgesehen. Zum Vergleich: Das Studium der evangelischen Theologie mit dem Berufsziel Pfarramt umfasst 300 Credits (etwa 9.000 Arbeitsstunden). 103 Natürlich bleiben bei diesem Verfahren Unschärfen bestehen: 1) Die Auswahl der Lehrveranstaltungen basiert nur auf dem Titel bzw. der Beschreibung im Vorlesungsverzeichnis, dementsprechend werden Lehrveranstaltungen nicht erfasst, die diese Inhalte thematisieren; 2) die Realitätsnähe der Auswertenden, so fand weder eine teilnehmende Beobachtung noch eine Befragung der Teilnehmer:innen statt; 3) die Rezeption der Lehrveranstaltungen. Es kann keine Aussage darüber gemacht werden, wie viele Studierende die jeweilige Lehrveranstaltung besucht haben, insbesondere bei Veranstaltungen, die nicht zum Pflichtbereich des Studiums gehören. Vgl. für diese Einschränkungen HECKE/NIKOLAUS/ SCHRÖDER, Judentum, 87.
3.4 Judentum und Erstes Testament in der universitären Lehrer:innenausbildung 75
Grundschule als auch am Gymnasium unterrichten zu dürfen. Die vier Standorte sollten zudem in unterschiedlichen Bundesländern und Regionen liegen. Dementsprechend setzt sich meine Auswahl aus den Fakultäten der Universität Leipzig und der Ludwig-Maximilian-Universität München für die Regionen Ost- bzw. Süddeutschland und den Instituten der Universität Osnabrück und der Universität des Saarlands für die Regionen Nord- und Westdeutschland zusammen. 104 Für das Erste Testament müssen alle Lehramtsstudierenden ein Basis- oder Pflichtmodul absolvieren, was sowohl für das Lehramt am Gymnasium als auch an der Grundschule meist eine Vorlesung, ein exegetisches Proseminar (für die Grundschule oft ohne Hebräischkenntnisse) und eine Bibelkunde (für die Grundschule ohne Prüfung) umfasst. Die Themenfelder umfassen das ganze Alte Testament und die Geschichte Israels und meist ein exegetisches Proseminar, bei dem die Methodenschritte der historisch-kritischen Exegese unterrichtet werden. In den untersuchten Vorlesungsverzeichnissen spielte die Tora speziell dabei keine Rolle. Von den Veranstaltungs- und Modulbeschreibungen können kaum Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob es in den Lehrveranstaltungen zu einer Reflexion der Hermeneutik des Alten Testaments als christlicher und jüdischer Heiliger Schrift kommt oder nicht. Im Gegensatz zu den exegetischen Methoden werden diese Themen jedenfalls nicht explizit benannt. Auffällig ist das Fehlen von bibeldidaktischen Lehrangeboten zur Hebräischen Bibel, sie kommen in keinem der untersuchten Vorlesungsverzeichnisse vor. In Bezug auf jüdische und/oder jüdisch-christliche Lehrinhalte fällt auf, dass die Beschäftigung mit dem Judentum entweder in ein Pflichtmodul bzw. eine Pflichtlehrveranstaltung im Bereich der Religionswissenschaft eingeordnet werden kann – es muss dann aber auch nicht zwingend eine Auseinandersetzung mit dem Judentum erfolgen, sondern es kann auch eine andere lebende Religion behandelt werden –,105 oder es gibt eine verpflichtende Veranstaltung „Einführung in das Judentum“.106 Einzig die Universität des Saarlandes bietet hier auch eine Lehrveranstaltung zu den Lern-
104 Mit der LMU München und der Universität des Saarlandes wähle ich bewusst zwei Standorte, die in der Erhebung durch ihre Studienordnungen positiv aufgefallen sind. Sie bilden aber dementsprechend auch eher das obere Spektrum dessen, was in der Lehramtsausbildung auf diesem Themenfeld passiert, ab. 105 So an der LMU München für Sekundarstufe I/II und in Osnabrück für Sekundarstufe I/II und für die Primarschule. 106 So an der Universität von Saarbrücken für beide Schulformen, in Leipzig für das Lehramt für Sekundarstufe I/II und an der LMU München für das Lehramt für die Primarschule, einzig das Lehramt für Primarstufe in Leipzig sieht weder das eine noch das andere vor.
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
kulturen in anderen Religionen an, verknüpft also die religionswissenschaftliche mit der religionsdidaktischen Ebene.107 So erfreulich es ist, dass an diesen Standorten zu großen Teilen zumindest in einer Veranstaltung das Judentum als Lehrinhalt vorkommt, umso mehr fällt auf, dass jüdisch-christliche Lehrinhalte zum überwiegenden Teil nicht bzw., wenn überhaupt, nur fakultativ vorkommen und nicht dem Pflichtprogramm der Lehramtsausbildung angehören.108 Dialogische Lehrveranstaltungen, in denen es zur Begegnung mit Vertreter:innen des Judentums kommt, können in dem untersuchten Zeitraum nicht verzeichnet werden.109 Zusammenfassend lässt sich also feststellen: Sowohl das Erste Testament als auch jüdische Lehrinhalte kommen in Bezug auf das Erstere immer, in Bezug auf das Letztere zumindest teilweise in der Ausbildung von zukünftigen Lehrer:innen vor. Allerdings fällt in beiden Bereichen ein Fehlen von jüdisch107 Für die Vorlesungsverzeichnisse vgl.: LMU: LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN, Vorlesungsverzeichnis (SoSe 2021) für den Studiengang Evangelische Theologie für das Lehramt an Gymnasien (PStO 2019), in: Lehre – Studium – Forschung (LSF), https://lsf.verwaltung.uni-muenchen.de/qisserver/rds?state=wtree&search=1&trex=step& root120211=1%7C482190%7C478444%7C474445&P.vx=kurz (03.07.2022). Universität des Saarlandes: UNIVERSITÄT DES SAARLANDES, Vorlesungsverzeichnis (SoSe 2021) für den Studiengang Evangelische Religion Lehramt für die Sekundarstufe I (Klassenstufen 5 bis 10), UdS-Online, https://www.lsf.uni-saarland.de/qisserver/rds?state =wtree&search=1&trex=step&root120211=282928|284927|275943|286427&P.vx=kurz (03.07.2022). Universität Leipzig: UNIVERSITÄT LEIPZIG, Vorlesungsverzeichnis (SoSe 2021) für den Studiengang Evangelische Religion (Lehramt: Staatsexamen Höheres Lehramt an Gymnasien), Vorlesungsverzeichnis der Universität Leipzig, https://almaweb.uni-leipzig.de/scripts/ mgrqispi.dll?APPNAME=CampusNet&PRGNAME=ACTION&ARGUMENTS=AVaOzg 3OpTgN-Lgr2RtT~wKBUjW0GapBI4nKPlPZ6LSiVrxFFPUuqbTqB9SQu37G8SGumWzUGB1lUbJaipIUN1W4IDRmlVqrethV5lyXlYxNC~9YuD2fUKx5eautcsIR7ZTJen h3~00EqXx7Nv05–SDixFwNQvFxiLmzY0AtWvcuYXGgTwtCpYw4usKVAoMLgFWNdTbo2YoZjs_ (03.07.2022). Universität Osnabrück: UNIVERSITÄT OSNABRÜCK, Veranstaltungsverzeichnis (SoSe 2021), https://www.uni-osnabrueck.de/fileadmin/documents/public/1_universitaet/1.2_ zahlen_daten_fakten/vpv/vv_SoSe_2021.pdf (03.07.2022). 108 Sie kommen im genannten Zeitraum nur an der Universität Osnabrück vor und werden dort von einer Lehrperson angeboten. An diesem Standort existiert aber ein breites Spektrum: eine Vorlesung zu „Juden und Christen – ein kirchen- und theologiegeschichtlicher Überblick“, ein Seminar zu „Juden und Christen – ausgewählte Quellentexte der Neuzeit“ und eine Vorlesung bzw. ein Seminar zu „Karl Barth und das Judentum“. Allerdings hat dort Martin Jung einen kirchengeschichtlichen Schwerpunkt in der Geschichte der christlichjüdischen Beziehungen. Diese Veranstaltungen sind nicht in der Studienordnung verankert, sondern werden von ihm als Lehrperson mit diesem Themenschwerpunkt eingebracht. 109 Einschränkend muss hier allerdings angemerkt werden, dass der untersuchte Zeitraum in die Zeit der Coronapandemie fällt, in der Begegnung ohnehin nur sehr eingeschränkt stattfand; allerdings hätte hier der digitale Raum sicherlich auch noch ganz andere Begegnungsund Dialogmöglichkeiten eröffnen können.
3.5 Jüdisch-christlicher Dialog und Religionspädagogik
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christlichen und dialogischen Lehrveranstaltungen auf, sodass das Judentum nicht in seiner besonderen Beziehung zum Christentum, sondern als eine andere Religion neben vielen in den Blick rückt. Eine Auseinandersetzung mit jüdischer Religionspädagogik oder Bibeldidaktik fand sich in keinem der untersuchten Vorlesungsverzeichnisse.
3.5 Jüdisch-christlicher Dialog und Religionspädagogik 3.5 Jüdisch-christlicher Dialog und Religionspädagogik
Eine christliche Toradidaktik erfordert – das ist, wie eingangs beschrieben, eine der Grundannahmen der vorliegenden Studie – das Lernen von den Ergebnissen und Methoden des jüdisch-christlichen Dialogs. Daher ist es nur folgerichtig, dass in einer Bestandsaufnahme auch die Wechselwirkungen zwischen dem jüdisch-christlichen Dialog und der Praktischen Theologie näher zu bestimmen sind. Die Praktische Theologie befindet sich in ihrem Verhältnis zum Judentum auf einer Spurensuche.110 Der Praktische Theologe Bernd Schröder diagnostiziert perspektivisch zwei wesentliche Herausforderungen: zum einen die Aufgabe, Fragen des christlich-jüdischen Verhältnisses in die Mitte der Praktischen Theologie hineinzutragen, und zum anderen die Aufgabe, Praktische Theologie tatsächlich im Gespräch mit dem Judentum, in diesem Fall also im Gespräch mit jüdischen Äquivalenten der Praktischen Theologie abendländisch-christlicher Provenienz zu treiben.111
Die Notwendigkeit der ersten Aufgabe wird ebenfalls von der EKD-Studie Christen und Juden III bilanziert. Dort heißt es: Das christlich-jüdische Gespräch hat bedeutende Ergebnisse erzielt. Es ist bisher jedoch trotz großer Bemühungen nur unzureichend gelungen, diese auch auf die Ebene der Gemeinde zu tragen. Hier liegt eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft.112
Vor allem in der Exegese und der Systematischen Theologie, zum Teil auch in Kirchengeschichte und Praktischer Theologie hat der christlich-jüdische
110
Vgl. hierzu das Themenheft PrTh 39/4 (2004), hg. v. Jan Hermelink und Bernd Schröder, welches in den verschiedenen Disziplinen der Praktischen Theologie nach dem Beitrag der Theorie der kirchlichen Praxis zum christlich-jüdischen Gespräch fragt. Noch schärfer formuliert es Bernd Schröder ebenfalls 2004, wenn er von der Judentumsvergessenheit bzw. dem Desinteresse der Praktischen Theologie spricht. Vgl. BERND SCHRÖDER, Praktische Theologie und christlich-jüdisches Gespräch, in: Katja Kriener/Ders. (Hg.), Einsichten des christlich-jüdischen Gesprächs. 25 Jahre Studium in Israel, Berlin 2004, 129–143. 111 B. SCHRÖDER, Praktische Theologie, 282. 112 RAT DER EVANGELISCHEN KIRCHE DEUTSCHLAND (Hg.), Christen und Juden III. Schritte zur Erneuerung im Verhältnis zum Judentum. Eine Studie der Evangelischen Kirche Deutschland, Gütersloh 2000, 105.
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
Dialog in den letzten 50 Jahren wichtige Fortschritte erzielt.113 Es muss sich jedoch, so Deeg, „in der kirchlichen Praxis, im Reden und Handeln der Christinnen und Christen erweisen, ob von einer Erneuerung der Kirche in Israels Gegenwart gesprochen werden kann oder nicht“.114 Der Praktischen Theologie, und hierin besonders der Religionspädagogik, fällt dabei eine entscheidende Rolle zu, da sie die Bedeutung und Konsequenzen der im christlichjüdischen Gespräch gewonnenen Einsichten für die kirchliche Praxis reflektieren kann und muss. Hier ergeben sich meiner Meinung nach zwei Aufgaben für die bzw. Desiderate der Religionspädagogik. Zum einen muss sich die Ausbildung der Multiplikator:innen, vor allem der Religionslehrer:innen, an den Instituten und Fakultäten verändern, um eine grundlegende Abkehr von christlichem Antisemitismus im evangelischen Religionsunterricht zu installieren und den theologischen Reichtum des jüdisch-christlichen Dialogs in der religionspädagogischen Praxis fruchtbar zu machen.115 Zum anderen stellt sich bleibend und drängend die didaktische Frage an die Akteurinnen und Akteure des jüdisch-christlichen Gesprächs: Wie können Themen des jüdisch-christlichen Dialogs für Schüler:innen in verschiedenen Altersstufen relevant werden, und wie sieht ein Religionsunterricht aus, „der Judentum wie christlichjüdisches Verhältnis sachlich angemessen, schülerorientiert und abwechslungsreich in der Wahl seiner Lernarrangements (bis hin zur ‚Kooperation‘ mit jüdischem Religionsunterricht) erschließt“?116 Eine Herausforderung, so die 113
Diese Ergebnisse erfahren eine breite Rezeption, und sie finden auch in zahlreichen kirchlichen Erklärungen ihren Niederschlag, vgl. hierzu RAT DER EVANGELISCHEN KIRCHE DEUTSCHLAND (Hg.), Christen und Juden I–III. Die Studien der Evangelischen Kirche in Deutschland 1975–2000, Gütersloh 2002. 114 DEEG, Predigt und Derascha, 32. 115 Vgl. dazu oben Abschnitt 3.4 „Judentum und Erstes Testament in der universitären Ausbildung der Lehrer:innen“. 116 B. SCHRÖDER, Rez. Spichal, 574. In seinem Artikel „Judentum“ als Thema christlich verantworteter Bildung schlägt Schröder beispielhaft sieben didaktische Zugänge zum Judentum vor: 1) Lokalgeschichtlicher Zugang; 2) Anamnetischer Zugang; 3) Peer-orientierter Zugang; 4) Problemorientiert-interreligiöser Zugang; 5) Theologisch-dialogischer Zugang; 6) Handlungsorientierter Zugang; 7) Ästhetischer Zugang. Vgl. BERND SCHRÖDER, Judentum, in: Rainer Lachmann/Martin Rothgangel/Ders. (Hg.), Christentum und Religionen elementar. Lebensweltlich – theologisch – didaktisch (Theologie für Lehrerinnen und Lehrer 5), Göttingen 2010, 132–138 und DERS., Art. Judentum, 5–7. Zudem gibt es aber auch noch zahlreiche andere Werke, die sich dem Thema Judentum und/oder jüdisch-christliches Gespräch in der Religionspädagogik widmen. Beispielhaft seien hier nur folgende genannt: GOTTFRIED ADAM, Zur christlichen Rede vom Judentum, in: Ders., Glaube und Bildung. Beiträge zur Religionspädagogik I (STh 6), Würzburg 21994, 163–178; BERND SCHRÖDER u.a. (Hg.), Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen, insgesamt acht Bände, Berlin 2009ff.; ASTRID GREVE, Zachor – Erinnern lernen. Aktuelle Entdeckungen in der jüdischen Kultur des Erinnerns, Berlin 2014; FRIEDRICH JOHANNSEN, Begegnung mit dem Judentum, in: Gottfried Adam/Rainer Lachmann (Hg.), Religionspädagogisches Kompendium, Göttingen 51997, 449–465; CHRISTINA KAYALES/ASTRID
3.5 Jüdisch-christlicher Dialog und Religionspädagogik
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Religionspädagogin Ursula Rudnick, besteht darin, „Modelle und Bilder zu entwickeln, die auch für Nicht-Theologinnen und -Theologen verständlich und eingängig sind“.117 Die zweite von Schröder an die Praktische Theologie gestellte Aufgabe erfordert eine Umkehr des praktisch-theologischen Forschens und Denkens: Bisher hat die Praktische Theologie sich am christlich-jüdischen Dialog vor allem in der Hinsicht beteiligt, dass sie die Ergebnisse der systematischen und der exegetischen Forschung rezipiert und die Praxis entsprechend inhaltlich zu verändern suchte. Es ging also um ein Predigen und Unterrichten in Israels Gegenwart.118 In der Vermeidung von Antijudaismen und stereotyper Wahrnehmung des vielgestaltigen Judentums hat der christlich-jüdische Dialog für die Praktische Theologie meist die Rolle des unbequemen, jedoch wichtigen Mahners und Kritikers inne. Diese Rolle wird wohl auch in Zukunft nicht überflüssig werden. Im Bereich der Religionspädagogik hat der jüdisch-christliche Dialog außerdem „mit beachtlicher Breitenwirkung zur gründlichen kritischen Durchsicht namentlich religionspädagogischer Praxisliteratur und zu vielfältigen Überlegungen zur angemessenen Thematisierung des Judentums in Religionsunterricht und Erwachsenenbildung geführt“.119 Der Kern des jüdischchristlichen Dialogs und seiner theologischen Entdeckungen wird aber verfehlt, wenn es nur um die Prüfung der Richtigkeit von Materialien, theologischen Aussagen und Lehrplänen geht. Ziel sollte viel mehr sein, Entdeckungen am kulturellen und religiösen Reichtum des Judentums herauszuarbeiten, „um FIEHLAND VAN DER VEGT (Hg.), Was jeder vom Judentum wissen muss, Gütersloh 92005; MICHAEL LANDGRAF/STEFAN MEIẞNER, Judentum. Einführung – Materialien – Kreativideen, Speyer/Stuttgart 2007; ALBRECHT LOHRBÄCHER, Was Christen vom Judentum lernen können. Modelle und Materialien für den Unterricht, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1994; KARLO MEYER, Fünf Freunde fragen Ben nach Gott. Begegnungen mit jüdischer Religion in Klasse 5–7, Göttingen 2008; GABRIELE NIEKAMP, Christologie nach Auschwitz. Kritische Bilanz für die Religionsdidaktik aus dem christlich-jüdischen Dialog, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1994; URSULA RECK, Das Judentum im katholischen Religionsunterricht, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1990; WALTER WEIBEL, In Begegnung lernen. Der jüdisch-christliche Dialog in der Erziehung (Forum Christen und Juden 9), Berlin 2013. Einen guten Überblick über die historische Entwicklung der Religionspädagogik in Bezug auf das jüdisch-christliche Gespräch bietet folgender Artikel von URSULA RUDNICK, Religionspädagogik im Horizont des christlich-jüdischen Gesprächs, in: PrTh 39/4 (2004), 260– 265. 117 RUDNICK, Religionspädagogik, 265. 118 Vgl. B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 49. Nach Deeg geht es dabei „um die Vermeidung von Antijudaismus, um die stereotype verhindernde Wahrnehmung der Vielgestaltigkeit des Judentums in Geschichte und Gegenwart und um die Berücksichtigung jüdischer Auslegung alttestamentlicher Texte bei der exegetischen Erarbeitung der Predigt“, vgl. DEEG, Predigt und Derascha, 36. 119 B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 44. Siehe dazu den Überblick oben S. 68, Anm. 82. Die aktuellste Studie zu diesem Thema ist 2014 erschienen, vgl. SPICHAL, Vorurteile.
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
gewissermaßen von innen heraus zu erfahren, dass das Christentum um des besseren, ja, überhaupt nur angemessenen Verstehens seiner selbst willen auf Zwiesprache mit [dem] und Bezugnahme auf das Judentum angewiesen ist“.120 Hierfür geht es einerseits darum, die theologischen Entdeckungen des jüdischchristlichen Dialogs zu elementarisieren121 und Lehrarrangements zu initiieren, bei denen Schüler:innen selber derartige Entdeckungen machen können. Darüber hinaus geht es schließlich darum, auf fachwissenschaftlicher Ebene den direkten fachlichen Austausch mit den „jüdischen Äquivalenten“ für Forschung, Lehre und Praxis fruchtbar zu machen.122 Schröder fordert von der Praktischen Theologie und der Religionspädagogik, einen spezifischen Beitrag zu jenem Gespräch zu leisten und die Chancen in einem wechselseitigen Austausch zu entdecken.123 Aufgrund der Wahrnehmung und Rezeption der jüdischen Tradition und Gegenwart können neue Blickwinkel auf eigene Problem- und Fragestellungen entstehen. Schröder betont drei Gründe, warum 120
B. SCHRÖDER, Rez. Spichal, 573. Beispielhaft können hier die Erkenntnisse und religionspädagogischen Konsequenzen aus dem jüdisch-christlichen Gespräch von Albrecht Lohrbächer genannt werden: 1) Jesus als Jude in seiner jüdischen Umwelt und seiner spezifischen jüdischen Frömmigkeit zu vermitteln; 2) Schöpfung im Zusammenhang mit Sabbat und Segenssprüchen zu unterrichten; 3) Klare Unterordnung der Christologie unter den Monotheismus; 4) Das Verhältnis von Altem und Neuem Testament darf unterrichtlich nicht im Schema von Verheißung und Erfüllung aufgehen. 5) Die geschichtliche und die gegenwärtige Vielfalt des Judentums wie auch sein Selbstverständnis kennenzulernen, ist eine wichtige Hilfe gegen mögliche Vorurteile. 6) Israel sollte in Solidarität als Thema in den Lehrplänen vorkommen. 7) Es sollten eher die Gemeinsamkeiten als das Trennende im jüdisch-christlichen Dialog herausgearbeitet werden. 8) Jüdische Tradition sollte als Querschnittsthema in allen Unterrichtseinheiten sinnvoll eingebracht werden, und der Unterricht sollte sensibel gegenüber sprachlicher Diskriminierung sein. Vgl. ALBRECHT LOHRBÄCHER, Religionspädagogische Konsequenzen aus dem Gespräch mit dem Judentum, in: Martin Stöhr (Hg.), Lernen in Jerusalem – Lernen mit Israel. Anstöße zur Erneuerung in Theologie und Kirche (VIKJ 20), Berlin 1993, 262–266. 122 Die wenigen praktisch-theologischen Studien, die dies bereits versuchen, sind: im Bereich der Poimenik: STEFAN FRITSCH, Die chassidische Seelsorge. Pastoralpsychologische Aspekte und Impulse für die therapeutische Arbeit (ErTh 29), Frankfurt am Main 1997; im Bereich der Diakoniewissenschaft: KLAUS MÜLLER, Diakonie im Dialog mit dem Judentum. Eine Studie zu den Grundlagen sozialer Verantwortung im christlich-jüdischen Gespräch (VDWI 11), Heidelberg 1999; im Bereich der Religionspädagogik: SCHRÖDER, Jüdische Erziehung; im Bereich der Homiletik und Liturgik: ANDREA BIELER, Die Sehnsucht nach dem verlorenen Himmel. Jüdische und christliche Reflexionen zu Gottesdienstreform und Predigtkultur im 19. Jahrhundert (PTHe 65), Stuttgart 2003; im Bereich der Homiletik: DEEG, Predigt und Derascha; im Bereich der Pastoraltheologie: MICHAELA WILL, Pfarramt und Rabbinat. Identitätskonstruktionen im Dialog, Nordhausen 2016; für die Kirchentheorie hat Bernd Schröder in einem Aufsatz einen ersten Entwurf entwickelt: BERND SCHRÖDER, Verfasstes Judentum. Thema und Gesprächspartner Praktischer Theologie, in: Konrad Merzyn/Ricarda Schnelle/Christian Stäblein (Hg.), Reflektierte Kirche. Beiträge zur Kirchentheorie, Leipzig 2018, 59–73. 123 Vgl. B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 49. 121
3.6 Fazit
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die reflexive Einbeziehung jüdisch-theologischer Selbstauslegung in die Religionspädagogik konstitutiv und weiterführend ist: Zum einen können beide Seiten von dem jeweiligen Umgang mit der Moderne lernen. Durch die Schoa als Ausdruck des totalen Versagens der Moderne und zugleich als Konstitutionsvoraussetzung der Praktischen Theologie, wie aller Theologie, vermag „Jüdisches Denken“ einerseits – jedenfalls gegenüber christlicher Theologie in Deutschland – Stachel im Fleisch zu sein. Andererseits muss die Theorie jüdischer Erziehung insbesondere in Israel und Nordamerika mit vergleichbaren Herausforderungen ebendieser Moderne einen Umgang finden, ähnlich der christlichen Praktischen Theologie und Religionspädagogik in Deutschland. Zudem gründet dieses Verwiesensein auf jüdische Gesprächspartner:innen in originär theologischen Einsichten des jüdisch-christlichen Dialogs.124
3.6 Fazit 3.6 Fazit
Die Analyse hat fünf Aufgabenfelder, vielleicht kann man sogar wagen zu sagen: Desiderate der Religionspädagogik erarbeitet, auf die diese Studie teilweise versucht zu reagieren: Erstens konnte sie deutlich machen, dass die Tora als eigenständige Größe in der Bibeldidaktik ausbaufähig ist. Die Ansätze in den bibeldidaktischen Entwürfen von Baldermann und Berg bilden, bei aller oben genannten Kritik, gute Anknüpfungspunkte für eine Toradidaktik. So verdeutlichen Baldermanns Einbettung der Tora innerhalb ihres biblischen Kontextes und Bergs Wahrnehmung von jüdischer Hermeneutik und beider Aufnahme von jüdischem Toraverständnis, wie viel bibeldidaktisches Potenzial auf ganz unterschiedlichen didaktischen Ebenen in der Tora steckt. Dieses zu entdecken, zu entfalten und für die Bibeldidaktik fruchtbar zu machen, ist eines der Ziele der vorliegenden Studie. Darüber hinaus hat die Analyse der Bibeldidaktik zweitens aufgezeigt, dass die alttestamentliche Bibeldidaktik eine Auseinandersetzung mit der Hermeneutik derselben und besonders den hermeneutischen An- und Herausforderungen der zweifachen Nachgeschichte bedarf. Eine Toradidaktik erfordert und verlangt dementsprechend eine Torahermeneutik, die es zu konkretisieren gilt. Drittens entspricht dem Aufmerksamkeitsdefizit gegenüber der Tora als eigenständiger Größe in der Bibeldidaktik und der Hermeneutik die Gewichtung der Lehrpläne für das Fach des schulischen Religionsunterrichts. Die Tora wird nicht nur nicht in Bezug zu christlicher Theologie oder Identität gesetzt, sondern es kommt gar, selbst wenn die Tora in Bezug auf das Judentum als positive Größe dargestellt wird, zur negativen Abwertung derselben, sobald es um die Profilierung christlicher Identität geht. Viertens ist die Rolle des Judentums, des jüdisch-christlichen 124 BERND SCHRÖDER, Religionspädagogik und Judentum. Versuch einer Bilanz und Sammlung offener Fragen, in: IJPT 2 (1998), 84–112, 87–89.
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Kapitel 3: Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik
Dialogs und des Ersten Testaments in der universitären Ausbildung durchaus ausbaufähig. Damit eine christliche Toradidaktik aber in der Praxis umgesetzt werden kann, ist es grundlegend, dass zukünftige Lehrkräfte sowohl über Fachwissen zu Judentum und Tora verfügen als auch den jüdisch-christlichen Dialog und die Tora als relevant für ihre eigene Theologie erfahren haben. Und fünftens bedarf eine Toradidaktik der Einsichten, Erkenntnisse und Methoden des jüdisch-christlichen Dialogs. Hier geht es besonders darum, den direkten fachlichen Austausch mit den jüdischen Äquivalenten für Forschung, Lehre und Praxis zu suchen und nach Rezeptionsmöglichkeiten zu fragen.
Kapitel 4
Methodische Rahmung: Vergleichende Religionspädagogik Die vorangehenden Überlegungen haben verdeutlicht, dass, obschon die Tora für die christliche Religionspädagogik und Bibeldidaktik ein vielschichtiger, komplexer und bereichernder Lern- und Lehrgegenstand sein könnte, sie weder in der Bibeldidaktik noch in der Gewichtung der Lehrpläne oder der Ausbildung der Lehrkräfte eine dementsprechende Rolle spielt und didaktisch kaum in ihren hermeneutischen Eigenarten und noch viel weniger in ihren jüdischen Spielarten erschlossen ist. Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur didaktischen Erschließung der Tora leisten und betritt hierfür „Neuland“, indem sie jüdische Toradidaktiken darstellt und nach ihren Rezeptionsmöglichkeiten innerhalb der christlichen Bibeldidaktik fragt. Es geht dabei zunächst um eine explorative Erschließung und Sichtung des Feldes der jüdischen Bibeldidaktik innerhalb der Theorie der jüdischen Erziehung und ein tiefes Eindringen und -tauchen in das Material desselben. Hierfür braucht es meines Erachtens komparative Arbeitsweisen. So ziehe ich Impulse aus den vorhandenen Vorgehensweisen und Funktionen der Vergleichenden Religionspädagogik (4.1), rahme diese aber zum Zweck des interreligiösen Lernens durch die Arbeitsweisen Komparativer bzw. Interreligiöser Theologie (4.2), die wiederum in Bezug auf den Stellenwert und die Eigenarten des jüdisch-christlichen Lernens hin reflektiert, erweitert und gespiegelt werden müssen (4.3). Den Zugang zu dem bibeldidaktischen Material skizziere ich mit dem dichten und detektivischen Lesen (4.4). Abschließend stelle ich die Feingliederung der Materialkapitel mit dem didaktischen Viereck als Tertium Comparationis vor (4.5).
4.1 Impulse: Funktionen der Vergleichenden Religionspädagogik 4.1 Impulse: Funktionen der Vergleichenden Religionspädagogik
Interreligiös vergleichende Arbeiten haben in den vergangenen Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit und Einfluss innerhalb der Religionspädagogik/ Praktischen Theologie gewonnen, sodass ein eigenes, breit aufgefächertes Forschungs- und Lehrgebiet der Religionspädagogik entstanden ist,1 in dem 1
Vgl. S. 14, Anm. 43.
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Kapitel 4: Methodische Rahmung: Vergleichende Religionspädagogik
sehr unterschiedliche Vergleichsmöglichkeiten existieren. Der Vergleichspunkt kann variieren: So gibt es länder-, religions-, konfessions- und lernortvergleichende Studien, die in ihrem Forschungsdesign und ihrer Forschungsmethode stark differieren können. 2 Bernd Schröder, einer der prägenden Wissenschaftler auf diesem Forschungsfeld für die Religionspädagogik, benennt drei Grundsätze, unter denen vergleichendes Forschen stattfinden soll: Erstens ist der Respekt vor Fremdheit und Eigenart als ihr hermeneutisches Vorzeichen zu wahren; zweitens zielt der vergleichende Blick stärker auf Analyse als auf Handlungsorientierung, und drittens muss die Methode zum Gegenstand bzw. Erkenntnisinteresse passen – nicht umgekehrt.3 Der Vergleich kann dabei sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen bzw. Dimensionen annehmen, wobei nicht jeder Vergleich alle Funktionen erfüllt und erfüllen muss. Schröder benennt innerhalb der Vergleichenden Religionspädagogik sechs derartige Funktionen:4 1) Die informativ „pluralitätssensibilisierende“ Funktion: Hier dient der Vergleich dazu, synchron die Vielfalt und Kontextualität von religiöser Bildung und Forschung in verschiedenen Religionen, Konfessionen oder Ländern zunächst wahrzunehmen und darzustellen. Er zielt dabei auf die Erweiterung des religionspädagogischen „Denkuniversums“5 und macht zunächst religionspädagogische Diskurse anderer Länder oder Religionen erstmals in der Religionspädagogik sicht- und wahrnehmbar. 2) Die ideografische Funktion: Hier hilft der Vergleich, so Schröder, „die Eigenarten der je eigenen Tradition bzw. religionspädagogischen Situation schärfer zu sehen“.6 3) Die 2
Vgl. B. SCHRÖDER, Art. Religionspädagogik. B. SCHRÖDER, Vergleichende historische Religionspädagogik, 239. 4 Vgl. B. SCHRÖDER, Art. Religionspädagogik. Die Anzahl der von Schröder beschriebenen Funktionen erweitert sich bzw. differenziert sich immer weiter aus: So hat er in früheren Studien nur vier Funktionen angegeben (vgl. B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 28–36). Die Studie zur jüdischen Erziehung in Israel bietet zu dem Thema der Vergleichenden Religionspädagogik einen umfassenden Forschungsüberblick. Weitergedacht wurden die Funktionen des Vergleichs außerdem von Christian Grethlein. Er fordert im Anschluss an Schröder vor allem eine Verstärkung der elenchthischen Funktion des Vergleichs: Diese könne dazu beitragen, durch „die Außenperspektive […] Verkrustungen aufzubrechen und auf die Notwendigkeit von Veränderungen aufmerksam zu machen“ (CHRISTIAN GRETHLEIN, Der Gottesdienst zwischen Globalisierung und Regionalität, in: PTh 91 [2002], 280–292, 287). Dem folgend betont Alexander Deeg in seiner vergleichenden Studie zur Rolle des Textes in der Predigt in Judentum und Christentum die ideografische und die elenchthische Funktion des Vergleichs. Er zieht allerdings den Begriff der Provokation dem der Elenchie vor. „Die ideographische Wahrnehmung wird dann, wenn sie mit eigenen Fragestellungen christlicher Homiletik in Beziehung gesetzt wird, heraus-rufen (pro-vocare), Neues (oder eigentlich Altbekanntes, aber Vergessenes) in der eigenen Tradition erkennen lassen und so Impulse zur Veränderung geben“ (DEEG, Predigt und Derascha, 42–46, Zitat 44). 5 VOLKER SCHUBERT, Vergleichende Pädagogik, in: Armin Bernhard/Lutz Rothermel (Hg.), Handbuch Kritische Pädagogik, Weinheim u.a. 22001, 38–49, 41. 6 B. SCHRÖDER, Art. Religionspädagogik, 5. 3
4.1 Impulse: Funktionen der Vergleichenden Religionspädagogik
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verallgemeinernde (generalisierende) Funktion: Sie zeigt Gemeinsamkeiten, Verbindungslinien und Affinitäten zwischen den Vergleichsgegenständen und ihren jeweiligen Kontexten auf. 4) Die selbstkritische (elenchthische) Funktion als Schärfung des Bewusstseins für die Schwächen, Baustellen und Probleme in der eigenen Tradition und religionspädagogischen Theorie. 5) Die einen Dialog zwischen den verglichenen Repräsentanten und Repräsentantinnen der Religionspädagogik initiierende Funktion, also die kommunikationsstiftende Funktion. 6) Und schließlich die innovativ-inspirierende Funktion: Hier beabsichtigt der Vergleich, so Schröder, „durch den Blick auf andere Konstellationen methodische, didaktische, systemische Innovationen anzuregen“.7 Voraussetzung für einen Vergleich ist bei allen Funktionen immer eine hermeneutische Reflexion sowohl der je eigenen Perspektive, des eigenen Zugangs als auch des jeweilig zu Vergleichenden.8 Die Studie stellt zunächst einen implizierten Vergleich an, da die jüdische Bibeldidaktik in Teil II in den Fokus gestellt wird.9 Sie legt damit einen besonderen Schwerpunkt auf die erste und die letzte der von Schröder beschriebenen Funktionen, 10 also die informativ „pluralitätssensibilisierende“ und die innovativ-inspirierende Funktion: Mit der Darstellung und Würdigung der bibeldidaktischen Entwürfe von Nehama Leibowitz, Zvi Adar, Barry W. Holtz, Daniel Krochmalnik und Hanna Liss/Bruno Landthaler soll zunächst im zweiten Teil der Arbeit (II) das Denkuniversum der jüdischen Toradidaktik für die christliche Bibeldidaktik erschlossen werden. Die innovativ-inspirierende Funktion dieses Denkuniversums wird sich dann im letzten Teil der Arbeit (III) niederschlagen, in dem die christliche Kommunikation der Tora mit der Entwicklung von Elementaria einer christlichen Toradidaktik im Fokus steht. Die vorliegende Arbeit führt nicht nur einen theoretischen Diskurs mit der jüdischen Bibeldidaktik, sondern sie stellt exemplarisch sechs Theoretiker:innen und ihre Didaktiken zur Kommunikation der Tora vor. Dieses Sample ist exemplarisch explizit auch darin, dass sie bibeldidaktische Theorien aus 7
A.a.O., 6. Vgl. ebd. und SCHUBERT, Pädagogik, 42–49; WROGEMANN, Interkulturelle Theologie; exemplarisch B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 13–97. 9 Dies ist auch der Asymmetrie in Bezug auf den Vergleichsgegenstand geschuldet: Während es in der Theorie der jüdischen Erziehung elaborierte toradidaktische Konzepte gibt, fehlen diese in der christlichen Bibeldidaktik weitgehend. Mein Ansatz ist dabei ein monografischer und kein dialogischer. „Im Falle des monographischen Vergleichs ist es ein und dieselbe Person, die jeweils beide (bzw. alle) Vergleichsgrößen untersucht und zueinander in Beziehung setzt“ (B. SCHRÖDER, Vergleichende historische Religionspädagogik, 347). 10 Wobei eine „messerscharfe“ Trennung der Funktionen auch nicht möglich ist. So sind z.B. die Reflexion und das Wahrnehmen von Schwächen, „Baustellen“ und Problemen in der eigenen Tradition und religionspädagogischen Theorie, also die vierte, elenchthische Funktion, eine Voraussetzung für die innovativ-inspirierende Funktion und werden dementsprechend in der vorliegenden Studie auch Beachtung finden. 8
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Kapitel 4: Methodische Rahmung: Vergleichende Religionspädagogik
verschiedenen Strömungen des Judentums und Ländern vorstellt, die dementsprechend von einem unterschiedlichen Verständnis der Tora, aber auch des Judentums selbst ausgehen und sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen vorweisen: So gehört Nehama Leibowitz (Kap. 5) dem orthodoxen Judentum an und interpretiert die Tora als ein heiliges Buch und versteht das Judentum als Religion, während Zvi Adar (Kap. 6) zum säkularen Judentum zu zählen ist, die Tora dementsprechend als ein historisches und literarisches Buch betrachtet und ein eher kulturelles Verständnis von Judentum hat. Beide lebten, lehrten und forschten in Erez Israel und können als die prägenden Stimmen der dortigen Bibeldidaktik in den Jahrzehnten nach der Staatsgründung bezeichnet werden, deren Einfluss bis in die Gegenwart reicht. Dagegen ist mit Barry W. Holtz (Kap. 7) eine US-amerikanische Stimme aus dem konservativen Judentum präsent. Er hat seine Toradidaktik, die inzwischen zum Standard der konservativen Lehrer:innenausbildung zählt, nach der Jahrtausendwende entwickelt. Sein Verständnis der Tora kann zwischen den Positionen von Leibowitz und Adar verortet werden. Mit den Ländern Israel und USA legt die Auswahl der Toradidaktiken einen Schwerpunkt auf die beiden Zentren der Vermittlung der Tora weltweit. In einer deutschsprachigen Studie soll aber eine Darstellung der toradidaktischen Konzepte im deutschsprachigen Raum nicht fehlen. Deswegen stelle ich mit den Entwürfen von Daniel Krochmalnik (Kap. 8) und von Hanna Liss/Bruno Landthaler (Kap. 9) zwei Entwürfe vor, die dem modern-orthodoxen und dem konservativen Judentum entstammen und beide in den letzten zwei Jahrzehnten entstanden sind. Die Darstellung der Entwürfe erfolgt in chronologischer Reihenfolge. Mit dieser Vielfalt an Orten und Strömungen des Judentums, die unterschiedliche Zugänge, Didaktiken, Hermeneutiken und Verständnisse zur bzw. von Tora nach sich ziehen, stelle ich ein, wenn auch bei weitem nicht komplettes, so doch vielfältiges und -seitiges Bild des zeitgenössischen Judentums dar: Das Sample der Studie umfasst fünf exemplarische Toradidaktiken von sechs Toradidaktiker:innen aus drei Ländern und drei Strömungen des Judentums.11 Natürlich gibt es über diese drei Länder hinaus auch andere Länder wie England, Südafrika, Brasilien oder Australien, die ebenfalls als Kontexte für eine Untersuchung der jüdischen Toradidaktiken infrage kommen könnten und einen spannenden Rahmen für Forschung im Feld der jüdischen Didaktik darstellen würden. Allerdings existieren am Standort Israel durch den verpflichtenden Tanach-Unterricht für alle Schulformen, ob säkular oder religiös, seit der Staatsgründung besonders elaborierte didaktische Entwürfe, bzw. ist es 11 Das vorliegende Sample stellt also einen bunten Blumenstrauß dar, der umfangreich, aber nicht lückenlos ist: So fehlen zum einen die Strömungen des Reformjudentums, welches in den USA sehr einflussreich ist, und zum anderen die des ultraorthodoxen Judentums, welches insbesondere in Israel weit verbreitet ist.
4.2 Rahmen: Methodische Grundsätze der Komparativen Theologie
87
zum Beispiel das einzige Land, in dem ein säkularer Tanach-Unterricht für alle, auch nichtreligiöse Jüd:innen verpflichtend ist.12 Die Strömungen des Reformjudentums bzw. des konservativen Judentums sind in Israel weniger ausgeprägt und verbreitet, für eine Darstellung der Vielfalt des Judentums jedoch unabdingbar. Deswegen habe ich mit den USA einen zweiten Standort hinzugezogen, an dem mit der Toradidaktik von Barry Holtz ein umfangreicher Entwurf aus dem konservativen Judentum vorlag. Ein weiteres Kriterium für die Auswahl der Entwürfe stellte die Voraussetzung dar, dass sie in elaborierter Theorie vorliegen mussten, sodass eine Darstellung und Erschließung der didaktischen Konzeptionen möglich und sinnvoll erschien. Obschon die Entwürfe von Daniel Krochmalnik und Hanna Liss/Bruno Landthaler diesem Kriterium nur bedingt entsprechen, habe ich sie als zwei deutschsprachige Ansätze hinzugezogen, da die Studie im Kontext der deutschsprachigen evangelischen Religionspädagogik verankert ist. Aus der Entscheidung insbesondere für didaktische Entwürfe aus Israel folgt eine gewisse Festlegung des Zeitraums der Entstehung der Entwürfe auf nach der Staatsgründung, da mit Nehama Leibowitz und Zvi Adar in diesem Zeitraum zwei elaborierte Entwürfe entstanden sind. Der damit gesetzte Entstehungszeitraum für die Entwürfe als „(post-)moderne“ wurde auch durch die Zielrichtung der Frage nach Rezeptionsmöglichkeiten der jüdischen Bibeldidaktik in der aktuellen christlichen Bibeldidaktik unterstützt. Vergleichende Religionspädagogik stellt die methodische Impulsgeberin der Studie dar. Sie hat in methodischer wie in thematischer Hinsicht, wenn das leitende Interesse das interreligiöse Lernen unter der vergleichenden Bezugnahme auf andere Religionen ist, die Komparative Theologie und die interkulturelle Theologie als Referenzwissenschaften.13 So ist die Komparative Theologie in der vorliegenden Studie impulsgebend für die Annäherung an den Gegenstand und darin für das Studiendesign, während die Arbeitsweise der interkulturellen Theologie für die differenzhermeneutische Bearbeitung desselben Gegenstandes leitend ist.
4.2 Rahmen: Methodische Grundsätze der Komparativen Theologie 4.2 Rahmen: Methodische Grundsätze der Komparativen Theologie
Der Systematiker Klaus von Stosch, der als Vordenker der Komparativen Theologie im deutschsprachigen Raum gelten kann, stellt folgende Anforderungen an die Methodik für die Verwendung des Begriffs der Komparativen Theologie im Sinne eines Terminus technicus. Demnach sollte er Studien 12
Vgl. für den religiösen Tanach-Unterricht in Israel den Abschnitt 5.2.2 und für den säkularen den Abschnitt 6.2.2 dieser Studie. 13 B. SCHRÖDER, Art. Religionspädagogik, 7.
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Kapitel 4: Methodische Rahmung: Vergleichende Religionspädagogik
vorbehalten sein, die die folgenden sechs methodischen Grundsätze berücksichtigen:14 Erstens ist Komparative Theologie „wesentlich charakterisiert durch ihre mikrologische Vorgehensweise bzw. durch ihre Hinwendung zum Einzelfall“.15 Sie kann nicht zu Allgemeinaussagen über alle Religionen führen, sondern es geht ihr um „eine behutsame Betrachtung ausgewählter Details in genau bestimmten Fällen“.16 Sie arbeitet dementsprechend mit Detailstudien zu sehr konkreten Fragestellungen. Zweitens geht Komparative Theologie „von zentralen Fragestellungen der Menschen unserer Zeit aus. Sie will Orientierung bei tatsächlich gestellten Fragen geben.“17 Die Auswahl der konkreten Beispiele darf aber nicht beliebig, sondern sollte theologisch problemorientiert und -fokussiert ausgerichtet sein und darüber hinaus an bestehende Forschungsdesiderate rückgebunden werden können.18 Drittens geht Komparative Theologie vom Eigenen aus, „bemüht sich aber, den Blick auf das Eigene vom anderen aus in die eigene Theologie einzubeziehen“.19 Voraussetzung dafür ist eine detaillierte Kenntnis der eigenen und der fremden Religion, Tradition, Theologie und Theorie. Richtungsweisend geht es ihr aber nicht um eine religionskundliche Außenperspektive, sondern kritisch im Dialog mit den anderen Theologien darum, die eigene Theologie weiterzuentwickeln und gegebenenfalls auch zu verändern. Eine Komparative Theologin sollte die zu vergleichende Religion so gut wie eine zweite Muttersprache beherrschen. Obschon dieses Ideal nie völlig gelingen könne, zeigt es doch die maßgebliche Richtung und die Voraussetzungen für den Dialog auf: auf der einen Seite die Bereitschaft, wirklich vom anderen zu lernen, auf der anderen Seite die Offenheit, sich in dem Dialog verändern zu lassen und der Dialogpartnerin einen „Ort in meinem Denken einzuräumen“.20 Komparative Theologie ist deshalb nicht nur dialogisch, sondern ihrem Wesen nach auf den Dialog ver- und angewiesen.21 14
Vgl. VON STOSCH, Komparative Theologie, 193–215. A.a.O., 194. 16 Ebd. 17 A.a.O., 199. 18 Zudem sollte die Komparative Theologie den Dialog mit der feministischen Theologie und der Befreiungstheologie suchen, um sensibel für marginalisierte Blickwinkel zu sein bzw. zu werden. Dabei könne die feministische Theologie als eine „Prophylaxe gegen jede Form des Hegemonialstrebens und des Essentialismus in der Komparativen Theologie wirken“ (a.a.O., 201). Die Befreiungstheologie „könnte Instrumente bereitstellen, die die Komparative Theologie davor bewahren, wieder in einen neuen Imperialismus des Westens hineinzuführen“ (ebd.). 19 A.a.O., 203. 20 A.a.O., 204. 21 J. Fredericks beschreibt dies folgendermaßen: „Doing theology comparatively means crossing over into the world of another religious believer and learning the truths that animate the life of that believer. Doing theology comparatively also means coming back to Christianity transformed by these truths, now able to ask new questions about Christian faith and its meaning for today“ (JAMES FREDERICKS, Buddhists and Christians, New York 2004, xii). 15
4.2 Rahmen: Methodische Grundsätze der Komparativen Theologie
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Viertens braucht Komparative Theologie die Instanz des Dritten, um der Gefahr vorzubeugen, eine „Gemeinschaft von Schurken“22 zu bilden. Dieser Dritte sollte für die Komparative Theologie idealerweise eine Angehörige einer weiteren noch nicht im Dialog vertretenen Religionsgemeinschaft sein. „Komparative Theologie“, so die fünfte methodische Grundlegung von Stoschs, „braucht immer die Rückbesinnung auf religiöse Praxis.“23 Gerade die Offenheit für andere Religionen verlange nach einer klaren Verwurzelung in der eigenen Theologie und Praxis. Schließlich ist sich die Komparative Theologie schon aufgrund „ihrer dialogischen Offenheit […] in ihrem Vorgehen immer der eigenen Verwundbarkeit und der Reversibilität bzw. Fallibilität ihrer Urteile bewusst“.24 Nur wenn sie ihr theologisches Gegenüber mit seinen Geltungsansprüchen ernst nimmt und für Neues offen bleibt, existiert sie wahrhaftig als Komparative Theologie weiter. Damit ist sie aber nicht nur Selbstversicherung, sondern auch Selbstverunsicherung. Sie bewahrt der Theologie darin, so Johann Baptist Metz, eine „eschatologische Unruhe“ und einen „Hauch von Unversöhntheit“.25 Der Komparativen Theologie kann und darf es nicht um die Verteidigung des eigenen Glaubens gehen. Als wichtige Referenzwissenschaften der Komparativen Theologie benennt von Stosch insbesondere die Befreiungstheologie, die feministische Theologie und rassismuskritische Theorien.26 Das Konzept der Komparativen Theologie wurde in den USA im Dialog mit dem Hinduismus, in Deutschland zumeist im Dialog mit dem Islam entwickelt.27 Dies ist erstaunlich, weil es in den letzten fünfzig Jahren einen regen theologischen Austausch und ein Lernen im jüdischchristlichen Dialog in Deutschland gab, von dem wiederum die Komparative Theologie profitieren könnte. Der jüdisch-christliche Dialog, das jüdischchristliche Verhältnis, seine Methoden, Arbeitsweisen und besonders seine spezifischen Eigenarten, aber auch schlicht die Jüdischen Studien finden in der Komparativen Theologie auf der einen Seite erstaunlich wenig Beachtung,28 22
VON STOSCH, Komparative Theologie, 208. So könne, so von Stosch, z.B. eine Theologenkommission des Vatikans und von Salafisten gemeinsam Homosexualität als Sünde beschreiben. 23 A.a.O., 211. 24 A.a.O., 213. 25 JOHANN BAPTIST METZ, Theologie als Theodizee?, in: Willi Oelmüller (Hg.), Theodizee – Gott vor Gericht? Mit Beiträgen von C.-F. Geyer u.a., München 1990, 103– 118, bes. 103–105. 26 Siehe oben S. 88, Anm. 18. 27 So entwickelt Klaus von Stosch seine Komparative Theologie im Dialog mit dem Islam, während im englischsprachigen Raum eher die östlichen Religionen als Vergleichsreligionen gängig sind. Vgl. FRANCIS XAVIER CLOONEY, Comparative Theology. Deep learning across religious borders, Malden 2010 und KLAUS VON STOSCH, Herausforderung Islam. Christliche Annäherung, Paderborn 22017. 28 Marianne Moyaert kommt auch zu dem Ergebnis, dass sich die Komparative Theologie kaum mit der Judaistik befasst. Vgl. MARIANNE MOYAERT, Comparative Theology After
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Kapitel 4: Methodische Rahmung: Vergleichende Religionspädagogik
auf der anderen Seite aber werden ebenso die Methoden der Komparativen Theologie sehr selten im jüdisch-christlichen Dialog reflektiert. Von einem Austausch könnten beide Seiten profitieren. Die Darstellung von Arbeitsweisen der Komparativen Theologie müsste dafür aber meines Erachtens durch Aufmerksamkeitskriterien des jüdisch-christlichen Dialogs für Komparative Theologie ergänzt werden.
4.3 Spiegeln: Jüdisch-christlicher Dialog und Komparative Theologie 4.3 Spiegeln: Jüdisch-christlicher Dialog und Komparative Theologie
Bei einer komparativen Beschäftigung mit der Judentum aus christlicher Perspektive offenbaren sich zwei grundlegende Phänomene: Erstens kann man sich zwar als Christ:in für oder gegen den Dialog mit dem Judentum entscheiden und sich so dem Dialog auch entziehen, „dem christlich-jüdischen Verhältnis [aber] nicht. […] es ist einfach mit dem Christsein gegeben“.29 Dem Christentum ist durch den Juden Jesus und durch das Erste und das Zweite Testament ein Verhältnis zum Judentum eingeschrieben. Dies unterscheidet das jüdisch-christliche Verhältnis und damit auch den jüdisch-christlichen Dialog von dem Verhältnis zu und dem Dialog mit allen anderen Religionen.30 Zweitens existiert das jüdisch-christliche Verhältnis nicht im „luftleeren“, neutralen Raum ohne Vorgeschichte, sondern in einem hochkomplexen Feld,
the Shoah. Risks, Pivots and Opportunities, in: Francis X. Clooney/Klaus von Stosch (Hg.), How to Do Comparative Theology, New York 2018, 164–187. Von Stosch beschäftigt sich zwar innerhalb seiner Komparativen Theologie mit dem besonderen Verhältnis von Judentum und Christentum und seinen Implikationen für die Christologie im Kontext der Komparativen Theologie (VON STOSCH, Komparative Theologie, 269–282) und benennt dort die unumgängliche Notwendigkeit von christlicher Seite aus, „dem Judentum einen bleibenden Wert für die eigene Identität zuzubilligen“ (a.a.O., 279). Das Judentum ist somit für ihn ein Erkenntnisort des Christentums, sodass die ganze christliche Dogmatik für ihn so formuliert werden muss, dass sie die bleibende Erwählung Israels miteinschließt. Aber für ihn ist das jüdisch-christliche Verhältnis genau darin nicht einzigartig, sondern eine Begründung dafür, sich auch anderen Religionen so nähern zu können, dass sie zur Quelle der Erkenntnis der eigenen Religion werden. So kommt er zu folgendem Fazit: „Von daher ist das besondere Verhältnis von Judentum und Christentum ein bleibend wichtiger Lernort für die Theologie der Religionen und die derzeitigen Forschungsanstrengungen Komparativer Theologie“ (a.a.O., 282). Damit macht er das Judentum im Verhältnis zum Christentum zu einer Religion unter vielen, was meiner Meinung nach den komplexen Bezügen zwischen Judentum und Christentum nicht gerecht wird. 29 VON DER OSTEN-SACKEN, Stand des jüdisch-christlichen Dialogs, 206. 30 Hiermit ist nicht eine Hierarchie der Dialoge gemeint: So ist z.B. der islamischchristliche oder der hinduistisch-christliche Dialog nicht weniger wichtig als der jüdischchristliche, der jüdisch-christliche Dialog steht nur unter diesen besonderen Vorzeichen.
4.3 Spiegeln: Jüdisch-christlicher Dialog und Komparative Theologie
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welches von asymmetrischen Erinnerungen, Traumata, kollektiver Verantwortung und auch Schuld geprägt ist. Vor diesem Hintergrund braucht eine jüdisch-christliche Komparative Theologie und Religionspädagogik besondere Regeln und Aufmerksamkeitskriterien, um sowohl den Besonderheiten des jüdisch-christlichen Dialogs und der Theologie nach Auschwitz als auch denen der Komparativen Theologie und der Religionspädagogik gerecht zu werden.31 Aus christlicher Perspektive heißt das meiner Meinung nach: 1) Die verschiedenen Strömungen des Judentums werden in ihrem je unterschiedlichen Selbstverständnis wahr- und ernst genommen. Dafür bedarf es einer hermeneutischen Offenheit, die Anderen in ihrer Andersartigkeit wahrzunehmen und zu akzeptieren. 2) Jegliche Form der Judenmission wird untersagt. 3) Die bleibende Ersterwählung Israels wird nicht relativiert oder angezweifelt. 4) Das Judentum wird als lebendige und vielseitige Religion in der Geschichte und insbesondere in der Gegenwart wahrgenommen. 5) Die Hebräische Bibel wird sowohl als jüdischer Tanach als auch als christliches Altes Testament und in ihrer zweifachen Nachgeschichte in jüdischer und christlicher Exegese und Hermeneutik, Homiletik und Didaktik gelesen. 6) Die Asymmetrie des jüdisch-christlichen Dialogs wird akzeptiert und ernst genommen – so ist zum Beispiel das Christentum in seiner Existenz zwar auf das Judentum ver- und angewiesen, während das Judentum seinem Selbstverständnis nach ohne das Christentum auskommt.32 Das Christentum in Deutschland gehört beispielsweise der Mehrheitsgesellschaft an, während das Judentum eine Minderheit darstellt. 7) Es existiert ein Problembewusstsein für die (Gewalt-)Geschichte des Antisemitismus, insbesondere in seiner religiös-antijüdischen Ausprägung, aber auch seiner anderen Facetten und dem christlichen Verstricktsein in diese Geschichte. Mit den Fallstricken und Strukturen von christlichem Antisemitismus und Philosemitismus wird ein produktiver Umgang gesucht und gefunden. Vor dem Hintergrund dieser Aufmerksamkeitskriterien für das jüdischchristliche Verhältnis ist eine Anwendung und Weiterentwicklung der Methoden der Komparativen Theologie innerhalb der Vergleichenden Religionspädagogik meiner Meinung nach sehr vielversprechend.
31
In Anlehnung und Weiterführung der „Rules of Engagement“ von MOYAERT, Comparative Theology, 172–174. Diese Aufmerksamkeitskriterien greifen zudem auf viele Erkenntnisse aus dem jüdisch-christlichen Dialog zurück. Beispielhaft seien hier nur folgende genannt: RAINER KAMPLING/MICHAEL WEINRICH (Hg.), Dabru emet – redet Wahrheit, Gütersloh 2003; PETER VON DER OSTEN-SACKEN, Grundzüge einer Theologie im christlichjüdischen Gespräch, München 1982; MARTIN STÖHR (Hg.), Lernen in Jerusalem – Lernen mit Israel. Anstöße zur Erneuerung in Theologie und Kirche (VIKJ 20), Berlin 1993. 32 Dagegen betont der Judaist Daniel Boyarin, dass das rabbinische Judentum in seiner Entstehung ebenso auf das Christentum verwiesen ist wie umgekehrt. „Das Judentum ist nicht die ‚Mutter‘ des Christentums; die beiden sind siamesische Zwillinge, die an der Hüfte zusammengewachsen sind“ (BOYARIN, Abgrenzungen, 6).
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Kapitel 4: Methodische Rahmung: Vergleichende Religionspädagogik
4.4 Zugang: Dichtes und detektivisches Lesen 4.4 Zugang: Dichtes und detektivisches Lesen
Es existiert nicht die Methode der Vergleichenden Religionspädagogik, sondern Methode und Arbeitsweise sollten zur Fragestellung des Vergleichs passen bzw. von ihr abhängen.33 Die bibeldidaktischen Entwürfe von Nehama Leibowitz, Zvi Adar, Barry W. Holtz, Daniel Krochmalnik und Hanna Liss/ Bruno Landthaler bilden das Material der vorliegenden Studie. Das Lesen, genauer auf der einen Seite das dichte und auf der anderen Seite das detektivische Lesen, bildet den methodischen Zugang zu diesem Material. Der theoretische Rahmen für diesen methodischen Zugang ist der kultursemiotische34 Ansatz des Ethnografen Clifford Geertz. Er beschreibt die Ambivalenz des Wechselspiels zwischen Nähe und Distanz zum Untersuchungsgegenstand folgendermaßen: Wenn sich der Ethnograph auf erfahrungsnahe Begriffe beschränkt, verliert er sich in einer Flut von Unmittelbarkeiten und bleibt dem örtlichen Dialekt verhaftet. Wenn er sich auf erfahrungsferne Begriffe beschränkt, scheitert er an Abstraktion und verfällt in Jargon.35
33 Es „muss“, so Schröder, „im Bereich vergleichend-religionspädagogischer Forschungen – wie auch sonst – jeweils eine Methodik gefunden bzw. eigens entwickelt werden, die dem Gegenstand gerecht wird“ (B. SCHRÖDER, Vergleichende historische Religionspädagogik, 345). Das Gleiche gilt auch für die international vergleichende Erziehungswissenschaft bzw. stellt ein Charakteristikum derselben dar, die ein wichtiger Impulsgeber für die Vergleichende Religionspädagogik ist. So schreibt Marcelo Parreira do Amaral: „Die unterschiedlichen Erkenntnisinteressen sowie Vielfalt und Heterogenität der methodologischen Ansätze stellen daher einen wichtigen Aspekt der IVE [International Vergleichenden Erziehungswissenschaft] dar. Forschende der IVE nutzen alle wissenschaftlichen Forschungsmethoden“ (MARCELO PARREIRA DO AMARAL, Methodologie und Methode in der International Vergleichenden Erziehungswissenschaft, in: Ders./S. Karin Amos [Hg.], Internationale und Vergleichende Erziehungswissenschaft. Geschichte, Theorie, Methode und Forschungsfeld, Münster/New York 2015, 107–129, 123). Darin liegt dementsprechend dann aber auch die Herausforderung, die passende Methode für die eigene Forschungsfrage zu finden. 34 In der Kultursemiotik stehen Zeichen für einen Verweiszusammenhang, obwohl dieser nicht identisch ist. So kann z.B. Rauch für ein Feuer stehen. Der Kontext entscheidet aber über die Deutung des Feuers: So kann Rauch im heißen Hochsommer im Wald für den Beginn eines Waldbrandes und somit für Gefahr stehen, dagegen kann es in einer lauen Sommernacht die Gemeinschaft einer Gruppe, die gemeinsam am Lagerfeuer sitzt, symbolisieren. „Aus semiotischer Perspektive jedoch fängt hier das Fragen allererst an, denn die Semiotik fragt nicht nur, wie Zeichen zu deuten sind, sondern – wie gesagt – auch danach, wie etwas für Menschen (und auf diese beschränken wir uns hier) überhaupt zu Zeichen werden kann“ (WROGEMANN, Interkulturelle Theologie, bes. 44–59, hier 45). 35 CLIFFORD GEERTZ, „Aus der Perspektive des Eingeborenen“. Zum Problem des ethnologischen Verstehens, in: Ders., Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, übers. v. Brigitte Luchesi und Rolf Bindemann, Frankfurt am Main 1983, 289– 309, 291.
4.4 Zugang: Dichtes und detektivisches Lesen
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Dabei kann ihm zufolge der Ethnograf oder die Ethnografin nicht wahrnehmen, was seine oder ihre Informant:innen wahrnehmen. „Er nimmt wahr“, so Geertz, „– und auch das noch unscharf genug –, was sie ‚mit‘, ‚vermittels‘, ‚durch‘, oder wie immer man es nennen will, wahrnehmen. Im Land der Blinden, die gar nicht so wenig mitbekommen, wie es den Anschein haben könnte, ist der Einäugige nicht König, sondern Zuschauer.“36 Das Verstehen trifft also angesichts des Nachvollziehens oder Nacherlebens an eine Grenze. Terminologisch unterscheidet Geertz zwischen Verstehen als „Nachfühlen“ und Verstehen als „Begreifen“. Während Ersteres unmöglich ist, wird Letzteres durch das Begreifen von Ereignissen und ihren Kontexten und Hintergründen möglich. 37 Angewandt auf die vorliegende Studie bedeutet dies: Sie zielt darauf ab, in einer dichten Beschreibung der jüdischen Didaktiken der Tora gewisse Regelmäßigkeiten sichtbar zu machen. Dies ist möglich, indem ich sie einerseits in ihrer Eigenlogik darstelle und sie andererseits aus ihrem Kontext heraus zu begreifen versuche. Hierfür brauche ich zeitgleich zwei unterschiedliche, sich ergänzende Lesarten des Materials: Es bedarf zum einen eines dichten und zum anderen eines detektivischen Lesens. Das Lesen als Methode ist der Komparativen Theologie vertraut. So macht Francis Xavier Clooney das kritische Lesen heiliger Texte anderer Religionen zur zentralen Methode und damit zum Zugang zu anderen Religionen. „If we wish to learn and be changed by what we learn“, so Clooney, „we are unlikely to find another practice as reliably rich and fruitful as such reading.“38 Für 36 A.a.O., 292f. Geertz verdeutlicht seine These, wie man die Denkweise und das Selbstverständnis eines anderen Volkes beschreiben kann, an der Vorstellung von der Person bei Javanern, Balinesen und Marokkanern. 37 Der Religionswissenschaftler Henning Wrogemann fasst den Ansatz von Geertz’ Kultursemiotik folgendermaßen zusammen: „Damit wird deutlich, dass die von Geertz vertretene Hermeneutik sich erstens an den Informationen orientiert und daran, wie diese selbst ihre Wirklichkeit benennen, mit welchen Konzepten sie dies tun usw. Diese Informationen sind im öffentlichen Zeichengebrauch (Sprache, Riten, Verhaltensweise usw.) zugänglich. Sie zu beschreiben bedeutet, nicht darauf abzuzielen, angeblich verborgene Grundgesetze einer Kultur ans Licht zu bringen, sondern in ‚dichten Beschreibungen‘ gewisse Regelmäßigkeiten sichtbar werden zu lassen. Eine Kultur wird damit soweit wie möglich in ihren eigenen Ausdrucksformen ausgelegt und deren Bedeutungsgehalt für Angehörige anderer Kulturen ansatzweise und tastend erklärt“ (WROGEMANN, Interkulturelle Theologie, 76). 38 CLOONEY, Comparative Theology, 58. Für die Bedeutung des Lesens innerhalb seiner Komparativen Theologie siehe a.a.O., 57–68. So beginnt er schon den Abschnitt mit der Betonung der Bedeutung des Lesens in der Komparativen Theologie: „Theological reflection can be done in various contexts. […], or it may be based primarily on a critical reading of the authoritative teachings of a particular tradition“ (a.a.O., 57). Clooney privilegiere, so Wrogemann in seiner interkulturellen Theologie über ihn, in der vergleichenden Theologie das geschriebene Wort; „denn das Lesen eröffnet einen besonders tiefen Zugang zu einer anderen religiösen Tradition. Man brauche dazu tiefen Respekt, Geduld, Demut, Imaginationskraft und die Offenheit, verwundbar zu bleiben“ (HENNING WROGEMANN, Theologie
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dieses Lesen der Texte anderer Religionen bedarf es sowohl einer doppelten Loyalität – zum einen zur eigenen, zum anderen zur fremden Tradition39 – als auch eines Vertrauensvorschusses und einer Wertschätzung der anderen Religion gegenüber.40 Dieses Lesen bezeichne ich als ein dichtes Lesen im Sinne eines close reading,41 das aufmerksam den Zeichen und ihren möglichen Deutungen nachdenkend nachgeht und währenddessen zunächst eigene theologische und moralische Prämissen unberücksichtigt lässt, sondern in meinem Fall die Bibeldidaktiken in ihrer Eigenlogik zu Wort kommen lässt.42 Der Text steht dabei als Objekt mit seinen Bedeutungsnuancen und sprachlichen Effekten im Mittelpunkt der Analyse. Es handelt sich um ein begriffsnahes Einfühlen in die jeweilige theologische und religionspädagogische Position der anderen Religion, bei dem ausreichend Raum für eigenständige Texte und Entwürfe gelassen wird. Dichtes Lesen heißt, Zeit mit den Texten und Theorien der anderen Religionen zu verbringen. Clooney fordert hierfür ein Studium der Texte mit „loving attention“.43 Der lesende Mensch wird dann zum „homo lector“.44 In meiner Studie werde ich dementsprechend die bibeldidaktischen Konzeptionen einem solchen dichten Lesen folgend darstellen. Dieses dichte Lesen muss meiner Meinung nach in einem hermeneutischen Zirkel um ein detektivisches Lesen ergänzt werden, da es sich bei den religionspädagogischen Entwürfen um eigene religiöse Praxis- und Deutungstraditionen handelt, die in eine eigene Geschichte, Kultur und Tradition eingebettet sind und sich nur in und aus diesem Kontext heraus erschließen.45 Der hier gewählte Zugang des detektivischen Lesens stammt aus dem kultursemiotischen Konzept von Aleida Interreligiöser Beziehungen. Religionstheologische Denkwege, kulturwissenschaftliche Anfragen und ein methodischer Neuansatz [Lehrbuch Interkulturelle Theologie/Missionswissenschaft 3], Gütersloh 2015, 112). 39 Vgl. WROGEMANN, Theologie Interreligiöser Beziehungen, 113. 40 B. SCHRÖDER, Verfasstes Judentum, 73. 41 Zu der Methode des close reading vgl. PETER WENZEL, Art. New Criticism, in: Ansgar Nunning (Hg.), Grundbegriffe der Literaturtheorie (Sammlung Metzler: Einführungen, Methodenlehre 347), Stuttgart u.a. 2004, 191–195; BARRY BRUMMETT, Techniques of Close Reading, Thousand Oaks 2010; DAVID GREENHAM, Close Reading. The Basics, London 2019. 42 Ein close reading in diesem Sinne schlägt auch Schröder als komparative Methode für die Praktische Theologie im Verhältnis zum Judentum vor. Vgl. B. SCHRÖDER, Verfasstes Judentum, 73. 43 CLOONEY, Comparative Theology, 60. 44 A.a.O., 58. Clooneys derartige Konzentration auf schriftliche Traditionen wird in der vergleichenden Theologie durchaus kritisch gesehen, da die Methode alle nichtsprachlichen Zugänge zu anderen Religionen geringer schätzt. So fordert z.B. von Stosch die „Einbeziehung nicht textlich strukturierter Symbolsysteme in die Komparative Theologie und die Ausweitung der Forschung auf andere Texte als die klassischen“ (VON STOSCH, Komparative Theologie, 198). 45 Vgl. B. SCHRÖDER, Verfasstes Judentum, 73.
4.5 Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis
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Assmann.46 Das detektivische Lesen liest, so beschreibt es Assmann, im Gegensatz zum diagnostischen Lesen, welches Tatsachen wahrnimmt, in allem ein mögliches Zeichen: Der medizinische Diagnostiker verfährt semantisch; er findet die Bedeutung seiner Zeichen in einem Lexikon festgelegter Zuordnungen von Erscheinungen und Bedeutungen. Der Detektiv verfährt syntaktisch; er ermittelt die Bedeutung der Zeichen, indem er kontingente, isolierte Elemente in die Struktur eines notwendigen Zusammenhanges bringt. Die Dinge werden ad hoc zu Zeichen durch die (Re-)Konstruktion einer Geschichte, in der sie ihren signifikanten Ort finden.47
Die Grundhaltung dieses Anzeichen-Lesens ist das Misstrauen, da alles, also auch das kleinste Jota, zum bedeutungsschwangeren Zeichen werden kann. „Das Interesse, durch induktive Kombinatorik hinter die Oberfläche der Erscheinungen zu gelangen, ist motiviert durch den Drang, die Umwelt sicherer zu machen.“48 Das detektivische Lesen ermöglicht Orientierung und macht die fremden Zugänge dadurch kalkulierbarer. Der lesende Mensch wird hier zum „homo interpres“.49 Es geht um das begriffsferne Verstehen vom Signifikat, um ein Begreifen, das die Distanz benötigt, nach kulturellen sowie geschichtlichen Hintergründen, Traditionen und Hermeneutik sucht und das Material durch geschichtliche, biografische und theologische Informationen kontextualisiert, um ein tieferes Verstehen zu ermöglichen. Mit dem Lesen, dem dichten und dem detektivischen, kann das Material der vorliegenden Studie meiner Meinung nach umfangreich erschlossen werden.
4.5 Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis 4.5 Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis
Komparative Theologie und Forschung unterliegt bestimmten Gefahren und Fallstricken. Der Systematiker Klaus von Stosch formuliert fünf Gefahren des komparatistischen Forschens und sensibilisiert für sie:50 erstens die Gefahr der Verwendung des Vergleichs für apologetische Interessen;51 zweitens die 46 Vgl. ALEIDA ASSMANN, Geschmack an Zeichen. Homo interpres und die Welt als Text, in: Zeitschrift für Semiotik 14/4 (1990), 359–373. 47 A.a.O., 364. 48 Ebd. 49 Vgl. a.a.O., Untertitel. 50 KLAUS VON STOSCH, Zur Rolle und zur Methode des Vergleichens in der Komparativen Theologie, in: Christine Freitag (Hg.), Methoden des Vergleichs. Komparatistische Methodologie und Forschungsmethodik in interdisziplinärer Perspektive, Opladen 2014, 51– 72. 51 Religionsvergleiche haben in der Geschichte des Christentums eine lange Tradition, die apologetisch geprägt ist. So wird der Vergleich zu einer Möglichkeit, das Christentum als einzig wahre Religion auszuweisen.
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Gefahr der projektiven Abstraktion beim Tertium Comparationis;52 drittens die Gefahr der Essenzialisierung der anderen Religion;53 viertens die Gefahr der Verzweckung der Theologie der anderen Religionen;54 und fünftens die Gefahr der Kolonialisierung durch die Methodik des westlichen Wissenschaftssystems55. Die Vereinnahmung kann auch schleichend und quasi unbemerkt in das Forschungsdesign eingehen, wenn westliche Begriffe, Konzepte und Standards zum Maßstab und die englische Sprache zum dominanten Medium werden. Gegen diese Gefahren müsse vergleichende Forschung auf der einen Seite vielfaltssensibel und differenzfreundlich56 sein und auf der anderen Seite die „(selbst-)kritische Reflexion der eigenen Forschung als wichtiges methodologisches Kriterium“57 herausstellen. Diesen Gefahren und den ihnen innewohnenden Herausforderungen muss die Vergleichende Religionspädagogik durch eine Offenlegung und Reflexion ihrer Methoden und ihrer Hermeneutik begegnen. 52
Vergleichende Religionswissenschaften sind um Neutralität und Objektivität bemüht, gleichzeitig verfolgt aber jeder Vergleich spezifische Interessen und Fragestellungen und kann nicht nur unter neutralen und objektiven Kategorien erfolgen. Dieses Dilemmas muss sich die Komparative Theologie bewusst sein. 53 Insbesondere postkoloniale Studien haben deutlich gemacht, dass vergleichende Studien oft von der Hegemonie der westlichen Kultur her gedacht werden und darin die Gefahr einer Essenzialisierung der anderen Religionen und Kulturen liegt. Für den Vergleich ergibt sich die Gefahr, dass es leichter ist, die zu vergleichende Religion als eine feststehende Größe mit klaren Aussagen zu definieren, als sie in ihren jeweiligen multiplen, sich teilweise sogar widersprechenden Aussagen und Ausprägungen wahrzunehmen. 54 Gerade die christliche Theologie, die im Rahmen des jüdisch-christlichen Dialogs betrieben wird, muss sich der Gefahr einer einseitigen Vereinnahmung bzw. vereinnahmenden Übernahme jüdischer Theologien bewusst sein. So kann es passieren, dass z.B. nur Gesprächspartner:innen gesucht und gehört werden, die gut in das eigene theologische Konzept passen, oder es besteht die Gefahr des Philosemitismus. Christian Stäblein grenzt besonders den Philojudaismus vom Antijudaismus ab: „Philosemitismus ist in Analogie zum Antisemitismus die Funktionalisierung bzw. Instrumentalisierung einer überhöhenden Wahrnehmung des Gegenübers zum Zweck der eigenen Identitätserfüllung und mit der Folge einer Aufhebung der Beziehung“ (STÄBLEIN, Gegenüber, 151). Philojudaismus ist die religiöse Konkretion des Philosemitismus, die auf einer Idealisierung des Judentums beruht, und hat zumeist eine Vereinnahmung des Judentums zur Folge. Dabei darf man Philojudaismus nicht mit einer Benennung von Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Christentum verwechseln. Vgl. CHRISTIAN STÄBLEIN, Das jüdische Gegenüber in der evangelischen Predigtlehre nach 1945 (APTh 44), Göttingen 2004, 145–151; MICHAEL BRENNER, Art. Philosemitismus, in: RGG4 (2003) 6, 1289f. 55 So unterliegt die Komparative Theologie in der christlichen Theologie im globalen Norden dem Dilemma, dass sie einerseits westlichen Wissenschaftsstandards verpflichtet und in ihrem Forschen und Denken von diesen durchdrungen ist, andererseits dadurch aber andere Denktraditionen und Religionen durch dieses Schema wahrnimmt, mit diesen Methoden analysiert und darin immer die Gefahr einer erneuten „Kolonialisierung“ besteht. 56 Vgl. B. SCHRÖDER, Vergleichende historische Religionspädagogik, 345. 57 PARREIRA DO AMARAL, Methodologie, 125.
4.5 Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis
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Die vorliegende Studie reagiert auf die von von Stosch benannten Gefahren bewusst durch die Darstellung des Material und den methodischen Zugang zu ihm.58 Die Darstellung des Materials erfolgt anhand des Tertium Comparationis: der Didaktik der Tora. Die Darstellung der Toradidaktik findet innerhalb des didaktischen Vierecks statt und durch es. Das didaktische Drei- bzw. Viereck59 ist ein Strukturmodell60 der Didaktik, welches versucht, das Unterrichtsgeschehen darzustellen. Sinn des didaktischen Vierecks ist es, Lehr-/Lernsituationen besprechbar und darin planbar zu machen. Durch die Reduzierung von Komplexität ist es möglich, mithilfe des didaktischen Vierecks die verschiedenen Dimensionen eines Lehr-/Lernprozesses bildlich darzustellen. Das Didaktische Viereck erfasst dabei drei zentrale Momente des organisierten Lehr-/Lernprozesses: die Schüler:innen, die Lehrer:innen und die Lehrinhalte. Mit seiner Hilfe werden die Interdependenzen zwischen diesen verschiedenen Aspekten des Unterrichts sichtbar zu machen versucht. 61 All diese Aspekte stehen in Beziehung zu und werden beeinflusst von der soziokulturellen Umwelt, also der Gesellschaft, der Kultur, dem konkreten Lernort, der Lebenswelt der Lernenden und Lehrenden. Dieses vierte Element des Vierecks kann auch wie ein dasselbe umschließender Kreis dargestellt werden.62 Die soziokulturelle Umwelt stellt den Rahmen für das Unterrichtsgeschehen dar und das 58
Zum methodischen Zugang zum Material siehe oben Abschnitt 4.4. Seine Wurzeln hat die klassische Form des didaktischen Dreiecks im sog. Herbartianismus, einer Richtung der Pädagogik, die nach dem Pädagogen Johann Friedrich Herbart im 19. Jahrhundert benannt ist. Insbesondere durch Wolfgang Klafkis „Bildungstheoretische Didaktik“ erfuhr es größere Aufmerksamkeit im breiteren pädagogischen Diskurs der Nachkriegszeit. In den 1970er-Jahren wurde das Didaktische Dreieck insbesondere durch Wolfgang Schulz um einen umspannenden Kreis, der die soziokulturelle Dimension der gesellschaftlichen Lebenswelt darstellt, ergänzt und in den folgenden Jahren weiterentwickelt und ausdifferenziert. Vgl. WOLFGANG KLAFKI, Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, Weinheim 1964, 33ff.; WOLFGANG SCHULZ, Unterrichtsplanung, München 1980; ANDREAS GRUSCHKA, Das didaktische Dreieck – eine theoretische Reformulierung, in: Ders., Didaktik. Das Kreuz mit der Vermittlung, Wetzlar 2002, 87–135; MARIO GERWITZ, Wo ist die Bildung im didaktischen Dreieck? Eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem Problem impliziter Voraussetzungen, in: Vierteljährliche Zeitschrift für wissenschaftliche Pädagogik 93/3 (2017), 377–389. 60 Strukturmodelle bilden die Elemente von Lehr-/Lernsituationen ab: Ziele, Zwecke, Inhalte, Methoden und Relationen zwischen den Elementen. Das Strukturmodell ist dabei eines von zwei Modelltypen für die Lehr-/Lernsituation. Das andere ist das Bedingungsgefüge, welches den Kontext der Situation beschreibt, z.B. das Bildungssystem, die Ausbildung von Lehrkräften oder bestimmte Lernkulturen. Vgl. LEHNER, Didaktik, 31. 61 Vgl. dazu auch MANFRED BÖNSCH, Allgemeine Didaktik. Ein Handbuch zur Wissenschaft vom Unterricht, Stuttgart 2006, 149f. 62 Es gibt andere Darstellungsvarianten, in denen andere Aspekte, wie z.B. seit Paul Heimann die Medien, hinzugefügt werden oder in denen aus dem Dreieck ein Fünfeck wird (Lehrer, Schüler, Sache, Medien und Sozialformen des Lehrens und Lernens). Vgl. FRIEDRICH W. KRON/EIKO JÜRGENS/JUTTA STANDOP, Grundwissen Didaktik, Stuttgart 62014, 24f. 59
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vierte Element des Vierecks. Innerhalb des didaktischen Vierecks setzt jede Didaktik je eigene Schwerpunkte auf bestimmte Elemente. Das Viereck erfasst als Bedingungsgefüge von Lehr-/Lernsituationen personale, institutionelle und gesellschaftliche Voraussetzungen. 63 Es stellt ein didaktisches Denkbild dar, welches trotz oder gerade wegen seines reduzierten Charakters wichtige und zentrale Aspekte des Unterrichts verdeutlichen kann. Ausgangspunkt des Vierecks ist das Vermittlungsproblem zwischen dem Subjekt, hier den Schüler:innen, und dem Objekt des Lehr-/Lernprozesses. Dieses Vermittlungsproblem soll die Lehrkraft durch Reflektieren, Analysieren und Planen bearbeiten. Es kommt insbesondere als Schema in der Lehrer:innenausbildung zum Tragen, um für die verschiedenen Ebenen der Didaktik zu sensibilisieren bzw. Unterricht auf den unterschiedlichen Ebenen zu erfassen. Es mag verwundern oder gar reaktionär anmuten, dass ich hier mit dem didaktischen Viereck ein „Modell der älteren Didaktik“64 als Strukturmodell für jüdische und christliche Toradidaktik verwende. Ich greife bewusst ein sehr konventionelles Modell auf, (ver)wende es aber unkonventionell innerhalb der Vergleichenden Religionspädagogik: Zum einen stellt das didaktische Viereck wegen seiner Elementarisierung von Strukturelementen des Unterrichts ein zwar konventionelles, aber darin gleichsam auch universales Modell dar. So ist mit diesem eine Darstellungsform und ein Rekonstruktionsgerüst für die toradidaktischen Entwürfe gewählt, die nicht nur in der westlichen Didaktik, wie eben auch in der christlichen Religionsdidaktik, eine entscheidende Rolle spielt, sondern in der Theorie der jüdischen Erziehung selbst ein Analyseinstrument für die Lehr-/Lernsituation und ihre Reflexion darstellt. Zum anderen ist das didaktische Viereck damit aus einer oben beschriebenen interreligiös-sensiblen Perspektive der Komparativen Theologie heraus ein idealer Ausgangspunkt für den Vergleich von jüdischer und christlicher Toradidaktik und entgeht der Gefahr, die jüdische Toradidaktik mit einem Strukturmodell nur der christlichen Religionspädagogik abzubilden und es darin durch die Methodik des westlichen Wissenschaftssystems zu vereinnahmen.65 So findet sich das Drei- bzw. Viereck schon in der Theorie des für jüdische Erziehung in den USA prägenden Joseph J. Schwab (1909–1988) wieder.66 Sein Schüler Seymour Fox, der eine der prägenden Stimmen der Theorien jüdischer Erziehung im 20. Jahrhundert in Israel war, übernimmt diese Struktur von ihm; so beschreibt es Barry W. Holtz im Nachruf auf Seymour Fox:
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Vgl. LEHNER, Didaktik, 34. HARTWIG SCHRÖDER, Art. Didaktisches Dreieck, in: Ders., Didaktisches Wörterbuch, München/Wien 32001, 75. 65 Vgl. VON STOSCH, Zur Rolle und zur Methode des Vergleichens. 66 Vgl. JOSEPH J. SCHWAB, Science, Curriculum and Liberal Education. Selected Essays, hg. v. Ian Westbury/Neil J. Wilkof, Chicago 1978, 365–383, bes. 366f. 64
4.5 Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis
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Fox often built his own teaching and educational analysis around Joseph Schwab’s „four commonplaces,“ the key elements that obtain any educational situation […]. The teacher, the learner, the subject matter, and the milieu were the points of the compass around which Schwab – and then Fox – oriented their perspective on education in general and curriculum in particular.67
Das didaktische Viereck eignet sich also aus der Perspektive der Vergleichenden Religionspädagogik als Tertium Comparationis, da es sowohl ein Strukturmodell der christlichen als auch der jüdischen Bibeldidaktik darstellt. Es ermöglicht damit zum einen, die verschiedenen didaktischen Konzepte der jüdischen Toradidaktik explorativ darzustellen und sie innerhalb des Vierecks zu rekonstruieren, und sie dann innerhalb der verschiedenen Dimensionen zu vergleichen. Dadurch eignet sich das didaktische Viereck als ein zentrales Gliederungsmoment der Studie. Eingeleitet wird die Darstellung der Konzeptionen im didaktischen Viereck zum einen durch biografische Notizen zu den jeweiligen Verfasser:innen der Toradidaktiken und zum anderen durch eine Skizzierung der Kontexte, für die und in denen die unterschiedlichen toradidaktischen Entwürfe entwickelt wurden. Innerhalb der Kontextanalyse erfolgt zum einen jeweils eine Skizze der jüdischen Denominationen, in denen die Entwürfe verankert sind, samt ihrem Toraverständnis und/oder den hermeneutischen Voraussetzungen, und zum anderen der (historischen) Lernorte, für die und an denen die jeweiligen toradidaktischen Entwürfe entwickelt wurden. Abgerundet werden die Kapitel durch eine kritische Würdigung. Diese würdigt zunächst die Stärken und eigenen Charakteristika der Entwürfe. Daran schließt sich eine zweigeteilte Kritik an: Erstens erfolgt die Darstellung innerjüdischer Kritik bzw. Diskussionen und Weiterentwicklungen der Entwürfe. Darauf folgt eine kritische Würdigung aus christlich-religionspädagogischer Perspektive. Diese nimmt die Struktur des didaktischen Vierecks auf und legt jeweils ein Kriterium, welches derzeit für den deutschsprachigen religionspädagogischen Diskurs relevant ist, zugrunde: für die Lernenden das Kriterium der Subjektorientierung; für die Lehrenden das der Positionalität; für die Lebenswelt die Frage nach dem Beitrag der Konzeptionen zur Pluralitätsmoderation und für die Texte die nach der jeweiligen Hermeneutik. In diesen vier Aspekten zeigen sich die unterschiedlichen religionspädagogischen Grundinteressen der Studie: So stellt das erste Kriterium, die Subjektorientierung, ein „zentrales Prinzip [der christlichen Religionspädagogik dar], was in Theorie, Forschung und Praxis nahezu als Konsens gelten kann“.68 Bernd Schröder beschreibt die Förderung der Subjektwerdung als Maxime 67 BARRY W. HOLTZ, In Memory of Seymour Fox, z”l., in: Journal of Jewish Education 74/Supplement 1 (2008), 1–4, 3. 68 REINHOLD BOSCHKI, Art. Subjekt, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2017, 1.
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religionspädagogischen Handelns69 und konkretisiert dies folgendermaßen: „Trage dazu bei, dass die Personen, mit denen Du in Lehr-Lern-Prozessen zu tun hast, Subjekte werden!“70 Subjektwerdung als Konsens und Maxime von Lern-Lehrprozessen stellt einen Maßstab christlicher Religionspädagogik und -didaktik dar, der als Anspruch an jegliche didaktische und pädagogische Konzepte gestellt wird. Mit dem zweiten Kriterium, der Positionalität der Lehrenden, ist eine offene Fragestellung evangelischer Religionspädagogik im deutschsprachigen Kontext aufgerufen.71 Positionalität der Lehrkraft stellt für den Religionsunterricht in einer pluralen Gesellschaft eine Zukunftskompetenz dar; denn die „Selbstbewusstmachung seiner eigenen religiösen Positionalität gehört zum professionellen Habitus und zu einem nachhaltigen professionellen Handeln einer jeden Religionslehrerin und eines jeden Religionslehrers“.72 Positionalität der Lehrenden umfasst unterschiedliche Dimensionen. So wird zwischen einer konfessionellen73 und einer individuell-religiösen Dimension74 unterschieden.75 Zudem zählt zur Positionalität auch die Haltung zu anderen 69
Vgl. dazu den gleichnamigen Paragrafen 14 in seiner Religionspädagogik (B. SCHRÖReligionspädagogik [NTG], 232–249). 70 A.a.O., 241. 71 Die Positionalität der Lehrkraft wird in Bezug auf die Frage, in welcher Form zukünftig Religionsunterricht in Deutschland stattfinden soll, relevant. So fordert der konfessionelle oder der konfessionell-kooperative Religionsunterricht wie auch der interreligiös angelegte „Religionsunterricht für alle“ in Hamburg oder der vermeintlich neutrale Ethikunterricht die Positionalität der Lehrkraft heraus. Vgl. STEFANIE LORENZEN, Art. Positionierung im Religionsunterricht, interreligiös, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2021. 72 STEFFI FABRICIUS, Art. Positionalität, Lehrende, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2022, 10. 73 Die konfessionelle Bestimmtheit des Religionsunterrichts steht in Deutschland rechtlich im Zusammenhang mit Artikel 7,3 GG und der Regelung des Übereinstimmungsgesetzes: Der weltanschaulich neutrale Staat verpflichtet sich, die positive Religionsfreiheit seiner Schüler:innen ernst zu nehmen und den Religionsunterricht in seiner konfessionellen Ausrichtung zu organisieren. Die konfessionelle Ausrichtung der Lehrkraft konstituiert sich durch die kirchliche Anbindung der Lehrenden, ihr konfessionelles Theologiestudium und die kirchliche Lehrbefähigung (Vocatio). Vgl. LORENZEN, Art. Positionierung, 3–5. 74 Die individuell-religiöse Positionalität speist sich aus biografischen und sozialgesellschaftlichen Erfahrungen, vgl. a.a.O., 4–7. 75 Die Forderung nach konfessioneller und individuell-religiöser Positionalität steht konträr zu dem Anspruch der weltanschaulich neutralen Schule und birgt die Gefahr der Überwältigung bzw. Indoktrination. Die Grenze dieser Positionalität wird daher in der Religionspädagogik unter Bezugnahme auf den Beutelsbacher Konsens (1976) diskutiert, auch wenn dieser eigentlich für den Bereich der politischen Bildung formuliert wurde und im Bereich der Religionspädagogik keine rechtliche Verbindlichkeit besitzt. Vgl. zu dieser Debatte JAN-HENDRIK HERBST, Offenbarung aus einem „brennenden Dornbusch im Schwarzwald“ (G. Steffens)? Der Beutelsbacher Konsens und seine religionspädagogische Rezeption, in: Theo-Web, 18 (2019) 2, 147–162, URL: (16.03.2023); SIMONE HILLER/JULIA MÜNCH-WIRTZ, „Neutral“ unterrichten? Eine Lektüre DER,
4.5 Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis
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Glaubensgemeinschaften. Sie spielt dementsprechend eine zentrale Rolle in interreligiösen Lernsettings.76 Das dritte Kriterium stellt die Frage nach dem Beitrag der toradidaktischen Entwürfe für eine Pluralitätsmoderation dar. Alle untersuchten Entwürfe sind in (post-)modernen Gesellschaften entstanden. Die Vielzahl von Lebensentwürfen und die Pluralisierung religiöser Vielfalt77 erfordern von jeglichem Religionsunterricht, ob jüdischer- oder christlicherseits, zunehmend eine Moderation dieser Pluralität. Als viertes und letztes Kriterium der Kritik wird in Bezug auf den Gegenstand und den Text die Frage nach der jeweiligen Hermeneutik gestellt. Michael Meyer-Blank betont zu Recht, dass jegliche Form der Bibeldidaktik eine Form der hermeneutischen Theologie sei.78 Ein Grundanliegen dieser Studie stellt die Frage dar, wie eine Hermeneutik für eine Bibeldidaktik des Alten Testaments aussehen kann, die die doppelte Nachgeschichte achtet und von jüdischer Didaktik lernt. Dies erfordert auch eine kritische Frage nach den zugrunde gelegten Hermeneutiken der unterschiedlichen Toradidaktiken. In diesen vier Kriterien der Subjektorientierung, der Positionalität der Lehrenden, der Pluralitätsmoderation und der Frage nach der jeweiligen Hermeneutik verdichtet sich ein Ertrag moderner evangelischer Religionspädagogik. Damit bereiten sie jeweils schon die Frage nach den christlichen Rezeptionsmöglichkeiten vor. Obschon das Ziel dieses Teils der Studie zunächst eine Exploration darstellende Rekonstruktion der jüdischen Toradidaktik ist, werden die Kapitel mit der Frage nach christlichen Rezeptionsmöglichkeiten der jüdischen Toradidaktiken abgeschlossen. Damit folgen alle Materialkapitel der vierteiligen Feingliederung von Biografische Notizen, Kontexte, das didaktische Viereck und einer kritischen Würdigung, wobei ein Fokus auf der Entfaltung des didaktischen Vierecks liegt.
des Beutelsbacher Konsenses hinsichtlich der Positionalität von Politik- und Religionslehrpersonen, in: Österreichisches Religionspädagogisches Forum 29/1 (2021), 124–141, URL:< https://doi.org/10.25364/10.29:2021.1.8> (16.03.2023). 76 Vgl. LORENZEN, Art. Positionierung. 77 Vgl. dazu unten den Abschnitt 13.4.1 „Das Ende der Eindeutigkeit“. 78 Vgl. MEYER-BLANK, Hermeneutik und Bibeldidaktik.
Teil II
Jüdische Didaktiken der Tora
Kapitel 5
Toradidaktik von Nehama Leibowitz Nehama Leibowitz ist die bekannteste und prägendste jüdische Bibeldidaktikerin und Toralehrerin des 20. Jahrhunderts.1 Sie hat in dem 1949 neugegründeten Staat Israel die enorme Popularität des Torastudiums eingeleitet und mitgeprägt.2 Leibowitz selber war orthodox, der Einfluss ihres Werkes, so Schoneveld, „reichte weit über das orthodoxe Lager hinaus, denn es erwies sich als reiche Quelle traditioneller Bibelinterpretation“.3 Sie wurde von Michael Rosenak (1932–2013), Professor für Jewish Education am Melton Centre der Hebrew University, Jerusalem, treffend als „Grande Dame des Bibelunterrichts und der Bibeldidaktik“ in Israel bezeichnet4 und prägt das Fach auf dem Gebiet der Bibeldidaktik bis heute. Howard Deitcher, der ehemalige Direktor des Florence Melton Institute of Adult Jewish Learning der Hebrew University, Jerusalem, beschreibt ihren Einfluss als ernorm: „Nehama Leibowitz’s singular contribution to Bible education has been researched, analyzed, and documented, and will continue to impact the field for years to come.“5 Sie hat, gemäß Gabriel H. Cohn (*1930), die jüdisch-religiöse Welt auch dadurch revolutioniert, dass sie ein anderes Buch als den Talmud präsentiert, auf das man seine Identität als Jüd:in bauen kann.6 Nehama Leibowitz bekam 1
Vgl. ROSENAK, Roads, 14 und SHMUEL PEERLESS, To Study and to Teach. The Methodology of Nechama Leibowitz, Jerusalem/New York 2004, 7. 2 Vgl. dazu zudem YAEL UNTERMAN, Nehama Leibowitz. Teacher and Bible Scholar (Modern Jewish Lives 3), Jerusalem/New York 2009, 50–77.166–235. 3 JACOBUS SCHONEVELD, Die Bibel in der israelischen Erziehung. Eine Studie über die Zugänge zur Hebräischen Bibel und zum Bibelunterricht in der israelischen pädagogischen Literatur, aus dem Englischen übers. v. Ruth Olmesdahl, Neukirchen-Vluyn 1986, 72. 4 Vgl. ROSENAK, Roads, 14. 5 HOWARD DEITCHER, Between Angels and Mere Mortals. Nechama Leibowitz’s Approach to the Study of Biblical Characters (Abstract), in: Ders./Marla L. Frankel (Hg.), Understanding the Bible in Our Times (Studies in Jewish Education 9), Jerusalem 2003, 26f. Der ausführliche Artikel findet sich im selben Sammelband auf Hebräisch. 6 Vgl. hierfür GABRIEL HAIM COHN, Die Kommentierung des Midrasch im Werk meiner Lehrerin Nehama (hebr. )הפרשנות המדרשית במפעלה של נחמה התורני, in: Moshe Ahrend/Ruth Ben-Meir/Ders. (Hg.), Pirkei Nechama. Gedenkschrift für Nechama Leibowitz (hebr. פרקי ספר זכרון לנחמה ליבוביץ. ;נחמהÜbersetzung des Titels durch die Verf.), Jerusalem 2001, 93–102, bes. 93f. Dies ist besonders entscheidend für orthodoxe Frauen, die damals noch vom Studium des Talmuds strikt ausgeschlossen waren. Nehama öffnete für sie eine völlig neue Welt. Vgl. SCHONEVELD, Bibel, 81. Es gibt eine bis heute anhaltende Debatte, ob man
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1956 den Israel Preis in dem Bereich der Bildung für ihr Lebenswerk verliehen. Er stellt die höchste Auszeichnung des Staates Israel dar. Ihre Didaktik kann als eine Form der kommunikativen Didaktik oder der Dialogdidaktik bezeichnet werden. Der Dialog bezieht sich sowohl auf die Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden als auch auf die Kommunikation zwischen Lernenden und den Texten der Tora und ihren Kommentaren. Einen besonderen Stellenwert nehmen in Leibowitz’ kommunikativer Didaktik die Frage und das Lesen als Instrumente biblischen Lernens ein, sie sind das Zentrum ihres didaktischen Konzeptes. Leibowitz’ Ziel ist es, einen gleichberechtigen Dialog sowohl zwischen Lehrenden und Lernenden als auch unter den Lernenden in ihrem wiederum dialogisch geführten Austausch mit den Fragen und Antworten aus der jüdischen Tradition zu initiieren. Damit schließt sie an das offene Ende der schriftlichen Tora und die Tradition der mündlichen Tora an und stellt die Lernenden in den nicht enden wollenden Diskussionsprozess über die Tora hinein. Methodisch gesehen „setzt sie“, symbolisch gesprochen, die Schüler:innen mit ausgewählten, wichtigen Kommentatoren durch alle Epochen „an einen Tisch“ und lässt sie durch Fragen und Lesen in einen gemeinsamen Diskussionsprozess eintreten.7 Leibowitz selbst benennt vier Ziele ihres Toraunterrichts: erstens den Aufbau von Sachkenntnissen über schriftliche und mündliche Tora; zweitens die Förderung eigenständigen Denkens im Umgang mit ihren Texten; aber drittens – darüber hinausgehend – auch die Entwicklung der Liebe zum Torastudium und viertens die Bereitschaft zum Beachten und Tun der Gebote. Dabei beschreibt sie das letztgenannte Ziel als das entscheidende und gesteht gleichzeitig ein, dass Lehrkräfte dieses Ziel höchstens indirekt durch die Liebe zum Torastudium fördern, aber eben nicht herbeiführen können und sollen.8 Am Ende eines Briefes mit Ratschlägen, den sie an einen jungen Kollegen richtet, der in der Diaspora Tora lehrt, schreibt sie: „Now let the veteran teachers send you blessings from Zion. May you succeed in impressing on your students the love of Torah, which is more important than knowing and being expert on a few more chapters.“9 Das nachfolgende Kapitel zeichnet Nehama Leibowitz’ Leben und Lehren nach und skizziert darin ihre Toradidaktik als eine Didaktik, die sich sowohl als eine Frage- als auch als eine Lesedidaktik erweist und dabei an jüdische Tradition anknüpft und sich darin als dezidiert jüdische Didaktik zeigt. Es beginnt mit Biografischen Notizen (5.1) und den Kontexten ihrer Toradidaktik (5.2). Daran schließt sich die Entfaltung der Didaktik im Unterrichtsviereck an (5.3). Abschließend erfolgt eine kritische Würdigung (5.4). deswegen Leibowitz als eine Feministin bezeichnen kann oder nicht. Für diese Debatte vgl. UNTERMAN, Nehama, 269–307. 7 Vgl. NEHAMA LEIBOWITZ, Torah Insights, Jerusalem 5755 (1995). 8 Vgl. PEERLESS, To Study, 11. 9 LEIBOWITZ, Torah Insights, 37.
5.1 Biografische Notizen
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5.1 Biografische Notizen 5.1 Biografische Notizen
Nehama Leibowitz’ Leben10 und ihre Toradidaktik lassen sich nicht voneinander trennen, sondern sind aufs Engste miteinander verknüpft. So beschreibt Aryeh Newman (1924–2021), der Übersetzer ihrer Studien zu den Büchern der Tora11 ins Englische, in seiner Einleitung zum Band New Studies in Bereshit (Genesis) Leibowitz’ Leben und Wirken mit dem Satz „she literally lives Bible“12 und unterstreicht damit die Einheit von Person und Werk in Bezug auf Leibowitz’ Leben und ihre Toradidaktik. Aus diesem Grund gibt es auch im englischen und im hebräischen Sprachraum eine ganze Reihe von Biografien, die sich mit dem Leben und Arbeiten von Nehama Leibowitz13 beschäftigen.14 Um diese Einheit nachzuzeichnen, werde ich zunächst ihren Weg von Riga nach Jerusalem skizzieren und gehe dann näher auf drei Facetten ihrer Identität als Mora, als Lehrerin, ein.
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Die Biografie von Nehama Leibowitz ist im christlichen Kontext nahezu unbekannt. Insbesondere der erste Teil der folgenden Kapitel möchte auch einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass diese etwas bekannter wird. 11 Siehe dazu den Unterabschnitt „Antwortgeben“ unten in Abschnitt 5.1.2 „Mora – Die Lehrerin“. 12 ARYEH NEWMAN, Introduction, in: Nehama Leibowitz, New Studies in Bereshit (Genesis). In the Context of Ancient and Modern Jewish Bible Commentary, Jerusalem 1971, XIII–XXXII, XIV. 13 „Nehama Leibowitz wurde von allen schlicht ‚Nehama‘ genannt. Und tatsächlich, grösser als all die ihr verliehenen Titel und Ehrbekundungen ist ihr Name, der im Bewusstsein Tausender von Menschen mit der Liebe zur Tora verbunden ist“ (GABRIEL HAIM COHN, Wie lieb’ ich deine Lehre, in: Nehama Leibowitz, Studien zu den wöchentlichen ToraVorlesungen, hg. v. dems., Jerusalem 2006, 11–21, 11). Sie ließ sich selbst von ihren Schüler:innen nur mit ihrem Vornamen anreden und entwickelte zu einer enormen Anzahl ihrer Schüler:innen eine besondere, persönliche Beziehung (vgl. ebd.). 14 Als biografische Bücher seien hier folgende genannt: LEAH ABRAMOWITZ, Tales of Nehama. Impressions of the Life and Teaching of Nehama Leibowitz, Jerusalem 2003; HAYUNTA DEUTSCH, Nehama. The Life of Nehama Leibowitz, Jerusalem 2008; UNTERMAN, Nehama. Zusätzlich gibt es noch eine ganze Reihe biografisch geprägter Artikel: AVIGDOR BONCHEK, Professor Nechama, Teacher of Israel, in: Jewish Action 54 (Fall 1993), 16–27; GABRIEL HAIM COHN, Nehama Leibowitz – Teacher of Torah, in: Be-Khol Derakhekha Da’ehu. Journal of Torah and Scholarship, Bar-Ilan University 6 (Winter 1998), 18; WARREN ZEV HARVEY, Professor Nehama Leibowitz, Israel’s Teacher of Teachers, in: Canadian Zionist 50/4 (April/May 1981), 10f.; JOY ROCHWARGER, Words on Fire. Then and Now – In Memory of Nechama Leibowitz, in: Ora Wiskind Elper/Susan Handelman, Torah of the Mothers. Contemporary Jewish Women Read Classical Jewish Texts, New York/Jerusalem 2000, 57–81.
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5.1.1 Von Riga nach Jerusalem Nehama Leibowitz wurde als zweites Kind von Mordechai und Freyda Leibowitz am 3. Elul 5665 (3. September 1905) in Riga, Lettland, geboren. Zwei Jahre vor ihr kam ihr älterer Bruder Yeshayahu Leibowitz (1903–1994)15 zur Welt.16 Der Vater war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der sein Haus aber einfach, ohne großen Luxus, führte. Ihr Elternhaus vereinte verschiedene jüdische Strömungen und Überzeugungen, die später zu Fundamenten von Leibowitz’ Pädagogik und auch ihrer Toradidaktik wurden: Es schätzte die Errungenschaften der Haskala,17 der jüdischen Aufklärung, und das damit verbundene Bildungsideal sowie die Ziele der zionistischen Bewegung, ebenso war es selbstverständlich religiös in einer orthodoxen Prägung. 18 In diesem Geist zwischen religiöser Orthodoxie, Haskala und Zionismus wurden die Kinder erzogen. Nehama Leibowitz war ihr Leben lang überzeugte und toraobservante orthodoxe Jüdin und Zionistin, zugleich lebte sie das Bildungsideal der Haskala. Die prägende Figur ihrer Kindheit war ihr Vater, Mordechai Leibowiz. 19 Ihm widmete sie ihr Buch Iyunim be-Sefer Devarim und bezeichnete
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Zu dem Verhältnis von Yeshayahu und Nehama Leibowitz vgl. UNTERMAN, Nehama, 515–552. Zur Bedeutung Yeshayahu Leibowitz’ für den jüdisch-christlichen Dialog siehe OTTFRIED FRAISSE, Ent-Geisterung der Theologie. Zur Axiologie von Yeshayahu Leibowitz’ Denken, in: Johannes Ehmann/Joachim Kraus/Bernd Schröder (Hg.), „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“. Festschrift zum vierzigjährigen Bestehen von Studium in Israel e.V., Leipzig 2018, 305–317. 16 Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass die beiden sehr einflussreiche, wenn nicht sogar die einflussreichsten Geschwister der modernen jüdischen Geschichte werden würden. Vgl. UNTERMAN, Nehama, 23. 17 Der Beginn der jüdischen Aufklärung, Haskala, wird meist mit dem Wirken von Moses Mendelssohn 1770 datiert. Die Haskala war eine Bewegung, die in Berlin und Königsberg entstand. Von Preußen aus breitete sie sich Richtung Osteuropa aus. Sie fußt auf den Idealen und Überzeugungen der europäischen Aufklärung, die sie wiederum erweitert. So tritt sie unter anderem auch für die Toleranz und Gleichstellung der Jüd:innen in den verschiedenen europäischen Gesellschaften ein. Neben Mendelssohn ist David Friedländer ein wichtiger Vertreter der Haskala. Er gründete 1778 die erste jüdische Freischule in Berlin, die sich dem Bildungsprogramm der Haskala verschrieb und so einen Gegenpart zur traditionellen jüdischen Erziehung im Cheder und in der Jeschiwa bildete. Vgl. dazu SHMUEL FEINER, Art. Haskala, in: Dan Diner (Hg.), Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Bd. 2, Darmstadt 2012, 544–554; INGRID LOHMANN (Hg.), Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778–1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung, Münster 2001. 18 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 25. Amit hebt hervor, dass diese Eigenschaften auch später Nehamas Pädagogik prägten (YAIRA AMIT, Some Thoughts on the Work and Method of Nehama Leibowitz, in: Immanuel 20 [1986], 7–13, 7). 19 Von Nehamas Mutter Freyda Leibowitz ist kaum etwas überliefert. Nehama soll wenig von ihr erzählt haben. Sie verstarb relativ früh. Vgl. UNTERMAN, Nehama, 25.
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ihn als ihren ersten Raschi-Lehrer.20 Ihr Vater war auch der erste, der ihr und ihrem Bruder Bibelquizze zu schwierigen Versen stellte und damit wohl den Grundstein für die Erfolgsgeschichte ihrer Gilyonot legte. Der Vater ließ die Geschwister Yeshayahu und Nehama egalitär von einem Privatlehrer unterrichten, sie besuchten also weder ein Cheder, eine klassische jüdische Schule, noch eine staatliche Schule. Mit der Russischen Revolution 1919 und der Gründung der unabhängigen Republik Litauen wurde die Familie dazu gezwungen, nach Berlin zu emigrieren. Von 1925 bis 1930 studierte Nehama Leibowitz an den Universitäten Berlin, Heidelberg und Marburg englische und deutsche Philologie, Literatur und Bibelstudien, außerdem jüdische Studien an der liberalen „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ in Berlin.21 An der Universität Marburg lernte sie insbesondere von und bei Rudolf Otto (1869–1937) und wurde 1930 mit einer Arbeit zur Übersetzungstechnik der jüdisch-deutschen Bibelübersetzungen des 15. und 16. Jahrhunderts, dargestellt an den Psalmen, promoviert.22 Im gleichen Jahr heiratete sie ihren Onkel Yedidyah Leibowitz, den Bruder ihres Vaters, aus Liebe23 und machte mit ihm gemeinsam einen Tag nach der Hochzeit Alija nach Jerusalem, in den noch zu gründenden Staat Israel.24 Bis 1997 lebte und arbeitete sie in Jerusalem. Sie verließ Israel nur 20 NEHAMA LEIBOWITZ, Studien zu Devarim (hebr. )עיונים בספר דברים, Jerusalem 5754 (1993). Unterman übersetzt die Widmung folgendermaßen ins Englische: „This book is dedicated to the memory of my father of blessed memory, who was my first childhood teacher of Rashi; and he – ever zealous for the Hebrew language – taught me above all to hear and to taste the fine flavor of Rashi’s language and style“ (UNTERMANN, Nehama, 26). 21 Zu ihren Lehrern an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums zählen Leo Baeck (1873–1956), Julius Guttmann (1880–1950) und Ismar Elbogen (1875–1943) (vgl. UNTERMAN, Nehama, 32). Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums war die einzige ihrer Art, die – begründet in ihrem liberalen Geist – auch Frauen zum Studium zuließ. An orthodoxen Hochschulen war es Frauen zu dieser Zeit nicht möglich zu studieren. Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums war auch der einzige Ort, an dem Nehama Leibowitz institutionalisiert jüdische Studien studierte. An ihr studierte sie zeitgleich mit Regina Jonas (1902–1944), die 1935 als erste Frau weltweit zur Rabbinerin ordiniert wurde. Vgl. ELISA KLAPHECK, Regina Jonas. Die weltweit erste Rabbinerin (Jüdische Miniaturen 4), Teetz 2003. 22 NEHAMA LEIBOWITZ, Die Übersetzungstechnik der jüdisch-deutschen Bibelübersetzungen des 15. und 16. Jahrhunderts, dargestellt an den Psalmen, Marburg 1931. Ihre Arbeit in ihrer Dissertation an der Übersetzung des Psalters führte dazu, dass sie Franz Rosenzweig (1886–1929) und Martin Buber (1878–1965) bei der Verdeutschung der Psalmen für ihre Verdeutschung der Schrift unterstützte. Vgl. RAPHAEL BENJAMIN FUSAN, „Die Übersetzung im Werk von Nehama“ (hebr. )התרגום בכתביה של נחמה, in: Ahrend/Ben-Meir/Cohn (Hg.), Pirkei Nechama, 109–124, bes. 111–113. 23 Zu dieser ungewöhnlichen Liebesbeziehung vgl. UNTERMAN, Nehama, 34–36. 24 Durch den relativ frühen Zeitpunkt ihrer Alija 1930 verbrachte Nehama Leibowitz die Zeit des Nationalsozialismus, der Judenverfolgung und -ermordung und des Zweiten Weltkrieges relativ sicher in Palästina. Nehama Leibowitz hat sich weder ausführlich zu der
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
noch ein einziges Mal, um ihre Eltern bei der Alija zu unterstützen. In Israel lebte sie, mit vielen „Jeckes“,25 in Rahavia, einem Viertel von Jerusalem, in dem bis heute viele Künstler:innen, Philosoph:innen, Politiker:innen und Wissenschaftler:innen leben.26 Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Lehrerin. Diese Karriere hatte noch während ihres Studiums in Deutschland begonnen.27 Von diesem Zeitpunkt bis zu ihrem Tod unterrichtete sie unermüdlich mit viel Leidenschaft und widmete sich mit Engagement der Tätigkeit als Schoa geäußert, noch hat sie sie ausführlich theologisch reflektiert. Sie war darüber schockiert, dass so viele ihrer früheren Kommiliton:innen aus Deutschland später zu überzeugten Nationalsozialist:innen geworden sind (UNTERMAN, Nehama, 37). Leibowitz war auch in diesem Themenfeld überzeugte Zionistin: So sah sie den Grund für die dauerhafte Judenverfolgung und den anhaltenden Judenhass durch alle Jahrhunderte in der Situation der Diaspora begründet (UNTERMAN, Nehama, 38). In ihrer Studienreihe zu den Büchern der Tora gibt es ein paar Anspielungen und Geschichtsvergleiche zur Schoa. Insbesondere dient die Exodusgeschichte als Folie für die Schoa. So schreibt sie in einem „Teacher’s Guide“ für das Buch Shmot 5718 (1957): „It seems that this is the insanity of Jew-hating: Not to allow them to depart, but also not to allow them to live! Like in Soviet Russia. This question becomes clearer through the prism of recent history, when we see that they hate us, degrade us and despise our company, yet lock the gates against us, lest we depart the land. We have learned from our experience that no reasons are required for genocide and cold-blooded murder“ (zitiert nach SHMUEL PEERLESS/REINER YITSHAK [Hg.], Studies from the Haggadah. From the Teachings of Nechama Leibowitz, New York 2002, 87). In der Studienreihe schreibt sie in Bezug auf die Schoa: „As we know, material progress does not necessarily spell moral advancement“ (LEIBOWITZ, New Studies in Vayikra, Jerusalem 1980, 245). Die Stellen, an denen Nehama sich zur Schoa äußert oder diese als Referenzrahmen benutzt, sind aber äußerst selten. Ihre Überzeugung war, dass jüdische Identität sich nicht auf die grauenhaften Taten der Vergangenheit gründen soll, sondern dass die Tora und ihr Studium ein zukunftsgerichtetes Fundament für jüdische Identität in Israel darstellen können. Trotzdem hat sie Israel nach ihrer Alija nur noch einmal verlassen, um ihre Eltern bei der Alija nach Israel zu begleiten, obwohl sie nach der Staatsgründung viele Einladungen, insbesondere in die USA erhielt, um dort Vorträge und Lectures zu halten. Vielleicht brauchte sie nach der Erfahrung der Vertreibung aus Riga 1919 und der Schoa die unsichere Sicherheit der israelischen Grenzen um sich. Zur Frage nach Nehama und der Schoa vgl. ausführlich UNTERMAN, Nehama, 36–40. 25 Jecke oder auch Yekkes ist der hebräische Begriff für deutschsprachige Juden, die nach Israel immigriert sind. 26 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 45–49. Hier kann nur ein grober Überblick über die intellektuelle Dichte des Viertels gegeben werden: Nehama lebte in direkter Nachbarschaft zu der Malerin Anna Ticho (1894–1970), zu ihrem engen Umfeld zählten unter anderem Professoren und Literaten wie Ernst Simon (1899–1988), Isaac Heinemann (1876–1957), Aryeh Ludwig Strauss (1892–1953), Simha Assaf (1889–1953), Yehudah Elitzur (1911– 1997), Haim Hillel Ben-Sasson (1914–1977) und Yehezkel Kutscher (1909–1971). Außerdem hatte sie eine herzliche Beziehung zu Samuel Joseph Agnon (1887–1970) und stand im Austausch mit Martin Buber (1878–1965). 27 Sie unterrichtete schon, bevor sie sich 1930 offiziell dafür qualifiziert hatte, indem sie mit der Ivrit-be-Ivrit-Methode z.B. an der jüdischen Schule in Berlin Hebräischunterricht gab. Vgl. UNTERMAN, Nehama, 33.
5.1 Biografische Notizen
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Lehrerin. Seit ihrer Ankunft in Israel unterrichtete sie vorzugsweise an Lehrer:innen-Seminaren.28 Ab 1957 lehrte sie an der Tel Aviv University und wurde elf Jahre später dort zur ordentlichen Professorin an der Fakultät für Erziehungswissenschaft berufen. Sie begann von 1938 bis 1971 mit enormem Erfolg Gilyonot, Arbeitsblätter zum wöchentlichen Toraabschnitt, zu verschicken (s.u.). Am 5. Nissan 5757 (12. April 1997) starb Nehama Leibowitz. Sie wurde auf dem Har-Tamir-Friedhof in Jerusalem beerdigt, auf ihrem Grabstein steht: „Nehama Leibowitz. Mora [Lehrerin]“.29 5.1.2 Mora – die Lehrerin Nehama Leibowitz hat sich ihr Leben lang vor allem als Mora, als Lehrerin, definiert. Zeit ihres Lebens bevorzugte sie diesen Titel vor dem der Professorin und ließ sich von ihren Schüler:innen schlicht und einfach mit ihrem Vornamen anreden.30 Ihrem Selbstverständnis nach war sie eine Pädagogin und Lehrerin, die ihr Leben dem Unterricht der Tora gewidmet hat und ihre Profession ausgesprochen ernst nahm. „Nehama taught me“, so Rabbi Chaim Weines, einer ihrer Schüler, „the true responsibility of being a teacher. Teaching is not a job, it’s a calling. If you are able to do it, you have no right to turn from it.“31 Sie selbst folgte diesem „Ruf“ und richtete ihr Leben nach ihm aus. Dabei unterrichtete sie Tora mithilfe von verschiedenen Medien: in ihrer Tätigkeit als Lehrerin in sehr unterschiedlichen Institutionen, mithilfe ihrer Fragetechnik bzw. den Gilyonot und durch ihre Antworten, die sie in den Studienreihen zu den Büchern der Tora gab. Diese drei Facetten ihres Unterrichts sollen im Folgenden nachgezeichnet werden:
28 Zunächst lehrte sie dort Tanach, Literatur, jüdische Geschichte und Hebräisch, später konzentrierte sie sich ausschließlich auf das Unterrichten des Tanach. Hier sei nur eine kleine Auswahl der langen Liste ihrer Lehrtätigkeit dargestellt: 25 Jahre unterrichtete sie in Israel am Mizrahi-Lehrerinnenseminar in zwei unterschiedlichen Programmen, zum einen dem Bet Midrash le-Morot Mizrahi Yerushalayim, in dem Mädchen zwischen 14 und 19 Jahren lernten, zum anderen an dem Bet Tz’irot Mizrahi (Mizrachi Young Women’s Institute) für Immigrantinnen. Diese waren meist Teil der Jugend-Alija, an der in den 30er-Jahren viele Jugendliche aus Europa teilnahmen. Oft wurden sie von ihren Eltern in die USA, nach England oder nach Palästina geschickt, um vor den Nationalsozialisten in Sicherheit gebracht zu werden. Sie unterrichtete auch an den Seminarim le-Hachsharat Madrichei Aliyat ha-No’ar (Seminars for Training Youth Aliya Counselors), einem Programm der Jewish Agency, das junge Israelis ausbildete, damit diese wiederum Kinder von Immigrantinnen und Immigranten in Israel unterrichten konnten. Zu ihrer frühen Lehrtätigkeit vgl. UNTERMAN, Nehama, 41–45. 29 Ein Foto des Grabsteins ist in der Biografie von Unterman auf Seite 240 zu finden. 30 COHN, Wie lieb’ ich deine Lehre, 11. 31 Zitiert nach UNTERMAN, Nehama, 159.
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Lehren Nehama Leibowitz soll eine konsequente und akribische Lehrerin gewesen sein, die gleichzeitig versuchte, ihre Schüler:innen kennen zu lernen, und auch zu vielen eine persönliche Beziehung aufbaute.32 Sie erwartete, dass die Lernenden pünktlich und vorbereitet in ihren Unterricht kamen. Wer keinen eigenen Tanach dabei hatte, durfte nicht am Unterricht teilnehmen. „She argued that sharing books prevents the student from looking at the text through his or her own eyes.“33 Zudem setzte sie bei ihren Schüler:innen ein Basiswissen über die Tora voraus. Vor der Teilnahme an ihrem Unterricht empfahl sie unbedingt, mindestens einmal die ganze Tora gelesen zu haben. Eine Unterrichtsstunde mit einer neuen Gruppe eröffnete sie meist mit folgenden Worten: Bringt einen Tanach zu jeder Sitzung mit, kaut kein Kaugummi, stellt viele Fragen und nennt mich Nehama. 34 Ihr Unterricht bestand zumeist aus dem Studium des Bibeltextes und von ihr ausgewählter Kommentare aus allen Epochen jüdischer Bibelauslegung. Ihr Unterricht war alles andere als langweilig, sondern lebte von einer großen Methodenvielfalt.35 „Remember that the 32
Ein eindrucksvolles Zeugnis so einer persönlichen Schülerinnenbindung zu Nehama bietet der folgende Text: ROCHWARGER, Words on Fire. 33 UNTERMAN, Nehama, 174. 34 Vgl. a.a.O., 170. 35 Leibowitz ist der Ansicht, dass eine gute Toradidaktik eine Methodenvielfalt braucht. Der Einsatz von Methoden orientiert sich dabei an den Schüler:innen, der Lehrkraft und dem jeweiligen Text. „Classes in Bible (tanakh) should change their structure from time to time according to the teacher. Not every chapter should be taught in the same way. Do not, for example, regularly proceed from the whole to the details, by first considering the structure of the chapter, then its main theme, followed by explaining the language and difficult words, and finally studying commentaries and midrashim. Do not stick to a single model“ (LEIBOWITZ, Torah Insights, 22). In ihrem Buch Torah Insights präsentiert sie viele verschiedene Vorschläge, mithilfe welcher Methoden bestimmte Verse studiert werden können. So z.B. sollen die Lernenden das unpunktierte Hebräisch punktieren und Satzzeichen setzen; Texte oder Verse sollen chorisch oder szenisch gelesen werden; es soll Stilarbeit unter bestimmter Aufgabenstellung zu Teilversen geben, dabei sollen die Antworten immer nur in wenigen Begriffen aufgeschrieben werden, damit die Schüler:innen nicht anfangen, den Text zu paraphrasieren; die Lernenden sollen zwei Fragen an den Text formulieren; eine Syntaxanalyse erstellen; der Text kann in zwei Teile aufgeteilt werden und je von zwei Gruppen bearbeitet werden; man kann drei Kommentare anbieten und die Schüler:innen abwägen lassen oder verschiedene Bedeutungen von Wörtern erarbeiten lassen (vgl. dazu a.a.O., 70–81). Eine Liste mit weiteren Beispielen findet sich im selben Buch auf S. 92. Peerless stellt in seiner Studie verschiedene Varianten vor, wie eine Stunde nach dem Konzept von Leibowitz eröffnet werden kann (vgl. PEERLESS, To Study, 17–22). Ein wichtiges Medium ist außerdem der Einsatz von Geschichten, die sie erzählt und mit denen sie den Stoff illustriert. „Nehama’s stories made complex issues simpler. A story could illustrate a difficult verse or commentary so that even beginners grasped the point“ (UNTERMAN, Nehama, 180). Es konnten Geschichten aus ihrem Alltag oder aus der Literatur sein. Ein wichtiger Teil dieser Geschichten war ihr Humor. „Another use of story was to dramatize the narrative so that it would be truly
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success of the lesson“, so schreibt sie in Torah Insights, „depends on having plenty of class activities; ensure also that these are sufficiently varied.“36 Fragen – die Gilyonot Die Gilyonot,37 die Arbeitsblätter, stellen Nehama Leibowitz’ ureigene Art, die Tora zu unterrichten, dar. Ihren Beginn nahmen die Gilyonot im Sommer 1938 an dem Mizrachi Graduate Programme für junge Migrantinnen.38 Nehama Leibowitz beschreibt den Beginn der Gilyonot in ihrem Lebenslauf als eine eher zufällige und ungeplante Entwicklung: Im Jahr 1938 begann ich meine Arbeit in der Erwachsenenbildung, ich begann in einem kontinuierlichen Unterrichtsprogramm für Lehrer und Leiter und andere im Bereich des Tanachunterrichts für die Erwachsenenbildung. Das Problem der Erwachsenenbildung begann mich zu beschäftigen und einzunehmen. Bei meiner Arbeit in zeitlich begrenzten Kursen („Seminaren“) für Kibbuzmitglieder und jugendliche Immigranten und Leiter der Jugend-Alija merkte ich, dass es eine Notwendigkeit gab, die Studien kontinuierlich fortzuführen. Ich bekam die Idee, diese kurzen Seminare durch gesteuerte/gelenkte Fernkurse per Brief, die einen durch das reguläre Studium [des Wochenabschnittes der Tora] über eine längere Periode begleiteten und führten, weiterzuführen. Und so geschah es, dass ich im Jahr 5702 (1942) begann, Tora und Kommentare durch Arbeitsblätter zum Studium der wöchentlichen Toramenge zu unterrichten, deren Ziel es war, die Studierenden (einzelne oder Gruppen) zum selbstständigen Studieren, zum tieferen Verständnis des Textes durch Vergleich und Analyse und durch Erklärungen der Kommentare (von allen Perioden, von den Sagen bis zu Cassuto …) anzuleiten. […] Es war kein Examen oder Zertifikat oder nur eine festgelegte Periode eingebaut in diesen Studien.39
Damit war die Idee der Gilyonot geboren. Ihr Ziel war es, das kontinuierliche, akribische und selbstständige Studium des Wochenabschnittes der Tora und experienced as a story“ (a.a.O., 186). Leibowitz konnte die ganze Bibel wie eine einzige Geschichte erzählen und verhielt sich dabei wie eine Schauspielerin, und sie las mit den Studierenden die Texte laut und inszenierte sie dabei dramatisch. Unterman argumentiert, dass sie Theatertechniken anwandte, um eine emotionale Identifikation mit dem Text zu erzeugen, „in ways that would be developed as progressive educational techniques decades later“ (UNTERMAN, Nehama,188). 36 LEIBOWITZ, Torah Insights, 92. 37 Das Wort Gilyonot kommt von dem hebräischen גליונותund kann schlicht mit „Blätter“ und „Ausgaben“ übersetzt werden. Im Kontext der Toradidaktik von Nehama Leibowitz würde ich es mit dem Wort „Arbeitsblätter“ wiedergeben. 38 Ihre Schülerinnen drängten vor den Sommerferien auf Hausaufgaben von ihr, die sie in ihren Kibbuz mitnehmen könnten, und so schickte Leibowitz das erste Arbeitsblatt zum wöchentlichen Toraabschnitt, der Parashat haShavua, per Post in ihren Kibbuz, und ihre Schülerinnen reichten ihr per Post die Antworten ein. Daraufhin fingen auch andere Mitglieder aus dem Kibbuz an, Leibowitz’ Arbeitsblatt zu dem wöchentlichen Toraabschnitt zu bearbeiten und ihr einzureichen, ohne dass sie sie je persönlich getroffen hätte. 39 NEHAMA LEIBOWITZ, „Lebenslauf“ (hebr. )מהלך חיים, in: Ahrend/Ben-Meir/Cohn (Hg.), Pirkei Nechama, 14 (Übersetzung M.H.).
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
jüdischer Kommentare dazu zu ermöglichen, zu initiieren und zu unterstützen. Sie enthielten also schon viele Versatzstücke dessen, was man als Toradidaktik von Leibowitz bezeichnen kann. Das Geheimnis der Gilyonot lag in Leibowitz’ Fragen und der entsprechenden Fragetechnik. Ihr Ziel war es nicht, ihre eigene Gelehrsamkeit zu zeigen oder ihr Wissen unter Beweis zu stellen. „Es ist nicht meine Aufgabe zu antworten, sondern zu fragen“, sagt sie in einem Interview, welches sie zum 30-jährigen Bestehen der Gilyonot gab.40 Sie drehte damit das klassische jüdische System um: In ihm schreiben Jüd:innen einem/einer Rabbiner:in eine Frage und bekommen dann eine Antwort (שאלות ותשובות/Fragen und Antworten), Leibowitz hingegen stellte die Fragen und bekam dann wiederum Antworten zugeschickt (תשובות ושאלות/Antworten und Fragen). Die Arbeitsblätter waren oft sehr ähnlich gegliedert: Zunächst sollten die Lernenden die Verse bzw. das Kapitel der Tora genau auf Hebräisch studieren, dann die von Leibowitz dazu ausgewählten Kommentare lesen und schließlich ihre Fragen beantworten. Diese folgten zumeist diesem Schema im Aufbau: Welche Schwierigkeit wird von den Kommentatoren angesprochen? Was leitet die Kommentatoren dazu an, nachträgliche bzw. zusätzliche Erklärungen zu geben? Was ist der Unterschied zwischen einer Erklärung und einer anderen? Was ergänzen die anderen Kommentatoren? Was sind die unterschiedlichen Probleme, die von einigen Kommentatoren in Bezug auf denselben Vers angesprochen werden? Was ist die Schwäche in jedem Kommentar? Sie wollte die Studierenden darin trainieren, nach den implizierten Fragen in den Kommentaren zu suchen.41 Leibowitz zitierte in ihren Arbeitsblättern unterschiedlichstes Material aus verschiedenen Epochen: von Tanach über Talmud und Midrasch bis zu den Kommentaren und zu zeitgenössischer Religionsphilosophie, kabbalistischen und chassidischen Arbeiten.42 Die Geschichte der Gilyonot stellt eine rasante Erfolgsgeschichte dar, dies lässt sich schon an den Zahlen ablesen. Nach drei Jahren verschickte sie bereits fünfhundert Gilyonot.43 Im Jahr 1957 hatten ihre Gilyonot dreitausend 40 Vgl. das Interview mit Nehama Leibowitz zu dreißig Jahre Gilyonot, abgedruckt in: Ahrend/Ben-Meir/Cohn (Hg.), Pirkei Nechama, 458–461, hier 459. 41 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 58. Die Arbeitsblätter haben eine spielerische Facette: Sie gleichen einem Puzzle oder Rätsel, und die Leute haben auch schlicht Spaß daran, sie zu lösen. Der erwünschte Nebeneffekt war, dass alle, die sie lösten, ein Stück des Wochenabschnittes der Tora studierten. 42 Leibowitz’ breite Streuung von Kommentaren war besonders in der ultraorthodoxen Welt nicht unangefochten. Vgl. dazu den Unterabschnitt „Die Rolle der Kommentare“ unten im Abschnitt 5.3.1 „Der Text“. 43 Zunächst schickten von den 500 Empfänger:innen nur ca. 40 Personen ihre Antworten per Post an Leibowitz zurück, die sie dann wiederum korrigiert und mit Anmerkungen versehen zurücksandte. Nach zehn Jahren bekam sie schon 560 Antworten aus Israel und 30 von Übersee pro Woche zugeschickt. Ab 1951 begann die World Zionist Organisation die Arbeitsblätter in die Diaspora zu verschicken, sodass Jüd:innen aus der Diaspora anfingen, ihre Arbeitsblätter zu bearbeiten. Zunächst bezahlte und organisierte sie die Korrespondenz
5.1 Biografische Notizen
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Empfänger:innen.44 Ab 1955 entwickelte sie eine Arbeitshilfe für Lehrkräfte zu den wöchentlichen Arbeitsblättern, die vom Erziehungsministerium gedruckt wurde. Eine faszinierende Facette der Gilyonot stellt bis heute die Tatsache der Bearbeitung und Beantwortung quer durch alle Milieus dar. Ein weites Spektrum der israelischen Gesellschaft füllte Leibowitz’ Arbeitsblätter aus: von orthodox bis säkular, durch alle Generationen, Jüd:innen in Israel und in der Diaspora.45 Leibowitz selbst charakterisierte das Spektrum der GilyonotRezipierenden in ihrem öffentlichen Abschiedsbrief zum Ende der Gilyonot und hob dabei besonders jene hervor, die unter widrigen Bedingungen ihre Fragebögen beantworteten und mit ihrer Anleitung Tora studierten, wie zum Beispiel Soldat:innen, Mütter und Fabrikarbeiter:innen.46 Nach 30 Jahren, 1971, hörte sie auf, neue Gilyonot zu erstellen, aber sie verschickte weiter alte Fragebögen. Bis zu ihrem Tod korrespondierte Leibowitz monatlich mit rund 100 Einsender:innen. Bis 1986 hatte sie ca. 40.000 Briefe beantwortet. Das offizielle Ende der Gilyonot leitete sie im Herbst 1971 mit einem öffentlichen Brief ein. Dieser fasste sehr gut den ungewöhnlichen Lehrende-LernendeDialog über die Bibel zusammen, den die Gilyonot darstellten:
noch selbst; als aber die Zahl der Empfänger:innen anstieg, übernahm es erst die American Women’s Mizrachi Organisation und später die World Zionist Organisation. 44 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 53; vgl. Interview mit Nehama Leibowitz (siehe oben Anm. 40), hier 460. 45 Während des Unabhängigkeitskrieges 1948 sandte das militärische Rabbinat mehr als 1000 Arbeitsblätter an Soldaten. So korrespondierte z.B. der spätere Professor Moshe Ahrend (1926–2008) mit Leibowitz während seiner Zeit in der Armee. Vgl. UNTERMAN, Nehama, 60. 46 „I wish here to pay tribute to those who contacted me under difficult conditions after a hard day’s work, in the burning sun during a break in the field; to the streetsweeper who wrote in the height of a rainstorm after doing his day’s stint, to the machinist dropping me a line during the lunchbreak amidst the noise of the factory, to the nurse using her precious hours of rest after a back-breaking night shift. There were members of kibbutzim and moshavim who corresponded with me regularly over the years, patiently and affectionately accepting my corrections and reprimands in red ink, the young and not-so-young mothers who found time to study after they had put the children to sleep. There were soldiers who wrote to me under conditions defying description: coastguards, World War II volunteers in the Libyan desert and Jewish Brigade, fighters in the War of Liberation delivering their notes to me personally from a forward position during a chance lull in the Capital’s shelling when the postal service was at a standstill, correspondents from the Suez Canla during the War of Attrition, from ambushes in the Golan and from all those guarding the borders of our homeland“ (NEHAMA LEIBOWITZ, Abschiedsbrief zum Ende der Gilyonot, zitiert nach NEWMAN, Introduction, XIII–XIV).
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Many thanks to all my students, near and far, in Israel and overseas, whose questions and replies, perseverance and love of Torah have been a source of strength, pleasure and deepened insight into the profundities of Holy Writ. In the full sense of the phrase, I have learned more from my students than from anyone else. […] I am especially grateful to these who answered my questions and responded with questions of their own. […] I am enthralled by these vast arms of old and young, mothers and girls, teacher male and female, clerks and laborers, veterans and newcomers of all communities, hundreds of thousands (literally!) studying Torah for its own sake. For our joint studies involved no certificates, examinations, marks, prizes; no credits, scholarships, income-tax debates but simply the joy so deep of the one who studies Torah.47
Antwortgeben Wenn man die Gilyonot und Nehama Leibowitz’ Tätigkeit als Lehrerin als die „mündliche Nehama“ bezeichnen kann, dann wären ihre Studienbücher die „schriftliche Nehama“. Sie entstanden durch das Beharren von Haim Hamiel, dass sie nicht nur Fragen stellen könne, sondern gerade den Lehrer:innen als Unterstützung für den täglichen Unterricht auch Antworten zur Seite stellen müsse.48 Leibowitz fing deshalb an, Pamphlete für den wöchentlichen Toraabschnitt zu verfassen, meist nicht länger als acht Seiten. Diesen Prozess beschreibt sie in der Einleitung zu dem Band Iyunim be-Sefer Devarim: Due to [Hamiel’s] power of persuasion, I assented to his request and began to work – initially under the advice and guidance of my friend Professor Meir Weiss, and later on my own. Thus I sent out weekly Studies during the seven years 5715–5721, and they were translated into English and other languages.49
Neben dem Englischen wurden sie auch ins Französische, Spanische, Niederländische, Deutsche und Russische übersetzt. Die Pamphlete wurden ab 1966 zusammengefasst und als Buch veröffentlicht, so kam das erste Buch der Studien-Serie, Iyunim be-Sefer Bereshit, heraus. Die englische Version wurde 1971 unter dem Titel New Studies in Bereshit veröffentlicht.50 Die Pamphlete
47
LEIBOWITZ, Abschiedsbrief, zitiert nach NEWMAN, Introduction, XIII–XIV. UNTERMAN, Nehama, 67. 49 Zitiert nach UNTERMAN, Nehama, 68. 50 Die bedeutendsten Publikationen von Nehama Leibowitz sind folgende: Zuallererst ist die Iyunim-Serie zu nennen, ihre Kommentierung der Tora. Auf Englisch wurden sie in folgender Reihenfolge veröffentlicht: New Studies in Bereshit, Jerusalem 1971; New Studies in Shemot. Yitro (Exodus 1–20). Mishpatim–Pekudei (Exodus 21–39), Jerusalem 1976; New Studies in Vayikra, Jerusalem 1980; Studies in Bamidbar, Jerusalem 1980; Studies in Devarim, Jerusalem 1980. In Zusammenarbeit mit Meir Weiss ist 1958 erschienen: Lessons in Chapters of Comfort and Redemption (hebr.), Jerusalem 1958. Außerdem auf Hebräisch erschienen sind folgende Werke: Studien zum Buch Bereshit auf den Spuren unserer Kommentatoren (hebr. )עיונים בספר בראשית בעקבות פרשנינו הראשונוים והאחרונים, Jerusalem 1975; Raschis Kommentar zur Tora (zusammen mit Moshe Ahrend) (hebr. .פירוש רשיי )עיונים בשיטתו, Jerusalem 1990; Zum Unterrichten und zum Studium des Tanach (hebr.) 48
5.2 Kontexte
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hatten stets auch einen pädagogischen und didaktischen Ansatz. So widmeten sie sich einer konkreten Frage, einem spezifischen Problem oder Thema, einem Leitmotiv zu einem Wochenabschnitt der Tora. Meist behandelten sie dabei nur ein paar Verse oder sogar nur einen Teilvers des Abschnittes, dafür wurde dieser aber akribisch gelesen und diskutiert. Auf die Frage bzw. Schwierigkeit des Textes, auf die sich Leibowitz in dem Pamphlet konzentrierte, präsentierte sie dann verschiedene Antwortmöglichkeiten in Form von ein bis zwei Kommentaren, die das Problem aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchteten. Sie gab aber auch in dieser Kommentierung keine konkreten Antworten auf die Fragen und Kommentare und ließ auch hier unterschiedliche Positionen nebeneinander stehen. Der letzte Punkt war immer „Questions for Further Study“.51 In ihm stellte sie noch weitere Fragen und präsentierte dazu noch weitere Kommentatoren oder Midraschim. Nehama bliebt sich in den Studienbüchern in der Form treu, dass fast alle Pamphlete nicht mit einem Punkt, sondern mit einem Fragezeichen endeten.52 Sie bleibt also auch in ihrer Tätigkeit als Kommentatorin der Tora zuallererst Didaktikerin und wurde nicht zu einer reinen Bibelwissenschaftlerin.
5.2 Kontexte 5.2 Kontexte
Nehama Leibowitz’ Toradidaktik kann in der Denomination des modernorthodoxen Judentums verortet werden. Diese Strömung sowie Leibowitz’ ambivalentes Verhältnis zur ihr skizziere ich als einen Kontext ihrer Toradidaktik (5.2.1). Sie steht, wie für das modern-orthodoxe Judentum typisch, in der Tradition des rabbinischen Toraverständnisses von schriftlicher und mündlicher Tora, wie ich sie zu Beginn dieser Studie entfaltet habe.53 Als prägender Einfluss auf ihre Hermeneutik und ihren Zugang zur Tora gilt Benno Jacob, deswegen stelle ich seine Grundüberzeugungen innerhalb ihres Toraverständnisses dar. In einem zweiten Abschnitt (5.2.2) zeichne ich den Tanachunterricht an staatlich-religiösen Schulen in Israel als Lernort ihrer Toradidaktik nach.
(gesammelte Artikel auf Hebräisch, veröffentlicht auf Englisch als Torah Insights), Jerusalem 1995. 51 Vgl. z.B. LEIBOWITZ, Bereshit, 7.14.24 und viele weitere. 52 Für dieses schematische Beispiel vgl. die Studienbücher Bereshit bis Devarim von Nehama Leibowitz. 53 Vgl. oben Abschnitt 2.2.1 „Tora im rabbinischen Judentum“.
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5.2.1 Denomination und Toraverständnis Denomination Obschon Nehama Leibowitz die Generalisierung der Denominationen des Judentums ablehnte, fühlte sie sich soziologisch, religiös und philosophisch dem modern-orthodoxen Judentum zugehörig. Orthodoxes Judentum geht auf das altgriechische orthós („richtig“) und dóxa („Lehre“) zurück, bedeutet also „der rechten Lehre angehörend“, und ist bis heute eine der Hauptströmungen des Judentums neben dem konservativen und dem liberalen Judentum.54 Es besteht eine große Vielfalt innerhalb der Orthodoxie. Ihre Hauptströmungen sind das modern-orthodoxe und das ultraorthodoxe Judentum. „Das orthodoxe Judentum glaubt – im Gegensatz zu den nichtorthodoxen Strömungen –“, so Rabbiner Jehoschua Ahrens, „an die göttliche Offenbarung der Tora am Berg Sinai.“55 Daraus folgt die verbindliche Orientierung der orthodoxen Glaubenspraxis an der Halacha inklusive ihrer traditionellen Auslegungspraxis. Dahinter steht die Überzeugung, dass die schriftliche Tora des Mose und die mündliche Tora der Rabbinen durch Gott geoffenbart sind und daher nicht von Menschen verändert werden dürfenw Weder gemäß dem sich verändernden Zeitgeist noch gemäß der Wissenschaft des Judentums mit ihren säkularen Wahrheitskriterien.56 „Das Judentum sei kein sich entwickelndes Gebilde, sondern ‚ewig‘“,57 deshalb dürfe es keinen selektiven Umgang mit den Geboten geben, sondern Jüd:innen sind zur Befolgung aller verpflichtet. Obschon Leibowitz sich dem orthodoxen Judentum zugehörig fühlte, lehnte sie viele seiner besonders im ultraorthodoxen Judentum gepflegten Traditionen ab: So war sie gegen arrangierte Ehen oder das Lehrziel des yirat shamayim („Gottesfurcht“); sie verdeckte ihr Haar mit einer Baskenmütze anstelle einer Perücke oder eines üblichen Kopftuches; sie schüttelte Männern zur Begrüßung die Hand und war gegen die Geschlechtertrennung in Schulen oder in ihrem Unterricht und für den Dienst in der Armee, sowohl von Männern als auch von Frauen. Andererseits teilte sie mit dem ultraorthodoxen Judentum viele Werte und Überzeugungen: so die Liebe zur Tora und jüdischen Tradition, die Frömmigkeit, die Bescheidenheit und den einfachen Lebensstil.58
54 Die Bezeichnung orthodoxes Judentum entwickelte sich im 19. Jahrhundert in Abgrenzung zum Reformjudentum und wurde wahrscheinlich zunächst in abwertendem Sinne von dem liberalen Judentum benutzt, wird aber heute auch als Selbstbezeichnung verwendet. 55 JEHOSCHUA AHRENS, „Orthodoxes Judentum in Deutschland“, https://www.bpb.de/ themen/zeit-kulturgeschichte/juedischesleben/329224/orthodoxes-judentum-in-deutschland (28.03.2022). 56 Vgl. MICHAEL A. MEYER, Religiöse Strömungen im Judentum, in: Christina von Braun/Micha Brumlik (Hg.), Handbuch jüdische Studien, Köln 22021, 279–290, 282. 57 Ebd. 58 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 333–340.
5.2 Kontexte
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Leibowitz steht mit ihrer Toradidaktik insbesondere in der Tradition der modernen Orthodoxie, deren Vorläufer die Neoorthodoxie darstellt. Sie geht auf Rabbi Samson Raphael Hirsch59 (1808–1888) zurück. Das modernorthodoxe Judentum sucht eine Synthese zwischen traditionell-jüdischen Werten, wie zum Beispiel der Toraobservanz, und der säkularen, modernen Welt.60 Es verlangt von Jüd:innen, sich nicht in eine Subkultur zurückzuziehen, sondern aktiv am gesellschaftlichen Leben der jeweiligen Kultur teilzunehmen, ohne sich zu assimilieren, sondern weiter nach halachischen Vorschriften zu leben. Diese Symbiose schlägt sich in dem Leitbild Tora Im Derech Eretz nieder, welches auf den Mischnatraktat Avot 2,2 zurückgeht: „Schön ist es, die Tora zu lernen mit dem Derech Eretz.“ Wortwörtlich kann Derech Eretz mit „Weg des Landes“ wiedergegeben werden. Hirsch prägte den Begriff im Rahmen seines Erziehungsprogramms, in welchem er Schulen gründen wollte, die sowohl Tora, Wissenschaft als auch Gottesfurcht lehrten. Nur wenn diese Synthese zwischen religiösem und weltlichem Wissen in der Erziehung gelänge, wäre eine dauerhafte Zukunft des Judentums gesichert.61 Tora Im Derech Eretz zielt auf eine Verbindung von traditionell-religiösem Wissen, der schriftlichen und der mündlichen Tora und moderner Kultur, von Religiosität und wissenschaftlicher Bildung. Die Formel steht bei Hirsch für ein didaktisches Programm, welches sich an dem alltäglichen Leben der Jüd:innen orientieren soll. Mit der Verbindung von Tora und Kultur, von religiösem und weltlichem Wissen reagierte er auf die Folgen der Haskala, der jüdischen Aufklärung. Auf der einen Seite bestand die Gefahr bei gesetzestreuen Jüd:innen, aufgrund der Assimilation auf Kosten der jüdischen Identität den Bildungshumanismus
59
Zum Leben und Denken von Rabbi Samson Raphael Hirsch vgl. ROLAND TASCH, Samson Raphael Hirsch. Jüdische Erfahrungswelten im historischen Kontext (StJ 59), Berlin/New York 2011. 60 In Israel ist die moderne Orthodoxie vom religiösen Zionismus dominiert. 61 Hirsch will solche Lehrhäuser gründen, „um die Kinder Israels Tora im Derech Eretz zu lehren; die Verbindung beider wird uns Heilung für all unsre Wunden bringen. Wie sollten unsere Kinder nicht der Sünde verfallen, wenn wir nicht darauf achten, sie in ihren jungen Jahren aufrechten und gottesfürchtigen Lehrern zu übergeben, die Kenner der Tora und der wahren Wissenschaft sind, um sie im einheitlichen [Geist] von Tora und Derech Eretz zu erziehen, da nur das Zusammenwirken beider die Verfehlung [unserer] Generation abwenden kann? Und [woher] sollen wir Lehrer nach unserem Sinn nehmen, wenn wir nicht darauf achten, Anstalten zu gründen, die Lehrer im Heranbilden von Lehrern unterrichten, ein wichtiges Anliegen, welches wir bisher so gut wie dem Zufall überlassen haben. – Vor allem aber Talmud Tora we-Derech Eretz-Lehrhäuser zur Erziehung unserer Jugend. Jede Stadt und jedes Dorf, worin kein einheitliches Talmud Tora we-Derech Eretz-Lehrhaus ist, wird nicht aus dem Lauf der Zeit gerettet werden. Darum lasst uns gemeinsam Lehrhäuser errichten, für Erwachsene und Kinder, denn dann werden wir für unsere Zukunft hoffen dürfen und dem Wanken unserer Generation standhalten“ (SIMON RAPHAEL HIRSCH, Asephat Broinschwaig, 46 zitiert nach TASCH, Hirsch, 167).
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
abzulehnen, und auf der anderen Seite bei gebildeten Jüd:innen, die Wissenschaft ins Zentrum zu rücken und die jüdische Tradition zu vergessen.62 Als Konsequenz solle aber das traditionelle Judentum nicht die Wissenschaft scheuen, sondern das Gespräch suchen: Es sieht in ihr vielmehr ein Mittel, den jungen Menschen zum „jüdischen Weltmann“ zu erziehen und ihn erkennen zu lassen, wie gerade die 613 Mizwot nicht für die Klause und das Lehrhaus geschaffen sind, sondern draußen, im täglichen Leben, ihrer Erfüllung harren.63
Die Formel Tora Im Derech Eretz ist prägend für Leibowitz’ Denken, welches immer wieder den Dialog zwischen rabbinischen Traditionen und Auslegungen der Tora und wissenschaftlichen Zugängen zu ihr sucht. Toraverständnis Die Tora wurde, als schriftliche und mündliche Tora, gemäß dem modernorthodoxen Toraverständnis am Sinai Mose geoffenbart und dem Volk Israel übergeben. Orthodoxes Toraverständnis entstammt und entspricht großteils dem rabbinischen Toraverständnis, wie ich es in den Begriffserklärungen zur Tora erläutert habe.64 Für Leibowitz’ Toraverständnis ist insbesondere der Begriff der Omnisignifikanz der Tora prägend. Sie übernimmt dieses Konzept von Benno Jacob und seiner Exegese der Bücher der Tora. Das Werk65 und die Hermeneutik66 von Benno Jacob67 (1862–1945) hatten großen Einfluss auf 62
Vgl. TASCH, Hirsch, 168. A.a.O., 169. 64 Vgl. oben Abschnitt 2.2.1 „Tora im rabbinischen Judentum“. 65 Aus seinem Werk seien hier besonders die zwei monumentalen Kommentare zu den Büchern Genesis und Exodus hervorgehoben. Vgl. BENNO JACOB, Das Buch Genesis. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Leo Baeck Institut, Nachdruck der Originalausgabe Berlin 1934, Stuttgart 2000 und DERS., Das Buch Exodus. Im Auftrag des Leo-BaeckInstituts von Shlomo Mayer unter Mitwirkung von Joachim Hahn und Almuth Jürgensen, Stuttgart 1997. Den Kommentar zu Levitikus hat er selbst leider nie fertiggestellt, aber eine Edition seines Manuskriptes erschien im Juni 2022: HANS-CHRISTOPH AURIN, Benno Jacob zu Levitikus. Eine Studie zu seinem Nachlass mit Edition des Manuskriptes „Levitikus 17– 20“ (FAT 2. Reihe 134), Tübingen 2022. Eine ausführliche Auflistung der Veröffentlichungen Jacobs befindet sich im Anhang des Exodus-Kommentars, 1090–1098. Nehama Leibowitz hat es noch auf sich genommen, seine Werke auf Mikrofilm zu lesen, da sie sonst damals kaum zugänglich waren. 66 Zur Hermeneutik von Benno Jacob siehe ANDREAS SCHÜLE, Kritik und Verstehen. Eine Auseinandersetzung mit der biblischen Hermeneutik Benno Jacobs, in: Manfred Oeming u.a. (Hg.), Benno Jacob – der Mensch und sein Werk (Trumah 13), Heidelberg 2003, 43–67 und ALMUT JÜRGENSEN, „Die Exegese hat das erste Wort“ – Zu Benno Jacobs Bibelauslegung, in: Dies./Walter Jacob (Hg.), Die Exegese hat das erste Wort. Beiträge zu Leben und Werk Benno Jacobs, Stuttgart 2002, 124–147. 67 Um sich einen Überblick über Leben und Werk von Benno Jacob zu verschaffen, vgl. den folgenden Sammelband: ALMUT JÜRGENSEN/WALTER JACOB (Hg.), Die Exegese hat 63
5.2 Kontexte
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Leibowitz,68 und sie hat in ihrer Toradidaktik viel mit seinen Kommentaren gearbeitet.69 In ihrer orthodoxen Umgebung musste sie immer wieder erklären bzw. rechtfertigen, warum sie so oft Benno Jacob, einen nichtorthodoxen Juden, in ihrer Arbeit zitierte und sich auf ihn bezog; sie tat das in einem Brief wie folgt: Von Benno Jacob […] habe ich mehr gelernt […], als ich aus vielen, vielen Büchern von gottesfürchtigen Menschen gelernt habe. Seine Argumente gegen die Bibelkritik und seine Beweise ihrer Leichtfertigkeit und Ungenauigkeit sind beispiellos.70
Und an anderer Stelle schreibt sie: Grundsätzlich bin ich von Franz Rosenzweig (in heiliger Erinnerung an ihn) beeinflusst, der über Benno Jacob bemerkte, dass er der beste Bibelkenner der Jetztzeit war. Deswegen vielleicht folge ich ihm blind.71
Nehama Leibowitz war von Benno Jacobs Hermeneutik und seiner Kritik an der historisch-kritischen Methode stark beeinflusst und hat sie zu großen Teilen übernommen, deswegen stelle ich diese hier in ihren Grundzügen dar: „Die Bibel war die erste und bleibende Liebe Benno Jacobs“, so beschreibt sein Enkel, Walter Jacob, seine Beziehung zur Bibel.72 Die Tora war für ihn kein historisches Dokument, das es zuallererst in seinem historischen Kontext zu erschließen galt, sondern der „Sinn der Tora ist: das Volk Gottes der bene Jisrael für seine geschichtliche Aufgabe auszurüsten“.73 Die Tora ist das Gebot, das Gesetz, die Lebensregel Gottes für Israel. Damit ist, so Andreas Schüle, „die primäre Beziehungsrichtung der Tora zu Israel der maßgebliche das erste Wort. Beiträge zu Leben und Werk Benno Jacobs, Stuttgart 2002 und die 13. Ausgabe der Zeitschrift der Hochschule für jüdische Studien, die sich ebenfalls ausführlich Benno Jacob widmet: MANFRED OEMING u.a. (Hg.), Benno Jacob – der Mensch und sein Werk (Trumah 13), Heidelberg 2003. Für seine Zeit als Göttinger Rabbiner vgl. BERNDT SCHALLER, Benno Jacob. Rabbiner in Göttingen (1891–1906), Göttingen 2017. 68 So beenden Till Magnus Steiner und Hans-Christoph Aurin ihren Lexikonartikel im WiReLex über Benno Jacob mit folgendem Satz: „Einen großen Einfluss hat Jacobs Werk auf die Exegesen von Umberto Cassuto und Nechama Leibowitz ausgeübt“ (TILL MAGNUS STEINER/HANS-CHRISTOPH AURIN, Art. Jacob, Benno, in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet [www.wibilex.de], 2017). 69 Man findet in ihren Kommentierungen des wöchentlichen Toraabschnittes häufig Zitate aus dem Genesis- bzw. dem Exoduskommentar von Benno Jacob. Vgl. dazu z.B. LEIBOWITZ, Bereshit, 482. 70 NEHAMA LEIBOWITZ, Brief an Rabbiner Jehuda Ansbacher, in: Ahrend/Ben-Meir/ Cohn (Hg.), Pirkei Nechama, 657f. (Übersetzung MH). 71 NEHAMA LEIBOWITZ, Brief an Prof. Ernst David Bergmann (1903–1975), in: Ahrend/ Ben-Meir/Cohn (Hg.), Pirkei Nechama, 659–661 (Übersetzung MH). Der kursive Teil ist schon im hebräischen Original auf Deutsch verfasst. 72 WALTER JACOB, Das Bleibende bei Benno Jacob. Eine persönliche Würdigung, in: Oeming u.a. (Hg.), Benno Jacob – der Mensch und sein Werk, 1–6, 1. 73 BENNO JACOB, Das erste Buch der Tora. Genesis, Berlin 1934, 15.
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
hermeneutische Schlüssel [Benno Jacobs] – und das heißt gerade nicht: die Beziehung zu dem historischen Israel, von dem die Texte erzählen, sondern zu Israel, als dem durch die Geschichte hindurch erwählten Volk Gottes“.74 Als Konsequenz daraus ergeben sich zwei Dinge: Zum einen übt Jacob Kritik an der historisch-kritischen Methode, insbesondere der Text- und Literarkritik, zum anderen studierte er den masoretischen Text in der Gestalt, wie er überliefert ist, was heute meist unter der sogenannten Endtextexegese gefasst wird. „Jacob würde sich“, so Schüle, „von diesem auch sogleich distanzieren, denn was er vorfindet, ist kein End-, sondern der Ausgangstext.“75 Das Toraverständnis Benno Jacobs zieht für die Hermeneutik verschiedene Konsequenzen nach sich:76 Zum einen erfolgt Textauslegung aus der konkreten Situation existenzieller und geschichtlicher Betroffenheit.77 Die Tora redet zu Israel als dem Volk Gottes: nicht rückwärts, sondern vorwärts in die Zukunft gewandt. Diese Vorwärtsorientierung der Tora hat weitreichende Konsequenzen für das Traditionsverständnis des Judentums überhaupt, denn faktisch wird damit das gesamte literarische Erbe des Judentums in den Dienst der Vermittlung der Tora an Israel in seiner jeweiligen Gegenwart gestellt.78
Die Tora zu verstehen, setzt demnach voraus, von dem, was sie zu sagen hat, geschichtlich und existenziell betroffen zu sein; zum anderen heißt Auslegung, dem Text in der Entfaltung seiner Textur, d.h. der ihm eigenen zeichenhaften Dynamik zu folgen. Jacobs Auslegungen sind im besten Sinne von der Rezeptionsästhetik inspirierte Lektüre. Es geht ihm um die Bedeutung der Tora im Blick auf die Leser:innen. Man kann sogar so weit gehen zu behaupten, dass es die Tora nicht ohne Israel, nicht ohne die Lebens- und Lerngemeinschaft des Gottesvolkes an einem jeweiligen geschichtlichen Ort gibt. Aber bei Jacob geht es nicht um den Text und seine Leser:innen, sondern um den Text und seine Zeug:innen: Die Eigenschaft, nicht nur für Deutungen offen zu sein, sondern selbst ein Gegenüber zu adressieren, setzt eine Textur der Tora voraus, die sich im Blick auf ihren Adressaten eigendynamisch entfaltet. Deshalb gilt der Satz, dass ein Text das ist, was im Verstehen eines Lesers daraus geworden ist, nur mit dem Zusatz, dass auch ein Leser letztlich das ist, was ein Text aus ihm macht.79
74
SCHÜLE, Kritik und Verstehen, 47. A.a.O., 44. 76 An dieser Stelle folge ich den Grundgedanken von Andreas Schüle zu der Hermeneutik von Benno Jacob. Siehe dazu a.a.O., 46–65. 77 Dies stellt ein Gegenkonzept zur christlichen Hermeneutik dar, die angesichts der historisch-kritischen Methode den „Graben der Geschichte“ erst überwinden muss. Auslegung heißt dann zuerst, einen Text so weit als möglich aus seiner eigenen Welt heraus zu rekonstruieren. 78 SCHÜLE, Kritik und Verstehen, 47. 79 A.a.O., 49. 75
5.2 Kontexte
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Die Tora ist eine eigenständige Größe, ein eigenes, durchkomponiertes Ganzes, welches durch Leitbegriffe, Bilder, Wort- und Klangverbindungen zusammengehalten wird. „Dies erfordert vielmehr ein Verstehen und Auslegen des Textes, das von dessen eigener Dynamik geleitet ist, das sich dem Text – so wie er ist – anvertraut.“80 Jacob wird also falsch verstanden, wenn man ihn nur als Apologeten gegen christliche Wissenschaft versteht, sondern man muss ihn im Kontext eines bestimmten Typs der jüdischen Exegese lesen und verstehen. Yaakov Elman (1943–2018), der New Yorker Talmudist und Bibelwissenschaftler, forderte, Jacob in seinem jüdischen Kontext als jüdischen Wissenschaftler und Rabbiner zu verstehen.81 Zur Charakterisierung dieser Exegese bringt er den Begriff der „Omnisignifikanz“ von James Kugel (*1945) in die Debatte ein. Dieser umfasst laut Kugel Folgendes: the basic assumption underlying all of rabbinic exegesis is that the slightest details of the biblical text have a meaning that is both comprehensible and significant. Nothing in the Bible […] ought to be explained as the product of chance, or, for that matter, as an emphatic or rhetorical form, or anything similar, nor ought its reasons to be assigned to the realm of Divine unknowables. Every detail is put there to reach something new and important, and it is capable of being discovered by careful analysis.82
Wie Kugel diesen Begriff auf Jacob anwendet und so dessen biblische Hermeneutik beschreibt, so wendet Barry W. Holtz diesen Begriff auf Nehama Leibowitz an.83 Für beide stellt die Omnisignifikanz der biblischen Texte das Fundament ihres Arbeitens dar. Der Begriff der Omnisignifikanz erinnert an den bekannten Ausspruch des jüdischen Gelehrten Ben Bag Bag aus dem Mischnatraktat Avot (5,22): „Wende die Tora hin und her, denn alles ist in ihr enthalten“. Hinter ihm steht die Vorstellung, dass in der Tora Antworten auf alle Fragen und Probleme des Lebens und Zusammenlebens zu finden sind, wenn sie nur genau genug studiert wird. Leibowitz’ Umgang mit den Texten, der Tora und der rabbinischen Traditionsliteratur steht mit dem Prinzip der Omnisignifikanz in der Tradition der rabbinischen Hermeneutik. 80
A.a.O., 67. Vgl. YAAKOV ELMAN, Benno Jacob in historical context, in: Jürgensen/Jacob (Hg.), Die Exegese hat das erste Wort, 111–123, 112: „My thesis is that Benno Jacob’s biblical studies may best be understood as one of the best exemplars of a species of Jewish biblical exegesis which, though present to some (and even large) extent in nearly every exegete’s work from the time of the Rabbis on, especially typifies a number of writers of the late nineteenth and early twentieth centuries.“ 82 JAMES L. KUGEL, The Idea of Biblical Poetry. Parallelism and Its History, New Haven/ London 1981, 103f. An anderer Stelle charakterisiert Kugel die Omnisignifikanz folgendermaßen: „the doctrine of ‚omnisignificance‘, whereby nothing in Scripture is said in vain or for rhetorical flourish: every detail is important, everything is intended to impart some teaching“ (JAMES L. KUGEL, The Bible As It Was, Cambridge [Mass.] 1997, 21). 83 BARRY W. HOLTZ, Textual Knowledge. Teaching the Bible in Theory and in Practice (Jewish Education Series 1), New York 2003, 80. 81
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
5.2.2 Lernorte Nehama Leibowitz entwirft ihre Toradidaktik auf der einen Seite, wie in ihren biografischen Notizen beschrieben (5.1.2), mit den Gilyonot im Kontext der Erwachsenenbildung und der Lehrer:innenaus- und -fortbildung, auf der anderen Seite im Rahmen des staatlich-religiösen Schulwesens und für es. In diesem Zusammenhang ist der zweite Lernort von größerem Interesse: Nehama Leibowitz erprobte und entwickelte ihre Toradidaktik zunächst im Rahmen des Mizrahi-Trends der religiös-zionistischen Bewegung, einem von drei unabhängigen Schultrends während der Mandatszeit.84 Der Mizrahi-Trend steht in der Tradition der religiös-jüdischen Erziehung85 und stellt diese, mit 84 Schon auf dem Mandatsgebiet Palästinas – und also mit Entstehung der zionistischen Bewegung – spaltet sich das Schulsystem in drei faktisch voneinander unabhängige Zweige bzw. Hauptströmungen auf: die allgemeinen Zionisten, die Mizrahi (d.h. die orthodoxen Zionisten) und die sozialistischen Zionisten. Diese drei Richtungen werden durch die Etablierung von je eigenen Schulen mit unabhängigen Schulleitern und eigenen Schulaufsichtsbehörden gesetzlich verankert und zementiert. Sie waren in der Gestaltung ihrer Curricula, der Auswahl ihres Personals usw. weitgehend autonom und keiner einheitlichen Aufsicht unterstellt. Angesichts der Tatsache, dass 1930 ca. 170.000 Menschen (zum Vergleich: Das entspricht etwa der Größe der Stadt Oldenburg) in Israel lebten, ist dieses dreigliedrige, in sich je autonome Schulwesen ein unglaublicher Aufwand für ein derart kleines Gemeinwesen. Vgl. B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 20; SCHONEVELD, Bibel, 19. 85 Aus historischer Perspektive betrachtet existieren zwei Grundlinien jüdischer Erziehung. Bis ins 18. Jahrhundert, also bis zur Entstehung der Haskala, der jüdischen Aufklärung, wurde jüdische Erziehung unangefochten als jüdisch-religiöse Erziehung verstanden, wie sie heute noch im ultraorthodoxen Judentum interpretiert und praktiziert wird. Dieses Bildungsverständnis entsteht auch vor dem Hintergrund der Diaspora: Die jüdische Erziehung entwickelt sich in der Situation der Minderheit meist in einer (christlichen) Mehrheitsgesellschaft, die die jüdische Bildung auch bis ins 18. Jahrhundert nicht anerkennt. Deswegen beschränkte sich jüdische Bildung lange auf religiöse Bildung. Demnach ist jüdische Erziehung primär die Erziehung von jüdischen Jungen, zunächst im Cheder (ca. 3–14 Jahre) und anschließend in der Jeschiwa (ab ca. 14 Jahren). Der zentrale Lerngegenstand dieser Erziehung ist die Tora, erst das Studium der schriftlichen und dann der mündlichen Tora. Der gesamte Unterricht zielt darauf ab, die Kinder und Jugendlichen in das lebenslange Studium der Tora einzuführen – wobei auch diese Erziehung nicht so einheitlich war, wie es zunächst wirkt. So muss z.B. im alten Jischuv, also in der Gesamtheit der jüdischen Siedlungen in Palästina, in Stil und Funktion zwischen sefardischen und aschkenasischen Typen des Cheder und der Jeschiwa unterschieden werden. Die sefardische ist aus der Traditionslinie des antik-jüdischen Lehr-Lern-Settings entstanden, während sich die aschkenasische erst im 19. Jahrhundert von Osteuropa kommend in Palästina ausbreitet. Beide Schulen folgen also unterschiedlichen Lehrtraditionen (vgl. B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 145). Zusätzlich zu diesem religiösen Bildungsverständnis etabliert sich ab der Haskala ein modernes, aufgeklärtes Bildungsverständnis; zu diesem zählen die Aufwertung der Bildung von Mädchen und Frauen, die Aufnahme von weltlichem Wissen in die jüdischen Curricula und die staatliche Anerkennung von jüdischen Schulen. Diese beiden konkurrierenden Ausrichtungen der jüdischen Erziehung, das moderne Bildungsverständnis und die Konzentration auf religiös-jüdische Erziehung, finden sich bis heute im israelischen Schulsystem und prägen es von Beginn an.
5.2 Kontexte
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dem Studium der schriftlichen und der mündlichen Tradition und den liturgischen Vollzügen, in den Mittelpunkt der Erziehung. Sein entscheidendes Merkmal ist die Treue zur jüdischen Tradition, die er dezidiert religiös interpretiert und als normativ anerkennt. 86 Der Tanachunterricht wurde 1922 zur offiziellen Grundlage der orthodox-hebräischen Schulen erklärt. 1926 formulierte Eliezer Meir Lifschitz (1879–1946) Zielvorstellungen für das Curriculum an religiösen Schulen. So soll keine Trennung von Heiligem und Profanem stattfinden, und alle Fächer sollen im „Geist der Tora“ unterrichtet werden.87 Die charakteristischen Merkmale und Hauptziele des Tanachunterrichts sind die Erziehung zur Furcht gegenüber oder zum Glauben an Gott. Dies führt zu einer umfassenden Welt- und Lebenssicht, die sich auf die Tora gründet und alle Lebensbereiche abdeckt. Daran schließt sich logisch das Befolgen der Gebote an: Das Lernen der Tora mündet ins Tun und kumuliert im Tun. Der Tora wird deswegen ein größerer Stellenwert eingeräumt als den anderen Teilen des Tanach, und die Einheit von schriftlicher und mündlicher Tora wird dementsprechend betont.88 Mit diesen Grundsätzen geht auch eine Ablehnung der modernen Bibelkritik und des säkular-nationalen Zugangs zum Tanach einher. Die religiös-zionistische Bewegung wurde nach der Staatsgründung im „staatlich-religiösen Schulwesen“ mit ca. 20% der jüdischen Schüler:innen zusammengefasst.89 Das staatlich-religiöse Schulwesen unterscheidet sich vom 86
Vgl. B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 154f. Vgl. SCHONEVELD, Bibel, 67. Damit wehrt sich der religiöse Trend gegen ultraorthodoxe Strömungen, die eine klare Trennung zwischen religiösen und profanen Fächern vertreten und die religiösen Fächer mit einem sehr viel größeren Schwerpunkt lehren. 88 Für den „religiösen Trend“ vgl. a.a.O., 67–74. Als einflussreichste und auch weit über diese Strömung hin prägende Stimme des religiösen Trends nach der Staatsgründung kann Nehama Leibowitz gelten. 89 1953 wird die rechtliche und administrative Grundlage des Schulwesens, die bis heute prägend ist, gelegt. Das Gesetz von 1953 definiert Erziehung als Aufgabe des Staates und gibt eine inhaltliche Definition, was es unter israelischer Erziehung versteht: „Ziel der staatlichen Erziehung ist die Gründung des Unterrichts im Lande [Israel] auf die kulturellen Werte Israels und die Errungenschaften der Wissenschaft, auf die Liebe zum Vaterland und Treue zu Staat und Volk Israel (auf das bewußte Gedenken an den Holocaust und den jüdischen Widerstand), auf das Vertrauen auf landwirtschaftliche und handwerkliche Arbeit, auf Ausbildung zu Pionieren und auf das Streben nach einer auf Freiheit, Gleichberechtigung, Toleranz, gegenseitige Hilfe und Menschenliebe gegründete Gesellschaft“ (zitiert nach B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 160; siehe dort auch den hebräischen Originaltext). Das Gesetz goss zudem die verschiedenen Richtungen des Schulsystems aus der Zeit vor der Staatsgründung in die Form eines einheitlichen staatlichen Schulsystems mit jedoch zwei großen unterschiedlichen Ausrichtungen (fast Systemen), die bis heute Gültigkeit haben: dem allgemein-staatlichen und dem allgemein-religiösen Schulwesen. Ersteres wird von ca. 70% der israelischen Schüler:innen besucht. Neben diesen beiden staatlichen Schulzweigen blieben auf der einen Seite das nichtstaatliche ultraorthodoxe Schulsystem mit ca. 10% der jüdischen Schüler:innen als unabhängige Schulen, die außerhalb jeglicher staatlichen Kontrolle liegen und in unterschiedlichem Maße eine antistaatliche oder antizionistische 87
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staatlich-allgemeinen, indem es erstens mehr jüdisch-religiöse Fächer kennt (über „Bibel“ und „jüdisches Denken“ hinaus vor allem „Recht“ und „mündliche Tora“); zweitens diese Fächer orthodox-religiös und nicht jüdisch-kulturell unterrichtet werden; und drittens Gebetszeiten, halachische Vorschriften und Feste das Schulleben als dezidiert jüdisch prägen. Explizit wird die Interpretation des Judentums innerhalb des Fächerkreises der sog. Jüdischen Fächer (hebr. Mikzo’ot Ha-Jahadut, engl. „state-religious education“): Zu ihnen gehören Tanach, mündliche Tora, Philosophie des Judentums, Geografie und Staatsbürgerkunde.90 Die Einleitung der Curricula von 1954/5591 für staatlichreligiöse Schulen betont den göttlichen Ursprung der Tora, während die staatlich-säkularen Schulen ihr Hauptaugenmerk auf Geschichte und Kultur Israels und auf die Erlernung von Grundwerten legen. Im staatlich-religiösen Schulsystem umfasst der Tanachunterricht bis heute drei Wochenstunden, hinzu kommen drei Wochenstunden Unterricht in der mündlichen Tora.92 Der Tanachunterricht hat an diesen Schulen also den Stellenwert eines Hauptfachs.
5.3 Das didaktische Viereck 5.3 Das didaktische Viereck
Obschon Leibowitz’ Toradidaktik und ihre Methode des Tanachunterrichts gerade in der Zeit ihrer Entstehung einzigartig sind, knüpft sie an bestehende didaktische Traditionen an: einerseits an jüdische Talmuddidaktik und andererseits durch den Rückgriff auf jüdische Quellen, Kommentatoren und Auslegungstradition. Diese Quellen, Methoden und ihre Didaktik ziehen sich durch alle ihre unterschiedlichen Arten, Tora zu unterrichten. In diesem dritten Abschnitt geht es darum, ihre Toradidaktik anhand der vier Elemente des Unterrichtsvierecks: dem Text, den Lernenden, den Lehrenden und der Lebenswelt, zu entfalten und Nehama Leibowitz’ theoretischen Hintergrund zu verdeutlichen.
Orientierung verfolgen, und auf der anderen Seite das arabische Schulsystem, das alle arabischen Schüler:innen Israels besuchen. Bei diesem nichtstaatlichen, ultraorthodoxen Schulwesen handelt es sich nicht um eine Minderheit. Wegen der hohen Kinderzahl pro ultraorthodoxem Haushalt gehen Prognosen davon aus, dass im Jahr 2050 ein Fünftel der jüdischen Israelis ultraorthodox sein wird. Vgl. B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 16. Vgl. zu diesem Thema auch den Abschnitt zum ultraorthodoxen Schulwesen: a.a.O., 171–175. 90 Vgl. dazu ZAHVIT GROSS, Art. Israel. State Religious Education in Israel, in: Helen Miller/Lisa D. Grant/Alex Pomson, International Handbook of Jewish Education (International Handbooks of Religion and Education 5), Teil 2, Dordrecht u.a. 2011, 1219–1233. 91 SCHONEVELD, Bibel, 95–100. 92 Vgl. THE MINISTRY OF ALIYAH AND INTEGRATION, Education 8th Edition, Jerusalem 2019, 28.
5.3 Das didaktische Viereck
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5.3.1 Der Text Im Zentrum der Toradidaktik von Nehama Leibowitz steht ohne Zweifel der Text der Tora, meist als ein Text aus dem wöchentlichen Toraabschnitt, der Parashat haShavua, darin ist ihr Unterricht in die liturgische Praxis des Synagogengottesdienstes eingebettet. Innerhalb der jüdischen Auslegungstradition legt sie den Schwerpunkt auf den Pschat, den einfachen Wortsinn der Bibel. „Pschat als Auslegungsmethode“, so definiert es Daniel Krochmalnik, „heißt nichts anderes, als die verstreuten Glieder des Textes, welcher Gattung er auch immer sein mag, in einen durchgängig motivierten Interpretationszusammenhang zu bringen“.93 Für Leibowitz ist es völlig selbstverständlich, dass die Grundlage ihrer Toradidaktik der hebräische Text der Tora ist,94 auch wenn sie in ihrem Unterricht gerne mit unterschiedlichen Übersetzungen arbeitete.95 Ihr Zugang zu dem Text der Tora findet zwischen zwei Polen statt. Auf der einen Seite steht der „exegetical-didactic approach aimed at instilling methods of reading and interpreting the Bible in whose context treatment of conceptual values is a byproduct of examination of the biblical text itself“,96 und auf der anderen Seite steht ein „primarily value-oriented conceptual-educational approach in whose context treatment of values emerges from a sense of commitment to the biblical text, which makes normative and philosophical demand of the reader“.97 Die Wurzeln ihres Ansatzes sind dabei dreierlei: zum einen ein literarischer Ansatz, der die Bibel als „Text“ behandelt, mit allen Implikationen, zum anderen ein akademischer Ansatz, der die literarischen Methoden der Bibel und der Kommentare analysiert und die Legitimität der Interpretationen prüft, und zum dritten ein religiöser Ansatz, der die Bibel als Offenbarung Gottes, als Heilige Schrift mit Autorität ansieht.98 Leibowitz’ Toradidaktik folgt 93 DANIEL KROCHMALNIK, Im Garten der Schrift. Wie Juden die Bibel lesen, Augsburg 2006, 28. 94 Dies merkt man auch daran, dass in der englischen Version von Torah Insights über jedem Kapitel nach der Überschrift steht: „This article should be read with the original Hebrew open in front of the reader“ (LEIBOWITZ, Torah Insights, 1.21.39.53.101.143.163). Deutlich wird es zudem mit dem folgenden Satz, mit dem sie einen beratenden Brief an einen jüngeren Toralehrer in den USA beendet: „May you also succeed in inducing your students to come up to Zion so that they may study our holy Torah in the holy language in which it was given, on holy soil“ (a.a.O., 37). 95 Übersetzungen des Tanach waren für Leibowitz immer ein Thema. Dies zeigt schon das Thema ihrer Promotion in Marburg. Vgl. oben Abschnitt 5.1.1 „Von Riga nach Jerusalem“. 96 ERELLA YEDGAR, Summary. Between an Exegetical-Didactic and a ConceptualEducational Approach in Nehama Leibowitz’s Writings, in: Limmudim. Bet Midrash Katuv. A Journal dedicated to the thought and interests of the siblings Nehama and Yeshayahu Leibowitz (2001), XIV–XV, den Artikel dazu siehe S. 45–80 im selben Journal. 97 Ebd. 98 Vgl. ebd.
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damit dem Ideal der Tora Im Derech Eretz, indem sie eine Brücke zwischen dem traditionellen orthodoxen Judentum und dem modernen akademischen Denken schlägt. Sie vereint bei aller Widersprüchlichkeit beide Strömungen in ihrer Arbeit. Dies zeigt sich auch in ihrer Methode und in ihrer Hermeneutik. Die Methode des close reading Die israelische Bibelwissenschaftlerin Yairah Amit (*1941) bezeichnet die Methode des close reading als einen „cornerstone“ der Toradidaktik Nehama Leibowitz’. „Her faithfulness to the principle of close reading has made Nehama Leibowitz a pioneer in the literary-aesthetic approach to biblical interpretation“, so Amit. „With this approach, she has shown the extent to which the literature of the Bible represents artistic creativity of unique distinction, well able to stand up to modern textual-aesthetic analysis.“99 Die Methode des close reading zieht sich wie ein roter Faden durch die Toradidaktik von Nehama Leibowitz. Das close reading ist ein Teil des New Criticism, der wohl bedeutendsten Richtung in der amerikanischen Literaturtheorie und -kritik des 20. Jahrhunderts. Dieser Literaturtheorie liegen drei Prinzipien zugrunde:100 Zunächst erfolgt eine Konzentration auf den Text als Objekt. Der Text und seine objektiven Strukturen, wie z.B. Wörter, Wortmuster etc., erfahren daher im Gegensatz zu seinem historischen Kontext, der Intention des Autors oder den Leserinnen und Lesern besondere Bedeutung. Das zweite Prinzip ist das des close reading. Es ist das genaue, akribische Lesen des Textes in allen seinen Bedeutungsnuancen und mit allen seine Effekten. Die Methode des close reading ist auch aus den dem New Criticism nachfolgenden literaturtheoretischen Richtungen nicht mehr wegzudenken. Das dritte Prinzip stellt die Suche nach Mehrdeutigkeiten dar, da die Methode des close reading nur bei komplexen Texten Sinn macht.101 Leibowitz verwendet diese literarästhetische Methode explizit in Bezug auf die Tora.102 Sie ermutigt und zwingt Menschen zur Verlangsamung, um genau 99
AMIT, Some Thoughts, 11. Vgl. dazu WENZEL, New Criticism, 192f. Dazu auch ROBERT WEIMANN, „New Criticism“ und die Entwicklung bürgerlicher Literaturwissenschaft. Geschichte und Kritik autonomer Interpretationsmethoden, München 21974, zum close reading siehe besonders 96–100. 101 Vgl. a.a.O., 192f. 102 Bekannt für seine Arbeit mit dem Tanach als Literatur ist heute Shimon Bar-Efrat (1929–2010), Professor für Bibelwissenschaft an der Hebrew University in Jerusalem. Zum close reading in Bezug auf die Bibel schrieb er: „Die Welt einer Erzählung ist aus Wörtern erschaffen. Das erste Gebot beim Lesen einer biblischen Erzählung heißt daher ‚close reading‘, was bedeutet, sich bei jedem Wort und jeder Wortgruppe zu fragen, welche Gedanken, Gefühle oder Ansichten sie vermitteln oder hervorheben. Jedes Stilmittel hat Bedeutung, aber die jeweilige Bedeutung ist nur im konkreten Kontext erfassbar, weil dasselbe Stilmittel 100
5.3 Das didaktische Viereck
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und akribisch zu lesen, was in der Tora geschrieben steht, jeder Buchstabe und jedes Wort, die Struktur und die Bilder, die Schlüsselbegriffe und die Wiederholungen. Ihrer Grundüberzeugung nach ist in den biblischen Texten nichts dem Zufall überlassen: The order of words in the verse is not accidental. Changes in emphasis, approval and disapproval, and shades of meaning are not imparted, in the Torah, through long-winded psychological explanations or verbose analysis, but by a syntactical device or seemingly insignificant but definitely unusual turn of phrase combination, order or choice of words.103
Leibowitz schenkt jeder Nuance des Textes Aufmerksamkeit, weil sie jeweils ein Stück der Bedeutung der Tora transportieren.104 Lernende und auch Lehrende seien nicht gewohnt, langsam und exakt zu lesen, deswegen würden oft wichtige Aspekte übersehen.105 Ihren eigenen Lernprozess im akribischen Lesen beschreibt sie als Lernen von der rabbinischen Tradition: I learned to read Tanakh from our great mediaeval commentators Rashi, Ramban and Rashbam, and from their successors who to some extent followed in their footsteps, including Malbim and Rabbi Naphtali Tsevi Yehudah Berlin. […]. [They all attach] serious importance […] to the written word: to every word, not only the major words that possess deep religious, philosophical and ideological significance. […] They took this serious attitude, and paid this serious attention, not only to the gravity of the words but even to their sequence, to the sentence structure, repetition, parallelism; to everything written – and unwritten.106
Dahinter steht das spezifische Textverständnis, dass alles, was in der Tora geschrieben ist, dort aus einem besonderen Grund steht und nichts per Zufall in der Tora niedergeschrieben wurde. Die Tora ist also omnisignifikant.107 Leibowitz unterrichtet und liest nicht die Hebräische Bibel oder den Tanach oder Chumasch, sondern Tora. So ist sie z.B. der Überzeugung, dass es keine unnützen oder zufälligen Wiederholungen in der Tora gibt, sondern dass jede Wiederholung eine neue Idee oder Nuance transportiert. In ihren Studien zum Buch Devarim schreibt sie zu den Wiederholungen in Dtn 8,7–11 und in verschiedenen Kontexten verschiedene Bedeutung haben kann“ (SHIMON BAR-EFRAT, Die Erzählung in der Bibel, in: Helmut Utzschneider/Erhard Blum [Hg.], Lesarten der Bibel. Untersuchungen zu einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, Stuttgart 2006, 97– 116, 99). Vgl. auch von SHIMON BAR-EFRAT, Wie die Bibel erzählt. Alttestamentliche Texte als literarische Kunstwerke verstehen, Gütersloh 2006. 103 LEIBOWITZ, Bereshit, 122. 104 Vgl. LEIBOWITZ, Devarim, 7: „We can see from here how every word and turn of phrase in the Torah is weighted with significance and realize the wealth of moral guidance that is to be extracted from an apparently unimportant expression.“ 105 Vgl. LEIBOWITZ, Torah Insights, 1. 106 A.a.O., 164. „Written and unwritten“ ist hier eine Anspielung auf die Tradition der schriftlichen und mündlichen Tora. Vgl. dazu oben Abschnitt 2.2.1 „Tora im rabbinischen Judentum“. 107 Vgl. dazu die Ausführung zum modern-orthodoxen Toraverständnis und zu ihrer Prägung durch Benno Jacob oben in Abschnitt 5.2.1 „Kontexte“.
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Dtn 8,12–18: „the Torah is never guilty of repetition for the sake of rhetorical effect and there is no recapitulation that does not introduce some new idea or nuance“.108 Auch dieses Lernen begründet sie in der Tradition: „Our Sages have taught us that there is no repetition of any precept in the Torah unless the text wishes to add some new point, detail or aspect.“109 An dieser Stelle wird ihre große Differenz zur historisch-kritischen Methode und insbesondere zur Quellenscheidung deutlich.110 Diese sieht in Wiederholungen und Doppelungen Anhaltspunkte für eine Quellenscheidung und die Entstehung und Entwicklung der Texte.111 Dieser literarhistorische Zugang legt den Schwerpunkt auf die Historizität der Texte, dagegen war Leibowitz an dieser nicht interessiert, sondern fühlt sich wie der New Criticism dem Text gegenüber verpflichtet.112 Sie warnt aber, gerade im Kontext des Unterrichtens, vor zwei Gefahren, die dem close reading innewohnen: You must beware of two dangers when trying to explain a chapter systematically: (a) teaching each verse isolated from its context, and in too much detail, so that you lose sight of the message as a whole and fail to see it as an entity; (b) paraphrasing the verse into „easy“ Hebrew, thus depriving it of the structure given to it by the author.113
Ein wichtiges Prinzip des close reading bei Leibowitz ist außerdem die besondere Berücksichtigung der Leitwörter. Diese Methode übernimmt sie von Martin Buber (1878–1965) und Franz Rosenzweig (1886–1929).114 Buber 108
LEIBOWITZ, Devarim, 90. A.a.O., 161. 110 Deutlich wird diese Haltung auch an ihrer Kommentierung zu Amos 5,7–9: „NonJewish commentators have suggested that verses 8 and 9 are part of a song of praise inserted here. Some believe that they follow on from the end of chapter 4, and others that they belong before verse 7, so as not to interrupt between Verse 7 and 10. But the classical commentators try to explain the verses in accordance with tradition, without changing their order, although they were not necessarily averse to such changes elsewhere“ (LEIBOWITZ, Torah Insights, 41). Zu Leibowitz’ Verhältnis zur historisch-kritischen Methode vgl. MORDECHAI BREUER, Nehama Leibowitz’s Attitude to Biblical Criticism, in: Limmudim. Bet Midrash Katuv. A Journal dedicated to the thought and interests of the siblings Nehama and Yeshayahu Leibowitz (2001), 11–20. 111 Vgl. hierzu Shimon Bar-Efrat: „Während die literarhistorischen Zugänge die Autoren und Redaktoren hervorheben und der literarästhetische Zugang das Werk selbst in den Mittelpunkt stellt, wird in der Rezeptionsästhetik, die sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts in der Literaturwissenschaft einen Platz erwarb, die Rolle des Lesers für die Deutung einer Erzählung betont“ (BAR-EFRAT, Erzählung, 97). 112 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 461–469, bes. 461. 113 LEIBOWITZ, Torah Insights, 68. 114 In orthodoxen Kreisen muss Nehama sich rechtfertigen, warum sie mit Buber einen nichtobservanten Juden zitiert. In einem Brief an Rabbi Yehuda Ansbacher, der der Rabbiner der Ichud-Shivat-Tzion-Synagoge in Tel Aviv war, in der sie häufiger unterrichtete und der sie deswegen anfragte, begründet sie dies folgendermaßen: „There is no need to state that Buber was not a good Jew – in the usual meaning of the term. I knew him – and he was not 109
5.3 Das didaktische Viereck
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beschreibt in dem Nachwort zum ersten Band der Verdeutschung der Schrift Leitwörter als ein Ordnungs- und Auslegungsprinzip der Hebräischen Bibel. „Unter Leitwort ist ein Wort oder ein Wortstamm zu verstehen, der sich innerhalb eines Textes, einer Textfolge, eines Textzusammenhangs sinnreich wiederholt: wer diesen Wiederholungen folgt, dem erschließt oder verdeutlicht sich ein Sinn des Textes oder wird auch nur eindringlicher offenbar.“115 Es braucht dazu nicht dasselbe Wort, sondern denselben Stamm. Nach Buber ist insbesondere der Pentateuch durch Leitwörter rhythmisiert. Entscheidend für diese Methode, aber ebenso für die ganze Methode des close reading ist die Tatsache, dass Leibowitz den masoretischen Text als Grundlage für ihre Stunden verwendete. Die Lernenden sind dabei ebenfalls dazu in der Lage und müssen es sein, die Tora in Form des hebräischen Urtextes zu lesen. Die Rolle der Kommentare Die jüdischen Kommentare zur Tora spielen eine zentrale Rolle in der Toradidaktik von Nehama Leibowitz. Sie verwendete eine Vielzahl unterschiedlicher Kommentare zu den wöchentlichen Toraabschnitten: angefangen bei Midrasch116 und Talmud, über die mittelalterlichen Kommentatoren wie Raschi (1040/41–1105), Radak (1160–1235), Ibn Ezra (ca. 1092–1167), Ramban (1194–1270), Josef Albo Abarbanel (1380–1444) und spätere Kommentatoren einschließlich nichtorthodoxer wie Moses Mendelssohn (1729–1786), Yezechiel Kaufmann (1889–1963), Martin Buber (1878–1965) und selten sogar at all of my way of thinking! Absolutely not! […] But the fact remains that I, and many observant teachers, learned several correct things in the Bible from him, and especially the topic of the Leitwörter and the deep significance hinted at in the Torah by its means; though our Midrash too knew of this principle […]. It is however to Buber’s, and even more so to Rosenzweig’s, credit that they elaborated upon this topic, discovering several places that I did not find in any earlier source. And I shall not withhold benefit from students by keeping this hidden […]“ (zitiert nach UNTERMAN, Nehama, 393). 115 MARTIN BUBER, Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift, Beilage in: Die Fünf Bücher der Weisung. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Bd. 1, Stuttgart 101992, 3–44, 15. 116 Leibowitz war eine Pionierin in der Verwendung von Midraschim als ein Ausdruck von Bibelexegese im Unterricht, auf der gleichen Ebene, wie sie die mittelalterlichen Kommentatoren verwendete. Sie zog nur solche Midraschim heran, die im Bibeltext wurzeln und sein Verständnis vertiefen. Dagegen lehnte sie es ab, Midraschim zu verwenden, die nicht der biblischen Struktur folgen oder keinen Bezug zu den folgenden Versen haben. Ihr Ziel ist dabei „in particular to help the reader to use his imagination in filling in the lacunae caused by the terse language of the original, which often shuns rhetorical turns of speech that can arouse the feelings of the listener“ (LEIBOWITZ, Torah Insights, 82). Sie ist dabei davon überzeugt, dass „these midrashim provide a very good means of teaching Scripture, especially when you want your students not merely to understand concepts but also to identify themselves personally with the text“ (ebd.). Zu der Verwendung von Midraschim vgl. „The Role of Midrash in Torah Instruction“, in: PEERLESS, To Study, 23–31.
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christliche Kommentatoren wie zum Beispiel Thomas Mann (1875–1955) in Bezug auf die Josefsnovelle. Diese christlichen Kommentare zieht sie aber nur unter der Prämisse hinzu, dass sie betont nicht antisemitisch sein durften und auch etwas wirklich Neues zur Bibelauslegung beitragen können, was den jüdischen Kommentatoren bis jetzt entgangen war.117 Auch wenn Leibowitz viele Kommentare bemüht, so favorisiert sie Raschi doch vor allen anderen und hat keinen anderen so oft zitiert wie ihn.118 „For Nehama, Rashi was the prince of commentators, in his depth, style and precision, balancing an interest in grammar and language with a love of Midrash.“119 Raschi liest die Tora akribisch, und Leibowitz liest wiederum Raschi akribisch, den sie selber als Teil der Tora liest.120 Die wohl bekannteste Frage Leibowitz’ zu Raschi ist: „Ma kasheh le-Rashi?“121 Sie kann übersetzt werden mit „Was plagt/quält/ stört/beschäftigt/ärgert Raschi?“ oder auch mit „Was ist Raschis Problem bzw. Schwierigkeit?“ Sie stellte diese Frage schon von ihren ersten Jahren als Lehrerin an und fand sie effektiver als die schlichte Frage: „Was sagt Raschi?“, die dazu einlädt, den Textabschnitt nur zu paraphrasieren und nicht wirklich in seine Argumentation einzudringen. Hier wird ihre Fragedidaktik explizit, der es nicht nur um das schlichte Stellen von Fragen geht, sondern insbesondere
117 Laut Rosenak gibt es drei Arten, wie nichtjüdische Quellen im Kontext der Jewish Education gewinnbringend integriert werden können: „The first approach chooses to envelop itself in the world of Torah, ignoring these sources (for fear of spiritual assimilation) and claiming that the Torah alone is the source of all wisdom. The second approach enlists the source of wisdom for educational purposes in order to translate the Torah into relevant language for the particular student body that is addressed. The third approach regards these sources as embodying truths through which one may interpret Torah and discover its additional layers of meaning.“ Vgl. ROSENAK, Roads, 22, genaue dann 25–30. Laut Frankel verwendete Leibowitz in ihrem Unterricht die zweite und die dritte Variante. Vgl. MARLA L. FRANKEL, The Teacher in the Writings of Nechama Leibowitz, in: Yisrael Rich/Michael Rosenak (Hg.), Abiding Challenges. Research Perspectives on Jewish Education (Studies in Memory of Mordechai Bar-Lev), London/Tel Aviv 1999, 359–374, 362. 118 So wird von Martin Lockshin, einem ehemaligen Schüler von Leibowitz, beschrieben: „She would read other commentaries, and then when she came to Rashi, her voice would change, she would read with pathos.“ Sie zitiert niemanden in ihren Arbeiten so oft wie Raschi. Nach Ruth Ben-Meir wird er alleine in den Gilyonot 523mal zitiert. Vgl. UNTERMAN, Nehama, 375. Zudem behandelt das einzige Buch, das Nehama Leibowitz nicht über die Tora und ihre Didaktik geschrieben hat, Raschis Kommentar: AHREND/LEIBOWITZ, Rashi’s Kommentar. 119 UNTERMAN, Nehama, 376. 120 Vgl. LEIBOWITZ, Torah Insights, 39, dort schreibt sie: „In particular, Rashi’s Torah commentary – which is not merely an aid to understanding Scripture, but is in itself a part of the world of Torah, integrating the written and oral traditions – necessitates a special method of teaching“. 121 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 370.
5.3 Das didaktische Viereck
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um die Art und Weise, wie die Frage gestellt wird.122 Ein Satz, mit dem sie viele Sitzungen begann, war: „Wir werden nicht studieren, was Raschi sagt, sondern warum er es sagt.“123 Ihre Art, Raschi zu verstehen, war neu. Sie war der Überzeugung, dass eine Antwort durch einen Kommentar nur an der Stelle gegeben wurde, wenn eine Schwierigkeit vorlag, auf die der Kommentar antwortete – und es galt als Erstes, diese zu verstehen.124 Ihre Biografin Unterman erklärt dies so: She taught the difference between a question, whose answer is mere information, and a difficulty, which requires an explanation, a difficulty is a contradiction between our expectations of the text (for example that it be grammatically, theologically or philosophically consistent) and what is actually written.125
Leibowitz verwendete viel Zeit darauf, die Lernenden darin zu schulen, die Schwierigkeiten hinter der Erklärung genau aufzuzeigen. Ihre Methode war dabei folgende: Zunächst mussten sie verstehen, dass eine Schwierigkeit, ein Problem besteht. Dafür fungieren die Kommentare als eine Stimulierung, um die Schwierigkeiten eines Verses zu identifizieren. Die Lernenden werden vermutlich, so Leibowitz weiter, zunächst die Schwierigkeiten im Text überlesen, da sie es nicht gewöhnt sind, Texte so akribisch zu lesen.126 Dann müssen sie lernen zu erkennen, dass viele verschiedene Antworten für ein Problem vorliegen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen und dass jede Antwort Stärken und Schwächen hat, manche aber überzeugender sind als andere. Es gehe trotzdem nicht darum, die Studierenden dazu zu bringen, sich für eine Antwort von einem Kommentator zu entscheiden. Alle Antworten sind vielmehr legitim und komplementieren einander oft. Der Einsatz der Kommentare sollte dabei variieren und vielgestaltig sein: Einmal sollte der Schwerpunkt auf die Schwierigkeiten gelegt werden; ein anderes Mal sollte die Lösung des Kommentars präsentiert werden, nachdem die Lernenden das Problem schon alleine identifiziert hätten; ein weiteres Mal sollte der Kommentar erst von der Lehrkraft in die Diskussion eingebracht werden – oder für manche Texte kann auch der Vergleich von zwei unterschiedlichen Kommentatoren Sinn
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Vgl. hierzu den Abschnitt von Shmuel Peerless zu der Frage, wie „richtige“ Fragen an den Bibeltext und die Kommentatoren gestellt werden: „Using the Commentators. Asking the Right Questions“, in: PEERLESS, To Study, 33–44. 123 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 370, Übersetzung Marie Hecke. 124 Peerless hat sich in seiner Studie To Study and to Teach. The Methodology of Nechama Leibowitz detailliert mit dem Verständnis von sog. Textschwierigkeiten beschäftigt. Er unterteilt sie in vier unterschiedliche Kategorien: „extraneous language“, „deviations in word order“, „deviations in the chronological order of the narrative“ und „lack of internal consistency“. Vgl. dazu PEERLESS, To Study, 59–97. 125 UNTERMAN, Nehama, 371. 126 Vgl. LEIBOWITZ, Torah Insights, 1.
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
ergeben.127 Dieser Vergleich sollte auf die Frage zielen, was Raschi nicht erklärt, dafür aber Ramban erklärt, um die Fragerichtung der jeweiligen Kommentatoren herauszuarbeiten. In ihrem Umgang mit den Kommentaren übertrug Leibowitz die Brester Methode (s.u.), ursprünglich eine Methode des Talmudstudiums, auf den Tanach. 5.3.2 Die Lernenden Der Text der Tora steht für Nehama Leibowitz stets im Zentrum der Toradidaktik, trotzdem ist ihr doch sehr bewusst, dass für eine erfolgreiche Toradidaktik die Lernenden als Subjekte didaktischer Aufmerksamkeit bedürfen. Nach Marla Frankel hat Leibowitz zwei verschiedene Typen von Lernenden vor Augen: zum einen die „Studierenden“, an die die Gilyonot adressiert sind. Sie suchen selbstständig nach Antworten und stellen aktiv Fragen an den Text. Zum anderen die „Lesenden“, an die sich primär die Studienbücher richten. Sie absorbieren passiv die vorbereitete Diskussion und lesen die Texte akribisch.128 Obschon der bzw. die ideale Schüler:in die Einheit der Schrift akzeptiert und Verantwortung für den Interpretationsprozess trägt, ist seine oder ihre Toraobservanz kein Maßstab für die idealen Toralernenden.129 Einen besonderen Fokus legt Leibowitz in ihrer Arbeit auf die aktiv und selbstständig Lernenden. Dieses Konzept soll hier vor dem Hintergrund der Brester Methode deswegen noch einmal expliziert werden. Die aktiven und selbstständigen Lernenden Eines der hervorgehobenen Ziele und Themen von Leibowitz’ Toradidaktik ist die Selbstständigkeit von Schüler:innen. Es geht ihr darum, die Lernenden zum eigenständigen, kritischen Umgang mit der Tora und zum eigenständigen Studium der Texte zu aktivieren: All the leading educators have reiterated time and again that a person does not learn by merely listening, by being spoon-fed while remaining in a passive state, and that there is no real learning without activity, toil and effort of the senses, as well as mental and spiritual application.130
Toralernen kann deswegen für Leibowitz ausschließlich als aktives Lernen gedacht werden. Sie sieht es als erziehungswissenschaftlich erwiesen an, dass 127
Zu der verschiedenen Verwendung der Kommentare vgl. das erste Kapitel in Torah Insights, „Use of the Commentaries to Understand Scripture. The Twelve Spies (Numbers Chapter 13–14), 1–19, bes. 1f. 128 Vgl. MARLA L. FRANKEL, A Clarification of Nehama Leibowitz’s Approach to the Study and Teaching of Bible, Jerusalem 1997, iii. 129 „The ultimate synthesis of learning and behavior is one Leibowitz prefers not to measure“ (a.a.O., vii). 130 LEIBOWITZ, Torah Insights, 65.
5.3 Das didaktische Viereck
135
es nicht möglich ist, nur zuzuhören bzw. vom bloßen Zuhören zu lernen. Passivität bzw. eine eher passive Herangehensweise ist nicht förderlich und kann es demnach nicht sein. „He [the student] needs activity, to exercise his abilities, to overcome difficulties, to wrestle with the subject matter until he overcomes it.“131 Dabei geht sie davon aus, dass Passivität die Lern- und Denkmuskeln der Schüler:innen eher schwächt, weil ihnen keine Möglichkeiten zum Trainieren gegeben werden. Während Diskussionen, Analysen und Fragen die Lernenden fordern und fördern, werden sie durch Vorträge von Lehrer:innen eher zur Passivität ermuntert. Leibowitz sieht daher schon früh einen reinen Frontalunterricht als nicht zeitgemäß, ja sogar als einschläfernd an: Nor will the teacher’s excitement and enthusiasm while teaching, explaining, analyzing and interpreting the Torah, fed by the sacred flame of love of the Torah which burns within him, suffice to prevent the student from falling asleep in class.132
Da Selbstständigkeit bei Schüler:innen als ihr Ideal verstanden werden kann, muss sie sich die Frage stellen, wie sie dieses Ideal in ihre Toradidaktik integrieren kann. Auch deswegen stellt sie die Diskussion und Analyse von Problemen und Schwierigkeiten des Bibeltextes in den Mittelpunkt ihrer Toradidaktik. Verse und Texte, über deren Interpretation die Kommentatoren uneinig sind, bieten ihrer Meinung nach die Möglichkeit, die Schüler:innen zur aktiven Mitarbeit zu motivieren und zum selbstständigen Denken anzuleiten, indem man ihnen verschiedene Optionen vorstellt und sie abwägen, verstehen, diskutieren lässt. Sie bezieht sich hierbei auf den deutschen Reformpädagogen Hugo Gaudig (1860–1923).133 Sie geht dabei davon aus, dass Lernende, die gerne argumentieren, dabei konsequent unterstützt werden müssen, über die Tora zu diskutieren. Im Idealfall könne dies für die Entwicklung einer Liebe zum Studieren und Lernen förderlich sein. Durch diese Art des Studierens entsteht eine persönliche Beziehung zwischen Text und Lernenden, und die Lernenden machen sich das Kapitel bzw. den Vers wortwörtlich zu eigen. „In this way“, so Leibowitz, „our students come to love the Torah and the study of Torah, which is our primary objective.“134 Für Leibowitz gibt es nichts
131
A.a.O., 143. A.a.O., 144. 133 „[He] advises teacher to provide an opportunity during their lessons for the creation of ‚factions‘ in the class with the respect to the subject matter, so that some will be pro and the others con“ (a.a.O., 145). Hugo Gaudig ist der Begründer der Kommunikativen Didaktik. Leibowitz bezieht sich besonders auf seinen Begriff der Selbstständigkeit. Vgl. dazu JONAS FLÖTER/CHRISTIAN RITZI (Hg.), Hugo Gaudig – Schule im Dienst der freien geistigen Arbeit. Darstellungen und Dokumente, Berlin 2010, bes. 35–54.73–100, und LEOPOLD KRATOCHWIL, Pädagogisches Handeln bei Hugo Gaudig, Maria Montessori und Peter Petersen, Donauwörth 1992, bes. 20–87. 134 LEIBOWITZ, Torah Insights, 155. 132
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Schlimmeres als eine stille Lerngruppe, die keine Fragen stellt, die keine Probleme hat und der Lehrkraft nicht widerspricht, sondern schlicht akzeptiert, was diese sagt, besonders angesichts von sogenannten schwierigen und herausfordernden Bibelstellen. Eine gute Lehrkraft sollte immer zu kritischen Fragen animieren oder gar provozieren, da sich erst dadurch die Schüler:innen in eine Reihe von Kommentatoren einreihen, die alle Fragen gestellt und Autoritäten widersprochen haben. In der jüdischen Tradition werden schon immer unterschiedliche Meinungen kontrovers diskutiert.135 Die kritische Schülerin und der fragende Schüler sind, so Leibowitz, in guter Gesellschaft von Rabbi Arama (1420–1494), Abarbanel (1437–1508), Rabbi Hayyim Ibn Attar (1696– 1743) oder Malbim (1809–1879), also von sehr bekannten jüdischen Gelehrten durch alle Jahrhunderte hindurch: When our rebellious student, who had the insolence to ask, sees the long list of eminent names of Tannaim and Amoraim, authors of the Midrash, Geonim, commentators and philosophers, all of whom have dealt with his question, he feels that by asking he has not placed himself outside the camp of faithful Torah learners, but on the contrary, he is engaged in their very activity: Torah study!136
Das Essenzielle ist dabei, dass die Lernenden selbstständig die Tora aus ganz unterschiedlichen Betrachtungswinkeln studieren. Sie sollen sich ausprobieren, Interpretationen wählen, dieselben verwerfen, ihnen widersprechen und viele Fragen an den Text entwickeln und auch provozieren – das alles „provided that they engage in Torah out of love“.137 Dieses Ziel sollte auch die Lehrkraft bei der Unterrichtsvorbereitung und Durchführung berücksichtigen. Die Brester Methode Die Unterrichtsmethode, dass die Lehrkraft den Schüler:innen eine Antwort auf bestimmte Fragen präsentieren sollte, stößt bei Leibowitz auf konsequente Ablehnung; stattdessen versucht sie ihre Schüler:innen zu ermuntern, so Schoneveld, „sich auf dem weiten Feld jahrhundertealter traditioneller jüdischer Bibelexegese zu bewegen“.138 Sie stellt dabei zu einem Wochenabschnitt der Tora oder zu einigen Versen aus diesen Wochenabschnitten verschiedene Kommentare und Meinungen zu einem Problem bzw. einer Schwierigkeit gleichberechtigt zusammen. Die Beispiele sollen genau und akribisch anhand der von ihr gestellten Fragen studiert werden. Es geht darum, dass die Lernenden nachvollziehen können, warum welcher Kommentator welches Problem auf welche Art und Weise behandelt und in welchem größeren Kontext er steht. 135 So führt Leibowitz aus: „For only when different, even contradictory, opinions are presented, will the student fully realize that he is not the first to spot the difficulty, and that the question has already been considered from all angles“ (a.a.O., 157). 136 A.a,O., 157f. 137 A.a.O., 161. 138 SCHONEVELD, Bibel, 72.
5.3 Das didaktische Viereck
137
„The clash between two opinions“, so Leibowitz, „over the narrow ground of one verse may indicate a difference in outlook on fundamental concepts.“139 Ziel ist es nicht, dass die Studierenden herausfinden oder analysieren, welcher Kommentator besser, wahrer oder treffender ist, sondern die Argumente abwägen und sich dann für einen entscheiden. In ihrem Buch Torah Insights erklärt Leibowitz, dass es um das Verstehen und Begründen der Positionen geht: We do not ask the students, in their discussion, to decide between these two opinions and make a choice, but to understand each viewpoint and find supporting evidence for each in the Torah and in rabbinic sources, to appreciate the basis of each opinion and its implications. Studying conflicting interpretations therefore not only stimulates students by motivating them to argument and discussion; it can broaden their intellectual horizons, when addressing a lone verse leads them into the realm of ideology. 140
Die Lernenden werden so als gleichberechtige Diskussionspartner:innen in den Auslegungsprozess der Tora, also in die mündliche Tora mit hineingenommen, und darin werden sie dann wiederum Teil der mündlichen Tora. Ziel ist es, die Argumente abzuwägen, zu verstehen und in den Diskussionsprozess einzuordnen. „Durch diese Methode, die an die dialektische Argumentationsweise der Rabbinen erinnert, werden die kritischen Fähigkeiten der Schüler gefordert.“141 Leibowitz überträgt damit die Brester Methode, eine Methode, Talmud zu studieren, „for which she was known to have an affinity“,142 auf den Tanach. Die Brester Methode geht auf Rabbi Chaim Soloveitchik143 (1853–1918) zurück. Sie ist eine Methode des anspruchsvollen und analytischen Talmudstudiums, die sich auf präzise Definitionen und Kategorien des Talmuds konzentriert. „Possessed of remarkable analytic powers, he would carefully analyze the subject under discussion into its categories and component parts.“144 Er entwickelte eine passende Terminologie, mit der die unterschiedlichen Konzepte beschrieben werden können, und zeigte, dass sich die Unterschiede im Talmud selber und zwischen seinen Hauptkommentatoren davon herleiten lassen. Die Brester Schule legt zugrunde, dass verschiedene Kommentatoren des Talmuds je einen spezifischen und konsequenten Zugang zur Halacha besitzen.145 Von 139
LEIBOWITZ, Torah Insights, 150. A.a.O., 152. 141 SCHONEVELD, Bibel, 72. 142 UNTERMAN, Nehama, 372. 143 Rabbi Chaim Brisker lebte von 1853 bis 1918 in Brest, heute Belarus. Er war Talmudist und mit seiner Schule, die sich der Brester Methode verschrieb, einer der vorherrschenden Denker im orthodoxen Judentum seiner Zeit. 144 MORDECHAI HACOHEN, Art. Soloveichik, Hayyim, in: EJ2 18 (2007), 775. 145 Es gibt die Anekdote von Rabbi Chaim Soloveitchik von Brisk, dass er die Richtigkeit eines Zitates aus der Tosefta anfocht. Ein begeisterter Schüler soll ihn gefragt haben, ob er die ganze Tosefta kenne, darauf soll er geantwortet haben: „Nein, aber ich weiß, dass der Tosafist es nie so gesagt hätte.“ Daran wird deutlich, dass er die verschiedenen Strömungen 140
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Brest aus breitete sich diese Methode sehr schnell innerhalb des orthodoxen Judentums aus.146 Leibowitz entwickelt die gleiche Vorgehensweise für die von ihr zur Analyse des Textes herangezogenen Kommentatoren: Sie hat sie durch ihr intensives Studium so verinnerlicht, dass sie die Kommentare erklären und immer in einen größeren Kontext einordnen kann. Die Parallelität zwischen Leibowitz’ und der Brester Methode liegt in der Sensibilität für Nuancen, in der Herausstellung von sonst unsichtbaren Beziehungen und im Vergleich von unterschiedlichen Kommentaren. Dies ermöglicht ein tieferes Verstehen der Debatten und Diskurse.147 Ihre Methode ist ihren Schüler:innen, insbesondere den orthodoxen, nicht völlig unbekannt, sondern sie können an den ihnen vertrauten Umgang mit dem Talmud bei Leibowitz’ Art der Toradidaktik anknüpfen. Trotzdem ist diese Methode in Bezug auf die Tora wiederum völlig neu und darin auch revolutionär. 5.3.3 Die Lehrenden Obschon Nehama Leibowitz ihr Leben lang eine passionierte Lehrerin war, hat sie keinen eigenen Text verfasst, in dem sie explizit die Rolle der Lehrkraft behandelt; trotzdem sagt sie implizit viel über ihr Verständnis von deren Aufgaben und Rolle. Marla Frankel, die sich im Rahmen ihrer Promotion148 ausführlich mit dem Bild der Lehrer:in und dem Rollenverständnis der Lehrkraft nach Nehama Leibowitz beschäftigt hat, beschreibt die idealtypische Lehrkraft in diesem Zusammenhang als intellektuelle, dynamische und optimistische Persönlichkeit: It is an intellectual personality forever thirsty for meaningful knowledge; a dynamic personality – capable of adapting to any instructional setting; a personality in constant tension between loyalty to the tradition and the need to translate its teachings into relevant language. […] Leibowitz’s teacher is an optimistic personality; he has a constructive world view and believes in the potential of each and every person to contribute his or her share to tikkum olam, to perfecting and „mending“ the world.149 und Gattungen kategorisierte und analysierte, sodass er sie einordnen konnte, ohne sie alle wortwörtlich zu kennen. Vgl UNTERMAN, Nehama, 373. 146 Der letzte große Vertreter der Brester Methode und direkte Nachfahre von Chaim Soloveitchik, Joseph Baer Soloveitchik, ist 1993 in New York gestorben. Zur Brester Methode siehe auch NORMAN SOLOMON, The Analytic Movement. Hayyim Soloveitchik and his Circle (SFSHJ 58), Atlanta 1993. 147 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 372f. 148 Eine englische Zusammenfassung ihrer Promotion veröffentlichte sie unter folgendem Titel: MARLA L. FRANKEL, A Clarification of Nehama Leibowitz’s Approach to the Study and Teaching of Bible, Jerusalem 1997. Außerdem publizierte sie ihre Doktorarbeit auf Hebräisch: Die Tora von Nehama Leibowitz. Wege des Studiums des Tanach und seines Unterrichts (hebr. דרכה בלימוד התנ"ך ובהוראתו.)תורה של נחמה ליבוביץ, Tel Aviv 2007. 149 FRANKEL, Teacher, 370.
5.3 Das didaktische Viereck
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Weiter beschreibt sie, dass die idealen Lehrer:innen Mitglieder einer Lerngemeinschaft seien, sich also z.B. akademisch fortbilden oder in einer Gruppe Tora studieren sollen. Sie sollten kompetent sowohl in jüdischer Traditionsliteratur als auch auf dem Themenfeld der Allgemeinbildung sein.150 Die idealen Toralehrenden sind nach Leibowitz also vergleichbar mit den idealen Toralernenden. Dieser fast unerreichbar wirkende Maßstab wird im Folgenden zu explizieren sein. Hierfür werde ich zunächst verschiedene Rollen der Lehrkraft, die Nehama Leibowitz dieser zuweist, nachzeichnen und anschließend anhand der idealen Vorbereitung auf den Unterricht konkretisieren: Moderator:in und Pädagog:in Frankel unterscheidet in der Didaktik von Nehama Leibowitz zwischen zwei verschiedenen Rollen der Lehrkraft: Moderator:in und Pädagog:in. In diesen zwei Rollen sollte sich eine Lehrkraft frei bewegen können, um jeweils den Bedürfnissen der Schüler:innen gerecht werden zu können. Den erfahrenen Schüler:innen151 bietet die Lehrkraft als Moderator:in Leitfragen an. Sie führt sie in einem großen Umfang an Quellen heran und in Kommentare ein, ohne dass ihnen Lösungen und Antworten angeboten oder vorgegeben werden. Die Lehrkraft moderiert in dieser Rolle zwischen dem Bibeltext, den Kommentatoren und den Schüler:innen. Der andere Typ Lehrer:in präsentiert den Schüler:innen eher ein Problem bzw. eine Schwierigkeit des Textes und löst dieses gemeinsam mit ihnen, begleitet sie dabei aber auf einem bestimmten Lösungsweg. Dieser Diskurs beginnt meist bei einem exegetischen Problem, geht dann weiter mit verschiedenen Lösungen und schließt mit einem klaren Entschluss ab. Ihn bzw. sie bezeichnet Frankel als Pädagog:in, den „problem solver“.152 Frankel beschreibt den Unterschied folgendermaßen: As „facilitator“, the teacher focuses on the learning process and is prepared to say that „solutions are less important than the work itself“. In contrast, the „pedagogue“, in most cases, formulates clearcut resolutions that attest to explicit values: „a lesson to be learned“ and an orientation to a way of life.153
Damit erfüllen beide Rollen eine unterschiedliche Funktion innerhalb der Bibeldidaktik. Die Pädagog:in unterrichtet eher Anfänger:innen und soll den Einstieg in das Studium der Tora für bisher unerfahrene Schüler:innen ermöglichen, während die Moderator:in fortgeschrittene Schüler:innen unterrichtet und diese in den nicht enden wollenden Diskussionsprozess und Dialog über die Tora integrieren soll. Für beide Rollen müssen Lehrkräfte breite Kenntnisse 150
FRANKEL, Clarification, vii. Hiermit meint Frankel die Lernenden, wie ich sie bereits oben in Abschnitt 5.3.2 dargestellt habe. Vgl. a.a.O., iii. 152 FRANKEL, Teacher, 361. 153 A.a.O., 360. 151
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
in biblischer und rabbinischer Literatur besitzen und in der jüdischen Philosophie des Mittelalters und in jüdischen Tanachkommentaren der letzten 2000 Jahre gebildet sein.154 Leibowitz bewegt sich auch hier, wie in ihrer Toradidaktik, zwischen den zwei Idealen: dem Orthodoxen, vertreten durch die rabbinische Traditionsliteratur, und dem der Haskala, vertreten durch ihren Anspruch auf akademische Bildung. Die Frage, inwiefern sie von einer Lehrkraft Toraobservanz forderte, ist umstritten. Leibowitz selber war ihr Leben lang eine orthodoxe Jüdin, und „there is no doubt that the teacher envisioned in Leibowitz’s writings is committed to Jewish Law (halakhah) and to a halakhic community“.155 Es besteht aber auch kein Zweifel, dass die Lehrkraft nach Leibowitz akademisch lernen und gebildet sein soll. Die Lehrkraft soll hier ein Vorbild für die Schüler:innen sein, aber die Entscheidung, wie und ob diese ein toratreues Leben führen, sollte immer bei ihnen selbst liegen. Leibowitz formuliert mit der „Liebe zur Tora“ das übergeordnete Ziel des Unterrichts der Tora: […] um die Liebe zur Tora zu steigern, so dass die Worte der Tora von den Lernenden gepflegt werden, damit sie das große Licht sehen, welches von den Kommentatoren scheint und von den Versen leuchtet, und es das Herz der Lernenden wärmt.156
Lebenslange:r Toraschüler:in Leibowitz widmet ein ganzes Kapitel ihres Buches Torah Insights der Frage, wie eine Lehrkraft sich idealerweise auf den Unterricht eines bestimmten Toraabschnittes vorbereiten sollte.157 Sie teilt die vorbildliche Unterrichtsvorbereitung dabei in drei Phasen ein: In der ersten Phase soll der Text an sich studiert werden, ohne zu überlegen, wie er unterrichtet werden kann. Leibowitz gibt hierfür den Ratschlag: „forget about ‚how?‘ and start by considering ‚what?‘!“158 Weiter schägt sie vor: „teach it to yourself by reading it once, then again, and then a third time – that is the only way!“159 Dabei empfiehlt sie, 154 Bei dem Umgang mit den Quellen und Kommentaren müssen die Moderator:innen und die Pädagog:innen verschiedene Fähigkeiten haben: Die Moderator:in muss Quellen suchen können, die zu den Studierenden passen, sie intellektuell fordern und die ihnen unbekannt sind. Die Pädagog:in muss dagegen größere rhetorische Fähigkeiten besitzen. Er bzw. sie analysiert und erklärt die Kommentatoren, muss ihre Meinungen präsentieren, die Probleme und Schwierigkeiten des Textes artikulieren und die Vor- und Nachteile, die Stärken und Schwächen diskutieren und abwägen. 155 FRANKEL, Teacher, 366. Frankel schließt dies aus der Sprache, die Leibowitz benutzt, und außerdem, wenn sie z.B. von „unserem Morgengebet“ spricht. 156 NEHAMA LEIBOWITZ, Studium des Wochenabschnittes der Tora (hebr. למוד פרשה ) התורה, Jerusalem 7735 (1975), 1 (Übersetzung MH). 157 Siehe dazu NEHAMA LEIBOWITZ, Teaching Neviim Aharonim. The Haftarah of the Second Day of New Year (Jeremiah 31:1–19), in: Dies., Torah Insights, 53–92. 158 A.a.O., 53. 159 Ebd.
5.3 Das didaktische Viereck
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selbst bekannte Texte so zu lesen, als würde man sie zum ersten Mal lesen, und nach dreimaligem Lesen die ersten Leseeindrücke zu notieren und erst dann mit dem Studium des Textes unter Zuhilfenahme von Kommentaren und Midraschim zu beginnen.160 Wenn der Text ausführlich für sich studiert worden ist, dann erst soll man sich als Zweites unter der Frage: „What is the aim of this particular lesson on this particular occasion?“161 der konkreten Unterrichtssituation162 zuwenden. Dabei können folgende Fragen hilfreich sein: Welche Aspekte und Phänomene aus dem vorher erarbeiteten Text können benutzt werden, um es der Klasse zu präsentieren? Was sollte ausgelassen werden, weil es nicht zu dem eigenen Ziel, der vorgegebenen Zeit, der Altersgruppe passt oder weil es schon an einer anderen Stelle ausführlich behandelt wurde? Welche Rolle nimmt die Unterrichtsstunde innerhalb der Reihe ein? Leibowitz gibt dazu den Ratschlag: Think about how to deliver it, how to get the students to work, and what activities you can ask them to perform during the lesson. The activities that you choose must be suitable for the class, for the chapter and for the occasion; they must be such as will „open their eyes to see, and their minds to understand“.163
Der dritte und letzte Schritt164 behandelt die konkrete Vorbereitung der Stunde. Er zielt auf die Motivation der Schüler:innen, aufmerksam zu arbeiten sowie die konkreten Aufgabenstellungen zu klären und zu reflektieren. Die ausgewählten Methoden sollten stets zur Lerngruppe, zum zu studierenden Kapitel und zur Lernsituation passen – „they must be such as will ‚open their eyes to see, and their minds to understand‘“.165 Um diesen Punkt zu erreichen, muss das zu unterrichtende Material beherrscht werden, was wiederum die Wahl eines speziellen Fokus für die betreffende Stunde voraussetzt und das Material für diese Stunde zu reduzieren hilft. Die Leitfrage sollte nicht sein, wie die verschiedenen Dinge zu vermitteln seien, sondern: Wie können die Schüler:innen vorbereitet und angeleitet werden, dass sie selber animiert werden, zum Ausdruck zu bringen, was zu dem Text gesagt werden muss?166 Leibowitz erinnert daran, dass „the success of the lesson depends on having plenty of class activities; ensure also that these are sufficiently varied“,167 und warnt 160 Für den Text Jer 31,1–19 geht sie die drei Schritte jeweils exemplarisch durch, für den ersten Schritt vgl. LEIBOWITZ, Torah Insights, 54–60. 161 A.a.O., 54. 162 Vgl. zu diesem Schritt a.a.O., 61–64. 163 Ebd. 164 Diesen dritten Punkt führt Leibowitz auf den Seiten 64–92 aus. 165 A.a.O., 54. 166 Vgl. a.a.O., 65. 167 A.a.O., 92. Sie nennt dort außerdem folgende Beispiele: „Here are a few suggestions: Reading aloud and reading silently; reciting the whole chapter and solitary verses; examining a single verse in detail or taking an overall view of many verses; discussing and arguing in class over the meaning of one verse, and dealing in depth with a problem that affects our
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
gleichzeitig davor, dass jede Methode zu dem Text, dem Stundenziel und der Unterrichtssituation passen müsse. Zum Abschluss dieses Abschnittes über die Rolle der Lehrkraft seien hier noch die fünf „Verbote“ genannt, die Leibowitz nach Peerless für die Lehrkräfte entwickelt. Von diesen sollten sie sich distanzieren:168 1) Sie sollten keinen Vortrag halten, da hieraus ein Frontalunterricht folgt, der nach Leibowitz nicht zum eigenen, selbstständigen Denken anregen kann. Sie sollten 2) den Schüler:innen nicht erlauben mitzuschreiben, während die Lehrkraft spricht, da das Mitschreiben das Mitdenken blockiert bzw. mindestens behindert. Wenn etwas wirklich verstanden wurde, kann es auch nach der Stunde aufgeschrieben werden. 3) Die Lehrkräfte sollten keine Einleitung zu dem zu studierenden Material geben. Hierdurch werde oft schon zu viel vorweggenommen. 4) Die Schüler:innen sollten keine Sachfragen beantworten oder Texte paraphrasieren. Die Fragen sollten hingegen die Schüler:innen herausfordern und dazu anregen, ihnen ein tieferes Verständnis des Materials zu ermöglichen. (5) Die Lehrkräfte sollten schließlich auf eine ausschließlich repetitive Unterrichtsstruktur verzichten. 5.3.4 Die Lebenswelt Nehama Leibowitz nimmt in ihrer Toradidaktik die Lebenswelt ihrer Lernenden nicht systematisch in den Blick. Methodisch spielt diese jedoch eine Rolle durch die vielen Geschichten, die sie zur Illustration der biblischen Texte in ihren Unterricht einbaut und in denen sie auf die verschiedenen Lebenswelten der Schüler:innen eingeht.169 Im persönlichen Austausch und besonders in den Briefwechseln über die Gilyonot hat sie die individuelle Lebenswelt der Menschen stets sehr präsent.170 Neben diesen individuellen Lebenswelten ist in ihrer Toradidaktik und für sie die kollektive Lebenswelt eine jüdische bzw. israelische. Dies heißt, dass das Lern- und Lebensumfeld von der hebräischen Sprache geprägt ist, in einer jüdisch-religiös geprägten Gesellschaft stattfindet entire portion and at times other passages in the Scripture as well; comparing verses with the portion, and comparing and contrasting verses in the portion with verses elsewhere by the same navi and by others; writing on the blackboard to make something stand out, and writing in exercise books quietly to solve problems and to divide up the chapter into sections; reading additional texts of thinkers to deepen understanding, and reading midrashim to stimulate the mind. Many of these suggestions have not been used in the present instance. Not every lesson requires all of these activities, not all study material requires the use of all these teaching techniques, each one has its use when appropriate, depending on the text and the type of student. The above list demonstrates the large number of options available, and it is for you to choose whatever is suitable for your own requirements.“ 168 Für die Ausführung vgl. PEERLESS, To Study, 13f. 169 Vgl. dazu UNTERMAN, Nehama, 180–188. 170 Vgl. dazu Untermans Kapitel zu den Gilyonot, „Chapter 2: The Gilyonot: How Nehama Became a Favorite of the Israel Postal Service“, a.a.O., 50–77.
5.3 Das didaktische Viereck
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und in dem Land, in dem die meisten Geschichten der Tora spielen und auf das sich die meisten prophetischen Weissagungen beziehen. Der Schlüssel für dieses Verständnis der Lebenswelt als explizit jüdischer liegt in Leibowitz’ Überzeugung als religiöse Zionistin. Ihre Biografin Unterman schreibt: „she loved Israel and Hebrew not only for their own sake, but also because they represented the Torah’s natural environment“.171 Leibowitz war davon überzeugt, dass man nur in Israel vollständig jüdisch leben und dementsprechend auch nur dort umfassend Tora studieren könne: The Torah cannot be observed in its entirety except in a society wholly governed by its precepts and not in an alien framework ruled by other ideals. Admittedly there are personal religious obligations that can be observed anywhere, even by a Jewish Robinson Crusoe on his desert isle, but the Torah, as a whole, implies a complete social order, a judiciary, national, economic and political life. That can only be achieved in the Holy Land and not outside it.172
Die beiden wichtigsten Aspekte des Zionismus in Bezug auf die Toradidaktik sind der Staat Israel und die hebräische Sprache. Der Staat Israel auf der einen Seite hat für sie eine religiöse Bedeutung und stellt eine wichtige Basis für das Studieren der Tora dar. „Nehama believed that the Torah was more comprehensible to people living in Israel just by virtue of their connection to the land.“173 Die Tora muss und soll in alle Bereiche des Lebens hineinwirken, und dies ist nur in einem Staat möglich, in dem man nicht in Diaspora ist und sich dementsprechend assimilieren muss. The student needs to emerge from the lesson with the sense that „[The Torah’s] ways are ways of pleasantness and all her paths are peace“, and with a desire to redeem the Torah from her exile, her desolation and constriction into paltry corners of our lives; to spread her light once more throughout all of our deeds, at home and outside, in the family circle, in business dealings, in government and economics.174
Dies umfasst ihrer Meinung nach auch den Dienst in der Armee. Auch wenn sie selbst zu alt war, um in der Armee zu dienen, verteidigte sie doch vehement, dass Frauen in der Armee dienen. Auf der anderen Seite unterstrich sie immer wieder die Bedeutung der hebräischen Sprache gerade auch als Alltagssprache für ihren Unterricht. „Nehama too“, so Unterman, „was a very strong proponent of Hebrew both for religious-nationalistic reasons (this was the language of the Tanach and of the Jews in their land) and pedagogical ones (good Hebrew was prerequisite to learning Torah properly).“175 Leibowitz lernte von ihrem Vater in ihrer Kindheit Hebräisch; daneben beherrschte sie auch Deutsch, Englisch, Russisch und Jiddisch. Sie weigerte sich jedoch meist, eine andere Sprache als Hebräisch zu 171
A.a.O., 252. LEIBOWITZ, Bamidbar, 399f. 173 UNTERMAN, Nehama, 254. 174 Teachers’ Guide for Be-har, 5731, zitiert nach UNTERMAN, Nehama, 256. 175 A.a.O., 257. 172
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
sprechen, wenn sie das Gefühl hatte, dass ihr Gegenüber des Hebräischen mächtig war. Unterrichtssprache und damit Voraussetzung, um an ihrem Unterricht teilzunehmen, war selbstverständlich Hebräisch. Leibowitz’ Überzeugung, dass eine jüdische Lebenswelt, wie es sie ihrer Meinung nach nur in Israel geben kann, eine Voraussetzung für das Studium der Tora darstellt, kann exemplarisch anhand ihrer Auffassung von einem jüdischen Leben in der Diaspora verdeutlicht werden. Die Diaspora ist ihrer Überzeugung nach kein adäquater Ort, um Tora zu studieren und jüdisch zu leben, da man sich gezwungenermaßen immer assimilieren muss.176 „The world beyond Israel’s borders, a non-Jewish cultural and political domain in which Jews were subject to gentile rule, could be of no interest to a committed Jew.“177 Ihre Kritik an der Diaspora, zum Beispiel an Amerika, ging sogar so weit, dass sie in ihrem Unterricht auf die Frage, warum Gott die Welt in der Zeit Noahs zerstörte, mit der materialistischen, kapitalistischen/egoistischen gegenwärtigen Gesellschaft in den USA verglich und begründete.178 In ihrer Einstellung zur Diaspora war sie sehr rigoros und kategorisch: So verließ sie die Grenzen des Staates Israel nach ihrer Alija nicht mehr mit der Begründung, dass sie nicht außerhalb der Grenzen von Israel sterben wollte, obwohl sie häufig zu Vorträgen nach Europa und noch mehr in die USA eingeladen wurde und persönlich ein großes Interesse an der Orthodoxie in den USA hatte.179 Kritik übte sie auch an allen Juden, die in der Diaspora lebten. Mit viel Pathos versuchte sie, Diasporastudierende davon zu überzeugen, in Israel zu bleiben, 176 Dies wird auch an ihrem Versuch deutlich, jüdische Diasporalehrer:innen davon zu überzeugen, nach Israel zu kommen und dort Tora zu studieren. Vgl. LEIBOWITZ, Torah Insights, 37. 177 UNTERMAN, Nehama, 260. 178 Vgl. a.a.O., 261. 179 Ihre Haltung zur Diaspora muss aber auch vor dem Hintergrund ihrer doppelten Fluchterfahrung, erst aus Russland und dann aus Deutschland, und der Schoa gelesen und verstanden werden. Noch deutlicher wird ihre Meinung in einem Brief, den sie an Rabbi Yaakov Koppel Reinitz schrieb, der in Wien Tora unterrichtete: „Ich habe noch immer nicht die Tatsache verdaut, dass du in der verfluchten Atmosphäre von Wien Tora unterrichten wirst und dass Juden, die rein aus materialistischem Vorteil schamlos unter den Mördern ihrer Eltern leben, den Vorzug haben werden von dir Tora zu lernen in ihrer Gemeinschaft. Verdienen sie wirklich diese Ehre?“ (NEHAMA LEIBOWITZ, Brief an Rabbi Yaakov Koppel Reinitz, in: Ahrend/Ben-Meir/Cohn [Hg.], Pirkei Nechama, 693; Übersetzung MH). Verstärkt wird dies noch einmal durch folgende Zeilen von ihr in einem Brief an Professor Martin Lockshin: „I hope that all the Jewish warmth over there and the Yiddishkeit that apparently (for I have not been there myself) exists, and is felt more strongly than in Rehavia in the Holy City of Jerusalem, will not weaken your resolve and bring you to make the tragic and dreadful mistake that many tens of thousands (literally) of Kotsker, Belzer and Gerer Hasidim made, believing Kotsk, Belz and Ger etc. to be a genuine substitute for Jerusalem; or like the Torah scholars of the city of Vilna who named it the ‚Jerusalem of Lithuania‘ and thus felt as if they were citizens of Jerusalem; and we know what price was paid for this mistake“ (zitiert nach UNTERMAN, Nehama, 262).
5.4 Kritische Würdigung
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bzw. sie forderte sie dazu auf, nicht in ihr Heimatland zurückzukehren, oder hielt Israelis davon ab, auch nur für kurze Zeit in der Diaspora zu leben. Leibowitz entfaltete ihre Meinung und ihre Position zu dem Leben in der Diaspora ausführlich in einem Brief an Rabbi Raphael Posen (1919–2004), der ein Jahr mit seiner Familie in Kanada verbrachte. Diesen Brief gab sie später auch anderen zu lesen, die sie nach ihrer Meinung zu diesem Thema befragten. Da er Vieles bündelt, was für sie eine jüdische Lebenswelt ausmacht, sei er hier auszugsweise dokumentiert: My dear friend, […]. You may save some girls from the clutches of intermarriage and assimilation. It is possible, for I really do esteem your ability as a teacher, educator, a good Jew, honestly! But to take such a wonderful family (and I will always remember the evening I spent in your home with your children, and how blessed I felt to be in such a Jewish home), to take your children away from our land at this difficult time – in my opinion nothing you do there can make up for it. It burns in my heart like a flame. I am distressed about this, if not daily, then very frequently. Your children, who right now should be Bnei Akiva counselors, traveling the length and breadth of Israel, volunteering as all good high-school students do, working with the Sephardic Jews, doing outreach, fortifying the religious movement – so feeble and divided – in its connection to the land – will instead get to know the Diaspora in all its hypocrisy. Thirty-five years after our independence they do not dream that it’s not proper, simply not proper for a Jew to continue freely (not out of coercion) to dwell amongst the gentiles! […] […] My only hope is that your children feel miserable there, experience the inauthentic life of those who pray for the return to Zion, who declaim unthinkingly at the Seder and on Yom Kippur after all the confessions, „Next year in [Jerusalem]“ and dare to pronounce this utter falsehood before God! And how can you teach, „And return us to Zion in joy“ – for this is taken seriously, the person who says should get up and return! No one would pray „And feed us in Your mercy with kosher food every day,“ and then go buy meat at a non-kosher butcher!180
5.4 Kritische Würdigung 5.4 Kritische Würdigung
In der kritischen Würdigung werde ich die Grundlinien der Toradidaktik von Nehama Leibowitz zusammenfassen und innerjüdische Kritik an ihr aufnehmen. Zudem werde ich die Toradidaktik von Nehama Leibowitz anhand der religionsdidaktischen Kriterien der Subjektorientierung, der Positionalität der Lehrkraft, dem Beitrag zur Pluralitätsmoderation und der Frage nach der zugrunde gelegten Hermeneutik kritisch würdigen, um dann in einem abschließenden Abschnitt des Kapitels Impulse der Toradidaktik von Leibowitz für eine christliche Toradidaktik zu skizzieren. 180
NEHAMA LEIBOWITZ, Brief an Rabbi Raphael Posen, in: Ahrend/Ben-Meir/Cohn (Hg.), Pirkei Nechama, 671–673 (Übersetzung aus dem Hebräischen: YAEL UNTERMAN, in: Dies., Nehama, 264–266).
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
5.4.1 Würdigung Im Mittelpunkt der Didaktik von Nehama Leibowitz steht wortwörtlich die Tora. Sie ist der Bezugspunkt ihrer Didaktik und wird dadurch auch zu einem Bezugspunkt für jüdisch-orthodoxes Selbstverständnis. Dies ist besonders in orthodoxen Kreisen revolutionär und neu, da dort traditionell das Studium des Talmuds und nicht der Tora im Fokus steht. Durch die Zentralstellung der Tora in ihrer Didaktik bietet Leibowitz vielen Jüd:innen, von orthodox bis säkular, vor und nach der Staatsgründung Israels einen anderen Bezugspunkt für ihre jüdische Identität als den Talmud. Damit stößt sie eine Renaissance des Studiums der Tora an bzw. gestaltet diese grundlegend mit. Ihre Didaktik ist deswegen im wortwörtlichen Sinne eine Toradidaktik. Dies wird auch in dem Ziel ihrer Toradidaktik, der Liebe zum selbstständigen Torastudium um seiner selbst willen, deutlich. Nehama Leibowitz ordnete ihr ganzes Leben und Arbeiten dem Ziel unter, die Neugierde der Menschen auf das Studium der Tora zu wecken und sie zum Studium derselben zu motivieren. Dies macht sie in unterschiedlichen Facetten ihrer Tätigkeit als Mora: zum einen durch die ihr ureigene Art, die Tora zu unterrichten, zum anderen durch das Fragenstellen in ihren Arbeitsblättern zum wöchentlichen Toraabschnitt und zum dritten durch ihre Antworten in den Studienbüchern zur Tora. Die Toradidaktik von Nehama Leibowitz ist eine kommunikative Didaktik. Der kontroverse Diskurs und die Diskussion über den wöchentlichen Abschnitt der Tora bilden ihr Zentrum. Konkretisiert werden kann diese kommunikative Didaktik als Frage- und Lesedidaktik. Das kritische Fragen und das akribische Lesen nehmen eine Schlüsselfunktion innerhalb ihrer Toradidaktik ein: Die Frage spielt dabei auf mehreren Ebenen eine zentrale Rolle. Nehama Leibowitz setzt sie zum einen als Medium und Methode in ihrer Didaktik ein: Die bekanntesten Beispiele sind einerseits ihre Arbeitsblätter zum wöchentlichen Toraabschnitt, die faktisch aus Fragen an den Text bestehen, und andererseits ihre berühmte Frage „Ma kashe le Rashi?“. Ihre Fragetechnik zielt dabei immer darauf, dass die Menschen sich durch ihre Fragen in Beziehung zu dem Text setzen und über den Text, seinen Inhalt reflektieren und rogatives Denken einüben. Fragen, die auf reine Inhaltsangaben oder das Paraphrasieren zielen, lehnte sie grundsätzlich ab. Zum anderen ist ein Hauptziel ihrer Toradidaktik, dass die Schüler:innen selbstständig und aktiv eigene, kritische, fantasievolle Fragen an den Text stellen, auf Schwierigkeiten in ihm stoßen, sich so mit ihm auseinandersetzen und sich in eine Beziehung zu ihm setzen. Die Frage zählt für Nehama Leibowitz dabei mehr als die Antwort. Ein Beispiel dafür ist, dass sie sich am Ende der Gilyonot-Ära besonders bei jenen Schüler:innen bedankt, die ihr auf ihre Fragen wiederum mit eigenen Fragen geantwortet haben. Damit werden die Schüler:innen selber zum Teil der mündlichen Tora. Methodisch sichtbar wird dies in der Anwendung der Brester Methode auf die Tora. Das eigenständige, kritische, fantasievolle Fragen geschieht nicht im luftleeren
5.4 Kritische Würdigung
147
Raum, sondern es setzt ein akribisches Lesen der Tora und der Kommentatoren voraus. Dieses genaue Studium des Textes bildet die Basis der Toradidaktik Leibowitz’. Ihre Toradidaktik ist eine Anweisung zum Lesenlernen. Auch dies geschieht wieder auf verschiedenen Ebenen: Auf der einen Seite liest sie die Bibeltexte und die mittelalterlichen Kommentatoren akribisch. Dies ist besonders deutlich in ihren Kommentierungen der Tora in den Studienbüchern festzustellen. Sie erwartet auch von allen Toralehrenden zunächst ein akribisches Studium des Textes um seiner selbst willen, bevor er bzw. sie anfängt, den Text zu unterrichten. Zum anderen liest sie in ihren Unterrichtsstunden die Texte mit ihren Schüler:innen akribisch. Hierbei verwendet sie die Methode des close reading, der genauen Textlektüre. Zum genauen Lesen der Texte bedarf es wiederum der kritischen, eigenständigen und fantasievollen Frage. Somit stehen Frage- und Lesedidaktik in einem dialektischen Verhältnis zueinander, und das eine kann bei Leibowitz nicht ohne das andere gedacht werden. Nehama Leibowitz inkludierte in und mit ihrer Toradidaktik sehr gegensätzliche Pole. So schlug sie eine Brücke zwischen den Idealen der Haskala und der rabbinischen Tradition, zwischen moderner Bibelauslegung und Orthodoxie und zwischen Toraobservanz und Liberalität und praktizierte darin das Ideal der Tora Im Derech Eretz. Durch die Inklusion dieser verschiedenen, teilweise gegensätzlichen Positionen in ihrer Toradidaktik erreichte und erreicht sie bis heute sowohl orthodoxe als auch säkulare Kreise. Die Tatsache, dass sie sowohl an orthodoxen Jeschiwot als auch an der Tel Aviver Universität und der Hebrew University in Jerusalem unterrichtete, spricht dabei für sich. Sie wird heute von ultraorthodoxen Rabbinern genauso rezipiert wie von feministischen Rabbiner:innen. Der theoretische Hintergrund von Leibowitz vereint mit ihrem Umgang mit den Kommentaren, ihrer Übertragung der Brester Methode auf die Tora und der klassischen jüdisch-rabbinischen Auslegungstradition auf der einen Seite und auf der anderen Seite mit der Methode des close reading und ihrer Rezeption von Benno Jacob moderne Elemente und ist darin anschlussfähig an den wissenschaftlichen Diskurs des 20. Jahrhunderts. In dem Zusammenspiel dieser verschiedenen Methoden und Elemente, und indem sie diese dann wiederum konsequent auf die Tora übertrug und anwendete, ist die Toradidaktik von Nehama Leibowitz ausgesprochen innovativ und inklusiv. 5.4.2 Kritik Innerhalb der Kritik am toradidaktischen Entwurf von Leibowitz wird zwischen innerjüdischer Kritik an dem Entwurf und der Kritik anhand der didaktischen Kriterien der Subjektorientierung, des Beitrags zur Pluralitätsmoderation, der Lehrkraft als religiös ambivalenter Person und der zugrunde gelegten Hermeneutik unterschieden. Mit diesen vier zentralen Elementen wird die Toradidaktik gewissermaßen an einem Ertrag der (post-)modernen evangelischen Religionspädagogik gemessen. Damit wird schon Teil III der Studie
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
vorbereitet, der der Frage nachgeht, wozu jüdische Toradidaktik eine mögliche christliche Toradidaktik herausfordern kann. Innerjüdische Kritik Obschon Nehama Leibowitz als eine der bedeutendsten, wenn nicht sogar als die bedeutendste Toralehrerin des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden kann, gibt es auch einen kritischen innerjüdischen Diskurs über ihr Werk und den Umgang damit im 21. Jahrhundert. Diese Kritik divergiert sehr stark zwischen den unterschiedlichen Strömungen des Judentums. Eine grundlegende Kritik an Leibowitz, die mehr in den Strömungen des konservativen, des liberalen und des säkularen Judentums auftaucht, ist, dass sie auf viele kontroverse Fragen, wie zum Beispiel zu der Stellung der Frau in der Religion, nicht eindeutig Stellung bezogen hat.181 Howard Deitcher sieht ihren Beweggrund dafür, sich nicht festzulegen darin, dass sie ihr Leben lang in der (ultra-)orthodoxen Welt anerkannt bleiben und dort auch unterrichten wollte und ihr diese Akzeptanz nur sicher war, wenn sie in bestimmten Diskursen keine zu progressive Meinung vertrat.182 Innerhalb der (ultra-)orthodoxen Gemeinschaft wurde sie dagegen dafür kritisiert, dass sie für ihren Unterricht der Tora moderne literarische Methoden verwendet, da der Tanach nicht nur Literatur sei, sondern heiliges Wort Gottes. Außerdem transportiert er historische und moralische Informationen, die beide von der literarischen Methode ignoriert werden.183 Zudem musste sie sich in der orthodoxen Welt dafür erklären bzw. rechtfertigen, dass sie nicht nur nichtorthodoxe Bibelkommentatoren wie zum Beispiel Martin Buber und Benno Jacob las und zitierte, sondern sogar christliche Kommentatoren wie Thomas Mann.184 Aus dem Fachgebiet der Pädagogik werden wiederum ganz andere Anfragen an Leibowitz’ Toradidaktik gestellt: Eine Kritik, die es schon zu ihren Lebzeiten gab und die bis heute anhält, ist, dass ihre Toradidaktik extrem voraussetzungsreich,185 insbesondere für Schüler:innen, ist. Ketzerisch ließe sich fragen, ob ihre Toradidaktik von ihrem Niveau her nicht eigentlich für zukünftige 181 Es gibt eine unabgeschlossene Debatte darüber, ob Nehama Leibowitz als Feministin bezeichnet werden kann oder nicht. Vgl. dazu das Kapitel „Feminism and Femininity: A Woman in the Inner Courtyard“ von UNTERMAN, Nehama, 269–307. 182 Sie war an vielen Stellen schon sehr viel progressiver als für die ultraorthodoxe Gemeinschaft üblich, so z.B. in ihrer Art, auch nichtjüdische Bibelkommentatoren unter bestimmten Bedingungen zu zitieren. Vgl. den Unterabschnitt „Die Rolle der Kommentare“ oben im Abschnitt 5.3.1 „Der Text“. 183 Vgl. dazu UNTERMAN, Nehama, 437ff. 184 Vgl. dazu den Abschnitt zu Benno Jacob (oben in Abschnitt 5.2.1). 185 So sollte man z.B., bevor man ihren Unterricht besuchte, einmal die komplette Tora gelesen haben, musste flüssig biblisches Hebräisch können und sich mit den jüdischen Bibelkommentatoren durch alle Jahrhunderte auseinandergesetzt haben.
5.4 Kritische Würdigung
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Tanachlehrer:innen entwickelt wurde und somit höchstens für die Erwachsenenbildung oder sogar nur für ein Fachpublikum geeignet erscheint.186 Hinzu kommt, dass sich die Toradidaktik von Nehama Leibowitz schwer in ein System der Bewertung übertragen lässt, was für den schulischen Kontext aber unvermeidbar ist.187 Ihre Methode stellt zudem hohe Ansprüche an die Lehrkraft, sodass sich die Frage aufdrängt, wer eigentlich wirklich in der Lage ist, diesem Anspruch gerecht zu werden und dementsprechend Tora zu unterrichten, außer sie selber. Durch ihre beeindruckende Persönlichkeit haben viele derzeitige Lehrkräfte zu großen Respekt vor ihrem Werk und ihrer Methode, sodass eine Transformation ihrer Methoden an die Bedürfnisse des Unterrichts und der Schüler:innen im 21. Jahrhundert erschwert werde. Dagegen wendet Frankel ein, dass man im Gegenteil, um Leibowitz’ Methode authentisch anzuwenden, sie stetig verändern müsse: So solle man zum Beispiel immer neue und zeitgenössische Denker:innen und jüdische Torakommentator:innen in den Unterricht mit einbeziehen, um den Dialog über die Tora lebendig zu halten.188 Hinzu kommt, dass Nehama Leibowitz noch zu den Hochzeiten des Mikra-Unterrichts in Israel unterrichtete und die Krise des Mikra-Unterrichts ab den 80er-Jahren nur noch in ihren ersten Ansätzen mitbekommen hat. So kann man mit Marla Frankel kritisch fragen, ob sich ihre Toradidaktik überhaupt auf die aktuellen Probleme und Herausforderungen bzw. die „Krise“ des Mikra-Unterrichts anwenden lässt.189 Leibowitz ging schon recht wenig auf die Lebenswelt der Schüler:innen zu ihrer Zeit ein, noch viel weniger hatte sie die Phänomene der Moderne in Form von Individualisierung, Säkularisierung und Pluralisierung bei ihrer Toradidaktik im Blick bzw. stellte diese nicht in den Fokus ihrer Didaktik.190 So beschreibt ihre Biografin Unterman die postmodernen Herausforderungen: „The search for meaning in a highly fragmented world, and the pursuit of self-awareness, wholeness and belonging; and Nehama’s work only partly addressed these issues.“191 Leibowitz’ Toradidaktik kann für den derzeitigen jüdischen Bibelunterricht nicht schlicht übernommen werden, sondern muss den Anforderungen und Bedürfnissen des 21. Jahrhunderts mit seiner Lebenswelt angepasst werden. 186 Leibowitz hat den größten Teil ihrer Lehrtätigkeit entweder in der Erwachsenenbildung oder an Lehrer:innenseminaren verbracht. Vgl. oben Abschnitt 5.1.2. 187 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 559f. 188 A.a.O., 577f. Leibowitz’ Biografin Unterman zeigt auf den letzten Seiten ihrer Biografie auf, was Ansatzpunkte für eine Transformation von Leibowitz’ Toradidaktik ins 21. Jahrhundert sein könnten. Vgl. UNTERMAN, Nehama, 577–586. 189 Diese „Krise“ bzw. Veränderung besteht unter anderem in dem Stellenwert des MikraUnterrichts insbesondere an säkularen Schulen und die schwindenden Bibelkenntnisse innerhalb der israelischen Gesellschaft. Vgl. unten den Abschnitt „Kontexte“ im Kapitel über Zvi Adar (6.2). 190 Vgl. UNTERMAN, Nehama, 662f. und oben den Abschnitt 5.3.4 „Die Lebenswelt“. 191 A.a.O., 565.
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
Außerjüdische Kritik: Subjektorientierung, Positionalität, Pluralitätsmoderation und Hermeneutik Anhand der didaktischen Kriterien der Subjektorientierung, der Positionalität der Lehrkraft, dem Beitrag des Entwurfs zur Pluralitätsmoderation und der zugrunde gelegten Hermeneutik wird die Konzeption aus didaktischer Perspektive kritisch eingeordnet. In diesen vier Kriterien verdichtet sich ein Ertrag moderner evangelischer Religionspädagogik. Damit bereiten sie jeweils schon die Frage nach den christlichen Rezeptionsmöglichkeiten vor und treten in einen kritischen Dialog aus der Perspektive der christlichen Religionspädagogik mit den Konzeptionen.192 Obschon der Begriff Subjektorientierung sich nicht in Leibowitz’ Toradidaktik findet und die Zentralstellung des komplexen Textes der schriftlichen und der mündlichen Tora auf den ersten Blick diese erschwert, vollzieht sich meines Erachtens die Subjektorientierung im Konzept von Leibowitz auf unterschiedlichen Ebenen: Zum einen ist ein zentrales Moment ihrer Didaktik die Beziehung. Man könnte also durchaus von Subjektorientierung durch Beziehung sprechen. Nehama Leibowitz baute zu den Toralernenden eine je individuelle Beziehung auf, wusste um ihre existenziellen Fragen und antwortete vielen auf die Briefe persönlich. Zum anderen ist ihr Ziel die Selbstständigkeit der Schüler:innen im Denken und Lernen. Sie bevorzugt rebellische Lernende gegenüber einer stillen, fraglosen Klasse und fordert von den Schüler:innen aktive Mitarbeit und selbstständiges Denken, sodass die Texte in den Dialog mit den existenziellen Fragen der Lernenden treten und sie einen eigenständigen Zugang zur Tora entwickeln. Die Methoden sollen den individuellen Kenntnissen der Lerngruppen angepasst und Lehrer:innenvorträge vermieden werden. Kritisch muss trotzdem angemerkt werden, dass sich ihre Toradidaktik eher an Studierende, ältere Schüler:innen oder die Erwachsenenbildung richtet und sie nicht die durchschnittlichen Schüler:innen vor Augen hat oder eine altersgemäße Differenzierung ihrer Didaktik vornimmt. Leibowitz lässt aus orthodoxer Perspektive die Positionalität der Lehrkraft offen, indem sie nicht definiert, ob die Lehrkraft toraobservant leben sollte oder nicht. Sie lässt aber keinen Zweifel daran, dass die Lehrkraft eine eigene Liebe zum Torastudium haben muss und dafür ein persönlicher Bezug zur Halacha und zur orthodoxen Gemeinschaft sinnvoll ist. Ihr Anspruch, dass Lehrende eigentlich zunächst zur magistra bzw. zum magister legens193 werden sollen, ist ambitioniert. Angesichts der Krise des Tanachunterrichts in Israel im 21. Jahrhundert setzt er sich der Gefahr aus, unrealistisch zu wirken. Aber 192
Zur Herleitung der Kriterien vgl. oben den Abschnitt 4.5 „Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis“. 193 Im Vergleich mit dem Rabbinat fordert der Praktische Theologe Alexander Deeg schon in seiner Pastoraltheologie einen „Pastor legens“. Vgl. ALEXANDER DEEG, Pastor legens, in: PTh 93 (2004), 411–427.
5.4 Kritische Würdigung
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innerhalb ihrer Konzeption erscheint er folgerichtig: Tora kann nur unterrichten, wer selbst Tora akribisch, kontrovers, fragend und fantasievoll liest. Die Lehrkraft ist keine religiös ambivalente Person, sondern innerhalb der jüdischen Tradition klar positioniert: Sie sollte ebenfalls Teil des generationenübergreifenden Diskurses der mündlichen Tora über die schriftliche Tora sein. Der Beitrag von Nehama Leibowitz’ Toradidaktik zur Pluralitätsmoderation ist ambivalent: Einerseits ist ihr toradidaktischer Entwurf explizit für Jüd:innen in Israel. Ihre Toradidaktik ist dezidiert jüdisch. Dies äußert sich insbesondere in der großen Priorisierung der hebräischen Sprache, aber auch in ihren Überzeugungen gegenüber dem Staat Israel und der Diaspora. Ihre Toradidaktik ist im religiösen Zionismus verankert. Sie ist in ihrer Radikalität nur vor dem Hintergrund der Schoa, des Zionismus und der Staatsgründung zu verstehen. Leibowitz zieht zwar unter bestimmten Bedingungen zum Beispiel Thomas Manns Auslegung der Josefsnovelle in ihre Exegese mit ein, aber eigentlich bewegt sie sich innerhalb der jüdischen Denkwelt mit einem Schwerpunkt auf orthodoxen Auslegungstraditionen. Einen Dialog mit christlichen oder islamischen Denker:innen gibt es sehr selten. Auch wird die israelische Gesellschaft sehr bewusst als jüdische, die von halachischen Regeln geprägt ist, beschrieben und nicht als eine plurale, in der nicht nur Jüd:innen leben. Die Verknüpfung von Land, Volk und Sprache im religiösen Zionismus als Teil ihrer Bibeldidaktik ist vor dem Hintergrund der Staatsgründung und der Schoa verständlich, birgt aber die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung in sich und muss differenziert kontextualisiert werden. Hier ist der Entwurf schwer in eine säkulare, postmoderne Gesellschaft übertragbar. Andererseits ist ein Phänomen der Toradidaktik Leibowitz’, dass sie von säkular bis orthodox rezipiert wird und innerhalb des Judentums einen enormen Beitrag zur Pluralitätsmoderation leistete, indem sie das Studium und Lesen der Tora zur gemeinsamen Grundlage durch alle Denominationen des Judentums machte. Dieser wird auch in ihrem Umgang mit pluralen und diversen Meinungen, die nebeneinander stehen gelassen und nicht in einer Antwort aufgelöst werden, sowie auch an einer Lust an der Kontroverse deutlich. Die Frage ist Leibowitz wichtiger als die Antwort und steht im Zentrum ihrer toradidaktischen Konzeption. Letztere lässt sich mithin als rogative Didaktik charakterisieren. Nehama Leibowitz’ Hermeneutik folgt der rabbinischen Grundannahme von Ben Bag Bag aus dem Mischnatraktat Avot, dass man die Tora nur lange genug wenden, also lesen und studieren müsse, um eine Antwort auf alle Fragen zu finden; denn alles sei in ihr enthalten. Leibowitz überführt diese rabbinische Hermeneutik in eine Didaktik der Tora. Ihr Ausgangspunkt ist die Omnisignifikanz der Tora und darin eine Treue zu ihr in allen ihren Details. Aus der Perspektive der christlichen Religionspädagogik ergeben sich meiner Meinung nach vier Aspekte: zum einen, wie sich diese Treue zur Tora zu der historischkritischen Methode und zur modernen Bibelwissenschaft verhält bzw. ob sie
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Kapitel 5: Toradidaktik von Nehama Leibowitz
nicht in einem Widerspruch zu ihr steht. Meines Erachtens liegt aber gleichzeitig ein Lernpotenzial von Leibowitz’ Methode zugrunde: Mithilfe von sich widersprechenden Kommentaren setzt sie die Lernenden auf die Spur der Problemstellungen und Widerspenstigkeit der Texte. Ihre Erwartung, dass die Lernenden darin zu einem Teil der mündlichen Tora werden, eröffnet einen Raum und die Perspektive, um über das Gegeneinander von Tora als göttlicher Offenbarung und ihrer historisch-kritischen Texteinordnung hinauszukommen, von dem die christliche Bibeldidaktik produktiv profitieren könnte. Eine zweite Frage ist, wie mit Spannungen und Widersprüchen innerhalb der Texte der Tora umzugehen ist, zumal dann, wenn sie halachische Implikationen haben. Ein dritter Aspekt ist die liturgische Einbettung ihrer Didaktik. Leibowitz folgt in ihrer Toradidaktik der synagogalen Lesereihenfolge der Parashat haShavua, innerhalb derer die Tora einmal im jüdischen Jahr von Anfang bis Ende gelesen wird. Darin liegt einerseits eine Stärke ihres Zugangs zu den Texten der Tora, weil sie in ihrem Kontext und in der Ganzschrift gelesen werden und sich dann jährlich wiederholen. Andererseits ist genau das nur im Kontext des staatlich-religiösen Schulsystems möglich und kaum auf den deutschen Kontext übertragbar. Und schließlich folgt aus der Omnisignifikanz die Methode des close reading, die zum langsamen und genauen Lesen zwingt und von der die Bibeldidaktik profitieren könnte. 5.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten Nehama Leibowitz stellt die Tora mit ihrer Omnisignifikanz in den Mittelpunkt ihrer Didaktik. Ihr ganzer Unterricht besteht aus dem Unterricht der Tora, die sie dem jährlichen Rhythmus der Wochenabschnitte folgend zyklisch liest, lernt und unterrichtet. Diese Monothematik soll und kann nicht auf den christlichen Religionsunterricht übertragen werden, aber sie stellt die kritische Frage nach dem Stellenwert der biblischen Texte sowie ganz konkret nach der Tora in ihrer Eigenlogik als zusammenhängendes Werk im Religionsunterricht. Aufgenommen wird dieser Ansatz in Teilen in den Entwürfen, Ganzschriften im Unterricht zu lesen.194 Leibowitz liest die Texte im Wechselspiel von schriftlicher und mündlicher Tora. Diese jüdische Tradition kann nicht übernommen werden, aber das Konzept der mündlichen Tora kann dahin gehend einen Impuls darstellen, dass sie immer wieder die Aktualisierung der Tora in die Gegenwart fordert und vollzieht. Damit wird das offene Ende der Tora ernst genommen. Ebenso können ihre rogative Didaktik, das akribische Lesen, die kontroverse Diskussion, die die Ambiguität nicht nur aushält, sondern fordert und als Bereicherung erlebt, als Methode der Texterschließung einen weiterführenden Impuls darstellen. Für Leibowitz folgt aus dem Studium der Tora das Tun der Tora. Obschon die jüdische Toraobservanz mit ihren 613 Mizwot 194
Vgl. M. ZIMMERMANN, Die ganze Genesis lesen.
5.4 Kritische Würdigung
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sich nicht auf den christlichen Kontext übertragen lässt, lohnt die stetige Frage nach den Konsequenzen des Torastudiums, nach dem konkreten, alltäglichen Tun als religionspädagogischer Impuls. Eine Herausforderung für eine christliche Toradidaktik liegt in Teilen ihres Toraverständnisses: Sie versteht die Tora als Heilige Schrift, die zum Volk Israel im Land Israel spricht. Hier spiegelt sich ihre Zugehörigkeit zum modern-orthodoxen Judentum und zum religiösen Zionismus wider. Obschon diese Haltung vor dem Hintergrund der Schoa und der frühen Staatsgründung nachvollziehbar ist, stellt sie aus christlicher Perspektive in ihrer Zentralisierung auf das Volk und das Land und in der Betonung der Heiligkeit des Textes zwei hermeneutische Herausforderungen dar. Zum einen wird dadurch deutlich, dass eine Toradidaktik einer angemessenen Hermeneutik bedarf, die die Tora mit ihrer doppelten Nachgeschichte liest und interpretiert. Zudem stellt der Grundsatz der Heiligkeit der Tora die Frage nach dem Verhältnis zum in der christlichen Theologie verbreiteten Paradigma der historisch-kritischen Exegese. Leibowitz lehnt diese Methode ab und postuliert demgegenüber die Omnisignifikanz der Tora. Hierin sehe ich einen weiteren Impuls; gleichzeitig ist für den Kontext des christlichen Religionsunterrichts meines Erachtens die historisch-kritische Methode als eine, aber keineswegs einzige Art der Texteinordnung und -analyse unverzichtbar.
Kapitel 6
Toradidaktik von Zvi Adar Der israelische Erziehungswissenschaftler Zvi Adar entwickelte in den Jahrzehnten nach der israelischen Staatsgründung einen bibeldidaktischen Entwurf für den Tanachunterricht an staatlich-allgemeinen Schulen, der die Bibel als Erziehungs- und Weltliteratur, als Fundament der jüdischen Ethik, Kultur und Identität definiert und als jüdische Paideia liest. Mit ihm liegt ein Entwurf aus dem säkularen Judentum vor, der den Tanach nichtreligiösen, modernen Israelis mit einem intellektuellen Zugang nahebringen und darin eine Begegnung zwischen Lesenden und den Texten initiieren will. Der Entwurf von Adar ist bis heute für den Tanachunterricht an staatlich-allgemeinen Schulen in Israel prägend und kann in vielerlei Hinsicht als ein Gegenentwurf zu der Toradidaktik von Nehama Leibowitz bezeichnet werden. Ich zeichne zunächst in den Biografischen Notizen (6.1) seinen Werdegang nach; beschreibe dann in den Kontexten (6.2) Selbstverständnis und Torabezug vom säkularen Judentum und das säkulare Schulsystem in Israel mit seinem Tanachunterricht als Lernort seiner Didaktik; entfalte anschließend seine Toradidaktik anhand des didaktischen Vierecks (6.3), und würdige abschließend kritisch seinen toradidaktischen Entwurf (6.4).
6.1 Biografische Notizen 6.1 Biografische Notizen
Über Zvi Adar existiert im Gegensatz zu Nehama Leibowitz keine einzige veröffentlichte Biografie.1 Sein Verständnis der Didaktik des Tanach erschließt sich jedoch vor dem theoretischen Hintergrund seines Arbeitens und den zeitgeschichtlichen Entwicklungen: Zvi Adar wurde 1917 in Petach Tikwa, östlich von Tel Aviv, in einer traditionellen jüdischen Familie geboren. Er war „ein Repräsentant der jungen Generation, die in Eres Israel geboren“2 und in den neugeschaffenen hebräischsprachigen Bildungseinrichtungen vor der Staatsgründung in der ersten Hälfte
1 Dementsprechend ist es auch viel schwieriger, an biografische Informationen über ihn zu gelangen. Darin liegt auch die Tatsache begründet, dass die Darstellung hier an manchen Stellen lückenhaft bleibt. 2 SCHONEVELD, Bibel, 52.
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
des 20. Jahrhunderts und durch sie sozialisiert und geprägt wurde.3 So hat er das traditionsreiche hebräische Herzlia-Gymnasium in Tel Aviv4 besucht und dort schon eine bestimmte Form des Tanachunterrichts kennengelernt, die seine spätere Toradidaktik beeinflusst hat. Die prägende Person dieses Bibelunterrichts war Ben-Zion Mossinson (1878–1942),5 bekannter Bibellehrer vom Herzlia-Gymnasium6 und ein Pionier auf dem Feld des Tanachunterrichts in Erez Israel; von 1912 bis 1941 war er zudem der Direktor der Schule. Das Ziel des Bibelunterrichts an seiner Schule beschrieb Mossinson im Jahrbuch 1909 folgendermaßen: Beim Bibelunterricht gilt das Hauptaugenmerk dem Ziel, sicherzustellen, daß die Schüler im Blick auf Sprache und Gedankengut ein klares Verständnis alles dessen erhalten, was im Buch der Bücher geschrieben ist; vor allem aber soll die Bibel [als] die Quelle für ihr Wissen über das politische, soziale und moralische Leben der alten Hebräer deutlich sichtbar gemacht werden, damit für ihn eine dauernde Quelle nationalen Stolzes der Verehrung der leuchtenden Vergangenheit und der Hoffnung und Zuversicht auf eine helle Zukunft wird.7 3 Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war das hebräische Schulwesen in Israel von sehr geringer Qualität. 1892 versuchte sich eine Gruppe von Lehrern zu organisieren, um das Unterrichtsniveau zu heben. Sie entwickelten einen Lehrplan, der zwar nie umgesetzt wurde, aber schon anzeigt, wie zionistisch die richtungsweisenden Lehrkräfte damals dachten: So sollten sich Schüler:innen zu Beginn der Schullaufbahn vier Jahre mit dem ganzen Tanach beschäftigen und diesen durcharbeiten. Dabei gab es zwei Besonderheiten: Der Unterricht begann nicht bei der Genesis, sondern bei der Landnahme mit Josua, und bei den hinteren Propheten begann er mit Deuterojesaja und damit mit der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil. Sowohl die Gesetzestexte der Tora als auch die mündliche Tradition spielten im Unterricht kaum eine Rolle. Der Lehrplan stand unter dem Einfluss der Haskala, aber auch der nationalen Wiederbelebung. Vgl. a.a.O., 23f. 4 Das Herzlia-Gymnasiuim ist das erste hebräische Gymnasium der Stadt. Die Schule wurde im Oktober 1905 im damals osmanischen Jaffa gegründet. 1909 wurde dann das berühmte Gebäude der Schule in der Herzel-Straße nach dem Vorbild des salomonischen Tempels erbaut, welches bis zu seinem Abriss 1962 eines der wichtigsten Wahrzeichen der Stadt war. Vgl. MICHAEL BRENNER, Geschichte des Zionismus, München 32008, 63. 5 Zu Ben-Zion Mossinson vgl. ABRAHAM AHARONI, Art. Mossinson, Benzion, in: EJ2 14 (2007), 567. 6 Als Tanachlehrer wurde Ben-Zion Mossinson von vielen seiner Schüler verehrt, die er lebenslang geprägt hat. So beschreibt einer von ihnen beispielhaft seinen Unterricht folgendermaßen: „Erst nach dem Unterricht bei Dr. Mossinson gewann der Tanach in meinen Augen eine echte, tiefe Heiligkeit. Bis dahin war mir die Bibel auf solche Weise heilig, daß ich sie aufgehoben und den Einband geküßt hätte, wenn sie zu Boden gefallen wäre. Seit meinem Unterricht am Gymnasium küsse ich sie jeden Augenblick, sie braucht nicht erst herunterzufallen, damit ich sie küsse. Ich küsse sie Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe, und wenn ich sie aufrecht und erhobenen Hauptes küsse, sehe ich den Propheten vor mir, den Supermann, an seiner Seite die brennenden funkelnden Augen meines Lehrers Ben-Sion Mossinson“ (BARUKH BEN-JEHUDA, Die Geschichte des Herzlija-Gymnasiums [hebr. סיפור ]של הגימנסיה הרצליה, Tel Aviv 1970, 111, zitiert nach SCHONEVELD, Bibel, 30). 7 Aus dem Bericht des Hebräischen Gymnasiums in Jaffa für das Jahr 5669 (1909), zitiert nach SCHONEVELD, Bibel, 26.
6.1 Biografische Notizen
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Der Tanachunterricht hatte im Curriculum der Schule eine Zentralstellung, jedoch nahm die Schule dezidiert keinen Einfluss auf religiöse Einstellungen der Schüler:innenschaft. Die Schüler:innen lernten Tanach und Talmud, aber auch jüdische Gebete wie Literatur, um die hebräischen Sprachkenntnisse zu verbessern und zu erweitern. 1910 erschien in der ersten Auflage der Zeitschrift der hebräischen Lehrerunion Ha-Hinnukh ein Artikel von Mossinson über den Tanachunterricht, der maßgeblich und prägend für den weiteren Bibelunterricht wurde.8 Sein Leitgedanke stellt die Rückkehr weg von der rabbinischen Literatur hin zum Tanach dar, da er der Erneuerung der hebräischen Sprache zugrunde liege und das Band zwischen Volk und Land darstelle. Dies müsse im Zentrum des Tanachunterrichts stehen. Seiner Meinung nach habe der Tanach die Talmudliteratur als die Hauptstütze der jüdischen Erziehung abgelöst. Der Schwerpunkt bei der Beschäftigung mit dem Tanach verlagerte sich dementsprechend von der Tora auf die Propheten, eine Schwerpunktsetzung, die sich auch in dem bibeldidaktischen Werk von Zvi Adar niederschlug. Die säkularen sowie die gemeinschaftsbezogenen Elemente der Bibel wurden betont. Statt traditioneller Kommentare (z.B. Raschi etc.) wurde die moderne liberale Bibelkritik in der Schule eingeführt.9 Die Bibel galt nicht als Heilige Schrift oder Quelle göttlicher Führung, sondern stand in hohem Ansehen, „weil sie die Quelle nationaler Würde und nationalen Stolzes für die Juden“10 war. Diese säkulare und nationale Lesart des Tanach wurde nicht nur positiv aufgenommen, sondern auch kritisiert.11 Den größten Kritikpunkt stellen der Mangel an religiöser Erziehung und die Aufnahme der modernen Bibelkritik dar. Prominenteste Kritiker war Achad Ha’am (1856–1927), der die Schule 1911 besuchte, das mangelnde Interesse an gesetzlichen Teilen des Tanach hinterfragte und forderte, dass der Tanach in der überlieferten und über Jahrhunderte studierten Form Grundlage des Unterrichts werden sollte. Die Zeit des Exils und die dort entwickelten Traditionen sollten ebenso eine bedeutende Stellung im Unterricht einnehmen, da sie Teil der jüdischen Identität seien. Mit Achad Ha’am und Mossinson treffen, so beschreibt es Schoneveld, zwei entgegengesetzte Überzeugungen innerhalb des säkularen Zionismus aufeinander:
8 BEN-ZION MOSSINSON, „Der Tanach in der Schule“ (hebr. )התנייך בבית הספר, in: HaHinnukh 1 (1910), 23–32.110–119. 9 Vgl. SCHONEVELD, Bibel, 28–30. 10 A.a.O., 31. 11 Das Herzlia-Gymnasium mit seiner Didaktik des Tanachunterrichts wurde von zionistischen Kreisen genau beobachtet und diskutiert, da es das erste Gymnasium war, an dem versucht wurde, die zionistischen Erziehungsideale in Erez Israel umzusetzen.
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
Mossinsons Ansicht spiegelt die revolutionäre Strömung im Geiste eines Berditchewsky, Brenner und Klatzkin: Der Jude, der nach nationaler Unabhängigkeit strebt, muß das traditionelle Bild des Judentums ablegen und gänzlich neue Verhaltensmuster schaffen, die in radikalem Gegensatz zu den ungesunden Diasporabedingungen stehen. Ahad Ha’am auf der anderen Seite, obwohl unfähig, den religiösen Glauben zu bejahen, der das jüdische Leben und Denken durch die Jahrhunderte getragen hat, versucht, die jüdische Tradition als nationale Kultur zu definieren und diese lange Tradition, wenn auch in nichtreligiöser Interpretation, zur Grundlage der nationalen Wiedergeburt in Eres Israel zu machen.12
In diesem Geiste des säkularen Zionismus und der Rolle des Tanach für ihn erfolgte Zvi Adars Schulbildung. Nach dem Studium an der Hebrew University in Jerusalem wurde er zunächst von 1938 bis 1953 Lehrer am Beit-Ha-KeremLehrerseminar, dem heutigen David-Yellin-College.13 Parallel unterrichtete er schon an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Hebräischen Universität. 1949 promovierte er über den englischen Philosophen und Vertreter des englischen Idealismus, Francis Herbert Bradley (1846–1924).14 Adar war ab 1951 Professor für Erziehungswissenschaften an der Hebräischen Universität in Jerusalem und entwarf seine Didaktik des Tanach im Rahmen seines erziehungswissenschaftlichen Konzeptes. In seiner erziehungswissenschaftlichen Studie Was ist Erziehung?,15 die die Probleme der Erziehung analysiert, kommt er zu dem Ergebnis, daß echte Erziehung danach strebt, den Menschen menschlicher zu machen in dem Sinne, daß er der Idee des Menschen näherkommt, die aus einem in steter Entwicklung begriffenen, sich immer wieder wandelnden Konsensus von großen geistigen Persönlichkeiten entsteht, die wahrhaft menschliche Kultur vom Anfang bis zur Gegenwart gestaltet haben.16
Dieser Prozess sei nicht in einer Generation abgeschlossen, sondern ziehe sich durch die Generationen; deswegen sei es eine Aufgabe der Erziehung, jede 12
So fasst es Schoneveld zusammen: SCHONEVELD, Bibel, 33. Das College wurde im Jahr 1913 von David Yellin als eines der wenigen, die schon damals auf Hebräisch unterrichtet haben, gegründet. Die Studierenden des College haben bei den arabischen Aufständen 1929 und 1936–1936, im Zweiten Weltkrieg, im Unabhängigkeitskrieg 1948 und im Sechs-Tage-Krieg eine wichtige Rolle bei der Verteidigung des Stadtteils Beit Ha-Kerem, in dem das College liegt, gespielt. Heute kann man an dem Lehrer:innenseminar eine große Anzahl an Fächern studieren. Zu den ca. 5000 Studierenden gehören Menschen aus allen Gruppen der israelischen Gesellschaft, so z.B. religiöse und säkulare Jüd:innen, christliche und muslimische Araber:innen und Drusen. Vgl. DAVID YELLIN ACADEMIC COLLEGE OF EDUCATION, Internetpräsenz, https://www.dyellin.ac.il/ (03.07.2022). 14 Vgl. ZVI ADAR, Die Philosophie von F.H. Bradley (hebr. )הפילוסופיה לברדלי, Jerusalem 1949. 15 Vgl. ZVI ADAR, Was ist Erziehung? Zur Klärung des Ziels der Erziehung und der erzieherischen Autorität (hebr. )החינוך מהו? לבירור מטרת החינוך והסמכות המחנכת, Jerusalem 1952, 21963. Vgl. dazu ebenfalls DERS., Fundamente der Erziehung (hebr. )יסודות החינוך, Tel Aviv 1973. 16 SCHONEVELD, Bibel, 55. 13
6.1 Biografische Notizen
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neue Generation wieder mit den Grundwerten der Menschheit vertraut zu machen. Adar greift in diesem Ansatz den Ausspruch des französischen Philosophen Blaise Pascal (1623–1663) auf, dass die Menschheit wie ein einziger Mensch sei, der ständig lerne. Schon hier scheint das humanistische Bildungsideal auf, welches das Werk Adars durchdringt. Wenn die Menschheit immer lernend unterwegs ist, könne aber keine Quelle der Tradition oder der Vergangenheit letzte Autorität haben, sondern müsse fortwährend geprüft und bewertet werden: „Kultur befindet sich immer in Entwicklung, weil sie sich immer selbst kritisiert.“17 Erziehung findet dabei nie im luftleeren Raum statt, sondern immer unter gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. „Das Wesen der Erziehung besteht in der Weitergabe der Kultur an die folgende Generation.“18 Hierbei spielt wiederum die Hebräische Bibel nach Adar eine zentrale Rolle, da sie zu den größten Schätzen der menschlichen Kultur gehöre und deswegen eine entscheidende Grundlage für die humanistische Erziehung und Bildung der Menschen darstelle. Adar betrachtet den Tanach als klassische Erziehungsliteratur. Er ist damit ein typischer Vertreter des israelischen Humanismus, der definiert werden kann als „ein Denksystem und eine Erziehungsmethode, die gegen die religiöse Autorität des Judentums revoltiert und nach einem Weg zu den menschlichen Kulturwerten einschließlich der Werte des Judentums sucht […] auf der Grundlage des Axioms des Protagoras: Der Mensch ist das Maß aller Dinge“.19 Im Laufe seiner Universitätskarriere hat Adar eine große Publikationstätigkeit zu unterschiedlichen Themenfeldern entfaltet: Als sein Hauptwerk gilt bis heute Ha-Arakhim ha Hinnukhiyyim shel ha-Tanakh (1954; Humanistic Values in the Bible, 1968),20 welches auch das entscheidende Werk für seine Bibeldidaktik darstellt und als Grundlage für die folgenden Darstellungen dient. Darüber hinaus hat er Einführungen in verschiedene biblische Bücher verfasst, am prominentesten und auch ins Englische übersetzt ist die Einführung ins Buch Genesis.21 Zudem hat er sich der literarischen Form der 17
ADAR, Erziehung, 107. Übersetzung nach SCHONEVELD, Bibel, 56. SCHONEVELD, Bibel, 56. 19 SHEMARJAHU TALMON, „Die Bibel im Humanismus unserer Generation“ (hebr. )המקרא בהומניסמוס של דורנו, in: Ha-Universita 14 (1969), 6f., nach der Übersetzung von SCHONEVELD, Bibel, 57. Vgl. dazu auch SHEMARJAHU TALMON, The Bible in Contemporary Israeli Humanism, in: Jdm 21/1 (1973), 79–83. 20 ZVI ADAR, Humanistic Values in the Bible, New York 1967. Daneben gibt es noch: DERS., Untersuchungen zum Tanach zu und seinem Unterricht (hebr. )עיונים בתנייך ובהוראתו, Tel Aviv 1983. 21 ZVI ADAR, The Book of Genesis. An Introduction to the Biblical World, Jerusalem 1990. Zudem gibt es noch einzelne Bücher: DERS., Die Josefsnovelle und ihr Unterricht (hebr. )סיפור יוסף והוראתו, Jerusalem 1951; DERS., Die Mosegeschichte und ihr Unterricht (hebr. )סיפור משה והוראתו, Jerusalem 1951; DERS., Der Psalter (hebr. )ספר תהלים, Tel Aviv 1976; DERS., Jeremia der Prophet (hebr. )ירמיהו הנביא, Tel Aviv 1972. 18
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
biblischen Erzählungen,22 der Frage nach biblischer Anthropologie und der Gottesfrage in den biblischen Texten gewidmet.23 Einen weiteren Schwerpunkt seines Arbeitens stellte die ländervergleichende Theorie der jüdischen Erziehung dar. In diesem Forschungsfeld leistete er für die Theorie der jüdischen Erziehung Pionierarbeit. So verfasste er eine umfangreiche Studie zu jüdischer Erziehung in Israel und den USA und beschäftigte sich mit jüdischer Erziehung in Südafrika.24 Darüber hinaus war er einer der Herausgeber der Enziklopedyah Hinnukhit (1961–1969). 1969 war er Dekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Hebrew University. Im Jahr 1991 verstarb Zvi Adar im Alter von 74 Jahren in Jerusalem.25
6.2 Kontexte 6.2 Kontexte
Zvi Adar lässt sich in der Strömung von säkularen Jüd:innen verorten. Um sein Verständnis des Judentums und des Tanach besser einordnen zu können, wird ein Verständnis von jüdischem Säkularismus bzw. von säkularem Judentum26 skizziert. Daran schließt sich eine Erläuterung des säkularen Toraverständnisses an. In einem zweiten Teil stelle ich den Tanachunterricht an staatlichallgemeinen Schulen in Israel und seine kulturelle Bedeutung dar. Adar entwarf seine Bibeldidaktik für diesen Kontext und in ihm; dieser unterliegt aber einem starken Wandel, den ich abschließend skizziere.
22
ZVI ADAR, The Biblical Narrative, Jerusalem 1959. Zum Thema Gott im Tanach vgl. ZVI ADAR, Gott im Tanach (hebr. )האלוהים בתנייך, Tel Aviv 1984; zur biblischen Anthropologie vgl. DERS., Die biblische Konzeption des Menschen (hebr. )תפישת האדם בתנייך, Tel Aviv 1979; zu philosophisch-ethischen Fragen vgl. DERS., Das gute Leben (hebr. )החיים הטובים, Tel Aviv 1978. 24 ZVI ADAR, Jewish Education in Israel and in the United States. Translated, with a postscript, by Barry Chazan, Jerusalem 1977; DERS., Jewish Education in South Africa. A Report, Jerusalem 1965. 25 Die Fakultät für Erziehungswissenschaft hat nach seinem Tod einen kleinen Sammelband zu seinem Gedenken herausgegeben, der ihn insbesondere als Lehrer des Tanach und als prägende Kraft für den Tanachunterricht an staatlich-allgemeinen Schulen würdigt. Vgl. FAKULTÄT DER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT DER HEBRÄISCHEN UNIVERSITÄT JERUSALEM (Hg.), Zum Gedenken an Zvi Adar (hebr. )לזכרון לצבי אדר, Jerusalem 1993. Vgl. dazu auch ZVI ADAR, The Character and Direction of Non-Religious Education in Israel, in: Eliezer Schweid/Ders. (Hg.), Judaism as a Culture. Confrontation, Jerusalem 1980. 26 Vgl. ELIEZER SCHWEID, The Idea of Modern Jewish Culture, Boston 2008; DERS., A History of Modern Jewish Religious Philosophy, Boston 2011. 23
6.2 Kontexte
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6.2.1 Denomination und Toraverständnis Denomination Vor dem Verständnis des Judentums als einer Religion klingt „jüdischer Säkularismus“ bzw. „säkulares Judentum“27 nach einem Oxymoron. Diese Vorstellung, dass das Judentum in der jüdischen Religion aufgehe, greift zu kurz und schließt einen großen Teil des säkularen Judentums aus, obschon dieser seit der Haskala, der jüdischen Aufklärung, viele jüdische Schriften hervorgebracht und einen entscheidenden Teil zur jüdischen Kultur beigetragen hat. Die folgende Passage des israelischen Schriftstellers Yizhar Simlansky (1916–2006) aus dem Essay „Mut zur Säkularität“ beschreibt das säkulare Selbstverständnis als ein nichtreligiöses Verständnis von Mensch und Welt bei Beibehaltung jüdischer Tradition: Säkularität bedeutet weder Permissivität noch gesetzloses Chaos. Sie verwirft nicht die Tradition und wendet sich nicht von der Kultur, deren Einfluß und Errungenschaften ab. Derlei Anschuldigungen sind nichts als billige Demagogie. Bei Säkularität handelt es sich um ein anderes, ein nicht-religiöses Verständnis von Mensch und Welt. Der Mensch mag von Zeit zu Zeit durchaus das Verlangen haben, nach Gott zu suchen. Der Charakter dieser Suche ist nicht belangvoll. Es gibt keine fix und fertigen Antworten oder Gnadenerweise, abgepackt und gebrauchsfertig. Und die Antworten selbst sind Fallen: Gib deine Freiheit auf, um Ruhe und Frieden zu erlangen. Gottes Name spendet Ruhe und Frieden. Doch Ruhe und Frieden werden verfliegen, und einmal wird die Freiheit aufgebraucht sein. Und dann?28
Säkulares Judentum setzt sich bewusst mit den jüdischen Quellen der Tradition auseinander, auch mit den religiösen Quellen. Selbstbewusste, säkulare jüdische Individuen streben dabei aber nicht nach Ruhe und Frieden, sondern, so Amos Oz (1939–2018) und Fania Oz-Salzberger (*1960) in ihrem Buch Juden und Worte, es kommt ihnen auf eine „intellektuelle Beweglichkeit an, auch schätzen sie Fragen mehr als Antworten“.29 Für Oz und Oz-Salzberger ist die 27
Wie es nicht das eine Judentum gibt, so auch nicht das eine Verständnis von säkularem Judentum. Im Folgenden werden einige Aspekte von säkularem Judentum erläutert, die für das Verständnis von Adars bibeldidaktischem Entwurf hilfreich sind. 28 Yizhar Simlansky ist unter dem Pseudonym Samech Yizhar bekannt. Das Zitat in der deutschen Übersetzung stammt aus: AMOS OZ/FANIA OZ-SALZBERGER, Juden und Worte, Berlin 42020, 16. Yizhar Simlanskys Essay „The Courage to Be Secular. The Religious, the Non-Religious, and the Secular“ erschien auf Hebräisch in: Shdemot 79 (1981). Eine englische Übersetzung findet sich in: New Jewish Culture. New Jewish Thought in Israel, hg. v. Yaakov Malkin (2017), 313–323. 29 OZ/OZ-SALZBERGER, Juden, 16. Oz und Oz-Salzberger bezeichnen sich selbst als nichtreligiöse israelische Jüd:innen. Für sie sind für diese Identitätsbeschreibung vier Elemente maßgeblich: 1) Sie glauben nicht an Gott; 2) Hebräisch ist ihre Muttersprache; 3) ihre Identität speist sich aus hebräischen und nichthebräischen jüdischen Texten und Worten. Diese Texte sind ihr kulturelles und intellektuelles Tor zur Welt, trotzdem sind sie nicht religiös; 4) „Viertens schließlich leben wir jetzt in einem kulturellen Klima – im modernen und säkularen Bereich der israelischen Gesellschaft –, in dem zunehmend das
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jüdische Tradition in all ihren Facetten Quelle der Auseinandersetzung, und die säkulare Lesart der Texte befindet sich in Kontinuität zu und im Dialog mit der jüdischen Tradition. Sie beschreiben diesen Dialog zwischen den Generationen in Kontinuität zu den religiösen Quellen folgendermaßen: Kontinuität im Judentum war immer an verbal geäußerte und geschriebene Worte geknüpft, an ein ausuferndes Geflecht von Interpretationen, Debatten und Meinungsverschiedenheiten sowie an ganz einmalige zwischenmenschliche Verhältnisse. In Synagoge und Schule, vor allem aber zu Hause, umfaßte es zwei oder drei ins Gespräch vertiefte Generationen.30
Judentum definiert sich für Oz und Oz-Salzberger dabei nicht über Nationalität oder Ethnie, sondern über das Lesen und Diskutieren jüdischer Texte – und das kann ebenso mit einer säkularen wie mit einer religiösen Hermeneutik erfolgen.31 Eine ähnliche These vertritt David Biale (*1949), Professor für jüdische Geschichte, in seinem seit 2015 durch das Simon-Dubnov-Institut der deutschsprachigen Wissenschaft zugänglich gemachten Buch. Seine Grundannahme über das säkulare Judentum ist, „dass dem jüdischen Säkularismus eine Tradition mit spezifischen, unverwechselbaren Charakteristika zu eigen ist, die zum Teil auf seinen prämodernen Quellen gegründet sind“,32 und „dass viele der eingeschworensten Kritiker der Religion, die wir Säkularisten nennen, sich der von ihnen umgestoßenen Tradition nie entziehen konnten“.33 Damit wurde ein Zitieren aus der Bibel, die Bezugnahme auf den Talmud und selbst das schiere Interesse an jüdischer Vergangenheit mit politisch pigmentierter Tendenz bestenfalls als atavistisch, schlimmstenfalls als nationalistisch und triumphalistisch identifiziert werden. Die gegenwärtig zu beobachtende linksliberale Abkehr von allem, was jüdisch ist, hat viele, zum Teil verständliche Gründe, aber sie beruht auf einem Irrtum“ (a.a.O., 15). 30 Vgl. a.a.O., 13, siehe auch das ganze Kapitel in dem Buch zum Thema der jüdischen Kontinuität, a.a.O., 13–76. 31 Oz und Oz-Salzberger gehen dabei in ihrer Definition sehr radikal vor, welche Art von Herkunft lohnend sei, eingefordert zu werden: „Es geht uns nicht um Steine, Stämme und Chromosomen. Man muß weder Archäologe noch Anthropologe oder Genetiker sein, um jüdische Kontinuität auszumachen und zu untermauern. Man muß kein orthodoxer Jude sein. Man muß überhaupt nicht jüdisch sein. Übrigens auch kein Antisemit. Nur ein Leser“ (a.a.O., 14). Kurz und knapp lautet ihre These deswegen: „Um eine jüdische Familie zu bleiben, mußte eine jüdische Familie sich zwangsläufig auf Worte beziehen. Nicht auf irgendwelche Worte, sondern auf Worte aus Büchern“ (a.a.O., 42). 32 DAVID BIALE, Traditionen der Säkularisierung. Jüdisches Denken von den Anfängen bis in die Moderne, aus dem amerikanischen Englisch von Liliane Meilinger, Göttingen 2015, 18. Biale untersucht in seiner Studie Autor:innen und ihre Ideen, die ideologisch den säkularen Weg einschlugen, sich aber trotzdem mit den jüdischen Traditionen in ihren politischen, metaphysischen und kulturellen Dimensionen beschäftigten und so Beiträge zu einem jüdisch-säkularen Literaturkorpus bewusst oder unbewusst leisteten. „In ihrer Gesamtheit betrachtet schufen sie eine moderne Tradition, welche die religiöse, als ‚Judentum‘ bezeichnete Tradition nicht nur infrage stellte, sondern sogar ersetzen wollte“ (a.a.O., 13). 33 A.a.O., 205. Er bezieht sich dabei auf den Jeschiwa-Schüler Isaac Deutscher, der in seinem Essay „Der nichtjüdische Jude“ die These aufstellte: „Der jüdische Abtrünnige, der
6.2 Kontexte
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säkulares Verständnis des Judentums samt Literaturkorpus und Selbstverständnis geschaffen. Für dieses säkulare34 Selbstverständnis sind zwei Aspekte entscheidend: Geschichte und Kultur. Davon ausgehend entwickelt es eine eigene Hermeneutik und Interpretation des Judentums. Eine Reihe von Denker:innen schlägt in einer Aktualisierung der Argumentation des Sohar, dem bedeutendsten Schriftwerk der Kabbala, der jüdischen Mystik, vor, dass das Judentum auf drei Konzepten beruhe: Gott, Tora und Israel.35 Dagegen weisen einige jüdische Säkularisten stets die Vorstellung einer Essenz des Judentums zurück und interpretieren die drei genannten Aspekte neu. Jüdischer Säkularismus kann „als ein Versuch angesehen werden, eine Gegentradition herauszubilden, eine Alternative zum Judentum als einer Religion mit einer eigenen intellektuellen Entwicklungsgeschichte“.36 Säkulares Judentum ist divers und entfaltet sich in unterschiedlichen Ausprägungen. So stellen zum Beispiele Teile des Zionismus eine konkrete Ausprägung von säkularem Judentum dar. Insbesondere in den USA, aber inzwischen auch in Israel hat es zum anderen seit Beginn der 1960er-Jahre im humanistischen Judentum eine Ausdrucksform gefunden. Humanistische Jüd:innen leben die jüdische Tradition ohne einen Bezug zur göttlichen Macht, sondern stellen den Menschen und das Judentum als Kulturpraxis mit einer speziellen Geschichte in den Mittelpunkt.37
über das Judentum hinausgelangt, steht in einer jüdischen Tradition“ (ISAAC DEUTSCHER, Der nichtjüdische Jude. Essays, Berlin 1968, 60). 34 Biale definiert Säkularisierung im Kontext seiner Studie folgendermaßen: Zunächst hält er Zurückhaltung bei dem Versuch, den jüdischen Säkularismus umfassend oder essenziell zu definieren, für angebracht. Da es sich um ein sehr komplexes Phänomen handelt, bevorzugt Biale eine phänomenologische Definition, die sich aus den Quellen ergibt. Gleichzeitig greift er mit Talal Asad zwei separate, wenn auch miteinander in Verbindung stehende Bedeutungen des Wortes auf. „In Asads Vokabular bezieht sich ‚säkular‘ auf eine metaphysische Position: die Ablehnung des Übernatürlichen zugunsten einer materialistischen Weltsicht. Andererseits meint ‚Säkularismus‘ den politischen Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat“ (BIALE, Traditionen, 25), siehe dazu auch TALAL ASAD, Formation of the Secular. Christianity, Islam, Modernity, Stanford 2003, 1–20. 35 So etwa Mordecai M. Kaplan in seinem Werk Judaism as a Civilization sowie der Reformrabbiner Leo Trepp: „Der Bund entfaltet sich durch die Wechselbeziehung zwischen Gott, Israel und der Tora. Sie sind eins und untrennbar miteinander verbunden: Gott hat eine dauerhafte, unmittelbare, von der Tora strukturierte Beziehung zu Israel“ (LEO TREPP, A History of the Jewish Experience. Book one, Torah and history; book two, Torah, mitzvot and Jewish thought, Springfield [N.J.] 2001, 537; Übersetzung nach BIALE, Traditionen, 27). Vgl. MORDECAI M. KAPLAN, Judaism as a Civilization. Toward a Reconstruction of American-Jewish Life, Philadelphia 41981. 36 BIALE, Traditionen, 28. 37 Vgl. CONGREGATION FOR HUMANISTIC JUDAISM OF METRO DETROIT (The Birmingham Temple), Internetpräsenz, www.birminghamtemple.org (03.07.2022); SOCIETY FOR HUMANISTIC JUDAISM, Internetpräsenz, https://shj.org/ (03.07.2022).
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Toraverständnis In säkularer Interpretation wird die Bibel nicht mehr als religiöses Werk angesehen, sondern „von ihrem Offenbarungsstatus befreit, […] zu einem historischen, kulturellen oder nationalistischen Text“38 erklärt, der gewinnbringend von Atheisten gelesen und interpretiert werden kann. Es entsteht dabei eine eigene Hermeneutik und Interpretation des Tanach als Kodex für soziale Gerechtigkeit und als kulturgeschichtliches Dokument. Damit wird nicht die Relevanz der Bibel als Quelle für modernes jüdisches Selbstverständnis infrage gestellt, sondern vielmehr wird die Bibel von einem Erlösungstext zum Kulturdenkmal.39 Zvi Adar bewegt sich in der Tradition der säkularen Zionisten; das zeigt sich auch daran, dass Achad Ha’am,40 der als „säkularer Rabbi“ des Zionismus bezeichnet wird, einer der wenigen ist, auf die er sich in seinem Hauptwerk regelmäßig bezieht.41 Achad Ha’am gilt als Begründer des Kulturzionismus.42 Auf die Frage „Was ist Judentum?“ antwortete er in einem Brief von 1913 folgendermaßen: Ich denke, Religion selbst ist nur eine der Formen von Kultur. Und Judentum ist weder das eine noch das andere, sondern die nationale Schaffenskraft, die sich in der Vergangenheit als hauptsächlich religiöse Kultur ausdrückte. In dieser Form wird sich das Judentum auch in Zukunft ausdrücken.43
Achad Ha’am betrachtete den Tanach als die nichtreligiöse Grundlage für den jüdischen Nationalgeist. Eine besondere Stellung schreibt er den Propheten der 38
BIALE, Traditionen, 28. Vgl. a.a.O., 77f. Als Vordenker und Vorvater der säkularen Bibellektüre gilt Baruch Spinoza, der die Autorschaft Moses in Bezug auf die Bibel widerlegte und damit die Historisierung der Bibel einleitete. 40 Asher Hirsch Ginsberg (geboren 1856 in der heutigen Ukraine, gestorben 1927 in Tel Aviv), der unter dem Pseudonym Achad Ha’am („einer des Volkes“) bekannt wurde, war ein Zionist, Journalist und gilt heute als einer der bedeutendsten jüdischen Denker und Literaten des modernen Hebräisch. Er gilt als der Hauptvertreter des später nach ihm benannten Kulturzionismus. Gegen den politischen Zionismus, der die Bildung eines sog. Judenstaates forderte, wollte er die geistige Erneuerung des Judentums mit einem geistigen Zentrum in Israel setzen. Er sah in kultureller Arbeit die Voraussetzung für den Staat und gleichzeitig den Schutz gegen die Assimilation. Art. Achad Ha’am, in: JULIUS H. SCHOEPS/REDAKTION DES MOSES-MENDELSSOHN-ZENTRUMS (Hg.), Neues Lexikon des Judentums, Gütersloh/ München 1992, 15. 41 So sieht Adar es als Achad Ha’ams Lebensleistung an, dass er es geschafft hat, die Bibel für den modernen Menschen zu entschlüsseln, indem er sie nicht mehr als geoffenbartes Buch interpretierte, sondern die ethischen Aspekte in den Mittelpunkt stellte, wobei er den Fokus seiner Überlegungen auf die prophetischen Schriften legte. Diesem Vorbild folgt Adar, selbst wenn er im Gegensatz zu Achad Ha’am dezidiert alle Bücher des Tanach für unterrichtsrelevant erachtet. Vgl. ADAR, Humanistic Values, 24–31. 42 Vgl. BIALE, Traditionen, 101–104. 43 Zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Achad_Ha%27am (16.03.2023). 39
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Bibel zu, die bei ihm mit Mose beginnen. Die Historizität der Mosefigur hält er für irrelevant: Mose sei ein Archetyp und Modell für die spätere jüdische Geschichte. Zudem kann er als ideale Figur Vorbildcharakter beim Unterrichten des Tanach haben; dies führt Biale aus: In der Tat erzählt Achad Ha’am die Geschichte des Moses als Allegorie für seine eigene Zeit neu. Wie den kosmopolitischen Juden der Neuzeit sei es Moses zunächst darum gegangen, innerhalb der ägyptischen Gesellschaft Gerechtigkeit herzustellen; als ihm jedoch bewusst geworden sei, welche Ungerechtigkeit an den Juden begangen wurde, habe er sich ihrer Sache verschrieben. So sei er zum ersten Zionisten geworden.44
Die Propheten erheben die Ethik zu dem zentralen Wert Israels. Dies spiegelt sich in dem ihre Ära prägenden Diktum der „Tora des Herzens“. Die Hinwendung zur Hebräischen Bibel, die mit einer Abkehr von der rabbinischen Traditionsliteratur einhergeht, ist eine Auflehnung gegen die Curricula der Rabbinen und des orthodoxen Judentums. Ben-Gurion45 verleiht der jüdischen Bibel im neugegründeten Staat Israel dann den Stellenwert eines Nationalmythos.46 Im Kontext der Theorie der jüdischen Erziehung muss noch der hermeneutische Ansatz von Eliezer Schweid 47 (1929–2022) im Hinblick auf den Tradi-
44
A.a.O., 102. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass es dieser zionistische Staat, der von seinen Vordenker:innen als weitgehend religionsfreier Staat entworfen wurde, als jüdischer Staat schwer hat, eine Trennung zwischen Religion und Staat zu praktizieren. „So kam es zu dem Paradox, dass der von radikalen Säkularisten gegründete Staat letztendlich sein Ehe-, Scheidungs- und Erbrecht wie auch die Bestimmung der öffentlichen Feiertage in der Religion verankerte. Auch die Definition, wer als Jude zu gelten hat, aus der sich das Recht auf die israelische Staatsbürgerschaft ableitet, greift auf religiöse Kategorien zurück“ (a.a.O., 212). 46 Es ist bemerkenswert, dass die Kritik an Gott schon in der Bibel literarisch verarbeitet wird. Die Hebräische Bibel selbst ringt mit Gott (vgl. z.B. Hiob) und stellt widersprüchliche Bücher bewusst nebeneinander. „Sogar innerhalb der Bibel stellen einander widersprechende Stimmen die fundamentalistische Vorstellung infrage, der Text selbst vermittle eine homogene Botschaft. In Wahrheit ist die Bibel ein Buch aus Büchern. Seinem Stimmengewirr fügten die Rabbinen ihre eigenen Gesetzes- und Legendendeutungen hinzu“ (a.a.O., 207). 47 Eliezer Schweid wurde 1929 in Jerusalem geboren und ist jüdisch-national und sozialistisch erzogen worden. Seit seiner Kindheit und Jugend war er mit den Werken von Chaim Nachman Bialik, Achad Ha’am und Aron David Gordon vertraut. Nach der Staatsgründung gründete er einen Kibbuz, den er 1953 zugunsten des Studiums der Philosophie und Kabbala an der Hebräischen Universität, Jerusalem, verließ. Ab 1961 arbeitete er dort zunächst in der Lehre und später als Professor für Philosophie. Stets zeigte er aber ein ausgeprägtes Interesse an der Theorie der jüdischen Erziehung. Begleitend arbeitete er auch als Lehrer an der Schule und unterrichtete in verschiedenen Lehrerbildungsseminaren. Schweid ist im Januar 2022 in Jerusalem verstorben. Vgl. dazu BERND SCHRÖDER, Art. Eliezer Schweid, in: Andreas B. Kilcher/Otfried Fraisse (Hg.), Metzler-Lexikon jüdischer Philosophen. Philosophisches Denken des Judentums von der Antike bis zur Gegenwart, Stuttgart 2003, 451–453. 45
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tionsbezug des säkularen Judentums Erwähnung finden.48 Schweide stellt die Frage nach der jüdisch-israelischen Identität unter modernen Bedingungen. Pluralität, so seine These, beschreibe das zentrale Kennzeichen ihrer kulturellen Identität. Hierfür definierte er das Judentum als eine Kultur, die eine ausgewogene Balance zwischen „gültigen und verpflichtenden Inhalten der Tradition und den positiven Inhalten moderner Weltlichkeit“49 findet. Deswegen legt er Wert auf die Integration von religiösen Traditionselementen in einer humanistisch-jüdischen Identität. A positive evaluation of Israel’s Torah means a clear commitment and not the attitude of tolerant apathy towards religion […]. Commitment to what? First and foremost, to the principled stand which comes to expression in Israel’s Torah: the negation of idolatry, also in its modern secular sense, and a positive attitude to a position involving the moral responsibility of a person to himself, to his colleague, to society and to his natural surroundings. Secondly, the commitment is to defined mitzvot which express the principled position in practice, and also an aspiration to broaden the extent of realization of the values of Judaism in the complete way of life of modern man.50
Aber trotz des Bezugs zu religiösen Inhalten wird nicht die religiöse Autorität übernommen.51 Schweid versuchte einen mittleren Lösungsweg zu beschreiben, der das Judentum einerseits nicht auf Weltlichkeit reduziert bzw. völlig der Assimilation preisgibt, es aber andererseits nicht nur religiös oder orthodox definiert. Ihm schwebte eine diverse, plurale, vielgesichtige und auch in sich widersprüchliche jüdische Kultur vor mit gegenseitiger Akzeptanz auf der Basis von Toleranz und wechselseitiger Anerkennung der Legitimität der verschiedenen Konzepte des Judentums. Nur diese Definition des Judentums ermögliche einer Mehrzahl von Jüd:innen einen Zugang zum Judentum. Einen Schlüssel hierfür sah Schweid, und hier schließt sich der Bogen zur jüdischen Bibeldidaktik, in der jüdischen Erziehung; denn „Culture rests upon its transmission from generation to generation“.52 Hoch problematisch ist hierbei, dass es eigentlich von Beginn des staatlich-allgemeinen Schulwesens in der Krise steckt, da es nur funktional auf die Tradition Bezug nimmt und so eine tiefgehende Auseinandersetzung verhindert. Als Kern des Problems, das es pädagogisch zu bearbeiten galt, erkannte Schweid „die „Entfremdung des 48
Für den fundamentalen Bezug seiner Philosophie zum Tanach vgl. ELIEZER SCHWEID, The Philosophy of the Bible as Foundation of Jewish Culture, Bd. 1: Philosophy of Biblical Narrative; Bd. 2: Philosophy of Biblical Law, Boston 2009. 49 B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 297. 50 ELIEZER SCHWEID, Judaism as a Culture, in: Ders./Adar (Hg.), Judaism as a Culture, 1–34, 31. 51 „The commandments of the Torah […] received […] several layers of significance. To religious significance were added national, socialmoral, and aesthetic significance, and there is no distortion in removing of these significances from the religious framework and their presentation in their own name“ (a.a.O., 17). 52 A.a.O., 2.
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jungen Menschen, der im Staat Israel erzogen wird, von den Quellen [des Judentums]“, also Bibel, mündlicher Tora usw., „und sogar von den Quellen der humanistisch-hebräischen Kultur, wie sie im Zionismus [der Zeit] vor der Staatsgründung entstanden (Achad Ha-am, Bialik, Tchernichowski, Berdyczweski, Gordon, Berl Katznelson, Agnon, Scholem, Buber u.a.)“53 sind. Auf dieser Basis forderte er eine Reform jüdischer Erziehung und eine Klärung dessen, was Judentum eigentlich ausmacht. Ein Bewusstsein dessen, was den Kern des Judentums ausmache, kann es dabei nur in Verbindung von religiöser Tradition und moderner Weltlichkeit geben. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die Bibeldidaktik von Zvi Adar. 6.2.2 Lernorte Zvi Adar entwarf seine Bibeldidaktik für den Tanachunterricht an staatlichallgemeinen Schulen in Israel nach der Staatsgründung. Sie ist für diesen Unterricht an dieser Schulform bis heute prägend. Ich werde zunächst den Tanachunterricht an diesen Schulen in seinen Grundzügen darstellen und dann den Wandel der kulturellen Bedeutung des Tanach in Israel. Der Tanachunterricht an staatlich-allgemeinen Schulen Der Stellenwert und das Selbstverständnis des Tanachunterrichts an staatlichallgemeinen Schulen hat sich vor und seit der Staatsgründung stark gewandelt. Adar steht in der Tradition des allgemeinen Trends, der nach der Staatsgründung in dem staatlich-allgemeinen Schulwesen aufgeht. Für diesen Trend ist typisch, dass er sich, anders als der religiöse und der sozialistische Trend,54 weigert, irgendeine ideologische Voraussetzung als Grundlage der Erziehung anzuerkennen. In den Richtlinien von 1923 findet Tanachunterricht ab der 4. Klasse in allen folgenden Jahrgangsstufen statt. Das Hauptinteresse des Unterrichts liegt auf dem Land Israel und der biblischen Geschichte des Volkes Israel in diesem Land – im Zentrum stehen also zunächst Geografie und
53 ELIEZER SCHWEID, Zionism in a Post-Modernistic Era, Jerusalem 1996, 150. Hier in der deutschen Übersetzung zitiert nach B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 310. 54 Für die Zeit bis zur Staatsgründung arbeitet Schoneveld die folgenden Grundlinien des Tanachunterricht der drei Hauptströmungen des Schulwesens (siehe oben) heraus, zwei davon sind die Vorläufer des staatlich-allgemeinen Schulsystems und seines Bibelunterrichts: Erstens ist der Bibelunterricht im sozialistischen Trend eng mit der Histadrut, der jüdischen Gewerkschaftsorganisation, verbunden. Seine Ziele sind die Vermittlung des Wertes der Arbeit und das Ideal einer sozialistischen Gesellschaft. Er gliedert sich in verschiedene Flügel. Schoneveld beschreibt die Flügel folgendermaßen: „Der radikale Flügel betont den säkularen Zugang zum Tanach stärker; das Zentrum hält die sozialen und moralischen Elemente für entscheidend, und der traditionalistische Flügel ist bestrebt, Kontakt mit der jüdischen Tradition und Religion zu halten“ (SCHONEVELD, Bibel, 76).
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
Heimatkunde.55 Der Tanach war und ist bis heute ein eigenständiges Pflichtfach nicht nur in religiösen, sondern in allen in ihrer Ausrichtung sehr diversen Schulrichtungen und nimmt von Beginn an eine zentrale Rolle in den Curricula vor der Staatsgründung Israels ein, wenn auch mit unterschiedlichen und teils gegensätzlichen Zugängen und Vorstellungen. Dies verfestigte sich nach der Staatsgründung, auch als die drei Trends des Schulsystems in ein staatliches Schulsystem mit zwei Zweigen überführt wurden, das staatlich-allgemeine und das staatlich-religiöse. Zudem musste das junge Schulwesen in den 1950erJahren die Herausforderung der exponentiellen Einwanderung bewältigen und die damit erforderliche Integrationsleistung erbringen.56 Die Hebräische Bibel spielte für diese Integration sowohl sprachlich als auch kulturell eine zentrale Rolle.57 Die staatlich-allgemeinen Schulen legten in den Einleitungen der Curricula von 1954/5558 ihr Hauptaugenmerk auf die Geschichte und die Kultur Israels und auf die Erlernung der Grundwerte. Adars Bibeldidaktik entstand für eine und in einer Zeit, in der der Tanachunterricht in Israel unangefochten war. Sie wird aber bis heute, auch wenn der Stellenwert des Tanach an säkularen Schulen an Bedeutung verloren hat, noch in dieser Schulform gelehrt. Der Wandel des Stellenwertes des Tanachunterrichts lässt sich anhand des Buchtitels von Yairah Amit The Rise and Fall of the Bible’s Empire in
55 Der allgemeine Trend wird besonders von seinen verschiedenen Vertretern geprägt, die diese Richtlinien unterschiedlich füllen: Hajjim Arjeh Zuta, Joseph Azarjahu, Schlomo Dov Goitein und nach der Staatsgründung Zvi Adar und Josef Schächter. Siehe dazu HAJJIM ARJEH ZUTA, Methodik des Bibelunterrichts. Mit Modellstunden, 2 Bde., Jerusalem 1935– 1937 (hebr. ;)נסיון של תכנית מפרת ללמודי התנייך בביתיים העממיSCHLOMO DOV GOITEN, Bibelunterricht. Probleme und Methoden (hebr. בעיותיה ודרכיה. )הוראת בתנייך, Tel Aviv 1957; DERS., Bibelstudien (hebr. )עיונים במקרא, Tel Aviv 1957. Vgl. SCHONEVELD, Bibel, 36–66. 56 So verdoppelte sich die Einwohnerzahl des neu gegründeten Staates allein zwischen 1948 und 1951 durch das Rückkehrergesetz, das es Personen jüdischer Herkunft und ihren Ehepartner:innen ermöglichte, nach Israel einzuwandern. In diesem Zeitraum wanderten ca. 800.000 Jüd:innen vor allem aus Ägypten, Irak, Polen, Rumänien, Jemen, Türkei und Iran nach Israel ein. 57 Yairah Amit listet einige Ziele des Bibelunterrichts der 1950er-Jahre auf: So zielte der Unterricht darauf ab, Kindern die biblischen Werte zu vermitteln und sie zu inspirieren, nach ihnen zu leben; es sollen Basiswissen über die spirituelle Identität der Nation Israel und über seinen Existenzkampf in der paganen Umwelt transportiert und die Liebe zum Heimatland erzeugt werden; die Schüler:innen sollen für literarische und ästhetische Ideale der Bibel sensibilisiert werden, und die biblische Sprache soll ihre Alltagssprache beeinflussen; grundsätzlich ist das Ziel, dass die Lernenden die Hebräische Bibel lieben lernen und motiviert sind, sie immer weiter zu studieren. Vgl. YAIRAH AMIT, „Der Unterricht der Bibel in der allgemeinen Schulbildung. Eine Studie des Curriculums“ (hebr.), in: Amos Hofman/Izhak Schnell (Hg.), Werte und Ziele im israelischen Schulcurriculum (hebr.), Even Yehuda 2002, 239–264, 250f. 58 SCHONEVELD, Bibel, 95–100.
6.2 Kontexte
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Israeli Education59 charakterisieren: Zwar gilt der Tanach noch als gemeinsame kulturelle Grundlage, aber der Stellenwert des Faches hat sich seit der Staatsgründung kontinuierlich verschlechtert.60 Das Curriculum der 1970erJahre ergänzte das bisherige Curriculum durch die Einführung von wissenschaftlichen Standards beim Bibelstudium oder die Betrachtung und Interpretation der Bibel als Literatur. Amit stellt außerdem eine Verschiebung des Fokus fest: So gehe es weniger darum, den Lernenden eine Liebe zum Tanachstudium zu vermitteln, sondern die Kenntnis über den Tanach rücke mehr in den Mittelpunkt.61 Diese Entwicklung geht mit einer Reduktion der unterrichteten Textmenge einher.62 Die Stundenzahl, mit der derzeit Tanach unterrichtet wird, beträgt im staatlich-allgemeinen Schulwesen zwei Wochenstunden, hat also den Umfang eines sogenannten Nebenfachs.63 Die Kernfrage des Tanachunterrichts in Israel liegt aber nicht in dem Umstand der reduzierten Stundenzahl und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust des Faches, sondern in der Frage, ob es gelingt, sich vom curricularen Stellenwert des Tanach in den frühen Jahren der Staatsgründung zu lösen und nach seiner Bedeutung für ein modernes, liberales Israel im 21. Jahrhundert zu fragen.64 Amit plädiert für eine 59 YAIRAH AMIT, The Rise and Fall of the Bible’s Empire in Israeli Education. The 2003 Syllabus: Retrospect and Prospect (hebr. עלייתה ונפילתה של אימפריית המקרא בחינוך )הישראלי, Even Yehuda 2010. 60 AMOS HOFMAN/BRACHA ALPERT/IZHAK SCHNELL, Education and Social Change. The Case of Israel’s State Curriculum, in: Curriculum Inquiry 37/4 (2007), 303–328, 317. 61 „The emotional emphasis on enhancing love and affection disappeared and was replaced by cognitive expectations such as ‚the pupil will realize,‘ ‚the pupil will know,‘ ‚compare,‘ ‚learn,‘ and ‚form an opinion.‘ Curriculum writers had evidently given up on love and focused on expecting the students to learn to know the biblical characters, stories, and ideas, and left love to the kindergarden teachers entrusted with teaching preschoolers“ (YAIRAH AMIT, The study of Hebrew Bible in Israel – between love and knowledge, in: Jewish History 21 [2007], 199–208, 205). 62 So fand von den 1960er-Jahren bis 2007 eine allmähliche Reduzierung von ursprünglich ca. 200 Kapiteln auf rund 70 Kapitel statt. Mittlerweile wird keines der biblischen Bücher mehr als Ganzschrift gelesen. Aber die Hoffnung, dass weniger Stoff zu mehr und tieferem Wissen führen würde, erfüllte sich nicht, sondern das Gegenteil war der Fall: Die Tanachkenntnisse der Schüler:innen nahmen kontinuierlich ab. 63 Vgl. THE MINISTRY OF ALIYAH AND INTEGRATION, Education 8th Edition, 28. Zur Einordnung dieser Zahlen: Zwei Wochenstunden an einer staatlich-allgemeinen Schule entsprechen dem Umfang des Geschichtsunterrichts. 64 So die Frage der ehemaligen Direktorin des David Yellin College, Dr. Marla Frankel, im Gespräch mit der Verfasserin am 22.2.2017. Neben dem sich in der Krise befindenden schulischen Tanachunterricht bestehen aber verschiedene vitale und kreative Projekte mit der Absicht, die säkularen Israelis zum Lesen und Studieren der Tora anzuregen. Am prominentesten scheint das Projekt 929, welches Jüd:innen von säkular bis religiös zum Lesen des Tanach inspirieren will und sie dabei begleitet. Es wurde in der zweiten Nacht von Chanukka 2014 gestartet und ging bis zum 70. Jahrestag der Staatsgründung im Mai 2018. Jede Woche sollten von Sonntag bis Donnerstag fünf Kapitel gelesen werden. Am Freitag
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bleibende Wertschätzung des Tanachunterrichts und die Notwendigkeit, dass israelische Schüler:innen die Hebräische Bibel und damit ihre Wurzeln kennen sollten: The Bible is the foundation upon which Jewish culture developed, and it has been the common denominator of the People of Israel through the ages. A society concerned about its future does not forget its past and the formative myths that are essential to its identity. The need to study the Bible is a foregone conclusion. The matter of loving it should be stricken from the agenda. That is both superfluous and misleading. Love must be set aside in favor of knowledge.65
Um den Wandel des Unterrichtsfachs Tanach an staatlich-allgemeinen Schulen nachzuvollziehen, ist es sinnvoll, sich die kulturelle Bedeutung des Tanach bewusst zu machen. Adar entwickelte seine Bibeldidaktik im Dialog mit und in Abgrenzung zu diesem Verständnis des Tanach. Die kulturelle Bedeutung des Tanach Die kulturelle Bedeutung des Tanach unterliegt dem gleichen Wandel wie die Stellung seines Unterrichts: Galt er lange ungefragt als Eckstein und Fundament, als Integrations- und Identifikationsmoment, durch alle Strömungen der entstehenden israelischen Kultur, muss sie sich spätestens ab dem Ende des 20. Jahrhunderts einerseits mit einem Bedeutungs- und Relevanzverlust, andererseits mit der Vereinnahmung durch rechtsnationale Kreise auseinandersetzen. David Ben-Gurion (1886–1973), der erste Ministerpräsident des neu gegründeten Staates Israel, schrieb 1953 in einem Brief:
und Sabbat konnte die Lektüre aufgeholt oder vertieft werden. Die Teilnehmenden konnten über das Internet, Social Media und ihre Smartphones Materialien, zahlreiche Lesehilfen, Fragen, Interpretationen und Anregungen aus Kunst, Theologie, Musik erhalten. Beim ersten Durchgang waren über 250.000 Leser:innen registriert, das entsprach rund 3,7% der israelischen Bevölkerung, von denen sich ca. 75% als säkular bezeichneten. Wegen des Erfolges des Projektes befindet es sich nun in einem zweiten Durchgang, der neben einer hebräischen auch eine englische Seite anbietet und so Menschen in der Diaspora ebenfalls zum Bibellesen motivieren will. Sowohl die Tatsache, dass das Projekt vom Ministerium für Erziehung gefördert wurde, als auch sein Abschluss zum 70. Jahrestag der Staatsgründung verweisen auf die bleibende Bedeutung, die der Tora für die israelische Identität bis heute zugemessen wird. Zur Eröffnung des Projekts sprach der damalige Staatspräsident Reuven Rivlin (*1939) und bezeichnete die Bibel als „identity card of the Jewish People“. Siehe dazu die Homepage des Projektes: 929 – TANAKH BEJACHAD (hebr. )תנייך ביחד, Internetpräsenz, https://www.929.org.il (03.07.2022); DAVID SEDLEY, Launching in English, chapter-a-day project looks to bring Bible back to masses, in: The Times of Israel, 15.7.2018, https://www.timesofisrael.com/launching-in-english-chapter-a-day-project-looks-to-bringbible-back-to-masses/#gs.gdsx0s (03.07.2022). 65 AMIT, Study, 207.
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In our two thousand Years of exile, we have not totally lost our creativity, but the sheen of the Bible dulled in exile, as did the sheen of the Jewish people. Only with the renewal of the homeland and Hebrew independence have we been able to reassess the Bible in its true, full light.66
Für Ben-Gurion war der Tanach einer der zentralen Punkte jüdischer Identität, vergleichbar fast mit einer Art Identitätsurkunde des jüdischen Volkes: Ohne sie sah er die Einheit vom Land Israel mit dem jüdischen Volk nicht als vollständig an. „The Bible“, so die israelische Historikerin Anita Shapira (*1940), „according to Ben-Gurion, was the third component of the Jewish ‚holy trinity‘ of people, land and book.“67 Die Hebräische Bibel, nicht der Talmud und die jüdische Traditionsliteratur, war das Scharnier zwischen Land und Volk Israel, zwischen Vergangenheit und Gegenwart dieses israelischen Volkes im Land. Aus ihr schöpfte die neu gegründete Nation ihre identitätsstiftenden Narrative und Mythen, die Kultur und insbesondere die hebräische Sprache; darüber hinaus wurde die moderne hebräische Literatur von ihr maßgeblich geprägt. Ben-Gurion gründete 1958 bei der Zehnjahresfeier der Unabhängigkeit des Staates Israel das „Internationale Bibelquiz“ für Schüler:innen, welches in modifizierter Variante bis heute besteht. Es ist ein weltweiter TanachWettkampf, der jedes Jahr am Tag der Unabhängigkeit, Jom haAtzma’ut, in Jerusalem stattfindet. Die Veranstaltung wird bis heute offiziell von der Regierung gesponsert und in der Regel von dem/der Ministerpräsident:in und/oder dem/der Bildungsminister:in besucht. Die Gründung durch Ben-Gurion selber zum Jubiläum der Staatsgründung verweist auf die zentrale Bedeutung des Tanach für die israelische Identität nach und während der Staatsgründung. Die Idee, den Tanach zum Zentrum der nationalen jüdischen kulturellen Agenda zu machen, war nicht erst die Erfindung des Zionismus und auch nicht ein Produkt der Staatsgründung, sondern geht schon auf die Zeit der Haskala in Europa zurück.68 Der Zionismus übernahm von ihr die Zentralstellung des Tanach und baute sie aus: So wurde er zum Bindeglied zwischen den Jüd:innen und dem Land und damit zu einem Eckstein der zionistischen Bewegung, da es mit der Hebräischen Bibel möglich war, jüdische Identität zu leben, ohne sich an die
66 Ben-Gurion schrieb dies in einem Brief an Yitzak Schweiger Damiel. Vgl. DAVID BENGURION, Biblische Reflexionen (hebr. )עיונים בתנייך, Tel Aviv 1969, 28–49. 67 ANITA SHAPIRA, The Bible and Israeli Identity, in: AJS Review 20/1 (2004), 11–42, 11. Zu Ben-Gurions Umgang mit der Bibel und seinem Verhältnis zu ihr vgl. DIES., BenGurion and the Bible. The Forging of an Historical Narrative?, in: Middle Eastern Studies 33/4 (1997), 645–674. 68 Der Tanach sollte als Bindeglied zwischen der jüdischen aufgeklärten Minderheit und einer christlichen Mehrheit dienen. Er konnte im Gegensatz zu der rabbinischen Traditionsliteratur, die für Partikularität stand, der Integration in diese Mehrheitsgesellschaft dienen, ohne die jüdische Identität aufzugeben. Vgl. AMIT, Study, 199.
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halachischen Vorschriften zu halten.69 Der Tanach war aber nicht länger eine Art Einleitung zum und Hinführung auf das Studium des Talmuds, wie es in der religiösen Erziehung des orthodoxen Judentums gängig war, sondern wurde als eigenständige Größe wahrgenommen.70 Uriel Simon (*1929), Professor für Bibelwissenschaft an der Bar-Ilan-Universität, beschreibt dieses Phänomen folgendermaßen: The Zionist endeavor defined itself in biblical terminology as „the return to Zion“ (Psalms 126:1), and viewed the revival of the Bible – that is, making the study of the Bible the central subject in the curriculum of the Hebrew school, as an integral element in the rebirth of the nation, its land and its language.71
Der Tanach wurde damit die entscheidende Quelle des jüdischen Volkes, gleich in welcher Strömung, von säkular bis ultraorthodox – alle bezogen sich, wenn auch in sehr unterschiedlicher Form und mit sich teilweise widersprechenden Hermeneutiken, auf ihn. Die Hebräische Bibel wurde so zu einer der Hauptkomponenten israelischer Identität: Ein Israeli zu sein, hieß zu der Zeit, sich gut auszukennen mit den biblischen Erzählungen, der Geschichte, der Geografie, sich mit Hauptfiguren zu identifizieren und Verse zu zitieren.72 Bis in die 70er-Jahre hatte die Hebräische Bibel einen ideologischen Stellenwert. „On this ideological front“, so Shapira, „the Bible, too, was seen as a text that told the story of the past, serving as a national guide for the present and holding out hope of universal redemption for the future.“73 Ab den 1970er-Jahren verlor der Tanach langsam seine Bedeutung als integrierende Identitätsurkunde Israels, im Gegenteil trug er eher zu der stetig wachsenden Spaltung der Gesellschaft bei. Der Sechs-Tage-Krieg 1967 hatte einen paradoxen Einfluss auf diese Diskussion.74 Durch die Besetzung des Westjordanlandes konnten Israelis nun wirklich die Plätze und Städte, die sie nur aus der Bibel kannten, entdecken. Zuvor hatte das israelische Staatsgebiet nur den Teil des Landes umfasst, der eigentlich biblisch den Philistern gehörte; jetzt hatte man plötzlich das biblische Israel besetzt.75 Damit begann die „Sternstunde“ der Hobbyarchäologie in Israel. Aber die Realität desillusionierte auch den romantisierten Blick auf die Bibel; denn die Hobbyarchäologen
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Insbesondere die Generation der 2. Alija (1904–1919) wanderte nach Palästina ein und entdeckte vor dem Hintergrund ihres biblischen Wissens, was sie in ihrer klassischen religiösen Erziehung meist in Osteuropa erlernt hatte: das Land und die Sprache. 70 Vgl. SHAPIRA, Bible, 17–20. 71 Uriel Simon, zitiert nach AMIT, Study, 200. 72 Vgl. ebd. 73 SHAPIRA, Bible, 35. 74 Vgl. a.a.O., 32f. 75 So lagen vor dem Sechs-Tage-Krieg Judäa und Samarien mit den Städten Hebron und Sichem, Siloh und Anatot, Jericho und Bethlehem auf der anderen Seite der Grenze im jordanischen Mandatsgebiet.
6.2 Kontexte
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entdeckten ein fremdes Land, in dem ein anderes Volk lebte.76 Die Realität des Nahostkonfliktes konnte beim Studium des Tanach nicht länger ignoriert werden. In der Folge des Sechs-Tage-Kriegs erstarkte zudem der religiös aufgeladene Zionismus, der sich nun und bis heute auf die Bibel zur Legitimierung der Siedlungspolitik bezog und bezieht. Dieser und die damit einhergehenden zunehmenden Spannungen zwischen orthodox-nationalen und säkularen Israelis führen bis heute bei säkularen und bei liberalen Juden zu einer Abkehr von religiös vereinnahmten Quellen, die zur Legitimation der Politik herangezogen werden. So wird die Hebräische Bibel nicht mehr als Eckstein der israelischen Gesellschaft und als Integrations- und Identifikationsmoment von säkularen und liberalen Israelis wahrgenommen. Für große Teile der modernen bzw. säkularen Israelis ist der Tanach ein Buch, das kaum Relevanz für ihr alltägliches Leben besitzt. Dagegen spielt der Tanach in den orthodoxen und national geprägten Teilen der Politik und Gesellschaft noch diese identitätsstiftende Rolle.77 So eröffnete der damalige Premierminister Benjamin Netanjahu das internationale Bibelquiz 2011 mit folgenden Worten: „The Bible is the foundation of our existence, the basis of our faith. I know of no other book that has made such a great contribution to humanity.“78 Zudem kritisieren Teile der säkularen und der liberalen jüdischen Bevölkerung, dass der Tanach von den orthodoxen Jüd:innen zur Legitimation der Siedlungen herangezogen werde. „People distancing themselves from the political Right thus gave up the Bible as a moral source.“79 Die Bibelwissenschaftlerin Yairah Amit versteht es als Aufgabe, den Stellenwert des Tanach in der 76
Anita Shapira beschreibt diese Desillusionierung so: „It was a foreign country, inhabited by another people. The right-wing poet and writer, Yitzhak Shalev, had taken his son, Meir, to gaze across to East Jerusalem when it had been under Jordanian occupation. It had been his way of showing his young son the land of the Bible and nurturing in him a love for it. But when Meir Shalev came up against Arab refugees in the Six-Day-War, face to face with the humiliation entailed in conquest, he inwardly ‚divorced‘ himself from the land of the Bible. Writer Amos Oz, Jerusalem born, felt like a hated foreign conqueror in the Old City of east Jerusalem. In early Zionist settlement, the Bible had typically served as a connecting link between utopian and physical reality. Now, things were different, the IsraeliPalestinian conflict was too strong to be ignored. There was no awakening of a sense of belonging based on the Bible and oblivious to reality. On the contrary, reality banished the ‚book memory‘“ (SHAPIRA, Bible, 32). Vgl. AMOS OZ, Fremde Stadt (hebr. )עיר זרה, Jerusalem 1990, 209–212. 77 So kommen z.B. die Teilnehmer:innen des Bibelquiz in den vergangenen Jahrzehnten nicht mehr von allen Schulformen, sondern es nehmen fast nur noch Schüler:innen aus staatlich-religiösen Schulen teil. 78 Die Rede des Premierministers Benjamin Netanyahu: BENJAMIN NETANYAHU, PM Netanyahu’s Speech at the International Bible Quiz Israel’s 63rd Independence Day, gehalten am 10.5.2011, in: Prime Minister’s Office (Hg.), Events and Speeches, https://www.gov. il/en/departments/news/speechbible100511 (03.07.2022). 79 HOFMAN/ALPERT/SCHNELL, Education, 319.
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multikulturellen israelischen Gesellschaft sorgfältig zu bedenken und die Herangehensweise an ihn zu revidieren.80
6.3 Das didaktische Viereck 6.3 Das didaktische Viereck
Der Titel von von Zvi Adars toradidaktischem Hauptwerk, Humanistic Values in the Bible, stellt eine Provokation an das klassische Verständnis des jüdischen Gottes dar, der nicht mit Apollo zusammengedacht werden kann. So haben es jüdische Denker:innen lange Zeit akzeptiert, dass es einen großen Unterschied zwischen Hellenismus und Hebraismus in der Antike gibt.81 Eine ganz andere Zielrichtung nimmt Adar in seinem Werk ein, wie Marvin Fox (1922–1996)82 beschreibt: Yet precisely such a framework lies at the heart of Humanistic Values in the Bible; its author, a professor at the Hebrew University, proposes to use the Hebrew Bible as the main text in a humanistic education – an education whose next effect, it seems to me, would be the Hellenization of Judaism.83
Adar geht diesen Schritt nicht aus Illoyalität gegenüber der israelischen Kultur und ihrer Überlieferung, sondern aus der tiefen Überzeugung, dass man den Tanach einem modernen, säkularen israelischen Volk zugänglich und zur Grundlage von dessen jüdisch-säkularer Identität machen sollte. Seine Zielgruppe sind dabei moderne Israelis, die er in den Basiswerten eines erfüllten, jüdischen, modernen Lebens unterrichten will. Um das zu ermöglichen, müsse der Tanach von seinen religiösen Fundamenten befreit und in ein humanistisches Buch umgewidmet werden. Bei Zvi Adar stellt demnach die Wahrnehmung der Lebenswelt die Basis und den Ausgangspunkt seiner Didaktik der Tora dar. Deswegen beginne ich bei ihm, anders als bei Nehama Leibowitz, mit der Darstellung derselben (6.3.1). Darauf folgt die Darstellung seines Textverständnisses (6.3.2), der Rolle der Lehrenden (6.3.3) und der der Lernenden (6.3.4).
80
Vgl. ebd. So Marvin Fox: „In antiquity, those who wished to transform Judaism into a respectable version of Greek culture did not entertain the illusion that Jewish faith was compatible with the world of the Greeks“ (MARVIN FOX, Review of Zvi Adar, Humanistic Values in the Bible, in: Commentary 47/1 [1969], 78). 82 Marvin Fox war Professor für jüdische Philosophie an der Brandeis University und aktiv an der Entwicklung und Umsetzung der jüdischen Erziehung in den USA beteiligt. Vgl. RUTH BELOFF, Art. Fox, Marvin, in: EJ2 7 (2007), 141. 83 FOX, Review of Zvi Adar. 81
6.3 Das didaktische Viereck
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6.3.1 Die Lebenswelt Zvi Adar trat seine Professur an der Hebräischen Universität 1951 an, also kurz nach der Staatsgründung 1948 und vor der Reform des Schulsystems mit dem Gesetz von 1953. Es ist eine Phase des Aufbaus und des Umbruchs sowie der Identitätssuche sowohl des israelischen Staates im Ganzen als auch des israelischen Schulsystems. Die Bibel spielt in dieser Phase eine ambivalent diskutierte Rolle, und die Frage, welcher Zugang zum Tanach ihr, der Lebenswelt und dem Selbstverständnis der Lehrenden und der Lernenden gerecht wird, wird virulent in religiösen, nationalen, militärischen, wissenschaftlichen und literarischen Denkansätzen.84 All diese Zugänge zum Tanach, ihre bibeldidaktischen Konzeptionen und Hermeneutiken spiegeln jeweils ein bestimmtes Verständnis von Lebenswelt wider. Der neugegründete Staat muss sich zum einen nach innen konsolidieren. Hierbei stellt die Herausbildung einer eigenen Identität zwischen Tradition und Moderne, zwischen Religion und Säkularem eine große Herausforderung dar. Zum anderen ist er mit massiven Problemen von außen konfrontiert: So findet zum Beispiel ab den späten 1940er-Jahren eine exponentielle Steigerung der Einwanderung jüdischer Menschen statt,85 die nach der israelischen Staatsgründung aus den arabischen Ländern vertrieben wurden, und die Sicherheit des Staates Israel wird, um hier nur zwei Beispiele zu nennen, durch seine geopolitische Lage von außen durch die Nachbarländer bedroht. Adar kennzeichnet die Lebenswelt auf der einen Seite als modern und säkular. Er spricht von dem „modern spirit“,86 der die israelische Gesellschaft nach der Staatsgründung prägt. Auf der anderen Seite beschreibt er sie als national, zionistisch und militärisch ausgeprägt. Die weite Verbreitung der nationalen und militärischen Bibelinterpretation zeigt auf, wie präsent und relevant beide Themenfelder in der Lebenswelt nach der Staatsgründung waren. Ich werde zunächst die nationale, zionistische und militärische Prägung der Lebenswelt durch Adars Ablehnung des so beeinflussten Bibelunterrichts beschreiben, um dann die Kennzeichnung der Lebenswelt als modern zu erläutern. Die Lebenswelt: national, zionistisch und militärisch Die zionistische Bewegung betont insbesondere die Stellung Israels in der Antike und begründet somit ihren hohen Stellenwert als Teil des nationalen Erbes; sie stilisiert den Tanach damit zu einer Art „Nationalliteratur“. Zudem werden viele Aspekte der nationalen Identität an ihn zurückgebunden, um den Beweis zu liefern und zu untermauern, dass das Land Israel auf eine lange 84
Vgl. SCHONEVELD, Bibel, 36–94. Siehe oben S. 168, Anm. 56. 86 ADAR, Humanistic Values, 5. 85
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jüdische Vergangenheit zurückblicken könne und es das Land der Vorfahren der heutigen Israelis sei. Für jeden Aspekt des Alltags des neuen Staates wird eine biblische Allegorie gefunden: Die Eroberung Israels ist rückgebunden an frühere biblische Eroberungen; der Unabhängigkeitskrieg erinnert an die Kriege in den Büchern Josua und Richter; die Vorfahren waren Sklav:innen in Ägypten und wanderten gestärkt in das Land ein, wie heute Jüd:innen aus aller Welt nach Israel kommen; die Sprache des Alltags stellt eine Wiederbelebung des biblischen Hebräisch dar.87 Die Lebenswelt der Israelis Anfang der 50erJahre des 20. Jahrhunderts war enorm von dem nationalen und zionistischen Denken durchdrungen, was einen naheliegenden Anknüpfungspunkt für den biblischen Unterricht darstellte. „This phenomenon“, so Adar, „creates a new aim in teaching the Bible, the national aim.“88 Gegen diese weit verbreitete Inanspruchnahme der Bibel durch die nationale Bewegung betont Adar, dass es widersprüchlich sei, mit einem Buch Nationalstolz vermitteln zu wollen, das demselben sehr kritisch gegenüberstehe und dagegen protestiere. Wenn die Bibel etwas lehre, dann dass Nationalstolz zu nationaler Degeneration und Zerfall führe. Die Geschichte Israels sei die seiner Demütigungen, nicht die des Stolzes: Sklaverei, Unterdrückung, Sünden, Zerstreuung und Wüste. „The whole history of Israel“, so Adar, „according to the Bible, is a continual fall from the top of Mount Sinai to the abyss of the Diaspora.“89 Eine Vermittlung des ungebrochenen Nationalstolzes funktioniere also nicht mit den biblischen Erzählungen, sondern nur gegen sie. Die neugegründete Nation ist kurz nach der Staatsgründung doppelt herausgefordert: Zum einen muss sie nach innen eine israelische Identität und Kultur konstituieren und etablieren. Zum anderen ist sie nach außen hin aufgrund der geopolitischen Lage Israels mit einer ständigen Existenzbedrohung konfrontiert. Die Lebenswelt der Menschen im Staat Israel kurz nach der Staatsgründung ist von der militärischen Bedrohung und der Weigerung der Anerkennung des neugegründeten Staates durch die Nachbarländer im Nahen Osten gekennzeichnet. Die militärische Verteidigung und Behauptung des Staates ist ein zentrales Thema nach seiner Gründung. Auch hierfür wird von einigen die Bibel als Grundlage herangezogen.90 Adar kritisiert wiederum ihre Inanspruchnahme: Seine Kritik richtet sich insbesondere gegen jene, die im Verlauf des Unabhängigkeitskrieges die Bibel für militärische Zwecke, „als ein Mittel, ‚die 87
A.a.O., 14f. A.a.O., 15. 89 A.a.O., 18. 90 Die Popularität der Bibel als militärisches Buch kann man sich anhand der Sammlung von Aufsätzen zu dem Thema, die von Jacob Liver herausgegeben wurde, verdeutlichen. Das Buch wurde auf Hebräisch zwischen 1963 und 1970 fünfmal aufgelegt und ins Englische übersetzt. Vgl. dazu JACOB LIVER, The Military History of the Land of Israel in Biblical Times (hebr.), Jerusalem 1963, 2. Aufl. Dezember 1964, 3. Aufl. Mai 1965, 4. Aufl. März 1968, 5. Aufl. April 1970. 88
6.3 Das didaktische Viereck
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Kinder Juda‘ zu lehren, den Bogen zu gebrauchen“,91 missbraucht haben. Wer die Bibel für Wehrerziehung einsetze, so Adars Überzeugung, stehe im Widerspruch zu ihrem Geist.92 Die Bibel eignet sich seiner Meinung nach nicht zur militärischen Erziehung, obgleich er in diesem Zusammenhang eine wachsende gesellschaftliche Tendenz wahrnimmt. Auch wenn er keinen Grund sieht, warum man nicht alles von der Bibel lernen könne, was sie an Wissen und Lernstoff zur Verfügung stellt, also auch militärisches Wissen, so heißt dies doch im Umkehrschluss für ihn nicht, dass die Bibel die Grundlage für eine militärische Erziehung sein kann.93 Abschließend fasst er zusammen: „Nationalistic and military education through the Bible are thus an education contrary to the spirit of the Bible.“94 Trotz dieser Ablehnung der nationalen und militärischen Erziehung durch den Tanach und mit ihm zeigt seine intensive Beschäftigung mit diesem Thema, wie massiv es nach der Staatsgründung in der israelischen Lebenswelt präsent war. Die Lebenswelt: modern und säkular Zvi Adar beschreibt die israelische Lebenswelt als eine moderne und säkulare. Er kennzeichnet diese als eine vom „modern spirit“ geprägte Lebenswelt, diesen definiert er als wissenschaftlich, kritisch und historisch: The decline of the traditional approach results from the rise of the modern spirit – a scientific, critical and historical spirit which does not accept any „truth“ without critical examination. This modern spirit scrutinizes everything past and present. It does not take for granted the existence of God; it does not accept as a matter of fact His revelation and the choosing of the People of Israel; and, therefore, it cannot regard the Bible as the literal Word of God.95
Die Grundhaltung, dass ein modernes Selbstverständnis nicht mehr wie das religiöse die Bibel als Gottes unangefochtene Offenbarung ansehe, wirkt sich auf die Rolle des Tanach aus. Er wird, weil er als ein religiöses Buch angesehen wird, in dieser modernen Welt nicht mehr ernst genommen und zu wenig unterrichtet, sowohl im Judentum als auch im Christentum. Das führe in Israel, so Adar, zu dem paradoxen Phänomen, dass nie eine Generation so viel über die Bibel gesprochen habe und gleichzeitig ihr Wissen über das Buch und sein konkreter Einfluss so gering gewesen seien. Frühere Generationen hätten nicht über die Bibel gesprochen, sondern ihr gemäß und mit ihr gelebt, während jetzige Generationen über sie sprechen, aber nicht nach und mit ihr leben.96 Es ist aus kulturzionistischer Perspektive Achad Ha’ams Leistung, die Bibel für 91
Vgl. SCHONEVELD, Bibel, 53. ADAR, Humanistic Values, 19. Vgl. dazu auch DERS., Untersuchungen, 29–37. 93 ADAR, Humanistic Values, 19. 94 A.a.O., 20. 95 A.a.O., 5. 96 Vgl. a.a.O., 1. 92
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den modernen Menschen zu entschlüsseln, indem er das Element der Offenbarung entfernte bzw. ersetzte.97 Er stellte die moralische und ethische Komponente der Bibel in den Mittelpunkt. Dies erscheint in der gegenwärtigen modernen Welt noch relevanter, da sie sich, nach Adar, in einer Wertekrise befinde: Das 20. Jahrhundert hat die fundamentalen Werte und den traditionellen Lebenswandel infrage gestellt und damit in diese Krise geführt.98 Hierbei kann zum Beispiel das Studium der Propheten in der modernen Welt Orientierung bieten. „Coming to create our nation (Israel) anew“, so Adar, „we should return to the ancient teachers and learn from them the basic values upon which to build a new ethos and a new way of life.“99 Mit den Propheten und durch sie kann man folgende Werte lernen: Gerechtigkeit und Gebote, Liebe und Gnade, Gleichheit der Menschen und die Pflicht der Nationen, Demut und Anstand, Glauben und gute Taten, geistliches Vertrauen und ein friedvolles menschliches Zusammenleben. Zvi Adar beschreibt als ein zentrales Charakteristikum des israelischen Erziehungssystems, dass Erziehung immer in „consistency with the society which created it“100 stehe. Es existiert also eine Wechselwirkung zwischen jüdischer Erziehung bzw. dem Unterricht des Tanach mit der Lebenswelt, in der er stattfindet. Diese ist im Falle Israels zur Zeit des Wirkens von Zvi Adar besonders komplex, da es sich um eine Gesellschaft im Aufbau handelt, die sich gerade neu (er-)findet. Die neue jüdisch-säkulare Kultur kann hierfür nicht auf den Traditionsreichtum zurückgreifen, da jüdische Kultur bisher meist in der Diaspora als religiöse Kultur existierte. Dieser Prozess der Gründung und Schaffung eines neuen Staates geht mit vielen Konflikten insbesondere zwischen religiösen und säkularen Jüd:innen einher. War vor der Staatsgründung jüdische Erziehung gleich religiöse Erziehung, stellt sich nun dagegen die Frage, wie Erziehung jüdische und allgemeine Bildung verbinden kann. Die Modernität eines Systems zeige sich erst, so Adars Überzeugung, wenn es gelinge, beides in Bezug zueinander zu setzen. Jüdische Erziehung ist angesichts 97 Ein anderer Zugang zur Bibel kann für den modernen Menschen der wissenschaftliche sein: „From one point of view, the scientific-critical approach is important because it facilitates the approach of modern man to the Bible“ (a.a.O., 8). Allerdings reduziere dieser Zugang die Bibel auf ein reines Material, welches untersucht werden müsse. Diese Reduktion lehnt Adar wiederum als reines Erziehungsziel ab, obwohl er trotzdem einen wissenschaftlichen Zugang zur Bibel gutheißt. Eine weitere Möglichkeit für moderne, areligiöse Israelis ist der kulturelle Zugang zur Bibel. „From the cultural point of view, how very extraordinary is the fact that so many people who have no religious or traditional sentiments whatsoever, and who are even strongly antagonistic toward them, choose to devote much of their time and energy to the study of the Bible“ (a.a.O., 11). In diesem kulturellen Moment können sich der religiöse und der nationale Zugang zur Bibel wiederum begegnen. 98 Vgl. a.a.O., 212f. 99 A.a.O., 213. 100 ADAR, Jewish Education, 48. Als erstes Charakteristikum benennt er das nationale, öffentliche Schulsystem, welches in Israel staatlich verantwortet wird. Vgl. a.a.O., 47.
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dieser Lebenswelt in Israel mit drei Fragen konfrontiert: „1) What is the general culture to be transmitted? 2) What is the Jewish culture to be transmitted? 3) How and to what extent are they to be combined?“101 Die moderne jüdische säkulare Gesellschaft muss mit ihrem religiösen Erbe umgehen und die Spannungen aushalten, die sich daraus in Bezug auf ein säkulares Selbstverständnis ergeben. Diese Spannung ist ein Kennzeichen des säkularen Zeitalters und stellt demnach kein explizit jüdisches Phänomen dar. „The modern age is secular“, so Adar, „the heritage of the past basically religious. Then how is education to be conducted in a modern secular age based on a past religious culture?“102 Eine weitere wichtige Frage, die sich für ihn aus der Beschreibung der Lebenswelt als eine säkulare ergibt, ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen jüdischen und allgemein-kulturellen Inhalten. Das Studium der Bibel kann dabei einen wichtigen Beitrag zur Orientierung der modernen israelischen Jugend leisten. Adar fasst es selbst am Ende seines Hauptwerkes, Humanistic Values, folgendermaßen zusammen: In an industrial, secular age, whose main purpose is a constant raising of the standard of living for the vast masses living in the great democracies, education is called upon to draw the attention of the younger generation to the dimension of depth in life evoked by a metaphysical-religion view of man’s place in the universe. Education can affect this objective by means of the heritage of the past. The teaching of the Bible is important for general education in modern society because it lays bare the deeper meaning of man’s existence, his greatness and meanness, his conflicts and strivings, in the most concrete manner.103
6.3.2 Der Text Mit der Frage nach Bedeutung und Stellenwert des Textes ist das Zentrum der Toradidaktik von Zvi Adar erreicht. So beginnt er sein Hauptwerk Humanistic Values in the Bible mit Überlegungen zu Entwicklungen und Zielen des biblischen Unterrichts mit folgendem Gedanken: Already in the Biblical period the Bible and its scrolls served as a means of education for the people of Israel. Does it fulfil the same role in our generation – the generation of national renaissance? From the whole treasury of Jewish culture, we in Israel have chosen to place the Bible at the centre of education. It seems that we are making more use of it than any previous generation.104
Adar stellt den Tanach in seiner biblischen Didaktik nicht nur einfach, sondern gleich zweifach in den Mittelpunkt: zum einen in seinem hermeneutischen Ansatz des literarischen Zugangs zu den Texten und seiner Betrachtung der Bibel als Literatur und dezidiert nicht als Offenbarung oder als Dogma, zum
101
A.a.O., 49. A.a.O., 57. 103 ADAR, Humanistic Values, 429. 104 A.a.O., 1. 102
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anderen mit seiner an Ingo Baldermann erinnernden105 Überzeugung, dass die Didaktik schon in den biblischen Texten enthalten und in und mit den unterschiedlichen Textsorten entfaltet werden solle. Ich werde zunächst seinen hermeneutischen Zugang des „humanistic approach“ zu dem biblischen Text skizzieren und anschließend seine fünf Aspekte der biblischen Paideia beschreiben: den historisch-narrativen, den prophetischen, den des Gebotes, den der Poesie und den der weisheitlichen Literatur. Humanistischer Zugang zum Tanach Adar charakterisiert seine humanistisch-biblische Hermeneutik in Abgrenzung zur traditionellen jüdisch-religiösen Hermeneutik, die die Bibel als Offenbarung des Wortes Gottes liest und interpretiert. Besonders diese traditionellen Zugänge behindern seiner Meinung nach die religiöse Erziehung durch die Bibel, da sie mit einer vorher festgelegten Hermeneutik die Bibel lesen. Im Gegensatz dazu fordert Adar eine offene Hermeneutik, die schlicht und fast naiv die Dinge liest, die im Tanach geschrieben stehen, da man ihn nur unvoreingenommen verstehen könne. So schreibt Adar: Every reader brings with him, of course, his own world; yet when this world means an extreme traditional attitude, it leads almost necessarily to a dogmatic approach capable of distorting the written word. Instead of trying to understand, through the Bible, the nature of the religious life, the traditionalist seeks in it only a confirmation and proof of his own convictions.106
Im Gegensatz zur bisherigen Lesart und Interpretation der Bibel favorisiert Adar den humanistischen Ansatz. Dieser verkörpere eine Alternative und eine eigenständige Hermeneutik des Tanach und stelle explizit keinen Kompromiss zwischen der traditionell-religiösen Interpretation und der historisch-kritischen Methode dar. Als wichtigste Fragen eines humanistischen Zugangs zur Bibel nennt Adar folgende: What is the meaning of the written word, what is its spirit? What is the experience, the values, and the attitudes of the writers? What meaning had the written word for us, and what are the values we may adopt through the Bible? Wherein lies the greatness of the biblical literature and its power over us? How will we be able to comprehend through it the central experiences and values of man, and to what extent may they have a real significance for us? These are the Questions which the humanistic approach to the Bible seeks to answer.107
Seine Kritik sowohl an der traditionell-religiösen als auch an der historischkritischen Herangehensweise ist, dass beide dem eigentlichen Text der Bibel nicht nur zu wenig Aufmerksamkeit widmen, sondern ihn dadurch verschütten: Die erste sehe den Tanach nur als Hinführung und Einleitung zur mündlichen 105
Vgl. dazu oben Abschnitt 3.1.1 „Ingo Baldermann: Didaktik der Tora“. A.a.O., 4. 107 A.a.O., 43. 106
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Tora; Letztere lese ihn nur noch im Kontext und im Vergleich mit den antiken Quellen. „In both cases“, so Adar, „the Bible loses its uniqueness, its essence; in both cases the most important elements are forgotten – the words of the prophets, the psalms of the poet, the story of the narrator, and the wisdom of the wise.“108 Der Tanach sei aber nicht verfasst worden, damit Menschen ihn wissenschaftlich erforschen oder über ihn predigen können, sondern schlicht, um gelesen zu werden und die Lesenden in ihrem Denken und ihrer Lebensgestaltung zu beeinflussen und zu unterstützen. Der Tanachunterricht solle also darauf zielen, den Tanach als Werk seiner eigenen Zeit zu verstehen, um die Anwendung seiner essenziellen Werte für unsere Generation zu ermöglichen.109 Dieses Lesen des Textes solle bei den Lesenden und Lernenden den literarischen Sinn und ihren Verstand schärfen. Für Adar gibt es keinen Zweifel an der literarischen Vollkommenheit der Bibel: The Bible is great literature because the greatest words in it (and the greatest words are the simplest words) express perfectly the deepest feelings. There is no doubt about the literary perfection of the Bible. Yet both the critical and the traditional approaches do not care to notice it; they are too busy with other matters.110
Das Besondere der biblischen Literatur und vielleicht auch ihre wahre Größe liege in der Tatsache, dass sie mit der Intention verfasst und kanonisiert worden sei, um zu erziehen – nicht für die Kunst an sich, sondern um dem Leben zu dienen. Dabei verknüpfe sie seiner Meinung nach auf beeindruckende Art und Weise Kultur und Erziehung. Adar greift hierfür auf das Konzept des griechischen Wortes paideia zurück, welches beides umfasst: Kultur und Erziehung. Paideia (griechisch παιδεία) kann sowohl mit Erziehung als auch mit Bildung übersetzt werden. Der Begriff bildet über den Zeitraum vom 8. Jahrhundert v. Chr. bis in die Spätantike einen Schlüsselbegriff der griechisch-römischen Bildungsideale, -reflexionen und -praxen ab.111 „Paideia (und ihr lateinisches Pendant humanitas)“, so Bernd Schröder, „bezeichnen nicht nur den Vorgang, in dem die genannten Kenntnisse, Künste und Fähigkeiten erworben werden, sondern auch das Ergebnis der Bildung, das Gebildet-sein.“112 Der Begriff steht also auf der einen Seite für Schulunterricht an Kindern und Jugendlichen und auf der anderen Seite für die grundsätzliche Hinwendung des Menschen zur Bildung und zum Denken.113 Zvi Adar benutzt den Begriff der Paideia für den 108
A.a.O., 44. Vgl. a.a.O., 44f. 110 A.a.O., 45. 111 Vgl. B. SCHRÖDER, Religionspädagogik, 30. Wegen seiner herausragenden Rolle und zeitlichen Konstanz wird der Begriff auch zu einem wichtigen Bezugspunkt der christlichen und der jüdischen Auseinandersetzung mit Bildungskonzeptionen ihrer Umwelt. 112 A.a.O., 31. 113 Dabei haben sich über die mehr als tausend Jahre, in denen der Begriff eine Leitfunktion innehatte, unterschiedliche Bildungskonzeptionen mit ihm verbunden: So steht er bei 109
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Tanach: „This approach sees in the five basic types of literature in the Bible five main ways of Paideia, of a culture which is the basis of education.“114 Durch die doppelte Definition von Paideia als Kultur und Erziehung wird es möglich, Literatur als einen Ausdruck der Kultur und zugleich als ein Instrument der Erziehung zu betrachten: This concept of Paideia may be related to the Bible, i.e., to early Hebrew culture, no less than to Greek culture. In a sense, this is the meaning of the Jewish concept of Torah. The Bible constitutes the culture of a people aiming to educate that people. If we want to be faithful to the spirit of the Bible, let us follow in its steps and see in what way we may use it as Paideia for ourselves. The Bible has been – and should be for us – education through literature.115
Homer für die aristokratischen Bildungsideale des ehrenvollen Kampfes und bei Aischylos für den Einklang von schönem Körper und gesellschaftlicher Rechtschaffenheit und wird dann bei den Sophisten und im Hellenismus zum Ideal eines allumfassenden Bildungsbegriffs. Zu diesem gehören die sprachlichen, die musischen, die mathematischen und die körperlichen Fähigkeiten. Vgl. JOHANNES CHRISTES/RICHARD KLEIN/CHRISTOPH LÜTH (Hg.), Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike, Darmstadt 2006, 89–100.125– 135; JOHANNES CHRISTES, Art. Bildung, in: DNP 2 (1997), 663–673 und besonders das grundlegende Werk von Werner Jaeger, auf das sich auch schon Zvi Adar bezogen hat: WERNER JAEGER, Paideia. Die Formung des griechischen Menschen (3 Bde., 1934–1947), Nachdruck Berlin/New York 1989. Der Bezug, den Adar an einer Stelle auf Jaeger nimmt, irritiert auf den ersten Blick wegen Jaegers Aneignung der nationalsozialistischen Rassenideologie insbesondere in der Einleitung zum ersten Band der Paideia-Reihe im Zuge der Bemühungen (1933), Einfluss auf die Bildungspolitik der Nationalsozialisten zu nehmen (vgl. WOLFGANG RÖSLER, Jaeger und der Nationalsozialismus, in: Colin Guthrie King/ Roberto Lo Presti [Hg.], Werner Jaeger. Wissenschaft, Bildung, Politik [Ph.S 9], Berlin/ Boston 2017, 51–82). Auf der anderen Seite passt Jaegers Verständnis von paideia in die Bibeldidaktik von Zvi Adar: Die eigentliche Pointe des griechischen Konzeptes von paideia liege bei Jaeger in dem Bildungsideal der Staatserziehung und einer politischen Dimension des antiken Bildungsideals. „Laut Jaeger zielen die antike griechische Erziehung und Kultur in ihrer Gesamtheit auf die Bildung des Menschen zu einem politischen Menschen, der sich in den Dienst der Gemeinschaft stellt und den Staat ‚als Former des Menschen und seines ganzen Lebens‘ anerkennt“ (MORITZ EMMELMANN, Paideia in der US-amerikanischen Religionspädagogik. Beispiele eines transnationalen Wissenstransfers bei Edward Farley, Sara Little und James Fowler, in: ZPT 73/1 [2021], 61–72, 65, der hier zitiert aus: WERNER JAEGER, Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, Bd. 1, Berlin 41959, 13). Obschon der größte Teil von Jaegers Paideia-Reihe in den 1920er-Jahren in Berlin oder im Exil in den USA entstanden ist und Jaeger von vielen nicht zu Unrecht als renommierter Altphilologe, der aus Konflikten mit den Nationalsozialisten in die USA emigrierte, rezipiert wird (vgl. EMMELMANN, Paideia, 66), überrascht die unbefangene Art, mit der Adar hier auf Jaegers Werk rekurriert. Vgl. dazu JÖRG RUHLOFF, Art. Humanismus/humanistische Bildung, in: Dietrich Brenner/Jürgen Oelkers (Hg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik, Weinheim/Basel 2004, 443–454, 451f. 114 ADAR, Humanistic Values, Preface. 115 A.a.O., 47.
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Die fünf Aspekte arbeitet er im Kontrast zur traditionellen Einteilung des TaNaCh in Tora, Nebiim und Ketubim heraus. Ihm geht es um literarische Formen, die unterschiedliche Funktionen haben. Die historisch-narrativen Teile erinnern an die Unbeständigkeit von menschlichen Formationen und ihre zentrale Persönlichkeit. An diesen Beispielen können dann die positiven und die negativen Aspekte der menschlichen Anthropologie verdeutlicht werden. An und mit den prophetischen Schriften kann man wiederum direkt die sündhaften Verstrickungen von Menschen und mögliche Wege aus diesen Verstrickungen studieren, sowohl durch die Worte als auch durch die Persönlichkeiten der Propheten. Die Gebote helfen Menschen, Moral in tägliches Tun zu überführen, und sie reichen in alle Lebensbereiche hinein. Die Poesie verändert die Lesenden, wenn sie sich in sie hineinversetzen, und die Weisheitsliteratur bietet gerade jungen Menschen einen großen Fundus an Lebensweisheiten und damit Orientierung.116 Deswegen spricht Adar sich dezidiert für ein Studium des ganzen Tanach aus. Traditionell-religiös stand und steht die Tora im Zentrum der religiösen Erziehung und des Bibelstudiums und wird als wichtigster Teil der Bibel betrachtet.117 Auch in Abgrenzung zu diesem Modell stellt die zionistische Erziehung die prophetischen Bücher in den Mittelpunkt der biblischen Erziehung. Adar plädiert hingegen für eine Wahrnehmung und ein Studium des Tanach in all seinen Teilen, da nur ein Studium des ganzen Tanach ein Verständnis desselben ermögliche. „We must, therefore“, so Adar, „study the biblical narrative, law and poetry no less than prophecy in order to understand the spirit of the Bible.“118 Es ist deswegen die Aufgabe der Bibeldidaktik, diese fünf Bereiche, ihren jeweiligen erzieherischen Wert, ihre Einheit und ihre Diversität, darzustellen und zu bearbeiten. Die fünf Aspekte der biblischen Paideia Adar entfaltet die biblische Paideia anhand der fünf genannten Aspekte ausführlich in seinem bibeldidaktischen Hauptwerk Humanistic Values in the Bible.119 Ich gebe hier einen kompakten Überblick zum einen über die Textsorten, die in der Tora enthalten sind, also die historisch-narrativen und die gesetzlichen, und zum anderen über den prophetischen Aspekt, den Adar
116
Vgl. a.a.O., 47f. Vgl. a.a.O., 26. 118 A.a.O., 27. Allerdings stellt auch er neben dieses Votum gleichzeitig die Aussage, dass die prophetischen Schriften eine besonders zentrale Rolle im biblischen Unterricht einnehmen sollen: „We must embrace the whole of the Bible in order to be able to put prophecy at its center“ (ebd.). Wie dieses Votum zu dem von mir benannten Konzept der Toradidaktik passt bzw. ob man in Bezug auf Zvi Adar dann überhaupt von einer Toradidaktik sprechen kann, wird in der kritischen Würdigung am Ende des Kapitels erläutert werden. 119 Vgl. dazu a.a.O., 51–418. 117
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
insbesondere ins Zentrum seiner biblischen Didaktik stellt. Dabei funktionieren die Didaktiken dieser drei Bereiche auf unterschiedlichen Ebenen: Die historisch-narrativen Texte bilden durch Beispiele (1), das Gesetz durch Taten (2) und die prophetischen Bücher durch die Erläuterung von grundlegenden Einsichten und Ideen (3).120 (ad 1) Der Tanach beginnt mit historisch-narrativen Texten. Aus Adars Perspektive würde Israel in einem historischen Buch über die politische Geschichte der Antike im Nahen Osten nur mit einem sehr kleinen Abschnitt erwähnt werden, während es aber in einer Abfassung über die kulturelle Geschichte einen zentraleren Platz einnehmen müsste. Für die Interpretation des Tanach ist der narrative Rahmen des Buches entscheidend: So wird der Tanach zunächst universell mit den Erzählungen über die Erschaffung der Erde eröffnet, an die sich mit der Abrahamsgeschichte der Beginn des Volkes Israels anschließt, und endet mit der Rückkehr des Volkes Israel aus dem Exil. Das zentrale Thema der Bibel ist die Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel. „The narrative books bring their task to a conclusion when this circle of the history of Israel is closed.“121 Dieses zyklische Geschichtsverständnis ist prägend für die Bibel. Das biblische Zeitverständnis variiert dabei: Manchmal werden 400 Jahre gerafft in ein paar Versen (Ex 1), und manchmal werden einzelne Generationen ausführlich und detailliert erzählt (z.B. in den Erzelterngeschichten). Der Wechsel zwischen schneller und langsamer Erzählweise, zwischen Zeitraffungen und -dehnungen prägen den Rhythmus des biblischen Erzählens. Dabei werden Themen in den Mittelpunkt gestellt, die aus modernhistorischer Perspektive irrelevant erscheinen (vgl. z.B. die Josefsnovelle). Der erzieherische Wert der Geschichten liegt nach Adar in den Erzählungen selbst. Sie seien zu diesem Zweck verfasst und von Generation zu Generation weitergegeben worden, um das Selbstverständnis von Menschen zu prägen. Von diesem Geist sei die Bibel, so Adar, durchzogen: When seeking to educate through the biblical narrative, we have to enter into its spirit and climate. Yet this does not suffice. We should infuse this spirit into our students. The ancient literary creation should become an educational power in firming new man. When we penetrate into the spirit of a great literary creation, our personality changes and becomes directly enriched through it. Can the biblical narrative, then, be such an educational power? It is very encouraging to see that such an educational approach is inherent in the biblical stories themselves. […] The simple narrative comprises and reflects values, toward which it educates. It only hints at these values, transmits them unintentionally, as it were, almost unconsciously; and, precisely because of this, its educational power is great.122
120
Vgl. a.a.O., 224. A.a.O., 53. 122 A.a.O., 67. Als Beispiele hierfür nennt Adar Teile der Davidserzählung: beispielsweise David und Goliath oder David und Abigail, und die Erzählung von Elieser, dem Knecht Abrahams, und Rebekka. 121
6.3 Das didaktische Viereck
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Diesen den biblischen Geschichten innewohnenden Erziehungswert bezeichnet Adar als „unintentional educational approach“, in der Zusammenstellung der Bücher und ihrer Kanonisierung zu einer Einheit liege dagegen konkret eine erzieherische Absicht: „The authors of the books, when selecting stories and combining them into one unit in accordance with a certain line, intended to educate the people on the basis of its past.“123 Die didaktische Kraft der biblischen Geschichten wird noch deutlicher, wenn man sich die verschiedenen Ebenen anschaut, auf denen sie wirkt. Die meisten Geschichten haben drei Ebenen: Zuerst ist da die Handlungsebene, die zweite betrifft die des Sinnes der Geschichte und der Gefühle der Hauptpersonen, während sich die dritte mit der expliziten oder impliziten Weltanschauung der Geschichte auseinandersetzt. Jede Altersstufe ist in der Lage, eine andere Ebene zu erfassen, und sie wird auch von verschiedenen Ebenen angesprochen: So genieße ein Kind die Spannung und die Handlung der Geschichte und versetze sich in die einzelnen Figuren, Jugendliche bedenken die Taten und Charaktere der Hauptfiguren und versuchen, den Sinn der Geschichte zu ergründen, und Erwachsene reflektieren über die Ideen, die die Geschichten wiederum mit anderen Teilen des Tanach verbinden.124 Deswegen seien die Geschichten zyklisch zu lesen und zu studieren, zunächst als Kinder, dann als Jugendliche, dann als Erwachsene. Es gebe dabei keine unwichtigen Aspekte oder Ebenen in den biblischen Texten, sondern gerade die nichterzählten und unerwähnten Details können von besonderer didaktischer Relevanz sein. Mit welcher Perspektive auf den Text die Lehrkraft den Unterricht darüber beginne, könne von ihr frei entschieden werden. Adar empfiehlt dazu: With more mature pupils, it would be perhaps desirable to start from the whole, yet vaguely understood, and then proceed to the details which lead finally to a clear and distinct understanding of the whole. It may then happen that, after the educator succeeds in calling the attention of his students to those details which had seemed to them unimportant, they will perceive a whole different from the one they had previously divined.125
Eine wichtige Rolle in Adars bibeldidaktischem Entwurf spielen dabei die biblischen Hauptfiguren der historisch-narrativen Texte, die heroes, wie er sie nennt. Das zentrale Thema der Literatur sei der Mensch in seinen endlosen Variationsmöglichkeiten. An diesen Beispielen können gerade unerfahrenere Schüler:innen lernen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und verschiedene Perspektiven wahr- und einzunehmen.126 123
A.a.O., 68. Vgl. a.a.O., 69. 125 A.a.O., 74. 126 „When teaching the Bible, we have to follow in the steps of the narrator, and put at the center the main heroes, and in the periphery the secondary ones, both in accordance with their individual value and as a means of bringing into relief the central heroes“ (a.a.O., 92). Als Beispiel nennt Adar hier besonders Abraham und Jakob. Dies ließe sich seiner Meinung 124
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
(ad 2) Ausgangspunkt der Betrachtung des Gesetzes bildet für Adar der Vergleich mit den Propheten: Tora und Propheten kennzeichnen die beiden Seiten eines Phänomens: der Frage nach einem gerechten Leben. Die Tora beantwortet diese Frage mit einem detaillierten System, die Propheten mit einem allgemeinen Prinzip. Den Kern des Gesetzes beschreibt Adar unter Bezugnahme auf Achad Ha’am als Gerechtigkeit in Aktion folgendermaßen: There is no doubt that the law as justice in action is the basic principle of all law. Each individual is confronted by a code of laws which presents the expression of a righteous way of life, and into which he must wave his own life, if he strives to be a good man in the society of Israel.127
Wenn, wie die Propheten es beschreiben, Gerechtigkeit Religion in Aktion und das Gesetz Gerechtigkeit in Aktion sei, dann charakterisiert das Einhalten und Leben gemäß den Geboten ein religiöses Leben. Adar sieht in Religion, Moral, Gesetz und Gerechtigkeit komplementäre Konzepte, wobei die Religion die Basis von allem darstelle. Dieses Konzept reiche in alle Lebensbereiche hinein und erschaffe und integriere damit eine komplette Kultur.128 Von den verschiedenen Rechtsbüchern des Tanach erscheint Adar das Deuteronomium für den Unterrichtsgebrauch am geeignetsten, weil sich mit ihm am grundlegendsten die Werte des Gesetzes vermitteln ließen.129 Durch seine Verknüpfung von Geboten und Begründungen derselben sei das Deuteronomium ein didaktisches Buch par excellence, da es sich zum Ziel gesetzt habe, Menschen durch das Gesetz, also durch die konkrete Tat, zu erziehen. Dem liege die Annahme zugrunde, dass es möglich sei, Menschen zu erziehen und zu verändern. Dabei plädiert Adar dafür, mit den Geboten zu arbeiten, die ihren Wert auch für den
nach aber auf die meisten biblischen Figuren übertragen. Obschon es so scheint, als würden die Menschen im Mittelpunkt der meisten biblischen Geschichten stehen, ist doch eigentlich Gott der Mittelpunkt des Tanach. Ohne seine Rolle kann man auch die meisten Geschichten nicht verstehen. „God is both the manifest background and the hidden hero of all the biblical stories, and we should not be able to understand them if we did not try to examine this phenomenon“ (a.a.O., 108). Diese auf den ersten Blick banal anmutende Feststellung ist auf der einen Seite für eine säkulare, literarische Lesart des Tanach herausfordernd, auf der anderen Seite mag es aus religiöser Perspektive fremd erscheinen, Gott als die Hauptperson eines Buches zu begreifen. Es ist aus Adars Perspektive zu einfach, Gott schlicht z.B. durch eine Historisierung der Bibel aus ihr zu entfernen. Aber auch eine zu religiöse Meinung, die Gott nicht mehr hinterfrage, sondern ihn absolut stelle, könne Gott aus der Bibel entfernen: „We have to acknowledge in the end, that it is impossible to see God through the Bible when we see the Bible through God“ (a.a.O., 109). Daneben biete der humanistische Ansatz eine perfekte Möglichkeit, durch den Tanach Wissen über Gott zu erlangen, und solches Wissen sei wiederum eine Voraussetzung, um die Bibel zu verstehen. 127 A.a.O., 222. 128 Vgl. a.a.O., 219. 129 „The book of Deuteronomy gives a reason of the precepts not in order to justify them, but to educate the people through them“ (a.a.O., 224).
6.3 Das didaktische Viereck
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modernen Menschen entfalten können.130 Der Wert der Gebote liege in ihrem didaktischen Sinn und ihre Signifikanz in der Prägekraft, die sie entfalten für einen ethischen, einen gerechten Lebenswandel. „The educational purpose indicates that the authority of the Law derives not from the usages of the past, but from the ideals of the future.“131 Diese sei wiederum in den narrativen Spannungsbogen der Tora eingebunden: Gemäß der Tora sind die Gebote für die Zukunft verfasst worden, da Israel zu dem Zeitpunkt, als sie verfasst wurden, noch auf Wanderschaft in der Wüste war. (ad 3) Obschon die Toradidaktik im Zentrum dieser Studie steht, muss hier erwähnt werden, dass für Adar selber, gerade in Ablehnung der klassischen, religiösen Zentralstellung der Tora, der Unterricht der prophetischen Bücher favorisiert wird: The Jewish tradition regarded the Torah as being more holy than prophecy and educated mainly through it; while the modern Hebrew educator transfers the emphasis from the Torah to prophecy. The modern educator sees more validity in the living personality of the prophet than in the presence of Mount Sinai. The general moral principles of prophecy seem to him to possess more effective educational value than the fixed principles of the Torah.132
Dies wird mit der Zentralstellung der ethischen und moralischen Werte bei den Propheten begründet. Die moralischen Werte und das Streben nach einer „besseren Welt“ können die Schnittpunkte darstellen, an denen sich moderne Menschen und Propheten begegnen könnten. Die Propheten können für ein Streben nach einem ethischen Leben als Vorbilder dienen, von dem sich die Lernenden verändern lassen. Dabei sollte der Unterricht der prophetischen Bücher zwei Aspekte vereinen: die Person des Propheten und die jeweiligen prophetischen Ideen.133 Die verschiedenen Textsorten erfordern, so Adar, unterschiedliche didaktische Zugänge. Sie müssen unterschiedlich gelesen, erklärt, diskutiert werden. Als größte Herausforderung des biblischen Unterrichts sieht er die Frage, wie die fundamentalen Werte der Bibel in der modernen Lebenswelt angewendet werden können.
130 „If we seek to bring to light the educational values of biblical Law, we should be prepared to find that, while certain laws are of great value, others are but of little value. Moreover, we should not hesitate to oppose the values upon which certain laws are based“ (a.a.O., 218). Hierfür ist es von Vorteil, das Gesetz nicht als heiliges Gesetz zu verstehen, auch wenn es dadurch weniger verlässlich und stabil wirke. Dafür wird es jedoch eher möglich, es an die Veränderungen und Herausforderungen der modernen Zeit anzupassen. 131 A.a.O., 227. 132 A.a.O., 211. 133 Vgl. a.a.O., 127–216.
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
6.3.3 Die Lehrenden Obschon die Lehrkraft im Vergleich zum Stellenwert des Textes nicht die zentrale Rolle in der Bibeldidaktik von Zvi Adar einnimmt, so bestimmt sie doch die Perspektive: Seine Didaktik reflektiert dabei die Perspektive der Lehrenden und deren grundsätzliche Fragen, wie die Bibel verstanden und mit welcher Haltung und welchem Ziel sie unterrichtet werden sollte. Vor diesem Hintergrund fokussiert Adar den säkularen Lehrer bzw. die säkulare Lehrerin, die er als moderne Lehrkraft charakterisiert. Ich werde zunächst verschiedene Charakteristika dieser modernen Lehrkraft skizzieren und dann die für sie empfohlenen Methoden für den Tanachunterricht kurz darstellen. Die moderne Lehrkraft Die Lehrkraft innerhalb des bibeldidaktischen Konzeptes von Zvi Adar ist eine moderne, säkulare Lehrer:in. Er führt verschiedene Aspekte dieses Verständnisses der Profession des Lehrberufs an: (1) Eine moderne Lehrkraft sei eine der Wissenschaft zugeneigte Lehrkraft. Sie akzeptiere den wissenschaftlichen Zugang zur Bibel. Dieser wissenschaftliche Zugang zum Tanach sei entscheidend, da er wiederum modernen, aufgeklärten Menschen eine Möglichkeit des Zugangs zur Bibel überhaupt biete.134 Die Lehrkraft müsse dementsprechend einschlägige wissenschaftliche Debatten um die Bibel kennen und, wenn es gewinnbringend erscheine, diese in den Unterricht integrieren. Obschon die wissenschaftliche Analyse zwar nicht das Ziel des biblischen Unterrichts sei und der Text des Tanach auch nicht als bloßes Material für wissenschaftliche Zwecke angesehen und unterrichtet werden dürfe, sollen wissenschaftliche Erkenntnisse für ein besseres Verständnis der Tora herangezogen werden. (2) Die moderne Lehrkraft sei außerdem Übersetzer:in: Sie müsse und könne die Ideen des Tanach in eine moderne Welt übersetzen. Adar verdeutlicht dies am Beispiel der Propheten: It may be (and it should even be pointed out) that the fight for social justice, which is the essence of the teachings of the prophets, is also the spiritual motive which stimulated the great founders of modern socialism to formulate their theories and to fight for them.135
134
Vgl. a.a.O., 8. A.a.O., 25. Als ein anderes Beispiel für die Übersetzung benennt Adar die Sexualmoral des Deuteronomiums. Zwar gebe es große Unterschiede zwischen der Sexualmoral im Deuteronomium und aktuellen Vorstellungen. So ermöglichen diese Kapitel es der Lehrkraft trotzdem, Themen und Fragen rund um das Thema anzusprechen, selbst wenn man zu unterschiedlichen Lösungen gelangt. „We cannot dictate precise sexual morality to our pupils yet we should make use of the examples given in the Bible (in the laws of Deuteronomy as well as in the stories of David and Bathsheba or of Amnon and Tamar), in order to show the pupils the particular problems inherent in this sphere“ (a.a.O., 249). 135
6.3 Das didaktische Viereck
189
(3) Die persönliche religiöse, areligiöse oder säkulare Einstellung der Lehrenden dem Tanach gegenüber solle für das Unterrichtsgeschehen irrelevant sein. Adar charakterisiert die Lehrerschaft diesbezüglich plural: There are also among us non-believers, in whose hearts the religious spirit is nonetheless deeply embedded. There are also „believers“ in God who are not religious, religious men who do not „believe“ in God, and still many others who neither believe in God nor are religious.136
Diese persönliche Einstellung zum Judentum als Religion dürfe nicht ausschlaggebend für den Tanachunterricht sein, da dieser keine religiöse Erziehung darstelle und dementsprechend keine Gebete oder Rituale umfasse. Der Tanach solle dagegen als Literatur unterrichtet werden. Eliezer Schweid beschreibt den Zugang der nichtreligiösen Lehrkraft zur Tora folgendermaßen: Auch der Lehrer, der sich selbst nicht als religiös betrachtet, kann auf die Bibel als „Tora“ [d.i. als Weisung] Bezug nehmen, [kann] in ihr Inhalte entdecken, die die Basis seiner Kultur repräsentieren. Ich sage nicht, dass der weltliche Lehrer auf die Bibel als „Tora des Himmels“ [d.h. Gottes Wort] Bezug nehmen kann, aber [eben] als „Tora“. Das heißt: als Buch, das sich direkt an die Gegenwart wendet, ein Buch, das Weisung und Orientierung enthält, ein Buch, dessen Inhalte Autorität beanspruchen, die letztlich ihre Quelle in der Tatsache hat, dass die Bibel ein „Grundbuch“ ist, Quelle der Werte und der grundlegenden ethischen und nationalen Normen unserer jüdischen Kultur.137
In der kulturellen bzw. säkularen und offenen Lesart des Tanach seien die Autorität, die Heiligkeit und der damit einhergehende Vertrauensvorschuss, den die Bibel in religiösen Gemeinschaften genieße, nicht gegeben. Demgegenüber müsse die Bibel sich stets aufs Neue er- und beweisen als Buch, das den kritischen Fragen der Lesenden standhalte. Für die säkulare Lesart sei nicht die göttliche Offenbarung die Grundlage, sondern die Achtung vor der Tora als Fundament der jüdischen Ethik, Kultur und Identität. Lehrer:innen müssen vor diesem Hintergrund von dem Tanach als einem solchen Grunddokument überzeugt sein, und Schüler:innen müssen zwar zu einer Auseinandersetzung mit den Texten angehalten und angeregt werden, innerhalb dieser Auseinandersetzung brauche es dann aber eine große Freiheit für Kritik, Reibung und persönliche Standpunkte. Lehrkräfte, die den Tanach unterrichten, dürfen durchaus religiös sein, aber es sei weder eine Voraussetzung, noch sollen sie ihre Religiosität zum Thema des Unterrichts machen oder gar versuchen, die Schüler:innen von ihrer religiösen Einstellung zu überzeugen. Dies wird besonders durch das Selbstverständnis der staatlich-allgemeinen Schulen begründet, die den Fokus eher auf 136
A.a.O., 214. ELIEZER SCHWEID, „Bibelunterricht als Fach an staatlichen Schulen“ (hebr. הוראת )המקרא כתורה בבית הספר הממלכתי, in: Uriel Simon (Hg.), Die Bibel und wir (hebr. המקרא )ואנחנו, Tel Aviv 1979, 192–208, 200, zitiert in der deutschen Übersetzung nach B. SCHRÖDER, Jüdische Erziehung, 314 (Hinzufügungen in eckigen Klammern von Schröder). 137
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
die nationale als auf die religiöse Dimension der jüdischen Existenz und damit auch des Tanach legen.138 „The school does not inculcate the religious view of life“, so Adar, „it is concerned rather that children know and grasp it, and see its significance and value.“139 Religion wird in diesem Ansatz als eine wichtige Komponente des menschlichen Lebens betrachtet und ist damit ein wichtiger Teilaspekt einer humanistischen Erziehung. Diese dürfe aber keinen Einfluss auf die persönlichen Überzeugungen der Schüler:innen nehmen, was wiederum von den Lehrer:innen, unabhängig von ihrer persönlichen Überzeugung, akzeptiert werden müsse. Eine zentrale Frage sei dabei, was es für eine nichtreligiöse Lehrkraft bedeute und wie für es sie dementsprechend möglich sei, diese Texte zu unterrichten. Eine Antwort auf diese Frage gibt Adar in seinem humanistischen, offenen Zugang zur Bibel: The open approach rejects all dogmatism, both radically religious and anti-religious; instead, it invites a careful and thoughtful consideration of the religious experience and the life of faith as dimensions of human and social existence, and it presents the Biblical world-view as one of the important world-views proposed in the history of mankind.140
(4) Schließlich müsse sich die Lehrkraft ihrer eigenen Fehlbarkeit und Grenzen bewusst sein und diese auch den Schüler:innen offenlegen.141 Methoden für den Tanachunterricht Die Bibel, so betont Adar in seinem bibeldidaktischen Entwurf, solle als offenes Buch und nicht als religiöses Dogma unterrichtet werden; diesem Grundsatz sollen die jeweiligen Methoden und Zugänge, die die Lehrkraft reflektiert, entsprechen. Adar vertritt für den Tanachunterricht die Überzeugung, dass der Tanach direkt zu den Lesenden spreche: Die Kombination von Naivität und Tiefgründigkeit, von Spontaneität und Bedachtsamkeit, von Erzählung und Philosophie mache die Bibel für jeden Menschen relevant. „And this quality“, so Adar, „determines also the way in which it should be taught.“142 Die Naivität, die Spontaneität und die Erzählung erschließen sich den Lesenden beim ersten Zugang, während die Aufgabe der Lehrer:in darin liege, die Tiefgründigkeit, die Bedachtsamkeit und die Philosophie des Tanach den Lernenden zu entschlüsseln und sie mit ihnen zu entdecken. Das Lesen der Bibel solle, so die Hoffnung und das Ziel, den Wunsch bei den Lesenden wecken, die Texte 138 Vgl. ADAR, Jewish Education. Dort schreibt er: „The general state school in Israel is a creation of the Jewish national revival movement, which attempted to focus on the national rather than religious dimensions in Jewish existence“ (ADAR, Jewish Education, 55). 139 A.a.O., 55. 140 A.a.O., 69. 141 „We are unable to comprehend the phenomenon of Prophecy entirely; we can only try to understand it to the utmost limit of our ability, and when we arrive at this limit we have to admit our inadequacy to our students“ (ADAR, Humanistic Values, 34). 142 A.a.O., 425.
6.3 Das didaktische Viereck
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umfassender zu verstehen. Die Aufgabe der Lehrkraft sei es, hierbei Verstehenshilfen anzubieten. Die Methoden für das Verständnis der Bibel sieht Adar in der unzensierten Analyse der Bibeltexte und in der Diskussion der Texte. Der biblische Stil selbst führe die Lehrkräfte automatisch zu der „method of explication“,143 in der es darum geht, jegliches Detail des Textes zu studieren. Die Besonderheit der biblischen Texte sei ihre Verdichtung: eine Herausforderung für die Lehrer:innen und eine Motivation für die Lernenden. Hierbei heiße Erklärung, „that teacher and pupils attempt to plumb the depths of the texts together, and as such it forms a model method of instruction“.144 Lehrer:innen sollen dabei ihre Textauswahl der Lerngruppe anpassen und von leichteren zu schwereren übergehen. Die Methode der Diskussion verhalte sich komplementär zu der der Erklärung und Analyse: Während bei dem einen das akribische Studium der Texte gefragt sei, verlange das andere die Freiheit, sich von den Texten zu lösen und in fantasievolle Diskussionen einzusteigen. Die Lehrkraft solle die Lernenden in der freien Diskussion über die Texte fördern. An die Diskussion von Einzeltexten und Themen der Bibel solle sich die Diskussion von biblischen Querschnittsthemen anschließen. „Uncensored analysis and discussion of the text is one of the striking characteristics of the teaching of Bible in general education in Israel.“145 Beide Methoden, die exakte Analyse und die freie Diskussion, entsprechen dem Wesen der Bibel. Aus der didaktischen Perspektive liege es in der Verantwortung der Lehrkraft, den jeweiligen Zugang zu den Texten zu wählen. Dieser müsse auf der einen Seite jeweils den Interessen, dem Lernniveau und der Zusammensetzung der Lerngruppe angepasst werden. Auf der anderen Seite habe jede literarische Kategorie der Bibel, also die historisch-narrative, die prophetische, die gesetzliche, die poetische und die weisheitliche, ihren eigenen didaktischen Wert, ihre eigenen Potenziale und Schwierigkeiten. 146 6.3.4 Die Lernenden Die Schüler:innen, für die Adar seine Didaktik konzipiert, sind säkulare Israelis, die sich selbst nicht als religiös definieren. In diesem Zusammenhang erfordert eine nachvollziehbare Darstellung jedoch eine Einschränkung: Die von Adar getroffenen Aussagen über die beteiligten Lehrkräfte müssen durchaus als spärlich bezeichnet werden. Demgegenüber erweisen sich die Aussagen über die Lernenden als noch deutlich lückenhafter. Ein schlüssiges Konzept lässt sich hierzu kaum erstellen. Dennoch sollen im Folgenden einige Gedanken, die Adar meist eher nebenbei dazu festgehalten hat, skizziert werden.
143
A.a.O., 426. Ebd. 145 ADAR, Jewish Education, 68. 146 ADAR, Humanistic Values, 419. 144
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
Im Zentrum seines toradidaktischen Werkes steht die Frage, wie der Tanach säkularen, nichtreligiösen Israelis gelehrt und zum Nährboden und Fundament einer jüdisch-säkularen Identität werden könne. Ziel seiner Toradidaktik ist die Erziehung der Schüler:innen im jüdisch-humanistischen Geist. „The ancient literary creation“, so Adar, „should become an educational power in forming new men.“147 Die Bibel als älteste und damit klassische Literatur des jüdischen Volkes und seiner Geschichte verbinde nationale, moralische und religiöse Elemente der Erziehung. Sie ist somit der ideale Gegenstand, anhand dessen jüdische Schüler:innen eine wirklich jüdisch-humanistische Erziehung erhalten können.148 Diese Voraussetzung werde durch die Forderung selber untermauert, dass der Tanach eine gründliche und exakte Analyse der humanistischen Werte verlange, „so that the student’s own criteria of evaluation will become clear to him, and he will learn to relate the human values of the Bible to his own living personality“.149 Dabei formuliert Adar zwei Ziele in Bezug auf die Lernenden: Sie sollen zunächst lernen, sich anhand der Charaktere des Tanach in andere Menschen hineinzuversetzen, um dann in einem zweiten Schritt Werturteile abgeben zu können.150 Der Tanachunterricht zielt dezidiert nicht darauf, die Schüler:innen zu religiösen, gläubigen Jüd:innen zu erziehen oder sie in ihrem persönlichen Glaubensweg zu bestärken, sondern „[to deepen] the pupil’s character through his encounter with Biblical figures and ideas“151 und sie darin zu unterrichten, was in den biblischen Texten steht und was diese Texte bedeuten können. Hierfür sollen die Schüler:innen dazu motiviert werden, die ganze Bibel zu studieren. Dieses idealistische Bild der Schüler:innen, die sich direkt vom Tanach angesprochen fühlen und ihren Charakter daran bilden wollen, komplementiert Adar durch den Einwand, dass die modernen Schüler:innen zum Beispiel nicht das Verständnis der Gesetze unhinterfragt annehmen, sondern sie von einem modernen Standpunkt aus skeptischer betrachten würden: In their eyes the biblical law – like any other law – is a human-social product which develops in the process of time, relies upon ancient tradition, consolidates it into legal formulae, acquires, from time to time, new forms through accumulated experience, in accordance with new economic and class interests, and stand in a reciprocal relation with other social institutions.152
Trotz dieser Vorstellungen von den modernen Schüler:innen zeichnet sich bei Adar ein sehr passives Bild von den Lernenden ab, und er nimmt sie wenig bis gar nicht als in der Lernsituation interagierende Subjekte in den Blick. Dies ist 147
A.a.O., 67. Vgl. a.a.O., 34. 149 A.a.O., 35. 150 Vgl. a.a.O., 91. 151 ADAR, Jewish Education, 68. 152 ADAR, Humanistic Values, 224f. 148
6.4 Kritische Würdigung
193
wohl aus der Tatsache zu ersehen, dass sie eigentlich keine wirklich ernst zu nehmende Rolle in seinen bibeldidaktischen Ausführungen spielen. Verdeutlicht wird diese passive Rolle durch die Verben, die er verwendet, wenn die Schüler:innen überhaupt erwähnt werden: So spricht er zum Beispiel davon, dass der Geist des Tanach den Lernenden „eingeflößt/eingeführt“ oder die Schüler:innen mit den moralischen Werten des Tanach „durchtränkt“ werden sollen.153
6.4 Kritische Würdigung 6.4 Kritische Würdigung
In der kritischen Würdigung werde ich zunächst die Grundlinien der Toradidaktik von Zvi Adar zusammenfassen und innerjüdische Kritik an ihr aufnehmen. Danach werde ich seine Toradidaktik anhand der didaktischen Kriterien der Subjektwerdung, der Positionalität der Lehrkraft, der Pluralitätsmoderation und der Hermeneutik reflektieren,154 um dann in einem abschließenden Abschnitt des Kapitels Impulse der Toradidaktik von Zvi Adar für eine christliche Toradidaktik zu skizzieren. 6.4.1 Würdigung Adar hat mit seinem bibeldidaktischen Entwurf den Grundstein für den Tanachunterricht im staatlich-allgemeinen Trend in Israel gelegt. Seine zentrale Stellung bis zum heutigen Tag wurde mir auch noch einmal in einem Gespräch mit Dr. Howard Deitcher, dem Direktor des Florence Melton Institute an der Hebrew University Jerusalem, bewusst, als dieser betonte, dass Adar in einer Arbeit zur jüdischen Toradidaktik eine zentrale Stellung einnehmen müsse, da er bis heute das Fundament der Bibeldidaktik im staatlichallgemeinen Schulsystem und des säkularen Tanachunterrichts sei.155 Adar hat in seiner Toradidaktik den ambitionierten Versuch unternommen, die Relevanz des Tanach einer nichtreligiösen jüdischen Zielgruppe nahezubringen, ohne dabei den Tanach national zu instrumentalisieren oder zum reinen Material für wissenschaftliche Forschung zu machen. Er lehnte die religiöse, die nationale sowie die historisch-kritische Interpretation des Tanach als die prägenden Lesarten der Bibel ab: die erste, weil sie dem säkularen Selbstverständnis des modernen Menschen nicht mehr zu vermitteln sei; die zweite, weil sie nicht 153 Siehe dazu: „When seeking to educate through the biblical narrative, we have to enter into its spirit and climate. Yet this does not suffice. We should infuse this spirit into our students“ und „Thus we have here an opportunity to imbue our students with faith in ultimate values, and to elucidate their contents and validity“ (a.a.O., 67 und 216). 154 Zur Herleitung der Kriterien vgl. oben Abschnitt 4.5 „Feingliederung: Das didaktische Viereck als Tertium Comparationis“. 155 So Dr. Howard Deitcher im Gespräch mit der Verfasserin am 19.2.2017.
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
den nationalkritischen Inhalten der Bibel entspreche; und die dritte, weil sie höchstens eine Vorbereitung für Lehrer:innen und eine Wissenserweiterung für Schüler:innen darstelle, aber nicht die direkte Begegnung zwischen Lesenden und dem Text fördere. Dagegen ist sein hermeneutischer Ansatz eine humanistische Lesart des Textes, die den Text als Literatur ins Zentrum des biblischen Unterrichts stellt. Adar betrachtet die Bibel unter dem Blickwinkel der klassischen, humanistischen Bildung als jüdisches Kulturgut, als Urkunde einer Religion, als Quelle von Lebenserfahrungen.156 Sein Erziehungsideal ist die griechische Paideia, die eine Symbiose aus Kultur und Erziehung darstellt. Diese interpretiert und füllt er jüdisch, und in dieser Interpretation spielt der Tanachunterricht eine zentrale Rolle. Aus toradidaktischer Perspektive steht der Text dabei doppelt im Mittelpunkt: einmal als Literatur, die akribisch analysiert und frei diskutiert, die zyklisch immer wieder und dabei immer tiefer auf ihren unterschiedlichen Ebenen erfasst werden soll, die in ihrem Kontext von der Erschaffung der Welt bis zur Rückkehr aus dem Exil verstanden und gleichzeitig in Einzelbeispielen studiert werden soll, deren Hauptfigur zwar Gott ist, die aber explizit nicht als religiöses Dogma oder Text einer Offenbarung gelesen werden soll. Zum anderen ist die Didaktik den Texten inhärent. Adar besteht darauf, dass alle Textsorten, die historisch-narrativen, die prophetischen, die gesetzlichen, die poetischen und die weisheitlichen und damit der Tanach als Ganzes, gleichwertig gelesen, gelernt und studiert werden; denn nur sie zusammen ergeben die biblische Paideia. Hierfür soll ernst genommen werden, dass der Tanach für die Bildung von Menschen verfasst und kanonisiert wurde. Diese didaktische Fülle gelte es zu bergen und zu nutzen. An den fünf Textsorten kann man Unterschiedliches lernen: So können zum Beispiel die vielen Held:innen der narrativ-historischen Texte Vorbilder sein und zur Subjektwerdung beitragen, die prophetischen Texte zum ethischen Lernen und die Gebote zur Umsetzung der Gerechtigkeit in konkrete Taten anregen. Der Tanach ist ein offenes Buch, in dem sich die modernen Lesenden wiederfinden können und das sie zu dem Fundament ihrer jüdischen, säkularen, humanistischen, israelischen Identität machen können. Mit seinem Entwurf hat Zvi Adar ein Fundament für den Tanachunterricht und sein Selbstverständnis an den Schulen des staatlich-allgemeinen Trends in Israel gelegt. Weiterentwickelt und -gedacht wurde dieses säkulare Konzept der Toradidaktik von Yairah Amit (*1941). Sie ist eine wichtige Stimme des säkularen Bibelunterrichts an staatlich-allgemeinen Schulen um die Jahrtausendwende, also eine Generation nach Adar. Amit war bis zu ihrer Emeritierung Professorin
156
Aus der Perspektive der christlichen Bibeldidaktik lässt dieses Verständnis der Bibel als Kulturgut an Teile des bibeldidaktischen Konzeptes von Gerd Theißen denken. Vgl. THEIẞEN, Bibel, 36–62.
6.4 Kritische Würdigung
195
für Bibelwissenschaft an der Tel Aviv University.157 In ihren Konzepten nimmt sie viele von Adars Impulsen auf und führt diese weiter. Für sie ist der Tanach auch und vor allem Literatur und sollte als solche gelesen, interpretiert und unterrichtet werden. Ihre Themenschwerpunkte in der Bibeldidaktik sind die biblische Historiografie,158 die versteckte Polemik, im Sinne von Auseinandersetzung und Streitkunst,159 und die biblische Erzählkunst. 160 Wie bei Adar stellt der gesamte Tanach mit seinen fünf verschiedenen Literaturtypen die Grundlage ihrer Didaktik dar. Zudem betont sie die Polyfonie des Tanach, die sich besonders in seiner Kanonisierung und Edierung niederschlägt.161 Amit bewertet den Stellenwert der historisch-kritischen Methode für den Tanachunterricht anders als Adar. Für sie muss sie eine Zentralstellung innerhalb der 157
Yairah Amit wurde im Oktober 1941 in Tel Aviv geboren und gehört damit schon der Generation von Bibellehrer:innen und -forscher:innen an, die nach der Staatsgründung sozialisiert wurden und selber den staatlichen Bibelunterricht durchlaufen haben. Sie hat Geschichte und Tanach studiert und wurde über das Richterbuch promoviert. Parallel dazu hat sie die verschiedenen Lehrzertifikate erhalten. Ab 1970 arbeitete sie im Bible Department der Universität Tel Aviv, zuletzt als Professorin. Zudem hat sie den Tanachunterricht an staatlich-allgemeinen Schulen geprägt, unter anderem durch ihre Mitarbeit und von 1991 bis 1995 auch durch ihren Vorsitz im Komitee für Bibelunterricht des Erziehungsministeriums. Vgl YAIRAH AMIT, Berufliche Homepage, Universität Tel Aviv, Department of Bible, https://www.tau.ac.il/humanities/vip/Amit-Yairah.html (08.07.2022). 158 Vgl. YAIRAH AMIT, History and Ideology. Introduction to Historiography in the Hebrew Bible (BiSe 60), Sheffield 1999. 159 Vgl. YAIRAH AMIT, Hidden Polemics in Biblical Narrative (BiInS 25), Leiden/Boston/ Köln 2000. Amit sieht in der alttestamentlichen Polemik und der Lust an der Kontroverse und den unterschiedlichen Meinungen schon den Grundstein für die rabbinische Hermeneutik und Streitkultur. „Reflection on biblical literature as polemic, whose meanings are not unequivocal, and which has an interest in emphasizing the existence of controversy and of a multiplicity of views, suggests a certain line of continuity between biblical literature and the literature of the Oral Torah which came in its wake. The latter developed and perfected the culture of polemic controversy and meeting of opinions to the point of turning argumentation into a central matter in its own right, of no less importance than the legal decision that comes in its wake. It seems to me that the beginning of this phenomenon lies in the multiplicity and preservation of polemics in biblical literature“ (a.a.O., xii). 160 YAIRAH AMIT, Reading Biblical Narratives. Literary Criticism and the Hebrew Bible, Minneapolis 2001. Ziel dieses Buches ist es, eine Einleitung in die Geschichten der Bibel sowohl für Lehrer:innen als auch für erwachsene Tanachlesende und -studierende zu geben. Die prägenden Fragen sind: „How does the Bible itself regard its narrative portions? Do biblical stories share peculiar characteristics, and can we speak about the particular nature of the biblical story? Who set the boundaries of these stories, and who was responsible for their headings? Should a reader of these stories bear in mind the considerations of biblical criticism and the findings of biblical research? Who is the omniscient and omnipotent figure in biblical narrative, God or the narrator? How are the plot, characters, time, and place designed? What is the relationship between content and form? How can we determine the meaning of a story, and can it have more than one meaning?“ (a.a.O., xi). 161 Vgl. AMIT, Hidden Polemics.
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
Bibeldidaktik an staatlich-allgemeinen Schulen einnehmen. Während Adar die historisch-kritische Methode als Hilfsmittel und sinnvoll für die Vorbereitung des Unterrichts oder zur Wissenserweiterung erachtet, aber nicht als Zugang für die Lernenden zur Bibel betrachtet, sieht Amit in ihr überhaupt nur die Grundlage für einen modernen Bibelunterricht gegeben, der säkularen Schüler:innen einen Zugang zum Tanach ermöglichen könne: While biblical criticism should not be thought of as a panacea that will change Bible teaching and affect attitudes toward it, I believe that it is an essential component without which there can be no meaningful Bible teaching in a modern free society.162
Yairah Amit schreibt und entwirft ihre Bibeldidaktik aber vor einem völlig anderen gesellschaftlichen Hintergrund als Adar: Während zur Zeit der Entstehung der Bibeldidaktik von Zvi Adar der Tanach noch selbstverständliches Hauptfach an staatlich-allgemeinen Schulen war, so sieht Amit sich in ihrer Arbeit mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust des Tanach an staatlichallgemeinen Schulen und für säkulare Israelis bei gleichzeitiger Vereinnahmung des Tanach durch national-konservativ-religiöse Kreise konfrontiert und versucht mit ihrer Bibeldidaktik auf diese Herausforderungen zu reagieren.163 6.4.2 Kritik Innerhalb der Kritik am toradidaktischen Entwurf von Adar wird zwischen innerjüdischer Kritik an dem Entwurf auf der einen Seite und der Kritik anhand der didaktischen Kriterien der Subjektorientierung, des Beitrags zur Pluralitätsmoderation, der Positionalität der Lehrkraft als religiös ambivalenter Person und der Hermeneutik auf der anderen Seite differenziert. Innerjüdische Kritik Ein zentraler innerjüdischer Kritikpunkt an Adars Bibeldidaktik ist seine säkulare Lesart des Tanach, bei der er den Tanach als jüdisches Kulturbuch unter der Fragestellung der humanistischen Bildung und Paideia betrachtet und als Literatur liest. Der amerikanisch-jüdische Pädagoge und emeritierte Professor für jüdische Philosophie an der Ohio State University, Marvin Fox, kritisiert in seiner Rezension zu Adars Buch Humanistic Values in the Bible genau diesen Zugang:
162 YAIRAH AMIT, Biblical Criticism in the Teaching of the Hebrew Bible (Abstract), in: Howard Deitcher/Marla L. Frankel (Hg.), Understanding the Bible in Our Times (Studies in Jewish Education 9), Jerusalem 2003, 18. Vgl. zum Werden der Bibel auch DIES., The Book of Judges. The Art of Editing (BiInS 38), Leiden/Boston/Köln 1999; DIES., In Praise of Editing in the Hebrew Bible. Collected Essays in Retrospect (HBM 39), Sheffield 2012. 163 Vgl. dazu oben den Abschnitt „6.2 Kontexte“.
6.4 Kritische Würdigung
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First, what becomes of the Bible when it is turned into a humanistic text, and what can one make of the Bible if one is unable to believe in the existence of God and His functioning in history? Second, even if one can make something of literary interest out of such a humanized Bible, is it a Jewish Bible, and can it serve as the main source for Jewish education? Third, in rejecting God as the source of values, what does Adar have to offer instead?164
Für Fox ist der Tanach ohne den transzendenten Gottesbezug unverständlich und ohne Substanz. Wenn ein moderner säkularer Mensch die Existenz Gottes leugnet, könne die Bibel auch nicht zu ihm direkt sprechen. Fox widerspricht dezidiert Adars Überzeugung, dass der Tanach als säkulares und frei von religiösen Vorstellungen gelesenes Buch klarer und authentisch jüdischer werde. Fox stellt die fundamentale Frage, was von dem Tanach noch übrigbleibe, wenn man ihn säkular lese, und ob man ihm nicht genau damit seinen eigentlichen Wert als Instrument der Erziehung raube. Er bringt diese Frage folgendermaßen auf den Punkt: A Bible without God, prophecy robbed of its transcendent source, prayer addressed to no one, and morality which has neither religious nor secular ground – this is what Adar believes is demanded by a modern educated man. If this is what modern man demands, then it ought to be admitted that the Bible can no longer speak to him. He may, of course, read it out of curiosity or antiquarian interest; he may study it because it is an essential key to much of the art, music, and literature of Western civilization. Such a Bible may be adequate for paideia – a cultural notion much admired by Professor Adar, though one which remains, in the words of Werner Jaeger, „a Greek word for a Greek thing“ – but it can never serve as Torah.165
Seine fundamentale Kritik ist, dass dieser Tanach in der Interpretation von Adar nicht mehr Tora ist – schließt man sich dieser Kritik an, so stellt sich die Frage in Bezug auf Adars Didaktik, ob es eine säkulare jüdische Toradidaktik geben kann oder ob in der Toradidaktik die Tora als Gottes Offenbarung betrachtet und ihr Transzendenzbezug vorausgesetzt werden muss. 166
164
FOX, Review of Zvi Adar. Ebd. 166 Demzufolge dürfte man Adars Bibeldidaktik dann auch nicht mehr als Toradidaktik bezeichnen. Dagegen wird in dieser Studie, wie in den Prolegomena beschrieben, Tora umfassender verstanden und nicht nur auf die fünf Bücher Mose, also im Sinne einer Didaktik der Tora, bezogen und darin begrenzt. Tora wird im Anschluss an unterschiedliche jüdische Traditionen und Strömungen weiter gefasst und als ein gemeinschaftsstiftendes Identitätsfundament von Jüd:innen interpretiert, das gelesen und gelernt wird und als Kompass für die Gestaltung des Lebens und als Perspektive auf die Welt fungiert. Ob die Tora dann auf der formalen Ebene, wie bei Nehama Leibowitz, die schriftliche und die mündliche Überlieferung umfasst oder eben wie bei Adar dezidiert alle Bücher des Tanach, ist ebenso variabel wie die Hermeneutik, mit der sie gelesen, unterrichtet und gelernt wird. Sie kann also innerhalb der verschiedenen Toradidaktiken säkular als kulturelle Identitätsurkunde oder religiös als Offenbarungsquelle gelesen werden. Demnach kann auch Adars Bibeldidaktik als Toradidaktik bezeichnet werden. 165
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
Außerjüdische Kritik: Subjektorientierung, Positionalität, Pluralitätsmoderation und Hermeneutik Anhand der vier religionsdidaktischen Kriterien der Subjektorientierung, der Hermeneutik, der Positionalität der Lehrkraft als religiös ambivalenter Person und des Beitrags zur Pluralitätsmoderation nehme ich aus christlich-religionspädagogischer Perspektive kritisch Stellung zur Didaktik von Zvi Adar: Die Subjektorientierung als erstes religionsdidaktisches Kriterium steht nicht im Zentrum der Toradidaktik von Zvi Adar. Man könnte sogar die Behauptung wagen, dass die Schüler:innen, ob als Subjekte oder Objekte, kaum in die didaktischen Überlegungen einbezogen werden. Dies wird erstens schon rein materiell daran deutlich, dass man Aussagen über sie in seinem Entwurf eher explizit suchen musste, anstatt dass er sie selbst zum Thema macht. Zweitens liegt der Fokus der didaktischen und unterrichtlichen Aufmerksamkeit auf den Schüler:innen zudem eher als Objekten, die passiv die Texte aufnehmen sollen, und nicht als Subjekten eines offenen Lernprozesses, den sie selber aktiv mitgestalten. Drittens fehlt jegliche altersspezifische Reflexion der Toradidaktik. Der intellektuelle Anspruch seiner Toradidaktik setzt sicher bei älteren Schüler:innen an, doch werden auch diese in ihrer Entwicklung nicht in den Blick genommen noch eigens reflektiert. Eine Didaktik, die nicht bei den Schüler:innen als Subjekten ansetzt und keinen existenziellen Bezug zu ihnen herstellt, droht ins Leere zu laufen. Aus der Perspektive einer subjektorientierten christlichen Religionspädagogik ist diese Leerstelle befremdlich bzw. kritikwürdig. Mit der fehlenden Subjektorientierung umgeht Adar auch der Auseinandersetzung mit der relevanten Frage, welchen Einfluss das wachsende Desinteresse an und die zunehmende Distanz insbesondere von säkularen Schüler:innen zu dem Tanach und seinem Unterricht hat. Die fehlende Subjektorientierung zeigt zudem den fehlenden Dialog der Bibeldidaktik mit erziehungswissenschaftlichen bzw. pädagogischen Erkenntnissen auf. Adar entwirft seine Bibeldidaktik, ohne sie selbst im Forschungsdiskurs zu verorten. Natürlich ist zu berücksichtigen, dass sich der Tanachunterricht sowie die wissenschaftliche Reflexion über denselben in Israel kurz nach der Staatsgründung erst im Aufbau befinden; trotzdem vermisst man zum einen eine Auseinandersetzung mit Konzepten von anderen Vertreter:innen der Jewish Education zu seiner Zeit und zum anderen einen Diskurs mit der Literaturdidaktik, da er den Tanach als Literatur liest, oder mit bibeldidaktischen Konzeptionen. Der Fokus in Adars Toradidaktik liegt auf dem Text des Tanach und auf seiner Hermeneutik und nicht auf der Didaktik. Adars Toradidaktik gleicht an manchen Stellen eher einer Torahermeneutik. So reflektiert er ausführlich die verschiedenen Hermeneutiken des Tanach und die unterschiedlichen pädagogischen Werte der verschiedenen Textsorten, aber kaum die Kommunikation der Tora und die Interaktion zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen. Seine
6.4 Kritische Würdigung
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Hermeneutik bezeichnet er im Gegensatz zur religiösen oder historischkritischen als eine offene Hermeneutik, weil er dem Text als Literatur begegnet. Er lässt den Tanach als Kultururkunde und nicht als Erlösungstext lesen und unterrichten. In diesem Zugang zur Tora liegt aus christlicher Perspektive die größte Chance und Herausforderung seiner Didaktik: Das Vorzeichen seiner Toradidaktik ist ein völlig anderes als das Vorzeichen, wenn im christlichen Religionsunterricht biblische Texte als religiöse Urkunden und Glaubensgrundlage gelesen werden. Zum dritten religionsdidaktischen Kriterium, der Positionalität der Lehrkraft als religiös ambivalenter Person, bezieht Adar explizit Stellung: Die persönliche (religiöse) Überzeugung der Lehrer:in ist für den Tanachunterricht seines Erachtens irrelevant. In seiner Konzeption soll es keine Rolle spielen, ob die Lehrkraft religiös oder areligiös, säkular oder orthodox ist. Die Lehrkraft ist seinem Ideal nach eine neutrale Übersetzer:in des Textes in die moderne Welt der Schüler:innen und ist der Wissenschaft verpflichtet. Sie soll die biblischen Texte als Literatur und Teil der kulturellen Tradition unterrichten. Adar löst den Transzendenzbezug der Texte im Humanismus und ihre existenziellen Ansprüche in der Ethik auf. Hier wird der gravierende Unterschied zwischen Tanachunterricht in Israel und Religionsunterricht in Deutschland deutlich: Ist die Bibel Literatur, kann sie auch unabhängig von der religiösen Positionalität als wichtiger Text unterrichtet werden. Im christlichen Religionsunterricht ist der biblische Text aber nicht nur Literatur, sondern das Gründungsdokument des christlichen Glaubens, Wort Gottes in Menschenwort, deswegen kann es dem Selbstverständnis des Faches nach nicht gleichgültig sein, wie sich die Lehrkraft zu diesen Texten positioniert. Liegt in der Wahrnehmung der Bibel als Literatur ein innovatives Potenzial für den christlichen Religionsunterricht, so liegt in der Positionalität der Lehrkraft eine große Differenz. Das vierte didaktische Kriterium stellt die Frage nach dem Beitrag der jeweiligen Toradidaktik zur Pluralitätsmoderation. Adars Toradidaktik will das Fundament für eine jüdisch-säkulare Identität im neugegründeten israelischen Staat legen und fühlt sich diesem Ideal verpflichtet. Obschon er eine nationale, zionistische und militärische Instrumentalisierung der Tora explizit ablehnt, ist die Tora für ihn gleichwohl ein jüdisches Buch. Seine Toradidaktik zielt nicht auf Pluralitätsmoderation, und deswegen spielt sie auch keine Rolle in seinem Werk. Eine offene Frage bleibt dabei, was Pluralitätsmoderation heißt, wenn das Konzept explizit nichtreligiös ist. Es ist für ihn schlicht nicht von Interesse, dass der Tanach auch ein Teil der christlichen Bibel ist und dass Figuren wie Abraham auch eine entscheidende Rolle in der islamischen Tradition spielen. Hier lässt sich kritisch anmerken, dass Israel als eine multikulturelle167 und 167 So ist die israelische Gesellschaft seit der Staatsgründung 1948 von ca. 800.000 Menschen auf ca. 9 Millionen im Jahr 2020 angewachsen, davon sind ca. 75% jüdische
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
multireligiöse168 Gesellschaft und der Tanachunterricht in der Lage wären, einen Beitrag zu dieser Pluralitätsmoderation zu leisten. Andere jüdische Traditionen und Auslegungen, wie die gesamte mündliche Tora, spielen keine Rolle in Adars Konzept; also wird weder die innerjüdische Pluralität der Auslegungen verhandelt noch seine multireligiöse Dimension. Insbesondere die letzten beiden Kriterien verdeutlichen, dass eine Grenze erreicht wird, wenn eine säkulare Bibeldidaktik an christlich-religionspädagogischen Kriterien gemessen werden soll. Zugleich aber bietet das Konzept vielerlei christliche Rezeptionsmöglichkeiten, da die Tora als „Welt- und Erziehungsliteratur“ sowohl jüdisch als auch christlich gelesen werden kann und somit auch die didaktischen Instrumente, um sie zu verstehen, in beiden Kontexten Geltung beanspruchen können. 6.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten Der wichtigste und meiner Meinung nach gegenwärtig fruchtbarste Impuls der Toradidaktik von Adar für eine christliche Toradidaktik stellt sein Ansatz dar, den Tanachunterricht für säkulare Schüler:innen zu gestalten und mit ihnen die
Israelis und ca. 20% arabische Israelis und Drusen. Die jüdischen Israelis lassen sich noch einmal unterscheiden in Sabras (ca. 60%), also im Land Geborene, und Zugewanderte. Aus der früheren Sowjetunion kommen ca. 16%, dazu Immigrant:innen aus afrikanischen und arabischen Ländern und Nordamerika. 168 Israel ist auf unterschiedlichen Ebenen ein multireligiöser Staat: sowohl in Bezug auf unterschiedliche Religionen als auch auf die Ausdifferenzierung des Verständnisses der jüdischen Identitäten. Zwar ist eine Mehrheit der israelischen Gesellschaft jüdisch, doch die palästinensische Bevölkerung (in Israel und den besetzten Gebieten) ist mehrheitlich (ca. 75%) muslimisch, hinzu kommen ca. 15% christliche Palästinenser und ca. 10% Drusen. Zudem ist zwar die israelische Gesellschaft mehrheitlich jüdisch im Sinne der Halacha, an dieser Stelle aber endet die Einheitlichkeit auch schon. Sie ist zum einen vielfältig geprägt durch die verschiedenen Herkunftskulturen von Aschkenasim, über Sepharde bis hin zu Falaschen usw. Zum anderen ist die Art und Weise, wie der jüdische Glaube gelebt und interpretiert wird, sehr unterschiedlich und individualisiert. Es lassen sich grob vier Gruppen ausmachen: diejenigen, die sich nach Selbsteinschätzung genau an die Halacha halten (14%); diejenigen, die sich weitgehend an die Halacha halten (26%); diejenigen, die sich irgendwie oder gelegentlich an die Halacha halten (44%); und diejenigen, die nach eigener Beschreibung nicht observant leben (16%). Die Zahl der religiösen Israelis stieg zwar zuletzt, doch beschreiben sich noch immer 41% lieber als Israelis statt als jüdisch. Gleichzeitig sind die postmodernen Selbstdefinitionen von fluiden Identitäten geprägt: So gibt es die Bezeichnung Russen-Israeli oder Mizrahi-Jude oder religiös-säkular, säkular-gläubig oder freier Jude. Vgl. ASHER ARIAN, A Portrait of Israeli Jews. Beliefs, Observances, and Values of Israeli Jews, 2009, Jerusalem 2012, 30ff.; YEHUDA BAR SHALOM/TAMAR ASCHER SHAI, Art. Israel. Innovations in Secular Schooling in Israel, in: Helen Miller/Lisa D. Grant/Alex Pomson, International Handbook of Jewish Education (International Handbooks of Religion and Education 5), Teil 2, Dordrecht u.a. 2011, 1235–1252, 1249.
6.4 Kritische Würdigung
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Bibel so zu lesen, dass sie in ihrer Lebenswelt relevant wird.169 Hierfür verwendet Adar eine offene Hermeneutik des Tanach. Den Tanach charakterisiert er säkular als Welt- und Erziehungsliteratur. Dabei ist die Autorität, die Heiligkeit und der damit einhergehende Vertrauensvorschuss, den die Bibel in religiösen Gemeinschaften besitzt, nicht gegeben. Vielmehr muss sich die Bibel stets aufs Neue er- und beweisen als Buch, das den kritischen Fragen der Lesenden standhält, sich für ihr Leben als relevant erweist und Antworten parat hält. Für die säkulare Lesart ist nicht die göttliche Offenbarung die Grundlage, sondern die Achtung vor der Tora als Fundament der jüdischen Ethik, Kultur und Identität. Adar stellt in seinem bibeldidaktischen Entwurf die Frage, wie der Tanach säkularen Israelis unterrichtet werden kann, welchen Zugang sie zu ihm entwickeln können und wie er zu ihnen sprechen kann, um für ihr Leben, ihre Persönlichkeitsentwicklung und ihre jüdische Identität relevant zu werden. Für ihn ist der Tanach die kulturelle Grundlage der jüdischen Kultur und Literatur, die in ihren unterschiedlichen Textsorten gelesen und studiert werden kann. Darin bietet die Toradidaktik von Adar, obschon sie vor knapp 70 Jahren entstanden ist, einen Anknüpfungspunkt für eine hochaktuelle Frage und Situation des christlichen Religionsunterrichts, der sich immer mehr mit der Frage der konfessionslosen170 Schüler:innen konfrontiert sieht.171 Trotzdem lässt sich der toradidaktische Entwurf von Adar nur sehr begrenzt auf die Situation des deutschsprachigen Religionsunterrichts übertragen, da sich die 169
Ein weiterer wichtiger Impuls liegt in Adars Interesse, den ganzen Tanach wahrzunehmen, zu lesen und zu unterrichten. Adar besteht in seiner Toradidaktik darauf, nicht nur Teile des Tanach zu lesen, sondern ihn in allen seinen unterschiedlichen Literaturformen, die unterschiedliche Ziele verfolgen und didaktisch unterschiedlich genutzt werden können, wahrzunehmen. 170 Das Attribut „konfessionslos“ wird hier auf Individuen bezogen und meint schlicht, dass die Person nicht in eine Religionsgemeinschaft aufgenommen wurde. Für das Christentum bedeutet dies, nicht getauft oder aber aus einer Religionsgemeinschaft ausgetreten zu sein. Für das Phänomen der Konfessionslosigkeit im Bereich der christlichen Bildung in Deutschland vgl. EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND (Hg.), Religiöse Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit. Aufgaben und Chancen. Ein Grundlagentext der Kammer der EKD für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend, Leipzig 2020. Dieser Grundlagentext geht allerdings nicht ausführlich auf die Rolle der Bibel im Kontext der religiösen Bildung von Konfessionslosen ein. Im Zentrum der Überlegungen steht der Begriff der „Kommunikation des Evangeliums“ (Ernst Lange). Dieses Evangelium wird zwar an die biblische Botschaft, in der es grundlegend bezeugt wird, rückgebunden, aber der biblische Unterricht wird nicht als Aufgabe von besonderer Dringlichkeit in Bezug auf konfessionslose Menschen verstanden. Vgl. a.a.O., 86f.105–138. 171 Vgl. dazu BERND SCHRÖDER/MORITZ EMMELMANN, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation, Göttingen 2018, 9– 12. Schröder und Emmelmann fordern, die konfessionslosen Schüler:innen mehr in den Mittelpunkt der didaktischen Kreativität und Aufmerksamkeit zu stellen. Vgl. dazu ebenfalls DAVID KÄBISCH, Religionsunterricht und Konfessionslosigkeit. Eine fachdidaktische Grundlegung (PThGG 14), Tübingen 2014.
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Kapitel 6: Toradidaktik von Zvi Adar
Staatskonzepte von Israel und Deutschland nicht vergleichen lassen: Deutschland ist seinem Selbstverständnis nach kein christlicher Staat wie Israel ein jüdischer Staat ist, deshalb kann und soll der christlichen Bibel nicht der Stellenwert im Sinne eines Identitätsdokumentes zugemessen werden. Trotzdem ist die christliche Bibel auch im deutschen Kontext ein kulturelles Fundament und zudem ein Buch, das zu lesen lohnt – für christliche wie für säkulare Menschen.172 Die Bibel bietet aber nicht nur gute Weltliteratur, sondern verknüpft diese mit Ethik; darin reicht sie, nach Amoz Oz und Fania Oz-Salzberger, gar über Weltliteratur hinaus: Die ihr [d.h. der Hebräischen Bibel] als Literatur eigentümliche Pracht ist gleichermaßen über wissenschaftliche Untersuchung wie fromme Lektüre erhaben. Sie berührt und regt auf eine mit den großen Werken der Weltliteratur vergleichbare Weise an, mal nach Homer, mal nach Shakespeare, mal nach Dostojewski. Aber ihre historische Wirkmächtigkeit unterscheidet sich von der jener genannten Werke. Schon möglich, daß noch andere großartige Lyrik am Ursprung dieser oder jener Religion stand, doch hat kein anderes literarisches Werk so nachhaltig einen Gesetzeskodex aufgestellt, so überzeugend eine Sozialethik gestaltet.173
Wenn man der Bibel diesen Stellenwert einräumt, dann ergibt sich die zentrale Frage: Wie kann eine fruchtbare Bibellektüre mit christlichen und konfessionslosen Schüler:innen innerhalb des Religionsunterrichts gestaltet werden? Wie können angemessene Zugänge, Ziele und Hermeneutiken formuliert werden? Hier kann es hilfreich sein zu beachten, dass Adar einen Fokus auf die unterschiedlichen Hermeneutiken des Tanach gelegt hat. Eine Antwort müsste auch auf die Frage gefunden werden: Was passiert mit dem biblischen Text, bzw. inwiefern verändert er sich, wenn er als säkulare Literatur gelesen wird?174 Wie kann in dieser Lesart gleichermaßen Platz für das religiöse Erbe und den Transzendenzbezug der Bibel sein?
172
Für das große Interesse an der Bibel als Literatur auch in säkularen Kreisen kann auch beispielhaft der Erfolg des Podcasts „Unter Pfarrerstöchtern. Die Geheimnisse der Bibel“ von Sabine Rückert und Johanna Haber gesehen werden. Die beiden Pfarrerstöchter Rückert und Haber reden über die Texte der Bibel in ihrer heutigen Form und Reihenfolge als Literatur. Vgl. FRANZISKA HEIN, Neuer Podcast „Unter Pfarrerstöchtern“ erzählt die Bibel, in: evangelisch.de, 06.12.2019, https://www.evangelisch.de/inhalte/163342/06-12-2019/ neuer-podcast-unter-pfarrerstoechtern-erzaehlt-die-bibel (08.07.2022); SABINE RÜCKERT/ JOHANNA HABERER, Podcast-Serie: Unter Pfarrerstöchtern, ZEIT ONLINE, https://www. zeit.de/serie/unter-pfarrerstoechtern (08.07.2022). 173 OZ/OZ-SALZBERGER, Juden, 18. 174 Vgl. KÄBISCH, Religionsunterricht, 144–151.
Kapitel 7
Toradidaktik von Barry W. Holtz Die Bibeldidaktik von Barry W. Holtz gehört inzwischen zur Standardlektüre für alle, die sich aus dem konservativen und dem reformierten Judentum heraus mit dem Unterrichten von biblischen Texten innerhalb der Jüdischen Studien beschäftigen. „In the short time since its publication“, so Jon A. Levisohn im Journal for Jewish Education über Holtz, „Holtz’ language of orientations has become standard for those who write and teach about teaching Bible.“1 Holtz präsentiert in dem Sinne eine dezidiert konservative Perspektive, dass seine Toradidaktik an vielen Stellen eine Brücke schlagen will: Seine Didaktik stellt ein Wechselspiel bzw. einen Aushandlungsprozess dar zwischen Text und Leser:in der Tora, zwischen jüdischer Tradition und Moderne, zwischen dem spannungsreichen Verhältnis von „‚now‘ and ‚then‘“,2 zwischen theoretischem Sachwissen über die Bibel und dem praktischen Unterricht bzw. der Didaktik derselben,3 zwischen der Tora als Literatur und als heiligem Buch mit Wahrheitsanspruch und zwischen der Historizität der Texte und ihrer persönlichen Auslegung und Aneignung im 21. Jahrhundert. Seine Didaktik kann als eine plurale Toradidaktik charakterisiert werden, wobei Holtz nicht nur ein Textverständnis kennt und verwendet, sondern viele verschiedene. Er präsentiert nicht nur einen Zugang zur Tora, sondern einen ganzen bunten Strauß von Zugängen und verlangt sowohl von Lehrenden als auch von den Lernenden, sich selber darin zu orientieren, zu verorten und sich bewusst für Zugänge und Auslegungen zu entscheiden. Das Ziel seiner Toradidaktik ist dabei ein zweifaches: Zum einen will er Jüd:innen darin unterstützen, sich mehr mit ihrer jüdischen Identität zu beschäftigen und diese in einer modernen, säkularisierten und aufgeklärten Gesellschaft zu leben. Hierbei will er sie ermutigen, die jüdische Tradition, insbesondere ihre Literatur, als Wahrheit und als ethische Richtschnur zu entdecken und immer wieder auf das eigene Leben zu beziehen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei seiner Meinung nach dem Studium der Tora zu. Zum anderen stellt Holtz grundsätzliche Fragen an die Toradidaktik und verlangt von der Theorie jüdischer Erziehung, in Bezug auf diese sprachfähig 1
JON A. LEVISOHN, Introducing the Contextual Orientation to Bible. A Comparative Study, in: Journal of Jewish Education 74/1 (2008), 53–82, 54. 2 BARRY W. HOLTZ, Finding Our Way. Jewish Texts and the Lives We Live Today, Philadelphia 5765 (22005), 16. 3 HOLTZ, Textual Knowledge, 4.
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
zu sein, so zum Beispiel: „What are our purposes in teaching the Bible? What are the outcomes that we are looking for? In what way do we justify the enterprise of teaching Bible?“4 Levisohn bezeichnet Holtz’ Toradidaktik deshalb als „Philosophy of Bible education“.5 Eine wichtige Bezugsgröße, aus der Holtz viele Impulse für die Konzeption seiner Toradidaktik zieht, bildet der Austausch mit der Literaturwissenschaft. So übernimmt er als ehemaliger Lehrer für englische Literatur viele methodische und konzeptionelle Impulse für seine Bibeldidaktik.6 Trotzdem ist es für seine Konzeption entscheidend, dass die Tora nicht nur Literatur darstellt, sondern sowohl für einen ethischen Anspruch als auch für eine religiöse Wahrheit steht. Das vorliegende Kapitel zeichnet Barry W. Holtz’ Einsichten zur jüdischen Bibeldidaktik nach und zeichnet darin seine Toradidaktik als eine plurale, traditionsverbundene und zugleich kontemporäre Lesedidaktik auf, die ein Wechselspiel zwischen der jüdischen Tradition und den Toralernenden als Mitglieder der modernen US-amerikanischen Gesellschaft darstellt und sich darin als dezidiert konservativ-jüdische Didaktik zeigt. Hierfür werde ich in einem ersten Abschnitt biografische Stationen und Prägungen von Barry W. Holtz beschreiben (7.1). In einem zweiten Schritt werde ich die Kontexte seiner Toradidaktik skizzieren (7.2), daran schließt sich die Darstellung der Toradidaktik innerhalb des didaktischen Vierecks an (7.3); abgerundet wird das Kapitel mit einer kritischen Würdigung und der Frage nach den Rezeptionsmöglichkeiten seiner Toradidaktik für eine christliche Toradidaktik (7.4).
7.1 Biografische Notizen 7.1 Biografische Notizen
Barry W. Holtz wurde im Winter 1947 in Boston, USA, geboren. Er studierte an der Tufts University, Boston, englische Literaturwissenschaft, Erziehungswissenschaften und Jüdische Studien. Danach arbeitete er drei Jahre lang als Lehrer für Jüdische Studien und englische Literatur an der progressiven jüdischen Highschool Akiba Hebrew Academy,7 in der Nähe von Philadelphia, deren Schüler:innen aus allen Denorminationen des Judentums kommen, also von orthodox bis säkular. Diese Erfahrung prägte sein Forschen und seine 4
Ebd. JON A. LEVISOHN, How to Do Philosophy of Religious Education?, in: RelEd 100/1 (2005), 90–101, 95. 6 Als besonders einflussreich für sein Denken und sein Werk gilt die Forschungsarbeit von Pamela Grossman. Vgl. PAMELA GROSSMAN, The Making of a Teacher. Teacher Knowledge and Teacher Education, New York 1992. 7 „It was the academic year 1976–1977 and at that time I was a teacher at Akiba Hebrew Academy, a day school located in the suburbs of Philadelphia. […] I was a Jewish studies teacher and Chair of the English Department in the high school division“ (B ARRY W. HOLTZ, How I Met Mike Rosenak, in: Journal of Jewish Education 80 [2014], 459f., 459). 5
7.1 Biografische Notizen
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Didaktik der Tora.8 In dieser Zeit realisierte er, dass „working in Jewish education was not some passing fancy, but was going to be my career“.9 Er unterbrach daraufhin seine Tätigkeit als Lehrer und ging für ein Jahr an die Hebrew University nach Jerusalem, um dort Jüdische Studien und Jewish Education zu studieren und sich am Melton Centre der Hebrew University auf die Theorie jüdischer Erziehung zu spezialisieren. Dort lernte er Michael Rosenak (1932– 2013)10 kennen, der für die längste Zeit seiner Karriere sein Lehrer, Freund und Mentor wurde.11 In der Einleitung zu Textual Knowledge hebt Holtz drei weitere Mentoren, Freunde, Lehrer, die ihn in seinem Denken und Forschen über die jüdische Erziehung geprägt und begleitet haben, besonders hervor: Zunächst nennt er Rabbiner Joseph Lukinsky, ohne den er nie ein Lehrer oder gar Professor für Jewish Education geworden wäre,12 dann Seymour Fox (1929–2006),13 den er als seinen „unofficial postdoctoral teacher“14 bezeichnet,15 und zudem seine Kollegin Gail Z. Dorph16. Nach seinem Studienaufenthalt in Israel verfasste Holtz eine Dissertation an der Brandeis University in Jewish Education und wurde für zwölf Jahre CoDirektor des Melton Research Center for Jewish Education am Jewish 8 „Its student body reflects the whole range of Jewish affiliation from Orthodox to secular Jews, and its reputation in secular subjects provides an important additional motivation for some parents who hope that the school will help their child ‚get into a good college‘“ (BARRY W. HOLTZ, Towards an Integrated Curriculum for the Jewish School, in: RelEd 75/5 [1980], 546–557, 547). 9 HOLTZ, Rosenak, 459. 10 Michael Rosenak war Mandel Professor für Jewish Education an der Hebrew University in Jerusalem. Holtz bezeichnete ihn als den „world’s preeminent philosopher of Jewish education“ (BARRY W. HOLTZ, Klappentext zu ROSENAK, Roads). 11 In seinem Nachruf auf Rosenak in dem Journal of Jewish Education schrieb Holtz über ihn: „I had the great privilege of having Mike Rosenak as an influence on the entire length of my academic career, Mentor, colleague, friend“ (HOLTZ, Rosenak, 460). 12 „I often wonder, in fact, how much of a committed and involved Jew I would have become if it were not for him“ (HOLTZ, Textual Knowledge, 7). Holtz lernte Lukinsky noch während seiner Highschool-Zeit kennen und arbeitete dann später mit ihm zusammen am Jewish Theological Seminary (JTS) in New York in dem Bereich der Theorie der jüdischen Erziehung. 2016 war er Mitherausgeber von dessen gesammelten Aufsätze: JOSEPH SANDER LUKINSKY/LIFSA BLOCK SCHACHTER/ROBERT ABRAMSON, Maybe the Lies We Tell Are Really True, hg. v. Barry Holtz und David Kahn, New York 2016. 13 Vgl. dazu auch seinen Nachruf auf Seymour Fox in dem Journal of Jewish Education: HOLTZ, Memory. 14 HOLTZ, Textual Knowledge, 7. 15 Fox’ Zugang zu Theorien jüdischer Erziehung und diese zu lehren hat insbesondere Holtz’ bibeldidaktisches Werk Textual Knowledge nachhaltig geprägt. 16 HOLTZ, Textual Knowledge, 7f. Mit Gail Z. Dorph steht Holtz in einem lange andauernden Austausch über Fragestellungen der Jewish Education. Sie ist Founding Director of the Mandel Teacher Educator Institute, an dem Holtz ebenfalls arbeitet. Vor dem Hintergrund seiner Arbeit dort entstand sein Buch Textual Knowledge.
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
Theological Seminary. Dort verantwortete er als Herausgeber Publikationen und Lehrbücher für den Unterricht der Jewish Education in Nordamerika.17 Heute hat Barry W. Holtz die Theodore and Florence Baumritter Professur of Jewish Education am Jewish Theological Seminary im Department for Jewish Education des Melton Research Center der William Davidson Graduate School inne. Zu seinen Arbeitsfeldern zählen der Unterricht der Hebräischen Bibel und der jüdischen Traditionsliteratur, die professionelle Weiterbildung von Lehrer:innen in Jüdischen Studien, die Theorie der jüdischen Erziehung und aktuelle Herausforderungen und Themen, die den jüdischen Religionsunterricht betreffen.18 Holtz lebt in New York.19 2004 gewann er für sein Buch Textual Knowledge. Teaching the Bible in Theory and in Practice den National Jewish Book Award. Holtz’ Toradidaktik entstand nicht in Israel, sondern in der Diasporasituation von Nordamerika und ist von diesen Rahmenbedingungen geprägt. Gerade die Frage der oft unbeachteten Beziehung zwischen der Welt, in der wir leben, und der Welt, in der wir unterrichten, „has a particular resonance for teachers of Jewish texts in the Diaspora who live as part of a minority culture represented by the books that they teach and who live, as well, as part of a general culture whose values and beliefs may run counter to that which they are teaching“.20 Zudem bewegt sich Holtz zwischen Theorie und Praxis.21 Obgleich Professor für die Theorie jüdischer Erziehung, versteht sich Holtz zuallererst als Lehrer; so schreibt er in der Einleitung zu Textual Knowledge: „I am a Jewish educator“22 und „[for] most of my adult life, I have been a
17
Vgl. Klappentext zu HOLTZ, Finding Our Way. „Dr. Holtz’s research focuses on the pedagogy of Jewish sources with an emphasis on the relationship between Judaica scholarship and the teaching of Jewish classical texts, and between Jewish thought and Jewish educational theory. He also works in the field of professional development for educators“ (BARRY HOLTZ, Berufliche Homepage, The Jewish Theological Seminary, http://www.jtsa.edu/team/barry-holtz/, 08.07.2022). 19 Vgl. HOLTZ, Finding Our Way, viii. 20 HOLTZ, Textual Knowledge, 11. Holtz beschäftigt sich damit explizit in dem ersten Kapitel des Buchs, „Teaching Religious Texts in the Landscape of America“ (a.a.O., 11– 37). 21 Wie wichtig ihm die Transformation seiner Theorie in die Praxis bzw. ihre praktische Realisierung ist, sieht man auch in dem letzten Kapitel von Textual Knowledge: „And now … to Teach“ (a.a.O., 153–174; mit kleinen Abänderungen auch veröffentlicht unter anderem Titel: BARRY W. HOLTZ, From Knowledge to Pedagogy. What Matters in the Preparation of Bible Teachers, in: Howard Deitcher/Marla Frankel (Hg.), Understanding the Bible in Our Times (Studies in Jewish Education 9), Jerusalem 2003, 54–72. 22 HOLTZ, Textual Knowledge, 5. Sein Selbstverständnis als Lehrer kann sogar dahin gehend erweitert werden, dass er sich auch als Erziehungswissenschaftler versteht und sich mit der Frage der Entwicklungen der Pädagogik und Erziehungswissenschaft und deren Einfluss auf die Theorie der jüdischen Erziehung beschäftigt. Vgl. BARRY W. HOLTZ, Whose 18
7.2 Kontexte
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teacher“.23 Für seine Arbeit mit und an biblischen Texten ist auch seine Profession als Lehrer für englische Literatur entscheidend, dabei zieht er oft Vergleiche aus der Literatur und dem pädagogischen Umgang mit diesen Texten heran.24 Auch seine Arbeitsstätten sind zwischen Theorie und Praxis angesiedelt.25 Dies kann auch durch folgende Beispiele illustriert werden: Der Zweig des Melton Center in den USA wurde zur Verbesserung und Professionalisierung der Lehrer:innenausbildung gegründet, und das Melton Center versteht sich als Brücke zwischen der universitären Theoriebildung und der Praxis des Lehrberufs.26
7.2 Kontexte 7.2 Kontexte
Barry W. Holtz gehört, wie bei einer Anstellung als Professor am Jewish Theological Seminary of America27 auch nicht anders vorstellbar, dem konservativen Judentum an. Seine Toradidaktik ist von dieser Zugehörigkeit geprägt, Discipline Is It, Anyway?, in: Burton I. Cohen/Adina A. Ofek (Hg.), Essays in Education and Judaism in Honor of Joseph S. Lukinsky, New York 2002, 11–24. 23 HOLTZ, Textual Knowledge, 2f. Als Beispiele für seine Lehrtätigkeit führt er dort weiter aus: „Nowadays I teach graduate students and rabbinical students; thirty years ago, I taught junior high schoolers and high schoolers. These have been the students whom I’ve taught in ‚school‘ settings, but there have been other students as well – adults in synagogues and Jewish community centers wanting learning for the sake of learning, teachers and school principals in professional development sessions, home study groups, and even one-on-one tutoring.“ 24 Vgl. unten den Abschnitt 7.3.1 „Der Text“. 25 Vgl. zu diesem Themenfeld auch seinen Artikel „Across the Divide“, in dem er sich mit der Beziehung und dem Verhältnis zwischen der Welt der Universität und der Welt der Bildung beschäftigt und versucht, Wege zu finden, wie beide voneinander lernen und profitieren können: BARRY W. HOLTZ, Across the Divide. What Might Jewish Educators Learn from Jewish Scholars, in: Journal of Jewish Education 72/1 (2006), 5–28. 26 Vgl. BARRY W. HOLTZ, Professionalization and the Inner Lives of Teachers, in: Joseph B. Reimer (Hg.), To Build a Profession. Careers in Jewish Education, Waltham 1987, 105– 111, bes. 107f. 27 Das Jewish Theological Seminary of America (JTS) ist ein 1886 in New York City von Alexander Kohut (1842–1894), Henry Pereira Mendes (1852–1937), Cyrus Adler (1863– 1949) und Sabato Morais (1823–1897) gegründetes Seminar für Rabbinatstudenten. Es wurde in der Absicht gegründet, eine traditionellere Ausbildung innerhalb des Reformjudentums zu garantieren. Unter der Leitung von Solomon Schechter (1902–1915) wurde es zum akademischen und spirituellen Zentrum der nun entstandenen neuen Denomination des konservativen Judentums, welches als Kompromissweg zwischen orthodoxem Judentum und Reformjudentum in den USA entstanden war. Bis heute ist das JTS das Zentrum des konservativen Judentums in den USA und seinem eigenen Anspruch nach sogar darüber hinaus. Vgl. DAVID GOLINKIN/MICHAEL PANITZ, Art. Conservative Judaism, in: EJ2 5 (2007), 171– 177, 172.
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
deswegen werde ich hier die Grundlinien des konservativen Judentums skizzieren. Daran schließt sich eine Erläuterung des Toraverständnisses aus dieser Perspektive an. Es folgt die Darstellung des Tanachunterrichts konservativer Prägung in den USA als Lernort seiner Toradidaktik. 7.2.1 Denomination und Toraverständnis Denomination Das konservative Judentum28 ist inhaltlich zwischen den Denominationen des orthodoxen Judentums und des Reformjudentums anzusiedeln. Seine Wurzeln hat es, wie auch das Reformjudentum, im 19. Jahrhundert in Deutschland.29 Sein Ziel ist die Bewahrung der Tradition bei gleichzeitiger Akzeptanz der modernen Lebensumstände und aufgeklärten Erkenntnisse. Es wird also eine historisch bedingte Wandelbarkeit bei gleichzeitiger Beibehaltung halachischer Grundsätze des Judentums angestrebt. „Dieses konservative bzw. historische Judentum“, so Maier, „sucht einen Ausgleich zur Notwendigkeit einer Reform (einschließlich kultureller und nationaler Assimilation) und einer möglichst weitgehenden Wahrung der Tradition.“30 Es besteht im konservativen Judentum auf der Ebene der Halacha eine größere Nähe zum orthodoxen Judentum: So werden zum Beispiel die Kaschrut, die Speisegebote, das Sabbatgebot und die traditionelle Form der Liturgie bei- bzw. eingehalten. In Bezug auf die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und das Verständnis, die schriftliche und mündliche Tora nicht als wortwörtliche, göttliche Offenbarung, sondern als ein von Menschen geschriebenes Werk zu betrachten,
28
Eine andere Bezeichnung für das konservative Judentum ist Masorti. Dieser Begriff wird insbesondere in Israel verwendet. Masorti bedeutet im Hebräischen „traditionell“. Dem Masorti-Judentum gehört in Israel derzeit ca. ein Drittel der Bevölkerung an. 29 Einen Entstehungsmoment stellt ein Konflikt der jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main über die Frage dar, ob der Gottesdienst weiter auf Hebräisch abgehalten werden soll oder nicht. Der einflussreichste Befürworter war Zacharias Frankel (1801–1875), der die Meinung vertrat, dass man hebräische Formen und theologische Inhalte nicht trennen könne, sondern sie eine organische Einheit bilden würden. Wie Samson Raphael Hirsch (1808– 1888), einer der Begründer des modernen orthodoxen Judentums, lehnte er ebenfalls die historisch-kritische Methode ab, war aber anders als dieser bereit, ähnlich wie Abraham Geiger (1810–1874), einer der Begründer des Reformjudentums, wissenschaftliche Erkenntnisse auf die rabbinische Traditionsliteratur anzuwenden. Durch seine Leitung des JüdischTheologischen Seminars in Breslau (1854–1938), dem ersten modernen Rabbinerseminar im damals deutschsprachigen Raum, wurden seine Positionen immer einflussreicher, sodass sich daraus eine separate Denomination des Judentums entwickelte. 1886 wurde nach dem Breslauer Vorbild in New York das Jewish Theological Seminary of America gegründet. Vgl. M.A. MEYER, Religiöse Strömungen, 284. 30 JOHANN MAIER, Judentum. Studium Religionen (UTB 2886), Göttingen 2007, 161– 163.
7.2 Kontexte
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existiert dagegen eine größere Nähe zum Reformjudentum.31 Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs das konservative Judentum besonders in den USA stark an. Dies ging einher mit einer wechselseitigen Annäherung an das Reformjudentum: Ab 1985 wurde die Frauenordination eingeführt, seit 1989 werden eigene Mohalim, auch Frauen, die die Beschneidungen durchführen, ausgebildet, und seit 2006 wird die vollständige religiöse Gleichberechtigung für Schwule und Lesben inklusive ihrer Ordination zu Rabbiner:innen vollzogen.32 Michael Meyer beschreibt die Unterschiede zwischen den beiden nichtorthodoxen Strömungen im Judentum als marginal: Das Konservative Judentum definiert sich wie die Orthodoxie zumindest in der Theorie als halachisch, wenn auch weitaus flexibler in seiner Auslegung. Das Reformjudentum sieht sich selbst als nichthalachisch. Der Konservative Gottesdienst dauert noch immer länger und enthält mehr hebräische Elemente als der der Reformbewegung.33
Ein Unterschied besteht dagegen bleibend bei dem Umgang mit interkonfessionellen Ehen,34 bei dem Grundsatz der Maternalität35 und bei Scheidungen. „Die demographische Aufteilung zwischen den Strömungen des amerikanischen Judentums“, so Meyer, „liegt zurzeit bei 35 Prozent Reform, 18 Prozent Konservativ (ein deutlicher Rückgang im Vergleich zur Generation zuvor) und 10 Prozent Orthodox (von denen sich 67 Prozent als Ultraorthodoxe definieren).“36 Die konservative Position zwischen den traditionellen jüdischen Werten auf der einen und der postaufgeklärten, modernen Gesellschaft auf der anderen Seite ist für die Toradidaktik von Barry W. Holtz prägend und entscheidend. Eine für ihn maßgebende Frage ist, wie die Bibel37 angesichts der modernen, säkularisierten Gesellschaft verstanden, ausgelegt und insbesondere vermittelt und unterrichtet werden kann. Diese Frage beschäftigt ihn nicht nur theoretisch, sondern auch persönlich und lebenspraktisch. So beschreibt er in seinem Buch Finding Our Way eine Szene, wie er am Samstagabend, also nach Ende des Sabbats, auf dem Weg zum Kino einer Gruppe Chassidim, orthodoxer Juden, begegnet. Als er realisiert, dass sie auf dem Weg zu Melave Malke, einer 31
Vgl. dazu GOLINKIN/PANITZ, Art. Conservative Judaism; MAIER, Judentum, 161–163. M.A. MEYER, Religiöse Strömungen, 289. 33 Ebd. 34 Der Anteil an interkonfessionellen Ehen ist im Reformjudentum viel höher, dies schlägt sich auch in der Gottesdienstgestaltung nieder, und sie sind akzeptiert, solange die Kinder jüdisch erzogen werden. Im Gegensatz dazu verbietet das Konservative Judentum seinen Rabbinern, Trauungen dieser Art vorzunehmen. Vgl. ebd. 35 „Während das Reformjudentum patrilineare Juden auch ohne Konversion akzeptiert, tut dies das Konservative Judentum (zumindest offiziell) nicht“ (ebd.). 36 Ebd. 37 Wenn Holtz von der Bibel spricht, dann meint er aus christlicher Perspektive die Hebräische Bibel bzw. das Erste Testament bzw. das Alte Testament. Wenn er von der christlichen Bibel spricht, dann benennt er dies deutlich. 32
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
Samstagabendfeier, die versucht, den Geist des Sabbats in die Woche zu überführen, sind, sieht er sich mit folgenden Fragen und Gedanken konfrontiert: I too had my Shabbat, but now I was on my way to the movies. And my first reaction was: Haven’t they had enough holiness for today? Don’t they want a little time off? I certainly did. For me it was the perfect image of the world of tradition versus the world of modernity. I live a Jewish life; I feel connected to the mitzvoth. But on Saturday night I’m more likely to go to the movies than to a melave malke. Yet once again I am not sure which of us is mistaken. Perhaps my desire for secularity is not a quality to be admired, but one which shows my own inadequacies as a religious soul.38
Diese Ambivalenz und die Frage, wie man mit ihr umgeht, ziehen sich durch seine ganze Toradidaktik. Toraverständnis Zwei Aspekte prägen das Toraverständnis im konservativen Judentum: Zum einen ist das Torastudium selbst ein Teil der Tora (1), und zum anderen ist die Tora im Spannungsfeld von historischem Buch und theologischem Wahrheitsanspruch (2) zu verorten. (ad 1) Tora umfasst im konservativen Judentum, der rabbinischen Definition folgend, nicht nur die fünf Bücher der Torarolle oder den Tanach als solchen, sondern auch die mündliche Tora und darüber hinaus das Studium und die Aktivität des Studiums. Tora ist mehr als ein Buch. „Torah is revelation“, so Holtz, „the entire revelation and the entire activity of Jewish study throughout the generations.“39 Alle Tora, also alles Studieren der Tora, ruhe auf dem Fundament der Offenbarung vom Sinai. Die Autorität der Tora liege in ihr begründet, aber ihre Vermittlung und Transformation geschehen durch Menschen. Holtz fasst diese Spannung mit den Worten Gershom Scholems (1897– 1982) zusammen: „Die Wahrheit ist ein für allemal gegeben und festgelegt. Im Grunde braucht sie nur überliefert zu werden.“40 Die Transformation der Tora in die jeweilige konkrete Gegenwart obliegt den Menschen. Holtz benutzt zur Beschreibung des Verhältnisses der schriftlichen zur mündlichen Tora das Bild einer hängenden Pyramide: Die mündliche Tora entspringt der schriftlichen Tora, sie entsteht aus ihr und weitet sich bis in die Gegenwart aus. Der Ausgangspunkt bleibt beständig als schriftliche Tora. Jüdische Traditionsliteratur, also mündliche Tora, arbeitet in der Auslegung der schriftlichen Tora kreativ, originell, lebhaft, schwingend und dynamisch. Sie präsentiert sich selbst ausschließlich als Kommentar zur Tora, und
38
HOLTZ, Finding Our Way, 45. HOLTZ, Introduction, 12. 40 GERSHOM SCHOLEM, Offenbarung und Tradition als religiöse Kategorien im Judentum, in: Eranos-Jahrbuch 31 (1962), 19–48; wiederabgedruckt in: Ders., Judaica, Bd. 4, hg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1984, 189–228, 202. 39
7.2 Kontexte
211
doch reicht, bildlich gesprochen, die Spanne eines Lebens nicht aus, sie und damit die Tora in ihrer Ganzheit zu studieren. Um den Umgang mit der Tradition und der Tora zu illustrieren, zitiert Holtz folgende Stelle aus dem Midrasch Tanna de-be Elijahu: What is the difference between the Written and the Oral Law? To what can it be compared? To a king of flesh and blood who had two servants and loved them both with a perfect love. He gave them a measure of wheat and each a bundle of flax. What did the wise servant do? He took the flax and spun cloth. He took the wheat and made flour. He cleaned the flour and ground, kneaded and baked it, and set it on top of the table. Then he spread the cloth over it and left it until the king would come. The foolish servant, however, did nothing at all. After some time, the king returned from a journey and came into his house. He said to his servants: my sons bring me what I gave you. One servant showed the wheat still in the box with the bundle of flax upon it. Alas for his shame, alas for his disgrace! When the Holy One, blessed be He, gave the Torah to Israel, he gave it only in the form of wheat – for us to make flour from it, and flax – to make a garment from it.41
Die heutigen Lernenden und Lesenden steigen in diesen Prozess der Transformation ein, sie backen aus Mehl Brot und spinnen Flachs zu Garn: Tora ist letzten Endes, modern ausgedrückt, Transformation.42 Eine Toradidaktik, die sich dem Konzept von schriftlicher und mündlicher Tora verpflichtet weiß, hat eine offene Textgrundlage, die eine Transformation in die jeweilige Gegenwart verlangt. (ad 2) Neben dem Toraverständnis von schriftlicher und mündlicher Tora stellt Tora in Kreisen des konservativen Judentums einerseits eine Ansammlung von Büchern dar, die über Jahrhunderte entstanden und von Menschen verfasst wurden, zu der die Leser:innen unterschiedliche Zugänge entwickeln und die zum Beispiel mithilfe von historischen Methoden erschlossen werden können. In diesem Fall verkörpert die Tora ein kluges und herausforderndes Werk, und ihr Studium bedeutet eine intellektuelle Aktivität. Außerdem ermöglicht das Studium derselben, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, da die Hebräische Bibel auch eine Sammlung von historischen Texten darstellt. Für Jüd:innen ist dies aber keine beliebige Vergangenheit. Eine Beschäftigung mit der jüdischen Vergangenheit impliziert aus jüdischer Perspektive immer auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Für Holtz gleicht das Studium der Tora in dieser Hinsicht „the study of one’s family tree“.43 Die Tora ist das Dokument eines fortlaufenden Dialogs zwischen Gott und dem jüdischen Volk.44 Auf der anderen Seite ist die Tora nicht nur ein historisches 41
Seder Eliyahu Zuta, Kapitel 2, zitiert nach HOLTZ, Introduction, 28. Vgl. a.a.O., 28f. 43 A.a.O., 112. 44 Dieses Verständnis von Tora korrespondiert dem liberalen Toraverständnis. In „Reform Judaism. A Centenary Perspective“, einem Grundlagendokument des Reformjudentums von 1976, wird dies folgendermaßen beschrieben: „Torah results from the relationship between God and the Jewish people. The records of our earliest confrontations 42
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
Buch, sondern in ihr können Jüd:innen Wahrheit begegnen bzw. Wahrheit finden. 45 Holtz begründet dies mit dem Philosophen Hans-Georg Gadamer (1900–2002) und dessen hermeneutischem Hauptwerk, Wahrheit und Methode46: For Gadamer, the essential goal in confronting a text (or any work of art) from the past is to experience its truth. In this regard, Gadamer pushes us to listen carefully, respectfully, to works of the past, to take those texts seriously without rushing to judgment.47
Gadamer etabliert diese Methode im Gegensatz zu der modernen Versuchung, sich der Frage nach Wahrheit in Texten zu entziehen, indem man sie ersetzt durch eine Erklärung der historischen oder persönlichen Umstände, unter denen ein Text entstanden ist.48 Der Sinn eines Text gehe aber nicht in der Beschreibung der historischen Situation oder in der Motivation des Schreibers auf. Demzufolge würde er eine Bibelinterpretation, die ausschließlich historischkritisch oder linguistisch arbeitet, ablehnen.
are uniquely important to us. Lawgivers and prophets, historians and poets gave us a heritage whose study is a religious imperative and whose practice is our chief means to holiness. Rabbis and teachers, philosophers and mystics, gifted Jews in every age amplified the Torah tradition. For millennia, the creation of Torah has not ceased and Jewish creativity in our time is adding to the chain of tradition“ (CENTRAL CONFERENCE OF AMERICAN RABBIS, „Reform Judaism. A Centenary Perspective“, CCAR Platform adopted in San Francisco in 1976, https://www.ccarnet.org/rabbinic-voice/platforms/article-reform-judaism-centenaryperspective/, 08.07.2022). 45 Vgl. HOLTZ, Textual Knowledge, 114–124. 46 Vgl. HANS-GEORG GADAMER, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 41975. Wahrheit und Methode ist 1960 erschienen und das wohl bekannteste Werk des deutschen Philosophen Gadamer, der darin seine Vorstellung einer universalen Hermeneutik formuliert. Wahrheit kann sich dabei nicht nur in wissenschaftlichen Texten offenbaren, sondern auch z.B. in Kunst und Geschichte. „Es gehört zur elementaren Erfahrung des Philosophierens, daß die Klassiker des philosophischen Gedankens, wenn wir sie zu verstehen suchen, von sich aus einen Wahrheitsanspruch geltend machen, den das zeitgenössische Bewußtsein weder abweisen noch überbieten kann“ (a.a.O., 2). 47 HOLTZ, Textual Knowledge, 114. 48 Vgl. a.a.O., 115. Laut Holtz wendet sich die Hermeneutik Gadamers hier dezidiert gegen die Hermeneutik Friedrich Schleiermachers. „Für Schleiermacher ist die Hermeneutik eine systematische Kunstlehre des Verstehens“ (SEIFERT, Hermeneutik, 29). Er war der Überzeugung, dass man einen biblischen Autor und seinen Text nur aus seiner gesamten Lebenssituation heraus verstehen und interpretieren könne. Ziel ist es, den Autor aus seiner Zeit und seiner Situation heraus besser zu verstehen, als er sich selbst verstanden hat. Vgl. HELMUT SEIFERT, Einführung in die Hermeneutik. Die Lehre von der Interpretation in den Fachwissenschaften, Tübingen 1992, bes. 28–34.
7.2 Kontexte
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7.2.2 Lernorte Der Lernort des toradidaktischen Entwurfs von Holtz ist der Bibelunterricht innerhalb des konservativen Judentums in Nordamerika: Aufgrund der Trennung von Kirche und Staat und der Religionsfreiheit gemäß dem ersten Zusatz der amerikanischen Verfassung gibt es in den USA keinen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Der Religionsunterricht obliegt demgegenüber ausschließlich den Religionsgemeinschaften und wird von diesen in deren eigenen Einrichtungen angeboten. Dies unterscheidet den Tanachunterricht in den USA fundamental von demjenigen in Israel.49 In den USA dominieren die drei großen Denominationen von orthodoxem, konservativem und Reformjudentum. Die jüdische Erziehung unterliegt jeweils den unterschiedlichen Strömungen.50 In orthodoxen Kreisen sind religiöse Ganztagsschulen sehr beliebt, während konservatives und liberales Judentum die Vermittlung von religiösem Wissen vorzugsweise in Form von Nachmittagsunterricht und/oder Sonntagsschulen oder vor allem in Summer Camps und Reisen nach Israel organisieren. Hinzu kommt ein immer größeres Programm für die Erwachsenenbildung.51 Zentrale Themen dieses religiösen Unterrichts sind unter anderem: die hebräische Sprache, jüdische Gebete und Rituale, Tanach, jüdische Geschichte und der Staat Israel. In orthodoxen Schulen liegt der Fokus eher auf dem Erlernen der schriftlichen und der mündlichen Tora und dem Studium der Gebote.52 Für Holtz’ Toradidaktik ist der Kontext des konservativen Tanachunterrichts in den USA von besonderem Interesse: Er findet vor dem Hintergrund einer Minderheitensituation in einer pluralen und säkularen Gesellschaft statt.53 Die Frage nach Stellenwert und Bedeutung der hebräischen Sprache für den Tanachunterricht prägt die Debatte über den konservativen und den reformierten Unterricht54 in den USA bis heute. Einflussreich und richtungsweisend waren zwei Strömungen: 49
Zu diesem Thema vgl. HOLTZ, Bible, 373–388. Vgl. zu dem Thema den ausführlichen, aber etwas veralteten Überblick von ADAR, Jewish Education, 149–263. 51 Durch die Zunahme von sog. „mixed marriages“, also der Ehe zwischen einer Person jüdischen Glaubens und einer nichtjüdischen Person, ab den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts wird die Frage der Weitergabe und Vermittlung der jüdischen Tradition auch und explizit unter Erwachsenen virulenter. Vgl. ELLEN GOLDRIN/ROBERT J. BERK, „United States Jewish Education. Jewish Day Schools, Synagogue Education, Informal Education“, https:// education.stateuniversity.com/pages/2136/Jewish-Education-United-States.html (25.09.2020). 52 Vgl. ebd. 53 Vgl. JACK WERTHEIMER, American-Jewish Education in an Age of Choice and Pluralism, in: Helena Miller/Lisa D. Grant/Alex Pomson (Hg.), International Handbook of Jewish Education (International Handbooks of Religion and Education 5), Teil 2, Dordrecht u.a. 2011, 1087–1104. 54 Auf den orthodoxen Bibelunterricht in den USA hatte besonders die Bibeldidaktik von Nehama Leibowitz einen großen Einfluss. Zu ihrer Bibeldidaktik siehe oben Kapitel 5. 50
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
On the one hand, there was the Bible stories approach in which simplified versions of narratives from the Bible (mostly Humash) were read or told. This approach was found in large measure in the one-day-a-week Sunday school. On the other hand, in many of the Hebrew schools there was the ivrit b’ivrit approach.55
Diese beiden Methoden wurden durch die Initiativen des Melton Center im Bereich des Toraunterrichts seit Mitte der 60er-Jahre um andere Schwerpunktsetzungen ergänzt bzw. durch sie abgelöst. Federführend war dabei Seymour Fox, der früh bemerkte, dass es eine neue Art des Bibelunterrichts im USamerikanischen Kontext brauche, um diesen anschlussfähig für die Fragen und Herausforderungen der Moderne zu gestalten. „The Bible“, so Holtz, „in the view of the architects of Melton needed to become a source of values, and in the language of the time, ‚character education.‘“56 Ziel war es, das Studium der Bibel in die moderne Gesellschaft zu überführen und dabei die Behauptung der Kritiker zu widerlegen, dass das Studium der Tora überholt sei und abgeschafft gehöre.57 Das Melton Bible Project begann mit zwei konkurrierenden und sicher auch schwer zu vereinbarenden Ideen. Die Bibel sollte zum einen als Quelle für Werte und Ideen, die auf eine Subjektwerdung zielen, verstanden werden, und zum anderen sollte sie unter wissenschaftlichen Aspekten den Lernenden nahegebracht werden.58 Außerdem versuchte das Melton Bible Project, einen anderen Zugang zur Bibel zu etablieren: weg vom lehrerzentrierten Frontalunterricht und reinen memorierenden Faktenwissen der Schüler:innen, hin zu einer entdeckenden, fragenden, erforschenden Bibeldidaktik. Dieser Paradigmenwechsel im Bibelunterricht hin zu einem entdeckenden Lernen war für den jüdischen Tanachunterricht in dieser Zeit revolutionär. In den letzten Jahrzehnten wurde dann der Einfluss der literaturwissenschaftlichen Methoden auf die jüdisch-amerikanische Bibeldidaktik konservativer Prägung immer ausgeprägter.59 Schon diese kurze Übersicht verdeutlicht: Der US-amerikanische und der israelische Tanachunterricht unterscheiden sich in ihren Rahmenbedingungen eklatant. Diese Differenz liegt in der Situation der Diaspora gegenüber Erez Israel begründet bzw. im Verhältnis der Minderheit gegenüber der Mehrheit: Dieser Umstand findet seinen Niederschlag in einem staatlich verantworteten
55
HOLTZ, Bible, 378f. A.a.O., 379. 57 Holtz beschreibt die historische Genese folgendermaßen: „Years later, when I asked Fox why Melton had begun with Genesis when in fact they could have focused on any area of Jewish Education, such as prayer or the Jewish holidays, he replied bluntly, ‚because we wanted to show that the bible wasn’t junk‘“ (ebd.). 58 Vgl. a.a.O., 380. Rückblickend lässt sich kritisch anmerken, dass die beiden Ziele – die Bibel als Charakterbildung zu realisieren und den Bibelunterricht im Stil des modernen Bibelstudiums an Universitäten zu etablieren – nicht wirklich miteinander vereinbar waren. 59 Vgl. dazu den „literary approach“ von Barry W. Holtz selber, ebd. 56
7.3 Das didaktische Viereck
215
Tanachunterricht an Schulen gegenüber dem durch die Religionsgemeinschafteten verantworteten Unterricht in der jeweiligen amerikanischen Gemeinde; in Bedeutung und Kenntnis der hebräischen Sprache als Muttersprache oder als zu erlernende Fremdsprache; wie eben auch in dem Stellenwert, Rolle und Verständnis der Tora.
7.3 Das didaktische Viereck 7.3 Das didaktische Viereck
Barry W. Holtz systematisiert seine Toradidaktik – in Anlehnung an seinen Lehrer, Mentor und Freund Seymour Fox – anhand der vier Perspektiven des Unterrichtsvierecks samt Lebenswelt.60 In seinem Nachruf auf Fox schreibt er: Fox often built his own teaching and educational analysis around Joseph Schwab’s „four commonplaces,“ the key elements that obtain any educational situation […]. The teacher, the learner, the subject matter, and the milieu were the points of the compass around which Schwab – and then Fox – oriented their perspective on education in general and curriculum in particular.“61
Dieser dritte Abschnitt beinhaltet die Auseinandersetzung mit Holtz’ Toradidaktik anhand dieser vier Elemente. 7.3.1 Der Text Eine der bekanntesten rabbinischen Geschichten zeigt die Komplexität der Frage auf, wie Tora studiert werden kann: Wiederum geschah es, daß einer aus den Völkern vor Schammai kam und zu ihm sagte: Mache mich zum Proselyten, unter der Bedingung, daß du mich die Weisung ganz und gar lehrst, während ich auf einem Bein stehe! Da stieß er ihn mit dem Meßbrett weg, das er gerade in der Hand hatte. Er kam vor Hillel, der machte ihn zum Proselyten und sagte zu ihm: Was dir verhaßt ist, das tue deinem Genossen nicht an! Das ist die Weisung [Tora] ganz und gar, das andere ist ihre Auslegung. Geh und lerne!62
Beide Antworten legen einen zentralen Aspekt der Toradidaktik offen: Schammai besteht darauf, dass Tora ein komplexer, ernst zu nehmender Lerngegenstand ist, dessen intensives Studium viel Geduld, Ausdauer und die Bereitschaft, sein Leben diesem Prozess zu widmen, erfordert. Hillel dagegen gibt eine pragmatische, elementarisierte Antwort einer in einem Satz zentrierten Ethik der Tora. Der Rest sei Kommentar. Was so lapidar klingt, kann und soll nicht ignoriert, sondern der sogenannte Rest soll studiert werden. Ich werde
60
Vgl. dazu seine Schaubilder in HOLTZ, Textual Knowledge, 155 und 163. HOLTZ, Fox, 3. Holtz bezieht sich hier auf SCHWAB, Science. 62 Babylonischer Talmud, Schabbat 31a; dt.: Der Babylonische Talmud. Ausgewählt, übersetzt und erklärt von Reinhold Mayer, überarb. Auflage, München 1963, 227f. 61
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
hier darlegen, wie Holtz das Studium dieses „Restes“ begründet und methodisch gestaltet. Drei Begründungen des Torastudiums im 21. Jahrhundert Barry W. Holtz sieht es nicht als fraglose Selbstverständlichkeit an, dass im 21. Jahrhundert die Bibel unterrichtet wird, vielmehr sollte dies jede:r Lehrer:in sowohl vor sich als auch vor anderen plausibel erklären können. Demzufolge muss auch die Theorie der jüdischen Erziehung zu dieser Frage sprachfähig sein. Holtz benennt drei unterschiedliche Begründungen, warum und mit welchem Ziel die Bibel aus der Perspektive der Theorie jüdischer Erziehung zu unterrichten ist. Diese hängen eng mit dem oben beschriebenen Toraverständnis zusammen: Erstens sei die Bibel ein intellektuell herausforderndes und historisch anspruchsvolles Buch, das schlicht interessant ist. Der Grund des Bibelstudiums ist dann ein hedonistischer: „We study because it is pleasurable to do so. Wanting to inculcate in students the pleasure of learning is a powerful and admirable goal.“63 Zweitens ist das Studium der Tora religiöse Pflicht: Das Studium der Gebote ist observant lebenden Jüd:innen aufgegeben.64 Die jüdische Gemeinschaft wird auf dieser Grundlage aufgebaut und entwickelt sich dabei durch das gemeinsame Studium der Tora weiter.65 Die religiöse Pflicht, Tora zu studieren, wird jedoch durch das Konzept Tora lishmah, dem Studium der Tora um seiner selbst willen,66 komplementiert. Tora lishmah ist eine komplexe und in der jüdischen Tradition viel diskutierte Größe: Es geht dabei um ein nicht instrumentalisierbares Lernen. Als Kronzeuge für dieses Konzept werden dabei oft zwei Passagen aus Pirqei Avot herangezogen.67 Beide Texte illustrieren 63
HOLTZ, Textual Knowledge, 112. Vgl. ebd. 65 HOLTZ, Adults, 578. 66 Für das Konzept von Tora Lishmah vgl. HOLTZ, Finding Our Way, 211–216 und NORMAN LAMM, Torah Lishmah. Torah for Torah’s Sake in the Works of Rabbi Hayyim of Volozhin and His Contemporaries, New York 1989. Für die Frage, was diese Diskussion und diese Idee für die Jewish Education austragen bzw. welche Auswirkungen diese Idee auf die Theorie jüdischer Erziehung hat, vgl. ROSENAK, Roads, 231–234. 67 Zum einen ist das Pirqei Avot 4,5: „[…] Rabbi Jishmaʽel sagt: Wer lernt, um zu lehren, dem gibt man es nicht in seine Hand, zu lernen und zu lehren. Wer lernt, um zu tun, dem gibt man es in seine Hand, zu lernen, zu lehren und zu tun. Rabbi Zadoq sagt: Mache sie [die Gebote] nicht zu einer Krone, um dich mit ihnen groß zu machen, und auch nicht zu einem Beil, um von ihnen zu essen. Und so pflegte Hillel zu sagen: Wer sie als Krone benutzt, vergeht. Jeder, der Nutzen zieht aus den Worten der Tora, nimmt sein Leben aus der Welt.“ Und zum anderen Pirqei Avot 6,1: „Rabbi Me’ir sagt: Jeder, der sich mit der Tora um ihrer selbst willen beschäftigt, dessen Lohn sind viele Dinge. Und nicht nur dies, sondern die ganze Welt ist seiner wert. Er wird geliebter Freund genannt, er liebt den ORT [Gott], er 64
7.3 Das didaktische Viereck
217
das Konzept der Tora lishmah: In Pirqei Avot 4,5 warnen drei rabbinische Gelehrte, Jischmael, Zaddok und Hillel, davor, das Studium der Tora zu missbrauchen bzw. zu instrumentalisieren, sei es als Krone, also zur Profilierung des eigenen Status bzw. der eigenen Reputation, oder sei es als Beil zur Vermehrung des materiellen Profits. Dies kulminiert in dem zweiten Zitat, Pirqei Avot 6,1, von Rabbi Meir in der Forderung, Tora um ihrer selbst willen zu studieren.68 Dahinter steht nach Holtz die Vorstellung, dass man Tora studiert, um etwas Bestimmtes zu lernen, wohingegen „the rabbis suggest, we study because Torah is God’s gift to us“.69 Trotzdem ist das Konzept von Torah Lishmah nicht völlig mit seinem säkularen Pendant, dem Konzept des L’art pour l’art, also der Kunst um der Kunst willen, gleichzusetzen, da das Studium der Tora zwar auf der einen Seite nicht instrumentalisiert werden soll, aber auf der anderen Seite „study is meant to lead one someplace – as indicated by this passage [gemeint ist damit die Talmudstelle Qiddushin 40b], toward fulfillment of the mitzvot“70 – womit wir zirkulär wieder bei der Begründung wären, dass das Studium der Tora im Judentum eine religiöse Pflicht bedeutet, die selber ein Gebot ist und gleichzeitig eine Voraussetzung für das Erfüllen der anderen Mizwot darstellt. Die Spannung, dass es zeitgleich eben doch um seiner selbst willen geschieht, muss dabei aber immer mitgedacht werden. Die Begründung, die Holtz für eine Rechtfertigung des Studiums der Tora anführt und die er selbst priorisiert, ist drittens, dass Tora als Wahrheit zu unterrichten ist.71 Holtz bezieht sich dafür auf die Philosophin Martha Nussbaum liebt die Geschöpfe, er erfreut den Ort und erfreut die Geschöpfe.“ Dt.: MICHAEL KRUPP, Die Mischna. Schädigungen – Seder Neziqin. Aus dem Hebräischen übersetzt und herausgegeben, Frankfurt am Main/Leipzig 2008, 260 und 273. 68 Historisch wurde diese Idee auch darin überspannt, dass es als umso ehrenvoller galt, je irrelevanter es war, eine Passage zu studieren, wie z.B. Passagen aus dem Talmud, die sich mit der Darbringung von Opfern im Tempel beschäftigen, die heute gar nicht mehr vollzogen werden. Vgl. dazu HOLTZ, Finding Our Way, 213. 69 Ebd. Dahinter steht auch die Vorstellung, dass Gott selbst jeden Tag Tora studiert (Talmud, Avoda Zara 3b). Gott, der es am wenigsten nötig hat, Tora zu studieren, ist darin das beste Beispiel dafür, dass man Torah Lishmah, also Tora um ihrer selbst willen, studieren soll. Vgl. dazu auch die Diskussion „Why Study Talmud, and How?“ von Robert Goldenberg: ROBERT GOLDENBERG, Talmud, in: Barry W. Holtz (Hg.), Back to the Sources. Reading the Classic Jewish Texts, New York 1984, 129–175, bes. 163–167. 70 HOLTZ, Finding Our Way, 213. Die Passage aus dem Talmud, auf die sich das Zitat bezieht, lautet: „Einst waren Rabbi Tarphon und die Ältesten im Obergemach des Hauses Nitsa in Lud versammelt, da wurde unter ihnen diese Frage gestellt: Ist Studium größer, oder ist Tun größer? Rabbi Tarphon antwortete und sagte: Tun ist größer; Rabbi Akiwa antwortete und sagte: Studium ist größer. Da antworteten alle und sagten: Studium ist größer, denn das Studium führt zum Tun“ (dt.: Der Babylonische Talmud. Ausgewählt, übersetzt und erklärt von Reinhold Mayer, überarb. Auflage, München 1963, 251). 71 Vgl. seine beiden Aufsätze BARRY W. HOLTZ, The Torah as Truth. Teaching the Bible in a Skeptical Age, in: Journal of Jewish Education 68/1 (spring 2002), 105–112 und DERS., Teaching Torah as Truth. An Exploration of Pedagogic Goals, in: Mordecai Nisan/Oded
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
(*1947)72 und die von ihr aufgezeigte Verbindung zwischen Literatur und Ethik. Nussbaum ist der Überzeugung, dass in der Fiktion eine Möglichkeit besteht, über die fundamentale Frage nachzudenken, wie wir leben sollen und wollen. Auch wenn die Bibel nicht nur aus Erzählungen besteht, so spielen diese doch, gemäß Holtz, in der Toradidaktik eine besondere Rolle: We dwell on narrative not only because some of the most enduring and memorable elements of the Bible are its narratives but also because narrative itself has such a deep hold on the human species. We live through narratives; they define us as individuals and as parts of a larger society. Thus, reading and teaching biblical narratives help us and our students make sense of their lives as human beings, as part of a culture.73
Holtz interpretiert die Bibel als Wahrheit in der Art und Weise, wie Nussbaum das Konzept der ethischen Macht von Texten etabliert; aber die biblischen Texte können noch über diesen ethischen Aspekt hinaus die Leser:innen verändern.74 Das Studieren und Lesen der Bibel hilft nach Holtz Jüd:innen, sich ethisch-moralisch und spirituell weiterzuentwickeln. „Studying“, so Holtz, „is the essence of being a Jew. It defines who one is.“75 Das Studium der Tora ermöglicht Jüd:innen aber auch, sich mit der eigenen Vergangenheit und mit allen Menschen, die vor einem diese Texte studiert haben, zu verbinden. „In the bible“, so Holtz, „we learn new things, to be sure, but perhaps more important, we learn to see familiar things in a new way and rediscover truth that we had known before and forgotten.“76 Das Lesen der Tora ermöglicht nach Holtz also eine Begegnung mit sich selbst.77 In diesem umfassenden Sinne interpretiert und unterrichtet Holtz die Bibel als Wahrheit. Schremer (Hg.), Educational Deliberations. Studies in Education Dedicated to Shlomo (Seymour) Fox, Jerusalem 2005, 143–156. 72 In Love’s Knowledge stellt Martha Nussbaum eine Verbindung zwischen Literatur und Ethik her. Vgl. MARTHA NUSSBAUM, Love’s Knowledge. Essays on Philosophy and Literature, Oxford 1990, bes. 148–167. 73 HOLTZ, Textual Knowledge, 119. Dies stellt für Holtz auch die Hauptbegründung dar, narrative Texte in das schulische Kerncurriculum aufzunehmen. 74 Vgl. MARTIN BUBER, The Man of Today and the Jewish Bible, in: Nahum N. Glatzer (Hg.), On the Bible. Eighteen Studies by Martin Buber, New York 2000, 1–13, bes. 5 (dt.: Der Mensch von heute und die jüdische Bibel, in: Martin Buber Werkausgabe, Bd. 14: Schriften zur Bibelübersetzung, hg. v. Ran Ha-Cohen, Gütersloh 2012, 38–55). 75 BARRY W. HOLTZ, How Do Adults Learn? The Catholic-Jewish Colloquium and the Possibilities for Personal Transformation, in: RelEd 91/4 (1996), 576–581, 578. 76 HOLTZ, Textual Knowledge, 123. 77 Holtz zitiert an dieser Stelle Prousts Kommentar über das Lesen: „In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte erschauen können. Daß der Leser das, was das Buch aussagt, in sich selbst erkennt, ist der Beweis für die Wahrheit eben dieses Buches“ (MARCEL PROUST, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 7: Die wiedergefundene Zeit, übers. v. Eva Rechel-Mertens,, Frankfurt am Main 22003, 352).
7.3 Das didaktische Viereck
219
Lesen als Zugang zur Tora Für Holtz spielt, ähnlich wie für Nehama Leibowitz, das Lesen als Methode und als Zugang zur Tora und zur jüdischen Traditionsliteratur eine zentrale Rolle.78 Er bezeichnet das Lesen als Liebesgeschichte zwischen Text und Leser:in und als menschliche Grundkonstante. „Reading is a living process. It almost seems to happen to us.“79 Holtz schreibt bewusst über das Lesen von jüdischer Traditionsliteratur, obschon diese eigentlich nie vom Lesen, sondern vom Studieren und Lernen der heiligen Bücher sprechen. Zwar sei das Lernen heute vom Lesen darin unterschieden, dass Ersteres im Gegensatz zu Letzterem eine soziale Aktivität darstelle; aber es ist entscheidend, sich bewusst zu machen, dass dem zumeist lauten Lesen in der jüdischen Tradition immer ein sozialer Aspekt innewohnt und es nicht für sich alleine passiert, sondern in einem lauten, hektischen Beit Midrasch (einer jüdischen Hochschule). Dort sitzen die Studierenden zu zweit oder dritt, lesen und diskutieren laut.80 Die beiden Aktivitäten des Lesens und des Diskutierens seien in diesen Lehrhäusern kaum voneinander zu trennen oder zu unterscheiden: Reading thus becomes less an act of self-reflection than a way of communal identification and communication. One studies to become part of the Jewish people itself. As much as prayer, study is a ritual act of community.81
In diesem Sinne ist das Lesen in der jüdischen Tradition lebendig, dialogisch und immer auch als sozialer Lernprozess zu verstehen. Der gesamte jüdische Kalender basiert auf den alten Quellen und Texten, mit denen er sich intensiv auseinandersetzt. Das heißt konkret, es werden die Texte auch liturgisch meist laut gelesen, so zum Beispiel die Parashat haShavua, der wöchentliche Toraabschnitt, im Gottesdienst am Sabbat, die Megillot an den jeweiligen Festen, die Haggada an Pessach – um nur einige Beispiele zu nennen. Ein anderes Beispiel für die Dialogizität der jüdischen Tradition sind Aufbau und Druck einer Talmudseite: Anders als bei den meisten heutigen Büchern beginnt der Text und damit die Argumentation nicht oben links und endet unten rechts, und es kann einem mehr oder weniger konsistenten Gedankengang gefolgt werden, sondern der Text gliedert sich eher in dialogischen Kreisen: In der Mitte steht der Text der Mischna (Entstehung bzw. Verschriftlichung ca. 1. und 2. Jahrhundert n. Chr.), darauf folgt die Gemara zu diesem Abschnitt aus der Mischna (ca. bis zum 5. bzw. 7. Jahrhundert n. Chr.). Zusammen bilden Mischna und 78 Vgl. BARRY W. HOLTZ (Hg.), Back to the Sources. Reading the Classic Jewish Texts, New York 22006. Holtz stellt das ganze Buch unter das Motiv des Lesens von jüdischen Texten. Siehe zu diesem Themenfeld auch seine Einleitung zu dem Buch: BARRY W. HOLTZ, „Introduction: On Reading Jewish Texts“, a.a.O., 11–29. 79 Vgl. HOLTZ, Finding Our Way, 3. 80 HOLTZ, Introduction, 18. 81 Ebd.
220
Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
Gemara den Text in der Mitte der Seite eines modernen Talmuddrucks. Darum herum finden sich wiederum Kommentierungen des Traktates: So befindet sich auf der Innenseite der Kommentar von Raschi (11. Jahrhundert n. Chr.) und auf der äußeren Seite spätere Kommentare. Die ständige Fortentwicklung der Tradition durch Diskussionen, Kommentare und Analysen prägt den durchgängig dialektisch-dialogischen Stil des Talmuds.82 Die Seite tritt also über ein bestimmtes Thema schon in ihrem Aufbau in einen Dialog durch die Generationen und Jahrhunderte hindurch. Das Lesen einer solchen Seite findet nicht linear, sondern in konzentrischen Kreisen statt und erfordert bzw. verlangt sogar geradezu den Dialog und die Interaktion zwischen Schüler:innen und Lehrer:innen bzw. der Schüler:innen untereinander. Dabei liest jede Generation die Texte der schriftlichen und der mündlichen Tora „in the light of its own experience and rethinks the meaning of these texts for the world in which it lives“.83 Eine große Stärke dieser Art des Lesens ist es auch, dass in ihr und damit in den Texten der Tora das Potenzial liegt, immer wieder sehr persönlich zu jedem und zu jeder sprechen zu können.84 Eine Herausforderung dieses Zugangs zur Tora explizit in dem amerikanischen und damit englischsprachigen Kontext, in dem Holtz lehrt und für den er seine Toradidaktik auch entwickelt hat, ist, dass die Texte in der jüdischen Tradition immer nur auf Hebräisch oder Aramäisch gelesen bzw. studiert werden. Viele verbale Anspielungen, Mehrdeutigkeiten und Interpretationen sind demzufolge auch nicht zu verstehen, wenn sie übersetzt werden – oder sie sich womöglich gar nicht übersetzen lassen.85 This sense of the sacred quality of the language begins with the Bible itself. God speaks, and through language the world comes into being. Jews, at least since rabbinic times, have taken the holiness of the language with great seriousness.86
82 Vgl. GOLDENBERG, Talmud, 129–175. Besonders hilfreich für den Aufbau einer Talmudseite sind die Grafiken dazu auf Seite 140–142. 83 HOLTZ, Finding Our Way, 4. 84 Vgl. ebd. Holtz erinnert sich hier daran, wie ihn das erste Mal ein Text der Tora, in seinem Fall Gen 37,1, in einer persönlichen Lebenssituation betroffen und ihn darin stark beeinflusst habe. 85 „To be an ‚insider‘ in Judaism, one needs first and foremost to master at least one language (Hebrew) in its various historical permutations ranging from biblical texts to the latest editorials in the Israeli press“ (HOLTZ, Adults, 577). 86 HOLTZ, Introduction, 21. Die Beibehaltung der hebräischen Sprache und die damit einhergehende Ablehnung von Übersetzungen waren zudem auch ein Kontrast und eine Abgrenzung zum Christentum, das die beiden Testamente schon sehr früh übersetzt hat. Dagegen haben die verschiedenen Strömungen des Judentums immer an dem hebräischen Text festgehalten.
7.3 Das didaktische Viereck
221
Die jüdische Exegese basiert über lange Jahrhunderte auf einzelnen Buchstaben, Wörtern und hebräischen Phrasen.87 Mit der Möglichkeit der Assimilierung an westliche Kulturen galten diese religiösen Texte und ihre Sprache als unmodern, und es fand, abgesehen von dem orthodoxen Judentum, in weiten Kreisen des Judentums eine Distanzierung gegenüber der jüdischen Traditionsliteratur und der Bibel in hebräischer Sprache statt.88 Dagegen versucht Holtz mit seiner Toradidaktik, das Lesen und Studieren der Hebräischen Bibel und der jüdischen Traditionsliteratur, also der schriftlichen und der mündlichen Tora, einer breiteren jüdischen Leser:innenschaft zunächst wieder bekannter zu machen und dann im besten Falle für sie auch attraktiver zu gestalten.89 7.3.2 Die Lernenden Für Barry W. Holtz stellt es eine Selbstverständlichkeit dar, sich als Lehrer:in intensiv mit den Fragen, dem Wissensstand, dem Milieu und der Lebenswelt einer Lerngruppe zu befassen. Trotzdem steht die Rolle der Schüler:innen als Subjekte des Lernprozesses überraschend wenig im Fokus seiner didaktischen Überlegungen. In diesem Zusammenhang setzt er sich mit der Frage auseinander, wie den Schüler:innen als Teil der (nordamerikanischen) Gesellschaft zu begegnen ist und wie die Tora in diese konkrete Situation hineinwirkt bzw. welche grundlegende Haltung von Schüler:innen für seine Toradidaktik wünschenswert wäre. Die Schüler:innen als Teil der nordamerikanischen Gesellschaft Die Schüler:innen, für die Holtz seine Toradidaktik entwickelt hat, sind sowohl die, die an nordamerikanischen, meist jüdischen Schulen unterrichtet werden, als auch die des synagogalen Unterrichts. Darüber hinaus nimmt er den Kontext der Erwachsenenbildung, der informellen Bildung und ebenso universitäre Settings in den Blick.90 Damit berücksichtigt Holtz ein sehr breites Spektrum von Schüler:innen in sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Maßgebend ist für ihn die Analyse der Lebenswelt der Schüler:innen: Sie leben in einer 87
An der Sprache und der Schwierigkeit der Übersetzung liegt es auch, dass die jüdische Traditionsliteratur einer breiten, insbesondere nichtjüdischen Leserschaft so unbekannt geblieben ist. 88 „The newly secularized Jews came to see these texts as repositories of all that was dated, ‚religious‘ and ‚unmodern‘ – for most, it was impossible to separate the text from the context of the ‚old world‘“ (HOLTZ, Introduction, 22). 89 Um dies zu realisieren, hat er auch das Buch Back to the Sources herausgegeben, in dem verschiedene Wissenschaftler klassische jüdische Texte von der Hebräischen Bibel über Talmud, Midrasch und die mittelalterlichen Kommentare bis zu kabbalistischen und chassidischen Texten und dem jüdischen Gebetbuch vorstellen und erklären. 90 Vgl. HOLTZ, Textual Knowledge, 1.
222
Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
säkularen, mehrheitlich nichtjüdischen modernen Gesellschaft, von der sie in ihrem Denken und Handeln beeinflusst werden. Konfliktreich ist, dass deren Werte oft konträr zu den jüdischen Glaubensinhalten und Traditionen91 stehen: The tension between the ideas of the classical Jewish tradition and the „acceptable“ values of modern American culture is one of the primary issues faced by Jewish educators. To put it baldly: How does one teach the Jewish tradition faithfully and accurately when those teachings may conflict with the mainstream culture in which our students live?92
Rosenak beschreibt dies als einen Konflikt zwischen Authentizität und Relevanz: The pristine character of Jewish tradition – demand for technical mastery; alien normative requirements and understandings of knowledge; a religious view of the world which assumes the authority of the Torah and the sovereignty of God; a comprehensive and largely legal character – makes it inaccessible to most pupils, and creates philosophical and other difficulties for many teachers.93
Dabei bestehe die Herausforderung einerseits darin, dass zur Erhaltung der Authentizität ein zu großer Fokus auf die traditionellen Inhalte gelenkt wird und andererseits darin, dass mit der Relevanzfrage die Perspektive der Lernenden auf Kosten dieser Tradition hervorgehoben wird. Ziel des Unterrichts muss es also sein, die Balance zu halten. Die Lehrkräfte müssen sich ein realistisches Bild von den Schüler:innen, ihrem Lebensumfeld und ihrem Milieu verschaffen, um dies produktiv in den Unterricht mit einzubringen. Clearly, we can’t fight it by isolating ourselves. We teach students who live in the context of contemporary culture, who watch television, listen to music, and spend a great deal of time absorbing the products of the „media“.94
Eine gelungene Toradidaktik zielt darauf ab, den Schüler:innen durch und die biblischen Texte und mit ihnen eine Erklärungs- und Interpretationshilfe für die Welt und die Gesellschaft, in der sie leben, anzubieten und darüber Sinndeutungsangebote für ihr Leben zu entwickeln. Die Tora könne zu Schüler:innen so sprechen, dass sie sich als persönlich relevant, psychologisch bedeutungsvoll oder spirituell tiefsinnig erweist.95 Dahinter steht die Vorstellung einer aktiven, autonomen Anthropologie, die bereits in der jüdischen Tradition verankert ist. So wird zum Beispiel im rabbinischen Lehrhaus, in dem die kontroversen Diskussionen und Debatten, die Fragen und Antworten im Mittelpunkt stehen, die Beziehung zwischen Schüler:in und Lehrer:in als
91
Vgl. dazu ausführlicher unten den Abschnitt 7.3.4 „Zur Lebenswelt“. HOLTZ, Textual Knowledge, 13. 93 MICHAEL ROSENAK, Teaching Jewish Values. A Conceptual Guide, Jerusalem 1986, 92
37. 94 95
HOLTZ, Textual Knowledge, 32. Vgl. a.a.O., 121.
7.3 Das didaktische Viereck
223
gleichberechtigt beschrieben. Holtz begründet das mit dem pädagogischen Stil der Nach- und Anfrage, der „inquiry“: In „inquiry“ the teacher is not the only source of wisdom, but students challenge the teacher, examine the evidence […], and come to their own conclusion.96
Lernende und Tora An schwierigen und aus der Perspektive der modernen Leser:in „sperrigen“ Bibeltexten verdeutlichen sich, laut Holtz, die Herausforderungen des Bibelstudiums für Lernende bzw. die Haltung, die von ihnen für das Studium der Texte der Tora verlangt werden muss. Holtz setzt sich in seinem Buch Textual Knowledge mit der pädagogischen Frage auseinander, wie man sogenannte schwierige oder aktuell befremdliche biblische Texte heutigen Schüler:innen unterrichten kann; denn die „Bible is an old and ‚foreign‘ book, and part of our 96
BARRY W. HOLTZ, Bible. Teaching the Bible in Our Times, in: Helena Miller/Lisa D. Grant/Alex Pomson (Hg.), International Handbook of Jewish Education (International Handbooks of Religion and Education 5), Teil 1, Dordrecht u.a. 2011, 373–388, 375. Um aus einer deutschen Perspektive einen differenzierten Eindruck und einen besseren Überblick über die mögliche religiöse Prägung von jüdischen Schüler:innen in den USA zu bekommen, sind die vier Typen von Schüler:innen hilfreich, die Susan Tanchel in ihrem Aufsatz „A Judaism That Does Not Hide“ ausmacht. Entstehungshintergrund dieser vier Schüler:innen-Typen ist eine plurale jüdische Highschool in den USA. Der „student body comprises students from all the major denominations – Orthodox, Conservative, Reform, and Reconstructionist – as well as unaffiliated students“ (SUSAN E. TANCHEL, A Judaism That Does Not Hide. Teaching the Documentary Hypothesis in a Pluralistic Jewish High School, in: Journal of Jewish Education 74/1 [2008], 29–52, 40). Der erste Typ Schüler:in ist der bzw. die seiner bzw. ihrer Tradition entfremdete. „This type of student is alienated and disconnected from the study of Torah. He does not feel compelled by the traditional methods he has learned thus far and feels that there is no value in learning biblical texts. Having rejected them, he knows no way of relating to the sacred texts of his community“ (ebd.). Der zweite Typ lebt nicht observant, unterstützt aber traditionelle Glaubensinhalte und behält sie bei. Dabei entsteht eine Diskrepanz zwischen seinen bzw. ihren Überzeugungen und dem Handeln. So hängt dieser Typ z.B. der klassischen Vorstellung von der Tora als Offenbarung Gottes an, hält sich aber nicht an die halachischen Gebote. „Any time a teacher sees a learner believing one thing and doing another, it is a ripe opportunity for conversation and an examination of the student’s beliefs“ (a.a.O., 41). Der dritte Typ Schüler:in lebt weder halachisch-observant, noch teilt er traditionelle Glaubensinhalte. „Most likely this student has come from a public school and/or an unaffiliated home and has already considered that God did not write the Torah“ (ebd.). Der vierte Typ Schüler:in hält sich an die traditionellen Gebote und Glaubensgrundlagen. Ursprünglich ging Tanchel von noch einem fünften Typus aus, dem halachisch observanten, also dem ultraorthodoxen Typus, diesen hat sie aber an ihrer Schule nicht gefunden, da auch in den USA ultraorthodoxe Schüler:innen oft ultraorthodox geprägte Schulen besuchen. Tanchel kategorisiert die jüdischen Schüler:innen nach zwei Kategorien: einerseits wie sie sich zu jüdischen Glaubensinhalten bzw. zur jüdischen Tradition verhalten und andererseits, wie und ob sie observant, also den religiösen jüdischen Gesetzen gemäß, leben.
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
difficulty has to do with the way we approach any work from the distant past“.97 Als größte Herausforderung sieht er dabei die Überwindung der inhaltlichen Probleme, die Schüler:innen mit einem Text haben können. Nach Holtz kristallisieren sich zwei Fragen heraus: Zunächst sind die biblischen Vorstellungswelten und Symbolsysteme für moderne Menschen oft erklärungsbedürftig. „Its concepts of holiness“, so Holtz, „convent, divinity, prophecy, and law are all very different from those of our contemporary world.“98 Zudem gibt es in der Bibel Texte, die konträr zum heutigen ethischen Empfinden und zu aktuellen Perspektiven der meisten Lernenden stehen. „These are texts in which the moral perspective of the Bible is unacceptable, as judged by our own standards.“99 Holtz gibt fünf Tipps, wie man diese Texte im 21. Jahrhundert unterrichten kann: Als erstes nennt er das Prinzip der Nachsicht mit bzw. der Demut vor dem Text: Schüler:innen sollten zunächst den Text an sich als komplexes, gewachsenes Gebilde wahrnehmen und verstehen lernen und nicht gleich mit ihren eigenen Reaktionen und Befindlichkeiten darauf reagieren. „The ‚mefocus‘ of contemporary America and American spirituality is a version of the ‚culture of narcissism‘ that has been the topic of much discussion in recent years.“100 Seine Toradidaktik zielt darauf ab, dass die Schüler:innen den Texten mit einem gewissen Vertrauensvorschuss und Respekt begegnen. 101 Dieser Vertrauensvorschuss liegt in der Vorstellung begründet und setzt voraus, dass die Tora ein heiliger Text ist, was die Schüler:innen wiederum anerkennen müssen. Holtz schlägt deshalb als niedrigschwelligeres Angebot vor, den Text wie eine weise alte Verwandte zu behandeln: „it is true that we might disagree with what the elder says, but we must at least listen carefully before judging“. 102 Als zweite mögliche Umgangsweise beschreibt er die Verwendung von klassischen jüdischen Kommentaren explizit beim Unterricht von schwierigen
97
HOLTZ, Textual Knowledge, 129. Ein Problem stellt die historische und kulturelle Distanz der Schüler:innen zum Text dar. Diese kann zwar durch Erklärungen des kulturellen und geschichtlichen Hintergrundes der Texte überbrückt werden, gleichzeitig bestehe dann aber die Gefahr, dass durch die Erklärung der direkte Zugang der Schüler:innen zu den Texten verloren geht und die Kernaussagen der Texte aus dem Blick geraten können. 98 A.a.O., 135. 99 Ebd. 100 A.a.O., 136. 101 „This approach would, in short, mean trying to help students learn to read ancient texts like the Bible in the spirit of the ‚principle of charity‘“ (ebd.). Holtz übernimmt hier einen Gedanken von Moshe Halbertal (*1958). Dieser benutzt in Bezug auf biblische Texte das principle of charity „that a text can be ‚read in the „best“ possible light in order to redeem it‘“ (MOSHE HALBERTAL, People of the Book, Cambridge 1997, 27). Holtz adaptiert das Prinzip aus dem Gerichtswesen, wo Richter Gesetze immer in dem bestmöglichen Licht interpretieren, und überträgt dies auf die Bibel (a.a.O., 27–30). 102 HOLTZ, Textual Knowledge, 138.
7.3 Das didaktische Viereck
225
Texten, da sie verdeutlichen, dass schon die jüdische Tradition und dementsprechend auch ihre Hermeneutik mit den gleichen Problemen konfrontiert waren.103 Problematisch kann allerdings sein, dass die Schwierigkeiten, die die Kommentare behandeln, sich sehr von den Schwierigkeiten der Schüler:innen in ihrer Lebenswelt mit den Texten unterscheiden können, da sie immer ein Produkt eines bestimmten Milieus zu einer bestimmten Zeit sind. Die Kommentare seien zwar hilfreich beim Unterrichten, aber sie lösen nicht die Dilemmata des Unterrichts von schwierigen Bibeltexten in der Moderne auf. Als Drittes schlägt Holtz deswegen vor, die biblischen Texte zu erklären, ohne sie zu verteidigen. Es geht dabei dementsprechend darum, dass die Schüler:innen die Texte verstehen; sie müssen sie sich aber nicht überzeugt aneignen, sondern können in einer kritischen Distanz zu ihnen bleiben.104 Die vierte Vorgehensweise, die Holtz vorschlägt, ist die Fremdartigkeit und Eigentümlichkeit der Texte stehen zu lassen und darauf zu vertrauen, dass Schüler:innen einen Umgang damit finden. Dahinter verbirgt sich die Überzeugung, dass in der Begegnung mit fremden Texten neue Dinge erlernt werden können und dafür die Fremdheit und Differenz dieser Texte ausgehalten werden muss. 105 Sein fünfter Vorschlag ist, dass Schüler:innen und Lehrer:innen die Freiheit haben müssen, einen Text zu ignorieren, wenn die Differenz zu ihm sich als zu umfassend darstellt. Die Lernenden begegnen dem Text als autonome Individuen, als solche können sie sich auch gegen die Texte der Tradition entscheiden.
103 Vgl. a.a.O., 139. Als Beispiel zeigt Holtz hier die Vielzahl der Interpretationen und Kommentare zu Gen 27 auf. Das Verwenden der klassischen Kommentare birgt für den Unterricht und die Lehrperson viele Vorteile: Die Lernenden können dadurch eine Verbindung zu einer interpretierenden Tradition herstellen, von der sie gleichzeitig selber ein Teil werden, indem sie die Texte interpretieren. „It helps students recognize some of the enduring dilemmas of biblical studies and allows them to see that raising such questions – as they themselves may have done – should not disconnect them from the tradition but may in fact link them to that tradition“ (a.a.O., 140). 104 Hier bezieht sich Holtz auf einen bekannten Aufsatz von Moshe Greenberg (1928– 2010) zu der Frage des Bibelstudiums. Greenberg forderte darin: „For the basic requirement of a Bible teacher is not faith, but understanding; not assent, but recognition of the profound issues of which the Bible treats“ (MOSHE GREENBERG, On Teaching the Bible in Religious Schools, in: Jewish Education 29/3 [1959], 45–53, 45). Es gehe darum, die Bibel vor die Schüler:innen zu legen und für sich selber sprechen zu lassen. Grundlegend sei dafür die Überzeugung, dass die Texte auch heute noch die Kraft haben, die Schüler:innen zu erreichen. 105 Holtz begründet das mit Eugene Goodheart (1931–2020): „If education is a discovery of things, one doesn’t already know, we should not be looking in the works we read for a reflection of our own already formed understandings“ (EUGENE GOODHEART, Does Literary Studies Have a Future?, Madison 1999, 50).
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
7.3.3 Die Lehrenden Einen Fokus legt Holtz in seiner Toradidaktik auf die Rolle und Profession der Lehrkraft. Ihr komme seiner Meinung nach eine Schlüsselrolle in der Vermittlung der Tora zu. Deswegen ist ihm nicht nur an einer theoretischen Fundierung ihrer Orientierung, ihren Zugängen und Zielen in Bezug auf den Toraunterricht gelegen, sondern auch an einer Professionalisierung der Lehrer:innen der jüdischen Studien in den USA. Orientierung der Lehrenden Ein Schlüsselbegriff von Holtz’ Toradidaktik bildet die persönliche Orientierung bzw. die Einstellung der Lehrenden zu dem Bibeltext. Seiner Meinung nach wirken sich diese Eigenschaften richtungsweisend auf alle weiteren Unterrichtsentscheidungen aus.106 Nach Holtz umfasst Orientierung als Begriff „aspects of both the knowledge and beliefs sides of a teacher’s relationship to the subject matter“.107 Er sieht es, insbesondere innerhalb der Theorien der jüdischen Erziehung, als großes Defizit an, dass die meisten Lehrer:innen ihre Position zur Tora nicht theoretisch reflektieren, und hält die Orientierung und Verortung von Lehrkräften in den USA gerade in den jüdischen Studien, in denen oft Lehrer:innen ohne große Sachkenntnisse und Ausbildung unterrichten, für fundamental wichtig. In ihr sieht er eine Möglichkeit sowohl der Hilfestellung für Lehrkräfte als auch der Professionalisierung der Praxis.108 106 Holtz übernimmt das Konzept von Pamela Grossman, Dean of the Graduate School of Education und George and Diane Weiss Professor of Education an der University of Pennsylvania, Philadelphia, USA. Grossmans Forschungsinteressen liegen auf dem Gebiet der Ausbildung und Professionalisierung von Lehrkräften. Ihr Schwerpunkt ist dabei englische Literatur. Grossman identifiziert in ihrer Arbeit drei Hauptorientierungen zu literarischen Texten: ein „text-based approach“, ein „context-based approach“ und ein „readerresponse-based approach“. Diese drei übernimmt Holtz von ihr in seine Bibeldidaktik und ergänzt sie noch um sechs weitere. Sein größter Einwand gegen Grossman ist, dass sie zu empirisch und zu wenig theoretisch fundiert arbeitet. Vgl. HOLTZ, Textual Knowledge, 46– 50.68–73. Siehe dazu auch besonders die Tabellen auf Seite 69 und 72. Vgl. ebenfalls BARRY W. HOLTZ, Reading and Teaching. Tools, Aspirations and the Teaching of Jewish Texts, in: Yisrael Rich/Michael Rosenak (Hg.), Abiding Challenges. Research Perspectives on Jewish Education, Jerusalem 1999, 401–426. 107 HOLTZ, Textual Knowledge, 47. 108 Holtz benutzt hier zwar eine Methode aus den Literaturwissenschaften und wendet diese auf die Theorie jüdischer Erziehung an, hält aber einen Unterschied zwischen Bibel und Literatur bewusst aufrecht. So sieht er in der Frage des Genres, des Verständnisses des Glaubens und der Intention, Differenzen zwischen Literatur und der Bibel. „The study of Jewish texts at its heart is viewed within the context of a religious obligation that often is aimed at leading the student toward certain kinds of behaviors (i.e. mitzvoth) or, at the very least, at an involvement in a way of living within which study itself is a central element“ (a.a.O., 55).
7.3 Das didaktische Viereck
227
Aus diesem Grund versucht er in seinem Buch Textual Knowledge, das Unterrichten der Tora zu konzeptualisieren. Sein Ziel ist es, sich auf die Idee der Lehrer:innen-Orientierung und -Positionalität zu konzentrieren und davon ausgehend, verschiedene Orientierungen bezüglich der Bibel, die Lehrkräfte sich aneignen können, zu entwickeln. Die Positionalität von Lehrkräften wird seiner Meinung nach maßgeblich von drei Faktoren beeinflusst: Ihren individuellen Temperamenten, ihrem (religiösen) Milieu und kulturellen Hintergrund, und ihrer Erfahrung mit eigener und fremder Unterrichtspraxis.109 Aufbauend auf der Forschung zu diesem Thema in der englischen Literaturwissenschaft von Pamela Grossman entwickelt Holtz neun Orientierungshilfen für den Toraunterricht als ein Angebot an Lehrer:innen.110 Als Erstes nennt er die Kontextorientierung. „This approach aims at the meaning of the biblical text within its own times.“111 Die Bibel wird aus der Perspektive eines Zeugnisses aus der antiken Gesellschaft betrachtet, und der Unterricht derselben zielt darauf, diese Welt den Schüler:innen nahezubringen. Dieser Zugang wird an den meisten westlichen Universitäten gelehrt, arbeitet mit der historisch-kritischen Methode und ist in Israel im säkularen Schulsystem sehr einflussreich. Als Zweites beschreibt Holtz die literaturkritische Orientierung. In ihr werden die biblischen Texte als literarische Texte unter Zuhilfenahme von Methoden aus der Literaturwissenschaft, wie die Untersuchung des Stils, der Sprache, der Charaktere, der Themen, der Formen der Texte und des close reading, analysiert. Dieser Zugang wird eher auf Poesie und narrative Texte angewendet als auf prophetische und legalistische Textgruppen. Als Drittes identifiziert Holtz die Leser:innen-Antwort-Orientierung. Sie fokussiert auf die Erfahrungen der Lesenden während der Textbegegnung: Was passiert mit ihnen beim Lesen, und welche Strukturelemente des Textes erzeugen welche Wirkungen? Sie umfasst sowohl eine Leser:innen-Antwort im eher technischen und literarkritischen als auch im persönlichen Sinne. Die vierte Orientierung ist die der Parshanut,112 also die traditionelle jüdische Orientierung. Sie spiegelt die traditionelle jüdische Art des Toraunterrichts wider, bei der zum besseren Textverständnis die klassischen jüdischen Interpretationen und Kommentatoren herangezogen werden.113 Bei der fünften Orientierung handelt es sich um die ethisch-moralisch-didaktische Orientierung. „This approach“, so Holtz, „aims at discerning the ‚message‘ (or messages) that 109
A.a.O., 83. Für einen grundsätzlichen Überblick über die verschiedenen Orientierungen siehe a.a.O., 73–96. 111 A.a.O., 92. 112 Vgl. zu Methode und Begriff von Parshanut unten den Abschnitt 8.3.1 zum Text bei Daniel Krochmalnik zur traditionellen jüdischen Bibelauslegung. 113 Als Kronzeugin für diese Methode benennt Holtz Nehama Leibowitz. Zu der Methode und dem theoretischen Hintergrund von Nehama Leibowitz vgl. oben Kapitel 5 zu ihrer Toradidaktik. 110
228
Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
specific biblical texts offer for our own lives.“114 Als Beispiel nennt er Kinderbibeln und die Frage, welche Wahrheit, welche ethischen Fragen und Handlungsoptionen die Schüler:innen aus den Texten lernen können.115 Dahinter steht die Überzeugung, dass die Texte der Tora für das Leben der Schüler:innen und ihr moralisches Verhalten ethische Hinweise beinhalten. Holtz problematisiert bei dieser Elementarisierung die Vereinfachung bis zur Verfälschung der Texte, sodass Erwachsene die Bibel dann rückblickend als kindisch empfinden. Die sechste Orientierung ist die personalisierte. Sie kann als psychologische, politische und spirituelle charakterisiert werden und zielt darauf, eine Beziehung zwischen den Texten und dem heutigen Leben zu initiieren.116 Die Schwierigkeit bestehe darin, diese Orientierung in didaktische Settings zu übertragen und Räume zu schaffen, die so eine persönliche Textbegegnung zumindest theoretisch möglich machen. Die ideelle Orientierung formuliert Holtz als die siebte: „This approach essentially views the Bible as a kind of ‚philosophical‘ text in which are embedded certain key moral and theological ideas.“117 Sie fragt grundsätzlich nach den großen Ideen der Tora und danach, wie der Text für die Gegenwart wichtig werden kann.118 Achtens nennt Holtz die Orientierung „Bible leads to action“. Traditionell wurde im rabbinischen Judentum das Ziel des Bibelstudiums mit dem Halten und Vollzug der Mizwot charakterisiert. Das Studium der Tora soll nicht folgenlos bleiben, sondern „is intended to move people toward action“.119 Im Idealfall verstehen die Schüler:innen, dass sich die Inhalte, die ihnen beim Studium der Tora begegnen, als relevant für ihr Leben und ihre Taten erweisen. Das Studium der Tora ist demnach nicht bloß eine intellektuelle Trockenübung. Zuletzt entwickelt Holtz als Neuntes die Orientierung der Übersetzung. Sie entschlüsselt die Texte, macht sie den Schüler:innen begreiflich, übt die richtige Betonung des hebräischen Textes ein, erklärt die Hintergründe, die Bedeutung der hebräischen Namen und die ambigen Übersetzungen von Wörtern.120 Sie kann mit der Methode des Memorierens oder des traditionellen Singens von Versen einhergehen. 114
HOLTZ, Textual Knowledge, 93. Vgl. a.a.O., 85. 116 Vgl. a.a.O., 94. Holtz bezieht sich für diese Orientierung auf Martin Buber und seinen Essay „The Man of Today“: „[The man of today] can open up this book and let its rays strike him where they will…He can absorb the Bible with his strength, and wait to see what will happen to him. […] He must yield to it, withhold nothing of this being, and let whatever will occur between himself and it. He does not know which of its sayings and images will overwhelm him and mold him, from where the spirit will ferment and enter into him. […] But he holds himself open“ (BUBER, Man, 4). 117 HOLTZ, Textual Knowledge, 94. 118 Diese Orientierung spiegelt sich insbesondere in dem Curriculum des Melton Centre wider. 119 HOLTZ, Textual Knowledge, 90. 120 Vgl. a.a.O., 84. 115
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7.3 Das didaktische Viereck
Holtz fasst die verschiedenen Zugänge und Orientierungen, durch die und mit denen eine Lehrkraft ihre Zugänge zum Toraunterricht gestalten kann, in einer Tabelle zusammen:121 KEY ELEMENT
EXAMPLES
WHERE FOUND?
The Contextual Orientation
Bible in the context of its own times
Academic research on Bible – historically oriented studies
Universities, secular schools in Israel
The Literary Criticism Orientation
Tools of modern literary criticism applied to the Bible
Academic research on Bible – literary critical studies; sometimes in textbooks
Universities; some (usually) nonOrthodox schools
Tools of postmodern literary criticism applied to the Bible
Academic research on Bible – literary critical studies; sometimes in textbooks
Universities; some (usually) nonOrthodox schools
ORIENTATION
The ReaderResponse Orientation
Parshanut, The Jewish Interpretive Orientation
Exploration of classical commentators’ understanding of Bible
Nehama Leibowitz as a model
Moralistic-Didactic Orientation
What is the moral lesson that the Bible teaches us?
Textbook
The Personalization Orientation
How can the Bible speak to us – psychologically, politically, spiritually?
Usually not in curriculum materials – found in contemporary works on the Bible
Schools of various sorts
What are the „big ideas“ of the Bible? Study leads us to performing commandments, ethical behavior
Melton curriculum as a model
Schools, mainly non-Orthodox
Found in textbooks of various sorts
Schools of various sorts
Found in older textbooks
All schools
The Ideational Orientation The Bible Leads to Action Orientation The Decoding, Translating, and Comprehension Orientation
121
Decoding the Hebrew, comprehending the basic
Die Tabelle findet sich a.a.O., 95.
Schools of various sorts, though mainly Orthodox; rarely in universities Schools of various sorts, both Orthodox and non-Orthodox
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
Die Orientierungen sollen den Lehrer:innen helfen, ihre je individuelle Position zur Tora zu entwickeln und zu reflektieren. Gleichzeitig ermöglichen sie eine Vielzahl von unterschiedlichen Zugängen des Lesens und Unterrichtens der Tora, um auch aufzuzeigen und darin zu verdeutlichen, dass es nicht „die eine richtige Lesart“ der Tora gibt, sondern ambige Zugänge und Lesarten, zwischen denen sich eine Lehrkraft entscheiden und verorten kann und muss. Für diese Entscheidung müssen die Ziele des jeweiligen Toraunterrichts klar definiert werden.122 Holtz selber bevorzugt keine dieser Orientierungen, sondern hält gerade die Vielfalt und den Wechsel für ein attraktives Konzept. Außerdem sei nicht jeder Zugang für jedes Alter und jede Lerngruppe geeignet, sondern müsse je differenziert entschieden werden. Dementsprechend bestimmt Holtz das Verhältnis von Theorie und Praxis folgendermaßen: „It is in theory that all practice is rooted, and it is in practice that all theory is tested.“123 Professionalisierung des Lehrberufs Die neun verschiedenen Orientierungen und Zugänge setzen eine Professionalisierung des Lehrberufs voraus. Dementsprechend verfolgt Holtz schon seit den 80er-Jahren das Ziel der Professionalisierung des Lehrberufes. Er vergleicht ihn dafür mit Jurist:innen und Mediziner:innen als Profession. Similarly [like the physician and the lawyer] the teacher is expected to master academic areas such as literature, Bible, history, and child psychology, and to demonstrate competence in the classroom in areas such as lesson planning, classroom management, and discussion leading.124 122
Vgl. a.a.O., 106–109. Vgl. dazu auch das letzte Kapitel des Buches Textual Knowledge „And Now … To Teach“, 153–174. 123 HOLTZ, Textual Knowledge, 153. 124 BARRY W. HOLTZ/EDUARDO RAUCH, Education for Change. Toward a Model of Jewish Teacher Education, in: Studies in Jewish Education 3 (1988), 62–90, 62. Schon in einem Aufsatz aus dem Jahr 1987 stellte Holtz die Frage, ob und in welcher Form der Beruf der Lehrer:in in den USA eine Profession entsprechend der der Jurist:innen oder der Mediziner:innen sei. Holtz sieht es als Zielvorstellung an, dass dies der Fall sein sollte, da es den Beruf für Jüdische Studien aufwerten und profesionalisieren würde. Aber leider entsprächen derzeit weder die äußeren Bedingungen, wozu er sowohl die Bezahlung als auch die Jobchancen und Weiterbildungsmöglichkeiten zählte, noch die inneren Kriterien, worunter er eine Selbstidentifikation mit der Sachthematik verstand, dem Professionsbegriff in den USA. Mit seiner Forderung nach Professionalisierung des Lehrberufs für Jüdische Studien und der damit einhergehenden Forderung nach einer Professionalisierung der Aus- und Fortbildung und der Arbeitsbedingungen knüpfte Holtz an eine Diskussion über die theologische Ausbildung in den USA der 60er- bis 80er-Jahre an. Dort avancierte der Begriff der Professionalität zum Leitbegriff insbesondere für die Ausbildung von Pastor:innen. Vgl. HOLTZ, Professionalization, 105–111. Zu der Debatte um die Professionalisierung der theologischen Ausbildung vgl. GLENN T. MILLER, Piety and Plurality. Theological Education since 1960, Eugene 2014, 18–28; MORITZ EMMELMANN, Bildung in der Praktischen Theologie der USA. Disziplingeschichtliche und systematische Untersuchungen in religionspädagogischem
7.3 Das didaktische Viereck
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Zwei Facetten werden als grundlegend beschrieben: Zum einen geht es ihm um eine inhaltliche Schärfung, Aufwertung und Professionalisierung des Berufes. „[A] definition of a professional“, so Holtz, „is someone whose identity in a deep personal way is both established by and connected to the profession that he or she practices.“125 Es geht ihm also um die Identifikation der Lehrperson mit dem Beruf.126 Dies sieht er für Lehrer:innen der Jewish Education als noch grundlegender und zentraler an als für andere Lehrberufe: Vor dem Hintergrund der jüdischen Tradition sei es die Aufgabe von Lehrer:innen, als „role models“ für die Schüler:innen zu fungieren, sowohl im Wissen über die Tora als auch in religiösen Praktiken und Überzeugungen. Holtz geht sogar noch einen Schritt weiter: Lehrkräfte, die andere unterrichten wollen, sollten nicht mit Selbst- und Glaubenszweifeln beschäftigt sein. 127 Zum anderen folgt für ihn aus dieser Feststellung, dass die Aus- und Fortbildung des Lehrberufs für Jewish Education sich ebenfalls professionalisieren muss. Insbesondere gilt dies für die Herausforderung in der Moderne, in der Lehrer:innen für Jewish Education eine Brücke zwischen der modernen Gesellschaft und der jüdischen Tradition bzw. der jüdischen Gemeinschaft schlagen. This tension between the authority of the community and the rights of the individual raises essential questions for Jewish life: namely, how can we fairly, democratically, and effectively influence change, growth, and commitment among the members of the community? What are the parameters of community intervention into the private lives of individuals? […] What modes of education can the community offer its members in a plea for achieving a more developed awareness and higher degree of commitment to Jewish life?128
Die Ausbildung von Lehrer:innen für Jüdische Studien muss daher seiner Meinung nach neben der akademischen Ausbildung auch die existenzielle Dimension der Religion und des Unterrichts mit in den Blick nehmen.129 In den
Interesse (PThGG), Tübingen 2023 (im Erscheinen), hier besonders das Kapitel 1.6 „The Minister as Professional“ als Leitbild für das Theologiestudium. 125 HOLTZ, Professionalization, 106f. 126 Hierbei bezieht er sich auf Peter Abbs: „The teacher himself embodies what it is to create, to think to contemplate. In and through his being he represents education as a passion for meaning and a way of relating to the entire universe […]. There is no escape from the existential dimension in teaching […]. We can only teach out of our own being-there is nowhere else to teach from“ (PETER ABBS, Education and the Living Image. Reflections on Imagery, Fantasy, and the Art of Recognition, in: Teacher College Record 82/3 [1981], 475– 496, 494f.). 127 Vgl. HOLTZ, Professionalization, 107. Vgl. zu diesem Thema auch folgenden Aufsatz: BARRY W. HOLTZ, Making Choices. Teachers’ Belief and Teachers’ Reasons, in: Journal of Jewish Education 75/3 (2009), 304–309. 128 Vgl. HOLTZ/RAUCH, Education, 66. 129 Vgl. dazu das Programm des Melton Center, das Holtz zusammen mit Rauch zur Weiterbildung von Lehrkräften entwickelt hat. Siehe HOLTZ, Professionalization, 107–111;
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
traditionellen jüdischen Lernsettings war die Lehrkraft immer auch ein Vorbild für die Lernenden in Bezug auf das religiöse Leben. Dieses Ideal scheint in einer modernen Welt kaum durchsetzbar, aber dennoch findet Holtz es wichtig, die Frage zu stellen, ob es nicht ein Ziel sein könnte und sollte. 7.3.4 Die Lebenswelt Die Lebenswelt, vor deren Folie Holtz seine Toradidaktik entwickelt, ist die einer modernen, säkularisierten, individualisierten und pluralisierten Gesellschaft. Von besonderer Relevanz ist für Holtz die Entscheidungsfreiheit des Individuums in der Moderne, ob es einer Religionsgemeinschaft angehören will oder nicht.130 Hierfür bezieht er sich auf den US-amerikanischen Soziologen Peter L. Berger (1929–2017) und den von ihm beschriebenen häretischen Imperativ.131 Berger fasst die Moderne als eine „near-inconceivable expansion of the area of human life open to choices“132 auf und beschäftigt sich explizit mit den Auswirkungen, die diese Beobachtungen auf den Umgang mit Religion und das Verhältnis zu ihr ausübt. Für ihn ist die entscheidende Veränderung, dass in dem modernen Bewusstsein des Individuums hinsichtlich der Religion eine Verschiebung von „fate to choice“133 stattgefunden habe. Im Gegensatz zu prämodernen Gesellschaften, in denen der Religion für die Gläubigen oft eine objektive Gewissheit innewohnte, hat sich in der Moderne eine Verschiebung dieser persönlichen Gewissheit vollzogen. Statt als objektiv wird sie nun als subjektiv erlebt. And this change, of course, is directly related to the transition from fate to choice: The premodern individual was linked to his gods in the same inexorable destiny that dominated most of the rest of his existence; modern man is faced with the necessity of choosing between gods, a plurality of which are socially available to him. If the typical condition of premodern man is one of religious certainty, it follows that that of modern man is one of religious doubt.134
Berger umschreibt diese Wahlfreiheit bzw. genau genommen diesen Wahlzwang mit dem häretischen Imperativ.135 Voraussetzung für diese freie Wahl HOLTZ/RAUCH, Education, 68; BARRY W. HOLTZ/GAIL Z. DORPH, Professional Development for Teachers. Why Doesn’t the Model Change?, in: Journal of Jewish Education 66/1 (2000), 67–76. 130 Beachte zu den Ausführungen folgenden Artikel: BARRY W. HOLTZ, The Text in Its Context. „American Religion“ and the Dilemmas of Jewish Education, in: Courtyard. A Journal of Research and Thought in Jewish Education 1 (5706 [1999/2000]), 1–34. 131 Vgl. PETER L. BERGER, The Heretical Imperative. Contemporary Possibilities of Religious Affirmation, New York 1979, bes. 3–31. 132 A.a.O., 3. 133 A.a.O., 11. 134 A.a.O., 26f. 135 Hierfür benutzt Berger das Wort Häresie, das im Englischen, wie im Deutschen, von dem griechischen Verb hairein abgeleitet ist, das „auswählen“ bedeutet. Berger betont, dass
7.3 Das didaktische Viereck
233
und diese Entscheidung für oder gegen Religion sei der Verlust von Autorität und alleinigem Wahrheitsanspruch, den Religionen in der Moderne durchlaufen. Der Häretiker bzw. die Häretikerin bestreite diese Autorität und weigere sich, die religiöse Tradition als Ganzes zu akzeptieren. Von der Tradition – so Berger – werde dann das herausgesucht, was gewünscht bzw. gebraucht würde oder was als überzeugend empfunden werde. Er fasst dies so zusammen: In premodern situations there is a world of religious certainty, occasionally ruptured by heretical deviations. By contrast, the modern situation is a world of religious uncertainty, occasionally staved off by more or less precarious constructions of religious affirmation. Indeed, one could put this change even more sharply: For premodern man, heresy typically becomes a necessity. Or again, modernity creates a new situation in which picking and choosing becomes an imperative.136
Als besonders prägnantes Beispiel für diese Entwicklung führt Berger die jüdische Emanzipation insbesondere in den USA an. Die Situation des Judentums in Europa war lange Zeit durch Ghettoisierung und restriktive Gesetze geprägt, sodass es absurd wäre, hier von einer freien Wahl des Individuums, ob es jüdisch sein will oder nicht, zu sprechen. Zwar gab es die in den meisten Fällen sehr erschwerte Möglichkeit der Konversion zur Mehrheitsreligion, dem Christentum, aber an sich war es für die meisten Jüd:innen eine von den historischen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen und Zwängen vorgegebene Tatsache, dass sie jüdisch waren. Dies änderte sich in Europa erst langsam im 19. Jahrhundert. Mit der Möglichkeit der jüdischen Assimilation konnten sich jüdische Individuen vom Judentum abwenden, und es wurde eine Entscheidung neben anderen, jüdisch zu sein und zu leben. Heute, in der pluralistischen Dynamik der amerikanischen Gesellschaft, gibt es nur noch sehr wenig Jüd:innen, für die sich die jüdische Identität als unangefochtene darstellt.137 Barry W. Holtz beschäftigt sich mit den Folgen des häretischen Imperativs auf unterschiedliche Art und Weise an zentralen Stellen seines Werkes. So formuliert er zum einen eine Antwort auf die Frage (1): Warum sollte sich jemand für ein jüdisches Leben entscheiden? Darüber hinaus stellt er die Fragen (2): Wo stehen die klassischen jüdischen Texte im Widerspruch zur
„hairesis originally meant, quite simply, the taking of a choice“ (a.a.O., 27). Schon bei Paulus, so z.B. in Gal 5,20, sei der Begriff in die Richtung von Ketzerei oder Irrglaube hin verändert worden. Diese Entwicklung habe sich im Laufe der Kirchengeschichte verstärkt. 136 A.a.O., 28, im Original hervorgehoben. 137 Vgl. BERGER, Imperative, 29. Diese Sicherheit gibt es höchstens noch in der orthodoxen und ultraorthodoxen Denomination, wie z.B. bei den Lubavitcher Chassidim in New York. Aber auch diese relativ geschlossenen Gemeinschaften müssen sich in den USA damit auseinandersetzen, dass ihre Mitglieder die nächste U-Bahn nehmen können und in einer anderen Welt sind. „Outside, waiting is the emporium of life-styles, identities, and religious preferences that constitutes American pluralism“ (a.a.O., 30).
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
Lebenswelt der Toralernenden? und (3): Wie kann ein produktiver Umgang mit der jüdischen Tradition aussehen? (ad 1) Holtz sieht insbesondere das konservative und das Reformjudentum von der Frage herausgefordert, warum sich jemand für ein jüdisches Leben entscheiden sollte.138 Er selber gibt in seinem Essay „Being Jewish“ eine sehr konkrete und einladende Begründung.139 Als mögliche Zugänge hierauf präsentiert er sieben verschiedene Ansätze und Antworten.140 Die erste mögliche Antwort sei die traditionelle Antwort der jüdischen Existenz als göttlicher Bestimmung.141 Die Frage, warum jemand Jüd:in ist, ist damit obsolet. Diese Antwort ist aber für aufgeklärte und säkularisierte Jüd:innen oft inakzeptabel. Zweitens vermittele die jüdische Identität ein Gefühl der Zugehörigkeit, welches Menschen in der modernen amerikanischen Gesellschaft oft vermissen würden. Die dritte Perspektive, die Holtz vorschlägt, betont die Verbundenheit mit der jüdischen Kultur: Über jüdische Kunst, Literatur, Musik und Theater scheinen sich noch viele Jüd:innen kulturell und ästhetisch dem Judentum zugehörig zu fühlen. 142 Eine vierte Antwort kann eine gemeinsam geteilte Vergangenheit darstellen, z.B. durch jüdische Traditionsliteratur oder die Beschäftigung mit der Schoa. Als fünfte Möglichkeit präsentiert Holtz die Überzeugung, dass es einem Leben persönlichen Sinn geben kann, jüdisch zu sein. Das gelebte Judentum auch als gesellschaftliches bzw. politisches Bewusstsein zu verstehen, nennt Holtz als sechstes Kriterium, um schließlich mit der Verbundenheit der Jüd:innen zum Staat Israel als siebte und letzte Antwort diese Aufzählung abzurunden.
138 Vgl. eine Sonderausgabe des American Jewish Committee von ihm: BARRY W. HOLTZ, Being Jewish, New York 1993, 7f. Dort schreibt er: „For Jews, the world of choice did not open until anti-Jewish barriers came down. With increasing political and social freedom, Jews found that, for the first time, being Jewish was an option“ (a.a.O., 8). Als weiteren Indikator für das Phänomen bzw. als zusätzliche Herausforderung für die konservativjüdische Denomination beschreibt er zudem, dass Hochzeiten zwischen Jüd:innen und Andersgläubigen oder Säkularen seit den 80er-Jahren in den USA deutlich zugenommen haben. 139 Holtz beantwortet diese Frage in einer Sonderausgabe des American Jewish Committee: HOLTZ, Being Jewish. Mit der Frage der jüdischen Identität setzt er sich auch in dem von ihm herausgegebenen Schocken Guide to Jewish Books auseinander: BARRY W. HOLTZ (Hg.), The Schocken Guide to Jewish Books. Where to Start Reading about Jewish History, Literature, Culture, and Religion, New York 1992. 140 Zu jeder Antwort bzw. jedem Zugang zu der Frage präsentiert er dann weitere Literaturvorschläge zur vertiefenden Lektüre und Vorschläge zu Aktionen, Unternehmungen und Veranstaltungsformaten, wie z.B. Museumsbesuche, Synagogenbesuche, Studiengruppen, Organisation von Podiumsdiskussionen, persönliche Gespräche, Stammbaum erstellen etc., die den Fragenden und Lesenden eine vertiefte Auseinandersetzung ermöglichen sollen. 141 Vgl. HOLTZ, Being Jewish, 10. 142 Vgl. a.a.O., 13.
7.3 Das didaktische Viereck
235
We conclude our exploration with the single most powerful source of Jewish identification of our times – the State of Israel. For many Jews in the last half century, Israel has been the primary answer to the question of why be Jewish.143
Hinter all diesen Antworten und Zugängen steht die anthropologische Vorstellung, dass Menschen sich verändern und selbstständig Entscheidungen bezüglich ihrer Religionszugehörigkeit treffen können. Für Holtz muss eine Toradidaktik den Menschen helfen, sich auf die Suche nach diesen Antworten zu begeben. (ad 2) Eine zeitgemäße Toradidaktik muss aber ebenso auf Widerstände reagieren, da sich die jüdische Tradition und die klassischen jüdischen Texte deutlich von der modernen Weltsicht unterscheiden bzw. zu deren Überzeugungen im Widerspruch stehen. In seinem Buch Textual Knowledge führt Holtz hierfür fünf Beispiele an:144 „God, nonrelativistic rules of behavior, particularism, the ultimate often exclusivist understanding of the wisdom of Torah, and the communal orientation“.145 Diese fünf prägenden und einflussreichen Elemente der klassischen jüdischen Tradition widersprechen in vielen Fällen einem modernen Selbstverständnis146 und stellen darin die Toradidaktik vor die Herausforderung einer Vermittlung. (ad 3) Der Umgang mit der Tradition, verbunden mit der Frage nach ihrer Legitimation und der Autorität der Texte, steht ebenfalls im Widerspruch zu der modernen Lebenswelt. „To live in the modern world“, so Holtz, „means to face questions about the nature of tradition.“147 Er gibt drei Antwortmöglichkeiten mit drei Midraschim und beginnt mit dem Talmud, Bava Metzia 59b: Rabbi Eliezer beweist dort mit drei Wundern, dem Verrücken eines Baumes, dem Rückwärtsfließen von Wasser und dem Umkippen einer Mauer, dass seine Meinung gegen andere Meinungen im Recht ist. Zudem spricht ihm eine Stimme vom Himmel Autorität zu. Seine Diskussionspartner lassen sich davon nicht überzeugen, bestehen vielmehr darauf, dass die Tora nicht im Himmel 143
A.a.O., 22. Vgl. HOLTZ, Textual Knowledge, 26f. 145 A.a.O., 28. 146 So stehen z.B. die Gebote im grundsätzlichen Kontrast zu dem modernen Selbstverständnis. „Being an adult, we like to feel, means having nobody tell us what to do, and yet here is the Jewish tradition with its almost overwhelming lists of prescribed and proscribed actions trying to direct our lives“ (HOLTZ, Finding Our Way, 39). Holtz führt hier als Gegenbild zwei Textbeispiele an (Babylonischer Talmud, Sukka 28a, und Tzava’at Rivash 3b), die davon handeln, dass man zum einen sein ganzes Leben der Heiligkeit der Gebote widmen und zum anderen der ganze Alltag von ihnen durchdrungen sein soll. Seine persönliche Reaktion auf diesen Anspruch ist folgende: „at once admiration for the seriousness of what the master taught and at the same time a strong dose of skepticism about my own ability to live according to those prescriptions“ (a.a.O., 41). Der Anspruch, dass die Tora das ganze Leben betreffen und umfassen soll, stellt für ein modernes Selbstverständnis eine existenzielle Herausforderung dar. Vgl. dazu sein Kapitel „Holy Living“ a.a.O., 39–63. 147 A.a.O., 20. 144
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
ist, sondern den Menschen auf der Erde gegeben wurde und aufgrund dessen auch hier ausgelegt werden müsse. Gott lächelt daraufhin und sagt, seine Kinder hätten ihn besiegt. Der Midrasch macht zunächst deutlich, dass die Auslegung der Tora eine menschliche Angelegenheit darstellt und keine göttliche. Tradition, ihre Autorität und ihre Interpretation werden nicht als himmlisch angesehen, sondern müssen unter den Menschen ausdiskutiert und verhandelt werden. Holtz betont dazu, dass die Tradition durch die menschliche Kraft der Interpretation lebe.148 Als Zweites führt er Talmud Chagiga 3a–b an, wo die Tora gleichermaßen als bewegt, fest und wachsend beschrieben wird. Die Interpretation der Tora gleicht also einer Kakofonie, die nicht harmonisiert werden kann und soll. Dieser Text verdeutlicht, dass die Interpretation der Tora ambig ist – selbst wenn sie von nur einer Lehrkraft kommt.149 Als drittes Beispiel führt Holtz Talmud Menachot 29b an: Mose beobachtet Gott dabei, wie er Verzierungen an die Buchstaben der Tora malt, und fragt ihn, warum er das tue. Dieser antwortet, dass nach Mose einer kommen werde, der Rabbi Akiva ben Joseph heißt, und dieser werde die Tora nur anhand der Verzierungen interpretieren. Mose will ihn sehen, und Gott setzt Mose hinten in den Unterricht von Rabbi Akiva. Mose versteht nicht ein einziges Wort, doch am Ende sagt Rabbi Akiva, dass dies alles die Lehre Moses sei – und da fühlt dieser sich wiederum geschmeichelt. This legend implies that the interpretations of our own time may actually outstrip those which came before. But the story has another meaning as well: The interpretations of one generation have a limited relevance to the world of another age.150
Entscheidend ist in allen drei Midraschim, dass Gott als Ursprung der Ambiguität gilt. Für Holtz sind damit zwei Dinge entscheidend im Umgang mit der jüdischen Tradition in der modernen Gesellschaft: It seems to me that we must aim toward something like the following: First, we must recognize that there will be no one right answer (and no one „rabbi“) for all of us. Second, if we are going to be our own interpreters, we better do it with a very healthy dose of self-criticism and modesty. 151
148
Vgl. a.a.O., 32. Vgl. ebd. 150 Ebd. 151 A.a.O., 34. 149
7.4 Kritische Würdigung
237
7.4 Kritische Würdigung 7.4 Kritische Würdigung
Abschließend werde ich zunächst die Grundlinien der Toradidaktik von Barry W. Holtz würdigen (7.4.1), innerjüdische Kritik dazu aufnehmen und sie anhand der didaktischen Kriterien der Subjektorientierung, des Beitrags zur Pluralitätsmoderation, der Lehrkraft als religiös ambivalenter Person und der Hermeneutik kritisch reflektieren (7.4.2). Im letzten Abschnitt des Kapitels werden Impulse dieser Toradidaktik für eine christliche Toradidaktik skizziert (7.4.3). 7.4.1 Würdigung Ein prägendes Charakteristikum der Toradidaktik von Barry W. Holtz bilden ihre Verortung und ihr Aushandlungsprozess zwischen jüdischer Tradition und der Moderne, zwischen Tora und Lebenswelt. Jüdische Tradition, verstanden als Traditionsliteratur, prägt die Grundeinsichten von Holtz’ Toradidaktik. So greift er an vielen Stellen auf den Reichtum derselben zurück und bezieht zum Beispiel viele Midraschim in seine Interpretationen und Argumentationen mit ein. Beim Umgang mit der Tora und der jüdischen Tradition sind für ihn die Ambiguität und die Prozesshaftigkeit der Antworten maßgeblich. Die Moderne charakterisiert er mit dem häretischen Imperativ von Berger: Zugehörigkeit zum Judentum ist keine Selbstverständlichkeit (mehr), in die Jüd:innen hineingeboren werden, sondern eine persönliche Entscheidung. In diesem Aushandlungsprozess zwischen Tradition und Moderne erweist sich die Toradidaktik von Holtz als dezidiert konservativ-jüdische Toradidaktik. Holtz verortet seine Toradidaktik nicht nur zwischen Tradition und Moderne, sondern auch zwischen vielen verschiedenen, teilweise auch gegensätzlichen Polen, die er nebeneinander stehen lässt und zueinander in Bezug setzt oder die Toralehrende und -lernende veranlassen, sich zwischen ihnen zu verorten: zwischen Theorie und Praxis; jüdischer Gegenwart und Vergangenheit; der Tora als heiligem Buch und der Tora als literarischem Werk; der Wahlfreiheit der modernen Individuen und der Forderung nach strenger Einhaltung der Gebote des Judentums und der Historizität; der Tora und ihrer persönlichen Aneignung und der Hilfe zur individuellen Sinnfindung der Toralernenden. In all diesen Widersprüchen und Möglichkeiten ist seine Toradidaktik eine plurale Didaktik, die von ihren vielfältigen Ansätzen, sowohl methodisch als auch inhaltlich, lebt und geprägt ist. Auf der methodischen Ebene verdeutlicht sich dies darin, dass Holtz an vielen Stellen nicht eine Antwort oder einen Zugang präsentiert, vielmehr ein breites Spektrum von Antworten und Zugängen eröffnet. Dies gilt zum Beispiel bei den neun unterschiedlichen Zugängen zur Tora und ihren Interpretationsmöglichkeiten, den sieben Antworten auf die Frage nach der Entscheidung für oder gegen eine jüdische Identität und den fünf Differenzen zwischen Judentum und Moderne
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
etc. Auf der inhaltlichen Ebene scheut sich Holtz in seiner Toradidaktik nicht davor, unterschiedliche und auch zum Teil widersprüchliche Meinungen und Zugänge nebeneinanderzustellen. So reichen zum Beispiel seine Antworten auf die Frage nach dem Umgang mit schwierigen Bibeltexten im Unterricht von dem Lernen des Respektes und der Demut gegenüber den Texten über das Erklären derselben bis hin zu der Freiheit, sie zu ignorieren. Seine Zugänge zur Tora führen ihn dabei von der historisch-kritischen Methode über literaturwissenschaftliche, traditionell jüdische, ethisch-moralische bis hin zu ideellen und persönlichen Zugängen. Lehrende und Lernende müssen sich seiner Meinung nach in dieser Vielfalt, die keineswegs mit Beliebigkeit verwechselt werden sollte, orientieren und begründet und situationsbezogen verorten. Vor diesem Hintergrund erfordert seine Toradidaktik eine Professionalisierung des Lehrberufs, die er dementsprechend einfordert. Es kann bei Barry W. Holtz folglich auch nicht von einer einheitlichen Toradidaktik gesprochen werden, sondern nur von einer Vielfalt unterschiedlicher Toradidaktiken. In alledem erweist sich die Toradidaktik von Holtz am ehesten als gesprächsfähig mit christlicher Bibeldidaktik und für sie. 7.4.2 Kritik Die Kritik an diesem toradidaktischen Entwurf erfolgt, wie schon bei Leibowitz und Adar, differenziert zwischen innerjüdischer Kritik und der Kritik anhand der religionsdidaktischen Kriterien der Subjektorientierung, des Beitrags zur Pluralitätsmoderation und der Lehrkraft als religiös ambivalenter Person. Innerjüdische Kritik Insbesondere Holtz’ Buch Textual Knowledge wird innerhalb der Theorie der jüdischen Erziehung rezipiert und gilt als Standardwerk in der Ausbildung der Lehrkräfte für Jüdische Studien in Bibeldidaktik.152 In seiner Rezension des Buchs beschreibt Levisohn dessen Potenzial als „Philosophie der Bibel“ für Lehrer:innen der jüdischen Religionspädagogik.153 In der innerjüdischen Debatte um Textual Knowledge lassen sich drei Hauptkritikpunkte identifizieren: Zum einen wird dem Buch eine fehlende empirische Fundierung seiner Analyse und Theorie vorgehalten. Zu diesem Themenfeld sind drei Aufsätze im Journal for Jewish Education erschienen.154 152
Vgl. LEVISOHN, Introducing the Contextual Orientation to Bible, 54. Vgl. LEVISOHN, Philosophy, 94. 154 BETH COUSENS/JEREMY S. MORRISON/SUSAN P. FENDRICK, Using the Contextual Orientation to Facilitate the Study of Bible with Generation X, in: Journal of Jewish Education 74/1 (2008), 6–28; TANCHEL, Judaism, 29–52; LEVISOHN, Introducing the Contextual Orientation to Bible, 53–83. Holtz antwortete auf diese Debatte in dem darauffolgenden Heft mit folgendem Aufsatz: BARRY W. HOLTZ, Response to the Suite of Articles on Teaching the Bible, in: Journal of Jewish Education 74/2 (2008), 227–236. 153
7.4 Kritische Würdigung
239
All three papers focus on a particular approach to the teaching and learning of Bible, an approach that is sometimes called „historical-critical“ and that Barry Holtz, has helpfully labeled the „contextual orientation“ (Holtz, 2003, p. 92).155
Die Beiträge versuchen, diese Theorie mit der Praxis des Unterrichtens im USamerikanischen Kontext zu verbinden, fundieren die kontextuelle Orientierung mit empirischen Untersuchungen in verschiedenen Lernsettings und entwickeln sie konzeptionell weiter.156 Collectively, they pick up an idea introduced by Holtz and move it forward, implicitly creating new opportunities for research by others who will study other contexts, raise new questions, and identify new challenges.157
Der zweite Kritikpunkt betrifft die als künstlich empfundene Trennung der verschiedenen Zugänge zur Tora und der Orientierungen. Diese werden, so die Kritik, zu isoliert betrachtet, obwohl sie oft ineinandergreifen und einander bedingen.158 So spiele zum Beispiel in der kontextuellen Orientierung, die die Texte in ihrem historischen Kontext und ihrer Entstehung analysiert, natürlich auch die literarische Orientierung in Form der literarischen Qualität eine Rolle 155
JON A. LEVISOHN, Strengthening Research on the Pedagogy of Jewish Studies. Introduction to a Suite of Articles on Teaching Bible, in: Journal of Jewish Education 74/1 (2008), 3–5, 3. 156 Cousens, Morrison und Fendrick untersuchten hierfür das Unterrichten biblischer Texte mithilfe der historisch-kritischen Methode und den Einfluss der Lehrer:innenOrientierung in der Erwachsenenbildung von 20–30-jährigen Studierenden einer liberalen Synagoge; Tanchel untersuchte das Unterrichten mit der historisch-kritischen Methode an einer jüdischen Highschool, in der alle verschiedenen Denominationen des Judentums vertreten waren. Levisohn wollte das Setting von Arten und Methoden des Bibelunterrichts, welche er durch Holtz’ Bibeldidaktik fundiert sah, anhand der Analyse von zwei Kursen, einmal an der Universität und einmal in der Erwachsenenbildung, um die Kontextorientierung erweitern, empirisch fundieren und vertiefen. Holtz gestand angesichts der Kritik ein, dass seinem Buch die empirische Fundierung fehle. Er betonte aber zudem: „In Textual Knowledge I went at things from the opposite end: I was creating theoretical frameworks using the notion of ‚orientations‘ (Grossmann, Wilson & Shulman, 1989), and spinning out that concept for a theory of Practice (Argyris & Schön, 1974; Dewey, 1964; Fox, 1997) for teaching the Bible. To be sure, my frameworks were based on a combination of academic approaches to biblical studies and my own experience in the field (along with an analysis of curriculum materials from Jewish educational settings). But a careful empirical study of how the Bible is taught in specific settings was not something that I had done“ (HOLTZ, Response, 228). Zudem zeigte er sich dankbar, dass sich eine Reihe von Nachwuchswissenschaftler:innen mit seiner Theorie auseinandersetzen und diese weiterdenken. „I am grateful to the various authors for their generosity in mentioning my work – in all honesty it is thrilling for me to see the ways “ (ebd.). 157 LEVISOHN, Research, 5. 158 Vgl. LEVISOHN, Philosophy, 96. Levisohn formulierte die Anfrage, ob die Kategorie der Orientierungen wirklich theoretisch überzeugend sei oder ob die Orientierungen nicht eher den Lehrer:innen die Möglichkeit bieten, ihre eigene Unterrichtspraxis in ihnen wiederzuentdecken.
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
etc. Zudem seien die Orientierungen sehr unterschiedlich in ihrem Umfang und ihrer Qualität und daher nur bedingt untereinander zu vergleichen.159 Holtz selber räumt zu dieser Kritik ein: „In fact, as I have argued, the concept of orientation is in essence a heuristic device, not a definitional surety.“160 Der dritte Kritikpunkt führt den zweiten weiter aus und thematisiert Holtz’ Affinität zu Listen, Kategorien und Tabellen. [My] most general concern about the book [is], namely, Holtz’s penchant for categorization and description when a good philosophical argument is called for. Maps and lists can sometimes conceal as much as they reveal, when they obscure issues of philosophical debate by turning the various positions into items on the list.161
Die kritische Frage dahinter ist, inwieweit Holtz bei all seinen Differenzierungen wirklich fundamental unterschiedliche Optionen beschreibt. Trotzdem biete Textual Knowledge insbesondere als dezidiert jüdischer Entwurf für die Theorie jüdischer Erziehung und die jüdische Bibeldidaktik elementare Einsichten. Levisohn kommt deshalb zu folgendem versöhnlichen Urteil: And by focusing on a key subject area within a particular religious tradition – by treating it without defensiveness as an academic subject, compared to and contrasted with so-called „secular“ subjects, and by examining it within a particular (i.e., Jewish) religious educational context, rather than fleeing to generality and supposed neutrality – Textual Knowledge offers a distinct model for philosophy of religious education.162
Außerjüdische Kritik: Subjektorientierung, Positionalität, Hermeneutik und Pluralitätsmoderation Anhand der vier religionsdidaktischen Kriterien der Subjektorientierung, der Lehrkraft als religiös ambivalenter Person, der Hermeneutik und des Beitrags zur Pluralitätsmoderation erfolgt die kritische Reflexion der Didaktik von Barry W. Holtz. Anders als Nehama Leibowitz und Zvi Adar strukturiert Holtz seinen toradidaktischen Entwurf selbst anhand der Elemente des didaktischen Vierecks und reflektiert diese durchgängig mit. Als postmoderner Entwurf erweist sich diese Didaktik als sehr viel anschlussfähiger für die christliche Bibeldidaktik, und die Kritik kann sehr viel differenzierter ausfallen: Holtz benennt sowohl die Diskrepanz zwischen der Lebenswelt der Lernenden und der jüdischen Tradition als auch die Tatsache der freien Zustimmung zu dieser Tradition oder Ablehnung durch die Subjekte des Lernens und nimmt darin die Lernenden als Subjekte bewusst in den Blick. Trotzdem spielt die Subjektorientierung, als Frage, wie diese Tradition für die Lernenden existenziell werden oder wie diese Diskrepanz didaktisch bearbeitet werden kann, eine 159
Ebd. HOLTZ, Response, 233. 161 LEVISOHN, Philosophy, 95. 162 A.a.O., 97. 160
7.4 Kritische Würdigung
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untergeordnete Rolle. So fehlt zum Beispiel eine didaktische Differenzierung nach Alter, Entwicklungsstand und Lernsettings. Existenziellen Fragen und Anknüpfungspunkten von Schüler:innen an die Tora und die jüdische Traditionsliteratur wird wenig Beachtung geschenkt. Im Zentrum von Holtz’ Toradidaktik stehen nicht die Lernenden, sondern die Lehrenden: Ihnen und ihrem Selbstverständnis widmet er neben dem Text didaktische Aufmerksamkeit. Der Schlüsselbegriff dafür ist die persönliche Orientierung und die Position der Lehrkraft zu biblischem Wissen und biblischen Glaubensüberzeugungen. Die Lehrende fungiert als Vorbild für die Lernenden. Die Hermeneutik der Tora entfaltet Holtz mit dem Begriff der Transformation der Tora in die jeweilige Gegenwart der Lesenden. Diese Aktualisierung versteht Holtz als Teil der mündlichen Tora. Mit ihren vielfältigen Ansätzen und Zugängen zur Tora und der Verortung zwischen Moderne und Tradition leistet die Toradidaktik von Holtz einen Beitrag zur Pluralitätsmoderation. Allerdings überrascht es, dass er in seiner so plural angelegten Toradidaktik so wenige plurale Bezüge außerhalb des Judentums aufzeigt. Fast alle seine wissenschaftlichen Bezugspunkte, wie zum Beispiel Martha Nussbaum und Peter L. Berger, sind jüdisch. Ein Diskurs oder Dialog mit christlicher Bibeldidaktik oder anderen religionspädagogischen Entwürfen fehlt leider. Seine Didaktik zielt auf die Festigung und Entwicklung einer jüdischen Identität, und dabei verzichtet er leider auf den pluralen Diskurs mit anderen Religionen, obschon er seine Toradidaktik zwischen moderner säkularer Gesellschaft und jüdischer Tradition verortet. Auch die Lehrer:innen und Schüler:innen leben in dieser Gesellschaft und müssen dialogfähig sein, da sie sowohl mit anderen Religionen als auch mit säkularen Meinungen, Einstellungen und Lebensweisen konfrontiert werden. 7.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten Holtz beschreibt als eine zentrale Herausforderung seiner Toradidaktik im 21. Jahrhundert eine säkularisierte, moderne Gesellschaft, in der das freie Subjekt sich individuell für oder gegen die Zugehörigkeit zu einer Religion entscheiden kann, die mit pluralen Lebensentwürfen konfrontiert ist und in der die Texte der Tora als fremd und alt wahrgenommen werden. Diese Grundkoordinaten der Lebenswelt ähneln denen christlicher Toradidaktik in Deutschland mehr als die der Didaktik von Leibowitz und Adar im Israel nach der Staatsgründung. Holtz reagiert auf diese Herausforderung mit einem pluralen Verständnis von Tora: eines für vieles und viele. Von seiner Toradidaktik kann streng genommen nur im Plural, also von Toradidaktiken, gesprochen werden. Sowohl auf der methodischen als auch auf der inhaltlichen Ebene stellt er verschiedene, teilweise auch einander widersprechende Zugänge und Verständnisse der Tora und ihrer Didaktik nebeneinander. Dabei nimmt er sich auch die Freiheit heraus, verschiedene, auch einander widersprechende Ent-
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Kapitel 7: Toradidaktik von Barry W. Holtz
würfe und Ansätze nebeneinander stehen zu lassen. Neben der nachvollziehbaren Kritik an der teilweise künstlichen Trennung der Orientierungen stellen sie doch eine christliche Toradidaktik vor die Frage, welcher christlichen Zugänge zur und entsprechenden Hermeneutiken der Tora christliche Toradidaktiken bedürfen. Eine weitere Herausforderung stellt die Frage dar, wie diese fremden und oft schwer verständlichen Texte relevant für Lernende werden. Eine christliche Toradidaktik kann dabei meines Erachtens von Holtz’ bzw. dem beschriebenen konservativ-jüdischen Umgang mit jüdischer Tradition, welche Tora im transformierenden Wechselspiel von schriftlicher und mündlicher Tora versteht, lernen. Die mündliche Tora stellt einen Transformationsprozess der Texte in die jeweilige Gegenwart dar. Dieser Prozess ist offen und reicht bis in die Gegenwart hinein. Er ermöglicht eine Freiheit im Studium der Tora, die nicht mit Gleichgültigkeit verwechselt werden sollte. Die plurale Toradidaktik stellt eine Herausforderung für die Lehrkräfte dar, da es nicht um Umsetzung eines Konzeptes, sondern um selbstständige, reflektierte Verortung innerhalb des Konzeptes geht. Dies erfordert viel Wissen aus divergierenden Perspektiven auf die und von der Tora. Auf diese Herausforderungen reagiert Holtz mit der Forderung einer Professionalisierung der Lehrkräfte, sodass sie in der Lage sind, über die Gründe des Torastudiums Rechenschaft abzulegen, Hermeneutiken zu reflektieren und fundiertes Fachwissen über die Tora zu besitzen. Holtz’ Didaktik setzt bei den Lehrkräften als Subjekten an. Eine christliche Toradidaktik steht meines Erachtens vor einer ähnlichen Herausforderung: Sie müsste zunächst bei der Professionalisierung der Lehrkräfte in Bezug auf die Tora ansetzen.
Kapitel 8
Toradidaktik von Daniel Krochmalnik Die Auswahl jüdischer Toradidaktiken, die in dieser Studie untersucht werden, wird abgerundet durch die Ansätze von Daniel Krochmalnik (Kap. 8) einerseits und Hanna Liss/Bruno Landthaler (Kap. 9) andererseits, also zwei Entwürfen aus dem deutschsprachigen Raum.1 Den Anfang macht Daniel Krochmalnik. Mit ihm stelle ich eine zweite Toradidaktik modern-orthodoxer Prägung vor. Wie es für diesen Hintergrund typisch ist, entwickelt er seine Toradidaktik aus dem Wechselspiel zwischen schriftlicher und mündlicher Tora. Toradidaktik bedeutet bei ihm: Sozialisation in die Tradition des jüdischen Lernens der Tora und darin die Weitergabe der jüdischen Identität an die nächste Generation. Jüdischen Religionsunterricht, die Ausbildung von Lehrer:innen und die Konzeption von Lehrbüchern bezeichnet Krochmalnik als die „Schicksalsfrage des modernen Judentums“.2 Besonderes Augenmerk legt er dabei auf die jüdische Schriftauslegung.3 Das Lernen der Tora definiert er als Zentrum des Judentums und als Kern von dessen Selbstverständnis.4 Seine Theorie des Lernens und des Stellenwertes desselben im Judentum beschreibt er mithilfe des Buchstabens Lamed ( )לaus dem hebräischen Alphabet. Dieser verdeutliche 1 Die jüdische Toradidaktik im deutschsprachigen Kontext befindet sich im Aufbau, deswegen fallen die Abschnitte zu Krochmalnik bzw. zu Liss/Landthaler kürzer aus, dürfen aber in einer deutschsprachigen Studie zu jüdischer Toradidaktik nicht fehlen. 2 DANIEL KROCHMALNIK, Der „Lerner“ und der Lehrer. Geschichte eines ungleichen Paares, in: Bernd Schröder/Harun Behr/Ders. (Hg.), Was ist ein guter Religionslehrer? Antworten von Juden, Christen und Muslimen (Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen 1), Berlin 2009, 57–90, 57. 3 DANIEL KROCHMALNIK, Ez Chajim – Rabbinische Auslegungsmethoden der Heiligen Schrift, in: Bernd Schröder u.a. (Hg.), Buchstabe und Geist. Vom Umgang mit Tora, Bibel und Koran im Religionsunterricht (Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen 6), Berlin 2009, 13–38; DERS., Im Garten der Schrift. Diese Hochachtung vor der Schriftauslegung und dem Studium der Tora wird auch darin deutlich, dass Krochmalnik selber die Bücher der Tora für die Reihe „Neuer Stuttgarter Kommentar: Altes Testament“ ausgelegt hat. Siehe DANIEL KROCHMALNIK, Schriftauslegung im Judentum. Das Buch Genesis (NSK.AT 33/1), Stuttgart 2001; DERS., Schriftauslegung im Judentum. Das Buch Exodus (NSK.AT 33/3), Stuttgart 2000; DERS., Schriftauslegung. Die Bücher Levitikus, Numeri und Deuteronomium im Judentum (NSK.AT 33/5), Stuttgart 2003. 4 DANIEL KROCHMALNIK, „ – לּמּודL“ wie Lernen, in: Religionsunterricht heute 41/02 (2013), 4–11; DERS., „Du sollst darüber nachsinnen Tag und Nacht“ – Glauben und Lernen in der jüdischen Tradition, in: GlLern 11/1 (1996), 73–83.
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
und illustriere gleichsam die Zentralstellung des Lernens im Judentum. Lamed, der Name des zwölften Buchstabens des hebräischen Alphabets, wird von der hebräischen Wurzel למדabgeleitet, die die Grundbedeutung „lernen“ und „lehren“ hat.5 Optisch ist Lamed der längste Buchstabe des Alphabets und der einzige, der alle anderen Buchstaben nach oben überragt, man könnte fast meinen, übertrumpft.6 Dieser „Lernbuchstabe“ Lamed bildet, so Krochmalnik, einen entscheidenden Teil des theologischen Rahmens der ganzen Tora, die den zentralen Lerngegenstand des jüdischen Lernens darstellt: Das Lamed ist der letzte Buchstabe der Tora und des Tanach: Das Lamed ist der letzte Buchstabe des Pentateuchs (Deut 34,12) wie der ganzen Hebräischen Bibel (2 Chron 36,23). Dem letzten hat man ebenso viel Beachtung geschenkt wie dem ersten Buchstaben, ב, Bet. Als ob die Schrift uns von dieser exponierten Stellung aus einen Wink geben wollte und uns zuriefe: Dort wo der Buchstabe der Tora endet, beginnt das Lernen, talmud tora. Der letzte und der erste Buchstabe der Bibel zusammen bilden das Wort לב, „Herz“, was man so deuten kann, dass das Gelesene durch das Lernen verinnerlicht wird, wie gefordert wird: „Und es sollen die Worte, die ich dir heute gebiete, auf deinem Herzen sein“ (al-lewawecha, Deut 6,4).7
8.1 Biografische Notizen 8.1 Biografische Notizen
Daniel Krochmalnik wurde im April 1956 in München geboren, ist aber großteils in Frankreich aufgewachsen. Er ist somit sowohl im deutschsprachigen als auch im französischen Judentum zu Hause. Nach dem Besuch der Ecole Maimonide in Paris8 und dem Studium der Philosophie und Judaistik in München wurde er dort 1988 mit einer Arbeit über Spinoza promoviert.9 5
„Aus diesen Stämmen wurden im Mittel- und Neuhebräischen eine ganze Reihe von Substantiven abgezweigt: limmud, Lernen, Studium; talmud tora, Torastudium; talmid, Lehrling; Talmid chacham, Gelehrter; Lamdan Lerner, Talmud“ (KROCHMALNIK, Religion, 4). 6 Die hebräische Schrift ist eine Quadratschrift, bei der jeder Buchstabe in ein Quadrat eingefügt werden kann. Das Lamed ragt im Althebräischen als einziger Buchstabe über dieses Quadrat nach oben hinaus. 7 KROCHMALNIK, „L“ wie Lernen, 4. 8 Die Ecole Maimonide in Paris ist ein jüdisches Internat. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten schickten jüdische Eltern, die ihren Kindern eine höhere jüdische Schulbildung ermöglichen wollten, die in Deutschland in diesen Jahrzehnten nicht zu erlangen war, ihre Kinder häufig auf ausländische Internate, bevorzugt ins nahe Frankreich. Die jüdische Gemeinschaft hat 50 Jahre gebraucht, um ein Netz an Ausbildungsstätten in Deutschland zu errichten. Vgl. KROCHMALNIK, Lerner, 88. 9 Das Thema seiner Promotion lautete: „Praktische Philosophie als Religionsersatz: Spinozas Auseinandersetzung mit dem Judentum“. Für die Angaben zur Biografie: DANIEL KROCHMALNIK, Berufliche Homepage, Universität Potsdam, School of Jewish Theology, https://www.juedischetheologie-unipotsdam.de/de/lehrstuehle/juedische-religion-undphilosophie/prof-dr-daniel-krochmalnik (08.07.2022).
8.1 Biografische Notizen
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Krochmalnik darf in der Darstellung der toradidaktischen Ansätze und Entwürfe im deutschsprachigen Raum nicht fehlen, insbesondere auch weil er von 1999–2018 der erste Inhaber des ersten Lehrstuhls für jüdische Religionslehre, -pädagogik und -didaktik10 an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg war. 2018 folgte er dem Ruf der Universität Potsdam auf den Lehrstuhl für jüdische Religion und Philosophie.11 In Heidelberg hat er neben seinem Schwerpunkt in jüdischer Philosophie12 erste Pionierarbeit für eine Etablierung der jüdischen Religionspädagogik und -didaktik in Deutschland geleistet. Er verantwortete zum Beispiel seit 2008 gemeinsam mit Harry Harun Behr (Universität Erlangen-Nürnberg), Bernd Schröder (Universität Göttingen) und Katja Boehme (Pädagogische Hochschule Heidelberg) die jährlichen Religionspädagogischen Gespräche zwischen Jüd:innen, Christ:innen und Muslimen bzw. Muslimas. 13 2009 wurde Krochmalnik zudem durch die Fakultät für Katholische Theologie der Universität Bamberg die Ehrendoktorwürde verliehen.14
10
Dies ist Bezeichnung des Lehrstuhls ab 2003, von 1999 bis 2003 Professur für Moderne Jüdische Philosophie und Geistesgeschichte und für Jüdische Religionspädagogik an der Hochschule für Jüdische Studien. 11 Seitdem ist der Lehrstuhl für jüdische Religionslehre, -pädagogik und -didaktik in Heidelberg unbesetzt. Vgl. HOCHSCHULE FÜR JÜDISCHE STUDIEN HEIDELBERG, Studiengang: B.A. Jüdische Studien 50% (Lehramtsoption), http://www.hfjs.eu//studium/ studiengaenge/ba_juedische_religionslehre.html (03.07.2022). 12 Er arbeitet seit seiner Habilitation z.B. zu Moses Mendelssohn; seine Habilitation veröffentlichte er in verschiedenen Aufsätzen, Sokratisches Judentum: Die Religionsphilosophie Moses Mendelssohns im Zeitalter der Aufklärung. Seit 2002 ist er zudem Mitherausgeber der gesammelten Schriften von Moses Mendelssohn: DERS./MICHAEL BROCKE/ EVA J. ENGEL, Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, StuttgartBad Cannstatt 2002ff. Zudem war er ab 1999 als Privatdozent am Philosophischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg tätig. 13 Vgl. dazu die Buchreihe DANIEL KROCHMALNIK/HARRY HARUN BEHR/BERND SCHRÖDER u.a., Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen, Berlin seit 2009 – Bd. 1: Was ist ein guter Religionslehrer? Antworten von Juden, Christen und Muslimen, 2009. – Bd. 2: Der andere Abraham. Theologische und didaktische Reflexionen eines Klassikers, 2011. – Bd. 3: „Du sollst Dir kein Bildnis machen …“. Bilderverbot und Bilddidaktik im jüdischen, christlichen und islamischen Religionsunterricht, 2013. – Bd. 4: „Wer ist der Mensch?“ Anthropologie im interreligiösen Lernen und Lehren, 2014. – Bd. 5: Das Gebet im Religionsunterricht in interreligiöser Perspektive, 2014. – Bd. 6: Buchstabe und Geist. Vom Umgang mit Tora, Bibel und Koran im Religionsunterricht, 2017. Nach seiner Berufung auf den Lehrstuhl für jüdische Religion und Philosophie in Potsdam hat Krochmalnik sich aus diesem Trialog zurückgezogen. An seiner Stelle nimmt Bruno Landthaler für die jüdische Seite an der trialogischen Religionspädagogik teil. 14 UNIVERSITÄT BAMBERG, Ehrendoktorinnen und Ehrendoktoren: Prof. Dr. Dr. theol. h.c. Daniel Krochmalnik, https://www.uni-bamberg.de/universitaet/profil/geschichte-undtradition/persoenlichkeiten/ehrendoktorinnen-und-ehrendoktoren/krochmalnik/ (08.07.2022).
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
Über seine wissenschaftlichen Tätigkeiten hinaus engagiert er sich in der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. So war er während seiner Zeit in Heidelberg erster Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Heidelberg, einer sogenannten Einheitsgemeinde, die sich am orthodoxen Ritus orientiert, in der aber alle Jüd:innen aller Denominationen willkommen sind.15 Als Autor und Moderator der Sendung „Shalom“ im Bayerischen Rundfunk, die immer freitags vor Beginn des Sabbats mit religiösen Themen auf den Sabbat einstimmt, bringt er zudem jüdische Themen einem breiten Publikum näher. Teil dieser Sendung ist auch eine Kommentierung der Parascha, des wöchentlichen Toraabschnitts.16
8.2 Kontexte 8.2 Kontexte
Daniel Krochmalnik entwickelt seine Toradidaktik im und für den Kontext und vor dem Hintergrund der Herausforderungen des deutschsprachigen Judentums. Deswegen skizziere ich thesenartig die Situation der jüdischen Gemeinschaften (8.2.1) und des jüdischen Religionsunterrichts (8.2.2) in Deutschland.17 8.2.1 Jüdische Gemeinschaften in Deutschland Walter Homolka kennzeichnet insbesondere drei Herausforderungen, vor denen die jüdische Gemeinschaft in Deutschland derzeit stehe: Die erste beschreibt er als die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen einheimischen deutschsprachigen und zugewanderten russischsprachigen Jüd:innen.18 Als 15 Beispielsweise sitzen Frauen und Männer im Gottesdienst getrennt, und die Gemeinde achtet auf die Einhaltung der jüdischen Speisegesetze. Vgl. JÜDISCHE KULTUSGEMEINDE HEIDELBERG, http://www.jkg-heidelberg.com/ (08.07.2022). 16 Vgl. BAYERISCHER RUNDFUNK/LANDESVERBAND ISRAELITISCHER KULTUSGEMEINDEN, Hörfunksendung „Schalom: Jüdischer Glaube – Jüdisches Leben“, https://www.br. de/radio/bayern2/sendungen/schalom/schalom108.html (08.07.2022). Die Sendung wird von der israelitschen Kultusgemeinde Bayern verantwortet. 17 Diese Darstellung gilt ebenfalls für das folgende Kapitel zur Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler: Da beide Konzepte sich auf den deutschsprachigen Kontext beziehen, erfolgt seine Darstellung für beide gebündelt. 18 Vgl. WALTER HOMOLKA, Einheit in der Vielfalt. Zur Situation der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, in: Loccumer Pelikan 1/2021, 4–9, 4. Siehe dazu ausführlich DERS., Brüchige Renaissance. Zur Situation der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, in: HerKorr 5/2017, 35–39. Er bezieht sich dabei auf die Ergebnisse einer Erhebung einer empirischen Studie von Ben-Rafael/Sternberg/Glöckner, die 1000 Personen innerhalb und außerhalb der jüdischen Gemeinde befragt und Interviews mit führenden Repräsentant:innen der jüdischen Institutionen über aktuelle Herausforderungen geführt haben. Vgl. ELIEZER BEN-RAFAEL/YITZHAK STERNBERG/OLAF GLÖCKNER, Juden und jüdische Bildung in
8.2 Kontexte
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sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge kamen ab dem Beginn der 90erJahre bis 2005 ca. 220.000 russischsprachige Menschen jüdischer Herkunft aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Diese Menschen verändern einerseits die Struktur der jüdischen Gemeinden in Deutschland radikal und stellen sie vor neue Aufgaben, sicherten und festigten aber auch andererseits jüdisches Leben in Deutschland, das nach der Schoa weder selbstverständlich noch rein numerisch abgesichert war. Zwar begann ab den 50erJahren die Errichtung und Etablierung jüdischer Infrastruktur in Deutschland, aber bis 1989 hatten die Gemeinden in der BRD nur ca. 28.000 Mitglieder.19 Die Zahl der Gemeinden hat sich durch die zugezogenen Jüd:innen annähernd verfünffacht, da rund die Hälfte der sogenannten jüdischen Kontingentflüchtlinge Anschluss an die jüdischen Religionsgemeinschaften gefunden hat. Diese enorme Vergrößerung hat in den Gemeinden zu einem Strukturwandel geführt und sie vor eine besondere Aufgabe der Integration gestellt. 20 Ist die soziale Integration oft gut gelungen, so ist im Gegensatz dazu, so Homolka, die „religiöse Bindung […] oft diffus und wenig ausgeprägt“.21 Als zweite Herausforderung der jüdischen Gemeinschaft beschreibt Homolka die stärkere Einbeziehung der jüdischen Jugend in die Gemeindearbeit. Die Gemeinden haben, analog zu den Kirchengemeinden, ein Überalterungsproblem. Dazu kommt ein demografischer Knick: Auf fünf Sterbefälle in einer Gemeinde kommt statistisch eine Geburt, und 47% der Menschen in den Gemeinden sind über 60 Jahre alt. Schließlich ist die dritte Herausforderung die Findung und Entwicklung eines geeigneten Zugangs zur Gruppe der säkularen Jüd:innen in Deutschland. Besonders nach Berlin gibt es in den letzten Jahrzehnten einen großen Zuzug aus Israel, obwohl sich eine konkrete Zahl schwer festlegen lässt, da dieses Phänomen22 statistisch schwer zu erfassen ist.23 Rund ein Drittel Deutschland. Eine empirische Studie im Auftrag des L.A. Pincus Fund for Jewish Education in the Diaspora, Jerusalem 2010. 19 Vgl. HOMOLKA, Einheit, 4. 20 Die Integration in die jüdischen Gemeinden wird dadurch erschwert, dass die religionsgesetzliche Definition, dass nur Jüd:in ist, wer eine jüdische Mutter hat, zur Anwendung kommt, was nicht bei allen sogenannten Kontingentflüchtlingen der Fall ist. Vgl. HEINRICH C. OLMER, Wer ist Jude? Ein Beitrag zur Diskussion über die Zukunftssicherung der jüdischen Gemeinde (Judentum – Christentum – Islam 8), Würzburg 2010. 21 HOMOLKA, Einheit, 5. 22 Oz-Salzberger ging in ihrem Reisebericht 2001 schon diesem Phänomen nach: FANIA OZ-SALZBERGER, Israelis in Berlin, aus dem Hebräischen von Ruth Achlama, Berlin 2016. 23 Die Zahlen bewegen sich zwischen utopischen 30.000 und statistisch konservativ 7000, wobei die erste zu hoch und die zweite zu niedrig sein dürfte. Einen statistischen Überblick versucht die Studie der Bertelsmann-Stiftung zu geben: DANI KRANZ, „Israelis in Berlin. Wie viele sind es und was zieht sie nach Berlin?“, Kooperationsprojekt der Bertelsmann Stiftung und des Deutschlandradio „Faszination und Befremden – 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen“, https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/ Israelis_in_Berlin.pdf (08.07.2022).
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
der Jüd:innen in Deutschland ist säkular und fühlt sich keiner Gemeinde zugehörig. Die jüdischen Gemeinden sind als Religionsgemeinschaft, vergleichbar mit den christlichen, also mit den Problemen der Säkularisierung und Individualisierung konfrontiert und müssen mit diesen gesellschaftlichen Entwicklungen umgehen. Hinzu kommt die Pluralität innerhalb des Judentums. Es ist schon nominell nicht möglich, von dem Judentum in Deutschland zu sprechen, da sich dieses in diametral unterschiedliche Strömungen aufteilt: Laut PincusStudie sind 13,2% orthodox oder ultraorthodox, 22,3% liberal (inklusive konservative Jüd:innen), 32,2% traditionell (d.h., sie halten sich an Elemente jüdischer Traditionen, leben aber nicht observant) und 32,3% säkular.24 Diese Vielfalt an Formen stellt einerseits einen großen Reichtum dar, und andererseits bringt sie viele Spannungen und Konflikte auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft mit sich. All diese unterschiedlichen Herausforderungen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland betreffen und beeinflussen jüdischen Religionsunterricht: Er steht vor der Aufgabe, eine religiös sehr heterogene Gruppe mit unterschiedlichem Vorwissen in einer säkularen Gesellschaft zu unterrichten, in der sie sich in einer Minderheitenposition befindet. 8.2.2 Jüdische Bildung in Deutschland Durch die fortschreitende Etablierung von jüdischem Religionsunterricht an Schulen verändert sich die Landschaft der jüdischen Bildung: Neben die klassischen Orte jüdischer Bildung, die Familie und die Gemeinde, tritt ein neuer, öffentlicher Ort, die Schule. Dies bringt einen Wechsel im Personal mit sich: Gemeinden verfügen relativ frei über Inhalt, Gestalt und Personal für den gemeindlichen Unterricht; dies ist an der Schule nicht möglich, sondern Lehrkräfte müssen an der Universität Jüdische Studien/Jüdische Religionslehre studieren, um an staatlichen Schulen unterrichten zu können, und sind an ein Curriculum gebunden.25 Ich werde hier diese beiden Lernorte der jüdischen Unterweisung in der Gemeinde und des Unterrichts in der Schule skizzieren.26 Unterweisung Der traditionelle, historische und biblische Ort jüdischer Unterweisung ist die Familie. Da diese zumeist die Rolle der religiösen Sozialisation nicht mehr 24
Vgl. BEN-RAFAEL/STERNBERG/GLÖCKNER, Juden, 46. Vgl. dazu BRUNO LANDTHALER, Jüdischer Religionsunterricht und säkulare Gesellschaft, in: Elisa Klapheck/Ders./Rosa Rappoport, Deutschland braucht jüdischen Religionsunterricht (Machloket – Streitschriften 4), Leipzig 2019, 13–45, 19. 26 Zu den unterschiedlichen Zugängen vgl. auch das Gespräch zwischen der Rabbinerin Elisa Klapheck und der jüdischen Religionspädagogin Rosa Rappoport: ELISA KLAPHECK/ ROSA RAPPOPORT, Respekt vor dem Anderssein – Gespräch über kompetenzorientierten jüdischen Religionsunterricht, in: Klapheck/Landthaler/Rappoport, Deutschland braucht jüdischen Religionsunterricht, 47–70, 47–50. 25
8.2 Kontexte
249
erfüllen kann oder will, wird die Aufgabe immer mehr von den jüdischen Gemeinden übernommen. Es gehört zu ihren Kernaufgaben, die nächste Generation in die jüdischen Bräuche, Riten und Traditionen einzuführen – und zwar durch alle Denominationen des Judentums. Der Kern ist meist die Teilnahme am Synagogengottesdienst und das zyklische Lesen der Tora. Den äußeren Rahmen bilden die Feiern des Jahreszyklus (z.B. Jom Kippur, Chanukka, Pessach etc.) und des Lebenszyklus (z.B. Beschneidung, Bat-/Bar-Mizwa).27 Für die Einführung und Mündigkeit in die Synagoge spielt die Bat- bzw. BarMizwa eine herausgehobene Rolle. Ab dem Alter von zwölf Jahren bei Mädchen und 13 Jahren bei Jungen sind diese für das Einhalten der Mizwot (Gebote) mündig. Der Bat- bzw. Bar-Mizwa geht ein Bar-/Bat-MizwaUnterricht voraus, der je nach Gemeinde ein bis zwei Jahre dauert und von Rabbiner:innen oder Privatlehrer:innen, die von der Gemeinde beauftragt werden, durchgeführt wird. Er umfasst hebräische Lesekenntnisse, Feiertagswissen und Kenntnisse der Bräuche sowie eine Unterweisung im liturgischen Vortrag durch den bzw. die Kantor:in.28 Die Unterweisung erfolgt in den verschiedenen Strömungen des Judentums sehr unterschiedlich.29 Erfolgt die Unterweisung in jüdische Traditionen nach Denominationen getrennt, so ist der Unterricht an Schulen nicht danach differenziert, sondern findet für alle jüdischen Kinder von säkular bis orthodox gemeinsam statt. Unterricht Der jüdische Religionsunterricht als ordentliches Schulfach ist analog zu christlichem Religionsunterricht organisiert:30 Jüdische Gemeinden verantworten ihn inhaltlich, und die Schule bzw. der Staat organisiert und setzt den 27
JESSICA SCHMIDT-WEIL, Jüdische Erziehung – Religionspädagogik – Religionsunterricht, in: Loccumer Pelikan 1/2021, 20–25, 20. 28 Vgl. MEIR MAX YDIT, Kurze Judentumkunde. Für Schule und Selbststudium, hg. v. Jessica Schmidt-Weil/Jonah Sievers, Berlin 2018, 137. 29 So ist eine Bat-Mizwa für Mädchen in orthodoxen Gemeinden nicht möglich, während sie in liberalen Gemeinden üblich ist. Auch die Ausgestaltung der Bräuche, die Einhaltung und Auslegung der Gebote und der Tora differieren sehr stark in den unterschiedlichen Strömungen. 30 Jüdischer Religionsunterricht ist kein neues Fach, sondern es gab ihn schon in der Bonner Bundesrepublik. Sein Ort war in der Regel aber in Abstimmung mit dem jeweiligen Schulministerium einmal die Woche in der jüdischen Gemeinde. Die Inhalte umfassten Iwrit (modernes Hebräisch), Tanach, religiöse Traditionen nach orthodoxer Vorstellung und jüdische Geschichte. Vgl. ELISA KLAPHECK, Vorweg. Deutschland braucht jüdischen Religionsunterricht, in: Dies./Landthaler/Rappoport, Deutschland braucht jüdischen Religionsunterricht, 7–11, 7. Dieser Unterricht erwies sich im Nachhinein als elementar für die Herausbildung jüdischer Identität besonders in der BRD. Vgl. dazu die Studie von JESSICA SCHMIDT-WEIL, Die Suche nach dem identitätsformenden Potential des Religionsunterrichts in der Jüdischen Gemeinde in Deutschland, Frankfurt am Main 2007 (http://publikationen. ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/year/2007/docId/347), 02.03.2022).
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
äußeren Rahmen. Trotz dieser erfreulichen Entwicklung der grundsätzlichen Etablierung in manchen Bundesländern ist der jüdische Religionsunterricht zahlenmäßig sehr klein. Im Jahr 2021 wurde er von 337 Schüler:innen besucht und steht vor enormen strukturellen Herausforderungen: Er ist (noch) nicht flächendeckend eingerichtet, nicht alle Bundesländer haben entsprechende Lehrpläne, es gibt keine ausreichende Lehrer:innenschaft, und die Verfügbarkeit von passenden Lehrmaterialien ist noch nicht vorhanden.31 Schon wegen der geringen Zahl an Teilnehmer:innen kann der jüdische Religionsunterricht nicht nach Denominationen unterschieden erteilt werden, sondern alle jüdischen Schüler:innen nehmen gemeinsam an diesem Unterricht teil. Auf die fehlenden Lehrkräfte wurde 2001 mit der Institutionalisierung durch die Gründung des Studiengangs Jüdische Religionslehre an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg reagiert. Seitdem existiert eine kleine, aber stetig steigende Zahl an Absolvent:innen. Trotzdem kann diese noch nicht auf eine spezifische Didaktik, klar formulierte Ziele, Inhalte, Methoden und Kompetenzen zurückgreifen. Bruno Landthaler zieht das ernüchternde Fazit: Erschwerend kommt hinzu, dass die Judaistik/die Jüdischen Studien an den Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen bislang noch keine wissenschaftliche Religionspädagogik in das eigene Curriculum implementieren konnte, die diesen Namen verdient. Deshalb erhält der Diskurs über den jüdischen Religionsunterricht kaum begriffliche und methodische Unterstützung und verbleibt in einer allgemeinen Annahme dessen, was man unter Religionsunterricht gemeinhin versteht. Eine fehlende wissenschaftliche jüdische Religionspädagogik lässt auch den dringlich notwendigen Schnittpunkt mit der christlichen und islamischen Religionspädagogik vermissen.32
Eine weitere Herausforderung liegt in der religiösen Pluralität des Judentums des 21. Jahrhunderts, die laut Landthaler noch nicht in den Curricula für den jüdischen Religionsunterricht angekommen sei. Als Resümee sieht Landthaler den Religionsunterricht vor drei Problemfeldern:33 Erstens spiegelt sich die Pluralität des deutschen Judentums nicht in den Curricula des schulischen Religionsunterrichts wider, sondern diese sind mehr oder weniger orthodox geprägt.34 Zweitens ist die Unterscheidung zwischen gemeindlichem Unterricht 31 Vgl. SCHMIDT-WEIL, Jüdische Erziehung, 22. Trotzdem hat sich gerade in Bezug auf die Lehrmaterialien schon einiges getan. Siehe dazu ZENTRALRAT DER JUDEN IN DEUTSCHLAND, „Lehre mich, Ewiger, deinen Weg“ – Ethik im Judentum, Berlin 2015; SCHWEIZERISCHER ISRAELITISCHER GEMEINDEBUND/ZENTRALRAT DER JUDEN IN DEUTSCHLAND (Hg.), Jewish European Learning Experience DotNet (JELEPD)/Lehrmittel für den jüdischen Unterricht, Zürich 2006. 32 LANDTHALER, Jüdischer Religionsunterricht, 22. 33 A.a.O., 36. 34 Landthaler analysierte unter dieser Fragestellung die Curricula der Bundesländer Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Als Beispiel sei hier die Tora genannt, für die er das Curriculum als eindimensional empfindet, da es die Tora mit klassischen Auslegungsverfahren wie den Kommentaren von Raschi und den religionsgeschichtlichen
8.3 Das didaktische Viereck
251
und dem damit einhergehenden Einüben von religiösen Praktiken und dem wissenschaftsbasierten, reflektierten schulischen Religionsunterricht noch nicht in der letzten Konsequenz durchbuchstabiert, und drittens führt diese Beschränkung auf das Verstehen und Einüben des traditionellen Judentums dazu, dass kaum die Chance ergriffen wird, das Judentum in seiner gegenwärtigen gesellschaftlichen Bezogenheit zu verstehen und die Lebenswelt der Schüler:innen entsprechend ernst zu nehmen. Landthaler plädiert für die strikte Trennung von gemeindlichem Unterricht und schulischer Religionspädagogik: Erstere soll je nach Denomination in die unterschiedlichen religiösen Praktiken und Zugänge zum Judentum einführen und zur Entwicklung und Stärkung der jüdischen Identität beitragen. Während in Letzterem alle jüdischen Strömungen zusammen unterrichtet werden und den jüdischen Schüler:innen geholfen wird, „eine klare Vorstellung davon [zu] entwickeln, was es bedeutet, auf der einen Seite zur jüdischen Minorität zu gehören und auf der anderen Seite sich genau in diesem Konglomerat von Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft zu positionieren“.35 Die Schule sieht er als den Ort, an dem sich Minorität und Majorität begegnen, und die Schüler:innen müssen lernen, einen Dialog einzugehen und sprachfähig zu werden.
8.3 Das didaktische Viereck 8.3 Das didaktische Viereck
Auch die Toradidaktik von Daniel Krochmalnik wird im Folgenden im Unterrichtsviereck von Text, Lernenden, Lehrenden und Lebenswelt rekonstruiert. 8.3.1 Der Text Das Lerngebot als höchstes Gebot im Judentum (Jos 1,8; Ps 1,2) bezieht sich explizit auf das Lernen der Tora. Die Einübung in dieses Lernen der Tora bezeichnet Krochmalnik deswegen in der Lernkompetenz als vorrangiges Anliegen des jüdischen Religionsunterrichts. Die Lernkompetenz ist also gleichsam eine Buch-Kompetenz. Sie zieht andere zu erlernende Fähigkeiten nach sich wie die Kenntnis des jüdischen Alphabets und der Sprachen der biblischen Leseweise und -ordnungen, der rabbinischen Auslegungsmethoden und -werke. Grundsätzlich beinhaltet diese Lernkompetenz, Texte auf der einen Seite bis ins letzte Zeichen ernst zu nehmen und auf der anderen Seite Kodizes auslegt. Selbstverständlich gehört deren Kenntnis für ihn zum (gehobenen) Bildungsschatz von Jüd:innen, nur reiche seines Erachtens solches Wissen nicht aus, um Schüler:innen in die Lage zu versetzen, ihre eigene Religion von den Wurzeln her zu verstehen. Diese Texte sind auch historische und literarische Produkte, nicht nur heilige Texte. Diese Diskussion gibt es im Judentum seit der Haskala und sollte den Schüler:innen nicht vorenthalten werden. Vgl. LANTHALER, Jüdischer Religionsunterricht, 25. 35 A.a.O., 38.
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
konsequent infrage zu stellen.36 Im Zentrum dieser Buch-Kompetenz steht der Text der Tora, die für Krochmalnik immer aus schriftlicher und mündlicher Tora besteht. Er verwendet botanische Begriffe zur Beschreibung dieses Phänomens: In seinem toradidaktischen Konzept beschreibt er Tora als „Baum des Lebens“ und seine Hermeneutik daran anschließend als im „Garten der Schrift“. Beides führe ich hier aus. Tora als „Baum des Lebens“ Krochmalnik verwendet für die Tora innerhalb seiner Toradidaktik, wenn er die Tora als „Baum des Lebens“37 bezeichnet und die jüdische Schriftauslegung mit „im Garten der Schrift“38 charakterisiert, das Bild eines Baumes. Er entnimmt dieses Bild unter anderem dem jüdischen Gottesdienst, in dem die Tora als ein Baum des Lebens beschrieben und mit folgenden Sprüchen gepriesen wird: „Eine gute Lehre habe ich euch gegeben, verlasst meine Tora nicht. Ein Baum des Lebens ist sie denen, die an ihr festhalten; wer sich auf sie stützt wird selig“ (Spr 4,2; 3,18; m.Avot 6,7). Der Baum des Lebens erinnert bewusst an den Baum des Lebens im Paradies, der ewiges Leben schenkt. Krochmalnik führt dazu aus: „Die Tradition stellt sich diesen Baum als schattigen Lernort im himmlischen Paradies vor, wo die Gelehrten und Gerechten für immer ein Lehrgespräch pflegen (HldR 6,9,3).“39 Diese Auslegung folgt bestimmten Regeln, die der Tradition nach schon mit der Tora mitgeliefert wurden. Die Tora ist nur vollkommen, weil sie mithilfe solcher Regeln allen Herausforderungen jeder Zeit gewachsen ist.40 Die
36 DANIEL KROCHMALNIK, Intra- und interreligiöse Kompetenzen im Jüdischen Religionsunterricht, in: Bernd Schröder u.a. (Hg.), Buchstabe und Geist. Vom Umgang mit Tora, Bibel und Koran im Religionsunterricht (Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen 6), Berlin 2009, 127–139, 130. 37 Vgl. KROCHMALNIK, Ez Chajim. 38 Vgl. KROCHMALNIK, Im Garten der Schrift. 39 KROCHMALNIK, Ez Chajim, 13. Die Torarolle wird wiederum auf „Ez-Chajim-Stäbe“, also auf Stäbe von dem Baum des Lebens, aufgerollt, die nicht aus totem Holz sind, sondern aus ewig wachsendem, so wie die Tora ewig wächst. 40 Als Beispiel nennt Krochmalnik zum einen die 13 Regeln des Rabbi Jischmael. Sie verbleiben größtenteils im Rahmen der menschlichen Texte und Spracherfassung. Über seiner Schule steht der Leitvers: „Die Tora spricht in der Sprache der Menschen.“ Die 13 Regeln des Rabbi Jischmael sind folgende: Deduktion, Analogie, Induktion, Restriktion, Ampliation, Spezifikation, Interdependenz, Exzeption und Subsumption, Exzeption und Revelation, Exzeption und Relevation bzw. Aggravation, Exzeption und Innovation, Intention und schließlich Dezision (vgl. KROCHMALNIK, Ez Chajim, 14–20). Als ein anderes Beispiel nennt Krochmalnik die Auslegungsregeln von Rabbi Akiva. Über seiner Schule steht: „Denn es ist nicht ein leeres Wort an euch.“ Heute könnte man diese Auslegungstradition mit dem close reading vergleichen. Der Auslegungskunst sind bei aller Buchstabentreue kaum Grenzen gesetzt. Auch sie folgt den 13 charakteristischen Regeln: Inklusion
8.3 Das didaktische Viereck
253
Auslegungsregeln führen dazu, dass die Tora, um im Bild des Baumes zu bleiben, wachsen und sich den Rahmenbedingungen anpassen kann. Die schriftliche Tora kann also nicht ohne die mündliche verstanden werden. Diese wiederum lässt sich nicht vom Torastudium trennen. Dementsprechend sind die schriftliche und die mündliche Tora und das Torastudium symbiotisch miteinander verbunden und bedingen einander. Dies ist eine logische Konsequenz des orthodoxen Toraverständnisses, welches die Tora als Phänomen aus schriftlicher und mündlicher Tora versteht:41 Die mündliche Tora erneuert und verändert sich durch das ständige Studium der Tora und der Tradition. Dieses Studium der Tora stellt für Krochmalnik das höchste und wichtigste Gebot im Judentum dar.42 Vor dem Hintergrund dieses orthodoxen Toraverständnisses und des Lerngebots, das neben dem ununterbrochenen Lernen und Studieren der Tora kaum Platz für andere Tätigkeiten lässt,43 stellt Krochmalnik in Anlehnung an die Haskala die Frage nach dem Verhältnis von weltlichem, modernem Wissen und Torastudium. 44 Eine – schon von den Rabbinen verwendete – Kompromissformel sieht er in Tora Im Derech Erez. Darunter versteht er die restlose Treue zum Judentum und zur Tora, vereint mit dem Reichtum der modernen Kultur.45 Krochmalnik zitiert zur Erläuterung der Formel den Rabbiner Julius Carlebach:
(Vermehrung), Exklusion (Verminderung), Ellipse (Abkürzung), Redundanz (Wiederholung), Ambiguität (Getrenntes zusammenfügen), Allegorese (Gleichnis), Symmetrie (Maß-für-Maß-Gegenüberstellung), Paronomasie (Wortspiel), Numerologie (Zahlenspiel), Kryptologie (Buchstabenpermutation), Stenografie (Schnellschrift), Sachanachronismus (Umkehrung der Zeitordnung) und Textanachronismus (Umkehrung der Textordnung) (vgl. a.a.O., 30–35). 41 Vgl. dazu oben den Abschnitt 2.2.1 zum rabbinischen Toraverständnis. 42 Vgl. KROCHMALNIK, Glauben und Lernen. Eine sich dementsprechend gerade im orthodoxen Judentum bis heute aufdrängende Frage ist die nach dem Verhältnis von Toralernen und „Broterwerb“, wenn man eigentlich nach Ps 1 „ständig“ Tora lernen soll. 43 Die rabbinische Tradition interpretiert Jos 1,8 („Nicht weiche dieses Buch der Weisung von deinem Mund, du sollst darüber nachsinnen Tag und Nacht“) verallgemeinernd als ein Gebot des ununterbrochenen Toralernens. „Jede andere Beschäftigung außerhalb des Torastudiums kam demnach einer Aufhebung der Tora gleich (Bittul Tora) und wurde – und wird – verurteilt und verdammt“ (DANIEL KROCHMALNIK, Tora Im Derech Erez. Zur alten Kontroverse über ein modernes Bildungsideal, in: Hanna Liss [Hg.], Yagdil Tora weYa’adir. Gedenkschrift für Julius Carlebach, Heidelberg 2003, 99–113, 99). 44 Diese Fragestellung hat eine längere rabbinische Tradition und verschiebt sich im 18. Jahrhundert mit der Haskala und der daraus entstehenden Bildungsbewegung rund um Moses Mendelssohn. „Mit dem Eintritt der europäischen Juden in die aufgeklärte Bildungswelt des ausgehenden 18. Jahrhunderts ergaben sich für das traditionelle Verhältnis der Tora- und Allgemeinbildung völlig neue Rahmenbedingungen und Perspektiven“ (a.a.O., 107). 45 Vgl. a.a.O., 112.
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
Das bedeutet, eine Verbindung zwischen zwei Kulturen zu finden – nicht, wie es heute oft der Fall ist, ohne Berührungen wie Parallelen nebeneinander herlaufend, sondern sich als selbständige Kulturen integrierend. Das hört sich sehr kompliziert an, ist auch sehr kompliziert.46
Deswegen verwundert es auch nicht, dass die Frage nach der Vereinbarkeit von jüdischer und allgemeiner Bildung mit Beginn des jüdischen Schulwesens in der jüdischen Pädagogik an besonderer Brisanz gewonnen hat und bis heute eine relevante Frage für die jüdische Religionslehre darstellt.47 Im Garten der Tora Im Titel seines Hauptwerkes zur jüdischen Schriftauslegung, Im Garten der Schrift, nimmt Krochmalnik die Symbolik der Tora als Baum auf. Die jüdische Torahermeneutik wird dann, um im Bild zu bleiben, mithilfe dieses „Torabaums“ im Garten entfaltet. Hierfür greift Krochmalnik auf den von den Kabbalisten eingeführten vierfachen Schriftsinn zurück, für den sich das Akronym „PaRDeS“ durchgesetzt hat. Die vier Konsonanten des Wortes stehen für die vier Anfangsbuchstaben der hebräischen Begriffe der vier Interpretationsmethoden: 1) Pschat für den „einfachen Sinn“; 2) Remes für den „angedeuteten Sinn“; 3) Drasch für den „belehrenden Sinn“; 4) Sod für den „geheimen Sinn“.48 Das Wort Pardes bezeichnet aber umgekehrt ursprünglich auf Persisch 46
EPHRAIM CARLEBACH STIFTUNG (Hg.), Die Carlebachs. Eine Rabbinerfamilie aus Deutschland, Hamburg 1995, 114. 47 So unterscheidet Herz Wessley, ein Mitstreiter Mendelssohns und der Verfasser des Manifestes der jüdischen Schulreform „Worte des Friedens und der Wahrheit“ (1782), zwischen der Lehre Gottes (Torat HaSchem) und der Lehre des Menschen (Torat HaAdam). Die Formel „Tora Im Derech Erez“ wird bei Wessley zur Lösung des Problems der Verbindung von allgemeiner und jüdischer Bildung. Wessley verschiebt allerdings die Betonung in Richtung der Allgemeinbildung, während Mendelssohn es mit einem deutlichen „und“ verbindet. Diese Betonung der Allgemeinbildung führte zu einem Traditionsverlust unter deutschen Juden, dem Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) zu begegnen versuchte. Er forderte, ebenfalls unter dem Titel „Tora Im Derech Erez“, „die innige Vermählung des religiösen Wissens und religiösen Lebens mit echter, wahrhaft sozialer Bildung, das ist die innige aufrichtige Vermählung der Tora Im Derech Erez“ (KROCHMALNIK, Tora, 110, vgl. dazu zudem 107–113). 48 Vgl. KROCHMALNIK, Im Garten der Schrift, 10. Der vierfache Schriftsinn wird im Judentum unter Bezugnahme auf den christlichen vierfachen Schriftsinn bei Thomas von Aquin entwickelt. Krochmalnik nimmt einen christlichen Einfluss auf die fast zeitgleiche Entwicklung des jüdischen Schriftsinns an: „Wenn auch die jüdische Lehre vom vierfachen Schriftsinn ganz anders gerichtet war als die christliche, z.B. weniger auf eschatologische Überhöhung als auf protologische Vertiefung hinauslief, und die einzelnen exegetischen Begriffe in der jüdischen Tradition auch etwas ganz anderes meinten, so gingen die Historiker (Gershom Scholem) doch von einem christlichen Einfluß aus, weil fast gleichzeitig und unabhängig voneinander mehrere Varianten dieser Formel auftauchten, die Anzahl der Schriftsinne aber immer gleich blieb“ (ebd.).
8.3 Das didaktische Viereck
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und dann auch im Hebräischen und Griechischen (parádeisos) einen geschlossenen Lustgarten, aber dann in der rabbinischen Schrifttradition auch wieder den Garten Eden, womit sich der Kreis zur Metapher der Tora als Baum des Lebens schließt. In der rabbinischen Literatur wird der biblische Pardes, der Garten Eden, umgekehrt als Lernort geschildert, aber weniger im Sinne eines geordneten Gartens als im Sinne eines reißenden Stroms von Assoziationen. Das Paradies ist selbstverständlich ein Lernparadies: Der müßige Adam, der sich nicht um seinen Lebensunterhalt kümmern musste, konnte nichts anderes tun, als die Tora zu studieren.49 Krochmalnik rät dazu, diesen Garten, den PaRDeS, „unter der Leitung von vier ausgewiesenen mittelalterlichen Meistern der jüdischen Schriftauslegung“50 zu betreten: mit Raschi,51 Rambam, 52 Ramban53 und Ramak54: Jeder von ihnen hat eine ganz andere Vorstellung vom Pardes, und keiner von ihnen wendet die texthermeneutische Formel PaRDeS an. Aber sie repräsentieren jeweils eine der vier Hauptströmungen der mittelalterlichen jüdischen Schriftdeutung (Parschanut) – die literalistische (Pschat), die philosophisch-allegorische und homiletisch-typologische (Drasch, Remes) und die mystisch-symbolische (Sod) – und können jeweils einer der Stufen des PaRDeS zugeordnet werden.55
Krochmalnik stellt diesen vierfachen Schriftsinn ausführlich dar. Er beginnt mit Raschi, der nicht nur der jüdische Kommentator, sondern auch der Literalist par exellence ist. „Für einen gläubigen Juden ist es bis heute undenkbar, die Bibel oder den Talmud anders als mit den Augen Raschis zu lesen.“56 Keiner steht so wie er für die Methode des Pschat, des Wortsinns der Schrift. Er hat fast die gesamte Bibel und fast vollständig den Talmud nach dem einfachen Wortsinn erklärt. „Pschat als Auslegungsmethode“, so Krochmalnik, „heißt nichts anderes, als die verstreuten Glieder des Textes, welche Gattung er auch immer sein mag, in einen durchgängig motivierten Interpretationszusammenhang bringen.“57 Die Welt der Bibel und des Talmuds wird dabei ohne Angst vor dem Vorwurf des Anachronismus auf die Lebenswelt des Hochmittelalters übertragen. Raschi war davon überzeugt, dass diese Texte zu ihm und in seine Zeit sprachen und sich jedes komplizierte Wort, jede noch so
49
Vgl. a.a.O., 11. A.a.O., 17. 51 Akronym für Rabbi Schlomo ben Izchak (1040–1105). 52 Akronym für Rabbi Mosche ben Maimon (1138–1204). 53 Akronym für Rabbi Mosche ben Nachman (1194–1270). 54 Akronym für Rabbi Mosche Kordevero (1522–1570). 55 KROCHMALNIK, Im Garten der Schrift, 17f. 56 A.a.O., 27. 57 A.a.O., 28. 50
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
verzwickte Diskussion einfach und verständlich erklären lasse.58 Auf Raschi, den Meister des Wortsinnes, folgt im PaRDeS die Schriftauslegung des Ramban (Nachmanides), des Meisters des Bildsinns. Seine Methode war die der Typologie, die insbesondere die Erzelterngeschichten typologisch deutete und so eine Identifikation mit ihnen ermöglichte. Zwar nicht zeitlich, aber in der Reihenfolge des PaRDeS folgt auf Ramban Rambam (Maimonides), der Meister des Begriffssinns. Er sah sich selbst als „Führer der Verirrten“, so auch der Titel seines Hauptwerkes, im Irrgarten der Tora. „Mit Hilfe seiner allegorischen Methode weist er ihnen den Weg aus dem verwirrenden Buchstabenwald zu den tieferen philosophischen Geheimnissen der Schrift und Tradition.“59 Damit stellte Maimonides eine Verbindung zwischen Schrift und Philosophie her und wollte nachweisen, dass die Tora im Prinzip der Vernunft entspricht.60 Der PaRDeS wird abgerundet von Ramak, dem Meister des Geheimnisses, einen Anhänger des Kabbalismus, der jüdischen Mystik. Er ging von einem tieferen Schriftsinn aus, der über die geschichtliche und wissenschaftliche Bedeutung des Textes hinaus- und in den göttlichen Bereich hineinreicht. Dieser liegt aber nicht offen zutage, „sondern ist in Zeichen und Zahlen, Zapfen und Zacken, Zinken und Zierden der Buchstaben verpackt“61 und versteckt und muss dementsprechend entschlüsselt und gedeutet werden.62 8.3.2 Die Lernenden Der toradidaktische Ansatz von Daniel Krochmalnik kann als Sozialisation in die rabbinische Tradition der Schriftauslegung charakterisiert werden. Am Anfang des Lernens, besonders des jüdischen, steht die Frage. Die Lernenden sind zuallererst Fragende. Die Fragekompetenz wird demzufolge von Krochmalnik als erste von sechs fachspezifischen, prozessbezogenen Kompetenzen 58 Dazu schreibt Krochmalnik: „Mehr noch als der Bibelkommentar zeugt sein Talmudkommentar vom unerschütterlichen Vertrauen, daß sich der Sinn der Texte trotz der zeitlichen Abstände, der problematischen Textüberlieferung, der fremden Sprachen, nicht zu reden von den höchst komplexen Sachverhalten im Rahmen der Überlieferung aufklären und darlegen läßt. Diese Eigenschaften begründen seine große Karriere in der jüdischen Schule. Der traditionelle Lernbegriff kommt gut in einer rabbinischen Lehre zum Ausdruck, wonach die Israeliten die Tora am Sinai durch viermaliges Wiederholen auswendig lernten (bEr 54b), was der Talmud als Regel für den Schulunterricht empfiehlt“ (a.a.O., 29). Siehe dazu ausführlich sein Kapitel zu Raschi: a.a.O., 27–49. 59 A.a.O., 18. 60 Vgl. a.a.O., 79. 61 A.a.O., 115. 62 Komplementiert wird der vierfache Schriftsinn des PaRDeS bei Krochmalnik durch die Vertreibung aus dem Pardes, dem Garten der Schriftauslegung, durch die Einführung der historisch-kritischen Methode in die jüdische Exegese durch Spinoza. Mendelssohn versuchte dann gegen die Dominanz der historisch-kritischen Exegese mit dem PaRDeS die traditionelle jüdische Schriftauslegung in diese zu integrieren. Vgl. a.a.O., 139–170.
8.3 Das didaktische Viereck
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für den jüdischen Religionsunterricht genannt. 63 Das Lernen der Bibel beginnt in der jüdischen Tradition mit der Frage des Kindes (Ex 12,25), und von dieser Initialfrage ausgehend zieht sich das Fragen wie ein roter Faden durch das jüdische Lernen, vom Lernritual bei der Pessachfeier bis zum Studium des Talmuds, das im Wesentlichen aus dem Formulieren von Fragen besteht. Die Frage ist damit das charakteristische Merkmal der jüdischen Religion und muss dementsprechend, nach Krochmalnik, eine zentrale Rolle bei ihrer Vermittlung spielen bzw. müssen jüdische Kinder in diese Fragekultur hinein sozialisiert werden: Der Frage- und Widerspruchsgeist ist dem Geist der jüdischen Religion so wenig zuwider, dass er vielmehr sein sichtbarstes Merkmal ist. Die Fragekompetenz muss daher im Lernprozess und Lehrgespräch auf allen Stufen eingeübt und gefördert werden, indem die geschichtlichen Tatsachen und die religiösen Normen des Judentums nicht als fraglose Gewissheiten hingestellt, sondern von Lehrern und SchülerInnen als fragwürdig, d.h. als Nachfrage würdige Inhalte wahr- und durchgenommen werden. Im Idealfall soll im JRU keine Antwort ohne Frage vorkommen und die Intensität des Lernprozesses sich an der Hitze des Lehrgespräches bemessen.64
Fragend begeben sich die Schüler:innen in den Garten der Schrift und fangen dann durch das Studium, ganz konkret das Lesen der Tora, an, sich zu verändern und eine jüdische Identität zu entwickeln. Das Torastudium hilft den Schüler:innen, diese auszubilden, weil es einen Teil sowohl der kollektiven als auch der individuellen Identität im Judentum darstellt. Tora ist ein Medium der Selbstbegegnung und Selbstvergewisserung jüdischer Identität – und mit dieser aufs Engste verwoben. So kann schon ein Buch über das Schriftstudium ohne Weiteres ein Buch über das Judentum darstellen und das jüdische Selbstverständnis als „Toralernende“ bzw. „Gemeinschaft der Toralernenden“ definiert werden. „Gewiß, auch Juden kommen nicht als Schriftgelehrte zur Welt“, so räumt Krochmalnik ein, „aber sobald Erziehung oder Interesse sie an die Schrift heranführt, bleibt das Gefühl nicht lange aus, vor einen Spiegel zu treten: der Exodus, die Wüste und das Gelobte Land etwa werden zu lauter persönlichen Erinnerungen.“65 Die biblischen Figuren werden zu Vorbildern für das eigene Leben, biblische Namen zu Angeboten, sich zu identifizieren, und die ständige Wiederholung der Geschichten, sowohl an Festen als auch durch das zyklische Lesen der Tora im Jahresrhythmus, trägt diese ins kollektive Gedächtnis des Judentums ein. Tora verschränkt sich im Wechselspiel zwischen individuell und kollektiv, zwischen partikular und universal. All 63 Vgl. KROCHMALNIK, Kompetenzen, 129. Neben der Fragekompetenz benennt Krochmalnik noch fünf weitere Kompetenzen, die ab dem Elementarbereich bis in den Schulunterricht hinein Leitkategorien darstellen sollen: Lernkompetenz, Orientierungskompetenz, Bewertungs- und Urteilskompetenz, Dialogkompetenz und Gestaltungs- und Handlungskompetenz. 64 A.a.O., 130. 65 KROCHMALNIK, Im Garten der Schrift, 7.
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
diese Aspekte machen die Tora und ihr Studium zu einem zentralen Teil des kollektiven Gedächtnisses des Judentums. Das eigentliche „Wunder“ geschehe beim Toralernen, wenn durch die individuelle Aneignung das kollektive Gedächtnis der Tora zur individuellen Erinnerung und Teil der eigenen Identität wird.66 Durch dieses Lernen werden die Schüler:innen zu „neuen Menschen“, aber nicht nur sie, sondern auch die Tora wird mit jedem neuen Schüler:in noch einmal eine neue, und auch die Lehrenden verändern sich in diesem Prozess.67 8.3.3 Die Lehrenden Daniel Krochmalnik sieht jüdische Religionspädagogik in einem Konflikt zwischen modernen und traditionellen Methoden und Ansätzen. Ziel sollte deswegen die Entwicklung einer Synthese zwischen alten und neuen Lernorten und -arten sein, damit das jüdische Erbe einerseits erhalten, andererseits in die moderne Gegenwart transformiert wird.68 Diese Spannung kristallisiert sich seiner Meinung nach besonders an der Lehrperson heraus: Einer der wichtigsten Differenzpunkte zwischen Alt und Neu ist der Lehrer, seine Position, seine Qualifikation, seine Funktion. In traditionalistischen Religionen wie dem Judentum ist der „Lehrer“ („More“, aram.: „Malfono“, gr.: „Katechetes“) „mein Meister“ („Rabbi“, „Raw“, „Ribbon“), ja, „Vater“ („Aba“) und das Meister-Schüler-Verhältnis das religiöse Band schlechthin. Der traditionelle Lehrer wäre heute in der Regel nicht schultauglich, aber ein Religionsunterricht, der in keiner Weise auf die traditionelle Lernkultur vorbereitete, wäre umgekehrt nicht gemeindetauglich. Auch hier muss ein Mischtypus gesucht und ausgebildet werden.69
Diesen Mischtypus verdeutlicht Krochmalnik anhand des Buchstabens Lamed ( )לdes hebräischen Alphabets und seiner drei Schreibrichtungen.70 In der Silhouette des hebräischen Buchstabens sind dementsprechend drei Rollen der Lehrkraft in der Toradidaktik Krochmalniks enthalten: Wissensvermittler:in, Dialogpartner:in und Sozialisationsbegleiter:in.71 Mit diesen drei Rollen gehen drei Methoden und Ziele einher: Zunächst verlaufe das Lamed senkrecht von oben nach unten, dabei stehe das Lehren im Fokus. Das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden kann als hierarchisch gekennzeichnet werden.72 66
Vgl. a.a.O., 8. Vgl. KROCHMALNIK, „L“ wie Lernen, 11. 68 Vgl. KROCHMALNIK, Lerner, 57f. Dieser Aufsatz bietet auch eine Übersicht über die mehr als 2000-jährige Geschichte des jüdischen Lehrers. 69 A.a.O., 58. 70 Vgl. KROCHMALNIK, Lernen. 71 Vgl. DANIEL KROCHMALNIK, Dreidimensionales Lernen, in: Harry Harun Behr u.a. (Hg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht zwischen tradierter Lernkultur, jugendlicher Lebenswelt und religiöser Positionalität (Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen 7), Berlin 2021, 49–62. 72 Vgl. KROCHMALNIK, Lerner, 61. 67
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Krochmalnik bezeichnet dies als die „Lehrleiter“. Sie beruht auf der rabbinischen Vorstellung davon, wie sich Lernen vollzieht. Beispielhaft nennt er den Lehrvortrag des Mose, der im Talmud (b.Eruvin 54b) beschrieben wird: Er lernte (lamad) im Begegnungszelt vom Allmächtigen, dann trat sein Bruder Aaron ein und Moses wiederholte (schana) das Gelernte. Aaron setzte sich, seine Söhne traten ein und Moses wiederholte ein zweites Mal. Sie setzten sich, die Ältesten traten ein und Moses wiederholte ein drittes Mal. Die Ältesten setzten sich, das Volk trat ein und Moses wiederholte ein viertes Mal. Aaron hatte die Lehre also viermal, seine Söhne dreimal, die Ältesten zweimal und das ganze Volk einmal gehört. Dann verließ Moses das Zelt und Aaron wiederholte das Gelernte, Aaron ging und seine Söhne wiederholten es, die Söhne gingen und die Ältesten wiederholten vor dem Volk (bEr 54b). Demnach hörten also alle Anwesenden die Lehre viermal. Aus dieser paradigmatischen Lehrstunde wird der Schluss auf alle Lehrstunden gezogen: jeder Lehrer sollte seinem Lehrling die Lehre viermal vortragen.73
Dabei soll die Lehrkraft ihren Schüler:innen das Wissen in möglichst „mundgerechten“ Stücken präsentieren, die diese gut aufnehmen und verarbeiten können. Lehren heißt dann nicht nur, dass hierarchisch top-down Wissen vermittelt wird, sondern auch, um im Bild des Buchstabens Lamed zu bleiben, dass sich die Lehrenden auf die Senkrechte zu den Lernenden begeben, sich ihnen je individuell zuwenden.74 Die Lehrperson ist in diesem Lernschritt Vermittler:in von Wissen über die und aus der Tora. Dahinter steht die Überzeugung, dass nur, wer die Tora kennt und mehrfach gelesen hat, also über Wissen verfügt, in einem zweiten Schritt mit Streitlust in den Dialog und die Auseinandersetzung über die Tora eintreten kann. Für die rabbinische Streitkultur der Tora gilt bis heute: Streiten kann nur, wer Wissen hat, sonst läuft die Debatte ins Leere. Die Texte müssen also zuallererst genau studiert und gelernt werden. Die zweite Richtung des Lernens verläuft waagerecht, wie der zweite Strich des Buchstabens Lamed. Bei diesem Lernschritt steht das gemeinsame, egalitäre Lernen im streitbaren Dialog im Zentrum. Im Gegensatz zur ersten ist die Lehrperson hier egalitäre Dialogpartner der Lernenden. „Streitpaare und ihre Streitigkeiten (machlokot)“, so Krochmalnik, „bilden […] das schlagende Herz des rabbinischen Judentums, die Tora wird stets im Dual dekliniert.“75 Als dritte Lernrichtung beschreibt Krochmalnik mit dem Buchstaben Lamed die Diagonale und versteht darunter die Weitergabe des Gelernten in der und durch die Tradition. Die Schräge der Diagonalen versinnbildlicht dabei die 73
A.a.O., 6. Dies verdeutlicht Krochmalnik am Beispiel der ersten drei Sprüche von Mischna Avot: „Tradition heißt also nicht Wiederholung des Gleichen, Prägung, die den Individuen Generation für Generation denselben Kopf aufschlägt und ihre Gedanken in die gängige geistige Währung ummünzt. Obwohl eine ununterbrochene Überlieferungskette von Moses bis zu den Rabbinen reicht, hat doch jeder Tradent seinen eigenen unverwechselbaren Kopf und gleicht keinem anderen“ (a.a.O., 7). 75 A.a.O., 8. Als berühmtestes Beispiel aus der Tradition nennt Krochmalnik hier die beiden Lehrschulen und Lehrtraditionen von Hillel und Schammai. 74
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
Brechung der Tradition von Generation zu Generation und steht darin für ihre kritische Verarbeitung. Bei diesem dritten Lernschritt sind Pädagog:innen besonders gefordert: Er zielt auf eine Sozialisation der Lernenden in die jüdische Fragekultur. Auf der vierten Ebene ist das Lamed als Ganzes gleichsam eine Lamed-Lernkurve, die bewusst keine gerade Linie darstellt, sondern sinnbildlich dafür steht, dass Lernen immer in Umwegen geschieht76 und dass das Lernen der Tora ein lebenslanges Lernen voraussetzt und (er)fordert: Wenn du meinst, mit dem Torastudium fertig zu sein, dann hast du noch gar nicht richtig damit angefangen, denn sonst hätte sich deine Frage von selbst erledigt. Die Permanenz des Studiums wird hier durch die Liebe zur Sache garantiert und nicht durch den Zwang einer Studienordnung. Auch wenn man nicht ununterbrochen lernt, kann man der Sache der Tora treu bleiben.77
Neben der Vermittlerin von Torawissen, der Dialogpartnerin und der Sozialisationsbegleiterin ist die Lehrkraft also auch selber lebenslang auf dieser Lamed-Lernkurve unterwegs und darin selber permanente Toralernende. 8.3.4 Die Lebenswelt Krochmalnik beschreibt die Lebenswelt nicht explizit, implizit steht ihm aber die Diasporasituation von Jüd:innen sowie die Herausforderungen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland vor Augen.78 Die Diasporasituation ist durch die geringe Zahl von Jüd:innen und den Alltag als Minderheit in einer mehrheitlich nichtjüdischen Gesellschaft geprägt. Dieses Phänomen wird begleitet von der großen Anzahl von Kontingentgeflüchteten, die oft keine enge Bindung zu und wenige Kenntnisse von der jüdischen Kultur und Religion haben, und dem schwindenden Interesse der nachkommenden Generation am jüdischen Gemeindeleben. Diese Gemengelage führt dazu, dass Krochmalnik den Religionsunterricht als Ort der Vergewisserung und Entwicklung einer jüdischen Identität definiert. Sie wird auch dadurch verstärkt, dass die Lebenswelt der Schüler:innen von einer doppelten Pluralität geprägt ist: Zum einen ist sie religiös-plural, so ist das Judentum eine Religion unter vielen. Krochmalnik hat hier insbesondere den Dialog und Austausch mit den abrahamitischen Religionen, also den Trialog zwischen Judentum, Christentum und 76 In der rabbinischen Tradition ist auch festgelegt, was zu welchem Zeitpunkt gelernt werden soll: „Mit welchen Alters- und Lernstufen die Weisen bei den Jungen rechneten, sagt uns einer der letzten Sprüche des Traktats: ‚Ab 5 die Schrift [mikra], ab 10 die Mischna, ab 13 die Gebotserfüllung [mizwa], ab 15 das Talmudstudium [talmud]‘ (mAw 5,24); ab 18 folgt dann die Ehe und die vita activa. Diese Lernleiter entspricht den vier Stufen des rezeptiven (mikra), des reproduktiven (mischna), des aktiven (mizwa) und des diskursiven Lernens (talmud)“ (KROCHMALNIK, Lernen, 10). 77 KROCHMALNIK, Glauben und Lernen. 78 Vgl. dazu die Kontextanalyse von jüdischem Religionsunterricht in Deutschland oben in Abschnitt 8.2.
8.4 Kritische Würdigung
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Islam vor Augen.79 Den Trialog sieht er in der Phase des „Inklusivismus, die man mit dem Begriffstripel Kohabitation, Konkordanz und Kooperation umschreiben kann“.80 Aber nicht nur die Tradition, die insbesondere Judentum, Christentum und Islam verbindet, sondern auch die gesellschaftliche Situation in der Bundesrepublik fordert den Trialog. Zum zweiten ist die Lebenswelt säkular, atheistisch und oft religionskritisch geprägt.81 Für diese Begegnung erachtet er es als besonders relevant, dass die Lehrer:innen und Schüler:innen ihre jeweils eigene religiöse Sprache beherrschen und in diese säkulare Welt übersetzen können. Ethikunterricht oder Religionskunde vergleicht er vor diesem Hintergrund mit dem Phänomen der Sprachlosigkeit.82
8.4 Kritische Würdigung 8.4 Kritische Würdigung
In der kritischen Würdigung werde ich die Grundlinien der Toradidaktik von Krochmalnik bündeln (8.4.1) und anhand der religionsdidaktischen Kriterien der Subjektorientierung, der Positionalität der Lehrkraft, der Hemeneutik und dem Beitrag zur Pluralitätsmoderation kritisch würdigen (8.4.2), um dann abschließend nach den Impulsen seiner Toradidaktik für eine christliche Toradidaktik zu fragen (8.4.3). 8.4.1 Würdigung Toradidaktik ist nach Daniel Krochmalnik Sozialisation in die Tradition der jüdischen Schriftauslegung, Fragetradition und Lernkultur. Sie strebt den Erwerb einer Fragekompetenz an und schöpft dafür aus und fußt auf der traditionellen Art und Weise der Weitergabe der Schrift im rabbinischen Judentum. Das beginnt bei der Frage zu Pessach über die Beschreibung des klassischen Lehrenden-Lernenden-Verhältnisses im rabbinischen Judentum bis hin zu der 79 Ihm widmet er auch mit seiner Teilnahme und Verantwortung der trialogischen Religionspädagogik besondere Aufmerksamkeit. Vgl. dazu DANIEL KROCHMALNIK, Trialogus. Jüdische Stimme, in: Bernd Schröder/Harun Behr/Ders. (Hg.), Was ist ein guter Religionslehrer? Antworten von Juden, Christen und Muslimen (Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen 1), Berlin 2009, 15–18. 80 A.a.O., 15. Für Krochmalnik ist das die zweite von drei Phasen des Trialogs: Die erste, die vom Mittelalter bis in die Gegenwart reicht, beschreibt er mit dem Begriffstripel: Konfrontation, Kontroverse, Konversion, deren Ziel die Mission der Angehörigen der jeweils anderen Religion war. Diese Phase war von Exklusivismus geprägt. Die dritte Phase charakterisiert er als eine zukünftige mit dem Begriffstripel Konsens, Konzilianz und Konvivenz. Auf diese Phase hinzuwirken, definiert er vor allem als Aufgabe der Religionspädagogik, deswegen braucht es eine trialogische Religionspädagogik. 81 Als Beispiel führt Krochmalnik hier die Auseinandersetzung um den Religionsunterricht in Berlin und die Bündnisse ProReli bzw. ProEthik an. Vgl. a.a.O., 16. 82 A.a.O., 17.
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
Auswahl der Gelehrten, die in den Garten der jüdischen Schriftauslegung, den PaRDeS, einführen können. Toradidaktik versteht Krochmalnik als Sozialisation in den PaRDeS, in die jüdische Schrift und ihre Auslegung und darin in den Kern des Judentums. Das Lernen der Tora findet in einer Lamed-Lernkurve statt und setzt sich aus Wissensvermittlung, Diskurs und Dialog über die und Aktualisierung der Tora zusammen. Die Lehrkraft begleitet die Lernenden auf diesem Weg durch hierarchische Wissensvermittlung, egalitären Dialog und Sozialisation in die mündliche Tora. Beide, Lehrende und Lernende, sind Teil der Lerngemeinschaft der Tora. Methodisch vollzieht sich Krochmalniks Toradidaktik durch genaues Lesen der Texte der Tradition und ihre konsequente Infragestellung. Sie zielt auf die Selbstvergewisserung der jüdischen Identität: kollektiv und individuell. Dafür bezieht er die Impulse aus der jüdischen Tradition und Geschichte. Ihm ist die Spannung zwischen modernen Lehr-LernMethoden und der mehrtausendjährigen jüdischen Lerntradition bewusst; gleichsam als Zukunftsvision für die Weiterentwicklung der jüdischen Religionspädagogik formuliert er deswegen: Deshalb muss die moderne jüdische Religionspädagogik, nicht anders als die christliche und muslimische, eine Synthese der alten und neuen Lernorte und -arten suchen und finden, wenn sie ihr Erbe bewahren will.83
8.4.2 Kritik Eine zentrale Frage ist, ob der Entwurf von Daniel Krochmalnik überhaupt eine Didaktik darstellt oder ob es sich eher um eine jüdische Philosophie des Lernens handelt, ob ihm also die Synthese zwischen jüdischer Lerntradition und modernen didaktischen Ansätzen gelingt. Anhand der vier religionsdidaktischen Kriterien: der Subjektorientierung, dem Beitrag zur Pluralitätsmoderation, der Hermeneutik und der Positionalität der Lehrkraft, lässt sich diese (An-)Frage konkretisieren: Die Subjektorientierung macht es sich zum Ziel, die Lernenden als Subjekte mit ihren Fragen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen und ihre Subjektwerdung zu unterstützen und begleiten. Krochmalniks Toradidaktik folgt eher dem Primat einer Text- und Traditions- anstelle einer Subjektorientierung. Die Schüler:innen mit ihren eigenen Fragen und Themen spielen innerhalb seiner Toradidaktik eine nachgeordnete Rolle bzw. werden teilweise sogar eher zu Objekten, die eine jüdische Identität ausbilden sollen. Schüler:innen sind jedoch Subjekte, die die Realität um sich herum reflektieren, selbstständig deuten, verarbeiten und artikulieren können. Zwar betont Krochmalnik, dass das Lernen die Lernenden verändere, aber er gibt wenige Hilfestellungen, wie eine Verknüpfung zwischen der jüdischen Tradition und der Lebenswelt der Schüler:innen in einer pluralen und individualisierten Welt aussehen könnte 83
KROCHMALNIK, Lerner, 58.
8.4 Kritische Würdigung
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und wie damit die jüdische Tradition so existenziell für die Schüler:innen werden kann, dass sie zu ihrer Subjektwerdung beiträgt. Eine Fährte hin zu einer möglichen Subjektorientierung legt er mit der Zentralstellung der Frage und seinem Ziel der Sozialisation in die jüdische Fragetechnik des rabbinischen Judentums. Gelingt diese Sozialisation, dann treten die Lernenden durch das Fragen in eine Beziehung zu der Tradition und können diese mit ihrer Lebenswelt verknüpfen und diese gestalten. Darin würden sie zu Subjekten der Toradidaktik werden – allerdings führt Krochmalnik das nicht aus. Hermeneutisch steht sein Entwurf in der rabbinischen Tradition des vierfachen Schriftsinnes, dem PaRDeS. Mithilfe von Raschi, Rambam, Ramban und Ramal legt er im Garten der Schrift die Tora aus. Die Herausforderung, dass diese Schriftauslegung aus dem Mittelalter insbesondere für Schüler:innen des 21. Jahrhunderts wiederum eine eigene Hermeneutik erfordern würde, lässt er ungelöst. Diese Herausforderung wird auch in der Frage seiner toradiaktischen Konzeption als Beitrag zu einer Pluralitätsmoderation deutlich: Während seiner Zeit als Professor für jüdische Religionspädagogik und -didaktik an der Hochschule für jüdische Studien hat Krochmalnik mit der jüdischen Leitung der jährlich stattfindenden trialogischen Religionspädagogischen Gespräche einen Beitrag zur Pluralitätsmoderation auf der Ebene des wissenschaftlichen Austauschs geleistet. Für ihn ist der erste Schritt für Lehrer:innen und Schüler:innen in diesem Dialog, sich selbstsicher in der eigenen Tradition bewegen zu können und deren Sprache zu beherrschen. Umso mehr überrascht es meines Erachtens, dass in seinen toradidaktischen Entwurf kaum Einsichten aus der christlichen oder der muslimischen Religionspädagogik einfließen und er auf die Frage des konkreten interreligiösen Lernens nicht näher eingeht. Obschon es angesichts der zarten Anfänge des Aufbaus einer jüdischen Religionspädagogik in Deutschland verständlich ist, dass sein Fokus auf der Konsolidierung einer jüdischen Identität liegt, entfaltet sich diese Identität, und darüber hinaus leben die jüdischen Lernenden nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einer pluralen Gesellschaft. Hier wäre eine Transformation seines Beitrags zu einem wissenschaftlichen dialogischen Austausch in Bezug auf und in die didaktische Realität hilfreich. Die Positionalität der Lehrkraft bestimmt Krochmalnik nicht als religiös ambivalent, sondern als überzeugte Jüd:innen, die sich in der rabbinischen Tradition auskennen und selbst lebenslang die Tora lernen und studieren und ein religiöses Vorbild für die Lernenden darstellen können. Lehrende sind sowohl autoritäre Wissensvermittler:innen der Tora als auch egalitäre Dialogpartner:innen der Schüler:innen. Krochmalnik benennt selbst das Spannungsverhältnis der traditionell hierarchischen Lehrer-Schüler-Beziehung der rabbinischen Literatur und dem modernen Lehrer:innenverständnis und bemüht sich, zumindest zwischen den Positionen zu vermitteln und eine Synthese zu finden. Die Frage, ob dieses Idealbild einer Lehrkraft der Realität der Lehrenden als
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Kapitel 8: Toradidaktik von Daniel Krochmalnik
religiös ambivalenten Personen in einer pluralen Gesellschaft gerecht werden kann, bleibt weitgehend unbeantwortet. Krochmalnik sucht in seinen Texten zur jüdischen Toradidaktik erstaunlich wenig den innerjüdischen Austausch. So bezieht er sich weder auf deutschsprachige jüdische didaktische Entwürfe, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert entstanden sind,84 noch sucht er den Diskurs mit internationaler jüdischer Didaktik: Nehama Leibowitz, Zvi Adar oder auch Yaira Amit und Barry W. Holtz kommen in seiner Toradidaktik nicht vor, vielleicht weil er sie doch eher als eine „Philosophie des Lernens“ denn als eine Didaktik begreift. 8.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten Als christliche Rezeptionsmöglichkeiten der Toradidaktik von Daniel Krochmalnik ergibt sich meines Erachtens die Fragekompetenz als zentrale Kompetenz für den Umgang mit den Texten der Tradition. Die Hochschätzung der Frage noch vor der Antwort kann einen fruchtbaren Impuls für die christliche Religionspädagogik darstellen. Das Ziel der Sozialisation in die jüdische Schriftauslegung, die Fragetradition und die Lernkultur stellen die christliche Religionspädagogik und Bibeldidaktik vor die Frage, in welche Tradition und Lernkultur in Bezug auf die Tora sich zukünftige christliche Generationen hineinsozialisieren wollen. Die Definition des Lernens der Tora als Teil derselben ist eine Möglichkeit, das offene Ende der Tora didaktisch zu realisieren. Krochmalnik nimmt die eigene Tradition ernst und verbindet damit den Anspruch, dass nur, wer Wissen über die Traditionsinhalte der Tora besitzt, auch an dem Diskurs über diese partizipieren kann. Daraus folgt eine Text- und Traditionsorientierung, die angesichts der in der christlichen Religionspädagogik verbreiteten Subjektorientierung eine Anfrage an die Bibeldidaktik formuliert: Wie kann eine pädagogisch sinnvolle und zu erhaltende Subjektorientierung der christlichen Religionspädagogik mit einer Zentralstellung der Texte und der Lerntradition der Tora einhergehen?
84 Bernd Schröder hat einen ersten Schritt unternommen, die Traditionen des jüdischen Religionsunterrichts und der jüdischen Religionsdidaktik aufzuarbeiten und eine Disziplingeschichte zu erforschen. Er bezeichnet dieses als „abgebrochen“ und „kondensiert“. Vgl. dazu B. SCHRÖDER, Religionspädagogik angesichts des Judentums, 319–394, hier bes. 390.
Kapitel 9
Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler Als letzte toradidaktische Konzeption unseres Studiensamples darf der Entwurf von Hanna Liss/Bruno Landthaler schon allein wegen ihrer Übertragung der Kindertora nicht fehlen. Die beiden Autor:innen sind nicht nur ein Paar, sondern haben auch zusammen mit Erzähl es deinen Kindern. Die Torah in fünf Bänden1 die Tora für Kinder ins Deutsche übertragen und für ihre Multiplikator:innen kommentiert. Diese Kindertora ist die Grundlage dieser Darstellung und wird ergänzt durch Ausführungen, die sie je einzeln zu dem Themenfeld der Toradidaktik publiziert haben.2
9.1 Biografische Notizen 9.1 Biografische Notizen
Hanna Liss (*1964) ist eine deutsche Judaistin, Altorientalistin und Bibelwissenschaftlerin. Nach einem Studium dieser Fächer in Tübingen, Jerusalem, München und Berlin wurde sie bei Peter Schäfer und Josef Dan mit einer Arbeit über den mittelalterlichen jüdischen Theologen Eleasar von Worms promoviert.3 Nach ihrer Habilitation im Fach Judaistik wurde sie ab 2003 Lehrstuhlinhaberin des ersten Lehrstuhls für „Bibel und Bibelauslegung“ in Deutschland, der nicht an einer christlichen Fakultät angesiedelt ist, sondern an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg. Liss’ Forschungsschwerpunkt ist nicht die jüdische Religionspädagogik, vielmehr liegen ihre Schwerpunkte in der jüdischen Mediävistik mit der Konzentration auf aschkenasischzarfatische Bibelauslegungen und in linguistisch-literaturwissenschaftlichen Studien der Bibel.4 Obschon die Religionspädagogik nicht explizit ihre 1
HANNA LISS/BRUNO LANDTHALER, Erzähl es deinen Kindern. Die Torah in fünf Bänden, Bd. 1: Bereschit. Am Anfang; Bd. 2: Schemot. Namen; Bd. 3: Wajikra. Und er rief; Bd. 4: Bamidbar. In der Wüste; Bd. 5: Devarim. Worte, Berlin 2014–2016. 2 Liss/Landthaler setzen in den über die Kindertora hinausgehenden Publikationen zwar unterschiedliche Schwerpunkte, aber es ergibt meines Erachtens Sinn, sie als ein Konzept hier vorzustellen, da man ihren weiteren Ausführungen immer auch die gemeinsame Basis in der Kindertora anmerkt. 3 HANNA LISS, El’asar ben Yehuda von Worms, Hilkhot ha-Kavod. Die Lehrsätze von der Herrlichkeit Gottes. Edition, Übersetzung, Kommentar (TSMJ 12), Tübingen 1997. 4 Vgl. HANNA LISS, Creating Fictional Worlds. Peshat Exegesis and Narrativity in Rashbam’s Commentary on the Torah (Studies in Jewish History and Culture 25), Leiden/Boston
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Kapitel 9: Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler
Profession ist, hat sie, oft in enger Zusammenarbeit mit Bruno Landthaler, einige einschlägige Publikationen verfasst, die sich insbesondere mit der Weitergabe der Tora an verschiedene Altersgruppen beschäftigen. Bruno Landthaler (*1957) ist seit 2021 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Jüdische Religionspädagogik der Hochschule für jüdische Studien, Heidelberg. Vorher war er als freier jüdischer Theologe und im Bereich der Weiterbildung von Ethik- und Religionslehrer:innen tätig. Ausgangspunkt und Beginn ihrer gemeinsamen Toraübertragung für Kinder und damit auch der Beginn ihres toradidaktischen Entwurfs war das Fehlen einer solchen Übersetzung für die Kinder in ihrem Umfeld. Hier liegt meines Erachtens der Ausgangspunkt für ihre weitere Beschäftigung mit einer Toradidaktik für den gemeindlichen und schulischen Unterricht. Besondere Aufmerksamkeit verdienen neben der Kindertora (siehe oben) das sich anschließende Projekt „junge Tora“5 für junge Erwachsene und das Lehrbuch der jüdischen Bibel „Tanach“6 für Studierende. Allen diesen Projekten ist gemein, dass Liss/Landthaler Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in das Lesen und Lernen der ganzen Tora einführen und ihnen damit das Fundament der jüdischen Identität näherbringen wollen. Liss/Landthaler sind im konservativen Judentum zu Hause. Ihre Textorientierung und das Ernstnehmen der vorgegebenen Texte und der Textlichkeit des Judentums rücken sie in eine gewisse Nähe zur Orthodoxie. Ihre Hermeneutik dieser Texte entspricht aber eher den Grundsätzen des konservativen Judentums. Gleichzeitig fordert insbesondere Bruno Landthaler die Notwendigkeit von die Denominationen übergreifenden Argumentationen, da sich insbesondere das Judentum in der deutschsprachigen Religionspädagogik schon alleine zahlenmäßig eine Trennung nach Denominationen nicht leisten könne. So fordert Landthaler, die einseitige orthodoxe Prägung des schulischen Religionsunterrichts aufzugeben und ihn auf die Basis von allen Denominationen und einer pluralen Vorstellung von Judentum zu stellen, die auch säkulare, liberale und konservative Überzeugungen mit einschließt.7 Zudem ist ihnen ein Diskurs mit allen Gruppen der säkularen Gesellschaft wichtig. Beide engagieren sich unter anderem im jüdisch-christlichen Dialog und Landthaler immer wieder auch in der Ausbildung von Ethiklehrer:innen. Hanna Liss arbeitet im Gesprächskreis Juden und Christen im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, und Bruno Landthaler nimmt seit 2017 als jüdische Stimme an den religionspädagogischen Gesprächen
2011. Zum zweiten Schwerpunkt siehe ihre Habilitationsschrift: DIES., Die unerhörte Prophetie. Kommunikative Strukturen prophetischer Rede im Buch Yesha’yahu (ABIG 14), Leipzig 2003. 5 Dieses Projekt ist online leider nicht mehr zugänglich. 6 HANNA LISS, Tanach. Lehrbuch der jüdischen Bibel (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg 8), Heidelberg 42019. 7 Vgl. LANDTHALER, Jüdischer Religionsunterricht.
9.2 Kontexte
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zwischen Juden, Christen und Muslimen teil.8 Zudem haben sie ein Lehrbuch für den christlichen Religionsunterricht zum Thema Judentum entworfen, welches die Tora in den Mittelpunkt stellt.9
9.2 Kontexte 9.2 Kontexte
Hanna Liss/Bruno Landthaler entwickeln ihre Toradidaktik wie Daniel Krochmalnik im und für den Kontext und vor dem Hintergrund der Herausforderungen des deutschsprachigen Judentums. Für die Beschreibung des Kontextes ihrer Toradidaktik siehe deshalb Abschnitt 8.2 „Kontexte“ bei Daniel Krochmalnik, dort skizziere ich thesenartig die Situation der jüdischen Gemeinschaften und des jüdischen Religionsunterrichts in Deutschland.
9.3 Das didaktische Viereck 9.3 Das didaktische Viereck
Die Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler wird ebenfalls anhand des didaktischen Vierecks, also dem Text, den Lernenden, den Lehrenden und der Lebenswelt, dargestellt.
8
Vgl. hierzu zuletzt BEHR u.a. (Hg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht. BRUNO LANDTHALER/HANNA LISS, Wie das Judentum mit der Tora lebt. Weisungen von ganz oben (Grundlagentexte der Religionen. Sekundarstufe 1), Berlin 2018. Die Lehrmaterialien folgen der Grundannahme, so der Klappentext zum Buch, dass es sinnvoll, informativ, anregend und spannend sei, wenn Schüler:innen die Tora kennen. Landthaler/ Liss stellen deswegen die Tora ins Zentrum des Unterrichts über das Judentum. Anhand der Tora werden für das Judentum zentrale Themen wie Land, Volk, Gesetze, Glauben, Speisegebote und Feiertage erarbeitet. Diese bewusste Zentralstellung der Tora wird durch ihre zentrale Rolle insbesondere im Judentum, aber auch im Christentum begründet. Das Toraverständnis soll zunächst anhand der biblischen Bücher erklärt werden. Dabei sollen sich die Schüler:innen folgende Gesichtspunkte erarbeiten: Die Tora besteht aus Erzähltexten und Gesetzestexten; die Gesetzestexte sind in eine Erzählung eingebettet; die Verheißung des Landes wird in der Tora selber nicht erfüllt; der wesentliche Ort der Tora ist die Wüste, besonders der Berg Sinai; der Berg Sinai liegt zwischen Ägypten, dem Land des Aufbruchs, und dem Heiligen Land, Kanaan oder Israel, welches der Zielpunkt ist. Diese inhaltlichen Eckpunkte der Tora sollen aber durch einen Lehrvortrag zur schriftlichen und zur mündlichen Tora ergänzt werden. Darin soll das Verhältnis von schriftlicher zu mündlicher Tora geklärt werden: „Deshalb gab es eine ganze Menge weiterer Schriften, die sich um die Tora wie Jahresringe legten und ohne die die Tora im Judentum nicht zu denken ist“ (a.a.O., 30). Hierfür wird vorgeschlagen, für den Unterricht ein Schaubild zu verwenden, auf dem sich die mündliche Tora in konzentrischen Kreisen um die schriftliche legt (vgl. a.a.O., 32). 9
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9.3.1 Der Text Text und Textlichkeit stellen für Liss/Landthaler die Voraussetzung für jüdische Religionspädagogik an Schulen dar, da sich das Judentum in erster Linie auf heilige Texte gründet, und dies quer durch alle Denominationen. Landthaler spricht dementsprechend von der „Textlichkeit des Judentums“,10 die für das Judentum als Religion und als Ethnie bleibend prägend sei. Seine logische Konsequenz daraus ist, „Text“ zur Voraussetzung, zum Fundament und Ausgangspunkt für jüdische Lernkulturen zu machen. „Text“ ist, so Landthaler, in der Lage, eine Brückenfunktion in einer jüdischen Religionspädagogik einzunehmen, die der modernen Wissenschaft und der jüdischen Tradition verpflichtet ist: Denn „Text“ eröffnet nicht nur eine literaturwissenschaftliche Blickrichtung (Stichwort: Rezeptionsästhetik), mit deren Hilfe sachlich-wissenschaftlich wichtige Textdimensionen und -funktionen erschlossen werden können, sondern ist in der jüdischen Text- und Lerntradition fest verankert, wenn wir an den rabbinischen Umgang mit der Tora denken.11
Text – religiös gesprochen: der heilige Text der Tora – konstituiert und präzisiert das jüdische Volk als Lesegemeinschaft. Das laute Textlesen ist gleichsam ein Konstitutionsakt: Es bringt den Text selbst zur Sprache, realisiert ihn und konstituiert darin eine Gemeinschaft der Hörenden.12 Die Autorität des Textes der Tora wird in einer Kette begründet: zunächst von Mose, der sie wiederum auf Gott und seine Offenbarung am Sinai zurückführt. Sie kann also in letzter Konsequenz nur angenommen oder abgelehnt, nicht aber begründet werden. Durch das Lernen und Lesen des Textes erweist die Lesegemeinschaft ihm Anerkennung und Aufmerksamkeit und gesteht ihm darin seine Autorität zu.13 Material geht es Liss/Landthaler zunächst immer um den Text der Torarolle, als Chumasch. Tora wird von ihnen als Mitte und Zentrum des Judentums verstanden.14 Unter der Tora versteht Liss insbesondere zweierlei: zum einen das Rechtskorpus als theoretisches und geistiges Zentrum des Judentums und 10 BRUNO LANDTHALER, Jüdische Lernkulturen und das Judentum in Deutschland, in: Behr u.a. (Hg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht, 13–48, 21. Dieser Gedanke basiert auf Ausführungen von DERS., Heilige Texte in religiöser Vermittlung, in: Mirja Kutzer u.a. (Hg.), Heilige Texte. Verständigungen zwischen Theologie und Kulturwissenschaft, Stuttgart 2023, 200–214. 11 LANDTHALER, Jüdische Lernkulturen, 18f. 12 Vgl. a.a.O., 26f. Landthaler vergleicht Text einerseits mit dem Konzept des Heiligtums in Exodus bis Numeri, welches das Volk erst zu einem Volk werden lässt, welchem dann in den Büchern Esra und Nehemia das Lesen und Hören der Tora zur Seite gestellt wird. Vgl. Neh 8,8. 13 Vgl. a.a.O., 29–32. 14 Vgl. BRUNO LANDTHALER, Die Tora – ein didaktisches Buch?, in: BiKi 1/2018, 10– 19, 17f. So hat sich das Judentum nach der Zerstörung des Heiligtums 70 n. Chr. zu einer Buch- und Buchauslegungsreligion transformiert.
9.3 Das didaktische Viereck
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zum anderen die Torarolle als praktischen, haptischen und sakralen Mittelpunkt des Judentums. Tora als Rechtskorpus Liss definiert die Tora gerade im Gegensatz zum christlichen Verständnis als Rechtskorpus.15 Zwar sind die Rechtstexte der Tora in den großen Erzählbogen von der Erschaffung der Welt bis vor die Grenze des gelobten Landes eingebettet; aber als nicht nur quantitatives Textkorpus, sondern eben auch qualitativen Kern beschreibt Liss die Rechtssammlungen der Tora. „Diese Konzentration auf Rechtssammlungen und formale Beschreibungen kultischer Vorgänge“, so Liss, „beinhaltet nun aber das eigentliche Thema der Tora: die Fokussierung auf das Heiligtum, sein Personal, seinen Kult.“16 Das jüdische Volk werde dadurch konstituiert, dass es unter dieses Gesetz gestellt werde, welches das Heiligtum zum Zentrum habe. Dabei stehen nicht individuelle Rechte im Fokus, sondern das Volk. Mit Recht ist hier dezidiert ein Recht gemeint, „das ideal oder real ein Volk bestimmen sollte und (unter Einschluss der sog. mündlichen Tora) auch immer bestimmt hat“.17 Erzählerisch wird dieses Recht Israel von Gott gegeben und ist damit heilig. Seine Umsetzung wird zur Voraussetzung für die Landnahme. Diese Schwerpunktsetzung auf die rechtliche Seite der Tora und damit ihre Definition als Rechtskorpus beinhaltet Vor- und Nachteile. Die Vorteile beschreibt Liss folgendermaßen: Wer nämlich seinen eigenen heiligen Text als Rechtscorpus versteht, kann die Rationalität dieses heiligen Textes auch dort besser begründen, wo religiöse Einsichten nicht unbedingt gefragt sind: Rechtscorpora versuchen in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Gesellschaft am Funktionieren zu halten, unterliegen also einer eigenen Logik. Ob die Letztbegründung dieser Logik nun religiös oder säkular vollzogen wird, ist demgegenüber für Außenstehende zweitrangig und ist nicht selten auch mit Einsichten aus dem säkularen Bereich kompatibel.18
Ein Nachteil liegt allerdings darin, dass die Tora auch Vorschriften und Vorstellungen enthält, die unvereinbar mit Werten und Grundsätzen des modernen Rechts sind.19 Aber nicht erst die Moderne hat das Judentum gezwungen, mit 15
Vgl. zu dem Thema ihren Aufsatz: LISS, Tora im Judentum. Im Gegensatz zum Judentum betont das Christentum ihrer Meinung nach eher die erzählenden Passagen der Tora und die Tora als Buch und nicht als Rolle. Ein anderer markanter Unterschied sei, dass in der christlichen Interpretation das offene Ende der Tora meist übergangen werde und die Tora als eigenständige Größe keine gesonderte Rolle in der Überlieferung spiele. Vgl. a.a.O., 114. Zum Verständnis der Tora siehe auch oben Kapitel 2 „Begriffsklärung: Tora“. 16 A.a.O., 114. 17 A.a.O., 115. 18 A.a.O., 116. Als Beispiele nennt sie hier das Verbot der Bestechung in Dtn 16,19 und Rechtsansprüche von Fremdlingen und Waisen in Dtn 24,17–19. 19 Als Beispiele führt sie zum einen die Anweisungen zu Kult, Opfer und Heiligtum im Buch Levitikus an, Vorschriften und Bestrafungen, die Gotteslästerung betreffend, und zum anderen die Regelungen zu familiären und intimen Beziehungen.
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gesellschaftlichen und historischen Voraussetzungen umzugehen und daraus Konsequenzen für die Texthermeneutik zu ziehen, sondern schon die Situation nach 70 n. Chr., in der das Judentum mit der Tempelzerstörung seines kultischen Zentrums beraubt wurde, welches im Zentrum der Tora im Buch Wajikra steht. Infolgedessen wurde mit der mündlichen Tora eine Hermeneutik entwickelt, die es schafft, die Tora als geistiges Zentrum zu erhalten und sie zugleich auf die Gegenwart hin auszulegen: Die Vorstellung von der mündlichen Tora war also gleichsam ein hermeneutisches Prinzip, nach dem die Tora als die wesentliche Grundlage des Judentums stets einer Auslegung bedurfte, diese Auslegung aber nicht als beliebig eingestuft werden konnte.20
Damit wurde im Judentum die Ausübung der Religion zuallererst eine Frage der Anwendung des Religionsgesetzes in der Gegenwart. Diese Anwendung ist aber immer rückgebunden an die Tora. Tora als Tora-Rolle Als zweites wichtiges Element der Tora beschreibt Liss die Tora als Torarolle. Ist die Tora als Gesetzeskorpus das theoretische Zentrum des Judentums, so die Tora als Torarolle das praktische. Dies wird durch ihre besondere, koschere Anfertigung, ihre Stellung im architektonischen Aufbau der Synagoge, dessen Zentrum sie darstellt, und durch ihre Funktion als Sakralgegenstand im Gottesdienst deutlich.21 Aber auch praktisch ist der Synagogengottesdienst von der wöchentlichen Toralesung, der Parascha, geprägt; zudem wird der Eintritt in die Religionsmündigkeit, die Bar- bzw. Bat-Mizwa, durch das erstmalige Vorlesen der Tora im Synagogengottesdienst begangen. Die Tora gliedert also das gesamte jüdische Glaubensleben.22 Diese Überzeugung der Tora als Zentrum des jüdischen Glaubenslebens schlägt sich in den Büchern der Kindertora nieder. Mit Erzähl es deinen Kindern. Die Torah in fünf Bänden übertragen Hanna Liss/Bruno Landthaler die fünf Bücher der Tora für Kinder ab fünf Jahren in die deutsche Sprache und kommentieren sie.23 Es geht Liss/Landthaler 20
LISS, Tora im Judentum, 119. Vgl. dazu a.a.O., 120–122. Ausgeführt wird dieser Gedanke oben in Abschnitt 2.2.3 „Tora in der jüdischen Glaubenspraxis“. 22 Allerdings betont Liss auch, dass es eigentlich nicht die eine Tora gibt, sondern verschiedene Strömungen des Judentums, die die Tora sehr unterschiedlich auslegen. So fasst sie zusammen: „Es bleibt also: Die Tora, so sehr sie das Zentrum des Judentums bildet, wird weiterhin auch in der Diskussion stehen. Die Frage, wie die Tora zu verstehen sei, ist innerhalb des Judentums strittig oder mindestens diskussionsfähig. Aber genau das weist darauf hin, wie wichtig die Tora innerhalb des Judentums ist: Um die Bedeutung muss gestritten werden“ (a.a.O., 124). 23 Mit der Kindertora haben Liss/Landthaler die erste Kindertora in deutscher Sprache seit fünfzig Jahren herausgegeben. Vgl. dazu BRUNO LANDTHALER, Was macht eine Kinderbibel jüdisch?, in: Georg Langenhorst/Elisabeth Naurath (Hg.), Kindertora – Kinderbibel – 21
9.3 Das didaktische Viereck
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um das Lesen und die Weitergabe explizit der ganzen Tora, das heißt der ganzen Torarolle, an die nächste Generation. Die Kindertora ist zunächst für den Kontext des Synagogengottesdienstes in der Baumweg-Synagoge in Frankfurt am Main entstanden.24 Der Text wurde also primär für den Kontext der Gemeindepädagogik übersetzt, was insbesondere in Intention und Aufbau der Kinderbibel deutlich wird: Sie folgt der Einteilung der Paraschot, der wöchentlichen Toralesungen, und will es Kindern ermöglichen, diesen im Synagogengottesdienst zu folgen, bzw. auch den Eltern mit Kindern, den wöchentlichen Toraabschnitt zu lesen, damit diese an das Lesen der Tora herangeführt und darin eingeführt werden. Die Entscheidung, die ganze Tora und nicht nur Teile zu übersetzen, wird besonders in ihrer Einführung der Kindertora zum Buch „Wajikra – Und er rief“ deutlich (im christlichen Kontext als das Buch Levitikus bzw. das 3. Buch Mose bekannt). Es dürfe, obwohl es sperrig und schwer zu verstehen sei, da es zu großen Teilen aus Regelungen für den Opferdienst an einem nicht mehr existenten Tempel besteht, nicht ausgelassen werden. In der jüdischen Tradition stelle es im Gegenteil das Zentrum der Tora dar und sei entscheidend für jüdisches Selbstverständnis: Man muss sich nur vor Augen halten, dass schon das rabbinische Judentum den traditionellen G’ttesdienst in der Synagoge und die Torah-Lesung als Ersatzhandlung für die Opfer im später zerstörten Tempel verstanden hat, um zu erkennen, wie wichtig dieses Buch für das Judentum ist. Nicht umsonst begannen und beginnen im traditionellen Judentum die Jungen im Alter von fünf Jahren gerade mit diesem Buch das Lesen und Verstehen traditioneller Texte.25
In ihrer Fremdheit und Abständigkeit stellen die Texte des Buches Wajikra eine besondere didaktische Herausforderung dar. Jedem jüdischen Kind ist bewusst, dass es gar keinen Tempel mehr gibt, in dem Opfer geschächtet werden könnten. Vor diesem Hintergrund rückt aber, so Liss/Landthaler, genau das in den Mittelpunkt, worum es eigentlich geht: die Texte. Die Tora ist also in ihrer Vorstellung kein Buch, das schlicht über eine Sache berichtet, sondern sie „ist die Sache selbst, von der gelesen werden soll. Diese sehr eigentümliche
Kinderkoran. Neue Chancen für (inter-)religiöses Lernen, Freiburg im Breisgau 2017, 137– 153, 137f. 24 Der erste Band der Kindertora, „Bereschit – Am Anfang“, ist deswegen auch den Kindern aus der Baumweg-Synagoge in Frankfurt am Main gewidmet. Sie ist eine von sechs Frankfurter Synagogen und war dort die erste nach 1945. Das Besondere der jüdischen Gemeinde in Frankfurt ist, dass dort alle Denominationen von orthodox bis liberal unter einem Dach sind. In der Baumweg-Synagoge treffen sich heute insbesondere orthodoxe Familien, deswegen gibt es dort aber auch ganz besonders viele Kinder. Vgl. ANTJE SCHRUPP, Jüdische Gemeinde. „Bei uns ist alles unter einem Dach“. Interview mit Esther Ellrodt-Freiman, in: Evangelische Kirche in Frankfurt und Offenbach (Hg.), efo-magazin.de, https://www.efomagazin.de/magazin/gott-glauben/bei-uns-ist-alles-unter-einem-dach/ (08.07.2022). 25 LISS/LANDTHALER, Wajikra, 9.
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Leseerfahrung ist für das gesamte Judentum prägend.“26 Damit werden Kinder in die rabbinische Vorstellung eingeführt, dass die Tora selbst ein Heiligtum ist und das Fundament des gesamten Judentums bildet. Die rabbinische Tradition hat aus der Tora kein „Altes Testament“ gemacht, sondern hat das Gegenteil vollzogen: Sie hat sie selbst an die Stelle des Tempelheiligtums gesetzt, dadurch dass sie von dem nicht mehr existenten Heiligtum berichtet. Ihr Studium stellt in der rabbinischen Vorstellung einen Ersatz für den Opferdienst am Tempel dar. Nur diese Tatsache erklärt und rechtfertigt ihre zentrale Stellung im Gottesdienst, obwohl viele ihrer Inhalte, wie besonders das Beispiel des Buches Wajikra zeigt, weit von der Lebensrealität von heutigen Jüd:innen entfernt sind. Dieser Graben zwischen Text und Lesenden kann und muss überwunden werden. 9.3.2 Die Lernenden Insbesondere Landthaler hat sich mit der Rolle der Schüler:innen innerhalb der Bibeldidaktik beschäftigt. Sein Plädoyer ist: Jüdische Didaktik und Pädagogik müssten hier einen Wandel von der Objekt- zur Subjektorientierung vollziehen. Einen weiteren Akzent setzt die Bibeldidaktik von Liss/Landthaler durch ihre verschiedenen altersspezifischen Publikationen und Publikationsformen der Tora. Von der Objekt- zur Subjektorientierung Eine klassische und weitverbreitete Zielsetzung des jüdischen Religionsunterrichts in Deutschland ist die Entwicklung, Prägung und Stärkung der jüdischen Identität der Schüler:innen.27 Landthaler problematisiert dieses Ziel vor dem Hintergrund der aktuellen Identitätsdebatten28 explizit. „Jüdische Identität“, so Landthaler, „wird als eine Zuschreibung verwendet, die nicht durch das lernende Subjekt näher bezeichnet werden, sondern umgekehrt das lernende Subjekt ‚bilden‘ soll“.29 Jüdische Identität, etwas überspitzt ausgedrückt, besitzt dann ein jüdischer Mensch, der seine Religion kennt und sie praktiziert.30 Das 26
A.a.O., 10. Landthaler bezieht das insbesondere auf die Kerncurricula für Jüdische Religion in den Ländern Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. 28 BRUNO LANDTHALER, Identität – Subjekt – Judentum, in: Behr u.a. (Hg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht, 129–144, 129–132. 29 A.a.O., 133. 30 So beschreibt das Kerncurriculum für jüdischen Religionsunterricht des Bundeslandes Hessen einen von zwei Schwerpunkten des Unterrichts folgendermaßen: „Die Bildung zum jüdischen Menschen mit gefestigter Identität und mit Selbstbewusstsein, der seine Religion kennt und diese praktizieren kann und will“ (HESSISCHES KULTUSMINISTERIUM [Hg.], Bildungsstandards und Inhaltsfelder – Das neue Kerncurriculum für Hessen: Kerncurriculum Jüdische Religion für Sekundarstufe I – Gymnasium, Wiesbaden 2018, https:// 27
9.3 Das didaktische Viereck
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lernende Subjekt soll zu etwas werden, was sachlich schon vorher klar definiert ist, und ist darin ein Objekt. Hier sei ein Wandel weg von der „Objektorientierung“31 hin zur Subjektorientierung der jüdischen Religionspädagogik vonnöten. Das Ziel des Religionsunterrichts müsse dann konsequenterweise wie folgt bestimmt werden: Es geht um die Infragestellung und Antwortermöglichung des „Judeseins“ in seiner ganzen Breite, so dass grundsätzlich kein Schüler, keine Schülerin sich ausgeschlossen fühlen muss. Und es geht um die Erarbeitung der letztlich religiösen Grundlage des Judentums, das religiöse Akte und Praktiken in dieses „Judesein“ integrieren kann. […] Es geht nicht in erster Linie darum, einen jüdischen Menschen mit gefestigter Identität zu bilden, der seine Religion kennt und sie praktizieren kann und will. Vielmehr soll es in einer Religionspädagogik, die die Schülerinnen und Schüler ernst nimmt, darum gehen, dass sie in einen dynamischen Traditionsprozess eingeführt werden, um selbst in der Lage zu sein, sich so zu positionieren, dass sie den Traditionsprozess aktiv gestalten können, und sich damit einen Ort selbst bestimmen, an dem sie ihre unterschiedlichen Identitätszuschreibungen selbst zusammenführen können.32
Schüler:innen sollen im jüdischen Religionsunterricht sprachfähig in Bezug auf ihre (religiöse) Subjektivität werden, ohne dass das Ergebnis, wo und wie sie sich im Jüdischsein verorten, vorher festgelegt ist. Das Ziel ist also, die Schüler:innen als Subjekte bei diesem ergebnisoffenen Prozess zu unterstützen und zu begleiten, eine eigene jüdische Identitätskonstruktion zu entwickeln, unabhängig davon, welche inhaltliche Dignität diese hat. Für diese Subjektwerdung von jüdischen Schüler:innen sind grundsätzlich das Bewusstsein und die Offenheit erforderlich, dass das Judentum mehr als eine Religion umfasst. Die Narrative jüdischer Jugendlicher sind ambig geprägt. Wie jüdische Jugendliche sich in der deutschen Gesellschaft verstehen, gehe nicht in religiösen Riten und Traditionen auf; beispielsweise seien die Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion, selbst wenn sie in zweiter oder dritter Generation in Deutschland sind,33 israelische Familiengeschichten, Erzählungen von Schoaüberlebenden oder von konvertierten Elternteilen mindestens genauso relevant. Dieses vielfältige Verständnis von Judentum muss sich ein jüdischer Religionsunterricht zu eigen machen, wenn die Schüler:innen wirklich als seine Subjekte ernst genommen werden sollen. Landthaler kultusministerium.hessen.de/sites/kultusministerium.hessen.de/files/2021–07/kc_jr_ gy.pdf, 08.07.2022). 31 LANDTHALER, Jüdische Lernkulturen, 13. 32 Vgl. LANDTHALER, Identität – Subjekt – Judentum, 143f. 33 Landthaler betont in Anlehnung an Alina Gromova, dass für russischsprachige jüdische Jugendliche die Religion im Gegensatz zu Kultur, Geschichte, Humor und Abstammung eine eher marginale bis sogar abgelehnte Rolle spiele. Zu den Identitätskonstruktionen jüdischer Jugendlicher aus der ehemaligen Sowjetunion vgl. ALINA GROMOVA, Generation „kosher light“. Urbane Räume und Praxen junger russischsprachiger Juden in Berlin, Bielefeld 2013, 93–95.
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fordert deswegen die Einführung einer „religionspädagogischen ‚Öffnungsklausel‘“.34 Diese Heterogenität in der Schüler:innenschaft sei nicht nur kulturell, sondern auch religiös von orthodox bis säkular. Auch vor diesem Hintergrund ist das Ziel einer jüdischen Identität utopisch.35 Diese je denominationellen Identitäten, die ihren Ausdruck in bestimmter ritueller Praxis finden, müssen von und in den jeweiligen Gemeinden erlernt werden.36 Trotz dieser enormen Heterogenität innerhalb der Schülerschaft ist ihnen allen die Erfahrung als Minderheit in der deutschen Mehrheitsgesellschaft gemeinsam und die Erfahrung, dass ihre narrativen Identitätskonstruktionen sie nicht ganz in der deutschen Mehrheitsgesellschaft aufgehen lassen, sie ihr immer ein Stück fremd bleiben.37 Vor diesem Hintergrund formuliert Landthaler die Aufgabe einer jüdischen Religionspädagogik, die Schüler:innen in ihren komplexen Identitätskonstruktionen einer Minderheit wahrzunehmen, sprachfähig zu machen und ihnen zu helfen, ihre Position in der Gesellschaft zu finden bzw. sich in der Gesellschaft zu verorten. In dieser konkreten Erfahrung als Minderheit liegt das „Scharnier“ zu den Texten der jüdischen Tradition, die er als Grundlage des jüdischen Religionsunterrichts betrachtet: Denn eines lässt sich grundsätzlich sagen: alle Texte, die für die Religion des Judentums wichtig geworden sind, sind ja nicht einfach Anleitungen zu einem gelingenden religiösen Leben, das allein privat zelebriert wird, sondern sind selbst meist Zeugnisse der literarischen Verarbeitung von gesellschaftlichen Minderheiten- und Marginalisierungserfahrungen, und es ist gerade die Rezeptionsgeschichte dieser Texte, die die Versprachlichungsmöglichkeiten sehr plural weiterführt.38
Die Jugendlichen sind mit ihrer Biografie und ihrer Identitätssuche als Teil einer jüdischen Minderheit innerhalb einer nichtjüdischen Mehrheit nicht allein, sondern stehen in einer langen Traditionskette und sind als Subjekte und Rezipient:innen gefragt, wenn sie sich die heiligen Texte aktiv aneignen 34
A.a.O., 136. Landthaler versteht diese Zielsetzung vor dem Hintergrund der nicht selbstverständlichen jüdischen Existenz in Deutschland und der Tatsache, dass das bewusste Jüdischsein der Schüler:innen immer auch und nur vor der Folie der Gruppenidentität verständlich ist. „Dass die besondere Geschichte des deutschen Judentums oder eher: Judentums in Deutschland nach 1945 Anknüpfungsmöglichkeiten an Lerntraditionen eines spezifisch deutschen Judentums (von liberal bis neo-orthodox) der Vor-Schoa-Zeit ausschlug, um im Gegenteil Lerntraditionen aus Osteuropa in fremdem Land fortzuführen, macht von der anderen Seite nur deutlich, wie stark das Anliegen ausgeprägt war, sich selbst in eigenen Traditionen der Überlebenden der Schoa zu verankern. Diese orthodox-traditionelle Ausrichtung des Judentums ist in der Gemeinde bis heute nicht unerheblich verankert“ (LANDTHALER, Jüdische Lernkultur, 15). 36 Vgl. LANDTHALER, Jüdischer Religionsunterricht, 18–22 und die Kontexte für jüdischen Religionsunterricht in Deutschland oben in Abschnitt 8.2. 37 Vgl. LANDTHALER, Identität, 138. 38 A.a.O., 139. 35
9.3 Das didaktische Viereck
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müssen, können sich aber mit ihren Fragen und ihrer Situation darin wiederfinden. Landthaler hat dabei ein realistisches Bild davon, wie die Jugendlichen der jüdischen Tradition begegnen: Die sogenannten Murrgeschichten in Ex 17 und Num 11 können geradezu das „Urbild von Jugendlichen“39 darstellen. Wie das Volk in der Wüste müssen auch die Jugendlichen sich erst langsam und murrend der Tora nähern. Die Regeln und Gesetze der Tora werden als Orientierungsnetz für ein Volk verstanden, welches erst langsam und murrend zum Subjekt wird. Dabei findet immer ein Rückgriff auf eine zentrale Erfahrung dieses Volkes statt: die Befreiung aus Ägypten. Diese Blickrichtung auf die Tora sei eine zentrale religionspädagogische Erkenntnis, weil sie ermögliche, dass diese sehr alten und fremden Texte mit eigenartigen Riten und Bräuchen einen Weg zur adoleszenten Selbsterfahrung darstellt.40 Die Schüler:innen sind als religiös mündige Lesende selbst Produzenten des Textes und des Textsinns in der Gegenwart. Diese Aneignung sei zwar ein individueller Lernprozess, aber kein einsamer: Sie stünden in einer langen Kette der jüdischen Tradition und seien aufgehoben in der Lesegemeinschaft. Tora für Kinder, Jugendliche und Studierende Liss/Landthaler versuchen mit ihren verschiedenen Veröffentlichungen Kinder bis hin zu Studierenden zum zyklischen Lesen der Tora zu animieren. Im Zentrum steht dabei zunächst der Akt des (Vor-)Lesens der Tora. Dies wird mithilfe des Konzepts ihrer Kindertora, aber auch des Lehrbuchs der jüdischen Bibel deutlich.41 Die Zielgruppe der Kindertora sind Kinder ab fünf Jahren; aber auch ältere Kinder bis zu Jugendlichen finden in dem Werk umfangreichen Lesestoff und Anregungen. Zudem sind Teile des Textes kursiv gedruckt, die mit kleineren Kindern übersprungen werden können. Unterstützt wird die Lektüre des Wochenabschnittes durch je eine Illustration des israelischen Künstlers Darius Gilmot. Die geforderte Lesehaltung durch alle Generationen hindurch ist vergleichbar mit Kindern, die eine Geschichte immer und immer wieder hören wollen, selbst wenn sie diese eigentlich schon auswendig kennen – genauso wird die Tora immer und immer wieder gelesen. Dieses (Vor-)Lesen ist gleichsam die Eintrittskarte in die jüdischen Traditionswelten. 39
LANDTHALER, Die Tora – ein didaktisches Buch?, 16. Vgl. a.a.O., 16f. 41 Dies verdeutlichen Liss/Landthaler am Beispiel des Jom-Kippur-Gottesdienstes: Es wird dort nur von einem Ritual berichtet, und nur dieses Erinnern soll helfen, sich mit Gott zu versöhnen. Sie fordern dazu auf: „Machen Sie selbst die Probe: Lesen Sie die Parascha Achare Mot, in der der Jom Kippur geschildert wird, laut und langsam vor, ohne danach zu fragen, was es im Einzelnen bedeutet und was da gerade steht. Sie werden bald merken, dass dies eine ganz eigene Erfahrung des Lesens ist, bei der es nicht in erster Linie darum geht, historische oder archäologische Informationen aufzunehmen, sondern bei der es um das Lesen selbst geht, vergleichbar vielleicht mit dem Rezitieren von Gedichten“ (LISS/LANDTHALER, Wajikra, 11). 40
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Kapitel 9: Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler
Der Prozess muss zunächst durch das Vorlesen von Eltern, Erzieher:innen, Lehrer:innen der Kindertora gefördert werden, um dann langsam in einen Prozess des Selbstlesens überzugehen. Im Zentrum steht dabei das wiederholende, das zyklische Lesen. Das Buch Wajikra steht wie kein anderes Buch der Tora für diese Leseerfahrung. In der Einleitung zum Buch „Schemot – Namen“ (das Buch Exodus) betonen Liss/Landthaler, dass das jüdische Lernen auf dem Grundprinzip der Wiederholung basiere. „Deshalb ist durchaus zu hoffen, dass Kinder mit dem wiederholenden Lesen der Torah sich auch erweiterte Kenntnisse und ein tieferes Verständnis derselben erarbeiten.“42 Liss/Landthaler sind sich bewusst, dass sie den Kindern und Jugendlichen mit der Lektüre der ganzen Tora die Lektüre eines nicht unbedingt kindgerechten Buches zumuten. Sie vertreten jedoch die These, dass es häufig die Erwachsenen, die Eltern, die Lehrer:innen und Erzieher:innen, sind, die die Auseinandersetzungen mit der Tora und die Herausforderungen ihrer Vermittlung und Weitergabe scheuen. In der Einführung zu „Devarim – Worte“, dem fünften und letzten Band der Kindertora, resümieren sie: Dabei wissen wir sehr genau, dass wir es unseren jungen wie älteren Leser(inne)n und Hörer(inne)n nicht immer einfach gemacht haben. Wir haben die Torah nicht in leicht verdaulichen Häppchen serviert, sondern durchaus auch Brocken vorgesetzt. Aber das war natürlich auch Sinn der Sache: Wir wollten den Kindern nicht einfach einen hübschen Lesestoff zur Unterhaltung bieten, sondern ihnen einen Zugang zu der reichhaltigen Literatur ermöglichen, die immerhin die jüdische und christlich-abendländische Kultur maßgeblich geprägt hat. Dies geschah auch aus der Beobachtung heraus, dass der Bibel mit zunehmender Gleichgültigkeit oder sogar mit einer völlig verzerrten Wahrnehmung begegnet wird; und dies nicht nur bei religiös indifferenten Bevölkerungsteilen, sondern auch in jüdischen wie in christlichen Gemeinden. 43
Das zyklische Lesen der Tora ist mit dem Erreichen der Adoleszenz nicht abgeschlossen, sondern soll in ein selbstständiges Lesen der Texte überführt werden. Eine fehlende und oft unbedachte Größe in der jüdischen Religionspädagogik stellen traditionell Jugendliche dar. „‚Jugend‘ oder ‚Jugendliche‘“, so Landthaler, „sind keine Begriffe, mit denen jüdische Religion traditionell etwas anfangen kann.“44 Klassischerweise sind Kinder bzw. Jugendliche ab der Bat- oder Bar-Mizwa, also mit zwölf bzw. 13 Jahren, religionsmündig: Sie sollen in der Theorie die Gebote selbstständig einhalten und weiter Tora lernen. Mit der Bar- bzw. Bat-Mizwa werden Jugendliche in religiöser Hinsicht uneingeschränkt der erwachsenen Welt zugerechnet. Als jüdische Jugend
42
LISS/LANDTHALER, Schemot, 12. LISS/LANDTHALER, Devarim, 15f. 44 BRUNO LANDTHALER, Jüdische Jugend-Bibeln? Religionspädagogische Anmerkungen zu Judentum und Jugend, in: Michael Fricke/Georg Langenhorst/Thomas Schlag (Hg.), Jugendbibeln. Konzepte, Konkretionen, religionspädagogische Chancen, Freiburg im Breisgau 2020, 105–119, 105. 43
9.3 Das didaktische Viereck
277
erhalten sie weder viel Aufmerksamkeit noch Dignität,45 und es gibt dementsprechend auch zum Beispiel keine Jugendbibel für jüdische Jugendliche. Landthaler fordert deswegen, Jugendlichen als Subjekten und ihrer Identitätssuche mehr religionsdidaktische Aufmerksamkeit zu schenken. 46 Für die Zielgruppe der Studierenden veröffentlichte Hanna Liss das Buch Tanach. Lehrbuch der jüdischen Bibel.47 Im Zentrum steht auch hier wieder der Text der Hebräischen Bibel, der aber von Liss in seiner aggadischen und halachischen Weiterentwicklung, sowie seinem liturgischen Gebrauch dargestellt wird. Das Lehrbuch folgt ebenso der Einteilung in die Paraschot, die wöchentlichen Leseabschnitte der Tora, die auch in der Synagoge gelesen werden. Aufgrund dieser Einteilung kann das Buch auch gut im synagogalen Kontext verwendet werden. Zudem werden in dem Abschnitt „Gottesdienst und häusliche Feier“ die jeweilige Haftara (Prophetenlesung) und der liturgische Gebrauch des Textes beispielsweise an Festen oder in Gebeten erläutert. Im Zentrum des Lehrwerkes steht, wie schon bei der Kindertora, die Lektüre des Textes. „Tanach versteht sich daher“, so Liss, „als ein Lehrbuch, das die Leser und Leserinnen in erster Linie mit dem Text selbst vertraut machen soll, nicht mit wissenschaftlichen Diskussionen über die biblischen Schriften oder gar mit geschichtlichen Darstellungen.“48 Der Text des Tanach umfasst jedoch nicht nur die jüdische Bibel, sondern immer auch die jüdische Tradition, die mündliche Tora. Deswegen werden die Texte in diesen Kontext gestellt, da die „jüdische Lesart die Bibel niemals ohne die traditionelle Bekleidung [liest], d.h. ohne ihre Einbindung in den Strom der nachbiblischen Traditions- und Auslegungsliteratur“.49 Als Hilfe besonders für ungeübte Leser:innen des Tanach werden, und dies erinnert an die Toradidaktik von Nehama Leibowitz, am Anfang der Bücher und für die einzelnen Wochenabschnitte Leitfragen angeboten, die helfen sollen, die Lektüre zu fokussieren und den Einstieg in die Parascha oder ein Buch zu erleichtern. In seinem Selbstverständnis stellt das Buch eine Lesehilfe für die Lektüre des Tanach dar, aber keinen Ersatz für 45 In den letzten Jahren sind aber einige Studien zur Identitätssuche jüdischer Jugendlicher in Deutschland und zur Rolle des jüdischen Religionsunterrichts dabei entstanden: CHRISTINE MÜLLER, Zur Bedeutung von Religion für jüdische Jugendliche in Deutschland (Jugend – Religion – Unterricht. Beiträge zu einer dialogischen Religionspädagogik 11), Münster 2007; MERON MENDEL, Jüdische Jugendliche in Deutschland. Eine biographischnarrative Analyse zur Identitätsfindung, Frankfurt am Main 2010. 46 Vgl. LANDTHALER, Jugend-Bibeln. 47 Liss charakterisiert es folgendermaßen: „Es ist ein Lehrbuch zur unmittelbaren Quellenerschließung der Hebräischen Bibel sowie eine erste Einführung in ihre Rezeption vor allem im Religionsgesetz (Halacha) und im Kultus und Ritual im weitesten Sinne, d.h. der häuslichen Feier ebenso wie des jüdischen Gottesdienstes und in liturgischen Texten“ (LISS, Tanach, V). 48 A.a.O., VI. 49 A.a.O., 19.
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Kapitel 9: Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler
das eigenständige Studium desselben. Hanna Liss definiert vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Lehrtätigkeit gerade das zyklische Lesen des Tanach als den eigentlichen jüdischen Zugang zur Tora. So könne kein Lehrbuch „eine kontinuierliche und eigenständige ‚Lese-Arbeit‘ ersetzen, und so besteht der erste ‚jüdische‘ Zugang zur Bibel vor allem in der intensiven Lektüre“.50 Die jüdische Lesebiografie beginnt also im Idealfall in der Kindheit mit dem Vorlesen der Kindertora, welches dann in eine selbstständige Lektüre derselben übergeht und schließlich, unterstützt von dem Studienbuch zur jüdischen Bibel, in die selbstständige Lektüre der Tora mündet. Von da aus weitet sich das zyklische Lesen der schriftlichen auf die mündliche Tora aus. 9.3.3 Die Lehrenden Auch die Lehrkraft hat je nach Alter der Schüler:innen eine andere Rolle: Ist sie für Kinder in der Synagoge, im Kindergarten oder Grundschule besonders Vorleser:in der Tora, so ist sie für die älteren Schüler:innen Begleiter:in in die Lesegemeinschaft der Tora. Die Förderung des Vorlesens der Tora stellt das primäre Ziel von Liss/ Landthaler bei der Übertragung der Tora für Kinder dar. Der erste Satz der Hinweise zu ihrer Benutzung lautet: „Diese Torah für Kinder ist in erster Linie zum Vorlesen gedacht“.51 Ihre Toradidaktik stellt primär eine Vorlesedidaktik dar, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den jüdischen Kindern den Text der ganzen Tora zu vermitteln. Zunächst wurde die Kindertora für den Kontext der Synagoge entwickelt. Die Texte sind dementsprechend liturgisch eingebettet, und ihr liturgischer Ort wird in der jeweiligen Einleitung benannt, sowie die Haftara, die Prophetenlesung. „Dies“, so Liss/Landthaler, „soll den Kindern bewusst machen, dass die Torah einen festen Platz in der Synagoge hat.“52 Dazu sind die Abschnitte am Rand mit Einleitungen und Kommentierungen versehen, die einzelne Begriffe oder Phänomene erklären, die sich an die Vorlesenden richten und sie bei der Reflexion der Texte unterstützen sollen. Denn nur wer versteht, was er Kindern vorliest, kann auch angemessen auf deren Fragen reagieren – die Vorlesenden müssen also selbst Lesende der Tora sein. Zu Beginn jeder Parascha, jedes Wochenabschnittes, ist ein einzelner, besonders zentraler Textabschnitt auf Hebräisch abgedruckt. „Dies soll nicht nur ein dringlicher Hinweis darauf sein, dass die Torah idealerweise auf Hebräisch zu lesen und diese Übertragung nur ein Hilfsmittel ist“, so Liss/Landthaler, „sondern auch einen ersten Einstieg ermöglichen, wichtige Textstellen auf Hebräisch zu lesen beziehungsweise vorzulesen.“53 Ein erster Einstieg in die jüdische Lesegemeinschaft findet also über das Vorlesen im vertrauten 50
A.a.O., VII. LISS/LANDTHALER, Bereschit, 13. 52 Ebd. 53 A.a.O., 14.
51
9.3 Das didaktische Viereck
279
Rahmen der Familie, der Synagoge oder des Kindergartens statt. Der zweite Schritt, das selbstständige Eintreten in die Lesegemeinschaft, sollte dann von den Lehrenden begleitet werden. Dies soll unter anderem idealerweise im schulischen Religionsunterricht stattfinden. Die Lehrkraft stellt für die Schüler:innen auf dem Weg in die Lesegemeinschaft der Tora ein Vorbild dar. Die Rezeption des Textes findet in vier Schritten statt: 1) Fremdes und Eigenes; 2) Prozess der Aneignung; 3) Transformation: die Rabbinen als Vorbild; 4) Relecture als Stabilisierung und Differenzierung von Lesegemeinschaften.54 Die ersten beiden Schritte eignen den Text als eine fremde Welt durch einen Lernprozess mithilfe der Lesegemeinschaft an. Die Lehrenden seien den Schüler:innen dabei möglichst einen Schritt voraus, so Landthaler, weil sie „als religiös beglaubigte Repräsentanten bereits eine Vertrautheit des fremden Textes“55 besitzen. Sie sind also schon Teil der jüdischen Lesegemeinschaft, während die Schüler:innen die Aufgabe haben, sich den Text als jeweils neue Generation anzueignen. Der Schritt der Aneignung des fremden Textes löst nicht seine Fremdheit auf. Der Text bleibt fremd, deswegen sind die Lehrenden zugleich permanent Lernende der Tora. Sie stehen also bildlich gesprochen mit einem Bein in der Lesegemeinschaft der Tradition und mit dem anderen in der Lerngemeinschaft der Schüler:innen. Eine Hilfe bei diesem Prozess der Aneignung, auch über die Denominationsgrenzen hinweg, stelle der Umweg über die Auseinandersetzung mit der rabbinischen Tradition dar, die als Vorbild dienen kann.56 Die mündliche Tora ist in der Form der direkten Kommunikation verfasst und fordert bis in die Gegenwart zu solcher heraus. Diese Lesegemeinschaft realisiert sich in einem vierten Schritt in sehr vielen kleinen Lerngruppen, in denen sich jeweils das Lernen wieder anders und individuell ereignet. Somit findet die Aneignung in zwei Richtungen statt: Der Text konstituiert die Lerngemeinschaft, und die Lerngemeinschaft formt den Text in ihre Lebensund Lernsituation, damit sie überhaupt von und mit ihm lernen kann.57 9.3.4 Die Lebenswelt Für Landthaler sind zwei Momente der Lebenswelt für den jüdischen Religionsunterricht besonders prägend: Erstens leben Jüd:innen als Minderheit in einer nichtjüdischen deutschen Mehrheitsgesellschaft, sind aber gleichzeitig ein Teil dieser Gesellschaft und sollen diese dementsprechend aktiv mitgestalten. Dafür müssen Jüd:innen sprachfähig sowohl als jüdische Minorität an sich als auch in der Positionierung von Minderheit gegenüber Mehrheit werden.58 Jüdische Identität sollte nicht isoliert werden, sondern in der Gegenwart 54
Vgl. LANDTHALER, Jüdische Lernkulturen, 34. A.a.O., 36. 56 Vgl. a.a.O., 37f. 57 Vgl. a.a.O., 43. 58 Vgl. LANDTHALER, Jüdischer Religionsunterricht, 33. 55
280
Kapitel 9: Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler
bestehen und auch ihren Teil zu einer pluralen Debatte und Gesellschaft beitragen. Hier hat das Judentum Potentiale, solche Grundkonnotationen einer (immer noch christlichen) Gesellschaft in Diskursen zu durchbrechen und darauf hinzuweisen, dass die Pluralität einer Gesellschaft – insbesondere der deutschen – noch immer weniger Realität als Aufgabe ist.59
Als Beispiel dafür führt Landthaler an, dass im Mittelpunkt der Debatten um Asylpolitik, inklusive Schule, drittes Geschlecht etc. stets das Individuum stehe und politische Akteure bis hin zu NGOs sich zumeist an ihm orientieren würden. Das sei nicht per se falsch, aber eine jüdische Stimme könne in einem Diskurs viel zur Stärkung und Klärung der gesellschaftlichen Aspekte und Auswirkungen beitragen, „da gerade im Judentum nicht das isolierte Individuum im Mittelpunkt steht, sondern der gesellschaftlich-gemeinschaftliche Kontext, in dem das Individuum steht, als Voraussetzung der individuellen Handlung reflektiert wird“.60 Den Menschenrechten könnten aus jüdischer Perspektive dann Menschenpflichten hinzugefügt werden. Deswegen solle sich die jüdische Denktradition aktiv in den öffentlichen Diskurs einbringen, da sie einen wichtigen Beitrag hierzu leisten könne. Zweitens existieren die jüdischen Gemeinden in einer säkularen Gesellschaft, die an vielen Stellen religionskritischer wird. Dies trifft christliche wie auch jüdische Gemeinden und führt zu einer härteren Auseinandersetzung um religiöse Vollzüge, wie die Beschneidungsdebatte (2012) in heftiger Form gezeigt hat. Auch sei es nur eine Frage der Zeit, wann eine Debatte über das Tragen der Kippa von Lehr:innen an öffentlichen Schulen oder auch eine Schächterdebatte folge. Dies zwinge zu der „Reflexion, wie auch jüdische Religion in einer nichtjüdischen Umwelt präsent sein soll oder muss“.61 Vor diesem Hintergrund ist es essenziell, dass Jüd:innen den Diskurs mit der säkularen Umwelt vom Kindergarten an einüben, um in und mit dieser säkularen Welt leben zu können.62
59
A.a.O., 43. Ebd. 61 Vgl. a.a.O., 17. Dort geht Landthaler auch auf die oben genannten Beispiele ein. 62 Landthaler zitiert dafür Meron Mendel: „Es scheint aus diesem Grund sinnvoll zu sein, bereits in jüdischen Kindergärten und Grundschulen die Frage der Beziehung zwischen Minderheits- und Mehrheitsgruppe zu thematisieren und interkulturelle Begegnungen zu unterstützen“ (MENDEL, Jüdische Jugendliche, 287). 60
9.4 Kritische Würdigung
281
9.4 Kritische Würdigung 9.4 Kritische Würdigung
In der kritischen Würdigung werde ich die Grundlinien der Toradidaktik von Liss/Landthaler bündeln (9.4.1) und anhand der religionsdidaktischen Kriterien der Subjektorientierung, der Positionalität der Lehrkraft, der Hermeneutik und des Beitrags zur Pluralitätsmoderation kritisch würdigen (9.4.2), um dann abschließend nach Rezeptionsmöglichkeiten ihrer Toradidaktik für eine christliche Toradidaktik zu fragen (9.4.3). 9.4.1 Würdigung Der letzte Satz der Einführung des letzten Bandes, Devarim, der Kindertora lautet: „Geh hin und lerne!“63 – dies kann programmatisch für die gesamte Toradidaktik von Hanna Liss und Bruno Landthaler interpretiert werden. Denn ihr toradidaktischer Entwurf will zum Lesen und Lernen explizit der ganzen Tora animieren. „Text“ ist in ihrer Konzeption die Grundlage für jüdische Lernkultur durch alle Denominationen. Ihre Definition der Tora als Rechtskorpus und als Torarolle, also als theoretische Grundlage für die Gestaltung des Zusammenlebens und als praktischer und sakraler Mittelpunkt des Synagogengottesdienstes, prägt ihre Toradidaktik: Sie übertragen schon für Kinder ab dem fünften Lebensjahr auch die Rechtssätze des Buches Wajikra, damit auch sie am zyklischen Lesen der ganzen Tora in den Wochenabschnitten, den Paraschot, als Hörende der Texte partizipieren können. Ihre Toradidaktik zielt darauf ab, dass schon kleine Kinder damit beginnen, die ganze Tora zu lesen. Sie fordern dafür eine Wende von der Objekt- zur Subjektorientierung der jüdischen Religionspädagogik in Deutschland. Die Lernenden sollen die Texte als autonome Subjekte und Textrezipient:innen lesen und auslegen. Der Anspruch von Liss/Landthaler bei ihrem Entwurf ist, einen Beitrag zu einem modernen jüdischen Religionsunterricht in einer säkularen Gesellschaft, in der Jüd:innen als Minderheit leben, zu leisten. Die Texte der Tora bilden dafür die ideale Grundlage, da sie immer auch selbst aus der Perspektive einer Minorität, die auf der Suche nach einer jüdischen Identität innerhalb einer nichtjüdischen Mehrheit ist und um deren Erhalt ringt. 9.4.2 Kritik Nachfolgend würdige ich anhand der vier religionsdidaktischen Kriterien, der Positionalität der Lehrkraft, der Subjektorientierung, der Frage nach der Hermeneutik und des Beitrags zur Pluralitätsmoderation, den toradidaktischen Ansatz von Liss und Landthaler kritisch:
63
LISS/LANDTHALER, Devarim, 17.
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Kapitel 9: Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler
Die Lehrer:in oder die Gemeindpädagog:in wird in der Konzeption einerseits klar als ein religiöse:r Repräsentant:in der jüdischen Tradition64 beschrieben, gleichzeitig ist sie Teil der säkularen, mehrheitlich nichtjüdischen Gesellschaft und muss in beide Richtungen sprachfähig sein. In dieser Brückenfunktion beschreiben Liss/Landthaler die Positionalität der Lehrkraft. Zur Unterstützung der ersten Rolle wird sie durch Kommentierungen der Tora von Liss/ Landthaler mit Hilfestellungen und Erklärungen für ein besseres Verständnis der Texte versorgt. Mit diesen versuchen sie, Multiplikator:innen in der Toralektüre zu unterstützen und in der Aufgabe zu bemächtigen und zu stärken, Kinder und Jugendliche in die jüdische Lesegemeinschaft zu begleiten. Dafür stellen Professionalität, Fachkenntnisse und Selbstsicherheit in der jüdischen Tradition Voraussetzungen dar. Diese benötigt eine Lehrkraft, auch um der angestrebten Wende von der Objekt- zur Subjektorientierung der Schüler:innen gerecht zu werden. So wichtig und pädagogisch zeitgemäß diese angestrebte Wende ist, so wenig wird sie in dem Entwurf methodisch durchbuchstabiert und konkretisiert. Obschon die Tora zwar als „schwer verdaubarer Brocken“ bezeichnet wird, dem sich die Jugendlichen eher murrend als begeistert nähern, wird nicht beantwortet, wie man bei den Kindern und Schüler:innen die Lust und Freude an dem Lerngegenstand weckt, sodass sie ihn immer wieder lesen bzw. vorgelesen haben wollen. Zudem fehlt die Konkretisierung, wie die Tora auch in ambigen jüdischen Identitätskonzepten in einer säkularen Gesellschaft weiter eine zentrale Rolle spielen soll und ob nicht die Konzentration auf die Schüler:innen als Subjekte des Unterrichts automatisch die Gefahr der Verdrängung der Tora aus dem Zentrum der didaktischen und unterrichtlichen Aufmerksamkeit nach sich ziehen würde bzw. wie eine Subjektorientierung mit der Zentralstellung der ganzen Tora zusammengedacht werden kann. Umso deutlicher tritt an dieser Stelle hervor, dass das toradidaktische Konzept von Liss/Landthaler keinen komplett ausgearbeiteten religionspädagogischen Entwurf darstellt, sondern sich noch in der Entwicklung befindet und der Konkretisierung und didaktischen Ausgestaltung harrt. Eine Möglichkeit, der Spannung zwischen der Textlichkeit des Judentums und der geforderten Subjektorientierung gerecht zu werden, liegt sicher in dem von Liss/Landthaler benannten hermeneutischen Prinzip der mündlichen Tora. Mit ihrer Hilfe legen die Lesenden die Tora auf die jeweilige eigene Gegenwart und die eigenen Fragen hin aus. Die Frage nach dem Beitrag zur Pluralitätsmoderation beschreibt Landthaler selbst als Desiderat und benennt selbstkritisch das einzufordernde Ziel, dass die jüdische Gemeinschaft sich aktiver an dieser Pluralitätsmoderation beteiligen soll.
64
Vgl. LANDTHALER, Jüdische Lernkultur, 36.
9.4 Kritische Würdigung
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9.4.3 Christliche Rezeptionsmöglichkeiten Die Zentralstellung des altersgerechten, zyklischen (Vor-)Lesens der ganzen Tora stellt meines Erachtens den weitreichendsten Impuls der Toradidaktik von Liss/Landthaler für eine christliche Toradidaktik dar. Sie trauen Kindern schon ab fünf Jahren zu, die ganze Tora zunächst zu hören und dann später auch selber zu lesen; sie differenzieren trotzdem die Texte und Methoden altersspezifisch. Christliche Bibeldidaktik könnte meiner Meinung nach von dem Ansatz, die Texte der Tora zyklisch in ihrem Erzählbogen zu lesen, lernen, ebenso von der bewussten Zumutung, die Tora als Ganzes, also als „Brocken“, lesen zu lassen, sie nicht in kleine, oft unzusammenhängende Stücke zu zerlegen und somit auszuhalten, dass die Schüler:innen sich ihr zunächst eher murrend als mit Begeisterung nähern werden. Liss/Landthaler benennen offen Desiderate und Ziele jüdischer Toradidaktik: Eine Wende zur Subjektorientierung steht ihrer Meinung nach in der jüdischen Religionspädagogik noch aus. Analog dazu könnte die christliche Religionspädagogik nach den möglichen „Schattenseiten“ dieser schon vollzogenen Subjektorientierung in Form des Verlustes einer Orientierung am Text als komplexen Lerngegenstand mit eigenen Ansprüchen fragen.
Kapitel 10
Systematisierung: Jüdische Toradidaktik Zum Abschluss des Teils II „Jüdische Didaktiken der Tora“ erfolgt eine Systematisierung der jüdischen toradidaktischen Konzeptionen. Hierfür werde ich die fünf Entwürfe von Nehama Leibowitz, Zvi Adar, Barry W. Holtz, Daniel Krochmalnik und Hanna Liss/Bruno Landthaler vergleichend darstellen und zusammenfassen. Diese lassen sich systematisch durch ihr unterschiedliches Verständnis der Tora charakterisieren und veranschaulichen (10.1) und mittels ihrer didaktischen Zugänge vergleichen (10.2). Daran schließt sich eine Darstellung der Unterschiede (10.3), Gemeinsamkeiten (10.4.) und Charakteristika (10.5) an. Am Ende dieses Kapitels erfolgt zur besseren Übersicht eine tabellarische Zusammenfassung (10.6).
10.1 Tora ist nicht gleich Tora 10.1 Tora ist nicht gleich Tora
Die toradidaktischen Konzeptionen von Nehama Leibowitz, Zvi Adar, Barry W. Holtz, Daniel Krochmalnik und Hanna Liss/Bruno Landthaler unterscheiden sich bereits in ihrem Verständnis von Tora teils deutlich voneinander. In den jüdischen Didaktiken ist Tora ist nicht gleich Tora: Folgt Nehama Leibowitz, gemäß der orthodoxen Strömung, dem rabbinischen Toraverständnis aus schriftlicher und mündlicher Tora, welches die Tora als Offenbarung Gottes und als Heilige Schrift ansieht, so ist bei Zvi Adar aus säkularer Perspektive die Tora in erster Linie Weltliteratur. Barry W. Holtz dagegen versteht Tora sowohl als Literatur wie auch als Buch, in dem der Wahrheit begegnet werden kann; sie wird durch das Studium in die Gegenwart transformiert. Für Krochmalnik ist die Tora vom Wechselspiel aus schriftlicher und mündlicher Tora bestimmt, wobei die schriftliche Tora einen „Baum des Lebens“ und die mündliche einen „Garten der Schriftauslegung“ darstellt. Liss/Landthaler interpretieren Tora wiederum als Rechtskorpus, als theoretisches und geistiges Zentrum des Judentums, und als konkrete Torarolle – als praktischen und sakralen Mittelpunkt des Judentums – und legen einen Fokus auf das (Vor-)Lesen der fünf Bücher der Tora.
286
Kapitel 10: Systematisierung: Jüdische Toradidaktik
10.1.1 Das Toraverständnis von Nehama Leibowitz Nehama Leibowitz’ Toradidaktik kann als wortwörtliche Toradidaktik bezeichnet werden. Leibowitz unterrichtet dezidiert Tora und nicht Tanach, Chumasch oder die Hebräische Bibel, und obschon sie zum Beispiel auch den prophetischen Schriften einen zentralen Stellenwert einräumt, ist ihr zentrales und übergeordnetes Ziel der Unterricht, die Weitergabe und die Einführung in das Studium der Tora. Dahinter steht konzeptionell die Priorisierung der Tora, die Ausdruck ihrer orthodoxen Prägung ist. Diese spiegelt sich auch in ihrem rabbinischen Toraverständnis1 wider: Tora meint demnach zum einen die schriftliche Tora, die fünf Bücher Mose, zum anderen umfasst sie immer auch die mündliche Tora, die Auslegung der Tora, die bis heute anhält und die Tora fortlaufend auf die Gegenwart hin auslegt. Das offene Ende der Tora wird darin programmatisch verstanden; sie wird im und durch das Studium von Generation zu Generation aktualisiert. Das Studium der Tora stellt sowohl einen synchronen Kommunikationsprozess zwischen Text und Studierenden als auch einen diachronen zwischen den Generationen, die diese Texte studiert haben bzw. studieren, dar. Hinter diesem Toraverständnis steht die Überzeugung der Omnisignifikanz, Ambiguität und Polyvalenz der Tora, das heißt, dass jedes Detail der Tora bedeutungsschwanger ist, dass die Tora mehrdeutig ist und dass Mehrfachdeutungen einer jeden Aussage demnach nicht nur möglich, sondern nötig sind. Das Fundament dieses Toraverständnisses ist ihre Heiligkeit – die Tora ist die Offenbarung Gottes. Dieses Verständnis von Tora spiegelt sich auch in den Zielen von Leibowitz’ Toradidaktik wider: Das erste Ziel umfasst die Förderung von Sachkenntnissen, also die Kenntnis der schriftlichen Tora. In einem zweiten Schritt soll die eigenständige Deutung und Interpretation der Tora erfolgen, also die Kommunikation über die Tora, zum Beispiel durch die mündliche Tora und andere Toraauslegungen. Ihr drittes Ziel ist dann, die Liebe zum Torastudium und die Neugierde auf die Tora dauerhaft zu wecken. Letzteres mündet in ein lebenslanges Studium der Tora. Dies soll, so ihr höchstes Anliegen, zur Toraobservanz, zum Tun der Gebote führen. Zur Tora hat Nehama Leibowitz drei hermeneutische Zugänge, die sie in aller Ambivalenz gleichermaßen gelten lässt: ihr orthodoxer Zugang, der Tora als Offenbarung Gottes am Sinai sieht; deshalb müsse sie als Heilige Schrift mit normativem Anspruch gelesen und interpretiert werden. Neben diesem steht ihr literarisches Verständnis der Tora als Text, der genau studiert, gelesen und dem Literalsinn nach interpretiert werden muss. Schließlich analysiert sie drittens mit ihrem kritischen Ansatz die literarischen Methoden der Tora und die Kommentare und prüft die Legitimität der Interpretationen. Ist ihr erster Zugang ein religiöser, können die beiden letzteren als aufgeklärte, der Haskala verpflichtete Zugänge zur Tora, die dem modernen, akademischen 1
Vgl. hierzu oben Abschnitt 2.2.1 zum rabbinischen Toraverständnis.
10.1 Tora ist nicht gleich Tora
287
Denken verpflichtet sind, eingeordnet werden. Ihre Toradidaktik folgt also dem modern-orthodoxen Prinzip der Tora Im Derech Eretz. 10.1.2 Das Toraverständnis von Zvi Adar Das Toraverständnis von Zvi Adar unterscheidet sich diametral von dem orthodoxen Toraverständnis Nehama Leibowitz’: In seiner toradidaktischen Konzeption ist die Tora (Erziehungs- und Welt-)Literatur. Diese Literatur stellt für ihn das Fundament der jüdischen Ethik, Kultur und Identität dar. Als Literatur verstanden, ist die Tora dezidiert keine Offenbarung Gottes oder feststehendes Dogma, sondern muss ständig geprüft werden und sich immer wieder neu beweisen. Das Besondere der biblischen Literatur, und vielleicht auch ihre wahre Größe, liegt in der Tatsache, dass sie mit der Intention verfasst und kanonisiert wurde zu erziehen. Sie stellt nicht Kunst an sich dar, sondern will dem Leben dienen, und in diesem Ziel unterscheidet sie sich auch von anderer Weltliteratur. Die Tora als Literatur ist ein offenes Buch, welches mit einer offenen Hermeneutik gelesen werden sollte. Mit dieser Forderung einer offenen Hermeneutik wendet er sich dezidiert gegen eine nationale oder religiöse Vereinnahmung oder gegen eine nur wissenschaftliche, historisch-kritische Reduzierung des Tanach. Dagegen will er eine humanistische Lesart der Hebräischen Bibel etablieren, die sie als Zentrum der jüdischen Paideia versteht. Von ihrem Material her ist die Tora, beschränkt auf die fünf Bücher Mose, ein Teil des Tanach und muss in dessen Kontext gelesen, interpretiert und unterrichtet werden. Adar setzt sich für eine egalitäre Behandlung der unterschiedlichen Teile des Tanach ein, so spielen besonders die prophetischen Schriften bei ihm eine herausgehobene Rolle. Nur im Zusammenspiel all seiner Teile ist der Tanach das Fundament der jüdischen Kultur, die Urkunde einer Religion und ein reicher Fundus an Lebenserfahrungen. Dagegen spielen die mündliche Tora und die rabbinische Tradition in seinem Konzept der Tora kaum eine Rolle. Ist die Tora für ihn in erster Linie Literatur, dann besteht sie primär aus verschiedenen Textsorten, die unterschiedliche Funktionen innerhalb der und für die Bibeldidaktik umfassen. Seine didaktische Grundannahme ist dabei, dass die Didaktik schon den verschiedenen Textsorten inhärent ist und diese deshalb auch separat betrachtet werden müssen. Auf den ganzen Tanach gesehen, stellt er – entgegen der klassischen Einteilung in die Bereiche Tora, Propheten und Schriften – fünf literarische Textsorten auf, nach denen er den Tanach und seinen Unterricht aufgliedert: die historisch-narrativen, die prophetischen, die gesetzlichen, die poetischen und die weisheitlichen Texte. Innerhalb des Textkorpus der Tora spielen die historisch-narrativen Texte und die Gebote eine besondere Rolle: Die Ersteren dienen als Vorbilder und erziehen durch die Erzählung selbst, Letztere durch das Tun. Die Gebote
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Kapitel 10: Systematisierung: Jüdische Toradidaktik
antworten auf die Frage nach einem gerechten Leben mit einem detaillierten System aus Handlungen und sind schließlich Gerechtigkeit in Aktion. Die Tora stellt in diesen verschiedenen Textsorten eine Kombination von Naivität und Tiefgründigkeit, von Spontaneität und Bedachtsamkeit und von Erzählung und Philosophie dar. In dieser Ambivalenz und Ambiguität soll sie unterrichtet werden. 10.1.3 Das Toraverständnis von Barry W. Holtz Das Toraverständnis von Barry W. Holtz umfasst sowohl Elemente des Toraverständnisses von Nehama Leibowitz als auch von Zvi Adar: Die Tora kann bei ihm sowohl Literatur als auch ein heiliges Buch sein, in dem es zur Begegnung mit der Wahrheit kommen kann. Diese beiden Interpretationen der Tora stehen bei ihm gleichwertig nebeneinander. Die Tora ist als Literatur ein historisches Buch, das über Jahrhunderte hinweg entstanden ist. Sie ist ein von Menschen verfasstes Werk, das nicht wortwörtlich genommen werden sollte. Als Literatur gehört die Tora zur Weltliteratur, ihr Studium erfordert und fordert die intellektuellen Fähigkeiten, und sie soll mit den Methoden der Linguistik und mit der historisch-kritischen Methode studiert und analysiert werden. Dabei ist entscheidend, dass es eine Vielzahl von Zugängen zur Tora gibt und jede:r Leser:in ihren eigenen persönlichen Zugang finden muss. Gleichzeitig geht der ethische Anspruch der Tora und des Tanach über das klassische Verständnis von Literatur hinaus. Mit ihrem ethischen Anspruch fordert die Tora zum Tun heraus bzw. folgt dies als logische Konsequenz aus ihr. Dahinter steht die Überzeugung, dass es sich bei der Tora auch um ein heiliges Buch handelt, das einen Wahrheitsanspruch formuliert und in dem Menschen der Wahrheit begegnen können. Holtz spitzt diesen Gedanken mit der Formulierung zu, dass die Tora Wahrheit sei. Die verschiedenen Interpretationen der Tora, die sich im Toraverständnis von Holtz gegenseitig ergänzen, expliziert er auch noch einmal in seiner Begründung für das Torastudium: Der erste Grund stellt heraus, dass es ein intellektuell und historisch anspruchsvolles Buch sei, sein zweiter, dass es religiöse Pflicht sei, die Tora zu studieren, und sein dritter, dass die Tora Wahrheit sei. Holtz differenziert ebenfalls die schriftliche und die mündliche Tora. Im Zentrum seiner didaktischen Überlegungen steht die Hebräische Bibel als schriftliche Tora. Demgegenüber stellt die mündliche Tora den hermeneutischen Rahmen seiner Toradidaktik dar: Sie ist die Transformation der Tora in die Gegenwart und darin selbst wieder ein Teil der Tora. Ein zentraler rabbinischer Grundsatz seiner Torahermeneutik fordert: „Wende sie und wende sie, denn alles ist in ihr enthalten.“ Dahinter steht die Überzeugung, dass die Tora Antworten auf alle Fragen besitzt, und auch, dass der Transformationsprozess und das Studium der Tora nie abgeschlossen sind.
10.1 Tora ist nicht gleich Tora
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10.1.4 Das Toraverständnis von Daniel Krochmalnik Die Tora setzt sich gemäß Daniel Krochmalniks Toraverständnis aus schriftlicher und mündlicher Tora zusammen. Beide bedingen einander symbiotisch und brauchen sich gegenseitig. Um dieses komplizierte Geflecht zu beschreiben, verwendet er botanische Begriffe: Die Tora ist der Baum des Lebens, und ihre Hermeneutik und Auslegung findet daran anschließend im Garten der Schrift statt. Die Tora als Baum des Lebens spielt auf den Garten Eden und dementsprechend als „schattigen“ Lernort im Paradies an. Gleichzeitig umfasst die Metapher den konstanten und den beweglichen Teil der Tora: Die jüdische Tradition und ihre Auslegungsregeln wachsen wie ein Baum, ohne die Wurzeln der schriftlichen Tora zu verändern. Jüdische Schriftauslegung und Hermeneutik vollziehen sich im Garten um den Baum des Lebens der Tora herum. Zur Beschreibung verwendet er das Akronym PaRDeS. Die vier Konsonanten des Wortes stehen für die vier Anfangsbuchstaben der hebräischen Begriffe der vier Interpretationsmethoden der Schrift: 1) Pschat für den „einfachen Sinn“; 2) Remes für den „angedeuteten Sinn“; 3) Drasch für den „belehrenden Sinn“; 4) Sod für den „geheimen Sinn“. Krochmalnik entfaltet den PaRDeS mit Rückbezug auf die vier ausgewiesenen mittelalterlichen Meister der jüdischen Schriftauslegung: Raschi, Rambam, Ramban und Ramak. In diesem Toraverständnis ist Tora dann nicht nur die Symbiose aus schriftlicher und mündlicher Tora, sondern das Toralernen selbst ist schon Teil der Tora. 10.1.5 Das Toraverständnis von Hanna Liss/Bruno Landthaler Liss/Landthaler verstehen Tora primär als die schriftliche Tora von Bereschit bis Devarim, von Genesis bis Deuteronomium. Diese fünf Bücher der Tora interpretieren sie einerseits als Rechtskorpus und andererseits als Torarolle: Als Rechtskorpus stellen sie die theoretische Grundlage für die Gestaltung des Zusammenlebens eines Volkes dar. Der Text der Tora ist eine Konzentration auf Rechtssätze und formale Beschreibungen kultischer Vorgänge, die in einen Erzählbogen eingebunden sind. Dieses Rechtskorpus wird in seiner letzten Begründung als heiliger Text verstanden, er muss aber immer wieder auf die Gegenwart hin aktualisiert werden. Diese Transformation vollzieht die mündliche Tora, die in ihrer Rückbezogenheit auf die schriftliche Tora nicht von dieser getrennt werden kann. Sie rückt aber erst für ältere Schüler:innen bzw. Studierende in den Fokus der Toradidaktik. Als Torarolle ist die Tora praktischer und sakraler Mittelpunkt des Synagogengottesdienstes und des Judentums. Dies wird zum Beispiel durch die zentrale architektonische Anordnung der Synagoge um die Torarolle, ihr zyklisches Lesen der Wochenabschnitte, der Paraschot, im Gottesdienst und den Stellenwert des Toralesung bei der Batbzw. Bar-Mizwa als Eintritt in die religiöse Mündigkeit deutlich. Um deutschsprachigen Kindern einen Einstieg in das zyklische Lesen der Tora ohne Hebräischkenntnisse zu ermöglichen, haben Liss/Landthaler die Tora als
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Kapitel 10: Systematisierung: Jüdische Toradidaktik
Kindertora ins Deutsche übertragen. Sie übersetzen darin schon für Kinder ab dem fünften Lebensjahr auch die Rechtssätze des Buches Wajikra, damit auch sie bereits in das zyklische Lesen der ganzen Tora in den Paraschot als Hörende der Texte integriert werden können. Ihre Toradidaktik zielt also darauf ab, dass schon kleine Kinder damit beginnen, die ganze Tora zu lesen. Liss’ und Landthalers Toraverständnis legt also einen Schwerpunkt auf die schriftliche Tora mit ihren fünf Büchern.
10.2 Toradidaktik ist nicht gleich Toradidaktik 10.2 Toradidaktik ist nicht gleich Toradidaktik
Die fünf toradidaktischen Zugänge unterscheiden sich wie schon ihr Toraverständnis. Nachfolgend habe ich den fünf Konzeptionen je einen für sie charakteristischen Begriff zugeordnet, anhand dessen sie skizziert werden: Beziehungsweisen für Nehama Leibowitz, Jüdische Paideia für Zvi Adar, Ambivalenz für Barry W. Holtz, Sozialisation für Daniel Krochmalnik und (Vor-)Lesen für Hanna Liss/Bruno Landthaler. Diese Begriffe sollen Charakteristika beschreiben und hervorheben, aber nicht ausschließend verstanden werden. So kann zum Beispiel für die Toradidaktik von Liss/Landthaler auch der Begriff der Ambivalenz eine zentrale Rolle spielen oder das Lesen und die intellektuelle Auseinandersetzung der jüdischen Paideia für die Toradidaktik von Nehama Leibowitz. 10.2.1 Nehama Leibowitz: Beziehungsweisen Die Toradidaktik von Nehama Leibowitz kann durch den Begriff der Beziehungsweisen gekennzeichnet werden. Als primäres Ziel ihrer Toradidaktik formuliert sie eine persönliche Beziehung zwischen den Schüler:innen und der Tora: Zunächst sollen sie mit ihr in Berührung kommen, dann aber auch in ein wechselseitiges Verhältnis zu ihr treten und schließlich eine Zugehörigkeit zur Tora und zur Auslegungsgemeinschaft entwickeln. Als höchstes Ziel bezeichnet Leibowitz dann eine Art Liebesbeziehung zur Tora und zu ihrem Studium, auf die das Tun ihrer Gebote folgt. Die Beziehungsweisen ihrer Toradidaktik umfassen aber nicht nur die Beziehung von Schüler:innen zur Tora, sondern stellen die Toralernenden mit der mündlichen Tora in ein Beziehungsnetz von Torastudierenden über die Generationen hinweg. Toralernen findet in Gemeinschaft, in Solidarität, in Bezug zur und auf dem Fundament der Tradition statt. Dies wird schon deutlich an dem Aufbau einer Talmudseite, auf der die unterschiedlichen, sich teilweise auch widersprechenden Auslegungen zu einem Text in konzentrischen Kreisen um den auszulegenden Text gruppiert sind. Der Schlüssel zum auffallenden Erfolg und zu der Reichweite der Toradidaktik von Nehama Leibowitz liegt meines Erachtens darin, dass sie zu jedem Schüler und zu jeder Schülerin, oft durch brieflichen Austausch über Toratexte, eine
10.2 Toradidaktik ist nicht gleich Toradidaktik
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Beziehung aufgebaut, ihnen individuell auf ihre Fragen und Antworten geschrieben hat. In ihrer Toradidaktik vollzieht sich Subjektorientierung durch Beziehung. Sie hat in Beziehung zu ihren Schüler:innen geredet, gedacht und unterrichtet und lebte gleichzeitig selbst eine innige Beziehung zur Tora und zu deren Studium. Ihre Toradidaktik stellt eine Wechselbeziehung zwischen ihr und ihren Schüler:innen dar – sie sind beide, und darin sind sie egalitär, permanente Toralernende. Eine ideale Lehrkraft ist nach Nehama Leibowitz die ideale Toraschüler:in. Darüber hinaus soll sie den Lernprozess der Schüler:innen als Pädagog:in und Moderator:in begleiten. Die Toralernenden haben beim Torastudium idealerweise die folgenden Eigenschaften: Sie sind aktiv und selbstständig im Denken, das heißt, sie fragen kritisch und lesen akribisch. Das Medium der Beziehung ist die Kommunikation über die Tora zwischen den verschiedenen Beziehungsweisen. Es ist zum einen die synchrone Kommunikation unter Anwesenden, also unter Lehrenden und Lernenden, aber auch zum anderen die diachrone Kommunikation unter anwesenden Abwesenden und Anwesenden, also zwischen den Generationen der Torastudierenden und -lesenden, der mündlichen Tora, und den leiblich Anwesenden, die in diesem Kommunikationsfluss sozialisiert und in ihn integriert werden. Wenn die Kommunikation das zentrale Medium der Toradidaktik ist, dann ist es auch nur folgerichtig, dass das Reden, Fragen, Antworten und Lesen ihre zentralen Methoden sind. 10.2.2 Zvi Adar: Jüdische Paideia Der schillernde Begriff der jüdischen Paideia kennzeichnet das Konzept der säkularen Toradidaktik von Zvi Adar. Ihm geht es um einen intellektuellen Zugang zur Tora. Der Begriff der jüdischen Paideia verbindet das humanistische Bildungsideal mit der jüdischen Kultur und Geschichte. Es geht Adar auf der einen Seite um eine humanistische Lesart des Tanach und auf der anderen um eine jüdische Füllung und Prägung des griechischen Konzeptes der Paideia. Der Begriff umfasst sowohl den Vorgang der Erziehung, also in diesem Falle den Tanachunterricht, als auch das Ergebnis dieses Unterrichts: das Gebildetsein, das selbstständige Denken des Menschen. Das Wesen der Erziehung gipfelt für Adar in der Weitergabe der Kultur an die nächste Generation. Dieser Vorgang ist zirkulär, da die jüdische Kultur wiederum auf Erziehung ziele. Kultur und Erziehung gehen also in dem Begriff der Paideia eine Symbiose ein. Die Tora spielt hierbei eine zentrale Rolle: Adar schlägt vor, den Tanach selbst als Paideia zu benutzen; hierfür entwirft er die fünf Wege der biblischen Paideia: den historisch-narrativen, den prophetischen, den gesetzlichen, den poetischen und den weisheitlichen. Diesen fünf Wegen, die sich an den Literaturformen der biblischen Texte orientieren, wohnt je eine eigene Didaktik inne, da sie mit dem Ziel der Paideia, der Bildung und Erziehung, verfasst und kanonisiert wurden. Die Tora ist in der Konzeption
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von Adar Erziehung durch Literatur. Methodisch werden sie am besten durch das zyklische Lesen der Texte, eine exakte Analyse und eine freie Diskussion erfasst. Adars toradidaktisches Konzept der Paideia strebt einen Zugang zum Tanach für säkulare, moderne Israelis an. Sie sind das Telos der Paideia, sie sollen umfassend im Sinne des Humanismus gebildet werden. Den Weg zu dieser Bildung stellt Adar zufolge der Tanachunterricht dar. In der und durch die Paideia wird die Begegnung zwischen den Lesenden und dem Text ermöglicht. Das Tanachstudium soll die Lesenden in ihrem Denken prägen, herausfordern, formen und sie in ihrer Lebensgestaltung unterstützen und anregen. Das Studium des Tanach und damit auch die Toradidaktik sollen dem Leben dienen. Die moderne Lehrkraft begleitet diesen Prozess, indem sie als Übersetzer:in des Tanach in die moderne Welt fungiert. Gleichzeitig soll sie selbst dem humanistischen Bildungsideal der Paideia entsprechen: So soll sie wissenschaftsaffin und sich ihrer eigenen Fehlbarkeit bewusst sein und den Tanach immer wieder infrage stellen und kritisch lesen. Die Positionalität der Lehrkraft, also ob sie an den Tanach als göttliche Offenbarung glaubt und selbst toraobservant lebt oder nicht, ist dafür in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung. 10.2.3 Barry W. Holtz: Ambivalenz Die toradidaktische Konzeption von Barry W. Holtz kann unter dem Begriff der Ambivalenz zusammengefasst werden. Der Begriff wird hier im wörtlichen Sinne verstanden: Bei Holtz’ Toradidaktik handelt es sich um eine, die beide (lat. ambo) gelten (lat. valere) lässt. Holtz geht es um plurale Zugänge zur Tora, von persönlich bis intellektuell. Sie ist eine pluralistische Toradidaktik, die sowohl den Pädagoginnen und Pädagogen als auch den Rezipierenden sowie auch den biblischen Texten selbst das Ambivalente, das Zweifache, das Nebeneinanderstehen verschiedener Interpretationen, Verständnisse und Hermeneutiken, aber auch Zugänge und Didaktiken nicht nur zumutet und zutraut, sondern daraus produktiv für das Bildungsgeschehen zu schöpfen sucht. Die Ambivalenz der Moderne zwischen Tradition und Säkularisierung, die vom Pluralismus geprägt ist, ist der hermeneutische Rahmen der Konzeption. Anders als die Konzeptionen von Leibowitz und Adar ist die primäre Zielgruppe der Toradidaktik von Holtz nicht in der mehrheitlich jüdisch geprägten und hebräischsprachig aufwachsenden Gesellschaft in Israel, sondern in Nordamerika, also in der Situation der Minorität in der jüdischen Diaspora, in der Hebräisch als Fremdsprache erlernt werden muss, und dem Pluralismus an unterschiedlichen Lebenskontexten und -konzepten, verortet. Die Ambivalenz als prägendes Moment von Holtz’ Toradidaktik tritt besonders in seinem Verständnis der Tora zutage: Sie ist zugleich Literatur und ein heiliges Buch, in dem den Lesenden und Lernenden die Wahrheit begegnen kann. Ihre
10.2 Toradidaktik ist nicht gleich Toradidaktik
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Lektüre ist einerseits eine individuelle, die sich die Tora als Teil der individuellen jüdischen Identität aneignet und persönlich zu den Lesenden und Lernenden spricht; andererseits bedeutet sie aber auch gleichzeitig kollektive Erinnerung und historische Lektüre, die die Lernenden und Lehrenden in die Tradition und Geschichte des jüdischen Volkes stellt. Die Tora verkörpert insofern ein Buch sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart. Die Schüler:innen, die Holtz in seiner Toradidaktik und für sie vor Augen hat, sind Teil des modernen Nordamerikas und leben damit in einer pluralen und ambivalenten Gesellschaft, im Spannungsfeld von säkular und religiös, von Tradition und Moderne. Sie sind religiös autonome Individuen, die Wahlfreiheit in religiösen Fragestellungen besitzen. Dem steht der ethische Anspruch der Tora gegenüber, der zum Tun der Gebote einlädt und in die religiöse Forderung der Toraobservanz mündet. In dieser von Ambivalenzen und Oppositionen geprägten Lernsituation kommt den Lehrenden eine Schlüsselrolle in der Vermittlung der Tora zu. Als Orientierung bekommen sie dabei von Holtz nicht einen toradidaktischen Entwurf zur Seite gestellt, sondern eine Vielzahl von gleichzeitig geltenden Zugängen zu und Orientierungen in der Tora, aus der sie wiederum die jeweils zum Text und zur Lernsituation passenden wählen müssen. Das Ziel der Toradidaktik ist die Unterstützung und Hilfestellung für Jüd:innen, ihre jüdische Identität in einer modernen, säkularen, pluralen und von Ambivalenz geprägten Gesellschaft mithilfe der Lektüre der Tora zu entwickeln und zu entdecken und sich letzten Endes per se dafür zu entscheiden, diese zu leben. 10.2.4 Daniel Krochmalnik: Sozialisation Daniel Krochmalniks toradidaktischer Entwurf kann mit dem Begriff der Sozialisation charakterisiert werden. Seine Toradidaktik zielt darauf, die nächste Generation in die Gemeinschaft der Toralernenden zu sozialisieren und sie vertraut zu machen mit dem Baum des Lebens als schriftlicher und dem Garten der Schrift als mündlicher Tora. Der Zugang der Schüler:innen zur Tora ist für ihn ein lernender, und dies gilt für ihn lebenslang: So sind Lernende und Lehrende beide lebenslang Toralernende. Zur Charakterisierung dieses Lernweges verwendet er den Lernbuchstaben Lamed des hebräischen Alphabets. Seine drei Schreibrichtungen interpretiert er als drei Lernwege: Es beginnt mit der senkrechten Linie von oben nach unten, die verbunden ist mit der hierarchischen Wissensvermittlung der Tora und dem Lehren der Tora. Das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden kann als autoritär gekennzeichnet werden. Um in die Lerngemeinschaft der Tora inkludiert werden zu können, müssen die Lernenden über Wissen über die schriftliche und die mündliche Tora verfügen, das die Basis für die Diskussion, den Dialog und sogar den Streit über die Tora darstellt. Die Lehrenden haben in dieser Lerndimension des Lamed die Funktion der Wissensvermittelnden inne. Ihnen fällt aber zudem
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die Rolle gegenüber den Lernenden zu, die angemessenen Lernmengen der Tora zur Verfügung zu stellen. Lehren heißt dann nicht nur, dass hierarchisch top down Wissen vermittelt wird, sondern auch, um im Bild des Buchstabens Lamed zu bleiben, dass sich die Lehrenden auf die Senkrechte zum Lernenden begeben, sich den Lernenden je individuell zuwenden müssen. Die zweite Linie des Lernbuchstabens Lamed verläuft horizontal und steht für den egalitären Dialog über die Tora. Die Lehrenden fungieren auf dieser Ebene als Dialog- und Diskussionspartner:innen. Das gelehrte Streitgespräch über die Tora ist das Herzstück von Krochmalniks Toradidaktik, da die Tora nur im Dual gelesen werden kann und soll. Als letzte Lernrichtung beschreibt Krochmalnik mit dem Buchstaben Lamed die Diagonale und versteht darunter die Weitergabe des Gelernten in der und durch die Tradition. Die Schräge der Diagonale versinnbildlicht dabei die Brechung der Tradition von Generation zu Generation und steht darin für ihre kritische Verarbeitung. Bei diesem dritten Lernschritt sind Pädagog:innen besonders gefordert: Er zielt auf eine Sozialisation der Lernenden in die jüdische Fragekultur, die Lehrenden sind hier gleichsam Sozialisationsbegleiter:innen. Der Lernweg der Tora und darin auch Krochmalniks Toradidaktik ist, dem Lamed gleich, kein gradliniger, sondern eine Lamed-Lernkurve, da Lernen sich immer in Umwegen vollziehe. Die Methoden dieser Toradidaktik sind das akribische Lesen und konsequente Infragestellen der Texte der jüdischen Tradition. Die Sozialisation der Lernenden in die jüdische Lerngemeinschaft zielt auf eine Selbstvergewisserung der jüdischen Identität, sowohl kollektiv als auch individuell. 10.2.5 Hanna Liss/Bruno Landthaler: (Vor-)Lesen Die Toradidaktik von Hanna Liss/Bruno Landthaler mag durch die Vignette des (Vor-)Lesens zusammenfassend bezeichnet werden. Die Toralernenden stellen eine Lese- und Hörgemeinschaft dar. Primär behandeln Liss/Landthaler innerhalb ihrer Toradidaktik die fünf Bücher der schriftlichen Tora von Bereschit bis Devarim. Mit der Übertragung der Tora ins Deutsche für Kinder ab fünf Jahren haben sie die Voraussetzung und das Fundament für das (Vor-) Lesen der Tora für deutschsprachige Kinder geschaffen. Dabei sparen sie sperrige und fremd anmutende Teile nicht aus, sondern sogar das Buch Levitikus wird in seiner ganzen Länge übertragen. Die Methode ihrer Toradidaktik stellt das zyklische Lesen der Tora gemäß dem Wochenabschnitt, der Parashat haShavua, der Synagogenlesung dar. Damit lesen bzw. hören Kinder die Texte der Tora im Jahresrhythmus immer wieder, sodass sie ihnen mit der Zeit vertraut werden und in jeweils unterschiedliche Lebenssituationen hineinwirken. Die lehrende Person ist insbesondere für Kinder bis zwölf Jahre die Vorleser:in der Tora und darin die Begleiter:in in die Lesegemeinschaft der Tora. Die Lernenden sind zunächst Hörende der Texte und wachsen dann langsam selbst zu Lesenden heran. Im Umgang mit den Texten sollen sie aber autonome
10.3 Unterschiede jüdischer Toradidaktik
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Subjekte und aktive Rezipierende der Tora in der Gegenwart sein. Landthaler proklamiert die Wende von der Objekt- zur Subjektorientierung der Schüler:innen in der jüdischen Religionspädagogik. Das Hören und Lesen der Texte der Tora kann dabei für die Lernenden, die ihre jüdische Identität als Minderheit in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft und angesichts einer säkularen religionskritischen Umwelt entwickeln, ein Identifikationsmoment darstellen, da viele Texte der Tora ebenfalls eine gesellschaftliche Minderheiten- und Marginalisierungserfahrung verarbeiten. Die Kinder und Jugendlichen sind mit ihrer Biografie und ihrer Identitätssuche als Teil einer jüdischen Minderheit in einer nichtjüdischen Mehrheit nicht allein, sondern stehen in einer langen Traditionskette. Die Auseinandersetzung kann den lernenden Subjekten also helfen, sprachfähig zu werden, die eigenen Identitätsfacetten zu erkunden und schließlich eine Position in der säkularen Gesellschaft zu finden.
10.3 Unterschiede jüdischer Toradidaktik 10.3 Unterschiede jüdischer Toradidaktik
Die Divergenzen in den toradidaktischen Konzeptionen werden meines Erachtens besonders in den differierenden Zugängen zur und dem kontrastreichen Verständnis der Tora, sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der materiellen Ebene, deutlich. Diese wiederum stellen eine Konsequenz aus unterschiedlichen Verständnissen des Judentums dar. Vergleicht man die Konzeptionen anhand der sie systematisierenden und typisierenden Begriffe der Beziehungsweisen, der Paideia, der Ambivalenz, der Sozialisation und des (Vor-)Lesens, dann ist das entscheidende und sie unterscheidende Merkmal der differierende Zugang zur Tora: Nehama Leibowitz’ Toradidaktik zielt, wie es bei einem religiösen Verständnis der Tora als heiligem Buch nicht überrascht, auf einen primär, wenn auch nicht ausschließlich persönlichen Zugang zur Tora. Zvi Adar geht es dagegen, vor dem Hintergrund des säkularen Judentums durchaus schlüssig, zumeist um einen intellektuellen Zugang zur Tora; die persönliche Einstellung zum Beispiel der Lehrkraft zur Tora ist für ihn und seine Didaktik irrelevant. Barry W. Holtz favorisiert nicht einen, sondern viele und damit einen pluralen Zugang zur Tora. Krochmalnik betont dagegen angesichts der Metapher der schriftlichen Tora als Baum des Lebens im Garten der Schrift der mündlichen Tora den lernenden Zugang zu diesem Reichtum an Traditionsliteratur. Und Liss/Landthaler legen schließlich bei ihrem Verständnis der Tora als Rechtskorpus und als sakralen Gegenstands den Fokus auf das (Vor-)Lesen, das im Lernen der Tora in der Schule wie im Hören und Lesen der Tora in der Synagoge zentral ist. Diese unterschiedlichen Aspekte spiegeln auch ihr Verständnis des Judentums als Religion oder Kultur oder als eines Konglomerats von Tradition und Moderne wider. Deutlich werden diese Differenzen auch in der kontrovers beantworteten Frage, welchen Transzendenzbezug die Tora besitzt. Hierbei stehen sich zwei Optionen
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diametral gegenüber: In dem einen Fall ist die Tora ein heiliges Buch, eine Offenbarung Gottes, besitzt schon an sich Dignität und verdient darin einen Vertrauensvorschuss. Im anderen Fall stellt die Tora von Menschen verfasste Weltliteratur mit ethischem Anspruch dar. Diesen Stellenwert muss sie für jede Generation neu aus sich heraus beweisen. Die Tora steht damit immer wieder auf dem Prüfstand. Neben diesem kontrastreichen Metaverständnis der Tora differiert auch das materiale Toraverständnis, also der den Konzeptionen jeweils zugrunde gelegte Textumfang der Tora und damit das Material der jeweiligen Didaktik: Zwar spielen in allen fünf Konzeptionen die fünf Bücher Mose eine zentrale Rolle, und alle sechs Autor:innen lesen und interpretieren die Tora im Kontext des Tanach, jedoch haben für Nehama Leibowitz die Chumasch mehr Dignität im Verhältnis zum Rest des Tanach. Die Tora ist die Richtschnur und das Zentrum ihrer Toradidaktik. Gleichzeitig studiert und unterrichtet sie Tora aber im Kontext der rabbinischen Tradition, also im Wechselspiel von schriftlicher und mündlicher Tora. Für Zvi Adar spielt die mündliche Tora dagegen eine marginalisierte Rolle. Sein Fokus liegt auf dem Text und Kanon der Hebräischen Bibel. Diese unterteilt er in verschiedene Textsorten und strukturiert seine Didaktik anhand dieses literaturwissenschaftlichen Unterscheidungsmoments. Sein Referenzrahmen dafür sind der Tanach und die jüdische Kultur und Geschichte. Der Fokus bei Barry W. Holtz liegt ebenfalls auf der schriftlichen Tora und der Hebräischen Bibel; die mündliche Tora fungiert bei ihm als hermeneutischer Interpretationsrahmen und als Interpretationshilfe der Transformation der Tora in die jeweilige Gegenwart. Für Daniel Krochmalnik bilden schriftliche und mündliche Tora eine Einheit, und das Lernen der Tora beinhaltet immer beides. Schließlich legen Hanna Liss/ Bruno Landthaler den Fokus zunächst für Kinder und Jugendliche auf das zyklische Hören und Lesen der Tora als Torarolle, also als Chumasch. Das Toraverständnis wird bei ihnen in konzentrischen Kreisen mit Erreichen der Adoleszenz auf die Traditionsliteratur ausgeweitet. Obschon damit sowohl die Textbasis als auch der jeweilige Zugang zur und das Verständnis von der Tora der fünf Konzeptionen divergent erscheinen, verzeichnen sie auch auffällige und teilweise überraschende Analogien.
10.4 Gemeinsamkeiten jüdischer Toradidaktik 10.4 Gemeinsamkeiten jüdischer Toradidaktik
Die Korrespondenzen der unterschiedlichen toradidaktischen Entwürfe treten am stärksten in der hohen Wertschätzung, die die Tora erfährt, und der daraus resultierenden Zentralstellung des Textes bzw. Gegenstandes in der Didaktik zutage. Zudem sind viele Entsprechungen in der Hermeneutik und der charakteristischen Bedeutung des Tuns für die Tora festzustellen. Die erste und augenscheinlichste Analogie der fünf Toradidaktiken ist die exzeptionelle Stellung der Tora als zentraler Teil, als Fundament oder
10.4 Gemeinsamkeiten jüdischer Toradidaktik
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Ausgangspunkt der jüdischen Identitäten. Ob sie als heiliges Buch oder als herausragende Literatur gelesen wird, die Tora ist das Zentrum und das Telos der didaktischen Überlegungen: Sie soll bekannt gemacht, vermittelt, weitergegeben, gelesen, studiert und getan, zu ihrem Studium soll begeistert werden. Für dieses Ziel verwenden die jüdischen Toradidaktiken quer durch alle Denominationen des Judentums drei zentrale Funktionen: die inspirierende, die tradierende und die instruierende. Für all diese Funktionen sind Wissen und Kenntnisse über die Tora eine Voraussetzung und gleichzeitig ein Ziel der Vermittlung. Die erste will zum permanenten Studium der Tora, zur intellektuellen Auseinandersetzung und zu existenziellen Fragen inspirieren. Die zweite stellt die Sozialisation in die über Jahrhunderte andauernde Gemeinschaft der Torastudierenden in den Fokus: Die Tora wird in einer langen Kette der Generationen je an die nächste Generation tradiert. Die dritte fragt nach den instruierenden Konsequenzen dieses Studiums für die individuelle Lebensführung: Das Lernen der Tora führt zum Tun und zur ethischen Auseinandersetzung. Diese Funktionen bauen aber nicht linear aufeinander auf, sondern vollziehen sich in kreisenden Lernbewegungen. Aus diesen folgt ein exzeptioneller Stellenwert des Textes in den didaktischen Konzeptionen. Obschon die Interpretationen und das Verständnis der Tora in allen fünf toradidaktischen Konzeptionen differieren, so kongruieren sie in ihrer Zentralstellung des Textes bzw. der Tora in ihren jeweiligen didaktischen Konzeptionen. Dem Text, seiner Didaktik, seiner Vermittlung, seinen Bedürfnissen wird die meiste Aufmerksamkeit gewidmet. Die Tora, ihr Studium und ihre Tradierung an die nächste Generation stehen im Zentrum der Überlegungen. Sie trauen der Tora als Lerngegenstand viel zu und geben ihr trotz ihrer Abständigkeit und Sperrigkeit einen signifikanten Platz in der Erziehung, Bildung und Ausbildung und der Weitergabe der jüdischen Tradition. Das Studium der Tora ist, so die Überzeugung der Didaktiker:innen, für die Bildung, Entwicklung und Festigung einer jüdischen Identität zentral; deswegen steht die Tora im Mittelpunkt ihres didaktischen Nachdenkens. Die Kehrseite dieser Schwerpunktsetzung ist offensichtlich: Die Lernenden treten als Subjekte in den Hintergrund, sie erfahren viel weniger – an dieser Stelle muss kritisch angemerkt werden: zu wenig – didaktische Aufmerksamkeit: Sie fungieren eher als Objekte und weniger als Subjekte der Bibeldidaktik. Neben diesem Textfokus korrespondieren die in den jeweiligen Toradidaktiken verwendeten Hermeneutiken untereinander. Diese folgen dem Grundsatz, dass jeder auch noch so kleine Aspekt des Textes wichtig ist, auch die nicht erzählten Details. Die Tora ist ein omnisignifikanter, ein polyvalenter und ein ambiger Lerngegenstand. Dahinter steht die Überzeugung, dass, so Holtz im Gefolge der rabbinischen Tradition, die Tora auf jede Frage eine Antwort hat; dass sie, so Leibowitz, heilig bis in jeden einzelnen Buchstaben ist, oder dass sie, so Adar, exzeptionelle Literatur ist, die exakte Analyse verlangt. Es ist also deutlich, dass, obschon die Begründungen variieren, die Wertschätzung der
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Kapitel 10: Systematisierung: Jüdische Toradidaktik
akribischen Lektüre der Tora davon aber in keiner Weise beeinflusst wird. Dieser Notwendigkeit der exakten Lektüre folgt die logische Konsequenz des Studiums der Tora, was in der jüdischen Tradition immer auch eine Aktualisierung der Tora in der Gegenwart auf die Zukunft hin bedeutet. Darin wird das offene Ende der Tora zum Programm: Die Tora ist nicht abgeschlossen, solange sie gelesen und studiert wird. Ebenso ist den Konzeptionen gemeinsam, dass die Tora zum Tun von Gerechtigkeit führen soll, auch wenn diese mit Toraobservanz (bei Leibowitz), mit der Konsequenz des Tuns als logischer Folge des Torastudiums (bei Holtz) und mit Tora als Gerechtigkeit in Aktion (bei Adar) sehr unterschiedlich ausgedrückt und begründet wird.
10.5 Allgemeine Charakteristika jüdischer Toradidaktik 10.5 Allgemeine Charakteristika jüdischer Toradidaktik
Ausgangs- und Fluchtpunkt der verschiedenen jüdischen Toradidaktiken ist und bleibt die Tora. Jüdische Toradidaktik ist Didaktik der Tora im wortwörtlichen Sinne, das heißt, sie nimmt die Tora als Eröffnung bzw. erstes Wort und damit als Fundament alles Folgenden ernst. Sie stellt die Tora, obschon sie sperrig im Sinne von störrisch, unangepasst, eigensinnig und wuchtig ist, in das Zentrum ihrer Überlegungen. Der Tora wird von säkular bis orthodox, von Erez Israel bis in die Diaspora eine besondere Dignität zugeschrieben. Sie stellt das Zentrum von jüdischen Identitäten bzw. des jüdischen Glaubens dar und soll dementsprechend studiert und unterrichtet werden. Das Primat der Tora als Lerngegenstand ist das Vorzeichen aller jüdischen Toradidaktik. Aus ihr ergeben sich alle anderen Elemente. Die allgemeinen Charakteristika jüdischer Toradidaktik bündele ich in den drei Modi und Funktionen, die die jüdische Toradidaktik meines Erachtens ausmachen: dem Lesen in seiner inspirierenden Funktion, dem Fragen in seiner tradierenden Funktion und dem Tun aus der instruierenden Funktion des Toralernens. Diese Signifikanz der Tora prägt die Toradidaktik qualitativ und in ihren Modi. Drei Merkmale des jüdischen Toraverständnisses zeichnen die jüdische Toradidaktik qualitativ primär aus: 1) Omnisignifikanz Innerhalb einer Didaktik der Tora verdient jedes kleine Detail der Tora Aufmerksamkeit, ist entscheidend und drückt etwas Eigenes aus. Nichts in der Tora ist zufällig. Das heißt, auf der einen Seite muss die Tora bis ins kleinste Detail verständlich und begreifbar sein und dementsprechend analysiert werden, auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch, dass jedes Detail es verdient, unterrichtet und studiert zu werden. Im Vordergrund steht dabei häufig der sogenannte „Endtext“ der Tora und nicht die verschiedenen historischen Entstehungsstufen, obwohl der sogenannte Endtext im Sinne der Omni-
10.5 Allgemeine Charakteristika jüdischer Toradidaktik
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signifikanz eher als Ausgangstext verstanden werden kann. Die Tora ist eine eigenständige Größe, ein durchkomponiertes Ganzes, welches durch Leitbegriffe, Bilder, Wort- und Klangverbindungen zusammengehalten wird. Diese Omnisignifikanz wird in der Toradidaktik konsequent ernst genommen. 2) Ambiguität Jüdische Toradidaktik ist auf ganz unterschiedlichen Ebenen eine Didaktik der Ambiguität. Zum einen besticht das Toraverständnis innerhalb der toradidaktischen Konzeptionen durch seine Vielfalt, von säkular bis orthodox, und seinen Spannungsreichtum. Zum Zweiten sind die Zugänge zur Tora von persönlich über intellektuell und plural bis lernend und hörend differenziert. Zum Dritten muss sich die Toradidaktik in der Ambivalenz zwischen Tradition und Moderne und zwischen Majorität und Minorität verorten: Die damit einhergehenden Konflikte, Spannungen und Streitpunkte müssen verhandelt werden. Schließlich stellt die Tora selbst einen ambigen Lerngegenstand dar, der von Ambivalenz und Mehrdeutigkeit geprägt ist und in sich selbst ambivalente Erzählungen vereint. 3) Programmatische Offenheit Die Gebotstexte sind in der Tora in einen Erzählbogen eingebunden: von der Entstehung der Welt über die Erzelterngeschichten, den Exodus und die Wüstenwanderung bis an den Rand des gelobten Landes. Dieser Erzählbogen ist nicht abgeschlossen, sondern hat ein offenes Ende. Die jüdische Toradidaktik nimmt das offene Ende der Tora systematisch ernst: in der religiösen Perspektive durch die mündliche Tora, die eine ständige Aktualisierung und Transformation der Tora auf die Gegenwart erfordert. Das heißt, die Tora muss immer wieder, jeden Tag neu, in die jeweilige Gegenwart übersetzt und übertragen werden. Sie ist offen für die Situation der Lernenden. Sie ist auf Veränderung angewiesen. Die Tora ist nicht abgeschlossen und fertig, sondern vorwärts- und zukunftsorientiert, aber nicht als Vergangenheits- und Traditionsbezug, sondern das Erinnern verortet diese Zukunft. Aus diesen drei Merkmalen der jüdischen Toradidaktik ergeben sich drei charakteristische Modi der Didaktik, mit denen drei Funktionen einhergehen: Lesen als inspirierende Funktion Im Zentrum aller verschiedenen jüdischen Toradidaktiken steht das Lesen der Tora in seiner inspirierenden Funktion, ob als intellektuell stimulierend oder als existenziell anregend. Dieses Lesen ist nicht nur eine zentrale Methode zur Erschließung der Tora, sondern ein signifikanter Teil der Didaktik. Es geht dabei um ein akribisches und zyklisches Lesen. Akribisch ist es, weil es das Detail nicht scheut, sondern – und hier erinnert es an die Methode des close
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reading – jedes noch so kleine Detail ernst nimmt und interpretiert. Es ist zyklisch, da die Tora, wie bei Leibowitz oder Liss/Landthaler, im Jahresrhythmus der Synagoge jedes Jahr wieder gelesen wird oder, wie von Adar gefordert, sich die Texte im Lehrplan wiederholen sollen, sodass sie zu vertrauten Weggefährten werden, die immer wieder neu und anders kennengelernt und entdeckt werden können. Fragen als tradierende Funktion Der zweite wesentliche didaktische Modus, welcher sich durch alle jüdischen Konzeptionen zieht, ist die hohe Wertschätzung der Frage. Jüdische Toradidaktik sozialisiert in eine Fragetradition und lehrt sie. Darin ist sie eine rogative Didaktik. Das Fragenstellen ist der Schlüssel zum Textverständnis der Tora. Nur durch die Sozialisation in diese Kultur- und Religionspraxis der Fragen treten die Toralernenden in den egalitären Dialog sowohl synchron mit den anderen Lernenden und der Lehrkraft als auch diachron mit den Generationen vor ihnen, die schon Tora studiert haben, angefangen bei den Rabbinen bis zu säkularen Jüd:innen. Mit dem Einüben des Fragens reihen sich die Toralernenden in eine lange Generationenkette der Lerngemeinschaft der Tora ein. Dadurch wiederum findet die Tradierung, die Weitergabe der Tora an die nächsten Generationen, statt. Toradidaktik zielt auf eine Sozialisation in die Frage- und Streitkultur, wobei die Frage als solche einen höheren Stellenwert besitzt als die Antwort. Ist Akribie der Maßstab für das Lesen der Tora, dann Fantasie derjenige für das An- und Be-fragen der Tora.2 Jüdische Toradidaktik kann deshalb nur als kommunikative Didaktik gedacht werden.3 Tun als instruierende Funktion Das Tun komplementiert das Lesen und das Fragen als entscheidende methodisch-didaktische Elemente. Jüdische Toradidaktik, ob konservativ, modernorthodox oder säkular, zielt auf das Tun, stellt die Frage nach Gerechtigkeit und ist damit eine ethische Didaktik. Die instruierende Funktion der Tora will zu diesem Tun anregen. Dieses Ziel wird schon in den Geboten, Gesetzen oder Lebensregeln als große Textbasis, im Verständnis der Tora als Rechtstext, in der Interpretation der Gebote als Gerechtigkeit in Aktion oder in dem Ziel und Wunsch, dass das Torastudium in die Toraobservanz münden solle, deutlich. Die Tora hat als Subjekt nicht das Individuum, sondern die Gemeinschaft und das Zusammenleben des Volkes Israel im Fokus. Jüdische Toradidaktik stellt deshalb immer die Frage nach der Konkretion, nach dem Tun. 2
Vgl. dazu DEEG, Phantasie und Akribie. Für die rabbinischen Texte hat Peter Höffken den Ansatz der kommunikativen Didaktik herausgearbeitet. Vgl. PETER HÖFFKEN, Elemente kommunikativer Didaktik in frühjüdischer und rabbinischer Literatur (RPBE 1), Essen 1986. 3
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10.6 Tabellarische Zusammenfassung
10.6 Tabellarische Zusammenfassung 10.6 Tabellarische Zusammenfassung
LEIBOWITZ
ADAR
HOLTZ
KROCHMALNIK
ModernStröorthodoxes mung Judentum des Judentums
Definition der Tora
Lehrende
Lernende
Lebenswelt
LISS/LANDTHALER
Säkulares Judentum
Konservatives ModernJudentum orthodoxes Judentum
Konservatives Judentum
Rabbinisches Toraverständnis aus schriftlicher und mündlicher Tora; Offenbarung Gottes; Chumasch (fünf Bücher Mose)
(Erziehungsund Welt-) Literatur; Fundament der jüdischen Ethik; Kultur und Identität; Teil des Tanach
Historisches und literarisches Buch; Wahrheit und Offenbarung; Transformation
Permanente Toralernende; Moderator:in; Pädagog:in
WissenProfession; schaftsaffin; Vorbild Übersetzer:in des Tanach in die moderne Welt; religiös neutral
Permanente Toralernende: lesend, fragend, aktiv und selbstständig
Nichtreligiöse, moderne Israelis
Jüd:innen in der Diaspora; Teil der modernen, säkularen Gesellschaft und der jüdischen Community; autonome Individuen
Fragende; Teil der Gemeinschaft der Toralernenden
Autonome Subjekte und Rezipient:innen der Tora; Hörende; Minderheit in der deutschen Gesellschaft
Erez Israel: jüdisch, religiös, zionistisch, israelisch, hebräischsprachig
Jüdischer Staat Israel: national, zionistisch, militärisch, säkular, modern
Diasporasituation: modern, plural, säkular; Diskrepanz dieser Situation zu jüdischer Identität und Lebensführung
Diasporasituation in Deutschland, Hebräisch als Fremdsprache
(Christliche) Mehrheitsgesellschaft in Deutschland; säkulare, religionskritische Umwelt
Als Rechtskorpus: theoretisches und geistiges Zentrum des Judentums; als Torarolle: praktischer und sakraler Mittelpunkt des Judentums; Chumasch Wissensver(Vor-)Leser:in mittler:in; der Tora; DialogpartBegleiter:in in ner:in; Soziali- die Lesesationsgemeinschaft begleiter:in; permanente Toralernende
Baum des Lebens; Wechselspiel von schriftlicher und mündlicher Tora
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Kapitel 10: Systematisierung: Jüdische Toradidaktik
LEIBOWITZ Begriff Zugang zur Tora
Methoden
Ziele
Beziehungsweise Persönlich
Fragen; akribisches, zyklisches Lesen; synchroner und diachroner Dialog
Sachkenntnisse der Tora; eigenständiges Denken; Liebe zum Torastudium; Toraobservanz
ADAR
HOLTZ
KROCH-
LISS/LAND-
MALNIK
THALER
Paideia
Ambivalenz
Sozialisation
(Vor-)Lesen
Intellektuell
Plural
Lernend
Hörend
Zyklisches Lesen; Didaktik und Methode ist den biblischen Texten inhärent; exakte Analyse; freie Diskussion Begegnung zwischen Lesenden und dem Text; Beeinflussung der Lesenden in ihrem Denken und Unterstützung in ihrer Lebensgestaltung: soll dem Leben dienen
Dialogisches, lebendiges, aktives Lesen; neun Orientierungen für die Lehrkräfte
Genaues zyklisches Lesen; (Vor-)Lesen konsequentes Infragestellen der Texte
Unterstützung und Hilfestellung für Jüd:innen, ihre jüdische Identität in einer modernen, säkularen, pluralen Gesellschaft zu entwickeln und zu entdecken
Selbstvergewisserung der jüdischen Identität: kollektiv und individuell
Kinder und junge Erwachsene mit den Texten der ganzen Tora vertraut zu machen, um sie dadurch in das Lesen der Tora einzuführen und zum selbstständigen Lesen zu motivieren
Teil III
Eine christliche Didaktik der Tora
Kapitel 11
Rezeption jüdischer Toradidaktik? 11.1 Rezeption und Inspiration 11.1 Rezeption und Inspiration
Im vorangegangenen Teil II sind wir eingetaucht in die Welt jüdischer Bibeldidaktiken. Rekonstruiert und analysiert wurden dabei als didaktische Konzeptionen exemplarische Ansätze jüdischer Toradidaktik. Sie stammen aus unterschiedlichen religiösen Strömungen, kulturellen Kontexten und nationalstaatlichen Rahmenbedingungen; sie sind in ihrer Entstehung, Verbreitung und Rezeption mit unterschiedlichen, teils sich überlagernden zeitlichen Indices versehen und differieren hinsichtlich ihres Grades an explizit didaktischer Zielsetzung und Ausarbeitung. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit in Form, Inhalt, Herkunfts- und Anwendungskontext konnten in unserer Analyse, neben vielen interessanten ansatzspezifischen Merkmalen, 1 auch einige die verschiedenen Ansätze übergreifende und damit allgemeine Charakteristika moderner jüdischer Toradidaktik festgestellt und Erkenntnisse gewonnen werden, die im vorangegangenen 10. Kapitel versuchsweise systematisiert wurden. Damit konnte in Teil II unserer Arbeit ein gerade für eine deutschsprachige und christliche Leser:innenschaft weitgehend schwer zugänglicher, aber repräsentativer Literaturbestand jüdischer Didaktiken der Tora erstmals systematisch erschlossen und dargestellt und in der Einzelansicht wie in einer bisher fehlenden Zusammenschau rekonstruiert werden. Die Analyse der verschiedenen Ansätze jüdischer Bibeldidaktik folgte dabei der in Teil I vorgestellten informativ-pluralitätssensibilisierenden Funktion Vergleichender Religionspädagogik mit dem Ziel der Exploration und Rekonstruktion zeitgenössischer bzw. gegenwartsrelevanter jüdischer Bibeldidaktik. Von dieser den zweiten Teil unserer Arbeit leitenden Funktion und Zielrichtung des interreligiösen, religionspädagogischen Vergleichs wird im Anschluss an Bernd Schröder2 eine innovativ-inspirierende Funktion mit der Zielrichtung der Rezeption rekonstruierter Wissens- und Praxisbestände unterschieden. Diese Funktion und Zielrichtung sollen nun, wie angekündigt und methodisch in Kapitel 4 vorbereitet, den hier folgenden dritten Teil meiner Arbeit leiten. Gefragt wird nach dem innovativ-inspirierenden Potenzial der in Teil II 1
Vgl. dazu die Zusammenfassungen der jeweiligen Kapitel und die Systematisierung in Kapitel 10. 2 Vgl. B. SCHRÖDER, Art. Religionspädagogik.
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Kapitel 11: Rezeption jüdischer Toradidaktik?
vorgestellten Ansätze und rekonstruierten Konzepte jüdischer Toradidaktik für eine christliche Didaktik des Ersten Testaments und insbesondere der Tora. In diesem Teil der Studie geht es also darum, Bedingungen und Möglichkeiten der Rezeption jüdischer bibeldidaktischer Perspektiven, Konzepte und Methodiken theoretisch wie praktisch auszuloten sowie – darauf aufbauend – Verständnisse und Vorgehensweisen eigener, christlicher Didaktik der Tora im Lichte des Vergleichs und Transfers zu prüfen und gegebenenfalls zu überdenken. Die Studie zielt damit auf die Entwicklung einer christlichen Toradidaktik, die sich aufgeschlossen und respektvoll den jüdischen Perspektiven und Verständnissen und dem jüdischen Umgang mit der Tora gegenüber verhält und selbstkritisch (dabei auch im Sinne von „über sich selbst bewusst“) die Anstöße zu innovativem religionspädagogischem Denken und Handeln, die sich aus ihnen – eben unter bestimmten Bedingungen und mit bestimmten Vorbehalten – ableiten und übertragen lassen, aufnimmt. Die Studie reagiert mit dem folgenden dritten Teil auf die eingangs in Kapitel 3 benannten Leerstellen christlicher religionspädagogischer Forschung und Praxis in Bezug auf eine Didaktik der Tora. So findet erstens in der christlichen Bibeldidaktik schon das Alte Testament insgesamt traditionell sehr viel weniger Aufmerksamkeit als das Neue Testament; von einer besonderen Achtsamkeit für die Tora kann nicht ausgegangen werden. Dieses Aufmerksamkeitsdefizit spiegelt sich zweitens in den Lehrplänen für das schulische Fach Evangelische Religion wider. Drittens findet in den Lehrplänen und didaktischen Konzeptionen häufig die jeweils dominante Hermeneutik des Ersten Testaments und damit verbunden von „Israel“ (im Sinne des biblischen Gottesvolkes) bzw. des Judentums Widerhall. Viertens werden die Kollateraleffekte dieses Befundes exemplarisch in einer jüngst erschienenen Untersuchung zu antijüdischen Stereotypen im christlichen Religionsunterricht in Deutschland und Österreich erkennbar.3 Schließlich spiegeln sich diese Desiderate fünftens im religionspädagogischen Diskurs, in dem – von einzelnen Versuchen abgesehen – weder alttestamentliche Exegese noch jüdische (Religions-)Pädagogik verlässlich eine Rolle spielen, wider.4 Die vorliegende Studie reagiert auf diese Desiderate in gleichsam integrierter Weise, indem sie Bedingungen und Möglichkeiten prüft, wie der Tora mehr unterrichtliche und didaktische Aufmerksamkeit geschenkt und wie ihr in Anbetracht des jüdisch-christlichen Verhältnisses hermeneutisch angemessen Rechnung getragen werden kann, wie antisemitische Stereotypisierungen in Auslegung und Vermittlung des Ersten Testaments überwunden werden können oder ihnen zumindest entgegengewirkt werden
3
Vgl. SPICHAL, Vorurteile. Diese Leerstellen wurden zuerst bei SCHRÖDER/HECKE im Artikel Toradidaktik benannt. Für eine ausführliche Analyse vgl. oben das 3. Kapitel „Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik“. 4
11.1 Rezeption und Inspiration
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sowie christliche Bibeldidaktik in Theorie und Praxis stärker vom Austausch mit jüdischen Didaktiken der Tora profitieren kann. Dafür strebt sie an, nachdem sie in Teil II versucht hat, das Feld jüdischer Bibeldidaktik in seiner Breite, Tiefe und seinem vielfältigen Gehalt zu umreißen und zu ergründen, nun die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Chancen der Rezeption jüdischer Konzepte, Methoden und Perspektiven zu diskutieren und zu ermitteln. Ziel ist es, gleichsam Elementaria einer im jüdisch-christlichen Gespräch entwickelten christlichen Toradidaktik anzugeben: wesentliche hermeneutische wie didaktische Ausgangs- und Grundbedingungen sowie Grundelemente einer christlichen Didaktik der Tora. Was sind die Voraussetzungen für eine weder enteignende und vereinnahmende noch anbiedernde oder/und unkritische Rezeption jüdischer Konzepte, Methoden und Perspektiven von Toradidaktik für eine christliche? Welche hermeneutischen Voraussetzungen und Ansprüche verbinden sich mit einer christlichen Toradidaktik? Welche konkreten Grundlagen und Grundelemente ergeben sich – basierend auf den Ergebnissen aus Teil II – für eine christliche Toradidaktik, verstanden als Kommunikation der Tora? Mein Versuch, wesentliche Grundbedingungen und Grundelemente einer christlichen Kommunikation der Tora zu diskutieren und anzugeben, also ihre, in diesem Sinne: Elementaria zu eruieren, wird sich dabei immer wieder zwischen mal stärker theoretischen und mal stärker praktischen Bezügen, zwischen abstrakteren und konkreten Einsichten und Vorschlägen bewegen – mit anderen Worten, auf unterschiedlichen Reflexions- und Handlungsebenen religionspädagogischer Forschung und Praxis. Zur Beantwortung der genannten Fragen wende ich mich zunächst gleichsam den „Risiken und Nebenwirkungen“ der Rezeption von Wissens- und Praxisbeständen jüdischer Bibeldidaktiken in der christlichen Bibeldidaktik zu. Dabei unterscheide und diskutiere ich problematische Beweggründe und (zum Teil nicht intendierte) Effekte einer einfachen Über- bzw. Aufnahme jüdischer Konzepte; ich wende die Frage nach den Rezeptionsvoraussetzungen positiv und gebe Formen und Inhalte einer kontextsensiblen Rezeption der in Teil II herausgearbeiteten Merkmale und Lernpotenziale jüdischer Konzepte von Bibeldidaktik an (11.2). Anschließend an zentrale Einsichten und Ergebnisse der vorangegangenen Analyse jüdischer toradidaktischer Ansätze wird vorgeschlagen, die drei zentralen Funktionen: Inspiration, Tradierung und Instruktion als Impulse für eine christliche Toradidaktik aufzunehmen. Ferner werden auf der Ebene religionspädagogischer Methodologie und Methodik, der Auslegung und Vermittlung von Tora, die drei zentralen Modi jüdischer Toradidaktik: Lesen, Fragen, Tun als wesentliche Ansatzpunkte christlicher Didaktiken der Tora benannt. Kapitel 12 widmet sich den Voraussetzungen einer christlichen Toradidaktik. Dies ist zum einen die Frage nach einem Toraverständnis und einer Torahermeneutik christlicher Toradidaktik: Die Tora kann meines Erachtens inhaltlich und formal als Fragment der christlichen Identität beschrieben
308
Kapitel 11: Rezeption jüdischer Toradidaktik?
werden (12.1). Mit der Hermeneutik der Ambivalenz unterbreite ich einen Vorschlag für einen bibeldidaktischen Umgang mit dem Ersten Testament, der dieses als jüdische Bibel respektiert und zugleich als christliche Heilige Schrift in das Zentrum christlichen Lernens und Lehrens, also ins Zentrum der evangelischen Religionspädagogik, stellt (12.2). Das letzte, aber materialreichste Kapitel des III. Teils (Kapitel 13) widmet sich konkret der Frage, welche Einsichten und Merkmale sich aus der in Teil II getätigten Rekonstruktion und Analyse jüdischer Konzepte von Toradidaktik als wesentliche Grundlagen und Elemente christlicher Didaktik des Ersten Testaments rezipieren lassen. Welche Inspiration bieten jüdische Toradidaktiken für, um ein architektonisches Bild aufzumachen, Fundamente und Bausteine christlicher Bibeldidaktik? Die Darstellung dieses Kapitels – seiner Funktion als Tertium Comparationis, dem Vergleichsgesichtspunkt, folgend – orientiert sich auch hier an dem didaktischen Viereck (einschließlich Lebensweltkontextualisierung). Es diskutiert und behandelt Aspekte, die auf den Lerngegenstand, die Lernenden und Lehrenden und ihre Lebenswirklichkeit bezogen sind, sowie viele Dimensionen, die sich aus den Relationen dieser Elemente dieses heuristischen Instruments ergeben. Dies werden vor allem Textverständnisse und Textbezüge, im Sinne von Akteur-Text-Verhältnis, Rollenverständnisse von Lernenden und Lehrenden, Gelingensbedingungen einer christlichen Toradidaktik, Methodiken der Auslegung und der Vermittlung sowie die Heterogenität und Pluralität von Lebenswirklichkeiten und institutionellen Kontextbedingungen sein. Abgerundet wird dieses Kapitel mit einer Fantasie der Praxis zur christlichen Toradidaktik.
11.2 Vorbehalte und Möglichkeiten der Rezeption 11.2 Vorbehalte und Möglichkeiten der Rezeption
Nach Bernd Schröder bewegt sich die Vergleichende Religionspädagogik zwischen den Gefahrenpolen der bloßen Länderkunde, die nur fremde Phänomene beschreibt ohne eine Bezugnahme auf die gleichen, aber anders gelagerten Phänomene in der eigenen Religion und Tradition, und der Vereinnahmung, „die das ‚Fremde‘ als bloße Spielart des ‚Eigenen‘ oder als illegitime Abweichung einordnet“.5 Damit ist ein Dilemma der vergleichenden Forschung charakterisiert. Ein ausgewogener Mittelweg zwischen diesen Polen ist voraussetzungsreich: Neigte der informativ pluralitätssensibilisierende Teil der bloßen Religionskunde zu, so besteht nun im innovativ-inspirierenden Teil die Gefahr der Instrumentalisierung und Vereinnahmung. Bei der Erarbeitung wesentlicher Grundlagen und Grundelemente einer christlichen Toradidaktik durch die Rezeption ihrer jüdischen Vorbilder und Äquivalente geht es nicht um die enteignende Übernahme von jüdischer Toradidaktik, sondern um die 5
B. SCHRÖDER, Vergleichende historische Religionspädagogik, 345.
11.2 Vorbehalte und Möglichkeiten der Rezeption
309
Frage nach didaktischen und theologischen Innovationen und neuen Kommunikationsformen der Tora in der christlichen Religionspädagogik und für sie. Vergleich in der Religionspädagogik meint auch, um eine Formulierung Friedrich Schweitzers und Henrik Simojokis aufzugreifen, „dass das angestrebte Lernen von anderen nicht darin bestehen kann, einzelne Aspekte oder Vorgehensweisen im Bildungswesen eines anderen Landes einfach importieren und nachahmen zu wollen“.6 Ich diskutiere deshalb im Folgenden zunächst mögliche „Risiken und Nebenwirkungen“ einer christlichen Rezeption jüdischer Toradidaktik: problematische Beweggründe und (zum Teil nichtintendierte) Effekte und Folgen der Rezeption. Zudem gehe ich auf didaktische Vorbehalte gegenüber der Tora als christlichem Lerngegenstand ein. Anschließend schlage ich die oben in Abschnitt 10.5 herausgearbeiteten Modi und Funktionen jüdischer Toradidaktik als lohnenswerte Gegenstände einer christlichreligionspädagogischen Rezeption vor. Vorbehalte der Rezeption Insbesondere drei Vorbehalte ergeben sich meines Erachtens für eine Rezeption jüdischer Toradidaktik in einer christlichen Toradidaktik: erstens die Gefahr der Vereinnahmung jüdischer durch christliche Didaktik, zweitens die Unterschiedlichkeit der Kontexte, die eine schlichte Übertragung verunmöglicht, und drittens die Tora als komplexer und vermeintlich abständiger Gegenstand für eine christliche Didaktik. Diese drei Vorbehalte werde ich im Folgenden erläutern. (ad 1) Die christliche Theologie, die im Rahmen des jüdisch-christlichen Dialogs betrieben wird, sollte sich der Gefahr der einseitigen Vereinnahmung bzw. vereinnahmenden Übernahme jüdischer Theologien in die christliche Theologie und der damit einhergehenden philosemitischen Beweggründe bewusst sein. Stäblein definiert philosemitische Deutungs- und Handlungsstrukturen gleichsam als zweite Seite einer auf Sicherung eigener (unsicherer) Identität bezogenen, diskriminierenden Medaille: Philosemitismus ist in Analogie zum Antisemitismus die Funktionalisierung bzw. Instrumentalisierung einer überhöhenden Wahrnehmung des Gegenübers zum Zweck der eigenen Identitätserfüllung und mit der Folge einer Aufhebung der Beziehung.7
Philojudaismus charakterisiert die religiöse Konkretion des Philosemitismus, die auf einer Idealisierung des Judentums basiert, und hat zumeist eine Vereinnahmung des Judentums zur Folge. Dabei muss der Philojudaismus von einem lernenden Interesse, einem wechselseitigen Austausch, einem Wissen
6
SCHWEITZER/SIMOJOKI, Moderne Religionspädagogik, 230. STÄBLEIN, Gegenüber, 151. Siehe dazu weiter a.a.O., 145–151 und oben S. 96, Anm. 54. 7
310
Kapitel 11: Rezeption jüdischer Toradidaktik?
und einer Anerkennung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Judentum und Christentum unterschieden werden. (ad 2) Neben der Gefahr einer philosemitischen Vereinnahmung der jüdischen Toradidaktik durch die christliche Toradidaktik wirkt die Studie schon in ihrer Anlage einer direkten Übertragung der unterschiedlichen jüdischen toradidaktischen Konzeptionen auf und in eine christliche Toradidaktik entgegen: In ihr wurde eine Vielfalt und Diversität an toradidaktischen Konzepten in unterschiedlichen Strömungen des Judentums rekonstruiert. So liegen zum Beispiel die Grundannahmen des orthodoxen Toraverständnisses von Nehama Leibowitz als Heiliger Schrift und des säkularen Toraverständnisses von Zvi Adar als Weltliteratur derart weit auseinander, dass sie sich nicht in eine, sondern wenn überhaupt nur in mehrere Toradidaktiken übertragen ließen. Der Denkraum der Didaktik der Tora in den Theorien der jüdischen Erziehung wurde in dieser Studie in sich diametral unterscheidenden Denominationen des Judentums, von orthodox bis säkular, und in sehr unterschiedlichen Ländern mit diversen Rahmbedingungen von Israel über die USA bis nach Deutschland dargestellt. In diesen hat das Judentum einen unterschiedlichen institutionalisierten Stellenwert inne, der sich z.B. in der Spannung zwischen einer Majorität im Staat Israel und einer Minorität in der Diaspora, zwischen regulärem Schulfach und synagogalem Unterricht zeigt und sich in einer sehr diversen Geschichte ausdrückt. Diese Pluralität lässt sich nicht direkt auf eine singuläre christliche Konfession im deutschsprachigen Kontext übertragen. Es kann hier also eher um Impulse auf der Theorieebene gehen und um das Gespräch zwischen christlicher und jüdischer Bibeldidaktik. (ad 3) Auf der didaktischen Ebene stellt der Gegenstand der Toradidaktik, die Tora selbst, einen Vorbehalt der Rezeption dar: Die Tora ist in Form und Inhalt ein komplexer, sperriger und auf den ersten Blick abständiger Lerngegenstand für Schüler:innen und Unterrichtsgegenstand für Lehrer:innen. Formal stellt zunächst der große Umfang der Tora von fünf Büchern ein didaktisches Hindernis der Rezeption im Religionsunterricht dar: Ihr Erzählbogen reicht von der Erschaffung der Welt über die Volkwerdung Israels, die Gabe und Fülle der Gebote, die Wüstenwanderung zum offenen Ende am Rande des verheißenen Landes. Darüber hinaus mündet die Tora zum einen christlicherseits in das Neue Testament und die christliche Tradition, zum anderen jüdischerseits in die mündliche Tradition und das Meer der Halacha. Dazu kommen die Komplexität des hebräischen Originals und die sich daraus ergebende Frage der Übersetzung, die immer schon Interpretation ist, die den Zugang für Schüler:innen und auch für Lehrer:innen erschwert. Auch wird das Unterrichtsmaterial in den Lehrbüchern, wie die Analyse von Julia Spichal zeigt,8 der Tora mit ihrer doppelten Nachgeschichte, also ihrer je unterschiedlichen Relevanz in Judentum und Christentum, nicht gerecht. Auf der inhaltlichen Ebene stellt 8
SPICHAL, Vorurteile, 215–218.
11.2 Vorbehalte und Möglichkeiten der Rezeption
311
genau diese Komplexität der doppelten Nachgeschichte, die sowohl judaistische Kenntnisse als auch eine Sensibilisierung in Fragestellungen des jüdischchristlichen Dialogs verlangt, eine erste Herausforderung für die Lehrkräfte dar und setzt Kompetenzen im interreligiösen Lernen auch bei den Lehrenden voraus. Eine zweite Herausforderung ist die (vermeintliche) Abständigkeit der Texte zur Lebenswelt der Lernenden, aber auch der Lehrenden. Der „garstige, breite Graben“, wie schon Lessing die grundsätzliche Distanz zu biblischen Texten beschrieb, ist in Bezug auf die Tora besonders tief und breit: Beispielsweise stellt das Buch Levitikus auf den ersten Blick zu großen Teilen ein Buch über ein seit fast 2000 Jahren nicht mehr existentes Heiligtum dar; die Geschichte der Volkwerdung Israels und der Landnahme ist bis in die politische Gegenwart heikel und komplex und der fantasievolle Umgang mit Gebotstexten aus christlicher Perspektive ungeübt. Die Tora stellt dementsprechend sowohl auf der formalen als auch auf der inhaltlichen Ebene eine Herkulesaufgabe, eine Challenge, der Didaktik insbesondere für Lehrende dar. Will eine Toradidaktik Wirkung entfalten, sollte sie auf der Ebene der Lehrkräfte ansetzen. Möglichkeiten der Rezeption Die Tora als ein Buch des Lernens und des Unterwegsseins, der Befreiung und des Erinnerns, des Tuns, des Hörens, der orientierenden Lebensregeln und der Versöhnung, welches die Einheit von Gottes Zuspruch und Anspruch, von Recht und Barmherzigkeit formuliert, bildet den Dreh- und Angelpunkt der jüdischen Toradidaktik. Jüdische Bibeldidaktik rückt mit der Tora einen durchaus sperrigen im Sinne eines störrischen, unangepassten, eigensinnigen und wuchtigen Gegenstands ins Zentrum der didaktischen Überlegungen. Sie nimmt, wie in dem die Analyseergebnisse systematisierenden 10. Kapitel beschrieben, die Tora im wortwörtlichen Sinne als Eröffnung bzw. erstes Wort und damit Fundament alles Folgenden ernst. Aus dieser Voranstellung der Tora innerhalb der Hebräischen Bibel und als Referenzdokument jedweden Judentums ergibt sich für alle jüdischen Ansätze, selbst für den säkularen von Adar, eine zentrale Thematisierung der Tora in der Didaktik. Die Tora besitzt eine Dignität und dementsprechend eine Zentralstellung für das religiöse Weltverständnis, aber auch für die säkulare Lebenspraxis. In dieser inhaltlichen und formalen Zentralstellung der Tora innerhalb aller jüdischen Toradidaktiken liegt meines Erachtens der gewichtigste Anstoß für die christliche Religionspädagogik, um zu fragen, welchen Stellenwert Tora innerhalb der christlichen Bibeldidaktik einnehmen und mit welcher Hermeneutik und in welcher Form sie in das Zentrum der didaktischen Überlegungen gestellt werden könnte. Aus der Dignität der Tora ergeben sich drei zentrale Funktionen jüdischer Toradidaktiken: die inspirierende, die tradierende und die instruierende Funk-
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Kapitel 11: Rezeption jüdischer Toradidaktik?
tion. Die Toradidaktik ermöglicht inspirierendes Lesen bezüglich existenzieller Lebensfragen, so bei Leibowitz, aber auch intellektuell, so als Literatur bei Zvi Adar. Sie zielt auf die Tradierung, die Weitergabe an die nächste Generation und die Findung und Stärkung einer jüdischen Identität, so bei Daniel Krochmalnik oder Barry W. Holtz, und sie instruiert, sie regt zum Tun an, ob in der Form von religiöser Toraobservanz oder säkularem ethischem Handeln. Diese Funktionen werden von dem, was ich in dieser Arbeit die drei Modi der Toradidaktik nennen möchte, das Lesen, das Fragen und das Tun, flankiert. Diese drei Modi der jüdischen Toradidaktik tauchen in allen Konzepten auf und stellen eine Rezeptionsmöglichkeit für eine christliche Toradidaktik dar: Das Lesen der Tora als Ganzes steht im Zentrum von allen verschiedenen jüdischen Toradidaktiken. Die Tora wird als komplettes Werk, dem Jahresrhythmus der Synagoge folgend, wie insbesondere bei Hanna Liss/Bruno Landthaler, oder dem Lehrplan der Schule entsprechend, so gemäß dem säkularen Ansatz von Zvi Adar, zyklisch gelesen. Das heißt, die Texte werden im hermeneutischen Rahmen der Tora erschlossen. Sie werden nicht nur einmal, sondern jährlich wiederholend gelesen, sodass sie den Lesenden regelmäßig immer wieder begegnen. Die verwendete Lesetechnik ist, so bei Nehama Leibowitz, das akribische Lesen, welches der Methode des close reading ähnelt, die jedes noch so kleine Detail ernst nimmt und interpretiert, oder das (Vor-)Lesen bei Hanna Liss/Bruno Landthaler, welches die Lernenden zunächst zu Hörenden der Texte macht. Dem liegt die Annahme aus der rabbinischen Tradition zugrunde, dass die Tora omnisignifikant ist und damit jedes noch so kleine Detail Aufmerksamkeit verdient. Dieses Lesen wird flankiert vom Fragen: Jüdische Toradidaktiken sind rogative Didaktiken und zielen auf das Einüben einer Fragekompetenz. Im Fragen und Diskutieren liegt der Schlüssel zur Tora. Die rogative Didaktik stellt eine Sozialisation, so Krochmalnik, in eine Fragekultur dar, in der eine präzise Frage eine größere Bedeutung besitzt als die Antwort bzw. in der jede Antwort wiederum eine Frage in sich birgt. So schätzt Nehama Leibowitz die Dignität der Frage höher als die der Antwort, und Daniel Krochmalnik definiert die Fragekompetenz als die zentrale Kompetenz einer jüdischen Religionspädagogik. Durch das Fragen werden die Lernenden Teil der jüdischen Lernkultur. Eingeübt kann diese durch das Studium der mündlichen Tora werden. Die Tora wird an die jeweils nächste Generation tradiert und darin, so Holtz, transformiert. Dieses Denken korreliert mit der Tora als einem ambigen Lerngegenstand, der von Ambivalenz und Mehrdeutigkeit geprägt ist und in sich selbst ambivalente Erzählungen vereint und zu dem die Zugänge, Verständnisse und Interpretationen multiple sind. Der dritte Modus ist der des Tuns. Lesen und Fragen sollen nicht ohne Konsequenzen bleiben, sondern zielen auf ein Tun von Gerechtigkeit. Das Tun ist Ausdruck der instruierenden Funktion. Dieser Modus spiegelt sich in der Wertschätzung des Tuns vor dem Hören (Ex 24,7) und ist schon in der großen
11.2 Vorbehalte und Möglichkeiten der Rezeption
313
Textbasis von Geboten oder Lebensregeln angelegt. Dies findet sich in den jüdischen Toradidaktiken von orthodox bis säkular, so in dem Ausdruck „the Bible leads to action“ von Adar oder dem Tun der Gebote als höchstem Ziel des Torastudiums bei Leibowitz wieder. Dieses Tun ist aber nicht statisch, sondern bedarf der ständigen Aktualisierung und, so explizit bei Holtz, Transformation. Diese spiegelt sich in der Offenheit des Erzählbogens der Tora. Er ist nicht abgeschlossen, sondern hat ein offenes Ende. Die jüdische Toradidaktik nimmt das offene Ende der Tora systematisch ernst – in der religiösen Perspektive durch die mündliche Tora, die eine ständige Aktualisierung der Tora auf die Gegenwart bedeutet. Die Tora, an deren Regeln sich das Tun orientiert, ist demzufolge auf Veränderung angewiesen. Die Fragen nach den Konsequenzen des Torastudiums und der Wertschätzung des Tuns halte ich für einen fruchtbaren Impuls von jüdischer für christliche Toradidaktik. Für die Entwicklung einer christlichen Toradidaktik stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise diese Modi des Lesens, des Fragens und des Tuns der jüdischen Toradidaktik Nährboden und Impuls für die Modi einer christlichen Toradidaktik sein können. Mit diesen Funktionen und Modi sind bestimmte Verständnisse und Wertschätzungen des Lerngegenstandes, also des Textes, sowie bestimmte Rollenverständnisse als Lehrende und Lernende, bestimmte Methoden der Auslegung und Vermittlung der Tora, aber auch pluralistische Lebensweltbezüge auf deren Integrationsmöglichkeiten verbunden, auf die ich genauer in Kapitel 13 eingehen werde.
Kapitel 12
Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik Jüdische toradidaktische Konzeptionen können nicht schlicht übernommen werden, sondern nur „mutatis mutandis“ als Impulsgeberinnen für die christliche Toradidaktik fungieren – „mutatis mutandis“, also auf der Grundlage der Frage, was bewegt, verändert, vertauscht, ausgetauscht (mutare) werden muss. Das vorangegangene Kapitel 11 sollte Voraussetzungen der Rezeption jüdischer Toradidaktik klären, Kapitel 12 soll nun Voraussetzungen christlicher Toradidaktik an sich klären. Sie sollen im Dialog, im Austausch mit jüdischer Didaktik gewonnen werden. Es erscheint jedoch nötig, nicht nur die Möglichkeitsbedingungen der Rezeption im Besonderen, sondern auch stärker ihre eigenen Voraussetzungen zu klären. Auch diese lassen sich nicht losgelöst, sondern umgekehrt nur in der Reflexion des jüdisch-christlichen Verhältnisses definieren und stellen besondere Ansprüche an die hermeneutischen Grundlagen christlicher Bibeldidaktik. Das Kapitel versucht zunächst die Stellung, Stellenwert, Funktion und Charakter der Tora innerhalb einer christlichen Toradidaktik zu bestimmen. Dies berührt grundlegendere Fragen nach dem Charakter und der Funktion der Tora für die christliche Identität. Mein Vorschlag ist, anschließend an Henning Luther, die Tora als „Fragment“ christlicher Identität zu verstehen. Das Bild der Tora als „Fragment“ fängt in besonderem Maße den offenen, prozesshaften Charakter der Tora als Gegenstand der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf und beschreibt meines Erachtens angemessen einen möglichen Stellenwert der Tora in einer christlichen Identität und für sie. Ein zweiter Teil des Kapitels (12.2) widmet sich den hermeneutischen Voraussetzungen. Er schlägt vor, die Ambivalenz von Gegenstand, Perspektive und Kontextbedingungen der Texterschließung und -vermittlung als Ausgangs- und didaktischen Zielpunkt zu verstehen. Dies wird in den Begriff einer Hermeneutik der Ambivalenz gefasst.
12.1 Christliches Toraverständnis: Tora als Fragment 12.1 Christliches Toraverständnis: Tora als Fragment
Der Denkraum der jüdischen Toradidaktiken hat vor Augen geführt, wie unterschiedlich das Verständnis von Tora schon innerhalb der jüdischen Toradidaktik ist: So wird sie als ein heiliges Buch bei Leibowitz und Holtz, als ein
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Kapitel 12: Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen
intellektuelles und/oder ein historisches Buch bei Adar und wiederum Holtz gelesen und unterrichtet und ihr Umfang umfasst, neben den sie immer umfassenden fünf biblischen Büchern bei Liss/Landthaler über den Tanach als Ganzes bei Adar und über die schriftliche und mündliche Tora der rabbinischen Tradition bei Leibowitz und Krochmalnik bis hin zu heutigen Toraauslegungen und Transformation bei Holtz. Das Spektrum dessen, was unter Tora verstanden werden kann, ist breit.1 Die Ausprägung und Ausgestaltung der Toradidaktik wird maßgeblich von dem jeweiligen Toraverständnis beeinflusst, deswegen ist eine Verständigung über das Toraverständnis für jegliche Toradidaktik, also auch für eine christliche, von fundamentaler Bedeutung. Christliche Toradidaktik zielt darauf, Tora als ein ambi- und vielleicht sogar polyvalentes Phänomen zu entdecken und zu unterrichten. Tora gibt es nicht im Singular, sondern eigentlich nur als Torot im Plural. Das Zweifache, das Mehrdeutige, die Ambivalenz ist in die Tora selbst eingeschrieben. Jürgen Ebach verdeutlicht dies mit seiner Auslegung des ersten Buchstabens der Tora und damit der ganzen Bibel: Die „Schrift“ im Sinne der „Heiligen Schrift“ (miqra, Bibel) beginnt mit „b“. Aber die Schrift im Sinne des Alphabets bzw. Alef-Bets beginnt nicht mit „b“, sondern mit „a“, mit Alef. Nehmen wir hinzu, daß die hebräischen Buchstaben auch Zahlen bezeichnen, so beginnt die Schrift wie das Zählen mit der eins (dem Alef), die „Schrift“ jedoch mit der zwei (dem Bet). Warum ist das so?2
Die Eröffnung der Tora mit dem hebräischen Buchstaben Bet, also mit „zwei“ statt mit „eins“, wird hier als eine Art Sinnbild für die ambigen Definitionen von Tora gesehen. Das Bet gleicht einer Überschrift oder einem hermeneutischen Schlüssel zur Tora. Die Tora gleicht einem Kippbild, das mindestens zwei Bilder enthält. Innerhalb einer christlichen Toradidaktik zeigt dieses Bild insbesondere zwei Gesichter der Tora, die sich gegenseitig beeinflussen und den Gegenstand der Didaktik bilden: Zum einen ist die Tora Zentrum und Kern der jüdischen Identität, zum anderen ist sie aber auch ein wesentlicher Teil der christlichen Identität. Diese beiden Aspekte der Tora stehen gleichwertig 1
Für einen Überblick über die verschiedenen Verständnisse von Tora vgl. Kapitel 2 „Begriffserklärung: Tora“ der vorliegenden Studie. Dort erläutere ich die inhaltliche Bestimmung von Tora in der Hebräischen Bibel, das Toraverständnis in der jüdischen Tradition und das christliche Verstehen und Missverstehen der Tora. 2 JÜRGEN EBACH, Die Bibel beginnt mit „b“. Vielfalt ohne Beliebigkeit, in: Ders., Gott im Wort. Drei Studien zur biblischen Exegese und Hermeneutik, Neukirchen-Vluyn 1997, 85–114, 90f. Ebach stellt in seinem Artikel „Die Bibel beginnt mit ‚b‘“ verschiedene Antworten der jüdischen Tradition vor, warum die Tora mit dem „Bereschit“ mit Bet und nicht mit Alef beginnt. Hier sei beispielhaft nur der Midrasch Bereschit Rabba I,10 zitiert. Das Alef beklagt sich bei Gott: „Herr der Welt! Ich bin der erste Buchstabe, und du hast deine Welt nicht mit mir erschaffen!? Es antwortete Gott: Die Welt und was sie füllt, wurde nur um der Tora willen erschaffen. Morgen gebe ich die Tora auf dem Sinai, und ich werde sie mit niemandem anders eröffnen als mit dir“ (a.a.O., 94f.).
12.1 Christliches Toraverständnis: Tora als Fragment
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nebeneinander und beziehen sich auf den gleichen, nicht aber auf denselben Text, der dann sehr unterschiedlich gelesen und interpretiert werden muss. Der erste Aspekt, die Tora als Zentrum der jüdischen Identitäten, wurde bereits einleitend in Kapitel 2 beschrieben. Er bildet aber vor allem auch ein zentrales Ergebnis der Auseinandersetzung und Analyse der unterschiedlichen jüdischen toradidaktischen Konzeptionen in Teil II unserer Studie. Für die christliche Toradidaktik ist es zentral, diese Vielfalt der Tora in den unterschiedlichen Denominationen des Judentums von säkular über liberal und konservativ bis hin zu orthodox präsent zu halten. Christliches Toraverständnis ist auf das Judentum bezogen und dialogisch. Der zweite Aspekt, der Tora als wesentlichen Bestandteil und als Grundlage christlicher Identität versteht, soll im Folgenden näher charakterisiert werden. Dabei schlage ich das auf den ersten Blick vielleicht wenig „beständig“ wirkende Bild der Tora als „Fragment“ vor. Christliche Toradidaktik nimmt die Tora nicht nur als zentrales Element jüdischer Religion, sondern zugleich auch als wesentlichen Bestandteil der eigenen christlichen Identität3 wahr. Damit reagiert sie auf die bereits an anderer Stelle ausführlicher dargestellten zwei Aufgabenfelder bzw. Desiderate der Religionspädagogik:4 zum einen auf das leider immer noch zu beobachtende Aufmerksamkeitsdefizit gegenüber der Tora in den Lehrplänen für das Schulfach Religionsunterricht;5 zum anderen auf das Phänomen, die Tora nicht nur nicht in Bezug zu christlicher Theologie oder Identität zu setzen, sondern sie sogar negativ abzuwerten, sobald es um die Profilierung christlicher Identität geht, selbst wenn die Tora in Bezug auf das Judentum als positive Größe dargestellt wird. Gegen diese beiden Tendenzen möchte ich im Folgenden, im Anschluss an Henning Luther, das Bild von der Tora als Fragment als Beschreibung für den Charakter und Stellenwert der Tora in christlicher Theologie aufrufen.6 Luther versteht das Fragment als kritische Gegenbewegung zur Identität, die in sich ruht:
3 Für eine Einordnung des Identitätsbegriffs in die Religionspädagogik vgl. BARBARA PÜHL, Die Aufgabe der Identität. Erik H. Erikson, Identitätskonzepte und seine Bedeutung für die Religionspädagogik (Jugend in Kirche und Gesellschaft 12), Berlin/Münster 2019. 4 Diese habe ich schon zu Beginn in Kapitel 3 „Bestandsaufnahme: Tora in der christlichen Religionspädagogik“ aufgezeigt. 5 Vgl. hierfür oben Abschnitt 3.3 „Tora in den Lehrplänen und Materialien für den Religionsunterricht“. 6 Vgl. HENNING LUTHER, Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts, Stuttgart 2014.
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Kapitel 12: Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen
Wir sind immer zugleich auch gleichsam Ruinen unserer Vergangenheit, Fragmente zerbrochener Hoffnungen, verronnener Lebenswünsche, verworfener Möglichkeiten, vertaner und verspielter Chancen. Wir sind Ruinen aufgrund unseres Versagens und unserer Schuld ebenso wie aufgrund zugefügter Verletzungen und erlittener und widerfahrener Verluste und Niederlagen. Dies ist der Schmerz des Fragments. Andererseits ist jede erreichte Stufe unserer Ich-Entwicklung immer nur ein Fragment aus Zukunft. Das Fragment trägt den Keim der Zeit in sich. Sein Wesen ist Sehnsucht. Es ist auf Zukunft aus. In ihm herrscht Mangel. Das Fehlen der ihn vollendenden Gestaltung, die Differenz, die das Fragment von seiner möglichen Vollendung trennt, wirkt nicht nur negativ, sondern verweist positiv nach vorn.7
Diese Offenheit des Fragmentes geht in zwei Richtungen: Sie bezieht sich zum einen auf eine uns prägende Vergangenheit, auf das Herkommen von einer Geschichte, auf das Gewordensein; und zum anderen weist diese Offenheit nach vorne, in eine vor uns liegende Zukunft hin. Die Definition von Tora als Fragment der christlichen Identität sensibilisiert für verschiedene Aspekte: 1) Die Tora ist aus christlicher Perspektive ein Fragment, das die Vergangenheit offen und präsent hält. Sie erzählt die Geschichte des Gewordenseins der Menschheit und des Volkes Israel und fordert immer wieder dazu auf, nicht zu vergessen, sondern sich zu erinnern. Henning Luther zufolge enthält das Fragment die Vergangenheit mit allen ihren verworfenen Möglichkeiten, vertanen und verspielten Chancen und auch ihrem Versagen und ihrer Schuld. Der Stellenwert von Tora in christlicher Theologie lässt sich meines Erachtens in diesen Eigenschaften des Fragments fassen. Christlicher Umgang mit der Tora, dem Ersten Testament und dem Judentum ist fragmentarisch gezeichnet und enthält eine Geschichte der Schuld, der zugefügten Verletzungen und des Versagens. In Bezug auf christliches Toraverständnis geht es auch darum, dafür zu sensibilisieren, dass der Auslegung der Tora auf christlicher Seite eine lange Gewaltgeschichte vorangeht, die bis heute das theologische Reden über die Tora prägt. Diese spiegelt sich in dem Dualismus wieder, der im sogenannten alten Israel und in der Tora als Gesetz das negative Gegenbild zum Christentum und zum befreienden Evangelium sieht und Tora auch inhaltlich verkürzend mit „Gesetz“ wiedergibt.8 Dieser Dualismus9 manifestiert sich unter anderem in „Alt(-es Testament) gegen Neu(-es Testament), Fleisch gegen Geist, Gesetz gegen Gnade, Rache gegen Liebe und in moderneren Zeiten unter 7
A.a.O., 168f. Vgl. dazu oben Abschnitt 2.3.1 „Tora – Nomos – Gesetz“. 9 Hier ein aktuelles Beispiel zu dieser biblisch-theologisch nicht zu haltenden Dualisierung. „Das Vermächtnis des jüdischen Volkes an die Menschheit ist der Glaube an den einen Gott und die Gottebenbildlichkeit des Menschen. […] Darum ist der Mensch, jeder (!) Mensch, Gott heilig. […] In den nationalistischen Traditionen des Dtn. und des deuteronomistischen Geschichtswerks wird der universale Topos der Gottebenbildlichkeit verkannt und der Glaube vertreten, Gott würde um Israels willen die anderen Völker und Menschen preisgeben“ (JOCHEN VOLLMER, Der Israel-Palästina-Konflikt und die Befreiung der Theologie. Vom Nationalgott Jahwe zum Herrn der Welt und aller Völker, in: DtPfrBl 8 [2011], 1–13, 10). 8
12.1 Christliches Toraverständnis: Tora als Fragment
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anderem, aber an diese Dualismen anschließend, Partikularität gegen Universalität und schließlich auch Gewalt gegen Gewaltlosigkeit“.10 Diese für Antijudaismus und Antisemitismus fundamentale binäre Selbst- und Weltdeutung harrt zum einen in Bezug auf die Tora in der Religionspädagogik der Bearbeitung, und zum anderen müssen insbesondere Religionspädagog:innen dafür sensibilisiert werden, um diesen Dualismus nicht zu reproduzieren. 2) Die Tora ist als Fragment offen und weist in dieser Offenheit auf die Zukunft hin. Die Tora stellt ein Dokument des Unterwegsseins und nicht des Ankommens dar. Paradigmatisch steht dafür ihr Ende: Mose, der höchste Prophet des Tanach, stirbt im Angesicht des gelobten Landes. Er kann es nur sehen, aber betritt es, nachdem er 40 Jahre das israelische Volk durch die Wüste geführt hat, nicht. Die Landnahme und dann das Leben des Volkes im Land werden nicht mehr innerhalb der Tora erzählt, sondern in den auf die Tora folgenden Büchern. Es existiert also eine Differenz, die die Tora von der Vollendung trennt. Diese Offenheit der Tora, ihre Unabgeschlossenheit verweist in die Zukunft, und in ihr liegt sicher auch ein Grund für ihre Fortschreibung erst in der Hebräischen Bibel, dann parallel im Neuen Testament und in der rabbinischen Traditionsliteratur. Dieser Fortschreibungsprozess hält bis in die Gegenwart an. 3) Christliches Toraverständnis ist auf das Judentum verwiesen: Das Fragment verweist in seiner Unabgeschlossenheit immer auf andere. Es ist sich selbst nicht genug. Der Praktische Theologe Albrecht Grözinger verwendet den Begriff des Fragmentes von Henning Luther, um eine Bewegung nachzuzeichnen, die er so beschreibt: „Ich bin nicht ich, indem ich mich nur auf mich selbst beziehe, sondern ich bin nur ich, wenn ich offen bin.“11 Das ist das Wesen des Fragmentes, das Unabgeschlossene, was die Vergangenheit und die Zukunft umschließt und nicht erratisch um sich selbst kreist, sondern auf das Andere bezogen ist. Diese fragmentarische Identität ist kein Bollwerk, sondern sie ist verletzlich und dialogisch. „Der Begriff der verletzlichen Identität“, so Grözinger weiter, „könnte ausdrücken, dass Identität erst dann in Momenten oder in einer Bewegung entstehen kann, wenn ich mich auf Anderes beziehe und auf Anderes bezogen zu mir zurückkehre.“12 Diese Bewegung bleibt nicht stehen, sondern vollzieht sich ständig. Tora als Fragment der christlichen Identität bedarf des jüdisch-christlichen Dialogs und hält diese offen für ihn. Auf dieser Grundlage beinhaltet der zweite Aspekt des christlichen Toraverständnisses die Wahrnehmung der Tora als Zentrum der jüdischen Identität. 10
HECKE/STAFFA, Wahrheit, 184. ALBRECHT GRÖZINGER, Identität – Das Eigene und das Nicht-Eigene. Eine Spurensuche in der christlichen Tradition, in: Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus/Evangelische Akademie zu Berlin/narrt – Netzwerk für antisemitismuskritische und rassismuskritische Religionspädagogik und Theologie (Hg.), Identität. Macht. Verletzung. Rassismuskritische theologische Perspektiven, Berlin 2020, 8–11, 11. 12 Ebd. 11
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Kapitel 12: Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen
Dabei geht es nicht um eine Enteignung oder unreflektierte Übernahme des jüdischen Torabegriffs durch bzw. in die christliche Theologie, sondern um Lernen und Selbstaufklärung in der Begegnung mit dem eigentlich bekannten, in so vielen Aspekten aber doch noch unvertrauten und verkannten Anderen. Toradidaktik verweist auf die Gemeinsamkeit im Differenten, den konstitutiven, wenn auch vermittelten Bezug christlichen Glaubens, Denkens und Tuns auf die jüdische Religion.
12.2 Hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik 12.2 Hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik Jede Annäherung an die Tora trifft auf die Grundspannung, dass das Sinaigesetz an Israel gerichtet ist, für (und historisch in) Israel formuliert und Israel anvertraut wurde, dass es gleichwohl als der eine Wille des einen Schöpfergottes einen universalen Anspruch stellt.13
Programmatisch bezieht der Alttestamentler Frank Crüsemann in dieser schon oben (zu Beginn von Abschnitt 3.2) zitierten Aussage das Spannungsfeld von einem partikularen auf einen universalen Anspruch der Tora und formuliert die Fragen, wie diese beiden zusammengedacht und ohne antijüdische Projektion aufeinander bezogen und ineinander verwoben werden können.14 Eine christliche Toradidaktik sollte dieser Spannung sachgerecht entsprechen, ohne dass sich Christ:innen einfach an die Stelle Israels setzen, sich über Israel erheben und die Partikularität Israels in der Universalität aufgehen lassen, aber auch ohne die Universalität der Tora deswegen aufzugeben. Eine Toradidaktik bedarf also, um diesen An- und Herausforderungen der zweifachen Nachgeschichte des Ersten Testaments gerecht zu werden, einer Torahermeneutik. 13
CRÜSEMANN, Maßstab, 9f. Während die angebliche Überlegenheit des Neuen über das Alte Testament bis heute immer wieder durch die Behauptung begründet wird, dass die nationale, also partikulare Ausrichtung des Alten Testaments im Neuen durch eine auf alle Menschen, also universale Ausrichtung ersetzt und damit das Alte überwunden werde, betont dagegen die vom jüdischchristlichen Dialog geprägte Theologie oft die Partikularität. Frank Crüsemann spricht sich dezidiert für ein Ineinanderweben und In-Beziehung-Setzen der Pole von Partikularität und Universalität aus, die sich durch beide Testamente ziehen. Vgl. FRANK CRÜSEMANN, Wie können wir als Christen das Alte Testament lesen? Überlegungen zum theologischen Umgang mit der jüdischen Bibel (unveröffentlicht). Vgl. hierzu auch die neue Matthäusperspektive von Matthias Konrad. Nach dieser ist es das zentrale Anliegen des Evangelisten, sowohl an der besonderen Stellung Israels als Volk Gottes festzuhalten als auch die Universalität des Heils in Jesus Christus zu verdeutlichen. Beide, Universalität und Partikularität, sind dabei nicht getrennt, sondern aufeinander bezogen: „Umgekehrt ist der matthäische Universalismus auf Israel rückbezogen: Die Völker gewinnen Anteil an dem zuvor in Israel kundgewordenen Heil, ja die Erfüllung der Israel gegebenen Verheißungen durch das irdische Wirken Jesu ist die Voraussetzung dafür, dass auch die Verheißung des Völkersegens zur Erfüllung gelangt“ (MATTHIAS KONRADT, Die neue Matthäusperspektive, in: BiKi 3/2019, 130–136, 132). 14
12.2 Hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik
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Im Folgenden sollen zunächst die „hermeneutische Grundfragen christlicher Toradidaktik“ benannt werden, die sich aus dem jüdisch-christlichen Verhältnis ergeben – in seiner religions- und gesellschaftsgeschichtlichen (Religionsentwicklung, Antijudaismus/Antisemitismus) wie auch theologischen Dimension (Zweifache Nachgeschichte) (12.2.1). Darauf folgt die Darstellung des hermeneutischen Ansatzes der Bibeldidaktik von Mirjam Schambeck (12.2.2) und dann abschließend die Skizzierung der Torahermeneutik als einer Hermeneutik der Ambivalenz (12.2.3). 12.2.1 Hermeneutische Grundfragen christlicher Toradidaktik Eine, vielleicht gar die hermeneutische Grundfrage christlicher Toradidaktik ist, Erich Zenger folgend,15 die Frage, ob es überhaupt einen genuin christlichen bibeldidaktischen Umgang mit dem Alten Testament16 gibt, der dieses als jüdische Bibel respektiert und zugleich als christliche Heilige Schrift in das Zentrum christlichen Lernens und Lehrens, also ins Zentrum der christlichen Religionspädagogik und außerschulischen Bildungsarbeit, stellt. Christlich-biblische Hermeneutik hat, bewusst oder unbewusst, immer mit dem Judentum zu tun. Eine christliche Bibeldidaktik kann sich zwar für oder gegen den jüdisch-christlichen Dialog entscheiden, aber sie kann sich nicht dem jüdisch-christlichen Verhältnis entziehen, da dieses in den Texten enthalten ist.17 Die Reflexion über eine antisemitismuskritische Hermeneutik des Ersten Testaments in der Bibeldidaktik stellt, wie zu Beginn dieser Arbeit beschrieben, ein Desiderat dar.18 Christliche Toradidaktik verlangt nach einer Hermeneutik innerhalb alttestamentlicher Bibeldidaktik, die den An- und Herausforderungen der zweifachen Nachgeschichte des Ersten Testaments bzw. Tanach gerecht wird. Eine solche Hermeneutik sollte auf folgende hermeneutische Grundfragen Antworten zu finden versuchen:19 15
Erich Zenger fragt provokativ, ob „es überhaupt einen genuin christlichen Umgang mit dem sogenannten Alten Testament [gibt], der dieses als jüdische Bibel respektiert und zugleich als christliche Heilige Schrift in das Zentrum christlichen Lebens stellt“ (ZENGER, Das Erste Testament, 22). 16 Mit der Frage nach der Bezeichnung der Teile der christlichen Bibel befindet man sich umgehend mitten in der Diskussion sowohl um das Verhältnis und den Stellenwert der Teile je einzeln als auch ihr Verhältnis zueinander. Vgl. hierzu a.a.O., 144–154. 17 Vgl. VON DER OSTEN-SACKEN, Stand des jüdisch-christlichen Dialogs, 206. 18 Vgl. B. SCHRÖDER, Religionspädagogik, 611. Auch Michael Fricke benennt „die weitergehende Verankerung all dieser Erkenntnisse und Haltungen in der religionspädagogischen (Diskurs-)Gemeinschaft in Universität und Schule“ als ein bleibendes Desiderat (FRICKE, Bedeutung, 208). Vgl. dazu oben Kapitel 3. 19 Diese hermeneutischen Grundfragen sind eine Weiterentwicklung der hermeneutischen Grundfragen, die Alexander Deeg für die Predigt des Ersten Testaments entwickelt hat. Die Homiletik hat die Hermeneutik desselben in Bezug auf die Predigt des Alten Testaments reflektiert. Vgl. DEEG, Art. Christliche Predigt, 2f.
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Kapitel 12: Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen
1) Die Frage der Adressaten: Können Christ:innen sich einfach als mit gemeint, mit angesprochen verstehen, wenn das Erste Testament zu und von Israel bzw. dem Volk Gottes spricht? Können und dürfen die Texte direkt zu den christlichen Leser:innen sprechen, und wenn ja, dann wie? Was bedeutet es, wenn dem so ist, für Jüd:innen? Welche Konsequenzen ergeben sich für den jüdisch-christlichen Dialog? 2) Die Frage nach dem Inhalt der beiden Testamente: Wie bezieht sich die Botschaft des Neuen bzw. Zweiten Testaments auf die Verheißungen im Alten bzw. Ersten Testament? Theologisch wurde hier immer wieder nach dem Verhältnis von Universalität und Partikularität, nach der Bedeutung des Gesetzes bzw. der Tora, aber zum Beispiel auch nach dem Umgang mit Gewalt im Alten und im Neuen Testament gefragt.20 3) Die Frage nach dem Verhältnis von Christentum zu Judentum: Wie und durch welche Bilder wird die Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum historisch angemessen gestaltet? Wie kann die Verhältnisbestimmung ohne Projektionen und antijüdische Abwertungen und eine christliche Identität, die nicht auf Kosten und in Abgrenzung zum Judentum fußt, aussehen? 4) Die Frage nach der historischen Distanz: Mit der Entwicklung der historisch-kritischen Methode werden die Texte des Alten Testaments als vorchristlich beschrieben und wird damit eine religiöse Entwicklung in die Texte eingeschrieben, der oft eine Abwertung des Judentums inhärent war. Wie können die Texte historisch bewusst und ohne Abwertungsmechanismen unterrichtet und gleichzeitig die historisch bedingte Fremdheit der Texte ernst genommen werden? Diese Grundfragen und Grundkonstellationen christlicher Hermeneutik des Ersten Testaments stellen sich nicht nur für die Bibeldidaktik, sondern für das Fach insgesamt. Als Nächstes wird die „multiperspektivische Hermeneutik“ von Mirjam Schambeck als ein Antwortversuch auf die Frage nach einer Hermeneutik beider Testamente im Angesicht des erneuerten Verhältnisses
20
Mit der Frage des Verhältnisses der beiden Testamente als zentralem Themenfeld beschäftigt sich Fricke in seiner Studie zu schwierigen Bibeltexten des Alten Testaments. Da sich seine Studie auf die Grundschule bezieht, fragt er an, inwieweit das Verhältnis schon explizit Thema im Unterricht sein kann, betont aber die Wichtigkeit, dass sich Lehrkräfte mit dem Verhältnis der beiden Testamente beschäftigen. Er stellt zunächst verschiedene Modelle der Zuordnung, wie das Kontrastmodell, das Relativierungs- bzw. Subordinationsmodell, das heilsgeschichtliche Modell, das Evolutionsmodell, das Modell des Christuszeugnisses als mysterium fidei, das Modell der doppelten Leseweise und das Modell der Dauerreflexion innerhalb des Kanons, vor. Im Hinblick auf die Bibeldidaktik hält er die beiden letzten Modelle für geeignet und betont, dass sich dies schon in den Lehrplänen niederschlage. In der Lehrer:innenausbildung und in der Auslegungspraxis müsse dies aber auch durch die Einbeziehung jüdischer Quellen berücksichtigt werden. Vgl. FRICKE, Bibeltexte, 121–131.
12.2 Hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik
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von Judentum und Christentum vorgestellt und für unser Anliegen hermeneutischer Voraussetzungen christlicher Toradidaktik fruchtbar zu machen versucht. Daran anschließend werden die Ergebnisse in einem eigenen Ansatz, den ich Hermeneutik der Ambivalenz nennen möchte, zusammengefasst. 12.2.2 Die multiperspektivische Hermeneutik Mirjam Schambeck hat in ihrer gesamtbiblischen Didaktik mit der multiperspektivischen Hermeneutik einen Vorschlag für eine Hermeneutik der beiden Testamente vorgelegt, die dem erneuerten Verhältnis von Christ:innen und Jüd:innen Rechnung tragen will.21 Aus christlicher Perspektive vollzieht sich die Auslegung der Kanons immer als die der „zwei-einen Bibel“.22 Das Modell der multiperspektivischen Hermeneutik, so Schambeck, „nimmt ernst, dass sich die Heilige Schrift der Christen aus zwei Testamenten zusammensetzt, wobei der erste, größere Teil zudem die Heilige Schrift einer anderen Religionsgemeinschaft ist, nämlich des Judentums“.23 Diese Hermeneutik besteht im Wesentlichen aus drei Grundelementen: 1) Das Erste Testament ist konstitutiv für das Verständnis des Zweiten Testaments. Das Judentum ist die Wurzel des Christentums.24 2) Das Christusereignis begründet für Christ:innen eine Neuinterpretation der Heiligen Schrift des Volkes Israel. „Mit anderen Worten wird eine christliche Auslegung der Schriften die Unableitbarkeit des Christusereignisses sowohl voraussetzen als auch ausdeuten.“25 3) Der Tanach soll von Christ:innen als selbstständige Stimme wahrgenommen werden. Diese zwei Seiten der Schrift, als Tanach und als christliche Bibel, dürfen weder vermischt noch getrennt, sondern müssen als zusammengehörig verstanden werden. Die jüdische Auslegung der Bibel solle symfonisch mit der christlichen Auslegung zusammen mitklingen, ohne dass beide ineinander aufgehen. Dabei müssen christliche Leser:innen sich ihrer Rolle bewusst sein: Die neutestamentlichen Hörer und Leser des Alten Testaments akzeptieren, dass sie als „Zweitadressaten“ dieser Schrift zu verstehen sind, also zusammen mit Israel und partizipierend an der Hörgemeinschaft Israels diese Schrift als Wort Gottes vernehmen. 26
Das Zusammenspiel dieser drei Elemente bezeichnet Schambeck als „multiperspektivische“ Hermeneutik. Michael Fricke plädiert dafür, die drei Elemen-
21
Vgl. SCHAMBECK, Bibeltheologische Didaktik, 91–93. A.a.O., 91. 23 A.a.O., 92. 24 Zu der Kritik an dem Bild des Judentums als Wurzel des Christentums vgl. den Abschnitt „ineinander statt nacheinander“ in den Aufmerksamkeitskriterien der Torahermeneutik. Vgl. dazu JAMES D. G. DUNN, The Partings of the Ways. Between Christianity and Judaism and their Significance for the Character of Christianity, London 1991. 25 SCHAMBECK, Bibeltheologische Didaktik, 92. 26 A.a.O., 93f. 22
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Kapitel 12: Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen
te der multiperspektivischen Hermeneutik von Schambeck als Grundorientierung für heutige Bibeldidaktik des Ersten Testaments zu verwenden.27 Er stellt zudem fest: Im Sinne einer gesamtbiblischen Hermeneutik lässt sich sagen: Christen lesen das AT nicht nur, weil Jesus Christus ihr (jüdischer) Lehrer ist oder weil die Christenheit es von Beginn an tat, sondern weil sie die Texte des AT – genau wie die des NT – direkt zu sich sprechen lassen, auch wenn sie um die Besonderheit des AT wissen.28
Obschon sowohl der Entwurf von Schambeck als auch seine Rezeption durch Michael Fricke einige Anknüpfungspunkte für eine Torahermeneutik bieten, müssen diese Vorarbeiten doch meines Erachtens zum Teil auf der Basis der neueren Forschungsansätze zum Verhältnis von Judentum und Christentum unter anderem von Daniel Boyarin29 erweitert und konkretisiert bzw. kritisiert werden: Zum einen ist die Verhältnisbestimmung von Judentum als Wurzel des Christentums kritisch zu diskutieren; zudem ist die Leserichtung entscheidend, wie das Erste Testament und das Christusereignis zueinander in Beziehung gesetzt werden, und schließlich, wie das Erste Testament sowohl so gelesen und unterrichtet werden kann, dass es direkt zu den Gläubigen spricht, und so, dass es gleichzeitig als jüdisches Buch wahrgenommen wird. Auf diese Kritikpunkte werde ich nun im folgenden Abschnitt zu den Aufmerksamkeitskriterien für eine Torahermeneutik eingehen. 12.2.3 Hermeneutik der Ambivalenz Gesucht wird also für das Vorhaben einer christlichen Toradidaktik – das lässt sich aus dem bisher Gesagten festhalten – eine Hermeneutik, die das Erste Testament als jüdische Bibel respektiert und zugleich als christliche Heilige Schrift in das Zentrum christlichen Lernens und Lehrens, also ins Zentrum der evangelischen Religionspädagogik, stellt. Diese soll im Folgenden entlang von sie auszeichnenden Aufmerksamkeitskriterien umrissen werden. Ich nenne sie, insofern sie die Ambivalenz ihres Gegenstands, ihrer Perspektivik und ihrer Kontextbedingungen (des Textverständnisses und der Textvermittlung) ernst nimmt, aufnimmt, erhält und explizit macht: Hermeneutik der Ambivalenz.30 Darin ist sie eine Hermeneutik der Ambivalenz im wortwörtlichen Sinne: Sie ist eine, die beide (lat. ambo) gelten (lat. valere) lässt und sich – einem
27
Vgl. MICHAEL FRICKE, Art. Altes Testament im Religionsunterricht, bibeldidaktisch, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2021, 2. 28 A.a.O., 6. 29 Vgl. BOYARIN, Abgrenzungen; DERS., Die jüdischen Evangelien. Die Geschichte des jüdischen Christus, übers. v. Armin Wolf (Judentum – Christentum – Islam 12), Würzburg 2015. 30 Vgl. bereits den Artikel von HECKE/STAFFA, Wahrheit.
12.2 Hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik
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Kippbild31 gleich – die Ambiguität zu eigen macht und aus ihr schöpft. Die Hermeneutik der Ambivalenz lässt sich gut an dem Phänomen des Kippbildes verdeutlichen: In einem Kippbild werden zwei Bilder in einem dargestellt, die Betrachter:innen können aber immer nur eine Abbildung sehen. Das Kippbild ist demnach nicht eindeutig, sondern doppeldeutig und doppeldeutlich. Jürgen Ebach hat verschiedene Beobachtungen zu Kippbildern publiziert,32 die ich hier zur Charakterisierung der Hermeneutik der Ambivalenz aufnehmen möchte: Kippbilder zeigen in ein und demselben Bild verschiedene Bilder, zum Beispiel eine alte und eine junge Frau, einen Kelch oder zwei sich anschauende Profile etc. Jeweils sind beide Wahrnehmungen möglich, ein geübtes Auge kann beide auch in raschem Wechsel sehen, doch gelingt es nie, sie beide gleichzeitig wahrzunehmen. Es muss immer ein Aspekt ausgeblendet werden, um den anderen wahrzunehmen, und doch kennzeichnet das „Aspektsehen“, wie wir seit Wittgenstein wissen, den anderen, gerade nicht aktualisierten Aspekt bereits zu kennen, ihn als Aspekt in seiner Differenz zum zuerst gesehenen, erkannt zu haben.33 Kippbilder können für diese Art der mehrdeutlichen und mehrdeutigen Wahrnehmung sensibilisieren und helfen, diese Tatsache immer wieder bewusst zu machen. Ebach verknüpft die Metapher des Kippbildes mit der rabbinischen Auslegungsmethode vom schwarzen und weißen Feuer. Die Buchstaben, die Konsonanten der Tora sind in dieser Lektüre schwarzes Feuer, die Zwischenräume zwischen ihnen sind weiß. Die schwarzen Buchstaben repräsentieren den einfachen, wörtlichen Sinn. Das Weiße zwischen ihnen bildet den Raum für die vielen Lesarten und Interpretationen in den Wörtern sowie hinter und zwischen ihnen.34 Die Tora stellt in dieser Methode und Interpretation selbst ein Kippbild dar. Gleichzeitig ist der Raum zwischen Text und Rezeption wie ein Kippbild, also mehrdeutlich: So ändert sich das Bild des Textes von der Perspektive auf den Text, der Ort zum Beispiel im Kirchenjahr, an dem er gelesen und interpretiert wird,35 die Blickrichtung, 31
Ich verwende hier explizit den Begriff des Kippbildes, den ich deutlich trennen möchte vom Vexierbild. Vexierbild kommt von vexare (lat. „plagen“) und deutet auf den „Betrug“ im Bild hin. Ein Kippbild ist meines Erachtens aber kein Trugbild, sondern repräsentiert die Vielheit in der Einheit und darin die Mehrdeutigkeit. 32 JÜRGEN EBACH, „Kipp-Bilder“ im Gespräch mit dem Bilderverbot. Mit einem Schwerpunkt auf Sigmar Polkes Menschensohn-Fenster im Züricher Grossmünster, in: Michaela Geiger/Rainer Kessler/Johannes Taschner (Hg.), Lieblingsbilder. … und das Bilderverbot?, Stuttgart 2020, 103–131. 33 Siehe dazu unter „Wittgensteins Aspektsehen“: MARC MÜLLER, Über „Aspektsehen“ und dessen enge Verwandtschaft mit dem „Erleben der Bedeutung eines Wortes“, in: Georg Gasser/Christian Kanzian/Edmund Runggaldier (Hg.), Kulturen. Streit – Analyse – Dialog/ Cultures. Conflict – Analysis – Dialogue. Papers of the 29th International Wittgenstein Symposium 6–12 August 2006, Kirchberg am Wechsel 2006, 207–209. 34 EBACH, Kipp-Bilder, 106. 35 Hierzu noch einmal Ebach: „Gerade biblische Texte sind in ihrer gottesdienstlichen Präsentation oft mit einem bestimmten kirchenkalendarischen Datum verbunden, man denke
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Kapitel 12: Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen
ob ich auf ihn als alte oder junge Frau, als Jugendliche oder Erwachsene schaue. Die Torahermeneutik als eine Hermeneutik der Ambivalenz traut und mutet sowohl den Pädagog:innen als auch den Rezipierenden sowie auch den biblischen Texten selbst das Zweifache, das Ineinander und die Mehrdeutigkeit der Schrift nicht nur zu, sondern nutzt sie produktiv für das Bildungsgeschehen. Sie möchte damit einen Beitrag zur Vermittlung von Ambiguitätstoleranz und zur Arbeit an einer mehrdeutigen christlichen Identität leisten. Eine solche Hermeneutik der Ambivalenz liest, unterrichtet und interpretiert das Erste Testament mit folgenden hermeneutischen Leitkategorien: 1) Zweifach statt einfach Der Ausgang des Ersten Testaments ist kein einfacher, sondern ein zweifacher – das Erste Testament hat in Judentum und Christentum eine doppelte Nachgeschichte.36 Christoph Dohmen plädiert dafür, die Zweieinheit der christlichen Bibel, die immer beinhaltet, dass eben das Erste Testament vom Judentum übernommen ist und mit ihm geteilt wird, in das christliche Selbstverständnis zu integrieren und zum Fundament der Hermeneutik desselben zu erklären.37 Dies erfordert ein Verstehen und Lesen der Texte angesichts der doppelten Nachgeschichte des Ersten Testaments „in der Begegnung mit dem eigentlich bekannten, in so vielen Aspekten aber doch noch unvertrauten und verkannten Anderen, dem Judentum“.38 Eine Hermeneutik und eine Didaktik, die der zweifachen Nachgeschichte gerecht werden, buchstabieren durch, was es heißt, dass sich Judentum und Christentum „in wechselseitiger Befruchtung wie Abgrenzung auf dem Boden der alttestamentlichen Überlieferung entwickelt“39 haben. Diese zweifache Nachgeschichte ist vielschichtig und komplex: Das Erste Testament ist nicht nur christliche, sondern auch jüdische Nachgeschichte, und „das Judentum“, so betont Daniel Boyarin, „ist nicht die ‚Mutter’ des Christentums“.40 Boyarin verwendet zur Beschreibung des nur an die prophetischen Verheißungen, die zur Advents- und Weihnachtszeit in messianisch-christologischer Fokussierung zu Gehör kommen“ (a.a.O., 110). Als Beispiel nennt er hier, ob Lk 19,41–48 zum sog. „Judensonntag“ bzw. „Gedenktag der Zerstörung Jerusalems“ bzw. „Israelsonntag“ gelesen und interpretiert wird. 36 BLUM/MACHOLZ/STEGEMANN, Die Hebräische Bibel. 37 DOHMEN/STEMBERGER, Hermeneutik, 216. 38 B. SCHRÖDER/HECKE, Art. Toradidaktik, 8. 39 Ebd., 11. 40 BOYARIN, Abgrenzungen, 6. Boyarin plädiert dafür, erst ab Nizäa (325 n. Chr.) von einer vollständigen Trennung des Christentums und des Judentums zu sprechen: „Was letzten Endes in Nizäa und Konstantinopel erreicht wurde, war die Errichtung eines Christentums, das vollständig vom Judentum getrennt war. Da das Christentum seine Grenzen nicht auf der Grundlage ethnischer Zugehörigkeit, geographischen Standorts oder gar Herkunft definieren konnte, war die Suche nach klaren Verfahren, sich selbst vom Judentum zu unterscheiden, sehr dringlich – und diese Konzilien verfolgten dieses Ziel energisch. Das hatte den historischen Nebeneffekt, dass das Römische Reich und seine verantwortlichen kirchlichen
12.2 Hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik
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Verhältnisses das recht drastische Bild von Zwillingen, die an der Hüfte zusammengewachsen sind. Seine Forschungsarbeiten haben dazu beigetragen, dass das religionsgeschichtliche Verhältnis von Judentum und Christentum zueinander sachgemäßer beschrieben werden kann. Der Religionswissenschaftler Johann Ev. Hafner beschreibt es folgendermaßen: „Das rabbinische Judentum und das paulinische Christentum sind zwei Bewegungen, die auf den Trümmern der von den Römern zerstörten Tempel-Religion Israels zwei neue, konkurrierende Interpretationsweisen aufgebaut haben.“41 Das immer noch weit verbreitete Bild, dass das Judentum die Wurzel des Christentums sei, suggeriert ein Nacheinander der Prozesse, wobei eine sachgemäße Beschreibung eher ein Nebeneinander der zweifachen Nachgeschichte wäre. Didaktisch-methodisch heißt das, die zweifache Nachgeschichte je altersgerecht verständlich zu vermitteln, sodass sie nicht nur akzeptiert, sondern als Bereicherung und Teil der eigenen Glaubensgeschichte wahrgenommen wird. 2) Mehrdeutlich statt eindeutig Die Bibel ist, so Jürgen Ebach, nicht eindeutig, sondern mehrdeutlich.42 Biblische Wörter und Bilder haben je nach Perspektive der Auslegenden und ihrer Auslegungsgemeinschaft mehr als einen Sinn und eine Auslegungsmöglichkeit. Diesen Zugang übernimmt Ebach von der rabbinischen Exegese und Hermeneutik.43 Diese mehrdeutige oder auch mehrdeutliche Wahrnehmung von und Zugang zu Figur, Texten und Grund lässt sich mit einem rabbinischen und dann vor allem kabbalistischen Motiv verbinden, nämlich mit dem schwarzen Feuer und dem weißen Feuer:
Autoritäten das Bestehen eines vollkommen getrennten ‚orthodoxen‘ Judentums bewirkten. Zumindest von einem juristischen Standpunkt aus wurden danach Judentum und Christentum im 4. Jh. völlig getrennte Religionen. Davor hatte niemand (Gott natürlich ausgenommen) die Autorität, den Menschen zu sagen, dass sie jüdisch oder christlich wären oder nicht; und viele hatten es vorgezogen, beides zu sein. Zur Zeit Jesu waren alle, die Jesus folgten – und selbst jene, die glaubten, dass er Gott wäre – Juden!“ (BOYARIN, Die jüdischen Evangelien, 34) 41 JOHANN EV. HAFNER, Geleitwort, in: Boyarin, Die jüdischen Evangelien, 11–16, 11. 42 JÜRGEN EBACH, Mehrdeutlichkeit (Theologische Reden 9 N.F. 3/Erev-Rav-Hefte Biblische Erkundungen Nr. 13), Uelzen 2011, 9–14. 43 Typisch für die Mehrdeutlichkeit der rabbinischen Hermeneutik ist Ps 62,12: „Eines hat Gott geredet, zwei sind, die ich gehört habe.“ Somit hat in der rabbinischen Auslegung jedes kleinste Jota des Tanach mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten. Vgl. dazu EBACH, Die Bibel beginnt mit „b“.
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Kapitel 12: Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen
Die Buchstaben, die Konsonanten der Tora sind in dieser Lektüre schwarzes Feuer, die Zwischenräume zwischen ihnen weißes. Die schwarzen Buchstaben stehen für den Pschat, den – in christlich-theologischer Terminologie – sensus literalis, den einfachen, wörtlichen Sinn – sozusagen für das, was schwarz auf weiß zu lesen ist. Das Weiße zwischen ihnen bildet den Raum für die vielen Lesarten und Interpretationen in den Wörtern sowie hinter und zwischen ihnen.44
Schon das Wort mehrdeutlich ist selbst nicht eindeutig: „Es kann als eine Variation von ‚Mehrdeutigkeit‘ gelesen werden, aber auch als Vorsatz, das in den Texten Bezeichnete noch mehr deutlich werden zu lassen.“45 Dies ist wiederum ganz im Sinne der rabbinischen Schriftlektüre, die unter anderem zwischen der erzählenden, fantasievollen Aggada und der verbindlichen, akribischen Halacha unterscheidet. Eine Torahermeneutik lernt von der jüdischen Lesart der Bibel und bringt jüdische und christliche Interpretationen miteinander ins Gespräch. Didaktisch-methodisch erfordert dies ein akribisches und fantasievolles Lesen46 der Bibeltexte. 3) Neben- und miteinander statt nacheinander Das historische Nacheinander von Altem und Neuem Testament sollte für eine antisemitismuskritische Bibeldidaktik in ein theologisches Ineinander transformiert werden. So kann das Alte Testament als Herausforderung verstanden werden, die darauf hinweist, was das Neue voraussetzt bzw. was noch nicht abgeglichen ist. Das Erste Testament und darin explizit auch die Tora bildet, so Frank Crüsemann, den „Wahrheitsraum“47 des Zweiten Testaments und damit die bleibende Glaubensgrundlage des Christentums. Peter von der OstenSacken schlägt, um dieses Neben- und Ineinander von Erstem und Zweitem, von Altem und Neuem Testament zu entdecken, einen vierfachen Schriftsinn vor: einen historischen oder literarischen zum einen, einen christlichen zum anderen, dem dann wiederum – gleichsam als eine dritte Perspektive – der jüdische Schriftsinn gleichberechtigt gegenüberzustellen sei.48 Wo sich christliche und jüdische Ausleger:innen begegnen und ins Gespräch kommen, kann man nach von der Osten-Sacken von einem sensus dialogicus, dem vierten Schriftsinn, sprechen. Dieser vierfache Schriftsinn ermöglicht es, auf Augenhöhe und in Freiheit die Schrift jeweils von verschiedenen Seiten aus auszulegen. 44
EBACH, Kipp-Bild, 106. Ebach greift dafür auf die Ausführungen zur jüdischen Hermeneutik von Moshe Idel zurück. Vgl. MOSHE IDEL, „Schwarzes Feuer auf weißem Feuer“. Text und Lektüren in der jüdischen Tradition, in: Aleida Assmann (Hg.), Texte und Lektüren. Perspektiven in der Literaturwissenschaft, Frankfurt am Main 1996, 29–46. 45 EBACH, Mehrdeutlichkeit, 11. 46 Vgl. DEEG, Phantasie und Akribie. 47 Vgl. dazu die gleichnamige Monographie von CRÜSEMANN. 48 Vgl. VON DER OSTEN-SACKEN, Bausteine, 18 und DERS., Plädoyer für einen vierfachen Schriftsinn, in: Ders., Ende einer Feindschaft – Beginn einer Freundschaft? Martin Luther, Altes Testament und Judentum – Aufsätze und Vorträge (Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Judentum 1), Hannover 2016, 58–63.
12.2 Hermeneutische Voraussetzungen christlicher Toradidaktik
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4) Teilhaben statt beanspruchen Eine traditionelle christliche und leider antijüdische Lesart des Ersten Testaments ist die beanspruchende, an- und teilweise enteignende und unterordnende, in der die Kirche und die christliche Leser:innenschaft sich an die Stelle Israels setzt. Einer antisemitismuskritischen Bibelhermeneutik geht es dagegen um Teilhabe um Besitz, um Partizipation statt Substitution. Die Teilhabe an den Texten geht davon aus, und hier zitiere ich noch einmal Jürgen Ebach, dass sich am Rand der Texte viel Platz befindet.49 Ebach verdeutlicht dies am Beispiel der Psalmen: Die Psalmen, die Weisheitssprüche und die Prophetensprüche sind in der christlichen Bibel so abgedruckt, dass Platz am Rand ist. Er beschreibt dies nicht als rein formale Beobachtung, sondern als Rezeptionsperspektive, in der die Lesenden und Lernenden an den Texten der Hebräischen Bibel teilhaben, auf der Basis – und hier merkt man, dass die Perspektiven ineinandergreifen können –, dass es mehr als eine Lektüreweise, mehr als eine Verstehensmöglichkeit gibt, dass am Rande der Texte mehr Platz ist als nur für eine Auslegungsperspektive. Für diese Teilhabe an den Texten des Ersten Testaments eignen sich dann zwei Adverbien aus der christlichen Predigt des Ersten Testaments als Leitkategorien: selbstverständlich und israelsensibel.50 Liest eine Bibeldidaktik des Ersten Testaments die Texte auf der einen Seite selbstverständlich, dann gehören sie in die Lehr- und Rahmenpläne; dann sind sie Teil der christlichen Heiligen Schrift; dann entdeckt sie ihre Vielfalt und ihre innere Eigenlogik; dann stellt sie sich in ihre Tradition, und Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Jakob und Lea und Rahel sind dann auch die Erzmütter und -väter im christlichen Religionsunterricht, und die Schüler:innen sind gemeint und werden direkt von den Texten angesprochen. Aber insbesondere angesichts der vielen Selbstverständlichkeiten muss gelten, dass das „Alte Testament […] ein Text [ist], der nicht anders als Israel-sensibel gelesen und [… unterrichtet] werden kann“.51 Den Begriff israelsensibel hat der katholische Pastoraltheologe Heinz-Günter Schöttler in Bezug auf die Predigt des Ersten Testaments geprägt.52 Er verweise darauf, dass diese Texte zunächst die Texte anderer seien und zu anderen sprechen und dass wir, als Christ:innen, nur sekundär zu Adressaten würden. Selbstverständlich und israelsensibel ist dann Teilhabe ohne Enteignung an der Tora, aber sie erfordert didaktisch und methodisch die Reflexion der eigenen Lese-, Hör-, Bet-, Lern- und Lehrposition. Es bedeutet eine Akzeptanz 49 Ebach übernimmt diesen Grundsatz von dem Theologen Wolfgang Schrade. Vgl. JÜRGEN EBACH, „Du bist bei mir“. Einen bekannten Psalm neu hören. Bibelarbeit über Ps 23 beim Ostfriesischen Kirchentag in Aurich, 14. Juli 2012, in: Ders., In Atem gehalten (Theologische Reden 10/Biblische Erkundungen 15), Uelzen 2012, 116–129, 118. 50 DEEG, Selbstverständlich und Israel-sensibel. 51 A.a.O., 29. 52 SCHÖTTLER, Predigt, 373–384.
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Kapitel 12: Toraverständnis und hermeneutische Voraussetzungen
der Aussage, dass die biblischen Texte des Ersten Testaments nicht an uns gerichtet, aber für uns richtig sind. Mit einer Hermeneutik der Ambivalenz wird die Tora also, dem Kippbild gleich, zweifach statt einfach, mehrdeutlich statt eindeutig, mit- und nebeneinander statt nacheinander und teilhabend statt beanspruchend gelesen, unterrichtet und interpretiert. Eine solche hermeneutische Grundausrichtung lässt jüdische und christliche Interpretationen und Nachgeschichte des Ersten Testaments gleichberechtigt nebeneinanderstehen; sie hat selbstverständlich teil an den Texten des Ersten Testaments und liest sie israelsensibel im Wissen um die zweifache Nachgeschichte und schöpft aus ihrer Mehrdeutlichkeit. Sie traut und mutet sowohl den Pädagog:innen als auch den Rezipierenden sowie auch den biblischen Texten selbst das Zweifache, das Ineinander und die Mehrdeutlichkeit der Schrift, nicht nur zu, sondern nutzt sie produktiv für das Bildungsgeschehen.
Kapitel 13
Elementaria christlicher Toradidaktik Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Nachdem in den beiden vorangegangenen Kapiteln Voraussetzungen der Rezeption jüdischer Toradidaktiken sowie das Toraverständnis und die hermeneutischen Grundlagen christlicher Toradidaktik zu klären versucht wurden, sollen mit dem folgenden Kapitel die Elementaria einer christlichen Toradidaktik dargestellt werden. Sie bilden Vorschläge, basierend auf der Rezeption jüdischer Toradidaktiken, und denken diese im Kontext der christlichen Religionspädagogik weiter. Eine christliche Toradidaktik ist, so eine These der Studie, „Ambiguitätsdidaktik“1 und leistet darin einen Beitrag zur Pluralitätsmoderation der Gegenwart. Ambiguität und Ambivalenz, Ambiguitätstoleranz und Ambiguitätssolidarität2 sind wie ein Prisma, mit dessen Hilfe ich die Bausteine einer christlichen Toradidaktik entwickle. Der Begriff der Ambiguität kommt von lateinisch ambiguus, was mit „doppeldeutig“, „mehrdeutig“, „uneindeutig“ übersetzt werden kann, und meint damit Bedeutungsvielfalt, Zweideutigkeit und Mehrdeutigkeit. Nach Ina Jekeli bezeichnet der Begriff Phänomene aller Art, „die durch Unterbestimmtheit, Unklarheit, Neuheit, Offenheit, Komplexität, Überdeterminiertheit, Widersprüchlichkeit oder Paradoxie gekennzeichnet sind“.3 In der Psychoanalyse wird Ambivalenz als individuelle oder kollektive Reaktion auf Ambiguität durch die Gleichzeitigkeit widersprüchlicher 1
Für Bernhard Dressler ist jegliche Religionsdidaktik nur als Ambiguitätsdidaktik sachgerecht, denn wegen „der Bedeutungsüberschüsse von Metaphern und Narrationen, wegen deren Deutungsoffenheit und Deutungsbedürftigkeit, kann religiöses Lernen nicht auf eindeutige Einsichten zielen, sondern auf das Verstehen von und den Umgang mit Mehrdeutigkeiten“ (BERNHARD DRESSLER, Religion verstehen. Beiträge zur Religionshermeneutik und zu religiöser Bildung [PTHe 170], Stuttgart 2020, 226f. Vgl. dazu ebenfalls DERS., Religionsunterricht. Bildungstheoretische Grundlegungen, Leipzig 2018, 107–110.284–299. 2 Da es meist mehr als zwei, also dementsprechend multiple Optionen und Interpretationen gibt, plädiert z.B. Eric Lippmann dafür, von Multiguität oder Multiguitätstoleranz statt von ambi- („zwei“) zu sprechen. Demgegenüber halte ich gerade in didaktischen und unterrichtlichen Kontexten schon das Ziel der Doppel- und Mehrdeutigkeit für eine Herausforderung, sodass dies zunächst die Ziellinie darstellen soll, die dann, wenn der Kontext es zulässt, natürlich erweitert werden kann und soll. Vgl. ERIC LIPPMANN, Identität im Zeitalter des Chamäleons. Flexibel sein und Farbe bekennen, Göttingen 2013, 182. 3 INA JEKELI, Ambivalenz und Ambivalenztoleranz. Soziologie an der Schnittstelle von Psyche und Sozialität, Osnabrück 2002, 99.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen charakterisiert.4 Ambige Situationen können Ambivalenzen hervorrufen und daraus folgend Unsicherheit, Angst und eine Abwehrsituation erzeugen. Zygmunt Bauman führt dies auf die Eigenschaft der Ambivalenz zurück, Unordnung sichtbar zu machen. 5 Ambivalenz wird oft als ein Problem charakterisiert, welches minimiert oder zumindest ertragen und erduldet werden muss und tendenziell Überforderung bei Menschen auslöst. Demgegenüber steht eine Auffassung von und ein Umgang mit Ambiguität und Ambivalenz, der diese als Herausforderungen sieht, die innovativ und kreativ bearbeitet werden müssen. Ziel ist es dabei, um es mit Christa Wolf zu formulieren, „Freude aus Ungewissheit“ zu ziehen6 und Lust an der Offenheit von Situationen zu haben. Klessmann findet in der soziologischen Ambivalenzanalyse von Robert Merton eher beiläufig den Begriff des Oszillierens, der für das Verständnis und den produktiven Umgang mit Ambivalenz und Ambiguität hilfreich sein kann: Der aus der Physik entlehnte Begriff des Oszillierens bezieht sich auf ein Pendel, das sich ständig und schnell hin und her bewegt und eben darin seine Funktion erfüllt. So kann man sich Ambivalenz analog vorstellen: Ein schnelles Wechseln zwischen gegensätzlichen Gedanken, Gefühlen, Verhaltensweisen.7
Eine Ambiguitätsdidaktik oszilliert im Sinne eines Pendels, welches immer in Bewegung ist, und wechselt also zwischen verschiedenen, teils sogar gegensätzlichen Perspektiven, Gedanken und Auslegungen. Dieses Oszillieren muss erlernt werden und erfordert Übung. Die Tora ist hierfür meines Erachtens auf unterschiedlichen Ebenen ein idealer Lerngegenstand für eine Ambiguitätsdidaktik: Erstens ist die Postmoderne mit der ihr selbstverständlich gewordenen Vielfalt und Mehrdeutigkeit, ja Widersprüchlichkeit fast aller Lebensphänomene von Ambiguität und Ambivalenz durchdrungen. Sie stellen somit ein prägendes Element der Lebenswelt von Schüler:innen und Lehrer:innen dar. So betont Klessmann, dass Ambivalenz eine nicht nur sehr verbreitete, „sondern geradezu notwendige und potenziell kreative Reaktionsweise zur Bewältigung
4 Zu Ambivalenz in der Psychoanalyse siehe MICHAEL KLESSMANN, Ambivalenz und Glaube. Warum sich in der Gegenwart Glaubensgewissheit zu Glaubensambivalenz wandeln muss, Stuttgart 2018, 63–87. 5 Vgl. ZYGMUNT BAUMAN, Moderne und Ambivalenz, Das Ende der Eindeutigkeit, aus dem Englischen von Martin Suhr, Neuausgabe, Hamburg 2005, 11: „Ambivalenz, die Möglichkeit, einen Gegenstand oder ein Ereignis mehr als nur einer Kategorie zuzuordnen, ist eine sprachspezifische Unordnung: ein Versagen der Nenn-(Trenn-)Funktion, die Sprache doch eigentlich erfüllen soll. Das Hauptsymptom der Unordnung ist das heftige Unbehagen, das wir empfinden, wenn wir außerstande sind, die Situation richtig zu lesen und zwischen alternativen Handlungen zu wählen.“ 6 Vgl. dazu KLESSMANN, Ambivalenz, 50. 7 A.a.O.,102.
Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
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postmoderner Pluralität und Komplexität“8 darstelle. Diese komplexe Realität geht nicht mehr, und ging auch noch nie, in dichotomen Wertmustern von „richtig“ und „falsch“, „gut“ und „böse“ auf. Schüler:innen und Lehrer:innen sollten dementsprechend zur Pluralitätsmoderation Ambiguitätstoleranz oder sogar -solidarität erlernen bzw. unterrichten können. Denn Ambiguität muss immer mit Ambiguitätstoleranz oder -intoleranz zusammengedacht werden.9 Klessmann versteht Ambiguitäts(in)toleranz als Fähigkeit (oder Unfähigkeit) und Bereitschaft (oder fehlende Bereitschaft), die Vielfalt, Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit der Welt bzw. unserer Wahrnehmungen von ihr als solche überhaupt gelten zu lassen und auszuhalten, sie entweder aufzusuchen, wert zu schätzen und kreativ zu nutzen oder sie als bedrohlich und verwirrend abzuwerten.10
Vor diesem Hintergrund ist zweitens die Tora durch ihre doppelte Ambiguität ein idealer Lerngegenstand: Auf der einen Seite beheimatet sie ambige und teilweise auch ambivalente Geschichten und Texte in sich, auf der anderen Seite ist sie als ein zentraler Lerngegenstand im Judentum, der aber auch für die christliche Religionspädagogik und Theologie Relevanz entfaltet, ein interreligiöser Lerngegenstand, der unterschiedliche Traditionen und Interpretationen nach sich zieht. Mit Christentum und Judentum beziehen sich zwei Religionen auf den gleichen Gegenstand in sehr unterschiedlicher Art und Weise. Die Tora entspricht darin zum Teil dem Konzept der kulturellen Ambiguität, welches Thomas Bauer in seinen Studien zum Islam beschreibt. Er definiert „kulturelle Ambiguität“, wenn einem Begriff, einer Handlungsweise oder einem Objekt gleichzeitig zwei gegensätzliche oder mindestens zwei konkurrierende, deutlich voneinander abweichende Bedeutungen zugeordnet werden können.11 Ben Bag Bag bringt am Ende von Mischna Avot dieses wundersame Phänomen der Tora mit dem Ausspruch auf den Punkt: „Wende und wende sie immer wieder, denn alles ist in ihr“ (m.Avot 5,22).12 Die Tora ist ein ambiger Gegenstand, der auf jede Frage eine Antwort hat, wenn man ihn nur lange genug studiert. Ist dem so, zeigt sie gemäß Albrecht Lohrbächer „offenbar das 8
A.a.O., 49. Der Begriff der Ambiguitätstoleranz geht auf die Psychoanalytikerin und Psychologin Else Frenkel-Brunswik zurück (siehe oben S. 8, Anm. 21). Sein Ursprungskontext sind die Studien zum Antisemitismus, die Brunswik unter anderem mit Theodor W. Adorno zu antisemitischen Vorurteilen in den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts an der University of California in Berkeley machte. Zwar verwende ich nicht die ursprüngliche Begriffsdefinition, teile aber das Ziel: ein antisemitisches Ressentiment zu erforschen und möglichst zu überwinden. THEODOR W. ADORNO u.a., The Authoritarian Personality, New York 1950; vgl. THEODOR W. ADORNO, Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt am Main 41982. 10 KLESSMANN, Ambivalenz, 48. 11 Vgl. THOMAS BAUER, Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011, 27. 12 Vgl. dazu GÜNTER STEMBERGER , Geschichte und Literatur des rabbinischen Judentums. Judaica Minora 2 (TSAJ 138), Tübingen 2010, 427–433. 9
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Privileg, mehr zu enthalten, als sie enthält“,13 und dann könne man mit der Tora nur lernend leben. Die nun folgenden Elementaria der Toradidaktik wollen einen Beitrag dazu leisten, das lernende Leben mit der Tora aus christlicher Perspektive didaktisch darzustellen und auszugestalten. Als Tertium Comparationis des „impliziten“ Vergleichs und als Gliederungsmoment dieser Studie insgesamt dient das didaktische Viereck. Innerhalb dessen werden nun abschließend auch die Elementaria christlicher Toradidaktik entwickelt. Ihre Perspektive ist eine der Post-Subjektorientierung: Sie will sowohl die Tora als auch die Lernenden in das Zentrum ihrer didaktischen Überlegungen stellen und damit dezidiert nicht die Zeit vor das Paradigma der Subjektorientierung in der Religionspädagogik zurückdrehen und dementsprechend fordern, dass nur die Tora bzw. die biblischen Texte im Mittelpunkt der Religionspädagogik stehe. Vielmehr übernimmt und teilt sie die zentralen Einsichten der Subjektorientierung in der Religionspädagogik. So zum Beispiel drohen Lernprozesse ins Leere zu laufen, wenn die Schüler:innen in ihrer jeweiligen religiösen Entwicklung und mit ihren existenziellen Fragen didaktisch nicht in den Blick genommen werden. Im Bewusstsein dieser und anderer Stärken der Subjektorientierung sehe ich aber die Gefahr einer Bagatellisierung, der Instrumentalisierung und Verkürzung der Lerngegenstände. Die Lerngegenstände drohen zu reinen Objekten zu werden und nicht mehr komplexe, fremde Subjekte zu sein, die ebenfalls eigene didaktische Ansprüche haben und einen Raum im Unterrichtsgeschehen einnehmen müssen. Die Frage, ob die Schüler:innen oder die religiösen Lerngegenstände, in diesem Fall die Tora und mit ihr die Bibel, im Zentrum der unterrichtlichen und didaktischen Aufmerksamkeit stehen sollen, sollte mit einem sowohl als auch beantwortet werden. Beide haben einen Anspruch auf Geltung, mit ihren Eigenheiten und Bedürfnissen didaktisch vorzukommen. Auch dies erfordert ein Oszillieren zwischen den unterschiedlichen Fragerichtungen: von der Tora her auf der einen und von der Lehrkraft her auf der anderen Seite. In der Konsequenz mag das für beide Seiten Zugeständnisse und vielleicht sogar Zumutungen erzeugen: Den Lernenden wird ein komplexer, fremder Lerngegenstand zugemutet, der sich nicht einfach aneignen lässt, sondern in den und in dessen Komplexität man sich einarbeiten muss. Die Universalität der Tora muss immer wieder in Partikularität für je konkrete Lernprozesse aufgelöst und elementarisiert werden, was der Gefahr der Verkürzung, der Vereinfachung unterliegt. Die Aufgabe der Vermittlung und Übersetzung der Tora in die Welt der Lernenden obliegt im schulischen Kontext vor allem den Lehrer:innen – sie müssen den Spannungsbogen zwischen den beiden absoluten Ansprüchen der Subjektorientierung und der Zentralstellung der Bibel im didaktischen Geschehen verhandeln, diskutieren und entscheiden. Didaktisch können sie dafür auf zwei religionspädagogische Felder 13
LOHRBÄCHER, Christen, 11.
13.1 Der Text
335
zurückgreifen. Toradidaktik knüpft zum einen an die Ergebnisse der Bibeldidaktik an. Tora ist aber nicht nur der Beginn der christlichen Bibel, sondern auch und zuerst das religiöse Zentrum des Judentums; deswegen greift die Toradidaktik zum anderen, unter Berücksichtigung der speziellen Besonderheiten des jüdisch-christlichen Verhältnisses, das interreligiöse Lernen und seine didaktischen Fragestellungen auf.14 Die unterschiedlichen Ebenen des didaktischen Vierecks der christlichen Toradidaktik werden also jeweils mit Bezug auf bibeldidaktische Aspekte und mit Bezug zu den Fragestellungen des interreligiösen Lernens skizziert. Die Frage nach dem didaktischen Umgang mit Ambivalenz und Ambiguität zieht sich gleichsam wie ein roter Faden durch die Ausführungen.
13.1 Der Text 13.1 Der Text
Ein gewichtiger Impuls jüdischer Toradidaktiken ist die Zentralstellung des Gegenstandes der Tora, des Textes der Tora. Deswegen werde ich zunächst nach den sich daraus ergebenden Impulsen für eine christliche Toradidaktik fragen (13.1.1) und anschließend die Tora unter bibeldidaktischen Kriterien als vielfältigen Lerngegenstand (13.1.2) und als interreligiösen Lerngegenstand skizzieren (13.1.3). 13.1.1 Der Text im Zentrum Die Tora ist zweifellos sowohl Kern und Fundament als auch Impulsgeberin und Innovationskraft der bibeldidaktischen Konzeptionen innerhalb der toradidaktischen Entwürfe von säkular bis orthodox. Sie wird zum einen als Literatur, so beispielsweise bei Zvi Adar, und zum anderen als heiliger Text, so beispielsweise bei Nehama Leibowitz, gelesen und studiert. Dieses Primat der Tora und damit eines komplexen, unübersichtlichen, wenn nicht gar sperrigen und damit schwer zu elementarisierenden Gegenstandes im Zentrum der Überlegungen ist für die sonst dem Primat der Subjektorientierung folgende Bibeldidaktik des 21. Jahrhunderts zumindest ungewöhnlich, wenn nicht sogar provokativ und/oder altmodisch. Stand die Bibel bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts relativ unangefochten im Zentrum des evangelischen
14 Interreligiöses Lernen verstehe ich, mit Bezug auf Karlo Meyer, als „intentional gesteuerte, pädagogische Prozesse, in denen Begegnungsräume mit religiösen Zeug-nissen eröffnet werden, deren religiöser Hintergrund anders als der der Lernenden konstituiert ist, und die darauf angelegt sind, auf Basis einer konstruktiven Auseinandersetzung und in Achtung vor dem anderen religiöse Kompetenzen (weiter-)zuentwickeln“ (KARLO MEYER, Grundlagen interreligiösen Lernens, Göttingen 2019, 19f.). Zur Bedeutung des Bindestrichs in dem Wort „Zeug-nis“ siehe unten Abschnitt 13.1.3.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Religionsunterrichts,15 ändert sich dies, angestoßen unter anderem durch die Frage von Hans Bernhard Kaufmann: „Muss die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen?“16 und durch die anschließende Debatte über den Stellenwert und die Rolle der Bibel im Religionsunterricht.17 Daraus folgt in den 70er-Jahren die Subjekt- und Lebensweltorientierung der Religionspädagogik. Biblische Texte werden daraufhin eher zu Impulsgebern als zum zentralen, zu studierenden Lerngegenstand, und an sie werden didaktische Maßstäbe angelegt wie an andere Unterrichtsmaterialien.18 Bewusst gegen diesen Trend setzt die Toradidaktik das Primat des Textes und reagiert damit auf die drei Phänomene des Bedeutungsverlusts: die Ungelesenheit, die Abständigkeit der
15
Historisch rückblickend lässt sich festhalten, dass die Bibel immer eine zentrale, wenn auch sehr unterschiedliche Rolle in der religiösen Erziehung gespielt hat: So fand religiöse Bildung im Mittelalter durch christliche Sozialisation im Gottesdienst statt. Die Bibel war hier in ihrem liturgischen Gebrauch, in den Bildprogrammen der Kirchen und im szenischen Spiel insbesondere durch Gesang und Betrachtung präsent. In der Reformation und in ihrer Folge ist, auch wenn Luther die ganze Bibel übersetzt hat und sola scriptura eines seiner reformatorischen Grundprinzipien darstellt, der Katechismus als elementarisierte Form der Bibel der zentrale Gegenstand des schulischen Religions- und Konfirmandenunterrichts gewesen. Der Katechismus blieb bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts bei aller Kritik das zentrale Lehrbuch des Unterrichts. Die Bibel selbst rückte erst im Pietismus in den Fokus des Religionsunterrichts, methodisch wird sie durch Lesen, Fragen und Antworten erschlossen. Im Zentrum des Unterrichts stehen ein Abriss der Geschichte des Volkes Israel und die Lebensgeschichte Jesu. In der aufklärerischen Religionspädagogik des 18. Jahrhunderts und in der liberalen Religionspädagogik der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert rückt das Erzählen biblischer Geschichten und damit die Bibel als Erzählstoff in den Mittelpunkt. Der hermeneutische Religionsunterricht der 1960er-Jahre bringt dann einen Paradigmenwechsel mit sich, nicht mehr die Aneignung der Bibel als heiliges Buch steht im Mittelpunkt, sondern die kritische Befassung mit der Bibel. Der existenzialen Exegese von Rudolf Bultmann folgend zielt der Religionsunterricht zum ersten Mal auf das Verstehen der Bibel. Die historisch-kritische Exegese ist die zentrale und prägende Methode des Religionsunterrichts. Vgl. BERND SCHRÖDER, „Was Hänschen nicht lernt …“? Bibel und Religionsunterricht – Ein Beitrag zur Kultur nicht nur der Gegenwart, in: Michael Hütten-Hoff u.a. (Hg.), Die Bibel und die Kultur der Gegenwart, St. Ingbert 2007, 221–266, 231–247. 16 KAUFMANN, Bibel, 23–27. 17 Kaufmann bezeichnet die Zentralstellung der Bibel im hermeneutischen Religionsunterricht als „ein Selbstmißverständnis und weder theologisch noch didaktisch gerechtfertigt“ (KAUFMANN, Bibel, 23). Evangelischer Religionsunterricht solle nicht der Aufarbeitung der biblischen Tradition dienen, sondern die Schüler:innen zur Gestaltung der Zukunft befähigen. Infolgedessen findet in der problemorientierten Religionsdidaktik die Bibel als Impulsgeberin zur Problembearbeitung Verwendung. Vgl. B. SCHRÖDER, Hänschen, 243f. 18 So z.B. die Fragen: „Was an ihnen ist unverzichtbar für den geplanten Lernprozess? Was haben Schüler*innen für ihre Gegenwart und Zukunft davon, sich mit diesem oder jenem Bibeltext auseinanderzusetzen?“ (MARTINA STEINKÜHLER, Didaktik Heiliger Schriften, in: Saskia Eisenhardt u.a. [Hg.], Religion unterrichten in Vielfalt: konfessionell, religiös, weltanschaulich. Ein Handbuch, Göttingen 2019, 164–173, 165.
13.1 Der Text
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Bibel19 und die damit einhergehenden schwindenden Bibelkenntnisse der Schüler:innen.20 Damit schließt sie sich der Forderung an, dass die Tora und mit ihr die Bibel, ebenso wie die Schüler:innen, im Zentrum des Religionsunterrichts und der didaktischen Aufmerksamkeit stehen sollten, ohne sie gegen die Subjektorientierung des evangelischen Religionsunterrichts auszuspielen.21 In diesem Zusammenhang geht es mir dezidiert nicht darum, in die Zeit vor der Subjektorientierung des Religionsunterrichts zurückzukehren, sondern mit dieser im Rücken den Text in seiner Eigenwilligkeit wieder ins Zentrum der didaktischen Überlegungen und, darin gleichwertig, dialogisch neben die Subjektorientierung zu rücken. Der Text der Tora verdient sowohl in seinem literarischen Reichtum als auch als „Gottes Wort im Menschenwort“22 didaktische und unterrichtliche Aufmerksamkeit. Der Text im evangelischen Religionsunterricht befindet sich dementsprechend in einem Spannungsfeld zwischen Weltliteratur und normativ-kanonischem Anspruch. „Evangelischer Religionsunterricht“, so Hanna Roose, „hat die Aufgabe, christliche Lesarten biblischer Texte samt ihres normativ-kanonischen Anspruchs einzuspielen, ohne die Schülerinnen und Schüler darauf zu verpflichten.“23 Er kann und sollte zwar deutlich machen, dass die Tora als Teil der christlichen Bibel für das Christentum normative Ansprüche und einen anderen Wahrheitsgehalt hat, gleichzeitig kann mit der Bibel als Weltliteratur, wie in der Bibeldidaktik von Zvi Adar und auch Barry W. Holtz, gerade für nichtchristliche Schüler:innen24 ein Zugang zu biblischen Texten eröffnet werden. Wenn die Tora, wie im säkularen Judentum weit verbreitet, als Literatur gelesen werden kann und soll, dann ist
19
Vgl. B. SCHRÖDER, Religionspädagogik, 604. Christian Dern beschreibt die Situation folgendermaßen: „Die wenigsten Schülerinnen und Schüler – aus meiner Erfahrung weniger als 10% – verfügen über ein breites Perikopenwissen. Und selbst diese Schülerinnen und Schüler kennen keine biblischen Zusammenhänge“ (DERN, Dialogische Bibeldidaktik, 86). 21 Vgl. dazu a.a.O., 194–202. 22 HORST KLAUS BERG, Gottes Wort braucht keinen Vormund. Wege zur selbstständigen Auslegung der Bibel, Stuttgart/Ostfildern 2017, 17; MIRJAM SCHAMBECK, Biblische Facetten. 20 Schlüsseltexte für Schule und Gemeinde, Ostfildern 2017, 34. 23 HANNA ROOSE, Was für eine Hermeneutik braucht die Bibeldidaktik?, in: Peter Wick/Malte Cramer (Hg.), Allein die Schrift? Neue Perspektiven auf eine Hermeneutik für Kirche und Gesellschaft, Stuttgart 2019, 135–149, 141. 24 Hierfür ist entscheidend, dass schulischer Religionsunterricht seinem Selbstverständnis nach nicht (mehr) „Kirche in der Schule“ ist, sondern dass sich die Positionalität des Religionsunterrichts nach Art. 7,3 nach evangelischem Verständnis auf die Lehrenden und die Perspektive auf die Inhalte und eben nicht auf die Schüler:innenschaft bezieht. Vgl. BERND SCHRÖDER, Konfessionalität und kooperativer Religionsunterricht aus evangelischer Perspektive, in: Jan Woppowa u.a. (Hg.), Kooperativer Religionsunterricht. Fragen – Optionen – Wege (Religionspädagogik innovativ 20), Stuttgart 2017, 26–44, 35. 20
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
perspektivisch für eine Toradidaktik die Literaturdidaktik eine wichtige Gesprächspartnerin.25 13.1.2 Tora als bibeldidaktischer Lerngegenstand Die christliche Bibeldidaktik im 21. Jahrhundert ist ein sehr ausdifferenziertes Forschungsfeld, dementsprechend muss gegenwärtig von „Bibeldidaktik im Plural“26 gesprochen werden, die gerade durch ihre komplementären Ansätze und die damit einhergehende Methodenvielfalt die Möglichkeit bietet, auf die jeweilige Schüler:innenschaft und die Unterrichtssituation individuell einzugehen und zu reagieren. Es lässt sich also ein bewusstes Nebeneinander von verschiedenen bibeldidaktischen Methoden und Zugängen beobachten. Wolfgang Wagerer beschreibt diese Vielfalt folgendermaßen: Da ist in den wissenschaftlichen Publikationen der letzten zehn Jahre von einer konstruktivistischen und einer dekonstruktiven Bibeldidaktik die Rede, von einer bibeltheologischen Didaktik, einer subjektorientierten, kontextuellen, dialogischen und einer interaktionalen Bibeldidaktik, einer individualpsychologisch orientierten Bibeldidaktik, von Bibeldidaktik im Rahmen einer korrelativen Symboldidaktik, einer kooperativen Bibeldidaktik, einer rezeptionsästhetisch orientierten Bibeldidaktik, von einer empathischen Bibeldidaktik, von performativer Didaktik, welche gerne in Bibliodrama und Bibliolog konkretisiert wird, von einer Bibeldidaktik im Zeichen der neuen Medien bis hin zu einer mimetischen Bibeldidaktik, wobei die biblischen Impulse zur Kinder- und Jugendtheologie, die Bemühungen um eine genderfaire Bibeldidaktik und die Fülle von methodischen Handreichungen noch gar nicht aufgeführt sind.27 25 Als fruchtbar für diesen Austausch würden sich meiner Meinung nach die viel rezipierten elf Aspekte des literarischen Lernens des Literaturdidaktikers Kaspar Spinner erweisen: 1) Beim Lesen und Hören Vorstellungen entwickeln; 2) Subjektive Involviertheit und genaue Wahrnehmung miteinander ins Spiel bringen; 3) Sprachliche Gestaltung aufmerksam wahrnehmen; 4) Perspektiven literarischer Figuren nachvollziehen; 5) Narrative und dramatische Handlungslogik verstehen; 6) Mit Fiktionalität bewusst umgehen; 7) Metaphorische und symbolische Ausdrucksweise verstehen; 8) Sich auf die Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses einlassen; 9) Mit dem literarischen Gespräch vertraut werden; 10) Prototypische Vorstellungen von Gattungen/Genres gewinnen; 11) Literaturhistorisches Bewusstsein entwickeln. Vgl. KASPAR SPINNER , Literarisches Lernen, in: Praxis Deutsch 200 (2006), 6– 16; IRIS WINKLER, „Subjektive Involviertheit und genaue Wahrnehmung miteinander ins Spiel bringen“. Überlegungen zur Spezifikation eines zentralen Konzepts für den Literaturunterricht, in: Leseräume 2 (2015), 154–168. Hanna Roose liest diese Aspekte literaturtheoretisch auf dem Hintergrund des sogenannten Heidelbergmodells des literarischen Gesprächs, was von einer nichtintentionalen, polyvalenten Bedeutungsvielfalt literarischer Texte ausgehe (ROOSE, Hermeneutik, 144). Es ziele darauf, Bedeutungsfacetten innerhalb eines nicht abgeschlossenen Interpretationsvorgangs nachzuspüren. Vgl. HANNA ROOSE, Literarische und theologische Gespräche – eine interdisziplinäre Perspektive, in: Theo-Web. RelPäd 15 (2016), 207–222. 26 B. SCHRÖDER, Hänschen, 247. 27 WOLFGANG WAGERER, Zum Hören ermutigen. Identitätskonstruktionen in Begegnung mit biblischen Texten (Religionspädagogik innovativ 31), Stuttgart 2019, 11. Dort finden
13.1 Der Text
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Grundsätzlich kann eine christliche Toradidaktik aus diesem reichen Fundus von bibeldidaktischen Entwürfen und Methoden schöpfen. Auch bleibt die historisch-kritische Exegese ein „Instrument der Überprüfung, ob eine gewählte Auslegung oder Erschließung im Rahmen dessen liegt, was theologisch redlicherweise in einem Bibeltext behauptet werden darf, und [ist] damit als Werkzeug des Religionslehrers […] schlechterdings unverzichtbar“.28 Innerhalb dieser Vielfalt der bibeldidaktischen Entwürfe habe ich eingangs nach Rolle, Ort und Vorkommen der Tora gefragt und mit der Didaktik der Tora von Ingo Baldermann, der Tora als Weisung von Horst Klaus Berg und den multiplen Zugängen zur Tora, herausgegeben von Ralf Koerrenz,29 drei bibeldidaktische Konzeptionen vorgestellt, die der Tora didaktische und unterrichtliche Aufmerksamkeit widmen wie im Fall von Baldermann und Berger bzw. die sie in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen, so die von Koerrenz herausgegebenen Aufsätze. Diese nehme ich an dieser Stelle auf, indem ich mit dem Erzählen, das zentral für die Primärstufe ist, und der Methode der Ganzschrift, die sich für ältere Lernende ab der Sekundarstufe I eignet, exemplarisch zwei bibeldidaktische Ansätze auswähle und von ihnen aus skizziere, wie eine christliche Toradidaktik umgesetzt werden könnte. Das Erzählen der Tora kann sich, Baldermann folgend, auf eine Didaktik der Tora, also eine Didaktik, die der Tora selbst innewohnt, beziehen und Tora mit Berger als Weisung im wortwörtlichen Sinne verstehen. Mit der Methode der Ganzschrift nehme ich eines aus den polyfonen Konzepten zum Umgang mit der Tora von Koerrenz als fruchtbaren Impuls für eine christliche Toradidaktik auf. Erzählen Geschichten bilden Grundlagen der „narrativen Identität“,30 sie helfen, das Leben zu ordnen, ein Bild von sich und seinem Glauben zu entwickeln. Biblische Geschichten enthalten ein „narratives Gedächtnis“31 und bieten darin
sich auch Beispiele aus der Literatur für all diese verschiedenen bibeldidaktischen Konzepte. Die Liste der unterschiedlichen Bibeldidaktiken ist lang: So führt z.B. das Handbuch zur Bibeldidaktik von Mirjam und Ruben Zimmermann die existenzielle, die problemorientierte, die symboldidaktische, die korrelative, die semiotische, die konstruktivistische, die kindertheologische, die performative und die bibeltheologische Bibeldidaktik an. Vgl. ZIMMERMANN/ZIMMERMANN, Handbuch, 387–446. 28 B. SCHRÖDER, Religionspädagogik, 612; DERS., Hintergrundwissen. Historischkritische Methode und Praktische Theologie, in: ZThK 114/2 (2017), 210–242. 29 Vgl. oben die Abschnitte 3.1.1 „Ingo Baldermann: Didaktik der Tora“, 3.1.2 „Horst Klaus Berg: Tora als Weisung“ und 3.1.3 „Ralf Koerrenz: Multiple Zugänge zur Tora“. 30 PAUL RICŒUR, Zeit und Erzählung, Bd. 3: Die erzählte Zeit, aus dem Französischen von Andreas Knop, München 1991, 396. 31 FRANZ W. NIEHL, Erzählen, in: Ludwig Rendle (Hg.), Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht, München 42011, 165–174, 165.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
ein Orientierungsmuster über den eigenen Horizont hinaus. Das geschichtenhörende Subjekt kann sich selbst in diesen Geschichten wiederfinden und sie zu einem Teil der eigenen fragmentarischen Identität werden lassen. Mirjam Zimmermann fasst die Bedeutung von Erzählungen folgendermaßen zusammen: Die Erzählung verfasst im Vergleich zu einem Bericht anschaulicher, perspektivischer, subjektiver und individueller. So lernen wir einander durch das Erzählen erkennen, aber formen auch das eigene Selbst. Erzählungen können Erlebtes verarbeiten, unterhalten, überliefern, legitimieren, verkünden, immer verknüpfen sie subjektiv die vergangene Zeit mit der Gegenwart.32
Erzählen kann als eine Grundform der biblischen Didaktik überhaupt gelten. Das Alte und das Neue Testament erklären nicht Gott, sondern erzählen von Gotteserfahrungen. Um diese Erfahrung herum konstituiert sich das Christentum als „Erzählgemeinschaft“, die diese Geschichten hört.33 Die biblischen Geschichten stellen das „kulturelle Gedächtnis“34 des Christentums dar. Die Tora ist ein Buch voller Erzählungen. Durch diese Erzählstruktur und erzählerische Kunst der Tora wohnt ihr selbst eine Didaktik inne, aus dieser kann eine narrative Didaktik der Tora schöpfen. „Die Erzählungen der Bibel“, so Zimmermann, „wollen weitererzählt und für neue Kontexte umerzählt werden, was sich besonders eindrucksvoll in der jüdischen Erzähltradition zeigt.“35 Narrativ lässt sie die Polyfonie der Tora entdecken: Vielfältig sind die in ihr erzählten Lebens- und Glaubensentwürfe, gesellschaftlichen Ordnungen, lebens- und zusammenlebensrelevanten Weisungen und Fragen, ihre Erinnerungs- und Zukunftskultur und ihre ethische Aufforderung zur Tat. Auf der literarischen Ebene vereint der Pentateuch insbesondere zwei Formen: zum einen erzählende bzw. narrative und zum anderen gebietende bzw. regulative bzw. appellative Texte. Die Tora enthält eine dialektische Struktur zwischen diesen erzählenden Teilen und Gebotstexten. Sie formuliert darin die Einheit von Gottes Zuspruch und Anspruch, von Recht und Barmherzigkeit. Dabei ist es entscheidend, Lernenden die Texte der Tora innerhalb ihres Erzählbogens zu erschließen, ohne sie angesichts der Komplexität und des Textumfangs zu passiven Rezipient:innen zu machen. Wagerer fasst diese Spannung zwischen den Lernenden als aktiven Rezipient:innen und Wahrung des Eigenwerts des Textes so zusammen:
32 MIRJAM ZIMMERMANN, Erzählen, in: Dies./Ruben Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 2013, 475–482, 475. 33 Vgl. dafür die Hördidaktik von Wolfgang Wagerer. Er stellt in seinem bibeldidaktischen Ansatz das Hören in den Mittelpunkt seiner biblischen Didaktik. WAGERER, Hören, 49–66. 34 JAN ASSMANN, Religion und kulturelles Gedächtnis, München 22004, 105.124–145. 35 M. ZIMMERMANN, Erzählen, 476.
13.1 Der Text
341
Biblische Texte dürfen SchülerInnen nicht vermittelt werden, als wären sie passive RezipientInnen. Andererseits darf – im Gegensatz zu vielen biblischen Handbüchern – mit biblischen Texten nicht „umgegangen“ werden, als ginge es um methodisch-technische Handhabbarkeit. Vielmehr rückt in den Vordergrund, dass Lehrende eine spannungsvolle Begegnung zwischen SchülerInnen und biblischen (Ganz-)Texten inszenieren – und zwar durch exegetisch und bibeldidaktisch verantwortetes Erzählen.36
Diese (Ganz-)Texte der Tora enthalten schon selbst einen Spannungsbogen, der aufgenommen werden kann. Er reicht von der Erschaffung der Welt in der Urgeschichte über die Erzählungen der Stammeltern, der Volkwerdung Israels in Ägypten und der Befreiung im Exodus mit der Verkündigung der Gebote am Sinai, der 40-jährigen Wanderung Israels durch die Wüste und der Abschiedsrede des Mose bis zum Vorletzten: Mose stirbt im Angesicht des gelobten Landes, jedoch ohne es zu betreten. Die Ankunft des Volkes im verheißenen Land – und damit die Erfüllung der Verheißung – wird nicht mehr erzählt. Das Ende der Tora ist also programmatisch offen, der Erzählbogen unvollendet. Die Tora ist unvollständig und darin auf ständige Auslegung, Aktualisierung und Transformation hin angelegt, sie ist offen bis in die gegenwärtige Zukunft hinein. Zwischen Schöpfung und dieser Offenheit erweist sich die Tora als Buch des Unterwegsseins und des Aufbruchs, der Befreiung aus Sklaverei und der Erinnerung, der orientierenden Lebensregeln und des Lernens, des Tuns und des Hörens. Innerhalb des Erzählbogens enthält die Tora eine Fülle von Regeln und Gesetzen und bietet mit ihnen Orientierung für eine Fülle von Lebenssituationen und -vollzügen. Die Gesetzestexte der Tora werden entweder in größeren Blöcken (Bundesbuch, Heiligkeitsgesetz, das sog. Zweite Gesetz) dargestellt oder in narrative Texte, wie zum Beispiel in die Erzählung der Wüstenwanderung, eingebettet. Crüsemann kennzeichnet die drei Gruppen von Geboten als Torastruktur:37 1) theologische und religiöse Kernsätze wie vor allem das erste Gebot, 2) Sammlung von eigentlichen Rechtssätzen, 3) Schutzbestimmungen für die sozial schwächsten Glieder der Gesellschaft. Allerdings ist für die heutige Rezeption dieser Texte wichtig zu beachten, dass sie sich auf die damalige soziale Wirklichkeit beziehen, also auf eine vorneuzeitliche, agrarische Welt. Crüsemann betont deshalb die theologische Notwendigkeit einer sozialgeschichtlichen Interpretation und Verortung der Gebote. Diese Gebotstexte können verknüpft werden mit den Geschichten, können Fragen nach dem sozialen Zusammenleben von Menschen und ihrem Tun stellen, und Toradidaktik kann als narrative Ethik und wortwörtlich als Weisung verstanden werden.
36 37
WAGERER, Hören, 16. Vgl. auch für die folgende Darstellung CRÜSEMANN, Maßstab, 39–43.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Tora als Ganzschrift lesen Die Methode der Ganzschrift im Religionsunterricht38 nimmt den Impuls von Liss/Landthaler und Leibowitz, die Tora im Jahreszyklus der Wochenabschnitte als zusammenhängendes Werk zu lesen, auf. Obschon die Methode „nur“ einzelne Bücher und nicht die Tora als Ganzes im Unterricht lesen lässt, will sie diese doch gegen die selektive Fragmentierung der biblischen Texte mehr in den Mittelpunkt rücken. Bei und mit dieser Methode werden biblische Bücher als Ganzes gelesen und bearbeitet. Innerhalb der methodischen Durchführung werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: So schlägt Christian Dern vor, dies mithilfe der dialogischen Bibeldidaktik durchzuführen.39 Dabei sitzen alle Schüler:innen und die Lehrperson in einem Kreis, und reihum liest jede:r so viele Verse des biblischen Textes, wie er:sie mag. Alle Teilnehmenden sind aufgefordert, den Text zu kommentieren und insbesondere Fragen an ihn zu formulieren. Dern verwendet dafür das Prinzip der dialogischen Bibeldidaktik. Deren Grundprinzip, so Dern, „ist das dialogische Moment: Der Schüler ist mit dem Mitschüler im Gespräch, und zwar über die Fragen, die sich aus einer genauen Lektüre biblischer Texte ergeben.“40 Hintergrundwissen bekommen die Lernenden durch Materialien und Kurzreferate.41 Obst und Miethke lassen stattdessen sechs Wochen begleitet zum Unterricht ein Buch 38 Zur Methode der Ganzschriften vgl. grundsätzlich CHRISTIAN DERN, Ganzschriften, in: Zimmermann/Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, 468–474; DERS., Das Lesen von Ganzschriften im Religionsunterricht, in: Hanna Roose/Elisabeth E. Schwarz (Hg.), „Da muss ich dann auch alles machen, was er sagt“. Kindertheologie im Unterricht (JaBuKi 15), Stuttgart 2016, 148–152; DERS., Dialogische Bibeldidaktik; WOLF E. MIETHKE, „Verstehst du auch, was du liest?“ Annäherungen an die Bibel durch Fragen in einem Bibellesetagebuch als Unterrichtsprojekt, in: Mirjam Zimmermann (Hg.), Fragen im Religionsunterricht. Unterrichtsideen zu einer schülerfragenorientierten Didaktik, Göttingen 2013, 102–119; PETER MÜLLER, Vom Lob der Zitate zum Plädoyer für die Ganzschrift – Didaktische Überlegungen zur Bibellektüre im RU, in: Loccumer Pelikan 4/2008, 160–165; GABRIELE OBST, „Anfangs habe ich gemurrt wie die Israeliten in der Wüste.“ – Erfahrungen mit Bibellesetagebüchern (Sek. II), in: Entwurf. Konzepte, Ideen und Materialien für den Religionsunterricht 2/3 (2007), 46–50; RICARDA SOHNS, Das Markusevangelium. Das biblische Buch als Ganzschrift, in: Religion betrifft uns 1/2013, 1–32; Themenheft „Ganzschriften“, Rellis. Zeitschrift für den katholischen Religionsunterricht 3/2014; MIRJAM ZIMMERMANN/RUBEN ZIMMERMANN/FREDERIKE WEIẞPHAL, Das Matthäusevangelium – Fragen über Fragen, in: Bernhard Dressler/Harald Schroeter-Wittke (Hg.), Religionspädagogischer Kommentar zur Bibel, Leipzig 2012, 413–432; M. ZIMMERMANN, Die ganze Genesis lesen. 39 Vgl. DERN, Dialogische Bibeldidaktik, 80–108. 40 A.a.O., 90. 41 Für das Buch Genesis seien hier nur exemplarisch ein paar Fragen genannt: zu Gen 2,18: Ist die Frau nur zum Vergnügen/zur Hilfe für den Mann gemacht?; zu Gen 8,21: Warum sind die Menschen dann fast alle voller Unrecht, wenn Gott sie nach seinem Abbild geschaffen hat?; zu Gen 12,1: Wieso hat Gott früher immer zu den Menschen gesprochen und jetzt nicht mehr? Vgl. a.a.O., 121–125.
13.1 Der Text
343
lesen und dazu ein Lesetagebuch verfassen, welches den Leseprozess dokumentieren soll.42 Auch Zimmermann/Zimmermann/Weißphal verwenden die Methode der Eigenlektüre zu Hause und des Lesetagebuchs.43 Lebhaft wird diskutiert, welche Bücher als Ganzschriften44 gelesen und welche Übersetzungen verwendet werden sollen. Die Lektüre der Ganzschrift arbeitet mit synchronen Methoden der Texterschließung. Dern nennt hierfür besonders den New Literary Criticism und die Kanonische Schriftauslegung. „Beide wollen“, so Dern, „dass der Endtext der biblischen Bücher wieder ernst genommen wird und die Analyse dort einsetzt. Sie sehen in der Bibel in erster Linie Literatur, die es in ihrer Endfassung zu würdigen gilt.“45 Innerhalb der Methode der Ganzschrift lassen sich viele Impulse der jüdischen Toradidaktik integrieren bzw. wiederfinden, so beispielsweise das akribische und fantasievolle Lesen von Leibowitz und die Fragegemeinschaft der Lesenden von Krochmalnik, ebenso der Impuls, die Texte der Tora in ihrem Erzählbogen zu lesen, wie bei Liss/Landthaler, und nicht in einzelne Perikopen aufzuteilen. Allerdings liest die Ganzschriftlektüre im Kontext eines Buches und nicht im Erzählbogen der Tora. Die meisten Vorschläge nehmen die Bücher Genesis, Exodus und Deuteronomium und nicht Levitikus und Numeri in den Blick. Für die christliche Toradidaktik stellt sich die Frage, ob eine jüdische oder christliche Übersetzung zu wählen ist.46 Zwei wesentliche Elemente müssen bei der Ganzschriftlektüre der Tora ergänzt werden: Zum einen sollten die Texte im hermeneutischen Rahmen der Tora und zum anderen mit der Hermeneutik der Ambivalenz gelesen werden, das heißt im Kontext 42
MIETHKE, Verstehst du auch, 111. ZIMMERMANN/ZIMMERMANN/WEIẞPHAL, Das Matthäusevangelium, 418. 44 Die Auswahl der biblischen Bücher, die zur Ganzschriftlektüre empfohlen werden, ist unterschiedlich: So schlägt Peter Müller das Markusevangelium vor; Zimmermann/Zimmermann/Weißphal das Evangelium des Matthäus; Obst und Miethke haben vor allem Bücher aus der Tora im Blick. Dern hat einen ganzen Kanon erarbeitet: Er lässt in der fünften Jahrgangsstufe das Buch Genesis und das Matthäusevangelium, in der sechsten das Buch Exodus und das Markusevangelium, in der siebten das Buch Richter und das Lukasevangelium, in der achten den Propheten Hosea und das Johannesevangelium, in der neunten das Buch Hiob und die Apostelgeschichte, in der Oberstufe die Bücher Deuteronomium, erneut Genesis, Jona, den Römerbrief, die Petrusbriefe und die Offenbarung lesen, vgl. DERN, Dialogische Bibeldidaktik, 206f. 45 A.a.O., 93f. 46 Eine mögliche, dem jüdisch-christlichen Dialog verpflichtete Bibelübersetzung für Kinder und Jugendliche stellt die Gütersloher Erzählbibel dar. Für das Buch Genesis bietet sich ebenfalls die Erzählung für Kinder von Peter von der Osten-Sacken an. Im Sinne des jüdisch-christlichen Lernens könnte man auch überlegen, die Kindertora von Hanna Liss und Bruno Landthaler als Textgrundlage zu verwenden. Vgl. DIANA KLÖPPER/KERSTIN SCHIFFNER/JULIANA HEIDENREICH, Gütersloher Erzählbibel, Gütersloh 2004; PETER VON DER OSTEN-SACKEN, Die Bibel und ihre kühnen Geschichten. Das 1. Buch Mose (Studium in Israel. Außer der Reihe), Berlin 2021. 43
344
Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
ihrer christlichen, aber auch ihrer jüdischen Nachgeschichte. Denn die Tora ist immer auch ein interreligiöser Lerngegenstand und sollte als solcher gelesen und unterrichtet werden. 13.1.3 Tora als interreligiöser Lerngegenstand Ist die Tora nicht nur ein Fragment der christlichen Identität, sondern auch das Zentrum der jüdischen Tradition, dann ist sie nicht nur ein bibeldidaktischer Gegenstand, sondern auch ein „Zeug-nis“ des interreligiösen Lernens. Ich übernehme den Begriff des Zeug-nisses von Karlo Meyer. Dieser definiert ihn folgendermaßen: Mit der Rede von religiösen Zeug-nissen bezeichne ich das, was in der genannten Bandbreite von religiösen Bildern über Plastiken, Texten, Musik und Ritualen bis hin zu religiösen und existenziellen Fragen und Aussagen in den Religionsunterricht Eingang finden kann und zugleich mit der in der jeweiligen Tradition verbundenen Erfahrungsqualität von Verehrung und insgesamt seinem Gebrauchskontext gegenüber einem Transzendenten nur gebrochen zugänglich wird.47
Der Bindestrich in „Zeug-nisse“ soll dabei auf zwei Dimensionen aufmerksam machen. Zum einen ist das Zeug-nis innerhalb der jeweiligen Tradition nicht nur Zeuge (ohne Bindestrich) von Verehrungs- und Glaubenszusammenhängen, sondern, so Meyer, ist es „vor allem auch Rüst-zeug des Glaubenden im Umgang mit Göttlichem, Heiligem (oder wie immer man ein entsprechendes Transzendentes übergreifend bezeichnen will) oder dient als Werk-zeug der Beziehung zwischen dem Glaubenden und diesem Transzendenten“.48 Die Zeug-nisse sind deshalb mehr als nur Gebrauchsgegenstände. Zum anderen hat, so Meyer, das Zeug-nis einen verweisenden Charakter sowohl innerhalb als auch außerhalb der Religionsgemeinschaft: Sie verweisen sowohl für die Glaubenden als auch für Außenstehende meist auf den Umgang mit Transzendenz und die religiöse Erfahrung damit.49 Insofern können auch Gegenstände aus der eigenen religiösen Tradition Zeug-nisse sein, insbesondere vor dem Hintergrund, dass vielen Schüler:innen die Zeug-nisse der vermeintlich eigenen Tradition fremd geworden sind. Zeug-nisse können nach dieser Definition nicht nur Gegenstände, sondern auch Texte sein. Auf der Suche nach Zeug-nissen der jüdischen Tradition für das interreligiöse Lernen im christlichen Religionsunterricht stellt die Behandlung der Tora eine logische Konsequenz dar: Wie die Definition von Liss/Landthaler der Torarolle als sakralem und praktischem jüdischem Zentrum zeigt, bilden die Tora an sich und ihr sakraler Gebrauch zum einen ein wichtiges Zeug-nis der jüdischen Traditionen, zum anderen sind 47
K. MEYER, Grundlagen, 216. Siehe dazu auch DERS., Zeugnisse fremder Religionen im Unterricht. „Weltreligionen“ im deutschen und englischen Religionsunterricht, Göttingen 2 2012, 18–31.264–270. 48 K. MEYER, Grundlagen, 217. 49 Vgl. a.a.O., 219.
13.1 Der Text
345
der Text der Tora und insbesondere das Torastudium in der Kette der Generationen, wie bei Krochmalnik deutlich wird, ein Werk-zeug für den Transzendenzbezug. Als drittes, gleichsam ergänzendes Element der religiösen Zeug-nisse führt Meyer die Eigenschaft der Zeug-nisse an, immer nur „in nuce präsent“50 und damit dem umfassenden Verstehen entzogen zu sein. Der Lerngegenstand ist also immer auch dem Verstehen entzogen. 51 In der Schule trifft der Unterricht der Zeug-nisse anderer Religionen auf verschiedene didaktische Herausforderungen: Auf der einen Seite führt der fremde religiöse Anspruch zu dem didaktischen Problem, dass die Schüler:innen die Transzendenzerfahrungen der Zeug-nisse in der Schule nicht erleben können. Auch sind den Ansprüchen, die aus den Zeug-nissen folgen und die mit ihnen verbunden sind, zum Beispiel dass das Heilige verehrt und das Gebot befolgt werden will, an der Schule berechtigte Grenzen gesetzt. Die Zeug-nisse können also nur als medial gebrochen wahrgenommen werden. Meyer fasst dieses Dilemma folgendermaßen zusammen: Zusammenfassend besteht das Dilemma darin, dass sich „Einüben“ im Zusammenhang mit fremden religiösen Zeug-nissen am Lernort Schule verbietet, zum einen auf der Ebene des religiösen Gebrauchszusammenhangs mit seiner Praxis und dem Erleben gegenüber einem Transzendenten (z.B. in Verehrung), zum anderen auf der Ebene der religiösen Erfahrung mit einem Anspruch, der vom Transzendenten erhoben wird. Da jedoch beides nicht einen marginalen, sondern religiös zentralen Aspekt betrifft, sollte die damit verbundene Begrenzung des Lernens in der Schule pädagogisch-methodische Berücksichtigung finden.52
Somit ist das „Lernen ihrer Entzogenheit“53 eine zentrale Erfahrung im Umgang mit Zeug-nissen fremder Religionen im Religionsunterricht. Auf die Tora bezogen: Es können immer nur Aspekte des jüdischen Toraverständnisses erfasst werden, nie aber die Tora in all ihren Facetten bis hin zu ihrem Tun, welches, wie insbesondere bei Leibowitz deutlich wurde, ein ihr inhärenter Bestandteil ist. Um dieses Phänomen in der Didaktik besser zu fassen, wirft Meyer einen lernenden Blick in die englische Religionspädagogik, die sich seit fast fünfzig Jahren konsequent religionswissenschaftlich ausrichtet. Dort wird zwischen „learning about religion“, als Lernen des Behandelten von anderen Religionen, und „learning religion“, als Einübung in das Beherzigen des 50
A.a.O., 220. Meyer beschreibt diese Entzogenheit mit dem Begriff des Gegen-standes: „Diese mehrfache Entzogenheit des Lernens in essentiellen religiösen Punkten fasse ich mit der Charakteristik als Gegen-stand des Unterrichts. Mit dem Begriff Gegen-stand bezeichne ich die besondere Zweipoligkeit im Lernen, dass ein religiöses Zeug-nis einerseits zu einem pädagogisch dienlichen Thema wird, dass es andererseits aber nicht im Unterrichtsgeschehen aufgeht und wie in der Mathematik die Addition vollumfänglich anwendbar wird. Es dient dem schulischen Lernen und steht ihm zugleich mit seiner Charakteristik in wesentlichen Aspekten entgegen“ (a.a.O., 220f.). 52 A.a.O., 222. 53 Ebd. 51
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Gelernten, unterschieden.54 Meyer ergänzt diese zwei Modi durch ein Drittes: das „learning from religion“. Fragt das „learning about religion“, ob ich etwas über eine Religion lerne, so erweitert das „learning religion“ die Frage dahin gehend, ob ich den zunächst fremden Anspruch auf mich beziehe, und das „learning from religion“, ob ich von dem Anspruch innerhalb anderer Religionsgemeinschaften etwas lerne für Bereiche, die für mich selber den Charakter eines zu Beherzigenden haben. Die Ansprüche, Fragen und Umgangsweisen anderer Religionsgemeinschaften lassen sich also zu den Ansprüchen und Fragen der eigenen Religion in Beziehung setzen und veranlassen in den eigenen Bezügen neu darüber nachzudenken. Ein Beispiel aus der Tora wäre hierfür, dass zum Beispiel der Schabbat, den sich Schüler:innen in seiner Begründung und Verwurzelung in der Tora und seiner religionspraktischen Ausübung im Modus „learning about religion“ auf einer religionswissenschaftlichen Ebene erarbeiten könnten, während der zweite Aspekt des „learning religion“, also dass die Schüler:innen selbst den Schabbat einhalten, dem schulischen Alltag entzogen ist. Der dritte Aspekt des „learning from religion“ nimmt aber den Anspruch des Beherzigens des Gebotes auf und fragt, in welcher Weise es sich in Beziehung setzen lässt zu den Ansprüchen und Fragen innerhalb der eigenen Tradition und Lebenswelt. In Bezug auf den Schabbat könnte es die Frage nach dem Sonntag sein, aber auch die Frage, ob und, wenn ja, wo und wann „heilige Zeiten“ im eigenen Alltag existieren, die eine Unterbrechung des Alltäglichen darstellen. Es geht dabei nicht um eine Vereinnahmung der fremden Zeug-nisse, sondern darum, welche Impulse und Fragen sie an uns selbst stellen könnten. 55 „Für interreligiöses Lernen heißt das“, so Meyer, „dass es nicht darum geht, mir fremde religiöse Traditionen mit ihrer Verehrung und ihrem Transzendenzbezug am Ende ‚angeeignet‘ zu haben, sondern bei zunehmendem Wissen immer auch das Andersbleiben sowie die Einsicht bewusst zu halten, dass das Fremde mir auch entzogen ist.“56 Sachgerechtes und reflektiertes interreligiöses Lernen setzt sich bei bleibender Entzogenheit zu den Zeug-nissen anderer Religionen in Beziehung.
54
Vgl. für das Folgende a.a.O., 223f. Dafür ist es z.B. wichtig, die Zeug-nisse anderer Religionen immer auch in ihrem Kontext wahrzunehmen; in Bezug auf die Tora hieße das, eine Synagoge aufzusuchen, und dort den Umgang mit und den Ort der Torarolle zu erleben. 56 K. MEYER, Grundlagen, 232. 55
13.2 Die Lernenden
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13.2 Die Lernenden 13.2 Die Lernenden
Die Forderung, die Tora ins Zentrum des didaktischen und unterrichtlichen Denkens zu stellen, soll dezidiert nicht dazu führen, die Lernenden aus diesem Zentrum zu verdrängen; vielmehr stehen die Lernenden als Lesende und Interpretierende der Texte gleichberechtigt neben der Tora im Zentrum einer christlichen Toradidaktik.57 Eine Toradidaktik kann sich nur entfalten, wenn sie, der inspirierenden Funktion der jüdischen Toradidaktiken folgend, in Beziehung zu den existenziellen Fragen der Lernenden tritt und sich dort immer wieder entfaltet. Die Schüler:innen sind Subjekte der Theologie und werden nicht mehr nur als Lernende des Stoffs oder der Themen der Bibel wahrgenommen.58 In einer christlichen Toradidaktik kann dies, den Impuls der jüdischen Toradidaktik aufnehmend, zum einen anhand des Rollenverständnisses der Lernenden als Lesenden und Fragenden konkret werden (13.2.1); zum anderen können Lernende mit und anhand der Tora die Kompetenz der Ambiguitätstoleranz erlernen (13.2.2). 13.2.1 Die lesenden und fragenden Schüler:innen Schüler:innen sind heute bis auf wenige Ausnahmen sowohl mit Einzeltexten als auch mit größeren Erzählzusammenhängen der Bibel nicht vertraut; vielmehr ist die Bibel für sie eher ein fremdes Buch,59 das aber wohl keine Neugierde zu wecken und keine Relevanz für ihr eigenes Leben zu entfalten 57 Spielten die Schüler:innen als eigenständige theologische Subjekte in der religionspädagogischen Debatte lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle, veränderte sich dieser Umstand ab den 1960er-Jahren mit der empirischen Wende in der Praktischen Theologie und dem Beginn der problemorientierten Religionsdidaktik zunächst schleichend und hat sich mit der Entwicklung der Kindertheologie in den 1990er-Jahren und deren Etablierung als eigenständiges Konzept in der Religionspädagogik grundlegend reformiert. Vgl. MIRJAM ZIMMERMANN, Art. Kindertheologie, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2015. Zu der Forderung, die Schüler:innen wie die Bibel in den Mittelpunkt des Religionsunterrichts zu stellen, vgl. DERN, Dialogische Bibeldidaktik, 199. Zu aktuellen Lernkulturen und Bildern von Schüler:innen in der Religionspädagogik vgl. BERND SCHRÖDER, Wahrnehmung – Wertschätzung – Förderung – Teilhabe. Schülerinnen und Schüler und ihre Religion aus evangelisch-religionspädagogischer Perspektive, in: Behr u.a. (Hg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht, 145–154. 58 Vgl. dazu PETRA FREUDENBERGER-LÖTZ, XV. Schüler/in – theologisch, in: Martin Rothgangel/Gottfried Adam/Rainer Lachmann, Religionspädagogisches Kompendium, Göttingen 82013, 252–264, 252. 59 Vgl. HARTMUT LENHARD/GABRIELE OBST, Bibeldidaktik im kompetenzorientierten RU, in: Zimmermann/Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, 447–454, 449. Horst Klaus Bergers fast 30 Jahre alte Diagnose, dass die Bibel aus Schüler:innenperspektive vor allem ein Buch für „einsame, kranke, traurige und vor allem alte Menschen“ sei, ist wahrscheinlich noch immer aktuell. Vgl. HORST KLAUS BERG, Grundriss der Bibeldidaktik. Konzepte, Modelle, Methoden, München 1993, 18.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
vermag.60 So scheint die Diagnose von Horst Klaus Berg von vor fast 30 Jahren noch immer zutreffend zu sein:61 Eine ganz eigenartige Erscheinung lässt sich im Zusammenhang mit den Kenntnissen der Schüler beobachten: In der Tat wissen die meisten nicht viel; denn noch beklagen sich viele darüber, dass im Bibelunterricht „immer das Gleiche“ behandelt würde, das ihnen längst zum Hals heraushinge. Dieser offenkundige Widerspruch ist sicher nicht einfach mit Gedankenlosigkeit und Unlust der Schüler zu erklären, sondern hängt damit zusammen, dass in der Tat häufig die gleichen Texte behandelt werden, aber eben nicht so, dass die Schüler zur Auseinandersetzung angeregt werden. Oft werden biblische Geschichten nur rasch zitiert, um eine bestimmte Norm zu belegen, z. B. Gen 2 zum Stichwort „Umweltverantwortung“, die 7. Seligpreisung (Mt 5,9) zum Stichwort „Friedenspflicht der Christen“, Psalm 23 zum Stichwort „Vertrauen“, Wunder Jesu zum Erweis der Messianität usw. Offenbar sind es in den Augen der Schüler immer die gleichen Schlagworte, die an ihnen vorüberziehen. Sie sehen sich mit dem Anspruch konfrontiert, diese biblischen Aussagen kritiklos zu akzeptieren und sich zu eigen zu machen.62
Berg stellt hier sowohl die Frage nach den zu behandelnden Texten als auch nach dem, wie biblische Texte im Unterricht behandelt werden sollen. Er beklagt einerseits die festgelegte, normative Deutung, die nicht offen für unterschiedliche Interpretationen ist, sondern aus der Bibel einen Belegkatalog für christliche Normen wie Freiheit und Nächstenliebe mache. „Bibeldidaktik lässt sich damit“, so Hanna Roose, „in hermeneutischer Hinsicht beschreiben als Balanceakt zwischen axiomatischer Festlegung und erratischer Vereinzelung biblischer Texte.“63 Andererseits wird den Schüler:innen der Anspruch suggeriert, dass sie biblische Geschichten kritiklos akzeptieren müssten – denn,
60 Die Art und Weise, wie Schüler:innen dem biblischen Unterricht begegnen, variiert in den Sekundarstufen I und II stark: Sind sie zu Beginn der Sekundarstufe I grundsätzlich den biblischen Geschichten gegenüber noch aufgeschlossen und geht es in dieser Phase um die Vermittlung von Bibelwissen zum einen und dem Erlernen des Umgangs mit diesem Wissen zum anderen, so sieht sich die Bibeldidaktik in der späten Sekundarstufe I einem großen Desinteresse gegenüber, was mit einem Erfahrungs-, Relevanz- und Effektivitätsverlust der Bibel begründet wird. Es besteht meist kein Bezug zwischen den biblischen Überlieferungen und der Lebenserfahrung der Schüler:innen, dementsprechend verlieren sie an Bedeutung, und die Schüler:innen finden in ihnen keine Antworten mehr auf die Fragen der Lebensgestaltung (BERG, Arbeit, 215). In der Sekundarstufe II ergibt sich ein differenzierteres Bild, neben dem biblischen Desinteresse ist auch eine steigende Neugierde gerade an hermeneutischen Fragen der Bibel zu beobachten. Die Tora ist für Schüler:innen grundsätzlich eher unvertraut bis fremd. Vgl. HORST KLAUS BERG, Arbeit mit der Bibel/Bibeldidaktik, in: NHRPG (22006), 215–220; IRIS BOSOLD, Zugänge zur Bibel für Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I, in: Zimmermann/Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, 629– 633. 61 Vgl. dazu auch ROOSE, Hermeneutik, 135. 62 BERG, Grundriss, 20. Zur Aktualisierung des Zitats siehe auch ROOSE, Hermeneutik, 135f. 63 ROOSE, Hermeneutik, 137.
13.2 Die Lernenden
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um es, Roose folgend, mit einem Beispiel etwas überspitzt zu sagen, „wer könne schon gegen Umweltverantwortung oder Frieden etc. sein“.64 Dagegen zielt christliche Toradidaktik darauf ab, methodisch mit den Schüler:innen ein kritisches und fantasievolles Lesen der Tora einzuüben, und nimmt den Impuls jüdischer Bibeldidaktiken auf. Schüler:innen können nicht selbstverständlich eigenverantwortlich biblische Texte lesen, sondern dieses Lesen braucht Anleitung und Begleitung durch die Lehrkraft. Eine Hilfestellung kann hier der Blick in die Lesedidaktik der Literaturwissenschaft darstellen.65 Eine sicher fruchtbare Methode ist zum Beispiel die des close reading,66 wie sie in Kapitel 5 als zentrale Methode in Leibowitz’ Toradidaktik beschrieben wurde. Die Religionsdidaktik hat im Anschluss an die Diskussionen um die Ergebnisse der PISA-Studie über Lesekompetenz und Lesemotivation aus dem Jahr 200067 eine Auseinandersetzung mit dem Text in der Religionsdidaktik unter dem Stichwort der Textarbeit begonnen. Lesen und dementsprechend Lesekompetenz sind für den Religionsunterricht zentrale Kompetenzen. Georg Langenhorst definiert gar die Lesekompetenz als religiöse Kompetenz68 schlechthin und bezieht sich dabei auf den Theologen und Romancier Klaas Huizing,69 der den Menschen als ein Lesewesen, einen homo legens, charakterisiert. Dies begründet er mit der Tatsache, dass der Mensch „als geistiges Wesen ohne Schulung, ohne Erfahrung und ohne Praxis von Lesen 64
A.a.O., 138. Vgl. dazu a.a.O., 137–139 und HANNA ROOSE, „War das wirklich so?“ – Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung, in: Anton A. Bucher/Elisabeth E. Schwarz (Hg.), „Darüber denkt man ja nicht von allein nach …“. Kindertheologie als Theologie für Kinder (JaBuKi 12), Stuttgart 2013, 147–158, bes. 152–154. 65 Vgl. dazu ULF ABRAHAM/MATTHIS KEPSER, Literaturdidaktik Deutsch. Eine Einführung, Berlin 32009; GERHARD RÖCKEL/GEORG BUBOLZ, Texte erschließen. Grundlagen – Methoden – Beispiele für den Deutsch- und Religionsunterricht, Düsseldorf 2006. 66 Fruchtbringend hierfür wäre sicher ein ausgeprägter Diskurs der Bibeldidaktik mit der Literaturdidaktik über die Rolle des Lesens. Vgl. beispielhaft CHRISTINE GARBEN/KARL HOLLE/TATJANA JESCH, Texte lesen. Lesekompetenz – Textverstehen – Lesedidaktik – Lesesozialisation, Paderborn 22010; FLORIAN HUBER, Durch Lesen sich selbst verstehen. Zum Verhältnis von Literatur und Identitätsbildung, Bielefeld 2008; KLAUS WEIMAR, Enzyklopädie der Literaturwissenschaft, München 1980, 163–227. 67 So verfügt nach der Pflichtschulzeit fast ein Viertel der Schüler:innen über unzureichende Lesefähigkeiten; dies wird oft mit der fehlenden Lesemotivation ab dem 12. Lebensjahr begründet. Vgl. EVA-MARIA STÖGBAUER-ELSNER, Art. Textarbeit, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2015, 1–16, 1. 68 GEORG LANGENHORST, Texte im Religionsunterricht, in: Ulrich Kropač/Ulrich Riegel (Hg.), Handbuch Religionsdidaktik (KStTh 25), Stuttgart 2021, 385–391, 385. Zur Lesekompetenz vgl. ANDREA BERTSCHI-KAUFMANN (Hg.), Lesekompetenz – Leseleistung – Leseförderung. Grundlagen, Modelle und Materialien, Seelze 32010. 69 KLAAS HUIZING, Ästhetische Theologie, Bd. 1: Der erlesene Mensch. Eine literarische Anthropologie, Stuttgart 2000.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
undenkbar“70 wäre. Der Religionsunterricht muss hier einerseits aufpassen, dass er kein verlängerter Deutschunterricht wird, und der Umgang mit Texten darf und muss sich dementsprechend unterscheiden, andererseits kann er von den Diskursen der Literaturdidaktik profitieren und lernen. So sind biblische Texte zwar auch Sachtexte und/oder literarische Texte, aber darüber hinaus eben auch noch religiöse Zeugnisse. Niehl spricht deshalb von der Bibel als „Sonderfall der Literatur“.71 Für den konkreten Lesevorgang arbeitet die Religionspädagogin Eva-Maria Stögbauer-Elsner fünf Methodenschritte heraus:72 Erstens fragt die Textbegegnung, in welcher Version (Übersetzung), Form (print oder digital, Buch oder Rolle), Leseweise (laut/leise, individuell/gemeinsam, Abschnitt/ganz, Erzählung etc.) und Inszenierung (unvermittelt/vorbereitet, Überschrift, Bild) die Lernenden an den Text herangeführt werden. Zweitens wird in der Textwirkung besprochen, welche unmittelbaren Eindrücke und Reaktionen die erste Begegnung mit dem Text auslöst. Diese sollten sprachlich/bildlich/schriftlich/körperlich ausgedrückt werden. Drittens zielt die Texterschließung auf die formale Erkundung des Textes und will textnah seine Argumente nachvollziehen. Viertens geben Textbewertung und Diskussion den Rezipient:innen eine Möglichkeit zur Distanzierung und Positionierung, und schließlich gehen fünftens die Textgestaltung und -verarbeitung über den Text hinaus und fragen nach einem schöpferischen und kreativen Umgang mit dem Text. Stögbauer-Elsner betont, dass in der Textarbeit mit Schüler:innen auf eine lineare Dekodierung, die Zielsetzung der theologischen Deutung und die Fixierung auf eine Botschaft, verzichtet werden sollte.73 Eine christliche Toradidaktik kann innerhalb des Lesens methodisch die Impulse der Textarbeit74 aufnehmen und von ihnen für eine Strukturierung des Lernprozesses profitieren. Diese sind besonders für die Methoden der Ganzschriftlektüre und des Erzählens relevant.75 Dieses Lesen soll methodisch vom Fragen flankiert werden: Die rogative Didaktik ist in der jüdischen Lernkultur der Schlüssel zur Tora, so bei allen hier vorgestellten jüdischen Toradidaktiken von säkular bis orthodox. Die authentische Frage der Lernenden ist die Gelingensbedingung jeglichen Lernprozesses. Denn „wo jemand aufrichtige Fragen zu stellen beginnt“, so 70
LANGENHORST, Texte, 385. FRANZ W. NIEHL, Bibel verstehen. Zugänge und Auslegungswege. Impulse für die Praxis der Bibelarbeit, München 2006, 9–18. 72 Vgl. für das Folgende a.a.O., 3–5. Die Anzahl und Benennung der Schritte zur Texterarbeitung variiert: So benennt Niehl mit der Textbegegnung, Texterschließung, Auseinandersetzung und Textaneignung vier Schritte und Langenhorst mit Textpräsentation, Textanalyse und Textvariation drei. Vgl. FRANZ W. NIEHL/ARTHUR THÖMMES, 212 Methoden für den Religionsunterricht, München 1998, 111–144; LANGENHORST, Texte, 389–391. 73 NIEHL, Bibel verstehen, 6. 74 Vgl. dazu auch NIEHL, Bibel verstehen. 75 Vgl. dafür unten Abschnitt 13.1.2 „Tora als bibeldidaktischer Lerngegenstand“. 71
13.2 Die Lernenden
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Bernd Schröder, „da kommt er oder sie zur Sache, da wächst seine Motivation, da tritt jemand als Person in die Auseinandersetzung ein“.76 Unter rogativer Didaktik wird eine Kultur des Fragens verstanden, in der die präzise Frage mehr wert ist als die Antwort bzw. in der jede Antwort wieder eine neue Frage enthält. Durch das aktualisierende Fragen wird die Tora, so Barry W. Holtz, transformiert und darin an die jeweils nächste Generation tradiert. Rogative Didaktik in der christlichen Religionspädagogik kann an den zugegebenermaßen nicht breiten, aber existenten Diskurs über eine Theologie und Didaktik der Frage in der christlichen Religionspädagogik anknüpfen. Den Grundstein dafür hat der Bonner Religionspädagoge Hans Dieter Bastian gelegt.77 Bastian folgt der anthropologischen Überzeugung, dass der Mensch ein Fragewesen sei.78 Dadurch wird Kommunikation der anthropologische Zentralbegriff, und das Ende des Fragens ist gleichbedeutend mit dem Ende der Kommunikation. Didaktik nimmt das in einem gelingenden Unterricht auf, indem sie ihn dialogisch fasst. Bastian entwickelte seine Theologie und Didaktik der Frage Ende der 60er- bzw. Anfang der 70er-Jahre vor dem Hintergrund des Beharrens auf kirchliche Glaubensformeln und in Bezug auf dogmatische Loci: Dabei lag ihm fern, diese abzuschaffen, vielmehr war er bestrebt, diese zu erneuern und die antwortwütige, aber fragemüde Christenheit79 wieder in eine fragende zu transformieren. Die Theologie und Didaktik der Frage von Bastian blieb in der Religionspädagogik relativ unbeachtet.80 Einen Reload für das 21. Jahrhundert vollzieht der Religionspädagoge Kai Horstmann.81 Er verwendet sie vor dem Hintergrund der Plausibilisierung des Religionsunterrichts im 21. Jahrhundert, der kommunikativ anschlussfähig bleiben müsse. „Die Didaktik der Frage“, so Horstmann, „zielt auf einen wirklich diskursiven Unterricht, der die Fragen der Lernenden ernst nimmt und sie im Verzicht auf einen gesicherten Wissensbestand ins Zentrum rückt.“82 Horstmann sieht die unterrichtliche Anwendbarkeit des Ansatzes der Didaktik der Frage in der 76
BERND SCHRÖDER, Theologien der Frage. Lernen mit Israel und dem Heidelberger Katechismus, in: Martin Heimbucher/Christoph Schneider-Harpprecht/Aleida Siller (Hg.), Zugänge zum Heidelberger Katechismus. Geschichte – Themen – Unterricht. Ein Handbuch für die Praxis mit Unterrichtsentwürfen auf CD-ROM, Neukirchen-Vluyn 2012, 143–150, 143. 77 Vgl. HANS DIETER BASTIAN, Theologie der Frage. Ideen zur Grundlegung einer theologischen Didaktik und zur Kommunikation der Kirche in der Gegenwart, München 1969. 78 Vgl. a.a.O., 9. 79 Vgl. a.a.O., 242. 80 Dagegen wurde sein Konzept in der Homiletik rezipiert. Vgl. JAN HERMELINK, Die homiletische Situation. Zur jüngeren Geschichte eines Predigtproblems (APTh 24), Göttingen 1992, 224. 81 KAI HORSTMANN, Wer, wie, was – wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt … Theologie und Didaktik der Frage 1.2.1, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 11 (2012), 193–211. 82 A.a.O., 207.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
konstruktivistischen Religionspädagogik vor allem des römisch-katholischen Theologen Hans Mendl83 gegeben. Die konstruktivistische Religionspädagogik beruht auf dem Grundsatz, dass sich Weltwahrnehmung und -deutung nach radikal individuellen Mustern vollzieht und die Lernenden deswegen die Subjekte des eigenen Lernprozesses sind.84 Gleich der Didaktik der Frage betont die konstruktivistische Religionsdidaktik „das Subjekt der Lernenden in besonderer Weise und stellt den dialogischen, prozessualen Charakter des Lernens heraus“.85 Jasmine Suhner und Thomas Schlag diskutieren die Theologie der Frage als Fachdidaktik für das Lesen heiliger Texte in Ethik – Religionen – Gemeinschaft.86 Eine Didaktik der Frage legt den Fokus, wie das Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen, auf den Prozess des religionsbezogenen Suchens, Fragens und Reflektierens. Es gehe dabei mehr ums kritische Verbinden, Wahrnehmen, Positionieren und Kommunizieren als um die Produktion von Gewissheiten.87 Die heiligen Texte verstehen sie hierfür als Dialogpartner: Auf diese können die Lernenden aber durchaus auch mit leisen, zweifelnden, empörten und widersprechenden Fragen reagieren, da eine Didaktik der Frage dezidiert Raum für die Widersprüche der Lernenden lässt.88 „Ziel einer Didaktik der Frage“, so Suhner und Schlag, „ist insgesamt also nie ein normativer Endpunkt. Ziel einer Didaktik der Frage ist ein Feld möglicher situativer Sprachfindung und Kommunikationsfähigkeit.“89 Dabei nimmt sie die Fragen sowohl der heiligen Texte als auch der Lernenden und der Lehrenden ernst und sucht nach Antworten im Zusammenspiel der Elemente des didaktischen Vierecks. Suhner und Schlag merken aber kritisch an, dass eine Didaktik der Frage eine hohe methodische und pädagogische Kompetenz der Lehrenden erfordere, wenn es gelingen soll, eine solche Fragekultur zu implementieren.90 Rogative Didaktik als Zugang zur Tora nimmt diese Tradition der Theologie der Frage für eine christliche Toradidaktik auf. Sie korreliert mit der Tora als einem ambigen und vielfältigen Lerngegenstand, der von Mehrdeutigkeit und 83 Vgl. HANS MENDL (Hg.), Konstruktivistische Religionspädagogik. Ein Arbeitsbuch (Religionspädagogik konkret 1), Münster 2005. Mendl gibt zudem seit 2010 in Zusammenarbeit mit Hanna Roose, Oliver Reis und Gerhard Büttner das Jahrbuch zur Konstruktivistischen Religionsdidaktik heraus. 84 Vgl. HANS MENDL, Art. Konstruktivistischer Religionsunterricht, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2015. 85 HORSTMANN, Wer, wie, was, 205. 86 JASMINE SUHNER/THOMAS SCHLAG, Didaktik der Frage. Interreligiös offene Zugänge zu Heiligen Schriften im Fachbereich ERG, in: erg.ch – Materialien zum Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft (Online-Publikation), https://www.ethik-religionen-gemeinschaft. ch/suhner-schlag-didaktik-der-frage/?print=pdf (06.05.2022). 87 Vgl. a.a.O., 7. 88 Vgl. ebd. 89 A.a.O., 8. 90 A.a.O., 9.
13.2 Die Lernenden
353
Vielfalt geprägt ist und in sich selbst ambivalente Erzählungen vereint; und zudem sind die Zugänge, Verständnisse und Interpretationen multiple. Der Prozess führt und zielt auf einen „selbstständige[n] Umgang mit der Bibel“.91 Die lesenden Lernenden sind selbstständige Interpretierende der Tora und werden darin zu fragenden Schüler:innen. Nach Michael Fricke müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit Schüler:innen in die Kommunikation mit der Bibel eintreten können: Sie sollten „als aktive Rezipienten“92 in ihren Interpretationen der Bibel wahr- und ernst genommen werden. „Daneben sollen sie“, so Fricke weiter, „von Anfang an den Wert des eigenen Entdeckens und Deutens erfahren und im selbstständigen Auslegen unterstützt werden.“93 Das akribische und fantasievolle Lesen und Fragen fußt auf der Ambiguität der Tora. Ist die Tora ein ambiger Gegenstand, so sind ihre Interpretationsmöglichkeiten also vielschichtig und vielseitig. Die Tora ist, um es mit den Worten Umberto Ecos zu sagen, ein offenes Kunstwerk, und ihre Offenheit bezeichnet „eine fundamentale Ambiguität der künstlerischen Botschaft“.94 Daher kann und soll die Tora, dem Impuls von Liss/Landthaler folgend, mit den Mitteln der Rezeptionsästhetik95 gelesen werden.96 Sie geht in ihrer Entwicklung auf die Idee des „offenen Kunstwerkes“ von Umberto Eco zurück, das die Rezipient:innen für seine Aktualisierung und Transformation in die jeweilige Gegenwart benötigt. Ihr liegt die Vorstellung von Polyvalenz von Texten zugrunde, und sie geht davon aus, dass die Interpretation von Werken und Texten nicht nur im Kunstwerk angelegt ist, sondern auch in der Rezeption und erst durch die Interpretation entsteht. Jede:r Lesende, jede:r Sehende bringt bei der Betrachtung von Kunst und Literatur je individuelle Ausgangsbedingungen mit: Bildung, Erfahrungen, Vorurteile, Ästhetik. Das Verstehen ist also 91
INGO BALDERMANN, Wer hört mein Weinen? Kinder entdecken sich selbst in den Psalmen (WdL 4), Neukirchen-Vluyn 31992, 9. 92 FRIEDRICH SCHWEITZER, Kinder und Jugendliche als Exegeten? Überlegungen zu einer entwicklungsorientierten Bibeldidaktik, in: Desmond Bell u.a. (Hg.), Menschen suchen – Zugänge finden. Auf dem Weg zu einem religionspädagogisch verantworteten Umgang mit der Bibel. FS Christine Reents, Wuppertal 1999, 238–245, 242. 93 MICHAEL FRICKE, XXIII. Biblische Themen, in: Martin Rothgangel/Gottfried Adam/ Rainer Lachmann, Religionspädagogisches Kompendium, Göttingen 82013, 374–388, 378. 94 UMBERTO ECO, Opera aperta, Mailand 1962; dt.: Das offene Kunstwerk, übers. v. Günter Memmert, Frankfurt am Main 1973, 11. 95 In die Praktische Theologie, insbesondere in die Homiletik, hat das Konzept durch Gerhard Marcel Martin Einzug gefunden. Für die alttestamentliche Bibeldidaktik ist es ausführlich von Michael Fricke diskutiert worden. Vgl. DETLEF DIECKMANN-VON BÜNAU, Art. Rezeptionsästhetik (AT), in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2007; ECO, Kunstwerk; GERHARD MARCEL MARTIN, Predigt als „offenes Kunstwerk“? Zum Dialog zwischen Homiletik und Rezeptionsästhetik, in: EvTh 44 (1984), 46–58; FRICKE, Bibeltexte, 201–213. 96 Zu der Verwendung der Rezeptionsästhetik in der Grundschule vgl. FRICKE, Bibeltexte, 201–213.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
individuell geprägt. Klessmann fasst die Vielschichtigkeit des Verstehens folgendermaßen zusammen: Der Prozess der Rezeption stellt also kein passives Aufnehmen dar, sondern ein aktives Hinzutun oder Hineinlegen, so dass sich Sinn und Bedeutung je unterschiedlich erschließen. Was man liest, sieht oder hört, trifft auf die jeweiligen Vorverständnisse des Lesers oder der Hörerin, d. h. auf deren biographische Vorerfahrungen, deren emotionale Stimmungen, deren gedankliche Muster der Welt- und Lebensdeutung, deren milieu- und kulturspezifischen Kontexte.97
Durch die Betonung der Interpretationsbedürftigkeit von Texten analog zu Kunstwerken legt die Rezeptionsästhetik den Fokus auf die Leser:innen. Sie spielen bei der Erzeugung von Textsinn eine – wenn nicht die – entscheidende und aktive Rolle, während die Autorintention und die Entstehungsbedingungen eines Werkes in den Hintergrund treten. Das Werk entsteht gleichsam im Bewusstsein des Lesenden. Dann erst, so Wolfgang Iser, wird das Lesen zum Vergnügen, „wo unsere Produktivität ins Spiel kommt, und das heißt, wo Texte eine Chance bieten, unser Vermögen zu betätigen“.98 Amos Oz bezeichnet denjenigen als einen „schlechten Leser“, der den Textsinn zwischen Autor:in und Werk suche und eine Aversion gegenüber Zweideutigkeiten hege. Der Kern einer Geschichte sollte zwischen dem Text und den Leser:innen gesucht werden.99 Autor:in und Leser:in treffen sich beim Spiel der Fantasie.100 Interpretationsbedürftigkeit ist dabei keine Mangelerscheinung, sondern jedem ambigen Kunstwerk inhärent. Eine Gefahr liegt vermeintlich in der möglichen Willkür und Beliebigkeit der Interpretation. Darauf kann man mit Eco antworten, dass es „das Besondere eines Kunstwerkes [ist], daß es unter vielfachen Perspektiven wahrgenommen werden kann und dabei doch es selber bleibt“.101 Die Schüler:innen werden im Idealfall zu lesenden und fragenden Rezipient:innen der Tora als offenem Kunstwerk. Die Tora ist aber nicht nur ein offenes Kunstwerk, sondern auch ein Zeug-nis einer anderen Religion, des Judentums. In ihrer Mehrdeutigkeit können die Schüler:innen an und mit ihr die Kompetenz der Ambiguitätstoleranz einüben. 13.2.2 Von der Ambiguitätstoleranz zur Ambiguitätssolidarität Die Beschäftigung mit fremden religiösen Traditionen macht deutlich, dass die Welt komplexer, ambiger und differenzierter ist und nicht in einfachen Formeln oder Schlagworten aufgeht. Dies muss einerseits „ausgehalten“ oder kann 97
KLESSMANN, Ambivalenz, 43. WOLFGANG ISER, Der Lesevorgang. Eine phänomenologische Perspektive, in: Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik, München 31988, 253–276, 254. 99 Vgl. AMOS OZ, Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, Frankfurt am Main 2004, 50f. 100 KLESSMANN, Ambivalenz, 43. 101 ECO, Kunstwerk, 30. 98
13.2 Die Lernenden
355
andererseits als Bereicherung und Befreiung erlebt werden; auf die eine oder andere Weise sollte diese Pluralität moderiert werden. Eine zentrale Frage ist, wie dies produktiv in pädagogische Prozesse umgesetzt werden kann, sodass Schüler:innen den Umgang mit Ambiguitäten erlernen. Diesbezüglich wird das Konzept der Ambiguitätstoleranz diskutiert.102 Unter Ambiguitätstoleranz wird die Fähigkeit verstanden, mit Mehrdeutigkeit umzugehen, ohne Komplexität zu reduzieren oder abzuwerten.103 Der Begriff umfasst nicht nur religiöse Phänomene, sondern ebenfalls die Fähigkeit und Bereitschaft, Ambiges zu tolerieren. Andrea Bieler charakterisiert das folgendermaßen: Das Konzept der Ambiguitätstoleranz bezeichnet die Kapazität eines Individuums oder einer Gruppe, Vieldeutigkeit, widerstreitende Perspektiven und die daraus resultierende Unsicherheit wahrzunehmen und konstruktiv zu bearbeiten.104
Die Beschäftigung mit Ambiguitätstoleranz geht auf Else Frenkel-Brunswik zurück. Ambiguitätstoleranz und -intoleranz stellen bei ihr ein anthropologisches Merkmal der emotionalen und kognitiven Orientierung der Welt gegenüber dar.105 Bieler verortet – Frenkel-Brunswiks kognitionspsychologische These im Hintergrund – die Ambiguitätstoleranz im Kognitiven und Ambivalenztoleranz im emotionalen Bereich und kommt zu dem Schluss, dass Ambiguitätstoleranz bereichs- und inhaltsspezifisch zu bestimmen sei. Es „kann eher davon ausgegangen werden, dass sie in spezifischen Bereichen, wie z.B. in pädagogischen bzw. seelsorgerlichen Prozessen, kultiviert werden kann“.106
102 Karlo Meyer hat das Konzept der Ambiguitätstoleranz – er spricht von Ambiguitätsmanagement – für das interreligiöse Lernen stark gemacht. Vgl. K. MEYER, Grundlagen, 270–302. Darüber hinaus befasst sich die Religionspädagogik zumindest implizit mit der Thematik. So wird gegenwärtig sehr kontrovers diskutiert, inwiefern der konfessionelle Religionsunterricht der pluralen Religionslandschaft in Deutschland noch gerecht wird. Was bedeutet in diesem Kontext Bildung in Sachen Religion? Siehe dazu BIELER, Ambiguitätstoleranz, 141; vgl. dazu auch EVELYN KRIMMER, Evangelischer Religionsunterricht und reflektierte Toleranz. Aufgaben und Möglichkeiten religiöser Bildung im Pluralismus, Göttingen 2013. 103 Eine weit verbreitete erste Reaktion auf Ambiguität ist Ablehnung und/oder Überforderung. Darauf wird mit dem Wunsch nach Wahrheit, Klarheit, Eindeutigkeit und dichotomen Welt- und Wertmustern reagiert. „Auf einer ganz allgemeinen, menschlichen Ebene ist es durchaus nachvollziehbar, dass Uneindeutiges zunächst für alle Menschen verwirrend sein kann, wie manche Vorstellungen sich als falsch erweisen, manche Planungen fehl gehen und auch wie unterschiedlich dies interpretiert wird“ (K. MEYER, Grundlagen, 282). Das strikte Denken in dichotomen Mustern und die Ablehnung von Ambiguität wird als Ambiguitätsintoleranz bezeichnet. 104 BIELER, Ambiguitätstoleranz, 135. Bieler weitet das Konzept insbesondere für die (interreligiöse) Seelsorge aus. 105 Vgl. FRENKEL-BRUNSWIK, Intolerance, 113. Siehe auch oben Abschnitt 1.1.1 mit S. 8, Anm. 21. 106 BIELER, Ambiguitätstoleranz, 140.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Die Religionspädagogik hat also die Aufgabe, Räume zu erschließen, in denen Ambiguitätstoleranz erlernt werden kann. Karlo Meyer weist auf die Forschungslücke diesbezüglich hin, da es keine genauere empirische Forschung zum Thema der Ambiguitätstoleranz in der Pädagogik gibt. Er deutet jedoch einige Hinweise aus der empirischen Forschung von Fritz Oser und Helmut Reich daraufhin, dass sich die Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz erst in Kindheit und Jugend entwickelt und in der Grundschule noch nicht vorausgesetzt werden kann.107 Oser und Reich gehen dem Verständnis von Komplementarität im Umgang mit Gegensätzlichem nach, das nicht durch eine einfache Klärung aufgehoben werden kann. So tendieren ca. 72% der 6–10-jährigen und ca. 25% der 11–14-jährigen noch dazu, recht starr in Alternativen zu denken.108 Meyer interpretiert die Ergebnisse bei aller gebotenen Vorsicht in Bezug auf Ambiguitätstoleranz folgendermaßen: Wenn dies mit aller Vorsicht gegenüber einem anderen Forschungsobjekt doch als Hinweis gesehen werden kann, heißt dies, dass Kinder im Grundschulbereich und teilweise selbst darüber hinaus davon ausgehen, gut und schlecht, richtig und falsch seien in der Regel klar trennbar (Niveaustufe I bei Oser/Reich), und – dies wäre der Transfer – dass sie (im entsprechenden Prozentsatz) auch das Denken in Mehrdeutigkeiten, prinzipiell bleibenden Unklarheiten etc. (wie beim Ambiguitätsmanagement) wenig in Betracht ziehen. Dies kann jedoch sukzessive im Laufe der folgenden Jahre gefördert werden.109
Bei allen Lücken, die diese Forschung beim Thema Ambiguitätstoleranz aufweist, wird doch deutlich, dass diese Fähigkeit von der Grundschule an erlernt werden muss und sich bilaterale Sichtweisen in der Regel erst im Laufe der Grundschulzeit entwickeln. Ein ambiges und Ambivalenzen aushaltendes Erzählen von biblischen Geschichten kann hierzu, insbesondere in der Primarstufe, in der das Erzählen von biblischen Geschichten eine zentrale Rolle spielt, einen Beitrag leisten. Bieler formuliert das Lernziel als Kultivierung einer grundlegenden Haltung, in der ich dem Fremden nur nahekommen kann, indem ich die Ferne zu ihm oder ihr aushalte, ohne diese zu exotisieren. Es geht um die Wahrnehmung der Reziprozität dieser Prozesse. Dieses Oszillieren zwischen Nähe und Distanz erfordert die Ausbildung von Ambiguitätstoleranz.110
Ambiguität wird in der Literatur zumeist negativ bzw. als Herausforderung konnotiert. So spricht zum Beispiel Karlo Meyer davon, dass man sich Ambiguität nicht wünschen müsse, aber Schüler:innen mit ihr umgehen, das heißt
107
Vgl. K. MEYER, Grundlagen, 293. Ebd. Vgl. dazu FRITZ OSER/K. HELMUT REICH, Wie Kinder und Jugendliche gegensätzliche Erklärungen miteinander vereinbaren, in: Gerhard Büttner/Veit-Jakobus Dietrich (Hg.), Die religiöse Entwicklung des Menschen. Ein Grundkurs, Stuttgart 2000, 216–225. 109 K. MEYER, Grundlagen, 294. 110 BIELER, Ambiguitätstoleranz, 141. 108
13.2 Die Lernenden
357
sie managen müssten.111 Im Kontrast zu dieser verfolgt der Soziologe Zygmunt Bauman nicht nur die Ambiguitätstoleranz, sondern sieht in der Toleranz eine Vorstufe zur Solidarität: „Freundlich sein“ und die Toleranz, die diesen Ausdruck wie das Verhalten symbolisieren, kann sehr wohl Gleichgültigkeit und Desinteresse bedeuten, die auf Resignation beruhen (d.h. auf Schicksal, nicht auf Geschick): Der andere will nicht weggehen und wird nicht werden wie ich, aber andererseits habe ich ja kein Mittel (zumindest nicht im Augenblick oder in absehbarer Zukunft), ihn zu zwingen, zu gehen oder sich zu verändern. Da wir dazu verurteilt sind, Raum und Zeit zu teilen, sollten wir unser Zusammenleben erträglich und etwas weniger gefährlich machen.112
Er vergleicht Ambiguitätstoleranz mit dem Zustand eines Waffenstillstandes, wogegen er als Ziel den Zustand des Friedens setzt, welcher durch die, vielleicht utopische, Ambiguitätssolidarität erreicht werden könne. Die eigene Verbindung zu dem Fremden, mir Unbekannten, ist dann durch Verantwortung anstelle von Indifferenz und im besten Fall Neutralität gekennzeichnet. „Sie enthüllt sich“, so Bauman, „mit anderen Worten als Gemeinsamkeit des Geschicks, nicht als bloße Ähnlichkeit des Schicksals. Ein gemeinsames Schicksal würde auch mit wechselseitiger Toleranz auskommen; ein geteiltes Geschick erfordert Solidarität.“113 Demgegenüber kann Solidarität auch als Mitgefühl, imaginative Identifikation, Empathie beschrieben werden. Den Weg von der Toleranz zur Solidarität beschreibt Bauman als eher unbestimmt, da die Toleranz auch in Gleichgültigkeit oder Entfremdung münden könne. Einen realistischen Entwicklungsverlauf von der Ambiguitätstoleranz zur -solidarität stellt meines Erachtens die Ambiguitätsakzeptanz dar. Das Phänomen der Akzeptanz beinhaltet schon die Bereitschaft, sich von Gleichgültigkeit und Entfremdung hin zur Solidarität zu bewegen. Das Ziel ist es also, mit Schüler:innen den Prozess von der Ambiguitätsintoleranz zur -akzeptanz bis hin zur -solidarität einzuüben. Die Tora mit der ihr innewohnenden Ambiguitätssolidarität, die aufzeigt, dass Ambiguität schon immer einen selbstverständlichen und bereichernden Teil der Lebenswelt darstellt, ist dafür meiner Meinung nach ein geeigneter Lerngegenstand. Für Bieler führt der Weg zur Ambiguitätstoleranz über die „Kultivierung eines empathischen Imaginationsvermögens“.114 Eine religiöse Bildung muss sich insofern in der Schule auch der Gefühlsbildung zuwenden und empathische Einfühlung mit den Schüler:innen einüben. Einen Weg dafür sieht Bieler im ambiguitätstoleranten Lesen der 111
Damit will er das Ziel ausdrücken, mit Ambigem angemessen umzugehen. Es geht „in unserem Zusammenhang um die Fähigkeit, in allen vier Idealprofilen für sich und für andere klären zu können, wann und wo Neues und Impulse mir und anderen helfen, wann Eindeutigkeit für mich und andere angebracht ist, wann auf letzte Klärung zugunsten einer bewussten Unabgeschlossenheit verzichtet werden kann usw.“ (K. MEYER, Grundlagen, 287f.). 112 BAUMAN, Moderne, 370. 113 A.a.O., 371. 114 BIELER, Ambiguitätstoleranz, 134.
358
Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Bibel, wie es beispielsweise im Bibliodrama oder im Bibliolog praktiziert werde. Während die historisch-kritische Exegese die Fremdheit des Textes in der historischen und kulturellen Abständigkeit begründet, geht es dabei um die Wahrnehmung des Fremden in und als inhärenten Teil der christlichen Tradition.115 Bieler geht dabei, dem Literaturwissenschaftler Fritz Breithaupt folgend, davon aus, dass menschliche Empathiefähigkeit wesentlich durch narratives Denken geprägt ist: Immer dann, wenn narratives Denken geschult wird, wird die Fähigkeit eingeübt, in Alternativen zu Bestehendem und Erkennbarem zu denken. Dieses Denken in Alternativen bzw. Multiplizierung von Deutung führt zu einem ständigen Exzess von Narrativität.116
Empathie kann durch die Parteinahme in Dreierszenen und das Lesen von ambigen Narrationen mit den Schüler:innen eingeübt werden. Das empathische Imaginationsvermögen bildet einen wichtigen Baustein hin zu Ambiguitätstoleranz, -akzeptanz und -solidarität. Die Tora und ihre Didaktik, so die mehrfach angedeutete Grundannahme, kann ein wichtiger Baustein bei dem Erlernen von Ambiguitätstoleranz darstellen. So können zum Beispiel sowohl die ihr selbst innewohnenden Ambiguitäten als auch ihre mehrdeutliche Eigenschaft als ein gleiches, aber nicht dasselbe, Phänomen in zwei Religionen nicht ignoriert werden, sondern sollten in diesen Eigenschaften unterrichtet werden. Ein konstruktiver Umgang mit dieser Ambivalenz stellt eine Hinführung zum Erlernen von Ambiguitätsakzeptanz, vielleicht sogar Ambiguitätssolidarität dar. Methodische Ansätze christlicher Toradidaktik sollten daher nicht auf eindeutige Lösungen zielen, sondern mit Schüler:innen einüben, Ambiguität zumindest auszuhalten, sie vielleicht aber sogar als Bereicherung zu erleben und mit bleibend Fremdem solidarisch zu sein.
13.3 Die Lehrenden 13.3 Die Lehrenden
Die Lehrkraft – ihr Rollenverständnis und ihre Einstellung, ihr Fachwissen und ihr Zugang zur Tora – ist ein zentraler Schlüssel zur Etablierung einer Toradidaktik. Die Gestaltung des Unterrichts, die Priorisierung seiner Themen und die Gelingensbedingungen für die Transformation der Inhalte in die Lebenswelt der Lernenden hängen im Religionsunterricht, wie wohl in anderen
115
Vgl. a.a.O., 142. A.a.O., 143. Vgl. FRITZ BREITHAUPT, Kulturen der Empathie, Frankfurt am Main 2007, 115f.: „Narration involviert die (Zer)Störung der Perspektive, aus der die Narration wahrgenommen wird. Empathie in Narration wird dort ermöglicht, wo sie zugleich zu einem Ende kommt.“ 116
13.3 Die Lehrenden
359
Fächern auch, maßgeblich von ihr ab.117 Sie verfügt im christlichen Religionsunterricht in Deutschland über sehr große Entscheidungsspielräume, da die „Erteilung von Religionsunterricht […] in didaktischer Freiheit und theologischer Verantwortung des Lehrers“118 geschieht. Für die Vermittlung von (lebenslangem) biblischem Wissen legt der Religionsunterricht das Fundament, dafür trägt die Lehrkraft eine besondere Verantwortung.119 In diesem Zusammenhang soll hier zunächst ein Rollenverständnis der Lehrkräfte in christlicher Toradidaktik und für sie skizziert (13.3.1) und dann gefragt werden, welche religiösen Kompetenzen die Lehrer:innen als Gelingensbedingung für die Toradidaktik im Studium der Religionspädagogik erwerben sollten (13.3.2). 13.3.1 Die Rolle der Lehrkraft: Schüler:in, Übersetzer:in und Zeug:in der Tora Die Frage nach der persönlichen Rolle beantworten die Lehrenden je zu ca. einem Drittel unterschiedlich zwischen „neutrale/r Wissensvermittler/in“ und „authentisches Beispiel für meine gelebte Religion“ und „Moderator“, das Selbstkonzept der Lehrenden ist also äußerst heterogen.120 117
Für einen Überblick über die unterschiedlichen Lehrer:innenideale durch verschiedene Epochen und auch aktuell vgl. BERND SCHRÖDER, Vom Ursprung und Wandel des Religionslehrer(leit)bildes im Christentum, in: Ders./Harry Harun Behr/Daniel Krochmalnik (Hg.), Was ist ein guter Religionslehrer? Antworten von Juden, Christen und Muslimen (Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen 1), Berlin 2009, 121–148. 118 B. SCHRÖDER, Religionspädagogik, 562. Zwar gibt es auch für den evangelischen Religionsunterricht Lehrpläne, aber diese lassen den Lehrkräften einen großen Ermessensspielraum, in dem sie zwar Inhalte und Ziele des Religionsunterrichts regeln, aber viel Spielraum sowohl in der Gestaltung als auch bei fakultativen Themen lassen. Vgl. a.a.O., 578. 119 So wird für die meisten Menschen, wenn überhaupt, die Basis für das biblische Wissen in der Kindheit und Jugend gelegt. Hierbei sind schulischer Religionsunterricht, Kindergottesdienst und Kinderbibeln zentral für den Erwerb biblischer Kenntnisse. Es sind also mit Lehrer:innen, Kindergottesdienstmitarbeiter:innen und Verfasser:innen von Kinderbibeln primär Fachleute für die Weitergabe von biblischem Wissen prägend. Die Familie hingegen ist als Vermittlungsort der Bibel in den Hintergrund getreten, wohl aber ist ihre Wertung des religiösen Wissens für die Frage, wie Kinder und Jugendliche der Bibel begegnen, entscheidend. Vgl. dazu B. SCHRÖDER, Hänschen, 227–230. 120 MIRJAM ZIMMERMANN, In der (konfessionellen) Selbstauflösung? Zum Berufsverständnis von Religionslehrerinnen und Religionslehrern in Religionspädagogischen Handlungsfeldern – Betrachtungen aus der Innen- und Außenperspektive, in: Thomas Schlag/ Bernd Schröder (Hg.), Praktische Theologie und Religionspädagogik. Systematische, empirische und thematische Verhältnisbestimmungen (VWGTh 60), Leipzig 2020, 377–410, 401. Zimmermann bezieht sich hier auf eine Studie aus Schleswig-Holstein: UTA POHLPATALONG u.a., Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt, Teil 1: Eine empirische Studie zum evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein, Stuttgart
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Für eine christliche Toradidaktik kristallisieren sich, die Impulse der jüdischen Bibeldidaktiken aufnehmend, meines Erachtens insbesondere drei Rollen heraus: Die Lehrkraft ist Schüler:in (1), Übersetzer:in (2) und Zeug:in der Tora (3). (ad 1) Ich verstehe, einen Anstoß von Leibowitz aufnehmend, die die Lehrperson als permanente Toralernende bezeichnet, die Lehrkraft einer christlichen Toradidaktik idealerweise selbst als lebenslang lernende Toraschüler:in, für die die Tora eine intellektuell und/oder religiös-existenziell inspirierende Funktion hat. Das Lernen und Studieren der Tora habt in allen jüdischen Traditionen von orthodox über konservativ bis säkular nie ein Ende, deshalb bleiben auch Lehrende stets Lernende in Bezug auf die Tora. Die Lehrkraft sollte also ebenso den Ansprüchen an die ideale Toraschüler:in als lesende und fragende Schüler:in entsprechen, da sowohl eine Lese- und Fragegemeinschaft nur entstehen kann, wenn die Lehrkraft ebenso Teil dieser Gemeinschaft ist, als auch die Lehrkraft nur dann im Sinne von Holtz als Vorbild für und im Sinne von Krochmalnik als Begleiter:in in diese Lesegemeinschaft fungieren kann. Die Tora kann mit Fantasie und Akribie gelesen und kritisch fragend erkundet werden – so können sich die Lehrenden in die lange Reihe der Toralernenden einfügen.121 (ad 2) Die Lehrer:in kann aber nicht nur egalitäre:r Toralernende:r sein, sondern ihr kommt im Unterrichtsgeschehen, wie in den toradidaktischen Entwürfen von Adar und Holtz, die Rolle des Übersetzenden des sperrigen Lerngegenstandes der Tora hinein in die Lebens- und Lesewelt der Lernenden zu. Durch diese Transformation der Tora wird die Tora der tradierenden Funktion der Didaktik nach an die jeweils folgende Generation weitergegeben. Diese Übersetzungsarbeit ähnelt der Übersetzung von einer Sprache in eine andere. Übersetzung bleibt, so Jürgen Ebach, immer weit hinter dem Original zurück,122 steht sogar in der Gefahr des Verrats am Original. Ebach zitiert hierfür Carina von Enzenberg und Hartmut Zahn: „Traduttore traditore – sind Übersetzer Verräter? Ja, wir verraten euch, was in fremden Büchern steht.“123 In diesem Spannungsfeld von Übersetzen und Verraten bewegen sich auch die Lehrer:innen in der Toradidaktik. Aber es gilt auch andersherum: Nur wenn die Tora immer wieder neu übersetzt und damit verraten wird, kann sie für die Schüler:innen zu einem Lerngegenstand werden, der Relevanz für sie gewinnt. 2016, 305. Der Aufsatz von Mirjam Zimmermann bietet einen guten Überblick über die aktuelle empirische Studienlage zum Lehrberuf. 121 Vgl. dazu unten Abschnitt 13.2.1 „Die lesenden und fragenden Schüler:innen“. 122 Zu der Ambivalenz des Übersetzens vgl. JÜRGEN EBACH, „Übersetzen – üb’ Ersetzen!“ Von der Last und Lust des Übersetzens, in: BiKi 69/1 (2014), 2–7. Ebach betont, dass eine Übersetzung immer hinter dem Original zurückbleibt. Er zitiert dazu Martin Luther aus seinen Tischreden: „Die Ebräer trinken aus der Bornquelle; die Griechen aber aus den Wässerlin, die aus der Quelle fließen; die Lateinischen aber aus der Pfütze“ (a.a.O., 2). 123 CARINA VON ENZENBERG/HARTMUT ZAHN, Fährleute, in: Dietmar Härtel/Felix Meyer (Hg.), Diesseits von Babel. Vom Metier des Übersetzens, Köln 2008, 37–39, 38.
13.3 Die Lehrenden
361
Auch wenn Ebach von der Übersetzung von einer Sprache in die andere spricht, so gilt meiner Meinung nach auch für didaktische Prozesse sein Diktum: „Es gibt kaum die richtige Übersetzung – aber es gibt die falsche.“124 Es kann also auch nicht nur eine Übersetzungsmöglichkeit der Tora in die Lebenswelt der Schüler:innen geben, sondern es gibt viele verschiedene. Die jeweilige Übersetzungsarbeit muss von der Lehrkraft in Beziehung zur jeweiligen Lernsituation geleistet werden. Übersetzung ist dabei immer auch ein Verstehensversuch und darin ein offener, unabschließbarer Prozess. Zwei Dinge betont Ebach: einmal, dass es bei Übersetzungen immer zu einem Transportverlust komme. Es könne nie die ganze Tiefe und Weite des Originals weitergegeben werden. Bezüglich der Tora wird meines Erachtens immer eine Reduktion des Lesestoffs und der Komplexität des Lerngegenstandes stattfinden. Zum anderen betont Ebach, dass bei zukünftigen Übersetzungsarbeiten immer auch Dinge ver- bzw. neu gelernt werden müssen. In Bezug auf die Tora im Religionsunterricht sollte meines Erachtens zum Beispiel die Reduktion der Tora auf das Gesetz und ihre fragmentarische und zusammenhanglose Verwendung im Unterricht losgelöst vom größeren Erzählbogen verlernt und neu gelernt werden, die Tora sowohl als Fundament der jüdischen Identität als auch als Fragment der christlichen Identität zu unterrichten. (ad 3) In der dritten Dimension der Rolle einer Lehrkraft innerhalb einer christlichen Toradidaktik ist die Lehrkraft Zeug:in der Tora: Erstens kann diese Zeug:innenschaft die Frage nach dem Tun, nach den Konsequenzen des Toralesens, also der instruierenden Funktion der jüdischen Toradidaktik, offenhalten. Schulischer Unterricht kann und soll nicht zum konkreten Tun auffordern, und jüdische Toraobservanz kann auch nicht in christliches Handeln überführt werden – schon Leibowitz hat diesen für sie sehr zentralen Aspekt der Tora zu Recht als außerhalb des planbaren Unterrichtsgeschehens liegend bezeichnet. Jedoch kann die Lehrkraft einer christlichen Toradidaktik die Frage nach den Konsequenzen der Lektüre der Tora für das eigene ethische Handeln und Fragen aufzeigen und darin den Impuls aufnehmen, dass in allen jüdischen Toradidaktiken das Lernen und das Tun der Tora inhärent zusammengehören. Toradidaktik hat also neben der inspirierenden und tradierenden immer auch eine konkret instruierende Funktion. Die Frage nach dem Tun im Religionsunterricht wird in der christlichen Religionspädagogik in Ansätzen des performativen125 Lernens gestellt und viel diskutiert.126 124
Vgl. EBACH, Übersetzen, 3. Begrifflich geht die performative Religionsdidaktik auf die Sprechakttheorie von John Austin zurück. Vgl. JOHN LANGSHAW AUSTIN, Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1972 (engl. Original: How to Do Things with Words, Oxford 1962). 126 Vgl. FLORIAN DINGER, Religion inszenieren. Ansätze und Perspektiven performativer Religionsdidaktik (PThGG 29), Tübingen 2018; MARTINA DREMEL, Performativ orientierter Religionsunterricht, in: RPäB 76 (2017), 73–84; BERNHARD DRESSLER, Art. Performativer Religionsunterricht, evangelisch, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische 125
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Bei allen Differenzen ist die gemeinsame Grundüberzeugung der Ansätze, so Hans Mendl, dass es, um Religion zu verstehen, heute nicht mehr ausreiche, nur über Religion zu reden.127 Diese Einsicht wird von drei Richtungen her begründet:128 Zunächst stellt sich religionssoziologisch die Frage, wie mit dem sogenannten Abbruch religiöser Traditionen insbesondere in Familien umgegangen werden kann. Zweitens versucht der performative Ansatz, didaktische Antworten auf die Problematik zu geben, dass Religionsunterricht mehr als nur das Wissen über Religionen ist, sondern dem Zustand Rechnung tragen muss, dass Religion „gekennzeichnet [ist] von geprägten Formen und einer sozialen und gemeinschaftlichen Praxis“.129 Drittens entspricht das performative Lernen den bildungstheoretischen Erkenntnissen, dass die Verschränkung unterschiedlicher Lerndomänen den Wissensaufbau fördert. Obschon das Tun inhärent zur Tora gehört, hat Nehama Leibowitz explizit auf die Entzogenheit des Tuns in unterrichtlichen Settings betont. Eine ähnliche Diskussion kennt die performative Religionsdidaktik: Insbesondere möchte man nicht den Eindruck erwecken, dass es sich beim performativen Tun um authentische religiöse Sprechhandlungen handele oder diese gar ein Missionsziel bei den Schüler:innen verfolgen.130 Trotz dieser gebotenen Vorsicht, die didaktisch in die Lernsettings eingespeist werden muss,131 kann handlungs-, erfahrungs-, körperorientiertes Lernen im Kontext des biblischen oder ethischen Lernens eine große Bereicherung darstellen. Die performative Religionsdidaktik fungiert darin als eine fruchtbare Gesprächspartnerin für eine christliche Toradidaktik. Zweitens sollte sie Zeug:in der Tora mit ihrer doppelten Nachgeschichte – als ein Zentrum der jüdischen aber auch als ein Fragment der christlichen Identität – sein, sodass diese besondere Beziehung für die Schüler:innen erfahrbar werden kann. Es geht also um die Positionalität der Lehrer:innen, den sogenannten „truth claim“132. Mirjam Zimmermann beschreibt gerade diese Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2015; THOMAS KLIE/SILKE LEONHARD (Hg.), Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik, Leipzig 2003; DIES. (Hg.), Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, Stuttgart 2008; SILKE LEONHARD/THOMAS KLIE, Performatives Lernen und Lehren von Religion, in: Bernhard Grümme/Hartmut Lenhard/Manfred L. Pirner (Hg.), Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik, Stuttgart 2012, 90–104; HANS MENDL, Religion zeigen, Religion erleben, Religion verstehen. Ein Studienbuch zum Performativen Religionsunterricht, Stuttgart 2016. 127 Vgl. HANS MENDL, Performativer Religionsunterricht, in: Kropač/Riegel (Hg.), Handbuch Religionsdidaktik, 239–245, 239. 128 Vgl. a.a.O., 240. 129 Ebd. 130 Diese Kritik bezieht sich allerdings meist auf Gebiete des Performativen, „bei denen es um Bekenntnisakte geht, also um Gebet, Liturgie und Segensriten“ (a.a.O., 243). 131 Vgl. dazu DINGER, Religion inszenieren, 275–329. 132 Die Frage der „truth claims“ und der Positionalität der Lehrkraft wird derzeit insbesondere in Bezug auf den konfessionellen Religionsunterricht in einer pluralen Schulrealität
13.3 Die Lehrenden
363
Zeug:innenschaft als große Herausforderung für Lehrer:innen innerhalb des konfessionellen Religionsunterrichts: Religionslehrende zeigen sich in der Unterrichtsbeobachtung mehr als Moderatoren oder neutrale Vermittler denn als „‚Zeugen‘ […] für die Glaubwürdigkeit christlicher Überzeugungen“. […] Bei der Frage nach truth claims vermeiden Lehrende es, als Repräsentantinnen und Repräsentanten christlichen Glaubens aufzutreten; auf Schülerfragen und theologische Positionen der Lernenden wird nicht dezidiert eingegangen und somit nicht an einem theologischen Kompetenzzuwachs der Schülerinnen und Schüler gearbeitet.133
Während die Lehrer:innen inhaltliche Auseinandersetzungen, die die Schüler:innen provozieren können, intuitiv eher vermeiden, fordern Schüler:innen diese Positionierung durch ihre Fragen eher ein134 und bemerken, ob die Lehrkraft etwas nur moderiert oder ob, um es mit den Worten Martin Luthers aus dem Großen Katechismus zu sagen, ihr Herz daran hängt.135 Die jüdischchristliche Beziehung sollte es also schaffen, zum elementaren Bestandteil des christlichen Selbstverständnisses der zukünftigen Lehrkräfte zu werden, sodass die Lehrkraft dies auch aus eigener Überzeugung bezeugen kann. Leitend kann dafür das Diktum von Peter von der Osten-Sacken sein, dass man sich dem christlich-jüdischen Dialog als Christ:in relativ leicht entziehen könne, dem christlich-jüdischen Verhältnis jedoch nicht, da es einfach mit dem Christsein gegeben sei.136 Diese Forderung der Bezeugung, des „truth claim“ für eine plurale, ambivalente, eine ambige und fragmentarische christliche Identität, führt auf den ersten Blick sicher zu Irritationen oder sogar Widersprüchen. Dies mag auch daran liegen, dass in interreligiösen Settings Positionalität meist konfessionell als das Eigene im Gegenüber zur fremden Religion bestimmt und das Fremde im Anschluss an Lévinas und andere Phänomenologen als das Beunruhigende verstanden wird.137 Im Gegensatz dazu stellt sich das Spezifische des jüdisch-christlichen Verhältnisses so dar, dass es trotz seiner Fremdheit als Teil der eigenen Positionalität wahrgenommen wird, das ohne Vereinnahmung
diskutiert. Vgl. ULRICH RIEGEL/EVA MARIA LEVEN, How do German RE teachers deal with truth claims in a pluralist classroom setting?, in: Journal of Religious Education 64 (2016), 75–86; HANS-GÜNTER HEIMBROCK (Hg.), Taking Position (Religious Diversity and Education in Europe 33), Münster 2017. 133 M. ZIMMERMANN, Selbstauflösung, 410. 134 Vgl. a.a.O., 407. 135 Vgl. „Woran dein Herz hängt, das ist dein Gott“ (MARTIN LUTHER, Der große Katechismus, zit. nach Calwer Luther Ausgabe, Bd. 1, 1964, 22f.). 136 Vgl. VON DER OSTEN-SACKEN, Stand des jüdisch-christlichen Dialogs, 206. 137 Vgl. SILKE LEONHARD, Pluralität, Dialog und Positionalität. Welcher Religionsunterricht taugt für alle?, in: Heimbrock (Hg.), Taking Position, 217–240, bes. 233; Leonhard nimmt hier Bezug auf EMANUEL LÉVINAS, Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, übers., hg. und eingeleitet von Wolfgang Nikolaus Krewani, Freiburg im Breisgau 1983.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
durchbuchstabiert werden muss. Die Tora in ihrer Ambivalenz und Ambiguität bietet sich dafür meines Erachtens als Lerngegenstand besonders an. Die Lehrer:in als Schüler:in, als Übersetzer:in und als Zeug:in der Tora – das stellt eine hohe, vielleicht auch zu hohe Anforderung an die Lehrkraft. Daran schließt sich in logischer Konsequenz die Frage an, wie in der Ausbildung von zukünftigen Lehrer:innen die Weichen entsprechend gestellt werden können, dass dies gelingen kann. 13.3.2 Religionspädagogische Kompetenz Damit die Lehrenden einen selbstständigen Umgang der Lernenden mit der Tora, wie zum Beispiel Baldermann ihn fordert,138 initiieren können, müssen sie selbst einen derartigen erlernt haben und auch praktizieren. Zukünftige Religionspädagog:innen müssen also in ihrer Ausbildung prägende Begegnungen mit dem Ersten Testament, mit der Tora, mit jüdischer Auslegung und Didaktik, mit jüdisch-christlichen Fragestellungen und Begegnungen sammeln können, damit sie sie als relevant erleben und dementsprechend weitergeben können. Karlo Meyer identifiziert dieses analog für einen gelingenden Unterricht fremder Religionen im Religionsunterricht und setzt bei der Ausbildung von Lehrer:innen an: Leitend ist die Frage: Welche Hintergrundklärungen, welche inhaltlichen und formalen Differenzierungen sowie welche Ansätze sollten Lehrkräften und Fachvertreterinnen präsent sein, um interreligiöses Lernen sachgerecht zu reflektieren und nicht nur Vorhandenes zu untermauern, sondern auch mögliche Richtungen für weitere Arbeit zu eröffnen?139
Vor diesem Hintergrund wäre konkret zu fragen: Welche inhaltlichen und formalen Differenzierungen sowie welche Ansätze sollten Lehrkräften und Fachvertreter:innen präsent sein, um die Tora als biblischen und interreligiösen Lerngegenstand sachgerecht reflektieren und zukunftsorientiert unterrichten zu können? Im Kern zielt die Frage also darauf, welche religionspädagogische Kompetenz die zukünftigen Lehrenden im Studium erwerben müssen, um diesem Anspruch möglichst gerecht zu werden. Mirjam Zimmermann erarbeitet fünf gemeinsame Kompetenzen: 1) Fachwissen bzw. Sachkompetenz als Fähigkeit, theologische Inhalte zur Verfügung zu haben und diese zu elementarisieren. 2) Didaktische Kompetenz, die sich dadurch zeigt, dass religiöse Inhalte schüleradäquat unterrichtlich reduziert und inszeniert werden können. 3) Methodische Kompetenz, die teils als Methoden- und/oder Medienkompetenz ausgewiesen, teils im Rahmen der Gestaltungskompetenz eingebracht wird. 4) Reflexionskompetenz, die manchmal, wie z.B. bei Riegel und Leven, nur implizit genannt ist, indem durch das empirische Setting deutlich wird, dass die Wissensdomänen in Anforderungssituationen abgerufen und reflektiert werden. Die reflexive Metaebene ist damit von intuitivem Handeln 138 139
Vgl. BALDERMANN, Weinen, 9. K. MEYER, Zeugnisse, 14.
13.3 Die Lehrenden
365
unterschieden. 5) Personale Kompetenz, die der Rolle des Religionslehrers bzw. der Religionslehrerin im besonderen „Modus des Weltzugangs“ (Baumert) geschuldet ist und auf den Zeugnischarakter der Lehrperson Bezug nimmt. Diese findet sich vor allem bei katholischen Rastern.140
Die religiöse Kompetenz setzt sich aus Fachwissen und Sachkompetenz, aus Methodik und Didaktik und aus Reflexionsfähigkeit zusammen. In Bezug auf die Toradidaktik wäre das das Fachwissen über Tora bzw. Erstes Testament und Judentum bzw. jüdisch-christliches Verhältnis, der methodischen und didaktischen Umsetzung, also die Frage der Bibeldidaktik und interreligiösen Didaktik, und der Reflexionsebene, also der Tora als Zentrum des Judentums und als wichtiges Fragment der christlichen Identität. In den Prolegomena habe ich eine exemplarische Tiefenbohrung141 bezüglich des Vorkommens von jüdischen und/oder jüdisch-christlichen Lehrinhalten auf der einen und dem Ersten Testament auf der anderen Seite in der universitären Ausbildung von Lehramtsstudierenden vorgenommen: In Bezug auf das Erste Testament fällt dabei auf, dass Bibelkunde, eine Vorlesung und ein Proseminar fest im Modulkatalog der Studierenden sowohl für das Grundschullehramt als auch für das Lehramt für die Sekundarstufe I/II verankert sind. Allerdings wird hier zumindest im Proseminar ein Fokus auf das Erlernen der exegetischen Methoden gelegt; inwieweit hermeneutische Fragestellungen und das Erste Testament als jüdische Schrift in den Blick genommen werden, bleibt weitgehend offen. Auffällig ist, dass in keiner Studienordnung Bibeldidaktik eine explizite Rolle spielt. Sie kann einen Platz im religionspädagogischen Proseminar einnehmen, muss es aber nicht zwangsläufig. Es bleibt also offen, wie die Studierenden den historisch-kritisch erlernten Zugang in die unterrichtliche Praxis umsetzen und wie weit es zu einem fruchtbaren Austausch zwischen den exegetischen Fächern auf der einen und den didaktischen auf der anderen Seite kommt, oder ob die Studierenden diesen Transfer eigenständig leisten müssen. Dafür ist, so Bernd Schröder, ein grundsätzliches Gespräch zwischen den exegetischen Fächern und der Praktischen Theologie nötig.142 Ein solcher Dialog steht vor der Herausforderung der gegenläufigen Fragerichtung, der historischen Fächer zur Praktischen Theologie. „Fragen diese“, so Schröder, „von den historischen Quellen her voraus zu deren Bedeutung für die Gegenwart, fragen jene von der Gegenwart ausgehend zurück nach dem Potential der Traditionsbestände.“143 Vor diesem Hintergrund mit dem Wissen 140
M. ZIMMERMANN, Selbstauflösung, 281. Die Modelle, was genau religionspädagogische Kompetenz umfasst, unterscheiden sich. Vgl. dazu die Übersicht a.a.O., 280. 141 Vgl. dafür oben Abschnitt 3.4 „Judentum und Erstes Testament in der universitären Ausbildung der Lehrer:innen“. 142 Vgl. dazu ausführlich B. SCHRÖDER, Hintergrundwissen. 143 BERND SCHRÖDER, In welcher Absicht nimmt die Praktische Theologie auf Praxis Bezug? Überlegungen zur Aufgabenbestimmung einer theologischen Disziplin, in: ZThK 98 (2001), 101–130, 127f.
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
um die unterschiedlichen Zugänge sollten beide Fächer konstruktiv aufeinander Bezug nehmen und nicht um Deutungshoheit konkurrieren. Das Ziel der biblischen Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte sollte demnach sein, dass die Studierenden plurale Methoden, von der historisch-kritischen bis zum Bibliolog, im Studium er- und kennenlernen. Dies bedarf, so Schröder, einer Veränderung der Ausbildung: Dies wiederum erfordert – einmal mehr – erhebliche synthetische Kapazitäten, um Einsichten verschiedener Disziplinen, darunter historisch-kritischer Exegese und Praktischer Theologie, in Beziehung zu setzen. Theologische Ausbildung steht vor der Herausforderung, diese Synthese nicht nur Studierenden abzuverlangen, sondern in ihren Strukturen (Modulen) abzubilden, in Lehrveranstaltungen zu proben und in kollegialer Zusammenarbeit vor Augen zu stellen.144
Die Tora sollte dabei nicht nur im Spannungsfeld zwischen historischen und gegenwartshermeneutischen Ansätzen unterrichtet werden, sondern auch in ihrer doppelten Nachgeschichte; dazu gehört meines Erachtens auch die Kenntnis von jüdischer Bibeldidaktik, zu deren Erschließung im deutschen Sprachraum diese Studie einen Beitrag leisten will. Auch das zweite Themenfeld der exemplarischen Erhebung, die jüdischen und/oder jüdisch-christlichen Lehrveranstaltungen, fragt nach dem Vorkommen dieser zweifachen Nachgeschichte der Tora. Erfreulich hervorzuheben ist, dass die Auseinandersetzung mit dem Judentum als Religion inzwischen an einigen Standorten ein Pflichtteil des religionswissenschaftlichen Moduls geworden ist. Dagegen fehlen fast völlig jüdisch-christliche Lehrveranstaltungen, das heißt sowohl Lehrveranstaltungen, die nicht nur judaistische Fachkenntnisse, so zentral das bleibend ist, vermitteln, sondern diese auch in Bezug zu christlicher Hermeneutik, Auslegung und Didaktik setzen. Dies kann theoretisch oder in konkreten Begegnungen passieren. Beides ist weder in der Studienordnung festgeschrieben, noch habe ich sie in den exemplarischen Analysen der Lehrveranstaltungen vorgefunden. Die zukünftigen Lehrkräfte müssten aber selbst Ambiguitätssolidarität145 erlernen, damit sie diese als Schlüsselkompetenz weitergeben können. So geht es zum Beispiel für die Primarstufe um die Frage, wie ambiges Erzählen von biblischen Geschichten, welches der doppelten Nachgeschichte gerecht wird, konkret gestaltet und für die Sekundarstufe I/II um die Ausgestaltung einer Ambiguitätsdidaktik genutzt werden kann. Das Fazit der ausführlichen Erhebung zu jüdischen und/oder jüdischchristlichen Lehrinhalten im Studium der evangelischen Theologie – mit dem Ziel Lehramt oder Pfarramt – von 2016 bleibt also in den Grundzügen bestehen und – leider – immer noch aktuell: Es wäre also wünschenswert,
144
B. SCHRÖDER, Hintergrundwissen, 240. Vgl. dafür oben den Abschnitt 13.2.2 „Von der Ambiguitätstoleranz zur Ambiguitätssolidarität“. 145
13.4 Die Lebenswelt
367
dass niemand ein Studium der evangelischen Theologie bzw. Religion absolvieren kann, ohne durch die Fülle der entsprechenden Lehrangebote oder gar durch verbindliche Vorgaben der Studienordnung auf die Befassung mit dem gegenwärtigen Judentum und seiner Geschichte sowie mit Herausforderungen und Einsichten des jüdisch-christlichen Gesprächs zu stoßen.146
13.4 Die Lebenswelt 13.4 Die Lebenswelt
Die Lebenswelten der Lernenden und Lehrenden stellen den hermeneutischen Rahmen und die Kontextbedingungen einer christlichen Toradidaktik dar. Die Verstehensbedingungen der Lesenden und damit die Gelingensbedingungen von Toradidaktik werden von ihr bestimmt und geprägt. „Für (religiöse) Bildungsprozesse ist es“, so Mirjam Schambeck, „unabkömmlich, die Lebenswelt ernst zu nehmen, denn Lernen gelingt nur dort, wo die lernenden Subjekte Anderes, Fremdes, zu Lernendes in eine Bezogenheit zur eigenen Lebenswelt setzen können.“147 Die Lebenswelt kann nur heuristisch rekonstruiert und nicht klar definiert werden, da sie sich individuell stark unterscheidet. Im Folgenden wird deswegen nur ein prägender Rahmen der Lebenswelt von Lernenden und Lehrenden im christlichen Religionsunterricht sowie seine Auswirkungen auf die Entwicklung einer Toradidaktik skizziert: Im Kontext dieser Studie lege ich dabei zunächst einen Schwerpunkt auf die Pluralität der Gegenwart und das damit einhergehende Ende der Eindeutigkeit (13.4.1). Daran schließt sich die Darstellung von Antisemitismus als leider immer noch aktuelle Hintergrundmusik der Lebenswelt von Schüler:innen an (13.4.2). 13.4.1 Das Ende der Eindeutigkeit Die Gesellschaftsdiagnose Zygmunt Baumans, dass wir in postmodernen Zeiten ständig mit Ambiguitäten konfrontiert sind, ist auch für den Religionsunterricht maßgeblich prägend.148 „Die Vielfalt gesellschaftlicher Prozesse und die zahlreichen individuellen Wirklichkeitskonstruktionen“, so Klessmann in Bezug auf Bauman, „durchdringen einander und verstärken sich gegenseitig.“149 Die dichotomen Kategorien von „gut“ und „böse“, „richtig“ und „falsch“ taugen in dieser durch Ambiguitäten geprägten Lebenswelt nicht als Beurteilungshilfen. In dieser Lebenswelt kann es keine einfachen, klaren Antworten, sondern nur ambivalente geben. „Im religiösen Feld beschreibt das Konzept der Pluralisierung“, so Ulrich Riegel, „die Entfaltung eines als weitgehend 146
HECKE u.a., Judentum, 94. MIRJAM SCHAMBECK, Bibeltheologische Didaktik, in: Zimmermann/Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, 439–446, 444. 148 Vgl. BAUMAN, Moderne und Ambivalenz, 304. 149 KLESSMANN, Ambivalenz, 47. 147
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
homogen empfundenen Zustands in eine Vielfalt religiöser Institutionen und Haltungen hinein.“150 Diese Säkularisierung führt zu einer Veränderung: Zwar sind viele Schüler:innen im Religionsunterricht formal noch evangelisch getauft, aber durch den Traditionsabbruch der christlich verfassten Konfessionen in Deutschland sind für immer mehr Schüler:innen religiöse Bräuche und auch die biblischen Geschichten weitgehend unbekannt. Dies führt in letzter Konsequenz dazu, dass Religion in ihrem Leben keine Bedeutung mehr hat.151 Zudem findet die Pluralisierung ihren Ausdruck in der Heterogenität der Lerngruppen. Es gehört auch im konfessionellen Religionsunterricht längst zur Realität, dass er sowohl von Schüler:innen mehrerer christlicher Konfessionen als auch aus anderen Religionsgemeinschaften und von konfessionslosen Schüler:innen besucht wird.152 Die Konfessionalität kann im günstigsten Fall durch die Lehrkraft und die Themen gewährleistet werden. Das sogenannte Ende der Eindeutigkeit gilt dementsprechend auch für den Religionsunterricht, dessen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen immer unschärfer, pluraler und komplexer werden: Schüler:innen sind nicht mehr in der Mehrzahl christlich; Religionsunterricht ist nicht mehr der selbstverständliche Standard; Lehrkräfte sind nicht mehr unbedingt klassisch evangelisch sozialisiert; und in einigen Bundesländern ist das Fach als eigenständiges Schulfach schon nicht mehr existent oder zumindest infrage gestellt. Ein christlicher Religionsunterricht sollte deswegen in der Lage sein, diese Pluralität zu moderieren.
150 ULRICH RIEGEL, Art. Pluralisierung, in: Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2016, 1. Folgt man aktuellen religionssoziologischen Untersuchungen, erweist sich die religiöse Landschaft Deutschlands als vielfältig. 2015 waren jeweils ca. 30% der Deutschen evangelisch, römisch-katholisch oder konfessionslos. Der Rest der deutschen Bevölkerung verteilt sich auf Muslime (5%), orthodoxe Christen (1,6%), Mitglieder in Freikirchen (0,4%), Buddhisten (0,3%), Juden (0,25%) und Hindus (0,12%). Signifikante Unterschiede bestehen zwischen Ost- und Westdeutschland: Der Anteil der Christ:innen lag in Westdeutschland bei 81,0%, in Ostdeutschland bei 30,2%; in Westdeutschland gehörten lediglich 14,0% formal keiner Religionsgemeinschaft an, in Ostdeutschland waren es 68,1%. Die Konfessionslosen können dann mit Gert Pickel wiederum in vier Gruppen gegliedert werden: die religiös Individualisierten, die religiös Indifferenten, die überzeugten Atheisten, die dezidiert Areligiösen. Vgl. SWISS METADATABASE OF RELIGIOUS AFFILIATION IN EUROPE (SMRE), Religious Affiliation in Period 2006–2015 (hg. v. Antonius Liedhegener/Anastas Odermatt), https://www.smre-data.ch/en/data_ exploring/religious_affiliation#/mode/majority_religion/period/2010/dataset/1562/presenta tion/table (03.07.2022); GERT PICKEL, Religiosität in Deutschland und Europa – Religiöse Pluralisierung und Säkularisierung auf soziokulturell variierenden Pfaden, in: ZReligionGesPolit 1/1 (2017), 37–74, 51. 151 Vgl. dazu CLAUẞ PETER SAJAK, Interreligiöses Lernen, Darmstadt 2018, 13–22. 152 Siehe dazu UTA POHL-PATALONG, Die Situation des Religionsunterrichtes heute, in: Saskia Eisenhardt u.a. (Hg.), Religion unterrichten in Vielfalt: konfessionell – religiös – weltanschaulich. Ein Handbuch, Göttingen 2019, 19–27.
13.4 Die Lebenswelt
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In dieser Situation mag es vermessen erscheinen, einem ambigen und ambivalenten, man könnte sogar meinen uneindeutigen Lerngegenstand Geltung im Religionsunterricht verschaffen zu wollen. Meines Erachtens liegt aber genau in diesen Eigenschaften der Tora auch eine Chance: Erstens können der Traditionsabbruch unter Jugendlichen und die damit einhergehende Unkenntnis über die Bibel für die Toradadaktik eine Chance darstellen. Das offene Lesen der Tora, zum Beispiel mit der Methode der Ganzschrift oder mit Methoden der Literaturwissenschaft, kann Einblick in ein anderes Denk- und Frageuniversum ermöglichen. Insbesondere, aber sicherlich nicht nur für säkulare Schüler:innen stellt die Bibel als Literatur, wie Zvi Adar oder Barry W. Holtz es in ihren jeweiligen Toradidaktiken favorisieren, einen möglichen Zugang zu den Texten und Geschichten dar. Lernende können zudem über die Positionalität der Lehrenden zur Tora als Heiliger Schrift, ob im Sinne Leibowitz’ als Offenbarung Gottes oder im Sinne Holtz’ als Buch mit Wahrheitsanspruch oder als Fragment der christlichen Identität, aufgezeigt bekommen, dass die Tora mehr als „nur“ gute Literatur ist. Zweitens vermögen Ambiguität und Ambivalenz der Texte der Tora selbst einen Anknüpfungspunkt für die Realität der Jugendlichen darstellen. Drittens bietet die Tora in ihrer inhaltlichen Vielfalt als Buch der Befreiung, des Unterwegsseins, des Erinnerns und der offenen Zukunft, der orientierenden Lebensregeln und existenziellen Erzählungen mindestens auf den zweiten Blick mehr Anknüpfungsmöglichkeiten an die Fragen und Themen von Lernenden als vielleicht zunächst vermutet. Viertens gewinnen vor dem Hintergrund der zunehmenden religiösen Pluralisierung der Gesellschaft das Konzept und die Fragestellungen des interreligiösen Lernens eine immer größere Bedeutung. So konstatiert Riegel, dass angesichts „der prinzipiellen Gleichberechtigung unterschiedlicher religiöser Positionen in einer modernen Gesellschaft […] die Grundstruktur einer religionspädagogischen Reaktion auf religiöse Pluralisierung nur der Dialog sein“153 kann.154 Karlo Meyer führt zu Beginn seiner Grundlagen interreligiösen Lernens weiter aus, dass sich der evangelische Religionsunterricht angesichts der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wandeln und das Lernfeld des interreligiösen Lernens an Relevanz gewinnen muss und soll: Gesellschaftlich steht außer Frage, dass die Beschäftigung mit interreligiösen Überschneidungsbereichen ein Lernfeld darstellt, das pädagogisch vordringlich zu bearbeiten ist – mit dem Ziel, das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher religiöser und nichtreligiöser Traditionen zu verbessern.155
153
RIEGEL, Pluralisierung, 4f. Vgl. hierzu auch die „Didaktik des Perspektivenwechsels“ von KÄBISCH, Religionsunterricht, 216–251; JAN WOPPOWA, Religionsdidaktik (UTB 4935), Paderborn 2018, 41– 50. 155 K. MEYER, Grundlagen, 18. 154
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Für ein gelingendes gesellschaftliches Miteinander in einer pluralisierten Welt, die von religiöser Ambiguität und Ambivalenz geprägt ist,156 werden eine Auseinandersetzung der Lernenden mit ambigen und ambivalenten weltanschaulichen Positionen und eine Pluralitätsmoderation der Lehrenden gebraucht. Religionsunterricht kann hier, ohne sich instrumentalisieren zu lassen, einen Beitrag leisten, indem er Raum gibt und einübt, interreligiöse Fragestellungen zu bearbeiten und zu reflektieren und damit eine „Grundlage für konstruktive gesellschaftliche Kommunikationsprozesse“157 schafft. Insbesondere Toradidaktik kann beim Einüben einer Ambigutitätstoleranz eine Rolle spielen, weil die Tora selbst ein ambivalenter Lerngegenstand ist, der gleichzeitig Teil der eigenen christlichen Tradition und einer anderen, der jüdischen Tradition ist. Das jüdisch-christliche Lernen unterliegt dabei noch anderen lebensweltlichen Voraussetzungen, weil diese Lebenswelt, insbesondere in der Schule, leider immer noch von antisemitischen Stereotypen geprägt ist. 13.4.2 Antisemitismus als dauerhaftes Hintergrundrauschen Christlicher Toradidaktik muss bewusst sein, dass Antisemitismus ein relevanter Aspekt der Lebenswirklichkeit der Schüler:innen und Lehrer:innen insbesondere im Kontext der Schule ist, mit dem sie proaktiv umgehen und auf den sie reagieren muss.158 Antisemitismus ist, so Samuel Salzborn, eine grundlegende Haltung zur Welt, die zwar durchaus mit anderen Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus oder Homophobie verbunden auftritt, aber in ihrer Konstituierung grundlegend von diesen unterschieden ist: Antisemitismus ist eine Verbindung aus Weltanschauung und Leidenschaft, eine grundlegende Haltung zur Welt, mit der diejenigen, die ihn als Weltbild teilen, alles in der Politik und Gesellschaft, das sie nicht erklären können oder wollen, zu begreifen versuchen.159
156
DRESSLER, Religion, 223–235. K. MEYER, Grundlagen, 19. 158 Gesamtgesellschaftlich haben das wieder die Zahlen der Mitte-Studie 20/21 der Friedrich Ebert Stiftung gezeigt: Zwar teilen nur wenige der Befragten offen antisemitische Einstellungen. Wie schon in den Mitte-Studien zuvor, stimmen nur wenige Befragte klassisch antisemitischen Stereotypen zu (7,5%, 2018/19 noch 4,5%). Aber auch hier dokumentiert sie eine Teils/teils-Unschlüssigkeit (13,7% zu 8,3% 2018/19) und das Sinken der deutlichen Ablehnung antisemitischer Aussagen. Wenn man die Teils/teils-Unschlüssigkeit und die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen zusammenzählt, kommt man von 12,5% 2018/19 zu 21,2% 2020/21. Außerdem steigt die Zustimmung zu israelbezogenem Antisemitismus (Zustimmung bei 13,4%, Teils/teils-Unschlüssigkeit bei 30,0%). Die Studie kommt erneut zu dem Schluss, dass Antisemitismus in der Gesellschaft tief verankert und vorrangig kein „importiertes Problem“ ist. FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG (FES), Die geforderte Mitte. Die wichtigsten Erkenntnisse der Mitte-Studie 2020/21, https://www.fes.de/referat-demokratiegesellschaft-und-innovation/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie-2021 (03.07.2022). 159 SAMUEL SALZBORN/ALEXANDRA KURTH, Antisemitismus in der Schule. Erkenntnisstand und Handlungsperspektiven, in: Samuel Salzborn (Hg.), Schule und Antisemitismus. 157
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Der Oberbegriff des Antisemitismus fächert sich in unterschiedliche Artikulationsformen auf, die alle, wenn auch in verschiedener Form, für den Religionsunterricht von Relevanz sind. So unterscheidet man den religiös-antijüdischen, den völkisch-rassistischen, den sekundär-schuldabwehrenden, den antizionistisch-antiisraelischen und den arabisch-islamischen Antisemitismus. Diese unterschiedlichen Artikulationsformen differieren in ihrer Dominanz je nach historischen Kontexten, wirken aber alle bis in die Gegenwart fort. Antisemitismus richtet sich immer gegen Jüd:innen, ist aber, da er eine Projektion darstellt, unabhängig von ihrem Verhalten oder ihrer konkreten Existenz. Er ist, wie Adorno es formuliert hat, das „Gerücht über die Juden“.160 Judenfeindschaft ist zunehmend und durch die Corona-Pandemie noch einmal verstärkt in der Lebenswelt insbesondere von jungen Menschen anzutreffen. Dies liegt vor allem an der Zunahme von antijüdischen und antisemitischen Überzeugungen im Netz.161 Schon die Befragung von Suchmaschinen nach Begriffen wie „Pessach“, „Purimfest“, „Juden“, „Judentum“, „Holocaust“, „Aschkenasim“, „Israel“ etc., die auch innerhalb der Toradidaktik relevant sind, ist nur einen Mausklick von antisemitischen Inhalten entfernt. Antijüdische Motive und Stereotypen begegnen den Jugendlichen in der Musik, auf Recherche- und Suchportalen wie „Gutefrage.net“, „Hausaufgaben.de“, in den Kommentarbereichen von Mainstream-Online-Medien oder in Foren, auf YouTube, in Sozialen Medien wie Facebook, WhatsApp und Telegram. Eine „Unzahl an sog. ‚Verschwörungstheorien‘, die eher Verschwörungsmythen, -legenden, -phantasien oder besser noch Verschwörungspropaganda genannt werden sollten“,162 erklären die Pandemie bestechend simpel. Für den Kontext der Schule sind die Forschungsarbeiten der Soziologin Julia Bernstein aufschlussreich. Sie hat innerhalb ihrer Studie zu dem Phänomen des Antisemitismus an Schulen einen Perspektivwechsel vollzogen und erstmals jüdische Lehrer:innen und Schüler:innen selbst zu ihren Erfahrungen mit Antisemitismus in Deutschland und an deutschen Schulen befragt.163 Die Politische Bestandsaufnahme und pädagogische Handlungsmöglichkeiten, Weinheim 2020, 9–65, 12f. 160 THEODOR W. ADORNO, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschäftigten Leben (Gesammelte Schriften, Bd. 4), Frankfurt am Main 1997, 125. 161 Vgl. MICHAEL BLUME, Warum der Antisemitismus uns alle bedroht. Wie neue Medien alte Verschwörungsmythen befeuern, Ostfildern 2019; REINHOLD BOSCHKI, Antisemitismuskritische Bildung als Aufgabe des Religionsunterrichts, in: ZPT 73/2 (2021), 166–177; DEBORAH LIPSTADT, Der neue Antisemitismus, Berlin 2019; MONIKA SCHWARZFRIESEL, Judenhass im Internet. Antisemitismus als kulturelle Konstante und kollektives Gefühl, Leipzig 2019, 93–108. 162 BOSCHKI, Antisemitismuskritische Bildung, 170. Vgl. MICHAEL BLUME, Verschwörungsmythen – Warum der Antisemitismus nicht „irgendein“ Rassismus ist, in: Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung im Kontext Nr. 03 (2018), 225–233. 163 Hierfür hat sie 251 Interviews an 171 Schulen in Deutschland dahin gehend geführt, wie sich das Phänomen des Antisemitismus aus den Perspektiven der Akteursgruppen
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Kapitel 13: Elementaria christlicher Toradidaktik
Ergebnisse sind, wenn auch nicht verwunderlich, doch alarmierend. Bernstein beschließt ihre Studie mit folgendem Ergebnis: „Für Betroffene ist Antisemitismus der Normalzustand in Schulen.“164 Ihre Schlussfolgerung ist die Verfestigung des Problems von „Antisemitismus an Schulen in der Dynamik zwischen dem Antisemitismus in der Schülerschaft und seiner Bagatellisierung in der Lehrerschaft“.165 Nach Alexander Zick und Julia Bernstein kommen an Schulen drei Formen des Antisemitismus besonders häufig vor: 1) der Provokationsangriff mit positiven Bezügen auf die NS-Zeit, Hitler, Gas, Lager und Verbrennung, der in Kontinuität zur Schoa steht. Dieser ist dem völkischrassistischen Antisemitismus nah. Juden werden in ihm als „Opfer“ beschrieben. 2) Der israelbezogene Antisemitismus, der sich subtiler in der Form der „Israelkritik“ äußert und sowohl von Lehrer:innen als auch von Schüler:innen vertreten wird und Jüd:innen als „Täter:innen“ beschreibt. 3) Die offene und aggressive Stigmatisierung, die die Titulierung „Du Jude“ als ein beliebtes Schimpfwort an deutschen Schulen etabliert. Dabei bekommt die Diffamierung einen allgemeinen Charakter, das heißt, sie wird gegen Juden oder Nichtjuden verwendet und mit den Adjektiven geizig, reich, listig, vertrauensunwürdig und weltkontrollierend in Verbindung gebracht.166 Die Bearbeitung des Phänomens des Antisemitismus sollte deswegen, so Salzborn/Kurth in ihren Handlungsempfehlungen, eine schulische Querschnittsaufgabe für alle Fächer darstellen: Jüdische Religion, Kultur und Geschichte sollten nicht nur in Bezug auf die Schoa, sondern durch die gesamte Geschichte und auch in der Gegenwart als darstellt. Vgl. JULIA BERNSTEIN, Antisemitismus an Schulen in Deutschland. Befunde – Analysen – Handlungsoptionen, Weinheim 2020. Bernstein schließt mit ihren Forschungsbefunden an die Ergebnisse der 2017 veröffentlichten Untersuchung „Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland“ an, die systematische Befragung von Jüd:innen zu ihren Wahrnehmungen, Interpretationen und Bewertungen des Antisemitismus dokumentiert. Diese Studie erstellte sie gemeinsam mit Andreas Zick, Andreas Hövermann und Silke Jensen vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld im Auftrag des „Zweiten Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“ des Deutschen Bundestages: ZICK u.a., Jüdische Perspektiven. 164 BERNSTEIN, Antisemitismus, 480. 165 JULIA BERNSTEIN/FLORIAN DIDDENS, Antisemitismus an Schulen. Empirische Befunde, in: ZPT 73/2 (2021), 151–165, 151. 166 Vgl. ZICK u.a., Jüdische Perspektiven, 61–66. Diese Ergebnisse wurden durch die Studie von Bernstein bestätigt. Zwar kommen alle verschiedenen Formen des Antisemitismus an Schulen vor, aber „Jüdische Schüler:innen, die offen mit ihrer Identität umgehen, werden besonders häufig mit Israelhass konfrontiert“ (BERNSTEIN, Antisemitismus, 480). Hinzu kommt nach Bernstein, dass Antisemitismus an Schulen nicht als eigenständiges Phänomen wahrgenommen, sondern unter Rassismus subsumiert und damit oft missverstanden wird, da weder die Gemeinsamkeiten noch die Unterschiede verstanden werden. Vgl. hierzu auch MARIA KANITZ/LAURA SCHLAGHECK, Wahn und Vorurteil. Warum zwischen Antisemitismus und Rassismus unterscheiden?, in: Salzborn (Hg.), Schule und Antisemitismus, 85–110.
13.4 Die Lebenswelt
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Teil der (deutschen) Normalität sichtbar gemacht und darin versucht werden, antisemitische Weltbilder zumindest zu irritieren.167 Antisemitische Äußerungen dürfen hierbei nicht als tolerierbare Meinungen interpretiert werden. Dem Religionsunterricht fällt besonders die Rolle zu, Judentum proaktiv im Unterricht in seiner Vielschichtigkeit zu thematisieren und die eigenen Formen des christlich-antijüdischen Antisemitismus168 selbstkritisch zu reflektieren. Boschki beschreibt die Aufgabe des Religionsunterrichts folgendermaßen: Religionsunterricht kann den Antisemitismus nicht aus der Welt verbannen, aber er kann einen bedeutenden Beitrag leisten, um judenfeindliche Haltungen, zumal religiös motivierte Einstellungen oder religiös grundierte Motive, kritisch hinterfragen zu lernen und damit junge Menschen gegen Antisemitismus in der Gesellschaft zu sensibilisieren. Dies stellt allerdings eine bleibende Aufgabe für theologische Forschung und theologische Ausbildung dar.169
Hierzu gehört vor allem, die Lehrkräfte zu sensibilisieren, dass der „christliche Antijudaismus […] Elemente für eine Ideologie bereit[stellt], die im Antisemitismus übernommen werden konnten“.170 Für die christliche Theologie und Religionspädagogik gilt es, diese „christliche Grundlegung“ des (modernen) Antisemitismus ernst zu nehmen. Die Bibel und ihre Hermeneutik können eine zentrale Rolle für eine antisemitismuskritische Religionspädagogik spielen.171 Mit der Hermeneutik der Ambivalenz reagiert eine christliche Toradidaktik auf die Gefahr einer „projektiven Hermeneutik“.172 Das entscheidende Bild der projektiven Hermeneutik haben Adorno und Horkheimer wie folgt beschrieben: Im Bild des Juden, das die Völkischen vor der Welt aufrichten, drücken sie ihr eigenes Wesen aus. Ihr Gelüste ist ausschließlicher Besitz, Aneignung, Macht ohne Grenzen, um jeden Preis. Den Juden mit dieser Schuld beladen, als Herrscher verhöhnt, schlagen sie ans Kreuz, endlos das Opfer wiederholend, an dessen Kraft sie nicht glauben können.173
Die Bearbeitung der antisemitischen Grundlegung des Christlichen ist für das christliche Selbstverständnis von zentraler Bedeutung. Zeigt sich doch in der Kirchengeschichte und auch in der Gegenwart kirchlichen Selbstbewusstseins, dass unsere Gewalttraditionen eng mit der Externalisierung der eigenen Abgründe verbunden sind. Die Spannungen zwischen biblischer Zusage und 167
SALZBORN/KURTH, Antisemitismus, 20f. Für eine Übersicht, wie sich religiös-antijüdischer Antisemitismus an Schulen in Deutschland für jüdische Schüler:innen und Lehrer:innen noch immer äußert, siehe die Beispiele zu Dämonisierung, Ritualmordlegende, Blutlegende, Gottesmordlegende und dem Stereotyp des Wucherjuden bei BERNSTEIN, Antisemitismus, 43–47. 169 BOSCHKI, Antisemitismuskritische Bildung, 177. 170 RAINER KAMPLING, Art. Antijudaismus, in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus, Bd. 3: Begriffe, Theorien, Ideologien, Berlin 2010, 10–13, 13. 171 Vgl. dazu HECKE/STAFFA, Wahrheit. 172 Vgl. a.a.O., 182–184. 173 THEODOR W. ADORNO/MAX HORKHEIMER, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main 1998, 151. 168
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weltlicher Realität, Geschehenem und Ausstehendem wurden und werden nicht selten „am Juden“ aufgelöst. Für eine christliche Toradidaktik ergeben sich vor diesem leider anhaltenden Hintergrundrauschen des Antisemitismus im Religionsunterricht meines Erachtens folgende Konsequenzen: Eine Bearbeitung des christlichen Antijudaismus, des Proto- und des modernen Antisemitismus und seiner christlichen Fundierung ist unverzichtbar. Hierzu kann eine Hermeneutik, die hilft, Ambiguität und Ambivalenzen zu tolerieren und auf christliche Identitätsbildungen durch immer wieder auch gewaltförmige Ab- und Ausgrenzungen gegen „die Juden“ zu verzichten, einen bescheidenen Beitrag leisten. Zudem sollte dieses antisemitische Hintergrundrauschen im Religionsunterricht proaktiv von Lehrkräften bearbeitet werden, anstatt es zu bagatellisieren. Antisemitismus ist leider ein Teil der Lebenswelt der Schüler:innen und auch Lehrer:innen; ein Teil, den die christliche Toradidaktik weder tolerieren noch ignorieren darf, sondern der der Bearbeitung harrt.
13.5 Christliche Toradidaktik – eine Fantasie der Praxis 13.5 Christliche Toradidaktik – eine Fantasie der Praxis
Die vorliegende Studie stellt in ihrer Anlage eine (Theorie der) Didaktik der Tora dar und zielt dementsprechend nicht auf konkrete Unterrichtsentwürfe und Handlungsanweisungen. Trotzdem sollen an dieser Stelle resümierend Bedingungen und Möglichkeiten, ja durchaus Fantasien einer christlichen Toradidaktik in der Praxis skizziert werden: 1) Eine christliche Toradidaktik ist Ambiguitätsdidaktik, interreligiös Sie liest und unterrichtet Tora mithilfe der Hermeneutik der Ambivalenz, also zweifach im wortwörtlichen Sinne. Konkret heißt das, dass innerhalb einer christlichen Toradidaktik die Texte der Tora im Unterricht zweimal gelesen werden. Zum einen als Zentrum des Judentums: Die Texte können dann dementsprechend als Teil des Tanach und der Torarolle gelesen und interpretiert werden. Dann kann die Einteilung zum Beispiel nach dem Wochenabschnitt der Parashat haShavua erfolgen, und der jeweilige Abschnitt kann in den jüdischen (Fest-)Kalender und das jüdische Jahr eingeordnet werden. Die Tora kann mithilfe der jüdischen Traditionsliteratur, also im Wechselspiel von schriftlicher und mündlicher Tora unterrichtet und jüdische Kommentare und Midraschim können mit in den Unterricht einbezogen werden. In diesem Lernsetting ist die Tora als Zentrum des Judentums ein interreligiöser Lerngegenstand und sollte auch als dieser in ihrer Vielfalt und ihrem Bedeutungsspektrum von Rechtskorpus bis Torarolle, von Heiliger Schrift bis Weltliteratur unterrichtet werden.
13.5 Christliche Toradidaktik – eine Fantasie der Praxis
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Zum Zweiten kann die Tora als Fragment der christlichen Identität gelesen und unterrichtet werden. Dann sprechen die Texte direkt zu den Lernenden, Abraham wird zum Vorbild, Sara zur Mutter, Josef zum Bruder, Mose zum Lehrer und Mirjam zur Freundin. Die Gebote werden zur Richtschnur für das eigene Leben und stellen die Lesenden vor die Frage nach dem konkreten Tun. Die Tora ist dann das erste Wort Gottes, das die Bibel aus Erstem und Zweitem, aus Altem und Neuem Testament eröffnet. Um diese doppelte Perspektive auch den Schüler:innen transparent zu machen, kann es hilfreich sein, wirklich ein und denselben Text aus diesen beiden Perspektiven zu unterrichten, zu lesen, zu diskutieren. Anschließend sollte der Text insbesondere in älteren Lerngruppen mit seiner doppelten Nachgeschichte und seinem zweifachen Verwendungsort im jüdischen und im christlichen Kontext mit den Lernenden und darin das jüdisch-christliche Verhältnis reflektiert werden. 2) Eine christliche Toradidaktik ist Ambiguitätsdidaktik, bibeldidaktisch Nicht nur die Nachgeschichte der Tora ist eine zweifache, sondern auch die Tora selbst ist ein Text, der davon lebt, dass Dinge zweifach erzählt und unterschiedliche Meinungen nebeneinander stehen gelassen werden können. Die Tora wird zum Beispiel schon gleich mit zwei Schöpfungserzählungen eröffnet, die die Entstehung der Welt unterschiedlich erklären, oder Widersprüchliches wird nebeneinander stehen gelassen. So verbietet beispielsweise Lev 18,18 die Ehe mit zwei Schwestern, die sehr ausführlich in Gen 29 in Form von Jakobs Eheschließung mit Lea und Rahel erzählt wird. Auch in der hebräischen Dichtung findet sich in der Form des Parallelismus Membrorum174 eine zweifache Darstellung von Sachverhalten oder Beschreibungen. Der Parallelismus Membrorum begegnet in unterschiedlichen Formen als synonymer, antithetischer oder synthetischer; allen gemeinsam ist, dass sie die eine Sache zweimal ausdrücken und zu fassen versuchen. Er ist in der hebräischen Poesie sehr verbreitet und begegnet in der Tora zum Beispiel in Gen 4,23–24, 49,1–27, Ex 15,1–18 und Num 21,27–29. Diese Ambiguität kann man narrativ schon in der Primarstufe in den Unterricht einbauen, so zum Beispiel in der Kleinigkeit, dass Noah in einer Fassung der Geschichte je sieben und in einer anderen je zwei Tiere mit in die Arche genommen hat, oder indem man beide Schöpfungsgeschichten zusammen, also zu den Erzählungen auch die Gegenerzählung, erzählt. Zu der Erzählung von Jakob und Lea und Rahel kann Lev 18,18 hinzugefügt werden und so Widersprüchliches nicht vereindeutigt, sondern den Lernenden bewusst gemacht werden, dass die biblischen Erzählungen in sich selbst ambig sind und zumindest die biblischen Redaktoren diese sich auch widersprechende Vielfalt bewusst in einem Buch kombiniert haben. 174 MICHAEL WEIGL, Art. Weisheitliche Gattungen, in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2013, 4f.
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3) Eine christliche Toradidaktik ist interreligiöser Dialog, auch praktisch und vor Ort Sie sucht den Dialog mit dem Judentum nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, nicht nur international, sondern auch regional: Wo immer es möglich ist, Besuche in der örtlichen Synagoge anzubahnen oder einen Tag der Offenen Tür, den die meisten Synagogen anbieten, zu nutzen, sollte diese Chance ergriffen werden. Dabei kann die Tora in ihrer sakralen Funktion als Torarolle und Zentrum des Synagogengottesdienstes kennengelernt werden. Der Toraschrank im Zentrum der Synagoge und die aufwendige Gestaltung der Torarolle vermitteln die Tora als Zentrum des Judentums sehr plastisch. Auch könnte der Gemeindereferent oder der/die Rabbiner:in angefragt werden, ob es möglich ist, ein Stück Tora, dann im Idealfall den gerade aktuellen Wochenabschnitt, gemeinsam zu studieren, sodass von jüdischer Toraauslegung gelernt werden kann. 4) Eine christliche Toradidaktik stellt das Lesen der Texte ins Zentrum der Didaktik Methodisch lesen die Lehrenden gemeinsam mit den Lernenden die Texte der Tora in einem größeren Kontext und innerhalb des Erzählbogens der Tora. Dies kann beispielsweise mit den Methoden der Ganzschrift einzelner Bücher der Tora geschehen, durch das szenische Lesen zum Beispiel der Josefsnovelle oder durch das akribische und fantasievolle Lesen der Gebotstexte. Für dieses Lesen können verschiedene Übersetzungen herangezogen werden: Sowohl die Gütersloher Erzählbibel als auch die Übertragung der Tora von Liss/Landthaler können eine Textgrundlage darstellen, wobei die Letztere bewusst als jüdische Kindertora etabliert werden sollte. Methodisch kann das Lesen der Tora oder einzelner Bücher als Ganzschrift von Lese- oder Fragetagebüchern begleitet werden. Die Texte können gemeinsam laut oder zu Hause gelesen werden. Eine christliche Toradidaktik kann hier von der Methode des close reading lernen, der Methodenvielfalt der Literaturdidaktik oder den schon schulisch etablierten Methoden des Bibliologs oder Bibliodramas. Die Tora kann, je nach Lerngruppe oder Lernziel, als historisches Buch, als Literatur oder als heiliger Text gelesen und interpretiert werden. 5) Eine christliche Toradidaktik stellt das Fragen ins Zentrum des didaktischen Geschehens Sie ist rogative Didaktik, knüpft an die Theologie und Didaktik der Frage an und übt mit den Lernenden die Fragekompetenz ein. Dies kann sich sowohl in der Grundhaltung niederschlagen, dass die Frage höher geschätzt wird als die Antwort, als auch in der diskursiven Gestaltung des Unterrichts und dem Ernstnehmen der Fragen der Lernenden. Eine christliche Toradidaktik kann
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hierfür dem Ansatz der konstruktivistischen Religionspädagogik folgen, bei dem die Lernenden durch ihre Fragen zu autonomen Subjekten des eigenen Lernprozesses werden und der Textsinn dem Ansatz der Rezeptionsästhetik gemäß zwischen Lesenden und Tora entsteht. Der Fokus der Lektüre liegt auf dem gemeinsamen tastenden Suchen und reflektierenden Fragen, nicht den statischen Antworten. Diese kritische Fragehaltung kann schon mit kleinen Kindern eingeübt werden. Lehrkräfte sollten auch ihre eigenen Fragetechniken zur Texterschließung reflektieren. Sie sollten idealerweise zur Texterschließung und Diskussion nicht nur Fragen stellen, die auf die Nacherzählung des Textes abzielen, sondern vielmehr darauf achten, dass Unterrichtseinheiten nicht mit Antworten, sondern mit Fragen enden. Für das dafür erforderliche Umdenken kann eine Talmudseite als Vorbild gelten: In ihrer Mitte steht der Text der Mischna, der durch die Gemara ergänzt und dann von Raschi und anderen Kommentatoren durch die Jahrhunderte hindurch mit Kommentaren versehen wurde. Eine Talmudseite wird in konzentrischen Kreisen studiert, und es werden immer wieder neue Fragen und Gedankengänge aufgeworfen. Sie ergibt keinen Sinn, wenn sie, einem herkömmlichen Buch gleich, von oben nach unten als ein Argumentationsgang gelesen wird, sondern ihr Gedankenreichtum und ihre unterschiedlichen Meinungen und Fragen zu einem Text können nur durch das kreisende Studieren der Seite erschlossen werden. 6) Eine christliche Toradidaktik hält die Frage nach dem konkreten Tun offen Das akribische Lesen und fantasievolle Fragen münden nicht ins Leere oder gar in die Beliebigkeit, sondern in die Frage nach dem konkreten Tun. Die Tora bietet eine Fülle von orientierenden Lebensregeln, deren Studium immer auch ethische Fragen nach den Konsequenzen des Gelesenen aufruft und wachhält. Diese Lebensregeln der Tora konstituieren das jüdische Volk, dabei stehen nicht individuelle Rechte im Fokus, sondern die Gemeinschaft. In einer individualisierten Welt kann eine Didaktik der Tora helfen, den Fokus auf die Gesellschaft und die Gemeinschaft zu legen und vor diesem Hintergrund individuelle Handlungen zu reflektieren. Landthaler schlägt vor, die Menschenrechte so durch Menschenpflichten zu ergänzen. Die Tora bietet hier zum Beispiel Anknüpfungspunkte für die Debatten um den Klimawandel und die Umweltethik oder für Asylpolitik – schon allein dies sind zwei hochaktuelle Themenfelder für Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert. Die orientierenden Lebensregeln der Tora bieten eine abstrakte Folie, um über konkrete ethische Themen im Unterricht gemeinsam nachzudenken und von und mit diesen eine kritische Reflexion gegenwärtiger Themen zu vollziehen. So sind eine Transformation und Aktualisierung der Tora möglich.
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7) Eine christliche Toradidaktik leistet einen Beitrag zur Alphabetisierung der Tora in der Religionspädagogik Sie zielt darauf, die Tora in ihrer inhaltlichen Vielfalt als Fragment der christlichen Identität zu entdecken. Alphabetisierung ist wortwörtlich zu interpretieren und nimmt spielerisch eine Idee der Midraschliteratur auf und führt diese weiter: Der sogenannte Buchstaben-Midrasch (Otijjot de Rabbi Aqiva 175) verarbeitet die Klage des hebräischen Buchstabens Alef, warum Gott mit dem zweiten Buchstaben des hebräischen Alphabets, dem Bet, und nicht mit ihm, dem ersten, die Welt erschaffen habe.176 In dem Midrasch entbrennt ein Wettstreit zwischen den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets, bei dem jeder der Buchstaben beansprucht, dass die Schöpfung und damit die Tora mit ihm beginnen möge. Die jeweiligen Buchstaben führen gute Argumente für ihre jeweiligen Positionen an, so das Taw, weil es auch den ersten Buchstaben des Wortes Tora, oder das Schin, weil es den Anfang von schem („[Gottes-]Name“) bildet, oder das Resch, weil das Wort „Anfang“, rosch, mit ihm beginnt. Die Kette des Midrasch geht das ganze Alphabet durch und liest sich wie eine Einführung in die wichtigsten hebräischen Begriffe der Tora. Ich nehme diesen Midrasch am Ende dieser Studie zur Toradidaktik auf und wandle ihn in eine wortwörtliche Alphabetisierung der Tora um, die vielleicht eine Inspiration darstellen kann, gemeinsam mit Lernenden die Tora zu alphabetisieren. Hier sei, als Anregung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ein Vorschlag gemacht: Von A wie Adam, Abel und Am Anfang, über B wie Befreiung, Bund, Berg und Bileam, C wie Cherubim, D wie Dornbusch, E wie Erinnerung, Eden, Eva, Esel und Erzeltern, F wie Freiheit, Flüchtling und fremd, G wie Gebot, Gemeinschaft, Gnade, Goldenes Kalb und Genealogie, H wie „Hier bin ich“, Heiligtum, Heiligkeitsgesetz und Hören, I wie Israel und Isaak, J wie JHWH, Jom Kippur, Jakob und Josef, K wie Kanaan, L wie Lamed, Lebensregeln und Lea, M wie Mose und Mirjam, Murren und Murmeln, N wie Nachgeschichten und Noah, O wie Offenbarung und offenes Ende, P wie Pharao, Q wie Querlesen, R wie Rechtskorpus, Rebekka und Rahel, S wie Sinai, Sara, Sklaven, Schlange und Schma Israel, T wie Tun und Tamar, U wie Unterwegssein, V wie Volk und Vertrauen, W wie Wanderschaft, Weisung und Wüste, X und Y und Z wie Zehn Gebote und zweifach – um hier nur ein Beispiel für eine mögliche Alphabetisierung der Tora zu geben. Lehrende und Lernende können sich gemeinsam im Unterricht auf den Weg zu einer solchen Alphabetisierung der Tora begeben und sich so mit den Texten, Erzählungen und Geboten der Tora in ihrer Vielfalt vertraut machen. 175 Dt. in: AUGUST WÜNSCHE, Aus Israels Lehrhallen, Bd. 4, Leipzig 1909, die beiden Rezensionen auf S. 168–198 bzw. 199–269. 176 Vgl. EBACH, Wort, 95. Der Midrasch stellt ein Zeugnis der Merkaba-Mystik dar und entstand zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert.
13.6 Tabellarische Übersicht: Christliche Toradidaktik
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13.6 Tabellarische Übersicht: Christliche Toradidaktik 13.6 Tabellarische Übersicht: Christliche Toradidaktik Christliche Toradidaktik aus evangelischer Perspektive Denomination des Christentums Erzählbogen von Genesis bis Deuteronomium; Zentrum der Definition der Tora jüdischen Traditionen und Identität, insbesondere im Wechselspiel von schriftlicher und mündlicher Tora; Fragment der christlichen Identität Schüler:in, Übersetzer:in und Zeug:in der Tora Lehrende Lesende und Fragende; Lernende autonome Rezipient:innen der Tora Von Ambiguität geprägt; Lebenswelt Antisemitismus als Hintergrundrauschen Ambiguität und Ambivalenz Begriff Akribisches und fantasievolles Lesen; Lesen der Tora als Methoden Ganzschrift; Erzählen der Tora; Rogative Didaktik; Ethische Didaktik; Hermeneutik der Ambivalenz Alphabetisierung der Tora in all ihren inhaltlichen Facetten; Ziele (Re-)Integration der Tora als Zentrum der jüdischen und als Fragment der christlichen Identität in die christliche Religionspädagogik; Ambiguitätstoleranz/-solidarität
Kapitel 14
Fazit und Ausblick Die ersten Ideen und Pläne, eine Studie zu jüdischen Didaktiken der Tora und den Möglichkeiten und Potenzialen ihrer Rezeption in der christlichen Religionspädagogik zu verfassen, fallen in die Zeit der (erneuten) Auseinandersetzungen um die Kanonizität des Alten Testaments für das Christentum. Im Kern der damals durch einen Beitrag des Berliner Systematikers Notger Slenczka1 angestoßenen Debatte ging es um die Frage, ob das Erste Testament, die Hebräische Bibel, konstitutiver Bestandteil des christlichen Kanons, also den selbstverständlichen Beginn der Heiligen Schrift des Christentums, darstellt oder nur eine Schrift und ein Aspekt christlicher Vorgeschichte sei: also ein Gegenstand zwar von historischem und Forschungsinteresse, aber dezidiert keiner von unmittelbarer Glaubensrelevanz und Bedeutung für eine christliche religiöse Identität. Steht Slenczkas Position für diese letztgenannte Auffassung, hat diese Studie dagegen die Tora als konstitutives, vergangenheitsgeprägtes wie zukunftsprägendes Fragment der christlichen Identität und somit auch als wesentlichen Teil des christlichen Kanons für die christliche Religionspädagogik erschlossen und versucht, den Reichtum aufzuzeigen, der sich auftut, wenn die Tora in ihrem Gehalt und ihrer Vielfalt didaktische und unterrichtliche Aufmerksamkeit erhält, und dies nicht auf Kosten des Judentums, sondern im Dialog mit ihm und lernend von jüdischer Bibeldidaktik, also explizit unter Bezugnahme auf die Tora als Zentrum jüdischer Identität. Innerhalb der Theorie der jüdischen Erziehung gibt es, wie wir gesehen haben, ein breites Spektrum toradidaktischer Konzepte und Ansätze, die die Kommunikation der Tora an die nächsten Generationen konzipieren, didaktisch erschließen und hermeneutisch reflektieren. Teil II der vorliegenden Studie hat materialreich einen repräsentativen Ausschnitt aus dieser Polyfonie zeitgenössischer und gegenwartsrelevanter jüdischer Toradidaktiken mithilfe der Methodik der Vergleichenden Religionspädagogik erschlossen, rekonstruiert und systematisiert. Ziel war es, jüdische Bibeldidaktik für ein christlichreligionspädagogisches Publikum in seinem Eigenwert kenntlich und erfahrbar zu machen sowie weitere religionsdialogische Auseinandersetzungen mit diesem Feld jüdischen Lehrens und Lernens vorzubereiten. Vor diesem 1
Vgl. SLENCZKA, Die Kirche und das Alte Testament. Eine Übersicht über die Debatte bieten WITTE/GERTZ, Hermeneutik. Siehe dazu auch oben S. 4, Anm. 9 sowie auch Abschnitt 3.2.
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Kapitel 14: Fazit und Ausblick
Hintergrund wurde in Teil III der Studie nach dem innovativ-inspirierenden Potenzial der in Teil II vorgestellten Ansätze und rekonstruierten Konzepte für eine christliche Didaktik des Ersten Testaments und insbesondere der Tora gefragt. Hier ging es vor allem darum, gleichsam den Mehrwert der Auseinandersetzung mit und der Rezeption von jüdischer Toradidaktik für eine christliche, dialogisch orientierte Bibeldidaktik zu eruieren. Die Studie zielte damit zum einen auf die konkrete Begegnung und intensive Auseinandersetzung mit jüdischen Theorien, Konzepten und Entwürfen, die Tora didaktisch zu studieren und zu vermitteln; zum anderen auf die (Weiter-)Entwicklungsmöglichkeiten einer Toradidaktik im christlich-religionspädagogischen Kontext. Dieses abschließende Kapitel fasst wesentliche inhaltliche, aber auch methodische Ergebnisse der Studie noch einmal zusammen und nennt verschiedene Anschlussmöglichkeiten zukünftiger, vor allem religionspädagogischer Forschung.
14.1 Jüdische Toradidaktiken in vergleichender Perspektive 14.1 Jüdische Toradidaktiken in vergleichender Perspektive
Die Studie hat mit den toradidaktischen Entwürfen von Nehama Leibowitz, Zvi Adar, Barry W. Holtz, Daniel Krochmalnik und Hanna Liss/Bruno Landthaler in Teil II fünf einflussreiche didaktische Ansätze und Konzeptionen der Kommunikation der Tora im Judentum vergleichend erschlossen und diskutiert. Mit den insgesamt sechs Autor:innen und fünf Entwürfen aus drei unterschiedlichen nationalen Kontexten und drei Denominationen des Judentums, die dementsprechend von unterschiedlichen Verständnissen der Tora, aber auch des Judentums selbst ausgehen, die differierenden institutionellen Rahmenbedingungen unterliegen und damit unterschiedliche didaktische Zugänge zur Tora aufzeigen, weist die Untersuchung damit ein ebenso informatives wie repräsentatives Sample jüdischer Bibeldidaktik auf: So wurde zunächst mit Nehama Leibowitz (Kap. 5) die wohl bedeutendste Toradidaktikerin des modern-orthodoxen Judentums vorgestellt. In ihren pädagogischen Arbeiten und Entwürfen interpretiert sie die Tora als Offenbarung Gottes in schriftlicher und mündlicher Tora und versteht das Judentum als Religion. Zvi Adar (Kap. 6) hingegen, in unserem Sample der Repräsentant aus dem säkularen Judentum, betrachtet die Tora entsprechend als Erziehungsund Weltliteratur und Fundament der jüdischen Ethik, Kultur und Identität. Er bringt in unsere Auswahl jüdischer Toradidaktiken ein dezidiert kulturelles Verständnis von Tora und Judentum ein. Beide, Leibowitz und Adar, lebten, lehrten und forschten in Israel und können als die wohl prägendsten Stimmen der dortigen Bibeldidaktik in den Jahrzehnten nach der Staatsgründung gelten, deren Einfluss bis in unsere Gegenwart reicht. Dagegen ist mit Barry W. Holtz (Kap. 7) ein US-amerikanischer Bibeldidaktiker aus dem konservativen Judentum in der Studie präsent, der nach der Jahrtausendwende seine Toradidaktik
14.1 Jüdische Toradidaktiken in vergleichender Perspektive
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entwickelt hat, die inzwischen zum Standard der konservativen Lehrer:innenausbildung zählt. Er versteht die Tora als historisches oder literarisches Buch, in dem die Lesenden aber zugleich der Wahrheit begegnen können. Sein Interesse richtet sich auf die Frage nach dem Platz und dem Stellenwert der Tora in der modernen, pluralen Gesellschaft und entsprechenden Transformationen und Übertragungen der Tora, die damit einhergehen (müssen). Mit Israel und den USA legt die Auswahl einen Schwerpunkt auf die beiden geografischen und institutionellen Zentren der jüdischen Vermittlung der Tora weltweit. Die Studie hat damit drei zentrale bibeldidaktische Theoretiker:innen und ihre Konzeptionen systematisch darstellen und rekonstruieren können, die bis dato der deutschsprachigen Diskussion kaum bekannt und zugänglich gewesen sind. Dieses Sample wurde komplementiert durch die Darstellung der toradidaktischen Ansätze von Daniel Krochmalnik und von Hanna Liss/Bruno Landthaler (Kap. 8 und 9): zwei Konzeptionen aus dem deutschsprachigen Raum. Diese zwei Entwürfe, die dem modern-orthodoxen bzw. dem konservativen Judentum entstammen und beide in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt worden sind, verstehen die Tora, im Falle von Krochmalnik, sinnbildlich als „Baum des Lebens“ sowie als Wechselspiel von schriftlicher und mündlicher Tora; im Falle von Liss/Landthaler als Rechtskorpus, als theoretisches und geistiges Zentrum des Judentums, sowie als Torarolle, als konkreter, haptischer Gegenstand und sakraler Mittelpunkt jüdischer religiöser Praxis. Die Studie konnte damit insgesamt ein repräsentatives, sicherlich aber kein umfassendes oder gar vollständiges Bild jüdischer Toradidaktik zeichnen. So konnte etwa eine genauere Erfassung und Rekonstruktion von toradidaktischen Entwürfen im Reformjudentum, welches besonders im US-amerikanischen Raum prägend ist, im Rahmen dieser Untersuchung nicht geleistet werden. Die zum Teil schwierige Abgrenzbarkeit reformjüdischer von konservativen didaktischen Entwürfen stellt besondere Herausforderungen in sachlicher wie zeitlicher Hinsicht für die Auseinandersetzung mit ihnen dar. Auch die Beschäftigung mit toradidaktischen Ansätzen aus anderweitigen nationalen Zusammenhängen, etwa aus Frankreich oder England, um nur zwei, sicherlich interessante, Beispiele zu nennen, steht nach dieser Studie noch aus. Hier könnte zukünftige Forschung, wie auch mit Blick auf weitere Denominationen sowie den Bereich säkularer Ansätze, den Vergleichsrahmen in Bezug auf nationale Kontexte jüdischer Bibeldidaktik sicherlich gewinnbringend noch erweitern. Vertiefend, sowohl in Bezug auf fehlende wie auf die hier untersuchten Ansätze torabezogener jüdischer Didaktik, sollte zukünftig zudem sicherlich der konkrete Unterricht von Tora in schulischen, gemeindlichen, vielleicht auch familiären Kontexten in den Blick genommen werden. Es böte sich etwa an, Unterrichtsmaterialien für den Toraunterricht, insbesondere in Israel, zu analysieren sowie Interviews mit Lehrkräften und Schüler:innen zum oder teilnehmende Beobachtungen am Unterrichtsgeschehen durchzuführen. Die vorliegende Arbeit hat sich auf die konzeptionelle, theoretische und
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Kapitel 14: Fazit und Ausblick
werkimmanente Ebene der toradidaktischen Ansätze konzentriert. Eine wissenschaftliche Erforschung der praktischen Umsetzung dieser und anderer bibeldidaktischer Ansätze im Judentum bleibt weitgehend eine noch ausstehende Aufgabe interreligiös-vergleichender und -lernender religionspädagogischer Forschung. Methodisch wurden in dieser Studie der systematische Vergleich und die Darstellung jüdischer Toradidaktiken mittels und entlang des religionspädagogisch wie allgemein erziehungswissenschaftlich einschlägigen „didaktischen Vierecks“ mit seinen vier interdependenten Gegenstands- bzw. Untersuchungsdimensionen des Textes, der Lernenden und Lehrenden sowie der Lebenswelt durchgeführt (vgl. Kap. 4). Damit wurde der Untersuchung ein Tertium Comparationis zugrunde gelegt, welches einerseits abstrakt und in christlicher wie in jüdischer Religionspädagogik etabliert genug ist, den interwie innerreligiösen Vergleich zu orientieren und zu operationalisieren, welches andererseits – begründet in der Mehrdimensionalität und Multirelationalität des didaktischen Vierecks – zahlreiche Konkretionen verschiedener didaktischer Fragestellungen erlaubt hat. Auch den religionsvergleichenden religionspädagogischen Zugang der Studie methodisch mit Einsichten und Herangehensweisen der Komparativen und der Interreligiösen Theologie zu kombinieren, konnte sich zudem als gewinnbringend erweisen: Beide Gebiete, die Komparative wie die Interreligiöse Theologie, bieten wichtige Erkenntnisse und Methoden für den religionspädagogischen Vergleich, wie etwa die bewusste und (selbst-)kritische Reflexion der sozialen Positionalität und historischen Ausgangslagen interreligiöser Vergleiche. Andersherum konnte mit dem in dieser Studie verfolgten christlich-jüdischen und zumal dem religionspädagogischen Vergleich ein Operationsgebiet religionsvergleichender Forschung bearbeitet werden, das in der traditionell stärker am und für den Globalen Süden sowie am christlich-muslimischen Vergleich entwickelten Komparativen und der Interreligiösen Theologie bisher seltener in den Blick genommen und bearbeitet wird. Das dichte und „detektivische“ Lesen, das weiterhin in dieser Studie als Zugang zum empirischen Material vorgeschlagen und angewendet wurde, ermöglichte zudem eine intensive Auseinandersetzung mit den bibeldidaktischen Entwürfen jüdischer Provenienz, die (auch und gerade) aus christlicher Perspektive deren jeweilige Eigenlogiken und Eigenwerte zu erkennen und zu respektieren vermocht hat. Inhaltlich konnten, trotz des breiten konzeptionellen und religiösen Spektrums jüdischer Toradidaktiken, das behandelt wurde, in dieser Studie signifikante Gemeinsamkeiten und strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den Ansätzen aufgezeigt werden (Kap. 10): Über die unterschiedlichen Denominationen und die Differenz religiöser und säkularer Ansätze hinweg stellen alle die Tora und damit den Text in den Mittelpunkt ihrer unterrichtlichen und didaktischen Überlegungen. Herausgearbeitet und hervorgehoben werden konnten ferner drei allgemeinere, zentrale Modi jüdischer Toradidaktik: das Lesen, das
14.2 Christliche Toradidaktik in the making
385
Fragen und das Tun. Sie korrespondieren mit drei ebenfalls ansatzübergreifenden Funktionen jüdischer Kommunikation der Tora: der inspirierenden, der tradierenden und der instruierenden Funktion (Abschnitt 10.5). Die drei Modi und Funktionen jüdischer Toradidaktik bestimmen wesentlich die didaktisch vermittelte und vermittelnde, generationelle Weitergabe von Tora und damit Subjektwerdung von Lernenden – und Lehrenden – als Jüd:innen.
14.2 Christliche Toradidaktik in the making 14.2 Christliche Toradidaktik in the making
Zum Eingang dieser Studie wurden fünf Leerstellen christlicher Bibeldidaktik in Bezug auf die Tora identifiziert (Abschnitt 1.1.1, umfassender Kap. 3): 1) eine fehlende Aufmerksamkeit und Bedeutungszuschreibung für die Tora als eigenständige Größe innerhalb der Bibeldidaktik; 2) wenig Reflexion einer Hermeneutik der Tora innerhalb der Bibeldidaktik, die deren doppelter Nachgeschichte gerecht wird; 3) eine fehlende Präsenz der Tora in ihrer Vielfalt und mit ihrer doppelten Nachgeschichte in den Lehrplänen für den christlichen Religionsunterricht, demgegenüber jedoch eine in religionspädagogischen Lehrbüchern zuweilen vorzufindende christliche Identitätsbildung auf Kosten des Judentums, inklusive der Tora; 4) eine auffallend lückenhafte Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte in Judaistik und noch mehr in den Besonderheiten und Eigenheiten der jüdisch-christlichen Beziehungen; sowie 5) geringe Relevanz jüdischer (Religions-)Pädagogik im christlich-religionspädagogischen Diskurs. Die vorliegende Untersuchung hat versucht, einen Beitrag zu einer christlichen Religionspädagogik zu leisten und auf diese Leerstellen engagiert und konstruktiv zu reagieren. Ihr Anliegen ist mithin die Entwicklung und Etablierung einer Religionspädagogik, die sich antisemitismus(selbst)kritisch auf das Judentum als selbstständige Größe bezieht; die die Relevanz des jüdisch-christlichen Verhältnisses für die Ausbildung christlicher Identität in Lehr- und Lernprozessen erkennt und didaktisch entfaltet; die im wissenschaftlichen Diskurs mit den jüdischen Äquivalenten religionspädagogischer Forschung steht; die die Bedeutung von jüdischem Fachwissen und jüdischchristlichen Lehrinhalten für die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte als Selbstverständlichkeit erachtet; und die es schafft, die Ergebnisse immer wieder produktiv in die Praxis von Schule und Gemeindepädagogik, von Lehrbüchern und Lehrinhalten zu elementarisieren und zu transformieren. Der Vorschlag einer christlichen Toradidaktik, der vor allem in Teil III der Studie gemacht wurde, ordnet sich in dieses Anliegen ein: Ist im Judentum die Tora ein Zentrum jüdischer Identitäten von säkular bis orthodox, wurde die Tora dagegen für eine christliche Toradidaktik als ein konstitutives Fragment christlicher Identität bezeichnet und bestimmt (vgl. insbesondere Abschnitt 12.1). Als solche kann sie, so die These und Werbung der vorliegenden Untersuchung, gewinnbringend in die christliche Theologie
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Kapitel 14: Fazit und Ausblick
und insbesondere Religionspädagogik (re-)integriert und damit in ihrer didaktischen und inhaltlichen Vielfalt (wieder-)entdeckt werden. Christliche Toradidaktik zielt dann auf die Kommunikation der Tora als Grundbestandteil christlicher Identität. Judentum und Christentum sind beide auf unterschiedliche Weise auf die Tora bezogen: Die Tora weist damit eine zweifache Interpretations- und Wirkungsgeschichte in diesen Religionen auf. Um dem Umstand einer „doppelten Nachgeschichte“ der Tora gerecht(er) zu werden, so ein weiterer Vorschlag dieser Untersuchung, spricht für eine christliche Toradidaktik eine Hermeneutik der Ambivalenz, die die Tora, einem Kippbild gleich, zweifach statt einfach, mehrdeutig statt eindeutig, neben- und miteinander statt nacheinander, teilhabend statt besitzend liest, unterrichtet und interpretiert (Abschnitt 12.2). Eine solche hermeneutische Grundausrichtung lässt jüdische und christliche Interpretationen und Nachgeschichten des Ersten Testaments gleichberechtigt nebeneinander stehen, liest sie israelsensibel und schöpft aus ihrer Mehrheitlich- und Mehrdeutlichkeit. Eine christliche Toradidaktik kann ferner hierdurch einen Beitrag zur Kompetenzvermittlung von Ambiguitätstoleranz oder im Idealfall sogar von Ambiguitätssolidarität leisten (vgl. insbesondere Abschnitt 13.2.2), die Vielfalt und Mehrdeutlichkeit in Bezug auf den gleichen, aber eben nicht selben Gegenstand nicht als Last, die ausgehalten werden muss, empfindet, sondern diese vielmehr als eine Bereicherung versteht bzw. zu verstehen lernt. Als gleichsam „Ambiguitätsdidaktik“ kann eine christliche Toradidaktik damit einen Baustein auf dem Weg zu einer antisemitismuskritischen Religionspädagogik darstellen. Für die Entwicklung einer christlichen Toradidaktik hat sich die Rekonstruktion und Rezeption jüdischer Toradidaktiken als vielfach gewinnbringend erwiesen (vgl. Kap. 12 und 13). Dies kann an dieser Stelle etwa an der besonderen toradidaktischen Bedeutung des Textes innerhalb des didaktischen Vierecks illustriert werden: Das Primat des Textes innerhalb der jüdischen Bibeldidaktiken verlangt von christlicher Religionspädagogik, die selbstkritische Frage nach dem Stellenwert und der Eigenlogik der Tora bzw. der Bibel in der Religionspädagogik zu stellen. Christliche Religionspädagogik ist herausgefordert, dem biblischen Text in seinem Eigenwert mehr didaktische und unterrichtliche Aufmerksamkeit zu widmen. Den Texten der Tora christlicherseits mehr zuzutrauen (und: mehr zu trauen), wirft aber zugleich die Frage nach der Subjektorientierung und ihrem Primat in der Religionspädagogik auf. Für die christliche Religionspädagogik sollte eine verstärkte didaktische Aufmerksamkeit für die biblischen Texte freilich nicht mit einer Subjektvergessenheit einhergehen oder (zurück) zu einer Objektorientierung2 führen, sondern im Gegenteil, im Sinne einer Postsubjektorientierung, Text und Subjekt gleichermaßen und aufeinander bezogen in den Mittelpunkt didaktischer Überlegungen 2
Für den Begriff der Objektorientierung vgl. LANDTHALER, Jüdische Lernkulturen, 13.
14.2 Christliche Toradidaktik in the making
387
stellen: Eine Didaktik, die nicht bei den Lernenden ansetzt und diese nicht mit ihren Fragen ernst nimmt, droht ins Leere zu laufen. In Bezug auf eine christliche Toradidaktik bedeutet dies vor allem, dass die Lernenden als fragende und lesende, autonome Rezipierende der Tora ernst(er) genommen werden müssen und mit ihren Gedanken zu und Eindrücken von den Texten und deren vieldeutigen Aussagen in den didaktisch angeleiteten und begleiteten Dialog treten sollten. Im Sinne eines wechselseitig befruchtenden Austauschs zwischen jüdischer und christlicher Religionspädagogik ließe sich aus christlicher Perspektive sicherlich die Anfrage an manche jüdische Toradidaktik stellen, welchen Stellenwert und welche Rolle genau die Lernenden als Subjekte mit eigenen Fragen und Themen zu den Texten einnehmen. Wie wir gesehen haben, ist die besondere Berücksichtigung der Texterfahrung und des Textverständnisses der Lernenden, wie sie die diskursive und rogative Toradidaktik Nehama Leibowitz’ auszeichnet und – wortwörtlich – zur Sprache bringt, eher eine Ausnahme im Kontext der untersuchten toradidaktischen Ansätze. Eine christliche Toradidaktik sollte jedenfalls darauf zielen, Subjekt- und Textorientierung stärker als bisher in Theorie und Praxis zusammenzudenken. Eine Möglichkeit hierfür bestünde zum Beispiel in der Grundschule durch das verstärkte Erzählen, in der Sekundarstufe I/II durch das verstärkte Lesen von Ganzschriften biblischer Bücher. Dies könnte durch die Einübung der Fragekompetenz – der Fragestellung zu und Infragestellung von Texten – mit Schüler:innen unterstützt und begleitet werden. Narrativ und lesend, fragend und diskutierend ließe sich insbesondere die Polyfonie der Tora entdecken. Hierbei stellt die Vielfalt des Lerngegenstandes eine große Chance dar: Vielfältig sind in der Tora, wie immer wieder in dieser Studie betont, einerseits bereits die in ihr erzählten Lebens- und Glaubensentwürfe, gesellschaftlichen Ordnungen, lebens- und zusammenlebensrelevanten Weisungen und Fragen, ihre Erinnerungs- und Zukunftskultur und ihre ethischen Aufforderungen zur Tat; vielfältig sind andererseits ferner ihre Interpretations-, wechselseitigen Wirkungs- und Rezeptionsgeschichten in Judentum und Christentum. Die Realisierung einer solchen christlichen Toradidaktik in der schulischen Praxis findet freilich vielerlei Voraussetzungen in der Aus- und Fortbildung, in den individuellen Kompetenzen und nicht zuletzt im Engagement und der Motivation von religionspädagogischen Multiplikatoren und Lehrenden: Zukünftige wie aktuelle Lehrkräfte müssten in ihrer Aus- und Weiterbildung viel öfter und intensiver jüdischen und jüdisch-christlichen Lehrinhalten begegnen, diese als relevant für ihr eigenes theologisches Denken und Handeln begreifen und sprachfähig über das besondere jüdisch-christliche Verhältnis werden. Sie sollten sensibilisiert werden in Bezug auf historischen wie gegenwärtigen Antisemitismus. Sie sollten Gelegenheiten bekommen und ergreifen, unmittelbare Begegnungen mit jüdischer Bibeldidaktik in seiner theoretischen und praktischen Vielfalt zu erleben. Zu den Voraussetzungen einer praktischen
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Kapitel 14: Fazit und Ausblick
Umsetzung und stärkeren Etablierung von Toradidaktik im christlichen Kontext gehört daher auch, dass nicht nur (die klassisch Lernenden) zu ToraLesenden und -lernenden, zu Tora-Fragenden und -Tuenden werden, sondern die (klassischerweise) Lehrenden ebenfalls.
14.3 Jüdische und christliche Toradidaktik im Zusammenhang 14.3 Jüdische und christliche Toradidaktik im Zusammenhang
Die vorliegende Studie hat das Gespräch zwischen jüdischer und christlicher Bibeldidaktik vor allem auf theoretischer Ebene vertieft und dabei jüdische und christliche Toradidaktik explorierend- wie inspirierend-vergleichend zueinander in Beziehung gesetzt. In Deutschland ist der Dialog zwischen jüdischer und christlicher Religionspädagogik durch den Umstand einer Asymmetrie von christlicher Mehrheit und jüdischer Minderheit geprägt, aus der sich einerseits Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten in Themen und Fragestellung, Bedürfnissen und Anliegen der jeweiligen Religionspädagogiken in Theorie und Praxis ergeben: Christlicherseits steht angesichts eines anhaltend verbreiteten und in Teilen der Bevölkerung auch wieder zunehmenden Antisemitismus auch und gerade für den schulischen Kontext die Entwicklung und Etablierung einer antisemitismuskritischen Religionspädagogik weiterhin aus. Die Schulung von Religionslehrkräften bezüglich antijüdischer Hermeneutiken christlicher Theologie und ihre Sensibilisierung für die christliche Konnotation auch des säkularen Antisemitismus scheinen dringend geboten.3 Jüdischerseits steht im deutschsprachigen Raum zunächst eine Konsolidierung der Curricula und die Etablierung von jüdischer Religionspädagogik im universitären und dann auch im schulischen Kontext im Fokus aktueller Debatten und Bemühungen. Andererseits ergeben sich trotz der asymmetrischen religiösen Mehrheitsverhältnisse auch gleichartige und gleichzeitige Problemlagen christlicher und jüdischer Religionspädagogik, über die sich zukünftig intensiver Austausch lohnt: so etwa über einen geeigneten und konstruktiven Umgang mit gesellschaftlichen Säkularisierungsbewegungen, religiösen Traditionsabbrüchen sowie unterstelltem wie faktischem biblischen Desinteresse gegenwärtiger und zukünftiger Generationen des inner- wie außerschulischen Religionsunterrichts. Wie lassen sich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene heute für biblische Texte begeistern, und wo können ihre Lebenswelt und die Welt der
3
Zur christlichen Konnotation des säkularen Antisemitismus vgl. CHRISTIAN STAFFA, Von der gesellschaftlichen Notwendigkeit christlicher Antisemitismuskritik, in: Doron Kiesel/Thomas Eppenstein (Hg.), „Du Jude“. Antisemitismus-Studien und ihre pädagogischen Konsequenzen, Leipzig 2020, 55–67; KLAUS HOLZ/THOMAS HAURY, Antisemitismus gegen Israel, Hamburg 2021, 259–267.
14.3 Jüdische und christliche Toradidaktik im Zusammenhang
389
Texte einander begegnen? Wie kann jüdische bzw. christliche Religionspädagogik auf den Bedeutungsverlust von Religion(en) im Allgemeinen und von biblischen Texten im Besonderen reagieren? Wie können Lernende in das Lesen von und das kritische Fragen zu Texten der Tora sozialisiert werden? Wie können biblische Texte mit säkularen Schüler:innen gewinnbringend gelesen und unterrichtet werden? Allein die inhaltliche Vielfalt und die vielfältigen Kontexte jüdischer Toradidaktiken, die in dieser Arbeit beleuchtet wurden, stellen interessante Ansatz- und Positionspunkte dar, diese Fragen gemeinsam zu diskutieren und zu versuchen, sie zu beantworten. Die unterschiedlichen Ausgangslagen und Herangehensweisen auf gemeinsame aktuelle Problemlagen zu beziehen, stellt dabei eine interessante und vielversprechende Stoßrichtung des interreligiösen religionspädagogischen Gesprächs dar. Dieses zu vertiefen, war auch insgesamt ein Grundanliegen der vorliegenden Studie. Sie hat gezeigt, dass für die christliche Religionspädagogik der Austausch mit ihren jüdischen Äquivalenten neue Fragen stellen und alte beantworten lässt, Perspektiven verändert und den Horizont des eigenen wissenschaftlichen Denkens und Forschens erweitert oder aber verschiebt. Diesen Austausch fortzusetzen und zu intensivieren, mag auf christlicher wie auch jüdischer Seite dazu beitragen, die eigenen wie die anderen Problembestände in neuem und damit besserem Lichte zu besehen.
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Personenregister Achad Ha’am…157, 164–167, 177f., 186 Adar, Zvi…3, 15, 18, 85–87, 92, 155– 202, 213, 285, 287f., 290–292, 295– 298, 300–302, 310–313, 316, 335– 337, 360, 369, 382 Adorno, Theodor W.…333, 371, 373 Amit, Yairah…108, 128, 168–174, 194– 196 Assmann, Aleida…94f. Baldermann, Ingo…50–54, 81, 180, 339, 364 Bastian, Hans Dieter…351 Bauer, Thomas…333 Ben-Gurion, David…165, 170f. Berg, Horst-Klaus…50f., 54–57, 81, 339, 347f. Berger, Peter L.…232f., 237, 241, 339 Bernstein, Julia…60f., 371–373 Biale, David…162–165 Boschki, Reinhold…47f., 58, 373 Boyarin, Daniel…43, 91, 324, 326f. Buber, Martin…109f., 130f., 148, 167, 228 Clooney, Francis Xavier…89f., 93f. Cohn, Gabriel Haim…105, 107 Crüsemann, Frank…11, 14, 23f., 29–32, 42–44, 47, 59, 320, 328, 341 Deeg, Alexander…36, 78–80, 84, 150, 321 Deitcher, Howard…105, 148, 193 Dern, Christian…337, 342 Dressler, Bernhard…331 Ebach, Jürgen…28f., 316, 325–329, 360f.
Emmelmann, Moritz…182, 201, 230 Frankel, Marla…134, 138–140, 149, 169 Frenkel-Brunswick, Else…8, 333, 355 Fricke, Michael…10, 50f., 62, 321–324, 353 Gadamer, Hans-Georg…212 Goiten, Schlomo…168 Greenberg, Moshe…225 Grethlein, Christian…12, 84 Grözinger, Albrecht…319 Holtz, Barry W.…15, 18, 85–87, 92, 98f., 123, 203–242, 285, 288, 290, 292f., 295–298, 301f., 312f., 315f., 337, 351, 360, 369, 382f. Homolka, Walter…246f. Jacob, Benno…117, 120–123, 147f. Kaufmann, Hans Bernhard…9, 336 Klapheck, Elisa…248f. Krochmalnik, Daniel…15, 18, 85–87, 92, 127, 243–264, 267, 285, 289f., 293–296, 301f., 312, 316, 343, 345, 360, 382f. Kupferberg, Yael…9 Landthaler, Bruno…15, 18, 85–87, 92, 243, 245, 250f., 265–283, 285, 289f., 294–296, 300–302, 312, 316, 342– 344, 353, 376f., 382f., 386 Leibowitz, Nehama…3, 15, 18, 85–87, 92, 105–153, 197, 213, 219, 227, 229, 238, 241, 264, 277, 285–288, 290f., 295–298, 300–302, 310, 312f.,
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Personenregister
315f., 335, 342f., 345, 349, 360–362, 369, 382, 387 Levisohn, Jon A.…203f., 238–240 Liss, Hanna…15, 18, 33, 38f., 85–87, 92, 243, 265–283, 285, 289f., 294– 296, 300–302, 312, 316, 342–344, 353, 376, 382f. Lohrbächer, Albrecht…79f., 333f. Luther, Henning…315, 317–319 Luther, Martin…45–47, 336, 360, 363 Lux, Rüdiger…29 Marquardt, Friedrich-Wilhelm…2, 40, 47f., 59 Martin, Gerhard Marcel…353 Mendl, Hans…352, 362 Meyer, Karlo…79, 335, 344–346, 355– 357, 364, 369
Schoneveld, Jacobus…105, 124–126, 136f., 157–159, 167f. Schöttler, Heinz-Günter…36, 44f., 62, 329 Schröder, Bernd…2–7, 10, 12–17, 29, 57–59, 68f., 71, 77–81, 84–87, 92, 94, 99, 124–126, 165, 181, 201, 245, 264, 305, 308, 336–339, 347, 351, 359, 365f. Schweid, Eliezer…160, 165–167, 189 Shapira, Anita…171–173 Staffa, Christian…6, 71, 388 Stemberger, Günter…32–37, 60 Stöhr, Martin…33, 80 Stosch, Klaus von…14, 87–90, 94f., 97f. Talmon, Shemarjahu…33, 41, 159 Tanchel, Susanne…223
Niehl, Franz W.…350 Osten-Sacken, Peter von der…11, 40, 46f., 328, 343, 363 Oz, Amos…161f., 173, 202, 354 Raschi…109, 116, 131–134, 157, 220, 250, 255f., 263, 289, 377 Roose, Hanna…337f., 342, 348f., 352 Rosenak, Michael…105, 132, 204f., 216, 222, 226 Salzborn, Samuel…370, 372f. Schambeck, Mirjam…50–54, 61, 321– 324, 367
Unterman, Yael…108–118, 132f., 143– 145, 148f. Vahrenhorst, Martin…42f. Wengst, Klaus…5, 41, 43–45 Werblowsky, R.J. Zwi…36–39 Wrogemann, Henning…8, 14, 92–94 Zenger, Erich…10f., 24–26, 31, 59, 321 Zimmermann, Mirjam…51, 58, 339– 343, 347f., 359f., 362–367
Sachregister Ambiguität…152, 236f., 252f., 286– 288, 299, 324–326, 331–333, 335, 353–358, 364, 366f., 369f., 374f., 379, 386 Ambiguitätstoleranz…8, 326, 333, 347, 354–358, 379, 386 Ambivalenz…8, 34, 68f., 92, 117, 147, 151, 175, 196, 198f., 237f., 240, 263f., 286, 288, 290, 292f., 295, 299, 302, 308, 312, 315f., 321, 323–335, 343, 353, 355f., 358, 360, 363f., 367–370, 373f., 379, 386 Ambivalenz der Moderne…209f., 292f., 332, 370 Antisemitismus…6, 36, 48, 50f., 60f., 68f., 78, 91, 96, 132, 306, 309, 319, 321, 328f., 333, 367, 370–374, 379, 385–388 Bibel → Tanach, Tora Bibel im Religionsunterricht…4, 6, 16, 49–51, 58, 63–70, 152, 199, 206, 256f., 267, 310, 317, 324, 329, 336f., 342, 344f., 349f., 358f., 361, 367– 371, 374, 385 Bibeldidaktik, alttestamentlich…1–7, 14–18, 48–63, 70, 75, 77, 81, 83–87, 92, 94, 99, 101, 105, 139, 151f., 155–161, 166–170, 175, 182–185, 188, 190, 193–201, 203–205, 213f., 226, 238–241, 264, 272, 283, 287, 297, 305–311, 315, 321–324, 328f., 335–344, 347–350, 353, 360, 365– 367, 375, 381–388; siehe auch → Toradidaktik Brester Methode…134, 136–138, 147ff.
close reading…94, 128–131, 147, 152, 227, 252, 312, 349, 376; siehe auch → Lesen Denomination…1, 3, 15, 33, 99, 117– 123, 151, 161–167, 207–213, 223, 233f., 239, 246, 249–251, 266, 268, 271, 274, 279, 281, 297, 310, 317. 379, 382–384 Dialog, jüdisch-christlicher…1f., 5, 7, 10f., 16–18, 33, 41, 55, 58, 62, 71– 82, 89–91, 96, 108, 260, 266, 309– 311, 317, 319–322, 363, 376, 388 Diaspora…31, 106, 110, 114f., 124, 143–145, 151, 158, 170, 176, 178, 206, 214, 260, 292, 298, 301, 310 Didaktisches Viereck…16–18, 83, 95– 101, 126–145, 174–193, 215–236, 251–261, 267–280, 308, 334 Didaktik…1–19, 49–389 – ~ der Frage…106, 132–153, 351f., 376 – ~ des Lesens…106, 132–153, 262 – ~ der Tora…4, 13, 18, 49, 51–53, 97, 151, 174, 197, 204f., 298, 305–389; siehe auch → Toradidaktik Eindeutigkeit, Ende der…332, 367–370 Erzählen…336, 339–341, 356, 366, 379, 387 Frage…4, 10, 16–18, 31, 34, 37, 40, 42– 44, 48, 50, 52–54, 57–62, 68–72, 78, 87, 99–101, 106, 110, 114–117, 123, 132–153, 160f., 164, 166, 169f., 175, 178–180, 186–192, 195–243, 253f., 256f., 260–264, 270, 273, 275, 277f., 280–283, 288, 291–298, 300–302, 307–313, 315, 320–322, 333–336,
424
Sachregister
340–355, 359–377, 379, 381, 383– 389 Fragment…13, 70, 149, 307, 315–319, 340, 342, 344, 361–363, 365, 369, 375, 378f., 381, 385 Ganzschrift…58, 152, 169, 339, 342f., 350, 369, 376, 379, 387 Garten der Schrift…252, 254, 256f., 263, 286, 289, 293, 295 Gesetz und Evangelium…37, 41, 46–48 Gilyonot…109, 111, 113–116, 124, 132, 134, 142 Halacha…36f., 42f., 48, 118f., 126, 137, 150–152, 172, 200, 208f., 223, 277, 310, 328 Haskala…108, 119, 124, 140, 147, 156, 161, 171, 251, 253, 286 Hermeneutik…1–4, 11, 14, 17f., 24f., 46, 48, 57, 83–87, 91, 93–96, 99, 101, 117, 120–123, 128, 145, 147, 150f., 153, 162–166, 179f., 193–199, 202, 212, 225, 240, 262f., 281, 292, 296f., 311, 329, 331, 336, 348, 365– 367, 373, 386, 388 – Altes Testament…6, 36, 49–55, 58– 63, 68, 70, 75, 81, 172, 175, 180, 198, 201f., 241f., 252, 254f., 266, 270, 282, 286–289, 306f., 312, 315– 323, 343, 381, 385 – ~ der Ambivalenz…308, 315, 324– 328, 330, 343, 373f., 379, 386 – multiperspektivisch…322–324 historisch-kritische Exegese…57, 73– 75, 153, 256, 336, 339, 358, 366 Humanismus…119f., 159, 163f., 166f., 174–199, 287, 291f. Identität…3, 6, 13, 43, 57f., 68–70, 80f., 90, 96, 105, 107, 110, 119f., 146, 155, 157, 161, 166, 168, 170–176, 189, 192, 194, 197, 199–203, 233f., 237, 241, 243, 249, 251, 257f., 260, 262f., 266, 272–274, 277, 279, 281f., 287, 293–298, 301f., 307, 309, 312, 315–319, 322, 326, 339f., 344, 361– 365, 369, 372, 374f., 378f., 381f., 385f.
interreligiöses Lernen…1, 6, 12, 14, 17, 71, 73, 78, 83, 87, 98, 100f., 245, 263, 305, 311, 333, 335, 344–346, 355, 363–365, 369f., 374, 384 Israel/Erez Israel…3f., 6, 13–16, 18, 25–47, 55–57, 59–62, 68f., 74f., 78– 81, 84–87, 90f., 98, 105–111, 114– 126, 142–146, 149–153, 155–179, 184, 186f., 190–202, 205–208, 211, 213f., 220, 227, 229, 234f., 241, 247, 256, 267, 269, 273, 275, 292, 298, 300f., 306, 310f., 318–323, 327, 329f., 336, 341f., 370–372, 378, 382f., 386 Judentum…2–7, 10–19, 24f., 29, 32–34, 37–41, 43, 46–51, 56–60, 63, 65–82, 84–87, 90f., 96, 109, 177, 189, 217, 220f., 228, 233, 239, 241, 243–274, 280, 282, 285, 289, 295, 297, 301, 306, 309–311, 317–319, 321–324, 326–328, 333, 335, 354, 365–367, 371, 373f., 376, 381–387 – konservatives ~…33, 86f., 118, 148, 151, 203–213, 237, 301, 310, 317, 382f., 385 – modern-orthodoxes ~…33, 86, 117– 128, 137f., 148, 151, 153, 165, 172, 208, 220–222, 224, 301, 310, 317, 382f., 385 – Reformjudentum…33, 86f., 118, 148, 151, 203–213, 234, 310, 317, 383, 385 – säkulares ~…8f., 18, 33, 86, 148, 151, 155, 158–167, 295, 301, 310f., 317, 337, 382, 385 – Deutschland…15, 18, 91, 109f., 118, 208, 243–248, 254, 260–281, 310, 372f. – USA…3, 15, 86f., 110f., 127, 144, 163, 182, 200, 204, 206–209, 213, 224, 233f., 239, 292f. jüdische Erziehung…3, 98, 124–126, 205 – Deutschland…152, 199, 201f., 223, 241, 243–250, 263–281, 289f., 294, 301, 310, 359, 366, 388 – Israel…81, 125, 178f., 199, 201f., 310, 383
Sachregister – USA…81, 98, 160, 174, 182, 213– 215, 223, 226, 230, 239, 310, 383 jüdische Paideia…155, 287, 290–292 Kippbild (Vexierbild)…316, 324f., 330, 386 Kommentare…106, 112–117, 120f., 127, 131–141, 147f., 152, 157, 210, 215, 220f., 224f., 250, 256, 286, 374, 377 Kommunikation des Evangeliums 12– 14, 201 Kommunikation der Tora…3f., 12–14, 85, 106, 198, 279, 286, 291, 307, 381f., 385f. Kompetenz, religionspädagogisch…1, 72f., 100, 248, 250–252, 256f., 261, 264, 311f., 335, 347, 349, 352, 354, 359, 363–366, 376, 386f. Lebenswelt…16, 19, 97, 99, 126, 142– 145, 149, 174–179, 187, 201, 215, 221, 225, 232–237, 240f., 251, 255, 260–263, 267, 279f., 301, 308, 311, 313, 332, 336, 346, 357f., 361, 367– 379, 384, 388 Lehren/Lernen…5, 14–17, 53f., 57, 73, 80f., 83, 87–89, 97, 159, 168, 207, 311, 331, 333–335, 338, 340f., 343– 350, 355, 358, 362, 364–370, 373, 384 – jüdisch…1–4, 8, 13, 23, 27–29, 32, 34, 106, 112f., 119, 125, 129f., 133– 135, 140, 144, 147, 150, 176–178, 185, 192, 194, 205, 213–217, 219, 224, 228, 240, 242–244, 251, 253f., 256–260, 262–264, 266, 268, 276, 279, 281, 289f., 293–299, 302, 360f., 381 – christlich…43–45, 48, 56, 60, 77, 283, 308f., 320f., 324, 376 Lehrende…12, 16, 18f., 97, 99–101, 106, 115, 126, 129, 138–142, 147, 150, 175, 188–191, 203, 226–232, 237f., 241, 258–263, 278f., 291, 293f., 301, 308, 311, 313, 337, 341, 352, 358–367, 369f., 376, 378f., 384f., 387f.
425
Lehrkraft, Rolle der…138–142, 188, 199, 226, 248f., 258–260, 278, 282, 293f., 308, 313, 358–365, 373 Lernende…12, 16, 18f., 54, 56, 97, 99, 106, 112, 114f., 126, 129, 131, 133– 140, 142, 150, 152, 168f., 175, 181, 187, 190–193, 196, 203f., 211, 214, 221–225, 232, 234, 237f., 240–242, 256–263, 272–279, 281, 290–295, 299–301, 308, 311–313, 329, 334, 339f., 342, 347–358, 360, 363f., 367–370, 375–379, 384f., 387–389 Lesen…13, 34, 39, 43f., 47, 52f., 59, 106, 112, 114, 117, 133f., 162, 169f., 180f., 218, 227, 230, 249, 259, 266, 268, 275–278, 281–283, 285–287, 289–294, 297f., 301f., 312, 324–330, 347–354, 383, 389 – dicht und detektivisch…18, 92–95, 384; siehe auch → close reading – Methode…3, 128f., 131, 140f., 146f., 151f., 185, 187, 190, 194–202, 219–221, 257, 262, 298–300, 307, 312f., 336–338, 342–344, 357f., 360f., 369, 374–379, 384f. – Vorlesen…270–272, 275–278, 282f., 285, 290, 294–296, 312 Midrasch…35, 114, 117, 131, 141, 211, 219, 221, 235–237, 316, 374, 378 Offenbarung…3, 11, 25f., 33–37, 41, 46f., 50, 55, 61, 100, 118, 127, 152, 164, 177–180, 189, 194, 197, 201, 208, 210, 223, 268, 285–287, 292, 296, 301, 343, 369, 378, 382 Paideia…155, 180–183, 194, 196f., 287, 290–292, 295, 302 – jüdische ~…155, 287, 290–292 Pluralität…15, 84f., 101, 166, 200, 248, 250, 260, 280, 305, 308, 310, 333, 355, 367f. Pluralitätsmoderation…99, 101, 145, 147, 150f., 193, 196, 198–200, 237f., 240f., 261–263, 281f., 332f., 370 Positionalität…99–101, 145, 150, 193, 196, 198f., 227, 240, 261–263, 281f., 292, 337, 362f., 369, 384
426
Sachregister
Praktische Theologie und „Judentum“…77–79, 94, 150 Profession…100, 111, 188–190, 206f., 226, 230–232, 238, 242, 265f., 282, 301 Religionslehrer:innenausbildung…7, 17, 49, 70–78, 81–83, 97f., 266, 364– 366 – jüdisch…86, 111, 125, 207, 226, 231, 238, 243f., 383 – christlich…62, 230, 322, 373, 385 Religionspädagogik…1–14, 17, 47–82, 147, 150f., 182, 198, 238, 245, 250f., 258, 261–268, 273f., 276, 281, 283, 295, 311f., 317, 319, 321, 324, 331, 333–339, 345, 347, 351f., 355f., 359, 361, 373, 377–379, 381, 384–389 – Religionsdidaktik…3, 7, 50, 73, 76, 98, 145, 198f., 238, 240, 261f., 264, 277, 281, 331, 336, 347, 349, 352, 361f. – vergleichend/komparativ…15, 17f., 83–101, 305, 308f., 381 Rezeption…18, 23, 31, 34, 40, 44–46, 50f., 57f., 60, 74, 78, 80, 82f., 87, 100f., 122, 130, 147, 150, 152, 200, 204, 241, 264, 268, 274, 277, 279, 281, 283, 305–313, 315, 324f., 329, 331, 338, 341, 353f., 377, 381f., 386f. Subjektorientierung…99, 101, 145, 147, 150, 196, 198, 237f., 240, 261–264, 272f., 281–283, 295, 334–337, 386 Talmud…28, 35, 55, 105, 114, 119, 126, 131, 134, 137f., 146, 157, 162, 171f., 215, 217, 219–221, 235f., 244, 255–260, 290, 377 Tanach…3, 11, 25, 28, 33, 65, 68, 91, 111–114, 125–129, 134, 137f., 140, 143, 148f., 155, 164–166, 170–202, 208, 210, 213–215, 244, 249, 266, 277f., 286–288, 291f., 296, 301, 316, 319, 321, 323, 327, 374 – ~ in der israelischen Erziehung…18, 86f., 117, 125f., 150f., 155–160, 167–202, 213–215
Tertium Comparationis…16, 18, 95– 101, 308, 334, 384 Text…5, 9, 18f., 24, 26f., 29, 31, 37, 45, 47, 51–55, 57, 62f., 65, 67f., 79, 93– 95, 101, 106, 112–114, 117, 122f., 126–142, 146f., 150, 152f., 155f., 160, 162, 164, 172, 174, 179–194, 197–203, 206f., 211f., 215–228, 233, 235f., 238–242, 251–256, 259, 262, 264, 266–283, 286–300, 302, 308, 311–313, 316f., 321–330, 333–354, 358, 369, 374–378, 384, 386–389 Theologie…25f., 30–33, 38, 40–52, 56– 62, 100f., 109f., 150, 153, 170, 205– 208, 210, 228, 230f., 244, 336, 338f., 341, 347, 350–353, 359, 363, 376 – interreligiöse ~…2, 4–8, 10–14, 37, 70–74, 77–87, 309, 317–322, 328, 333, 365–367, 373, 384f., 387f. – komparative ~…14, 18, 83, 87–98, 384 Tora – christlich…40–48, 315–320 – hebräische Bibel…23, 32, 49f., 56, 59, 91, 129, 159, 165, 168, 170–173, 209, 211, 286, 288, 326, 381 – mündliche und schriftliche ~…3, 24, 33–37, 44, 106, 117–120, 124–126, 137, 146, 150–152, 156, 167, 180f., 197, 200, 208, 210–213, 220f., 241– 243, 252f., 262, 267, 269f., 277–279, 282, 285–296, 299, 301, 310, 312f., 316, 374, 379, 382f. – rabbinisch…11, 33–37, 43–45, 117, 120, 123, 129, 137, 140, 147, 151, 157, 210, 215, 217, 220, 228, 251, 255f., 259–261, 263, 268, 271f., 285–288, 296f., 301, 312, 316, 319, 325 – Rolle und Funktion…6,17, 43, 63, 65, 68, 75, 84, 156, 200, 203, 215, 218f., 287, 291, 296, 339 – ~ in den Lehrplänen…6, 17, 62–70, 81, 83, 300, 306, 312 – ~ als Rechtskorpus…268–270, 281, 285, 289, 295, 301, 374, 378, 383 – Torarolle…9, 25, 38f., 210, 252, 267–273, 281f., 285, 289, 301, 344, 346, 350, 374, 376, 383
Sachregister Tora, Alphabetisierung…378f. Tora Im Derech Eretz…119f., 127f., 147, 253f., 287 Toradidaktik, christliche…1–19, 49–82, 305–389 Toradidaktik, jüdische…1–19, 105–302 – konservatives Judentum…33, 203– 213, 237, 301, 310, 317, 382f., 385 – orthodoxes Judentum…33, 117–128, 137, 148, 151, 153, 301, 310, 317, 382f., 385
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– Reformjudentum…33, 203–213, 310, 317, 383, 385 – säkulares Judentum…8f., 18, 33, 155–167, 301, 310f., 317, 337, 382, 385 Vorlesen → Lesen Zionismus…108, 110, 114f., 119, 124f., 143, 151, 153, 156–158, 163–167, 171–177, 183, 199, 301, 371