Thronverzicht: Die Abdankung in Monarchien vom Mittelalter bis in die Neuzeit 9783412213183, 9783412205355

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Thronverzicht: Die Abdankung in Monarchien vom Mittelalter bis in die Neuzeit
 9783412213183, 9783412205355

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Thronverzicht

Susan Richter | Dirk Dirbach(Hg.)

Thronverzicht Die Abdankung in Monarchien vom Mittelalter bis in die Neuzeit

2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung, Köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Louis Gallait: Die Abdankung Kaisers Karls V. zugunsten seines Sohnes Philipps II. in Brüssel am 25. Oktober 1555, 1838–1841, Öl auf Leinwand, 485 x 683 cm, Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique.

© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20535-5

Inhalt

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Danksagung

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Susan Richter / Dirk Dirbach Einleitung

1. Teil: Abdankung als Rechtsakt 22

Hans Hattenhauer Die Abdankung von Monarchen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Eine begriffsgeschichtliche Einleitung

30

Thomas Wetzstein Renuntiatio – resignatio. Zum Amtsverzicht in der Kirche des hohen und späten Mittelalters

62

Carola Schulze Die Abdankung in den rechtlichen Ordnungsvorstellungen vom Gottesgnadentum bis zum deutschen Konstitutionalismus

75

Susan Richter Zeremonieller Schlusspunkt. Die Abdankung als Herrschertod

95

Susan Richter Von der Verlockung, sich selbst zu leben. Die Abdankung Friedrich Carl Alexanders von Ansbach-Bayreuth im Jahr 1791

123

Wilhelm Brauneder „Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloss zum Scheine!“ Der Verzicht Kaiser Karls am 11. November 1918

141

István Szabó Die Abdankung König Karls IV. von Ungarn 1918

152

Winfried Klein Der Monarch wird Privatier. Die Rechtsfolgen der Abdankung für den Monarchen und sein Haus Inhalt  

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2. Teil: Abdankung oder Absetzung? 175

Sebastian Meurer Die Abdankung Oliver Cromwells in James Harringtons „The Commonwealth of Oceana“. Konstruktion eines kontrollierten Verfassungswechsels im England des Interregnums

191

Michael Roth Die Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach. Ein Fürst im Unruhestand

213

Ingo Knecht Der Reichsdeputationshauptschluss als erzwungene Abdankung?

228

Volker Sellin Absetzung, Abdankung und Verbannung. Das politische Ende Napoleons

239

Eva Maria Werner „Die Revolution hat gesiegt, mit dem Ergebnis, daß ich erniedrigt bin.“ Herrscherabdankungen im Jahr 1848

251

Bernd Braun Das Ende der Regionalmonarchien in Italien. Abdankungen im Zuge des Risorgimento

267

Michael Horn Zwischen Abdankung und Absetzung. Das Ende der Herrschaft der Bundesfürsten des Deutschen Reichs im November 1918

3. Teil: Abdankung und Öffentlichkeit 291

Martin Schieder „Ay, no; no, ay; for I must nothing be.“ Die Abdankung des Monarchen – eine Leerstelle in der Herrscherikonographie

305

Jochen A. Fühner Thronverzicht aus politischer Klugheit? Die Reaktionen der zeitgenössischen Öffentlichkeit auf Abdankung und Ende König Viktor Amadeus II. von Sardinien 1730–32

6  

Inhalt

327 344

Susan Richter und Michael Roth Quellenverzeichnis zum Thronverzicht Autorenverzeichnis

Inhalt  

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Danksagung

Dieses Buch ist ein kleines Wagnis. Nicht nur, dass es sich mit der Abdankung von Monarchen einem Thema zuwendet, das die Forschung bislang nur am Rande beschäftigt hat. Nein, es nähert sich diesem Thema noch dazu aus dem Blickwinkel und dem Forschungsinteresse zweier Wissenschaftsdisziplinen – der Geschichte im Allgemeinen und der Rechtsgeschichte im Besonderen – und spannt dabei einen Bogen vom Mittelalter bis zur Neuzeit. „Thronverzicht. Die Abdankung in Monarchien vom Mittelalter bis in die Neuzeit“ ist das Ergebnis einer Heidelberger Tagung aus dem November 2007. Dass diese Tagung überhaupt stattfinden konnte, verdanken die Herausgeber der großzügigen Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung, die zudem den Druck des Sammelbandes übernommen hat. Dass die Tagung in einem würdigen Rahmen stattgefunden hat, ist das Verdienst des Heidelberger Wissenschaftsforums und seines stets freundlichen und hilfsbereiten Teams um die Leiterin Frau Dr. Pehrenboom. Zur Organisation beigetragen haben darüber hinaus die vielen Helfer aus dem Historischen Seminar der Universität Heidelberg, an ihrer Spitze Sebastian Meurer, der mit großer Umsicht bei der Organisation geholfen und das Tagungsbüro betreut hat. Die Tagung und dieser Sammelband sollen vor allem dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine Plattform geben, sich der Fachwelt zu präsentieren. Neben renommierten Ordinarien sind daher etliche junge Wissenschaftler unter den Autoren. Zudem hat sich im Wintersemester 2007 / 08 am Historischen Seminar der Universität Heidelberg unter der Leitung von Susan Richter ein Proseminar mit dem Thema Abdankung beschäftigt. Die Studierenden haben als Gäste an der Tagung teilgenommen und dadurch bereits im Grundstudium einen interdisziplinären Forschungsprozess mitverfolgen können. Einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der Tagung haben nicht zuletzt die Moderatoren der drei Sektionen geleistet: Prof. Dr. Christian Hattenhauer (Heidelberg) – Abdankung als Rechtsakt, Prof. Dr. Wolfgang E.J. Weber (Augsburg) – Abdankung oder Absetzung? und Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) – Abdankung und Öffentlichkeit. Sie haben mit kurzen Vorträgen in das jeweilige Unterthema eingeführt und die Diskussionen zu den Referaten geleitet. Die Zusammenfassung aller Beiträge und die Moderation der abschließenden Diskussion hat Prof. Dr. Thomas Maissen (Heidelberg) übernommen. Allen namentlich Genannten wie auch den vielen Helfern im Hintergrund gebührt unser aufrichtiger Dank. Gleiches gilt für unsere Partner und Familien, die etliche Stunden auf die Freundin bzw. den Ehemann und Vater verzichten mussten. Uwe Pirl, Natalia Aguilar de Dirbach und der kleinen Isabell widmen wir diesen Sammelband. 8  

Danksagung

Einleitung

Susan Richter und Dirk Dirbach „Die Kunst des stilvollen Verschwindens“ – Unter dieser Überschrift kommentierte die Süddeutsche Zeitung am 4. April 2009 drei „Abschiede wider Willen“: Ende März 2009 war der Vorstandsvorsitzende von General Motors, Rick Wagoner, mit sofortiger Wirkung zurückgetreten, nachdem die US-amerikanische Regierung seinen Abtritt zur Bedingung für weitere Hilfszahlungen an den finanziell angeschlagenen Autokonzern gemacht hatte. Am 29. März 2009 erklärte der vom Volk direkt gewählte Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma den Verzicht auf eine abermalige Kandidatur bei den anstehenden Kommunalwahlen und zog damit die Konsequenzen aus der Kritik an seinem Krisenmanagement nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Einen Tag später, am 30. März 2009, kündigte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, an, dass er wegen der Datenaffäre bei der Bahn dem Aufsichtsrat seinen Rücktritt anbieten werde. In allen drei Fällen hatte die Erklärung den Verlust des Amtes und damit von Macht und Einfluss zur Folge, gleichzeitig eröffnete der Amtsverzicht die Chance zu einem personellen Neubeginn. Den Begriff „Abdankung“ verwendet die Süddeutsche Zeitung in ihrem Artikel vom 4. April 2009 lediglich einmal, jedoch nicht in Bezug auf die drei genannten Rücktritte, sondern auf Diokletian, den „einzigen römischen Kaiser, der freiwillig aus dem Amt schied.“ Im Übrigen spricht sie von „Rücktritt“ und „Abschied von der Macht“, wo vom Verlust des Amtes die Rede ist. Diese Feststellung mag ein Indiz dafür sein, dass der „Abdankung“ zumindest im heutigen Sprachgebrauch ein enger Begriffsinhalt zukommt: Abdankung wird mit Freiwilligkeit assoziiert und ist auf den Machtverzicht von Monarchen gemünzt. Das (vorzeitige) Ausscheiden aus einem demokratisch legitimierten und damit auf Zeit vergebenen Amt wird hingegen nicht als Abdankung bezeichnet, der Rückzug aus nichtstaatlichen Ämtern allenfalls dann, wenn der Führungsstil des Ausscheidenden noch im Nachhinein als königlich verbrämt werden soll.1 1

Ein prominentes Beispiel dafür aus der Literatur findet sich bei Thomas Mann, Der Zauberberg, Frankfurt/M. 152002,S.  859: Nach dem Suizid ihres Liebhabers, des „majestätischen“ Mynheer Peeperkorn, lässt der Autor die „Witwe“ Madame Chauchat am Totenbett ausrufen: „C’est une abdication“. In dem hier beschriebenen Sinn hat die „Abdankung“ auch Eingang in die Sportberichterstattung gefunden: Mit den Worten „Real gibt auf: Die „Königlichen“ haben abgedankt.“ betitelte das Westfalen Blatt am 11. Mai 2009 eine Niederlage des spanischen Fußballklubs Real Madrid gegen den Ligakonkurrenten FC Valencia. Einleitung  

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Von der Antike bis in die jüngste Vergangenheit haben tatsächlich etliche Herrscher Europas – mehr oder weniger freiwillig – ihre monarchische Würde niedergelegt und auf den Thron sowie die damit verbundenen Rechte und Pflichten verzichtet. Im Gegensatz zu Herrschaftseinsetzungen und Regierungsantritten2 hat die Abdankung als historisches Phänomen in der (rechts-)geschichtlichen Forschung gleichwohl wenig Widerhall gefunden. Mit der vorzeitigen Beendigung von Herrschaft befassen sich nur wenige, überwiegend ältere Einzelstudien. Dabei richtete sich der Blick vor allem auf die Abdankungen Karls V. als Kaiser und in seinen Ländern.3 Erst mit Matthias Mayers Studie zur Rolle von Abdankungen in der Literatur aus dem Jahr 20014 und dem 2008 erschienenen Band von Lothar Machtan zum Ende der Monarchie in Deutschland 19185 ist das Thema in den Fokus der Forschung geraten. Die Forschungslücke ist nur vordergründig darauf zurückzuführen, dass sich die Wissenschaft lieber mit Erfolgsgeschichten und Siegern befasst als mit Bankrotteuren und um Verlierer gern einen Bogen macht, wie Mathias Mayer vermutete.6 Abdankungen waren und blieben in der Regel Einzelfälle, in Deutschland lässt sich nur als Folge der Revolutionen von 1848 und vor allem 1918 von einem kollektiven Phänomen sprechen.7 Fürstenrücktritte sind in ihrer historischen Erscheinung so vielgestaltig, dass bis heute der Versuch ausgeblieben ist, sich mit den Abläufen und politischen Hintergründen einzelner Abdankungen sowie der persönlichen Motivation des Abdankenden im Epochen übergreifenden rechtlichen und gesellschaftlichen Kontext auseinanderzusetzen. Der vorliegende Band möchte helfen, diese Lücke in der (rechts-)historischen Forschung zu schließen, und damit der Beendigung von 2 3

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6 7

Weinfurter, Stefan / Steinicke, Marion (Hrsg.), Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, Köln / Weimar 2005. Kleinheyer, Gerd, „Die Abdankung des Kaisers“, in: Gerhard Köbler (Hrsg.), Wege europäischer Rechtsgeschichte. Festschrift für Karl Kroeschell, Frankfurt 1987, S. 124–144; Kraemer, Hedwig, Die Abdankung Kaiser Karls V., (Diss. masch.) Köln 1954; Mayr, Josef Karl, Die letzte Abdankung Karls V. (16. Jänner 1556). Berichte und Studien zur Geschichte Karls V. (Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, 2), Bd. 3, Göttingen 1931; Eßer, Raingard, „Landgraf Moritz’ Abdankung und sein Politisches Vermächtnis“, in: Gerhard Menk (Hrsg.), Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft, Marburg 2000, S. 196–214. Mayer, Matthias, Die Kunst der Abdankung. Neun Kapitel über die Macht der Ohnmacht, Würzburg 2001. Machtan, Lothar, Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin 2008. Vgl. ebenfalls Stutzenberger, Adolf, Die Abdankung Kaiser Wilhelms II. Entstehung und Entwicklung der Kaiserfrage und die Haltung der Presse, Berlin 1937. Mayer, Mathias, Die Kunst der Abdankung, 2001, S. 7–17. Der Frage, ob es sich bei den Rücktritten auf der Grundlage des Reichsdeputationshauptschlusses 1803 um „erzwungene Abdankungen“ handelte, geht Ingo Knecht in dem Aufsatz „Der Reichsdeputationshauptschluss als erzwungene Abdankung?“ nach.

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Susan Richter/Dirk Dirbach

Herrschaft durch Abdankung den ihr gebührenden Platz zuweisen – neben dem gut erforschten Ende monarchischer Herrschaft durch Tod8 oder Absetzung im Falle von Geisteskrankheit9 sowie dem planmäßigen Ende einer Regentschaft für unmündige Thronfolger durch den Rückzug des regierenden Vormunds.10 Ausgehend von einer allgemeinen Bedeutungsgeschichte der „Abdankung“, spannt der Sammelband den Bogen von den Rücktritten mittelalterlicher Kirchenfürsten über die Abdankungen einzelner weltlicher Herrscher des 16. bis 19. Jahrhunderts bis zur Novemberrevolution von 1918 / 19, die das Ende der Monarchie in Deutschland markiert. Dabei nimmt er auch und gerade das in der Forschung bisher vernachlässigte Verständnis der zeitgenössischen juristischen Autoritäten und fürstenethischen Schriften von „Abdankung“ in den Blick und zeichnet die ethische und rechtliche Auseinandersetzung der Zeitgenossen mit den Fürstenrücktritten nach: Ein wissenschaftlicher Diskurs um den Rücktritt weltlicher Herrscher setzte erst nach den Abdankungen Karls V. ein. Sein Amtsverzicht war der Präzedenzfall, animierte zur gelehrten Diskussion und zu dem Versuch, Abdankungen als geschichtliches Phänomen begrifflich zu fassen. So definierte Zapf in seiner juristischen Dissertation „Abdankung“ 1686 als rechtmäßige und aktive, freiwillige oder erzwungene Niederlegung eines öffentlichen Amtes oder einer Würde vor der Person, die die Rechtsmacht hatte, das Amt zu vergeben.11 Das galt gleichermaßen für die göttliche Instanz wie für ein irdisches Wahlgremium. Die Literatur zur Abdankung blieb gleichwohl spärlich und die Rechtmäßigkeit des vorzeitigen Amtsverzichts lange zweifelhaft. Wie Susan Richter in ihrem Aufsatz Zeremonieller Schlusspunkt. Die Abdankung als Herrschertod zeigt, war die NiederleRichter, Susan, Fürstentestamente der Frühen Neuzeit. Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 80), (Diss.) Göttingen 2009. 9 Verschiedene Fälle von Absetzungen in der Frühen Neuzeit skizziert Erik H. Midelfort, Verrückte Hoheit. Wahn und Kummer in deutschen Herrscherhäusern (Aus dem Amerikanischen von Peter E. Maier), Stuttgart 1996, S. 55–67. Vgl. auch mit knappen Fallskizzen ders., „Geisteskranke Fürsten im 16. Jahrhundert. Von der Absetzung zur Behandlung“, in: Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung, 7/1988, S. 25–40. Troßbach, Werner, „Fürstenabsetzungen im 18. Jahrhundert“, in: Zeitschrift für Historische Forschung, 13/1986, S. 425–454; Richter, Susan, „Abgesetzt wegen »blodigkeit« – Geisteskrankheit als Legitimationsstrategie für erzwungene Herrscherwechsel am Beispiel Christophs I. von Baden“, erscheint in: Ellinor Forster / Astrid von Schlachta / Kordula Schnegg (Hrsg.), Wie kommuniziert man politische Legitimation? (Schriften zur politischen Kommunikation), Göttingen 2010. 10 Dazu grundlegend Puppel, Pauline, Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500–1700, Frankfurt / M. 2005. 11 Zapf, Johann Ernst, De abdicatione ab officio, Altdorf 1685; siehe dazu die begriffsgeschichtliche Einleitung von Hans Hattenhauer in diesem Band. 8

Einleitung  

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gung eines weltlichen Fürstenamtes zu Lebzeiten in den Fürstenspiegeln nicht vorgesehen oder vorgedacht. Die überwiegende Literatur ging vielmehr bis ins 17. Jahrhundert davon aus, dass ein weltliches Herrscheramt durch Gottes Gnade auf eine Dynastie übertragen und mittels Erbfolge an den Agnaten weitergegeben wurde. Erst der Tod des Monarchen – ein durch die unergründliche Weisheit Gottes festgelegter Moment – sollte die aktive Herrschaftsausübung beenden. Ein Rückzug zu Lebzeiten verstieß – zumindest in Erbmonarchien – gegen die göttliche Ordnung. Er übertrug einen Bereich göttlicher Wirkungsmacht in die menschliche Sphäre und bedurfte einer Erklärung und Rechtfertigung. Etwas anderes galt für den Amtsverzicht kirchlicher Würdenträger: In der Kirche des hohen und späten Mittelalters war die Amtsniederlegung von Bischöfen eine durchaus gängige Praxis. Erste Regelungen zur Resignation finden sich bereits in dem weit verbreiteten Lehrbuch des Bologneser Rechtslehrers Gratian aus den 1120er Jahren. In der Folgezeit differenzierte sich das kirchliche Resignationsrecht vor allem auf der Grundlage päpstlicher Dekretalen zunehmend aus, bis es schließlich am 3. März 1298 mit dem Erlass der Konstitution „Quoniam aliqui“ durch Bonifaz VIII., die das freie Resignationsrecht des Papstes statuierte, zu einem vorläufigen Schlusspunkt kam. Monarchen entschlossen sich aus höchst unterschiedlichen Motiven zur Abdankung. Ein Fürst, der aus Überdruss an den „Sorgen und Beschwerden“ der Regierungstätigkeit sein Amt niederlegte und sich ins Privatleben zurückzog, war Markgraf Friedrich Carl Alexander von Ansbach-Bayreuth. Dagegen spielte der badische Markgraf Georg Friedrich auch nach seiner Abdankung im Jahr 1622 eine wichtige politische Rolle: Sein Thronverzicht war Teil einer konfessionell-politischen (Kriegs-)Strategie, die den Fortbestand des Landes sichern und Georg Friedrich den nötigen Handlungsspielraum für den Kampf der protestantischen Sache verschaffen sollte. Der Sammelband gliedert sich in drei Abschnitte: 1. Abdankung als Rechtsakt 2. Abdankung oder Absetzung? 3. Abdankung und Öffentlichkeit Ausgehend von einer begriffsgeschichtlichen Herleitung der „Abdankung“ befasst sich der erste Teil des Sammelbandes mit den juristischen Grundlagen des Machtverzichts und seinen rechtlichen Folgen für den Herrscher, die Dynastie und das Land. Dabei erhält die Frage nach der Zulässigkeit der Abdankung im kirchlichen und weltlichen Recht sowie ihren tatbestandlichen Voraussetzungen ebenso Raum wie ein Vergleich der mit einer Abdankung notwendig verbundenen Rechtsakte. Ein konfliktloser Übergang von einer Herrschergeneration auf die nächste und damit die Fortsetzung der Felicitas Principum dienten dem Erhalt der dynastischen Strukturen und damit letztlich der Macht. Legte ein Herrscher seine Macht zu Lebzeiten freiwillig oder erzwungenermaßen nieder, wurde die dynastische Kontinuität gestört. Die Rechtsfolgen des Thronverzichts trafen zunächst den Abdankenden selber. Vor dem 12  

Susan Richter/Dirk Dirbach

Hintergrund der mittelalterlichen Zwei-Körperlehre und der im 18. Jahrhundert verbreiteten Vorstellung von der Doppelperson des Monarchen stellte sich insbesondere die Frage nach dem rechtlichen und sozialen Status des zurückgetretenen Herrschers: Wie wirkte sich der Amtsverzicht beispielsweise auf seinen Titel, Unterhalt und Aufenthaltsort oder die künftige Lebensführung aus? Darüber hinaus barg der Amtsverzicht eines Monarchen Gefahren für den Fortbestand der Dynastie und womöglich sogar des Landes. Welche Folgen eine Abdankung für das Privatfürstenrecht haben konnte, zeigen die Rücktritte der deutschen Bundesfürsten 1918. Spätestens im 19. Jahrhundert erkannte das gemeindeutsche Staatsrecht die Zulässigkeit der Abdankung als Form der außerordentlichen Thronfolge subsidiär zur ordentlichen Erbfolge an. Waren die Voraussetzungen für einen Amtsverzicht erfüllt, konnte ein weltlicher Fürst selbst bestimmen, ob er noch regieren wollte oder sein Amt niederlegte. Gleichwohl dürften die Fälle einer Abdankung aus freiem Willen selten gewesen sein. Der Aufgabe des Amtes war zumeist ein völliger oder teilweiser Verlust der Macht vorausgegangen. Mit seinem Thronverzicht reagierte der alte Monarch auf äußere und / oder innere Zwänge, die ihm das weitere Regieren faktisch unmöglich machten. Gründe dafür konnten die Umwälzung der staatlichen Ordnung durch revolutionäre Ereignisse,12 eine Niederlage im Krieg13 oder auch der Gesundheits- oder Gemütszustand des Abdankenden14 sein. Häufig beantwortete ein Thronverzicht also nicht die Frage, ob ein Fürst noch regieren wollte; die Niederlegung des Amtes folgte meist daraus, dass er es nicht mehr durfte. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den auf äußeren und / oder inneren Zwang hin erklärten Amtsverzicht von der Absetzung abzugrenzen. Da die Begriffe Abdankung und Absetzung sich nur vor dem Hintergrund des historischen Beispiels einordnen lassen und die so gefundene Definition sich wiederum an den empirischen Befunden messen lassen muss, nehmen die Aufsätze des zweiten Teils einzelne Abdankungen in den Blick und fragen nach den Motiven und Beweggründen des Herrschers für den Rückzug von der Macht. Wie die Beispiele dieses Sammelbandes zeigen, war so manche als freiwillig deklarierte Abdankung bei näherem Hinschauen durch mehr oder weniger starke Zwänge veranlasst. Darf also gar nicht so strikt getrennt werden zwischen Abdankung und 12 Ein Beispiel dafür sind die Rücktritte der deutschen Bundesfürsten im Zuge der Novemberrevolution 1918. Siehe dazu den Aufsatz von Horn, Michael, „Zwischen Abdankung und Absetzung. Das Ende der Herrschaft der Bundesfürsten des Deutschen Reichs im November 1918“. 13 So die zweite und endgültige Abdankung Napoleons nach der Schlacht bei Waterloo. Dazu der Beitrag von Sellin, Volker, „Absetzung, Abdankung und Verbannung. Das politische Ende Napoleons“. 14 Einen derartigen Fall behandelt Susan Richter in ihrem Beitrag „Von der Verlockung, sich selbst zu leben. Die Abdankung des Markgrafen Friedrich Carl Alexanders von AnsbachBayreuth im Jahr 1791“. Einleitung  

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Absetzung und konnte es vor allem zwischen der „erzwungenen Abdankung“ und der Absetzung zu fließenden Übergängen kommen, die eine trennscharfe Abgrenzung unmöglich, zumindest aber überflüssig erscheinen lassen? Tatsächlich ist es schwierig, die Einordnung in eine der beiden Kategorien an dem Grad des äußeren und / oder inneren Zwanges festzumachen, dem der Herrscher unterworfen war. Gleichwohl soll anhand der empirischen Beispiele des zweiten Teils versucht werden, einige Pflöcke einzuschlagen: War der äußere Zwang so stark, dass die zum Verlust der Macht führenden Handlungen gegen oder zumindest ohne den Willen des Herrschers stattfanden, lag eine Absetzung vor. Nur wenn dem Herrscher ein eigener Handlungsspielraum verblieb, kann gedankenlogisch überhaupt von Abdankung die Rede sein. Ein solcher Handlungsspielraum setzt nicht notwendig die Abwesenheit von äußerem Zwang voraus. So traten die deutschen Fürsten im November 1918 nicht aus Einsicht in die Notwendigkeit demokratischer Erneuerung zurück, sondern beugten sich dem Druck der revolutionären Ereignisse. Trotz des übergroßen äußeren Drucks ist es in den allermeisten Fällen gleichwohl gerechtfertigt, von – wenn auch erzwungenen – Abdankungen zu sprechen. Schließlich musste die Mehrzahl der Bundesfürsten nicht mit Waffengewalt aus ihren Palästen vertrieben werden, den Zeitpunkt und die Art und Weise ihres Rückzugs von der Macht bestimmten sie größtenteils selber. Solange ein Herrscher zur freien Willensbildung (noch) in der Lage war und auf die Ereignisse und Abläufe, die zum Verlust des Thrones führen, Einfluss nehmen konnte, ist bei einem formell erklärten Amtsverzicht auch tatsächlich von einer Abdankung, und keiner Absetzung auszugehen. Der dritte Teil dieses Bandes stellt die Frage nach der Wahrnehmung von Herrscherrücktritten in der Öffentlichkeit. Die Ansicht, dass Öffentlichkeit im Mittelalter nur ein Raum gewesen sei, in dem sich die soziale und politische Selbstdarstellung der Herrschenden vollziehe, gilt längst als überholt.15 Vielmehr ist die Öffentlichkeit in Form von Teilöffentlichkeiten, darunter die Hofgesellschaft, gelehrte Kreise, später das aufsteigende Bürgertum etc., selbst Handlungssphäre, welche zunehmend das Verhalten von Herrschenden nach zeit- und standestypischen Kriterien bewertete und in eigenen Medien fixierte. In enger Anlehnung an die grundlegende Frage nach dem „Dürfen“ oder „Müssen“ von Herrschaft geben die Beiträge des dritten Teils eine Antwort darauf, wie sich die spezifische Formensprache von Medien einer bestimmten Zeit samt ihren internen Regeln auf die öffentliche Codierung des Themas

15 Kamp, Hermann, „Philippe de Commynes und der Umgang mit der Öffentlichkeit in der Politik seiner Zeit“, in: Gert Melville / Peter vonMoos (Hrsg.), Das Öffentliche und das Private in der Vormoderne, Köln / Weimar / Wien 1998, S. 687–700.

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Susan Richter/Dirk Dirbach

„Abdankung von Monarchen“ auswirkte.16 Sie untersuchen, wie die oben genannten Teilöffentlichkeiten, darunter insbesondere die zeitgenössische Reichspublizistik und die Medien, auf die Abdankung eines Herrschers reagierten. Prägte ihre Reaktion Mitleid oder Bewunderung für die Aufgabe der Macht? Oder warfen sie dem Herrscher Pflichtverletzung vor, weil er seine Untertanen „im Stich gelassen“ hatte? Zu denken ist auch daran, dass sie ihm persönliche Schwäche zum Vorwurf machten.

1. Teil: Abdankung als Rechtsakt Ausgehend von der philologischen Bedeutung des Verbums „abdanken“ und seiner lateinischen Entsprechung „abdicare“ stellt Hans Hattenhauer (Kiel / Speyer) die Begriffsgeschichte des Wortes „Abdankung“ dar. Die bisherigen Versuche einer Definition lassen erahnen, wie schwierig es sein werde, die Abdankung als geschichtliche Erscheinung in Recht und Politik auf einen Begriff zu bringen. Auch bei der Prüfung der Rechtsnatur von Abdankungserklärungen wird man nach Ansicht von Hattenhauer auf mehrere unterschiedliche Definitionen gefasst sein dürfen: Ist die Abdankungserklärung im Regelfall eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, konnte sie in Wahlmonarchien wie dem Heiligen Römischen Reich an die Zustimmung der Kurfürsten gebunden sein und damit Vertragscharakter annehmen. Wie Thomas Wetzstein (Heidelberg) in seinem Aufsatz Renuntiatio – resignatio. Zum Amtsverzicht in der Kirche des hohen und späten Mittelalters zeigt, war die Amtsniederlegung von Bischöfen seit dem 12. Jahrhundert eine im Kirchenrecht immer detaillierter geregelte und durchaus gängige Praxis. Ein rechtswirksamer Amtsverzicht setzte in der Lehre der Kanonisten die Zustimmung des kompetenten kirchlichen Oberen, einen triftigen Grund und den freien Willen zur Resignation voraus. In der Praxis beriefen sich die resignierenden Bischöfe zumeist auf körperliche Gebrechen. An ihre Grenze gelangte die kirchliche Lehre von der Resignation beim Papst: Als iudex supremus konnte der Papst keinem irdischen Oberen seinen Amtsverzicht anbieten. Auch aus diesem Grund fand der einzige gesicherte Rücktritt eines Papstes im Mittelalter, die Abdankung Coelestins V. im Jahr 1294, ein breites Echo in der zeitgenössischen Kanonistik. Die juristische Auseinandersetzung um das freie Resignationsrecht des Papstes beendete Coelestins Nachfolger Bonifaz VIII. am 3. März 1298 mit dem Erlass der Konstitution „Quoniam aliqui“. Danach war die Abdankung des Papstes weder an die Annahme durch Dritte noch an die Angabe von Gründen gebunden. 16 Vgl. dazu Frevert, Ute, „Politische Kommunikation und ihre Medien“, in: Ute Frevert / Wolfgang Braungart (Hrsg.), Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, Göttingen 2004. Einleitung  

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War die Zulässigkeit des Amtsverzichts kirchlicher Würdenträger spätestens mit Erlass von „Quoniam aliqui“ positivrechtlich geregelt, fehlte es noch in den frühkonstitutionellen Verfassungen der Staaten des Deutschen Bundes an entsprechenden Bestimmungen. Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Abdankungen ergaben sich in der Frühen Neuzeit insbesondere aus der Theorie vom Gottesgnadentum. In ihrem Aufsatz Die Abdankung in den rechtlichen Ordnungsvorstellungen vom Gottesgnadentum bis zum deutschen Konstitutionalismus weist Carola Schulze (Potsdam) darauf hin, dass ein Abschied zu Lebzeiten von dem durch Gottes Gnaden verliehenen (Königs-) Amt gegen die göttliche Ordnung verstieß und eigentlich ausgeschlossen war. Umso mehr bedurfte er der Erklärung und Rechtfertigung. Auch wenn die frühkonstitutionellen Verfassungen über die Abdankung schweigen, war sie im gemeindeutschen Staatsrecht des 19. Jahrhunderts gleichwohl als Form der außerordentlichen Thronfolge anerkannt. Ausgehend von dieser Erkenntnis legt Schulze die konstitutiven Merkmale einer Abdankung dar, bevor sie sich den Rechtsfolgen des Thronverzichts zuwendet. Dass mit dem Rechtsakt einer Abdankung auch seine Visualisierung und symbolische Kommunikation in einem Zeremoniell verbunden war, zeigt Susan Richter (Heidelberg) in ihrem Beitrag Zeremonieller Schlusspunkt: Die Abdankung als Herrschertod an den Rücktritten Karls V. und König Johann Casimirs von Polen (1609–1672). Sie geht dabei von der These aus, dass das Abdankungszeremoniell aus der Umkehrung von verschiedenen Elementen des Zeremoniells zur Thronbesteigung, wie der Wahl, Krönung oder Huldigung, entstanden ist. Zudem enthält es Bestandteile der äußerlichen Handlungen, die üblicherweise nach dem Tode eines Herrschers vollzogen wurden und den Übergang auf den Nachfolger einleiteten. Wesentliches Element des Abdankungszeremoniells ist die Abdankungsrede. Als Medium der Selbstreflexion und politischen Kommunikation lässt sie sich mit den Testamenten von Monarchen vergleichen. Die Abdankungsrede markierte zugleich die Reduzierung der beiden Körper des Monarchen – body politic und body natural – auf einen, den body natural. Im 16. und 17. Jahrhundert war die Abdankung daher gleichbedeutend mit dem symbolischen und juristischen Tod der offiziellen Person als Herrscher mit allen Machtbefugnissen. Das säkularisierte Herrschaftsverständnis des 18. Jahrhunderts sah im Fürsten den ersten Diener oder obersten Beamten eines zunehmend überpersonalen Staates, den Dienst- und Pflichtethos an das Amt banden. Dennoch war– so die Auffassung bedeutender zeitgenössischer Juristen – das Herrscheramt wie jedes andere Amt auch zu kündigen. Als „homo politicus“ stand dem Herrscher ebenso wie jedem seiner Beamten ein Rückzug vom Hofleben ins Privatleben zu. Am Beispiel des Markgrafen Friedrich Carl Alexander von Ansbach und Bayreuth im Jahr 1791 untersucht Susan Richter (Heidelberg) die Haltung der zeitgenössischen Staatstheorie und der Rechtslehrbücher des 18. Jahrhunderts zur Abdankung von Fürsten. Im Mittelpunkt steht 16  

Susan Richter/Dirk Dirbach

dabei der Statuswandel von der öffentlichen zur Privatperson als rechtliche Folge des Amtsverzichts. Der Aufsatz Von der Verlockung, sich selbst zu leben – Die Abdankung des Markgrafen Friedrich Carl Alexanders von Ansbach-Bayreuth im Jahr 1791 vor dem Hintergrund des Statuswandels der öffentlichen zur Privatperson diskutiert das im 18. Jahrhundert sich wandelnde Verständnis von privat und öffentlich und geht dabei auf zeitgenössische Motive der Hof- und Politikflucht ein. In seinem Beitrag „Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloss zum Scheine!“ Der Verzicht Kaiser Karls am 11. November 1918 untersucht Wilhelm Brauneder (Wien) jene Rechtsakte, die Ende Oktober / Anfang November 1918 die Staatsgewalt des – neuen, demokratischen – Staates Deutschösterreich begründeten und die Existenz der österreichischen Monarchie beendeten: Am 30. Oktober 1918 trat in Wien die aus Abgeordneten des alten Reichsrats gebildete provisorische Nationalversammlung zusammen und begründete die Republik Deutschösterreich. Am 11. November erklärte Kaiser Karl, dass er für sich und seine Nachkommen auf den „Anteil an den Staatsgeschäften“ verzichte, und brachte dadurch die monarchische Gewalt zum Erlöschen. Tags darauf folgte das Abgeordnetenhaus des alten Staates mit einer korrespondierenden Handlung. Damit traten die beiden tragenden Säulen der bis dahin geltenden konstitutionellen Verfassung von 1867 – Monarch und Volksvertretung – von der politischen Bühne ab. Gleichzeitig endete die monarchisch begründete Realunion mit Ungarn. Die zur gleichen Zeit im ungarischen Teil der Donaumonarchie stattfindenden Ereignisse analysiert István Szabó (Miskolc / Ungarn) in seinem Beitrag Die Abdankung König Karls IV. von Ungarn 1918. Als König von Ungarn verzichtete Karl am 13. November 1918 in einer gleichlautenden Erklärung auf seinen Anteil an den Staatsgeschäften. Anders als im neuen „Deutsch-Österreich“, das jedwede Kontinuität mit dem österreichischen Kaiserreich ablehnte, gab es in Ungarn – gerade im Hinblick auf die Wiederherstellung der territorialen Einheit – gleichwohl Bestrebungen, an die Tradition des Königtums anzuknüpfen. Im Deutschen Reich brachte die Revolution von 1918 den Monarchen nicht nur den Verlust ihres öffentlichen Amtes mitsamt den staatlichen Funktionen, sie änderte auch nachhaltig die privatrechtliche Stellung des vormaligen Herrschers und seiner Familie: Auch wenn allen staatsrechtlichen Umwälzungen zum Trotz der inhaltliche Kern des Privatfürstenrechts erhalten werden konnte, musste es doch in die Formen des bürgerlichen Rechts übertragen werden und war nun gegenüber staatlichem Recht nachrangig. Die Domänen gingen, sofern sie nicht schon zuvor dem Staat gehörten hatten, in öffentliches Eigentum über. Dagegen behielten die zurückgetretenen Fürsten ihre Stellung als Chef des Hauses und bezogen in aller Regel eine staatliche Rente. In dem Beitrag Der Monarch wird Privatier – Die Rechtsfolgen der Abdankung für den Monarchen und sein Haus behandelt Winfried Klein (Heidelberg) die Rechtsfolgen der Abdankungen von 1918 für den Monarchen und seine Einleitung  

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Familie an den Beispielen Preußen, Bayern, Württemberg, Baden, Sachsen sowie zweier thüringischer Staaten.

2. Teil: Abdankung oder Absetzung? Wie die Aufsätze des ersten Teils zeigen, folgten Abdankungen nicht selten einer Auflösung der althergebrachten Ordnung: Die Monarchen kapitulierten vor den geänderten Machtverhältnissen; ihr Rückzug entsprach der Logik einer auf Schadensbegrenzung bedachten und damit zwangsläufig defensiv ausgerichteten Exit Strategie. Eine ganz andere Bedeutung erhalten die Abdankung – und damit auch der Abdankende selber – in dem 1656 zur Zeit Oliver Cromwells erschienenen Hauptwerk des englischen Philosophen James Harrington. „The Commonwealth of Oceana“ beschreibt die Überführung einer Oligarchie über die Herrschaft eines Einzelnen in eine ideale Republik. In Harringtons Verständnis war nur ein Alleinherrscher in der Lage, die zur Errichtung des neuen Staatswesens erforderlichen Gesetze zu erlassen. Die Alleinherrschaft ist in seinen Augen aber nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur idealen Republik, dem notwendig die Abdankung des „Archonten“ folgen muss. Erst mit dessen endgültiger und unumkehrbarer Abdankung ist die Gründung der Republik tatsächlich vollzogen. Alleinherrschaft und Abdankung werden in Harringtons Theorie damit zu Instrumenten eines kontrollierten Verfassungswechsels. Sebastian Meurer (Heidelberg) zeigt, wie Harrington mit dem zeitgenössischen Stilmittel historischer Exempel im Sinne der historia magistra vitae dem englischen Diktator Oliver Cromwell Wege und Richtlinien politischen Handelns aufwies und anhand der antiken Vorbilder Lykurgs von Sparta und Timoleons von Sizilien die Richtigkeit seiner Argumentation darlegte. Am Beispiel des badischen Markgrafen Georg Friedrich setzt sich Michael Roth (Heidelberg) mit der Zulässigkeit des Amtsverzichts eines Fürsten des Alten Reiches auseinander. Mit dem lutherischen Amtsverständnis, das die Ausübung von Herrschaft als Gottesdienst verstand und die Niederlegung des Amtes zu Lebzeiten nicht vorsah, war die Abdankung Georg Friedrichs im Jahr 1622 nicht zu vereinbaren. Sein Rücktritt folgte vielmehr der Logik einer konfessionell-politischen (Kriegs-)Strategie: Angesichts bevorstehender Kriegshandlungen war Georg Friedrichs Amtsverzicht eine notwendige Maßnahme zum Schutz seiner Person und des badischen Territoriums. Der Rückzug aus der Regierungsverantwortung sollte dem Markgrafen zudem einen neuen Handlungsspielraum für die Sache der Protestantischen Union eröffnen. Georg Friedrich hat damit nicht aus Amtsmüdigkeit oder körperlicher Schwäche abgedankt und sich wie Markgraf Friedrich Carl Alexander von Ansbach-Bayreuth ins Privatleben zurückgezogen, sondern blieb auch nach seinem Rücktritt als Kriegsherr politisch höchst aktiv. 18  

Susan Richter/Dirk Dirbach

In seinem Aufsatz Der Reichsdeputationshauptschluß als erzwungene Abdankung? geht Ingo Knecht (Marburg) der Frage nach, ob es sich bei den Rücktritten der Reichsfürsten im Jahr 1803 um „erzwungene Abdankungen“ handelte. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss (RDH) vom 25. Februar 1803 endete für viele deutsche Territorien, darunter die Kurpfalz, die staatliche Eigenständigkeit. Die Herrscher dieser Territorien hatten sich dem RDH auf dem Reichstag letztlich nicht mehr widersetzt. Willigten sie damit in die Auflösung ihrer Hoheitsgebiete ein? Wie verliefen die Abgabe der Herrschaft und die Übertragung an die neuen Machthaber? Und welches Schicksal erlitten die Fürsten der aufgelösten Territorien? Diese Fragen behandelt Knecht am Beispiel des Fürstbistums Freising und seines Fürstbischofs Freiherr Johann Konrad von Schroffenberg. Napoleon, dessen Hegemonialstreben die territoriale Neuordnung im Heiligen Römischen Reich erzwungen hatte und mitursächlich für den Rücktritt Kaiser Franz’ II. im Jahr 1806 war, musste selbst seinen Thron vorzeitig verlassen. Volker Sellin (Heidelberg) analysiert die Ereignisse, die das politische Ende Napoleons kennzeichneten: Den Sturz Napoleons leitete ein Beschluss des französischen Senats vom 3. April 1814 ein, der den Kaiser für abgesetzt erklärte. Da jedoch weder der Senat noch die Alliierten über ausreichend Machtmittel verfügten, um die Absetzung tatsächlich zu vollziehen, gingen die Alliierten auf das Angebot des Kaisers zur Aufgabe des Thrones ein. Nur wenige Tage später, am 11. April 1814, schlossen sie mit Napoleon einen Abdankungsvertrag, in dem sie ihm umfassende Garantien als Gegenleistung für den Amtsverzicht gewährten. Doch hielt sich keine der beiden Seiten an den Vertrag. Durch das Ausbleiben der vertraglich zugesicherten Pensionszahlungen in wachsender Finanznot und aus Sorge vor einer Deportation kehrte Napoleon im März 1815 von der Insel Elba nach Paris zurück und beanspruchte alte (Thron-)Rechte. Erst die militärische Niederlage bei Waterloo zwang ihn zu einer zweiten, diesmal endgültigen Abdankung als französischer Kaiser. Die mit dem Wiener Kongress einsetzende Restauration stabilisierte die Monarchien in Europa nicht dauerhaft. Bereits 1848 kam es in vier Staaten des Deutschen Bundes zu Thronniederlegungen: Zwischen März und Dezember verzichteten König Ludwig I. von Bayern, Fürst Heinrich LXXII. von Reuß-Lobenstein-Ebersdorf, Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg und Kaiser Ferdinand I. von Österreich auf den Thron. Unter dem Titel „Die Revolution hat gesiegt mit dem Ergebnis, daß ich erniedrigt bin“ – Herrscherabdankungen 1848 zeigt Eva Werner (Innsbruck) zunächst, dass die Abdankungen des Jahres 1848 eng mit der Revolutionsbewegung verbunden waren. Drei der vier Monarchen dankten in erster Linie aus Resignation vor den neuen politischen Verhältnissen ab – der Erosion ihrer Macht und der zunehmenden Entfremdung zwischen Herrscher und Untertanen. Lediglich in Wien entsprang der Thronwechsel von Anfang bis Ende einem politischen Kalkül. Von der Hofpartei um Kaiserin Maria Anna betrieben, sollte er dazu beitragen, die Macht der HabsburgerEinleitung  

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Dynastie zu sichern. Wie sich die Abdankungen auf die Monarchen, die Dynastien und das Land auswirkten, skizziert Werner im zweiten Teil ihres Aufsatzes. Anders als in Deutschland, wo Bismarck das Deutsche Reich auf föderaler Grundlage bildete, gingen die italienischen Regionalmonarchien sang- und klanglos unter und machten einem gesamtitalienischen Königtum unter dem Savoyer Viktor Emanuel II. Platz. Den Untergang der Regionalmonarchien in Italien besiegelten keine freiwilligen, zum Teil nicht einmal formale Abdankungen, sondern durch die Macht des Faktischen erzwungene Thronverluste, welche die meisten Herrscher unvorbereitet trafen. Von der unaufhaltsamen politischen Entwicklung des Risorgimento überrollt, waren sie nicht mehr Handelnde, sondern zumeist nur noch hilflos Getriebene. Warum die Throne der Regionalmonarchien in Italien so wenig verankert waren und so jäh gestürzt werden konnten, zeigt Bernd Braun (Heidelberg) in seinem Aufsatz Das Ende der Regionalmonarchien in Italien – Abdankungen im Zuge des Risorgimento. Dem Ende der Monarchien in Deutschland 1918 wendet sich Michael Horn (Heidelberg) in dem Aufsatz Zwischen Abdankung und Absetzung – Das Ende der Herrschaft der Bundesfürsten des Deutschen Reichs im November 1918 zu. Das Ausscheiden der Bundesfürsten aus staatlicher Verantwortung zeichnete sich in der Mehrzahl der Fälle durch kooperatives Verhalten aus: Von den 22 Monarchen des Deutschen Reiches dankten zwischen dem 7. und 30. November 17 Fürsten als Reaktion auf die revolutionären Ereignisse in ihren Ländern bzw. im Reich ab. Die – von den geänderten Machtverhältnissen erzwungene – Selbstauflösung der Monarchie ebnete den Weg für einen möglichst friedlichen Übergang von der monarchischen zur republikanischen Staatsform und legitimierte zugleich nachträglich den Staatsumbruch. Fünf Monarchen waren nicht willens, diesen Weg zu beschreiten. Sie leisteten keinen formellen Thronverzicht, sondern wurden von den Kräften der Revolution abgesetzt und ihrer Herrschaftsrechte enthoben.

3. Teil: Abdankung und Öffentlichkeit Die Darstellung der Abdankung in der Kunst behandelt Martin Schieder (Berlin) in seinem Beitrag „Ay, no; no, ay; for I must nothing be.“ Die Abdankung des Monarchen – eine Leerstelle in der Herrscherikonographie. Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, dass es im Gegensatz zur Ikonographie der Krönung an einer Ikonographie der Abdankung fehlt. Was sollte den abdankenden König, seinen Nachfolger oder die Nachwelt auch dazu veranlassen, den Moment der politischen Ohnmacht, eines Imperium und Dynastie gefährdenden Machtvakuums darzustellen? Beim Blick auf die wenigen überlieferten Darstellungen von Abdankungen lässt sich im Laufe der Jahrhunderte ein Wandel der Medien feststellen: von der mittelalterlichen Miniatur über die Graphik 20  

Susan Richter/Dirk Dirbach

und Malerei der Neuzeit sowie die Karikatur im 19. und frühen 20. Jahrhundert bis hin zu Pressefoto, Fernsehen und den digitalen Medien der Gegenwart. Mit diesem Wandel ging, wie Schieder in seinem Aufsatz zeigt, eine elementare Veränderung von Funktion und Rezeption der Darstellungen einher. In einem mit zahlreichen Quellenzitaten unterlegten Aufsatz widmet sich Jochen Fühner (Wien) der Abdankung König Viktor Amadeus’ II. von Sardinien (1666–1732) und beschreibt die Reaktionen der zeitgenössischen Öffentlichkeit zwischen Bewunderung, Vorwurf und Mitleid. Zu Beginn der 1730er Jahre geriet das Königreich Sardinien in das Zentrum allgemeinen Interesses: Die Abdankung Viktor Amadeus’ zugunsten seines Sohnes und der Versuch einer abermaligen Machtergreifung 1730 / 31 endeten in der Internierung des früheren Herrschers im Schloss von Rivoli, wo er 1732 starb. Während sich die europäischen Regierungen um die politische Stabilität in Oberitalien sorgten, bewegte die Zeitgenossen besonders das persönliche Schicksal des Königs. Viktor Amadeus’ Gegner kommentierten die Ereignisse mit Schadenfreude, seine Anhänger mit Bedauern. Viele sahen in seiner Gefangennahme ein mahnendes Exempel für andere Herrscher. Wieder andere entwickelten aus den Geschehnissen politische Handlungsanweisungen.

Quellenverzeichnis Dem Sammelband ist ein von Susan Richter und Michael Roth zusammengestelltes, ausführliches Quellenverzeichnis beigefügt, das dem interessierten Leser unpubliziertes Archivmaterial mit Angabe der Signaturen sowie publizierte Quellen thematisch geordnet zur Verfügung stellt. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern zielt darauf, Studierenden und Lehrenden einen schnellen quellenbezogenen Einstieg in das Thema der Fürstenabdankung zu ermöglichen.

Einleitung  

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Die Abdankung von Monarchen vom Mittelalter bis zur Gegenwart Eine begriffsgeschichtliche Einleitung

Hans Hattenhauer Was mag der Grund dafür sein, dass die Abdankung, die im politischen Geschäft seit jeher viel Unruhe gemacht und Aufmerksamkeit erregt hat, als solche in der wissenschaftlichen Literatur praktisch nicht oder höchstens am Rande vorkommt? Die Lehrbücher schweigen beharrlich oder haben für diesen Gegenstand kaum mehr als einige Sätze übrig. Wenn überhaupt, befasst sich die Forschung mit Fällen von Abdankungen einzelner Regenten der Moderne, etwa mit jenen der Kaiser Wilhelm II. und Karl von Österreich. Allein die Abdankung Kaiser Karls V. hat den Historikern und Staatsrechtlern durch die Jahrhunderte immer neuen Diskussionsstoff geliefert und war der Paradefall und Argumentationsfundort späterer Abdankungen.1 Vielleicht hat dieses Verschweigen des Gegenstandes damit zu tun, dass abdankende Regenten in der Regel Gescheiterte sind. Auch wo sie vorgeben, freiwillig und aus eigenem Entschluss und eigener Einsicht abzudanken, steht hinter ihren Entscheidungen in der Regel ein innerer oder äußerer Zwang, und die Berufung des Abdankenden auf seine „Leibesschwäche“ ist gewissermaßen der cantus firmus solcher Ereignisse. Dabei sind Abdankungen in der Regel politische Konkurserklärungen und gehen oft Hand in Hand mit Staatsbankrotten. Auch die Wissenschaft befasst sich lieber mit Erfolgsgeschichten und Siegern als mit Bankrotteuren und macht um Verlierer gern einen Bogen. Und doch ist das wohl nicht der einzige, nicht einmal der tragende Grund dieses, gelegentlich fast zum Tabu ausgewachsenen Verschweigens des Themas. Denn „die“ Abdankung gibt es womöglich gar nicht. Sie ist in ihren geschichtlichen Erscheinungen so vielgestaltig, dass sie sich nicht leicht zu einem festen, sämtliche Abdankungen umfassenden Begriff verdichten lässt. Ohne dass den hier und künftig folgenden Diskussionen vorgegriffen werden soll, darf man doch behaupten und muss voraussetzen, 1

Godolaeus, od. Godelevaeus, Wilhelm, De abdicatione seu renuntiatione imperii et regnorum a Carolo V., Basel 1574; Obrecht, Ulrich, De abdicatione Caroli V. imperatoris, Straßburg 1676; zuletzt: Conrads, Norbert, Die Abdankung Kaiser Karls V. (Universität Stuttgart, Reden und Aufsätze 65), Stuttgart 2003.

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dass Abdankungen abhängig sind von den je und je geltenden Staatsverfassungen und Rechtsordnungen, in denen sie sich ereignen. Wenn man sich überhaupt auf die Suche nach einem geschlossenen Rechtsbegriff aller Abdankungen aller Staatsformen begeben will, bekommt man Schwierigkeiten. Man wird sich dann mit einer abstrakten, fast nichtssagenden Formel bescheiden können und diese erst in weiteren gedanklichen Schritten untergliedern und konkretisieren müssen. Praktisch müssen wir bei der Diskussion der Abdankungsfragen vorerst zugeben und voraussetzen, dass es vielerlei Arten von Abdankungen gibt; das Sortieren mag dann späteren Bemühungen überlassen bleiben. Heute und hier sollten wir uns ferner mit der Feststellung bescheiden, dass Abdankungen zuerst und wesentlich politische Ereignisse sind, Erschütterungen der politischen Großwetterlagen, denen der Historiker wie der Jurist nur sehr schwer beikommen kann – Tatsachen, ohne dass sie sich in rechtsfreien Räumen ereigneten. Die sie prägenden, oft komplizierten Rechtsfragen werden sich umso leichter erkennen lassen, je genauer man die historischen Tatsachen definiert hat. Abdankungen sind nicht an bestimmte Verfassungen gebunden. So lässt sich sogar das Ausscheiden einer vom Volk abgewählten Regierung demokratischer Verfassung als eine Art von Abdankung beschreiben, mag der Zwang zum Aufgeben der Regierungsmacht auch von der Rechtsordnung selbst ausgehen. Ziel dieses Kolloquiums muss es daher hauptsächlich sein, historisches Material zu sammeln und zu sichten. Schon das ist angesichts des weiten, Jahrhunderte übergreifenden Zeitrahmens kein leichtes, sogar ein riskantes Unternehmen. Es widersetzt sich der heute bei den Historikern verbreiteten Neigung zur Spezialisierung. Hier wird es ohne Mut zur Lücke nicht gehen. Solcher Mut wird allemal von Wissenschaftlern gefordert, die sich der Erforschung eines neuen Gegenstandes annehmen. Sie dürfen sich um solche Forschungsbarrieren nicht scheren und müssen es wagen, sich der Beckmesserei der Spezialisten auszusetzen. Dass sich der hier zu diskutierende Gegenstand nicht mit einem einzigen Kolloquium bewältigen lassen und ohne Irrwege nicht auskommen wird, darf man schließlich getrost annehmen. Dem allem ist durch einige kurze Einleitungsworte nicht besserwisserisch vorzugreifen, doch mögen hier zwei Bemerkungen gestattet sein. Erstens: Der Problematik und Vielfalt der mit dem Wort „Abdankung“ verbundenen Ereignisse und Sachverhalte waren sich auch die Alten bewusst, wenn sie dazu etwas zu sagen sich genötigt sahen. Die Literatur zu diesem Gegenstand2 war niemals üppig und ist auch vor Jahrhunderten nicht über den Rang von Dissertationen und Lehrbuchabschnitten 2

Zur älteren Literatur vgl. die Nachweise in des Martin Lipenius Bibliotheca realis iuridica s.v. abdicatio u. resignatio regnorum, Frankfurt 1679; insbes.: Becmann, Johann Christoph, De abdicatione regni, Frankfurt / Oder 1671; Dithmar, Justus Christoph, De abdicatione regnorum aliarumve dignitatum illustrium, Frankfurt / Oder 1724; Fritsch, Ahasver, Tractatus de resignationibus imperatorum, regum, principum etc., Naumburg 1669; Zapf, Johann Ernst, De abdicatione ab officio, Altdorf 1685. Die Abdankung – eine begriffsgeschichtliche Einleitung  

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hinausgekommen. Dennoch gab es bereits damals Versuche, der Abdankung analysierend und definierend beizukommen. Bis heute brauchbar scheint mir die Formel des Johannes Ernst Zapf in dessen Altdorfer Dissertation vom Jahre 1686 „De abdicatione ab officio“3 zu sein: „Abdicatio ab officio nihil aliud erit [est], quam actus, quo quis munus seu ius, alioquin intuitu muneris competens, vel voluntario vel coacte, seu sine vel ex causa, consentiente iubente vel etiam sciente illo, penes quem conferendi potestas est, legitime deponit.“ („Die Abdankung von einem Amt ist nichts anderes als jener Vorgang, wodurch jemand ein Amt oder Recht, oder überhaupt hinsichtlich irgendeines Amtes, zuständig, freiwillig oder gezwungen, mit oder ohne Begründung, einverständlich oder befohlen, wissentlich gegenüber jenem niederlegt, der die Rechtsmacht hatte, es ihm zu übertragen.“) Wie weit der mit dieser Formel umrissene Sachverhalt gefasst war, erläuterte Zapf durch Aufstellen von Gegensatzpaaren. Danach erfolgten Abdikationen entweder durch schlüssiges Verhalten oder unbedingt oder freiwillig oder unter unmittelbarem Zwang oder ehrenvoll oder förmlich-feierlich oder ordentlich (rechtmäßig) oder durch Erklärung des Abdankenden oder

ausdrücklich erklärt bedingt gezwungen mittelbarem Zwang unehrenhaft formlos außerordentlich durch (kanonisches) Urteil.

Außerdem weist Zapf auf die Unterschiede zwischen kirchlichen und weltlichen Abdankungen hin und dort wiederum auf die für jeden klerikalen Rang geltenden Besonderheiten. Wichtig an diesem Versuch einer Begriffsbestimmung war dem Juristen Zapf auch die Frage nach der Rechtsnatur der Abdankungserklärung. Sie war ihm eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die der Stelle / Institution gegenüber abzugeben war, welche vormals die Berufung des Amtsinhabers ausgesprochen hatte. Dem actus investiturae, der Amtseinsetzung, entsprach somit als actus contrarius die Abdankung (Amtsaufgabe). Damit dürfte Zapf den Regelfall der formgebundenen Abdankung juristisch zutreffend beschrieben haben. Für den Papst dagegen statuierte er ein freies Recht zur Abdankung – „Papa resignat libere“ –, so dass man hier wohl eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung annehmen muss. Anders

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Zapf, Johann Ernst, De abdicatione ab officio , 1685, S. 7.

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dagegen verhalte es sich mit dem Abdankungsrecht des Kaisers“.4 Dieses sei an die Zustimmung der Kurfürsten gebunden. In der Wahlmonarchie des Heiligen Reiches war die Abdankung mithin ein Vertrag, der als actus contrarius der Wahlkapitulation und Krönung entsprach. Auch bei der Prüfung der Rechtsnatur von Abdankungserklärungen wird man also auf mehrere unterschiedliche Definitionen gefasst sein dürfen. Dass dagegen das Volk der Untertanen als Empfänger von Abdankungserklärungen in Frage kam, wird man, wenn überhaupt, höchstens in konstitutionellen Monarchien erwarten können. Davon zu unterscheiden und hier nicht zu erörtern, sind die Fälle der Bannung und die der Absetzung von Monarchen.5 Von der kirchlichen Bannung des Kaisers lehrte der Sachsenspiegel, den Anspruch des Papstes einschränkend,6 der Kaiser dürfe von seiner Krönung an kirchlich nur gebannt werden, „wenn er am rechten Glauben zweifelt oder seine eheliche Frau verlässt oder ein Gotteshaus zerstört“. Diese Vergehen führten nicht als solche bereits zum Amtsverlust, wie auch die päpstliche Bannung widerrufbar war.7 Die in zwei Fällen vollzogene Absetzung des Kaisers bedurfte eines förmlichen Verfahrens und Rechtsaktes, so dass das Kaiseramt nicht ipso iure verloren gehen konnte. Probleme stellte der Abdankungslehre auch die Theorie vom Gottesgnadentum. Belege für Abdankungen von Gott selbst eingesetzter Monarchen, auf die sich spätere hätten berufen können, finden sich in der Bibel nicht. In Israel waren die ersten beiden Könige, Saul und David, unmittelbar von Jahwe berufen worden. Aber David musste trotz seiner Berufung mit dem Amtsantritt lange warten, bis Gott auf dem Schlachtfeld sein Gericht an Saul vollzogen hatte. Wer von Gott selbst ins Königtum berufen worden war, konnte allein durch göttlichen actus contrarius daraus wieder entfernt werden. Auch die mit Salomo einsetzende israelische Erbmonarchie kannte keine Abdankungen. Ein Recht auf Abschied von dem durch Gottes Gnade verliehenen Königsamt konnte es nach der Lehre vom Gottesgnadentum eigentlich nicht geben. Wo sich ein christlicher Monarch auf sein Gottesgnadentum berief und danach dennoch von seinem Amt verabschiedete, leugnete er jenes. Er unterstellte Gott, dieser habe sich seinerzeit bei seiner Berufung vertan. Umgekehrt dürften die

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Ebd., S. 30, Ziff. 27. Moser, Johann Jacob, Von dem Römischen Kayser, Römischen König und denen Reichs-Vicarien, Frankfurt / Main 1767, Zehendes Capitel: „Von des Römischen Kaysers Gerichts-Stand und des Kayserlichen Thrones Erledigung“, S. 582 ff.; Conrad, Hermann, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, Karlsruhe 1962, S. 222 f. Landrecht, III, 57. Vgl. Repgow, Eike von, Sachsenspiegel, hrsg. von Karl August Eckhardt (MGH LL Fontes iuris N. S. 1,2), Göttingen ³1973, S. 243. Merzbacher, Friedrich, Art. „Bann, kirchlich“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1 / 1971, Sp. 306–308. Die Abdankung – eine begriffsgeschichtliche Einleitung  

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dennoch vorgekommenen Abdankungen sehr dazu beigetragen haben, dass die Lehre vom Gottesgnadentum geschwächt wurde. Lassen die Unterscheidungen Zapfs und die damit verbundenen Rechtsprobleme, denen wohl noch weitere hinzuzufügen sind, bereits ahnen, wie schwer es sein wird, die Abdankung als geschichtliche Erscheinung in Recht und Politik auf einen Begriff zu bringen, wird dies noch deutlicher – und das sei die zweite Vorbemerkung – durch einen Blick auf das deutsche und das lateinische Wortfeld. Auch der philologische Laie weiß, dass die Worte „Abdankung“ und „abdanken“ unterschiedliche Sachverhalte bezeichnen. Grimms Wörterbuch8 definiert die „Abdankung / abdicatio“ als „Dienstentlassung“ und kennt daneben nur – sachlich ungenau – die als „Leichenpredigt“ bezeichnete Leichabdankung, während von der Abdankung in Staatsdienst und Militär nicht die Rede ist. Genauer ist da schon Adelungs „Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Sprache“ vom Jahre 1811.9 Dort wird im Passivum außer Aufzählung der Dienstentlassungen von „Bedienten, Soldaten, katholischen Geistlichen, Ministern, Treibern und Jägern samt deren Hunden, Kleidern, Pferd und Wagen“ mitgeteilt, dass ein Amt durch Abdankung auch aktiv niedergelegt werden kann. Adelung begründet dies mit einer Etymologie des Wortteils „danken“: „Da indessen danken ehedem in mehreren längst veralteten Bedeutungen vorkam, so kann sich auch eine derselben noch in diesem Worte erhalten haben. So bedeutete es auch sprechen und sagen, wie die Latein.[ischen] dicere und dicare, und so könnte abdanken wohl nach dem Lat.[einischen] abdicare gebildet seyn. Wenigstens ist der Begriff des Dankes für geleistete Dienste, oder für das anvertraute Amt, in den meisten Bedeutungen so erloschen, dass der bloße Begriff der Entlassung oder Niederlegung übrig geblieben ist.“ In seinem Bestreben, sprachliche Identität von „abdanken“ und abdicare“ herzustellen, dürfte Adelung sich allerdings vertan haben. Die Etymologen10 stellen dazu überzeugend fest, dass das Wort „danken“ eine Rückbildung von „denken“ sei und den Sinn von „in Gedenken halten“ habe. Der „Konstruktionswechsel“ des im 16. Jahrhundert aufgekommenen Wortes „abdanken“ im Sinne von „mit Dank verabschieden“ habe leicht eintreten können, da das Wort überwiegend in dem Partizip „abgedankt“ verwendet worden sei. Am ausführlichsten entfaltet das Deutsche Rechtswörterbuch die Bedeutungsvielfalt von Abdankung“11 mit den Abschnitten Grimm, Jacob und Wilhelm, Art. „Abdankung“, in: Deutsches Wörterbuch, 1 / 1854, Sp. 19 f. Adelung, Johann, Christoph, Art. „Abdankung“, in: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Sprache, 1 / 1811, Sp. 17 f. 10 Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 24 2002, Sp. 179. 11 Frensdorff, Ferdinand, Art. „Abdankung“, in: Deutsches Rechtswörterbuch 1 / 1914–1932, Sp. 27–29. 8 9

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I die Handlung dessen, der ein Amt, eine Würde niederlegt, II die Handlung, durch welche jemand aus einem Amte oder Dienste entlassen wird.

Dabei bleibt auch hier die Wortgeschichte von „Abdankung“ ungeklärt, und der eigenartige Gegensatz des aktiven „Abdankens“ der Ziffer I zum passiven „abgedankt Werden“ der Ziffer II bleibt unerörtert und hätte eigentlich einer Erläuterung bedurft. Es mag Sache der Philologen bleiben, hier Klarheit zu schaffen und uns zu sagen, welche der beiden Wortbedeutungen die ältere war und wie es zu dieser eigenartigen Doppelsinnigkeit des Wortes gekommen ist. Bereits jetzt aber sei Zweifel an der Reihenfolge des Deutschen Rechtswörterbuches angemeldet. Wenn das Wort „Abdankung“ auch dem Laien den Sinn von „dankbarem Gedenken an die Dienste des Abgedankten“ geradezu aufdrängt, so fragt sich doch, was aus diesem Dank und Gedenken wurde und ob davon überhaupt noch die Rede hat sein können, wenn ein Monarch sein Amt niederlegte. Trotz seiner offensichtlichen etymologischen Fehldeutung muss man Adelungs Gleichung von „Abdankung“ und „abdicatio“ zustimmen.12 Das ist jedenfalls der Fall, soweit es die hier zu erörternde Abdankung von Monarchen betrifft, obwohl die beiden Worte einander in ihrem sprachlichen Gehalt nicht decken. Während in der deutschen Abdankung das Gedenken an geleistete Dienste selbst dem Laienverstand niemals verloren gegangen ist, geht es in der lateinischen Entsprechung um ein reines Sprachereignis: das Verneinen eines gegebenen Sachverhalts durch, vermutlich formgebundene, Rede. Lorenz Diefenbach übersetzt „abdicare“, das verbum intensivum von abdicere, in seinem „Glossarium Latino-Germanicum“13 unter anderen durch „absagen, aufsagen, widersagen, versagen, abschlagen, abziehen, abnehmen, verwerfen, mindern, trennen, verleugnen, weigern“. Als lateinische Entsprechungen zu „abdicare“ nennt er „ab- und renuntiare“ sowie „negare“. So vielfältig die Grundbedeutung von „abdicatio“ auch immer sein mag, so beliebig das Wort auf alle möglichen Sachverhalte angewandt werden kann, so deutlich schälen sich doch verfestigte Bedeutungskerne heraus. Deren ältester dürfte der familienrechtliche sein: die Verabschiedung eines Sohnes durch den pater familias aus dem Familienverband. Im deutschen Recht „Abschichtung“ 14 genannt, handelt es sich um 12 Janssen, Laurens Franciscus, ABDICATIO, Nieuwe Onderzoekingen over de dictatuur, Utrecht 1960; Gizewski, Christian, Art. „Abdicatio“, in: Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, 1 / 1996, Sp. 13; Krafft, C., Art. „Abdicatio“, in: Paulys Realenzyklopädie der classischen Altertumswissenschaft, 1 / 1839, S. 5; Thesaurus Linguae Latinae, 1 / 1900, Sp. 53 ff. 13 Diefenbach, Lorenz, Glossarium-Latino Germanicum mediae et infimae aetatis, Frankfurt 1857, S. 2. 14 Ogris, Werner, Art. „Abschichtung“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1 / 1971, Sp. 13–17. Die Abdankung – eine begriffsgeschichtliche Einleitung  

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den vom Vater vollzogenen Abbruch sämtlicher Rechtsbeziehungen zwischen den beiden Beteiligten, Vater und Sohn. Sie hatte den vollständigen Verlust der Sohnesstellung zur Folge; der Verabschiedete war nicht mehr Sohn, beide waren füreinander Fremde und hatten nichts mehr voneinander zu fordern und miteinander rechtlich zu tun. Nur ergänzend sei vermerkt, dass die Abschichtung kein germanisches Sonderinstitut war. Im Griechischen hat uns das Wort „Apokeryxis“ durch seine Bezugnahme auf den Keryx-Herold sogar den Charakter der abdicatio als eines öffentlichen und formgebundenen Rechtsaktes sprachlich aufbewahrt.15 Daneben steht „abdicatio“ im weitesten Sinne für die Aufgabe eines öffentlichen Amtes. Dabei fand das Wort reflexiv: „sich verabschieden“, aktiv: „jemanden verabschieden“ und absolut: „den Abschied erklären“ Verwendung. In dieser Bedeutung bezeichnete das Wort in Rom nicht etwa eine Staatskatastrophe. Vielmehr fanden Abdikationen regelmäßig bei der durch Zeitablauf bedingten Beendigung von Amtsperioden statt. Die abtretenden Amtsinhaber legten Rechenschaft ab über ihre Geschäftsführung und versicherten eidlich, nicht gegen die Gesetze verstoßen zu haben. Zeitablauf und nicht äußerer Zwang war somit die Normalbedingung der römischen abdicatio. Daneben waren Amtsniederlegungen vor Ablauf der Amtszeit durch den Amtsinhaber zulässig, auch der erwählte, künftige Amtsinhaber konnte von der Wahl zurücktreten, wobei in beiden Fällen offen bleiben mag, ob dies aus eigener Einsicht oder unter mittelbarem Zwang geschah. Insgesamt also fehlte damals dem Wort „abdicatio“ eine eigene und andere Begriffsinhalte ausschließende Bedeutung. „Abdicatio“ konnte auch in Rom wie später im lateinischen Europa nur in bestimmten Fällen den Charakter eines Rechtsbegriffs annehmen. Eben deshalb hatten die damaligen Autoren des Staatsrechts keine Bedenken, statt seiner auch andere Worte zur Bezeichnung des in diesem Kolloquium zu diskutierenden Sachverhalts zu verwenden. Hierher gehören die Worte „resignare“, „renuntiare“ und womöglich „refutare“. Wichtigstes Äquivalent zu „abdicatio“ scheint „resignatio“ zu sein – auch dieses ein aktives Zurückziehen aus einer Rechtsstellung. Der Gegenbegriff zur Inauguration, der Heiligung von Kultpersonal, die Entweihung, Entwidmung und Profanisierung, die „exauguratio“, hat in das Latein des europäischen Staatsrechts dagegen keine Aufnahme gefunden, obwohl der Gedanke einer Entheiligung der von Gottes Gnaden verliehenen monarchischen Gewalt durch die Abdankung des Monarchen nicht allzu fern zu liegen scheint. Dass man auf dieses Wort nicht zurückgegriffen hat, mag seinen Grund darin gehabt haben, dass man damit eine staatsrechtliche Büchse der Pandora geöffnet, die Frage geweckt hätte, ob ein von Gottes Gnaden regierender Herrscher das ihm vom Allerhöchsten übertragene

15 Michael Wurm, Apokeryxis, Abdicatio and Exheredatio (Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte, Bd. 60), München 1972.

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Hans Hattenhauer

Amt überhaupt durch eigenen Willensentschluss aufgeben durfte und was sein Gottesgnadentum im Falle einer Bejahung dieser Frage in Wahrheit noch wert war.

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Die Abdankung – eine begriffsgeschichtliche Einleitung  

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Renuntiatio – resignatio Zum Amtsverzicht in der Kirche des hohen und späten Mittelalters

Thomas Wetzstein Einleitung Dass komplexe Gesellschaften die kniffligeren Fragen ihrer Selbstorganisation an zumeist juristisch gebildete Experten delegieren, davon könnten die mit Kruzifixen, Kopftüchern und Neonazis konfrontierten Karlsruher Verfassungsrichter sicher einiges berichten. Die Wurzeln dieser spezifischen Art der Arbeitsteilung dürften im 12. Jahrhundert anzusiedeln sein, und auch im Falle des Themas dieser Tagung wird der in den Quellen greifbare Diskurs fast ausschließlich von Juristen, genauer gesagt von Kanonisten, bestimmt, die interpretierten und systematisierten, was ihnen die Normen eines immer stärker auf den Papst zurückgehenden Kirchenrechts vorgaben.1 Ihren Ausführungen gilt somit zwangsläufig die Aufmerksamkeit, wenn es darum geht, die wohl älteste zusammenhängende Lehre vom Amtsverzicht darzustellen und die mittelalterliche Resignationspraxis an einigen Beispielen bis hin zum Rücktritt des Papstes zu präsentieren.

1.

Kirchenamt und Amtsverzicht in der Wissenschaft vom Kirchenrecht

Die juristische Grundlegung fängt bereits beim Amtsbegriff als wichtiger gedanklicher Voraussetzung einer theoretischen Beschreibung des Phänomens der resignatio  an. Erst mit Beginn des 13. Jahrhunderts nämlich legten die Kanonisten einen 1

Vgl. zur Bedeutung der Kanonistik als „Leitwissenschaft“ in einem umfassenden Sinne die Ausführungen bei Miethke, Jürgen, Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham. Durchgesehene und korrigierte Studienausgabe, Tübingen 2008, S. 8–20. Zur sozialen Rolle der Juristen, die auf der Ebene der lateinischen Christenheit vorwiegend als Kanonisten anzusprechen sind, sei auch verwiesen auf Wetzstein, Thomas, „Der Jurist. Bemerkungen zu den distinktiven Merkmalen eines mittelalterlichen Gelehrtenstandes“, in: Frank Rexroth (Hrsg.), Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter, Ostfildern 2010, S. 243–296.

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Thomas Wetzstein

ausgearbeiteten Amtsbegriff vor, als dessen Inhaber in erster Linie der Bischof galt. Seine Amtsgewalt wurde unter den Begriffen der potestas iurisdictionis und der potestas ordinis zusammengefasst.2 Parallel dazu bildete das klassische kanonische Recht auch eine ausdifferenzierte Lehre des Amtsverzichts aus. Die Resignation stellte neben der Erledigung eines Kirchenamts durch Tod, durch die Annahme einer weiteren Pfründe oder infolge eines Verbrechens ein vor dem Hintergrund des spätmittelalterlichen Benefizienwesens – vor allem des berüchtigten Pfründenschachers des späteren Mittelalters – quantitativ bedeutender Grund für die Neubesetzung eines Kirchenamts dar, wobei überwiegend Pfründen unterhalb der Bistümer aufgegeben wurden.3 2

3

Heintschel, Donald Edward, The mediaeval concept of an ecclesiastical office. An analytical study of the concept of an ecclesiastical office in the major sources and printed commentaries from 1140–1300, Washington 1956, hier bes. S. 99. Parallele Entwicklungen in den Debatten der Theologen, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts in der Amtsgewalt des Bischofs potestas und auctoritas sowie ordo und iurisdictio unterschieden, finden sich nachgezeichnet bei Hödl, Ludwig, „Das scholastische Verständnis von Kirchenamt und Kirchengewalt unter dem frühen Einfluss der aristotelischen Philosophie (Per actus cognoscuntur potentiae)“, in: Scholastik, 36 / 1961, S. 1–22. hier bes. S. 21–22. Die ersten Versuche der Dekretistik, den Charakter des Kirchenamts systematisch zu erfassen, behandelt umfassend Benson, Robert L., The bishop-elect. A study in medieval ecclesiastical office, Princeton, N.J. 1968. Im 13. Jahrhundert fassten die Kanonisten die Ausübung von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Zwangsgewalt als sichtbaren Ausfluss der kirchlichen Amtsgewalt auf. Der 1266 verstorbene Bernhard von Parma, der mit seiner „Glossa ordinaria“ zum „Liber Extra“ wenn nicht zu den bedeutendsten, durch die Verbreitung der glossierten Handschriften dieser Rechtssammlung aber mit Sicherheit zu den einflussreichsten Kanonisten des Mittelalters zu zählen ist, machte die in späterer Zeit allgemein akzeptierte Unterscheidung von Jurisdiktions- und Weihegewalt des Bischofs weithin bekannt. Während der Bischof die Jurisdiktionsgewalt allerdings mit der Bestätigung seiner Wahl erwerbe, werde ihm die Weihegewalt mit der Konsekration übertragen; gl. ad X 1.6.15 s.v. „de talibus“, Decretales cum summariis suis, Venetiis 1496, f.22ra (vgl. auch Heintschel, Donald Edward, The mediaeval concept, 1956, S. 77): […] iudicare, excommunicare, corrigere, iuramenta recipere a vasallis, confirmare, inuestire, beneficia conferre et consimilia, que consistunt in iurisdictione […], in confirmatione consequitur electus, ea vero, que sunt ordinis, sicut et clericos ordinare, crisma conficere, depositio clericorum, benedicere virgines et ecclesias et altaria consecrare et similia, conferuntur in consecratione episcopali. Die Unterscheidung findet sich etwa wieder im ebenfalls äußerst einflussreichen Kommentar Innozenz’ IV., den dieser als Papst zwischen seiner Thronbesteigung 1243 und seinem Tod 1254 verfasste (vgl. die Nachweise bei Heintschel, Donald Edward, The mediaeval concept, 1956, S. 88). Die Zitierweise der Quellen des kanonischen Rechts folgt hier und im Folgenden der heute üblichen Form, wie sie etwa näher erläutert ist bei Brundage, James A., Medieval canon law, London / New York 1995, S. 190–205 (“modern form“). An einführender Literatur wäre zunächst auf die einschlägige Handbuchliteratur zu verweisen, etwa Hinschius, Paul, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland. Bd. 3, Berlin 1883, S. 265–285; Sägmüller, Johannes Baptist, Lehrbuch des kaRenuntiatio – resignatio  

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Schon das weit verbreitete Lehrbuch des Bologneser Rechtslehrers Gratian, dessen erste Fassung seit den bahnbrechenden Forschungen Anders Winroths in die 1120er Jahre zu datieren ist, enthielt bereits Normen, die das Thema der Tagung betreffen.4

4

tholischen Kirchenrechts, Einleitung, Kirche und Kirchenpolitik, Quellen des Kirchenrechts, Verfassung der Kirche, Bd. 1, Freiburg i.Br. 1914, S. 378–384; Plöchl, Willibald M., Geschichte des Kirchenrechts, Das Kirchenrecht der abendländischen Christenheit 1055–1517, Bd. 2, Wien / München 1962, S. 204–206. Darüber hinaus liegt eine monographische Behandlung unseres Themas vor bei McDevitt, Gerald V., The renunciation of an ecclesiastical office. A historical synopsis and commentary, Washington 1946, hier vor allem S. 11–59. Umfassend und quellengesättigt wird die Lehre vom kirchlichen Amtsverzicht von den Anfängen der Kirche bis in die nachtridentinische Zeit dargestellt durch Caron, Pier Giovanni, La rinuncia all’ufficio ecclesiastico nella storia del diritto canonico dalla età apostolica alla riforma cattolica, Milano 1946 (für den hier in Rede stehenden Zeitraum besonders S. 131–320); hilfreich ist auch die systematische Darstellung der kirchlichen Lehre vom Amtsverzicht bei Gillmann, Franz, „Die Resignation der Benefizien“, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, 80 / 1900, S. 50–79, 346–378, 523–569, 665–708, 81 / 1901, S. 223–242, 433–460. Das spätmittelalterliche Pfründenwesen ist in jüngerer Zeit mehrfach Gegenstand materialreicher Detailstudien gewesen, vgl. etwa Meyer, Andreas, Zürich und Rom. Ordentliche Kollatur und päpstliche Provisionen am Frau- und Grossmünster 1316–1523, Tübingen 1986, hier bes. S. 25–60, sowie Hotz, Brigitte, Päpstliche Stellenvergabe am Konstanzer Domkapitel. Die avignonesische Periode (1316–1378) und die Domherrengemeinschaft beim Übergang zum Schisma (1378), Sigmaringen 2005, bes. S. 41–70. Dabei scheint es, als sei das Forschungspotential des stetig fortschreitenden und eng mit dem Benefizienwesen verknüpften „Repertorium Germanicum“ für die Geschichte des spätmittelalterlichen Reichs bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Einen Eindruck von den Auswertungsmöglichkeiten bietet die Studie von Von Boeselager, Elke Freifrau, Fiat ut petitur. Päpstliche Kurie und deutsche Benefizien im 15. Jahrhundert, Düsseldorf 1999. Für die im Reich gelegenen und an der Kurie vergebenen Benefizien ergibt sich für das 15. Jahrhundert der zweifelsfreie Befund, dass nach dem Tod des Inhabers der am häufigsten der Kurie angegebene Grund für die Vakanz einer Pfründe eine resignatio darstellt (vgl. neben den Ausführungen ebd., S. 314–315, die Tabellen (dazu das Verzeichnis, S. 735–739) 30, 31, 47, 48, 57, 58, 65, 66, 72, 78, 83, 92, 94, 98, 104, 110, 113, 115, und 119 sowie die Diagramme (vgl. dazu das Verzeichnis, S. 740) 8, 12, 14, 19, 22. Zur Neudatierung ist auf das epochale Werk Winroth, Anders, The making of Gratian’s Decretum, Cambridge u.a. 2000, zu verweisen. Das Dekret enthielt in nuce an unterschiedlichen Stellen (insbesondere in Causa 7 der Secunda Pars, darüber hinaus in C.17 q.2 und C.21 q.2) „la prima enunciazione completa e unitaria di principii relativa [!] ai varii requisiti della rinuncia“ (Caron, Pier Giovanni, La rinuncia all’ufficio ecclesiastico, 1946, S. 132; das Folgende findet sich mit den entsprechenden Verweisen dargestellt ebd., S. 133–142). So führt Gratian bereits die Notwendigkeit einer Annahme der Resignation durch den kompetenten kirchlichen Oberen (C.6 q.3 c.3) an, die sich bis auf Gregor den Großen zurückführen lässt, und die Forderung einer causa iusta (etwa senectus oder infirmitas, Klostereintritt oder die malitia plebis), die aus dem Nutzen der Resignation für die Gesamtkirche (necessitas vel utilitas Ecclesiae) abgeleitet wird. Für eine gültige Resignation werden darüber hinaus schon bei Gratian die Verfügung über das Amt als Fähigkeit zum Verzicht, die Rückführung auf eine freie Willensentscheidung und die

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Der weitaus gewichtigere Teil des kirchlichen Resignationsrechts gehört in die Zeit des Dekretalenrechts und damit in jene entscheidende Phase der kirchlichen Rechtsfortbildung, in welcher die Päpste ihre Rolle als iudex supremus voll ausschöpften und, vor allem seit dem Pontifikat Alexanders III. (1159–1181), mit ihren als litterae decretales versandten Einzelfallentscheidungen die Hauptquelle des Kirchenrechts darstellten.5 Diese vor allem in der kirchlichen Rechtsprechung bald in ihrer allgemeinen Bedeutung anerkannten letztrichterlichen Entscheidungen konnten ihre universale Wirkung nicht zuletzt durch die entstehenden mittelalterlichen Universitäten entfalten, wo sie gegen Ende des 12. Jahrhunderts in der Form systematischer Sammlungen zirkulierten. Bald bemächtigten sich die Päpste selbst dieses besonderen Mediums des Rechtsunterrichts und versahen einzelne Sammlungen mit ihrer Autorität, bis schließlich Gregor IX. den in seinem Auftrag kompilierten „Liber Extra“ im Jahre 1234 an die Universitäten von Paris und Bologna sandte und verfügte, in Zukunft sei der Gebrauch aller anderen Sammlungen vor den kirchlichen Gerichten und an den Universitäten untersagt.6 Der Erfolg dieses Unternehmens ist für ein Rechtsbuch des Mittelalters beispiellos: 675 Handschriften, verstreut über alle Teile der lateinischen

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Ausdrücklichkeit des Verzichts gefordert. Einschränkungen dieser Grundsätze lässt allerdings auch Gratian gelten, etwa durch die Zulässigkeit stillschweigender Resignationen unter besonderen Umständen oder die Möglichkeit, bei offensichtlicher Unfähigkeit einen Amtsinhaber zur Resignation zu drängen. Bemerkenswert scheint angesichts der späteren Entwicklung der Umstand zu sein, dass Gratian eine renuntiatio in favorem tertii ablehnt, weil dies zu dem kirchlichen Grundsatz in Widerspruch stehe, dass ein Amtsinhaber der freien Wahl Gottes durch die Benennung eines Nachfolgers nicht vorgreifen darf. Es ist angesichts der Fülle der bei Gratian angesprochenen Themen wohl nicht ganz zutreffend, ihm die Behandlung der Resignationen ganz abzusprechen (so jedoch Pennington, Kenneth, Pope and bishops. The papal monarchy in the twelfth and thirteenth centuries, [Philadelphia] 1984, S. 101). Zur Charakterisierung dieses Vorgangs wäre etwa zu verweisen auf Landau, Peter, „Rechtsfortbildung im Dekretalenrecht. Typen und Funktionen der Dekretalen des 12. Jahrhunderts“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung, 86 / 2000, S. 86– 131 (mit weiterer Literatur). Ergänzende Hinweise finden sich bei Erdö, Péter, Die Quellen des Kirchenrechts, Frankfurt / Main 2002, S. 114–124. Vgl. zu Charakter und Textgeschichte des „Liber Extra“ Bertram, Martin, „Die Dekretalen Gregors IX.: Kompilation oder Kodifikation?“, in: Carlo Longo (Hrsg.) Magister Raimundus. Atti del Convegno per il IV Centenario della Canonizzazione di San Raimondo de Penyafort (1601–2001), Roma 2002, S.  61–86, sowie Wetzstein, Thomas, „Resecatis superfluis? Raimund von Peñafort und der Liber Extra“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung, 92 / 2006, S. 355–391. Den Ausschließlichkeitsanspruch hatte Gregor IX. in der Promulgationsbulle „Rex pacificus“ mit folgenden Worten festgelegt (Friedberg, Aemilius (Hrsg.), Corpus Iuris Canonici, pars secunda: Decretalium collectiones, Leipzig 1881 (ND Graz 1959), Sp. 3–4): Volentes igitur, ut hac tantum compilatione universi utantur in iudiciis et in scholis, disctrictius prohibemus, ne quis praesumat aliam facere absque auctoritate sedis apostolicae speciali.  Renuntiatio – resignatio  

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Christenheit, sind noch heute bekannt.7 Bonifaz VIII. wiederholte dieses Verfahren im Jahre 1298, als er mit der Promulgation des „Liber Sextus“ vor allem seine eigene Gesetzgebung erfolgreich in Umlauf brachte.8 Schon gegen Ende des 12. Jahrhunderts stand mit der „Compilatio Prima“ ein Lehrbuch zur Verfügung, das unter dem Titel „De renuntiatione“ jene vier Dekretalen enthielt, die in freilich bescheidenem Umfang die kirchliche Lehre des Amtsverzichts zusammenfassten. Vier Jahrzehnte später, im „Liber Extra“, umfasste dieser Titel 15 Dekretalen und stellte in Verbindung mit andernorts eingefügten Dekretalen des „Liber Extra“ und den Normen des „Decretum Gratiani“ die Resignationstheorie bereits umfassend dar.9 7

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Bertram, Martin, Signaturenliste der Handschriften der Dekretalen Gregors IX. (Liber Extra), Rom 2005. Jürgen Miethke hat mehrfach auf das dialektische Verhältnis zwischen gesellschaftlicher Rolle der Kanonisten und der überlieferungsgeschichtlichen Sonderstellung ihrer Grundtexte verwiesen, etwa Miethke, Jürgen, „Kanonistik, Ekklesiologie und politische Theorie: Die Rolle des Kirchenrechts in der politischen Theorie des Mittelalters“, in: Peter Landau / Joerg Mueller (Hrsg.), Proceedings of the Ninth International Congress of Medieval Canon Law. Munich, 13–18 July 1992, Città del Vaticano 1997, S. 1023–1051, hier: S. 1033, zuletzt nachdrücklich auch Miethke, Jürgen, Politiktheorie im Mittelalter, 2008, S. 18–19. Zum Charakter des „Liber Sextus“ sei verwiesen auf Erdö, Péter, Die Quellen des Kirchenrechts, 2002, S. 126–128. In der an verschiedene Universitäten (vgl. dazu die Varianten bei Friedberg, Aemilius [Hrsg.], Corpus Iuris Canonici. Pars secunda, 1881, Sp. 933–934, Anm. 1) gerichteten Promulgationsbulle „Sacrosanctae Romanae ecclesiae“ heißt es in Anlehnung an die vergleichbaren Urkunden der Vorgänger (ebd., Sp. 935–936): Universitati vestrae igitur per apostolica scripta mandamus, quatenus librum huiusmodi cum multa maturitate digestum, quam sub bulla nostra vobis transmittimus, prompto suscipientes affectu, eo utamini de cetero in iudiciis et in scholis […]. Das später als „Compilatio Prima“ bezeichnete „Breviarium Extravagantium“, das Bernhardus Balbi zwischen 1187 und 1192 zusammengestellt hatte und das als erste für den Unterricht bedeutende systematische Dekretalensammlung gilt, kannte einen Titel „De renuntiatione“ (1 Comp. 1.5). Deren vier Kapitel wurden mit Ausnahme eines einzigen später von Raimund von Peñafort in den „Liber Extra“ übernommen; vgl. dazu die Aufstellung bei Friedberg, Emil (Hrsg.), Quinque compilationes antiquae nec non collectio canonum Lipsiensis […], Leipzig 1882, S. VII. Die 1209 von Petrus von Benevent im Auftrag Innozenz’ III. zusammengestellte erste vom Papst approbierte und damit als authentisch geltende Sammlung („Compilatio Tertia“) enthielt, ebenfalls unter dem Titel „De renuntiatione“ (3 Comp. 1.8), fünf Kapitel, von denen Raimund nur vier übernahm (ibid., S. XXIV). Die zwischen 1210 und 1215 von Johannes von Wales als Privatsammlung kompilierte „Compilatio secunda“ behielt den Titel bei und fasste darunter vier Kapitel zusammen, die erneut mit Ausnahme eines Kapitels Eingang in die Sammlung des Raimund fanden (2 Comp. 1.5; vgl. ebd. S. XXVII). Die „Compilatio Quarta“ des Johannes Teutonicus von 1216 steuerte nur ein einziges Kapitel zu dem Titel bei, den Raimund auch übernahm (4 Comp. 1.5; vgl. ibid, S. XXXIII). Die 1226 von Papst Honorius III. an Tankred von Bologna zur Verwendung im Rechtsunterricht und in der Rechtsprechung versandte „Compilatio Quinta“ von 1226, die damit wie die „Compi-

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Der Verzicht auf ein rechtskräftig verliehenes Kirchenamt, der nicht nur als resignatio, sondern ebenso als renuntiatio oder gelegentlich auch als cessio bezeichnet wurde, war, sollte er auch rechtskräftig sein, an eine Vielzahl von Bedingungen gebunden:10 Ein eigenmächtiges Aufgeben des Kirchenamts hatten bereits die Syno­ den der Spätantike untersagt.11 Daher forderte das Kirchenrecht die Zustimmung des zuständigen Oberen zum Amtsverzicht, und den entsprechenden Bestimmungen widmeten die Kanonisten große Aufmerksamkeit.12 Dass bei Angehörigen des niederen Klerus der jeweilige Bischof den Verzicht entgegenzunehmen hatte, vermag einzuleuchten – denn ohne Frage erhielt etwa ein Pfarrer die cura animarum mitsamt dem Pfarrbenefizium aus der Hand des Bischofs oder gar des Papstes. Schon beim Amtsverzicht der Bischöfe lagen die Dinge etwas komplizierter: Wem war der Bischof, dessen Amt ja nicht in gleicher Weise als verliehen galt wie das des Priesters, untergeordnet? Hinzu kam die bis in die Spätantike zurückreichende Deutung des Bischofsamts als eigentlich unauflösliches matrimonium spirituale zwischen dem Bischof und seiner Kirche, das besonders während des 12. Jahrhundert zu einem Gemeinplatz in der Charakterisierung des Bischofsamtes wurde.13

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latio Tertia“ als authentisch galt, fügte ihrerseits drei Kapitel zu diesem Titel hinzu. Alle drei wurden von Raimund 1234 in den „Liber Extra“ übernommen (ebd. S. XXXIV). Raimund von Peñafort entnahm somit 13 der insgesamt 15 Kapitel des Titels „De renuntiatione“ im „Liber Extra“ (X 1.9) den entsprechenden Titeln der Vorgängersammlungen, während die fehlenden 2 Kapitel aus anderen Titeln stammen (so X 1.9.4 aus 1 Comp. 3.22.4 und damit aus dem Titel „De testibus“; X 1.9.7 aus 1 Comp. 1.15.un. und damit aus dem Titel „De maioritate et oboedientia“). Eine zusammenfassende Darstellung der Normen des „Liber Extra“ zum Resignationsrecht bietet Caron, Pier Giovanni, La rinuncia all’ufficio ecclesiastico, 1946, S. 167–188. Vgl. zur mittelalterlichen Terminologie des kirchlichen Amtsverzichts die Ausführungen unten Fn. 20. C.20 q.3 c.3 = Conc. chalcedon. (451) c.7 (mit den bei Alberigo, Giuseppe [Hrsg.], Conciliorum oecumenicorum decreta, Bologna 1973, S. 90, angegebenen Vorgängerkanones). Vgl. auch die Angaben bei Hinschius, Paul, System des katholischen Kirchenrechts, Bd. 3, 1883, S. 265 mit Fn. 7 und 8. Vgl. McDevitt, Gerald V., The renunciation of an ecclesiastical office, 1946, S. 13–20. X 1.7.2 und 4 (hier vorwiegend auf die Translation bezogen). Weitere Belege bei Benson, Robert L., The bishop-elect, 1968, S. 121–128 (bes. S. 122 Fn. 14) sowie Scholz, Sebastian Transmigration und Translation. Studien zum Bistumswechsel der Bischöfe von der Spätantike bis zum Hohen Mittelalter, Köln / Weimar / Wien 1992, passim, und dem entsprechenden Exkurs bei Eastman, John R., Papal abdication in later medieval thought, Lewiston / Queenstown / Lampeter 1990, S. 95–102. Die einschlägigen Normen des „Liber Extra“ sind dargestellt bei Caron, Pier Giovanni, La rinuncia all’ufficio ecclesiastico, 1946, S. 184–185. Der resignierte Bischof behielt in aller Regel weiterhin die bischöfliche Würde und verzichtete nur auf die Verwaltung seiner Diözese; Gillmann, Franz, „Die Resignation der Benefizien“, 1900, S. 680. Renuntiatio – resignatio  

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Das ältere Kirchenrecht knüpfte daher die Rechtskraft eines Amtsverzichts beim Bischof an die Genehmigung der Provinzialsynode.14 Geradezu lehrbuchartig spiegelt die weitere Entwicklung den mit dem Reformpapsttum einsetzenden Umbau der Kirchenverfassung, denn nun trat für die Prälaten der Papst an die Stelle der Synode, während niedere Kleriker zur Gültigkeit ihres Amtsverzichts nach wie vor der Genehmigung des Ortsbischofs bedurften.15 Die alleinige Zuständigkeit des Papstes und nicht etwa des Metropoliten für alle bischöflichen Resignationen unterstrich der bereits genannte Alexander III., der als erster der großen „Juristenpäpste“ des Mittelalters festlegte, ein Erzbischof sei nicht befugt, die Resignation eines seiner Suffraganbischöfe ohne die Bevollmächtigung des Heiligen Stuhles anzunehmen.16 Außer an die Zustimmung des kompetenten Oberen knüpfte das Dekretalenrecht den Bestand einer Verzichtserklärung an das Vorliegen eines Grundes. Innozenz III. erläuterte in einem umfangreichen Schreiben an Bischof Riccus von Cagliari (1198–1217) unter anderem die Gründe, aus denen ein Bischof beim Papst die Erlaubnis erfragen konnte, sein Amt niederzulegen.17 An erster Stelle nennt Innozenz

14 C.7 q.1 c.13 und 14 (Gregor I., ao. 597). 15 Vgl. zu diesem Vorgang die Bemerkungen bei Pennington, Kenneth, Pope and bishops, 1984, S.101–114. Die Normen, welche eine Pflicht der Bischöfe zur Resignation gegenüber dem Papst betrafen oder implizit forderten, sind X 1.9.1, 9, 10 und 15. Die Dekretale X 1.9.4 bezieht sich auf die Pflicht eines Klerikers zur Resignation in die Hände des Bischofs. Einen analogen Fall stellt die Entwicklung des Kanonisationsverfahrens dar: Auch dort geriet die Beteiligung einer Synode während des 12. Jahrhunderts zunehmend außer Übung, so dass bald allein der Papst, freilich beraten vom Kardinalskollegium, über die Vornahme einer Kanonisation entschied (vgl. dazu Wetzstein, Thomas, Heilige vor Gericht. Das Kanonisationsverfahren im europäischen Spätmittelalter, Köln / Weimar / Wien 2004, S. 219) und darüber nicht mehr, wie vorher üblich, ein Synodaldekret, sondern päpstliche litterae ausgestellt wurden (dazu umfassend Krafft, Otfried, Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch, Köln / Weimar / Wien 2005, hier bes. S. 1036). 16 Vgl. dazu die Belege bei Hinschius, Paul, System des katholischen Kirchenrechts, Bd. 3, 1883, S. 268, Fn. 1. Ebd., Fn. 3, nennt Hinschius zahlreiche Belege aus dem Pontifikat Innozenz’ III. für die „Ausdehnung der päpstlichen Verfügungsgewalt über die höheren Benefizien“. 17 […] haec sunt illa, per quae cedendi episcopus licentiam potest postulare: conscientia criminis, debilitas corporis, defectus scientiae, malitia plebis, grave scandalum, irregularitasque personae (X 1.9,10, Friedberg, Aemilius [Hrsg.], Corpus Iuris Canonici. Pars secunda, 1881, Sp. 108, unter Auslassung der partes decisae). Vgl. auch die Analyse der Dekretale bei Caron, Pier Giovanni, La rinuncia all’ufficio ecclesiastico, 1946, S. 176–180. Ein späterer Merkvers, der dem Lehrbetrieb entstammte und bald als „Summarium“ vor die entsprechende Rechtsnorm gestellt wurde, fasste die möglichen Gründe knapp zusammen: Debilis, ignarus, male conscius, irregularis, quem mala plebs odit, dans scandala cedere possit (X 1.9.10, Summarium; Friedberg, Aemilius [Hrsg.] Corpus Iuris Canonici. Pars secunda, 1881, Sp. 107).

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ein schweres Delikt, das die infamia iuris nach sich ziehen könne.18 Als möglicher Grund eines Rücktrittsgesuchs gilt ihm auch eine mangelhafte körperliche Konstitution, die alters- oder krankheitsbedingt sein mag (debilitas corporis). Falls sich ein Bischof den Aufgaben seines Amtes aufgrund allzu großer Bildungslücken (defectus scientiae) nicht gewachsen sieht, gesteht ihm Innozenz III. ebenfalls ein Rücktrittsgesuch zu. Zudem rechtfertige die beharrliche Ablehnung des Bischofs durch die ihm anvertraute Kirche (malitia plebis) die Resignation, wie auch die Gefahr eines scandalum beim Verbleib im Amt oder die Irregularität einen Amtsverzicht begründen könnten. Der Verzicht hatte nicht nur begründet zu sein, er musste auch, wie mehrere Dekretalen unterstreichen, in voller Willensfreiheit des voll zurechnungsfähigen Resignierenden erfolgen. Resignationen unter Zwang und Furcht (metus) waren ebenso ungültig bzw. widerruflich wie jene, bei denen Geld im Spiel war und die daher als simonistisch galten.19 Weitere Einschränkungen traten hinzu, etwa die so genannte resignatio in favorem tertii, also der Verzicht auf eine Pfründe zugunsten eines Dritten. Die Resignation zugunsten Dritter war eigentlich untersagt – ein Verbot, das die Päpste allerdings selbst durch eine so großzügige Dispenspraxis unterliefen, dass im Kurialstil des 14. Jahrhunderts der Ausdruck resignatio zumeist genau jenen Verzicht zugunsten eines Dritten bezeichnete.20 18 Zum Infamiebegriff sei verwiesen auf die umfassende Studie von Landau, Peter, Die Entstehung des kanonischen Infamiebegriffs von Gratian bis zur Glossa Ordinaria, Köln / Graz 1966. 19 X 1.9.5; auch X 1.40.2, 3, 4, 6; Clem. 5.8.2. Vgl. zur Zurechnungsfähigkeit und Mündigkeit die Angaben bei McDevitt, Gerald V., The renunciation of an ecclesiastical office, 1946, S.  11–12, zur Freiwilligkeit ebd., S.  22–25 (dort auch eine differenzierte Darstellung der Rechtsentwicklung bezüglich der Wirkungen einer unter Zwang erfolgten Resignation, die zwischen Ungültigkeit und Widerrufbarkeit schwankten). Zur Ungültigkeit simonistischer Resignationen nach X 4.1.35 und X 1.35.8 ebd., S. 25–26. Weitere Ausführungen zur Freiwilligkeit bietet Caron, Pier Giovanni, La rinuncia all’ufficio ecclesiastico, 1946, S. 170–172. 20 X 1.17.7, 10, 11, 13; X 3.38.6, 15. Vgl. dazu die Angaben bei Hinschius, Paul, System des katholischen Kirchenrechts, Bd. 3, 1883, S. 278 mit Fn. 2, der darauf hinweist, dass das Dekretalenrecht bis nach 1298 noch nichts von einer resignatio in favorem tertii weiß. Auch Caron zeigt, dass in der Kanonistik des 13. Jahrhunderts renuntiatio und resignatio noch synonymisch verwendet wurden. Erst die kuriale Praxis späterer Jahrhunderte reservierte resignatio für den Pfründenverzicht zugunsten eines Dritten (resignatio in favorem tertii), während renuntiatio den einfachen Verzicht auf ein Kirchenamt bezeichnete (Caron, Pier Giovanni, La rinuncia all’ufficio ecclesiastico, 1946, S. 168–169). Es ist auffallend, dass Albericus de Rosate in seiner um die Mitte des 14. Jahrhunderts zu datierenden Rechtsenzyklopädie seine umfangreichen Ausführungen zu dem Thema dieser Tagung allein unter renuntiatio eingeordnet hat, während sich unter resignatio lediglich drei äußerst knappe und wenig aussagekräftige Einträge finden, die überdies keinen Zusammenhang zur ausgearbeiteten kanonistischen Lehre erkennen lassen (Albericus de Rosate, Dictionarium iuris tam civilis quam canonici, Venetiis 1581, ohne Foliierung oder Paginierung). Gleiches gilt für das in die zweite Hälfte des Renuntiatio – resignatio  

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2. Die Praxis der Resignation bei den Bischöfen der mittelalterlichen Kirche Während die normative Seite der bischöflichen Resignationen im Grunde seit der Zeit ihrer intensivsten legislativen Durchbildung im 12. und 13. Jahrhundert eifrig kommentiert, in der späteren Kanonistik auch monographisch dargestellt und von der kirchlichen Rechtsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts umfassend untersucht wurde, wissen wir über die Praxis des bischöflichen Amtsverzichts weitaus weniger. Möglicherweise galt sie einer älteren, vom mittelalterlichen Papsttum in den Bann gezogenen Forschung als weniger ergiebig als die Amtsenthebungen durch den Pontifex, die erst vor wenigen Jahren für die Reichskirche zusammenfassend für einen großen Teil des 12. Jahrhunderts untersucht wurden.21 Immerhin hat der Leipziger Mediävist Enno Bünz im Rahmen eines im vergangenen Jahr erschienen Aufsatzes eine „umfangreichere Untersuchung über Bischofsresignationen des Hoch- und Spätmittelalters in der deutschen Reichskirche“ im Rahmen seiner Studie zur 1228 erfolgten Resignation des Meißener Bischofs Bruno von Porstendorf angekündigt.22 Die universale Dimension des mittelalterlichen Kirchenrechts, die sich schon angesichts der erwähnten Zahl und Verbreitung der noch erhaltenen Handschriften des „Liber Extra“ keineswegs als pures Postulat eines von Größenwahn gekennzeichneten Papsttums erweist, riefe eigentlich zu einer Studie europäischen Zuschnitts auf. Eine solche Untersuchung ließe etwa erkennen, in welchem Umfang der zunehmend homogen an den hohen Schulen und Universitäten des Mittelalters sozialisierte Episkopat der lateinischen Kirche auch in seinem Abtreten über individuelle Ausprägungen hinaus von einer kollektiven Mentalität geprägt war, die nicht nur über die Beachtung oder Missachtung kirchenrechtlicher Normen, sondern auch über das Ritual 15. Jahrhunderts zu datierende „Repertorium Iuris“ des Johannes Bertachinus, in welchem ein Lemma „resignatio“ überhaupt nicht vorkommt (Bertachinus, Johannes, Repertorium iuris utriusque, 3 Bde., Lugdunum 1499, f. 144ra–150rb). 21 Meyer-Gebel, Marlene, Bischofsabsetzungen in der deutschen Reichskirche vom Wormser Konkordat (1122) bis zum Ausbruch des Alexandrischen Schismas (1159), Siegburg 1992. Die Verfasserin weist darauf hin, dass angesichts des erheblichen Drucks, der auch nach der Zeit des Wormser Konkordats auf die beschuldigten Prälaten ausgeübt wurde, die Grenzen zwischen Absetzung und Rücktritt eines Bischofs fließend sind (ebd., S. 3). In ihrem zusammenfassenden Überblick erwähnt sie gleich fünf Fälle, in denen Bischöfe ihrer Deposition durch eine Resignation zuvorkamen (ebd., S. 285). Vergleichbare Beispiele aus der Hochphase der Kirchenreform nennt Schieffer, Rudolf, „Spirituales latrones. Zu den Hintergründen der Simonieprozesse in Deutschland zwischen 1069 und 1075“, in: Historisches Jahrbuch, 92 / 1972, S. 19–60. 22 Bünz, Enno, „Der Meißner Bischof Bruno von Porstendorf (1209 / 10–1228). Herkunft – Aufstieg – Rücktritt – Pensionierung“, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte, 77 / 2006, S. 1–36, hier: S. 2 Fn. 5.

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der resignatio oder die nicht selten angegebenen Gründe des Rücktritts erschließbar wäre und wichtige Einblicke in das Amtsverständnis der europäischen Vormoderne ermöglichte.23 Bislang sind jedoch derart ehrgeizige Vorhaben allein in Ansätzen erkennbar, und zumeist sind die näheren Umstände einzelner Resignationen gänzlich unbekannt.24 Eines aber offenbart bereits eine stichprobenartige Auswertung von Eubels Verzeichnis der Bischöfe:25 Von 146 Neubesetzungen eines Bistumsstuhls in den mehr oder weniger zufällig ausgewählten Bistümern Brixen, Halberstadt, Gurk, Mainz, Köln, Konstanz, Speyer und Worms gingen zwischen 1196 und 1430 neun, mithin 6,2

23 Eine solche Untersuchung könnte zunächst von einer Erhebung auf der Grundlage der Bischoflisten ausgehen – hier vor allem Eubel, Conradus, Hierarchia catholica medii aevi sive summorum pontificum, s.r.e. cardinalium, ecclesiarum antistitum series, Ab anno 1198 usque ad annum 1431 perducta, Bd. 1, Monasterii 1913, wo der Grund der Einsetzung eines neuen Bischofs fast regelmäßig angegeben ist. Enno Bünz weist auf einen weiteren Aspekt hin, der ebenfalls von großer Bedeutung für die Geschichte von „Herrschaftspraxis und Konfliktbewältigung“ sei: die Versorgung der resignierten Bischöfe mit Pensionen, deren Regelung „Einblicke in den Alltag hoher geistlicher Fürsten“ gewähre (Bünz, Enno, „Der Meißner Bischof Bruno von Porstendorf “, 2006, S. 35; vgl. dazu unten, S. 20). 24 Erste aufzählende Überblicke über bischöfliche Resignationen bieten Gillmann, Franz, „Die Resignation der Benefizien“, 1900, S. 536–537 (für die Pontifikate zwischen Innozenz III. und Klemens V.); Caron, Pier Giovanni, La rinuncia all’ufficio ecclesiastico, 1946, S. 86–89 (Beispiele aus der Zeit zwischen 614 und 968), S. 105–110 (Beispiele aus dem 11. und 12. Jahrhundert), S. 143–156 (Beispiele aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts), S. 188–205 (Beispiele aus dem 13. Jahrhundert), S.  241–253 (Beispiele aus den Pontifikaten Bonifaz’ VIII. und Clemens’ V.) – für die folgende Zeit fehlen dieser Studie vergleichbare Übersichten über die Praxis der Resignation; Ganzer, Klaus, Papsttum und Bistumsbesetzungen in der Zeit von Gregor IX. bis Bonifaz VIII. Ein Beitrag zur Geschichte der päpstlichen Reservationen, Köln / Graz 1968, S. 105–109 (für den Pontifikat Gregors IX.), S. 157–160 (für den Pontifikat Innozenz’ IV), S. 232 (für den Pontifikat Alexanders IV.), S. 250 (für den Pontifikat Urbans IV.), S. 268–269 (für den Pontifikat Clemens’ IV), S. 295 (für den Pontfikat Gregors X.), S. 313 (für den Pontifikat Nikolaus’ III.), S. 328 (für den Pontifikat Martins IV.), S. 351 (für den Pontifikat Nikolaus’ IV.), S. 374 (für den Pontifikat Bonifaz’ VIII.; hier allerdings nennt Ganzer nur einen einzigen Fall einer überdies noch abgelehnten Resignation, während Caron auf anderer Quellengrundlage eine weit größere Anzahl von Fällen aufführt). Eine breit angelegte Untersuchung der Resignationen mittelalterlicher Bischöfe würde künftig dadurch erleichtert, dass der in dem Zusammenhang dieser Tagung ergiebigste erste Band von Eubels „Hierarchia Catholica“ mittlerweile vollständig über die Datenbank „Europa Sacra“ zugänglich und suchbar ist. Hier ergibt die somit auf die Jahre 1198–1431 beschränkte Suche für „res.“ (resignavit) 676 Treffer, von denen die meisten (323) ins 13. Jahrhundert fallen; Europa Sacra (Brepolis Medieval Encyclopaedias), Turnhout 2004. 25 Eubel, Conradus, Hierarchia catholica, Bd. 1, 1913, S.  148,  198,  204–205,  269–270,  270–271, 321–322, 460, 534. Renuntiatio – resignatio  

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Prozent, auf eine resignatio bzw. renuntiatio zurück.26 Resignationen waren somit zumindest im späteren Mittelalter bei weitem kein unbekanntes Phänomen in der mittelalterlichen Kirche. Unter den wenigen den Quellen zu entnehmenden Gründen für die Resignation scheint die Amtsaufgabe propter corporis debilitatem cedentis das häufigste Motiv zu sein, ohne dass zum jetzigen Kenntnisstand freilich mit Sicherheit auszuschließen ist, dass es sich dabei um eine vor allem gegenüber der Kurie gebrauchte Standardformel handelt.27 Nicht selten dürften sich dahinter in Wirklichkeit härteste Auseinandersetzungen im Bistum verborgen haben, die schließlich dem Papst zur Entscheidung vorgelegt wurden.28 Spätestens seit jener während der Mitte der 1970er Jahre zwischen Peter Herde und Ernst Pitz mit größter Heftigkeit ausgetragenen Kontroverse um die „Reskripttechnik“29 der mittelalterlichen Päpste hat sich ganz besonders für das spätere Mittelalter eine deutliche Zurückhaltung unter den Mediävisten eingestellt, der Regelungskompetenz des Papstes in der kurialen Alltagspraxis allzu viel zuzutrauen. Wenn also Innozenz IV. dem Bischof von Fréjus in einer 1251 in Lyon ausgestellten Urkunde aufträgt, dem aufgrund körperlicher Schwäche resignierenden Erzbischof 26 Dieser Wert ist offenbar recht breiten Schwankungen unterworfen. Die zufällig ausgewählten Seiten 396–397 (Bergamo, Perugia, Pedena, Périgueux) und 320–321 (Maguelonne, Magdeburg, Majo, Mainz) bei Eubel, Conradus, Hierarchia catholica, Bd. 1, 1913, führen 110 Besetzungen, aber nur 4 Resignationen (3,6 Prozent) auf. Pennington hat auf der Grundlage von Gams, Pius Bonifacius, Series episcoporum ecclesiae catholicae quotquot innotuerunt a beato Petro apostolo, Ratisbonae, 1873–1886, und mit Beschränkung auf Spanien, England, Deutschland, Frankreich und Italien (mit Sardinien und Korsika) zwischen 1100 und 1198 eine Gesamtzahl von 83 Bischöfen ermittelt, die auf ihr Amt verzichteten. Während des Pontifikats Innozenz’ III. (1198–1216) sei die Zahl der bischöflichen Resignationen mit insgesamt 26 Fällen deutlich angestiegen, da nun statt 10 Resignationen in einem Jahrzehnt (bezogen auf den Zeitraum zwischen 1150 und 1198) 14 Resignationen pro Jahrzehnt zu verzeichnen seien; Pennington, Kenneth, Pope and bishops, 1984, S. 101. 27 Auch die von Ganzer untersuchten Fälle (vgl. oben, Fn. 24) lassen den Schluss zu, physische Unfähigkeit zur Ausübung der Amtspflichten sei mit Abstand der häufigste Grund gewesen, den Bischöfe beim Wunsch angaben, auf ihr Amt zu verzichten; vgl. Ganzer, Klaus, Papsttum und Bistumsbesetzungen, 1968, S. 105. 28 Darauf lassen etwa einige der von Ganzer angeführten Beispiele schließen, so der Fall eines nahezu erblindeten Bischofs, der auf Betreiben seines Metropoliten durch Innozenz IV. zum Rücktritt gedrängt wurde (Ganzer, Klaus, Papsttum und Bistumsbesetzungen, 1968, S. 158). 29 Siehe dazu Herde, Peter, Audientia litterarum contradictarum. Untersuchungen über die päpstlichen Justizbriefe und die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, 2 Teile, Tübingen 1970; Ders, „Zur Audientia litterarum contradictarum und zur ‚Reskripttechnik‘“, in: Archivalische Zeitschrift, 69 / 1973, S. 54–90, passim; Pitz, Ernst, Papstreskript und Kaiserreskript im Mittelalter, Tübingen 1971; Ders., Supplikensignatur und Briefexpedition an der römischen Kurie im Pontifikat Papst Calixts III., Tübingen 1972.

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von Aix und somit niemand geringerem als dessen eigenem Metropoliten den ihm zustehenden Anteil aus den erzbischöflichen Einkünften zuzuweisen und nach der Annahme seiner cessio dem Domkapitel aufzutragen, die Wahl eines neuen Oberhirten durchzuführen, dann mag man vermuten, Raimond Audibert (1223–1251) als Amtsinhaber habe sich der Bürde seines Amtes in der Tat nicht mehr gewachsen gefühlt und den Papst um die Beauftragung eines seiner Suffraganbischöfe mit der Annahme der Resignation und der Anweisung einer Pension gebeten – ebenso ist denkbar, dass die Aufgabe des Amtes keineswegs aus freien Stücken erfolgte, sich der Metropolit physisch durchaus in der Lage gesehen hätte, sein Erzbistum weiter zu führen und die betreffende Urkunde daher auf Dritte, dem amtierenden Bischof feindlich Gesonnene, zurückzuführen ist.30 Die näheren Umstände einer Resignation lassen sich in einem anderen Fall recht gut eruieren: dem schon erwähnten Rücktritt des Meißener Bischofs Bruno von Porstendorf. Hier lässt sich aus der außergewöhnlich guten Überlieferung erschließen, dass es die Mitglieder des Domkapitels selbst waren, die eine Romreise des Metropoliten Erzbischofs Albrecht von Magdeburg dazu nutzten, um bei Papst Gregor IX. ein entsprechendes Schreiben zu erwirken. Der Pontifex beauftragte zwei Prälaten damit, Bischof Bruno aufgrund seines – mit geschätzten 68 Jahren für jene Zeit wohl tatsächlich vorgerückten – Alters zum Rücktritt zu bewegen und das Kapitel mit einer Neuwahl zu betrauen oder, im Weigerungsfall, Bruno einen Koadjutor an die Seite zu stellen, um den bereits durch die zunehmende Inkompetenz des Bischofs entstande30 Berger, Elie, Les registres d’Innocent IV publiés ou analysés d’après les manuscrits originaux du Vatican et de la Bibliothèque Nationale, Bd. 2, Paris 1887, nr. 5142, S. 202: Episcopo Forojuliensi mandat ut Aquensi archiepiscopo, propter corporis debilitatem cedenti, de proventibus archiepiscopalibus portionem congruam assignet, receptaque cessione capitulo injungat ut de pastore sibi provideant. Vgl. dazu auch Eubel, Conradus, Hierarchia catholica, Bd. 1, 1913, S. 96. Vgl. auch ein vergleichbares Mandat Innozenz’ III. an den Bischof von Turin bezüglich des Bischofs Hugo von Acqui aus dem Jahre 1213, dem allerdings eine Angabe von Gründen fehlt; Potthast, Augustus, Regesta Pontificum Romanorum inde ab a. 1198 ad a. 1304, Bd.1, Berlin 1873–1875., Nr. 4847. Weitere Fälle: Bischof Udalschalk von Gurk resignierte aufgrund einer am 4. Dezember 1220 erteilten päpstlichen Erlaubnis auf sein Bistum aufgrund von Altersbeschwerden und fortschreitender Sehschwäche; Tropper, Christine, s.v. „Udalschalk“, in: Erwin Gatz (Hrsg.), Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches. Ein biographisches Lexikon, 1198 bis 1448, Bd. 1, Berlin 2001, S. 209. Im Jahre 1358 erteilte Papst Innozenz VI. dem Mainzer Erzbischof Gerlach von Nassau den Auftrag, dem damals 59-jährigen Wormser Bischof Salmann Cleman nach einem knapp drei Jahrzehnte währenden Episkopat einen Koadjutor an die Seite zu stellen, da Salmann selbst das Bistum aus Alters- und Krankheitsgründen nicht mehr alleine leiten könne. Der von Gerlach zum Koadjutor ernannte Dietrich Bayer von Boppard erhielt wenige Monate später die päpstliche Bestätigung. Salmann erklärte daraufhin den Verzicht auf das Bistum; Keilmann, Burkard, s.v. „Salmann Cleman“, in: Gatz, Erwin (Hrsg.), Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches. Ein biographisches Lexikon, 1198 bis 1448, Bd. 1, Berlin 2001, S. 873–874. Renuntiatio – resignatio  

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nen Schaden für das Bistum nicht noch größer werden zu lassen.31 Bünz, wie schon andere Autoren vor ihm, vermutet, dass neben dem unbestritten hohen Alter Brunos dessen Bemühen um den Aufbau einer bischöflichen Landesherrschaft verantwortlich zu machen sei für den erfolgreichen Versuch des finanziell unter den hochfliegenden Plänen Brunos leidenden Domkapitels, Bruno zur Resignation zu bewegen – dieser unter starkem Druck, wenn nicht gar Zwang zustande gekommene Rücktritt hat jedenfalls dazu geführt, dass auch in der neueren Literatur bereits unumwunden von „Absetzung“ die Rede ist.32 Ein Sonderfall sind jene bischöflichen Resignationen, die sich vor der eigentlichen Einsetzung ins Amt vollzogen. Derartige Rücktritte von Elekten waren keineswegs selten und dürften in der Mehrzahl der Fälle kaum mehr besagen, als dass ein umstrittener erwählter Bischof zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Ansprüche auf das Bistum aufgrund fehlender Durchsetzbarkeit aufgab. Ein typisches Beispiel ist der im Januar 1277 mit 27 in recht jungen Jahren zum Erzbischof von Magdeburg erwählte Graf Günther von Schwalenberg. Von Anbeginn hatte er nicht nur einen scharfen, teilweise auch militärisch ausgetragenen Widerstand des Markgrafen Otto IV. von Brandenburg zu gewärtigen, der seinen eigenen, nur von einer Minderheit des Domkapitels gewählten Bruder Erich hatte durchsetzen wollen, sondern auch die fehlende Unterstützung des Papstes Nikolaus’ III., der nach Protesten des Magdeburger Domherrn Heinrich von Gronenberg die Konfirmation der Wahl verweigerte. Als der Elekt Heinrich von Gronenberg schließlich sogar gefangensetzen ließ, reagierte der Papst so scharf, dass Günther von Schwalenberg im März schließlich auf das Erzbistum resignierte.33 Daneben gab es Elekten, die nicht wegen mangelnder Unterstützung, sondern aus anderen, durchaus verständlichen Gründen auf ihr Amt verzichten: Am 16. Oktober 1398 wählte das Konstanzer Domkapitel einstimmig Friedrich von Nellenberg zum Nachfolger des verstorbenen Bischofs Burkhard von Hewen. Noch am selben Tage wurde Friedrich inthronisiert – dann aber, am 25. Oktober und somit keine zwei Wochen später, verzichtete Friedrich von Nellenberg. Die Gründe für diesen Schritt nennt uns der Chronist: Die finanzielle Situation seines Bistums – „verkumberung, versaczunge und geltschuld“ – habe ihn zu seinem Entschluss bewogen.34 31 Bünz, Enno, „Der Meißner Bischof Bruno von Porstendorf “, 2006, S. 20–21. 32 Bünz, Enno, „Der Meißner Bischof Bruno von Porstendorf “, 2006, S. 26. Vgl. bereits Hauck, Albert, Kirchengeschichte Deutschlands, vierter Teil, Leipzig 1903, S. 971: „seines Amtes enthoben“. 33 Hengst, Karl / Scholz, Michael, s.v. „Günther, Graf von Schwalenberg“, in: Erwin Gatz (Hrsg.), Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches. Ein biographisches Lexikon, 1198 bis 1448, Bd. 1, Berlin 2001, S. 542. 34 Vgl. die entsprechenden Zitate bei Regesta episcoporum constantiensium. Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Constanz von Bubulcus bis Thomas Berlower (517–1496), hrsg. von

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Über die Form der Amtsniederlegung tappen wir häufig ebenso im Dunkeln wie über die wahren Motive. Bruno III. von Berg, der nach Aussage der Überlieferung aus Altersgründen sein Amt im Jahre 1193 nach nur zwei Jahren aufgab, rief dem Bericht des Caesarius von Heisterbach zufolge Prioren und Edelleute der Kölner Kirche zusammen und legte in deren Gegenwart seinen Bischofsstab auf dem Hochaltar des Domes nieder.35 Wesentlich mehr als jene dürren Informationen lässt sich den Quellen zum bereits erwähnten Verzicht des Bruno von Meißen entlocken:36 Weder der vom Papst beauftragte Magdeburger Erzbischof noch Bischof Bruno selbst führten die Verhandlungen über den Rücktritt. Stattdessen subdelegierte der Erzbischof die Verhandlungen an zwei weitere hochrangige Kleriker, und auch Bruno erschien nicht selbst zu dem von ihnen festgesetzten Termin, sondern ließ sich von zwei Prokuratoren vertreten. Sie legten den – mittelbar – in päpstlichem Auftrag handelnden Kommissaren neben ihren Vollmachten auch eine schriftliche Rücktrittserklärung Brunos (litterae cessionis) vor, die jedoch kaum als Ausdruck eines unumstößlichen Willens zu betrachten ist: Als die Kommissare aufgrund nicht näher erläuterter rechtlicher Bedenken zögerten, den Rücktritt anzunehmen, baten die Prokuratoren Brunos – es handelte sich um zwei seiner Domherren – inständig um eine unverzügliche der Badischen Historischen Commission, Bd. 3 (1384–1436), bearbeitet von Karl Rieder, Innsbruck 1926, nach der unedierten „Konstanzer Chronik von St. Gallen, 235a“. Es dürfte sich dabei um die vor 1470 vollendete Chronik des Gebhard Dacher handeln (dazu Hillenbrand, Eugen, s.v. „Dacher, Gebhard“, in: Verfasserlexikon, 2 / 1980, Sp. 31–32). Wörtlich übernommen ist diese Passage in der von Christoph Schultheiß 1574 abgeschlossenen Konstanzer Bistumschronik (zu dieser Quelle Maurer, Helmut, Das Bistum Konstanz, Die Konstanzer Bischöfe vom Ende des 6. Jahrhunderts bis 1206, Bd. 2, Berlin / New York 2003, S. 5): Ist die sag, es bewegte in darzu die verkumberung, versatzungen und geltschulden des bistumbs, so im vor nit wissend war gwesen. (Marmor, Johann [Hrsg.], „Christoph Schulthaiß: Konstanzer Bisthums-Chronik“, in: Freiburger Diözesanarchiv, 8 / 1874, S. 1–101, hier: S. 52.) Vgl. auch die Angaben in Helvetia Sacra. Erzbistümer und Bistümer, Das Bistum Konstanz. Das Bistum Mainz. Das Bistum St. Gallen, Abteilung 1, Bd. 2, Erster Teil, Basel / Frankfurt / Main 1993, S. 336. 35 Cardauns, H. (Hrsg.), „Catalogus archiepiscoporum coloniensium. Continuatio II auctore Caesario Heisterbacensi“, in: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores. Bd. 24, Hannoverae 1879, S. 345–347, hier: S. 345–346: Bruno vero cum proper senectutem et tam corporis quam sensus imbecillitatem ad tante ecclesie regimen minus sufficeret, vix uno anno potitus episcopio, convocatis omnibus ecclesie sue prioribus atque nobilibus, virga pastorali super altare beati Petri posita, episcopatum resignavit. Vgl. auch Janssen, Wilhelm, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter, 1191–1515, erster Teil, Köln 1995, S. 122–124. Ausführliche Quellennachweise bei Knipping, Richard, Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, 1100–1205, Bd. 2, Düsseldorf 1901, Nr. 1458, S. 293 (mit aufschlussreichen lexikalischen Varianten: resignare curam archiepiscopatus bzw. episcopatum, renuntiare episcopatum, dimittere archiepiscopatum). 36 Das folgende nach Bünz, Enno, „Der Meißner Bischof Bruno von Porstendorf “, 2006, S. 20–25. Renuntiatio – resignatio  

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Annahme der resignatio, da zu befürchten sei, Bruno ändere seine Meinung und sei zu keinem Rücktritt mehr zu bewegen. Nachdem sich die beiden Domherren Brunos bereit erklärt hatten, die Freiwilligkeit der resignatio zu beeiden, nahmen die päpstlichen Kommissare den Rücktritt schließlich an. Anschließend ließen sie sich die bereits von den Prokuratoren zum Treffpunkt mitgebrachten bischöflichen Siegel aushändigen und zerschlugen sie ganz wie beim Tod eines amtierenden Bischofs. Wie im päpstlichen Auftrag enthalten, verkündeten die Kommissare anschließend den Wahlauftrag an das Domkapitel – den das Kapitel wenig später mit der Wahl eines der Kommissionsmitglieder umsetzte: Neuer Bischof wurde just der vom Magdeburger Erzbischof mit der Annahme der Resignation beauftragte Heinrich von Plaue. Was die Beachtung der kirchenrechtlichen Normen in der Resignationspraxis angeht, so vermittelt eine kursorische Durchsicht der Quellen den Eindruck, dass zumindest eine Bestimmung keineswegs peinlich genau beachtet wurde: die Notwendigkeit einer Annahme der Resignation durch den Papst. Dabei ist eine überlieferungsbedingte Verzerrung zusätzlich in Rechnung zu stellen: Am einfachsten sind bischöfliche Resignationen über jene Verzeichnisse zugänglich, die in überwiegendem Maße aus der kurialen Überlieferung schöpfen. Freilich ist auch in päpstlichen Wahlbestätigungen häufig der Grund für eine vorangehende Vakanz des Bischofsstuhls genannt, so dass sich aus der Angabe resignavit mit Bezug auf den Amtsvorgänger eine Resignation erschließen lässt – dennoch liegt es auf der Hand, dass sich gerade jene Amtsniederlegungen, die eben nicht in manu sancti Petri oder gegenüber einem Beauftragten des Papstes erfolgten, einer umfangreichen Erschließung entziehen. Bereits Franz Gillmann hat in seiner Darstellung der Resignationen darauf hingewiesen, dass die Päpste selbst einer strengen Beschränkung der gültigen Resignationen auf die vom Papst angenommenen Rücktritte zunehmend im Wege standen: Je begieriger die Päpste nach dem Provisionsrecht griffen und im späteren Mittelalter alle der Kurie angezeigten Resignationen zum Anlass nahmen, das Bistum anschließend selbst zu vergeben, umso mehr sahen sich die Domkapitel ihres Wahlrechts enthoben und drängten darauf, dass die Bischöfe nicht etwa in die Hände des Papstes, sondern der Domkapitel resignierten – eine zu den kanonischen Normen im Widerspruch stehende Regelung, auf die manche Domkapitel die Kandidaten für einen Bischofsstuhl sogar in Wahlkapitulationen verpflichteten.37 37 Gillmann, Franz, „Die Resignation der Benefizien“, 1900, S. 537–538 (mit einigen wenigen Beispielen). Vgl. auch ebd., S. 668 (und den knappen Abriss der zwischen dem Beginn des 13. und der Mitte des 14. Jahrhunderts beständig zunehmenden päpstlichen Reservierungspraxis ebd., S. 668–670): „Die Besetzung resignierter Pfründen hat jedoch auch manches Eigentümliche. Dahin gehört, dass alle in die Hände des Papstes aufgegebenen Benefizien, hinsichtlich deren nicht ein Laien- oder gemischtes Patronats- oder Nominationsrecht besteht, weil in curia romana erledigt und dem Papste affekt, von ihm allein vergeben werden können.“ Durch die Festlegung, der Bischof dürfe nicht ohne ihr Wissen resignieren, versuchten die Domkapi-

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Eine nicht unerhebliche Rolle bei den Rücktritten mittelalterlicher Bischöfe spielte die Frage der Versorgung, in der mit großer Wahrscheinlichkeit der Hauptgrund für die Notwendigkeit eigener Rücktrittsverhandlungen zu sehen ist.38 Eine besondere Problematik ergab sich dabei aus dem Umstand, dass der resignierte Bischof zumindest überwiegend aus den Einkünften des nun vakanten Bischofsstuhles zu unterhalten war. Weiteren Regelungsbedarf erforderte die Sicherstellung einer standesgemäßen Residenz. Sie hatte nicht nur den einstigen Bischof selbst, sondern zumeist auch große Teile seiner familia aufzunehmen. Im Falle des Bruno von Meißen schöpfte nur ein kleiner Teil seiner „Ruhebezüge“ – nämlich seine Domherrenpfründe – aus dem Kapitelsvermögen, während der Löwenanteil der erheblichen Einkünfte aus dem bischöflichen Tafelgut stammte. Die Problematik, einen noch nicht ernannten Nachfolger auf derartige Leistungen zu verpflichten, liegt auf der Hand – auch hier konnte, wie bereits bei der Feststellung der Freiwilligkeit eines Rücktritts, lediglich die Kraft des Eides helfen: Das Domkapitel musste sich eidlich verpflichten, eine etwaige Differenz zum festgelegten Betrag nach Art einer Ausfallbürgschaft aus eigenen Mitteln zu bestreiten.39 Darüber hinaus stand Bruno weiterhin das Wohnrecht auf dem Meißener Burgberg sowie die Nutzung eines Teils der bischöflichen Besitzungen in Meißen zu.40 Im Falle des 1411 zurückgetretenen Konstanzer Bischofs Albrecht Blarer war es der Papst, der den Nachfolger Otto III. von Hachberg verpflichtet hatte, für ein standesgemäßes Auskommen seines Vorgängers zu sorgen.41 Ein von Otto eigens aufgesetzter Leibgedingsbrief stellte Blarer nicht nur erhebliche Einkünfte, sondern ebenso lebenslanges Wohnrecht in der bischöflichen Pfalz in Konstanz oder, falls der amtierende Bischof selbst dort weile, in der bischöflichen Feste Küssaburg bei Waldshut in Aussicht.42

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tel, ihre Rechte bei der Vergabe des Bistums zu wahren. Solche Verpflichtungen ließ etwa das Konstanzer Domkapitel während des 15. Jahrhunderts mehrfach in die Wahlkapitulationen aufnehmen (ebd., 544, mit den entsprechenden Belegen). Vgl. zu dieser Problematik auch die Ausführungen bei Caron, Pier Giovanni, La rinuncia all’ufficio ecclesiastico, 1946, S. 195 und S. 303. Das Dekretalenrecht sparte diesen Punkt aus und sah keine eigenen Regelungen für die Versorgung resignierter Prälaten vor (Caron, Pier Giovanni, La rinuncia all’ufficio ecclesiastico, 1946, S. 188). Aufschlussreich für die praktische Bedeutung der Pensionsregelungen sind die Beispiele ebd., S. 153–156, und S. 251–252. Bünz, Enno, „Der Meißner Bischof Bruno von Porstendorf “, 2006, S. 27. Ebd., S. 33. Von Schreckenstein, Karl Heinrich Frhr. Roth von, „Die Resignation des Albrecht Blarer, Bischofs von Constanz, 1411“, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 27 / 1875, S.  326–343, S.  328. Als Grund vermutet Roth von Schreckenstein über die angegebenen „gewisse[n] übrigens redliche[n] Dinge in seinem Inneren“ hinaus dessen unrühmliche Rolle im Appenzellerkrieg (1402–1409), ebd., S. 327. Ebd., S. 339 und 342. Renuntiatio – resignatio  

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3. Resignation des Papstes War die Amtsniederlegung von Bischöfen seit dem 12. Jahrhundert eine im Kirchenrecht immer detaillierter geregelte und durchaus gängige Praxis, sieht dies mit der Resignation des Papstes anders aus.43 Dies liegt nicht nur daran, dass die mittelalterliche Papstgeschichte arm an zweifelsfrei nachgewiesenen Beispielen päpstlicher Resignationen ist.44 Die Hauptursache ist darin zu suchen, dass sich die kirchliche Lehre der Amtsaufgabe aufgrund eines wesentlichen Unterschiedes nicht ohne weiteres von einem gewöhnlichen Kirchenamt übertragen ließ auf das auch und vor allem in der Theorie mit einer immer größeren Zahl exklusiver Merkmale ausgestatte Amt des vicarius Christi, als welcher der Papst seit der Wende zum 13. Jahrhundert betrachtet wurde.45 43 Die Literatur zu diesem Thema ist umfangreich, etwa: Hinschius, Paul, System des katholischen Kirchenrechts, Bd. 1, 1869, S. 294–296; Ullmann, Walter, „Medieval Views on papal abdication“, in: Irish Ecclesiastical Record, 71 / 1949, S. 125–133; Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V. (1294) und die Kanonisten“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung, 66 / 1970, S. 1–101; Granfield, Patrick, „Papal resignation“, in: The Jurist, 38 / 1978, S. 118–131; Herde, Peter, „Election and abdication of the pope: Practice and doctrine in the thirteenth century“, in: Stephan Kuttner / Kenneth Pennington (Hrsg.), Proceedings of the sixth International Congress of Medieval Canon Law. Berkeley, Calif., 28. 7.–2.8.1980, Città del Vaticano 1985, S. 411–436, hier: S. 429–436; Eastman, John R., Papal abdication, 1990. Aufgrund des ahistorisch-systematischen Zugriffs wenig ergiebig ist Herrmann, Horst, „Fragen zu einem päpstlichen Amtsverzicht“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung, 56 / 1970, S. 102–123. 44 Einen kommentierten Überblick über vermeintliche und angebliche Resignationen von Päpsten bietet (mit Konzentration auf die Quellen des 12. Jahrhunderts) Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V.“, 1970, S. 42–47. Neben dem Beispiel Coelestins V. (vgl. dazu die unten, Fn. 50, angeführten Verweise) wird gelegentlich auch dem Rücktritt Gregors XII. der Charakter einer echten, freilich in einer besonderen Situation und unter starkem Druck vollzogenen Resignation zugeschrieben. In jedem Fall gelangte die Resignation während des Abendländischen Schismas (1378–1417) zu großer kirchenpolitischer Bedeutung, als Gutachter der Pariser Universität die Möglichkeit einer gemeinsamen Abdankung der beiden konkurrierenden Päpste (via cessionis) vorschlugen – eine Lösung freilich, auf die sich wesentlich später allein der römische Papst Gregor XII. durch seine Abdankung am 4. Juli 1415 einließ, während die zwei übrigen Prätendenten 1415 und 1417 durch das Konstanzer Konzil abgesetzt wurden (vgl. zu den unterschiedlichen Lösungsansätzen des Schismas etwa die Darstellung bei Fink, August, „Das abendländische Schisma und die Konzilien: Das große Schisma bis zum Konzil von Pisa“, in: Hubert Jedin [Hrsg.], Handbuch der Kirchengeschichte, Vom kirchlichen Hochmittelalter bis zum Vorabend der Reformation, Bd. 3,2, Freiburg / Basel / Wien 1968 [ND Freiburg i. Br. 1985], S. 490–516, bes. S. 501–505). 45 Martin Bertram etwa stellt zusammenfassend fest, „daß die Papstabdankungen im Vergleich zu anderen von den frühen Kanonisten bearbeiteten Problemen eine bescheidene Rolle spielten“ (Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V.“, 1970, S. 42). Zum hier bewusst

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Schon dieser neuartige Ehrentitel deutet darauf hin, was einem solchen Theorietransfer im Wege stand: Unverzichtbar für die Rechtskraft einer Resignation war in der etablierten kanonistischen Lehre deren Annahme durch einen kirchlichen Oberen – genau diesen aber gab es in jenem nahezu jeder irdischen Rechenschaftspflicht enthobenen Bild nicht, das die Kanonistik seit dem 12. Jahrhundert in immer schärferen Konturen vom Nachfolger Petri zeichnete.46 Noch um 1190 konnte der Dekretist Huguccio in seiner Dekretsumme eine andere Meinung vertreten: Beim Vorliegen hinreichender Gründe wie Ordenseintritt, Krankheit oder hohem Alter könne ein Papst abdanken, müsse diesen Schritt aber vor den Kardinälen oder einem Konzil vornehmen.47 Weder dem Kardinalskolleg als dem seit dem Papstwahldekret von verwendeten Terminus des vicarius Christi ist zu verweisen auf Maccarrone, Michele, Vicarius Christi. Storia del titolo papale, Roma 1952, bes. S. 109–154. Die herausragende Stellung des römischen Bischofs, dessen besondere Position eine einfache Übertragung der etablierten Lehre vom kirchlichen Amtsverzicht verhinderte und nach Ansicht der Dekretalisten einzig „klassische Argumente des monarchischen Absolutismus“ zuließ (Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V.“, 1970, S. 42), wurde dabei keineswegs allein von den mittelalterlichen Kanonisten vertreten. Auch die Sentenzensammlung des Petrus Lombardus als der kanonische Text der mittelalterlichen Theologenausbildung enthielt Aussagen zur einzigartigen Stellung des Papstes, aus denen die Kanonistik ihrerseits die Sonderstellung des Papstes begründete (Ullmann, Walter, „Medieval views concerning papal abdication“, 1949, S. 126). Sie zeigte sich etwa darin, dass im Gegensatz zu bischöflichen Elekten der Papst aus Sicht der Kanonistik seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts unmittelbar mit der Wahl in die vollen Rechte des Inhabers der plenitudo potestatis eintrat (Benson, Robert L., The bishop-elect, 1968, S. 150–167, hier bes. S. 167). Einen historischen Abriss der Lehre vom monarchischen Papsttum zwischen Gregor VII. und Bonifaz VII. bietet Miethke, Jürgen, „Geschichtsprozeß und zeitgenössisches Bewußtsein – die Theorie des monarchischen Papats im hohen und späten Mittelalter“, in: Historische Zeitschrift, 226 / 1978, S. 564–599; grundlegend auch Pennington, Kenneth, Pope and bishops, 1984, bes. S. 43–74. 46 Den Einwand des defectus superioris bei der Resignation des Papstes brachte bereits der Glossator Bazian während der 1180er Jahre vor (ad C.7 q.1 c.12 s.v. „accederet“): […] Item numquid posset papa ad religionem migrare aut egritudine vel senectute grauatus honori suo cedere vel alio eo uiuente substitui? An forte ideo non, quia non est superior coram quo renuntiaret, et alias periculosum uideretur (Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V.“, 1970, S. 13). 47 Vgl. ausführlich dazu Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V.“, 1970, S. 15–22, sowie zusammenfassend Cölestin V. (1294) (Peter von Morrone). Der Engelpapst. Mit einem Urkundenanhang und Edition zweier Viten, Stuttgart 1981, S. 130. Die entsprechend Stelle (Huguccio, ad C.7 q.1 c.12 s.v. „incolumi“) lautet: Sed quid de renuntiatione? Numquid potest renuntiare, quia uult transire ad religionem uel quia est eger uel senex? Utique; nam Marcellinus renuntiauit ut di. XXI. ‚Nunc autem‘ [D.21 c.7]; et Clemens etiam renuntiauit sicut habetur in gestis Romanorum pontificum et post Linum et Cletum cathedram recepit. Sed coram quo renuntiabit? Coram cardinalibus uel concilio. (Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V.“, 1970, S. 17.) Bertram vermutet aus Gründen der Analogie zu ähnlichen Konstruktionen bei Huguccio, dass die Kompetenz des Konzils lediglich subsidiär für jene Fälle zu verstehen Renuntiatio – resignatio  

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1059 einzig zuständigen Wahlkörper noch einer anderen Institution wie etwa einem Konzil als Repräsentanten der ecclesia universalis kam in der nur rudimentär entwickelten Theorie des päpstlichen Amtsverzichts die Kompetenz zu, den Rücktritt eines Papstes anzunehmen.48 Die Dekretalisten des 13. Jahrhunderts jedenfalls begnügten sich mit der wenig tiefschürfenden Ansicht, der Papst könne eine renuntiatio ohne die Annahme durch Dritte vornehmen, sei aber Gott gegenüber zur Angabe einer iusta causa verpflichtet.49 Die Resignation des Papstes wäre mit großer Wahrscheinlichkeit während des Mittelalters eher im Windschatten der theoretischen Debatten verblieben, hätte nicht ein, ja nach Meinung zahlreicher Gelehrter sogar der einzige wirkliche Rücktritt eines mittelalterlichen Papstes mitsamt den sich daraus ergebenden Kontroversen die theoretischen Debatten über die Möglichkeiten eines päpstlichen Amtsverzichts geist, in denen das Kardinalskollegium aus unterschiedlichen Gründen einen Rücktritt des Papstes nicht annehmen kann (ebd., S. 40). 48 Vgl. zum Papstwahldekret Jasper, Detlev, Das Papstwahldekret von 1059. Überlieferung und Textgestalt, Sigmaringen 1986, sowie, mit besonderem Augenmerk auf die Diskussionen der Dekretistik des 12. Jahrhunderts zum Zeitpunkt des Erwerbs der Weihegewalt durch den Papst, Ullmann, Walter, „Zum Papstwahldekret von 1059“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung, 68 / 1982, S. 32–51. 49 Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V.“, 1970, S. 38–42. Raimund von Peñafort, der spätere Kompilator des „Liber Extra“, fasste in seiner „Summa iuris canonici“ um 1215 lediglich die Meinungen der frühen Dekretalistik zusammen: Item renuntiatio papatus, que facta in manibus cardinalium non tenet licet ab eis papa creatur, arg. LXXXIX di. ‚Eiectionem‘ [D. 79 c.11]. Arg. contra II q. VII ‚Nos si‘ [C.2 q.7 c.41]. Sed illud in aliis que non spectant ad depositionem, in quibus potest se subiecere alii, ff. de iurisd. omn. iud. ‚Est receptum‘ [Dig. 2.1.14]. Quid ergo faciet papa si uelit renuntiare? Resp. Sufficit, quod papa ab adminstratione cesset uel dicat se uelle de cetero cessare, di. XXI. ,Nunc‘ [D.21 c.7] (ebd., S. 36). Die spätere Dekretalistik, vor allem die nach der Promulgation des „Liber Extra“ von 1234 schreibenden Autoren, übergingen das besondere Problem der Papstabdankung oder fügten der bereits vor 1234 vertretenen Ansicht nichts hinzu, der Papst könne zurücktreten, sein Rücktrittsgesuch bedürfe aber nicht der Entgegennahme durch einen Oberen (ebd., S. 37–38). Die Dekretalisten modifizierten die Lehre von der Abdankung des Papstes somit erheblich, indem sie seine neue Position als monarchischer Herrscher berücksichtigten, der bei einem Rücktritt niemandem mehr rechenschaftsschuldig galt. „Im Gegensatz zu diesem traditionsgebundenen Dekretisten [Bernardus Compostellanus Antiquus – Th.W.] lösen sich die Dekretalisten von den historischen exempla. Sie engen die Problematik der Papstabdankungen ein, indem sie deren grundsätzliche Möglichkeit als selbstverständlich voraussetzen und sich nur noch mit ihrer Entgegennahme beschäftigen. Mit juristischer Schärfe formulieren sie die vorher latente Kernfrage: Wie läßt sich die für jeden kirchlichen Amtsträger geltende Regel mit der Stellung des Papstes an der Spitze der Hierarchie vereinbaren? Die auf klassische Argumente des monarchischen Absolutismus gestützte Lösung entrückt das Papsttum endgültig dem Vergleich mit anderen Kirchenämtern, der das Denken der Dekretisten noch weitgehend bestimmt hatte“ (ebd., S. 41–42).

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radezu befeuert:50 Die Rede ist – natürlich – von Papst Coelestin V., der im Alter von achtzig Jahren am 5. Juli 1294 von den Kardinälen zum Papst gewählt wurde und nach nur fünf Monaten, am 13. Dezember 1294, sein Amt niederlegte. Nicht eigentlich diese Tatsache, sondern die Gegnerschaft der Colonna-Kardinäle Jakob und Peter zu seinem nur wenige Tage später gewählten Nachfolger Bonifaz VIII. brachte die Diskussionen in Schwung.51 Bevor Coelestin, der zum Papst gewählte Einsiedler, der sich im Palast Karls II. von Neapel einen Holzverschlag zur Fortführung seiner asketischen Lebensweise als Residenz hatte aufstellen lassen und die Wünsche des Kardinalskollegs nach einer Rückkehr an den Tiber hartnäckig ignorierte, sich der von ihm als allzu drückend empfundenen und mit seinen Vorstellungen einer vita religiosa unvereinbaren Bürde seine Amtes entledigte, hatte er sich von seinen kirchenrechtlich bewanderten Kardinälen – darunter sein späterer Nachfolger Benedikt Caetani – unterrichten lassen, unter welchen Bedingungen ein solcher Schritt möglich sei.52 Zwei der damals konsultierten Kanonisten äußerten sich später in Kommentaren zur Sache. In diesen Texten scheinen noch die Argumente durch, die in den Dezembertagen des Jahres 1294 im Konsistorium erörtert wurden:53 Als eines der zentralen Probleme erwies sich nach wie vor der Umstand, dass der Papst keinem superior sein Amt übergeben könne. Auch der erst kurz zuvor zum Kardinal erhobene Johannes Monachus gestand als regula die überkommene Forderung zu, ein Kirchenamt sei in die Hände des Oberen zurückzugeben. Der französische Kanonist griff zur Lösung 50 Vgl. etwa die Bewertung bei Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 128: „Selbst die von der modernen Forschung erschlossenen möglichen Beispiele sind so unsicher, daß man wohl in keinem einzigen Fall von einer wirklichen Abdankung sprechen kann.“ Ähnlich vorsichtig äußert sich Miethke, Jürgen, Politiktheorie im Mittelalter, 2008, S. 49. 51 Die Bedeutung der Abdankung betont etwa Herde, Peter, „Election and abdication of the pope“, 1985, S. 436: „The short pontificate of the ‚Angelic Pope‘ Celestine V. has thus become a milestone in the development of the canonistic doctrine concerning the election and abdication of a pope.“ Jürgen Miethke hat jüngst sowohl die Rahmenbedingungen wie auch die theoriegeschichtliche Bedeutung der Abdankung Coelestins V. im Licht des Pontifikats seines Nachfolgers umfassender dargestellt (Miethke, Jürgen, Politiktheorie im Mittelalter, 2008, S. 45–50, 57, 63–68). Die maßgebliche Biographie des Peter von Morrone liegt vor in Herde, Peter, Cölestin V., 1981, hier (zum Rücktritt Coelestins V.) bes. S. 127–142. Informationen zur Familie der Colonna bietet Rehberg, Andreas, Kirche und Macht im römischen Trecento. Die Colonna und ihre Klientel auf dem kurialen Pfründenmarkt (1278–1378), Tübingen 1999, zum fraglichen Zeitraum bes. S. 50–52. Die Auseinandersetzungen zwischen Bonifaz VIII. und den beiden Kardinälen der Colonna hat ausführlich nachgezeichnet Mohler, Ludwig, Die Kardinäle Jakob und Peter Colonna. Ein Beitrag zur Geschichte des Zeitalters Bonifaz’ VIII., Paderborn 1914, hier bes. S. 30–86. 52 Nach wie vor grundlegend für die kanonistische Doktrin bis 1294 ist, wie erwähnt, Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V.“, 1970, S. 10–42. 53 So die Einschätzung bei Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 132. Renuntiatio – resignatio  

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dieses Problems auf ein Analogon zurück: Er verglich den Papst mit dem römischen Kaiser, der ebenfalls keinen Höheren über sich habe. Als Inhaber der plenitudo potestatis könne auch der Papst bei einer vorliegenden necessitas aus freien Stücken ohne Erlaubnis eines Dritten sein Amt niederlegen. 54 Auch für Guido da Baisio, der sich wohl im Gefolge des Kardinals Gerhard von Parma an der Kurie befand und sich in seinem „Rosarium“ zur Frage eines päpstlichen Amtsverzichts äußerte, stand fest, dass der Papst zurücktreten könne; und auch wenn er sich bei der Kommentierung von C.7 q.1 c.12 und VI 1.7.1 intensiv mit den Ansichten Huguccios auseinandersetzte, schloss sich Guido der herrschenden Meinung an und hielt die Vorlage eines Rücktrittsgesuchs bei den Kardinälen oder beim Konzil nicht für notwendig – aber dennoch für ratsam.55 Folgerichtig trat Coelestin V. am 8. Dezember vor die zum Konsistorium versammelten Kardinäle und legte seine Rücktrittsabsichten dar. Zur Begründung verwies er auf sein Alter, seine mangelnde Bildung und seine fehlende Amtserfahrung. Bei den nun erstmals offiziell eingeweihten Kardinälen stieß das Vorhaben Coelestins auf Ablehnung: Unter Verweis auf einen möglichen Ansehensverlust der Kirche riefen sie dem Papst das Bild des unauflöslichen matrimonium spirituale in Erinnerung, das er mit der Übernahme des Amtes eingegangen sei.56 Verstört vertagte der Papst zunächst seine Entscheidung, doch dann verfasste er, beraten von seinem späteren Nachfolger Benedikt Caetani, eine knappe Erklärung, die es verdient, etwas genauer betrachtet zu werden: Ego Cælestinus papa V, motus ex legitimis causis, id est, causa humilitatis, et melioris vitæ, et conscientiæ illesæ, debilitate corporis, defectu scientiæ, et malignitate plebis, et infirmitate personæ, et ut præteritæ consolationis vitæ possim reparare quietem, sponte ac libere cedo papatui, et expresse renuntio loco et dignitati, oneri et honori, dans plenam et liberam facultatem ex nunc sacro cœtui cardinalium eligendi et providendi dumtaxat canonice universali Ecclesiæ de pastore.57

Coelestin führt zunächst die Gründe auf, die ihn zu diesem Schritt veranlasst hatten und bezeichnet sie als rechtmäßig: Er nennt das Motiv der Demut und den Wunsch nach einem besseren Leben, namentlich die Rückkehr zu seinem Einsiedlerdasein. 54 Johannes Monachus, Glossa aurea, ad VI 1.7.1 s.v. „Quoniam“, Paris 1535, f. 121va. Die Textpassage ist zum größten Teil mit Auflösung der Allegationen transkribiert bei Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 131, Fn. 299. 55 Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S.  131, mit der betreffenden Passage und den aufgelösten Allegationen ebd., Fn. 300, und S. 132, Fn. 301. 56 Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 135–136. 57 Theiner, Augustus (Hrsg.), Caesaris s.r. e. card. Baronii Annales Ecclesiastici, tomus vigesimus tertius, 1286–1312, Barri-Ducis 1871, n. 20, S. 145. Hinweise auf weitere Ausgaben finden sich bei Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 136 Fn. 330.

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Daneben führt er allerdings Gründe an, die mit ihren deutlichen Anklängen an den genannten Merkvers erkennen lassen, dass sein rechtlicher Berater ihm empfohlen hatte, der Abdankung den Anstrich einer gewöhnlichen bischöflichen Resignation zu verleihen: die Angst, sein Gewissen zu belasten, Körperschwäche, Mangel an Bildung, die Bosheit des Volkes, Krankheit – all dies konnte, ja musste auch jeder resignierende Bischof ins Feld führen, wenn er seines Amtes überdrüssig geworden war.58 Auch die Betonung, er gebe Last und Ehre des Amtes aus freien Stücken auf, verweist auf die im „Liber Extra“ niedergelegten Normen für den Verzicht auf ein Kirchenamt. Als eine seiner letzten Amtshandlungen erließ Coelestin eine Konstitution über die Möglichkeit der Papstabdankung, die wir allerdings aus mysteriösen Gründen nur aus sekundären Quellen, allen voran aus ihrer Erwähnung in einer inhaltlich entsprechenden Konstitution Bonifaz’ VIII. „Quoniam aliqui“ (VI 1.7.1), kennen. In ihr erklärt Coelestins Nachfolger, er wolle für die Zukunft alle Zweifel ausräumen und einer Übereinkunft mit den Kardinälen entsprechend verlautbaren, der Papst könne sein Amt aus freien Stücken aufgeben.59 58 Hier sei an den Wortlaut von X 1.9.10 erinnert, der deutlich in der Abdankungserklärung Coelestins V. anklingt (vgl. oben, Fn. 17). Es ist daher nicht zutreffend, dass der Text „auf die kanonistischen Feinheiten“ nicht eingeht (Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 136) – im Gegenteil lässt er profunde Rechtskenntnisse erkennen und umgeht das heikle Problem des Sonderfalles einer Papstabdankung dadurch, dass die Voraussetzungen für die Resignation von einem gewöhnlichen Kirchenamt zugrundegelegt werden. 59 Martin Bertram hat die zahlreichen mittelalterlichen Erwähnungen dieser Konstitution zusammengestellt, vgl. Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V.“, 1970, S. 51–59. Bertram betrachtet die nicht mehr vorhandene Konstitution Coelestins V. in Anlehnung an Friedrich von Schulte als Fall einer decretalis bzw. constitutio reservata. Dabei handelt es sich, dem Wortlaut der Promulgationsbulle des „Liber Sextus“ folgend, um päpstliche Verfügungen, die aus unterschiedlichen Gründen keine Aufnahme in die von Bonifaz VIII. promulgierte Sammlung fanden und dennoch als gültig betrachtet wurden (ebd., S. 66–70). Ob die Konstitution Coelestins V., wie einige mittelalterliche Kanonisten behaupteten, überhaupt nicht schriftlich vorlag, muss auch Bertram offenlassen (ebd., S. 70–75). Hypothesen zum Schicksal der von Coelestin erlassenen Konstitution fasst auch Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 138, zusammen. Ebd., S. 139–140, folgen Überlegungen zur Datierung der verlorenen Konstitution. Der Wortlaut von „Quoniam aliqui“ (VI 1.7.1) besagt: Quoniam aliqui curiosi, diceptantes de his, quae non multum expediunt, et plura sapere quam oporteat contra doctrinam Apostoli temere appetentes, in dubitationem sollicitam an Romanus Pontifex, maxime quum se insufficientem agnoscit ad regendam universalem ecclesiam et summi pontificatus onera supportanda, renunciare valeat papatui eiusque oneri et honori, deducere minus provide videbantur: Coelestinus Papa quintus praedecessor noster, dum eiusdem ecclesiae regimini praesidebat, volens super hoc haesitationis cuiuslibet materiam amputare, deliberatione habita cum suis fratribus ecclesiae romane cardinalibus, de quorum numero tunc eramus, de nostro et ipsorum omnium concordi consilio et assensu auctoritate apostolica statuit et decreuit, Romanum Pontificem posse libere resignare. Nos igitur, ne statutum huiusmodi per temporis cursum oblivioni Renuntiatio – resignatio  

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Dann erfolgte, am 13. Dezember 1294, der Akt der Abdankung:60 Coelestin rief die Kardinäle zu einem Konsistorium im Palast der Anjou in Neapel zusammen, hielt eine kurze italienische Ansprache über seine Amtsführung, verlas die genannte lateinische Verzichtserklärung und bat anschließend um die Erlaubnis, weiterhin die Pontifikalinsignien bei der Messfeier nutzen zu dürfen.61 Obwohl schon im Verständnis der Zeitgenossen die bischöfliche Würde im Gegensatz zur Jurisdiktionsgewalt als unverlierbar galt, lehnte der älteste der Kardinaldiakone dieses Ansinnen unter Verweis auf die Unzulässigkeit einer bedingten Resignation ab.62 Coelestin verzichtete auf seine Forderung und verlas nun die verschollene Konstitution über die Möglichkeit einer Abdankung des Papstes. Dann nahm das Konsistorium seinen Rücktritt an – ein Faktum, durch welches die Abdankung des Papstes erneut in die Nähe einer gewöhnlichen Resignation mit der Pflicht zu Annahme durch den Oberen gerückt wurde, das aber kaum im Einklang mit dem damaligen Diskussionsstand unter den Kanonisten stand. Nun erfolgte die rituelle Ausgestaltung des einmaligen Rechtsakts: Der Papst stieg vom Thron und entledigte sich des Ringes, der Tiara und der Gewänder als Würdezeichen seines Amtes. Anschließend verließ er den Raum, um in der grauen Kutte der von ihm gegründeten Kongregation zurückzukehren und sich auf die unterste Stufe seines Throns zu setzen.63 Der Schritt, den Coelestin getan hatte, fand ein für die Zeit großes publizistisches Echo, das sich den Wirkungen dieser Resignation auf Politik und Kirche, aber auch der medien- und kommunikationsgeschichtlich wichtigen Einbettung in die Netzwerke der Ordens- und Universitätsangehörigen verdankte.64 Eine Vielzahl von Traktaten,

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dari, aut disputationem eandem in recidivam disceptationem ulterius deduci contingat, ipsum inter constitutiones alias ad perpetuam rei memoriam de fratrum nostrorum consilio duximus redigendum. (Friedberg, Aemilius [Hrsg.], Corpus Iuris Canonici. Pars secunda, 1881, Sp. 971.) Aufschlussreich ist in unserem Zusammenhang auch das Summarium des Zenz[elinus] (gest.1334 / 35): Romanus Pontifex potest libere papatui renunciare. Die folgende Schilderung findet sich, unter Angabe der zugrundeliegenden Quellen, bei Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 140–141. Herde vermutet mit Baethgen, Friedrich, Der Engelpapst. Idee und Erscheinung, Leipzig 1943, S.  174–175, er habe sich damit die Möglichkeit sichern wollen, Weihehandlungen in den Klöstern seiner Kongregation vorzunehmen. Hinschius, Paul, System des katholischen Kirchenrechts, Bd. 1, 1869, S. 295, ist hingegen ohne die Angabe weiterer Quellen der Meinung, dass der päpstlichen Würde im Gegensatz zur Weihe eines Bischofs kein character indelibilis beigemessen werde, sondern dass auch die Weihekompetenzen eines Papstes an die praktische Amtsausübung geknüpft waren. Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 141–142 (mit den Verweisen auf weitere zeitgenössische Beschreibungen der Abdankung in Fn. 358). Vgl. zur kommunikations- und mediengeschichtlichen Bedeutung etwa die Überlegungen bei Miethke, Jürgen, „Die mittelalterlichen Universitäten und das gesprochene Wort“, in: Historische Zeitschrift, 251 / 1990, S. 1–44.

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die unter dem Rubrum „De renuntatione papae“ in Umlauf kamen, setzte bereits mit dem Rücktritt Coelestins und der Wahl des machtbewussten Bonifaz’ VIII. ein.65 Petrus Johannis Olivi, die führende Persönlichkeit der von Coelestin einstmals geförderten Franziskanerspiritualen, meldete sich zu Wort und legte seiner Untermauerung der Rechtmäßigkeit von Coelestins Abdankung den Gedanken des matrimonium spirituale zwischen dem Bischof und seiner Kirche zugrunde – ein auch nach Ansicht Olivis unauflösliches Band.66 Um den Rücktritt dennoch zu rechtfertigen, nimmt der nach Art einer scholastischen Quaestio argumentierende Autor eine Distinktion zu Hilfe, welche unter den Gelehrten zur Charakterisierung des Kirchenamts schlechthin sehr verbreitet war:67 Der Papst könne von seiner Weihegewalt in der Tat nicht zurücktreten – wohl aber, wenn auch nur im Notfall, von der Ausübung seiner besonderen Jurisdiktionsgewalt, die er mit keinem kirchlichen Amtsträger teile.68 Dabei, so Olivi in einem weiteren, zeitnahen Schreiben, war es rechtmäßig, das Kardinalskollegium für die Annahme der resignatio einzuschalten – ein Schritt, den Coelestin wohl aus purer Vorsicht unternommen und der die theoretischen Debatten maßgeblich beeinflusst hatte.69 Auch der Weltkleriker Gottfried von Fontaines oder der Theologe Petrus de Alvernia billigten mit ähnlichen Argumenten dem Papst durchaus die Möglichkeit eines Rücktritts zu.70 65 So auch die Einschätzung bei Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 164. Es ist auffallend, dass für den Rücktritt des Papstes vorwiegend der Begriff der renuntiatio verwendet wurde. In einer Verteidigungsschrift der Bonifazianer aus dem Jahre 1310 wird ein weiterer Begriff eingeführt, um das Besondere einer päpstlichen Resignation herauszustellen: Nicht von renuntiatio sei dabei zu sprechen, sondern vielmehr von abdicatio, da dieser Ausdruck für einen höheren Amtsträger ohne Vorgesetzten angemessen sei: in aliis inferioribus est renunciatio, in summo pontifice dicatur abdicatio, ut in summis magistratibus, quibus non erat superior, reperiatur, sicut et aliter datum est in scriptis et lex ‚legatus‘, ff. De of. presi [Dig. 1.18.20] loquitur in minoribus magistratibus superiorem habentibus (Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 180 Fn. 106). Einen guten Überblick über den publizistischen Nachhall des Rücktritts bieten Miethke, Jürgen, Politiktheorie im Mittelalter, 2008, S. 63–68, sowie umfassend Eastman, John R., Papal abdication, 1990, daneben nach wie vor Finke, Heinrich, Aus den Tagen Bonifaz VIII. Funde und Forschungen, Münster 1902, S. 65–76. 66 Vgl. zum matrimonium spirituale des Klerikers die Angaben oben, Fn. 13. Eine Analyse des Textes liegt vor bei Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 165–166, sowie, ausführlicher, bei Eastman, John R., Papal abdication, 1990, S. 39–51. 67 Vgl. dazu oben, S. 31 68 Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 167. 69 Ebd., S. 167. 70 Olivi verfasste 1295 einen ersten Text „De renuntiatione papae Coelestini V quaestio et epistola“, vor 1297 folgte ein weiterer in Form einer schulgerechten Quaestio als Teil der „Quaestiones de perfectione evangelica“. Gottfried von Fontaines legte 1295 ein Quodlibet mit dem Titel „Utrum praelati statui et dignitati libere renunciare possint“ vor. Petrus de Alvernia nannte seine in das Jahr 1296 datierte Schrift „Utrum summus pontifex possit cedere vel reRenuntiatio – resignatio  

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Demgegenüber waren die Colonna-Kardinäle aus persönlichen Gründen an einer Annullierung der Wahl Bonifaz’ VIII. interessiert.71 Sie, die sich seinerzeit selbst an der Wahl des amtierenden Papstes beteiligt hatten, legten 1297 eine erste in diesem Sinne abgefasste Protestation – unter anderem zur Niederlegung auf dem Altar der Peterskirche – vor, bald sekundiert von einigen Theologen der Universität Paris.72 Sogleich veröffentlichte das bis auf die Colonnas hinter Bonifaz stehende Kardinalskollegium eine Erklärung, in der die Wahl für gültig erklärt wurde.73 Bonifaz VIII. promulgierte am 3. März 1298 den „Liber Sextus“ mit der Konstitution „Quoniam aliqui“ (VI 1.7.1), die, wie gesehen, das freie Resignationsrecht des Papstes zum Inhalt hatte.74 Auch einflussreiche Kanonisten wie Johannes Monachus und Johannes Andreae erklärten in ihren 1301 erschienen Kommentaren zum „Liber Sextus“, der

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nuntiare officio suo in aliquo casu“. Umfassend hat sich auch Eastman, John R., Papal abdication, 1990, S. 37–94, zu diesen Texten geäußert. Mutmaßungen über die Gründe gibt Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 169. Eine Analyse dieses auf den 10. Mai 1297 datierten Textes der Colonna-Kardinäle hat mit Verweisen auf die maßgebliche Literatur vorgelegt Schmidt, Tilmann, Der Bonifaz-Prozeß. Verfahren der Papstanklage in der Zeit Bonifaz’ VIII. und Clemens’ V., Köln / Wien 1989, S.  29–37, vgl. auch Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S.  170–171. Der Text enthielt (nach Schmidt, Tilmann, Der Bonifaz-Prozeß, 1989, S. 30–31): 1. Eine Anzeige des Verdachts der Illegitimät des amtierenden Papstes an das Kardinalskollegium (ingressus illegitimus) 2. Einen Antrag auf die Einberufung eines Wahlprüfungsverfahrens durch ein einzuberufendes Generalkonzil 3. Die Abweisung Bonifaz’ VIII. als zuständigen Richter in dieser Sache (recusatio iudicis) 4. Falls dennoch ein Urteil dieses Richters in der Sache ergehen sollte, eine vorsorgliche außergerichtliche Appellation. In zwölf Artikeln begründeten die Colonna ihre Anträge mit der Ungültigkeit der Abdankung Coelestins V. (weitere zwei erklärten die Wahl Bonifaz’ VIII. für unrechtmäßig). Streng neuplatonisch-augustinisch wird die Auffassung einer absteigenden Legitimation vorgetragen: Übertragung und Entzug einer Qualität sei „ausschließlich von derselben einheitlichen und übergeordneten Instanz“ (ebd., S. 30) zu bewirken. Im Falle Coelestins sei dies Gott, dessen Legitimation nicht von einer niedrigeren Instanz aufgehoben werden könne. Geistliche Würden seien schlechthin unverlierbar, ebenso wie geistliche Gelübde unauflöslich seien und das mystische Band des Priesters mit seiner Kirche ebenso wenig aufgehoben werden könne wie das des Priesters mit der Gesamtkirche. Allein in Artikel 3 verwiesen die Colonnas mit X 1.7.2 explizit auf eine kirchliche Rechtsnorm: eine Dekretale Innozenz’ III., in der Resignation, Translation und Deposition von Bischöfen dem Papst als einzig zuständigem Oberen vorbehalten werden. Analog wird für den Papst selbst Gott als zuständiger Oberer dargestellt, an dessen Stelle kein menschliches Handeln treten könne. Auch Schmidt weist an dieser Stelle darauf hin, dass die Autoren „das von der Dekretalistik erarbeitete Sonderrecht im Falle des Papstes“ – zu verstehen als die Möglichkeit einer Resignation unabhängig vom defectus superioris – außer acht ließen. Ausführlicher und mit den entsprechenden Nachweisen ist dieser Text behandelt bei Eastman, John R., Papal abdication, 1990, S. 66–68. Vgl. dazu den Wortlaut oben, Fn. 59.

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Schritt Coelestins sei rechtmäßig gewesen und die Wahl Bonifaz’ damit legitim.75 Dennoch regte sich auch noch später Widerstand gegen diese Ansicht, so etwa bei Ubertino da Casale, dem wohl prominentesten Wortführer der Franziskanerspiritualen, der sich 1305 in Gegensatz zu seinem Lehrer Petrus Johannis Olivi brachte und in seinem „Arbor vitae cruxifixae Iesu“ die Ansicht äußerte, der Papst habe nicht nur nicht abdanken und eine solch horrenda novitas einführen dürfen, sondern er sei auch nicht befugt gewesen, durch die anlässlich des Rücktritts promulgierte Konstitution die auctoritas propria anzutasten.76 Aegidius Romanus, von dem man munkelt, seine Parteinahme für Bonifaz habe ihm aus dessen Händen des Erzbistum Bourges eingebracht, verfasste auf Bitten Bonifaz’ VIII. zwischen Herbst 1297 und Frühjahr 1298 einen ebenso bildungsgesättigten wie umfangreichen Traktat, mit dessen Hilfe der Argumentation der Colonna-Kardinäle der Boden entzogen werden sollte:77 Zwar erhalte der Papst sein Amt aus der Hand Gottes, doch über die Wahl wirkten auch Menschen an der Übertragung der päpstlichen Würde mit. Einmal Inhaber der besonderen Gewalt, könne der Papst auch ohne die Beteiligung Dritter auf sein Amt verzichten und sei über die Gründe seiner Resignation allein Gott Rechenschaft schuldig. Auch den Einwand der geistigen Ehe zwischen dem Papst und der Kirche lässt Aegidius nicht gelten, denn die fundamentalen Unterschiede zwischen Bischofsamt und Papstamt ließen keine solch simplifizierende Analogie zu, die schon an der unterschiedlichen Bedeutung von Weihegewalt und Jurisdiktionsgewalt im Papstamt zu erkennen sei. Sei die Verbindung des Papstes mit der Kirche hinsichtlich der Weihegewalt unauflöslich, verhalte sich dies mit der Jurisdiktionsgewalt anders: Von ihr könne der Papst durchaus zurücktreten. Mit der Aufnahme von „Quoniam aliqui“ in den „Liber Sextus“ von 1298, vor allem aber mit der den Handschriften beigegebenen Glossa Ordinaria aus der Feder des Johannes Andreae setzte sich in der Folge sogar die Auffassung durch, der Papst könne 75 Vgl. die Nachweise bei Miethke, Jürgen, Politiktheorie im Mittelalter, 2008, S. 65. 76 Vgl. zu diesem Traktat Eastman, John R., Papal abdication, 1990, S. 51–54. Die Franziskanerspiritualen lehnten Bonifaz VIII. vehement ab und stellten aus diesem Grund den Rücktritt als unrechtmäßig dar (Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 164f ). Martin Bertram weist darauf hin, dass bei Ubertino da Casale „die erste ausdrücklich überlieferte Polemik gegen die Konstitution“ vorliegt (Bertram, Martin, „Die Abdankung Papst Cölestins V.“, 1970, S. 76). Diese ins Grundsätzliche gehende Kritik an der Resignation Coelestins V. hat die Kanonistik allerdings nicht aufgenommen. Erst mit dem Ausbruch des Schismas setzten sich Kanonisten wie Aegidius von Bellamera erneut mit der Frage auseinander, ob die Verfügung Coelestins V. rechtmäßig war (ebd., S. 77–78). 77 Der Traktat umfasst in der Neuedition Eastmans über 220 Druckseiten und ist damit ausgesprochen umfangreich; Eastman, John R, Aegidius Romanus: De renunciatione pape, Lewiston / Queenstown / Lampeter 1992, S.  139–362. Eine umfangreiche, allerdings streng dem Aufbau des Traktats folgende inhaltliche Analyse des Textes findet sich ebd., S. 29–120, hier bes. S. 112–118. Vgl. auch Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 173–175. Renuntiatio – resignatio  

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aufgrund historischer Beispiele, vor allem aber kraft seiner einzigartigen Machtvollkommenheit nicht nur ohne die Zustimmung eines Dritten sein Amt niederlegen, sondern auch dann, wenn er eigentlich zur Amtsausübung imstande sei.78 Dennoch traf der naiv-kühne Schritt Coelestins V. auch in der Folgezeit keineswegs überall auf Verständnis, und Dante Alighieri, dem aufgrund seiner Nähe zu den Franziskanerspiritualen Bonifaz VIII. ein verhasster Papst war, verewigte Coelestin V. als Wegbereiter für den Ponitifikat des Benedikt Caetanus im inferno.79

78 Gl. ad VI 1.7.1 s.v. „videbantur“: Et erat ipsorum ratio motiua, quia qui renunciat, renunciare debet in manibus superioris, et aliter matrimonium spirituale non dissoluitur, supra eodem, De renun. ,Admonet‘[X 1.9.4]. Sed papa superiorem non habet, ergo renunciare non potest. Item fungitur vice dei, quas vices sic videtur ossibus habere annexas, quod a se abdicare non possit, ad hoc De sta. mo. ,Cum ad monasterium‘ [X 3.35.6] in fi. Sed contrarium verum est, vt hic vides, et probatur ex eo, quia Marcellinus renunciauit papatui, cui substitutus fuit Marcellus, XXI. dist. ,Nunc autem‘ [D.21 c.7]. Item Clemens renunciauit papatui, cui successit Linus, et eo mortuo Cletus, et illo mortuo iterum successit Clemens, vt in chronicis, et vide de hoc VIII. q. I. c. ,Hinc disputat hic mundus‘ [C.8 q.1 c.1] et cetera. Et hanc opinionem approbauit Io. VII. q. I. c. ,Non autem‘ [C.7 q.1 c.12]. Ad id quod dicitur quod renunicatio fieri debet in manibus superioris, fateor id verum est, vbi est superior, sed hic propter impossibilitatem ius illud seruari non potest, et facit optime supra ti. proxi. ,Indemnitatibus‘ [VI 1.6.43], § pe. et supra e. ,Licet de vitanda discordia‘ [X 1.6.6] in fi. Item inferiores prelati a suis prelatis confirmantur et instituuntur, vnde non est mirum, si sine ipsorum licentia renuntiare non possunt, sed papa a nemine confirmatur, vnde sicut sine superiore instituitur, ita sine superiore renuntiat, ad hoc supra De reg. iur. c. I. [VI 5.13.1]. Io. An; Gl. ad VI 1.7.1, s.v. «maxime»: Comparatiuum, vnde etiam si sufficiens sit, renunciare poterit, ut per inferiora patebit. (Bonifatius VIII., Liber sextus decretalium, 1472, f. 32vb). Ausführlich setzt sich Johannes Andreae auch in seiner „Novella in Sextum“ mit „Quoniam saepe“ auseinander: Zunächst führt er nach Art einer Quaestio zehn Gründe für die Ablehnung der Resignation des Papstes an, lässt diese dann aber, auch unter Verweis auf die pure Jurisdiktionsgewalt, welche der Papst widerruflich mit Wahl zu seiner untilgbaren bischöflichen Weihegewalt hinzugewänne, zu ( Johannes Andreae, Novella in Sextum, 1496, ad VI 1.7.1, S. 72a–74a). Es scheint allerdings vor dem Hintergrund der von Johannes Andreae in der Glossa Ordinaria angeführten historischen Beispiele nicht ganz gerechtfertigt, den Dekretalisten in diesem Fall eine grundsätzliche Abkehr vom Rückgriff auf historische exempla zu unterstellen (vgl. dazu die zitierte Bemerkung weiter oben, Fn. 49). 79 Dante, Die Göttliche Komödie. Italienisch und deutsch. Übersetzt und kommentiert von Hermann Gmelin. 6 Bde., Stuttgart 1949–1957 (ND München 1988), Inf. 3, 58–60, 38: Poscia ch’io v’ebbi alcun riconosciuto, / Vidi e connobii l’ombra di colui / Che fece per viltate il gran rifiuto. Verweise auf die umfangreiche Literatur zur Identifikation dessen, der sich aus Feigheit verweigerte, mit Coelestin V. finden sich bei Herde, Peter, Cölestin V., 1981, S. 120–121, Fn. 249.

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Fazit Wenn auch ohne Zweifel weitaus mehr aufstrebende Kleriker und Laien während des Mittelalters danach strebten, ein Kirchenamt zu erlangen als sich eines solchen zu entledigen, spricht schon der Ausarbeitungsgrad der hier knapp vorgeführten normativen Grundlagen für eine nicht unerhebliche Bedeutung der Resignation in der mittelalterlichen Kirche. Vor allem in der Zusammenschau mit dem Sonderfall der päpstlichen Resignation kreisten die Debatten der Juristen im Kern um zwei Aspekte: einerseits um den besonderen kirchlichen Amtsbegriff mit seiner Zweiteilung in Weihe- und Jurisdiktionsgewalt, andererseits um den Gedanken des matrimonium spirituale, dessen Auflösung eines besonderen Legitimationsgrundes bedurfte. Gerade in der dialektischen Analogisierung von Bischofs- und Papstresignation erwiesen sich die Kanonisten dabei als praxisorientierte Intellektuelle. Es gelang ihnen, den Rücktritt eines Papstes gegen schärfste Kritik zu verteidigen, mehr noch: Am Ende ihrer Debatten erhielt einer der am heftigsten umstrittenen Rücktritte der mittelalterlichen Geschichte sogar einen dauerhaften Platz im Kirchenrecht, den er in seiner Grundaussage – die freie Rücktrittsmöglichkeit des Papstes ohne eine Annahme durch Dritte – bis heute behalten hat.80

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Renuntiatio – resignatio  

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Die Abdankung in den rechtlichen Ordnungs­ vorstellungen vom Gottesgnadentum bis zum deutschen Konstitutionalismus Carola Schulze „die freywillige … abdankung sey bey grossen Fürsten ein … unbekanntes wunderwerk“ (Lohenstein, Arminius-Roman, 1689)

Vorbemerkung Vorliegender Beitrag soll aus der Perspektive des Verfassungsgeschichtlers die Abdankung als Rechtsakt bis zum Konstitutionalismus untersuchen. Dabei wird von folgendem Begriff der Abdankung ausgegangen: Die Abdankung (auch Abdikation, Renunziation, Resignation) ist ein förmlicher Verzicht des monarchischen Staatsoberhaupts auf seine staatliche Stellung und auf die damit zusammenhängenden Rechte, wodurch die auf Lebenszeit ausgezeichnete Herrschaft vorzeitig beendet und der konfliktlose Übergang von einer Herrschergeneration auf die nächste möglich wird. Die Abdankung steht in der freien Entscheidung des monarchischen Herrschers.1 Sie erfolgt in zwei Formen: • der Thronentsagung, das ist die Niederlegung der Krone und der monarchischen Würde durch den Herrscher, und • dem Thronverzicht, bei dem ein Thronprätendent im Hinblick auf seinen Thron­ anspruch abdankt.

1.

Die Abdankung in den rechtlichen Ordnungsvorstellungen des Konstitutionalismus

Der deutsche Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, der ein Kind der französischen Revolution und zugleich deren Überwinder ist,2 war dadurch gekennzeichnet, dass die Monarchie ihrem Ursprung und ihrer Substanz nach vorkonstitutionell 1

2

Vgl. u.a. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 1, Mannheim / Wien / Zürich 1971, S.  47; Kaufmann, Hans (Hrsg.), Rechtswörterbuch. Begründet von Carl Creifelds, München 1992, S. 2; Das Große Duden-Lexikon, Bd. 1, Mannheim 1964. Dietrich, Richard, „Über Probleme verfassungsgeschichtlicher Forschung in unserer Zeit“, in: Probleme des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert (Beihefte zu Der Staat, Heft 1), Berlin 1975, S. 7–21, hier: S. 9.

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Carola Schulze

blieb. Die Erfahrung der französischen Revolution ließ den voraufklärerischen Gedanken des Gottesgnadentums als unverzichtbar erscheinen. Denn das Herrscheramt ist nur dann unangreifbar, wenn es auf Gott beruht und nicht auf den Willen des Volkes zurückzuführen ist.3 Demzufolge lassen die konstitutionellen Verfassungen die „Subsumtion vorrevolutionärer Machtpositionen des Gottesgnadentums zu“,4 die Legitimationsgrundlage der Monarchenstellung wird nicht zum Bestandteil der Verfassung gemacht. Das Königtum leitete nach wie vor „seine Gewalt aus keiner Rechtsquelle, insbesondere aus keiner Übertragung durch das Volk ab. Es herrschte aus eigener Macht … Die königliche Gewalt bestand nicht kraft der Verfassungsurkunde, sondern die Verfassungsurkunde kraft der königlichen Gewalt.“5 Und da die königliche Gewalt von Gott ausgeht, entsprach die Herrschaft des Monarchen der natürlichen Ordnung der Dinge.6 Im Konstitutionalismus bindet sich der Monarch in der Ausübung der Staatsgewalt allerdings selbst an die Verfassung und beschränkt dadurch seine Staatsgewalt. Diese Auffassung spiegelte sich im monarchischen Prinzip deutlich wider: Es begründete die Macht des Monarchen einerseits extrakonstitutionell; andererseits betrachtete es den Monarchen im konstitutionellen Verständnis als verfassungsrechtlich gebunden und trennte zwischen dem Fürsten als Privatperson und als Repräsentant der persona moralis Staat.7 Das monarchische Prinzip fand seine Verankerung in Art. 57 der Wiener Schlussakte und in der Mehrzahl der frühkonstitutionellen Verfassungen der deutschen Bundesstaaten und bestimmte, dass die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupt des Staates vereinigt bleiben muss und der Souverän durch die Mitwirkung der Stände in der Ausübung der monarchischen Gewalt beschränkt werden kann.8 In diesem Sinne galt der Erlass der konstitutionellen Verfassung als ein Akt höchster monarchischer Machtvollkommenheit: Zum einen garantierte er, dass die überlieferte Hoheitsgewalt des Monarchen als Werk einer höheren Fügung auch in einer landständischen Verfassung erhalten blieb, zum anderen schloss er Regelungen ein, durch die der Monarch seine Befugnisse auf der Grundlage und in den Schranken der Verfassung ausübte.9 3 4 5

6 7 8 9

Reinhard, Wolfgang, Geschichte der Staatsgewalt, München 1992, S. 426. Willoweit, Dietmar / Seif, Ulrike (Hrsg.), Europäische Verfassungsgeschichte, München 2003, S. XXVII. Von Seydel, Max, zitiert bei Rupp, Hans-Heinrich, „Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft“, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Grundlagen von Staat und Verfassung, Bd. 1, Heidelberg 1987, S. 1187–1223, hier: S. 1191. Reinhard, Wolfgang, Geschichte der Staatsgewalt, München 1992, S. 426. Schulze, Carola, Frühkonstitutionalismus in Deutschland, Baden-Baden 2003, S. 72 f. Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft, Bd. 2, München 1992, S. 103 f. Schulze, Carola, Frühkonstitutionalismus, 2003, S. 72 f. Die Abdankung in rechtlichen Ordnungsvorstellungen  

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Als Generalvorbehalt sicherte Art. 57 der Wiener Schlussakte dem monarchischen Staatsoberhaupt in den landständischen Verfassungen schließlich den Besitz der gesamten Staatsgewalt.10 Allerdings herrschte der Monarch nicht als Mensch über Menschen, sondern als „personifizierte“ Staatsgewalt. Er ist nicht mehr (Privat-)Eigentümer des Staates, was er ja schon während der gesamten Frühen Neuzeit nicht mehr war, sondern Organ der juristischen Person Staat. Staatsethisch ist er Diener eines konstitutionell verfassten Ganzen.11 Insofern sind Staats- und Fürstensouveränität nicht ein- und dasselbe. Der Fürst besitzt die Souveränität nicht durch den individuellen Willen, sondern vermöge der verfassungsrechtlichen Stellung im Staate selbst, kraft Gesetz.12 Damit hatte der Monarch die Position eines echten Souveräns inne, von dem alle Staatsgewalt ausging und der sich die Substanz der Staatsgewalt (Alleininhaber der vollziehenden Gewalt; alleiniges Gesetzesinitiativrecht; Gerichtshoheit) vorbehielt. Dabei stand er außerhalb jeder politischen Verantwortlichkeit und konnte deshalb für seine Handlungen nicht selbst zur Verantwortung gezogen werden. Die anderen staatlichen Organe – auch die Landstände – waren an der Ausübung der Staatsgewalt nur beteiligt. Die Vereidigung der Beamten und der Armee erfolgte aufgrund des monarchischen Prinzips nicht auf die Verfassung, sondern auf den Monarchen.13 Somit spiegelten die sich aus dem monarchischen Prinzip ergebenden Regelungen wider, dass die Krone auf einem eigenen historischen Recht der Dynastie beruhte, „und dieses Recht erschien mit dem ganzen historischen Verlauf, dem es entspringt, als das Werk einer höheren Fügung“.14 In diesem Sinne stellte das monarchische Prinzip des 19. Jahrhunderts ein „ideologisches Surrogat des Gottesgnadentums“ dar. Es ist allerdings kein echtes Gottesgnadentum mehr, denn was unter diesem Namen auftritt, „meint nur noch das christliche Prinzip, dass jede rechtmäßige Obrigkeit von Gott sei“15, eine Formel des Staatsrechts, hinter die man nicht weiter

10 Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Bd. 1, Stuttgart 1978, S. 653. 11 Willoweit, Dietmar / Seif, Ulrike, Europäische Verfassungsgeschichte, 2003, S. XXVI. 12 Albrecht, Wolfgang, „Rezension zu Rudolf Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts“, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen, 1837, S. 1489–1504, hier: S. 1492, 1496 ff. 13 Vgl. Bayerischer Verfassungskonflikt um die Heeresverfassung und den Fahneneid, in: Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 1978, S. 364. 14 Hintze, Otto, „Staat und Verfassung“, in: Gerhard Oestreich (Hrsg.), Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1987, S. 357–423, hier: S. 372. 15 Brunner, Otto, „Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip. Der Weg der europäischen Monarchie seit dem hohen Mittelalter“, in: Sonderdruck aus Vorträgen und Forschungen, Das Königtum, Bd. 3, Konstanz 1956, S. 279–305, hier: S. 302.

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zurückgehen kann. Der Herrscher ist Organ eines Staates, der als juristische Person gedacht wird.16 Der extrakonstitutionelle Charakter des Ursprungs und der Substanz der Mon­ archie hatte Auswirkungen auf die Thronfolge. Die Krone war erblich im Mannesstamm der Dynastie;17 es galt das Recht der Erstgeburt. Damit war in den monarchischen Bundesstaaten des Deutschen Bundes die erbliche die ordentliche Thronfolge, und es trat entsprechend dem überlieferten legitimistischen Grundsatz die Sukzession des Nachfolgers in die volle Herrschaftsgewalt grundsätzlich unmittelbar im Augenblick des Todes des Herrschers ein.18 Das entsprach der Heiligkeit und Unverletzlichkeit der monarchischen Herrschaft19 als einem von Gott anvertrauten Amt. Nur subsidiär war neben der ordentlichen Thronfolge die Abdankung als Form der außerordentlichen Thronfolge20 anerkannt, die auf der Selbstentscheidung des Monarchen beruhte und die Niederlegung der Krone und der monarchischen Würde oder den Verzicht auf den Thron beinhaltete. Damit war ein Teilbereich der monarchischen Staatsgewalt in die Willenssphäre des Monarchen verlagert. Die Möglichkeit der Abdankung sollte zudem gewährleisten, dass der Monarch nicht zum ausführenden Staatsorgan in einer Verfassungsordnung herabsinkt, in der ihm vom Volk Staatsgewalt nur übertragen wird und an die Stelle der Fürstensouveränität die Souveränität des Volkes tritt.

2. Zulässigkeit der Abdankung Eine Abdankung vor dem Tod eines Souveräns beendete die auf Lebenszeit ausgerichtete monarchische Herrschaft,21 was einem Verstoß gegen die göttliche Ordnung gleichkam. Das monarchische Staatsoberhaupt sollte sich seines heiligen Amtes nicht einfach entledigen können, weil man nicht in die göttliche Wirkungsmacht eingreifen durfte. Schließlich stellte jeder Machtverzicht eines Monarchen jene „Doppelleibigkeit“ auf die Probe, die zwischen dem sterblichen, natürlichen Körper auf der einen Seite und dem politischen, unsterblichen Körper auf der anderen Seite besteht.22 Wenn durch den Ruf „Der König ist tot, es lebe der König!“ der Fortbestand seines Brunner, Otto, Vom Gottesgnadentum, 1956, S. 302. Nur beim Erlöschen des Mannesstammes trat die weibliche Erbfolge ein. Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 1978, S. 337. Titel II, § 1 Abs. 2 BayV., § 4 Abs. 2 Württ.V., § 5 Abs. 2 Bad.V., Art. 4 Abs. 2 Hess.V. Klüber, Johann Ludwig, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Frankfurt am Main 1840 (ND Frankfurt am Main 1975), § 242 V, S. 334. 21 Vgl. These 1 zur Tagung „Herrschen muss man wollen oder dürfen“, Heidelberg, 15. / 16. November 2007. 22 Mayer, Mathias, Die Kunst der Abdankung, Würzburg 2001, S. 35. 16 17 18 19 20

Die Abdankung in rechtlichen Ordnungsvorstellungen  

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korporativen Leibes über das individuelle Ende hinaus proklamiert wurde, so musste die Abdankung als Resignation und als ein Tod zu Lebzeiten erscheinen.23 Dies führte dazu, freiwillige Abdankungen zunächst abzulehnen, sie als unzulässig zu betrachten und sie letztlich, soweit sie in der Praxis erfolgten, nicht anzuerkennen oder ihre Zulässigkeit anzuzweifeln.24 Trotz dieser Ablehnung der Abdikation sah man sich in der Wirklichkeit der europäischen Geschichte mit einer Reihe von Abdankungen von der Macht konfrontiert (z.B. Abdankung Kaiser Karls V., Königin Christinas von Schweden oder Philipps V. von Spanien), die von der Staatsrechtswissenschaft erklärt und gerechtfertigt werden mussten. Die Staatsrechtswissenschaft des Deutschen Bundes begründete das Phänomen der Abdankung mit der im Konstitutionalismus veränderten Stellung des Monarchen: Er war nicht länger absolutistischer, sondern konstitutioneller, an die Verfassung gebundener Herrscher.25 Das Amt des konstitutionellen Monarchen galt zwar weiter als unmittelbar von Gott und nicht von der Verfassung anvertraut, aber seine vorkonstitutionelle Stellung wurde ausdrücklich in der Verfassungsurkunde verankert, zudem unterlag er verfassungsrechtlichen Bindungen und Selbstbeschränkungen. Damit wurde die monarchische Staatsgewalt in Teilbereichen der göttlichen Wirkungsmacht entzogen und vermenschlicht. Dazu gehörte auch die monarchische Entscheidung zur Abdikation, obwohl diese selbst nicht verfassungsrechtlich geregelt war. In Folge dessen erkannte die Staatsrechtswissenschaft des Deutschen Bundes und der Bundesstaaten neben der ordentlichen Thron- und Regierungsfolge eine außerordentliche Thronfolge an, die subsidiarisch stattfinden und bei Regierungsunfähigkeit, Absetzung oder Abdankung eintreten konnte. In diesem Rahmen wird die Abdikation als Rechtsakt ausdrücklich für zulässig erklärt26 und der Monarch – unter Einhaltung eines förmlichen Zeremoniells – zur Abdankung berechtigt. Willkürliche Abdankungen, die nicht aus persönlichen oder staatsrechtlichen Konfliktsituationen resultieren, werden allerdings davon ausgenommen. Auch eine Analogie zwischen Tod und Abdankung27, wie sie von Karl V. angestrebt wurde, vermochte sich nicht durchzusetzen.

23 Mayer, Mathias, Abdankung, 2001, S. 35. 24 Vgl. Kleinheyer, Gerd, „Die Abdankung des Kaisers“, in: Gerhard Köbler (Hrsg.), Wege europäischer Rechtsgeschichte. Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag (Rechtshistorische Reihe, Bd. 60), Frankfurt u.a. 1987, S. 124–144, hier: S. 124. 25 Hardtwig, Wolfgang, Vormärz. Der monarchische Staat und das Bürgertum, München 1985, S. 56. 26 Klüber, Johann Ludwig, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes, 1840, § 242 und Fn. f zu § 242, S. 334 ff. 27 Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 1, 1971, S. 47; Resignationsdekret von 1556, August 3. im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (HHStA), Mainzer Erzkanzler-Archiv, M.E.A., Wahl-

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3. Die Rechtsgrundlagen der Abdankung Wie schon gesagt, wurde bei der im hohen Mittelalter im Gottesgnadentum begründeten Monarchie28 die in den Hausgesetzen geregelte Thronfolge durch den Tod des Monarchen letztlich in die Hände Gottes gelegt. Daraus resultierte, dass die Abdankung des Monarchen als Rechtsinstitut zunächst nicht existierte, weil sie mit dem Gottesgnadentum unvereinbar war. Anders formuliert, war die Abdankung dem Reichsrecht bis 1558 unbekannt. Die Reichsgrundgesetze, insbesondere die Goldene Bulle von 1356 und die ersten Wahlkapitulationen, schwiegen darüber.29 Es war auch nicht möglich, die Abdankung den ganz anders gearteten Fällen der Königsabsetzungen30 gleichzustellen, die wegen der Zusammengehörigkeit von Gottesgnadentum und Widerstandsrecht anerkannt waren. Der rechtliche Umgang mit der Abdankung musste also 1558 mit der Resignation Kaiser Karls V., dem bis dahin ersten, einzigen und unzweifelhaften Exempel einer freiwilligen Niederlegung der Kaiserkrone,31 – wie Kleinheyer schreibt – entwickelt werden.32 Wegen der fehlenden Regelung und der nicht vorhandenen Präzedenzfälle war man darauf angewiesen, die rechtlichen Positionen zur Abdankung durch Rückgriff auf die vorliegenden Texte zur Thronfolge im Reich und auf die Königswahl des Jahres 1531 zu stützen, die die Stellung Ferdinands I. als Thronfolger begründet hatten.33 Mit der Aufnahme der Resignation Karls V. in die Wahlkapitulation Ferdi­ nands  I. von 1558 und in den Augsburger Reichsabschied von 1559 war die Abdankung als neues Rechtsinstitut anerkannt.34 Damit war der positiv-rechtliche Ansatzpunkt für ihre Behandlung in der Reichspublizistik gegeben.35 Neben einer großen Anzahl von speziellen Monographien zur Abdankung36 wird sie im Zusammenhang mit der Thronfolge behandelt.37 Systematisch erscheint sie neben Tod und Absetzung

28 29 30 31 32 33 34 35 36 37

und Krönungsakten, Kt. 4, Bd. 1, Nr. 3 (fol. 6v), zit. bei Kleinheyer, Gerd, „Abdankung des Kaisers“, 1987, S. 126. Brunner, Otto, Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip, 1956, S. 279, 284 f. Kleinheyer, Gerd, „Abdankung des Kaisers“, 1987, S. 124. Ebd. Moser, Johann Jacob, Teutsches Staatsrecht, Bd. 7, Frankfurt 1742 (ND Osnabrück 1968), S. 30. Kleinheyer, Gerd, „Abdankung des Kaisers“, 1987, S. 124. Ebd., S. 126. Ebd., S. 128, 133. Ebd., S. 133. Z.B. Becmann, Johann Christoph, De abdicatione regni, Frankfurt / Oder 1671; Schurzfleich, Conrad Samuel, Dissertatio de eo, quod inter est abdicationis Principum, Wittenberg 1671. Coccěji, Heinrich, Juris publici prudentia, Frankfurt / Oder 1700, S. 911. Die Abdankung in rechtlichen Ordnungsvorstellungen  

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als einer der Gründe für die Beendigung monarchischer Herrschaft.38 Vor allem aber beschäftigte sich die Reichspublizistik mit dem Verfahren der Resignation und der streitigen Frage der Zustimmung zu diesem Vorgang.39 Mit der Resignation Karls V. und der Anerkennung der Abdankung als Rechtsinstitut war ein für allemal ihre rechtliche Zulässigkeit geklärt. Die Abdankung war nicht mehr nur – wie bisher – ein mit dem Tod des Monarchen in Gottes Gnade gelegter Vorgang der Übernahme des Fürstenthrons, sondern ein in der Selbstbestimmung des Monarchen liegender Akt, der staatsrechtlich begründet werden konnte. Fragen der Thronfolge und der Regentschaft, die in der absoluten Monarchie nur durch Hausgesetz geregelt waren, hat der konstitutionelle Staat der Hausgesetzgebung entzogen und in den Bereich des Verfassungsrechts überführt.40 Allerdings wurde die Abdankung wegen der verfassungsrechtlich festgeschriebenen Heiligkeit und Unverletzlichkeit des Monarchen – und mit ihr die Absetzung – im Staatsrecht der deutschen Bundesstaaten selbst nicht fixiert. So findet man keine frühkonstitutionelle Verfassung, die im Zusammenhang mit der Regelung zur Stellung des Monarchen als Staatsoberhaupt und seiner Thronfolge das Rechtsinstitut der Abdikation enthält. Einzig die oktroyierte Preußische Verfassung vom 5. Dezember 1848 legte in Art. 55 fest, dass, wenn der König in der Unmöglichkeit zu regieren ist, der Nächste zur Krone oder derjenige, der nach den Hausgesetzen an dessen Stelle tritt, die beiden Kammern beruft, um gem. Art. 54 in einer gemeinsamen Versammlung die Regentschaft und die Vormundschaft anzuordnen, insofern nicht durch ein besonderes Gesetz für beides Vorsorge getroffen ist. Diese Regelung, die sich schon in der revidierten Preußischen Verfassung von 1850 nicht mehr findet, erlaubte die authentische Auslegung, dass die Unmöglichkeit des Monarchen zu regieren auch im Sinne einer Abdankung und des Übergangs der Krone auf den Nachfolger zu verstehen ist. Zusammenfassend kann festgestellt werden: Auch wenn die frühkonstitutionellen Verfassungen über die Abdankung schwiegen, war sie im gemeindeutschen Staatsrecht des 19. Jahrhunderts, dem normativer Rang aus Volksgeist, nationaler Geschichte, Wissenschaftstradition oder Denknotwendigkeit zuerkannt wurde,41 als Form der außerordentlichen Thronfolge subsidiär neben der ordentlichen Thronfolge anerkannt42 und damit in den Ordnungsvorstellungen des deutschen Konstitutionalismus verankert.

38 39 40 41 42

Pfeffinger, Johann Friedrich, Corpus Juris Publici, Frankfurt / Main 1751, S. 911. Kleinheyer, Gerd, „Abdankung des Kaisers“, 1987, S. 134. Hohenzollern, Friedrich Prinz von, Das Haus Hohenzollern 1918, München u.a. 1978, S. 22. Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, 1992, S. 99. Für viele: Klüber, Johann Ludwig, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes, 1840, §§ 242 ff., S. 332 ff.

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4. Die Abdankung als Rechtsakt Mit ihrer Aufnahme in den Kontext des Konstitutionalismus war die Betrachtung der Abdankung als Rechtsakt verknüpft. Sie wurde dabei primär als staatsrechtlicher Akt und sekundär – soweit dabei der Verzicht thematisiert wurde – auch als ein zivilrechtlicher Vorgang gesehen.43 Eine Abdankung im juristischen Verständnis liegt nur vor, wenn folgende Tatbestandsmerkmale erfüllt sind: • einseitige obrigkeitliche Maßnahme • eines Monarchen, • die auf die Niederlegung der monarchischen Würde bzw. auf den Verzicht des Throns sowie der damit verbundenen Rechte gerichtet ist, • die sich durch Freiwilligkeit und Selbständigkeit sowie durch • Subsidiarität auszeichnet • und die unwiderrufbar ist. 4.1. 1. Merkmal: Einseitige obrigkeitliche Maßnahme

Als Maßnahme eines Monarchen gilt jedes ihm zurechenbare Handeln mit Erklärungsinhalt. In erster Linie sind damit einseitige obrigkeitliche Akte des Monarchen in Form eines aktiven Tuns (Niederlegung der Krone und der monarchischen Würde), daneben auch Handlungen in Form eines (vorbeugenden) Unterlassens (Verzicht auf den Thron) gemeint. Der Begriff der Abdankung erfasst darüber hinaus nur obrigkeitliche Maßnahmen. Obrigkeitlich meint ein in einem Über- und Unterordnungsverhältnis (Monarch / Untertanen) erfolgtes, einseitiges Gebrauchmachen von Befugnissen des Monarchen, die aus seinem Status als Staatsoberhaupt fließen.44 Dass die Abdikation eine einseitige obrigkeitliche Maßnahme des Abdankenden ist, zeigte sich unmissverständlich bei der Resignation Karls V.: Sie hatte nur gegenüber den Kurfürsten und mit deren vorherigem Wissen, aber nicht mit ihrer Zustimmung zu erfolgen.45 Auch eine Gegenzeichnung (Contrasignatur) durch einen Departements-Minister oder einen obersten Staatsbeamten ist bei der Abdankung nicht erforderlich. Das in den frühkonstitutionellen Verfassungen geregelte Institut der Gegenzeichnung bezieht sich sowohl nach der wörtlichen und grammatikalischen als auch nach der systematischen und teleologischen Auslegung allein auf solche königlichen Verfügungen, welche die Staatsverwaltung oder die Regierung betreffen.46 43 44 45 46

Mayer, Mathias, Abdankung, 2001, S. 10 f. Für viele: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 1, 1971, S. 47. Kleinheyer, Gerd, „Abdankung des Kaisers“, 1987, S. 126, 129. So z.B. § 51 Verfassungsurkunde für Württemberg von 1819 und § 102 Verfassungsurkunde Kurhessens von 1831. Die Abdankung in rechtlichen Ordnungsvorstellungen  

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4.2. 2. Merkmal: Monarch

Abdankung ist eine Maßnahme eines Monarchen. Nur dieser ist auf der Grundlage seiner monarchischen Würde legitimiert, seine Herrschaftsgewalt niederzulegen und auf den Thron zu verzichten. Die Möglichkeit der Abdankung soll die Unabhängigkeit und Souveränität der monarchischen Herrschaftsgewalt demonstrieren, die sich auch in der freien Entscheidung über ihre Beendigung widerspiegeln muss.47 4.3. 3. Merkmal: Niederlegung der monarchischen Würde bzw. Verzicht auf den Thron

Eine Abdankung umfasst primär die Niederlegung der monarchischen Würde oder den Verzicht auf den Thronanspruch sowie sekundär den Verzicht auf die damit zusammenhängenden Rechte des Monarchen. In ihrer Folge wird das höchste Amt vakant, und häufig tritt bis zur Inthronisierung (bzw. bei Wahlreichen bis zur Neuwahl) des Nachfolgers ein Interregnum ein. Dabei betrifft der rechtliche Tatbestand des Verzichts, der seinem Wesen nach ein Gestaltungsrecht umfasst und mit den Rechten, auf die verzichtet werden kann, verbunden ist,48 nur einen Teil der Abdankung. Ein Verzicht auf „Besitz als bloß tatsächliches Verhältnis“ … „soll nicht möglich sein“, sondern nur ein Verzicht „auf einzelne Rechte, die sich an den Besitz knüpfen“.49 Damit ist Verzicht im Rahmen der Abdankung „das auf dem Willen des Berechtigten beruhende Aufgeben von Vorteilen, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung gewährt werden“50 und betrifft nur die mit der Person des Monarchen als Staatsoberhaupt verknüpften Rechte: Residenz, Hofstaat, Zeremoniell, Orden, Titel, Wappen, Majestäts-Symbole, Insignien und Kleinodien sowie die Civilliste einschließlich der Kosten der Haushaltung.51 Zu über die bloße Abdankung hinausgehenden rechtlich relevanten Handlungen ist der Monarch weder befugt noch verbindlich imstande.52 4.4. 4 . Merkmal: Freiwilligkeit und Selbständigkeit

Eine Abdankung muss, obwohl sie in der Regel staatsrechtlichen oder persönlichen Konfliktsituationen geschuldet ist, durch Freiwilligkeit und Selbständigkeit seitens des Monarchen gekennzeichnet sein.53 Sie ist eine ohne äußeren Druck und Zwang vorgenommene Entsagung von der Krone und dem Amt. Sie verlangt vom Monar47 Vgl. These 1 zur Tagung „Herrschen muss man wollen oder dürfen“, Heidelberg, 15. / 16. November 2007. 48 Walsmann, Hans, Der Verzicht. Allgemeine Grundlagen einer Verzichtslehre und Verzicht im Privatrecht, Leipzig 1912, S. 214 f. 49 Ebd. 50 Ebd., S. 42 f. 51 Klüber, Johann Ludwig, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes, 1840, § 254, S. 252 f. 52 Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 1978, S. 72. 53 Vgl. Mayer, Mathias, Abdankung, 2001, S. 13 f.

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chen ein Gefühl für den richtigen Zeitpunkt, damit die Grenze zwischen Selbst- und Fremdbestimmung nicht überschritten wird und sich der freiwillige und selbst bestimmte Rückzug von der Macht nicht in einen äußeren, auf Druck vorgenommenen Rücktritt von der Macht verwandelt, der zu einem erzwungenen Machtverlust führt und vielfach auch die Dynastie gefährdet. So hätte ein rechtzeitiger Verzicht des letzten der Hohenzollern, Kaiser Wilhelms II., auf die Kaiserkrone die Dynastie vielleicht retten können, da die Revolution 1917 / 18 in ihrem Wesen nicht antikaiserlich, kaum antidynastisch war. Wilhelm II. fand jedoch nicht die Kraft zu diesem Schritt und so mussten sein Rücktritt und der vollständige Verzicht auf die Kaiserkrone verkündet werden, bevor er die Abdankung ausgesprochen hatte.54 4.5 5. Merkmal: Subsidiarität

Die monarchische Staatsgewalt soll den „ewigen Staat“ und die Ewigkeit der Monarchie sichern. Der „ewige Staat“ spricht dabei durch den Regenten, seine Staatshandlungen sind mit seinem Regierungsverfahren ebenso verbunden wie seine (personalen) Rechte.55 Der Monarch kann daher zu einer willkürlichen Veräußerung der Staatsvertretung und Staatsregierung, auf welche ihm nur ein bloß persönliches, wenngleich auf seine Nachkommen übergängliches Recht zusteht, und zu einer willkürlichen Abdankung nicht berechtigt sein,56 da diese zu einer Thronerledigung oder zum Erlöschen der Thronfolge führen können – Rechtsfolgen, die der Konstitutionalismus gerade ausschließen will. Somit kann eine Abdankung nur subsidiär57 und unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen zur Anwendung gelangen. Diese Interpretation soll den historischen Gegebenheiten erfolgter Abdikationen Rechnung tragen und sie zum anderen im Rahmen der außerordentlichen Thronfolge als Mittel zur Erhaltung der Dynastie und der dynastischen Strukturen einsetzen. Die Abdankung kann daher nur zur Anwendung gelangen, wenn für sie gewichtige (erhebliche) sachliche oder personale Gründe gegeben sind und eine größere Vakanz oder ein längeres Interregnum in der Regierung ausgeschlossen werden kann. Die Krone soll im Ergebnis der Abdankung direkt an den Nachfolger übergeben werden. 4.6. 6. Merkmal: Unwiderrufbarkeit der Abdankung

Die Abdankung als Fall außerordentlicher Thronfolge ist verbindlich und endgültig. Mit ihr wird die Niederlegung der Krone bzw. der Verzicht auf den Thronanspruch unwiderruflich festgestellt. Das soll die Fortdauer der Monarchie als Staatsform si54 Herz, Ludwig, „Die Abdankung“, in: Karl Vetter (Hrsg.), Schriften zum deutschen Zusammenbruch 1918, Leipzig / Wien 1924, S. 3 ff., hier: S. 5. 55 Klüber, Johann Ludwig, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes, 1840, § 252, S. 353. 56 Ebd., § 256 Fortsetzung, S. 365. 57 Ebd., § 242, S. 336 Fn. f. Die Abdankung in rechtlichen Ordnungsvorstellungen  

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chern und den bruchlosen Übergang der Staatsgeschäfte auf den dynastischen Nachfolger gewährleisten.

5. Folgen der Abdankung Die Abdankung als Rechtsakt hat eine spezifische Regelungsfunktion, d.h. sie bringt bestimmte Rechtsfolgen hervor. Durch die Niederlegung der Krone oder den Verzicht auf den Thronanspruch wird die Thronfolge in derselben Weise wie bei dem Tod des Herrschers eröffnet,58 indem der nächste Thronfolger zur Krone berufen wird und eine neue Regierung antritt, allerdings – im Unterschied zur erblichen Thronfolge – noch zu Lebzeiten des freiwillig abgetretenen Herrschers. Der abgedankt Habende behält auch nach der Niederlegung seiner monarchischen Würde regelmäßig den bisherigen Titel bei. Darüber hinaus können auch gewisse Ehrenrechte bei ihm verbleiben.59 Soweit Beamte und Armee auf das monarchische Staatsoberhaupt vereidigt waren, werden sie von ihrem Treueeid entbunden.60 In der Regel erhält der Monarch zudem eine Abfindung oder Apanage.61 Er hat schließlich das Recht, sich seinen Residenzort nach der Abdankung zu wählen. Zuweilen erfolgt die Abdankung auch völlig bedingungslos. Dann ist nicht einmal von einer Abfindung – einem sonst unabdingbaren Bestandteil der Verzichtserklärung – die Rede. Nur die Untertanen werden vom abdankenden Monarchen angewiesen, dem Nachfolger zu huldigen. Die Huldigungsanweisung ist die letzte Amtshandlung des Abdankenden; von diesem Zeitpunkt an werden ihm keine Mitwirkungsmöglichkeiten mehr an der Herrschaft gewährt.62 Er tritt damit gleichsam aus der Geschichte aus.63 Für die Rechtmäßigkeit der Abdankung ist es erforderlich, dass der Monarch in seiner Abdankungserklärung nicht über den auf seine Person beschränkten Amtsverzicht hinausgeht und Rechtsfolgen bestimmt, zu denen er nicht berechtigt ist. Dies sind z.B. Erklärungen des Monarchen zum Erlöschen des königlichen Amtes und damit zum Ende der Monarchie oder zur Reichsauflösung.64 Solche Erklärungen des Monarchen im Zusammenhang mit seiner Abdankung sind aus staatsrechtlicher Sicht unzulässig und unwirksam, da der rechtliche Bestand der Monarchie und des Reichs 58 Frotscher, Werner / Pieroth, Bodo, Verfassungsgeschichte, München 2002, S. 93. 59 Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 1, 1971, S. 47; Kaufmann, Hans, Creifelds Rechtswörterbuch, 1992, S. 2. 60 Frotscher, Werner / Pieroth, Bodo, Verfassungsgeschichte, 2002, S. 93. 61 Klüber, Johann Ludwig, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes, 1840, § 251, S. 352 ff. 62 Dietrich, Reinhard, „Die Abdankung Ulrichs V. von Hanau. Ursachen und Folgen“, in: Hanauer Geschichtsblätter, 31 / 1993, S. 7–33, S. 23. 63 Mayer, Mathias, Abdankung, 2001, S. 14. 64 Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 1978, S. 73.

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– insbesondere in Wahlreichen – nicht der einseitigen Entscheidung des monarchischen Staatsoberhaupts unterworfen ist. Gerade deshalb hat man immer wieder die Rechtswirksamkeit einer Abdankung bezweifelt oder zu einem späteren Zeitpunkt in Betracht gezogen, die mit ihr verbundenen rechtlich relevanten Vorgänge für nichtig zu erklären. So ist die schon 1555 erfolgte Abdankung Karls V. erst wenige Monate vor seinem Tod 1558 rechtsstaatlich wirksam geworden, denn die gewünschte Übergabe der Macht an seinen Bruder stieß – wie bereits gezeigt – sowohl bei den Kurfürsten als auch bei Papst Paul IV. auf Vorbehalte.65 Bezüglich der Abdankung Franz II. im Jahre 1806, der zugleich das kaiserliche Amt für erloschen erklärte und die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation herbeiführte, erwog man zu einem späteren Zeitpunkt, als die Neuordnung Deutschlands nach den Napoleonischen Kriegen auf der Tagesordnung stand, „die Auflösung des Heiligen Römischen Reichs durch Kaiser Franz II. für nichtig zu erklären und damit das Reich wieder erstehen zu lassen“.66 Erst der Verzicht auf eine solche Reichserneuerung auf dem Wiener Kongress 1814 / 181567 hat nach der überwiegenden Meinung als Akt freier Entscheidung die faktische Reichsauflösung von 1806 auch rechtlich sanktioniert.68

Quellen- und Literaturverzeichnis Albrecht, Wolfgang, „Rezension zu Rudolf Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts“, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen, 1837, S. 1489–1504. Becmann, Johann Christoph, De abdicatione regni, Frankfurt / Oder 1671. Brunner, Otto, „Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip. Der Weg der europäischen Monarchie seit dem hohen Mittelalter“, in: Sonderdruck aus Vorträgen und Forschungen, Das Königstum, Bd. 3, Konstanz 1956, S. 279–305. Coccěji, Heinrich, Juris publici prudentia, Frankfurt / Oder 1700. Das Große Duden-Lexikon in acht Bänden, Bd. 1, Mannheim 1964. Dietrich, Reinhard, „Die Abdankung Ulrichs V. von Hanau. Ursachen und Folgen“, in: Hanauer Geschichtsblätter, 31 / 1993, S. 7–33. Dietrich, Richard, „Über Probleme verfassungsgeschichtlicher Forschung in unserer Zeit“, in: Probleme des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert (Beihefte zu Der Staat, Heft 1), Berlin 1975, S. 7–21. Frotscher, Werner / Pieroth, Bodo, Verfassungsgeschichte, München 2002. Hardtwig, Wolfgang, Vormärz. Der monarchische Staat und das Bürgertum, München 1985. 65 Kleinheyer, Gerd, „Abdankung des Kaisers“, 1987, S. 124–144. 66 Frotscher, Werner / Pieroth, Bodo, Verfassungsgeschichte, 2002, S. 94. 67 Klüber, Johann Ludwig, Acten des Wiener Kongresses, Bd.1, Erlangen 1815–1818 (ND Osnabrück 1968), S. 83 ff.; Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 1978, S. 484; Brauneder, Wilhelm, Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 1998, S. 109. 68 Frotscher, Werner / Pieroth, Bodo, Verfassungsgeschichte, 2002, S. 94. Die Abdankung in rechtlichen Ordnungsvorstellungen  

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Herz, Ludwig, „Die Abdankung“, in: Karl Vetter (Hrsg.), Schriften zum deutschen Zusammenbruch 1918, Leipzig / Wien 1924, S. 3 ff. Hintze, Otto, „Staat und Verfassung“, in: Gerhard Oestreich (Hrsg.), Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1987, S. 357–423. Hohenzollern, Friedrich Prinz von, Das Haus Hohenzollern 1918, München u.a. 1978. Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Bd. 1, Stuttgart 1978. Ders., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Reform und Restauration 1789 bis 1830, Bd. 1, Stuttgart 1990. Kaufmann, Hans (Hrsg.), Rechtswörterbuch. Begründet von Carl Creifelds, München 1992. Kleinheyer, Gerd, „Die Abdankung des Kaisers“, in: Gerhard Köbler (Hrsg.), Wege europäischer Rechtsgeschichte. Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag (Rechtshistorische Reihe, Bd. 60), Frankfurt u.a. 1987, S. 124–144. Klüber, Johann Ludwig, Acten des Wiener Kongresses, 8 Bde., Erlangen 1815–1818 (ND Osna­ brück 1968). Klüber, Johann Ludwig, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Frankfurt am Main 1840 (ND Frankfurt am Main 1975). Mayer, Mathias, Die Kunst der Abdankung, Würzburg 2001. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 1, Mannheim / Wien, Zürich 1971. Moser, Johann Jacob, Teutsches Staatsrecht, Bd. 7, Frankfurt / Main 1742 (ND Osnabrück 1968). Pfeffinger, Johann Friedrich, Corpus Juris Publici, Frankfurt / Main 1751. Reinhard, Wolfgang, Geschichte der Staatsgewalt, München 1992. Rupp, Hans-Heinrich, „Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft“, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Grundlagen von Staat und Verfassung, Bd. 1, Heidelberg 1987, S. 1187–1223. Schulze, Carola, Frühkonstitutionalismus in Deutschland, Baden-Baden 2003. Schurzfleich, Conrad Samuel, Dissertatio de eo, quod inter est abdicationis Principum, Wittenberg 1671. Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft, Bd. 2, München 1992. Walsmann, Hans, Der Verzicht. Allgemeine Grundlagen einer Verzichtslehre und Verzicht im Privatrecht, Leipzig 1912. Willoweit, Dietmar / Seif, Ulrike (Hrsg.), Europäische Verfassungsgeschichte, München 2003. Kongresspapiere – Thesen zur Tagung „Herrschen muss man wollen oder dürfen. Möglichkeiten und Grenzen von Herrschaft – Die Abdankung in Monarchien vom Mittelalter bis zur Gegenwart“, Susan Richter (Historisches Seminar Heidelberg), Dirk Dirbach (Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft Heidelberg) als Veranstalter, Heidelberg, 15. – 16.11.2007.

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Zeremonieller Schlusspunkt Die Abdankung als Herrschertod

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Einleitung

Das von Gottes Gnaden gegebene Amt wurde einem Fürsten auf Lebenszeit übertragen. Erst der Tod entband ihn von seinen Pflichten, in die sein Nachfolger – ebenfalls aus Gottes Gnade gegenüber der gesamten Dynastie und durch die gesetzlichen Erbfolgeregelungen eines Hauses berufen – eingesetzt wurde: Gott hatte den „Riß [und] die erledigte Fürstliche Regenten=Stelle mit einem Gottesfürchtigen, Gerechtigkeit und Tugend, zumahl auch die gemeine und des Vaterlands Wohlfahrt so treulich liebenden, suchenden und bevorhabenden, mit Weißheit und hohem Verstand herrlich ausgerüsteten, Hocherleuchteten tapferen Fürsten und Lands=Vater wieder ersetzet“.1 Die „Erledigung“ des Herrscheramtes basierte – auch in einer Wahlmonarchie – auf Gottes Wirken und hatte nicht auf Initiative des Menschen zu geschehen. Ein Regierungswechsel zu Lebzeiten des Herrschers war nicht vorgesehen. Damit bestand aber die Gefahr, dass die täglichen Regierungsgeschäfte oder besondere politische Situationen als unerträgliche Bürde empfunden wurden und dass diese Bürde in Melancholie des Fürsten mündete. Dies wiederum konnte zu einer „Entschließung“ führen, die als „unnatürlich“ angesehen wurde: zur Abdankung2. Heise skizzierte 1771 im Hannoverischen Magazin in seiner Abhandlung „Von des Großsultans Amurath des 1

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Lünig, Johann Christian, Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien, Welche bey Päbst- und Käyser-, auch Königlichen Wahlen und Crönungen […] Ingleichen bey Grosser Herren und dero Gesandten Einholungen […] beobachtet worden, Bd. 2, Leipzig 1720, S.797 f. Grundlegende Überlegungen zum Begriff der Abdankung bietet Mayer, Matthias, Die Kunst der Abdankung. Neun Kapitel über die Macht der Ohnmacht, Würzburg 2001. Ebenso der Beitrag von Hans Hattenhauer im vorliegenden Band. Eine wichtige Studie zu zeremoniellen Abläufen von Abdankungen stammt von Markus Bauer, „Das große Nein – Zum Zeremoniell der Resignation“, in: Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn (Hrsg.), Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Frühe Neuzeit, Bd. 25.), Tübingen 1995, S. 98–124. Die nachfolgende Untersuchung versteht sich als Ergänzung. Zeremonieller Schlusspunkt  

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II. zweymaliger Niederlegung der Regierung, und mehreren ähnlichen Entschließungen“ den Zusammenhang von Melancholie, Politikverdrossenheit und Abdankung von Herrschern. Er ging davon aus, dass Anfälle von Melancholie „den Patienten mit sich selbst und der ganzen Welt unzufrieden mach[en], und ihm allen Geschmack an den Süßigkeiten dieses Lebens und an den Vergnügungen zu herrschen raube[n]. So wie aber die Schwermuth bisweilen noch mit guten Stunden abwechselt, so fehlt es auch nicht an Beyspielen, daß die Regenten die in jenen Anfällen zu voreilig vom Throne heruntergestiegen sind, in den nachfolgenden Stunden diesen großen Schritt, aber allzu spät, bereuet haben“.3 Der schwermütig-traurige, körperlich kranke oder alternde und somit politisch handlungsunfähige Herrscher wurde ab dem 16. Jahrhundert nicht mehr wie König Saul als gottverlassen eingestuft.4 Er galt vielmehr als bedauernswerte und hilfsbedürftige Person, der aus humanistischer Perspektive körperliche Heilmittel wie Abwechslung, Musik und Bewegung an der frischen Luft in Form von Jagden und Ausritten helfen sollten. In erster Linie sei aber um Gottes Beistand zu flehen und in der Beichte die eigenen Sünden zu bekennen. Aus protestantischer Sicht war es vor allem Gott, der Trost spenden und dadurch Hilfe leisten sollte. Im 16. Jahrhundert entstanden zahlreiche protestantische Trostbücher, die sich explizit an regierende Fürsten wandten und mit geistlichem Zuspruch und Ratschlägen zur Lebensführung die Bürde des Herrscheramtes erträglich zu machen suchten.5 Beide Möglichkeiten, Gottes Hilfe zu erbitten oder durch körperliche Heilmittel Krisen zu überwinden, spiegeln sich auch in zeitgenössischen Fürstenspiegeln wider. Die Abwehr der Melancholie und die Reinigung von den Sünden, die einen Fürsten 3

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Heise, J.C.F., „Von des Großsultans Amurath des II. zweymaliger Niederlegung der Regierung, und mehreren ähnlichen Entschließungen“, in: Hannoverisches Magazin 1771, S. 1073–1084, hier: S. 1074. Tersch, Harald, „Die schwermütige Betrachtung des Kometen – Politik und Emotion im ‚Weißkunig‘“, in: Klaus Arnold / Sabine Schmolinsky / Urs Martin Zahnd (Hrsg.), Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bochum 1999, S. 63–93, hier: S. 63 sowie 81 ff. Zur melancholischen Motivation, abzudanken vgl. auch Bauer, Markus, „Das große Nein – Zum Zeremoniell der Resignation“, 1995, S. 101 ff. Verwiesen sei auf eine exemplarische Auswahl protestantischer Trostbücher, die sich an Fürsten richteten: Schütz, Christian, Helden-mäßiger Fürsten-Trost, o.O. 1671; Leonhard, Werner, Fürstlicher Trostspiegel vnd Christlicher Seelen-Trost, Jn Wellichem gründtlich verleibt ist, wie eines Fürsten vnd Regenten hertz, sampt seinen Christlichen ehrliebenden vnterthanen […] wider so mancherley versuchung vnd arglistigen anlauff verwaret sol sein […], Frankfurt / M. 1564; Heyd (Hedio), Caspar, Trost geschrifft, Durch Caspar Hedion, der heiligen geschrifft Doctor, in[n] eyl angestellt, und dem Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten vnd herrn, herrn Ott Hainrichen, Pfaltzgrauen bey Rein, Hertzogen in[n] Nidern vnd Obern Bayern [et]c. zuegeschickt, Neuburgii Danubii 1546; Groner, Johann, Zu Trost allen armen gewissen. Eyn klein Buchlyn, den herrn Wollf und Johan fürsten von Anholt [sic!], Wittenberg 1524.

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„meer truckt unnd nagt, denn ander leut, darzu auch wenn er felt, felt er vil schwerer denn ander[e]“, thematisierte beispielsweise Wolfgang Seidel in seinem Fürstenspiegel „Wie sich ain christlicher Herr, so Landt unnd Leut zu regirn […] hat, vor schedlicher Phantasterey verhüten unnd in allen nöten trösten soll“ aus dem Jahr 1545.6 Die Fürstenspiegel zielten also darauf, Hilfe und Trost zu spenden. Alternativen, wie die Aufgabe des Thrones, Abdankung und der Rückzug ins Privatleben wurden hingegen in den Fürstenspiegeln kaum thematisiert, einige lehnten sie sogar ausdrücklich ab. Georg Engelhard von Löhneyss schrieb beispielsweise in seiner Hof=, Staats= und Regier=Kunst 1679: Ein Fürst oder Regent solle „in seinem Ammt / wegen vieler grosser Mühe und Gefahrligkeit nicht überdrüssig werden / noch dasselbe verlassen“.7 Umso unerhörter war es, wenn ein Monarch tatsächlich abdankte und sein Amt vollständig aufgab. Bereits der natürliche Wechsel von einer Generation zur nächsten durch den Tod eines Herrschers war ein Schwachpunkt der Herrschaft. Nur eine reibungslose und rechtlich gesicherte Erbfolge half, Konflikte mit alten Eliten wie den Ständen zu vermeiden. Umso mehr war es im Fall einer Abdankung erforderlich, sie in Form eines „actus resignationis“ zu vollziehen, in dem die Entscheidung kommuniziert und begründet sowie zugleich der Nachfolger zugunsten der Kontinuität und zur Vermeidung von gefährlichen Vakanzen installiert werden konnte.

2. Thesen Da es für einen solchen Akt im eigenen Haus in der Regel kein Vorbild gab, orientierten sich zum Rücktritt entschlossene Fürsten am Ablauf der Abdankung Karls V.8 Doch wonach hatte sich Karl V. selbst gerichtet? Und passte das kaiserlich-königliche Vorbild zu den Intentionen von Herrschern, die Jahrhunderte später abdankten? 6

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Zit. n. Singer, Bruno, Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. Bibliographische Grundlagen und ausgewählte Interpretationen: Jacob Wimpfeling, Wolfgang Seidel, Johann Sturm, Urban Rieger, München 1981, S.  255. Zu Seidel und seinem Werk sehr ausführlich ebd. S. 251–270. Löhneyss rät, in schweren Zeiten der Amtsführung Gottes Hilfe zu erbitten. Löhneyss, Georg Engelhard von, Hof= Staats= und Regierkunst, Franckfurt a. Main 1679, 5. Kap., S. 96. Erasmus von Rotterdam sah in der Abdankung eine Lösung, wenn die Herrschaft nur noch um den Preis von Rechtsverletzungen, Blutvergießen oder Religionsverfolgungen behauptet werden könne und neben dem Staatswohl auch das Leben des Herrschers gefährdet sei: „Wenn dir das nicht paßt, warum strebst du dann nach der Regierung oder warum übergibst du die unfreiwillig übernommene nicht einem andern? Wenn dir das nicht erlaubt ist, übertrage die Wahrnehmung der Regierungsgeschäfte einem, der so ist, wie du sein solltest.“, Gail, Anton J. (Hrsg.), Erasmus von Rotterdam. Institutio Principis Christiani. Fürstenerziehung, Paderborn 1968, S. 67 und S. 111. Bauer, Markus, „Das große Nein – Zum Zeremoniell der Resignation“, 1995, S. 111 f. Zeremonieller Schlusspunkt  

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Das Abdankungszeremoniell – so lautet die erste These – entstand als Konstrukt aus der Umkehrung von verschiedenen Elementen des Zeremoniells zum Regierungsantritt wie etwa der Wahl, Krönung oder Huldigung, sowie aus Bestandteilen der Handlungen, die üblicherweise nach dem Tode eines Herrschers vollzogen wurden und den Übergang an den Nachfolger einleiteten.9 Dass sich das Ende einer Regierung an ihrem Anfang orientierte, erscheint logisch und wurde schon von den zeremoniellwissenschaftlichen Kompilatoren wie zum Beispiel Lünig in seinem „Theatrum ceremoniale“ angedeutet: Lünig vereint die Darstellungen zum Regierungsantritt und den Fürstenrücktritten im Kapitel „Vom Ceremoniel bey dem Antritt derer Regierungen / auch Abdanckung hoher Potentaten und grosser Herren (Caput XXIII)“. Im Mittelpunkt der nachfolgend untersuchten Abdankungen stand eine Rede mit der Abdankungserklärung. Sie muss als zentraler Kern des Aktes und als Klammer zwischen den visualisierten Elementen betrachtet werden und leitete zum juristischen Vollzug der Abdankung durch Unterschrift unter die Abdankungsurkunde über.10 Zugleich begründete diese Rede – so die zweite These – die Reduzierung der beiden Körper des Monarchen durch das Ablegen oder Abstreifen des „body politic“ auf einen, den „body natural“.11 Juristisch bedeutete die Abdankung deshalb den symbolischen Tod der Person als Herrscher mit ihren Machtbefugnissen. Dieser symbolische Tod lässt deshalb – so die dritte These – eine enge Anlehnung der Abdankungsreden an die Inhalte und Intentionen von Fürstentestamenten erwarten.

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Für die Umkehr der Zeremonielle des Regierungsantritts bei der Abdankung spricht noch eine andere Tatsache der eigenen Wahrnehmung des Endes der Herrschaft, die symbolisch den Kreis zum Anfang schloss: Karl V. legte als erstes die Souveränität des Goldenen Vlieses ab, die er schon lange vor seiner Volljährigkeit als erstes offizielles Amt übernommen hatte. Auch der Abdankungsort für den Rücktritt in seinen niederländischen Territorien – Brüssel – war symbolisch gewählt: Es war der Ort, an dem seine politische Verantwortung als Herrscher einst begonnen hatte. Seibt, Ferdinand, Karl V. Kaiser zwischen Mittelalter und Neuzeit, München 32006, S. 215. 10 Die inhaltlichen Teile der Rede gelten nach Braungart als eigenständige kommunikative Akte. Braungart, Georg, Hofberedsamkeit. Studien zur Praxis höfisch-politischer Rede im deutschen Territorialabsolutismus (Studien zur deutschen Literatur, Bd. 96), Tübingen 1988, S. 155 f.; Ders., „Die höfische Rede im zeremoniellen Ablauf: Fremdkörper oder Kern?“, in: Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn (Hrsg.), Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Tübingen 1995, S. 198–208, hier: S. 205. 11 Kantorowicz, Ernst H., Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 21994.

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3. Vergleichender Blick ins Abdankungszeremoniell Das Abdankungszeremoniell soll im Folgenden an den Beispielen der Amtsniederlegung Karls V. in den Niederlanden am 25. Oktober 1555 und später als Kaiser im Reich (1556 erklärte Karl den Rücktritt vom Kaiserthron, 1558 erfolgte die Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit) sowie der Abdankung König Johann Casimirs von Polen (1609–1672) im Jahr 1668 im Warschauer Schloss vorgestellt werden. 3.1. Abstrakte Abfolge

Bei der vergleichenden Betrachtung der Abdankungszeremonielle des 16. und 17. Jahrhunderts fallen Bausteine auf, die sich im Wesentlichen auch in Zeremoniellen zum Herrschaftsantritt und beim Tod eines Herrschers nachweisen lassen: •







Abdankungen fanden – ähnlich wie Testamentseröffnungen – vor einer ausgesuchten Öffentlichkeit statt. Sie repräsentierte die Stände des betreffenden Landes sowie den Hof und schloss Familienmitglieder des Herrschers mit ein. Die untersuchten Abdankungen Karls V. und Johann Casimirs wurden förmlich erklärt, entweder mündlich in einer Rede oder schriftlich in einer Urkunde jeweils mit Begründung. In der Abdankungserklärung entband der Herrscher die anwesenden und nicht anwesenden Untertanen und Stände ausdrücklich von ihren Pflichten und ihrem Gehorsam ihm gegenüber. In diesem Moment schloss sich der Kreis zu den im Rahmen des Regierungsantritts geleisteten Huldigungen. Die mündliche oder schriftliche Abdankungserklärung beinhaltete in der Regel einen Rückblick auf die Regierungszeit des Abtretenden sowie die Einsetzung des Erben in die Regierung. In einer Wahlmonarchie rief der scheidende Herrscher zu einer Neuwahl auf. Hier finden sich starke Parallelen zu den zeremoniellen Eröffnungen von Fürstentestamenten: Sie brachten die Erbeinsetzung und politischen Selbstreflexionen des Verstorbenen einer ausgesuchten Öffentlichkeit zur Kenntnis. Der verbalen Abdankungserklärung folgte die symbolische und sichtbare: Der scheidende Herrscher leistete die Unterschrift und setzte sein Siegel unter die Abdankungsurkunde. Im Anschluss daran wurde sein Siegel zerbrochen, und er legte Zepter oder Schwert nieder. In Polen kam die Rückgabe des Königsdiploms als Ausweis rechtmäßiger Herrschaft hinzu. In einem letzten Schritt verließ der Herrscher den Raum, in dem der Nachfolger oder Interimsregent mit den anderen Anwesenden zurückblieb. Auch hierin finden sich Anleihen an das Totenzeremoniell.

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3.2. Untersuchung am Beispiel Kaiser Karls V. und König Johann Casimirs von Polen. a)

Öffentlichkeit

Karl V. war bei der Abdankung in seinen niederländischen Gebieten ebenso selbst anwesend wie Johann Casimir bei der Niederlegung der polnischen Krone in Warschau.12 Bei der Abdankung in den Niederlanden saß Karl V. in Brüssel wegen des Todes seiner Mutter wenige Wochen zuvor in Trauerkleidung auf dem Thron. Neben ihm hatten seine Schwestern, die Königinwitwe Eleonore und Maria, Statthalterin der Niederlande, sowie zu seiner Rechten sein Nachfolger Prinz Philipp Platz genommen. Ebenfalls anwesend waren Vertreter der Generalstände der Niederlande und Mitglieder des Ordens vom Goldenen Vlies. Bei diesen Personen handelte es sich um eine exklusive Gruppe mit einer persönliche Beziehung zum abdankenden Fürsten bzw. seinem Nachfolger. Darüber hinaus repräsentierten die Anwesenden die Beziehung des zurücktretenden Herrschers zu seinen Untertanen, waren sie doch wie Maria, die Statthalterin, in ihrer Funktion als Oberhaupt der Niederlande anwesend. Diese ausgewählte Öffentlichkeit nahm die Abdankung als letzten öffentlichen und rechtlichen Akt des Monarchen zur Kenntnis. Einige, wie etwa der Erbe oder ein langjähriger Beamter, waren darüber hinaus aktiv in den Vorgang involviert.13 König Johann Casimir von Polen dankte vor den Magnaten Polens auf einem im August des Jahres 1668 eigens einberufenen Reichstag ab. Die Magnaten besaßen die Berechtigung zur Königswahl und hatten Johann Casimir Jahre zuvor als Monarchen installiert. Zugegen waren zudem Vertreter der Regierung: der Reichskanzler, der Reichstagsmarschall, ein Referendar sowie Würdenträger der Kirche. Sie hatten vor der Abdankungszeremonie in Anwesenheit des Königs eine Messe gelesen.14 Die Gruppe der Anwesenden bei der Abdankung entspricht weitgehend dem Personenkreis, der bei der Eröffnung von Testamenten verstorbener Herrscher anwesend war. Eröffnung und Verlesung des Testaments waren der letzte öffentliche Akt nach 12 Das galt nicht für die Abdankung Karls V. als Kaiser. Auch Landgraf Moritz von HessenKassel blieb dem Abdankungsakt im Jahr 1627 fern. Vgl. dazu Eßer, Raingard, „Landgraf Moritz’ Abdankung und sein politisches Vermächtnis“, in: Gerhard Menk (Hrsg.), Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft, Marburg a. d. Lahn 2000, S. 196–214. 13 Vgl. zum Ablauf der Abdankung Karls V. in Brüssel grundlegend Conrads, Norbert, Die Abdankung Kaiser Karls V. Abschiedsvorlesung, gehalten am 23. Juli 2003 in der Universität Stuttgart (Reden und Aufsätze, Bd. 65), Stuttgart 2003. Vgl. dazu Richter, Susan, Fürstentestamente der Frühen Neuzeit. Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 80), Göttingen 2009, S. 130–139. 14 Lünig, Johan Christian, Theatrum ceremoniale, Bd. 2, 1720, S. 816.

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seinem Tode. Vor einem ausgesuchten Kreis, bestehend aus dem Erben, weiteren Familienmitgliedern, den Testamentsexekutoren und Vertretern der Stände, war die Testamentseröffnung ein Akt, den der Verstorbene noch einmal aktiv gestaltete und bei dem er in der Funktion als Herrscher und Familienoberhaupt – wenn auch bereits gestorben – durch den das Testament verlesenden Kanzler ein letztes Mal seine Stimme erhob und wie gewohnt regelnd und anweisend wirkte.15 b)

Entbindung der Untertanen von ihren Pflichten

Vor der genannten Öffentlichkeit ließ Karl V. durch den Rat Philibert de Bruxelles seine Abdankungserklärung verlesen. Wichtigster Bestandteil der Erklärung war die Lossagung „[…] aller bisherigen Unterthanen von ihrem Eid und Pflicht, womit sie uns als ihrem Fürsten und Herrn verbunden gewesen“.16 Gleichermaßen verfuhr Karl V. bei seiner Abdankung als Kaiser: Er hatte seinen, bereits 1531 zum römischen König gewählten Bruder Ferdinand gebeten, die Kurfürsten von dem Entschluss, als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs abzudanken, förmlich zu informieren.17 Da Karl hinsichtlich „[…] der Solennität und Zierlichkeit der Ausführung nichts vorzuschlagen gewusst hätte“, wie sich Johann Jacob Moser in seiner Abhandlung zum „Römischen Kaiser, Römischen König und denen Reichsvicarien nach denen Reichsgesetzen aus dem Jahr 1767“ äußerte,18 erging aus dem Kurkollegium folgender Vorschlag, der auch umgesetzt wurde: In der St. Bartholomäuskirche zu Frankfurt wurde ein Gerüst mit einem Thron errichtet. Der römische König und die Kurfürsten begaben sich in ihrem Habit in die Kirche, wo Ferdinand auf dem Gerüst vor dem Thron stehend öffentlich die Abdankungserklärung Karls V. verlas und die anwesenden Untertanen aus ihren Pflichten sowie die Kurfürsten aus ihren Erzämtern und Diensten entließ. Karl selbst war anders als noch bei der Abdankung in den Niederlanden der Zeremonie ferngeblieben. Auch König Johann Casimir entband in seiner Abdankungsrede, gehalten durch den Reichsunterkanzler, die polnischen Untertanen und Bedienten der Regierung von ihrem Gehorsam und bedankte sich gleichzeitig bei ihnen.19 Als Antwort erhob sich der Reichsmarschall und bat den König im Namen des versammelten Adels, im Amt zu bleiben. Die Bitte verband er mit einer zweiten Huldigung und bekundete erneut den Gehorsam und die Liebe des Volkes. Wie der Augenzeuge Johann Chrysotomus Passek berichtet, erhob sich ein gewisser Ozga, ein alter Kammerherr aus Lemberg, 15 Vgl. zum Zeremoniell der Testamentseröffnung am Beispiel Hessen-Darmstadts im 17. Jahrhundert Richter, Susan, Fürstentestamente, 2009, S. 118–149. 16 Lünig, Johann Christian, Theatrum Ceremoniale, Bd. 2, 1720, S. 809. 17 Vgl. dazu Kraemer, Hedwig, Die Abdankung Kaiser Karls V., (Diss. masch.) Köln 1954. 18 Moser, Johann Jacob, Von dem Römischen Kayser, Römischen König und denen Reichs= Vicarien […], Frankfurt am Main 1767 (ND Onabrück 1967), S. 614 f. 19 Lünig, Johan Christian, Theatrum Ceremoniale, Bd. 2, 1720, S. 816. Zeremonieller Schlusspunkt  

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und „begann im Eifer für das Vaterland und für die Majestät zu reden: „Huldreicher König, beschäme dich und uns nicht, noch unser gemeinschaftliches Vaterland, welches dich erzogen und dich auf diesen Thron erhoben hat. Du bist […] von uns durch freie Stimmen berufen worden, um über uns zu herrschen, verlaß uns nicht.“ Viele, auch der König vergossen Tränen“.20 Erst nachdem Johann Casimir die Huldigung abgelehnt hatte, dankten die Anwesenden dem scheidenden Monarchen.21 Die Entbindung der Untertanen von ihren Pflichten war der wichtigste Bestandteil der Abdankungsreden bzw. -erklärungen.22 Sie löste das durch die Huldigung23, insbesondere durch den Huldigungseid, mit dem Regierungsantritt eines Herrschers rechtsförmlich geschlossene Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Regierenden und den Regierten. Diente die Huldigung im Rahmen der Regierungsübernahme dazu, die Untergebenen in die Pflicht zu nehmen, so folgte die Abdankung dem Prinzip der Rückabwicklung des Regierungsantritts: Sie entließ die Untertanen, die ja durch ihre Ständevertreter repräsentiert wurden, verbunden mit einer Danksagung aus dem langjährigen Gehorsam gegenüber dem alten Herrscher. Wie bei der Huldigung erfuhr der scheidende Herrscher auch bei der Abdankung eine Antwort der Ständevertreter: Sie baten ihn ein letztes Mal um den Verbleib im Amt und bedankten sich für die gute Herrschaft im Sinne der Topoi des Schutzes und des Schirms. Mit ihrem Dank erkannten sie die Abdankung als Entsagung von allen Herrschaftsrechten an. Dieses Anerkenntnis entspricht der Legitimierung des Herrschers bei der Huldigung. Der Konsens zwischen Herrscher und Untertanen, der in der Huldigung zum Ausdruck gekommen war, wurde damit auch bei ihrer Rücknahme sichtbar. Zugleich baten die Untertanen den Herrscher, im Amt zu bleiben, und dokumentierten dadurch, dass der Rücktritt nicht Folge eines gestörten Verhältnisses zwischen Obrigkeit und Untertan war und schon gar keine Absetzung bedeutete, sondern auf einer einseitigen Willenserklärung des Herrschers basierte. Nach den Aufzeichnungen des Zeugen Passek ersuchten die Stände den polnischen König Johann Casimir, er möge nicht abdanken. „Sie stellten ihm sein Unrecht und die Mißachtung vor, 20 Denkwürdigkeiten des Johann Chrysotomus Passek aus dem Regierungsjahre der Könige Johann Casimir, Michael Korybut und Johann IV. von Polen vom Jahre 1636–1688, hrsg. und ins Deutsche übersetzt von Gustav Adolf Stenzel, Breslau 1838, S. 334. 21 Lünig, Johann Christian, Theatrum Ceremoniale, Bd. 2, 1720, S. 816. 22 Vgl. dazu die Abdankungserklärung Friedrich Carl Alexanders von Ansbach und Bayreuth im Aufsatz von Richter, Susan, „Von der Verlockung, sich selbst zu leben“ in diesem Band. 23 Zur Huldigung vgl. grundlegend Holenstein, André, Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800–1800), Stuttgart / New York 1991. Holenstein geht jedoch nicht auf die Umkehrung des Huldigungszeremoniells ein und thematisiert nicht die Entbindung der Untertanen vom Eid im Zusammenhang mit Abdankungen.

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welche das Vaterland bisher noch von keinem Könige erfahren hatte; die Vorwürfe der Fremden, die uns bis jetzt noch nicht vorhalten konnten, daß wir einen unserer Könige getödtet oder vertrieben hätten, indem wir jeden, den uns Gott schenkte, so lange duldeten, bis er ihn selbst zu sich berief, obgleich mancher unsere Zufriedenheit nicht erworben hatte“24. c)

Rückblick auf die eigene Regierung und Einsetzung des Erben in Abdankungsreden

Neben der Entbindung der Untertanen von ihrer Gehorsamspflicht war die Angabe der Gründe für die Abdankung in Verbindung mit einem persönlichen und sehr oft selbstkritischen Resümee der eigenen Regierungsleistung wichtiger Bestandteil der Abdankungsrede. Die Monarchen thematisierten rückblickend – zumeist vor der Schablone der Topoi guter Herrschaft – ihr persönliches Ringen mit dem Ideal eines guten Landesvaters, problematisierten oder rechtfertigten das eigene Handeln bzw. zeigten sich selbstzufrieden, den Anforderungen an gute Herrschaft entsprochen zu haben. Als Motivation für ihre Amtsniederlegung gaben sie stereotyp ihre Leibesschwachheit im Sinne nachlassender körperlichen Kräfte, das hohe Alter oder Krankheit an. Eine bestehende und weiter zunehmende körperliche Schwäche diente ihnen in erster Linie zur Begründung der Regierungsunfähigkeit und bot eine hinreichende Erklärung für seelische Schwächezustände wie etwa der eingangs zitierten Melancholie.25 Der körperlich oder seelisch kranke und somit politisch möglicherweise handlungsunfähige Monarch war ein Unsicherheitsfaktor, bot er doch Angriffsflächen und damit verschiedenen Personengruppen am Hof die Möglichkeit, ihn zu ihrem Spielball zu machen und die gerechte und gerechtfertigte Herrschaft zu gefährden, wie Cordula Nolte nachweisen konnte.26 Kaiser Karl V. und König Johann Casimir von Polen sahen ihre Abdankung daher auch als ein Zeichen von Stärke: Bei klarem Bewusstsein und unter vernünftiger Einschätzung ihrer schwindenden Kräfte verzichteten sie zugunsten des Gemeinwohls auf die Macht und übertrugen das Amt dem jüngeren, fähigen Erben oder – in der Wahlmonarchie – einem geeigneten Kandidaten zur rechten Zeit. Im Wechsel der Generationen lag eine größere Chance für die erfolgreichere Fortführung der Regierung als im Verbleib des alten Herrschers. 24 Denkwürdigkeiten des Johann Chrysotomus Passek, hrsg. von Stenzel, S. 334. 25 Die Melancholie konnte zugleich aus dem Verlust eines geliebten und nahe stehenden Menschen resultieren. Lünig verweist auf den Tod der Königin Ludovica von Polen. Schon zu ihren Lebzeiten habe Johann Casimir über eine Resignation nachgedacht, aber erst nach ihrem Ableben das Vorhaben verwirklicht. Persönliche Trauer in politisch schwierigen Situationen musste die Aufgabe des Amtes in den Augen der Untertanen noch plausibler erscheinen lassen. Lünig, Johann Christian, Theatrum ceremoniale, Bd. 2, 1720, S. 815. 26 Nolte, Cordula, „Der kranke Fürst. Vergleichende Beobachtungen zu Dynastie- und Herrschaftskrisen um 1500, ausgehend von den Landgrafen von Hessen“, in: Zeitschrift für historische Forschung, 27/2000, S. 1–36. Zeremonieller Schlusspunkt  

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So erhob sich Karl V. in Brüssel von seinem Thron und thematisierte in einer selbst gehaltenen Rede seinen beklagenswerten Gesundheitszustand27 unter Hinweis auf die lange Regierungszeit von über 40 Jahren in den belgischen Provinzen, ähnlich lange Zeiten in anderen Staaten sowie seine zahlreichen und beschwerlichen Reisen. Danach zog er ein kritisches Resümee seiner Regierung. Er rechtfertigte einige seiner Kriege und bedauerte, den Generalstaaten keinen dauerhaften Frieden beschert zu haben. Selbstreflexiv bekannte er sich zu „[…] mannigfachen Irrtümern“, zu denen er sich durch „jugendliche Unerfahrenheit, durch den Stolz des reiferen Alters oder durch die Schwäche der menschlichen Natur“ habe verleiten lassen, und versicherte, dass er niemals freiwillig oder wissentlich Unrecht begangen habe. Für den Fall, dass es dennoch dazu gekommen sein sollte, bat Karl diejenigen, welchen ich „in dieser Weise zu nahe getreten bin, diejenigen, die heute hier anwesend sind, sowie diejenigen, die abwesend sind, mir zu vergeben“.28 Nach diesen Worten, so verzeichnet der anonyme Berichterstatter, musste Karl V. eine kurze Pause einlegen und sich setzen. Daraufhin reichte ihm seine Schwester Eleonore als Symbol für Karls angeschlagene Gesundheit einen Becher mit einem erfrischenden Getränk.29 Einen Rückblick auf seine über 20-jährige beschwerliche, kriegsreiche Regierungszeit bot auch König Johann Casimir von Polen bei seiner Abdankung im Jahr 1668. Er sei insbesondere „[…] wegen [seines] hohen Alters verdrossen und durch die vielen Reichs=Täge und schweren Verrichtungen abgemattet“. Auch Johann Casimir bat die Anwesenden durch den Reichsunterkanzler, ihm Ungerechtigkeiten zu verzeihen, wie auch er sie entschuldigen würde: „[…] so wir etwa in Betrachtung des Zustandes und Glücks / allen miteinander nicht haben zu Gefallen leben können, sie

27 Peter Schneider vermutet in seiner Studie zum Gichtleiden Karls V. eine psychosomatische Erkrankung, die nicht zuletzt auch seinen geistigen und seelischen Zustand beeinflusst habe. Die Krankheit verursachte nach Schneider einen selbstinduzierten psychischen Schmerz. Weil sein körperlicher und seelischer Zustand die Realisierung der hochgesteckten Selbsterwartungen nicht mehr zuließ, habe Karl Selbstmitleid und Trauer empfunden. Dazu sei noch eine melancholische Grundstimmung mit depressiven Phasen gekommen, die gegen Ende seines Lebens zugenommen hätten. Schneider, Peter, Die Gicht als psychosomatische Erkrankung am Beispiel des Vater-Sohn-Verhältnisses von Kaiser Karl V. und Philipp II, (Diss.) Mainz /  Hamburg 1996, S. 21–25. 28 Ansprache Karls V. vor den Deputierten der niederländischen Generalstände, Auszug, Brüssel 25. Oktober 1555, in: Alfred Kohler (Hrsg.), Quellen zur Geschichte Karls V. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 15) Darmstadt 1990, S. 466–468, hier: S. 467. 29 Mayer, Mathias (Hrsg.), Kaiser Karl der Fünfte, Rede vor den Generalstaaten der Niederlande, Hamburg 2001, S. 13.; Kohler, Alfred (Hrsg.), Ansprache Karls vor den Deputierten der niederländischen Generalstände, 2001, S. 468.

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sollen uns / als die wir allen und ieden auch alles allbereit vergeben haben / solches verzeihen“.30 Daraufhin nahmen die Abdankenden in ihrer Rede auf den jeweiligen Nachfolger Bezug: In den Erbmonarchien übertrug der alte Herrscher die Regierung auf seinen Erben und hielt ihn zur guten und gerechten Herrschaft in Anlehnung an das in der Abdankungsrede formulierte Ideal an. Karl V. wandte sich an seinen Sohn Philipp: „Wärest Du durch meinen Tod in den Besitz dieser Provinzen gelangt, so würde eine so schöne Erbschaft mir wohl einen gerechten Anspruch auf deine Dankbarkeit gesichert haben. Jetzt aber, wo ich sie dir freiwillig übergebe, zu Deinem Vortheil gleichsam vor der Zeit sterbe, erwarte ich, dass mich die Liebe und Sorge, die Du deinem Volke widmest, in solchem Maße belohnen werde, wie ich es um einer solchen Gabe verdiene“.31 König Johann Casimir gab seinen Thron frei und erinnerte die Anwesenden daran, nun eine neue Wahl durchzuführen: „[…] so wollen wir die Stelle überlassen / warumb wir dann auch die Allerheiligste Majestät Gottes in unsrer Einsambkeit von allen Sorgen befreyet inbrünstig anrufen wollen, daß Sie euch bey der Wahl von oben herab segnen wolle“.32 d)

Sichtbare Niederlegung der Herrschaft

Die letzte Handlung des Abdankenden bestand im „signum“, der Unterschrift unter die Abdankungsurkunde, der eigentlichen „resignatio“. Die mit der Abdankung verbundene Aufgabe des Thrones wurde darin sichtbar, dass der alte Herrscher nach der Unterschrift die Stufen des Thronpodestes herabstieg, den Saal vor den Augen aller verließ und dabei die abgelegten Herrschaftsinsignien und – zumindest in der Erbmonarchie – den Nachfolger in Amt und Würden eingesetzt zurückließ. Der zurückbleibende Erbe verdeutlichte die ungebrochene Kontinuität, die jede Krise ausschließen sollte.33 30 Anonymus, Letzte Rede / Die Der König in Pohlen Bey Hinlegung Cron und Scepters am 16. Septembris Gegen die Stände selbigen Reichs gethan, o.O. 1668, Blatt 2 und 4. Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Diese Entschuldigungen finden sich in zahlreichen frühneuzeitlichen Fürstentestamenten. Richter, Susan, Fürstentestamente, 2009, S. 228–237. 31 Kohler, Alfred (Hrsg.), Ansprache Karls vor den Deputierten der niederländischen Generalstände, 2001, S. 468. 32 Anonymus, Letzte Rede / Die Der König in Pohlen Bey Hinlegung Cron und Scepters am 16. Septembris Gegen die Stände selbigen Reichs gethan, 1668, Blatt 2. Dem bisher geschilderten Zeremoniell war auch die Abdankung Landgraf Moritz’ von Hessen-Kassel gefolgt. Eßer, Raingard, „Landgraf Moritz’ Abdankung“, 2000, S. 200 ff. 33 Für die Abdankung Johann Casmirs vgl. Lünig, Johan Christian, Theatrum ceremoniale, Bd. 2, 1720, S. 816. Zeremonieller Schlusspunkt  

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Bereits im Gehen zeigte sich der neue Rechtsstatus des zurückgetretenen Monarchen: Bei seiner Abdankung als Erbmonarch Spaniens und der Niederlande stützte sich Karl V. auf den Prinzen von Oranien und verließ den Brüsseler Saal als Majestät ohne Land. Ausgehend von der Vorstellung, Gott verleihe seine Gnade nicht einem einzelnen Herrscher, sondern an ein ganzes Geschlecht, das so von ihm erwählt zur Herrschaft berufen sei, behielt ein jeder Repräsentant dieser Herrschaft die Majestät auch nach Aufgabe des Regentenamtes bei. Das galt auch für Karl als zwar entkröntem, aber auf ewig gesalbtem Monarchen. Er behielt den Titel der Majestät bei. Der polnische König Johann Casimir hatte in seiner Abdankungsrede betont, dass mit ihm aus „einem Fürsten ein gemeiner Mann, aus einem gebietenden Herrn ein gehorsamer Unterthan / und aus einem Könige euer Mitbürger“ werde. Nunmehr Privatperson, verzichtete er beim Verlassen des Saales im Warschauer Schloss demonstrativ auf Begleitung oder Hilfe und öffnete sich die Tür selbst.34 Der Weg führte beide Monarchen aus der „Vita activa“ des politischen Lebens in die „Vita contemplativa“ klösterlicher oder klosterähnlicher Abgeschiedenheit, Karl V. in Spanien und Johann Casimir in Frankreich.35 Der – wenn auch temporäre – Aufenthalt in einem Kloster oder das Landleben sollten gemäß dem Rat der Fürstenspiegel helfen, die Melancholie als Folge der Hofkrankheit und der Last des Herrscheramtes zu heilen.

4. Inhaltliche Parallelen zwischen Abdikationsreden und Testamenten Karl V. und Johann Casimir sahen in der Aufgabe des Thrones ihren vorzeitigen und symbolischen Tod als Herrscher: Obwohl als Menschen noch am Leben, waren sie als regierender Monarch und Dienstherr „gestorben“. Nach der Abdankung Karls V. als spanischer König wurde beispielsweise in allen Ländern und Hauptstädten Spaniens Don Felipe als König ausgerufen, so als ob Karl V. gestorben wäre. Das Zeremoniell der Amtsübernahme Philipps folgte damit 34 Lünig, Johann Christian, Theatrum ceremoniale, Bd. 2, 1720, S. 816. Der Zeitgenosse Passek berichtete, dass der Status des zurückgetretenen Königs zu Verwirrung im Umgang mit ihm und zu Belustigungen geführt habe: „Als endlich alle Bitten und Vorstellungen fruchtlos blieben, rief derselbe Ozga gleichsam im Zorne aus: „Huldreicher König, da du nicht unser Gebieter bleiben willst, so sei mindestens unser Bruder.“ Man lachte und scherzte darauf gleichsam über den Leichtsinn des Königs, welcher sich dazu verleiten ließ. Wie sollen wir ihn denn heißen? Etwa Prinz, da er schon König war? Mag er Herr Snopkowski heißen, weil sich in seinem Wappen eine Garbe (Snopek) befindet“. Denkwürdigkeiten des Johann Chrysotomus Passek, hrsg. von Stenzel, S. 334. 35 Lünig schreibt: Zu Nevers verstorben“. Lünig, Johan Christian, Theatrum ceremoniale, Bd. 2, 1720, S. 816.

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den Gepflogenheiten, wie sie bei einem Amtsantritt nach dem Tode eines Herrschers üblich waren. Auch in seiner Abdankungserklärung als Kaiser wünschte Karl V. für seinen Bruder Ferdinand, dass dieser das Amt so führen könne, als wäre er „allein am Leben und Regiment unnd wir allbereit mit Tod abgegangen“.36 Der polnische König betonte in seiner Abdankungsrede, er sei „[…] dem Tode nahe / und doch noch am Leben / der Welt aber allbereit abgestorben“.37 Der Zeitgenosse Passek berichtete, dass nach der Niederlegung der Krone durch Johann Casimir in Warschau „Kapuzen getragen [wurden], um die Trauer der Republik anzudeuten“.38 Das Verständnis der Abdankung als „mors civilis“ zwang den Herrscher zu letzten Amtshandlungen, die in der Regel Gegenstand der Testamentseröffnung waren, und zur Thematisierung von Inhalten, die als Kundgabe des letzten Willens gewöhnlich Bestandteile herrscherlicher Testamente waren. Deshalb stimmen nicht nur die Zeremonielle von Abdankung und Herrschertod, sondern auch die Inhalte von Abdankungsreden und Fürstentestamenten in vielen Punkten überein. Das betrifft insbesondere • die Erbeinsetzung bzw. Übertragung der Herrschaft auf den Nachfolger mit dem Ziel des reibungslosen Übergangs der Herrschaft im Sinne politischer und dynastischer Kontinuität. In Erbmonarchien ging man von einer Einheit von Vater und Sohn aus. Die Identität von Vorgänger und Nachfolger sollte den Übergang reibungslos gestalten.39 In den Wahlmonarchien führten Abdankungen oder der 36 Kraemer, Hedwig, Die Abdankung Kaiser Karls V., 1954, S. 119. Zit. n. Laubach, Ernst, Ferdinand I. als Kaiser. Politik und Herrschaftsauffassung des Nachfolgers Karls V., Münster 2002, S. 226. Den Aspekt des Todes des öffentlichen Körpers eines Herrschers diskutiert auch Bauer, Markus, „Das große Nein – Zum Zeremoniell der Resignation“, 1995, S. 121 ff. Er vergleicht den Abgang durch Abdankungen vor dem Hintergrund realer Exekutionen von Monarchen, deren öffentlicher und realer Körper getötet wurde. Die Abdankungen in den Kontext der Exekutionen zu stellen, erscheint jedoch zu gewagt. Blieb doch der menschliche Körper des abgedankten Herrschers am Leben und unversehrt. Vielmehr gab er seinen öffentlichen Körper selbst dem Tode preis. Es handelte sich somit eher um einen freiwilligen politischen Suizid der Monarchen. 37 Anonymus, Letzte Rede / Die Der König in Pohlen Bey Hinlegung Cron und Scepters am 16. Septembris Gegen die Stände selbigen Reichs gethan, 1668, Blatt 2. 38 Denkwürdigkeiten des Johann Chrysotomus Passek, hrsg. von Stenzel, S. 336. 39 Zur Erbeinsetzung in Fürstentestamenten vgl. Richter, Susan, Fürstentestamente, 2009, S. 253–269. Die Erbeinsetzung entfiel bei der Abdankung Karls V. als Kaiser und Johann Casimirs im Wahlkönigtum Polen. Karl V. hatte dennoch in einem so genannten „Gewalt“ gegenüber einer kurfürstlichen Gesandtschaft 1558 seinen Willen geäußert, dass Ferdinand durch „des H. Reichs Churfürsten ordentliche Wahl am Reich [als] unser nächster Nachkomm und Sucessor erkorn ist, dessen Lieb auch in Mangel unserer Person die Administration und Verwaltung des H. Reichs unwidersprechlich zustehet, nicht allein das Recht und die Gewalt, das H. Reich Zeremonieller Schlusspunkt  

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tatsächliche Tod des Herrschers hingegen für eine gewisse Zeit zur Vakanz des Thrones, die nicht selten in eine Krise des Landes mündete.40 Testamente und Abdankungsreden verfügen über selbstreflexive Passagen, in denen der frühere Monarch Desiderate und unvollendete Vorhaben offen legte, Versäumnisse entweder rechtfertigte, Entscheidungen erklärte oder auch die Verantwortung für verschuldete oder unverschuldete Fehler übernahm. Zudem ging es ihm darum, die unerledigten Dinge dem Erben ans Herz zu legen, um ihre Realisierung wenigstens in der nächsten Generation zu erreichen. Fürstentestamente und Abdankungsreden erhielten auf diese Weise eine wichtige Funktion: Sie dienten dem Verfasser als Dokumente einer persönlichen Bilanz seines irdischen Lebens und seiner Regierungsleistungen.41 In enger Anlehnung dazu findet sich in Fürstentestamenten und Abdankungsreden die Bitte, begangene Ungerechtigkeiten zu verzeihen.42 Durch die Bitte um

und Kayserthum zu regieren, verwalten und administriren, sondern auch den Titul, Namen und Würde des Kayserthums mit sammt Scepter und Kron […]“ zu übernehmen. Zit. n. Kraemer, Hedwig, Die Abdankung Karls V., 1954, S. 101 f. Nach einigen Tagen der Beratung kam das Kurfürstenkollegium zu dem Ergebnis, die Abdankung des Kaisers anzunehmen. Am 7. März 1558 erging an König Ferdinand die Bitte der Kurfürsten, die „Dero Maj. Getreu, väterlich Gemüth und allergnädigsten Willen gespürt und es für rathsam, nützlich und gut hielten“, dass der König „die Kayserl. Regierung, Dignität, Hoheit, Titul, Scepter und Cron“ übernehme. Zit. n. ebd., S. 103. Johann Casimir hatte in seiner Rede eigens betont, dass er selbst durch „Gewogenheit und freye Wahl auf den Thron“ gelangt sei. Anonymus, Letzte Rede / Die Der König in Pohlen Bey Hinlegung Cron und Scepters am 16. Septembris Gegen die Stände selbigen Reichs gethan, 1668, Blatt 3. 40 Friedrich II. von Preußen kritisierte das System der Königswahl: „Wer sich davon überzeugen will, braucht sich nur über Vorgänge in den deutschen Bistümern, in Polen und sogar in Rom zu unterrichten, wo die traurigen Wirkungen der Wahl nur allzusehr in die Augen springen“. Friedrich II., „Antimachiavell“, in: Die Werke Friedrichs des Großen, Bd. 7, hrsg. von Gustav Bertold Volz, Berlin 1912, S. 269. 41 Vgl. dazu Richter, Susan: „Vor dem zeitlichen guet frundt im Himmel machen“ – Von der Erlangung des Seelenheils am Beispiel frühneuzeitlicher Testamente der Herzöge von Bayern und Pfalz-Neuburg, in: Markwart Herzog / Cecilie Hollberg (Hrsg.), Seelenheil und irdischer Besitz. Testamente als Quellen für den Umgang mit den „letzten Dingen“, Konstanz 2007, S. 53–65 (Irseer Schriften, Studien zur schwäbischen Kulturgeschichte, Bd. 4). Ein Vergleich der Testamente und der Abdankungsrede Karls V. findet sich bei Mathias Mayer. Mayer verweist darauf, dass in den selbstreflexiven Passagen eine gewisse Nähe zu frühen Autobiographien liege, die im 16. Jahrhundert als Mittel der Selbsterkundung dienten. Mayer, Mathias, „Individualität und Zurückhaltung – Die Resignation Karls des Fünften in Brüssel“, in: Ders. (Hrsg.), Kaiser Karl der Fünfte. Rede vor den Generalstaaten der Niederlande am 25. Oktober 1555 (Eva Reden, Bd. 29), Hamburg 2001, S. 31. 42 Karl V. erklärte bei seiner Abdankung in den Niederlanden, er habe „niemals wissentlich und freiwillig Unrecht oder Gewalt geübt oder andere dazu veranlasst oder ermächtigt. Wenn

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Vergebung irdischer Verfehlungen sollte ein Testament als schriftliche Beichte und somit für den Fürsten als „Passierschein“43 in den Himmel dienen. Da einem Herrscher die Macht von Gottes Gnaden verliehen war, hatte er Gott nach seinem Tod – wenn er vor den Schöpfer trat – über deren Ausübung Rechenschaft abzulegen. Sich diese Rechenschaftspflicht zu vergegenwärtigen und eine Lebensbeichte abzugeben, gehörte in der Frühen Neuzeit aus altgläubiger Sicht zu den letzten Dingen eines Menschen. Vor diesem Hintergrund erscheint es logisch, dass ein aus dem Amt scheidender Herrscher vor Gott oder den Instanzen, die ihn gewählt hatten, sowie dem Nachfolger und den Untertanen seine Verfehlungen offen legte und Vergebung auf Erden dafür einholte. • Auch der Dank an die Untertanen, den Hofstaat und die Beamtenstäbe für treue Dienste und langjährigen Gehorsam ist ein wichtiger Bestandteil von Fürstentestamenten und Abdankungsreden.44 • Daneben finden sich in Testamenten und Abdankungsreden von Fürsten aus Erbmonarchien auch herrschaftsethische Ermahnungen für den neuen Regenten. Sie resultierten aus dem von Humanisten wie protestantischen Theologen in gleicher Weise unaufhörlich formulierten Auftrag an die Fürsten, Verantwortung und Sorge für die Qualität des künftigen Nachfolgers in der Regierung zu tragen, um auch künftig eine gerechte Herrschaft und gute Regierung zu garantieren. Die Ermahnungen sind als Endpunkt der Erziehung des Erben anzusehen. Testamente und Abdankungsreden waren somit in Erbmonarchien wichtige Medien der Kommunikation zwischen dem Herrscher und seinem Nachfolger und knüpften ein inhaltliches Band zwischen zwei Herrschergenerationen einer Dynastie.45 Indem Abdankung und Regierungsübernahme durch den Nachfolger in einer Zeremonie verbunden waren, wurde die dynastische Kontinuität und damit die lückenlose Fortsetzung der Regierungsgeschäfte sichtbar. Dem gleichen Zweck diente bei der trotzdem Handlungen dieser Art mit Recht mir zur Last zu legen sein mögen, so gebe ich Euch die feierliche Versicherung, dass ich sie meiner selbst unbewusst und gegen meine Absicht begangen habe, und ich bitte diejenigen, welchen ich in dieser Weise zu nahe getreten bin, die heute hier anwesend, sowie diejenigen, die abwesend sind, mir zu vergeben“. Zit. n. Mayer, Mathias (Hrsg.), Rede vor den Generalstaaten der Niederlande, 2001, S. 13. Diese Entschuldigungen finden sich in zahlreichen frühneuzeitlichen Fürstentestamenten. Richter, Susan, Fürstentestamente, 2009, S. 228–237. 43 Den Begriff prägte Ariès, Philippe, Geschichte des Todes, München 2002. S. 245. 44 Johann Casimir bedankte sich für die „Dienste“, den „Gehorsam / Rathschläge und Schutz“. Anonymus, Letzte Rede / Die Der König in Pohlen Bey Hinlegung Cron und Scepters am 16. Septembris Gegen die Stände selbigen Reichs gethan, 1668, Blatt 3. 45 Vgl. zum Generationenverständnis frühneuzeitlicher Herrscher im Alten Reich Richter, Susan, „Fürstliche Testamente als Medium intergenerationeller Kommunikation“, in: Heike Hartung / Christiane Streubel (Hrsg.), Graue Theorie. Die Kategorien Alter, Geschlecht und Generation in der Forschung. Köln / Weimar / Wien 2007, S. 265–292. Zeremonieller Schlusspunkt  

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Testamentseröffnung die Bestätigung des bereits im Amt befindlichen Nachfolgers während der Verlesung der Testamentsurkunde. Die Verpflichtung des Nachfolgers auf ethische und konfessionelle Grundwerte des Vorgängers sollte mögliche Ängste der Untertanen beruhigen und bestenfalls ausschließen. Die Bilanz der eigenen Regierungsleistung abdankender und testierender Fürsten gab Rechenschaft über bisheriges Bemühen und sollte die Abdankung gegenüber Gott, dem Nachfolger und den Untertanen rechtfertigen. Auch die Testamente und Abdankungsreden gewählter Herrscher enthielten einen Rückblick auf die eigene Regierungsleistung zur Rechtfertigung der Amtsführung vor Gott und dem Wahlgremium. Doch konnten Inhalte und Visualisierung durch das Zeremoniell nicht zur Kontinuitätsstiftung und wirklichen Krisenprävention beitragen, weil das stabilisierende und kontinuitätsstiftende Element der Dynastie fehlte. Der Thron blieb nach der Abdankung oder dem Tod eines gewählten Herrschers zunächst vakant. Nicht selten kam es durch die Wahl landesfremder Herrscher in Polen zum Bruch mit bisherigen politischen Traditionen. Lünig bemerkte zwar zum Rückzug des polnischen Königs Johann Casimir, er sei so lange in der polnischen Grafschaft Zivecz geblieben, „biß er erfuhr was ihm Gott und die Stimmen eines freyen Volks vor einen Nachfolger gegeben, worauf er die Gräntzen des Reichs verließ und sich nach Frankreich erhob“.46 Die Anwesenheit des bisherigen Königs bis zur Wahl eines Nachfolgers garantierte jedoch kaum einen schnellen und reibungslosen Übergang auf einen neuen Monarchen.

5. Schlussbetrachtung Karl V. und Johann Casimir setzten die Abdankung mit ihrem Tod gleich. Kleinheyer verweist zwar zu Recht darauf, dass die Reichspublizistik diese Sicht nicht teilte, sondern Absetzung, Abdankung und den Tod eines Herrschers als drei Möglichkeiten zur Beendigung von Herrschaft aufführte.47 Bei einem genaueren Blick in die Werke gilt das aber nur für Autoren des 18. Jahrhunderts und mag einem gewandelten säkularisierten Herrschaftsverständnis geschuldet sein.48 Die Gleichsetzung von Tod und Abdankung im 16. und 17. Jahrhundert resultierte angesichts der wenigen Präzedenz46 Lünig, Johan Christian, Theatrum ceremoniale, Bd. 2, 1720, S. 816. 47 Kleinheyer, Gerd, „Zur Abdankung des Kaisers“, in: Köbler, Gerhard (Hrsg.), Wege europäischer Rechtsgeschichte. Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag, Frankfurt / M. S. 124–144, hier: S. 134. 48 Pfeffinger, Johann Friedrich, Corpus Iuris Publici, Frankfurt / M. 1754. Tom I, Lib I. Tit. V, pag 742. Schweder, Gabriel, Introductio in ius publicum Imperii Romani-Germanici novissimum, Tübingen 1733, part. spec. Sect. I, Cap. XXXII, pag. 639.; Cocceji, Heinrich, Juris publici prudential […], Frankfurt / Oder 1700, pag. 173.

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fälle wohl aus einer Unsicherheit über den Rechtscharakter der Abdankungsakte. Zudem besaß die Gleichsetzung mit dem Tod eine Endgültigkeit, die für den Fortgang der Geschehnisse und den Nachfolger in der Herrschaft Rechtssicherheit schuf. Nicht umsonst hatte Heise 1771 im Hannoverischen Magazin in seiner Abhandlung „Von des Großsultans Amurath des II. zweymaliger Niederlegung der Regierung, und mehreren ähnlichen Entschließungen“ darauf hingewiesen, dass es in der Geschichte genügend Beispiele dafür gab, „daß die Regenten, die in jenen Anfällen zu voreilig vom Throne heruntergestiegen sind, in den nachfolgenden Stunden diesen großen Schritt, aber allzu spät, bereuet haben“.49 Auch Johann Casimir hat sich laut Bericht des Zeitzeugen Passek einige Wochen nach seiner Abdankung in Krakau aufgehalten und mit Jagden und Gelagen vergnügt und abgelenkt, um seine Reue sowie den Ärger über die Wahl eines Nachfolgers zu zerstreuen.50 Besann sich der abgetretene Herrscher anders und plante er eine Rückkehr oder nahm eine weitere Mitwirkung an der Regierung für sich in Anspruch, hätte das möglicherweise chaotische und unsichere Verhältnisse im Land und in der Dynastie geschaffen: Untertanen und Familienmitglieder hätten wegen widerstreitender Gehorsamspflichten in Zwist geraten können, und Entscheidungen wären womöglich wegen ungeklärter Zuständigkeiten verzögert oder gar nicht getroffen worden. Dies war durch den symbolischen Tod des Herrschers von vornherein ausgeschlossen, ein Spiel mit der Macht und dem Thron, je nach Ambition und Lust, unmöglich.51 Da der Rücktritt eines Herrschers bis ins 17. Jahrhundert hinein im juristischen Schrifttum kaum erörtert, geschweige denn rechtlich geregelt war und lange außerhalb der Vorstellungswelt lag, fehlten Ansätze zu seiner Einordnung. Die Gleichsetzung von Tod und Abdankung im 16. und 17. Jahrhundert bot deshalb eine Lösung für den Umgang mit Herrscherrücktritten und war sicher nicht zuletzt die Folge des eingangs zitierten zeitgenössischen Verständnisses, dass nur der Tod und damit Gott die grundsätzlich auf Lebenszeit vergebene Herrschaft beenden könne. Starb ein Herrscher, folgten mit der Wahl oder der Erbeinsetzung des Nachfolgers klare, über lange Zeiträume geübte, allgemein bekannte und rechtlich akzeptierte Handlungsabläufe zur Herrschaftssicherung. Sonderregelungen für die Aufgabe des Herrscheramtes zu Lebzeiten hätten diese Strukturen gefährdet und waren ad hoc weder zu 49 Heise, J.C.F., „Von des Großsultans Amurath des II. zweymaliger Niederlegung der Regierung, und mehreren ähnlichen Entschließungen“, in: Hannoverisches Magazin 1771, S. 1073–1084, hier: S. 1074. 50 Denkwürdigkeiten des Johann Chrysotomus Passek, hrsg. von Stenzel, S. 336. 51 Hierfür gibt es immerhin den Fall der bedingungslosen Abdankung des hochverschuldeten Grafen Ulrichs V. von Hanau am 26. November 1404, der sich zeitgenössischen Berichten zufolge fünf Jahre nach seinem Rückzug offenbar wieder darum bemühte, in seine rechtmäßige Herrschaft eingesetzt zu werden. Dietrich, Reinhard, „Die Abdankung Ulrichs von Hanau – Ursachen und Folgen“, in: Hanauer Geschichtsblätter, 31/1993, S. 7–33, hier: S. 24. Zeremonieller Schlusspunkt  

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konstruieren noch rechtlich durchzusetzen. Zudem wäre die Tradition der Herrschaft auf Lebenszeit hinfällig geworden. Es erscheint deshalb logisch, dass die Aufgabe des Herrscheramtes zu Lebzeiten rechtlich sowie in der verbalen und symbolischen Kommunikation wie der Tod eines Monarchen behandelt wurde. Karl V. konnte deshalb wie ein toter Monarch alle Titel und seinen Status als Majestät behalten. Gleiches hätte auch Johann Casimir bei seinem wirklichen Tode zugestanden, er kehrte aber in seinen früheren Status als Magnat Polens zurück.

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Von der Verlockung, sich selbst zu leben Die Abdankung Friedrich Carl Alexanders von Ansbach-Bayreuth im Jahr 1791

Susan Richter Die offizielle Bekanntmachung der bereits Wochen zuvor im Geheimen vollzogenen und vertraglich fixierten Abdankung Friedrich Carl Alexanders von BrandenburgAnsbach und Bayreuth (1736–1806) datiert vom 2. Dezember 1791. Der Markgraf wandte sich an seine Untertanen und begründete den Rücktritt damit, dass er „aus eigenem Antriebe, und nach den reiflichen Überlegungen, aus wichtigen Bewegungsgründen längstens den Vorsatz gefasset, Uns der Regierungs=Geschäfte und der damit verknüpften Sorgen und Beschwerden gänzlich zu entledigen, um entfernt von denselben, Unsere übrigen Tage an einem, nach eigenem Gefallen zu erwählenden Orte in Ruhe zuzubringen. Wir haben gegenwärtigen Zeitpunkt erwählet, um diesen erstlichen und festen Entschluß auszuführen und ins Werk zu richten; legen solchemnach Unsere, wie Wir Uns schmeicheln können, nicht ohne Ruhm und Segen geführte Regierung der beiden Fürstenthümer hiermit feierlich nieder, entsagen derselben auf beständig, und entlassen Unsere sämmtliche Lehenleute, Unterthanen und Diener ihrer Pflichten und Verbindungen gegen Uns.“1 Der kinderlose Markgraf hatte seine fränkischen Länder – ursprünglich brandenburgische Sekundogenituren – bereits zu seinen Lebzeiten mit kaiserlicher Billigung

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Gedruckte Bekanntmachung der Abdankung: HStA Nürnberg, Fm. Ansb., Klosterverwaltungsamt Heilsbronn, Akten, Nr. 4. Als Gegenstück zur Abdankung ließ Friedrich Wilhelm II. eine Bekanntmachung der „Regierungsveränderung“ publizieren, in der er noch einmal sein Recht zur Übernahme der Regierung aufgrund der Hausgesetze herausstellte, die Hoffnung aussprach, dass sich die Ansbacher und Bayreuther ihm als gute und gehorsame Untertanen erweisen würden, und die feierliche Landeshuldigung aussetzte. Er wollte es bei der stellvertretenden Huldigung der Landescollegien, der Militär- und Zivildienerschaft und Beamten bewenden lassen. Friedrich Wilhelm II. König von Preußen, „Regierungsveränderung in den beyden Fürstenthümern Anspach und Bayreut“, in: Journal von und für Franken, 4 / 1792, S. 251–255. Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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und damit reichsrechtlich akzeptiert zum Anschluss an den brandenburgisch-preußischen Staat übergeben und der Obhut des mit Vollmachten eines Vizekönigs ausgestatteten Ministers Karl August Freiherr von Hardenberg überlassen. Das langjährige Bestreben Preußens, insbesondere Friedrichs II., die fränkischen Fürstentümer zu sichern, fand 1769 im „Pactum Fridericianum“ seine Vollendung und in der Übertragung Carl Alexanders eine vorfristige Realisierung. Kaiser Joseph I. hatte noch 1703 Brandenburg-Preußen die oberste lehensherrliche Bestätigung einer neuen Erbordnung über die Markgrafschaften in Franken verweigert. Erst Friedrich II. gelang es, die Hausgesetze den Zielen Brandenburg-Preußens anzupassen und eine Union der drei verwandten Häuser vertraglich zu fixieren. Dieser Vertrag regelte die Nachfolge einer fränkischen Linie im Falle des Erlöschens der anderen. Bei Aussterben aller fränkischen Linien (im Mannesstamm) würden die Markgrafschaften mit der Primogenitur in Brandenburg-Preußen vereint. Nachgeborenen brandenburgisch-preußischen Prinzen sollten sie also nicht noch einmal – wie im Geraischen Vertrag von 1603 – als Sekundogenituren vergeben werden. Nach dem kinderlosen Tod Friedrich Carl Alexanders wären Ansbach und Bayreuth nach diesem Vertrag automatisch an Brandenburg-Preußen gefallen.2 Friedrich Carl Alexander zog sich nach seiner Abdankung mit einer von Brandenburg-Preußen vertraglich garantierten, in der Realität aber nur schleppend gezahlten Leibrente von jährlich 300.000 Gulden, unter Beibehaltung seines markgräflichen Titels, als Landedelmann nach England zurück. Der freiwillige Regierungsverzicht des Markgrafen von Ansbach-Bayreuth war im 18. Jahrhundert eine singuläre Erscheinung. Auf welcher rechtlichen Grundlage der Regierungsverzicht erfolgte, soll ausgehend vom zeitgenössischen Begriffsverständnis der Abdankung als Rückzug aus einem öffentlichen Amt erörtert werden. Daneben stellt sich die Frage nach der Motivation, die von den Vorfahren ererbte Herrschaft vor dem Ende des eigenen Lebens aufzugeben, sich des offiziellen Staatsamtes und damit des offiziellen Status der Person zu entledigen und nur die Rolle der Privatperson beizubehalten. Zudem muss geklärt werden, welche Auffassung das Privatfürstenrecht im 18. Jahrhundert von der Privatsphäre im Verhältnis zur öffentlichen Sphäre vertrat und welche Rolle dem Privaten zukam. Bot die Privatsphäre Ende des 18. Jahrhunderts möglicherweise sogar einen alternativen Lebensentwurf, der gesellschaftlich akzeptiert und als erstrebenswert betrachtet wurde? In diesem Kontext soll die Idealisierung und Stilisierung des englischen Landlebens als vorbildhafte Privatheit untersucht werden.

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Zu den Zielen Preußens sowie zum Zustandekommen des Paktes vgl. ausführlich Endres, Rudolf, „Die Erbabreden zwischen Preußen und den fränkischen Markgrafen im 18. Jahrhundert“, in: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung, 25 / 1965, S. 43–87.

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1. Rechtliche und herrschaftsethische Grundlagen der Abdankung Einer der wenigen zeitgenössischen Autoren, die sich überhaupt mit dem seltenen Phänomen der Abdankung kurz auseinandersetzten, war Johann Jacob Moser. Er definierte in seinem „Persönlichen Staats=Recht derer Teutschen Reichs=Stände“ 1775 die Abdankung eines Fürsten als „[…] eine völlige Niederlegung der Regierung; wobey nicht nur die Bewegursachen gar sehr verschieden seynd, sondern es äußert sich auch sonsten allerley Unterschid, indeme bey einigen die Abdanckung ganz freywillig geschiehet, bey anderen ist sie halb gezwungen, und bey noch anderen völlig abgenötigt. Ferner legen einige die Regierung aller ihre Lande nider, andere hingegen überlassen zwar die Regierung eines, oder des größten, Theils ihrer Länder einem anderen, doch behalten sie sich noch etwas bevor, wiederum bedingen sich Einige etwa noch einen oder anderen Regierungs=Actum aus, andere aber wollen gar nichts mehr mit Regierungssachen zu thun haben: Endlich behalten sich einige den Regreß bevor, im Fall für sie die Reue ankäme, andere renunciren unwiderruflich auf die Regierung.“3 Im Falle Friedrich Carl Alexanders von Ansbach und Bayreuth handelte es sich in Anlehnung an Mosers Kategorien um eine vollständige und freiwillige Abdankung aus den eingangs genannten Gründen ohne die Option einer Rückkehr.4 Etwa einhundert Jahre zuvor, im Jahr 1686, hatte Johann Ernst Zapf der Abdankung seine juristische Dissertation „De abdicatione ab officio“ gewidmet. Er verstand die Abdankung eines Fürsten als Abdankung von einem Amt, die als Rechtsakt gegenüber demjenigen, der rechtlich befugt war, das Amt zu übertragen, zu vollziehen sei.5 3 4

5





Moser, Johann Jacob, Neues Teutsches Staatsrecht, Bd. 11,1, Frankfurt / Leipzig 1775 (ND Osnabrück 1967), S. 666. Zu den von Moser angesprochenen unfreiwilligen Abdankungen im Sinne von Absetzungen im 18. Jahrhundert vgl. Troßbach, Werner, „Fürstenabsetzungen im 18. Jahrhundert“, in: Zeitschrift für historische Forschung, 13 / 1986, S. 425–454. Zur begrifflichen Differenzierung von Abdankung und Absetzung vgl. auch den Beitrag von Hans Hattenhauer sowie die Einleitung dieses Bandes. „Abdicatio ab officio nihil aliud erit [est], quam actus, quo quis munus seu ius, alioquin intuitu muneris competens, vel voluntario vel coacte, seu sine vel ex causa, consentiente iubente vel etiam sciente illo, penes quem conferendi potestas est, legitime deponit.“ Zapf,  Johann Ernst, De abdicatione ab officio, Altdorf 1686, S. 7. Kurze Zeit zuvor war eine weitere Dissertation erschienen, die sich mit der Abdankung Karls V. auseinandersetzte. Obrecht, Ulrich, De Abdicatione Caroli V. Imperatoris , Straßburg 1676. Weniger mit den rechtlichen Gesichtspunkten als mit den Abläufen der Abdankungen von Königin Christina von Schweden und König Johann Casimir von Polen beschäftigte sich folgende Abhandlung: Franckenstein, Christian Gottfried, Von Staats-Sachen, Zustand, Königlicher Succesion, Abdication, Nachbarschafft, Verein- und Trennung der beyden Königreiche Polen und Schweden, Bd. 1, Franckfurt / Main 1656. Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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Zapf bezog sich dabei auf den parallelen Vorgang des freiwilligen oder gezwungenen Ausscheidens von Räten aus einem öffentlichen Amt, der so genannten Demission. Exemplarisch diskutierte die Altdorfer Dissertation die Abdankung des Kaisers von seinem Amt. Danach benötigte dieser dafür die Zustimmung der Kurfürsten als dem wahlberechtigten und somit den rechtlichen Status des Kaisers konstituierenden Kollegium. Zum Amtscharakter von Reichsständen äußerte sich Zapf jedoch nicht und ließ damit offen, ob ein Reichsstand überhaupt abdanken dürfe. Auch die Auseinandersetzung mit einer rechtlichen Legitimation zur Abdankung eines Monarchen von Gottes Gnaden blieb Zapf schuldig. Die Reichsfürsten nutzen im Kanzleiverkehr für Urkunden und offizielle Schriftwechsel die Titularformel „Von Gottes Gnaden“. Johann Christian Lünig verwies in seinem „Kanzley=Ceremoniel“ darauf, dass die fürstlichen Reichsstände diese Formel, „die unumschränckte Macht und hohes Ansehen“ bedeute, führen dürften. Es herrsche Konsens darüber, dass sie „bei der Regierung im Reich stark beteiliget [seien] und in ihren Ländern als souveräne Herren und Könige herrschen und regieren“ würden. In Schreiben an den Kaiser sei die Formel jedoch nicht gebräuchlich.6 Hier zeigt sich noch die Wirkung der von Juristen aller Konfessionen vertretenen Lehenslehre: Sie betrachtete die Übertragung der Macht durch den kaiserlichen Lehensherrn als weiteren Ursprung der Herrschaft in den Territorien neben dem Gottesgnadentum. Seckendorf nutzte in seinem „Teutschen Fürstenstaat“ die Formel „Von Gottes Gnaden“ für die „oberste und höchste Botmäßigkeit“, die nur dem Landesherrn zustehe. Durch sie verweise ein Herrscher auf „[…] seinen höchsten nach Gottes Willen zu habenden Regimentsstand und Vorzug vor seinen Unterthanen […].“7 Der Herrscher von Gottes Gnade hatte nach Gottes Willen so lange, in seinem Amt zu verharren, bis Gott ihn, in der Regel durch Tod, abberief.8 An die Stelle der theologischen Herrschaftslegitimation des Gottesgnadentums und die unter den Reichsständen eher verschwiegene Lehenslehre trat im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend die Vorstellung von der naturrechtlichen Übertragung 6

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Zur Verwendung des Begriffs bei den fürstlichen Reichsständen vgl. Lünig, Johann Christian, Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien, Welche bey Päbst- und Käyser-, auch Königlichen Wahlen und Crönungen […] Ingleichen bey Grosser Herren und dero Gesandten Einholungen […] beobachtet worden, 2 Bde, Leipzig 1719 und 1720, hier Bd. 1: Europäisches Kanzley=Ceremoniel, S. 17. Seckendorf, Veit Ludwig von, Teutscher Fürstenstaat, Jena ²1737, S. 36. Das Gottesgnadentum schloss aber die Übertragung der Macht auf eine Dynastie und dessen Fortsetzung durch Erbrecht nicht aus, denn es galt die Auffassung: „Nur Gott kann einen Erben machen“. Auch die Geburt eines Thronfolgers galt somit als Wille Gottes. Kantorowicz, Ernst H., Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München ²1994, S. 332 f. Vgl. auch Brunner, Otto, „Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip“, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, Lindau 1954, S. 115–136.

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der Herrschaftsgewalt freier und gleicher Menschen im Naturzustand an ein Individuum und dessen dynastische Nachkommen, wenn es sich um eine Monarchie handelte. Die Unterwerfung vieler unter den Willen eines Menschen bedeutete, dass dieser den Willen aller repräsentierte und dies im Falle seines Todes durch seinen Nachfolger fortgesetzt wurde. Aufgrund der natürlichen Gleichheit aller Menschen konnte eine solche Unterwerfung nur auf einem Vertrag beruhen. Samuel von Pufendorf verstand den so entstehenden Staat als „ens morale“ und damit als Rechtskonstruktion, die durch einen Akt mit moralischer Wirkung entstand und ihre Grundlage aus den daraus entstehenden moralischen Bindungen wie etwa den Gehorsamsverpflichtungen bezog.9 Wenn es einst freie Menschen waren, die einem Einzelnen (und dessen Nachkommen) die Herrschaftsgewalt übertrugen und ihn so zum Fürsten über sich erhoben hatten, nach Pufendorf das Verhältnis von Souverän und Untertanen zugleich aber dem Prinzip der Korrelativität von Recht und Verpflichtung folgte,10 war es nur folgerichtig, dass sich Friedrich Carl Alexanders Abdankungserklärung an die Untertanen seiner Länder richtete und dass er diese damit aus ihrem Vertrags- bzw. Untertanenverhältnis entließ, in das sie sich nach seinem Regierungsantritt durch Huldigung begeben hatten. Seine Abdankung war als Rechtsakt gegenüber denjenigen vollzogen, die seiner Dynastie nach dem Naturrechtsverständnis die Macht übertragen hatten. Er hatte sie deshalb in der Bekanntmachung seines Rücktritts „ihrer Verpflichtungen und Verbindungen“ gegen ihn entbunden. Einige Wochen danach, am 10. Februar 1792, erfolgte eine zweite Erklärung der Abdankung Friedrich Carl Alexanders, diesmal gegenüber dem Reichstag. Sie besaß nicht den Rechtscharakter einer Rückübertragung an den ersten und obersten Lehensherrn, den Kaiser, sondern war eher nur als Anzeige über das Ausscheiden aus dem Reichsfürstenkollegium anzusehen.11 Ansbach und Bayreuth kehrten nicht als Lehen an den Kaiser zurück, sondern gingen gemäß dem bereits genannten SukzessiBehme, Thomas, Samuel von Pufendorf: Naturrecht und Staat (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte, Bd. 112), Göttingen 1995, S. 120–130; Luig, Klaus, „Zur Verbreitung des Naturrechts in Europa“, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, 40 / 1972, S. 539–557; Stolleis, Michael (Hrsg.), Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert. Reichspublizistik, Politik, Naturrecht, Frankfurt 1977. 10 “Enimvero nos examussim sibi invice respondere asserimus potestatem regis legitimam, & officium civium adeoque pernegamus a rege jure quid posse imperari, quod subjectus jure posit detrectare neque enim rex plura jure iubere potest, quam quae cum fine societatis civilis institute congruent, aut congruere judicantur.“ Pufendorf, Samuel von, De Jure Naturae et Gentium. Lat. engl. Ausgabe (zugrunde gelegt der Text von Amsterdam 1688), hg. von Charles Henry Oldfather and William Abott Oldfather, Oxford 1934, Buch 7, 2, § 11. 11 Endres, Rudolf, „Die Erbabreden zwischen Preußen und den fränkischen Markgrafen im 18. Jahrhundert“, 1965, S. 58 ff und S. 78 ff. Vgl. dazu auch Spindler, Max / Kraus, Andreas (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Bd. 3,1, Geschichte Frankens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München ³1997. 9

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onsvertrag an die brandenburgischen Hohenzollern zurück. Das hatte das kaiserliche Haus seit 1779 mit dem Friedensvertrag von Teschen akzeptiert. Eine Aufkündigung des Lehens gegenüber dem Kaiser war somit nicht mehr nötig.12 Doch ließ sich eine freiwillige Niederlegung der fürstlichen Amtspflichten durch die zeitgenössische Herrschafts- und Staatstheorie überhaupt legitimieren? Samuel von Pufendorf (1632–1694) ging von einem Herrschaftsvertrag aus, welcher die rechtmäßige Macht des Souveräns und die entsprechende Gehorsamsverpflichtung der Untertanen zur Realisierung des Staatsziels fixierte. Die Übernahme der Herrschaft durch bloßen Regierungsantritt oder das aufwändige Zeremoniell einer Inthronisation implizierte für den Herrscher ein stillschweigendes Gelöbnis oder einen vor Zeugen geleisteten Eid auf die Annahme und Ausfüllung des Amtes zur Erreichung des Staatszwecks. Pufendorf favorisierte damit zusätzliche Bindungen durch „leges fundamentales“ oder „capitulationes“, die den Souverän stärker auf eine bestimmte Weise der Herrschaftsausübung verpflichten sollten. Er zielte damit vor allem auf Vermeidung von Missbrauch der Herrschaft und den Treuebruch unter dem Vorwand der „necessitas“. Aufgrund seiner restriktiven Auffassung vom Widerstandsrecht durfte beides gleichwohl nicht zu einer Gehorsamsverweigerung der Untertanen führen. Der Fürst konnte also zu keiner bestimmten Herrschaftsweise gezwungen werden. Als logische Konsequenz ergibt sich aus dieser Konzeption, dass ein Souverän nach dem Regierungsantritt auch nicht zur Fortführung der Herrschaft gezwungen werden konnte. Die Niederlegung seines Amtes hätte einen Vertragsbruch bedeutet. Schließlich hatte der Fürst mit Regierungsantritt die Verpflichtung zur Regierung übernommen und stellte nun die Sorge für den Staat („salus totius civitatis“) ein. Doch weder die Möglichkeit eines vorzeitigen und einseitigen Rücktritts vom Herrschaftsvertrag durch den Inhaber der Macht noch die möglichen Folgen wurden von Pufendorf thematisiert.13 Das musste er aber auch nicht zwingend, ging er doch von absoluten Pflichten („officia absoluta“) eines Menschen gegenüber anderen Menschen aus, an deren erster Stelle das Gebot stand, einander nicht zu verletzen. Die Unverletzbarkeit betraf die Person, das Eigentum und die Freiheit eines Menschen. Nun war aber ein Vertragsbruch in der Regel mit dem Schaden einer Seite verbunden, der vor allem dann entstand, wenn diese Seite ihrerseits den Vertrag erfüllt hatte. Grundsätzlich stellte der Vertragsbruch also eine Belästigung des Anderen bzw. eine Störung der gegenseitigen Verhaltens- und Vertrauenskalkulation und damit eine Schädigung 12 Endres, Rudolf, „Die Erbabreden zwischen Preußen und den fränkischen Markgrafen im 18. Jahrhundert“, 1965, S. 43, Fn. 1. 13 Pufendorf beschrieb lediglich den Fall, dass ein Souverän die Staatsgeschäfte und damit die Sorge für die Sicherheit des Staates aufgibt, dennoch aber die Ehren und Einkünfte, die mit seinem Amt verbunden sind, beanspruche. Behme, Thomas, Samuel von Pufendorf: Naturrecht und Staat, 1995, S. 153 f.

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(„laesio“) dar: „[…] rationes tam, & destinata mea turbari molestum est […].“14 Das Gebot der Vertragstreue behandelte Pufendorf somit als einen Sonderfall der absoluten Verpflichtung, eine andere Person oder Personengruppe nicht zu verletzen und sie vor Schaden zu bewahren. Diese absolute Pflicht hatte nach Pufendorf vollkommen und damit für alle Menschen und alle Zeiten zu gelten.15 Mit der Abdankung hätte ein Fürst zumindest billigend in Kauf genommen, dass das Staatsschiff ohne oder mit einem weniger fähigen Steuermann zurückgelassen und ihm damit der Schaden einer gestörten Ordnung und Ruhe zugefügt würde. Abdankung hätte also die Missachtung einer der absoluten Pflichten eines Herrschers gegenüber dem „socialitas“Gebot bedeutet. Der Frühaufklärer Christian Thomasius (1655–1728) ging von der Überordnung des Gemein- über das Individualwohl aus. Er entwickelte aus dem Naturrecht einen Kanon gegenseitiger Pflichten zwischen Staat und Individuum. Da es die Sicherheit und das Wohl des Gemeinwesens erforderte, war ein Mensch gegenüber dem Staat verpflichtet, sein Leben, sein Hab und Gut zur Erhaltung des Staates bereitwillig zur Verfügung zu stellen. Musste zwischen individuellem und damit privatem sowie gemeinschaftlichem Nutzen abgewogen werden, so hatte nach Thomasius die Entscheidung wie folgt auszusehen: „Thue das, was den Endzweck einer jeden Gesellschaft nothwendig befördert.“16 Hieraus erwachse eine Glückseligkeit, die nicht einen einzelnen Menschen, sondern das ganze Volk betreffen würde. Damit band Thomasius das Glückstopos an einen Prozess der Vervollkommnung des Einzelnen und idealerweise an die Übereinstimmung der Interessen von Individuum und Staat. Bestand diese Übereinstimmung nicht, so galt als oberste Priorität die Verpflichtung, aktiv an der gemeinen Wohlfahrt mitzuwirken.17 Thomasius’ Auffassung vom normativen 14 Pufendorf, Samuel von, De Jure Naturae et Gentium, 1934, Buch 3, 4, § 2. Sehr ähnlich auch De Officio Hominis et Civis juxta Legem Naturalem Libri Duo. Lat. engl. Ausgabe (zugrunde gelegt der Text von 1682), hg. von Frank Gardner Moore, Bd. 1, 9, New York 1927, § 3. 15 Behme, Thomas, Samuel von Pufendorf. Naturrecht und Staat, 1995, S. 89–96; Denzer, Horst, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf. Eine geistes- und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung zur Geburt des Naturrechts aus der praktischen Philosophie (Münchner Studien zur Politik, Bd. 22), München 1972, S.  145 ff; Raumer, Kurt von, „Absoluter Staat, korporative Libertät, persönliche Freiheit“, in: Historische Zeitschrift, 183 / 1957, S. 55–96. 16 Thomasius, Christian, Drey Bücher der göttlichen Rechtsgelahrtheit, in welchem Die Grundsätze des natürl. Rechts nach denen von dem Freyherrn von Pufendorff gezeigten Lehrsätzen deutlich bewiesen, weiter ausgearbeitet Und von denen Einwürffen der Gegner desselben sonderlich Herrn D. Valent in Alberti befreyet […], Halle 1709, S. 355. 17 Thomasius, Christian, „Vernünfftige Gedanken von dem Gesellschaftlichen Leben. Der Menschen insonderheit dem gemeinen Wesen“, in: Gesammelte Werke, I. Abt., Bd. 5, Hildesheim / Zürich / New York 1996, S.  8. Vgl. auch Bachmann, Hans-Martin, Die naturrechtliche Staatslehre Christian Wolffs (Schriften zur Verfassungslehre, Bd. 27), Berlin 1977, S.  136–142; Sieg, Hans Martin, Staatsdienst, Staatsdenken und Dienstgesinnung Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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Richtwert der Pflicht betraf auch den Fürsten, der im Falle seiner Abdankung die aktive Mitwirkung an der gemeinen Wohlfahrt eingestellt hätte. Aber galt dieser Pflichtbegriff so auch noch Ende des 18. Jahrhunderts? In den Jahren 1791 / 92 hielt Carl Gottlieb Svarez Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen auf Befehl Friedrich Wilhelms II. Vorträge über das allgemeine Staatsrecht und die Rolle des Herrschers. Svarez nutzte den Auftrag, das traditionelle Bild vom Monarchen zu überprüfen und im Geist der Aufklärung weiterzuentwickeln: Ausgehend von der Vorstellung vorstaatlicher und angeborener Grundrechte einer Person folgte seine Erkenntnis: „Alle natürlichen Rechte und Pflichten des Menschen lassen sich aus dem Triebe zur Glückseligkeit herleiten, der einem jeden unter uns von unserm großen Urheber eingepflanzt, der also gewiß der Zweck unseres Daseyns, die Grundlage unserer gantzen moralischen Natur ist. Wir könnten also schließen, daß wir von Natur berechtigt sind, alles zu tun, was zu unserer Glückseligkeit dient.“18 Am Beginn von Svarez’ Argumentation standen also das Recht und die Freiheit des Menschen, nach Glück zu streben. Svarez meinte damit aber keinesfalls das hedonistische Verlangen, ausschließlich den eigenen Neigungen zu folgen, sondern sah im Glück eine moralische Leitkategorie. Nach Kant erlangte der Mensch sein Glück durch die Erfüllung seiner Pflicht. Svarez erhob in Anlehnung an Kant das Streben nach Glückseligkeit zu einem gesinnungsethischen Grundsatz, der Staat und Bürger gleichermaßen in die Pflicht nahm. Die Pflicht des Staates lag nach Svarez in der Gewährleistung der Willensfreiheit, die Pflicht des Bürgers bestand in der Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols sowie – in Anlehnung an Thomasius – der aktiven Mitwirkung zum Wohl des Staates. Dies implizierte zugleich auch die Idee vom Fürsten als Menschen und gleichzeitig als Organ des Staates, der seine Macht und seine herrscherlichen Rechte ebenfalls zu dessen Wohl einzusetzen hatte. Als oberstem bzw. erstem Beamten und Diener des Staates wurden vom Fürsten wie von jedem anderen Staatsbeamten auch Effizienz in der Ausübung des Amtes und die Erfüllung seiner Berufspflicht erwartet.19 Svarez’ Vorlesung für den preußischen Kronprinzen handelte deshalb auch von den „Pflichin Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert (1713–1806), Berlin / New York 2003, S. 209 ff. 18 Svarez, Carl Gottlieb, Die Kronprinzenvorlesungen 1791 / 1792, Staatsrecht, Erster Teil., hg. von Peter Kraus, Stuttgart-Bad Cannstatt 2000, S. 14. 19 Klueting, Harm, „Der aufgeklärte Fürst“, in: Wolfgang Weber (Hrsg.), Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, Köln / Weimar / Wien 1998, S. 137–168, hier: S. 144 ff. Zum Staatsdienst und der Beamtenethik im 18. Jahrhundert vgl. Hattenhauer, Hans, Geschichte des deutschen Beamtentums, Bd. 1, Köln u. a. ²1993, S. 165–173. Vgl. dazu auch Stiening, Gideon, „Kants Begriff des öffentlichen Amtes, oder: „Staatsverwaltung“ zwischen Aufklärung und Rechtsstaatlichkeit“, in: Jahrbuch für Europäische Verwaltungsgeschichte, 19 / 2007, S. 141–170, hier: S. 145 ff.

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ten des Regenten: 1. Alle seine Handlungen müssen nur auf Erreichung der Zwecke des Staates, i.e. auf Erhaltung und Vermehrung des allgemeinen Wohls abzielen; 2. Er muß die ihm anvertrauten gemeinschaftlichen Kräfte nie dazu brauchen, sein PrivatIntreße [sic!] oder das Wohl Einiger auf Kosten aller übrigen zu befriedigen.“20 Das Ziel der Herrschaft bestand danach also in der Erfüllung der Pflicht gegenüber dem Staat als Gegenleistung für das dem Fürsten übertragene Vertrauen und seine Macht. Verpflichtet zu sein, bedeutete nach Kant aber auch „genötigt zu sein“, Neigungen einen Zwang aufzuerlegen.21 Dieser Auffassung folgte Svarez: Für den Herrscher verband er den Dienst am Staat mit der ethischen Verpflichtung oder dem moralischen Selbstzwang zum Verzicht auf persönliche Ambitionen und Wünsche. In Anlehnung an Kant vermittelte er eine Auffassung von Pflicht, die den freien Willen des Fürsten als Privatperson ausklammerte. Der freie Wille bot schließlich die Möglichkeit zu widersprüchlichen Maximen. Svarez’ Pflichtverständnis zielte ausschließlich auf das Wirken des Fürsten als öffentliche Person. Das höchste irdische Glück erlangte ein Fürst somit nur über die gewissenhafte Erfüllung seiner ihm übertragenen Amtspflicht durch Wahrnehmung seiner Aufgabe als erster Staatsdiener. Insbesondere in Brandenburg-Preußen entwickelte sich schon während der Regierung Friedrich Wilhelms I. sowie unter den Nachfolgern Friedrich II. und Friedrich Wilhelm II. ein utilitaristisch und rationalistisch geprägter Staatsbegriff. Er beruhte auf der Erfüllung der Dienstpflicht, welcher selbst das Königtum untergeordnet wurde.22 Gemäß dieser theoretischen Auffassung von Pflicht und ihrem Einfluss auf das Herrschaftsverständnis der Hohenzollern, das innerhalb des Alten Reiches vor allem in den protestantischen Territorien eine starke Beachtung fand, bedeutete demzufolge die Niederlegung des Herrscheramtes eine Verletzung der Pflicht zugunsten privaten Glücks. Nach dem Begriff des Pflichtethos von Kant und Svarez ist zu schließen, dass der Rückzug aus dem Amt für einen Monarchen für beide nicht in Frage kam. 20 Svarez, Carl Gottlieb, Die Kronprinzenvorlesungen, Staatsrecht, 2004, S. 27. 21 „Der Pflichtbegriff ist an sich schon der Begriff von einer Nötigung (Zwang) der freien Willkür durchs Gesetz.“ Kant, Immanuel, „Metaphysik der Sitten, Anf. d. Tugendlehre“, in: Werke in sechs Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Bd. IV, Wiesbaden 1956, S. 379. Vgl. dazu Eppeneder, Ralf, Das „Recht der Menschheit“ in der Pflichtenlehre Kants, (Diss.) Tübingen 1980, S. 149 ff. 22 Friedrich II. schrieb in seinem Testament vom 8. Januar 1769 unter § 32: „Je recommande à tout mes parents à vivre en bonne inteligence et à savoir quand il le faut sacriffier leurs intérêts perssonels au bien de la patrie et aux avantages de l’État.“ Caemmerer, Hermann von (Hrsg.), Die Testamente der Kurfürsten von Brandenburg und der beiden ersten Könige von Preußen, München / Leipzig 1915, S.  465. Zur Herrschaftsauffassung in Testamenten vgl. Richter, Susan, Fürstentestamente der Frühen Neuzeit. Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 80), (Diss.) Göttingen 2009. Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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Zu einer ähnlichen Auffassung gelangten auch die Rechtspraktiker. Der Jurist Johann Friedrich Runde 1785 kam in seinem Traktat „Abdankung der Dienerschaft“ sehr pragmatisch zu dem Ergebnis, dass die Abdankung von Fürsten zwar moralisch verwerflich und unrecht sei, die Entscheidung zu diesem Schritt dennoch einem jeden Herrscher grundsätzlich frei stehen müsse: „Vom Thron zu desertiren würde freilich so unrecht seyn, als ob ein Bedienter seinen Posten verließe. Verweigern kann man aber diesen Abschied so wenig, als Carl dem Fünften oder irgend einem andern Regenten, der des beschwerlichen Scepters müde war, ihn in die Hände deren [sic!] zurück zu geben, welche ihm denselben anvertrauet hatten. […] Große Regenten haben es nicht unter ihrer Würde geachtet, sich selbst für die ersten Diener ihres Stats zu halten; sie entsagen diesem Dienste sobald sie wollen, ohne daran zu denken, daß der Stat sich gleiches Recht in Ansehung ihrer Entsetzung anmassen könnte“.23 Vollkommen gegensätzlich argumentierte das zeitgenössische Privatfürstenrecht: Der Tübinger Rechtsgelehrte Daniel Johann Christian Majer setzte sich 1783 in seiner „Einleitung in das Privat=Fürstenrecht“ intensiv mit dem Problem des Monarchen und seiner mehrfachen Person, nach „ihrer a) Fürsten= und Staats=Repräsentativ=Person“ und „b) nach ihrer Privat=Person“ betrachtet, auseinander. Er konstatierte, dass der Fürst wie „gewissermaßen jeder Staats=Beamte neben seiner Privat=Person auch eine öffentliche hat“. Die Zeitgenossen gingen also vor dem Hintergrund der abstrakten Existenz des Staates nicht mehr von den zwei Körpern eines Herrschers, jedoch von den zwei Personen eines Fürsten aus. Majer räumte jedoch der Person, welche die „Oberherrschaft und Repräsentantschaft des Staates de jure proprio hat“, und damit der öffentlichen Person, den Vorrang ein. „[…] Neben dieser Fürstenperson, die mit einer so erhabenen Würde begleitet ist, hat nun der Fürst, als Mensch, noch seinen Privatstand, und in dessen betracht noch eine Privatperson, wonach er Individualfreyheit und Eigentum hat, damit sei eigen Individualinteresse und bestes zu befördern berechtigt ist.“24 Diese individuelle Freiheit gab dem Fürsten als Mensch auch das Recht, nach „Maßgab der menschlichen Natur“ Entscheidungen

23 Runde, Johann Friedrich, „Zusätze zu voriger Abhandlung über die Abdankung der Dienerschafft“, in: Stats=Anzeigen 8 / 1785, S. 43–48, hier: S. 47. Runde war der Auffassung, dass auch Beamte ebenso wie die Fürsten als erste Diener ihrer Staaten einfach ihren Dienst kündigen bzw. niederlegen könnten und dafür keine Erlaubnis des Fürsten bräuchten. Es ging ihm für diesen Fall um gleiche Behandlung. Arumentativ bewegt sich Runde auch in der Nähe von Zapf, der die fürstliche Regierung ebenfalls schon einem Amt gleichgesetzt hatte. Interessant ist auch die Auffassung Rundes, dass der Staat das Dienstverhältnis eines Fürsten aufkündigen und ihn entlassen könnte. Leider führt Runde diesen Gedanken nicht weiter aus. 24 Majer, Daniel Johann Christian, Einleitung in das Privat=Fürstenrecht, Tübingen 1783, S. 95 f und S. 99.

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für sein Wohl und eigenes Bestes zu treffen.25 Danach durfte Friedrich Carl Alexander in der Bekanntmachung seiner Abdankung darauf hinweisen, dass er sein Leben an einem „nach eigenem Gefallen zu erwählenden Ort in Ruhe zubringen werde.“26 Dazu kam, dass Majer einem Fürsten noch immer die patrimoniale Gewalt und das Eigentum am Land sowie damit verbunden die grundsätzliche Befugnis zur Veräußerung seiner Gebiete im Bereich seiner privaten Entscheidungen zugestand, „[…] auch wenn d. gl. im eigentlichen Verstande Sachen des Staates“ seien. Aber selbst im Falle eines abstrakten und überpersonal gedachten Staates stünde dem Fürsten kraft seiner Gewalt und Oberherrschaft die freie Verfügungsgewalt zu. Das Recht an der Landeshoheit gehörte nach Auffassung Majers, ausgehend vom patrimonialen Besitzverständnis aber grundsätzlich unter die Privatsachen eines Fürsten. Geregelt wurden Angelegenheiten dieser Art in Hausgesetzen und Fürstentestamenten.27 Den Landesbesitz zu veräußern oder sich seiner durch eine freiwillige Abdankung zu entledigen, stand einem Herrscher zwar grundsätzlich nach dem Fürstlichen Privatrecht als Privatperson ebenso wie als öffentlicher Person zu – jeweils aber mit der Auflage, solche Entscheidungen nicht zum Nachteil der Untertanen zu fällen. Der Unterschied, in welcher Person der Fürst eine Angelegenheit behandelte, ob es sich nun um eine private oder eine Staatsangelegenheit handle, sei oft nur schwer festzustellen, gab Majer bei seinen löblichen Differenzierungsversuchen frustriert zu. In der Regel hätten aber privatrechtliche Entscheidungen der Fürsten immer auch eine Auswirkung auf den Staat.28 Friedrich Carl Alexander bezog sich in der Bekanntmachung seiner Abdankung indirekt auf seine Privatautonomie, in dem er sich auf Familien- und Hausverträge mit Brandenburg-Preußen berief und gemäß ihrer Bestimmungen dem preußischen König als Nachfolger bereits zu seinen Lebzeiten seine beiden Länder übertrug und ihn an seiner Stelle in das öffentliche Herrscheramt einsetzte. Obwohl die zeitgenössische, vom Dienstgedanken und Pflichtethos geprägte Herrschaftslehre eine Abdankung indirekt ausschloss, ohne jedoch das Phänomen zu diskutieren, erschien sie aufgrund des fürstlichen Privatrechts nicht vollkommen unmöglich. Daraus bezog Friedrich Carl Alexander seine Legitimation, die er öffentlich kommunizierte.

25 Ebd., S. 103. 26 Gedruckte Bekanntmachung der Abdankung: HStA Nürnberg, Fm. Ansb., Klosterverwaltungsamt Heilsbronn, Akten, Nr. 4. 27 Majer, Daniel Johann Christian, Einleitung, 1783, S. 120 und S. 123. 28 Ebd., S. 109. Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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2. Die Folgen der Abdankung: Der Fürst avanciert zur Privatperson Mit der Aufgabe seines öffentlichen Herrscheramtes vollzog sich ein automatischer Statuswandel. Von den zwei Personen des Fürsten blieb nur die Privatperson übrig. „Privatus“ stand im Gegensatz zu „publicus“ und implizierte nicht nur ein „abgesondert sein“ bzw. ein aktives „sich absondern“ von öffentlichen und staatlichen Angelegenheiten, sondern in einem erweiterten negativen Sinne sogar ein „beraubt sein“ sowie in der positiven Auslegung auch ein „befreit sein.“29 Gerade in der zuletzt genannten Bedeutung der Befreiung verstand wohl Markgraf Friedrich Carl Alexander seine Abdankung und den vollständigen Übergang in die Privatsphäre, zielte er doch auf die Entledigung der mit den Regierungsgeschäften verknüpften Sorgen und Beschwerden. Die „vita civilis“ – verbunden mit der „vita activa“ – stand der „vita beata“ und damit der Sphäre des Unpolitischen gegenüber. Privat sein war somit in erster Linie ein staatsrechtlicher Begriff und beschränkte sich keineswegs auf Intimität, sondern verwies in erster Linie auf die menschliche Natur eines Fürsten.30 Den Privatstand eines jeden Untertanen, der von der staatlichen und damit politischen Sphäre ausgeschlossen war, verband Majer, wie andere Juristen auch, mit einer grundsätzlichen Unterwürfigkeit gegenüber dem Fürsten als Staatsoberhaupt. In solch einem unterwürfigen Status könne sich der Fürst in seinem Privatstande keinesfalls befinden, vielmehr gelte für ihn, dass er sich auch „[…] seiner Privatperson nach, im Freyheitsstande der Natur und in Betracht seiner Privathandlungen und Geschäfte so wenig als seiner Staatsgeschäfte, sich nach einer positiven Ordnung und Vorschrift des Staats, sondern nach den Grundsätzen des unter den Menschen statt findenden Naturrechts zu richten [habe].“31 Der Fürst befand sich also noch immer im natürlichen Zustand und war in jeder Hinsicht frei und keinem Menschen untertan. Im Gegensatz zu Majers Auffassung von der Unterwürfigkeit des Privatstandes anderer Personen, lässt sich seit dem 17. Jahrhundert eine geänderte Auffassung vom Privaten als einem Rechtsstatus feststellen, der zunehmend von der negativen Komponente 29 Vgl. die Bedeutungen des lateinischen „privatus“ und „privare“, in: Georges, Karl Ernst (Bearb.), Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, Bd. 2, Hannover 111962, Sp. 1928 f. Die Problematik des privaten Status oder der privaten Sphäre eines Herrschers wurde von den bisherigen Forschungen zum privaten Leben ausgespart. In Ariès’ und Chartiers Studie zur Geschichte des privaten Lebens wurden nur die Krankheiten Königs Ludwigs XIV. im Tagebuch seines Arztes im Zusammenhang mit der Privatsphäre des Monarchen thematisiert. Vgl. Foisil, Madeleine, „Die Sprache der Dokumente und die Wahrnehmung des privaten Lebens“, in: Philippe Ariès / Roger Chartier (Hrsg.), Geschichte des privaten Lebens, Von der Renaissance zur Aufklärung, Bd. 3, Nördlingen 1991, S. 333–367, hier: S. 364. 30 Habermas, Jürgen, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt / Main 1990, S. 19 f. 31 Majer, Daniel Johann Christian, Einleitung, 1783, S. 128.

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der Unterwürfigkeit befreit wurde, und – ganz im Gegenteil – eine neue, kaum gekannte Autonomie für denjenigen versprach, der sich der öffentlich-politischen und damit höfischen Sphäre entzog.32

3. Von der Faszination des Privatlebens In Fürsten- und Tugendspiegeln, in der Trost- und Erbauungsliteratur ebenso wie in Dramen und Gedichten lässt sich bis ins 18. Jahrhundert die breite Rezeption des antiken Hof-Flucht-Motivs nachweisen.33 Der Hof galt als Ort politisch-staatlichen Handelns und somit auch als öffentlicher Ort.34 Die öffentliche Sphäre des Politischen bedeutete, so ein frühneuzeitlicher Topos, die Gefährdung der Tugend und des Herzens eines Menschen. Intrigen und Lügen – so der kritische Topos – bestimmten das Leben eines Hofmannes. Eine wirkliche Alternative boten nur der Rückzug vom Hofleben und die Flucht aufs Land. Dieser Rückzug bedeutete nicht zuletzt auch eine Abdankung der Höflinge und Herrscher aus den bis dahin bekleideten öffentlichen Ämtern. Die ästhetische Stilisierung des Landlebens fand ihren Höhepunkt in einem Garten, dem Sinnbild des Paradieses und dem idealistischen Bild für eine Kraft spendende und heilende, natürliche und private Sphäre. Schon Justus Lipsius verwies in seinem Traktat „De Constantia“ aus dem Jahr 1584 auf antike Beispiele Regierender, die ihre Funktion in Staat und Öffentlichkeit zugunsten des Daseins als Gärtner aufgegeben hatten:

32 Dazu ausführlich Frühsorge, Gotthardt, Privatklugheit. Zur Bedeutungsgeschichte des Politischen in der Hofliteratur des 17. Jahrhunderts in Deutschland und in den „politischen Romanen“ Christian Weises, (Diss.) Hannover 1974, S. 88–93. Den negativen Status des Privaten beweist ein politisches Bonmot, das Friedrich Carl von Moser 1784 in seine Sammlung Über Regenten, Regierung und Ministers aufnahm: Eine verwittibte Monarchin sagte in dem Genuß eines ländlichen Freuden=Fests: Heut bin ich so glücklich wie eine Privat=Person. Ein unvorsichtiger Hofmann äußerte: So glücklich könnten Ew. Majestät alle Tage seyn. Der Sinn, wann sie ihre Regierung niederlegte, lag ohne Worte nicht daneben. Seine Belohnung war eine Verweisung vom Hof. Die freywillige Abdankung der Könige ist so selten als die eines Ministers. Moser, Friedrich Carl, Über Regenten, Regierung und Ministers. Wege=Besserung des kommenden Jahrhunderts, Franckfurt / M. 1784, S. 294. 33 Vgl. grundlegend dazu Kiesel, Helmuth, „Bei Hof, bei Hoell“. Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller (Studien zur deutschen Literatur, Bd. 60), (Diss.) Tübingen 1979. 34 Ariès, Philippe / Chartier, Roger, Geschichte des privaten Lebens, Bd. 3, 1991, Einleitung S. 9. Ariès und Chartier gehen davon aus, dass es sich für eine Standesperson bis ins 17. Jahrhundert nicht ziemte, allein zu sein. Einsamkeit wurde recht schnell mit langer Weile gleichgesetzt. Das änderte sich jedoch zur Lust an der Einsamkeit. Ebd., S. 11 f. Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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„Ich finde den Sullam, das er den Obersten gewalt [sic!] zu Rom hingeworffen / und sein Alter in den Gärten gantz lieblich zugebracht: Ich finde den Kaiser Diocletianum, das er sein Kohlkraut der Purpur und allen Sceptern fürgezogen.“35 Der Garten avancierte bei Lipsius zum Ort der Weisen, der dem Menschen die Freiheit des Inneren ebenso bot wie die „constantia“ und die „tranquillitas animi“. Die so gewonnene Atharaxie der Seele bewahrte vor den Schlägen und der Unbeständigkeit der Fortuna oder heilte ein über Jahre von Ehrgeiz zerstörtes Gemüt eines „homo politicus“. Mit der Beständigkeit und Ruhe des Inneren verband Lipsius die Daseinsform des Privaten. Die „vita civilis“ dagegen, die nach der neostoizistischen Machtstaatstheorie von einem Herrscher oder anderen Politiker rationales und zweckorientiertes Handeln als Reaktion auf die Unzuverlässigkeit der Fortuna verlangte, war in der Regel nicht mit der Ruhe der Seele in Einklang zu bringen. So gestand Herzog Philipp von Sulzbach (1630–1703) unter dem Pseudonym Franz Philipp Florin in seinem 1702 erschienenen „Klugen und rechtsverständigen Hausvatter. Ratschläge, Lehren und Betrachtungen“: „Auch die tapfersten und zu den wichtigsten Verrichtungen der Welt vorgesehenen Helden haben keine anständigere Lust, als den Ackerbau zu erkiesen gewusst. Denn sie haben eine bequeme Müßigkeit, liebliche Wasserflüsse, hören das liebliche Geschrei des Viehs, schlafen lieblich unter einem grünen Baum, sehen ihr Vieh auf den grünen Wiesen umhergehen, was ein fröhliches Gemüt macht. […] In Betrachtung dieses edlen Lebens hat die Gartenwissenschaft viele vornehme Liebhaber und Förderer gehabt, da große Potentaten, Kaiser und Könige nebst anderen Fürstlichkeiten jederzeit eine besondere Vorliebe dafür hatten. Diokletian sagte, ein Tag in seinem Garten sei ihm lieber als alle Herrlichkeiten, die er zeit seiner kaiserlichen Regierung genossen habe.“36 Für den Adel oder die bürgerliche Elite in fürstlichen Diensten deutlich einfacher als für einen Landesherrn, wurde die Aufgabe eines Amtes und der Rückzug auf das Land Mitte des 18. Jahrhunderts längst nicht mehr mit der Unterwürfigkeit, sondern mit dem Gegenteil, der Freiheit zur Entscheidung, sich „selbst zu leben“, gleichgesetzt. So bekennen sich zwei Protagonisten aus Lessings „Emilia Galotti“, Oberst Odoardo und Graf Appiani, zu Lebensvorstellungen außerhalb einer höfischen Karriere. Odoardo charakterisierte seinen künftigen Schwiegersohn: „Alles entzückt mich an ihm. Und vor allem der Entschluß, in seinen väterlichen Thälern sich selbst zu leben. Was sollte der Graf hier? Sich bücken, schmeicheln und kriechen, und die Marinellis auszustechen suchen? Um endlich ein Glück zu machen, 35 Zit. n. Frühsorge, Gotthardt, Der politische Körper, 1974, S. 90. Zur Bewertung von Abdankung als Befreiung und Entlastung von der Vergangenheit vgl. auch Mayer, Mathias, Die Kunst der Abdankung. Neun Kapitel über die Macht der Ohnmacht, Würzburg 2001, S. 116–118. 36 Florin, Franz Philipp, Der Kluge und rechtsverständige Hausvatter. Ratschläge, Lehren und Betrachtungen, Nürnberg / Frankfurt / Main 1702 (ND Berlin 1988), S. 81 und S. 89.

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dessen er nicht bedarf ? Um endlich einer Ehre gewürdiget zu werden, die für ihn keine wäre?“37 Das wahre Glück würde der Mensch also nicht im öffentlich-gesellschaftlichen Bereich finden. Vielmehr lag es in der räumlichen Distanz zum Hof als Inbegriff gesellschaftlichen Lebens und der damit entstehenden Autonomie, die mit dem Land als Freiraum von sozialen Normen und Pflichten verbunden wurde. War die Karriere im fürstlichen Dienst im 17. Jahrhundert noch selbstverständlicher Fixpunkt des Adels, so verlagerte sich das Lebensideal der Empfindsamkeit in Deutschland in die Sphäre jenseits des Hofes – vielfach als Folge reformerischen Scheiterns patriotischer Fürstendiener ihren Höfen. Die englische Literatur kennt das Motiv des so genannten „happy man“ bereits seit dem 17. Jahrhundert. Sie verband das Ideal des „happy man“ mit dem „rural life“, dem Leben auf einem Landsitz, „to pursue a way of life which alone was felt to be worthy of a human being“.38 Auch in Deutschland wurde der Rückzug von Höflingen literarisch thematisiert.39 Das Landleben sollte sich nicht nur auf einen temporären Sommeraufenthalt beschränken, sondern verstand sich als alternativer Existenzentwurf, der den Verzicht auf Macht und Prestige implizierte und seine Qualität in freundschaftlicher Geselligkeit und ästhetischen Naturerfahrungen fand.40 Die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts glorifizierte die liberale Gesellschaftstheorie Englands in gleichem Atemzug mit den englischen Gärten als Orte der Freiheit und prägte das Bild der unterdrückten Freiheit des absolutistischen Staatskonzepts im geometrischen Formalismus französischer Gärten und des Hofes. Englands Landleben erschien als wieder entstandenes Arkadien.41 37 Lessing, Gotthold Ephraim, „Emilia Galotti“, in: Wilfried Barner u. a. (Hrsg.), Gotthold Ephraim Lessing. Werke und Briefe, Werke 1770–1773, Bd. 7, hrsg. von Klaus Bohnen, Frankfurt / Main, 2. Akt, 4. Auftritt, S. 291–372, hier: S. 311 f. Vgl. auch Garber, Klaus, „Zur Statuskonkurrenz von Adel und gelehrtem Bürgertum im theoretischen Schrifttum des 17. Jahrhunderts“, in: Elger Blüm / Jörn Garber (Hrsg.), Hof, Staat und Gesellschaft in der Literatur des 17. Jahrhunderts, Amsterdam 1982, S. 115–145, hier: S. 143. 38 Roestvig, Maren Sofie, The happy man. 1700–1760. Studies in the metamorphoses of a classical ideal, Oslo ²1962, S. 43 f. 39 Zur literarischen Verarbeitung des empfindsamen Rückzugs von Fürstendienern vgl. Martens, Wolfgang, Der patriotische Minister. Fürstendiener in der Literatur der Aufklärungszeit (Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte der Neuzeit, Bd. 1), Weimar 1996, S. 265–273. 40 Vgl. dazu auch grundlegend Lohmeyer, Anke-M., „Das Lob des adeligen Landlebens in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts“, in: Arte et Marte. Studien zur Adelskultur des Barockzeitalters in Schweden, Dänemark und Schleswig-Holstein, Neumünster 1978, S. 173–191; Dies., Beatus ille. Studien zum „Lob des Landlebens“ in der Literatur des absolutistischen Zeitalters, Tübingen 1981. 41 Hammerschmidt, Valentin / Wilke, Joachim, Die Entdeckung der Landschaft. Englische Gärten des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1990, S. 9–17; Panowsky, Erwin, „Et in Arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen“, in: Ders., Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 1975, S. 351–378. Zum Garten als Rückzugsort vgl. Ariès, Philippe / Chartier, Roger, Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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Unter den zahlreichen Englandreisenden des 18. Jahrhunderts, die das neue Lebensmodell studierten, fanden sich immer mehr Fürsten wie Fürst Franz von AnhaltDessau oder auch Markgraf Friedrich Carl Alexander von Ansbach-Bayreuth. In ihre Länder zurückgekehrt, suchten sie als „bekehrte Anglophile“ durch die Anlage englischer Gärten und Landhäuser wie den Wörlitzer Park in Anhalt-Dessau und das Lustschloss Triesdorf mit einem Landschaftsgarten bei Ansbach den Lebensstil des englischen Adels außerhalb der „London Season“ zu kopieren. So beschrieb der Leibarzt des fränkischen Markgrafen, Johann David Schöpf, dass sein Herr, „[…] wenn das Wetter günstig ist, auf dem Wasser“ ausfahre, „fischt, promeniert und die übrige Zeit mit Konversation und Billard verbringt. Unterdessen werden die eigentlichen und besseren Absichten des ländlichen Aufenthaltes erreicht, diese nämlich: ohne Zwang und Geräusch zu leben und der schönen Natur zu genießen.“42 Das Schloss Triesdorf bot ähnlich wie das so genannte Badhaus des pfälzischen Kurfürsten Carl Theodor (1724–1799) in seinem Schwetzinger Garten eine gestufte Privatsphäre für Herrscher: Im 18. Jahrhundert wurde zunehmend zwischen Dienstresidenzen, unter die auch durchaus Sommerschlösser fallen konnten, wenn sie einen Großteil des Hofstaates beherbergten, und privaten Wohnsitzen mit gesteigerter Privatsphäre unterschieden.43 Triesdorf gewährte Friedrich Carl Alexander also „das Vergnügen einer Veränderung des Aufenthalts“ und die Möglichkeit, sich „von der Last der Geschäffte je zuweilen zu entledigen“.44 Doch das Landgut diente eindeutig als zeitlich begrenzter Aufenthalt, in dem der Fürst bei eingeschränktem oder gar aufgehobenem Zeremoniell nicht ausschließlich Privatier und Landedelmann war, sondern auch und vor allem Herrscher und Landesherr blieb. Daneben wurde Triesdorf vom Markgrafen auch als Mustergut geführt. Friedrich Carl Alexander zielte auf die Hebung der Landesökonomie und der Landwirtschaft Geschichte des privaten Lebens, Bd. 3, 1991, S. 217–221. Weniger zu den englischen Gärten, aber grundlegend zur Rolle des Privaten im vormodernen England sowie zu den mit dem Privaten verbundenen Wohnsituationen in London (das Refugium oder das Closet) vgl. Heyl, Christoph, A passion for Privacy. Untersuchungen zur Genese der bürgerlichen Privatsphäre in London 1660–1800, München 2004. 42 Zit. n. Sommerresidenz Triesdorf. Schnell Kunstführer Nr. 1368, Regensburg 1982, S. 6. 43 Zu Schwetzingen vgl. neuerdings Wagner, Ralf R., In seinem Paradiese Schwetzingen. Das Badhaus des Kurfürsten Carl Theodor von der Pfalz, Ubstadt-Weiher 2009. Zur Problematik der abgestuften Privatheit von Fürsten durch Räume im 18. Jahrhundert vgl. den Bericht der Tagung „Öffentlichkeit und Privatheit“ des DFG-Graduiertenkollegs 1288 „Freunde, Gönner, Getreue“ der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg am 09.11.­–11.11.07 von Judith Gurr. http: /  / hsozkult.geschichte.hu-berlin.de / tagungsberichte / id=1887 (Stand: 20.02.08). Zu Kurfürst Carl Theodor Mörz, Stefan, Aufgeklärter Absolutismus in der Kurpfalz während der Mannheimer Regierungszeit des Kurfürsten Karl Theodor 1742–1777, (Diss.) Stuttgart 1991. 44 Zum Zweck der Land=Schlösser der Regenten vgl. Moser, Friedrich Carl von, Teutsches Hof=Recht. In zwölf Büchern, Bd. 2, Franckfurt / Leipzig 1755, VII. Buch, Cap. I, S. 265.

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durch Versuche zur Verbesserung der Rinder-, Schafs- und Pferdezucht, um die er sich als Landesherr selbst kümmerte. Der Ansbacher Markgraf entsprach damit einem Urbild der antiken Symbiose vom Bauern und Staatsmann, wie sie in England und in Jeffersons Amerika in Anlehnung an das republikanische Rom gerade als Ideal propagiert wurde. „Dulce et utile“, Horaz’ Auffassung von der Verbindung des Schönen mit dem Nützlichen als Ziel englischer Gartenkunst45, war also auch in Triesdorf verwirklicht.

4. Topos vs. Realität: Friedrich Carl Alexanders Motivation zur Abdankung Doch das Triesdorfer Landgut bot seinem Besitzer nur eine kurze Ablenkung von den in seiner eingangs zitierten Abdankungserklärung bereits angeführten besorgniserregenden Zeitläuften Ende der 1780er Jahre in Frankreich sowie der Tatsache, politischer Spielball europäischer Großmächte zu sein. Der Gedanke eines Verzichts auf die Regierung war in Friedrich Carl Alexander bereits in den späten 1780er Jahren gereift. Im März 1789 ließ er immer wieder aufflackernde Gerüchte über einen möglichen Amtsverzicht durch regionale Zeitungen wie die „Erlanger Realzeitung“ und die „Bayerische Zeitung“ zerstreuen, um Unruhe in der Bevölkerung zu vermeiden.46 Die Gerüchte entsprachen aber absolut den Tatsachen. Brandenburg unterstützte die Rücktrittserwägungen des Markgrafen sogar nachhaltig. Seit den 1760er Jahren war die brandenburgisch-preußische Nachfolge in Franken Gegenstand internationaler Garantieverhandlungen mit Russland, Bayern und Habsburg, in denen dem Markgrafen selbst jedoch keine Bedeutung zukam. Er musste vielmehr hilflos zusehen, wie seine Länder zu einem Politikum avancierten

45 „Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci“, Horaz, Sämtliche Werke. Lateinisch und deutsch, hrsg. v. Hans Färber, München 101985, S. 564, Vers 343. Ludwig Heinrich Hermann Graf von Pückler (1785–1871) legte unweit von Muskau einen der berühmtesten Gärten nach englischem Muster an, der noch heute zu den Höhepunkten der europäischen Gartengestaltung gehört. Pückler scheiterte jedoch bei seinen Anlagen an einem der Grundprinzipien, der Nützlichkeit. Seine Wiesen erbrachten so geringe Erträge, dass er einem Großteil seines Parks an seinem Lebensende verkaufen musste. Vgl. dazu Pückler-Muskau, Hermann Fürst von, Andeutungen über Landschaftsgärtnerei, verbunden mit der Beschreibung ihrer praktischen Anwendung in Muskau, hrsg. von Günther Vaupel, Frankfurt / Main 1996. 46 Erlanger Realzeitung Nr. 18 (03.03.1789) und Bayerische Zeitung vom 02.03.1789. Thürauf, Ulrich, Die öffentliche Meinung im Fürstentum Ansbach-Bayreuth zur Zeit der französischen Revolution und der Freiheitskriege, München 1918, S. 49 f. Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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und bei den pfalz-bayerisch-habsburgischen Tauschplänen47 als Druckmittel eingesetzt wurden. In diesem Zusammenhang trat die Bedeutungslosigkeit des Reiches gegenüber dem eigenen Interesse der Territorialherren an der Arrondierung von Gebieten offen zutage. Friedrich Carl Alexander wusste nach Aussage seines ehemaligen Ministers, Karl Friedrich Reinhard von Gemmingen, wie sehr gerade kleine Fürstentümer von der Stärke und vom Schutz durch das Reich abhängig waren. Gemmingen schrieb im Jahr 1820, etwa 14 Jahre nach dem Tod und fast dreißig Jahre nach der Abdankung seines Herrn, aus der Retrospektive die „Beiträge zu der Lebensgeschichte des letzten Regenten der Brandenburgischen Markgrafentümer“. Die Blätter sind, neben einer klar erkennbaren Huldigung an den Toten, zugleich die Erinnerungen eines engen Vertrauten und politisch involvierten Ratgebers, der sicher aus dem zeitlichen Abstand und in Kenntnis der Zeitläufte den Weitblick seines Fürsten deutlich überschätzte. Eine entsprechend kritische Distanz zu den Aussagen Gemmingens ist deshalb unerlässlich. Dennoch handelt es sich um eine der wenigen Quellen, welche die Motivation zur Abdankung überhaupt beleuchtet. So beschreibt Gemmingen, Friedrich Carl Alexander habe befürchtet, dass „die Verfassung des deutschen Reiches ihrer Auflösung nahe sei.“48 Die frühzeitige Angliederung an Brandenburg-Preußen böte den fränkischen Ländern aus diesem Grunde sicher den besten Schutz. Daneben hätten die zahlreichen Reisen Friedrich Carl Alexanders kurz vor und nach Ausbruch der Revolution durch Frankreich zu Zweifeln am Fortbestehen der Monarchie im herkömmlichen Sinne geführt. Er habe, so berichtete Gemmingen, „im Geist die furchtbaren Folgen lebhaft voraus [gesehen], die das Ungewitter auch auf Deutschland haben würde“. Auch dies habe seinen Entschluss erleichtert, die Regierung in die Hände des preußischen Königs zu legen.49 Seine Abdankung war somit nach Einschätzung Gemmingens politisch von der Perspektivlosigkeit der eigenen Herrschaft und der Einsicht in die Schwäche seines kleinen Staatsgebildes sowie in die der eigenen Position motiviert. Dazu kam sehr wahrscheinlich die starke Wirkung der zeitgenössischen, vorstehend beschriebenen Landlebendichtung, die die Flucht vom Hofleben und alternative Existenzentwürfe propagierte. Die Flucht zeigte sich zuerst darin, dass sich der Markgraf Ende der 1780er Jahre immer häufiger auf Reisen begab. Wenn die zwei Personen Friedrich Carl Alexanders sich wohl immer stärker in Konkurrenz zueinander befanden und die Betonung seiner Privatperson schon frühzeitig durch die Separierung 47 Zu den Tauschplänen vgl. Rall, Hans, Kurfürst Karl Theodor, Regierender Herr in sieben Ländern 1724–1799, Mannheim / Leipzig / Wien 1993, S. 138–140, 169. Vgl. hierzu auch Ders., „Die Hausverträge der Wittelsbacher: Grundlagen der Erbfälle von 1777 und 1799“, in: Hubert Glaser (Hrsg.), Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat, S. 13–48, hier: S. 32. 48 HStA Nürnberg, Hist. Verein f. Mfr. Ms hist., Nr. 40, Von Gemmingen, S. 53. 49 Ebd., S. 56.

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eines Privatvermögens von der übrigen Vermögenssubstanz des Fürstentums50 eines von vielen Zeichen des Widerstreits und der schwierigen Vereinbarkeit der öffentlichen mit der Privatperson darstellte, so gewährte er in den letzten Regierungsjahren immer häufiger der Privatperson den Vorrang. Dies führte letztlich zu dem Bestreben, sich – wie im Abdankungspatent genannt – der Sorgen und Beschwerden, welche die Regierungsgeschäfte mit sich brachten, gänzlich zu entledigen und sein Ideal zu leben bzw. als Privatmann in den natürlichen Zustand zurückzukehren. Die Realisierung dieses Ziels gewährte kein temporärerer Aufenthalt auf dem Land. Erreicht wurde der gewünschte Status eines Privatmannes nur durch die Abdankung und den damit verbundenen vollständigen Verzicht auf alle Herrschaftsrechte und -pflichten. Auch wenn Friedrich Carl Alexander seinem Leibarzt Johann David Schöpf einmal versprochen hatte, kein „Carolus Quintus“51 zu werden, und gegenüber Gemmingen geäußert haben soll, er würde sich nicht damit begnügen, nur ein Privatmann zu sein,52 so schien der Gedanke, sich selbst zu leben, doch bestechend für ihn. Zudem wurde der Fürst in seiner Hinwendung zum Lebensstil eines englischen Landedelmannes unbedingt und vehement von seiner Geliebten und späteren Ehefrau, der Engländerin Lady Elisabeth Craven (1750–1828), unterstützt.53 Friedrich Carl Alexander war auch nicht der erste Fürst, der bereitwillig seine Herrschaft gegen das Leben eines Landwirts in England eintauschen wollte. Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau hatte bereits nach seiner Englandreise im Jahr 1763 an einen Rückzug gedacht. Doch Friedrich II. intervenierte in diesem Fall und verhinderte die Abdankung.54 Leopold Friedrich Franz schuf in seinem Dessau-Wörlitzer Gartenreich ein Stück England, während der Ansbacher Markgraf nach der Niederlegung seines Fürstenamtes wirklich die britische Insel als Aufenthaltsort wählte. Er kaufte dort von den ihm im Abdankungsvertrag jährlich zustehenden Unterhaltsgeldern von 300 000 fl., zu deren Zahlung sich Brandenburg-Preußen verpflichtet hatte, die Landgüter Hammersmith, Benham und Colney Chapel bei St.

50 Dazu vgl. Werzinger, Dieter, Die zollerischen Markgrafen von Ansbach. Ihr Staat, ihre Finanzen und ihre Politik zur zeit des Absolutismus, Neustadt / Aisch 1993, S. 362 ff und S. 502 f. 51 Eigenhändig geführtes Tagebuch des markgräflichen Leibarztes Dr. Johann David Schöpf (1752–1800), Archivaliensammlung des Historischen Vereins für Mittelfranken, Ms. hist. 391 (als Depositum im Staatsarchiv Nürnberg). Das Tagebuch endet im Jahr 1791 und bietet eine kurze Zusammenfassung der Abläufe um die Abdankung. Vgl. auch Störkel, Arno, Christian Friedrich Carl Alexander von Ansbach-Bayreuth, Ansbach 1995, S. 235. 52 Zit. n. Schuhmann, Günther, „Markgraf Alexander von Ansbach-Bayreuth“, in: Gerhard Pfeiffer (Hrsg.), Fränkische Lebensbilder. Neue Folge der Lebensläufe aus Franken, Reihe VII A, Bd. 1, Würzburg 1967, S. 313–336, hier: S. 332. 53 Ebd., S. 330. 54 Weiss, Thomas, Das Gartenreich Dessau-Wörlitz, Hamburg ²1998. Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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Albans nördlich von London, um dort ebenso wie in Triesdorf – doch nunmehr ohne Unterbrechung – Pferde zu züchten und sein Land zu bestellen. Doch der Stand eines Privatiers wurde ihm in vielfacher Hinsicht vergällt: Die Unterhaltszahlungen blieben in der Regel aus. Friedrich Carl Alexander musste sie in unschönen Kämpfen anmahnen. Zudem begegnete ihm die englische Gesellschaft, obwohl er seinen markgräflichen Titel beibehalten hatte, nicht zuletzt wegen seiner Abdankung mit vollkommenem Unverständnis. Er geriet sehr schnell in eine persönliche und gesellschaftliche Isolation. Das angestrebte Leben eines geachteten Land­ edelmannes und glücklichen Privatiers verglichen Außenstehende mit dem eines „armseligen Krautjunkers“. Sie berichteten, Serenissimus seien „schlecht gekleidet, die Haare seien rund geschnitten, er trage grobe Schuhe“ […] und er sei „schweigsam, misstrauisch, inamusable“. Friedrich Carl Alexander musste sehr schnell feststellen, dass das literarische Ideal des Landlebens nicht zu leben war, und musste sich hinsichtlich seiner Lebensvorstellung als gescheitert betrachten. So äußerte er sich gegenüber seiner Gemahlin Lady Craven verbittert: „I am the only Englishman in this country.“55 Die Entzauberung des gesellschaftlichen Ideals und des Vorzugs des Privatlebens ging wohl mit der stetig steigenden Anzahl adeliger Emigranten aus Frankreich einher, die in Folge der Revolutionswirren in England Schutz suchten.56 Besitzlos, ihrer Würden und Ämter beraubt, geflohen und nicht selten verarmt überschwemmten sie die Insel und lebten zwangsweise als Privatiers. Der Verlust ihrer politischen und gesellschaftlichen Bedeutung war so immens und die finanziellen Nöte so offenbar, dass dem zuvor glorifizierten Privatstand jeglicher Reiz abhanden kam und die von Majer und anderen juristischen Autoren damit in Verbindung gebrachte Unterwürfigkeit einer Privatperson aus materiellen Gründen nicht zu vermeiden war. Das Verständnis für einen Fürsten, der seine Macht und sichere Existenz freiwillig und ohne Not aufgegeben hatte, musste angesichts dieser Schicksale umso geringer ausfallen und die britische Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt eher verwundern. Hatte er gerade in England für seine Entscheidung und sein Vorhaben auf Akzeptanz gehofft, so musste Friedrich Carl Alexander nun erkennen, dass es sich wohl doch nur um ein schönes Ideal handelte, mit dem die Gesellschaft spielte und liebäugelte, das aber kaum jemand in so voller Konsequenz realisiert hatte, und dabei noch erwartete, seinen gesellschaftlichen Status zu behalten. So erhielt er keine Einladungen an den englischen Hof – wohl auch wegen der unstandesgemäßen Verbindung mit Lady Craven und ih55 Zit. n. Störkel, Arno, Christian Friedrich Carl Alexander von Ansbach-Bayreuth, 1995, S. 266. 56 Zum Status französischer Emigranten in England und ihren politischen Bestrebungen vgl. Wagner, Michael, England und die französische Gegenrevolution 1789–1802 (Ancien régime, Aufklärung und Revolution, Bd. 27), München 1994, S. 187 ff.

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rem außerordentlich schlechten Ruf – und wurde von Brandenburg-Preußen wie ein apanagierter Prinz mit verletzender Geringschätzung behandelt.57 Der Markgraf ohne Land musste feststellen, dass seine Abdankung nicht nur zu dem von ihm ersehnten Machtverlust und zum Austritt aus der Geschichte58 führte, sondern sich zu einem Gesichtsverlust ausweitete. Gemmingen berichtete, der Markgraf habe ihm einmal gesagt, einen Thron zu verlassen, hieße beweisen, dass man unwürdig sei, denselben auszufüllen.59 Eben diese Einschätzung schien ihm jetzt in England entgegenzuschlagen. Seiner Tat haftete nichts Großartiges an, solange das Leben und die Rolle danach nicht eine entsprechende Würde erhielten. Im Gegenteil: Eine anonyme englische Karikatur aus dem Jahr 1793 zeigt den Fürsten mit Ordensstern in englischer Tracht und Hut wie in einem fremden Kostüm als lächerliche und gescheiterte Person, als Verlierer.60 Noch nicht einmal eine tragische Würde oder Mitleid gestand man ihm zu, wie sie nach Matthias Mayer in der Literatur Ende des 18. Jahrhunderts für gescheiterte Dramenhelden auszumachen sind.61 Den Lebensentwürfen der wenigen Monarchen, die in den Jahrhunderten vor ihm abgedankt waren, wie Kaiser Karl V., König Johann Casimir von Polen, Königin Christina von Schweden oder Landgraf Moritz von HessenKassel, wurde im allgemeinen durch Zeitgenossen und spätere Generationen Respekt gezollt. Während sich Karl in fast klösterliche Einsamkeit nach Yuste und Johann Casimir hinter wirkliche Klostermauern in Frankreich zurückgezogen hatten, wählten die schwedische Königin und der hessische Landgraf ein eher säkulares Gelehrtendasein. Moritz wurde sogar der Beiname „der Gelehrte“ verliehen. In jedem Fall aber folgte der „vita activa“ die „vita contemplativa“ und damit auch die Achtung vor dieser Wahl.62 Gerade an früheren Abdankungen fällt der Erhalt und die Fortdauer der fürstlichen „dignitas“ – auch losgelöst vom Amt – im Zusammenhang mit dem Störkel, Arno, Christian Friedrich Carl Alexander, 1995, S. 259 ff. Mayer, Mathias, Die Kunst der Abdankung, 2001, S. 14. Schuhmann, Günther, Markgraf Alexander von Ansbach-Bayreuth, 1967, S. 332. Die Karikatur entstammt Störkel, Arno, Christian Friedrich Carl Alexander, 1995, S.  265. Dort findet sich jedoch leider kein Quellennachweis. 61 Mayer, Mathias, Die Kunst der Abdankung, 2001, S. 80 ff. 62 Der Verlust von Land und Macht des Landgrafen Moritz des Gelehrten von Hessen-Kassel wurde aus Hessen-Darmstädter Sicht als Strafe und Schwäche gewertet. So äußerte sich das Testament Ludwigs V. von Hessen-Darmstadt zu dem Schritt seines Verwandten, „[…] wie tewer es Landgrave Moritzen gekostet unnd wie Gott gemeiniglich den Segen entziehe“. Testament Ludwigs V. von 1625, Teilpublikation bei Duchhardt, Heinz (Hrsg.), Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der frühen Neuzeit, Darmstadt 1987, S. 26. Zur Abdankung von Moritz vgl. auch Eßer, Raingard, „Landgraf Moritz’ Abdankung und sein Politisches Vermächtnis“, in: Gerhard Menk (Hrsg.), Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft, Marburg 2000, S. 196–214. 57 58 59 60

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ehemaligen Träger der Würde auf.63 Die Fortdauer der fürstlichen Würde nach der Abdankung entsprach der Würde, die toten Monarchen entgegengebracht wurde. Der Rücktritt von seinem Amt und das folgende Landleben brachten Friedrich Carl Alexander gerade nicht die ersehnte Ruhe des Gemüts und ausschließliche Freuden. Zwar hatte er sich – wie in der Bekanntmachung seiner Abdankung formu­ liert – tatsächlich nach Ruhe gesehnt, doch der Tausch der „vita activa“ gegen die „vita contemplativa“ besaß für ihn einen bitteren Beigeschmack: den vollständigen Verlust der gewohnten Würde und Ehre, die an das Fürstenamt und damit an die öffentliche Person gebunden waren. Dessen entledigt, fühlte er sich offenbar nackt, jedes Ansehens beraubt. Diese Seite des Privaten, die traurige Bedeutungslosigkeit, hatte die Literatur in ihren Hymnen auf das idealisierte Landleben nicht thematisiert – auch nicht, wie schwer es sein würde, das Leben frei von allen Affekten und Begehrlichkeiten im Sinne des Stoizismus zu führen. Friedrich Carl Alexander bekam die Ambivalenz der Zurückgezogenheit der Privatsphäre zu spüren, auf die bereits Epiktet warnend hingewiesen hatte: „An diejenigen, die ihr Leben in behaglicher Ruhe zubringen wollen. Besinne dich, dass Sehnsucht nach Stille und Muße, Sehnsucht ungestört studieren zu können, ebenso erniedrigt und von anderen abhängig macht, wie Sehnsucht nach Würden und Reichtum. Was ist der Unterschied, ob du Senator oder Privatmann zu sein wünschst? Mit einem Wort, jedes äußere Ding, welches es auch sei, dem man einen hohen Wert beilegt, macht von anderen abhängig.“64 Auch der Naturzustand bot ihm keine wirklichen Freiheiten. Zwar niemandem untertan, musste er sich den bestehenden Standesregeln der englischen Hofgesellschaft unterwerfen und konnte auch die einschränkende, fremdbestimmende Macht sozialer Normen nicht völlig negieren. Die scheinbare Autonomie brachte weder eine innere noch eine äußere Unabhängigkeit. Trotz der freiwilligen Abgabe herrscherlicher Macht – die Abdankung Diokletians stellte ein viel zitiertes Zeichen für die gelungene Negation der Affekte dar – war im Falle des Amtsverzichts Friedrich Carl Alexanders die vollständige Geringschätzung von Macht, Ehre und Ruhm und damit das stoische Ideal weder persönlich noch in der gesellschaftlichen Wertschätzung erreicht. Carl Alexander brachte der Verzicht auf sein Amt nicht den Status eines Philosophen oder gar Heiligen, sondern nur den 63 Kantorowicz ging von der „dignitas“ aus, die ausschließlich an das Amt geknüpft ist, weshalb auch in der Formel „Der König ist tot. Es lebe der König!“ keine Nennung der individuellen Namen der Träger erfolgt. Kantorowicz, Ernst, Die zwei Körper, 1994, S. 409. 64 Mücke, Rudolf, Epiktet. Was von ihm erhalten ist nach den Aufzeichnungen Arrians. Neubearbeitung der Übersetzung J. G. Schultheiss, Heidelberg 1926, S. 287. Epiktets Texte werden durch Justus Lipsius, Guillaume du Vair und Pierre Charron zum Allgemeingut der Zeit. Vgl. Oestreich, Gerhard, „Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform“, in: Ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 11–34.

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eines Narren. Die Schwächen des Menschen Friedrich Carl Alexander wurden mit seiner Gier nach gesellschaftlicher Anerkennung und dem nicht standesgemäßen Verhältnis zu Lady Craven allzu offenbar. Als Mensch, ohne den göttlichen Glanz des Amtes, war er nun kritisier- und beurteilbar. Der Rücktritt von seinem Herrscheramt erschien vielen Zeitgenossen anhand seiner Abdankungserklärung in erster Linie persönlich motiviert mit dem Ziel, sich der mit dem Regierungsamt „verknüpften Sorgen und Beschwerden gänzlich zu entledigen“ und „um entfernt von denselben, die übrigen Tage an einem, nach eigenem Gefallen zu erwählenden Orte in Ruhe zuzubringen.“65Aus moralischer Sicht hieß das, der Fürst als erster Diener des Staates war seines Dienstes am Staat und damit am Wohl seiner Untertanen überdrüssig. Diese Haltung entsprach nicht dem Pflicht- und Dienstgedanken fürstlicher Herrschaft Ende des 18. Jahrhunderts. Dennoch konnte der Schritt den Fürsten auch rechtlich nicht verwehrt werden. Dass Friedrich Carl Alexander bei seiner Abdankung über den öffentlich kommunizierten Grund hinaus möglicherweise einen Vorteil und die Chance einer gesicherten Existenz seiner Länder innerhalb Brandenburg-Preußens im Blick hatte, entstammt ausschließlich der späteren Deutung durch seinen Vertrauten und Minister von Gemmingen. Diese Deutung kann deshalb nicht als gesicherte Motivation gelten; sie stellte wohl eher den Versuch des getreuen Fürstendieners dar, die Abdankung seines Herrn für die Nachwelt schriftlich zu erklären und die offensichtliche Pflichtverletzung nicht nur mit politischem Weitblick zu rechtfertigen, sondern damit sogar in eine pflichtgetreue Handlung umzudeuten.66

65 Gedruckte Bekanntmachung der Abdankung: HStA Nürnberg, Fm. Ansb., Klosterverwaltungsamt Heilsbronn, Akten, Nr. 4. 66 Diese retrospektive Weitsicht, den unaufhaltsamen Verfall des Alten Reiches frühzeitig vorausgesehen und ihn als Epochenbruch wahrgenommen zu haben, formuliert in ähnlicher Weise auch Goethe in seinem autobiographischen Werk „Dichtung und Wahrheit“. Um 1800 entstanden ein neues Epochen- und Generationenbewusstsein sowie eine bis dahin unbekannte Erfahrung von Zeitgeschichte. Der „Begriff der Einzigartigkeit“ des eigenen Lebens und der miterlebten Epoche wurde um die historische Dimension erweitert, was verstärkt zu autobiographischen oder biographischen Reflexionen führte. Vgl. zu Goethes Wahrnehmung Fues, Malte Wolfram, „Individuum und Geschichte. Beobachtungen an Goethes ‚Dichtung und Wahrheit’“, in: Wolfgang Groddeck / Ulrich Stadler (Hrsg.), Physiognomie und Pathognomie. Zur literarischen Darstellung von Individualität. Festschrift für Karl Pestalozzi zum 65. Geburtstag, Berlin / New York 1994, S. 245–264. Burgdorf, Wolfgang, „‚Reichsnationalismus‘ gegen ‚Territorialnationalismus’: Phasen der Intensivierung des nationalen Bewusstseins in Deutschland seit dem Siebenjährigen Krieg“, in: Dieter Langewiesche (Hrsg.), Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, S. 157–190. Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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Zusammenfassung Die Abdankung Friedrich Carl Alexanders von Ansbach-Bayreuth hat exemplarisch gezeigt, dass die Herrschaftsauffassung vom Fürsten als Diener oder Beamter seines Staates nicht die freie Wahl zur Amtsniederlegung implizierte. Die dem Fürsten zugestandene Freiheit beschränkte sich vielmehr auf einen temporären Urlaub von den Staatsgeschäften in einem Jagd- oder Lusthaus ohne die Aufgabe seiner Würde. Das zeitlich begrenzte Spiel mit der Privatsphäre war toleriert, ja sogar positiv ausgedeutet, bewies es doch, dass der Fürst persönlich nicht an der Macht hing, sondern sie nur als übertragene Pflicht gewissenhaft übernommen und das Amt entsprechend fleißig, ohne persönliche Ambitionen erfüllte. Privatheit blieb für den Fürsten ein Ideal, temporär realisiert und im Einzelfall ein Kompliment, mit dem man ihm und seinen umfassenden persönlichen, oft schöngeistigen Fähigkeiten, die denen eines gebildeten Privatmannes entsprachen, seine Wertschätzung ausdrückte und ihn in die Nähe des Ideals hob. Der englische Diplomat Onslow Burrish äußerte sich beispielsweise gegenüber dem Kurfürsten Carl Theodor von der Pfalz lobend: „Monsieur mérite d’être né homme privé.“67 Die tatsächliche Erlangung der Privatsphäre setzte die Abdankung des Fürsten und die vollständige Aufgabe seiner Ämter voraus. Dies implizierte eine vollständige Reduzierung auf die Privatperson und war – wie im Falle Friedrich Carl Alexanders gezeigt – für den Abdankenden selbst mit einem erheblichen Achtungs- und Prestigeverlust verbunden, obwohl der Status des Privatmannes und das Entsagen von Positionen der Macht als kontemplatives Lebensideal in Kunst und Literatur insbesondere der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts propagiert wurden. Dies galt aber wohl in erster Linie für den Höfling, weniger für den Herrscher selbst. Grundsätzlich stand aber das Hoffluchtmotiv – vor allem hinsichtlich des dauerhaften Rückzugs – dem Pflichtgedanken des Staatsdienstes entgegen. Staatsdienst war insbesondere für den Herrscher und für den Beamten, den der Fürst zum Wohle des Staates bestallte, eine moralische Angelegenheit, die Treue und Fleiß voraussetzte. Eigennutz hatte der Entsagung zu weichen. Der Dienst erforderte das Opfer privater Interessen, vor allem vom Fürsten. Die Aufgabe des Amtes, um sich der Bürden und Sorgen, die mit der Regierung verbunden waren, zu entledigen, war nach der Pflichtenlehre und dem Herrschaftsvertrag in der Auslegung Pufendorfs undenkbar. Das fürstliche Privatrecht gestand jedoch dem Fürsten auch im 18. Jahrhundert noch das Eigentum an Land und Leuten und somit das Recht zur Veräußerung zu. Bei den über Jahrhunderte gängigen teilweisen Verpfändungen oder Veräußerungen von Herrschaftsgebieten, über die dann auch Herrschaftsrecht und -pflicht abgelegt und anderweitig übertragen wurden, schien eine Abdankung möglich, auch wenn sie nicht direkt thematisiert wurde. 67 Zit. n. Mörz, Stefan, Aufgeklärter Absolutismus in der Kurpfalz, 1991, S. 53.

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Von der Verlockung, sich selbst zu leben  

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Susan Richter

„Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloss zum Scheine!“ Der Verzicht Kaiser Karls am 11. November 1918

Wilhelm Brauneder 1.

Die „neue“ neben der „alten“ Staatsgewalt

Die Provisorische Nationalversammlung Deutschösterreichs, die sich am 21. Oktober 1918 konstituiert hatte, fasste am 30. Oktober 1918 den „Beschluß über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt“, nämlich die des damit begründeten neuen Staates „Deutschösterreich“1. Den Neubeginn manifestiert nicht nur der Umstand, dass dieser Beschluss bewusst als „Nummer 1“ in das neue Staatsgesetzblatt eingerückt wurde, sondern – neben einer Fülle an weiteren politischen wie juristischen Argumenten – ein Ölgemälde, das der damalige Staatskanzler Karl Renner im Jahre 1948 in seiner Funktion als Bundespräsident in Auftrag gab und das die Aufschrift trägt: „Die Ausrufung der 1. Republik am 30. Oktober 1918 vom Balkon des Landhauses in Wien“.2 Die Staatsgründung vom 30. Oktober schuf zwar einen neuen Staat, beendete aber nicht den existierenden österreichisch / cisleithanischen Staat, auch nicht die österreichisch-ungarische Realunion. Damit gab es nun im Gebiet Deutschösterreichs zweierlei Regierungs- und Vollzugsgewalten nebeneinander, einerseits den Staatsrat und die Staatssekretäre des neuen Staates, andererseits den Kaiser mit den k. k., d. h. österreichischen / cisleithanischen, sowie den k. u. k. Ministern der Realunion. Bereits am 1. November kam es zur Besprechung der neuen Staatssekretäre mit dem k. k. Ministerpräsidenten Lammasch: Dieser erklärte, er sei ermächtigt, die Geschäfte der k. k. Regierung, soweit sie sich auf deutsches Siedlungsgebiet beziehen, an den deutschösterreichischen Staatsrat zu übergeben, worauf nähere Einzelheiten dieser Übergabe eingehend besprochen wurden.3

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Zum Folgenden Brauneder, Wilhelm, Deutschösterreich 1918. Die Republik entsteht, Wien 2000, S. 32ff. Brauneder, Wilhelm, Deutschösterreich 1918, 2000, Abb. 1, nach S. 185. Kleinwächter, Friedrich, Von Schönbrunn bis St. Germain. Die Entstehung der Republik Österreich, Graz / Wien / Köln 1964, S. 88. „Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloss zum Scheine!“  

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Dennoch gab es ab der Staatsgründung am 30. Oktober eine Phase großer Ungewissheit. So ergingen noch nach ihr Urteile „Im Namen seiner Majestät“.4 Hatten in den Worten des Schriftsteller-Juristen Albert Drach5 die politischen Parteien „eine Republik [gegründet], die bis auf Widerruf durch die Siegermächte Deutsch-Österreich hieß und in der sie Hofkanzleien, Adel und Ordenszeichen abschafften“, fuhr „der Kaiser einstweilen fort, im Wege seiner Hofkanzlei Ordens- und Adelsverleihungen wie bisher zu verfügen und anzuordnen“. Der Kaiser residierte6 seit seiner Rückkehr aus Ungarn am 27. Oktober nahezu ausschließlich in Schönbrunn. Hier bot sich am Tag der Gründung Deutschösterreichs nahezu das übliche Bild:7 „Das Flügeladjutantenzimmer war voll Menschen. Minister, Generale, Offiziere, Beamte des Hofstaates. Unverdrossen und treu versahen die Flügeladjutanten ihren Dienst. In ihrem Raume vernahm man doch noch den Pulsschlag des Kaiserstaates. Ihr Telephon war am Ende die einzige Maschine, die noch gehorchte.“ In der Stadt trug die Staatsgründung vorerst kaum zur Entspannung bei. „In den Straßen klirren einige Fensterscheiben. Die Polizei geht an die Arbeit, reitet Attacken und verhaftet. Bald ist wieder Ruhe.“8 „Um circa 9 Uhr wurde von einer Gruppe von Demonstranten der oberhalb des Einganges des Hotel Imperial angebrachte Adler abgenommen, bevor die Wache dies verhindern konnte.“9 So sehr Deutschösterreich rechtlich – ebenso wie die Tschechoslowakei – zum österreichisch / cisleithanischen Staat und zur österreichisch-ungarischen Realunion im Verhältnis der Diskontinuität stand und daher in der Verfassungsfrage autonom war,10 belastete den neuen Staat innenpolitisch – anders als die Tschechoslowakei – die Anwesenheit und das Amtieren der Organe des sogenannten „alten“ Österreich. In Wien waren ja, wie bereits erwähnt, noch immer der Kaiser und seine beiden Regierungen tätig: der k. k. Ministerrat für Österreich / Cisleithanien und der k. u. k. Ministerrat für die österreichisch-ungarische Realunion. Zufolge der Diskontinuität hatten freilich alle verfassungsrechtlichen Schritte dieser Organe für die neuen Staaten Tschechoslowakei wie auch Deutschösterreich ebenso keine verfassungsrelevante Bedeutung wie etwa Maßnahmen Ungarns oder Deutschlands. Politisch musste man sich mit den Repräsentanten der alten Ordnung allerdings auseinandersetzen. Den Zustand der Parallelität von Kaiser samt Hofstaat in Schönbrunn und Staatsrat in Spitzer, Rudolf, Karl Seitz. Waisenknabe – Staatspräsident – Bürgermeister von Wien. Zum 125. Geburtstag (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Bd. 25), Wien 1995, S. 60. 5 Drach, Albert, Protokoll gegen Zwetschkenbaum, München 1964, S. 108. 6 Brauneder, Wilhelm, Deutschösterreich 1918, 2000, S. 121ff. 7 Werkmann, Karl von, Deutschland als Verbündeter, Berlin 1931, S. 326f. 8 Neck, Rudolf, Österreich im Jahre 1918, Wien 1968, S. 93. 9 Ebd., S. 94f. 10 Brauneder, Wilhelm, Deutschösterreich 1918, 2000, S. 126. 4

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Wien, von k. u. k. und k. k. Ministern neben Staatssekretären oft im gleichen Amtsgebäude, kurzum von alter und neuer Staatsgewalt, hielten nicht nur die Vertreter Deutschösterreichs wie etwa Otto Bauer für „unhaltbar“ und nach der Ausrufung der Republik in Berlin am 9. November sogar für „unerträglich“.11 Die damit verbundenen Ungewissheiten und schwebenden Komplikationen drängten naturgemäß zu einer Entscheidung, die in der nun einmal gegebenen Situation in der Beendigung der bisherigen Staatsgewalt bestehen musste.

2. Das Ende der Realunion mit Ungarn Der Konstruktion Österreich-Ungarns wegen sind verfassungsrechtlich zwei Schritte zu betrachten: Das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie als Realunion sowie das Ende des österreichisch / cisleithanischen Staates.12 In der politischen Realität vermengten sich beide Entwicklungen. Sie dennoch auseinanderzuhalten, ist mit in dem Umstand begründet, dass Ungarn auf das Ende der Realunion sehr wesentlich einwirkte, während es auf das Ende des österreichisch / cisleithanischen Staates keinen Einfluss nahm. Ein böser Witz kursierte in ungarischen Kreisen mit der Frage, „wer dem König von Ungarn den Hintern putze, wenn er aufs Häusel gehe: Natürlich der Kaiser von Österreich.“13 Nicht viel drastischer ließ sich wohl die Kritik am gemeinsamen Monarchen popularisieren, und tatsächlich kam noch vor dem Zerfall des österreichisch / cisleithanischen Staates das Ende der Realunion:14 Am 16. Oktober stellte sich der ungarische Ministerpräsident Wekerle im Budapester Abgeordnetenhaus auf den Standpunkt der reinen Personalunion, erhielt dazu die Zustimmung des in Budapest weilenden König-Kaisers Karl und brachte dieses „neue Verhältnis“ am 21. Oktober im österreichisch-ungarischen Ministerrat zur Sprache. „Ungarn kündigt seine Unabhängigkeit an“ titelte tags darauf in Wien die Illustrierte Kronen-Zeitung. Am 30. Oktober hatte sich in Budapest15 das Militär weitestgehend des Doppeladlers als Symbol des gemeinsamen Heeres entledigt. Die „Asternrevolution“, der nach der Astern-Blume der Aufständischen benannte Umsturz in Budapest mit dem Ziel der Aufgabe auch der Personalunion, war im vollen Gang. Immer mehr Militär unterstellte sich der Nationalregierung, immer mehr Beamte der ungarischen Staatsverwaltung. Da in den ersten Stunden des 31. Oktober der König-Kaiser aus Schönbrunn Bauer, Otto, Die österreichische Revolution, Wien 1923, S. 100. Kurz: Brauneder, Wilhelm, Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 112009, S. 187ff. Brehm, Bruno, Aus der Reitschul’! Ein autobiographischer Roman, Graz 1951, 2. Kapitel. Andrassy, Julius, Diplomatie und Weltkrieg, Berlin / Wien 1920, S. 278; Cramon, August von, Unser Österreichisch-Ungarischer Bundesgenosse im Weltkriege, Berlin 1925, S. 186f. 15 Zu diesen Vorgängen: Tóth, István (Hrsg.), Geschichte Ungarns, Budapest 2005, S. 606ff. 11 12 13 14

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die Erteilung eines Schießbefehles gegen die Aufständischen verweigerte, war ihr Erfolg besiegelt, konsequent ernannte Karl mit Michael Graf Karolyi einen Mann zum neuen Ministerpräsidenten, der nicht einmal mehr eine bloße Personalunion befürwortete: Damit hatte sich der gemeinsame Monarch für die volle Selbständigkeit Ungarns entschieden. „Ungarn hat seine völlige Unabhängigkeit proklamiert, das Band mit Österreich ist zerschnitten“, das war in Wien bereits am 30. Oktober klar,16 und zwar auch der Provisorischen Nationalversammlung: Die Ungarn hätten beschlossen, „sich von uns zu trennen, sie beschließen die Personalunion“. Das nahm man nicht nur gelassen hin, denn: „Lebhafter Beifall und Heiterkeit“ begleitete die Schlussfolgerung eines Abgeordneten: „…was die Personalunion betrifft, so reißen wir uns weder um die Union noch um das Personal.“ Noch ein weiterer Umstand trug zu der Auflösung der – monarchisch fundierten – Realunion bei: die Forderung nach der republikanischen Regierungsform. Am 1. November erklärte die Regierung Karolyi die Regierungsform zur offenen Frage und drängte König-Kaiser Karl zum Thronverzicht. Dieser Forderung kam Karl zwar – noch – nicht nach, er entband die ungarische Regierung aber des ihm geleisteten Eides. Für Otto Bauer war Ungarn damit „tatsächlich schon Republik“.17 Am 16. November wird Ungarn dann ausdrücklich seine Unabhängigkeit sowie die republikanische Regierungsform proklamieren.

3. Der Zerfall der Staatsgewalt Österreich / Cisleithaniens Die Staatsgründung am 30. Oktober vollzog sich bereits mitten im rapiden Auflösungsprozess der Staatsgewalt des „alten“ Österreich. Schon am 24. Oktober hatte die Reichspost geschrieben, das „Räderwerk der österreichischen Zentralregierung greift nicht mehr, Anordnungen werden nicht mehr befolgt.“18 Minister Redlich hatte nach seinem Gespräch mit Kaiser Karl aus Anlass seiner Angelobung am 28. Oktober das Gefühl, mit der Monarchie liege „eine politische Betriebsform vor, die nicht mehr recht geht!“19 Hinzu kamen die Neugründung von Staaten wie die tschechoslowakische Republik oder Staatsfragmenten wie etwa im ehemals österreichischen Teil von Polen, die sodann in umfassenderen Staaten aufgingen, ferner das Ende der österreichisch-ungarischen Realunion und, im Zusammenhang damit, der Zusam16 Neck, Rudolf, Österreich im Jahre 1918, 1968, S. 94; StenProtProv NV 30. 10. 1918, S. 25. 17 Bauer, Otto, Die österreichische Revolution, 1923, S. 88. 18 Funder, Friedrich, Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in die Republik, Wien / München ²1953, S. 587. 19 Fellner, Fritz, Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs 1908–1919 II (1915–1919) (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs, Bd. 40), Graz / Köln 1954, S. 310.

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menbruch der Fronten. Im Park von Schloss Sanssouci äußerte am 29. Oktober der deutsche Militärattaché zu Wien, General von Cramon, gegenüber Kaiser Wilhelm, es sei „die Donaumonarchie so gut wie erledigt.“20 Am 30. Oktober21 befand sich die Armee in Oberitalien auf dem Rückzug, er war am Vorabend befohlen worden. Wie Österreich / Cisleithanien, das bisherige Großungarn und die Realunion beider Staaten so löste sich auch die gemeinsame Armee auf, viele Soldaten und auch Offiziere orientierten sich neu, fühlten sich nun den neuen Nationalstaaten zugehörig.22 Anfang November schätzte man am kaiserlichen Hof in Schönbrunn die Situation23 wie folgt ein: „Der Kaiser hatte keine [mit Ungarn] gemeinsame Regierung mehr. Die österreichische Regierung des Dr. Lammasch konnte für Österreich nichts mehr entscheiden, nichts mehr verantworten, nichts mehr verwalten.“ Zudem war aus Budapest sogar von Erzherzog Joseph, der dort als Spezialstellvertreter („homo regius“) des König-Kaisers fungierte, das Verlangen nach Karls Abdankung gekommen, das nun auch cisleithanischerseits an den Kaiser herangetragen wurde: Karl lehnte beides ab. Auch der Ministerrat besprach mehrfach die eigene Demissionierung,24 erstmals am 31. Oktober, also einen Tag nach der deutschösterreichischen Staatsgründung: Die Wirkungsmöglichkeiten der Minister hätten sich praktisch auf allgemeine Abwicklungen bzw., in Wien, auf die Überleitung der Geschäfte auf die neuen Instanzen reduziert, was der Eisenbahnminister einprägsam damit charakterisierte, er könne über keine einzige Lokomotive mehr verfügen; gleichwohl wies der Kaiser noch am 8. November eine Demission der Regierung mit der Begründung zurück, dann müsse auch er abdanken. Der 9. November 1918 brachte den Anstoß zum entscheidenden Umschwung, er kam aus dem – verbündeten – Deutschen Reich: Kurz nachdem Reichskanzler Max von Baden am Morgen des 9. November die Abdankung Kaiser Wilhelms II. bekanntgegeben hatte, wurde in Berlin die Republik ausgerufen, einen Tag später am 10. November ging Wilhelm nach den Niederlanden ins Exil.25 Diese Ereignisse und 20 Cramon, August von, Österreichisch-Ungarischer Bundesgenosse, 1925, S. 193. 21 Windischgraetz, Ludwig, Vom roten zum schwarzen Prinzen, Berlin / Wien1920, S. 307. 22 Glaise-Horstenau, Edmund von, Die Katastrophe. Die Zertrümmerung Österreich-Ungarns und das Werden der Nachfolgestaaten, Zürich / Leipzig / Wien 1929, S. 424ff. 23 Brook-Shepherd, Gordon, Um Krone und Reich. Die Tragödie des letzten Habsburgerkaisers, Wien / München / Zürich 1968, S. 241f. 24 Glaise-Horstenau, Edmund von, Die Katastrophe, 1929, S. 437ff; Brook-Shepherd, Gordon, Um Krone und Reich, 1968, S. 250; Redlich, Josef, „Heinrich Lammasch als Ministerpräsident“, in: Marga Lammasch / Hans Sperl (Hrsg.), Heinrich Lammasch, Wien / Leipzig 1922, S. 154–186, hier: S. 177f. 25 Groener-Geyer, Dorothea, General Groener, Frankfurt 1955, S. 102ff; Willoweit, Dietmar, Deutsche Verfassungsgeschichte, München1997, S. 285; Gusy, Christoph, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 14f. „Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloss zum Scheine!“  

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das damit verbundene Dahinschwinden der Anhänger einer monarchischen Regierungsform in den deutschösterreichischen Gremien bewogen Kaiser Karl dazu, seine Haltung zu ändern. Als dieser 9. November zu Ende ging, schien ihm erstmals das Ende seiner, wohl sogar das der monarchischen Herrschaft überhaupt als Realität bewusst geworden zu sein. Hatte seine bisher gelassene, ja nahezu nonchalant-sorglos scheinende Haltung Redlich am 8. November den Eindruck gegeben, „daß ihm alle diese Dinge nicht ans Innerste greifen“, schlug die so interpretierte Haltung nun um:26 „Sein Antlitz verfärbte sich, ein Zittern lief über seinen Körper“, und als man ihn tags darauf zum letzten Mal in einer beschränkten Öffentlichkeit sah, am 10. November, einem Sonntag, in der Kapelle des Schlosses Schönbrunn, war er „bleich, ergraut, sichtlich ergriffen“. Dazu trug auch die Tatsache bei, dass die Doppelfunktion KaiserKönig und das Regieren mit zwei Parlamenten sowie mit zwei Ministerpräsidenten und ihren Kabinetten, die sich noch dazu beide in diesen Tagen in Umbildung befunden hatten, einer derartigen Krisensituation gar nicht gewachsen sein konnte.27 Trotzdem wollte Kaiser Karl, anders als Wilhelm II., vorerst „weder abdanken noch aus dem Lande fliehen“, sich nur „von Regierungsgeschäften“ zurückziehen, um so auf „keines seiner Rechte“ zu verzichten.28 Den Inhalt seines Handelns bestimmte der Kaiser gleichwohl nicht mehr.

4. Die Erklärungen Kaiser Karls vom 11. und 13. November 1918 „Die Luft war lau, es war ein lauer Nachmittag, ebenso hätte es jetzt in Paris sein können, oder irgendwo in England“: Am Nachmittag des 11. November geht LernetHolenias autobiographischer Fähnrich Menis nach Hause: „Ich ging durch die Passage, die den Platz vor der Burg mit dem Josefsplatz verbindet. Gleich dahinter gibt es links eine große Mauer … An dieser Mauer klebte ein Plakat. Es war weiß, etwa zwei Spannen breit und dreie hoch, nicht größer, und hatte den kaiserlichen Adler obenauf. Ein paar Leute standen davor und lasen das Plakat, dann gingen sie weiter, und andre kamen, blieben stehen und lasen es. Ich blieb gleichfalls stehen und las es. Es war eine Proklamation des Kaisers. Die letzte. Den Wortlaut habe ich vergessen. Er bezog sich auch meist nur mehr auf Formalitäten. Der Kaiser übergab der nationalen Regierung die Macht, die sie ohnedies längst ergriffen hatte, dann folgte noch eine Stelle, in der es ungefähr hieß: er wolle kein Blutvergießen, und schließlich stand da: 26 Fellner, Fritz, Tagebuch Josef Redlichs 1908–1919 II, 1954, S. 315; Glaise-Horstenau, Edmund von, Die Katastrophe, 1929, S. 441ff. 27 Werkmann, Karl von, Deutschland als Verbündeter, 1931, S. 291ff; Redlich, Josef, „Heinrich Lammasch als Ministerpräsident“, 1922, S. 177f; Groener-Geyer, Dorothea, General Groener, 1955, S. 165. 28 Brook-Shepherd, Gordon, Um Krone und Reich, 1968, S. 251.

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Ich entbinde Meine Truppen ihres Treueides. Und dann kam noch irgendein Satz, und dann die Unterschrift des Kaisers und die Gegenzeichnung eines Ministers, und dann kam nichts mehr, bloß ganz unten stand: Hof- und Staatsdruckerei. Ich starrte noch eine Zeitlang auf die Worte: Hof- und Staatsdruckerei, dann richtete ich mich wieder auf und ging weiter.“29 So belanglos freilich war diese Erklärung nicht. Nach dem Ende der österreichischungarischen Realunion kam es nun auf den österreichisch / cisleithanischen Staat an, auf die Entscheidungen seiner Organe. Im Laufe des 11. November gelang es Ministerpräsident Lammasch, im Einvernehmen mit Repräsentanten Deutschösterreichs von Kaiser Karl eine Erklärung zu erreichen. Am frühen Nachmittag unterschrieb er sie, und zwar mit Bleistift, was den Geschmack des Provisorischen, eines Vorbehalts vermittelt, aber zu Unrecht, denn es war „bei ihm gewöhnlich mit Bleistift“ zu unterschreiben.30 Die wesentlichen Aussagen der Erklärung31 sind die, dass der Kaiser „auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften“ verzichtet, „im voraus“ die Entscheidung anerkennt, „die Deutschösterreich über seine künftige Staatsform trifft“, und vor allem, dass er seine „österreichische Regierung ihres Amtes“ enthebt – und zwar dergestalt, dass er sie entgegen den sonstigen Gepflogenheiten weder als geschäftsführend bestätigt, noch eine neue Regierung einsetzt! Ohne „Regierung“ konnte der Monarch mangels ministerieller Gegenzeichnung so gut wie keine Entschließungen mehr treffen, also nicht mehr regieren. Dies wiederum war die Folgerung daraus, dass er ausdrücklich auf „jeden Anteil an den Staatsgeschäften“ verzichtet hatte. Der Kaiser setzte seinen Verzicht sogleich in die Tat um: mit der Beendigung der Regierungstätigkeit durch die Entlassung der Minister und dem sichtbaren Rückzug in das Privatleben. In Kenntnis der Ankündigung des Monarchen, er „enthebe“ die „Regierung ihres Amtes“, trat sogleich am frühen Nachmittag des 11. November der letzte österreichisch / cisleithanische Ministerrat zusammen32 und beschloss um 13 Uhr 15, er werde dem Kaiser die Bitte um Enthebung vorlegen – was um 14 Uhr geschah. Der Kaiser nahm die Demissionierungen an, verlieh diverse Orden und Titel und – bestellte keine neue Regierung! Ein sichtbares Zeichen setzte der Ex-Monarch nach der Entlassung seiner Regierung auch für seine Person. Lernet-Holenia lässt seinen Fähnrich Menis gerade noch rechtzeitig in das Schloß Schönbrunn kommen, um dort Folgendes mitzuverfolgen: „Durch eine Reihe wundervoll dekorierter Räume, die ineinandergingen und deren 29 Lernet-Holenia, Alexander, Die Standarte, Wien 1996, Kapitel XII. 30 Lorenz, Reinhold, Kaiser Karl und der Untergang der Donaumonarchie, Graz / Wien / Köln 1959, S. 554. 31 Wiener Zeitung vom 11. 11. 1918. 32 Fellner, Fritz, Tagebuch Josef Redlichs 1908–1919 II, 1954, S. 316ff; Brook-Shepherd, Gordon, Um Krone und Reich, 1968, S. 257. „Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloss zum Scheine!“  

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Türen alle offenstanden, zog sich ein langes, doppeltes Spalier von Hofbeamten, Garden, Offizieren, Bedienten. Die riesigen gläsernen Lüster brannten alle blendend hell, in den Parketten spiegelte sich die Pracht der Räume, aber die beiden Reihen von Menschen standen lautlos und unbeweglich … Einen Moment stand ich still, dann trat ich an eines der Spaliere heran. Die Leute wendeten sich nicht nach mir herum, sie blickten vor sich hin oder die Säle hinauf, ihre Gesichter hatten einen sonderbaren Ausdruck, niemand sprach mehr. Ein beklemmendes Gefühl bemächtigte sich meiner … Ich verwunderte mich sehr, neben mir stand ein Bedienter in großer Livree, er war schon alt, … er sah bedrückt vor sich hin. Ich beugte mich zu ihm. „Was geht hier vor?“ fragte ich leise. Auch er antwortete nicht sogleich. „Die Majestäten“, murmelte er schließlich, ohne den Kopf zu heben, „verlassen uns“. Ich hatte den Sinn dieser Worte noch nicht ganz erfaßt, als auch schon eine Bewegung durch die wartenden Reihen ging. Gleichzeitig hörte man, von rechts, Schritte, und der Kaiser und die Kaiserin, gefolgt von einigen Herren, kamen zwischen den Spalieren entlang. Die Spaliere verbeugten sich. Die Kaiserin schritt aufrecht, der Kaiser aber, der schon Zivil trug, hatte den Hut in die Stirn gezogen, er sah kaum jemanden an, nur hin und wieder dankte er und nickte flüchtig. Die Gruppe ging rasch an mir vorbei und trat in die beiden großen Säle links. Die Spaliere richteten sich wieder auf, blieben aber noch kurze Zeit stehen. Von unten her hörte man nun Wagen, offenbar dieselben, die ich warten gesehen hatte, davonfahren. Dann lösten die Spaliere sich auf, und alles verließ die Säle.“33 In Zivil als Privatmann, nicht als Monarch in Uniform, verließ Ex-Kaiser Karl seine letzte Residenz. Allerdings fuhr er nicht nachmittags „in einer Wagenkolonne über die Mariahilferstraße und den Ring durch das revolutionäre Wien“ um zu demonstrieren: „Mut hat dem Kaiser nicht gefehlt!“,34 sondern zu einer anderen Zeit und auf anderen Wegen. Erst in den Abendstunden des 11. November rollte eine Wagenkolonne aus Sicherheitsgründen durch ein Nebentor des Schönbrunner Schlossparks und dann weiter durch unbelebte Straßen. Der Ex-Kaiser zog sich als Privatmann auf seinen Privatbesitz Schloss Eckartsau rund 30 Kilometer östlich von Wien am jenseitigen, nördlichen Donauufer zurück.35 So ganz und eindeutig Privatmann war Karl von Habsburg allerdings nicht: War er noch König von Ungarn? War Ungarn schon Republik? Ein eindeutiger Akt, der diese Frage hätte klar beantworten können, lag bislang nicht vor – weder eine Thronenthebung oder eine förmliche Ausrufung der Republik noch eine Abdankung. Am 33 Lernet-Holenia, Alexander, Die Standarte, 1996, Schluss. 34 Flotow, Ludwig Freiherr von, November 1918 auf dem Ballhausplatz. Erinnerungen Ludwig Freiherrn von Flotows, des letzten Chefs des österreich-ungarischen auswärtigen Dienstes 1895–1920, hrsg. von Erwin Matsch, Wien 1982, S. 333. 35 Brook-Shepherd, Gordon, Um Krone und Reich, 1968, S. 259.

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13. November begab sich eine Delegation der ersten Kammer des ungarischen Reichstags, des Magnatenhauses, unter der Leitung seines Präsidenten nach Eckartsau. ExKaiserin Zita dramatisch:36 Es „begann ein erbitterter Kampf der Meinungen und des Willens, der den ganzen Tag dauerte“, obgleich ihr wohl authentischeres Tagebuch lediglich drei je ein- bzw. etwas über einstündige Besprechungen vermerkt. Schließlich gab Karl als König von Ungarn der Delegation gegenüber wie am 11. November für Deutschösterreich nun hinsichtlich Ungarns eine im entscheidenden Punkte gleichlautende Erklärung in ungarischer Sprache ab: „Infolgedessen verzichte ich auf alle Teilnahme an den Staatsgeschäften und erkenne schon im voraus jene Entscheidung an, mit welcher Ungarn seine zukünftige Staatsform feststellen wird.“37

5. Die anteilige Beendigung der Staatsgewalt 5.1. Die Erklärung des Kaisers vom 11. November 1918

Anders als seine monarchischen „Vettern“ in den deutschen Monarchien38 hatte Kaiser Karl nicht bloß auf die „Regierung“, die „Regierungsgeschäfte“, also auf die aktive Teilnahme an einer Staatsfunktion, auch nicht auf den „Thron“, also auf das Monarchenamt, sondern auf wesentlich mehr verzichtet: auf seinen „Anteil an den Staatsgeschäften“. Die Wendung „Anteil an den Staatsgeschäften“ ist in mehrfacher Hinsicht besonders treffend: „Staatsgeschäfte“ bezeichnet die gelebte Staatsgewalt, die Staatsgewalt in ihrer Umsetzung. Damit erstreckte sich der Verzicht des Monarchen nicht nur auf den Thron im Sinne eines Endes der monarchischen Regierungsform in einem fortbestehenden Staat: Es war dies der Verzicht auf die Staatsgewalt soweit sie dem Monarchen zustand, und zwar mit absoluter Wirkung über den derzeitigen Throninhaber hinaus, also auch für seine Nachkommen. Dies eben war ja beabsichtigt: Beendigung der altösterreichischen Staatsgewalt. Im Sinne der Staatselementelehre ging es angesichts des zerfallenden Staatsgebietes des altösterreichischen Staates samt des mit ihm hinschwindenden Staatsvolkes um das Schicksal der altösterreichischen Staatsgewalt, und zwar soweit sie noch existierte oder als existierend betrachtet werden konnte. Während die Fragen des Staatsgebietes und des Staatsvolkes zwischen den neuen Staaten und mit den Siegermächten abzuklären sein würden, war zur Beendigung der altösterreichischen Staatsgewalt, d. h. zur konkreten Einstellung ihrer „Staatsgeschäfte“, diese zum Handeln aufgerufen. Die altösterreichische Staatsgewalt 36 Ebd., S. 263. 37 Broucek, Peter, Karl I. (IV.). Der politische Weg des letzten Herrschers der Donaumonarchie, Wien / Köln / Weimar 1997, S. 212; Brook-Shepherd, Gordon, Um Krone und Reich, 1968, S. 263. 38 Vgl. Brauneder, Wilhelm, Deutschösterreich 1918. Die Republik entsteht, 2000, S. 160ff. „Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloss zum Scheine!“  

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bzw. ihre Ausübung als „Staatsgeschäfte“ stand nicht bloß einem Organ zu, und daher war es notwendig vom „Anteil“ zu sprechen. Der österreichisch / cisleithanische Staat war gemäß der Verfassung von 1867 eine konstitutionelle Monarchie, in der Monarch und Volk gemeinsam Träger der Souveränität sind, beide also einen „Anteil“ daran haben. Auf den monarchischen Anteil der Staatsgewalt hatte, im Sinne des Konstitutionalismus, Kaiser Karl expressis verbis verzichtet. Dieser Verzicht wurde noch durch eine weitere Erklärung unterstrichen: Der Kaiser anerkenne „im voraus“ die Entscheidung, „die Deutschösterreich über seine künftige Staatsform trifft“. Für den neuen Staat konnte der Kaiser freilich nicht sprechen, in ihm hatte er keinerlei Funktion, einen Monarchen sah der Staatsgründungsbeschluss nicht vor. Juristisch formuliert: Der Kaiser war nicht Organ dieses neuen Staates, er konnte für diesen nicht rechtsverbindlich handeln, da ganz grundsätzlich für diesen „ein Monarch als Rechtsfaktum nicht bestand.“39 Auch wenn sich Deutschösterreich für eine monarchische Regierungsform entschieden hätte, wäre Kaiser Karl nicht automatisch deren Monarch geworden. Aber darum ging es hier nicht: Politisch bedeutete diese Anerkennung „im voraus“ tatsächlich nichts weniger als die Anerkennung der republikanischen Regierungsform in Deutschösterreich durch den Kaiser, was eben den Gehalt, er verzichtete auf die Fortführung des monarchischen Regierungssystems, deutlich verstärkt. „Im voraus“ bedeutet allerdings nicht, der Kaiser habe nicht wissen können, was geschehen werde. Diese Formel erweckt für sich allein betrachtet den Anschein, als stünden mehrere Gestaltungsmöglichkeiten offen, als beziehe sie sich auf ein erst in der Zukunft liegendes und vor allem noch ungewisses Ereignis, das dem Kaiser die Hoffnung auf eine monarchische Einrichtung erlaube. Dem aber war nicht so. Kaiser Karl hat nachweislich erst am Nachmittag seine Erklärung unterschrieben, zu diesem Zeitpunkt also vom bevorstehenden Beschluss der Nationalversammlung bzw. vom schon gefassten Staatsratsbeschluss gewusst und damit von der bereits feststehenden Entscheidung über die „Staatsform“, richtiger: die Regierungsform, zugunsten der „demokratischen Republik“. An der bevorstehenden Entscheidung der Nationalversammlung gab es keinen Zweifel, die Mehrheitsverhältnisse waren mit jenen im Staatsrat als ihrem Ausschuss identisch. Damit hatte Karl anerkannt, dass im Gebiete des Staates Deutschösterreich die Möglichkeit einer monarchischen Regierungsform ausscheide. Einen eindeutigen Schlussstrich unter das monarchische Element zog der Kaiser aber mit dem, was er, wie erwähnt, nicht tat: Er setzte – entgegen sonstigen Gepflogenheiten bei der Entlassung eines Ministerrats – weder den bisherigen als geschäftsführenden Ministerrat ein, noch bestellte er überhaupt eine neue Regierungsmannschaft. Nicht nur fehlte es damit an der höchsten Exekutive, der Kaiser hatte auch 39 Kelsen, Hans, Verfassungsgesetze der Republik Deutsch-Österreich III, Wien / Leipzig 1920, S. 117.

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seine Regierungstätigkeit eingestellt: Da die meisten seiner Regierungsakte gegenzeichnungspflichtig waren, hatte er sich sozusagen selbst amputiert. Fasst man alle diese Elemente seiner Erklärung vom 11. November zusammen, so ergibt sich eindeutig das Bild einer Beendigung, nämlich des monarchischen Anteils an der bisher geltenden Verfassung von 1867. 5.2. Die Erklärung des Abgeordnetenhauses

Nach dem Verzicht auf den monarchischen „Anteil“ am Staat blieb im Sinne der Verfassung von 1867 mit ihrer Fundierung auf dem monarchischen Prinzip und dem der Volkssouveränität dieser zweite „Anteil“ am Staate übrig, repräsentiert im Abgeordnetenhaus. So wie der Kaiser auf den monarchischen „Anteil“ verzichtet hatte, tat dies nun das Abgeordnetenhaus bezüglich des von ihm repräsentierten Anteils, und zwar gleichfalls nicht ausdrücklich, aber im vollen Bewusstsein des Geschehens. Zuletzt hatte sich das Abgeordnetenhaus am 30. Oktober vormittags, vor der Staatsgründung also, versammelt gehabt: Damals war die Sitzung mit „Rücksicht auf die obwaltenden Verhältnisse“ nach nur zwei Minuten Dauer auf den 12. November vertagt worden. An dieser letzten Sitzung40 nahmen nicht nur die Abgeordneten der deutschen Wahlkreise, sondern auch Polen, Ukrainer, Südslawen und Rumänen, von diesen sogar Vizepräsident Simionovici, teil.41 Allein Präsident Groß ergriff das Wort: Aufgrund der voraufgegangenen Ereignisse, so führte er aus, habe das Haus „mit der Tatsache zu rechnen, daß Österreich zerfallen ist“. Deshalb habe das Abgeordnetenhaus „heute wohl keine Aufgaben mehr zu erfüllen“. Das „Richtigste wäre vielleicht, uns selbst aufzulösen. Dafür gibt uns die österreichische Verfassung, die ja für uns noch Gültigkeit hat, keine Handhabe“; eine Auflösung könne nur der Kaiser verfügen, er aber habe tags zuvor abgedankt. Und so wurde denn vom Abgeordnetenhaus beschlossen, „die heutige Sitzung aufzuheben und keinen Tag für die nächste Sitzung zu bestimmen“. Damit verzichtete auch die Volksvertretung auf ihren Anteil an den Staatsgeschäften, und zwar nicht nur die deutschen Abgeordneten – sie waren bereits Mitglieder der Provisorischen Nationalversammlung – sondern ebenso die Vertreter anderer Nationalitäten. Für Redlich war dies die „Sterbestunde des Abgeordnetenhauses.“42 5.3. Das Ende des österreichisch-cisleithanischen Staates

Die Schritte des Kaisers vom 11. November und des Abgeordnetenhauses vom 12. November, in der Erklärung des Ersteren mit ihrem Bezug auf die Anteile an der Staatsgewalt miteinander verbunden, waren essentiell für die Beendigung der altöster40 StenProtAH 12. 11. 1918, S. 4701. 41 Funder, Friedrich, Vom Gestern ins Heute, 1953, S. 593. 42 Fellner, Fritz, Tagebuch Josef Redlichs 1908–1919 II, 1954, S. 318. „Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloss zum Scheine!“  

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reichischen Staatsgewalt – sie war mit diesen beiden zusammengehörenden Rechtsakten in zwei sich ergänzenden Schritten zum Erlöschen gebracht, und zwar bewusst. Das „Ende des alten Staates war nun auch formell zum Ausdrucke gelangt“, meinte Ernährungs-Staatssekretär Loewenfeld-Russ schon zum 11. November.43 „Es war das Ende“, so lässt dies alles Joseph Roth den Bezirkshauptmannsohn Franz Ferdinand Trotta empfinden:44 „Durch die Mariahilfer Straße ging ich. Ein körniger Regen, mißratener Schnee und kümmerlicher Bruder des Hagels, fiel in schrägen Strichen vom mißgünstigen Himmel. Meine Kappe war nackt, man hatte ihr die [kaiserliche] Rosette abgerissen. Mein Kragen war nackt, man hatte ihm die [Leutnants-] Sterne abgerissen. … Ich rebellierte nicht. Es war nur jämmerlich. Es war das Ende“.

6. „Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloß zum Scheine!“ Diese seine ironische Behauptung ergänzt Lernet-Holenia eher ernst:45 „Es macht aber doch diesen Eindruck.“ Freilich bezieht er sich auf Otto von Habsburg und nicht auf dessen Vater, den Kaiser und König Karl. Aber jene Behauptungen passen gerade so gut, eigentlich sogar treffend gut, auch auf Karl. Dass man eine juristisch besonders tragfähige Entscheidung mit der Neugründung des Staates Deutschösterreich wie mit der Beendigung der bisherigen Staatlichkeit getroffen hatte, zeigt sich auch in den Auswirkungen des weiteren Verhaltens des ehemaligen Monarchen. Erst gute vier Monate nach seiner Abdankung begab sich Ex-Kaiser Karl,46 nicht ohne Druck, in das Schweizer Exil, wie erinnerlich war der am 9. November zurückgetretene Deutsche Kaiser Wilhelm II. gleich am 10. November ins Exil nach Holland gegangen. Auf dem Weg in die Schweiz widerrief der Ex-Monarch am 24. März 1919 seinen Thronverzicht vom 11. November in der sogenannten Feldkircher Erklärung. Diese wurde, so entschied man in der Umgebung des Ex-Kaisers auch im Hinblick auf dessen – nicht widerrufene – Erklärung vom 13. November 1918 für Ungarn, zwar nicht veröffentlicht, aber dem Papst und einigen Staatsoberhäuptern wie etwa dem spanischen König übermittelt. Karls Begründung für den Widerruf ist fadenscheinig und sowohl unrichtig wie auch unaufrichtig: Deutschösterreich habe entgegen seiner Erklärung vom 11. November die republikanische Regierungsform festgelegt, ohne das Volk zu befragen, Beschlüsse Deutschösterreichs seit dem 11. November seien daher „für Mich und 43 Loewenfeld-Russ, Johann, Kampf gegen den Hunger, Wien 1986, S. 142. 44 Roth, Joseph, Die Kapuzinergruft, Köln 1972, Kapitel XXIII. 45 Lernet-Holenia, Alexander, Geheimnisse des Hauses Österreich, Zürich 1971, Kapitel „Otto oder das Gottesgnadentum“. 46 Brauneder, Wilhelm, Deutschösterreich 1918, 2000, S. 146ff.

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Mein Haus null und nichtig“. Zum Zeitpunkt seines Thronverzichts waren dem damaligen Kaiser aber nicht nur, wie erwähnt, der Staatsratsbeschluss und damit die bevorstehende Entscheidung der Nationalversammlung für die republikanische Regierungsform bekannt. In seiner Erklärung war auch nirgendwo die Rede von einem Appell an das Staatsvolk, eine bestimmte Regierungsform zu wählen, in klarer Weise aber davon, dass er „die Entscheidung anerkennen werde“, „die Deutschösterreich“ trifft. Überdies hatte der Ex-Kaiser, wie erwähnt, zwei Tage später eine gleichlautende Erklärung hinsichtlich Ungarns abgegeben, daher musste er infolge der Ausrufung der Republik in Wien vom Vortag wissen, welche Wirkungen einer derartigen Erklärung zugemessen werden konnten. Der Staat allerdings, auf den sich seine Erklärung vom 11. November und ihr Widerruf bezogen, Österreich / Cisleithanien, existierte am 24. März 1919 nicht mehr. Selbst wenn der Widerruf des Ex-Kaisers rechtswirksam gewesen wäre, hätte sich dieser ebenso wie die widerrufene Erklärung nur auf seinen „Anteil an den Staatsgeschäften“ beziehen können – zur Wiederherstellung des untergegangenen Staates wäre darüber hinaus eine entsprechende Erklärung des Abgeordnetenhauses bezüglich des anderen „Anteils“ notwendig gewesen. Mangels einer derartigen Erklärung – und wohl noch anderer juristischer Schritte – blieb demnach der Staat, in dem der Ex-Kaiser seinen Thron wieder hätte erlangen wollen, erloschen: Sein Widerruf stieß ins Nichts. Die Situation des österreichisch / cisleithanischen Staates verdeutlicht ein Vergleich mit Ungarn.47 In Ungarn löste nicht ein Staat oder wie in Österreich / Cisleithanien sogar mehrere einen anderen ab, sondern im fortbestehenden Staat eine Verfassungsordnung die vorausgegangene: Die ungarische Republik stand zum monarchischen Ungarn nicht im Verhältnis der Diskontinuität, sondern der Kontinuität: Es gab eine ungebrochene Identität der Staatlichkeit. Der Staat, in dem eine frühere Regierungsform allenfalls wiederhergestellt werden konnte, war erhalten geblieben. Und tatsächlich kehrte Ungarn nach und wegen 133 Tagen Räterepublik nicht nur dieser, sondern der republikanischen Regierungsform überhaupt den Rücken: Am 16. Februar 1920 entschied Ungarns Konstituierende Nationalversammlung sich dafür, die monarchische Regierungsform wiederherzustellen, erklärte jedoch gleichzeitig die Realunion mit Österreich von 1867 wie auch die Regierungsrechte der Habsburger-Dynastie für erloschen und die königliche Gewalt seit dem Verzicht König Karls für „ruhend“. Die Wiederherstellung der monarchischen Regierungsform und das Fortbestehen des Staates eröffneten Karl die Möglichkeit, als König nach Ungarn zurückzukehren. So kam es 1921 zu zwei Restaurationsversuchen, besser: Thronbesteigungsversuchen, denn die Monarchie war ja bereits restauriert. Sie scheiterten und endeten mit der Internierung des Ex-Kaiser-Königs durch die Alliierten.

47 Brauneder, Wilhelm, Deutschösterreich 1918, 2000, S. 140ff. „Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloss zum Scheine!“  

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Die ungarische Entwicklung zeigt sehr deutlich den Unterschied zu jener auf dem Boden Österreich / Cisleithaniens auf. In (Deutsch-)Österreich unternahm der ExKaiser – trotz des Widerrufs seines Thronverzichts – keine derartigen Versuche: Der Staat, in dem er hier die Monarchie hätte restaurieren oder, einfacher, einen vakanten Thron hätte wiederbesteigen können, existierte nicht mehr, im neuen Staatswesen bot die demokratisch-republikanische Regierungsform von Anfang an keine verfassungsrechtliche Möglichkeit für einen Thronbesteigungsversuch. Obwohl seine Erklärungen rechtlich wie politisch eindeutig waren und er ihrem Wortlaut entsprechend handelte, erhielt der Verzicht Kaiser Karls rückblickend eine oft andere Deutung. So wurde von einem Verzicht „auf jeden Anteil an den Regierungsgeschäften“,48 „auf die Teilnahme an den Regierungsgeschäften“ gesprochen,49 von einem solchen lediglich „auf die weitere Führung der Regierungsgeschäfte“, womit „keine Abdankung“ vorliege,50 oder von einem Verzicht auf die „Anteilnahme an den Staatsgeschäften“, die „keine Abdankung, aber einen persönlichen Verzicht“ darauf darstelle.51 Ebenso wurde der ungarische Thronverzicht vom 13. November als ein solcher auf den „Anteil an den Regierungsgeschäften“ fehlinterpretiert.52 Das falsche Verständnis in diesen Fällen beruht schlicht auf Fehlzitaten aus der Verzichtserklärung: „Regierungsgeschäfte“ statt richtig „Staatsgeschäfte“, „Anteilnahme“ statt richtig „Anteil“! Zu kurz greift die dürre rechtspositivistische Ansicht Kelsens, dass Kaiser Karl nicht habe abdanken können, da dies die Verfassung von 1867 nicht vorsehe.53 Verglichen mit historischen und zeitgenössischen Beispielen ergibt sich, dass die Erklärung Kaiser Karls – in paradoxer und ungewollter Weise – jener seines Ahnen Kaiser Franz II. von 1806 am nächsten kommt: Wie dieser mit seiner Erklärung das gesamte Römisch-deutsche Reich zum Erlöschen brachte, beendete Kaiser Karl den monarchischen Anteil am österreichisch / cisleithanischen Staate.

48 Mayer, Franz / Kraitschek, Gustav, Lehrbuch der Geschichte III, Wien 81925, S. 123; Hoensch, Jörg, Geschichte Ungarns 1867–1983, Stuttgart 1984, S.  85; Broucek, Peter, Karl I. (IV.), 1997, S. 215. 49 Jedlicka, Ludwig, Ende und Anfang. Österreich 1918 / 19, Salzburg 1969, S.  59; Hanisch, Ernst, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, S. 267. 50 Jedlicka, Ludwig, Heer im Schatten der Parteien, Graz / Köln 1955, S. 8. 51 Funder, Friedrich, Vom Gestern ins Heute, 1953, S. 592. 52 Hoensch, Jörg, Geschichte Ungarns 1867–1983, 1984, S. 212. 53 Kelsen, Hans, Österreichisches Staatsrecht, Tübingen ²1923, S. 78 f; Kelsen, Hans, Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich I, 1919, S.  9: Das anteilige Erlöschen der bisherigen Staatsgewalt kommt ihm aus Nichtbeachtung oder Unkenntnis der historischen Begleitumstände wie der Erklärung des Abgeordnetenhauses gar nicht in den Sinn.

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7. Das politische Junktim von Monarchieende und Republikausrufung An einem regnerischen Tag im Juni 1917 kehrte Arthur Schnitzler im „Grünen Baum“ nächst Badgastein ein. Die Wirtin war bereits Kriegerwitwe, auch ein Sohn gefallen, man besprach „Lebensmittel- und Revolutionsfragen“, dabei meinte die Wirtin: „Mir ist’s ganz egal, wer mich beherrscht.“ Diese Gleichgültigkeit erfuhr alsbald eine Steigerung: „Die Bauern kommen als Anarchisten [aus dem Krieg] nach Hause“ war dann am 21. Oktober im christlichsozialen Parteiklub zu hören.54 Und am 30. Oktober gab es in der Provisorischen Nationalversammlung eine Stimmung, man solle offen aussprechen, „daß wir uns in einer Republik fühlen“. Der 9. November bescherte dann das nachahmenswerte Vorbild: In Berlin wurde einerseits die Abdankung Kaiser Wilhelms bekanntgegeben und sogleich darauf die Republik förmlich ausgerufen – beides also wie selbstverständlich als Junktim verbunden. Am Abend des 11. November 1918 gab es dieses Junktim dann auch in Österreich / Cisleithanien – vorerst noch als Ankündigung auf Zeitungspapier, einer „Extra-Ausgabe“ der offiziellen Wiener Zeitung mit allein zwei Kundmachungen.55 Die eine enthält die Erklärung des Kaisers vom selben Tag mit dem zuvor beschriebenen Inhalt. Daran schließt ein Beschluss des deutschösterreichischen Staatsrats an, er werde „der morgen zusammentretenden Provisorischen Nationalversammlung“ einen „Antrag zur Beschlußfassung“ vorlegen, der vollinhaltlich abgedruckt ist: das Gesetz „über die Staats- und Regierungsform“. Interessant ist nun der Umstand, dass die Extra-Ausgabe ausdrücklich die Uhrzeit des Staatsratsbeschlusses mit „11 Uhr vormittags“ angibt. Damit erhielt die für das Ende des bisherigen Staates bedeutungslose Erklärung, der Kaiser anerkenne „im voraus“ die Entscheidung, „die Deutschösterreich über seine künftige Staatsform trifft“, besonderes politisches Gewicht. Aus den beiden Erklärungen samt Uhrzeitangabe sollte und musste gefolgert und konnte plakativ gemacht werden: Kaiser Karl hat die „demokratische Republik“ als Staatsund Regierungsform für Deutschösterreich anerkannt; oder zumindest: Kaiser Karl weiß, Deutschösterreich wird ausdrücklich zur „demokratischen Republik“ proklamiert. Das Ende der alten und der bereits zweite Schritt der neuen Staatsgewalt in den Tagen des 11. und 12. November 1918 standen somit nicht beziehungslos nebeneinander, sondern wurden in mehrfacher Weise äußerst plakativ miteinander verbunden: als bewusstes Junktim! 54 Schnitzler, Arthur, Tagebuch 1917–1919, Wien 1985, S. 54; Staudinger, Anton, „Zur Entscheidung der christlich-sozialen Abgeordneten für die Republik“, in: Isabella Ackerl / Rudolf Neck (Hrsg.), Österreich November 1918 (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission zur Geschichte der Republik Österreich, Bd. 9), Wien 1986, S. 168–172, hier: S. 171. 55 Wiener Zeitung vom 11. 11. 1918. „Ein Kaiser abdiziert doch nicht bloss zum Scheine!“  

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Plakativ gemacht wurde der Zusammenhang sogar buchstäblich, einmal durch den gemeinsamen Abdruck im erwähnten Extrablatt der Wiener Zeitung, sodann auch durch Plakate, die links in schwarz-gelber Umrahmung die Erklärung des Monarchen und rechts in rot-weiß-roter Umrahmung die des Staatsratsbeschlusses enthielten: zwei Erklärungen also, die zusammengehörten! Wie die Erklärung des Kaisers mit ihrem spezifischen Wortlaut, so kam auch ihre Junktimierung mit dem Beschluss des Staatsrats bzw. dem bevorstehenden der Nationalversammlung nicht von ungefähr. Sie gehen auf die Zusammenkunft des Ministerrats in der Nacht vom 10. auf den 11. November unter zeitweiser Zuziehung von Repräsentanten des neuen Staates, insbesondere Renner, sowie auf Planungen des Staatsrats und auf dessen Beschlüsse vom Vormittag des 11. November zurück.56 Die Formulierungen der kaiserlichen Erklärung stammen von Mitgliedern der kaiserlichen Regierung, wie u. a. von Ministerpräsident Lammasch, und von Staatskanzler Renner.57 Was Junktimierung und Regieablauf betrifft: Sie legte der Staatsrat in der Vormittagssitzung des 11. November fest. Nun galt:58 „Der Kaiser von Oesterreich ist der letzte Monarch auf dem Festland, der letzte Vertreter einer Staatsform und eines Regierungssystems, das durch den Krieg aufs tiefste erschüttert ist.“ Insgesamt sollten der kaiserliche Verzicht und die deutschösterreichischen Beschlüsse sichtbar wie Zahnräder ineinandergreifen. Der Staatsrat beschloss daher: „Gleichzeitig mit dem Thronverzicht Seiner Majestät des Kaisers wird der Staatsrat die Bevölkerung mittels Plakatierung und Publikation in der Tagespresse von der Vorlage des Gesetzentwurfes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich an die morgige Nationalversammlung in Kenntnis setzen.“ Seitz hatte sogar detailliert davon gesprochen, es müssten, wenn „die Plakate angeschlagen werden, rechts und links, sie diese zwei Kundgebungen enthalten“ – tatsächlich erfolgte wie beschrieben die Plakatierung genau auf diese Weise und ebenso kam es auch zur „Publikation in der Tagespresse“! So wurde der kaiserliche Verzicht vom 11. November zu einem – politisch – wesentlichen Bestandteil der förmlichen Erklärung am 12. November, der Staat Deutschösterreich sei eine „demokratische Republik“. Obwohl Deutschösterreich sogleich bei seiner Gründung am 30. Oktober als demokratisches und republikanisches Staatswesen eingerichtet war, hatte man bewusst die ausdrückliche Festlegung dieser Verfassungsprinzipien vermieden.59 Im Zuge des wohlorganisierten „Verfassungsfestes“60 am 12. November wurde mit der 56 Fellner, Fritz, Tagebuch Josef Redlichs 1908–1919 II, 1954, S. 317; Redlich, Josef, „Heinrich Lammasch als Ministerpräsident“, 1922, S. 179ff; Spitzer, Rudolf, Karl Seitz, 1995, S. 61; Flotow, Ludwig Freiherr von, November 1918, 1982, S. 331; Staatsratsprotokoll 11. 11. 1918. 57 Glaise-Horstenau, Edmund, Die Katastrophe, 1929, S. 441. 58 Staatsratsprotokoll 11. 11. 1918. 59 Brauneder, Wilhelm, Deutschösterreich 1918, 2000, S. 175. 60 Ebd., S. 164ff.

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Verlesung des entsprechenden Gesetzes von der Parlamentsrampe die Formel von der „demokratischen Republik“ verkündet. Dazu war mit dem kaiserlichen Verzicht der Weg frei geworden.

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Die Abdankung König Karls IV.1 von Ungarn 1918 István Szabó 1. Einführung: Die kennzeichnenden Merkmale der ungarischen Verfassung Bis zum Jahr 1949 existierte in Ungarn kein einheitliches Verfassungsdokument. Ähnlich wie in England bestimmten gewohnheitsrechtliche Normen Ungarns Staatsform und innere Verfasstheit. Im Laufe der Jahrhunderte wurde dieses Verfassungsgewohnheitsrecht im Bedarfsfall durch Gesetze ergänzt. Für ihr Zustandekommen galten die allgemeinen Regeln: Der Reichstag befand darüber mit einfacher Mehrheit und konnte sie durch einfache Mehrheit wieder abändern. Im Anschluss an die bürgerlichen Reformen des Jahres 1848 wurden immer häufiger Gesetze zur Ergänzung und Konkretisierung der ungeschriebenen Verfassungsnormen erlassen. So setzte etwa der noch genauer zu erörternde Gesetzesartikel2 Nr. I des Jahres 1920, der in der Phase zwischen den Weltkriegen kurzzeitig zu den Grundgesetzen Ungarns zählte, an Stelle des Königs vorübergehend einen Reichsverweser ein und stattete ihn mit Kompetenzen aus, die früher nur dem König als Staatsoberhaupt zugestanden hatten. Die Staatsform war – wie der Kompetenzbereich des Königs – niemals in einem Gesetz schriftlich niedergelegt worden.3

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Als Kaiser von Österreich wurde Karl als Karl I. bezeichnet, als König von Ungarn lautete seine Bezeichnung Karl IV. Da dieser Aufsatz die Verzichtserklärung Karls auf den ungarischen Thron behandelt, wird durchgehend die Bezeichnung Karl IV. verwendet. Bis zum Revolutionsjahr 1848 hatte der König nach einem Reichstag alle Beschlüsse in einem einzigen Gesetz verkündet, das in einzelne Artikel unterteilt war. Nach 1848 war der Herrscher, um eine schnellere Abwicklung der Geschäfte zu erreichen, berechtigt, die Gesetze fortlaufend zu verlautbaren. Die Verlautbarung geschah in Form so genannter Gesetzesartikel [§ 2 des Gesetzesartikels Nr. IV aus dem Jahre 1848]. Neben dem Verlautbarungsjahr wurde die jeweilige Nummer des Artikels in römischen Ziffern angegeben. In früheren Zeiten war auch das Recht des Königs zur Kriegserklärung und zum Friedensschluss nicht auf Gesetzesebene geregelt gewesen. Nach den Erfahrungen im ersten Weltkrieg sah der Gesetzesartikel Nr. I aus dem Jahre 1920 vor, dass der Reichsverweser zur Ausübung dieser Rechte nur nach vorheriger Zustimmung durch den Reichstag berechtigt war [§ 13 Abs. (5) des Gesetzesartikels Nr. I aus dem Jahr 1920]. Die Abdankung König Karls IV. von Ungarn 1918  

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2. Die verfassungsrechtliche Lage nach dem ersten Weltkrieg Nach dem Ende des ersten Weltkrieges brach in Ungarn, ähnlich wie im Deutschen Reich und in Österreich, eine Welle von Revolutionen aus und brachte die Stützpfeiler der alten Ordnung zum Einsturz: Mit der Unterzeichnung der Eckartshauer Erklärung am 13. November 1918 verzichtete der König auf die Ausübung der Staatsgeschäfte.4 Drei Tage später, am 16. November, hörte das – noch vor dem Krieg gewählte – Parlament auf zu funktionieren und beschloss seine Selbstauf­lösung. Die Staatsgewalt ging auf den, aus der Revolution erwachsenen, „Ungarischen Nationalen Rat“ über. Der Nationale Rat war am 25. Oktober 1918 von den Parteien ins Leben gerufen worden, die für eine schnelle Beendigung des Krieges und eine Demokratisierung des Landes eintraten: Landesweite Radikale Partei, Sozialdemokratische Partei, Károlyi-Partei. Von November 1918 bis zur Einführung der Räterepublik am 21. März 1919 war er das wichtigste Organ der Staatsgewalt. Noch am 16. November 1918, und damit nur wenige Stunden nach der Selbstauflösung des Parlaments, verabschiedete der Rat den so genannten Volksbeschluss. Er trug den Charakter einer provisorischen Verfassung und legte Ungarn auf die Staatsform einer „Volksrepublik“ fest.5 Außerdem verpflichtete der Beschluss zur Konstituierung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung.6 Bis zu ihrem Zusammentreten übertrug er die oberste Gewalt vollständig auf die Volksregierung unter Mihály Károlyi. Als Wahltag wurde der 13. April 1919 festgelegt. Die Übernahme der Macht durch linksextreme Kräfte am 21. März 1919 und die Ausrufung der Räterepublik verhinderten jedoch die Abhaltung der Wahlen und lösten eine internationale militärische Intervention aus. Sie endete am 1. August 1919 mit dem Sturz der linksextremen Kräfte. Im Anschluss daran geriet Ungarn fast zur Gänze unter militärische Besatzung, rumänische Streitkräfte drangen bis nach Budapest vor. Der weitere Verlauf der Ereignisse brachte keine Klärung der offenen Verfassungsfrage: Die am 16. November 1918 ausgerufene Volksrepublik wurde – im Unterschied zu Deutschland und Österreich – nie von einer vom Volk gewählten Vertretung bestätigt. Da zudem das Ansehen der republikanischen Kräfte durch die Einführung der Volksrepublik und später der Räterepublik stark geschwunden war, wurden die Stimmen immer lauter, die sich für eine Rückkehr Ungarns zum Königtum aussprachen. Für die Bewertung der Verzichtserklärung des Königs kommt diesen Umständen besondere Bedeutung zu: Die Frage, ob Karl IV. gemäß der monarchischen Verfas4 5 6

Die Frage der Auslegung der Verzichtserklärung wird unter Ziffer 4 ausführlich behandelt. Artikel 1 des Volksbeschlusses lautet: „Ungarn ist eine unabhängige und selbständige Volksrepublik“. Artikel 2 des Volksbeschlusses lautet: „Die Verfassung der Volksrepublik wird von der, aufgrund eines neuen Wahlrechts, dringend einzuberufenden verfassunggebenden Nationalversammlung festgelegt“.

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sung wirksam auf den Thron verzichtet hatte, war gegenstandslos, galt in Ungarn die Staatsform der Republik. Zwar wurde auch bei Ausrufung einer Republik in der Regel versucht, eine Verzichtserklärung des Herrschers zu erreichen. Seine Weigerung, vom Thron zurückzutreten, hatte indes keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der republikanischen Verfassung. War Ungarn dagegen ein Königreich geblieben, so war die Verzichtserklärung Karls IV. auf der Grundlage der monarchischen Verfassung zu bewerten. Außerdem ergab sich die Notwendigkeit zur Nachbesetzung des Throns. Die Entente wollte die Rückkehr des Hauses Habsburg auf den ungarischen Thron verhindern und stellte sich daher auf den Standpunkt, dass in Ungarn die republikanische Staatsform das Königtum abgelöst habe. Zwar hätte die Entente das Ende der Habsburgermonarchie in Ungarn auch über ein Entthronungsgesetz erzwingen können.7 Diese Lösung erschien ihr jedoch weniger sicher. Zur Durchsetzung ihres Willens schlug sie stattdessen eine Volksabstimmung über die Staatsform vor8 und brachte dies der ungarischen Regierung gegenüber auch mehrmals zum Ausdruck. Als jedoch nach den Parlamentswahlen vom Januar 1920 die Stimmen jener Politiker lauter wurden, die sich für die Beibehaltung des Königreichs aussprachen, wurde die Entente vorsichtiger. Da sie sich des Ausgangs eines Referendums nicht mehr sicher sein konnte, verschwand die Frage in der Folgezeit schließlich ganz von der Tagesordnung.

3. Die Frage der Staatsform Die ersten Parlamentswahlen nach dem Krieg fanden – unter Boykott der Sozialdemokratischen Partei9 – im Januar 1920 statt.10 Von den 208 in der Nationalversamm7 8

Das geschah dann auch tatsächlich im Jahre 1921 (vgl. Punkt 5). Szabó, István, „Az államforma kérdése 1919 / 1920 fordulóján“ [Die Frage der Staatsform in der Zeit von 1919 / 1920], in: Mezey Barna / Révész Tamás (Hrsg.), Ünnepi tanulmányok Máthé Gábor 65. születésnapja tiszteletére, Budapest 2006, S. 585–597, hier: S. 586. 9 Am 16. November 1919 zog unter der Führung des späteren Reichsverwesers Miklós Horthy die so genannte Nationalarmee in die Hauptstadt ein. Ihr verfassungsrechtlicher Status war ungeklärt, sie agierte praktisch unabhängig von der Regierung. Die Sozialdemokratische Partei hatte des Öfteren beklagt, dass die Nationalarmee ihre Telefonlinien zum Erlöschen gebracht, ihr Wahlmaterial beschlagnahmt bzw. die Parteiaktivisten belästigt habe. Angesichts dieser Repressalien boykottierten die Sozialdemokraten schließlich die Wahlen. Bei den nachfolgenden Wahlen des Jahres 1922 erlangten sie dann 25 von 245 Parlamentssitzen. Magyar Statisztikai Évkönyv [Statistisches Jahrbuch Ungarns] 1923–1924–1925, Budapest 1927, S. 274. 10 Wegen der offenen verfassungsrechtlichen Verhältnisse musste zunächst geklärt werden, ob die Wahlen auf der Grundlage der vorhandenen Wahlrechtsbestimmungen abgehalten werden konnten. Schließlich entschloss man sich, im Wege einer Regierungsverordnung [Nr. 5985 / 1919] ein neues Wahlrecht zu verabschieden. Danach verfügten jene Personen über ein Stimmrecht, die das 24. Lebensjahr erreicht hatten, seit mindestens zwei Jahren ungariDie Abdankung König Karls IV. von Ungarn 1918  

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lung11 zu vergebenden Mandaten12 gewann die Partei der Kleinen Landwirte 87, 74 Sitze gingen an die Partei der Christlichen Nationalen Vereinigung, 24 an die Christliche Partei der Kleinen Landwirte.13 Alle drei Parteien traten für die Monarchie als Staatsform Ungarns ein. Das erste von der neu gegründeten Nationalversammlung verabschiedete Gesetz trug den Titel „Zur Wiederherstellung der Verfassungsmäßigkeit und zur pro­ visorischen Ausübung der obersten Staatsgewalt“ (Gesetzesartikel Nr. I aus dem Jahre 1920). Dieses Gesetz enthielt keine ausdrücklichen Regelungen über die künftige Staatsform Ungarns, es erklärte aber all jene Bestimmungen für ungültig, die nach dem Krieg zur Ablösung des Königtums erlassen worden waren, und ordnete ihre Streichung aus der allgemeinen Gesetzessammlung an.14 Mit dieser Entscheidung, die auch den Volksbeschluss vom 16. November 1918 zur Einführung einer Volksrepublik außer Kraft setzte, gab die Parlamentsmehrheit zu erkennen, dass sie zur alten Staatsform, d.h. zum Königreich, zurückkehren wollte. Da das Parlament bei Wiedereinführung der Monarchie Sanktionen der Entente befürchtete, bekannte es sich nicht ausdrücklich zum Königtum. Zudem folgte es damit der ungarischen Verfassungstradition, die Staatsform nicht durch ein geschriebenes Verfassungsdokument zu regeln. Die lückenhaften Regelungen des Gesetzes zur Wiederherstellung der Verfassungs­ mäßigkeit wurden schließlich durch die Regierungsverordnung Nr. 2394/1920 vom 18. März 1920 zur „Benennung der staatlichen Behörden, Ämter und Institutionen, sowie zur Verwendung der staatlichen Wappen der heiligen Krone“ gefüllt. Sie diente der Auslegung des Gesetzesartikels Nr. I und bestimmte: „Der Gesetzesartikel Nr. I aus dem Jahre 1920 zur Wiederherstellung der Verfassungsmäßigkeit und zur provisorischen Ausübung der obersten Staatsgewalt hat die tausendjährige Staatsform Ungarns nicht abgeändert und weder die königliche Würde noch das Rechtsinstitut des Königs zum Erlöschen gebracht, [….], er hat alle jene revolutionären, verfassungswidrigen Bestimmungen […], welche auf die Abschaffung des Königreichs gerichtet waren, für nichtig erklärt […]. Solange die Gesetzgebung daher nichts anderes bestimmt, ist die gesetzliche Staatsform Ungarns jene eines Königreichs.“15

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sche Staatsbürger waren und seit mindestens einem halben Jahr an derselben Adresse ihren Wohnort hatten. Frauen mussten darüber hinaus lesen und schreiben können. Im Ergebnis waren rund 80 Prozent der erwachsenen Bevölkerung wahlberechtigt. Die Körperschaft trug nicht den Namen Reichstag, sondern Nationalversammlung. Diese Bezeichnung sollte auf den provisorischen Charakter der Versammlung hinweisen. Die erwähnte Wahlrechtsverordnung [vgl. Anm. 10] hatte kein Verhältniswahlrecht eingeführt. Die 208 zu vergebenden Mandate wurden jeweils in Wahlbezirken auf der Grundlage eines Mehrheitswahlrechts erworben. Statistisches Jahrbuch Ungarns, 1927, S. 274. § 9 Abs (1)-(2) des Gesetzesartikels Nr. I aus dem Jahre 1920. Regierungsverordnung Nr. 2394 / 1920, Abs. (1)-(3)

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Spätestens mit dem Erlass der Regierungsverordnung Nr. 2394 / 1920 war Ungarn zum Königtum zurückgekehrt. Ob Karl IV. mit seiner Erklärung vom 13. November 1918 wirksam auf den Thron verzichtet hatte, war daher auf der Grundlage der alten monarchischen Verfassung zu prüfen. War der Verzicht ungültig, so hätte Karl aufgrund der damals geltenden ungarischen Gesetze einen Anspruch auf den Thron erheben können.

4. Die Wirkungen der Abdankung des Königs (die Eckartsauer Erklärung16) Der Verzicht Karls auf die Teilnahme an den Regierungsgeschäften hatte – nach allgemeiner Meinung – zu einer Sedisvakanz des ungarischen Throns geführt. Seine Eckartsauer Erklärung vom 13. November 1918 hat zugleich zahlreiche formelle und inhaltliche Fragen aufgeworfen. So enthielt die Erklärung keine ministerielle Gegenzeichnung, ohne die jedwede Amtshandlung des Herrschers ungültig war.17 Ein weiteres Formproblem ergab sich daraus, dass die Verzichtserklärung des Königs aufgrund des Gesetzesartikels Nr. III aus dem Jahre 186718 nur mit Zustimmung des Reichstages gültig war, das Parlament eine solche Erklärung jedoch nicht abgegeben hatte. Zu den inhaltlichen Problemen zählte, dass Karl IV. nicht auf den Thron selbst, sondern nur auf die Ausübung der Staatsgeschäfte verzichtet hatte. Eine eindeutige Auslegung dieses Verzichts war nicht möglich: Ein neuer König hätte danach zwar Anspruch auf den Thron gehabt, zur Ausführung der damit verbundenen Staatsgeschäfte wäre er jedoch nicht berechtigt gewesen, man hätte folglich einen Stellvertre16 Die Verzichtserklärung Karls IV. wurde in ungarischer Sprache herausgegeben. In deutscher Übersetzung lautet sie wie folgt: „Seit meiner Thronbesteigung habe ich mich immer darum bemüht, meine Völker so bald wie möglich von den Schrecken eines Krieges zu befreien, an dessen Ausbruch ich in keiner Weise beteiligt war. Ich wünsche nicht, dass meine Person ein Hindernis für die freie Entwicklung des ungarischen Volkes darstelle, dem ich mich weiterhin in großer Zuneigung verbunden fühle. Ich verzichte daher auf jede Teilnahme an den Regierungsgeschäften und nehme im Voraus jede Entscheidung an, die Ungarn in Hinblick auf seine Staatsform fällen wird. Gegeben zu Eckartsau am 13. November 1918. Karl.“ 17 § 3 des Gesetzesartikels Nr. III aus dem Jahre 1848. 18 „Es wird ein für allemal festgehalten, dass in Hinblick auf die Sicherheit des Landes von nun an jeder Verzicht auf den Thron nur aufgrund einer ausdrücklichen Mitteilung und der verfassungsmäßigen Zustimmung Ungarns zu geschehen hat.“ [§ 3 des Gesetzesartikels Nr. III aus dem Jahre 1867]. Dieses Gesetz bestätigte den Thronverzicht von Ferdinand und Franz Karl aus dem Jahr 1848. Gemäß dem ausdrücklichen Wortlaut von § 3 sollte dem Reichstag diese Mitwirkungskompetenz auch in Zukunft zustehen. Es stand daher außer Frage, dass die Verzichtserklärung Karls IV. nur mit Zustimmung des Reichstages gültig gewesen wäre. Die Abdankung König Karls IV. von Ungarn 1918  

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ter zur Ausübung der Staatsgeschäfte bestellen müssen. Nach den Erfahrungen des Revolutionsjahres 1848 hatte der Reichstag jedoch 1867 festgelegt, dass der König seine Regierungsgewalt – selbstverständlich über verantwortliche Ministerien – persönlich auszuüben hatte.19 Verzichtete Karl auf die Ausübung der Staatsgeschäfte, verhinderte er damit gleichzeitg die Anwendung dieser gesetzlichen Bestimmungen. Nur wenn man die Eckartsauer Erklärung auch als Verzicht auf den Thron versteht, hätten alle Herrscherrechte Karls eindeutig zu bestehen aufgehört.20 Nach dem ausdrücklichen Wortlaut seiner Erklärung wollte der König aber gerade nicht auf den Thron verzichten,21 eine solche umdeutende Auslegung würde den Wortlaut seiner Erklärung22 missachten und ist daher offensichtlich unzulässig. 23 Ähnlich wie die politische Elite in anderen Ländern der früheren k. u. k. Monarchie war die politische Führung Ungarns in zwei Lager gespalten: in Befürworter und Gegner einer Rückkehr des Hauses Habsburg auf den Thron.24 Die Abdankungserklärung des Königs vom 13. November 1918 war jedoch mit derart eindeutigen Formfehlern behaftet, dass auch die Gegner des Hauses Habsburg ihre Ungültigkeit nicht bestreiten konnten. Hinzu kam, dass die Wirksamkeit der Abdankungserklärung als solche eine Rückkehr der Habsburger auf den ungarischen Thron nicht verhindert hätte. Da Ungarn mit dem Gesetzesartikel Nr. I und der Regierungsverordnung Nr. 2394 / 1920 aus dem Jahr 1920 zum Königtum zurückgekehrt war, hätte nach der Abdankung Karls IV. gemäß geltendem Verfassungsrecht sein Thronfolger das Amt übernommen. Das Haus Habsburg wäre damit auch künftig Ungarns Herrscherhaus geblieben. Daneben gab es Versuche, das Erlöschen des Anspruchs der Habsburger auf den ungarischen Thron aus den Bestimmungen der Pragmatischen Sanktion von 1713 herzuleiten. Den Inhalt der Sanktion unterteilte das staatsrechtliche Schrifttum in zwei, zwar zusammenhängende, aber doch voneinander unabhängige Teile: Einerseits regelte sie das (Fort-)Bestehen der Verteidigungsgemeinschaft zwischen Ungarn und 19 Gesetzesartikel Nr. VII aus dem Jahre 1867; Csekey, Stephan, „Ungarns Staatsrecht nach dem Weltkrieg“, in: Robert Piloty / Otto Koellreutter (Hrsg.), Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. XIV, Tübingen 1926, S. 409–483, hier: S. 433 f. 20 Polner, Ödön, „A trón megüresedésének és betöltésének kérdéséhez“ [Zur Frage der Vakanz des Thrones und dessen Neubesetzung], in: Magyar Jogi Szemle 1 / 1920, S. 193–205, hier: S. 198. 21 Csekey, Stephan, „Ungarns Staatsrecht“, 1926, S. 433. 22 Buza, László, „A ‚trónfosztó‘ törvény értelme és jelentősége“ [Sinn und Bedeutung des ‚Entthronungs‘-Gesetes], in: Magyar Jogi Szemle 3 / 1922, S. 118–120, hier: S. 119. 23 Da die Verzichtserklärung nicht auf ein Freiwerden des Throns gerichtet war, enthielt sie folglich auch keine Bestimmungen, zu wessen Gunsten der Verzicht erfolgte. 24 Szabó, István, „A királyi trón betöltése körüli viták a két világháború közötti Magyarországon“ [Streitigkeiten über das Thronfolgerecht in Ungarn in der Zwischenkriegszeit] in: György Vókó (Hrsg.), Iustum Aequum Salutare, Bd. II, Budapest 2006,S. 171–189, hier: S. 173 f.

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den Erbländern, auf der anderen Seite traf sie nähere Bestimmungen zur Thronfolge.25 Es stand außer Frage, dass mit dem Untergang des Kaisertums die österreichischungarische Verteidigungsgemeinschaft aufgehört hatte zu bestehen. Zwischen den politischen Lagern umstritten war, ob damit gleichzeitig der Anspruch der Habsburger auf den ungarischen Thron erloschen war oder ob die Thronfolgeregelungen der Pragmatischen Sanktion auch nach dem Auseinanderfallen der k. u. k. Monarchie in Kraft bleiben würden.26 Die so genannten freien Königswähler gingen davon aus, dass es sich bei der erwähnten Bestimmung um eine auflösende Bedingung handelte und das Recht des Hauses Habsburg auf den ungarischen Thron „ipso facto“, d.h. ohne jedwede weitere Bestimmung, erloschen war.27 Dagegen vertraten die Legitimisten die Ansicht, dass die Zusammengehörigkeit der beiden Staaten nicht als Bedingung für das Recht auf den Thron gewertet werden kann. Das sollte vor allem dann gelten, wenn der Wegfall der Voraussetzung wie im Fall Karls IV. aus Gründen erfolgte, die außerhalb des Willens des berechtigten Teils lagen.28 Die auf den Nachweis der Ungültigkeit der Pragmatischen Sanktion gerichteten Beweisführungen konnten ohnehin keinen Einfluss auf die bereits erworbenen Rechte des regierenden Königs haben. Die Regelungen zur Thronfolge kamen grundsätzlich erst beim Tod bzw. der – rechtswirksamen – Abdankung des Herrschers zur Anwendung. Zwar haben verschiedene Autoren Theorien formuliert, wonach Karl IV. im Jahr 1916 den Anspruch auf den Thron legal erworben, ihn dann aber wieder verloren haben soll. Eine dieser Theorien begründete den Verlust des Thronanspruchs mit der Unwürdigkeit Karls IV.: Der König habe Ungarn Ende Oktober 1918 in einer überaus ernsten Lage verlassen, die schließlich zur Revolution und zur Aufteilung des Staatsgebietes geführt habe. Dieses Verhalten könne der andere Träger der Staatsgewalt, der Reichstag, als endgültige Aufgabe des Thrones und damit als Abdankung qualifizieren.29 Nach einer anderen Theorie mussten zum Zeitpunkt der Thronbesteigung gewisse Voraussetzungen erfüllt sein, darunter das Vorhandensein eines Verteidigungsbundes zwischen Österreich und Ungarn. Fiel eine dieser Voraussetzungen während der Regierungszeit weg, verlor der König automatisch das Recht

25 Tomcsányi, Móric, Magyarország közjoga [Das öffentliche Recht Ungarns], Budapest 1932, S. 315 f; Egyed, István, „A trónfosztásról szóló törvény“ [Das Gesetz über die Entthronung], in: Jogállam 25 / 1926, S. 129–140, hier: S. 135f.; Szabó, István, „A királyi trón“, 2006, S. 172 f. 26 Ebd. 27 Kmety, Károly, „Véleményem a királykérdésben“ [Meine Meinung zur Königsfrage] in: Jogtudományi Közlöny 56 / 1921, 2, S. 9–11, hier: S. 11; Tomcsányi, Móric, Magyarország, 1932, S. 318. 28 Tomcsányi, Móric, Magyarország, 1932, S.  319.; Csekey, Stephan, „Ungarns Staatsrecht“, 1926, S. 436 f. 29 Polner, Ödön, „A trón megüresedésének“, 1920, S. 199. Die Abdankung König Karls IV. von Ungarn 1918  

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auf die Krone. Das Fortbestehen des Thronanspruchs durfte danach nicht an geringere Voraussetzungen gebunden werden als der Erwerb dieses Rechtes.30 Alle diese Überlegungen sind als unhaltbar zurückzuweisen: Gegen den späteren Verlust des Thronanspruchs wurde zu Recht angeführt, dass ein einmal erworbenes Recht durch den bloßen Wegfall der für den Rechtserwerb erforderlichen Bedingungen nicht erlöschen könne.31 Außerdem – so das wichtigste Gegenargument – konnte der König ohne seine Zustimmung nicht vom Thron entfernt werden, weil er für die Ereignisse des Jahres 1918 keine Verantwortung trug.32 Schließlich übten Nation und König gemäß der Lehre über die Heilige Krone die Staatsgewalt gemeinsam aus. An dieser Bestimmung konnte keine der beiden Seiten gegen den Willen der jeweils anderen Gewalt etwas ändern.33 Da Ungarn mit dem Gesetzesartikel Nr. I und der Regierungsverordnung Nr. 2394 / 1920 aus dem Jahr 1920 zum Königtum zurückgekehrt war, hing das Fortbestehen des Thronanspruchs Karls IV. im Ergebnis von der rechtlichen Bewertung seiner Verzichtserklärung vom 13. November 1918 ab. Wie oben bereits gezeigt, litt die Eckartsauer Erklärung an zwei Formfehlern (Es fehlten die ministerielle Gegenzeichnung und die Annahme durch den Reichstag.), von denen jeder für sich allein genommen bereits genügt hätte, ihre Ungültigkeit hervorzurufen. Karl IV. hatte damit weiterhin einen Anspruch auf den ungarischen Thron. Tatsächlich geltend machen konnte er diesen Anspruch nicht. Eine Rückkehr auf den Thron scheiterte am Verbot der Siegermächte, zudem gab es bedeutende innere Widerstände gegen eine Rückkehr Karls IV. Die von den Gegnern des Königtums vorgebrachten Argumente waren zwar juristisch nicht haltbar, der von ihnen ausgeübte politische Einfluss war jedoch beachtlich.

5. Das Entthronungsgesetz des Jahres 1921 Karl IV. hat ungeachtet des von der Entente ausgesprochenen Verbots zweimal den Versuch unternommen, nach Ungarn zurückzukehren.34 Der Druck der Sieger30 Kmety, Károly, „A királyválasztás joga“ [Das Recht der Königswahl], in: Magyar Jogi Szemle 1 / 1920, S. 6–15, hier: S. 14. 31 Ferdinandy, Géjza, „A királyválasztás joga“ [Das Recht der Königswahl], Magyar Jogi Szemle 1.a. / 1921, S. 44–50, hier: S. 47. 32 Ferdinandy, Géjza, A magyar alkotmányjog tankönyve [Lehrbuch des ungarischen Verfassungsrechts], Budapest 1911, S. 143. Korbuly, Imre, Magyarország, 1884. S. 207. 33 Bölöny, József, Királyi hatalom és kormányzói jogkör [Die Gewalt des Königs und der Kompetenzbereich des Reichsverwesers], Budapest 1933, S. 16. 34 Am 27. März 1921 schlug der König sein Lager nahe der österreichischen Grenze in Szombathely auf, wo sich ihm die mit der Aufrechterhaltung der Ordnung beauftragten Einheiten anschlossen. Von Szombathely aus forderte Karl den Reichsverweser Miklós Horthy zur

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mächte wurde daraufhin so stark, dass die ungarische Nationalversammlung sich zur Annahme eines Entthronungsgesetzes gezwungen sah.35 Für die Ausgestaltung des Gesetzes war entscheidend, ob die Auflösung des österreichisch-ungarischen Staatenbundes „ipso facto“ das Recht des Hauses HabsburgLothringen auf den ungarischen Thron zum Erlöschen gebracht hatte. Geht man – wie die freien Königswähler – von einem automatischen Erlöschen aus, war es Aufgabe des Gesetzes, das festzustellen, anderenfalls musste es die Thronabsetzung aussprechen. Im Versuch, eine diplomatische Lösung zu finden, enthielt das Gesetz einen inneren Widerspruch: Während es in der Überschrift von der „Außerkraftsetzung der Herrscher- und Thronfolgerechte seiner königlichen Hoheit Karls IV. und des Hauses Habsburg“ spricht, ist im Text von einem bereits erloschenen Recht die Rede. Angesichts dieses Widerspruchs zwischen Überschrift und Text führt die Auslegung des Gesetzes zu schier unlösbaren Problemen.36 Ein weiterer Mangel des Gesetzes über die Thronabsetzung bestand darin, dass es keine Regelungen traf zu den Rechten und Privilegien der Mitglieder der königlichen Familie, denen im ungarischen Staatsrecht traditionell immer eine besondere Bedeutung zugekommen war. Fiel der Thronanspruch aus welchen Gründen auch immer weg, mussten diese Privilegien in der Regel zum Erlöschen gebracht werden.37 Gleichwohl fällte die ungarische Gesetzgebung 1926 eine anderslautende Entscheidung, als sie bestimmte, dass alle volljährigen, in Ungarn lebenden Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen automatisch dem Oberhaus angehören sollten.38 In den erläuternden Bemerkungen zu diesem Beschluss wird, ohne Rücksichtnahme auf das Entthronungsgesetz, die Königsfrage nach wie vor als ungeklärt bezeichnet.39

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Übergabe der Staatsgewalt auf, was Horthy verweigerte. Da der König eine gewaltsame Übernahme der Macht vermeiden wollte, verließ er Ungarn am 5. April. Als er am 20. Oktober zurückkehrte, stellten sich wiederum mehrere Einheiten zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf seine Seite. Der König bildete eine Gegenregierung und machte sich auf den Weg nach Budapest. In der Nähe der Hauptstadt wurde er von den Truppen des Reichsverwesers besiegt. Karl IV. wurde gefangen genommen und den Engländern ausgeliefert, die ihn schließlich nach Madeira verbannten. Gesetzesartikel Nr. XLVII aus dem Jahre 1921 zur Außerkraftsetzung der Herrscher- und Thronfolgerechte seiner königlichen Hoheit Karls IV. und des Hauses Habsburg. Egyed, István, „A trónfosztásról szóló“, 1926, S. 130.; Buza, László, „A ‚trónfosztó‘ törvény“, 1922, S. 119. Buza, László, „A ‚trónfosztó‘ törvény“, 1922, S. 119. § 12 Abs. (1) des Gesetzesartikels Nr. XXII aus dem Jahre 1926. Die ausführlichen Erläuterungen zu § 12 des Gesetzesartikels Nr. XXII aus dem Jahre 1926 lauten: „Aufgrund § 2 des Gesetzesartikels Nr. VII aus dem Jahre 1885 gehört die Mitgliedschaft zum Oberhaus zu den erblichen Rechten aller volljährigen Erzherzöge des Herrscherhauses. Unter Beachtung der durch den Gesetzesartikel Nr. XLVII aus dem Jahre 1921 entstandenen staatsrechtlichen Situation scheint es am zweckmäßigsten, die Frage, inwiefern Die Abdankung König Karls IV. von Ungarn 1918  

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Am treffendsten hat László Buza das Gesetz zur Absetzung Karls IV. charakterisiert: „Bei der Königsfrage handelt es sich um eine politische Frage; das Staatsrecht hat bei dieser Kartenpartie bloß eine Stichkarte zur Verfügung, die jeder Spieler gerne in seiner Hand sehen möchte. Der Wissenschaft vom Staatsrecht kommt es zu, einfach festzustellen, dass an die Stelle einer Verfassung, die jahrhundertelang einen Eckstein dargestellt hatte, eine Säule gestellt worden war, die in jede Richtung gewendet werden konnte.“ 40

Zusammenfassung Als Folge des ersten Weltkrieges war das ungarische Staatsgebiet auseinander gefallen. Anders als im neuen „Deutsch-Österreich“, das jedwede Kontinuität mit dem österreichischen Kaiserreich ablehnte, gab es in Ungarn – gerade im Hinblick auf die Wiederherstellung der territorialen Einheit – Bestrebungen, an die Tradition des Königtums anzuknüpfen. Diese Entwicklung rief den Widerstand der Siegermächte hervor: Die Entente verbot Karl die Rückkehr nach Ungarn und versuchte, die Wiedereinführung der Monarchie durch eine Volksabstimmung zu verhindern. Erst der Sieg der Monarchisten bei den Parlamentswahlen von 1920 veranlasste die Siegermächte, der Wiedereinführung des Königreiches keine bleibenden Hindernisse in den Weg zu stellen. Mit dem Gesetzesartikel Nr. I und der Regierungsverordnung Nr. 2394 / 1920 aus dem Jahr 1920 kehrte Ungarn zur Vorkriegsordnung und damit zum Königtum zurück. In der Frage einer Rückkehr des Hauses Habsburg auf den Thron blieben die Meinungen in der Nationalversammlung dagegen geteilt, für keinen der beiden Standpunkte fand sich eine überzeugende Mehrheit. Rein rechtlich kam der Anspruch auf den Thron zwar Karl IV. zu, die Siegermächte und innenpolitische Kräfte hinderten ihn jedoch daran, seine Rechte tatsächlich geltend zu machen. Auch das Entthronungsgesetz aus dem Jahr 1921 brachte keine Klärung der noch offenen Verfassungsfragen – die Lage Ungarns als ein Königreich ohne König wurde zum Dauerzustand. Der Reichstag des Jahres 1937 verabschiedete schließlich eine

und unter welchen Bedingungen den Mitgliedern der ungarischen königlichen Familie die Mitgliedschaft im Oberhaus zukommt, auf den Zeitpunkt der endgültigen Regelung der Königsfrage zu verschieben. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem diese Frage einer gesetzlichen Regelung zugeführt wird, hat es sich als billig erwiesen, jenen Mitgliedern der Familie HabsburgLothringen vorübergehend eine persönliche Mitgliedschaft im Oberhaus zu gewähren, die ungarische Staatsbürger sind, das 35. Lebensjahr vollendet und ihren ordentlichen Wohnsitz auf dem Gebiete des heutigen Ungarns haben.“ 40 Buza, László, „A ‚trónfosztó‘ törvény“, 1922, S. 120.

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Regelung zur Nachfolge des Reichsverwesers:41 Im Falle des Todes von Horthy sollte der Thron nicht neu besetzt, sondern ein neuer Reichsverweser gewählt werden.

Quellen- und Literaturverzeichnis Bölöny, József, Királyi hatalom és kormányzói jogkör [Die Gewalt des Königs und der Kompetenzbereich des Reichsverwesers], Budapest 1933. Buza, László, „A ‚trónfosztó‘ törvény értelme és jelentősége“ [Sinn und Bedeutung des ‚Entthronungs‘-Gesetes], in: Magyar Jogi Szemle 3 / 1922, S. 118–120. Ders., „A királyválasztás joga“ [Das Recht der Königswahl], in: Magyar Jogi Szemle 1 / 1920, S. 83–87. Csekey, Stephan, „Ungarns Staatsrecht nach dem Weltkrieg“, in: Robert Piloty / Otto Koellreutter (Hrsg.), Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. XIV, Tübingen 1926, S. 409–483. Egyed, István, „A trónfosztásról szóló törvény“ [Das Gesetz über die Entthronung], in: Jogállam 25 / 1926, S. 129–140. Ferdinandy, Géjza, A magyar alkotmányjog tankönyve [Lehrbuch des ungarischen Verfassungsrechts], Budapest 1911. Ders., „A királyválasztás joga“ [Das Recht der Königswahl], Magyar Jogi Szemle 1.a. / 1921, S. 44–50. Korbuly, Imre, Magyarország közjoga [Das öffentliche Recht Ungarns], Budapest 1884. Kmety, Károly, „A királyválasztás joga“ [Das Recht der Königswahl], in: Magyar Jogi Szemle 1 / 1920, S. 6–15. Kmety, Károly, „Véleményem a királykérdésben“ [Meine Meinung zur Königsfrage], in: Jogtudományi Közlöny 56 / 1921, 2, S. 9–11. Magyar Statisztikai Évkönyv [Statistisches Jahrbuch Ungarns] 1923–1924–1925, Budapest 1927. Nagy, Ernő, Magyarország közjoga (államjoga) [Das öffentliche Recht (Staatsrecht) Ungarns], Budapest 1901. Polner, Ödön, „A trón megüresedésének és betöltésének kérdéséhez“ [Zur Frage der Vakanz des Thrones und dessen Neubesetzung], in: Magyar Jogi Szemle 1 / 1920, S. 193–205. Szabó, István, „Az államforma kérdése 1919 / 1920 fordulóján“ [Die Frage der Staatsform in der Zeit von 1919 / 1920], in: Mezey Barna / Révész Tamás (Hrsg.), Ünnepi tanulmányok Máthé Gábor 65. születésnapja tiszteletére, Budapest 2006, S. 585–597. Ders., „A királyi trón betöltése körüli viták a két világháború közötti Magyarországon“ [Streitigkeiten über das Thronfolgerecht in Ungarn in der Zwischenkriegszeit] in: György Vókó (Hrsg.), Iustum Aequum Salutare, Bd. II, Budapest 2006, S. 171–189. Tomcsányi, Móric, Magyarország közjoga [Das öffentliche Recht Ungarns], Budapest 1932.

41 §§ 3–5 des Gesetzesartikel Nr. XIX. aus dem Jahre 1937. Die Abdankung König Karls IV. von Ungarn 1918  

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Der Monarch wird Privatier Die Rechtsfolgen der Abdankung für den Monarchen und sein Haus

Winfried Klein „Der Monarch wird Privatier“, ein Thema, das die Folge einer jeden Abdankung beschreiben kann. Im Kontext der Abdankung von Monarchen hätte das Thema vielleicht richtiger „Die Monarchie wird privatisiert“ heißen müssen. Denn der Wille zur Machterhaltung war bei den meisten Monarchen 1918/19 wohl noch vorhanden, nur durften sie nicht mehr herrschen. Und das bezog sich nicht nur auf sie, sondern auf die gesamte Dynastie. Die Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg betreffen das Ende der staatlichen Funktion der Monarchen und ihren Rückzug ins Privatleben. Letzteres konnte mit Einschränkungen auch bei vorangegangenen Abdankungen oder Machtverlusten beobachtet werden, Ersteres in Deutschland bis dahin nur – wenn auch unvollkommen – im Zuge der napoleonischen Neugestaltung Deutschlands. Nach 1918 war der Verlust staatlicher Funktionen dagegen vollkommen. Privatheit und Entstaatlichung gingen Hand in Hand. Wie dieser Prozess rechtlich determiniert war und wie er ausgestaltet wurde, soll Gegenstand dieser Ausführungen sein. Dies wird ohne nähere Beleuchtung der Umstände geschehen, unter denen sich das Ende der monarchischen Regierung vollzogen hat – ob durch förmliche Abdankung oder Verzicht auf die Staatsgeschäfte. Letzteres konnte als vorläufiger Verzicht bis zum abschließenden Entscheid über den Fortbestand der Monarchie durch das Volk gewertet werden, Ersteres war für den abdankenden Monarchen endgültig. Im Ergebnis zeigte sich freilich kein Unterschied: Das Ende der monarchischen Regierung kann heute als feststehend vorausgesetzt werden. Unter dieser Prämisse werden drei Punkte näher beleuchtet: die staatsrechtlichen Folgen der Abdankung, die Folgen für das Privatfürstenrecht und die vermögensrechtlichen Folgen.

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Die staatsrechtlichen Folgen

Wenn man Revolutionen vornehmlich als Legitimationsbrüche bezeichnen mag,1 handelte es sich bei der Umwälzung der Jahre 1918/1919 sicher um eine Revolution, besser gesagt um Revolutionen. Denn nicht nur der Kaiser wurde entthront,2 auch die Bundesfürsten verloren Krone und Zepter. Soweit sie verzichteten, entsagten sie vornehmlich nur für ihre Person dem Thron,3 ohne freilich den Agnaten noch zu ihrem Recht verhelfen zu können4. Faktisch bedeutete dies, dass die Monarchen einer Ausübung der Volkssouveränität nicht mehr im Wege standen. So erklärte der württembergische König Wilhelm II. (1848–1921) am 30. November 1918, seine Person solle „niemals ein Hindernis sein für die freie Entwicklung der Verhältnisse des Landes“.5 Die damit verbundene Niederlegung der Krone nahm die Provisorische Regierung mit der knappen Erklärung an: „Eine Thronfolge im Sinn des § 7 der württembergischen Verfassungsurkunde ist nach den durch die Umwälzung vom 9. November geschaffenen Verhältnissen ausgeschlossen.“6 Lapidar findet im württembergischen Regierungsblatt noch Erwähnung, der König habe anlässlich des Thronverzichts „den Namen und den Titel eines Herzogs zu Württemberg angenommen.“7 Beispielhaft kommt so zum Ausdruck: Die staatsrechtliche Stellung des Königs findet ihr Ende, die staatsrechtlich ausgestaltete Thronfolge wird abgeschnitten, der König wird auch dem Titel nach Privatmann, ohne hierbei sein Erbrecht zu verlieren. Ob damit auch in den übrigen Bundesstaaten die Staatssouveränität8 als Hilfskonstruktion ihr Ende fand oder aber der Übergang der Souveränität vom Monar-

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Laufs, Adolf, „Ein Jahrhundert wird besichtigt ­– Rechtsentwicklungen in Deutschland 1900–1999“, in: Juristische Schulung, 40,1/2000, S. 1–10, hier: S. 2. Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5, Stuttgart 1978, S. 682ff. Abdankungserklärung Kaiser Wilhelms II. vom 28.11.1918 (Faksimile), Tondokumente zur Deutschen Geschichte, Erster Weltkrieg 1914–1918, Braunschweig 2005; Kaiser Karl I. erkannte die Entscheidung Deutschösterreichs über seine künftige Staatsform an und verzichtete „auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften“, ohne formell die Krone niederzulegen, Reiter, Ilse, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955, Wien 1997, S. 157. So musste in Preußen auch Kronprinz Wilhelm am 1. Dezember 1918 auf die Krone verzichten, Abdankungserklärung bei Huber, Ernst Rudolf, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Deutsche Verfassungsdokumente 1900–1918, Bd. 3, Stuttgart/Berlin/Köln 31990, S. 312. Regierungsblatt für das Königreich Württemberg 1918, Nr. 23, S. 263. Ebd., Nr. 23, S. 264. Ebd. Die Lehre von der Staatssouveränität musste vor allem auf Württemberg zutreffen, da hier 1819 eine paktierte Verfassung zu Stande gekommen war, die sämtliche Bereiche des Staatslebens regelte. Der Monarch wird Privatier  

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chen auf das Volk manifest wurde, kann hier dahinstehen.9 Auch bedarf es für die Revolution von 1918 und die Zeit danach keiner Entscheidung mehr, ob lediglich ein Wechsel im Amt des Staatsoberhauptes als Staatsorgan stattfand oder der durch den Monarchen verkörperte Staat sein Ende fand.10 Jedenfalls war der Monarch nicht mehr Inhaber der Rechte der Staatsgewalt, nicht mehr Staatsoberhaupt und nicht mehr Oberkommandierender der Streitkräfte. Dies erforderte neben einer Entbindung der Beamten und Soldaten von ihrem Treueid11 eine Übernahme dieser Rechte durch andere Funktionsträger – zumeist provisorische Regierungen, gestützt durch provisorische Volksvertretungen oder Räteversammlungen,12 denn eine Reichsverwesung fand nicht mehr statt.13 Neben allen rechtlichen Änderungen wurde dieser Wandel nach außen hin bei den Staatssymbolen besonders deutlich. Nach dem Kaiser verlor auch der Reichsadler die Krone.14 Die Kroninsignien verloren ihre Funktion, blieben aber als vormaliges Staatssymbol Staatseigentum.15 Die Fürstenhymnen verschwanden, andere Lieder traten in den Vordergrund.16 So verlor die preußisch-deutsche Hymne „Heil dir im Siegerkranz“ endgültig ihre Bedeutung, ebenso wie etwa die Fürstenhymne SachsenWeimars, eine Komposition von Franz Lizst (1811–1886)17. In Bayern nahm „Gott mit dir, du Land der Bayern“18 den bis heute festen Platz als Landeshymne ein. In Österreich wurde die Kaiserhymne „Gott erhalte, Gott beschütze unsern Kaiser, unser 9 10

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Hierzu Klein, Winfried, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 78), Berlin 2007, S. 27. Zum Streit zwischen den Anhängern der so genannten staatsrechtlichen Persönlichkeitstheorie Wilhelm Eduard Albrechts und den Verfechtern der so genannten organischen Persönlichkeitstheorie, Klein, Winfried, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht des 19. Jahrhunderts, 2007, S. 27ff., 29ff. Diese geschah entweder in der Abdankungserklärung selbst, so bei Kaiser Wilhelm II., a.a.O., oder durch Gesetz, so Art. 6 des Gesetzes vom 12.11.1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich 1918, S. 4. Für das Reich vgl. den Aufruf des Rates der Volksbeauftragten vom 12.11.1918, Reichsgesetzblatt 1918, S. 1303f. Zur Frage einer Reichsverweserschaft des Prinzen Max von Baden, Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 5, 1978, S. 691f. Hattenhauer, Hans, Deutsche Nationalsymbole. Geschichte und Bedeutung, Köln ³1998, S. 91ff. So etwa im preußischen Auseinandersetzungsvertrag, Preußische Gesetzessammlung 1926, S. 271ff., 272; im Umkehrschluss geht dies auch aus dem württembergischen Auseinandersetzungsvertrag hervor, Abkommen zwischen den Vertretern des Königs und dem württembergischen Staat vom 29.11.1918, HStA Stuttgart E 130b, BÜ 66, fol. 32. Dieser Prozess hatte schon vorher eingesetzt und wurde nun unwiderruflich, vgl. Hattenhauer, Hans, Deutsche Nationalsymbole, 1998, S. 52f. Hierzu Boehm, Otto, Die Volkshymnen aller Staaten des Deutschen Reichs, Wismar 1901, S. 55f. Zu ihrer Entstehung ebenfalls Boehm, Otto, Die Volkshymnen, 1901, S. 39.

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Land“ durch das wenig anrührende Lied „Deutsch-Österreich du herrliches Land“ ersetzt, nur um knapp zehn Jahre später mit neuem Text wiederaufzuleben.19

2. Die Folgen für das Privatfürstenrecht Anders als in Österreich, wo der Kaiser nicht nur auf die hymnischen Bitten für seine Person verzichten musste, sondern mit seinem Haus auch Titel und Aufenthaltsrecht verlor, blieb im Deutschen Reich die private Stellung der vormaligen Monarchen weitgehend unangetastet. Sie verloren zwar ihre öffentlich-rechtlichen Vorrechte, konnten ihre privaten Privilegien aber weitgehend behalten.20 Darunter waren in engen Grenzen auch die Befugnisse nach dem Privatfürstenrecht,21 dem autonomen, zu Fragen des ehelichen Güterrechts, des Vormundschaftsrechts und des Erbrechts gesetzten Familienrecht. Allerdings war das Privatfürstenrecht nun ohne Frage gegenüber staatlichem Recht nachrangig.22 Die autonome Befugnis der hohen Familien23 zur Setzung des Privatfürstenrechts fiel uneingeschränkt unter das Verbot des Art. 109 Abs. 3 der Reichsverfassung, weil sie eine öffentlich-rechtliche Befugnis darstellte.24 Dem folgten zahlreiche Landesgesetze und hoben die privatfürstenrechtliche Autonomie auf.25 Dies blieb nicht ohne Folgen für die rechtliche Einordnung des vormaligen Herrscherhauses: Eine genossenschaftliche Korporation, wie sie etwa Georg Beseler oder

19 Hansen, Hans Jürgen, Heil Dir im Siegerkranz. Die Hymnen der Deutschen, Oldenburg/Hamburg 1978, S. 15. 20 Art. 109 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung, wobei die Regelung einen Auftrag an den Gesetzgeber enthielt und kein unmittelbar wirkendes Verbot der Standesvorrechte, vgl. Anschütz, Gerhard, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Berlin 131930, Art. 109 Ziff. 4. 21 Art. 109 Abs. 3 S. 1 WRV schränkte das Privatfürstenrecht nur bedingt ein, hinderte aber nicht eine Beschränkung durch Landesrecht, Kuchinke, Kurt, „Die deutsche Revolution von 1918 und ihre Folgen für das Privatfürstenrecht“, in: Norbert Brieskorn (Hrsg.), Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft, Paderborn/München/Wien 1994, S. 403–421, hier: S. 410. 22 Zu Zeiten der Monarchie war diese Frage durchaus umstritten, vgl. Klein, Winfried, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht des 19. Jahrhunderts, 2007, S. 43ff. 23 Vgl. den bis dahin geltenden Vorbehalt in Art. 58 EGBGB. 24 Kuchinke, Kurt, „Die deutsche Revolution von 1918 und ihre Folgen für das Privatfürstenrecht“, 1994, S. 410; einschränkend Anschütz, Gerhard, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1930, Art. 109 Ziff. 4. 25 Überblick bei Kuchinke, Kurt, „Die deutsche Revolution von 1918 und ihre Folgen für das Privatfürstenrecht“, 1994, S. 410ff. Der Monarch wird Privatier  

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Otto Gierke im Kaiserreich noch angenommen hatten,26 war nun nicht mehr vorstellbar.27 So versuchten die vormals regierenden Häuser, in den Bahnen des allgemeinen bürgerlichen Rechts Lösungen zu finden. Während das Haus Hohenzollern dem früheren Kaiser und König die Stellung eines nur erbrechtlich beschränkten Chefs des Hauses zuwies,28 konstituierte sich in Sachsen der „Haus Wettin Albertinische Linie e.V.“ und hielt in dieser Rechtsform Eigentum.29 Das herzogliche Haus Württemberg wurde vom Volksstaat Württemberg als vermögensfähige Rechtsperson eigener Art anerkannt,30 während in Bayern die Einrichtung des „Wittelsbacher Ausgleichsfonds“ von der Errichtung der „Wittelsbacher Landesstiftung“ begleitet wurde.31 Hand in Hand mit dem Ende beziehungsweise dem Wandel der Rechtsfähigkeit der hohen Familien ging die Auflösung der Familienfideikommisse einher; Art. 155 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung schrieb ihre Auflösung vor. Die Regelung bezog sich damit auf diejenigen Einrichtungen, kraft derer ein Vermögensinbegriff durch Beschränkung der Veräußerung und Belastung und durch die Aufstellung einer den Mannesstamm bevorzugenden Erbfolgeordnung dazu bestimmt wird, einer Familie in Person des jeweiligen Fideikommissbesitzers eine wirtschaftlich sichere und damit zugleich gesellschaftlich hervorragende Stellung zu verschaffen.32 Welche Bedeutung das Fideikommissgut hatte, wird daran deutlich, dass in Preußen etwa sieben Prozent des Gesamtgrundbesitzes fideikommissarisch gebunden war.33 Dort wurde auch rasch die reichsverfassungsrechtliche Vorgabe umgesetzt, wobei die Fideikommisse des niederen und mittleren Adels durch Verordnung, die Fideikommisse des hohen Adels durch Gesetz aufgehoben wurden.34 Familiengüter durften demnach nicht 26 Beseler, Georg, „Die Familie des hohen Adels als corporative Genossenschaft“, in: Grünhut’s Zeitschrift, 5/1878, S. 540–556; Gierke, Otto, in: Ebd., S. 557–599.; hierzu auch Lade, Karl, Staatsverfassung, Fürstenrecht und Hausvermögen, Marburg 1910, S. 29ff. 27 Kuchinke, Kurt „Die deutsche Revolution von 1918 und ihre Folgen für das Privatfürstenrecht“, 1994, S. 421f. 28 LG Hechingen, Beschluss vom 07.12.2000, Az.: 3 T 15/96. 29 Sächsisches Gesetzblatt 1924, S. 446; der Verein existiert noch heute und ist im Vereinsregister Dresden unter VR 4150 eingetragen. 30 Verhandlungen des 2. Landtages des freien Volksstaates Württemberg 1924, Beilagenband 5, S. 91; die Regelungen zur Fideikommissaufhebung wurden in Baden-Württemberg unter der Geltung des allgemeinen Stiftungsrechts mit Wirkung zum 01.01.1984 aufgehoben, BadenWürttembergisches Gesetzblatt 1983, S. 693ff. 31 Hierzu Leisner, Walter, Monarchisches Hausrecht in demokratischer Gleichheitsordnung, Erlangen 1968; Aretin, Cajetan von, Die Erbschaft des Königs Otto von Bayern, München 2007, 242f. 32 Meißner, Otto, Das Staatsrecht des Reichs und seiner Länder, Berlin ²1923, S. 326. 33 Ebd., S. 327. 34 PrGS 1919, S. 39ff. (Verordnung), PrGS 1920, S. 367ff.; vgl. auch Meißner, Otto, Das Staatsrecht des Reichs und seiner Länder, 1923, S. 327.

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mehr errichtet werden,35 die Auflösung bestehender Familiengüter sollte durch Familienschluss erfolgen,36 an dem die Erbberechtigten teilzunehmen hatten37. Für den Fall der Nichteinhaltung der hierfür gesetzten Fristen drohte die Zwangsauflösung.38 Auch wenn reichsverfassungsrechtlich nicht zwingend vorgeschrieben, beseitigten Landesgesetze auch andere privatfürstenrechtliche Regelungen, etwa in Fragen des Vormundschaftsrechts oder der Ebenbürtigkeit.39 Damit verlor das Privatfürstenrecht nicht in dem Maße an Bedeutung wie in Österreich,40 vielmehr konnte es in den Formen des bürgerlichen Rechts in die neue Zeit gerettet werden. Die Folgen für die fürstlichen Familien waren gleichwohl einschneidend. So musste das vormals regierende preußische Königshaus durch Hausgesetz vom 19./20. Juni 1920 das Hausvermögen mit Wirkung zum 31. März 1923 auflösen und den vormaligen Kaiser und König als alleinigen Eigentümer des Hausvermögens anerkennen, wenn auch nach der Art eines Vorerben in der Verfügung beschränkt.41 Nachdem Wilhelm II. (1859–1941) auf die ihm hausgesetzlich zustehenden Rechte verzichtet hatte und aufgrund des „Reichsgesetzes über das Erlöschen der Familienfideikommisse“ vom 6. Juli 1938 ein Freiwerden von der noch fortbestehenden hausgesetzlichen Bindung drohte,42 schloss Kronprinz Wilhelm (1882–1951) mit Prinz Louis Ferdinand von Preußen (1907–1994) am 23. November 1938 einen Erbvertrag, der die Stellung des Prinzen Louis Ferdinand als alleinberechtigten Vorerben regelte, zugleich aber – in den Grenzen des Reichsgesetzes – eine Nacherbschaft anordnete.43 In diesen erbrechtlichen Bahnen vollzog sich der Übergang vom Fideikommissrecht zum allgemeinen bürgerlichen Recht, bis Prinz Louis Ferdinand im Jahr 1994 starb. Danach kam es über einen Streit der Erben zu einer langwierigen Auseinandersetzung um die Wirksamkeit der Erbunwürdigkeitsklausel in dem pla-

35 § 1 Abs. 2 der Verordnung über Familiengüter vom 10. März 1919, Preußische Gesetzessammlung 1919, S. 39. 36 § 2 Abs. 1 der Verordnung über Familiengüter vom 10. März 1919, PrGS 1919, S. 39. 37 § 3 der Verordnung über Familiengüter vom 10. März 1919, PrGS 1919, S. 40. 38 § 1 Abs. 3 der Verordnung über Familiengüter vom 10. März 1919, PrGS 1919, S. 39. 39 Kuchinke, Kurt, „Die deutsche Revolution von 1918 und ihre Folgen für das Privatfürstenrecht“, 1994, S. 418. 40 Hier wurde das Privatfürstenrecht ausdrücklich aufgehoben, § 4 des Gesetzes vom 3. April 1919, betreffend die Landesverweisung und Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich 1919, S. 513. 41 Vgl. §§ 2100ff. BGB, insbesondere §§ 2112ff. BGB; LG Hechingen, Beschluss vom 07.12.2000, Az.: 3 T 15/96. 42 Das Reichsgesetz bestimmte in § 14 die Unwirksamkeit von Vor- und Nacherbschaften zur Ablösung des Fideikommisses, sofern nicht vor dem 01.01.1939 die Nacherbfolge eingetreten war, Reichsgesetzblatt 1939 I, S. 825ff., 828. 43 LG Hechingen, Beschluss vom 07.12.2000, Az.: 3 T 15/96. Der Monarch wird Privatier  

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kativ als „Hohenzollerntestament“ bezeichneten Erbvertrag,44 derzufolge ein nicht standesgemäß verheirateter Erbanwärter sein Erbrecht verlieren sollte. Der Streit wurde bis vor das Bundesverfassungsgericht getrieben, das in einem wenig durchdachten Kammerbeschluss die Entscheidung der Vorinstanz, dem nicht ebenbürtig verheirateten Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen keinen Erbschein zu erteilen, für unvereinbar mit dem Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit aus Artikel 6 Abs. 1 GG hielt.45 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hatte die Vorinstanz insbesondere übersehen, dass die in Streit stehende erbrechtliche Ebenbürtigkeitsklausel ihre „ursprüngliche staatsrechtliche Funktion – die Regelung der Thronfolge in einer Erbmonarchie – nicht mehr erfüllen“ konnte. Dabei verkannte das Verfassungsgericht die Tatsache, dass in der Vergangenheit Ebenbürtigkeitsklauseln keine primär staatsrechtliche Funktion zukam. Auch vor 1918 sahen mediatisierte Fürstenhäuser in der Ebenbürtigkeit ein wesentliches Kriterium für die Aufrechterhaltung des privaten splendor familiae und der Sicherung des Hausvermögens, das hier ohne Zweifel privater Natur war. Nichts anderes konnte für die seit 1918 nicht mehr regierenden Häuser gelten,46 zumal für Preußen, wo Privatgut und Staatsgut schon früh getrennt wurden. Dass in Preußen die Verfassungsurkunde von 1850 wesentliche Teile des Hausrechts inkorporierte, steht dem nicht entgegen, denn die Regelung in Artikel 53 der preußischen Verfassungsurkunde hatte lediglich den Gleichlauf der in Preußen grundsätzlich getrennten hausgesetzlichen und staatsrechtlichen Erbfolge zum Ziel. Mit dem Erlöschen der Monarchie im Jahre 1918 bedurfte es dieses Gleichlaufs nicht mehr.47 Auch wenn die Vorgaben des Verfassungsgerichts eindeutig waren, änderte dies nichts am Ergebnis der privatrechtlichen Beurteilung: Das zuständige LG Hechingen kam im Zuge der Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens wiederum zu dem Ergebnis, dass nicht Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen (*1939) Erbe sei, sondern Prinz Georg Friedrich von Preußen (*1976).48 Die Erbunwürdigkeitsklausel des Erbvertrages musste zwar dem vorrangigen Staatsrecht weichen, der privatautonome Erblasserwille blieb gleichwohl geschützt. Damit kann auch für die heutige Zeit festgehalten werden, dass allen staatsrechtlichen Umwälzungen zum Trotz der inhaltliche Kern des Privatfürstenrechts erhalten 44 Über die Änderungen im Ebenbürtigkeitsrecht berichtet Kuchinke, Kurt, „Die deutsche Revolution von 1918 und ihre Folgen für das Privatfürstenrecht“, 1994, S. 418. 45 BVerfG, FamRZ 2004, S. 765 ff. 46 Einschränkend Kuchinke, Kurt, „Die deutsche Revolution von 1918 und ihre Folgen für das Privatfürstenrecht“, 1994, S. 419. 47 Vgl. auch Isensee, Josef, „Inhaltskontrolle des Bundesverfassungsgerichts über Verfügungen von Todes wegen – zum ‚Hohenzollern-Beschluss‘ des BVerfG“, in: Deutsche Notar-Zeitschrift, 10/2004, S. 754–766, hier: S. 757. 48 LG Hechingen, Beschluss vom 27.09.2005, Az.: 3 T 15/96.

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werden konnte und die private Stellung der vormaligen Monarchen als Haupt ihrer Familien unangetastet blieb. Als Haus bezeichnet, sind die ehemals regierenden Familien heute freilich dem bürgerlichen Recht allenfalls in der Form eines Vereins oder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bekannt.49 Das staatliche Namensrecht geht dem heute noch fortbestehenden Adelsrecht vor. Das Adelsprädikat kann durch Adoption erworben werden,50 der Adelsstand dagegen nicht,51 was angesichts der in Teilen der Gesellschaft noch immer fortbestehenden Bedeutung des Adels nicht unbeachtlich ist.

3. Die vermögensrechtlichen Folgen Die angesprochene fideikommissarische Bindung betraf vornehmlich das private Hausvermögen. Das Hofvermögen beziehungsweise die Domänen waren nach dem Herkommen an die Landeshoheit gebundene, also in Pertinenz stehende Privatgüter52 oder aufgrund gesetzlicher Bestimmung schon vor 1918 Staatseigentum.53 Im Hinblick auf die in Pertinenz der Landeshoheit stehenden Domänengüter stellte sich 1918 die Frage, welche Folge der Übergang der Landeshoheit auf den Staat hatte: Konnten die Domänen beim Übergang der Landeshoheit auf den Staat beim vormals regierenden Fürstenhaus bleiben, gingen sie automatisch mit über, wie etwa im Hypothekenrecht die Hypothek mit der Forderung, oder bedufte es eines gesonderten 49 Nach der Rechtsprechung des BGH zur Teilrechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGHZ 146, 341ff.) könnte dies für zahlreiche Adelshäuser gelten, da sie nach außen als Haus auftreten, ohne ausdrücklich gesellschaftsvertraglich konstituiert zu sein, vgl. Palandt-Sprau, § 705 BGB, Rn. 12, 24, 33. 50 Palandt-Heinrichs, § 12 BGB, Rn. 6. 51 Elverfeldt-Ulm, Sigismund von, Adelsrecht. Entstehung–Struktur–Bedeutung in der Moderne des historischen Adels und seiner Nachkommen, Limburg 2001, S. 178. 52 Vom Lateinischen „pertinere“ = sich auf etwas beziehen, etwas (einer Sache) dienen. Die Pertinenzqualität der Domänen ging zurück auf Kapitel XX der Goldenen Bulle, bei Buschmann, Arno, Kaiser und Reich, Teil I, Baden-Baden ²1994, S. 142, und war als solche unstreitig, vgl. Moser, Johann Jacob, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, Frankfurt/Leipzig 1769, S. 208, 212, der deutlich zwischen Eigentum des Landesherrn und Eigentum des Fürsten als Privatmann unterscheidet; Pütter, Johann Stephan, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte, Bd. 1, Bayreuth 1791 (ND Goldbach 2001), S. 243, der ausdrücklich formuliert, das Eigentum sei bei denjenigen zu suchen, „welchen das Recht der Landesregierung anklebet“; Zachariae, Heinrich Albert, Das rechtliche Verhältnis des fürstlichen Kammerguts, Göttingen 1861, S. 24; Reyscher, August Ludwig, Die Rechte des Staats an den Domänen und Kammergütern, Leipzig 1863, S. 92f. 53 Vgl. den Überblick bei Klein, Winfried, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht des 19. Jahrhunderts, 2007, S. 54ff. Der Monarch wird Privatier  

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Übertragungsakts?54 Erschwert wurde die Lösung dieser Frage dadurch, dass es häufig zu einer Vermischung von öffentlich-rechtlich und privatrechtlich einzuordnenden Gütern gekommen war. Daher musste nach der Revolution geklärt werden, wem was gehörte und welche Ausgleichsansprüche abzugelten waren. Sofern es schon vor 1918 zu einer Verstaatlichung der Domänen gekommen war, musste nun geklärt werden, wie mit der zum Ausgleich gegebenen Krondotation oder Zivilliste umzugehen war. Auch hinsichtlich der Apanagen wurden Ausgleichsansprüche erhoben. Einer einseitigen Regelung dieser Fragen durch Landesgesetz stand Art. 153 der Reichsverfassung entgegen, der eine mit Art. 14 des Grundgesetzes in etwa vergleichbare Eigentumsgarantie enthielt. Deshalb entstand 1925 der Plan, die Vermögensauseinandersetzung zwischen den Ländern und den ehemaligen Fürstenhäusern reichseinheitlich gesetzlich zu regeln – unter Aufhebung der Garantien des Art. 153 der Reichsverfassung.55 Erste Initiativen sahen eine gesetzlich oder sondergerichtlich vorzunehmende Fürstenabfindung vor.56 Erfolg hatte zunächst nur ein Antrag der KPD, mittels Sperrgesetzes alle Auseinandersetzungsprozesse über Fürstenabfindungen kurzfristig auszusetzen.57 Damit sollte der Boden für das spätere Volksbegehren zur Fürstenenteignung bereitet werden. Nachdem die KPD die SPD zu einem gemeinsamen Vorgehen bewegt hatte, wurde ein Antrag auf ein Volksbegehren eingebracht, das letztlich eine vollständige, 54 Für die erstgenannte Möglichkeit plädiert Zoepfl, Heinrich, Bemerkungen zu A. L. Reyscher, Heidelberg 1864, S. 36. Für die letztgenannte Möglichkeit plädiert Rehm, Hermann, Modernes Fürstenrecht, München 1904, S. 333f. Konsequent war beides nicht, weil dies jeweils eine Trennung von der Landeshoheit bedeutet hätte. Die Domänen waren dazu da, die Regierungslasten zu tragen. Der Anfall des Domänenvermögens bei einer Privatperson unter Ausschluss der auf den Domänen ruhenden Lasten hätte eine ungerechtfertigte Bereicherung dargestellt und hätte letztlich zur Herausgabe des Domänenertrages an den neuen Träger der Landeshoheit geführt. Daher kann nur die Lösung des automatischen Übergangs richtig sein, weil sie Nutzen und Lasten gleichermaßen berücksichtigt und im Falle eines übermäßigen Nutzens das Institut der ungerechtfertigten Bereicherung zur Verfügung steht. Dementsprechend wurden die Auseinandersetzungen nach 1918 vollzogen. Diese Ansicht teilte auch das Reichsgericht, indem es feststellte, dass das Domänenvermögen den landesherrlichen Familien nur solange zustand, als sie die Herrschaft im Staat innehatten, RGZ 136, S. 211ff., 222. Dem folgte auch der Wortlaut des Auseinandersetzungsvertrages zwischen dem Land Baden und der vormals großherzoglichen Familie nach dem Übergang der Staatsgewalt auf die von der Volkssouveränität geprägte Republik Baden: „Dem Großherzog werden aus dem Domänenvermögen als Privateigentum zugeschieden“, Gesetz über die Auseinandersetzung bezüglich des Eigentums an dem Domänenvermögen, Anlage 1, Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1919, S. 180. 55 Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 7, Stuttgart u.a. 1984, S. 580. 56 Ebd. 57 Ebd.

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entschädigungslose Enteignung des Vermögens der bis 1918 regierenden landesherrlichen Familien vorsah.58 Die Vorlage fand die erforderliche Zahl an Unterschriften und wurde, nachdem der Reichstag seine Zustimmung verweigert hatte, dem Volk zur Abstimmung vorgelegt.59 Der Volksentscheid scheiterte60 an der Vorgabe der Reichsverfassung, nach der eine Verfassungsänderung – und das war bei einem Abweichen von Art. 153 der Reichsverfassung der Fall61 – die Mehrheit der Stimmberechtigten finden musste.62 Damit war der Weg frei für eine abschließende Regelung der geltend gemachten Ansprüche durch Vergleich. Warum dies in vielen Fällen schon kurz nach der Revolution gelungen war, in anderen Fällen dagegen nur schleppend gelang, begründet Heinrich Köhler (1878–1949), badischer Staatspräsident der Jahre 1923/1924, in seinen Lebenserinnerungen wie folgt: „gerade dadurch, dass wir in Baden das heiße Eisen schon zu einer Zeit anfassten, da man in anderen Ländern noch die revolutionäre Phraseologie durchexerzierte, kamen wir schnell zum Ziele. Die deutschen Fürsten und ihre Ratgeber waren unter dem Eindruck der Revolution bereit, jede vorgeschlagene Lösung zu akzeptieren. Erst später, als die unpolitische Art des deutschen Volkes wieder dominierte, präsentierten sie die ungeheuerlichsten Abfindungsforderungen und zogen ihre einstigen Untertanen vor die deutschen Zivilgerichte, die in den meisten Fällen wunschgemäß – wie auf „Allerhöchsten Befehl“ – reagierten und Urteile fällten, die das arme Volk geradezu revolutionieren mussten… In Baden saß man Ende 1918 mit den noch verängstigten Vertretern des Großherzogs gemeinsam am Verhandlungstisch.“63 Was nach Abschluss dieser und anderer Vermögensauseinandersetzungen den vormals regierenden Fürsten blieb, war deren Privateigentum, einschließlich der oftmals gewährten staatlichen Pension für den ehemaligen Monarchen. Dieser Grundsatz galt bis 1948 allgemein für alle deutschen Fürstenhäuser. Erst im Zuge der Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone kam es zu einer Verstaatlichung des verbliebenen Privateigentums. Die Art und Weise der Vermögensauseinandersetzung an sich war in den einzelnen Ländern des Reichs unterschiedlich. Beispielhaft seien die Vorgänge in Preußen, Bayern, Württemberg, Baden, Sachsen und Thüringen skizziert.

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Ebd. Ebd. Dazu Schüren, Ulrich, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, Düsseldorf 1978, S. 228. Hierzu nochmals Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 7, 1984, S. 580. 62 Art. 76 Abs. 1, RGBl. 1919, 1383ff., 1397. 63 Köhler, Heinrich, Lebenserinnerungen des Politikers und Staatsmannes 1878–1949, hrsg. von Josef Becker, Stuttgart 1964, S. 109. Der Monarch wird Privatier  

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3.1. Preußen

In Preußen hätten nach den noch fortgeltenden Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts64 die Domänen als Staatsgut ohne weiteres auf den Freistaat Preußen übergehen können. Es waren aber in den Jahrzehnten seit dem Erlass des ALR manche Vermögensmassen vermischt worden, so dass eine umfassende Vermögensauseinandersetzung unumgänglich wurde.65 Hinzu kam, dass die im Jahr 1820 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) festgesetzte Zivilliste auf die Staatsdomänen radiziert war.66 Da mit dem Übergang der Domänen auf den 1918 entstandenen Freistaat Preußen auch die Grundlage dieser Radizierung entfiel, musste eine Ausgleichsregelung für den Wegfall der Zivilliste, sozusagen die Regelung für die Pension des ehemaligen Königshauses gefunden werden. Um einem Vergleich die tatsächliche Grundlage zu erhalten, beschlagnahmte die revolutionäre Preußische Regierung am 13. November 1918 das Kronfideikommissvermögen67 und am 30. November 1918 das gesamte Privatvermögen des vormaligen Königshauses68. Nachdem verschiedene Versuche einer gütlichen Regelung gescheitert waren,69 versuchte der Reichsgesetzgeber eine Lösung zu finden70. Auch dies ohne Erfolg. Nach dem gescheiterten Volksentscheid über die Fürstenenteignung gelang schließlich der Abschluss eines Vergleichs zwischen dem vormals regierenden Königshaus und dem Freistaat Preußen.71 Darin wurden zahlreiche Schlösser und Liegenschaften, darunter das Berliner Stadtschloss und die Potsdamer Schlösser, als unbeschränktes Eigentum des Staates ausgewiesen,72 während andere Schlösser und Liegenschaften, darunter die Burg Hohenzollern, als Eigentum des Hauses Hohenzollern eingeordnet wurden73. Insgesamt wurden dem Haus Hohenzollern einschließlich der Nebenlinien 383.000 Morgen Land zugesprochen, dem Preußischen

64 Allgemeines Landrecht II, 14, § 11, bei Hattenhauer, Hans, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Frankfurt am Main 1970, S. 590; vgl. auch Anderssen, Ernst, Begriff und rechtliche Verhältnisse der Domänen in Preussen im Vergleich zur Entwicklung seiner Monarchie, Greifswald 1912, S. 64 ff. 65 Schüren, Ulrich, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung, 1978, S. 284. 66 Dies bedeutete aber nur, dass im Falle unzureichender Domänenerträge diese ausschließlich der Zivilliste zufließen sollten, während Ansprüche des Staates nach dem Gesetz über die künftige Behandlung des gesamten Staatsschuldenwesens vom 17. Januar 1820 ausgeschlossen blieben. Vgl. Anderssen, Ernst, Begriff und rechtliche Verhältnisse, 1912, S. 71. 67 Preußische Gesetzessammlung 1918, S. 189. 68 PrGS 1918, S. 193. 69 Schüren, Ulrich, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, 1978, S. 26ff. 70 Ebd., S. 47ff. 71 Ebd., S. 252ff. 72 § 1 des Vertrages in Anlage zum Gesetz vom 28.10.1926, PrGS 1926, S. 267ff., 271. 73 § 2 des Vertrages in Anlage zum Gesetz vom 28.10.1926, PrGS 1926, S. 267ff., 273.

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Staat verblieben rund 250.000 Morgen Land.74 Hinzu kam noch eine Barabfindung in Höhe von 10 Mio. Reichsmark zuzüglich weiterer 20 Mio. Reichsmark vorbehaltlich der Genehmigung des Landtages.75 3.2. Bayern

In Bayern bestand eine ähnliche Ausgangslage wie in Preußen: Die Verfassungsurkunde von 1818 hatte das Hausfideikommissgut unter Einschluss der Domänen eindeutig als Staatsgut eingeordnet76 und damit eine langjährige Entwicklung zum Abschluss gebracht. Dennoch war Titel III der Verfassungsurkunde umstritten, der diese Fragen behandelte. Zur Zeit seiner Geltung war sich die Mehrheit der Rechtsgelehrten darin einig, dass die Bestimmungen dieses Titels – wenn auch zu den „wenigst gelungenen“ der Verfassungsurkunde gehörend77 – Staats- und Privatrecht getrennt und die Domänen als Staatsgut anerkannt hätten.78 Nach der Revolution von 1918 wurde diese Mehrheitsmeinung jedoch wiederholt in Frage gestellt.79 Insbesondere ein Gutachten80 des Rechtshistorikers Konrad Beyerle (1872–1933) brachte die bis dahin feste Haltung der bayerischen Staatsregierung ins Wanken und führte mit der Errichtung des Wittelsbacher Ausgleichsfonds zu einem Vergleich, der beiden Seiten ein Festhalten an ihren Rechtsauffassungen ermöglichte und den status quo bewahren helfen sollte. Festzuhalten bleibt, dass das Haus Wittelsbach staatliches Eigentum anerkannte, etwa an der Münchner Residenz oder an zahlreichen wissenschaftlichen und musealen Sammlungen. Dies geschah freilich verklausuliert, weil die Vertreter des Hauses 74 Schüren, Ulrich, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, 1978, S. 255. 75 § 8 des Vertrages in Anlage zum Gesetz vom 28.10.1926, PrGS 1926, S. 267ff., 275. 76 III. Titel, § 3 der Verf.-Urk. „Sämmtliche Bestandteile des Staatsguts sind, wie bereits in der Pragmatik vom 20. October 1804 bestimmt war, aus welcher die nach den veränderten Verhältnissen hierüber noch geltende Bestimmungen in gegenwärtige Verfassungsurkunde übertragen sind, auf ewig und unveräußerlich“, Pölitz, Karl Heinrich Ludwig, Die gesammten Verfassungen des teutschen Staatenbundes enthaltend, Bd. 1, o. O. 1832, S. 137; auch hierzu lag der agnatische Konsens vor, vgl. Seydel, Max von, Bayerisches Staatsrecht, Bd. 1, München 1884, S. 104. 77 Seydel, Max von, Bayerisches Staatsrecht, Bd. 2, München 1885, S. 376. Spies, Friedrich von, Beleuchtung der Verfassungs-Urkunde für das Königreich Bayern , 1. Teil, Erlangen 1842, S. 62ff. 78 Spies, Friedrich von, Beleuchtung der Verfassungs-Urkunde für das Königreich Bayern, 1842, S. 66; Zoepfl, Heinrich, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, Bd. 2, Leipzig 1863, S. 435f. Anm. 2 Ziff. 1; Seydel, Friedrich von, Bayerisches Staatsrecht, Bd. 2, München 1885, S. 376f. Seydel weist aber darauf hin, dass damit nicht das Königreich Bayern Eigentümer geworden ist, sondern seiner Meinung nach der König als Staatsorgan bzw. der königl. Fiskus, ders., a.a.O., S. 369f. 79 Beyerle, Konrad, Die Rechtsansprüche des Hauses Wittelsbach, München/Berlin/Leipzig 1922, S. 21ff.; Aretin, Cajetan von, Die Erbschaft des Königs Otto von Bayern, 2007, S. 286ff. 80 Beyerle, Konrad, Die Rechtsansprüche des Hauses Wittelsbach, München/Berlin/Leipzig 1922, S. 21ff. Der Monarch wird Privatier  

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Wittelsbach die Pertinenzregel offenkundig nicht anerkennen wollten. Das Haus übertrug „daher“ Eigentum nur „soweit ihm noch Eigentum“ zustand.81 Die Schlösser Neuschwanstein und Linderhof wurden ausdrücklich dem Staat zugewiesen, während Schloss Hohenschwangau in den Wittelsbacher Ausgleichsfonds einging.82 Als Stiftung des Landesrechts stellt der Wittelsbacher Ausgleichsfonds bis heute in gewisser Weise eine Perpetuierung des Hausfideikommisses dar. 3.3. Württemberg

Auch im Königreich Württemberg hatte sich schon zum Ende des 18. Jahrhunderts eine Trennung von Privat- und Staatsvermögen abgezeichnet. Das Hofdomänekammergut galt als Privateigentum des Hauses Württemberg, während das zur Bestreitung des Regierungsaufwandes bestimmte Kammergut ein öffentlich-rechtliches Gepräge erhielt.83 Die Verfassung von 1819 bestätigte diese Aufteilung und erklärte das Hofkammergut unter der Bezeichnung Kammergut ausdrücklich zu Staatsgut.84 Damit erfolgte in Württemberg schon einhundert Jahre vor der Revolution die Aufteilung des Domänenvermögens in Staats- und Privatgut. Die im Zuge der Revolution von 1918 vollzogene Vermögensauseinandersetzung brauchte hieran nur noch anzuknüpfen. Bemerkenswert ist, dass der maßgebliche Auseinandersetzungsvertrag noch vor dem formellen Thronverzicht des Königs zu Stande kam.85 König Wilhelm II. verzichtete darin auf die Nutznießung am Krongut, dem Grundvermögen der Zivilliste,86 während das Hofdomänekammergut unter der

81 Übereinkommen zwischen dem Bayerischen Staate und dem vormaligen Bayerischen Königshause vom 24. Januar 1923 (Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1922/1923, BeilagenBand XI., München 1923, S. 498). 82 Übereinkommen zwischen dem Bayerischen Staate und dem vormaligen Bayerischen Königshause vom 24. Januar 1923 (Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1922/1923, Beilagen-Band XI., München 1923, S. 498ff., 501). Vgl. auch die Internetseite http://www.neuschwanstein.de der Bayerischen Schlösserverwaltung und http://www.haus-bayern.com/hsg/ hsgnav1.htm des Wittelsbacher Ausgleichsfonds (Stand: 26.12.2008). 83 Locher, Eugen, Das württembergische Hofkammergut, Stuttgart 1925, S. 24. 84 Locher, Eugen, Das württembergische Hofkammergut, 1925, S. 28; in seiner Thronrede vom 5. März 1817 hatte König Wilhelm I. den neuen Verfassungsentwurf vorgestellt und dabei betont, „als Besitzer des engeren Familien-Fidei-Commisses für [sich] und [seine] Nachfolger in die Reihe der Privat-Güterbesitzer“ zu treten. Dies bestätigte dann § 103 der württ. Verf.Urk. von 1819, bei Pölitz, Karl Heinrich Ludwig, Die Europäischen Verfassungen seit dem Jahr 1789 bis auf die neueste Zeit, Die gesammten Verfassungen des teutschen Staatenbundes enthaltend, Bd. 1, Leipzig ²1832, S. 137 und S. 444. 85 Abkommen zwischen den Vertretern des Königs und dem württembergischen Staat vom 29.11.1918, HStA Stuttgart E 130b, BÜ 66, fol. 32. 86 Feuchte, Paul, BWVBl. 1956, S. 20ff., 21.

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Bezeichnung Hofkammergut87 als ausschließliches Privateigentum des Hauses Württemberg anerkannt wurde.88 Für das übrige Staatseigentum brauchten keine Regelungen getroffen zu werden, es blieb, was es schon vorher war – Eigentum des Staates. Anstelle der Zivilliste erhielt der Herzog von Württemberg auf Lebenszeit eine jährliche Rente von 200.000 Mark,89 außerdem das Nutzungs- und Wohnrecht auf Schloss Bebenhausen, wo er 1921 starb. Aus Verbitterung über die revolutionären Ereignisse betrat er den Boden der Landeshauptstadt nicht wieder und sorgte dafür, dass selbst sein Leichenzug an Stuttgart vorbeiführte.90 Die Regelung aus dem Jahr 1918 erwies sich als unvollständig, weshalb Nachverhandlungen stattfanden. Mit dem am 1. Juni 1927 geschlossenen Vertrag zwischen dem Volksstaat Württemberg und dem Haus Württemberg wurden noch offene Ausgleichsansprüche abgegolten.91 Insbesondere wurde neben der nur noch der Königinwitwe zustehenden Rente eine jährliche Rente für das Haus von nunmehr 123.500 Reichsmark festgesetzt. Außerdem erhielt das Haus Württemberg verschiedene Kunstgegenstände als Privateigentum. Im Gegenzug erkannte das Haus Württemberg an, dass dem Staat das freie Eigentum an sämtlichen beweglichen und unbeweglichen Gegenständen des vormaligen Kronguts verblieb.92 3.4. Baden

Mit dem Übergang der Staatsgewalt auf das badische Volk ging infolge der Pertinenz auch das Domänenvermögen auf das badische Volk über. Dem trug der zwischen dem ehemaligen Großherzog Friedrich II. (1857–1928) und dem badischen Staat geschlossene Vergleich93 Rechnung, der mit Gesetz vom 25. März 191994 vom Landtag bestätigt wurde. Auch wenn in den Plenarberatungen des Landtages und in der Beschlussempfehlung des Verfassungsausschusses rechtliche Unsicherheit zum Ausdruck kam, wurde doch deutlich, dass die Parlamentarier nicht einfach vom reinen Privateigentum des Hauses Baden ausgingen, sondern sich bei ihrer Entscheidung 87 Feuchte, Paul, BWVBl. 1956, S. 21. 88 Abkommen zwischen den Vertretern des Königs und dem württembergischen Staat vom 29.11.1918, HStA Stuttgart E 130b, BÜ 66 fol. 32; die vormalige Königin sollte als Witwe 100.000 Mark erhalten. 89 Abkommen zwischen den Vertretern des Königs und dem württembergischen Staat vom 29.11.1918, HStA Stuttgart E 130b, BÜ 66 fol. 32; nach seinem Ableben sollte die Königinwitwe eine Witwenrente erhalten. 90 Krins, Hubert, Könige und Königinnen von Württemberg, Lindberg 22006, S. 29. 91 Verhandlungen des Landtags des freien Volksstaates Württemberg 1924/1928, Beilagenband 5, S. 91ff., 93. 92 Hierzu auch Feuchte, Paul, BWVBl. 1956, S. 22. 93 Anlage zu dem vorgenannten Gesetz, Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1919, S. 180– 182. 94 Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1919, S. 179ff. Der Monarch wird Privatier  

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einer Gemengelage gegenübersahen.95 Dies kam im Auseinandersetzungsvertrag vor allem in der Formulierung zum Ausdruck „Dem Großherzog werden aus dem Domänenvermögen als Privateigentum zugeschieden.“96 Aus einer Vermögensmasse etwas zuscheiden kann nur, wer selbst Vermögensinhaber ist. Das Staatseigentum der Domänen war daher Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit dem Haus Baden. Neben verschiedenen Grundstücken und Schlössern nebst manchem Zubehör erhielten der Großherzog und sein Haus ein Kapital in Höhe von 8 Mio. Mark, aus dem etwaige Ansprüche an das Hausvermögen zu befriedigen waren.97 Der Status von Schloss Salem, dem heutigen Sitz des Hauses Baden, blieb unangetastet.98 Im Gegenzug wurde festgehalten, sämtliche Domänen seien fortan „freies und ausschließliches Staatseigentum“.99 Eine Formulierung, die keineswegs dazu verleiten sollte, hierin eine vertraglich vereinbarte Übertragung der Domänen auf den Staat zu sehen. Vielmehr sollte eine Ablösung der in § 59 der Verfassungsurkunde von 1818 vorbehaltenen Rechte an den Domänen erfolgen, mithin eine Beseitigung der auf den Domänen ruhenden Lasten. Mit dem Vergleich erübrigte sich auf pragmatische Weise der Streit darüber, welche Konsequenzen aus der Pertinenzregel zu ziehen waren.100 Die Rege95 Im Regierungsentwurf hatte es noch geheißen „Dem Großherzog werden als Privateigentum überwiesen“ (Verhandlungen des Badischen Landtages 1. Landtagsperiode, Beilage Nr. 21 zum Protokoll der 11. Sitzung vom 19. März 1919, S. 213), während der Verfassungsausschuss formulierte „Dem Großherzog werden aus dem Domänenvermögen als Privateigentum zugeschieden“ (Verhandlungen des Badischen Landtages 1. Landtagsperiode, Beilage Nr. 21a zum Protokoll der 14. Sitzung vom 25. März 1919, S. 221). Dabei ging der Verfassungsausschuss freilich von „einer besonderen Art von Miteigentum“ aus (Verhandlungen des Badischen Landtages 1. Landtagsperiode, Beilage Nr. 21b zum Protokoll der 14. Sitzung vom 25. März 1919, S. 227). Die Pertinenzqualität der Domänen und deren Folge betonten die Parlamentarier nicht, auch wenn der Wortlaut ihrer Formulierung keinen anderen Schluss zulässt, dass sie entgegen ihrer mündlichen Ausführungen fest davon ausgingen, dass die Domänen bereits Staatseigentum waren. 96 § 1 des Auseinandersetzungsvertrages, BGVBl. 1919, S. 180. 97 § 1 des Auseinandersetzungsvertrages, a.a.O. 98 Schloss Salem soll als Ausgleich für enteignetes linksrheinisches Eigentum des Hauses Baden gegeben worden sein, Verhandlungen des Badischen Landtages 1. Landtagsperiode, Beilage Nr. 21b zum Protokoll der 14. Sitzung vom 25. März 1919, S. 226. Jedoch wurde es als angeblich privatrechtliches Eigentum unter Verkennung der Reichweite des § 59 einschließlich der Pertinenzregel in den Verhandlungen nicht berücksichtigt. 99 § 7 des Auseinandersetzungsvertrages, a.a.O. 100 Nach der Begründung des Gesetzentwurfes sollte mit der Auseinandersetzung nicht das Eigentum an den einzelnen Domanialgütern geklärt, sondern eine gütlich-schiedliche Regelung im Wege eines Vergleichs gefunden werden, Amtliche Berichte über die Verhandlungen der verfassungg. bad. Nationalversammlung, 1919, Sp. 536. Auf einen anderen Aspekt hatte der Abgeordnete Dietz (SPD) im Landtag hingewiesen: Die in § 59 enthaltene Anerkennung des Patrimonialeigentums an den Domänen treffe bis dato für einen „ganz erheblichen Teil

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lungen des Auseinandersetzungsvertrages sind noch heute in Kraft. Das Eigentum des großherzoglichen Hauses fällt bei Aussterben des Mannesstammes dem Land BadenWürttemberg als Rechtsnachfolger des Landes Baden zu.101 Nach der vermeintlichen Klärung der Eigentumsverhältnisse im Auseinandersetzungsvertrag wurde das Staatseigentum an den Domänen verfassungsrechtlich in § 35 der badischen Verfassung von 1919102 gesichert. 1924 forderte das großherzogliche Haus eine inflationsbedingte Aufwertung der Abfindungssumme von 8 Mio. Mark um 75 Prozent. Nach einigen Diskussionen einigte man sich schließlich 1930 auf den Ankauf von 511 Kunstwerken, darunter auch die Markgrafentafel103 aus dem Großherzoglichen Kupferstichkabinett zu einem Kaufpreis von 4 Mio. RM. Im Gegenzug erkannte das großherzogliche Haus an, keine Aufwertungsansprüche zu besitzen.104 Im Herbst 2006 wurde der Öffentlichkeit bekannt, dass das Haus Baden noch immer zahlreiche Kulturgüter für sich beansprucht, weil es eine vermeintliche Lücke im Auseinandersetzungsvertrag sah. Es ging dabei neben Gemälden der Kunsthalle in Karlsruhe vor allem um Handschriften der Badischen Landesbibliothek und um Bestände des Badischen Landesmuseums, darunter die so genannte Türkenbeute.105 Nach langem Ringen einigten sich das Land Baden-Württemberg und das Haus Baden auf einen Vergleichsvertrag, der vom baden-württembergischen Landtag am 19. März 2009 gebilligt106 und am 6. April 2009 unterzeichnet und beurkundet worden ist. Über 90 Jahre nach der Revolution ist damit die Vermögensauseinandersetzung mit dem Haus Baden abgeschlossen.

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des Domänenvermögens“ auch zivilrechtlich zu. Mit der gütlichen Einigung wolle man langwierige und unsichere Zivilprozesse vermeiden, vgl. Verhandlungen des Bad. Landtages 1919, S. 46. Den Weg hierzu hatte der Regierung Rechtsanwalt Dr. Max Hachenburg in seinem Rechtsgutachten vom 17.XII.1918 gewiesen, GLA Karlsruhe, 233, Nr. 26655; ferner Ulrich, Gustav, Von den badischen Staatsdomänen, Karlsruhe 1929, S. 5f. § 2 des Auseinandersetzungsvertrages i.V.m Art. 94 Abs. 3 der Landesverfassung BadenWürttemberg. Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1919, S. 279 ff. Mertens, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 255 vom 2.11.2006, S. 39f. Schüren, Ulrich, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, 1978, S. 290 Anm. 38. Ehrle, Peter Michael, „Für Baden und Europa gerettet? Eine Zwischenbilanz des ‚Kulturgüterstreits‘ (20.09.2006–20.01.2007)“, in: Ders. / Ute Obhof, Die Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek, Gernsbach 2007, S. 81–127, hier: S. 81ff., 84f. Mitteilung des Finanzministeriums und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Ldtg.-Drucks. 14/4107 vom 03.03.2009; Plenarprotokolle des Landtags von BadenWürttemberg, 14/63 vom 19.03.2009, S. 4508. Der Monarch wird Privatier  

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3.5. Sachsen

In Sachsen waren bereits mit Erlass der Verfassungsurkunde von 1831 die Domänen zu Staatsgut erklärt worden.107 Davon zu trennen waren das königliche Hausfideikommiss als Eigentum des königlichen Hauses108 und das königliche Privateigentum.109 Nach dem Thronverzicht des sächsischen Königs Friedrich August III. (1865–1932) am 13. November 1918 beschlagnahmte die provisorische Regierung am 23. November 1918 das königliche Vermögen.110 In darauf folgenden Verhandlungen verzichtete der vormalige König auf die Rechte am Staatsgut unter Einschluss des Domänengutes. Zum Ausgleich erhielt der eigens dafür errichtete „Haus Wettin Albertinische Linie e.V.“ eine Reihe von Domänengrundstücken und Forstrevieren sowie eine Barabfindung in Höhe von 14 Mio. Mark. Das Hausfideikommissgut wurde zwischen Verein und Staat aufgeteilt. Diese Bestimmungen, bereits 1922 vereinbart, wurden schließlich nach erneuten Verhandlungen mit Gesetz vom 21. Juli 1924 rechtskräftig.111 Bei den jüngst bekannt gewordenenen Streitigkeiten zwischen dem Freistaat Sachsen und dem „Haus Wettin Albertinische Linie e.V.“ geht es ähnlich wie in SachsenWeimar-Eisenach und Sachsen-Meiningen um die Frage, wie die Ansprüche aus § 5 Abs. 1 des Ausgleichsleistungsgesetzes112 abgegolten werden können sowie darum, ob bestimmte Kunstgegenstände richtig inventarisiert worden sind.113 3.6. Zwei thüringische Staaten114 a) Sachsen-Weimar-Eisenach

Auch in Sachsen-Weimar-Eisenach wurde mit der Revolution eine Klärung der Eigentumsverhältnisse unausweichlich. Bereits kurze Zeit nach dem Machtwechsel fanden Verhandlungen zwischen Beauftragten des Großherzogs Wilhelm Ernst (1876–1923) und der provisorischen Regierung statt. Dabei ging es um den Versuch einer gütlichen Einigung über die Vermögensauseinandersetzung. Man wollte jahrzehntelange Gerichtsverfahren mit unklaren Erfolgsaussichten vermeiden.115 Doch konnte erst im Herbst des 107 § 17 der Verfassungsurkunde vom 4.IX.1831, bei Pölitz, Karl Heinrich Ludwig, Verfassungen, Bd. I, 1832, S. 220ff., 222. 108 § 20 der Verfassungsurkunde vom 4.IX.1831, ebd., S. 223 f. 109 § 21 der Verfassungsurkunde vom 4.IX.1831, ebd., S. 224. 110 Schüren, Ulrich, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, 1978, S. 286. 111 SächsGBl. 1924, S. 74ff. 112 BGBl. Teil I, 1994, 2631. 113 Dazu Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.01.2007, S. 38; vom 19.01.2007, S. 35, und vom 20.04.2007, S. 42. 114 Zu den übrigen Staaten des heutigen Thüringen siehe Hofmann, Ronald, Die Domänenfrage in Thüringen, Frankfurt/Main 2006, S. 130ff. 115 Verhandlungen der Gebietsvertretung von Weimar 1921–1923, Drucks., S. 18. Dass es andernorts in Thüringen dazu gekommen ist, legt Hofmann, Ronald, Die Domänenfrage in Thüringen, 2006, S. 240ff. dar.

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Jahres 1921 – Sachsen-Weimar-Eisenach bestand nur noch als Gebiet innerhalb des Landes Thüringen – die Gebietsvertretung den Auseinandersetzungsvertrag bestätigen.116 Danach erkannte das großherzogliche Haus das Kammergut einschließlich des Krongutes als Eigentum des Gebietes Weimar an und verzichtete rückwirkend zum 1. Januar 1919 auf die Zahlung der Domänenjahresrente.117 Die Wartburg wurde Eigentum einer eigens hierfür errichteten Stiftung des öffentlichen Rechts,118 das Residenzschloss Weimar ging in Staatseigentum über, das großherzogliche Haus erhielt ein eingeschränktes Nutzungsrecht daran.119 Der Fundus des Nationaltheaters in Weimar sollte gegen eine angemessene Abfindung dem Gebiet übertragen werden.120 Außerdem erhielt der Großherzog eine jährliche Rente von 300.000 Mark121 sowie eine Barabfindung in Höhe von etwa 2 Mio. Mark.122 Im Ergebnis erhielt das Gebiet Grundbesitz im Umfang von 52.093 ha, dem großherzoglichen Haus verblieben 4.696 ha Land. Zum 1. Oktober 1923 wurde die Jahresrente auf 100.000 RM aufgewertet.123 Mit diesem Rechtszustand hatte es vorerst sein Bewenden. Wegen der Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone meldete das Haus Sachsen-Weimar-Eisenach aufgrund § 5 Abs. 1 des Ausgleichsleistungsge­setzes124 Anfang der 1990er Jahre Rückübertragungsansprüche an. Diese betrafen weite Teile des Bestandes der Stiftung Weimarer Klassik sowie nahezu das gesamte Inventar der Wartburg. Im Sommer 2003 ka­men die Verhandlungen zwischen dem Haus Sachsen-Weimar-Eisenach und dem Freistaat Thüringen zum Abschluss. Das Fürstenhaus verzichtete im abgeschlossenen Vergleich auf sämtliche Restitutionsansprüche und erhielt im Gegenzug eine Kompensationsleistung in Höhe von 15,5 Mio. Euro sowie verschiedene eher symbolisch zu verstehende Anerkennungsleis­tungen.125 b) Sachsen-Meiningen

Am 10. November 1918 dankte Herzog Bernhard III. (1851–1928) ab.126 Bereits wenig später erklärte der vormalige Herzog von Sachsen-Meiningen, er sei bereit, „zu 116 Verhandlungen der Gebietsvertretung von Weimar 1921–1923, S. 142. 117 § 1 des Auseinandersetzungsvertrages, Verhandlungen der Gebietsvertretung Weimar 1921–1923, Drucks., S. 22 118 § 13 des Auseinandersetzungsvertrages. 119 § 15 des Auseinandersetzungsvertrages. 120 §§ 5 lit. a), 19 Ziff. 1 des Auseinandersetzungsvertrages. 121 § 17 des Auseinandersetzungsvertrages. 122 § 19 des Auseinandersetzungsvertrages. 123 Schüren, Ulrich, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, 1978, S. 295. 124 BGBl. Teil I, 1994, S. 2631. 125 Landtagsvorlage des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Freistaates Thüringen, Anlage zu Ldtg.-Drucks. 3/3387 vom 13.06.2003. 126 Moczarski, Norbert (Hg.), Archiv und Regionalgeschichte. 75 Jahre Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Hildburghausen 1998, S. 81. Der Monarch wird Privatier  

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Gunsten des Staates auf die Rechte an dem Domänenvermögen“ zu verzichten. Dies setze aber voraus, dass bestimmte Gebäude und Grundstücke ausgegliedert würden und ein Kapital in Höhe von mindestens 1,9 Mio. Mark127 überlassen bleibe.128 Analog zu Artikel 17 des Domänengesetzes von 1871 sollte der neue Freistaat die Gehälter und Pensionen der Hofbeamten und sonstigen Bediensteten übernehmen.129 Die hierauf begonnenen Verhandlungen kamen schon im Dezember 1918 zu einem Ergebnis. Der am 30. Dezember 1918 unterzeichnete und notariell beurkundete Vertrag130 sah einen vollständigen Verzicht des herzoglichen Hauses auf alle Vermögensrechte am Domänenvermögen vor.131 Der meiningische Staatsfiskus sollte hierauf, in Ausübung seines Rechts nach § 928 BGB,132 beantragen können, das Domänenvermögen (45.211 ha Domänenwald133 und 931.681 ha anderer Domänenliegenschaften134) im Grundbuch einzutragen. Darüber, dass die Domänen aufgrund des revolutionären Übergangs der Landeshoheit bereits dem Staat gehören könnten, machte man sich entweder keine Gedanken oder man suchte einfach eine pragmatische Lösung, um langwierigen Verhandlungen aus dem Weg zu gehen. Zugleich verzichtete das herzogliche Spezialhaus auf die Bezüge aus dem Domänenvermögen sowie auf die Domänenjahresrente.135 Neben dem Domänenvermögen wurde auch originäres Privatvermögen des Spezialhauses dem Freistaat übertragen.136 Als Gegenleistung erhielt das Haus Sachsen-Meiningen einen Betrag von 11 Mio. Mark, welcher nicht freies Vermögen des Chefs des Spezialhauses sein sollte.137 Solange für die Aufgabe des Domänenvermögens kein vollständiger agnatischer Konsens nachgewiesen war, konnte der Staatsfiskus den Betrag als Rente in Höhe von 4,5 Prozent der zu zahlenden Geldsumme auszahlen.138 Auch für den Fall, dass der Freistaat Meiningen zu einer soforti-

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ThStA Meiningen, HSM Landtag Nr. 1342, Bl. 140. ThStA Meiningen, GA Meiningen, Urkunden B 2 Nr. 315, Bl. 1. ThStA Meiningen, GA Meiningen, Urkunden B 2 Nr. 315, Bl. 1. Vertrag zwischen dem Staatsfiskus des Staates Sachsen-Meiningen und dem herzoglichen Spezialhaus (Auseinandersetzungsvertrag), ThStA Meiningen, GA Meiningen, Urkunden B 2 Nr. 315, Bl. 3ff. § 1 Abs. 1 des Auseinandersetzungsvertrages, a.a.O. § 1 Abs. 2 des Auseinandersetzungsvertrages, a.a.O. Moczarski, Archiv und Regionalgeschichte, S. 81ff., 86. Ebd. § 4 des Auseinandersetzungsvertrages, a.a.O. §§ 28 ff. des Auseinandersetzungsvertrages, a.a.O. § 35 des Auseinandersetzungsvertrages, a.a.O; diese Summe wurde nach der Inflation auf 8,25 Mio. Goldmark festgelegt, vgl. Schüren, Ulrich, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, 1978, S. 295. § 37 des Auseinandersetzungsvertrages, a.a.O.

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gen Zahlung des gesamten Geldbetrages nicht in der Lage sein sollte, konnte er von der Möglichkeit einer Rentenzahlung Gebrauch machen.139 Der genaue Inhalt dieses Vertrages wurde vertraulich behandelt140 und dem Landtag nur in groben Zügen vorgestellt.141 In seiner letzten Sitzung beschloss der schon seit 1909 amtierende Landtag einstimmig und ohne eine Mitteilung des genauen Wortlauts zu fordern den Vertrag und das ihn begleitende Domänengesetz.142 Die vom Vertrag ebenfalls betroffenen umfangreichen Kulturgüter Meiningens wurden 1919 in eine Stiftung eingebracht, welche dafür Sorge tragen sollte, dass die bestehenden Kulturstätten auch nach dem Aufgehen Sachsen-Meiningens im neuen Freistaat Thüringen weitergeführt werden konnten.143 Nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 machte das Haus Sachsen-Meiningen die ihm nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz zustehenden Ansprüche wegen der Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 geltend. Unbewegliches Vermögen konnte danach freilich nicht zurückgegeben werden. Nach längeren Verhandlungen einigte man sich darauf, dass die sich in Meiningen befindlichen, umfangreichen Sammlungen der Kulturstiftung Meiningen erhalten bleiben sollten. Im Gegenzug wurden einige wenige Gegenstände den Mitgliedern des Hauses zurückgegeben.144

Schlussfolgerung Die Revolution von 1918 hat die Monarchen entstaatlicht sowie ihre privatrechtlichen Beziehungen und ihre Rolle als Grundeigentümer nachhaltig verändert. Auch wenn faktisch die hausgesetzlichen Regelungen aufrechterhalten werden konnten, mussten sie doch in die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Formen gegossen werden. Die Domänen gingen, sofern sie nicht schon zuvor Staatseigentum gewesen waren, in staatliches Eigentum über, was ihre Pertinenzqualität unter Beweis stellte. Der Monarch wurde tatsächlich Privatier, er behielt seine Stellung als Chef des Hauses und erhielt als „pensionierter“ Monarch vielfach eine staatliche Rente. Den Erben der letzten deutschen Monarchen ist es nicht verboten, öffentliche Ämter zu bekleiden, geboten ist es ihnen aber auch nicht. Sie sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts Privatleute und Bürger.145 139 140 141 142 143 144

§ 38 des Auseinandersetzungsvertrages, a.a.O. Schüren, Ulrich, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, 1978, S. 295. Verhandlungen des Landtages Sachsen-Meiningen 1918, Abt. 1, S. 243ff. Ebd., S. 246, 248. Moczarski, Archiv und Regionalgeschichte, S. 81ff., 116. So der thüringische Kultusminister Goebel am 9. September 2004 vor dem Landtag, Verhandlungsniederschrift des Thüringer Landtags, 4. Wahlperiode, 2. Sitzung, S. 126. 145 BVerfG, FamRZ 2004, S. 765ff. Der Monarch wird Privatier  

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Die Abdankung Oliver Cromwells in James Harringtons „The Commonwealth of Oceana“ Konstruktion eines kontrollierten Verfassungswechsels im England des Interregnums

Sebastian Meurer James Harrington (1611–1677) gilt als der bedeutendste republikanische Theoretiker des englischen Interregnums und als wichtiger Mittler zwischen Machiavelli und dem englisch-amerikanischen Republikanismus des 18. Jahrhunderts.1 In seinem Hauptwerk „The Commonwealth of Oceana“2 entwickelt Harrington nicht nur eine vollständige und detaillierte republikanische Verfassung für England, sondern auch eine Anleitung, wie diese einzuführen sei.3 In Form einer Fiktion berichtet er, wie Oliver Cromwell die neue Verfassung begründet und durch seine Abdankung in Kraft setzt. Diese fiktive Abdankung4 steht im Zentrum der folgenden Überlegungen. 1

2 3

4

Vgl. besonders Pocock, John Greville Agard, The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton / London 1975; für eine Kritik an Pococks Thesen vgl. Davis, J. C., „Pocock’s Harrington. Grace, Nature and Art in the Classical Republicanism of James Harrington“, in: The Historical Journal, 24 / 1981, 3, S. 683–697. Harrington, James, „The Commonwealth of Oceana“, in: The Political Works of James Harrington, John Greville Agard Pocock (Hrsg.), Cambridge u.a. 1977, S. 155–360. Für einen hilfreichen systematischen Zugriff auf die eigentliche Staatskonzeption Harringtons siehe Riklin, Alois, Die Republik von James Harrington 1656 (Kleine politische Schriften, Bd. 6), Bern / Wien 1999. Riklin hat jüngst etwas anachronistisch gezeigt, dass sich Harringtons Verfassung problemlos in einen modernen Verfassungstext bringen lässt. Siehe ders., Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung, Darmstadt 2006, S. 225–256. Der englische Begriff „Abdication“ war im 17. Jahrhunderts nicht sehr präsent. Wörterbücher führten „abdicate“, meist als Synonyme zu „renounce“, „refuse“, „forsake“, „put away“ und oder „reject“. Noch am ausführlichsten ist John Bullokars „English Expositor“: „To refuse or forsake. In the civil Law Abdicate, is to disinherit: Adication (sic!), contrary to Adoption.“ Neben der Bedeutungsgruppe „Verzichten“, „Ablehnen“, „Lossagen“ gab es demnach noch diejenige, die sich auf das Römische Recht bezog und „abdicate“ die Bedeutung „Enterben“ zuwies; es wurde dann transitiv verwendet und ging direkt auf das lateinische „abdicare filium“ zurück. Im Common Law kam „abdicate“ keine rechtserhebliche Bedeutung zu, bis im Zuge der Revolution von 1688 / 89 eine implizite Abdankung Jakobs II. behauptet wurde, um das Odium einer Absetzung zu vermeiden. Vgl. den Beitrag von Hans Hattenhauer im vorliegenden Band; Cromwells Abdankung in James Harringtons „The Commonwealth of Oceana“  

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Die politische Theorie James Harringtons entstand aus der Auseinandersetzung mit der bereits Jahrzehnte andauernden politischen Unsicherheit in England. Schon während der Regierungszeit Jakobs I. (1603–1625) war eine parlamentarische Opposition entstanden, welche darauf abzielte, die königlichen Prärogativrechte einzuschränken. In Verbindung mit den religiösen Spannungen zwischen der anglikanischen Staatskirche und der puritanischen Reformbewegung eskalierte dieser Verfassungskonflikt während der Regierung Karls I. (1625–1649) schließlich 1642 zum Bürgerkrieg, der bis 1648 andauerte. In einem Staatsstreich ließen Teile der Armee um den erfolgreichen Offizier Oliver Cromwell nach dem Ende der Kämpfe den größten Teil der Parlamentsmitglieder verhaften. Übrig blieb nur ein „Rumpfparlament“ von etwa 80 Mitgliedern, welches nun den in Gefangenschaft befindlichen König wegen Tyrannei anklagte und hinrichten ließ – ein radikaler Bruch mit der hergebrachten Ordnung, der in ganz Europa Empörung und Verunsicherung auslöste. Im darauffolgenden Mai verkündete das Rumpfparlament die Gründung der englischen Republik. Sie sollte von einem Staatsrat regiert werden, in dem Oliver Cromwell eine beherrschende Stellung zukam. Oberhaus und Königtum wurden abgeschafft. Auch das Rumpfparlament wurde vier Jahre später aufgelöst und durch das gänzlich von der Armee abhängige so genannte „Parlament der Heiligen“ ersetzt, das 1653 Oliver Cromwell zum allein herrschenden „Lordprotektor“ ernannte, dem das Parlament selbst nur noch in untergeordneter Funktion zur Seite stand. Selbst dieses schwache Parlament löste Cromwell aber zwei Jahre später auf und regierte fortan als Militärdiktator, bis er 1658 starb.5 Während dieser Zeit der Militärdiktatur, erschien 1656 Harringtons „The Commonwealth of Oceana“. Das Buch ist von der Erfahrung der politischen Unsicherheit und des Bürgerkriegs der vorangegangenen Jahrzehnte geprägt. Mit Blick auf den Kontinent, den der Dreißigjährige Krieg verheert hatte, begriff Harrington die englische Situation allerdings als Teil einer universellen historischen Krise:

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für England Slaughter, Thomas P., „‚Abdicate‘ and ‚Contract‘ in the Glorious Revolution“, in: The Historical Journal, 24 / 1981, 2, S. 324–329. Zu den Debatten um die „Abdankung“ Jakobs II. siehe Schwoerer, Lois G., The Declaration of Rights, 1689, Baltimore / London 1981. Bei den zitierten Wörterbüchern handelt es sich um Cawdry, Robert, Table Alphabeticall, or the English expositor …, London 41617; Cockeram, Henry, The English Dictionarie or, an Interpreter of hard English Words …, London 1623; Blount, Thomas, Glossographia or a Dictionary Interpretating all such Hard Words …, London 1656, und Bullokar, John, An English Expositor. Teaching The Interpretation of the hardest words used in our Language … Newly Revised, Corrected, and with the addition of above a thousand words enlarged, London 1656. Vgl. etwa Haan, Heiner / Niedhart, Gottfried, Geschichte Englands, Bd. 2, Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, München ²2002, S. 167–188; Schröder, Hans-Christoph, Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, Frankfurt 1986.

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For what is become of the princes (a kind of people) in Germany? Blown up. Where are the estates, or the power of the people, in France? Blown up. Where is that of the people in Aragon, and the rest of the Spanish Kingdoms? Blown up. Where is that of the Austrian princes in Switz? Blown up. This perpetual peevishness and jealousy, under the alternate empire of the prince and of the people, is obnoxious unto every spark. Nor shall any man show a reason that will be holding in prudence why the people of Oceana [gemeint ist England] have blown up their king, but that their kings did not first blow up them. The rest is discourse for ladies.6

Harrington war überzeugt davon, die Ursachen dieser universellen Krise aus der Geschichte herleiten zu können.7 In der Art der historia magistra vitae ging er von der Stetigkeit der menschlichen Natur aus und setzte die Anwendbarkeit historischer Erkenntnis auf die Gegenwart voraus. Allerdings waren es nicht in erster Linie moralische Lehren, die er in der Geschichte suchte, sondern politische. Besonders die Antike lieferte ihm Exempla, die, richtig gewählt, nicht nur lehrreich, sondern direkt handlungsleitend sein sollten.8 Vor allem glaubte Harrington, aus der Analyse der Geschichte diejenigen Prinzipien abgeleitet zu haben, die mit der Notwendigkeit von Naturgesetzen das Werden und Vergehen von Staaten bestimmten und damit die gegenwärtige Krise erklären konnten.9 Anhand seiner Kenntnis dieser Gesetzmäßigkei-

6 7

8

9

Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 264. Der umfangreiche erste Teil der Oceana – „The Preliminaries, showing the Principles of Government“ – besteht aus einer historischen Herleitung seiner politischen Prinzipien, die in eine Analyse der Krise mündet. Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 161–207. Zum Exemplum vgl. Daxelmüller, Christoph, „Narratio, Illustratio, Argumentatio. Exemplum und Bildungstechnik in der frühen Neuzeit“, in: Walter Haug / Burghart Wachinger (Hrsg.), Exempel und Exempelsammlungen (Fortuna vitrea, Bd. 2), Tübingen 1991, S. 77–94; Gelley, Alexander, „Introduction“, in: Ders. (Hrsg.), Unruly Examples. On the Rhetoric of Exemplarity, Stanford 1995, S.1–24. Reinhart Koselleck spricht in diesem Zusammenhang (über Machiavelli) von einer neuen Einheit von exemplarischem und empirischem Denken. Vgl. Koselleck, Reinhart, „Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte“, in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt 1989, S.  42. Diese Einheit ist zentral für Harringtons Politikverständnis: „No man can be a politician, except he be first a historian or a traveller; for except he can see what must be, or what may be, he is no politician. Now if he has no knowledge in story, he cannot tell what hath been; and if he hath not been a traveller, he cannot tell what is; but he that neither knoweth what hath been, nor what is, can never tell what must be or what may be.“ Harrington, Oceana, 1977, S. 310. Zur Verwendung des Exempels bei Machiavelli vgl. auch Lyons, John D., Exemplum. The Rhetoric of Example in Early Modern France and Italy, Princeton 1989, S. 35–71. Cromwells Abdankung in James Harringtons „The Commonwealth of Oceana“  

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ten meinte er, eine ideale Republik entwerfen zu können, welche die Stabilität wiederherstellen und dem stets drohenden Verfassungszerfall unbegrenzt trotzen würde.10 Harrington zufolge reichte es dazu aber nicht aus, „perfekte“ Gesetze zu entwickeln. Vielmehr musste auch der Gründungsakt der Republik, also die Überführung Englands von der bisherigen in die neue Verfassung, minutiös geplant und durchgeführt werden.11 Bei der Darstellung dieses Gründungsaktes wandte Harrington ein rhetorisches Mittel an, das in einem politiktheoretischen Traktat zunächst verwirrend ist: Er legte die Prinzipien und Gesetze der Republik dar, indem er ihr Zustandekommen innerhalb eines fiktiven Verfassungsgebungsprozesses beschrieb. In „The Commonwealth of Oceana“ bezeichnete Harrington viele Personen, Länder und Orte mit Kunstnamen, die indes zumeist leicht aufzulösen waren. So stand „Oceana“ für England, „Emporium“ für London und Thomas Hobbes erschien als „Leviathan“. Im Zentrum der Gründungsvorstellung Harringtons steht die freiwillige Abdankung des bisherigen Herrschers, einer Gründergestalt, in der sich unschwer Oliver Cromwell erkennen lässt. Ihr gab er einen Namen, mit dem ein weit reichender Anspruch verbunden war: Olphaus Megaletor, „großherziger Spender des Lichts“.12 Die Beschreibung des Gründungsvorganges beginnt mit einer politischen Analyse der Situation Englands nach dem Bürgerkrieg. Als zentrale politische Institution beschrieb Harrington eine einzelne parlamentarische Kammer.13 Diese sah er nicht als legitime Nachfolgerin des englischen Parlamentes an, sondern verglich sie mit 10 Vgl. Worden, Blair, „English Republicanism“, in: J. H. Burns (Hrsg.), The Cambridge History of Political Thought 1450–1700, Cambridge 1991, S. 450–452; Zagorin, Perez, A History of Political Thought in the English Revolution, London ²1965, S. 134–137. Das wichtigste von Harrington postulierte Prinzip ist der Zusammenhang zwischen politischer und ökonomischer Macht, wobei er letztere in erster Linie im Landbesitz verortete. Nur wenn die Verteilung der beiden im Gleichgewicht ist, kann ein Staat Harrington zufolge stabil sein. Vgl. Riklin, Alois, Republik, 1999, S. 97–104. 11 Sabine Etzold hat Harringtons Gründungsvorstellung in ihrer Dissertation bearbeitet, welche eine wichtige Grundlage für die folgenden Überlegungen bildet: Etzold, Sabine, „A commonwealth made at once“. Der Gedanke der Gründung in James Harringtons „Oceana“, (Diss.) Köln 1987. 12 Diese Namensgebung ist verschiedentlich als „nahezu satirisch“ (Ottmann) oder „euphemistisch“ (Klenner / Szudra) bezeichnet worden. Immerhin wird Olphaus im Gegensatz zu seinem realweltlichen Pendant dem mit dem Namen verbundenen Anspruch durch die Gründung der Republik durchaus gerecht. Olphaus erscheint als ein idealisierter, aber auch als ein zukünftig möglicher Oliver Cromwell. Vgl. Ottmann, Henning, Geschichte, S. 330, von dem auch der hier wiedergegebene Wortlaut der Namensübersetzung stammt; vgl. weiter Harrington, James, Oceana 1656, hrsg. von Hermann Klenner und Klaus Udo Szudra, Leipzig 1991, S. 423. Vgl. auch Etzold, Sabine, Gründung, 1987, S. 22–24, und unten, S. 187. 13 Die Entwicklung vom Rumpfparlament zum „Parlament der Heiligen“ vollzieht Harrington nicht nach.

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der athenischen Oligarchie und den ebenfalls oligarchischen Dezemvirn in Rom: „A council without a balance is not a commonwealth but an oligarchy; and every oligarchy […] is factious.“14 Da die Spaltung des Volkes in Parteiungen nur zu leicht einen erneuten Bürgerkrieg zur Folge haben konnte, sah Harrington England-Oceana hier an einem kritischen Punkt. Die prekäre Situation am Rande des Bürgerkriegs machte in seinen Augen die Neuerrichtung eines geordneten Staatswesens notwendig. Im Anschluss an die politische Analyse Englands geht die Darstellung in die fiktive Darlegung der Gründung der Republik durch den General Olphaus Megaletor über. Bei der Lektüre von Machiavellis Discorsi lässt Harrington seine idealisierte Entsprechung Oliver Cromwells auf den entscheidenden Hinweis stoßen: Thrice happy is that people which chances to have a man able to give them such a government at once, as without alteration may secure them of their liberties; seeing it is certain that Lacedaemon, in observing the laws of Lycurgus, continued about eight hundred years without any dangerous tumult or corruption.15

In diesem Machiavelli-Zitat sind schon verschiedene Punkte angesprochen, die Harrington bei der Gründung für wesentlich hielt: Wenn eine Regierung von Dauer sein sollte, musste die gesamte Gesetzgebung in einem Akt realisiert werden. Die Gesetze mussten von Anfang an „perfekt“ sein und später in ihrem Kern unverändert bleiben. Einen derartigen Gesetzgebungsakt konnte in Harringtons Verständnis nur eine Einzelperson in einer dazu geeigneten Situation realisieren. Eine solche seltene Gelegenheit zum effektvollen Eingreifen, eine occasione im Sinne Machiavellis, sah Harrington für Oliver Cromwell gegeben. Und dessen idealisierte Entsprechung Olphaus Megaletor ließ er diese occasione von vornherein erkennen und die Gelegenheit ergreifen.16 In der Ausnahmesituation des drohenden Bürgerkriegs und ausschließlich zum Zweck der Gründung des neuen Staatswesens hielt es Harrington für unumgänglich, dass Olphaus Megaletor die Alleinherrschaft anstrebt: A wise legislator, and one whose mind is firmly set not upon private but the public interest, not upon his posterity but upon his country, may justly endeavor to get the sovereign power into his own hands, nor shall any man that is master of reason blame such

14 Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 205f. 15 Ebd., S. 206; vgl. Machiavelli, Niccolò, Discorsi. Staat und Politik, hrsg. von Horst Günther, Frankfurt 2000, I, 2, S. 19–25; I, 9, S. 45–47. 16 Vgl. Etzold, Sabine, Gründung, 1987, S. 17; Machiavelli, Niccolò, Il Principe. Der Fürst, hrsg. von Philipp Rippel, Stuttgart 1997, VI, S. 40–47. Zur Funktion von Lykurg und Sparta in Harringtons Gründungskonzeption siehe unten, S. 181f. Cromwells Abdankung in James Harringtons „The Commonwealth of Oceana“  

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extraordinary means as in that case shall be necessary, the end proving no other than the constitution of a well-ordered commonwealth.17

Die von Harrington angestrebte „perfekte“ Gründung war ohne die zeitweilige Konzentration der Gewalt in den Händen eines Einzelnen nicht zu realisieren. Sie ist die Chance und Schwäche seiner Gründungskonzeption zugleich. Ist der Schritt zur Machtkonzentration einmal getan, hängt es allein von der Tugend des Gesetzgebers ab, ob die Gründung abgeschlossen wird und die Gesetze künftig eine Abhängigkeit von der Tugend einzelner verhindern können.18 In einer Rede überzeugt Olphaus Megaletor die Armee von seinem Gründungsvorhaben, woraufhin das Parlament abgeschafft und er selbst durch „universal suffrage of the army“ zum „Lord Archon, or sole legislator of Oceana“19 ernannt wird. Dem so gekürten Archon werden 50 ausgewählte Personen zur Seite gestellt, die unter seinem Vorsitz das council of legislators bilden, eine Art Verfassungsrat. Seine Aufgabe ist es, auf Grundlage antiker Staatsweisheit die Gesetze der Republik zu entwickeln und zu diskutieren.20 Das anschließende Inkrafttreten der Verfassung schilderte Harrington in eher knapper Form: The time of promulgation being expired the surveyors were sent down […], the orators followed, under the administration of which officers the commonwealth was ratified and established by the whole body of the people, curiatis, centuriatis and tributis comitiis. And the orators, […] having at their return assisted the Archon in putting the senate and the people or prerogative into motion, they abdicated the magistracy both of orators and legislators.21

Die Aufgabe des Verfassungsrates ist damit erfüllt und seine Mitglieder treten zu­rück – eine Handlung, die Harrington als „Abdankung“ fasste. Offenbar erwartete er keine größeren Schwierigkeiten bei der Ratifizierung der Gesetze durch „das ganze Volk“ oder der erstmaligen Wahl der Gremien. Die entscheidende Hürde bei 17 Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 207. 18 In Harringtons Verfassungskonzeption sind unter anderem ein komplexes Wahlsystem, ein Zweikammernparlament mit einer Form von Gewaltenteilung und das Prinzip der Ämterrotation als Kontrollelemente vorgesehen. 19 Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 207. 20 Ebd. Als Darstellungsform erlaubte es diese „Debatte“ Harrington, mögliche Vorbehalte gegen seine Ideen zu thematisieren und zugleich zu beantworten. Diese fiktive Gesetzesgenese und somit Harringtons Staatsentwurf mit insgesamt 30 Gesetzen machen den Hauptteil des Buches aus. 21 Ebd., S. 339f.

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der Gründung der Republik folgte für Harrington vielmehr erst im Anschluss daran: Dreh- und Angelpunkt der Gründung ist die Abdankung des Archons. Die Beschreibung seiner Abdankung ist eingerahmt in die Wiedergabe zweier antiker Gesetzgeberlegenden,22 die Harrington von Plutarch übernahm. Diese Erzählungen fokussierte er auf den freiwilligen Machtverzicht der jeweiligen Gesetzgeber. Sie dienen ihm als historische Exempla für die Funktion, Probleme und Folgen der Abdankung für die Gesetzgebung. Das Kapitel beginnt mit der Geschichte Lykurgs, des legendären Gesetzgebers von Sparta:23 Als Lykurg seine Gesetze für gut befunden hatte, wollte er ihnen ewige Geltung verschaffen. Er versammelte das Volk und verkündete, dass alle Gesetze nun auf das Beste eingerichtet seien. Zur letzten Bestätigung werde er zum Orakel des Apollo in Delphi reisen. Bevor er aufbrach, nahm er dem ganzen Volk, ebenso den Königen und Senatoren, den Eid ab, sich strikt an die Gesetze zu halten und nichts an ihnen zu ändern, bis er zurückkomme. Als das Orakel ihm die Güte der Gesetze bestätigte, sandte Lykurg den Orakelspruch nach Sparta. Er selbst kehrte aber niemals nach Sparta zurück, sondern wählte den Hungertod, um die Spartaner auf diese Weise auf ewig an ihren Eid zu binden. Dies gelang, die Spartaner hielten sich an ihre Eide, so dass Sparta über Jahrhunderte Bestand hatte.24 Die Gesetzgeberlegende Lykurgs wandte Harrington nun auf den Archon an: Beide entließen durch ihre Abdankung die von ihnen geschaffenen neuen Verfassungen in die Eigenständigkeit, wobei die Entlassung erst dann erfolgen konnte, wenn der Gründer zu der Einschätzung gelangt war, dass die Gesetze nun „perfekt“ sind und ihre Befolgung gewährleistet ist. Ähnlich wie Lykurg habe der Archon Olphaus Megaletor mit Zufriedenheit auf sein Werk geschaut: My Lord Archon, when he beheld not only the rapture of motion, but of joy and harmony, into which his spheres without any manner of obstruction or interfering, but as it had been naturally, were cast, conceived not less of exultation in his spirit [as Lycurgus], 22 Zu Struktur und Logik von Gesetzgeberlegenden siehe Szegedy-Maszak, Andrew, „Legends of the Greek Lawgivers“, in: Greek, Roman and Byzantine Studies, 19 / 1978, 3, S. 199–209. Ein Zusammenhang mit christlichen Heiligenlegenden soll mit der Verwendung des Begriffs „Legende“ nicht hergestellt werden. 23 Lykurg lässt sich historisch nicht belegen. Als Gesetzgeber der spartanischen „Großen Rhetra“, der ältesten schriftlich fassbaren Verfassung Europas, diente er aber seit der Antike als prominentes Beispiel eines Verfassungsstifters, das etwa auch Rousseau aufnehmen sollte. Vgl. Ottmann, Henning, Geschichte des politischen Denkens. Von den Anfängen bei den Griechen bis auf unsere Zeit, Die Griechen. Von Homer bis Sokrates, Bd. 1,1, Stuttgart / Weimar 2001, S. 80–85; Bringmann, Klaus, „Lykurg“, in: Kai Brodersen (Hrsg.), Große Gestalten der Griechischen Antike. 58 historische Portraits von Homer bis Kleopatra, München 1999, S. 72–78. 24 Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 341f. Vgl. Plutarch, Grosse Griechen und Römer, Bd. 1, hrsg. von Konrad Ziegler, Zürich / Stuttgart 1954, S. 162f. Cromwells Abdankung in James Harringtons „The Commonwealth of Oceana“  

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but saw no more necessity or reason why he should administer an oath unto the senate and the people that they would observe his institutions, than unto a man in perfect health and felicity of constitution that he would not kill himself.25

Die letzte Bestätigung der Perfektion der Gesetze hatte sich Lykurg durch das delphische Orakel verschafft. Der Archon hingegen erkennt die Güte seiner Gesetze in deren Übereinstimmung mit den Naturgesetzen. Wie in einem Planetarium greifen die einzelnen Bestandteile der Verfassung nun harmonisch ineinander.26 Anders als Lykurg brauchte Olphaus Megaletor keinen „Trick“, um die Gesetzestreue der Bürger zu erreichen: Harrington verglich die Bürger mit einem gesunden und glücklichen Menschen, für den (der mit dem christlichen Glauben ohnehin nicht zu vereinbarende) Selbstmord absurd wäre. Damit legte er nahe, dass es den Bürgern der neuen Republik, die schließlich von idealen Gesetzen beherrscht werden sollten, ebenso wenig in den Sinn kommen könnte, diese Gesetze zu brechen.27 Zwar war somit der körperliche Selbstmord des Gesetzgebers unnötig. Die Abdankung des Archons blieb hingegen, gleichsam als „politischer Freitod“, notwendig: Nevertheless whereas Christianity, though it forbid violent hands, consisteth no less in self-denial than any other religion, he resolved that all carnal concupiscence should die in the place, to which end, that no manner of food might be left unto ambition, he en25 Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 342. 26 Die Einrichtung der Verfassung stellt in Harringtons Verständnis eine Art mikrokosmische politische Architektur dar, die den wohlgeordneten göttlichen Kosmos imitiert. Im Zuge der Wiedergabe der Lykurg-Legende formulierte Harrington: „When he [Lycurgus] saw that his government had taken root and was in the very plantation strong enough to stand by itself, he conceived such a delight within him, as God is described by Plato to have done, when he had finished the creation of the world, and saw his own orbs move below him. For in the art of man, being the imitation of nature which is the art of God, there is nothing so like the first call of beautiful order out of chaos and confusion as the architecture of a well-ordered commonwealth.“, Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 341. Ausdrückliche Maschinenbilder verwendet Harrington nicht, auch wenn seine Beschreibungen solche Assoziationen bei Zeitgenossen bereits geweckt haben dürften. Gegen Ende des Jahrhunderts waren maschinistische Politikvorstellungen dann bereits weit verbreitet. Vgl. dazu Wooton, David, „Liberty, Metaphor, and Mechanism. ‚Checks and Balances‘ and the Origins of Modern Constitutionalism“, in: David Womersley (Hrsg.), Liberty and the American experience in the eighteenth century, Indianapolis 2006, S. 215–220, 225–227. Vgl weiter Diamond, Craig, „Natural Philosophy in Harrington’s Political Thought“, in: Journal of the History of Philosophy, 16 / 1978, 4, S. 387–398. 27 Dies gilt allerdings erst dann ohne Einschränkung, wenn die Verfassung vollständig eingerichtet ist. Harrington erwartete eine Übergangszeit, in der sich die Republik vor inneren Feinden und Parteikämpfen schützen muss. Siehe dazu unten, S. 184f.

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tered into the senate with an unanimous applause and, having spoken of his government as Lycurgus did when he assembled the people, abdicated the magistracy of Archon.28

Die bedingungslose Niederlegung seiner absoluten Machtfülle erscheint hier als persönliche Bewährungsprobe für den Archon, der sich vor der Versuchung des Machterhalts bewähren muss. Er kann nur Kraft seiner Tugend abdanken, da er als alleiniger Träger der Souveränität formal niemandem verantwortlich ist. Die Abdankung vollzieht sich als öffentlicher Akt. Der Archon tritt vor den Senat und erklärt seinen Rücktritt. Die Abdankung erscheint indes nicht als geplantes Zeremoniell.29 Die Senatoren reagieren vielmehr bestürzt und verunsichert und versuchen sogar, den Archon aufzuhalten: The senate, as stricken with astonishment, continued silent, men upon so sudden an accident being altogether unprovided of what to say; till, the Archon withdrawing and being almost at the door, divers of the knights flew from their places, offering as it were to lay violent hands on him; while he escaping left the senate with the tears in their eyes of children that had lost their father, and to rid himself of all farther importunity, retired unto a country house of his, being remote and very private, in so much that no man could tell for some time what was become of him.30

Mit der Abdankung ist die Gründung schließlich vollzogen. Die junge Republik hat – wie Harrington anhand der Reaktionen der Senatoren darstellt – ihren Vater verloren und ist in die Selbständigkeit entlassen.31 Die alte Verfassung erlischt, und die neue Verfassung, die ja bereits in Kraft getreten ist, kann nun uneingeschränkte Geltung beanspruchen. Für den reibungslosen Übergang ist es entscheidend, dass der Lord Archon von der politischen Bühne verschwindet und sich zunächst völlig ins Privatleben zurückzieht, denn die Abdankung muss endgültig und unumkehrbar sein. Die ersten Schritte können und müssen nun ohne ihn erfolgen. In Harringtons „idealem“ Gründungsakt kommt auch den Bürgern ein notwendiges Verhalten zu: Sie müssen sich als dankbar erweisen, um so die Stabilität der Republik zu gewährleisten:

28 Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 342. 29 Dennoch ähnelt die bestürzte Reaktion der Senatoren der Rolle der Untertanen im Zeremoniell der königlichen Abdankung etwa Johann Casimirs von Polen. Vgl. den Beitrag „Zeremonieller Schlusspunkt. Die Abdankung als Herrschertod“ von Susan Richter im vorliegenden Band. 30 Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 342. 31 Auch in seinem Epitaph wird er später als „pater patriae“ verewigt. Siehe unten, S. 185f. Cromwells Abdankung in James Harringtons „The Commonwealth of Oceana“  

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Thus the lawmaker happened to be the first object and reflection of the law made; for as liberty of all things is the most welcome unto a people, so is there nothing more abhorrent from their nature than ingratitude. […] Wherefore, as Machiavel for anything since alleged hath irrefragably proved that popular governments are of all other the least ungrateful, so the obscurity (I say), into which my Lord Archon had now withdrawn himself, caused an universal sadness and cloud in the minds of men upon the glory of his rising commonwealth.32

Die Traurigkeit der Senatoren und der Bürger insgesamt erscheint nicht als bloßes Beiwerk, sondern als notwendige Demonstration republikanischer Gesinnung. Die Bürger sind plötzlich in die politische Mündigkeit, aber damit auch in die republikanische Regierungsverantwortung entlassen.33 Zwar sollen die neuen Gesetze auf Dauer Einheit und gute Bürger erzeugen. Gleichwohl ist die Bürgerschaft im Moment der Gründung noch gespalten: „The nation was divided into parties that had not yet lost their animosities.“34 Den neuen Gesetzen muss noch legitimatorisches Gewicht verliehen werden. Dieses Gewicht kann dabei aus Gründen der Logik nicht von den Gesetzen selbst ausgehen, da dies ihre Geltung voraussetzen würde, die ja gerade erst erzeugt werden soll. Vielmehr muss die Gründungsautorität fortwirken, ausgedrückt in der Dankbarkeit gegenüber dem Gesetzgeber – ganz analog zur ewigen Geltung des Eides der Spartaner gegenüber Lykurg.35 Der Stellenwert dieser Dankbarkeitsbezeugung wird darin deutlich, dass sich von den ersten sieben verabschiedeten Gesetzen des neuen Parlamentes vier mit dem Archon befassen.36 Dem abgetretenen Olphaus Megaletor sollen der Titel des Archon und eine umfangreiche Rente auf Lebenszeit gewährt werden. In Absprache mit dem council of state soll er zudem ausländische Gesandte empfangen dürfen.37 Diese drei Maßnahmen setzen die Dankbarkeit in öffentliche Privilegien um. Dem Archon wird erlaubt, ein standesgemäßes, repräsentatives Leben zu führen, und er bleibt gleichsam als Elder Statesman mit den Geschicken der Republik verbunden. Dagegen überrascht das vierte Gesetz. Für zunächst drei Jahre wird ihm ein stehendes Heer von 12.000 Mann unterstellt, das dazu dienen soll, den jungen Staat in seiner Anfangsphase gegen innere Feinde, insbesondere Royalisten, zu verteidigen. Auch wenn er dabei ausdrücklich dem council of war unterstellt ist, verwundert die Machfülle, die dem ehemalig absoluten Herrscher damit übertragen wird. Immerhin galt ein stehendes Heer den 32 33 34 35 36

Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 342f. Vgl. Etzold, Sabine, Gründung, 1987, S. 164–166. Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 343. Vgl. Etzold, Sabine, Gründung, 1987, S. 158f. Harrington lässt die Gesetzesvorschläge mit einer mehrseitigen Dankesbekundung und Lobesrede auf den Archon beginnen. Vgl. Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 344–346. 37 Ebd., S. 346.

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Republikanern als eine der größten Gefahren für die bürgerliche Freiheit, konnte es doch nur zu leicht zum Instrument einer Despotie werden.38 Aber gerade in dieser Gefahr liegt auch der Grund für die Übertragung: Olphaus Megaletor ist nicht nur ein erprobter Feldherr. Vielmehr hat er mit seiner freiwilligen Abdankung im Gegensatz zu jedem anderen bewiesen, dass ihm diese besondere Verantwortung ohne Gefahr für die Republik übertragen werden kann.39 Aus den politischen Entscheidungsprozessen bleibt er zwar weiterhin ausgeschlossen, leistet damit aber seinen Teil dazu, das von ihm gegründete Werk zu beschützen. An herausgehobener Stelle am Ende des Gesamtwerks gibt Harrington noch eine weitere Gründungslegende wieder: die Geschichte Timoleons, des (Neu-)Begründers von Syrakus, die er wiederum von Plutarch übernimmt.40 Der Konrinther Timoleon sei ein so großer Feind der Tyrannis gewesen, dass er seinen Bruder Timophanes erschlug, um dessen tyrannische Herrschaft in Korinth zu beenden, nachdem es ihm nicht gelungen war, diesen von der Gewaltherrschaft abzubringen. Auf einen Hilferuf der Sizilier, die ebenfalls unter einer Gewaltherrschaft litten, wurde Timoleon nun ausgesucht, um auch sie von der Tyrannis zu befreien. Bevor Timoleon abreiste, machte ihm der einflussreiche Korinther Teleklides deutlich, dass vom Ausgang dieser Fahrt auch die Bewertung seiner bisherigen Taten abhänge. Bringe er den Siziliern die Freiheit, werde er als Zerstörer von Tyrannen in die Geschichte eingehen. Anderenfalls – wenn er etwa die Macht an sich risse – als Königsmörder. Tatsächlich gelang es Timoleon, der sizilischen Tyrannis ein Ende zu bereiten. Und in der Tat zog er sich auf sein Landhaus zurück, das ihm die Einwohner von Syrakus zum Geschenk gemacht hatten, und lebte dort ein ruhiges und zufriedenes Leben. Im Alter erblindete er, wurde aber weiterhin bei allen wichtigen Angelegenheiten um Rat gefragt und insgesamt hoch geehrt. Sein Tod in hohem Alter rief große Trauer in der Bevölkerung hervor.41 Die Legende Timoleons übertrug Harrington direkt auf Olphaus Megaletor: Leben und Tod des Lord Archon seien ganz genauso verlaufen, außer dass dieser als Gründer (statt Retter) einer Republik noch höher zu ehren sei und er sein Augenlicht bis an sein Lebensende behalten habe. Nach seinem Tod sei die ganze Republik ein Jahr lang in unvergleichlicher Trauer gewesen. Nach einem Staatsbegräbnis sei ihm schließlich ein kolossales Denkmal errichtet worden, durch das sein Andenken als 38 Vgl. Worden, Blair, „Republicanism“, 1991, S.  462f.; Schwoerer, Lois G., „No Standing Armies!“ The Antiarmy Ideology in Seventeenth-Century England, Baltimore / London 1974. 39 Vgl. Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 350. 40 Vgl. zu Timoleon Gehrke, Hans-Joachim, „Timoleon“, in: Kai Brodersen (Hrsg.), Grosse Gestalten der Griechischen Antike. 58 historische Portraits von Homer bis Kleopatra, München 1999, S. 354–360. 41 Harrington, „Oceana“, 1977, S. 357f.; vgl. Plutarch, Grosse Griechen und Römer, Bd. 4, hrsg. von Konrad Ziegler, Zürich / Stuttgart 1957, S. 176–178, 208–213. Cromwells Abdankung in James Harringtons „The Commonwealth of Oceana“  

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„pater patriae“ auf ewig in Dankbarkeit bewahrt werden sollte.42 Mit der Wiedergabe dieses Epitaphs endet die Oceana. Das Beispiel Timoleons ist als Appell an Oliver Cromwell zu lesen.43 Die Bewertung der bisherigen Taten Cromwells steht demnach noch aus. In Harringtons Darstellung hat Cromwell zwar wichtige Grundlagen gelegt, um England aus dem strukturell bedingten Bürgerkrieg in eine stabile Staatsform, nämlich Harringtons „perfekte“ Republik zu überführen. Folgt er dem Appell, so verspricht ihm Harrington ein Leben in hohen Ehren und ewigen Ruhm. Setzt er stattdessen den Weg der Alleinherrschaft fort, soll er als Königsmörder in die Geschichte eingehen. In der Originalfassung Plutarchs hatte Teleklides Timoleon mit der Stigmatisierung nicht etwa als Königsmörder, sondern als Brudermörder gedroht. Mit der gezielten Fehlübersetzung stellte Harrington einen deutlichen Bezug zu Oliver Cromwell und der Hinrichtung Karls I. her.44 Auch widmete Harrington das Werk Oliver Cromwell. Dies deutet darauf hin, dass er die Realisierung der Gründung durch Cromwell prinzipiell für möglich hielt. Seine Gründungskonzeption ist somit eine Art „Rezept“, das in der realen politischen Situation seiner Gegenwart ansetzt – ungeachtet der Frage, für wie wahrscheinlich er es hielt, dass Cromwell seinem Rat folgen würde. Die Abdankung des Lord Archons erscheint bei Harrington als freiwilliger und öffentlicher Akt der Amtsniederlegung. Vorher haben die Mitglieder des Verfassungsrates ihr Amt niedergelegt, als ihre Aufgaben erfüllt waren: „they abdicated the magistracy both of orators and legislators.“45 Bei der Abdankung des Archons wiederholt Harrington dann diese Formulierung: Olphaus „abdicated the magistracy of Archon“.46 Das Archontenamt war demnach mit einer ganz spezifischen Aufgabenstellung – der Gründung der Republik – verbunden. Die Abdankung ist die Konsequenz aus der Vollendung der an das Amt gekoppelten Aufgabe. Sie folgt bereits der Logik der zukünftigen Republik: In Harringtons Verfassung sind Ämter auf Lebenszeit nicht vorgesehen, selbst die Möglichkeit der sofortigen Wiederwahl nach Ablauf einer Amtszeit besteht nicht.47 Trotz dieser Parallele im Grundsatz ist die Abdankung des Archons ein ungleich komplexerer Vorgang als diejenige der untergeordneten Amtsträger. Denn der Archon genießt die absolute Machtfülle, die Souveränität ist bis zum Zeitpunkt der Abdankung auf seine Person konzentriert: er ist gleichsam der Staat. Formal hatte er die Macht zwar aus den Händen der Armee entgegengenommen, aber er dankt aus seiner 42 43 44 45 46 47

Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 358. Vgl. Etzold, Sabine, Gründung, 1987, S. 25–33. Vgl. ebd., S. 28–30. Harrington, James, „Oceana“, 1977, S. 342. Ebd., S. 342. Vielmehr sieht Harringtons Rotationsprinzip eine Sperre von gleicher Dauer wie die jeweilige Amtszeit vor. Vgl. Riklin, Alois, Republik, 1999, S. 191f.

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persönlichen Machtfülle heraus ab. Diesen Beweis der Tugendhaftigkeit honorierte Harrington mit der Aussicht auf ewigen Ruhm. Während also faktische Herrscherabdankungen meist mit dem Odium des Scheiterns behaftet waren, stellte Harrington Oliver Cromwell die Abdankung als Höhepunkt des politischen Lebens, als größten Triumph in Aussicht. Innerhalb von Harringtons Argumentation kommt den Gesetzgeberlegenden als Exempla nicht nur eine verdeutlichende, sondern eine beweisende Funktion zu. Der Wahrheitsanspruch der exemplarischen Beweisführung basiert auf der Geltung zeitloser politischer Gesetzmäßigkeiten und Verhaltensmuster, nicht auf der Faktizität des Geschehenen. Somit bildet die Gesetzgebung durch Olphaus Megaletor selbst ein Exemplum, das nicht nur auf den Gesetzgeberlegenden basiert, sondern sie auch strukturell imitiert: In einer Krise wird ein herausragender Mann als Gesetzgeber ausgewählt, der die Krise löst, die Gesetze erlässt und sich schließlich zurückzieht, nachdem er für ihren Fortbestand Sorge getragen hat.48 Harrington nutzte die Abdankung, um das Problem zu lösen, wie er einer gänzlich neuen Verfassung unangefochtene Geltung verschaffen könnte. Die Abdankung des Archons beendet nicht nur dessen Herrschaft, sie lässt sich als politischer Freitod des Alleinherrschers lesen. Die Folgen erscheinen als Inversion eines regulären monarchischen Thronwechsels durch Tod und Erbfolge: Während der body natural weiterlebt, erlischt mit dem Tod des body politic die gesamte alte Verfassung.49 Die Abdankung bedeutet damit einen radikalen Schnitt. Nicht nur der Herrscher und die Institutionen wechseln. Auch das ganze Rechtssystem des Common Law findet keine weitere Anwendung. Die Abdankung führt zum völligen Erlöschen des bisherigen Staates. Harrington bediente sich in diesem Zusammenhang auch der verbreiteten Metaphorik des Herrschers als Familienvater.50 Der Senat und überhaupt die Bürger der neuen Republik stehen in einem analogen Verhältnis zum Gründer wie Kinder zu ihrem Vater. Sie übernehmen die Souveränität aber erst in dem Moment, als sie (politisch) mündig sind. Dieser Moment wird vom Archon bestimmt, als die Gesetze fertig und die neuen Institutionen bereit sind, ihre Arbeit aufzunehmen. Die Bürger demonstrieren ihre Mündigkeit in der Folge durch das Erweisen von Dankbarkeit. 48 Vgl. Szegedy-Maszak, Andrew, „Lawgivers“, 1978, S. 208 und passim. 49 Vgl. Kantorowicz, Ernst H., Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 21994; Wende, Peter, „Das Herrscherbild des 17. Jahrhunderts in England“, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Das Herrscherbild im 17. Jahrhundert (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 19), Münster 1991, S. 72f. und passim. Zum Bild des Todes im Abdankungszeremoniell siehe den Beitrag „Zeremonieller Schlusspunkt. Die Abdankung als Herrschertod“ von Susan Richter im vorliegenden Band. 50 Vgl. Sommerville, J. P., „Absolutism and royalism“ in: J. H. Burns (Hrsg.), The Cambridge History of Political Thought 1450–1700, Cambridge 1991, S. 358–361; Wende, Peter, „Herrscherbild“, 1991, S. 62, 67f. Cromwells Abdankung in James Harringtons „The Commonwealth of Oceana“  

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Indem der Archon als pater patriae im Sinne eines Gründervaters auch zukünftig den Bezugspunkt für die Dankbarkeit der Bürger und die Legitimität der Gesetze bildet, dient der Gründungsakt und damit die Abdankung schließlich der permanenten Sicherung der Verfassung. Die Abdankung des Archons erfolgt gegenüber einem bereits eingerichteten Senat, der ohne eine gefährliche Zeit des Übergangs sein Geschäft sofort aufnehmen kann. Nur so, glaubte Harrington, hätte die Republik eine Chance, dem Verfassungsverfall zu entgehen und ewig stabil zu bleiben. Denn der Moment des Herrscherwechsels war für den frühneuzeitlichen Staat grundsätzlich kritisch. In Fürstenherrschaften erfolgte der Thronwechsel zwar formal nach klaren rechtlichen Regeln. Beim Tod eines Herrschers konnten unterschiedliche Thronansprüche den Staat dennoch in eine Krise stürzen oder gar einen Erbfolgekrieg auslösen. Endete die Herrschaft eines Fürsten, ohne dass dieser verstorben wäre, war die Unsicherheit ungleich größer. Im Fall einer Abdankung musste für den reibungslosen Übergang der Herrschaft ausdrücklich Sorge getragen werden, um einen gefährlichen herrschaftsfreien Moment oder eine unklare Anspruchssituation zu verhindern. Harrington kehrte diese Konstellation nun um. Indem er die Souveränität in einem ersten Schritt auf eine Person konzentrierte, welche diese dann in einem freiwilligen Akt niederlegte, konstruierte er einen kontrollierten Verfassungswechsel. Im Rahmen seiner Theorie war die Abdankung nicht Auslöser einer Krise, sondern gerade das Instrument, um eine Krise beim Wechsel der Herrschaft zu vermeiden.

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Die Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach Ein Fürst im Unruhestand

Michael Roth Die maßgeblich durch die konfessionellen Auseinandersetzungen des frühen 17. Jahrhunderts geprägte Regierungszeit Markgraf Georg Friedrichs von BadenDurlach gehört zu den turbulentesten in der badischen Geschichte. Ihre Bedeutung erkannten vor allem Historiker im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, wobei der Forschungsschwerpunkt eindeutig auf den militärischen Tätigkeiten Georg Friedrichs liegt.1 Seine Abdankung im Jahr 1622 wird hingegen, wenn sie überhaupt Erwähnung findet, nur am Rand behandelt. Dies erscheint umso unverständlicher, als sie zu den wenigen anderen Abdankungen der Frühen Neuzeit deutliche Unterschiede hinsichtlich ihres Ablaufs und der weiteren politischen Tätigkeit des Markgrafen aufweist. Neben den äußeren Umständen und dem Ablauf der Abdankung wird im Folgenden nach der politischen Klugheit des Amtsverzichts sowie den rechtlichen und theologischen Gegebenheiten, die die Abdankung rechtfertigen, zu fragen sein.

1

Duch, Arno, Art. „Georg Friedrich, Markgraf von Baden-Durlach“, in: Neue Deutsche Biographie, 6 / 1964, S.  197–199; Ledderhose, Karl Friedrich, Aus dem Leben des Markgrafen Georg Friedrich von Baden, Heidelberg 1890; Reitzenstein, Karl Freiherr von, Der Feldzug des Jahres 1622 am Oberrhein und in Westfalen bis zur Schlacht von Wimpfen, 2 Hefte, München 1891 / 1893; Obser, Karl, „Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach und das Projekt einer Diversion am Oberrhein in den Jahren 1623–1627“, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 5 / 1890, S. 212–242, 320–399; kleinere Biographien: Berner, Felix, „‚Verteidige die Wahrheit bis in den Tod‘ Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach 1573–1638“, in: Ders., Baden-württembergische Portraits, Stuttgart 1985, S. 142–145; Findeisen, Jörg-Peter, „Georg Friedrich, Markgraf von Baden-Durlach“, in: Ders., Der Dreißig jährige Krieg, Graz u. a. 1998, S. 118 f.; Haebler, Rolf Gustav, „Markgraf Georg Friedrich. Ein Lebensbild aus stürmischer Zeit“, in: Badische Heimat, 45 / 1965, S. 204–206. Eine moderne wissenschaftliche Biographie bleibt noch immer ein Desiderat. Die Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach  

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1.

Der historisch-politische Kontext der Abdankung

Nachdem Georg Friedrich aus der Linie Baden-Durlach, der vorher schon über die Herrschaften Hachberg und Rötteln-Sausenberg geherrscht hatte, im April 1604 die Regierung von seinem verstorbenen Bruder Ernst Friedrich übernommen hatte, vereinte er erstmals seit der Teilung Badens in die Linien Baden-Baden und BadenDurlach 1535 wieder die gesamten badischen Lande in einer Hand.2 Vorrangiges Ziel des Markgrafen war die Sicherung des Besitzes, da er die Herrschaft über Oberbaden, das eigentlich dem baden-badischen Familienzweig zustand, nur dank der Besetzung Baden-Badens und der Negierung der Erbansprüche seiner Verwandten ausüben konnte.3 Zusätzlich verschärft wurden die Spannungen innerhalb der Familie durch die unterschiedliche konfessionelle Ausrichtung der Linien: Während Baden-Baden katholisch blieb, wandte sich Baden-Durlach dem Luthertum zu. Auch um seine Position gegenüber dem Kaiser zu stärken, trat Georg Friedrich 1608 der Union4, einem Bund protestantischer Fürsten und Städte, bei und wurde schnell zu einem ihrer wichtigsten und überzeugtesten Mitglieder. Dadurch geriet er allerdings auch vermehrt 2

3

4

Zur badischen Teilung vgl. Kohnle, Armin, Kleine Geschichte der Markgrafschaft Baden, Karlsruhe 2007, S.  82 f., zur Teilung als Phänomen der Herrschaftsvergabe im deutschen Südwesten vgl. Wolgast, Eike, „Reformationszeit und Gegenreformation (1500–1648)“, in: Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Allgemeine Geschichte. Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches, Bd. 1,2, Meinard Schaab / Hansmartin Schwarzmaier (Hrsg.), Stuttgart 2000, S. 145–306, hier: S. 159–162. Zur Okkupation der Lande war es gekommen, weil der nach dem kinderlosen Tod des badenbadischen Markgrafen Philipp II. von Bayern installierte Eduard Fortunat aus einer badischen Seitenlinie die Schuldenlast, die noch von seinem Vorgänger stammte, durch Misswirtschaft nur noch vergrößerte. Unter Berufung auf den Vertrag von 1537, der es der einen badischen Linie erlaubte, das Land der anderen zu besetzen, wenn diese gemeinsame Schulden nicht abtragen kann, besetzte Ernst Friedrich 1594 Oberbaden. Der nun vertriebene Eduard Fortunat wandte sich an seine katholischen Schutzmächte, Kaiser Rudolf II. und Wilhelm V., den Herzog von Bayern, während die calvinistische Kurpfalz zur wichtigsten Stütze des lutherischen Markgrafen wurde, wodurch sich der Konflikt nochmals konfessionell zuspitzte. Nach dem Tod Eduard Fortunats im Exil berief sich Georg Friedrich darauf, dass seine Söhne einer nicht standesgemäßen Verbindung mit Marie van Eicken, die er 1591 zur linken Hand geheiratet hatte, entsprangen und somit nicht erbberechtigt wären. Zu Ernst Friedrich und der Okkupation vgl. Baumann, Werner, Ernst Friedrich von Baden-Durlach. Die Bedeutung der Religion für Leben und Politik eines süddeutschen Fürsten im Zeitalter der Gegenreformation (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B, Bd. 20), Stuttgart 1962, S. 135–155. Zur Union: Horstkemper, Gregor, „Zwischen Bündniszielen und Eigeninteressen – Grenzen konfessioneller Solidarität in der protestantische Union“, in: Friedrich Beiderbeck u. a. (Hrsg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 223–246.

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in die dynastischen und konfessionellen Konflikte zu Beginn des 17. Jahrhundert. Politisch schloss sich Georg Friedrich eng an den pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. an, obwohl er zunächst Vorbehalte gegenüber dem calvinistischen Bekenntnis des Pfälzers hatte.5 Der Schulterschluss überdauerte auch die Niederlage Friedrichs V. in der Schlacht am Weißen Berg 1620. Georg Friedrich, überzeugt von der Richtigkeit der Annahme der böhmischen Königskrone durch Friedrich V.,6 zeigte sich entrüstet über die anderen Mitglieder der Union, weil sie nur widerwillig Truppen zur Verteidigung der Kurpfalz zur Verfügung stellten.7 Die enge politische und militärische Verbundenheit mit dem „Winterkönig“ und die daraus resultierenden Entwicklungen waren letztlich der Grund, der ihn zur Abdankung bewog. Nachdem Friedrich V. die Schlacht am Weißen Berg am 8. November 1620 verloren und der Kaiser im Januar 1621 die Reichsacht über ihn verhängt hatte, floh er in die Niederlande.8 Währenddessen hatte sich die Union am 24. April 1621 in Heilbronn unter erheblichem Protest Georg Friedrichs selbst aufgelöst.9 An eine weitere Verteidigung der Erblande Friedrichs V. war nun von protestantischer Seite aus nicht mehr zu denken, nachdem ligistische Truppen unter Tilly und Cordova in die Pfalz einmarschiert waren und Baden und Württemberg an ihren Grenzen bedrohten.10 Um seine Sache dennoch zu retten, begab sich Friedrich Anfang April 1622 heimlich von Den Haag nach Landau, wo er am 11. / 21. April ankam.11 Am folgenden Tag schickte Friedrich dem Markgrafen zwei Schreiben, in denen er von seiner Ankunft berichtet und Georg Friedrich bittet, ihn und den ihm unterstehenden Heerführer Ernst von Mansfeld mit Truppen zu unterstützen.12 Für Georg Friedrich war dies die Gelegenheit, aktiv in das Kriegsgeschehen einzugreifen. Schon seit 1614 Vgl. Weech, Friedrich von, Badische Geschichte, Karlsruhe 1890, S. 304. Vgl. ebd., S. 313. Vgl. Kohnle, Armin, Markgrafschaft Baden, 2007, S. 120. Vgl. Bilhöfer, Peter, Nicht gegen Ehre und Gewissen. Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz – der Winterkönig von Böhmen (1596–1632), Heidelberg 2004, S. 95–99. 9 Den „Mainzer Accord“, der die formale Auflösung bedeutete, hat Georg Friedrich nicht unterschrieben. Vgl. Gotthard, Axel, Konfession und Staatsräson. Die Außenpolitik Württembergs unter Herzog Johann Friedrich (1608–1628) (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B Forschungen, Bd. 126), Stuttgart 1992, S. 347 f.; Weech, Friedrich von, Badische Geschichte, 1890, S. 319 f. 10 Vgl. Reitzenstein, Karl Freiherr von, Feldzug des Jahres 1622, Heft 2, 1893, S. 100–110. 11 Wertheim, Hans, Der tolle Halberstädter. Herzog Christian von Braunschweig im pfälzischen Kriege 1621–1622. Ein Abschnitt aus dem Dreissig jährigen Kriege, Die Operationen des Jahres 1622, Bd. 2, Berlin 1929, S. 348.; Bilhöfer, Peter, Friedrich V., 2004, S. 110. Die doppelte, um zehn Tage verschobene Tagesangabe ergibt sich aus der gregorianischen Kalenderreform von 1582, der sich die protestantischen Reichsstände noch nicht angeschlossen hatten. 12 Die Briefe sind abgedruckt bei Gmelin, Moritz, Beiträge zur Geschichte der Schlacht bei Wimpfen, Karlsruhe 1880, S. 115 f. 5 6 7 8

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hatte er sein Heer kontinuierlich aufgerüstet, sodass seine Armee 1622 über 20.000 Mann umfasste.13 Die enormen Rüstungsausgaben belasteten das Land massiv, da die Landstände den Löwenanteil aufzubringen hatten.14 Zudem musste das überdimensionierte Heer auch unterhalten werden. Der Markgraf hatte wohl keine andere Wahl, als der Bitte nachzukommen und sein Heer einzusetzen, auch, um den oberbadischen Besitz zu verteidigen und zu sichern.15 Mit Bestätigung Friedrichs schloss er noch am gleichen Tag, dem 12. / 22. April 1622 ein militärisches Bündnis mit Mansfeld ab, um „la liberté publique et […] tous les interessez en icelle“16 zu verteidigen.

2. Der Verlauf der Abdankung Die Kriegsvorbereitungen sind auf das Engste mit der Abdankung Georg Friedrichs verbunden: Noch am 12. / 22. April 1622 unterzeichnete er seine Abdankungsurkunde. Wann der Markgraf zum ersten Mal einen Amtsverzicht in Erwägung gezogen hatte, ist nicht mit Sicherheit zu sagen, da er ihn in seinen Briefen und sonstigen Aufzeichnungen nicht erwähnt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Nachricht der Ankunft Friedrichs V. in der Pfalz Georg Friedrich unmittelbar zur Abdankung bewog. Möglicherweise ließ er sich auch von der Euphorie anstecken, die die unerwartete Anwesenheit des Pfälzers innerhalb der protestantischen Partei auslöste.17 Georg Friedrich selbst begründet den Amtsverzicht in seiner Abdankungsurkunde mit der Anwesenheit „ettliche[r] verschieden starckhe[r] arméen in unserer nach13 Vgl. Ledderhose, Karl Friedrich, Georg Friedrich, 1890, S.  85. Zu den Rüstungen und der Stärke des badischen Heeres ausführlich Reitzenstein, Karl Freiherr von, Feldzug des Jahres 1622, Heft 1, 1891, S. 124–180. 14 Vgl. Weech, Friedrich von, Badische Geschichte, 1890, S. 320–322, und Vierordt, Karl Friedrich, Geschichte der evangelischen Kirche in dem Großherzogthum Baden, Vom Jahr 1571 bis zu der jetzigen Zeit, Bd. 2, Karlsruhe 1856, S.  160 f. Zur Rolle der Landstände in Baden unter Georg Friedrich vgl. Gothein, Eberhard, „Die Landstände am Oberrhein“, in: Fünfundzwanzig Jahre der Badischen Historischen Kommission (1883–1908), hrsg. von der Badischen Historischen Kommission, Heidelberg 1909, S. 29–50, hier: S. 41–43. 15 Gleichzeitig sammelte Erzherzog Leopold, der kaiserliche Statthalter in Vorderösterreich, im Elsass Truppen. Zwar versicherte er Georg Friedrich mehrmals, dass sie nur der eigenen Landesverteidigung dienten. Doch Mansfeld bestätigte Georg Friedrich gegenüber die Absicht des Kaisers und Bayerns, ihm die Herrschaft über die baden-badische Markgrafschaft abzunehmen. Vgl. Vierordt, Karl Friedrich, Geschichte der evangelischen Kirche, Bd. 2, 1856, S. 161 f. 16 Der Vertrag ist abgedruckt bei Gmelin, Moritz, Beiträge, 1880, S. 116 f. Am 23. April kam es zu einem Treffen zwischen Georg Friedrich und Friedrich V. in Durlach. Ob sie dabei auch die Abdankung thematisierten, ist unklar, vgl. Reitzenstein, Karl Freiherr von, Feldzug des Jahres 1622, Heft 2, 1893, S. 136, Fn. 1. 17 Dazu Bilhöfer, Peter, Friedrich V., 2004, S. 110.

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barschafft“, die die Markgrafschaft bedrohen, und schreibt, dass „erwehnte arméen theylß sich unseren gräntzen also genähert“.18 Zur Verteidigung seines Landes will er sich auf einen „offentlichen Veldtzug“ begeben. Georg Friedrich hat es deshalb „für ein nothdurfft ermesßen, vorderst berürte unsere fürstenthumb, Graf: Herrschafften, land und leüth in getreüwe vätterlicher obacht zu nemmen, und nunmehro das Jenige, […] nemblich uns erstgedachter unser fürstenthumb, Graf: Herrschafften, land und leüth sambt deren bis dato durch Gottes segen geführten Regierung allerdings umb so viel besser dem Kriegswesen abzuwarten, zu begeben, cedieren und ubergeben […] solchem unserem freundtlichen lieben eltisten Sohn, Friedrichen […].“19 Weiterhin empfiehlt er seinen Räten und Bediensteten, ihrem neuen Fürsten Friedrich so zu dienen, wie sie ihm gedient haben. Seinem Sohn trägt er auf, die Erbhuldigung der Untertanen entgegenzunehmen. Zudem musste Friedrich vor seinem Vater das Versprechen ablegen, das Land gut zu regieren und seine Untertanen „zu schützen, zu schirmen und für allem ungleichen zu bewahren“.20 Der Fortbestand der Dynastie geriet durch die Abdankung nicht in Gefahr, weil Friedrich, selbst schon volljährig und regierungserfahren,21 zwei Söhne hatte und die Erbfolge somit gesichert war. Wie Friedrich hingegen zu der vorzeitigen Amtsübergabe stand, ist nicht eindeutig. Er schreibt am 14. / 24. August, dass er der „[…] nicht geringen Last der Regierung, ob wir wohl dessen sehr gern geübrigt geweßen, ihren vätterlichen […] gnedigen willen aber unß zu accommodieren […] wollen“.22 Diese Aussage dürfte aber vielmehr als Topos zu verstehen sein, wonach Friedrich aus Bescheidenheit gerne verzichtet hätte, sich aber dem Wunsch des Vaters selbstverständlich beugt. Für Georg Friedrich war die Abdankung also nach eigener Aussage eine „nothdurfft“, bevor er sich in den Krieg begab. Dies erscheint zunächst unverständlich, schließlich ist ein Thronverzicht vor einem Feldzug außergewöhnlich. Eine Erklärung bietet die Abdankungsrede, die Georg Friedrich drei Tage später am 15. / 25. April vor einer ausgesuchten Öffentlichkeit hielt und die Eingang in einen Abdankungsbericht fand, der den Akt schildert. Der Autor ist nicht bekannt, möglicherweise zeichnete 18 Das Original der Urkunde mit der eigenhändigen Unterschrift des Markgrafen befindet sich im Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5013, fol. 1–4. Abgedruckt ist sie mit einigen Lesefehlern, aber ansonsten wortgenau bei Schöpflin, Johann Daniel, Historia Zaringo-Badensis, Bd. 7, Karlsruhe 1766, S. 179–181. 19 Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5013, fol. 1 f. 20 Ebd., fol. 4. 21 Vgl. Kleinschmidt, Arthur, Art. „Friedrich V. (Markgraf von Baden-Durlach)“, in: Allgemeine Deutsche Biographie, 7 / 1878, S. 457–460, hier: S. 457; Adler, Lars, Die Ordensstiftungen der Markgrafen von Baden 1584–1803. Adlige Korporationen im Spiegel fürstlicher Landespolitik, Offenbach am Main 2008, S. 86, Fn. 4. 22 Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5288. Die Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach  

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ein kaiserlicher Spion die Handlung auf. 23 In der Rede hat der Markgraf „ercleret, nun an biß in sein endt ein Soldat zu sein undt zu sterben, auch nit zu ruhen biß die Eduardische erben ausgereutet, die Spannische aus dem Teutschlandt getriben, Churpfalz genzlichen restituiert und den catholischen Gaystlichen alle gewalt undt Landt abgenommen, die Evangelische Religion genzlich stabiliert undt die catholische erlöscht“.24 Diese Rede liest sich nicht wie eine „gewöhnliche“ Abdankungsrede, wie sie etwa Karl V. oder Johann Casimir von Polen vorgetragen hatten,25 sondern vielmehr wie ein politisches Programm, das über den Rücktritt hinausreicht und somit auf den ersten Blick nicht zu einem scheidenden Fürsten passt. Der Markgraf verzichtete darin auf die Ausübung der Regierungsgeschäfte zu Gunsten weitgespannter militärischer Unternehmungen. Ob er bei dem Akt allerdings genau diese Ziele verkündete, oder ob sich dahinter Zutaten kaiserlich-ligistischer Propaganda verstecken, kann nicht mehr sicher geklärt werden, im Kern dürften sie aber der Wahrheit entsprechen. 26 Schon vor seiner Abdankung hatte Georg Friedrich die Erbansprüche der Söhne Eduard Fortunats ignoriert, die Vertreibung spanischer Truppen vorangetrieben und auf eine Stärkung der evangelischen Partei im Reich hingearbeitet.27 Der Markgraf plante demzufolge, nach seiner Abdankung genau dieselben Ziele weiterhin zu verfolgen und sich nicht aus der Politik zurückzuziehen. Nur zu Beginn des Berichtes, in den die Rede eingebunden ist, wird deutlich, dass dieses Programm im Rahmen einer Abdankung vorgetragen wurde, da in der Rede nur die weiteren politischen Ziele formuliert werden. Der Akt fand vor „seinen herrn 23 Nach Gmelin, Moritz, Beiträge, 1880, S. 168, Fn. 90 handelt es sich bei diesem Bericht um die Kopie einer Flugschrift, die womöglich ein ligistischer oder kaiserlicher Spion verfasst hat, der bei dem Akt anwesend war. Dafür sprechen die weitgefassten politischen und militärischen Pläne im weiteren Verlauf des Textes, die in der Übertragung der römischen Königswürde auf den restituierten pfälzischen Kurfürsten und böhmischen König Friedrich V. von der Pfalz gipfeln und sich auch propagandistisch verwerten ließen. 24 Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5015, fol. 2. Druck bei: Gmelin, Moritz, Beiträge, 1880, S. 117 f. 25 Publikation der Rede bei Mayer, Mathias, Kaiser Karl der Fünfte. Rede vor den Generalstaaten der Niederlande am 25. Oktober 1555 (Eva Reden, Bd. 29), Hamburg 2001, S. 7–14; Anonymus, Letzte Rede / die der König in Pohlen bey Hinlegung Cron und Scepters / am 16. Septembris gegen die Stände selbigen Reichs gethan, o.O. 1668. Vgl. hierzu den Aufsatz von Susan Richter „Zeremonieller Schlusspunkt. Die Abdankung als Herrschertod“ in diesem Band. 26 An der Berichterstattung des Abdankungsaktes und der zumindest inhaltlichen Korrektheit der oben zitierten Rede sind nicht zu zweifeln, da es auch für einen Spion, der Informationen zu einer Schmäh- u. Propagandaschrift gegen den Markgrafen lieferte, keinen Grund gab, einen Abdankungsakt zu erfinden, der zweifellos stattgefunden hatte. Denkbar ist auch, dass der Markgraf die Pläne bei einer anderen Gelegenheit im Überschwang äußerte und sie dann in den Bericht eingegangen sind. 27 Vgl. Kohnle, Armin, Markgrafschaft Baden, 2007, S. 118; Ledderhose, Karl Friedrich, Georg Friedrich, 1890, S. 82–85.

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Söhnen, Canzley undt allen Landt officier“ statt. Diese Öffentlichkeit repräsentierte die Dynastie, die Verwaltung und das Militär. Unter den Familienmitgliedern waren mindestens Karl und Christoph, die ihren Vater auf dem Feldzug begleiteten, und Friedrich, sein Nachfolger, anwesend. Außerdem wohnten Kanzleiangehörige dem Akt bei, die über die rechtmäßige Durchführung der Amtsübergabe wachten und als unmittelbar vom Herrscherwechsel Betroffene aus ihren alten Diensten zu entlassen waren. Durch die Präsenz hoher Militärs – schließlich befand sich das Land mitten in Kriegsvorbereitungen – wird die enge Verbindung zwischen der Abdankung und den kriegerischen Aktivitäten deutlich, die schon in dem Titel des Berichts „Des […] Marggrafen in Durlach vorgenommene Kriegs=Operationes und Abtrettung der Regierung“28 anklingt. Vertreter der Landstände scheinen der Zeremonie hingegen nicht beigewohnt zu haben. Das verwundert zunächst: Da sie bereitwillig hinter seiner Politik standen, pflegte der Markgraf zu ihnen ein gutes Verhältnis. 29 Zudem hatten die Landstände bei anderen Abdankungsakten durchaus eine Rolle gespielt.30 Ihre Abwesenheit ist ein Indiz dafür, dass Georg Friedrich den Entschluss zur Abdankung spontan gefasst hatte. Seine Entscheidung hing unmittelbar mit dem Eintreffen Friedrichs V. zusammen, sodass nur die in Karlsburg Anwesenden an dem Akt teilnehmen konnten. Nachdem Georg Friedrich „alle Underthonen undt Beampten irer Pflichten entlassen [hatte]“31, ließ er seinen Sohn einen Eid32 schwören. Von weiteren

28 Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5015, fol. 1. 29 Vgl. Gothein, Eberhard, „Die Landstände am Oberrhein“, 1909, S. 41. Der letzte Landschaftsausschuss fand im Oktober 1621 statt. Der erste unter dem neuen Markgrafen Friedrich V. wurde für den Mai 1624 einberufen, die Regierungsübernahme wurde dort nicht weiter thematisiert. Da die Tätigkeiten der badischen Landstände gut erforscht sind, ist nicht von ihrer Teilnahme bei dem Abdankungsakt auszugehen. Vgl. Weech, Friedrich von, „Die badischen Landtagsabschiede von 1554–1668“, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 29 / 1877, S. 323–423, hier: S. 377–382 und Gut, Johannes, Die Landschaft auf den Landtagen der markgräflich badischen Gebiete. Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in der noch ungeteilten Markgrafschaft Baden und den durlachischen Besitzungen bis zum Regierungsantritt Markgraf Georg Friedrichs in allen Landen (Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 13), Berlin 1970, S. 363–365. 30 Zur Anwesenheit von Ständevertretern bei den Abdankungen Karls V. und Christinas von Schweden vgl. Lünig, Johann Christian, Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien, Welche bey Päbst- und Käyser-, auch Königlichen Wahlen und Crönungen […] Ingleichen bey Grosser Herren und dero Gesandten Einholungen […] beobachtet worden, Bd. 2, Leipzig 1720, S. 808–812, 813–816. 31 Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5015, fol. 2. 32 Um welchen Eid es sich genau handelte, wird nicht näher berichtet. Wahrscheinlich ist es derselbe, von dem schon in der Abdankungsurkunde die Rede ist. Die Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach  

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zeremoniellen Akten, zum Beispiel einer Abdankung als Oberhaupt des von ihm gestifteten „Ordens der goldenen Klippe“,33 wird nicht berichtet. Die Abdankung war damit rechtlich vollzogen.34 Obwohl Georg Friedrich seine Regierungsrechte in der Abdankungsurkunde an Friedrich abgetreten und am 15. / 25. April alle Untertanen vom Eid entbunden hatte, trat er weiterhin als Fürst auf. Am 17. / 27. April kündigte er Erzherzog Leopold, dem kaiserlichen Statthalter Vorderösterreichs, seinen Kriegseintritt an, die Abdankung blieb dabei unerwähnt.35 Es stellt sich die Frage, wer Ende April überhaupt von dem Amtsverzicht Georg Friedrichs Kenntnis hatte. Dem Kaiser als dem Reichsoberhaupt wurde sie erst am 12. / 22. August 1622, also nach der Niederlage bei Wimpfen im Mai 1622, durch Georg Friedrichs Nachfolger Friedrich V. angezeigt. Er berichtet, dass der „hochgeborene fürst, herr Georg Friedrich Marggraf zu Baden und Hochberg […] alle seine […] fürstenthumb, graf: herrschafften, Land und Leüth mir völliglichen cediert und abgetretten […]“ und dass er die „Erbhuldigung […] und Ayd genommen“ hatte.36 Gleichzeitig bittet er um die Belehnung mit der oberen und der unteren Markgrafschaft. Auch wann die badischen Untertanen, eventuell durch Herolde, von der Abdankung ihres Herrn unterrichtet wurden, ist unklar. Spätestens geschah dies, als sie ihrem neuen Herrn, Markgraf Friedrich V., huldigten, was aber, auch bedingt durch die Kriegswirren, erst nach der Niederlage bei Wimpfen geschehen konnte: Von der Huldigung berichtet ein Schreiben vom 13. / 23. Mai, dass „der alte Markgraf heut das Regiment abgetreten [hat], und Herr Friedrich [sich] hat huldigen lassen“.37 Dass die Bevölkerung und vor allem das Heer erst nach der katastrophalen Niederlage informiert wurden, kann auch politisches Kalkül gewesen sein: Die Motivation und Bereitschaft zum Kampf sind ungleich höher in dem Bewusstsein für und mit dem 33 Die letzte Ordensaktivität lag zehn Jahre zurück. Anders als Georg Friedrich hatte Karl V. als Großmeister des Ordens vom Goldenen Vlies förmlich abgedankt. Vgl. Adler, Lars, Die Ordensstiftungen der Markgrafen von Baden, 2008, S. 84; Kohler, Alfred, Karl V. 1500–1558. Eine Biographie, München 1999, S. 353. 34 Am 28. April / 8. Mai antwortet Friedrich seinem Vater. „Ew. Gn. schreiben, darin Sie sich dahin erklären, daß Sie sich dieses Wesens ganz nicht mehr annehmen wollen und uns die völlige Administration der Lande übergeben wollen.“ Zit. n. Ledderhose, Karl Friedrich, Georg Friedrich, 1890, S. 87. Was der Sohn damit meinte, ist nicht klar, weil danach keine weiteren Herrschaftsrechte mehr übertragen wurden. Lediglich die Huldigung durch die Untertanen und die Bitte an den Kaiser um Belehnung, wie sie Georg Friedrich in der Abdankungsurkunde fordert, standen noch aus. 35 Duch, Arno, Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618–1651, Januar 1621–Dezember 1622, I,2, München / Wien 1970, S. 514 f., Nr. 190. 36 Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5339. Nach Vierordt, Karl Friedrich, Geschichte der evangelischen Kirche, Bd. 2, 1856, S. 164, Fn. 1 geschah dies schon am 2. / 12. Mai. 37 Zit. n. ebd. Bei dem Schreiben handelt es sich um einen Brief Professor Wegelins aus Durlach an Samuel Gloner in Straßburg.

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Fürsten, der zudem als Oberbefehlshaber persönlich anwesend ist, zu kämpfen. Um die Moral hochzuhalten, hatten daher nur die beim Abdankungsakt anwesenden Offiziere Kenntnis vom Rücktritt des Markgrafen. Erst nach der Niederlage konnte die Abdankung auch der badischen Bevölkerung mitgeteilt werden. Gestützt wird diese Annahme auch durch das Fehlen jeglicher Andeutungen auf die Abdankung in den Flugschriften über die Schlacht bei Wimpfen, die kurz darauf veröffentlicht wurden.38 Zudem entstanden die notariellen Beglaubigungen der Abdankungsurkunde, zum Beispiel für die Landstände oder den Kaiser, erst am 10. / 20. Mai.39 Auch daran zeigt sich das Interesse, die Abdankung erst spät durch offizielle Schreiben publik zu machen. Die späten beglaubigten Kopien durch den öffentlichen Notar Conrad Dürzplatz bekräftigten nochmals die auch nach der Niederlage gleich gebliebene Abdankungsabsicht des Markgrafen und schafften zusätzliche Rechtssicherheit.40 Es bleibt also festzuhalten, dass die Abdankung zwar mit dem Akt am 15. / 25. April vollzogen war, Friedrich V. sich aber, auch mit Rücksicht auf die Kriegspolitik, erst nach der Niederlage, dem Wendepunkt in der Informationspolitik, huldigen ließ und deshalb Bevölkerung und Heer zunächst bewusst über die Amtsübernahme im Unklaren gelassen wurden.41

3. Die Motivation der Abdankung Es stellt sich nun allerdings auch die Frage, was Georg Friedrich konkret zum Thronverzicht bewogen hatte. Geläufige Topoi in diesem Kontext, wie etwa Alter und

38 Die Flugschriften hat Gmelin, Moritz, Beiträge, 1880, S. 37–92 zusammengestellt. Lediglich in einem Schreiben aus dem ligistischen Lager vom 8. Mai klingen die weiteren Pläne Georg Friedrichs an, die dem Abdankungsbericht entnommen sind. Die Abdankung selbst wird nicht explizit erwähnt. Ebd., S. 40. 39 Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5013, fol. 5 ff. In dem Bestand befinden sich mehrere beglaubigte Kopien. 40 Vgl. Wendehorst, Stephan, „Zwischen Kaiser und Reichsständen. Das öffentliche Notariat in der frühen Neuzeit – Einige Vorüberlegungen“, in: Anette Baumann u. a. (Hrsg.), Reichspersonal. Funktionsträger für Kaiser und Reich, Köln / Weimar / Wien 2003, S. 343–351. 41 Nach Vierordt, Karl Friedrich, Geschichte der evangelischen Kirche, Bd. 2, 1856, S. 164, Fn. 1 beschloss Georg Friedrich erst nach der Schlacht bei Wimpfen in Stuttgart, wohin er zum württembergischen Herzog geflüchtet war, abzudanken. Dagegen stehen aber die am 12. / 22. April ausgestellte Abdankungsurkunde sowie der Abdankungsakt drei Tage später. Dass der Markgraf die Abdankung in keinem der Briefe an den Herzog von Württemberg erwähnt, lässt sich dadurch erklären, dass der Württemberger zwar wegen eines Bündnisses heftig umworben wurde, er aber keinen Anteil an den Kämpfen hatte und somit für Georg Friedrich kein Grund bestand, ihn darüber vorab zu informieren. Die Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach  

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Gebrechlichkeit,42 treffen auf ihn nicht zu. Auch begründete der Markgraf seinen Rücktritt nicht mit der Regierungslast, was gerade in den schwierigen Zeiten eines Krieges sicher Verständnis geweckt hätte. Nach eigener Aussage veranlasste ihn die Bedrohung seiner Landesgrenzen durch feindliche Armeen zum Amtsverzicht. Dennoch rechtfertigt eine äußere Gefährdung allein keineswegs diesen für einen Fürsten äußersten und eigentlich nicht vorgesehenen Schritt der Aufgabe des ihm von Gott verliehenen Amtes. Georg Friedrichs Motivation lässt sich durch zwei wesentliche Charakterzüge näher beleuchten: Seine Frömmigkeit und seine Neigung zum Kriegswesen. Zwar bezeichnete er den Krieg in einem für seine Söhne zwischen 1614 und 1617 verfassten Werk über die Kriegswissenschaft als ein „gefährlich, Ausgangs halben mißlich und an sich selbst ein bös, verhaßt werk, welches man nit leichtlich soll vor die Hand nehmen, es sei dann die äußere Noth [ist] […] vorhanden“43, dennoch scheute der Markgraf den Krieg nicht, um seine Interessen durchzusetzen.44 Mit der kriegerischen Neigung verband sich in Georg Friedrich ein tiefverwurzeltes Luthertum, das seine ganze Regierungszeit maßgeblich prägte,45 und dessen Grundlagen schon in früher Jugend gelegt wurden. So schrieb er während seiner Italienreise am 5. September 1590 aus Siena: „[…] Derselbigenn ich vermittelst Göttlicher Hilff, die ich täglich umb krafft unnd beystand bittenn will, mitt gantzem ernst, fleiß unnd gehorsam begere nachzusetzenn, unnd wie in E. G. schreibenn ich daher vermahnt württ, bey der einmahl erkantenn und bekannten Christlichenn Augspurgischenn confession begere zubleiben unnd mich mit Gottes Hülff vor solchem leichtfertigenn mann, als er Pistorius, unnd seiner offenbarlichen falschen abgeötterey mit gantzem fleiß huten will […].“46 42 Hierzu besonders die Abdankungsrede Karls V. am 25. Oktober 1555 in Brüssel, vgl. Mayer, Mathias, Rede, 2001, S. 7–14, hier: S. 8 f. 43 Zit. n. Ledderhose, Karl Friedrich, Georg Friedrich, 1890, S. 79. Die Publikation untersagte er allerdings. Vgl. ebd., S. 80 f. Zum Inhalt Weech, Friedrich von, Badische Geschichte, 1890, S. 297. 44 Vgl. hierzu das eingangs erwähnte Drängen, den Kampf fortzusetzen, in der Frühphase des Dreißigjährigen Krieges und Ledderhose, Karl Friedrich, Georg Friedrich, 1890, S. 78–85. 45 Georg Friedrich soll die Lutherbibel insgesamt 58-mal ganz gelesen haben. Nach jedem Durchlesen vermerkte er das Datum am Ende seiner Handbibel. Vgl. ebd., S. 99. 46 Zit. n. Brunner, Karl, „Die Erziehung des Markgrafen Georg Friedrich von Baden-Durlach“, in: Großherzogliches General-Landesarchiv in Karlsruhe (Hrsg.), Festschrift zum fünfzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs Friedrich von Baden, Heidelberg 1902, S. 137–169, hier: S. 163 f. Georg Friedrich antwortete auf einen Brief seines Bruders, in dem dieser ihm mitgeteilt hatte, dass Jakob III., der dritte Bruder, am 15. Juli 1590 unter Einwirken seines Rates Johann Pistorius und nach den theologischen Disputationen von Baden-Baden und Emmendingen zum Katholizismus konvertiert war. Zu Jakob III. und

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Der Kampf gegen die „abgötterey“ trug bei Georg Friedrich, einem überzeugten Konkordienlutheraner47, jedoch fast schon fanatische Züge. Selbst wenn die Pläne, die in dem Abdankungsbericht entwickelt werden – etwa die Gefangennahme aller geistlichen Fürsten und die Hinrichtung der Bischöfe von Mainz, Speyer und Worms –48 als zeitgenössische Propaganda zu betrachten sind, lag Georg Friedrichs Hauptbestreben in der Stärkung der evangelischen Konfessionspartei im Reich auf Kosten des Katholizismus und eine „unbedingte“ Unterstützung des pfälzischen Anspruchs auf Böhmen.49 So drängte er auf dem Unionstag im Februar 1621 auf die Fortsetzung des Krieges, obwohl sich die restlichen Unionsfürsten angesichts der militärischen Lage auf Verhandlungen mit dem Kaiser verständigten, und stand der Auflösung der Bündnisses am 24. April 1621, der er sich letztlich beugen musste, ablehnend gegenüber.50 Bei allem übersteigerten konfessionellen Eifer sah Georg Friedrich aber auch die Gefahr, die seine Bündnistreue mit dem Pfälzer für den Bestand und das Wohlergehen seines Landes haben konnte. So schrieb er am 15. April an den Herzog von Württemberg: „Il faut avoir une bonne et sçure paix avec l’aide de Dieu, ou crever.“51 Tatsächlich befand sich die badische Markgrafschaft im April 1622 in einer desolaten Lage: Durch die hohen Rüstungsausgaben waren die Finanzen des Landes bis auf das Äußerste angespannt und die Prognosen für einen erfolgreichen Verlauf des Feldzuges standen, auch weil sich der württembergische Herzog weigerte, dem Bündnis beizutreten,52 nicht eben gut. Durch eine Abdankung konnte Georg Friedrich zumindest versuchen, etwaige negative Folgen für sein Land, aber auch für seine Dynastie abzumildern. Eine mögliche und nicht eben unwahrscheinliche Folge war die Gefangennahme während einer Schlacht. Sie hätte schwerwiegende Konsequenzen für Land und Dynastie bedeutet. Ein prominentes Beispiel ist Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen, einer der wichtigsten Führer des Schmalkaldischen Bundes, der im

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Johann Pistorius vgl. Günther, Hans-Jürgen, „Markgraf Jacob III. von Baden (1562–1590) – Ein konfessioneller Konflikt und sein Opfer“, in: Freiburger Diözesanarchiv, 126 / 2006, S. 201–269 und Ders., Art. „Pistorius, Johannes“, in: Neue Deutsche Biographie, 20 / 2001, S. 486 f. Nachdem es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu scharfen innerlutherischen Streitigkeiten um die Auslegung des Glaubens gekommen war, versuchten die lutherischen Fürsten das Auseinanderfallen des Luthertums durch die Einführung der Konkordienformel und des Konkordienbuchs zu verhindern. Darin werden die verbindlichen Auslegungstexte der Bibel festgelegt sowie theologische Positionen in Einklang gebracht. Vgl. Koch, Ernst, Art. „Konkordienformel“, in: Theologische Realenzyklopädie, 19 / 1990, S.  476–483; Kohnle, Armin, Markgrafschaft Baden, 2007, S. 109 f. Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5015, fol. 2–3. Weech, Friedrich von, Badische Geschichte, 1890, S. 313. Vgl. ebd., S. 318–320. Zit. n. Vierordt, Karl Friedrich, Geschichte der evangelischen Kirche, Bd. 2, 1856, S. 165. Gotthard, Axel, Die Außenpolitik Württembergs, 1992, S. 356–359, 370 f. Die Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach  

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Juni 1547 von Karl V. gefangen gesetzt und in die Niederlande verbracht wurde. 53 An ihm lässt sich gut das mögliche Schicksal Georg Friedrichs zeigen: Beide Fürsten waren in militärische Bündnisse eingebunden gewesen, die die Stärkung des Protestantismus zum Ziel hatten. Obgleich der Markgraf noch nicht wie Philipp der Acht verfallen war, hatte die gegnerische Partei ein gesteigertes Interesse, ihn als Kriegstreiber unschädlich zu machen. Um der Verantwortung eines Fürsten, jederzeit für sein Land zu sorgen, gerecht zu werden, versuchte Philipp auch aus der Gefangenschaft in den Niederlanden, Hessen zu regieren.54 Die Sorge um sein Land wird besonders in seinem Testament vom 18. November 1547 deutlich, das er während dieser Zeit abgefasst hatte. 55 Darin legt er nochmals fest, wer im Kriegsfall die Regentschaft und Vormundschaft übernehmen sollte. 56 Dennoch war eine funktionierende Regierung durch Philipp auch wegen dauernder Schikanen der Bewacher und der räumlichen Distanz zu Kassel nur unter größten Mühen möglich.57 Nicht nur Gefangenschaft, sondern auch weitere Konsequenzen waren möglich und gefürchtet: Graf Heinrich von Württemberg, der 1474 von Karl dem Kühnen gefangen genommen worden war, hatte große Angst, sofort enthauptet zu werden.58 Auch unter den Vorfahren Georg Friedrichs war es schon zu einem solchen Vorfall gekommen: Während der Schlacht bei Seckenheim 1462 geriet Markgraf Karl I. in die Gefangenschaft des pfälzischen Kurfürsten Friedrich des Siegreichen, wo er für über ein Jahr bleiben musste und harte Bedingungen für sein Land zu akzeptieren hatte.59 Die Gefahr einer Gefangennahme war für einen Fürsten also durchaus gegeben. Ein Herrscher in der Frühen Neuzeit musste bei seinem Tun jedoch immer das Wohl der ihm Anbefohlenen im Auge haben und hatte die Aufgabe, Frieden und Sicherheit

53 Vgl. Wolff, Fritz, „Der Gefangene Landgraf “, in: Ursula Braasch-Schwersmann / Hans Schneider / Wilhelm Ernst Winterhagen (Hrsg.), Landgraf Philipp der Großmütige 1504–1567. Hessen im Zentrum der Reformation. Begleitband zu einer Ausstellung des Landes Hessen, Marburg / Neustadt an der Aisch 2004, S. 123–137, hier: S. 123. 54 Ebd., S. 130. 55 Vgl. Woite, Editha, Die Testamente Philipps des Großmütigen, Landgrafen von Hessen, Leipzig 1914, S. 35. Zu Fürstentestamenten grundlegend Richter, Susan, Fürstentestamente der Frühen Neuzeit. Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 80), Göttingen 2009. 56 Vgl. Woite, Editha, Die Testamente Philipps des Großmütigen, 1914, S. 34–41. 57 Vgl. Wolff, Fritz, „Der Gefangene Landgraf “, 2004, S. 130 f. 58 Vgl. Moll, Albert, „Die Krankheits- und Todesfälle im württembergischen Regentenhause“, in: Medizinisches Correspondenzblatt, 30 / 1860, S. 281–287. 59 Vgl. Weech, Friedrich von, Badische Geschichte, 1890, S. 92–96; Kohnle, Armin, Markgrafschaft Baden, 2007, S. 74 f.

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zu garantieren.60 In diesem Kontext bedeutet das vor allem die Gewährleistung der Regierungsfähigkeit, um letztlich den Endzweck der Herrschaft, die Aufrechterhaltung der Ordnung, zu erreichen.61 Dies war in der Haft nur schwer möglich. Neben einer Mitregentschaft62 war die Abdankung somit der einzige Weg, durch vorzeitige Abgabe der Regierung an den Nachfolger den Bestand des Landes auch in Kriegszeiten zu sichern. Gerade einem gläubigen lutherischen Fürsten fiel es jedoch nicht leicht, die Abdankung aus theologischer Sicht zu rechtfertigen. Erst durch den Tod des Herrschers konnte das von Gott verliehene Amt auf den Nachfolger übergehen, ein freiwilliger Amtsverzicht war, auch in den Fürstenspiegeln und Trostbüchern, die Empfehlungen gegen Amtsüberdruss und Schwermut geben, nicht vorgesehen.63 Im 16. und 17. Jahrhundert verstanden die lutherischen Fürsten sich selbst als Amtsleute Gottes, von dem sie das Fürstentum erhalten hatten.64 Nach Luther, gestützt auf Paulus im Römerbrief 13,4, ist die fürstliche Herrschaft Gottesdienst und die Amtsgewalt Gottes Dienerin.65 Damit verbunden ist eine besondere Verantwortung des Fürsten für sein Land und seine Untertanen, wonach er sie beschützen und verteidigen sowie nach ihrem Nutzen regieren soll. Aus Sicht der lutherischen Theologie ist eine Abdankung also nicht vorgesehen. Der Dienst an Gott, als Teil der Schöpfungsordnung, ist bis zum Tod zu vollziehen, was spätere Fürstenspiegel auch immer wieder betonen.66 Diesem theologischen Problem scheint sich Georg Friedrich bewusst gewesen zu sein. Von ihm sind mehrere Gebetsentwürfe67 erhalten. Es fällt jedoch auf, dass sie alle aus dem Jahr 1622 stammen, in dem sich die kriegerischen Ereignisse für den 60 Vgl. Dreitzel, Horst, Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz, Theorie der Monarchie, Bd. 2, Köln / Weimar / Wien 1991, S. 498. 61 Vgl. Schorn-Schütte, Luise, „Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht. Die ‚politica christinana‘ als Legitimitätsgrundlage“, in: Dies. (Hrsg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts (Historische Zeitschrift. Beihefte, Bd. 39), München 2004, S. 195–232, hier: S. 227 f. 62 Dass Georg Friedrich keine Mitregentschaft anstrebte, belegt die Ernsthaftigkeit der in der Abdankungsrede formulierten Ziele. 63 Ausführlich dazu der Aufsatz von Susan Richter „Zeremonieller Schlusspunkt. Die Abdankung als Herrschertod“ in diesem Band. 64 Vgl. Dreitzel, Horst, Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft, Bd. 2, 1991, S. 484–499, bes. S. 498. 65 Luther, Martin, Von weltlicher Obrigkeit. Schriften zur Bewährung des Christen in der Welt, hrsg. von Wolfgang Metzger, Gütersloh ³1978, S. 29 f. 66 Dazu Schorn-Schütte, Luise, „Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht“, 2004, S.  195–232, hier: S. 219–225. 67 Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5158. Obwohl die Verfasserschaft Georg Friedrichs nicht eindeutig gesichert ist, ist hier dennoch von einem Autographen auszugehen. Die Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach  

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Markgrafen zuspitzten und er letztlich abdankte. Obwohl sie kein konkretes Thema behandeln – vielmehr bittet Georg Friedrich immer wieder um die Vergebung seiner Sünden und Beistand in schwierigen Zeiten –, zeigen sie doch, dass er vermehrt um göttlichen Rat im Gebet suchte. Dass der Markgraf trotz theologischer Bedenken auf sein Amt verzichtete, lässt nur den Schluss zu, dass er die Wohlfahrt seines Landes höher bewertete als das von Gott aufgetragene Amt. Das Eintreten für den höheren Dienst der evangelischen Sache, wie er es programmatisch in seiner Abdankungsrede ankündigte, sollte seinem Land und allen Protestanten im Reich zugute kommen. Gestützt wird dieses theologische Konzept durch die These Luthers, wonach nur für die Sache anderer gekämpft werden darf – so werden beispielsweise badische Territorialgewinne als Ziel in der Abdankungsrede nicht erwähnt –, damit „dem bösen Wesen gesteuert und die Rechtschaffenheit geschützt wird“.68 Durch den Amtsverzicht hatte der Markgraf nach außen kommuniziert, dass er sich mit seinem Kampf abseits persönlicher Machtinteressen für die protestantische Partei einsetzen würde. In den Augen Luthers ist der Krieg nur ein „kleiner, kurzer Unfriede“ und sogar ein „göttliches Amt“, wenn er für eine gerechte Sache geführt wird und damit noch „vielmal größer[e] Plage“ verhindert wird.69 Damit konnte Georg Friedrich sein Handeln theologisch rechtfertigen. Sollten seine militärischen Unternehmungen jedoch trotz göttlichen Beistands misslingen, hatte er mit der Abdankung für sein Land und seine Dynastie vorgesorgt.

4. Georg Friedrichs Abdankung – ein Akt der „politischen Klugheit“? Aus Georg Friedrich war mit der Abdankung zwar ein Fürst ohne Land, aber nicht ohne Macht geworden, da er immer noch den Oberbefehl über ein großes Heer ausübte.70 Am Abend des 15. / 25. April zog der Markgraf mit seinem Heer aus Durlach aus.71 Nachdem eine Vereinigung mit den Truppen Mansfelds gescheitert war, kam es am 26. April / 6. Mai zu der Schlacht bei Wimpfen gegen die ligistischen Truppen unter Tilly, die für den Markgrafen in einer verheerenden Niederlage endete.72 Über Heilbronn flohen Georg Friedrich und seine beiden Söhne nach Stuttgart, wo 68 Luther, Martin, Von weltlicher Obrigkeit, 1978, S. 33. 69 Ebd., S. 65 f. Dennoch konnte der Markgraf nicht das Problem umgehen, dass ein Krieg gegen den Kaiser in jedem Fall Unrecht ist. Auch seine Berater warnten ihn davor. Vgl. Müller, Karl, Luthers Äusserungen über das Recht des bewaffneten Widerstands gegen den Kaiser, München 1915, S. 28 f.; Weech, Friedrich von, Badische Geschichte, 1890, S. 324 f. 70 Ledderhose, Karl Friedrich, Georg Friedrich, 1890, S. 87. 71 Weech, Friedrich von, Badische Geschichte, 1890, S. 325. 72 Ausführlich dazu Reitzenstein, Karl Freiherr von, Feldzug des Jahres 1622, Heft 2, 1893, S. 150–196.

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sie abends ankamen.73 Aber auch nach dieser Niederlage war das militärische Engagement des alten Markgrafen noch nicht beendet: Von Durlach versuchte er nochmals, seine Truppen zu sammeln, und zog plündernd durch das Elsass. Er musste aber letztlich, nachdem auch Friedrich V. von der Pfalz eingesehen hatte, dass seine Erbländer nicht zu halten waren und er Boten zu Waffenstillstandsverhandlungen ausgeschickt hatte,74 seine Truppen im Juni 1622 entlassen.75 Während sich der neue Markgraf Friedrich V. vergebens um Schadensbegrenzung bemühte, wurde sein Vater ab 1623 diplomatisch tätig, um ein neues antihabsburgisches Bündnis zu schmieden.76 Ziel war es, mit Hilfe ausländischer Truppen ein neues Heer unter seiner Führung aufzustellen. Versuche, die Union, das Bündnis der protestantischen Fürsten und Städte, wiederzubeleben, scheiterten jedoch.77 Nach Einquartierungen kaiserlicher Truppen in Baden musste Georg Friedrich von Hochberg nach Genf umsiedeln, um seine Angriffspläne nicht zu gefährden.78 Von dort entwickelte er mit Beteiligung ausländischer Mächte 1624 / 25 konkrete Truppenwerbungspläne, nach denen der alte Markgraf den Oberbefehl über ein neu aufzustellendes Heer erhalten sollte.79 Mehrmals wurden seine Söhne Karl und Christoph bei König Ludwig XIII. und seinem Ersten Minister Kardinal Richelieu vorstellig, um die Zustimmung der Franzosen zu diesen Plänen und vor allem Werbegelder zu erhalten. Anscheinend plagten Georg Friedrich auch finanzielle Sorgen, da er der „pention sehr bedürfftig“80 sei, die ihm Frankreich auszahlen sollte. Frankreich verschleppte das Projekt jedoch, sodass es scheiterte. Auch mit England, den Niederlanden, Savoyen und Venedig stand er in Kontakt – ebenfalls ohne Erfolg.81 Im Februar 1626 musste Georg Friedrich aus Genf wegziehen, weil er mit dem calvinistischen Stadtrat in Konflikt geraten war. Er siedelte zunächst nach Thonon in Savoyen wegen der Nähe zum Turiner Hof über.82 Im Juni war er wieder auf der Burg Rötteln in Baden anzutreffen,83 bevor er wegen eines Haftbefehls, den der Kaiser und der bayerische Kurfürst gegen Georg Friedrich wegen seiner Aktivitä73 74 75 76 77 78 79 80 81 82

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Vgl. ebd., S. 196. Vgl. Bilhöfer, Peter, Friedrich V., 2004, S. 113. Vgl. Ledderhose, Karl Friedrich, Georg Friedrich, 1890, S. 92–96. Vgl. Obser, Karl, „Projekt einer Diversion“, 1890, S. 216. Ausführlich dazu ebd., S. 216–219. Vgl. ebd., S.  231. Warum der Markgraf gerade das calvinistische Genf auswählte, ist nicht mehr zu klären. Vgl. ebd., S. 232–242. Zit. n. ebd., S. 241. Vgl. ebd., S. 322–386. Dazu Ledderhose, Karl Friedrich, Georg Friedrich, 1890, S. 96 f. Heute heißt der Ort Thononles-Bains. Zum Herzog von Savoyen pflegte Georg Friedrich gute Beziehungen. Vgl. Claretta, Gaudenzio, Le relazioni politiche e dinastiche die principi di Savoia coi margravi di Baden dal secolo XV al XVIII, Turin 1887, S. 43–47. Vgl. Obser, Karl, „Projekt einer Diversion“, 1890, S. 345. Die Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach  

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ten erwirkt hatten, nach Basel fliehen musste.84 Im Juni 1627 begab er sich in dänische Dienste. Dort avancierte er zum Generalleutnant, wurde wegen einer verheerenden Niederlage jedoch vor ein dänisches Kriegsgericht gestellt und entging nur unter Berufung auf seinen Reichsfürstenstand einer Verurteilung.85 Danach zog er sich in die lutherische Reichsstadt Straßburg86 zurück, wo er am 24. September 1638 starb.87 Georg Friedrichs Lebensweise nach seiner Abdankung unterschied sich fundamental von der anderer Fürsten in der Frühen Neuzeit, die auf ihren Thron verzichtet hatten. Während Karl V. und Johann Casimir von Polen sich in ein Kloster zurückzogen und Christina von Schweden Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in Rom wurde,88 war Georg Friedrich weiterhin politisch äußerst tätig. Bei ihm ist kein Übergang von der „vita activa“ des regierenden Fürsten in die „vita contemplativa“89 eines zurückgezogenen Lebens für Gebete und geistliche Studien zu beobachten, die sonst Abdankungen prägte. Vielmehr wandelte er sich vom regierenden Fürsten zu einer Art Söldnerführer, der sich in den Dienst der evangelischen Sache stellte. Durch den Amtsverzicht konnte Georg Friedrich seiner neuen Tätigkeit auch an von Baden entfernten Orten nachkommen. Bezeichnend sind auch seine Wohnorte, da sie nicht als Rückzugsorte von der Politik, wie zum Beispiel ein Kloster, ausgesucht wurden, sondern immer der politischen Zweckmäßigkeit unterworfen waren, Bündnisse mit ausländischen Mächten abzuschließen. 84 Vgl. ebd., S. 381–383. 85 Duch, Arno, „Georg Friedrich, Markgraf von Baden-Durlach“, 1964, S. 197–199, hier: S. 199; Press, Volker, Kriege und Krisen. Deutschland 1600–1715 (Neue Deutsche Geschichte, Bd. 5), München 1991, S. 202 f.; Ledderhose, Karl Friedrich, Georg Friedrich, 1890, S. 96–99. Auch nach seiner Abdankung führte Georg Friedrich den Titel eines Markgrafen von Baden. In seinem Testament von 1615 legte er fest, dass alle männlichen Mitglieder der Familie den gleichen Titel führen sollten wie der regierende Fürst. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand A, 99 Urkunde 54. Abgedruckt ist das Testament bei Sachs, Johann Christian, Einleitung in die Geschichte der Marggravschaft und des marggrävlichen altfürstlichen Hauses Baden, Bd. 4, Karlsruhe 1770, S. 459–471, hier: S. 464. 86 Zu Straßburg im 16. und 17. Jahrhundert vgl. Livet, Georges / Rapp, Francis (Hrsg.), Histoire de Strasbourg, Toulouse 1987, S. 125–175. 87 Wo Georg Friedrich begraben wurde, ist unklar, vgl. Obser, Karl, „Die Grabstätte des Markgrafen Georg Friedrich von Baden-Durlach“ in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 12 / 1897, S. 356–357. 88 Kohler, Alfred, Karl V., 1999, S. 356–367; Grauert, Wilhelm, „Über  die Thronentsagung des Königs Johann Casimir von Polen und die Wahl seines Nachfolgers“, in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, 6 / 1851, S. 342–408; Magnusson, Börje (Hrsg.), Christina di Svezia e Roma. Atti del simposio tenuto all’Instituto Svedese di Studi Classici a Roma, 5–6 ottobre 1995, Stockholm 1999. 89 Zu den beiden Begriffen und ihren Ursprüngen vgl. Largier, Niklaus, Art. „Vita activa / Vita contemplativa“, in: Lexikon des Mittelalters, 8 / 1997, Sp. 1752–1754.

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Erst nachdem kaiserliche Truppen den Siegeszug der Schweden in der Schlacht von Nördlingen im Jahr 1634 beendet hatten,90 zog sich Georg Friedrich in Straßburg zunehmend in die Privatheit zurück. Er lebte dort mit seiner Frau, der Bürgerlichen Elisabeth Stotz, die er am 29. Juli 1621 geheiratet hatte,91 und einigen Bediensteten im Haus „Drachenfels“, das seit 1562 im Besitz der badischen Markgrafen war und wo er schon während seiner Studienzeit gelebt hatte.92 Dort widmete er sich gegen Ende seines Lebens vermehrt wissenschaftlichen und geistlichen Studien, stand aber weiter in Kontakt mit den Schweden.93 Auch sein Sohn Friedrich hielt sich ab 1634 mit seiner Familie in Straßburg auf, weil kaiserliche Truppen in Baden eingerückt waren und ihn vertrieben hatten.94 In dieser Familienidylle musste der alte Markgraf erkennen, dass seine Politik vollkommen gescheitert war: Der Kaiser hatte die Markgrafschaft Baden-Durlach an Markgraf Wilhelm, den Sohn Eduard Fortunats, der im August 1622 schon Baden-Baden erhalten hatte, übertragen.95 Die Linie Baden-Durlach verlor somit ihre Herrschaft. Die vorzeitige Amtsübergabe an Friedrich hatte also ihren Zweck verfehlt. Auch wenn der neue Markgraf immer wieder beteuerte, mit den Militäroperationen seines Vaters nichts zu tun zu haben und den württembergischen Herzog um diplomatischen Beistand bat, fiel der kaiserliche Zorn ungeteilt auf ihn und die badischen Lande zurück. Sie wurden durch feindliche Truppen besetzt und ausgeplündert.96 Auch die Versuche Georg Friedrichs, ein neues Heer aufzustellen und die Abtretung

90 Zur Rolle Schwedens im Dreißigjährigen Krieg vgl. Press, Volker, Kriege und Krisen, 1991, S. 218–228. 91 Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5172. 92 Winckelmann, Otto, „Das Strassburger Drachenschlössl als Baden-Durlacher Hof “, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 33 / 1918, S. 58–113, hier: S. 62 f.; Brunner, Karl, „Die Erziehung des Markgrafen Georg Friedrich“, 1902, S. 143–151. Zum Phänomen von Fürstenhöfen in freien Städten vgl. Schwarzmaier, Hansmartin, „Die Flucht aus dem Krieg. Die Markgrafen von Baden und die Stadt Baden im 17. und 18. Jahrhundert“, in: Sylvia Schraut / Bernhard Stier (Hrsg.), Stadt und Land. Bilder, Inszenierungen und Visionen in Geschichte und Gegenwart. Wolfgang von Hippel zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2001, S. 55–74. 93 Winckelmann, Otto, „Das Strassburger Drachenschlössl“, 1918, S. 81–88; Schreiben Georg Friedrichs aus dem Jahr 1637 an den schwedischen Kanzler Axel Oxenstierna, Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5033. 94 Später siedelte er nach Basel über. Vgl. Roth, Carl, „Der ehemalige Basler Besitz der Markgrafen von Baden“, in: Basler Jahrbuch, 1912, S. 195–245, hier: S. 200. 95 Der Urteilstext ist gedruckt bei Schöpflin, Johann Daniel, Historia Zaringo-Badensis, Bd. 7, 1766, S. 182. 96 Vgl. Gotthard, Axel, Die Außenpolitik Württembergs, 1992, S. 377; Kohnle, Armin, Markgrafschaft Baden, 2007, S. 123 f. Die Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach  

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Baden-Badens rückgängig zu machen, blieben vor dem Kaiser nicht verborgen und verstärkten nur dessen Hass gegen Vater und Sohn.97 Im Sinne der „politischen Klugheit“, der „prudentia gubernatoria“,98 hatte die Abdankung ihr Ziel ebenfalls nicht erreicht. Selbst wenn die nachfolgenden Generationen Georg Friedrichs Andenken in Ehren hielten,99 hatte seine Kriegspolitik Leid und Zerstörung über seine Untertanen gebracht. Kurzzeitig hatten seine kriegerischen Aktivitäten, auch unter Mitwirkung seines Sohnes, sogar die Herrschaft der Dynastie gefährdet, deren Sicherung und Erweiterung eigentlich eines der wichtigsten Ziele eines Fürsten sein sollte.100 Erst im Westfälischen Frieden erhielt Friedrich V. endgültig die Herrschaft über Baden-Durlach zurück.101 Interessant ist der Amtsverzicht Georg Friedrichs auch deshalb, weil nur kurze Zeit später, im Jahr 1627, der calvinistische Landgraf Moritz von Hessen-Kassel nach schweren innen- und außenpolitischen Krisen sowie militärischen Niederlagen gegen Ligatruppen abdankte und sich dabei ausdrücklich auf das Vorbild des Markgrafen berief. 102 Dennoch weisen die beiden Abdankungen in Bezug auf Ablauf und Motivation erhebliche Unterschiede auf: Im Gegensatz zu Friedrich legte Moritz in den Reden und vorangegangen Gutachten, unter Berücksichtigung der Herrschertugenden, großen Wert auf die Darstellung der Rechtmäßigkeit des Amtsverzichts.103 Viel wichtiger als Georg Friedrich war es ihm, die Abdankung gegenüber den anderen Fürsten und vor allem dem Kaiser zu kommunizieren und zu rechtfertigen.104 Gerade dieser Aspekt fehlte bei Georg Friedrich vollständig. Der Kaiser und die Landstände wurden nicht gefragt, das Reichsoberhaupt erhielt erst sehr viel später durch ein bloßes Mitteilungsschreiben Kenntnis von der Abdankung. Auch die Motivation des Landgrafen von Hessen-Kassel war eine andere: Moritz war verbittert über den „Verrat“ seiner

97 Vgl. Obser, Karl, „Projekt einer Diversion“, 1890, S. 322, 369–371. 98 Ausführlich dazu Weber, Wolfgang, Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts (Studia Augustana. Augsburger Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte, Bd. 3), Tübingen 1992. 99 Vgl. Kohnle, Armin, Markgrafschaft Baden, 2007, S.122. 100 Vgl. Weber, Wolfgang, Prudentia gubernatoria, 1992, S. 175 f. 101 Baden-Baden blieb aber bei Wilhelm. Müller, Konrad (Bearb.), Instrumenta Pacis Westphaelicae. Die Westfälischen Friedensverträge 1648. Vollständiger lateinischer Text mit Übersetzung der wichtigeren Teile und Regesten, Bern 1949, IV, 26, S. 19, 108. Zu Baden im Dreißigjährigen Krieg vgl. Press, Volker, „Die badischen Markgrafen im Reich der frühen Neuzeit“, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 103/1994, S. 20–57, hier: S. 38–40. 102 Vgl. Eßer, Raingard, „Landgraf Moritz’ Abdankung und sein politisches Vermächtnis“, in: Gerhard Menk (Hrsg.), Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft, Marburg 2000, S. 196–214, hier: S. 203. 103 Vgl. ebd., S. 202–209. 104 Vgl. ebd., S. 209.

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Landstände105 und hegte nach der Abdankung keine politischen Ambitionen mehr. Ein letzter großer Unterschied besteht in der Dokumentation des Vorgangs. Während der Rücktritt des Hessen akribisch aufgezeichnet ist, berichten im Wesentlichen nur zwei Quellen über die Abdankung des Markgrafen, die Abdankungsurkunde und das Abdankungsprotokoll. Ansonsten erwähnt sie nicht einmal seine Grabinschrift.106 Eine Abdankung konnte folglich auch unter ähnlichen Ausgangsbedingungen und einer zeitlichen Distanz von nur wenigen Jahren gänzlich unterschiedlich verlaufen. Die Nutzlosigkeit der Abdankung mag ein Grund für die ausbleibende Würdigung auf dem Epitaph sein. Es ist dem alten Markgrafen jedoch hoch anzurechnen, dass er auf die Regierung Badens verzichtete, um Schaden für sein Land infolge seines weiteren Tuns abzuwenden. Auch wenn der Amtsverzicht nichts an den politischen Entwicklungen ändern konnte, bleibt er dennoch, bei aller Wirkungslosigkeit, ein bemerkenswertes Zeichen politischer Voraussicht.

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Der Reichsdeputationshauptschluss als erzwungene Abdankung? Ingo Knecht Bringt man das Stichwort „Abdankung“ mit dem beginnenden 19. Jahrhundert in Verbindung, so kommt einem vermutlich zu allererst die berühmte Abdankungserklärung Kaiser Franz’ II. vom 6. August 1806 in den Sinn, in der er zugleich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation für erloschen erklärte. Dabei gerät dann leicht in Vergessenheit, dass die Erklärung vom 6. August 1806 den Endpunkt eines länger andauernden Auflösungsprozesses des Reiches markiert – eines Prozesses, in dessen Verlauf eine Vielzahl deutscher Monarchen die Herrschaft über ihr Territorium verlor. Eine entscheidende Wegmarke bildete der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803.

Einleitung Dieser Beitrag soll den Abschied deutscher Territorialherrscher von der Macht im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses näher beleuchten. Zunächst wird in der gebotenen Kürze der geschichtliche Hintergrund des Gesetzes erläutert. Danach wird anhand zweier höchst unterschiedlicher Beispiele auf die Gegenwehr der Monarchen im Vorfeld des Reichsdeputationshauptschlusses sowie auf seine Folgen für ihre rechtliche Stellung eingegangen.

1. Historische Einordnung des Reichsdeputationshauptschlusses1 Eigentlicher Anlass für die Erschütterungen des fast tausendjährigen Reichs, die 1806 zu seiner Auflösung führten, war der Konflikt mit Frankreich. In den frühen neunzi1

Mehr oder minder ausführliche Abrisse finden sich etwa bei Aretin, Karl Otmar Freiherr von, Das Alte Reich 1648–1806, Das Reich und der österreichisch-preußische Dualismus (1745– 1806), Bd 3, Stuttgart ²1997, S.  400 ff; Frotscher, Werner / Pieroth, Bodo, Verfassungsgeschichte, München 82009, Rdnrn. 160 ff.; Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Reformation und Restauration 1789 bis 1830, Bd 1, Stuttgart / Berlin / Köln ²1990, S. 28 ff.; Hufeld, Ulrich, „Einleitung“, in: Ders., Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Eine Dokumentation zum Ausgang des Alten Reiches, Köln / Weimar / Wien 2003, S.  1–32, Der Reichsdeputationshauptschluss als erzwungene Abdankung?  

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ger Jahren des 18. Jahrhunderts radikalisierte sich die Französische Revolution zunehmend und entwickelte einen Drang zur Expansion. Da Österreich, Preußen und die übrigen deutschen Mächte nichts stärker fürchteten als das Übergreifen der französischen Ideale auf ihr Gebiet, war eine militärische Auseinandersetzung unumgänglich. Trotz einiger Verbündeter auf seiner Seite erlitt das Heilige Römische Reich nur Niederlagen; Frankreich, inzwischen unter der Führung des Ersten Konsuls Napoléon Bonaparte, besetzte die deutschen Gebiete links des Rheins. Im Jahre 1801, als der Zweite Koalitionskrieg aus Sicht des Alten Reiches nicht mehr zu gewinnen war, ließ sich Kaiser Franz II. notgedrungen auf den Friedensvertrag von Lunéville ein: Das Reich verpflichtete sich, seine linksrheinischen Gebiete an Frankreich abzutreten. Mit den weltlichen deutschen Fürsten, die dadurch zwangsläufig territoriale Einbußen hinnehmen mussten, wollte es sich Napoleon indes nicht verderben. Sie bekamen Entschädigungen versprochen, die – so Art. 7 des Lunéviller Friedens –, aus „dem teutschen Reiche selbst genommen werden, und zwar nach den Verfügungen, die … in der Folge genauer bestimmt werden sollen.“2 Um diesem Auftrag nachzukommen, bildete der Reichstag zu Regensburg einen außerordentlichen Ausschuss – nach damaliger Terminologie Deputation genannt. Die Vertreter acht großer deutscher Reichsstände3 waren damit betraut, entsprechend den Vorgaben von Lunéville einen Entschädigungsplan auszuarbeiten. Einen eigenen Entscheidungsspielraum hatten sie dabei so gut wie nicht. Faktisch bestimmten allein die „Vermittelnden Mächte“ Russland4 und vor allem Frankreich bis ins Detail, welche Gebiete und Vermögensgegenstände zur Disposition gestellt wurden und wer sie bekommen sollte. Im Wissen darum buhlten die deutschen Reichsstände in Frankreich um Napoleons Gunst – weniger vornehm ausgedrückt: Mit hohen Bestechungssummen versuchten sie, einen möglichst großen Gewinn für sich herauszuschlagen. Nach mehreren Vorentwürfen verabschiedete die Reichsdeputation am 25. Februar 1803 ihren Abschlussbericht, genannt Hauptschluss. Der ReichsdeputationsHauptschluss (RDHS) wurde kurz darauf vom Reichstag angenommen und, nahezu

2 3

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hier: S. 1 ff.; Knecht, Ingo, Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803. Rechtmäßigkeit, Rechtswirksamkeit und verfassungsgeschichtliche Bedeutung, Berlin 2007, S. 37 ff. Text bei Hufeld, Ulrich (Hrsg.), Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Eine Dokumentation zum Ausgang des Alten Reiches, Köln / Weimar / Wien 2003, Nr. 7. Die Besetzung der Reichsdeputation findet sich wiedergegeben in den Protokollen der außerordentlichen Reichsdeputation Band I, S. II ff., und bei Knecht, Ingo, Der Reichsdeputationshauptschluß, 2007, S. 47. Russland wurde von Frankreich ein Mitspracherecht eingeräumt, weil beide Mächte seit dem Frieden von Teschen 1779 Garant der Reichsverfassung waren; Hufeld, Ulrich, Der Reichsdeputationshauptschluss, 2003, S. 1, 17.

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vollständig, vom Kaiser ratifiziert. Damit war er zum formellen Reichsgesetz geworden.5 Als Entschädigungsgut hatte die Reichsdeputation die geistlichen Staaten und die freien Reichsstädte sowie einige kleine weltliche Landesherrschaften vorgesehen. Alle geistlichen Territorien wurden verweltlicht – säkularisiert –, indem sie an einen weltlichen Herrscher übertragen wurden. Lediglich der Kurerzkanzler Karl Theodor von Dalberg erhielt als Ersatz für sein Kurfürstentum Mainz das neu geschaffene Kurfürstentum Aschaffenburg-Regensburg. Von den ehedem 47 freien Reichsstädten blieben nur mehr sechs übrig.6 Die anderen wurden mediatisiert, also einem Territorium zugeschlagen. Zusammengerechnet wurden 112 rechtsrheinische Reichsstände aufgelöst. Der Reichsdeputationshauptschluss nahm damit eine territoriale Umgestaltung solch enormen Ausmaßes vor, dass seine Auswirkungen diejenigen des Dreißigjährigen Krieges noch übertrafen und selber wohl erst 1945 wieder übertroffen werden sollten. Kultur- wie allgemeinhistorisch bedeutsam war auch die Vermögenssäkularisation. Gem. § 35 RDHS durfte jeder Territorialherrscher landsässige Abteien, Klöster und Stifte auflösen und sich – gegen Übernahme von Pensionslasten und sonstigen Verpflichtungen – ihr Vermögen zueignen.7 Faktisch waren nur noch die örtlichen Pfarrkirchen in ihrem Bestand geschützt. Der eigentliche Entschädigungsgedanke, der dem Frieden von Lunéville zugrunde gelegen hatte, wurde durch den Reichsdeputationshauptschluss konterkariert: Nicht wenige Reichsstände erhielten wesentlich mehr Land und Untertanen zugesprochen, als sie durch den Frieden von Lunéville verloren hatten, und die Befugnis zur Vermögenssäkularisation stand allen Landesherren zu, selbst denen, die 1801 gar keine Verluste erlitten hatten. Eine Entschädigung ohne Schaden – eigentlich eine begriffliche Unmöglichkeit. Das zeigt, wie weit der Gedanke des Ausgleichs von Gebietsverlusten inzwischen hinter ungezähmtes Bereicherungsstreben zurückgetreten war.

5

6 7

Text in Protokolle der ausserordentlichen Reichsdeputation zu Regensburg, Bd. II, Regensburg 1803, S.  841 ff., sowie bei Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Bd. 1, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz ³1978, Nr. 1; Hufeld, Ulrich (Hrsg.), Der Reichsdeputationshauptschluss, 2003, Nr. 9; Kotulla, Michael (Hrsg.), Deutsches Verfassungsrecht 1806–1918. Eine Dokumentensammlung nebst Einführungen, Gesamtdeutschland, Anhaltinische Staaten und Baden, Bd. 1, Berlin / Heidelberg 2006, Nr. 1; Zeumer, Karl (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Tübingen ²1913, Nr. 212a. Aufgezählt in § 27 RDHS. Ausführlich hierzu Knecht, Ingo, Der Reichsdeputationshauptschluß, 2007, S. 57 ff. Der Reichsdeputationshauptschluss als erzwungene Abdankung?  

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2. Die Auswirkungen des Reichsdeputationshauptschlusses auf die Monarchen liquidierter Fürstentümer Anhand zweier Beispiele sollen nun die Reaktionen der Herrscher bedrohter Territorien im Vorfeld des Reichsdeputationshauptschlusses und die Auswirkungen dieses Reichsgrundgesetzes auf ihre persönliche Rechtsstellung beleuchtet werden. 2.1. Die Kurpfalz

Da die diesem Band zugrundeliegende Tagung in einer so geschichtsträchtigen Stadt wie Heidelberg abgehalten wurde, liegt der Gedanke nahe, hier zu verbleiben und die Auswirkungen des Reichsdeputationshauptschlusses auf die Kurpfalz zu untersuchen. Die Kurpfalz wurde 1803 liquidiert und verschiedenen Herrschern zugeteilt. Genauer gesagt stand damals nur noch deren rechtsrheinischer Teil zur Verfügung; alle linksrheinischen Gebiete waren schon 1801 mit dem Frieden von Lunéville an Frankreich gefallen. Von der Zerschlagung der Kurpfalz profitierten Hessen-Darmstadt, Nassau und Leiningen, vor allem aber Baden. Dessen Zugewinn war besonders bedeutend, weil er zwei Residenzstädte umfasste: Mannheim und Heidelberg. Was unternahm nun der Kurfürst von der Pfalz gegen die Auflösung seines Hoheitsgebiets? Kurz gesagt: nichts. Ihm war im Gegenteil an einer raschen Umsetzung des Entschädigungswerks gelegen. Das kann nur auf den ersten Blick erstaunen. 1777 war Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz zugleich Kurfürst von Bayern geworden, 1778 war er nach München übergesiedelt, und in der Folgezeit wurde die Kurpfalz immer mehr vernachlässigt. Daran änderte sich wenig, als Karl Theodor 1799 verstarb und Max IV. Joseph seine Nachfolge antrat.8 In seiner sehr viel bedeutenderen Funktion als bayerischer Kurfürst war Max Joseph vor allem an einer Abrundung seines Territoriums und an dessen vorteilhafter Gesamtlage im Reich interessiert. In dieser Hinsicht sollte Kurbayern unter dem Strich tatsächlich zu den Hauptprofiteuren der territorialen Veränderungen im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses gehören, ihm waren zahlreiche ehemals geistliche Gebiete zugedacht.9 Und mindestens ebenso gewinnbringend war die Befugnis zur Säkularisation der landsässigen Klöster, Abteien und Stifte, von denen es in Bayern besonders viele gab. Um das Gesamtwerk nicht zu gefährden und sich so am Ende um die für ihn vorgesehene reiche Entschädigung zu bringen, nahm Max Joseph den Verlust der Kurpfalz widerstandslos hin. 8

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Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising. Fürstbischof Johann Konrad von Schroffenberg (1790–1803) und die Säkularisation des Hochstifts Freising, München 1987, S. 140. Die Hochstifte Freising, Bamberg, Augsburg, der größte Teil der Hochstifte Würzburg und Eichstätt, kleinere Gebiete des Hochstifts Passau einschließlich der Bischofsstadt selbst; Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising, 1987, S. 146.

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Ob der Kurfürst von der Pfalz im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses überhaupt abgedankt hat, ist schon fraglich, blieb er doch weiterhin bayerischer Kurfürst. Selbst wenn man sein Verhalten als Abdankung bezeichnen will, so war sie jedenfalls nicht erzwungen. Damit ist die Kurpfalz mit Heidelberg ein schlechtes Beispiel zur Illustration dieses Beitrags, verdeutlicht aber Eines: Die geplante Auflösung eines Territoriums hatte nicht zwangsläufig den Widerstand seines Monarchen zur Folge. Politische Erwägungen konnten es angezeigt erscheinen lassen, die Zerschlagung des eigenen Herrschaftsgebiets klaglos hinzunehmen. 2.2. Das Hochstift Freising

Die Kurpfalz nahm bei den Gebietsverschiebungen durch den Reichsdeputationshauptschluss eine Sonderrolle ein. Sie war das einzige größere Territorium eines weltlichen Herrschers, dessen Existenz ausgelöscht wurde. Alle übrigen aufgelösten Gebiete nennenswerten Ausmaßes waren geistliche Staaten. In ihrem Kreise ist daher nach Beispielen für erzwungene Abdankungen im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses zu suchen. Einer näheren Betrachtung soll die Auflösung des Hochstifts (also des geistlichen Fürstentums) Freising bei München unterzogen werden. Freising war von allen bayerischen Städten am stärksten von der Säkularisation betroffen, wenn man die Vermögenssäkularisation in die Betrachtung mit einbezieht.10 Doch nicht um die Enteignung von Kirchengut soll es hier gehen, sondern um die Herrschaftssäkularisation und dabei primär um das Schicksal des Monarchen. In dieser Hinsicht erscheint Freising nicht als irgendwie gearteter Extremfall, sondern als einigermaßen typisches Beispiel auch für andere säkularisierte geistliche Fürstentümer.11 Das Hochstift Freising war etwa 15 Quadratmeilen groß und beherbergte rund 30.000 Einwohner; es zählte damit zu den kleineren geistlichen Fürstentümern. Neben der Stadt Freising gehörten weit gestreute Exklaven in Kurbayern und den Habsburger Landen zum Hochstift.12 Das Hochstift und Bistum Freising wurde seit 1790 von Johann Konrad Freiherr von Schroffenberg regiert, der zugleich auch Fürstbischof von Regensburg und Fürstpropst von Berchtesgaden war.

10 Schwaiger, Georg, „Die stillen Jahre Freisings und seines Domes (1803–1822)“, in: Joseph A. Fischer (Hrsg.), Der Freisinger Dom. Beiträge zu seiner Geschichte, Freising 1967, S. 239. 11 Insgesamt wurden vier Erzbistümer und Hochstifte (Mainz, Köln, Trier und Salzburg), 18 Bistümer sowie ca. 80 reichsunmittelbare Abteien und Propsteien, Kapitel und Klöster säkularisiert. Hinzu kamen mehrere hundert mittelbare Stifte und Klöster. Eine Übersicht über die Entschädigungsterritorien findet sich bei Zeumer, Karl, Quellensammlung, 1913, S. 552. 12 Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising, 1987, S. 32. Der Reichsdeputationshauptschluss als erzwungene Abdankung?  

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a. Der Friede von Lunéville und die weitere Entwicklung

Der Friede von Lunéville 1801 hatte für Freising zunächst den Abzug der französischen Soldaten zur Folge. Dadurch wurde die Existenzbedrohung allerdings nicht kleiner, sondern eher größer: Auch wenn der Friedensvertrag nicht weiter ausführte, wie die Entschädigung „aus der Mitte des Reiches“ vonstatten zu gehen habe – man erinnere sich an den eben zitierten Art. 7 –, so herrschte doch die allgemeine Überzeugung, dass die weltlichen Fürstentümer hauptsächlich durch Einverleibung geistlicher Territorien zu entschädigen waren. Sollte dies den Fürstbischöfen nicht schon von vornherein klar gewesen sein, so mussten sie spätestens die Signale ihrer Delegierten vom Regensburger Reichstag in Alarmstimmung versetzen. – „Ich besorge, und dies aus guten Gründen, dass wir alle samt und sonders von den Weltlichen aufgefressen werden …“, berichtete der Freisinger Gesandte Domherr Joseph Graf von Lerchenfeld seinem Domkapitel. Und weiter: „Unsre Lage ist anjetzo so, wie jene eines Hauses welches in Brand stehet, welchen man nicht mehr löschen kann und wobei nichts anderes übrig bleibt als hieraus zu salvieren, was möglich: sagen sie dies unseren Herren Domkapitularen und legen sie Hand an das Werk, wo es noch Zeit ist.“13 Zu retten, was noch zu retten ist, hatte Fürstbischof Schroffenberg trotz angeschlagener Gesundheit mit großer Energie von Anfang an versucht. In der Zeit nach dem Lunéviller Frieden erwies er sich als einer der tatkräftigsten Kämpfer gegen die bevorstehenden Säkularisationen und den damit verbundenen Machtverlust der Kirche14 – ein tatkräftiger, aber ein einsamer Kämpfer. Da er ein gemeinsames Vorgehen der geistlichen Reichsstände für unabdingbar erachtete, führte er von April bis Oktober 1801 eine umfangreiche Korrespondenz mit Konstanz, Basel, Brixen, Salzburg, Passau, Eichstätt, Mainz und Trier und erntete von dort auch allgemeine Zustimmungsbekundungen.15 Doch blieben diese zumeist auf der rhetorischen Ebene stehen. Insgesamt verhielten sich die geistlichen Fürstentümer viel zu unentschlossen und abwartend, als dass sie ihren schon nahezu sicheren Untergang noch hätten verhindern können. Warum die Fürstbischöfe dem Verlust ihrer weltlichen Macht so wenig gegensteuerten, ist nicht eindeutig zu erklären. Es mag an der mangelnden Unterstützung aus Rom gelegen haben: Dem päpstlichen Hof war die deutsche Reichskirche viel zu mächtig und selbstbewusst geworden,16 weshalb man die Dinge im Heiligen Römischen Reich geschehen ließ und nur halbherzig und erst viel zu spät gegen die be13 14 15 16

Zitiert nach ebd., S. 120. Ebd., S. 135. Vgl. ebd., S. 135 f. Aretin, Karl Otmar Freiherr von, „Die Reichskirche und die Säkularisation“, in: Rolf Decot (Hrsg.), Die Säkularisation der Reichskirche 1803. Aspekte kirchlichen Umbruchs, Mainz 2002, S. 13–32, hier: S. 13 (31); Walther, Gerrit, „Das Ende: Die Säkularisation von 1802 / 03“, in:

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vorstehenden Säkularisationen protestierte.17 Möglicherweise waren die geistlichen Reichsfürsten auch einfach realistisch genug, um schon 1801 die Aussichtslosigkeit ihrer Situation zu erkennen. Sie waren in der Vergangenheit eine wichtige Stütze für den Kaiser gewesen, und ebendeshalb sorgte der Kaiser in besonderer Weise für ihre Fortexistenz. Nun, da Wien entscheidend geschwächt war, brach den geistlichen Fürstentümern ihre wichtigste Schutzmacht im Reich weg. Höchstens aus eigener Kraft hätten sie sich noch retten können. Doch auch dieser Weg blieb ihnen versperrt: Anders als die weltlichen Reichsstände hatten sie nach der Französischen Revolution, die selbstverständlich auch von den Zeitgenossen im Heiligen Römischen Reich aufmerksam beobachtet worden war, fast keine Reformen zur Stärkung der Wirtschaft eingeleitet. Dementsprechend war die Finanzlage der meisten geistlichen Reichsfürsten prekär. Zudem war es ihnen nicht gelungen, eine Identifikation der Bevölkerung mit ihren Territorien zu schaffen.18 Beides wäre nötig gewesen, um den Expansionsgelüsten der weltlichen Reichsstände Gegenwehr leisten zu können. Als Kurbayern dann gewissermaßen als ersten Schritt der Einverleibung kirchlichen Eigentums daran ging, in seinem Territorium gelegene Klöster aufzulösen, und zu diesem Zweck am 25. Januar 1802 mit der „kurfürstlichen Spezialkommission in Klostersachen“ eine eigene Behörde schuf, protestierte Schroffenberg in zwei an den Kurfürsten persönlich gerichteten Schreiben vom 19. und 27. Januar 1802.19 Eine Reaktion erhielt er nicht. Und auch die letzte Hoffnung Rom sollte sich schnell zerschlagen: Der Bericht über die Ereignisse im Reich, den er seinen römischen Agenten Bernardino Benifiglio dem Heiligen Stuhl gegenüber erstatten ließ, blieb dort weitgehend ohne Beachtung.20 b. Die Inbesitznahme des Fürstbistums Freising

Derart frei von ernst zunehmenden Widerständen entwickelte die Inbesitznahme des Entschädigungsgutes im ganzen Reich eine Eigendynamik, die der Reichsgesetzge-

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Kurt Andermann (Hrsg.), Die geistlichen Staaten am Ende des Alten Reiches. Versuch einer Bilanz (Kraichtaler Kolloquien, Bd. 4), Epfendorf 2004, S. 169–179, hier: S. 169 (177). Müller, Winfried, „Die Säkularisation von 1803“, in: Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte, Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 3, Walter Brandmüller (Hrsg.), St. Ottilien 1991, S.  1 (57), spricht von „wenig effiziente(n) Routineproteste(n)“. Ein Beispiel findet sich in dem Breve Papst Pius VII. an Kaiser Franz II. vom 17. Juni 1801, abgedruckt bei Oer, Rudolfine Freiin von (Hrsg.), Die Säkularisation von 1803. Vorbereitung – Diskussion – Durchführung, Göttingen 1970, Nr. 9, (S. 22 ff.). Knecht, Ingo, Der Reichsdeputationshauptschluß, 2007, S. 192. Vgl. Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising, 1987, S. 122, mit Verweis auf die im Archiv des Erzbistums München und Freising, Heckenstallersammlung Frisingia, 50, p. 119 f., 233–236 befindlichen Originale. Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising, 1987, S. 122. Der Reichsdeputationshauptschluss als erzwungene Abdankung?  

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bung immer einen Schritt voraus war. Indes: Über Rechtsfragen zerbrach sich niemand mehr den Kopf.21 Man befand sich 1802 in einer Phase der Übermacht des Faktischen, das durch Regeln nicht mehr zu bändigen war. Die Mächtigeren unter den Reichsständen wussten, an wen sie sich in dieser Situation zu wenden hatten: an den wahren Machthaber im Heiligen Römischen Reich, Napoléon Bonaparte. Politisch hatten sie die bevorstehenden Gebietsverschiebungen im Reich mit Frankreich schon im Wesentlichen abgesprochen. Die Herrscher der als Entschädigungsgut vorgesehenen Länder waren daran nicht beteiligt gewesen, obwohl ein völkerrechtlich ordnungsgemäßes Vorgehen ihr Einverständnis vorausgesetzt hätte. Da die erwerbenden Landesherren befürchteten, im Verteilungskampf von ihren Konkurrenten noch übervorteilt zu werden, ergriffen sie schon vor der offiziellen Übergabe von den neuen Gebieten Besitz, um ihren unbedingten Herrschaftswillen zu manifestieren und vollendete Tatsachen zu schaffen. So gerieten auch die Besitzungen des Fürstbischofs Schroffenberg in die Gewalt fremder Mächte, noch bevor die außerordentliche Reichsdeputation zu Regensburg auch nur das erste Mal zusammengetreten war. Freising, das geistliche Fürstentum vor den Toren Münchens, war Kurbayern schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Nun, da sich die Gelegenheit zu seiner Einverleibung bot, zögerte man dort nicht. Bereits im Mai 1801 – kurz nach dem Friedensschluss von Lunéville – hatte Kurbayern mit Frankreich einen eigenen Friedensvertrag geschlossen, in dem zugleich Entschädigungen im Wege der Säkularisation geistlicher Territorien festgeschrieben wurden. Am 24. Mai 1802 ließ sich Kurbayern dann in einem Separatvertrag mit Frankreich den Anspruch auf Freising zusichern.22 Auf dieser Basis bereitete München die Inbesitznahme vor. Offiziell begründet wurde sie mit Art. 7 des Lunéviller Friedensvertrags – nicht mehr als ein juristisches Feigenblatt, das die Rechtswidrigkeit nur mühsam verdecken konnte. Der Lunéviller Frieden verwies ja ausdrücklich auf einen von der Reichsdeputation noch zu entwickelnden Entschädigungsplan, war also selbst noch keine Ermächtigungsgrundlage zur Aneignung fremder Hoheitsgebiete. Am Morgen des 23. August 1802 marschierte der kurbayerische Oberstleutnant Röckl mit einer Truppe von 56 Mann in Freising ein und einigte sich mit dem dortigen Militär auf die friedliche Übergabe des Hochstifts. Die Bevölkerung betrachtete das Schauspiel neugierig, aber nicht feindselig. Zu Widerstandshandlungen kam es nicht. Erst am Nachmittag desselben Tages traf der Direktor der ersten Deputation 21 Die Reichsverfassung sah durchaus die Möglichkeit einer Zusammenlegung mehrerer einstmals selbständiger Territorien vor, die aber nur mit dem Willen der betroffenen Herrscher möglich war. 22 Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising, 1987, S. 135. Dass Frankreich natürlich nicht befugt war, über fremdes Territorium zu verfügen, und der „Vertrag“ mehr ein Versprechen als eine Vereinbarung mit rechtsgestaltender Wirkung war, interessierte beide Parteien wenig.

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der Generallandesdirektion23, Johann Adam Freiherr von Aretin, in Freising ein und nahm Kontakt zur dortigen Regierung auf. Der übliche diplomatische Weg wäre gewesen, zunächst die Regierungsbehörden des Hochstifts einzuschalten. Tatsächlich hatten zwei Militärs untereinander die Inbesitznahme ausgehandelt und dabei die Regierung, die darüber verständlicherweise verstimmt war, völlig außen vor gelassen. Im Bewusstsein der bayerischen Übermacht war v. Aretin das letztlich gleichgültig. Wie seine Meldungen nach München belegen, schätzte er die Freisinger Regierung als „kraftlos“ ein und als unfähig, der Inbesitznahme anders als mit Bereitwilligkeit und Eifer zu begegnen. In der Tat genügte schon eine kurze Beschwichtigungsrede, um die Wogen wieder zu glätten. Relativ schnell akzeptierten die alten Freisinger Eliten die Münchener Vorgaben für die Übergangszeit bis zur endgültigen zivilen Inbesitznahme des Hochstifts. Die zivile Inbesitznahme ordnete Kurfürst Max Joseph an, nachdem die Reichsdeputation am 23. November 1802 in Regensburg den allgemeinen Entschädigungsplan angenommen hatte, einen Entwurf, der dem endgültigen Reichsdeputationshauptschluss schon sehr ähnlich war. Nach dem Willen der Deputation, die sich in ihren Beratungen mehrfach ausdrücklich auf die damals modernen Gedanken der Aufklärung berief,24 sollte bei der Übernahme der säkularisierten Gebiete generell der weltliche von dem kirchlichen Bereich getrennt werden. Die geistlichen Staaten – oder anders gewendet: die weltlichen Bistümer – wiesen ja die Besonderheit auf, dass sie Träger staatlicher Hoheitsgewalt und kirchliche Institution zugleich waren. Während die staatlichen Einrichtungen völlig auf die erwerbenden Territorien überzugehen hatten, sollten die kirchlichen Institutionen nach dem Geist des Reichsdeputationshauptschlusses grundsätzlich unberührt weiterbestehen. Mit anderen Worten: Die Auflösung des Reichsstandes Hochstift Freising sollte das katholische Bistum Freising nicht betreffen. Am 27. November lud v. Aretin die Spitzen der Freisinger Verwaltung und des Militärs zur Vereidigung auf den neuen Landesherrn. Aus eigenem Antrieb traf auch eine Delegation des Magistrats ein, um ausdrücklich die Unterwerfung unter den neuen Herrscher zu erklären. Am selben Tag wurden an den öffentlichen Gebäuden ohne großes Aufsehen bayerische Landeswappen angebracht. Das Besitzergreifungspatent wurde von den Kanzeln der Stadt verlesen. Soweit überliefert, nahm die Bevölkerung die neuen Verhältnisse stoisch hin.25 23 Kurfürst Max IV Joseph hatte die Generallandesdirektion 1799 nach dem Vorbild des Preußischen Generaldirektoriums unter Zusammenfassung der früheren Ministerialdepartements als zentrale Verwaltungseinheit installiert. Sie ähnelte am ehesten den heutigen Mittelbehörden (also etwa den Regierungen in Bayern oder den Regierungspräsidien in Hessen). 24 Nachweise bei Knecht, Ingo, Der Reichsdeputationshauptschluß, 2007, S. 90, Fn. 418. 25 Sowohl die militärische als auch die zivile Inbesitznahme erfolgte ohne jeden Zwischenfall; Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising, 1987, S. 205. Der Reichsdeputationshauptschluss als erzwungene Abdankung?  

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Am selben Tage erlosch das Freisinger Domkapitel. An seiner Auflösung zeigt sich die Schwierigkeit einer Trennung von staatlichen und kirchlichen Einrichtungen: Das Domkapitel war primär eine kirchliche Einrichtung, es nahm allerdings auch die Funktion von Landständen wahr und übte damit zugleich weltliche Herrschaft aus. Sein Ende hatte deshalb faktisch – anders als vom Reichsdeputationshauptschluss vorgesehen – auch innerkirchliche Folgen: So fand im Bistum Freising bis zu seiner Verschmelzung mit dem Erzbistum München 1821 keine Bischofswahl mehr statt. Die Leserin / der Leser wird sich möglicherweise fragen, warum in der gesamten Schilderung der Inbesitznahme Freisings durch Kurbayern keine Rede von Fürstbischof Schroffenberg gewesen ist. Schroffenberg war während dieser Ereignisse schlicht keine relevante Größe – mehr noch: Er tat alles dafür, keine bestimmende Kraft zu sein. „Es ist keinem Zweifel mehr unterworfen, dass die bereits eingetretenen und noch bevorstehenden politischen Wendungen auf Geist und Körper unseres lieben Fürsten äußerst widrig einwirken,“ berichtete der geheime Kabinettssekretär Johann Joseph Friedrich von Steigentesch im September 1802.26 Der einst so energiereiche und mit der Kraft der Verzweiflung kämpfende Reichsfürst musste tatenlos zusehen, wie das Rechtsgefüge des Alten Reiches und der Reichskirche unwiederbringlich zerfiel. Zunehmend kranker und von einer tiefen Schwermut besessen zog sich Schroffenberg im Juni 1802 in seine Fürstpropstei Berchtesgaden zurück. „An Leib und Seele gebrochen“, wie der Kirchenhistoriker Georg Schwaiger plastisch schreibt, fristete er dort seine letzten Monate.27 Dieses Verhalten stellte die bayerischen Besatzer vor einige Probleme, denn für eine geregelte Übergabe des Fürstentums stellte der schon fast vollständig ausgearbeitete Reichsdeputationshauptschluss den abtretenden Monarchen nicht völlig rechtlos. In der damaligen Zeit maß man den sogenannten wohlerworbenen Rechten eine große Bedeutung bei. Rechtspositionen, die eine Person einmal rechtmäßig erworben hatte, durften ihr gegen ihren Willen grundsätzlich nicht entzogen werden. Die Säkularisation sollte daher alle persönlichen Ansprüche – Gehalt, Pensionen und ähnliches –, unberührt lassen. Fiel der bisherige Anspruchsgegner weg, etwa weil es sich um eine säkularisierte geistliche Körperschaft handelte, musste ein neuer Schuldner an seine Stelle treten. Soweit ein Territorialherrscher seine Hoheitsrechte verlor – auch sie waren seine wohlerworbenen Rechte28 –, funktionierte dieses Prinzip selbstverständlich nicht. Den Entzug von Hoheitsrechten sollten Entschädigungszahlungen ausgleichen. Aus diesem Grund enthielt der Reichsdeputationshauptschluss detaillierte 26 Zitiert nach Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising, 1987, S. 124. 27 Schwaiger, Georg, „Die stillen Jahre Freisings“, 1967, S. 243. 28 Hömig, Klaus Dieter, Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 und seine Bedeutung für Staat und Kirche unter besonderer Berücksichtigung württembergischer Verhältnisse, Tübingen 1969, S. 48 f.; Knecht, Ingo, Der Reichsdeputationshauptschluß, 2007, S. 103.

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Bestimmungen über die Versorgung derjenigen geistlichen Amtsträger und ihrer Bediensteten, die infolge der Säkularisationen ihre bisherigen Funktionen einbüßten. Die Reichsdeputation musste somit nicht nur neue Schuldner für die persönlichen Ansprüche gegen aufgelöste Einrichtungen finden, sondern auch festlegen, wer für den Verlust von Hoheitsrechten Ersatz zu leisten hatte. Sie löste das Problem wie folgt: Ihrem Gesetzentwurf lag verallgemeinernd gesagt das Prinzip der Universalsukzession zugrunde, d. h. der neue Landesherr trat in alle Rechtspositionen der aufgelösten Körperschaften ein.29 Das betraf eben auch ungünstige Rechtspositionen: Schulden, Pensionslasten etc. Dadurch sollten selbst einfache Klosterangehörige nicht um ihre wirtschaftliche Fortexistenz bangen müssen. Politisch bedeutsamer sind die im Reichsdeputationshauptschluss ebenfalls ausführlich geregelten Rechte der aus ihrem weltlichen Amt vertriebenen geistlichen Reichsfürsten. Sie behielten gem. §§ 48, 49 RDHS ihre persönliche Würde mit dem entsprechenden Rang, die persönliche Unabhängigkeit und eine eingeschränkte Gerichtsbarkeit über ihre Dienerschaft. Für den Lebensstandard nicht unerheblich bestimmte §  50: „Den sämmtlichen abtretenden geistlichen Regenten ist … auf lebenslang eine ihrem Rang und Stande angemessene freie Wohnung mit Meublement und Tafelservice, auch den Fürstbischöfen ein Sommeraufenthalt anzuweisen.“ Alle Mobilien, die dem Landesherrn selbst gehörten, blieben in seinem Eigentum. Auch staatliche Gegenstände, die ihm zum persönlichen Gebrauch zur Verfügung gestanden hatten, durfte er zeitlebens weiter benutzen. Erst nach seinem Tode sollten sie wieder in den Besitz des Staates fallen. § 51 RDHS sicherte die Einkünfte der abtretenden Regenten. Ihre Sustentation sollte sich am bisherigen Einkommen orientieren, wobei der Reichsdeputationshauptschluss nur einen groben Rahmen vorgab. Fürstbischöfen standen mindestens 20.000 und höchstens 60.000 Gulden pro Jahr zu. In Einzelfällen war es dem „Großmuth der künftigen Landesherren“ überlassen, zusätzliche Leistungen zu erbringen. Allerdings traute ihnen die Reichsdeputation zu Regensburg offenbar nicht vollständig: Nach § 51 RDHS war ihr binnen vier Wochen verlässlich anzuzeigen, wie die Sustentation im jeweiligen Einzelfall geregelt worden war. Ergaben sich Beanstandungen, war die Reichsdeputation befugt, über Art und Höhe der Entschädigung zu entscheiden. Damit erklärt sich wohl auch das dringende Interesse Freiherr v. Aretins in Freising an einer einvernehmlichen Regelung der Sustentationsleistungen. Unmittelbar nach dem Einmarsch im Hochstift versuchte er, mit dem Fürstbischof Verhandlungen aufzunehmen. Doch weilte Schroffenberg ja seit Juni 1802 in Berchtesgaden und hegte auch nicht die Absicht, nach Freising zu reisen oder Gesandte zu instruieren, da 29 Schroeder, Klaus-Peter, Das Alte Reich und seine Städte. Untergang und Neubeginn: Die Mediatisierung der oberdeutschen Reichsstädte im Gefolge des Reichsdeputationshauptschlusses 1802 / 03, München 1991, S. 449. Der Reichsdeputationshauptschluss als erzwungene Abdankung?  

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er glaubte, Kurbayern wolle gar keine Verhandlungen. Erst nachdem v. Aretin gegenüber Vertrauten des Fürstbischofs ausdrücklich erklärt hatte, sehr wohl eine gütliche Einigung anzustreben, konnte sich Schroffenberg am 8. Dezember 1802 dazu durchringen, seinen Freund Georg Ludwig Korps zu Sustentationsverhandlungen mit Generalkommissar v. Aretin für sich und seine Untergebenen zu bevollmächtigen. Als Basis sollten die Vorgaben des schon im Wesentlichen bekannten Reichsdeputationshauptschlusses dienen. Über den Bevollmächtigten Major Korps entspann sich eine rege Korrespondenz, wobei die Vertrauten in Berchtesgaden zunehmend Mühe hatten, einen Moment abzupassen, in dem der schwer depressive Fürstbischof sich den Realitäten nicht völlig verweigerte. Am 20. Januar 1803 konnte schließlich eine Sustentationsübereinkunft abgeschlossen werden, die den Anforderungen des einen Monat später in Kraft tretenden Reichsdeputationshauptschlusses genügte: Schroffenberg bekam eine jährliche Zahlung von 20.000 Gulden versprochen, er behielt seine Residenz in Freising und das Jagdschloss zu Birkeneck als Wohnsitz.30 Bereits am 9. Februar ließ Kurfürst Max Joseph beglaubigte Abschriften der Übereinkunft zur Reichsdeputation nach Regensburg senden. Damit hatte er auch die letzte Anforderung des Reichsdeputationshauptschlusses erfüllt.31 c. Das Schicksal des Hochstifts Regensburg und der Fürstpropstei Berchtesgaden

Eine ähnliche Übereinkunft traf Fürstbischof Schroffenberg mit Kurerzkanzler Karl Theodor von Dalberg, dem das Hochstift Regensburg zugedacht war.32 Dalberg legte einen anständigeren Stil an den Tag und führte – anders als Kurbayern – die Verhandlungen vor der militärischen Übernahme. Auch er verpflichtete sich zu einer jährlichen Sustentationszahlung von 20.000 Gulden an Schroffenberg, zusätzlich zu einer Einmalzahlung in gleicher Höhe. Außerdem erhielt der frühere Fürstbischof einen Anspruch auf eine angemessene Wohnung in Regensburg. Die Fürstpropstei Berchtesgaden war Großherzog Ferdinand von Toskana zugesprochen worden. Am 11. Februar 1803 nahm Freiherr von Schroffenberg in Berchtesgaden mit einer Dankeserklärung von seinen Untertanen Abschied. Zugleich mit der Verabschiedung des Reichsdeputationshauptschlusses am 25. Februar 1803 ergriff

30 Vereinbarung im Wortlaut bei Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising, 1987, S. 217 ff. 31 Kurbayern übernahm pflichtgemäß auch die früher gegen das Hochstift gerichteten Besoldungs- und Pensionsansprüche und verhielt sich bei Zweifelsfällen zumeist sehr großzügig; Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising, 1987, S. 235. 32 Vgl. ebd., S. 123.

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Ferdinand Zivilbesitz von der Propstei. Tags darauf unterschrieb Schroffenberg seine Resignations- und Entlassungsurkunde.33 Sustentationsverhandlungen konnte er keine mehr führen: Am 4. April 1803 verstarb Joseph Konrad Freiherr von Schroffenberg, letzter Fürstbischof von Freising und Regensburg, letzter Fürstpropst von Berchtesgaden.34 Freiherr von Aretin gestattete zwar die Abhaltung der üblichen Trauerfeierlichkeiten, jedoch musste dabei auf jeden Bezug zur Bestattung eines weltlichen Herrschers verzichtet werden. Am Katafalk durften keine fürstlichen Insignien angebracht,35 noch durfte eine Hof- und Landestrauer angeordnet werden. Damit wurde aller Welt vor Augen geführt, dass hier ein Bischof beerdigt wurde und kein Fürst.

Schlussbetrachtung Am Ende dieses Beitrags sind (hoffentlich) manche Fragen geklärt, andere stellen sich dafür in neuer Schärfe. Vor allem: Haben die Territorialherrscher im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses überhaupt abgedankt? Schließlich dankt nicht jeder Monarch ab, der sein Amt verliert, weil sein Territorium Opfer einer kriegerischen Auseinandersetzung und vom Gegner annektiert wird. Die Antwort hängt letztlich von der Definition der Abdankung ab – eine Aufgabe, die der weiteren Forschung vorbehalten bleiben muss. Ein Ansatz zur Begriffsbildung sei aber doch gewagt: Eine Abdankung muss nicht notwendigerweise freiwillig erfolgen – sonst litte der Titel dieses Beitrags ja auch an einem inneren Widerspruch. Setzte man Freiwilligkeit voraus, dann bliebe für die Abdankung kaum noch ein Anwendungsbereich. In der Geschichte gibt es nur wenige Fälle, in denen Monarchen ihr Amt aus bloßem inneren Überdruss abgaben. Meist bestanden mehr oder weniger ausgeprägte äußere Zwänge, die ihnen den Machterhalt faktisch unmöglich machten oder zumindest unattraktiv erscheinen ließen. Der im Einzelfall schwierigen und überdies nicht einmal besonders gewinnbringenden Unterscheidung zwischen freiwilligen Handlungen und solchen, die erzwungen waren, sollte lieber aus dem Weg gegangen werden. Größere Begriffsschärfe für die notwendige Abgrenzung zwischen Abdankung und Absetzung lässt sich erzielen, sieht man die Abdankung als einen Rechtsakt an, welcher der Mitwirkung des Monarchen bedarf. In diesem Sinne wurden die Herr33 Ebd., S. 126. 34 Das machte eine Einigung nicht entbehrlich, sondern führte zu jahrelangen Streitigkeiten zwischen dem Kurfürsten Ferdinand von Salzburg und den Intestat-Erben Schroffenbergs, die erst im Sommer 1805 beigelegt werden sollten. 35 Pitzer, Eugen, Weltliche Regierung und Landeshoheit im Hochstift Freising, Freising 1953, S. 5. Der Reichsdeputationshauptschluss als erzwungene Abdankung?  

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scher liquidierter Territorien 1803 nicht abgesetzt; vielmehr ist ihr Abtritt als Abdankung zu qualifizieren. Denn es war hinsichtlich der Modalitäten ihre Mitwirkung verlangt, auch wenn ihnen bezüglich der Hoheitsaufgabe selbst eine realistische Handlungsalternative nicht zur Verfügung stand. Unter anderem wegen dieses Zwangs war der Reichsdeputationshauptschluß mit geltendem Recht nicht in Einklang zu bringen.36 Es handelte sich gleichwohl um einen sanften Zwang, oder besser: um einen Zwang, dessen Folgen abgemildert waren. Die abtretenden Monarchen und ihre Beschäftigten waren nicht rechtlos gestellt, sondern erhielten großzügige materielle Ausgleichsansprüche. Wie sich in den Folgejahren herausstellen sollte, erfüllten die Erwerberstaaten nahezu durchweg ihre Verpflichtungen. Auch wenn den Freiherrn von Schroffenberg und andere geistliche Landesherren der Verlust ihrer weltlichen Herrschaft persönlich schwer traf, kann man im Vergleich zu manch anderen Fällen in der Geschichte nur sagen: Wohl dem, der unter so guten Bedingungen abdanken darf !

Quellen- und Literaturverzeichnis Aretin, Karl Otmar Freiherr von, Das Alte Reich 1648–1806, Das Reich und der österreichischpreußische Dualismus (1745–1806), Bd 3, Stuttgart ²1997. Ders., „Die Reichskirche und die Säkularisation“, in: Rolf Decot (Hrsg.), Die Säkularisation der Reichskirche 1803. Aspekte kirchlichen Umbruchs, Mainz 2002, S. 13–32. Frotscher, Werner / Pieroth, Bodo, Verfassungsgeschichte, München 82009. Gleixner, Sebastian, „Von der fürstbischöflichen Residenz zum bayerischen Behördensitz. Die Eingliederung in das Kurfürstentum Bayern 1802–1804“, in: Hubert Glaser (Hrsg.), Freising wird bairisch, verwaltungsgeschichtliche und biographische Studien zur Wende von 1802 (37. Sammelband des historischen Vereins Freising), Regensburg 2002, S. 13–140. Hömig, Klaus Dieter, Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 und seine Bedeutung für Staat und Kirche unter besonderer Berücksichtigung württembergischer Verhältnisse, Tübingen 1969. Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Bd. 1, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz ³1978. Ders., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Reformation und Restauration 1789 bis 1830, Bd 1, Stuttgart / Berlin / Köln ²1990. Hufeld, Ulrich (Hrsg.), Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Eine Dokumentation zum Ausgang des Alten Reiches, Köln / Weimar / Wien 2003. Ders., „Einleitung“, in: Ders., Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Eine Dokumentation zum Ausgang des Alten Reiches, Köln / Weimar / Wien 2003, S. 1–32. Keil, Norbert, Das Ende der geistlichen Regierung in Freising. Fürstbischof Johann Konrad von Schroffenberg (1790–1803) und die Säkularisation des Hochstifts Freising, München 1987.

36 Zur Rechtmäßigkeit vgl. Knecht, Ingo, Der Reichsdeputationshauptschluß, 2007, S. 91 ff.

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Knecht, Ingo, Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803. Rechtmäßigkeit, Rechtswirksamkeit und verfassungsgeschichtliche Bedeutung, Berlin 2007. Kotulla, Michael (Hrsg.), Deutsches Verfassungsrecht 1806–1918. Eine Dokumentensammlung nebst Einführungen, Gesamtdeutschland, Anhaltinische Staaten und Baden, Bd. 1, Berlin / Heidelberg 2006. Müller, Winfried, „Die Säkularisation von 1803“, in: Walter Brandmüller (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte, Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 3, St. Ottilien 1991. Oer, Rudolfine Freiin von (Hrsg), Die Säkularisation von 1803. Vorbereitung – Diskussion – Durchführung, Göttingen 1970. Pitzer, Eugen, Weltliche Regierung und Landeshoheit im Hochstift Freising, Freising 1953. Protokolle der ausserordentlichen Reichsdeputation zu Regensburg, Regensburg 1803. Schroeder, Klaus-Peter, Das Alte Reich und seine Städte. Untergang und Neubeginn: Die Mediatisierung der oberdeutschen Reichsstädte im Gefolge des Reichsdeputationshauptschlusses 1802 / 03, München 1991. Schwaiger, Georg, „Die stillen Jahre Freisings und seines Domes (1803–1822)“, in: Joseph A. Fischer (Hrsg.), Der Freisinger Dom. Beiträge zu seiner Geschichte, Freising 1967. Walther, Gerrit, „Das Ende: Die Säkularisation von 1802 / 03“, in: Kurt Andermann (Hrsg.), Die geistlichen Staaten am Ende des Alten Reiches. Versuch einer Bilanz (Kraichtaler Kolloquien Bd. 4), Epfendorf 2004, S. 169–179. Zeumer, Karl (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Tübingen ²1913.

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Absetzung, Abdankung und Verbannung Das politische Ende Napoleons

Volker Sellin Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 18. Oktober 1813 setzte der Herrschaft Napoleons über das rechtsrheinische Deutschland ein Ende. Um die Jahreswende von 1813 auf 1814 überschritten die verbündeten Armeen den Rhein und drangen auf französisches Staatsgebiet vor.1 Vom 5. Februar 1814 an rangen die Bevollmächtigten der Koalition in Châtillon-sur-Seine mit Napoleons Außenminister Caulaincourt um einen Friedensvertrag. Da Napoleon die vor allem von den Briten geforderte Rückführung Frankreichs in die Grenzen von 1792 ablehnte, wurden die Verhandlungen am 19. März ergebnislos abgebrochen.2 Abgesehen von Zar Alexander hatte die Koalition bis dahin nicht das Ziel verfolgt, Napoleon zu stürzen. Nach dem Abbruch des Kongresses von Châtillon schien ein Ende des Krieges jedoch nur erreichbar zu sein, wenn Frankreich eine neue Regierung erhielt. Allerdings waren sich die Verbündeten darin einig, daß eine Absetzung des Kaisers nur durch die französische Nation selbst herbeigeführt werden könne. Am 31. März 1814 rückten die Truppen der Koalition unter Führung des Zaren in die französische Hauptstadt ein. Von diesem Tag an gerechnet dauerte es noch über sechzehn Monate, bis Napoleon endgültig und wirksam von der Macht entfernt war.

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Ausführlicher, als es in einem Tagungsbeitrag möglich ist, habe ich die nachfolgenden Überlegungen an anderer Stelle behandelt. Zu nennen sind vor allem: Sellin, Volker, Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Göttingen 2001; Ders., „The Breakdown of the Rule of Law: A Comparative View of the Depositions of George III, Louis XVI and Napoleon I“, in: Robert von Friedeburg (Hrsg.), Murder and Monarchy. Regicide in European History, 1300–1800, Houndmills / Basingstoke / Hampshire 2004, S. 259– 289; Ders., „Der Tod Napoleons“, in: Francia, 35/2008, S. 273–294. Dort finden sich jeweils auch weitere Nachweise. Dieser Beitrag ist auf Wunsch des Autors in der alten Rechtschreibung gehalten. Zum Kongreß von Châtillon vgl. Sellin, Volker, Revolution, 2001, S. 99–120; unter den älteren Untersuchungen schon wegen ihres umfangreichen Quellenanhangs nach wie vor unentbehrlich: Fournier, August, Der Congress von Châtillon. Die Politik im Kriege von 1814. Eine historische Studie, Wien 1900.

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Am 1. April 1814 bildete der Sénat conservateur eine provisorische Regierung unter dem Vorsitz des Fürsten Talleyrand.3 Schon damit griff er in die Regierungsrechte Napoleons ein. Am 2. und 3. April setzte der Senat den Kaiser in Wahrnehmung des Rechts auf Widerstand gegen einen ungerechten Herrscher ab. Dabei nahm er sich die Absetzung Jakobs II. von England in der Glorreichen Revolution zum Vorbild. Wie Jakob II. wurde Napoleon nicht unter dem Vorwurf abgesetzt, daß er die Macht unrechtmäßig erworben habe; die Begründung war vielmehr, daß er die ihm übertragene Macht mißbraucht habe. Nach alteuropäischen Rechtsbegriffen wurde er dementsprechend nicht als Tyrann „ex defectu tituli“, sondern als Tyrann „ex parte exercitii“ gestürzt.4 Der Machtmißbrauch mußte bewiesen werden. Daher enthielt das Absetzungsdekret nach dem Muster der „Declaration of Rights“ von 1688 eine lange Liste von angeblichen Rechtsbrüchen des Kaisers.5 Der Entschluß zur Absetzung Napoleons war durch eine Erklärung befördert worden, die Zar Alexander nach dem Einmarsch im Namen der verbündeten Regierungen abgegeben hatte. Darin hieß es, die Koalition werde mit Napoleon oder mit einem Mitglied seiner Familie nicht mehr verhandeln.6 Die Franzosen waren daher vor die Wahl gestellt zwischen der Fortsetzung des Krieges auf unabsehbare Zeit und einem baldigen Friedensschluß. Daß nicht nur der Kaiser, sondern auch seine Dynastie von der Herrschaft über Frankreich ausgeschlossen wurde, entsprach, strenggenommen, nicht der Logik des Widerstands gegen einen ungerechten Herrscher. Zwei Befürchtungen sprachen jedoch gegen die Thronfolge des gerade dreijährigen Königs von Rom. Entweder würde Österreich über die zur Regentin berufene Kaiserin Marie Luise einen im Vergleich zu den anderen Siegermächten unverhältnismäßigen Einfluß auf die französische Politik gewinnen, oder Napoleon selbst würde hinter der Szene der wirkliche „Spiritus rector“ bleiben. Letztlich hätten sich Talleyrand und der Senat auch hier auf das Vorbild der Glorreichen Revolution berufen können. Damals war der Ausschluß des Thronfolgers sogar wichtiger gewesen als die Absetzung des regierenden Herrschers selbst, hatte doch erst die unerwartete Geburt eines katholischen Prinzen den Ruf nach dem rettenden Wilhelm von Oranien ausgelöst.7 Der napoleonische Senat besaß zwar gewisse verfassungsrechtliche Zuständigkeiten, aber nicht die Befugnis, den Kaiser und seine Dynastie zu stürzen. Darin glich er dem englischen Parlament von 1688 wie auch dem amerikanischen Kontinentalkon3 4

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Sellin, Volker, Revolution, 2001, S. 147. Vgl. Mandt, Hella, Art.: „Tyrannis, Despotie“, in: Brunner, Otto / Conze, Werner / Koselleck, Reinhart (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 663. Text des Absetzungsdekrets in: Bulletin des lois du Royaume de France, 5e série, Bd. 1, Paris 1814, S. 7–11. Text der Erklärung in: Le Moniteur universel, 2.4.1814. Sellin, Volker, Revolution, 2001, S. 150–155. Absetzung, Abdankung und Verbannung  

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greß, der sich, obwohl er als Organ in der Verfassung der Kolonien nicht einmal vorgesehen war, im Juli 1776 das Recht nahm, König Georg III. von England für abgesetzt und die Kolonien für unabhängig zu erklären. Der Senat rechtfertigte seinen Schritt mit dem Hinweis darauf, daß er im damaligen Augenblick das einzige handlungsfähige Staatsorgan und damit als einziger in der Lage sei, Widerstand zu leisten und das Land aus der politischen Krise zu führen. Zum Zwecke der nachträglichen Legitimierung seiner Aktion sollte die am 6. April von ihm verabschiedete Verfassung später einem Referendum unterworfen werden.8 Die Berufung einer verfassunggebenden Versammlung kam nicht in Betracht, da sich große Teile des Landes in der Hand der Verbündeten, die verbleibenden Teile unter der Kontrolle Napoleons befanden. Weder der Senat noch die Alliierten verfügten über die erforderlichen Machtmittel, um die Absetzung tatsächlich zu vollziehen. Der Kaiser hatte sich auf dem nahen Schloß Fontainebleau einquartiert, umgeben von seinen Truppen. Militärisch war er nicht besiegt, und er traf Anstalten, Paris zurückzuerobern. Diesen Plan machten am 4. April seine Marschälle zunichte. Sie weigerten sich, dem Kaiser in einen Bürgerkrieg zu folgen.9 Diese Weigerung war eine unerwartete Folge des Absetzungsdekrets. Die Aktion des Senats hatte die Nation gespalten. Die provisorische Regierung hatte das Militär von der Gehorsamspflicht gegenüber dem Kaiser entbunden. Während der Gehorsam gegenüber dem Kaiser bis dahin selbstverständlich als patriotische Pflicht angesehen worden war, regten sich nach dessen Absetzung bis in den Kreis seiner Marschälle hinein Zweifel, ob die Fortsetzung des Kampfes noch etwas anderem nütze als Napoleons persönlichem Ehrgeiz. Der Aufstand der Marschälle bewog Napoleon noch am selben 4. April, eine Erklärung aufzusetzen, daß er zugunsten seines Sohnes abtrete. Diese Erklärung war kein Thronverzicht, sondern lediglich ein Angebot, unter bestimmten Bedingungen abzudanken. Die wichtigsten Bedingungen waren die Anerkennung der Thronfolge des Königs von Rom unter der Regentschaft der Kaiserin Marie Luise und ein akzeptabler Friedensvertrag.10 Ohne daß er es in der Erklärung ausgesprochen hätte, bestand Napoleon weiterhin auf dem Besitz Belgiens mit Antwerpen und auf der Rheingrenze. Da die Alliierten es bereits im Februar auf dem Kongreß von Châtillon abgelehnt hatten, Frankreich die Rheingrenze zuzugestehen, kann Napoleon nicht ernsthaft geglaubt haben, daß sie jetzt auf diese Forderung eingehen würden. Daher ist anzunehmen, daß das Abdankungsangebot vom 4. April in erster Linie ein Schachzug war, Constitution française, 6.4.1814, Art. 29: „La présente Constitution sera soumise à l’acceptation du peuple français dans la forme, qui sera réglée“, in: Wilhelm Altmann (Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur außerdeutschen Verfassungsgeschichte seit 1776, Berlin 1897, S. 204, und in: Bulletin des lois du Royaume de France, 5e série, Bd. 1, Paris 1814, S. 18. 9 Sellin, Volker, Revolution, S. 176. 10 Text der Abdankungserklärung vom 4.4.1814 in: Napoléon Ier, Correspondance, Bd. 27, Paris 1869, Nr. 21555, S. 358. 8

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um den Widerstand der Marschälle zu brechen. Mit seiner Bereitschaft, abzudanken und das Land zu verlassen, ja aus dem Leben zu scheiden, glaubte Napoleon jeden Verdacht zerstreuen zu können, es gehe ihm nur um den Erhalt seiner persönlichen Machtstellung, zumal die Forderung nach Bewahrung der natürlichen Grenzen von vielen geteilt wurde. Sollten die Alliierten auf sein Angebot nicht eingehen, dann, so das Kalkül des Kaisers, war bewiesen, daß ein ehrenvoller Frieden nur durch Fortsetzung des Kampfes erreicht werden könne. Dementsprechend sandte Napoleon seinen Außenminister Caulaincourt zusammen mit den Marschällen Ney und Macdonald nach Paris und trug ihnen auf, mit dem Zaren über das Abdankungsangebot zu verhandeln. Am Abend des 4. April wurden die Abgesandten vom Zaren empfangen. Die Verhandlungen wurden jedoch alsbald auf den nächsten Morgen vertagt, weil Alexander sich mit seinen Verbündeten auf das weitere Vorgehen abstimmen wollte. In die zweite Verhandlungsrunde am 5.  April platzte die Nachricht vom Abfall des Corps des Marschalls Marmont. Der Marschall hatte diesen Abfall zwar eingeleitet, nach Bekanntwerden der Abdankungsbereitschaft des Kaisers jedoch zurückgestellt. Aufgrund eines Mißverständnisses war das Corps unter General Souham in der Nacht vom 4. auf 5. April trotzdem hinter die Linien des Feindes marschiert. Damit war Napoleon die Möglichkeit genommen, die Hauptstadt zurückzuerobern, und der Zar brach die Verhandlungen mit den kaiserlichen Emissären sofort ab.11 Daß der Zar sich überhaupt auf die Unterredungen eingelassen hatte, zeigt, welchen Respekt er noch immer vor der militärischen Macht seines Gegners hegte. Immerhin hatte er damit gegen seine eigene, am 31.  März öffentlich erklärte Absicht verstoßen, mit Napoleon nicht mehr zu verhandeln, ganz abgesehen davon, daß er sich mit der bloßen Aufnahme der Gespräche über das Absetzungsdekret des Senats hinwegsetzte und die provisorische Regierung offen desavouierte. Hätte der Zar Napoleon als wirksam abgesetzt betrachtet, hätte er kaum über seine Abdankung mit ihm verhandeln können. Nach dem Scheitern der Abdankungsinitiative vom 4. April und nach dem Verlust des Corps Marmont blieb Napoleon keine andere Möglichkeit, als ein neues, weitergehendes Abdankungsangebot zu unterbreiten. Eine entsprechende Erklärung setzte er am 6. April auf. Diesmal knüpfte er die Abdankung nicht mehr an bestimmte Friedensbedingungen und auch nicht mehr an die Anerkennung der Thronfolge seines Sohnes. Dagegen forderte er eine angemessene Ausstattung für seine Person und für seine Familie.12 Am Morgen des 7. April machten sich seine drei Unterhändler erneut auf den Weg zum Zaren. Wiederum ließ sich der Zar auf Verhandlungen ein. Da die 11 Sellin, Volker, Revolution, 2001, S. 183–185. 12 Text der Abdankungserklärung vom 6.4.1814 in: Napoléon Ier, Correspondance, Bd. 27, 1869, Nr. 21558, S. 361. Absetzung, Abdankung und Verbannung  

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vorgesehene finanzielle Ausstattung des Kaisers zu Lasten des französischen Staates gehen sollte, verlangte der Zar, daß die provisorische Regierung unter Führung Talleyrands zu gleichen Rechten an den Verhandlungen beteiligt werde. Das lehnten die Vertreter des Kaisers ab, hätten sie doch damit dessen Absetzung stillschweigend anerkannt und jede Verhandlung über die Bedingungen seiner Abdankung gegenstandslos gemacht. Schließlich einigte man sich auf die Fiktion, daß die Vertreter der provisorischen Regierung nicht als solche, sondern lediglich als Berater des russischen Außenministers Nesselrode an den Verhandlungen teilnähmen. Ergebnis der Verhandlungen war der Abdankungsvertrag von Fontainebleau vom 11. April 1814. Als Gegenleistung für seine Abdankung wurden Napoleon die Souveränität über die Insel Elba und der Kaiserin Marie Luise die Herrschaft über die Herzogtümer Parma, Piacenza und Guastalla zugesprochen. Darüber hinaus wurde zu Lasten des französischen Staates eine jährliche Pension von zwei Millionen Franken für Napoleon vereinbart. Auch die Familie Napoleons wurde bedacht. Die provisorische Regierung erklärte unter demselben Datum ihren Beitritt zu dem Abkommen und verpflichtete sich zur Durchführung aller Frankreich betreffenden Bestimmungen.13 Aufgrund des Vertrags verließ der Kaiser am 20. April Fontainebleau und brach nach Elba auf. Der Vertrag von Fontainebleau war Ausdruck der bestehenden Machtverhältnisse. Napoleon verfügte auch nach dem Abfall des Corps Marmont noch über eine Streitmacht. Sein Rückhalt in der Bevölkerung war schwer abzuschätzen. Es lag im Interesse der Zukunftschancen des Nachfolgeregimes, daß ein Bürgerkrieg vermieden wurde. Die Unterstützung der Armee für die neue Ordnung war zweifellos leichter zu gewinnen, wenn Napoleon einen fairen Abgang erhielt. Insofern lag auch der provisorischen Regierung viel am Abschluß des Abdankungsvertrags. Bekanntlich hielt es den Kaiser nur zehn Monate auf der Insel Elba. Am 1. März 1815 landete er mit wenigen Getreuen in Golfe-Juan und brach alsbald nach Paris auf. Am 13. März stellten die noch immer in Wien versammelten Großmächte nach einer Vorlage des französischen Außenministers Talleyrand fest, mit seiner Rückkehr aus Elba habe Napoleon den Vertrag von Fontainebleau gebrochen. Damit habe er sämtliche Garantien verwirkt, die ihm durch diesen Vertrag zugesprochen worden seien: die Herrschaft über Elba nicht nur, sondern auch den Status eines Souveräns. Das bedeutete, daß Napoleons Eindringen in Frankreich nicht als Kriegshandlung eines benachbarten Staates, sondern als Rebellion eines Privatmanns gegen eine rechtmäßige Regierung aufgefasst werden musste. Dementsprechend erklärten die Verbündeten, 13 Traité dit de Fontainebleau, conclu à Paris, le 11  avril 1814, entre l’empereur Napoléon, l’Autriche, la Prusse et la Russie, in: Capefigue, Jean-Baptiste (Hrsg.), Le congrès de Vienne et les traités de 1815, Bd. 1, Paris 1863, S. 149–151 ; ebd., S. 151: Déclaration du Gouvernement provisoire de France, sur le traité du 11 avril 1814, Paris, le 11 avril 1814.

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Napoleon habe sich mit diesem Schritt der vindicte publique, also der öffentlichen Strafverfolgung, ausgesetzt.14 Seine Rückkehr auf den französischen Thron deuteten die Großmächte zugleich als Bruch des Friedens von Paris vom 30. Mai 1814, da dieser laut Präambel unter der Bedingung geschlossen worden sei, daß Frankreich „unter die väterliche Regierung seiner Könige“ zurückgekehrt sei.15 Nach dieser Logik hatte Napoleon schon durch seine bloße Rückkehr auf den französischen Thron den Kriegszustand wiederhergestellt. Einer erneuten Kriegserklärung schien es nicht zu bedürfen. In Wirklichkeit hatte die französische Regierung den Vertrag von Fontainebleau längst vor Napoleon gebrochen. Im Gegensatz zur Versicherung der provisorischen Regierung in der Beitrittserklärung zum Vertrag hatte Frankreich bis Februar 1815 keinerlei Zahlungen geleistet und den Kaiser auf Elba daher in wachsende Finanznot gestürzt. Am 13.  Oktober 1814 hatte Talleyrand seinem König von Wien aus geschrieben, „es sei zu wünschen, daß in dieser Sache etwas getan werde“.16 Im November 1814 stellte Madame Bertrand fest, Napoleon besitze „kaum einen Schilling und nicht einmal einen Ring, den er jemandem schenken könnte“; der britische Beauftragte Campbell notierte in seinem Tagebuch, Napoleon erscheine beunruhigt wegen des Mangels an Geld und sei von der Sorge bestimmt, daß auf Seiten der Koalition nicht die Absicht bestehe, den Vertrag von Fontainebleau zu erfüllen. In Briefen an den britischen Außenminister Lord Castlereagh deutete Campbell wiederholt an, daß die Finanznot den Kaiser dazu zwingen könne, Elba zu verlassen.17 Die Siegermächte teilten diese Besorgnis und forderten Talleyrand auf, seine Regierung zur Vertragserfüllung zu ermahnen.18 Dem Kaiser war im übrigen zugetragen worden, daß es am Rande des Wiener Kongresses Überlegungen gebe, ihn – ebenfalls unter Bruch des Vertrags von Fontainebleau – von Elba an einen entlegenen Ort zu deportieren. Schon damals war neben den Azoren, Santa Lucia, das zu den kleinen Antillen gehört, und Botany Bay an der Ostküste Australiens auch Sankt Helena genannt wor14 Déclaration des Puissances signataires du Traité de Paris, réunies au Congrès de Vienne au sujet de l’évasion de Napoléon de l’île d’Elbe, Vienne, le 13 mars 1815, in: Capefigue, JeanBaptiste (Hrsg.), Le congrès de Vienne, Bd. 2, 1863, S. 912 f. 15 Quinzième Protocole de la séance du 12  mai 1815 des Plénipotentiaires des huit Puissances, Seconde Question: L’offre de sanctionner le Traité de Paris peut-elle changer les dispositions des Puissances?, in: Capefigue, Jean-Baptiste (Hrsg.), Le congrès de Vienne, Bd. 2, 1863, S. 1184–1187; Text des ersten Friedens von Paris, in: Capefigue, Jean-Baptiste (Hrsg.), Le congrès de Vienne, Bd. 1, 1863, S. 161–178 ; die Präambel ebd., S. 161. 16 Talleyrand an Ludwig XVIII., 13.10.1814, in: Pallain, Georges (Hrsg.), Correspondance inédite du prince de Talleyrand et du roi Louis XVIII, Paris 1881, S. 42 f. 17 Campbell, Neil, Napoleon on Elba. Diary of an Eyewitness to Exile, hrsg. von Jonathan North, Welwyn Garden City 2004, S. 140, 158, 177. 18 Gruyer, Paul, Napoléon. Roi de l’île d’Elbe, Paris 1906, S. 193–195. Absetzung, Abdankung und Verbannung  

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den.19 Auf Sankt Helena bekannte Napoleon im April 1816, daß die Sorge vor der bevorstehenden Deportation seine Rückkehr nach Frankreich beschleunigt habe.20 Napoleon hätte im April 1814 nicht abgedankt, wenn ihm nicht die Garantien des Vertrags von Fontainebleau gegeben worden wären. Dementsprechend erhebt sich die Frage, ob die Nichterfüllung des Vertrags durch die Alliierten nicht auch ihn von der Pflicht zur Vertragserfüllung befreit habe. Dann wäre auch sein Verzicht auf die Herrschaft in Frankreich gegenstandslos geworden, und seine Rückkehr auf den französischen Thron im März 1815 wäre keine Rebellion gewesen, sondern die erneute Wahrnehmung eines Herrschaftsrechts, das er nicht rechtswirksam verloren hatte. Den Konflikt zwischen Ludwig XVIII. und Napoleon I. durch ein Referendum zu entscheiden, lehnten die Verbündeten ab, obwohl sie im März 1814 noch der Meinung gewesen waren, allein der französischen Nation stehe es zu, über ihre künftige politische Ordnung zu befinden. Grund für die jetzige Weigerung war die Sorge, daß Napoleon, sollte er die Herrschaft über Frankreich behalten, Europa von neuem in nicht enden wollende Kriege stürzen würde. Daher ließen sich die Verbündeten auch nicht durch das von Napoleon Ende April 1815 durchgeführte Plebiszit umstimmen, das die Wiederherstellung des Kaisertums und die neue Verfassung, den von Benjamin Constant entworfenen „Acte additionnel aux constitutions de l’Empire“, bestätigte.21 Auch auf das wiederholte Angebot Napoleons, den Frieden von Paris vom Vorjahr in völkerrechtlich bindender Form noch einmal zu ratifizieren, gingen sie nicht ein. So blieb nur die Entscheidung der Waffen, die Napoleon hatte vermeiden wollen. Die Frage, wer für diesen erneuten Konflikt die Verantwortung trage, stellte sich alsbald nach dem Sieg der Koalition bei Waterloo im Juni 1815. Feldmarschall Blücher ließ nämlich schon wenige Tage später den Herzog von Wellington ersuchen, Napoleon, sobald er denn in seine Hände gefallen sei, an das preußische Hauptquartier auszuliefern. Napoleon sei „durch die Erklärung der verbündeten Mächte in die Acht erklärt“ und müsse hingerichtet werden, am liebsten „auf demselben Fleck, wo der Herzog von Enghien erschossen worden“ sei. Zur Begründung schrieb Blüchers Generalstabschef Gneisenau an General von Müffling, den preußischen Verbindungsoffizier bei Wellington: „So will es die ewige Gerechtigkeit, so bestimmt es die Dekla-

19 Campbell, Neil, Napoleon on Elba, 2004, S. 140, 165; Houssaye, Henry, 1815. La première Restauration; le retour de l’île d’Elbe; les cent jours, Paris 1893, S. 142 f., 169 ; vgl. Talleyrand an Ludwig XVIII, 13.10.1814, in: Pallain, Georges (Hrsg.), Correspondance, 1881, S.  43; vgl. auch Zamoyski, Adam, Rites of Peace. The Fall of Napoleon and the Congress of Vienna, London 2007, S. 449–451. 20 Las Cases, Emmanuel comte de, Le Mémorial de Sainte-Hélène. Texte établi et commenté par Gérard Walter, Bd. 1, Paris 1956, S. 484. 21 Acte additionnel aux constitutions de l’Empire du 22  avril 1815, in: Godechot, Jacques (Hrsg.), Les constitutions de la France depuis 1789, Paris 1970, S. 231–239.

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ration vom 13. März, so wird das Blut unserer am 16. und 18. [ Juni] getöteten und verstümmelten Soldaten gerächt“.22 Wellington wies die Behauptung, der Wiener Kongreß habe Napoleon mit seiner Erklärung vom 13. März für vogelfrei erklärt, zurück. „Livré à la vindicte publique“ heiße lediglich, daß Napoleon nach seiner Ergreifung der Justiz übergeben werden müsse.23 Auf die weitere Behauptung Blüchers, Napoleon trage die Verantwortung für Tod und Verstümmelung der Soldaten vor Waterloo, ging Wellington nicht ein. Diese Verantwortung konnte man dem Kaiser nur aufbürden, wenn man ihn für den Krieg selbst verantwortlich machte, und das war nach der Vorgeschichte des Feldzugs von 1815 mehr als fraglich, ganz abgesehen davon, daß die Führung eines Angriffskriegs damals völkerrechtlich nicht verboten war. Am 22. Juni 1815 dankte Napoleon zugunsten seines Sohnes erneut ab, um seiner Absetzung durch die Kammern zuvorzukommen.24 Während die Kammern hofften, nach der Entmachtung Napoleons bessere Friedensbedingungen zu erreichen, hoffte der Kaiser, durch den freiwilligen Thronverzicht die Erbfolge seines Sohnes sicherzustellen. Die Kammern und den Kaiser verband somit die Überzeugung, daß die Verbündeten ein Verbleiben Napoleons auf dem Thron nicht dulden würden. Nach seiner zweiten Abdankung konnte Napoleon sich zunächst frei bewegen. Angesichts der stürmischen Sympathiekundgebungen der Pariser Bevölkerung fürchteten die Kammern und die provisorische Regierung unter Fouché allerdings, Napoleon könnte sich, gestützt auf die Straße, zu einem neuen Staatsstreich hinreißen lassen. Daher verlangte Fouché seine Abreise aus Paris. Inzwischen rückten die verbündeten Armeen immer näher, und Napoleon mußte vor allem vermeiden, den Preußen in die Hände zu fallen. Zunächst dachte er daran, sich in die Vereinigten Staaten zu begeben. Bei Rochefort an der Atlantikküste standen zwei Fregatten bereit. Als die Briten jedoch Miene machten, seine Ausreise zu verhindern, begab sich der Kaiser am 15. Juli 1815 freiwillig auf das englische Schiff „Bellerophon“ und damit in die Obhut Großbritanniens.25 Es ist viel darüber spekuliert worden, warum Napoleon nicht wenigstens versucht hatte, die britische Blockade zu durchbrechen. Resignation nach der erneuten Abdankung, sein Stolz, der ihn daran hinderte, sich in einem Frachtraum zu verstecken, seine abnehmende Entschlußkraft und die Sorge um sein

22 Neithardt von Gneisenau an Müffling, 27.6.1815 und 29.6.1815, in: Müffling, Friedrich Carl Ferdinand von, Aus meinem Leben, Berlin 1851, S. 273, 275. 23 Müffling an Gneisenau, 28.6.1815, in: Delbrück, Hans, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau, 1814, 1815, Bd. 4, Berlin 1880, S. 543. 24 Text der Abdankungserklärung vom 22.6.1815 in: Napoléon Ier, Correspondance, Bd. 28, Paris 1869, Nr. 22063, S. 299 f. 25 Thornton, Michael John, Napoleon after Waterloo. England and the St. Helena Decision, Stanford 1968, S. 3–37. Absetzung, Abdankung und Verbannung  

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umfangreiches Gefolge, zu dem auch Frauen und Kinder gehörten, sind zur Erklärung angeführt worden.26 Die Ergebung Napoleons in britischen Gewahrsam stürzte die Regierung in London in nicht geringe Verlegenheit. In einem Brief vom 13. Juli hatte Napoleon den Prinzregenten darum ersucht, ihm das Leben eines Landedelmanns in England zu gestatten.27 Das lehnte die Regierung Liverpool kategorisch ab. Zumal nach den Erfahrungen von Elba hielt sie die Gefahr für viel zu groß, daß Napoleon von England aus versuchen würde, die Macht in Frankreich erneut an sich zu reißen. Das aber wollte sie um der Erhaltung des europäischen Friedens willen unter allen Umständen vermeiden. Vor Gericht stellen konnte sie den Kaiser in England nicht, denn er hatte nicht gegen englische Gesetze verstoßen. Dagegen hatte Ludwig  XVIII. ihn am 6.  März zum Rebellen erklärt, und so hätte ihm, nicht anders als Marschall Ney, in Frankreich wegen Hochverrats der Prozeß gemacht werden können.28 Ein Todesurteil und die anschließende Hinrichtung, wie sie Marschall Ney am 7. Dezember 1815 widerfahren sollte, wären in diesem Fall kaum zu umgehen gewesen. Doch Frankreich stellte keinen Antrag auf Auslieferung. Die Hinrichtung Napoleons hätte die französische Nation gespalten und aller Voraussicht nach den ohnehin schwankenden Thron Ludwigs XVIII. vollständig untergraben. Die innenpolitische Stabilisierung Frankreichs war jedoch eines der wichtigsten Kriegsziele der Koalition gewesen. Daher wurde die britische Regierung am 2. August von ihren Verbündeten dazu ermächtigt, mit dem gemeinsamen Gefangenen nach ihrem Ermessen zu verfahren.29 Gestützt auf diese Ermächtigung ließ sie ihn am 15. August auf der „Northumberland“ auf die im Südatlantik gelegene Insel Sankt Helena verbringen. Dort ist Napoleon am 5. Mai 1821, noch nicht 52 Jahre alt, gestorben. Die Verbannung auf Sankt Helena erfolgte ohne vorgängigen Gerichtsbeschluß. Sie war in der Tat auch keine Strafe im Rechtssinne. Vielmehr diente sie allein der Sicherheit Großbritanniens und ganz Europas davor, daß Napoleon die Welt erneut in den Krieg stürzen würde. Mit der peinlichen Überwachung des Gefangenen zeigte die britische Regierung, daß sie nach wie vor mit dessen Willen und Fähigkeit rechnete, die Herrschaft in Frankreich ein weiteres Mal zurückzuerobern.

26 Giles, Frank, Napoleon Bonaparte: England’s Prisoner, London 2001, S. 4. 27 Napoléon Ier au Prince régent d’Angleterre, 14.7.1815, in: Napoléon Ier, Correspondance, Bd. 28, 1869, Nr. 22066, S. 301.  28 Ordonnance du Roi, 6.3.1815, in: Le Moniteur Universel, 7.3.1815, S. 263, Art. 1: „Napoléon Bonaparte est déclaré traître et rebelle pour s’être introduit à main armée dans le département du Var.“ 29 Convention sur la Garde de Napoléon entre la Grande-Bretagne et les Puissances alliées, signée à Paris, le 2 août 1815, Art. II, in: Capefigue, Jean-Baptiste (Hrsg.), Le congrès de Vienne, Bd. 2, 1863, S. 1478.

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Warum wurde Napoleon gestürzt? Im Frühjahr 1814 wurde Napoleon zunächst abgesetzt, dann zur Abdankung gezwungen, nicht, weil er als Usurpator angesehen worden wäre, und nicht, weil er den Krieg verloren hätte, sondern weil er nicht rechtzeitig hatte Frieden schließen können. Bis zuletzt vertraute er geradezu mit Verbissenheit einseitig auf sein überlegenes militärisches Können. Darüber verlor er den Blick für die wirklichen Kräfteverhältnisse und für die Entschlossenheit seiner Gegner. Die Gefahr der Intrige hatte er unterschätzt, und mit der Verweigerung der Marschälle hatte er nicht gerechnet. Im Jahre 1815 wurde er gestürzt, weil die Großmächte ihm nach der Entmachtung vom Vorjahr nicht noch einmal eine Chance einräumen wollten, obwohl er sich bereit erklärt hatte, den Frieden von Paris zu bestätigen. Wenn Napoleon die Schlacht bei Waterloo gewonnen hätte, wären die Verbündeten mit Sicherheit spätestens im folgenden Jahr mit noch größeren Armeen zurückgekehrt, um ihn aus Frankreich zu vertreiben. Für wie gefährlich sie ihn hielten, zeigt sich daran, daß die britische Regierung ihn wie ein wildes Tier auf einer fernen Insel in Fesseln legte. Im Unterschied zum April 1814 war der zweite Sturz Napoleons im Juni 1815 erfolgt, weil die Verbündeten seine Rückkehr auf den Thron im März als unrechtmäßig und seine wiedererrichtete Herrschaft daher als usurpatorisch betrachteten. Ihr militärischer Sieg bei Waterloo gab ihnen die Möglichkeit, seine Entmachtung durchzusetzen. Angesichts der Machtverhältnisse könnte es so scheinen, als habe die Absetzung Napoleons durch den Senat am 3.  April 1814 für seinen effektiven Sturz nur eine geringe Rolle gespielt. Viel entscheidender erscheint das Zerbröckeln seiner militärischen Macht. In der Tat zwangen ihn der Aufstand seiner Marschälle und die Desertionen in seinem Heer, eine Abdankungsvereinbarung zu schließen, bevor ihm seine letzten Trümpfe unter der Hand zerronnen wären. Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß erst die Absetzungsentscheidung des Senats den Staatenkrieg in einen Bürgerkrieg verwandelte und daß es vor allem die Furcht vor einem Bürgerkrieg war, der die Marschälle zur Gehorsamsverweigerung bewogen hatte. Noch aus einem anderen Grund war die Absetzung Napoleons durch den Senat historisch von weittragender Bedeutung. Schon die Absetzung Jakobs  II. im Jahre 1688 war als eine Maßnahme zur Verteidigung der bestehenden Rechts- und Verfassungsordnung gerechtfertigt worden. Sie verpflichtete die Nachfolger auf die Einhaltung der elementaren Rechtsgrundsätze des bisherigen Regimes. Insofern trug sie einen defensiven, ja konservativen Charakter, und wenn sie deshalb die glorreiche genannt wurde, so nannten die Zeitgenossen von 1814 die ihrem Vorbild folgende Revolution des Senats eine „glückliche Revolution“, eine „heureuse révolution“.30 Der mit der Verfassung des Senats vom 6. April 1814 auf den Thron berufene spätere Ludwig XVIII. ist der Erwartung, daß er die Errungenschaften der französischen Revo30 Belege in: Sellin, Volker, Revolution, 2001, S. 168. Absetzung, Abdankung und Verbannung  

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lution und des Kaiserreichs bewahre, zwar nur mit Einschränkung nachgekommen. Ganz konnte er sich ihr jedoch nicht entziehen. Man muß daher feststellen, daß die Form, in der Napoleon abgesetzt wurde, die Voraussetzung dafür bildete, daß wesentliche Teile der durch die Revolution und das Kaiserreich geschaffenen Rechts- und Sozialordnung Frankreichs weit über das Ende des Empire hinaus aufrechterhalten werden konnten.

Quellen- und Literaturverzeichnis Altmann, Wilhelm (Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur außerdeutschen Verfassungsgeschichte seit 1776, Berlin 1897. Bulletin des lois du Royaume de France, 5e série, Bd. 1, Paris 1814. Campbell, Neil, Napoleon on Elba. Diary of an Eyewitness to Exile, hrsg. von Jonathan North, Welwyn Garden City 2004. Capefigue, Jean-Baptiste (Hrsg.), Le congrès de Vienne et les traités de 1815, 2 Bde., Paris 1863. Delbrück, Hans, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau, 1814, 1815, Bd. 4, Berlin 1880. Fournier, August, Der Congress von Châtillon. Die Politik im Kriege von 1814. Eine historische Studie, Wien 1900. Giles, Frank, Napoleon Bonaparte: England’s Prisoner, London 2001. Godechot, Jacques (Hrsg.), Les constitutions de la France depuis 1789, Paris 1970. Gruyer, Paul, Napoléon. Roi de l’île d’Elbe, Paris 1906. Houssaye, Henry, 1815. La première Restauration; le retour de l’île d’Elbe; les cent jours, Paris 1893. Las Cases, Emmanuel comte de, Le Mémorial de Sainte-Hélène. Texte établi et commenté par Gérard Walter, Bd. 1, Paris 1956. Le Moniteur universel, Jahrgänge 1814, 1815. Mandt, Hella, Art.: „Tyrannis, Despotie“, in: Brunner, Otto / Conze, Werner / Koselleck, Reinhart (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 663. Müffling, Friedrich Carl Ferdinand von, Aus meinem Leben, Berlin 1851. Napoléon Ier, Correspondance, Bd. 27, 28, Paris 1869. Pallain, Georges (Hrsg.), Correspondance inédite du prince de Talleyrand et du roi Louis XVIII, Paris 1881. Sellin, Volker, Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Göttingen 2001. Ders., „The Breakdown of the Rule of Law: A Comparative View of the Depositions of George  III, Louis  XVI and Napoleon  I“, in: Robert von Friedeburg (Hrsg.), Murder and Monarchy. Regicide in European History, 1300–1800, Houndmills / Basingstoke / Hampshire 2004, S. 259–289. Ders., „Der Tod Napoleons“, in: Francia, 35/2008, S. 273–294. Thornton, Michael John, Napoleon after Waterloo. England and the St. Helena Decision, Stanford 1968. Zamoyski, Adam, Rites of Peace. The Fall of Napoleon and the Congress of Vienna, London 2007.

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„Die Revolution hat gesiegt, mit dem Ergebnis, daß ich erniedrigt bin.“ Herrscherabdankungen im Jahr 1848

Eva Maria Werner Vor den Thronen – so liest man immer wieder – habe die Revolution von 1848 haltgemacht. Diese Einschätzung wird einer differenzierten Betrachtungsweise nur bedingt gerecht: Zwar kam es 1848 in keinem Staat des Deutschen Bundes zu einem Umsturz der monarchischen Ordnung, doch in immerhin vier Mitgliedsländern dankte der Herrscher ab: im Königreich Bayern, im Fürstentum Reuß-Lobenstein-Ebersdorf, im Herzogtum Sachsen-Altenburg und im österreichischen Kaiserreich. Ein solcher Schritt hatte selbstredend eine große Tragweite, für die Person des Abdankenden wie für Dynastie und Land. Vor dem Blick auf die Konsequenzen einer Thronentsagung muss die Frage nach den Hintergründen dieser Handlung gestellt werden: Welche politischen und persönlichen Motive können ausgemacht werden? War die Entscheidung zur Abdankung etwa eine direkte Folge der Märzereignisse mit ihren Volksversammlungen, Petitionsbewegungen und zum Teil auch Barrikaden?

1.

Der Weg und die Beweggründe

Einen Zusammenhang zwischen Thronentsagung und Protestbewegung suggeriert der für die Abdankung gewählte Zeitpunkt zumindest in einem Fall: König Ludwig I. von Bayern legte am 19. März 1848 die Krone nieder, in einer tränenreichen Zeremonie im Familienkreise überließ er sie seinem Sohn Maximilian.1 Allerdings hatte diese Abdankung eine Vorgeschichte, die zeitlich und inhaltlich deutlich über die Revolutionsereignisse hinausreichte: Seit Monaten erhitzte die Affäre des Königs mit der Tänzerin Lola Montez die Gemüter in Bayern, hatte bereits zu mehreren Wechseln in der Regie-

1

Vgl. Ludwig I. an Lola Montez, München, 19.3.1848, in: Reinhold Rauh / Bruce Seymour (Hrsg.), Ludwig I. und Lola Montez. Der Briefwechsel, München / New York 1995, S. 144, und aus der Sicht Maximilians Sing, Achim, Die Memoiren König Maximilians II. von Bayern 1848–1864. Mit Einführung und Kommentar, München 1997, S. 140. Herrscherabdankungen im Jahr 1848  

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rung und zuletzt sogar zu Unruhen geführt.2 Für den König drängte sich daher schon im Februar 1848 der Gedanke an eine Abdankung auf: „Um Dein Leben zu retten“, so schrieb er seiner Geliebten, „hätte ich und würde ich auf die Krone verzichten.“3 In den ersten Märzwochen verband sich der Widerstand gegen das unwürdige Verhalten des verliebten Monarchen und die Macht der Mätresse dann mit den politischen Forderungen, wie sie damals in allen Staaten des Deutschen Bundes formuliert wurden. So war auch Ludwig bald gezwungen, Freiheitsrechte zu gewähren. Sein so genanntes „Lola-Ministerium“4, das der Geliebten zu guten Teilen gewogen war, musste er entlassen und einen Märzminister berufen, der sein Vertrauen nicht besaß: den bisherigen Regensburger Bürgermeister Gottlieb Freiherr von Thon-Dittmer.5 Der Unwille des Königs über diese Entwicklung war groß.6 Auch der Freude seiner Untertanen über die Zugeständnisse konnte er nichts abgewinnen – im Gegenteil: Die Fahrt durch das als Zeichen ihrer Dankbarkeit illuminierte München kommentierte er mit einem drastischen Vergleich: „Ich sagte zur Königin, daß Jesus Christus innerhalb einiger Tage erst Hosiannah gehört hatte und dann von denselben Leuten gekreuzigt wurde.“7 Der Gipfel war für Ludwig erreicht, als Innenminister Thon-Dittmer eigenmächtig gegen Lola vorging. Zuvor hatten Gerüchte, die auf den äußeren Druck hin zwischenzeitlich ausgereiste Tänzerin halte sich wieder in der Stadt auf, erneut zu Unruhen geführt. Um Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten, ließ Thon-Dittmer der Mätresse ohne Rücksprache mit dem König das Indigenat aberkennen, das Ludwig ihr im Februar 1847 erteilt hatte, und sie gleichzeitig zur Fahndung ausschreiben. Offensichtlich sah Ludwig sich damit in doppelter Hinsicht gedemütigt – nicht nur trat seine Machtlosigkeit in Regierungsfragen zutage, auch seine persönlichen Belange 2

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Vgl. Buddeus, Aurelio, „Baiern unter den Übergangsministerien von 1847–49. Erster Abschnitt: Vom Sturze Abel’s bis zu König Ludwig’s Thronentsagung“, in: Die Gegenwart. Eine enzyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, Bd. 7, Leipzig 1852, S. 688–758, hier: S. 702–722; Hummel, Karl-Joseph, München in der Revolution von 1848 / 49, Göttingen 1987, S. 67–85, und Seitz, Max, „Die Februar- und Märzunruhen in München 1848“, in: Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte, 78 / 1953, S. 1–104, hier: S. 18–39. Ludwig I. an Lola Montez, München, 20.2.1848, in: Reinhold Rauh / Bruce Seymour (Hrsg.), Ludwig I. und Lola Montez, 1995, S. 115. Buddeus, Aurelio, „Baiern“, 1852, S. 722. Zu den Märzministern in Bayern und den anderen Staaten des Deutschen Bundes vgl. Werner, Eva Maria, Die Märzministerien. Regierungen der Revolution von 1848/49 in den Staaten des Deutschen Bundes, Göttingen 2009. Zu Thon-Dittmer vgl. Finken, Ursula, Gottlieb Freiherr von Thon-Dittmer 1802–1853, Kallmünz 1990. Vgl. zu Person und Regierung Ludwigs I. Gollwitzer, Heinz, Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie, München 1986. Ludwig I. an Lola Montez, München, 13.3.1848, in: Reinhold Rauh / Bruce Seymour (Hrsg.), Ludwig I. und Lola Montez, 1995, S. 139.

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wurden missachtet. Ludwig war „entsetzt“8 und zog seine Konsequenzen. Zwar verwarf er eine Abdankung zunächst noch aus „Mangel an Mut“9, letztlich schien sie ihm jedoch die einzige Lösung. Denn, so formulierte er gegenüber Lola, welche diesen Schritt seit längerem befürwortete:10 „Mir hat es gefallen zu regieren, aber wirklich zu regieren. Ich habe immer gesagt, daß ich nicht ein König, wie der von England, ohne Macht sein will.“11 Mit dem autokratischen Herrschaftsstil, den Ludwig jahrzehntelang praktiziert hatte, war die neue Situation nicht kompatibel. Nicht allein seine fehlende Handlungsmacht – sei es in Hinblick auf politische Entscheidungen oder ein ungestörtes Liebesleben – bewog den König zur Thronentsagung. Dass seine eigenen Untertanen gegen ihn agierten und ihm den unliebsamen Thon-Dittmer aufgezwungen hatten, empfand er als Undank. „Ich bin nicht mehr geliebt“12, war seine bittere, oft wiederholte Folgerung aus dieser Situation. Das Gefühl, die althergebrachte Liebe der Untertanen verloren zu haben, erschütterte im Revolutionsjahr auch das Herrschaftsverständnis anderer Fürsten. Vielleicht noch tiefer gekränkt als der Bayernkönig zeigte sich Fürst Heinrich LXXII. von ReußLobenstein-Ebersdorf, als er am 1. Oktober 1848 zugunsten eines Vetters abdankte13 – in einem Kleinststaat, wie dem reußischen, wog die traditionelle Bindung zwischen Herrscher und Untertanen besonders schwer. Als zentralen Grund für die Thronentsagung benannte der Fürst in seinem Abschiedsschreiben dementsprechend den „unmoralischste[n] und irreligiöseste[n] Undank und Hohn, nachdem man mich so viele Jahre und noch bei meinem 25jährigen Regierungsjubiläum im vorigen Jahre auf den Händen getragen und – wol nicht ganz unverdient!“14 Zur besseren Illustration führte er in der Folge mehrere Beispiele für die – vermeintliche – Undankbarkeit der Untertanen aus. Sie gipfelte für ihn darin, dass „die bekannte infame Sturmpetition bei G… unser ältestes Schloss entwürdigte“.15 Damit sprach Heinrich LXXII. ein Ereignis an, das ihn bereits im Sommer 1848 dazu bewogen hatte, seine Residenz außer Landes auf Schloss Guteborn in der Lausitz zu verlegen: Am 19. Juni waren die Teilnehmer einer Geraer Volksversammlung nach 8 Ludwig I. an Lola Montez, München, 21.3.1848, in: ebd., S. 155. 9 Ludwig I. an Lola Montez, München, 17.3.1848, in: ebd., S. 143. 10 Vgl. Lola Montez an Ludwig I., Bern, 1.3.1848, oder auch Ludwig I. an Lola Montez, München, 22.3.1848, in: ebd., S. 134 und 156. 11 Ludwig I. an Lola Montez, München, 21.3.1848, in: ebd., S. 155. Vgl. a. Gollwitzer, Heinz, Ludwig I., 1986, S. 715–717. 12 Ludwig I. an Lola Montez, München, 17.3., 19.3. (2. Brief ), 21.3.1848, in: Reinhold Rauh /  Bruce Seymour (Hrsg.), Ludwig I. und Lola Montez, 1995, S. 141, 152 und 155. 13 Zu dem neuen Fürsten und den Herrschaftsverhältnissen in Reuß vgl. unten. 14 Abschiedsschreiben Fürst Heinrichs LXXII. von Reuß-Lobenstein-Ebersdorf, Guteborn in der Lausitz, 1.10.1848, abgedruckt in: Leipziger Zeitung Nr. 306 v. 1.11.1848. 15 Ebd. Herrscherabdankungen im Jahr 1848  

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erfolglosen Verhandlungen über ihre Forderungen mit dem Kanzler der reußischen Staaten zur Residenz des Fürsten gezogen und hatten ihn so zum Nachgeben in einer Personalfrage gezwungen – Oberforstmeister Weißenborn wurde gemäß ihren Forderungen entlassen.16 Schon damals hatte Heinrich LXXII. sich, befördert durch seinen schlechten Gesundheitszustand, mit dem Gedanken an eine Abdankung getragen. Dies scheint auf den ersten Blick verwunderlich, denn im Vergleich zu den Geschehnissen in anderen Staaten des Deutschen Bundes mutet der Marsch auf die fürstliche Residenz nicht sonderlich spektakulär an. Doch fühlte Heinrich LXXII. sich dadurch nicht nur gekränkt, sondern auch persönlich bedroht. Bereits mehrfach seit Revolutionsbeginn hatte er die Erfahrung gemacht, sich nicht auf die staatlichen Organe verlassen zu können.17 Gleichzeitig sah er, wie die radikalen Kräfte in den reußischen Staaten mehr und mehr die Oberhand gewannen und auf einen Umsturz der bestehenden Ordnung hinarbeiteten. Diese Entwicklung ging so weit, dass die provisorische Zentralverwaltung von Frankfurt aus im August einen Reichskommissar einsetzte, der für Ruhe und Ordnung sorgen sollte und wenig später die Besetzung des Territoriums mit sächsischen Truppen veranlasste.18 Vor diesem Hintergrund sah der reußische Fürst seine Macht zu sehr beschnitten. Er wollte, wie er sich ausdrückte, „nichts halb sein“.19 Wie schon für Ludwig I. von Bayern erwies sich die Kombination aus dem Verlust staatlicher Macht und persönlicher Kränkung für ihn als nicht tragbar, und er entschied sich daher ebenfalls für die Abdankung. Diesen Entschluss verband Heinrich LXXII. mit der „Überzeugung, dass Deutschland künftig eine Einheit sein soll und die kleinen Staaten eine Unmöglichkeit“20 – eine allerdings mehr den geschilderten praktischen Erfahrungen, als nationaler Gesinnung entspringende Erkenntnis. Bei alledem scheint der konservative, aber von einem starken Rechtsgefühl geprägte und gemäßigten Reformen gegenüber durchaus aufgeschlossene Heinrich LXXII. bei seinen Untertanen nie unbeliebt gewesen zu sein. Allenfalls etwas Spott erntete der Junggeselle – zum Beispiel, als er sich bereits Jahre vor dem Bayernkönig mit eben jener Lola Montez einließ, sie aber bereits nach kurzer Zeit wegen ihres Benehmens wieder loszuwerden versuchte.21 16 Vgl. Wucher, Waldemar, Reuß jüngere Linie in der Bewegung der Jahre 1848 / 49, Weida 1926, S. 22. 17 Vgl. dazu die Beispiele in seinem Abschiedsschreiben, in: Leipziger Zeitung Nr. 306 v. 1.11.1848. 18 Vgl. Wucher, Waldemar, Reuß, 1926, S. 25–28. 19 Abschiedsschreiben Heinrichs LXXII., in: Leipziger Zeitung Nr. 306 v. 1.11.1848. 20 Ebd. 21 Zu dieser Episode vgl. Seymour, Bruce, Lola Montez, 1998, S. 61–65. Eine allgemeinere Bewertung Heinrichs LXXII. bei Wucher, Waldemar, Reuß, 1926, S. 29f., und bei Thuß, Holger,

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Einen ungleich schwereren Stand hatte im Vergleich dazu Joseph, Herzog des benachbarten Sachsen-Altenburgs. Zwar gab es in der neueren Forschung Versuche, den „Mythos vom finster-reaktionären josephinischen Altenburg“22 zu relativieren, doch gelang es Herzog Joseph nicht, die Sympathien seiner Untertanen zu erlangen.23 Der Fürst gehörte der landfremden Hildburghäuser Dynastie an, die das Herzogtum erst seit dessen Erlangung der Eigenständigkeit im Jahr 1826 regierte. Fehlte dadurch eine traditionelle Bindung der Bürger an das Herrscherhaus, wurde die Distanz zusätzlich verstärkt durch die häufige Abwesenheit der herzoglichen Familie, die teure Hofhaltung und die Anstellung auswärtiger Beamter. Auch als im März 1848 nach den üblichen Forderungen rasch Reformversprechen gemacht wurden, erfolgte deren Umsetzung zögerlich und lückenhaft. Zudem war der Unmut des Herzogs über die ihm abgerungenen Zugeständnisse allgemein bekannt. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund nahm die revolutionäre Bewegung in Sachsen-Altenburg solch radikale Züge an, dass die Regierung sich nicht mehr zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung in der Lage sah.24 Auch hier erfolgten daher im September 1848 die Bestellung eines Reichskommissars und die militärische Besetzung des Landes.25 Mit Herzog Joseph hatte ein weiterer Fürst seine Herrschaftsgewalt zu gewichtigen Teilen eingebüßt, der sich in seiner Liebe zu Land und Amt „verkannt und mißdeutet“ sah.26 Unter Hinweis auf die „durch die neueren Zeitereignisse mannichfach gestörten Beziehungen zwischen Uns und Unseren geliebten Unterthanen“27 übergab er am 30. November 1848 den Thron an seinen Bruder Georg, zwei Tage nachdem ihm der Tod seiner Frau „die letzten Widerstandskräfte geraubt“28 hatte. Trotz einer jeweils ganz eigenen Situation scheinen die Gründe für die Abdankungen des Jahres 1848 bei allen Fürsten also recht ähnlich gelagert gewesen zu sein. Eine Ausnahme gab es allerdings: die letzte Thronentsagung des Revolutionsjahres am 2. Dezember durch Kaiser Ferdinand I. von Österreich. Ferdinand kann zwar

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Freiheit und Ordnung. Die Konstitutionelle Partei in den Thüringer Staaten in den Jahren 1848 bis 1850, (Diss.) Jena 2005, 2. Teil S. 127. Thuß, Holger, Freiheit und Ordnung, 2005, 2. Teil, S. 124. Vgl. dazu Dressel, Guido, „Bajonette für die Revolution? Entstehung und Wirkung der Reichs­intervention in Sachsen-Altenburg“, in: Hans-Werner Hahn / Werner Greiling (Hrsg.), Die Revolution von 1848 / 49 in Thüringen. Aktionsräume, Handlungsebenen, Wirkungen, Rudolstadt / Jena 1998, S. 71–91, hier: S. 73f. Vgl. die nach wie vor einzige Überblicksdarstellung zur Revolution in Sachsen-Altenburg von Schneider, Karl, Altenburg in der revolutionären Bewegung 1848–49, Altenburg 1913; zu den wechselnden Regierungen vgl. Werner, Eva Maria, Die Märzministerien, 2009, S. 83–86. Vgl. Dressel, Guido, „Bajonette“, 1998, S. 78–80. Abschiedsschreiben Herzog Josephs von Sachsen-Altenburg, Altenburg, 30.11.1848, abgedruckt in: Leipziger Zeitung Nr. 342 v. 19.12.1848. Ebd. Dressel, Guido, „Bajonette“, 1998, S. 85. Herrscherabdankungen im Jahr 1848  

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nach neueren Forschungsergebnissen nicht mehr pauschal als geisteskrank bezeichnet werden, zum Regieren war er allerdings „von seiner geistigen Kapazität her zweifellos ungeeignet“.29 Die epileptischen Anfälle des erst nach einem Begutachtungsverfahren an die Macht gekommenen Monarchen taten das Übrige, seine Regierungsfähigkeit einzuschränken und sein Bild in der Öffentlichkeit zu prägen – „Nanderl, das Trotterl“ wurde der Kaiser halb spöttisch, halb liebevoll genannt.30 Die Staatsmacht lag folglich unabhängig von der Revolution nicht in den Händen dieses Mannes. Dennoch erreichte er im Frühjahr 1848 unglaubliche Popularität, indem ihm die Gewährung der Märzerrungenschaften persönlich angerechnet und die Schuld an den bisherigen Zuständen allein seiner Umgebung angelastet wurde. Eine Abdankung schien daher auf den ersten Blick fernzuliegen. Doch dieser Eindruck täuscht: Seit den Märzereignissen wirkten verschiedene Personen im nächsten Umfeld des Kaisers auf die Thronentsagung hin. Namentlich Kaiserin Maria Anna, seine Schwägerin Erzherzog Sophie und der Feldmarschall Windischgrätz erwiesen sich als Drahtzieher einer Verschwörung gegen Ferdinand.31 Zur Aufrechterhaltung der kaiserlichen Macht hielten sie eine starke Hand für erforderlich und planten, dass Ferdinands erst achtzehnjähriger Neffe Franz Joseph den Thron besteigen sollte. Franz Josephs Vater Erzherzog Franz Karl, als Bruder des Kaisers rechtlich gesehen der nächste Anwärter auf den Thron, verwarfen die Verschwörer als ungeeignet. Da er als nicht ausreichend tatkräftig und als zu sehr verbunden mit der Vergangenheit galt, wollten sie ihn ebenfalls zum Verzicht bewegen. Dieser Plan sollte allerdings nicht sofort in die Tat umgesetzt werden. Vielmehr wollten die Verschwörer mit dem Thronwechsel warten, bis die Macht des neuen Monarchen auch wirklich durchzusetzen war, was angesichts der Wucht der Revolution in den habsburgischen Ländern zunächst keinesfalls gesichert schien. Noch Ende August wurde in der kaiserlichen Familie die These vertreten, „der Franzi sollte jetzt auf keinen Fall verwendet […] und dadurch vor der Zeit abgenützt werden.“32 29 Weissensteiner, Friedrich, „Kaiser Ferdinand“, in: Ders., Die österreichischen Kaiser. Franz I., Ferdinand I., Franz Joseph I., Karl I., Wien 2003, S. 63–89, hier: S. 71. 30 Vgl. Rumpler, Helmut, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie (Österreichische Geschichte 1804–1914), Wien 1997, S. 262. Zur Person Ferdinands vgl. außerdem die Biografien von Holler, Gerd, Gerechtigkeit für Ferdinand. Österreichs gütiger Kaiser, Wien 1986; Ders., Sophie. Die heimliche Kaiserin, Mutter Franz Josephs I., Wien 1993. 31 Vgl. dazu Srbik, Heinrich von, Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, Bd. 2, München 1925, S. 258, und Walter, Friedrich, Die österreichische Zentralverwaltung. III. Abteilung: Von der Märzrevolution 1848 bis zur Dezemberverfassung 1867. Die Geschichte der Ministerien Kolowrat, Ficquelmont, Pillersdorff, Wessenberg-Doblhoff und Schwarzenberg, Bd. 1, Wien 1964, S. 259–262. 32 Erzherzog Ludwig an Erzherzogin Sophie, Ischl, 31.8.1848, zitiert nach Holler, Gerd, Sophie, 1993, S. 172.

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Der Kaiser selbst hatte bei all diesen Erwägungen offenbar nichts mitzureden. Wie sehr Ferdinand den Agitatoren rund um die Erzherzogin Sophie ausgeliefert war, illustriert seine „Flucht“ nach Innsbruck im Mai 1848. Diese war arrangiert worden, indem man den ahnungslosen Monarchen auf eine vermeintliche Spazierfahrt schickte. Sie sollte nicht nur die kaiserliche Familie vor den Aufständischen schützen, sondern auch weitere Zugeständnisse Ferdinands verhindern.33 Letztlich hatte sie zur Folge, dass der Monarch einen Großteil der Sympathien seiner Untertanen einbüßte. Im Dezember war es dann soweit. Ähnlich wie im Falle Ludwigs wurde der Thronwechsel mittels einer Zeremonie im Familienkreis, in Wien ergänzt um die Generalität, vollzogen. Durch die große Geheimhaltung im Vorfeld erschien die Abdankung geradezu „staatsstreichartig“.34 Nicht einmal der bis wenige Tage vor dem bedeutenden Staatsakt amtierende Ministerpräsident Freiherr Johann Philipp von Wessenberg hatte mehr als „ein gewißes geheimnisvolles Wesen“35 von den Plänen mitbekommen. Anders als Erzherzog Franz Karl, der sich beträchtlich gegen einen Thronverzicht sträubte, erwies sich Ferdinand bei alledem als kein größeres Hindernis. Im Gegenteil: Kaiserin Maria Anna überzeugte ihren Ehemann offenbar so geschickt von den Vorteilen einer Abdankung, dass er letztlich der Meinung war, selbst die Idee dazu gehabt zu haben.36 Wie die drei abdankenden Fürsten vor ihm hatte er die Ereignisse der letzten Monate als Undank der Untertanen ihrem Herrscher gegenüber interpretiert und war darüber – auch wenn er nie eigenständig regiert hatte – seines Amtes überdrüssig geworden. Trotz dieser Parallele bleiben die Unterschiede der Abdankung Ferdinands zu den übrigen Thronentsagungen des Jahres 1848 offenkundig. In Wien gaben nicht die Motive des Kaisers den Ausschlag zum Rücktritt, sondern diejenigen der Hofpartei. War die Abdankung in den anderen Bundesstaaten zuvorderst eine Resignation vor den durch die Revolution entstandenen Verhältnissen – der Erosion der traditionellen Bindung zwischen Untertanen und Herrscher ebenso wie der Einschränkung der fürstlichen Macht – stellte sie hier in erster Linie eine Offensive Dritter zur Sicherung eben jener Macht dar. Nur in Österreich war der Thronwechsel von Anfang bis Ende politisches Kalkül. Selbst in der Abdankungsurkunde wurde aus taktischen Erwägungen vermieden, den Undank der Untertanen zu thematisieren und stattdessen lediglich von der Überzeugung gesprochen, „daß es jüngerer Kräfte bedürfe“, um die Staatsform umzugestalten.37 33 Vgl. Holler, Gerd, Gerechtigkeit, 1986, S. 222f.; Ders., Sophie, 1993, S. 159–162. 34 Gottsmann, Andreas, Der Reichstag von Kremsier und die Regierung Schwarzenberg, Wien 1995, S. 44. 35 Wessenberg an seinen Bruder, Wien, 3.12.1848, in: Wessenberg, Johann Philipp Freiherr von, Briefe Wessenbergs an seinen Bruder, hrsg. von Kurt Aland, Freiburg 1987, S. 348. 36 Vgl. Holler, Gerd, Sophie, 1993, S. 185. 37 Abdankungsurkunde Kaiser Ferdinands I., Olmütz, 2.12.1848; als Faksimile online unter: http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2006/5922/ (Stand: 10.7.2008). Zu den QuereHerrscherabdankungen im Jahr 1848  

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2. Die Folgen „Eine neue Richtung hat begonnen, eine andere als die in der Verfassungs-Urkunde enthaltene, in welcher Ich nun im 23. Jahre geherrscht.“38 – mit diesen Worten kommentierte Ludwig von Bayern die eigene Abdankung. Und in der Tat bedeutete gerade seine Thronentsagung einen gewichtigen Einschnitt, indem der neue König sich (zunächst) auf ein umfassendes Reformprogramm zur freiheitlicheren und demokratischeren Gestaltung des Staatswesens einließ.39 Maximilian II. setzte etwa ein deutliches Signal dadurch, dass er sofort nach seinem Amtsantritt Innenminister Thon-Dittmer weitere Märzminister an die Seite stellte. Anders als sein Vater zeigte er damit seine Bereitschaft, sich den veränderten Umständen für eine Königsherrschaft in der Revolutionszeit anzupassen – ungeachtet der Tatsache, dass er der politischen Entwicklung grundsätzlich ablehnend gegenüberstand. Auch in Reuß und in Sachsen-Altenburg schritten die neuen, politisch beweglicheren Machthaber40 auf dem eingeschlagenen Weg der Reformen konsequenter voran als ihre Vorgänger. Ähnliches ließ sich für Österreich erwarten, als der neue Kaiser Franz Joseph anlässlich seiner Thronbesteigung eine „heilbringende Umgestaltung und Verjüngung der Gesamtmonarchie“41 versprach. Im Gegensatz zu den drei anderen Abdankungen des Jahres 1848 stand der Machtwechsel in Wien jedoch für eine Wende hin zu Reaktion und Neoabsolutismus, wie mit der Änderung des Herrschertitels auch sogleich offengelegt wurde: statt von einem „konstitutionellen Kaiser“, wie seit der Märzrevolution, war von einem „Kaiser von Gottes Gnaden“ die Rede.42 Welche Politik auch eingeschlagen wurde, der Thronwechsel trug in allen Fällen unmittelbar zur Stabilisierung der Lage bei. In Österreich (außerhalb des aufständischen Ungarns) schon allein dadurch, dass endlich wieder ein regierungsfähiger Mo­ narch an der Macht war. In Sachsen-Altenburg war es hilfreich, dass der neue Herzog

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len um den Text der Urkunde, der nach Meinung mancher Beteiligter den Vorwurf des Undanks durchaus hätte enthalten sollen, vgl. Walter, Friedrich, Die österreichische Zentralverwaltung, 1964, S. 261–266. Abschiedsschreiben König Ludwigs I. von Bayern, München, 20.3.1848, als Faksimile abgedruckt bei: Weidner, Thomas, „Lola Montez oder eine Revolution in München“, in: Ders. (Hrsg.), Lola Montez oder eine Revolution in München, München 1998, S.  116–317, hier: S. 313. Vgl. zu den Anfängen Götschmann, Dirk, Bayerischer Parlamentarismus im Vormärz. Die Ständeversammlung des Königreichs Bayern 1819–1848, Düsseldorf 2002, S. 789–791. Vgl. Thuß, Holger, Freiheit und Ordnung, 2005, 2. Teil, S. 129, und Dressel, Guido, „Bajonette“, 1998, S. 85. Patent zur Thronbesteigung Kaiser Franz Josephs, Ollmütz, 2.12.1848, als Faksimile unter http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2006/5920/ (Stand: 10.7.2008). Vgl. Gottsmann, Andreas, Der Reichstag von Kremsier, 1995, S. 46.

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Georg bereits eine große Popularität mit in sein Amt brachte – vor allem wegen seines karitativen Engagements.43 Allerorten wirkten sich zudem die Hoffnung der Untertanen auf eine bessere Zukunft und ein damit verbundener Vertrauensvorschuss positiv aus. Für Sachsen-Altenburg stellte der ehemalige Minister Bernhard von Lindenau fest: „Das im Lauf der letzten Wochen Geschehene hat dazu beigetragen, den hiesigen Zustand der Dinge etwas zu verbessern, da im schmerzvollen Ableben der armen Herzogin eine Art von Sühne erblickt und der Eintritt eines neuen Landesherrn und eines neuen Ministeriums mit einer gewissen Zuversicht begrüßt wurde.“44 Scheint damit die Akzeptanz der Machtwechsel in der Bevölkerung hoch gewesen zu sein, sind doch zwei Einschränkungen zu machen: Einen schweren Stand hatte anfangs der bayerische Thronfolger. Wegen seiner geringen Beliebtheit löste die Machtübernahme Maximilians Aufsehen und Skepsis aus. Zudem kam die Thronübernahme für die Öffentlichkeit anders als in Reuß-Lobenstein, wo die Presse eine Abdankung monatelang im Voraus thematisiert hatte,45 recht überraschend. So hielt Maximilian in seinen Memoiren fest: „Man sprach von einer Palastrevolution, von Gewalt, die meinem Vater angetan worden sey“.46 Dennoch kam es auch in Bayern nicht zu größeren Protesten. Als vergleichsweise langwierige Belastung erwies sich die Ablehnung der Ungarn gegenüber dem Thronwechsel in Wien. Durch die Machtübernahme Franz Josephs sahen sie sich in ihren traditionellen Rechten übergangen und hielten an Ferdinand als ihrem König fest. Im Zuge der Revolution wurde am 14. April 1849 sogar der Versuch unternommen, die Habsburger gänzlich abzusetzen.47 Staatsrechtliche Konsequenzen ganz anderer Art brachte die Abdankung Heinrichs LXXII. mit sich: Sein Fürstentum Reuß-Lobenstein-Ebersdorf hörte auf zu existieren. Heinrich hatte den Thron seinem Vetter, Fürst des benachbarten ReußSchleiz, überlassen, mit dem er sich schon bisher die Regentschaft über Gera mit der Pflege Saalfeld geteilt hatte.48 Jener vereinigte nun die drei Territorien, die bereits seit längerem von einer gemeinschaftlichen Landesregierung verwaltet worden waren, 43 Vgl. Schoeppl, Heinrich Ferdinand, Die Herzoge von Sachsen-Altenburg ehem. von Hildburghausen, Bozen 1917, S. 184–191. 44 Bernhard August von Lindenau an Karl Christian von Wüstemann, Altenburg, 2.1.1849, abgedruckt in: Joachim Emig / Ingeborg Titz-Matuszak (Bearb.), Bernhard August von Lindenau (1779–1854). ‚Feind der Reaction und der Revolution‘. Reden, Schriften, Briefe. Eine Auswahl, Bd. 2, Weimar 2001, S. 316. 45 Vgl. Wucher, Waldemar, Reuß, 1926, S. 28f. 46 Sing, Achim, Die Memoiren, 1997, S. 154. 47 Vgl. Gottsmann, Andreas, Der Reichstag von Kremsier, 1995, S. 47. 48 Vgl. allgemein zu den reußischen Territorien Stucke, Sigismund, Die Reußen und ihr Land. Die Geschichte einer süddeutschen Dynastie, Sankt Michael 1984, und speziell zur Situation 1848 Wucher, Waldemar, Reuß, 1926, S. 7f. Herrscherabdankungen im Jahr 1848  

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zum Fürstentum Reuß jüngere Linie. Da seit alters her alle Fürsten und Prinzen der jüngeren Linie des Hauses Reuß den Namen Heinrich erhielten und so gezählt wurden, dass jeweils bis zum Ende eines Jahrhunderts fortlaufend nummeriert und dann wieder mit eins begonnen wurde,49 kam es dabei zu der kuriosen Situation, dass ein 62. Heinrich die Nachfolge eines 72. antrat. Abschließend sei ein Blick auf die persönlichen Folgen der Abdankungen für die Fürsten geworfen. Finanziell blieben sie gut ausgestattet und konnten weiterhin als Förderer von Kunst und Wissenschaften in Erscheinung treten.50 Lediglich mäzenatische Großprojekte mussten unterbleiben, was vor allem der große Bauherr Ludwig in München bedauerte.51 Außer ihm, der auch nach der Abdankung in der Stadt an der Isar wohnen blieb, fanden die Fürsten eine neue Bleibe fern der traditionellen Residenzorte. Ferdinand beispielsweise nahm seinen Wohnsitz fortan in Prag, wo er am 29. Juni 1875 starb. Den ehemaligen Herrschern dürfte es nicht leicht gefallen sein, sich an ihren neuen Status zu gewöhnen, wie etwa ein Bericht Kaiserin Maria Annas über Ferdi­ nands „Mühe, sich anfangs in die neue Lage zu finden“52 nahelegt. Alle hatten demütigende Erfahrungen zu verarbeiten, die Ludwig für seine Person pointiert in dem Satz zusammenfasste: „Die Revolution hat gesiegt, mit dem Ergebnis, dass ich erniedrigt bin.“53 Immerhin hatte die Abdankung die Monarchen aus einer unglücklichen Situation befreit. Dadurch, dass sie sich selbst zu diesem Schritt durchgerungen hatten, verließen sie die politische Bühne mit einem letzten Akt fürstlicher Macht. Zu Recht bezeichnete Heinz Dollinger die Abdankung vor dem Hintergrund des eng gewordenen Handlungsspielraums der Monarchen des 19. Jahrhunderts als die für die Mehrzahl der Fürsten „einzige Chance wirklich selbstherrlichen politischen Handelns“.54 49 Artikel: „Reuß (Fürstentum)“, in: Meyers Konversations-Lexikon. Eine Enzyklopädie des allgemeinen Wissens, Phlegmon–Rubinstein, Bd. 13, Leipzig 1889, S. 758–762, hier: S. 759. 50 Als Beispiel für eine Regelung im finanziellen Bereich für Ludwig von Bayern vgl. Seymour, Bruce, Lola Montez. Eine Biographie, Düsseldorf / Zürich 1998, S. 283 und 286. Vor allem jener sowie der ehemalige Herzog von Sachsen-Altenburg setzten sich auch nach der Abdankung für Kunst und Wissenschaften ein, vgl. a. Schoeppl, Heinrich Ferdinand, Die Herzoge von Sachsen-Altenburg, 1917, S. 183. 51 Vgl. Gollwitzer, Heinz, Ludwig I., 1986, S. 717–719. 52 Wessenberg an Isfordink, Freiburg, 26.12.1848, über einen Brief, den er von der Kaiserin erhalten hatte; abgedruckt in: Wessenberg, Johann Philipp Freiherr von, Briefe von Johann Philipp Freiherr von Wessenberg aus den Jahren 1848–1858 an Isfordink-Kostnitz, Bd. 1, Leipzig 1877, S. 1. 53 Ludwig I. an Lola Montez, München, 12.3.1848, in: Reinhold Rauh / Bruce Seymour (Hrsg.), Ludwig I. und Lola Montez, 1995, S. 139. 54 Dollinger, Heinz, „Das Leitbild des Bürgerkönigtums in der europäischen Monarchie des 19. Jahrhunderts“, in: Karl Ferdinand Werner (Hrsg.), Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert, Bonn 1985, S. 324–364, hier: S. 334.

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Die Tatsache, freiwillig dem Thron entsagt zu haben und damit als „von mir selbst abgesetzter König“55 in die Geschichte einzugehen, kann kaum überschätzt werden – selbst für den de facto fremdbestimmten Kaiser Ferdinand spielte der Eindruck, eine freie Entscheidung getroffen zu haben, offensichtlich eine wichtige Rolle.56 Kurzzeitig geradezu euphorisch machte die Abdankung dennoch wohl nur Ludwig von Bayern: „Ich atme jetzt frei auf, nachdem ich die Krone niedergelegt habe, ohne daß man es gefordert hätte. Ich bin glücklich.“57, schrieb er am 19. März 1848 an Lola Montez. Und weiter: „Mein Plan ist, im April in Vevey anzukommen, um dort in Deine Arme zu fallen und einige Zeit mir Dir zu leben.“58 Doch so einfach konnte sich der ehemalige Monarch seiner Verpflichtungen nicht entledigen – besorgt um das Ansehen des Königtums und die Gefahr neuer Unruhen vor Augen, hielt sein Sohn und Nachfolger Maximilian ihn von der Reise ab.59 Ludwig blieb in München und litt noch lange unter seiner Sehnsucht nach der Tänzerin, die er nie wieder sehen sollte. „Es ist verrückt, daß ich jetzt, wo ich vom Thron und ohne Einfluß bin, die Dynastie in Gefahr bringen kann“60, kommentierte er die Folgen seiner Abdankung.

Quellen- und Literaturverzeichnis Art. „Reuß (Fürstentum)“, in: Meyers Konversations-Lexikon. Eine Enzyklopädie des allgemeinen Wissens, Phlegmon–Rubinstein, Bd. 13, Leipzig 1889, S. 758–762. Buddeus, Aurelio, „Baiern unter den Übergangsministerien von 1847–49. Erster Abschnitt: Vom Sturze Abel’s bis zu König Ludwig’s Thronentsagung“, in: Die Gegenwart. Eine enzyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, Bd. 7, Leipzig 1852, S. 688–758. Dollinger, Heinz, „Das Leitbild des Bürgerkönigtums in der europäischen Monarchie des 19. Jahrhunderts“, in: Karl Ferdinand Werner (Hrsg.), Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert, Bonn 1985, S. 324–364. Dressel, Guido, „Bajonette für die Revolution? Entstehung und Wirkung der Reichsintervention in Sachsen-Altenburg“, in: Hans-Werner Hahn / Werner Greiling, (Hrsg.), Die Revolution von 1848 / 49 in Thüringen. Aktionsräume, Handlungsebenen, Wirkungen, Rudolstadt / Jena 1998, S. 71–91. Emig, Joachim / Titz-Matuszak, Ingeborg (Bearb.), Bernhard August von Lindenau (1779–1854). ‚Feind der Reaction und der Revolution‘. Reden, Schriften, Briefe. Eine Auswahl, Bd. 2, Weimar 2001. 55 Ludwig I. an Lola Montez, München, 21.3.1848, in: Reinhold Rauh / Bruce Seymour (Hrsg.), Ludwig I. und Lola Montez, 1995, S. 155. 56 Vgl. Holler, Gerd, Sophie, 1993, S. 185. 57 Ludwig I. an Lola Montez, München, 19.3.1848 (2. Brief ), in: Reinhold Rauh / Bruce Seymour, (Hrsg.), Ludwig I. und Lola Montez, 1995, S. 153. 58 Ludwig I. an Lola Montez, München, 19.3.1848, in: ebd., S. 144. 59 Ludwig I. an Lola Montez, München, 11.4.1848, in: ebd., S. 173. 60 Ebd. Herrscherabdankungen im Jahr 1848  

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Finken, Ursula, Gottlieb Freiherr von Thon-Dittmer 1802–1853, Kallmünz 1990. Gollwitzer, Heinz, Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie, München 1986. Götschmann, Dirk, Bayerischer Parlamentarismus im Vormärz. Die Ständeversammlung des Königreichs Bayern 1819–1848, Düsseldorf 2002. Gottsmann, Andreas, Der Reichstag von Kremsier und die Regierung Schwarzenberg, Wien 1995. Holler, Gerd, Gerechtigkeit für Ferdinand. Österreichs gütiger Kaiser, Wien 1986. Ders., Sophie. Die heimliche Kaiserin, Mutter Franz Josephs I., Wien 1993. Hummel, Karl-Joseph, München in der Revolution von 1848 / 49, Göttingen 1987. Leipziger Zeitung, Jg. 1848. Rauh, Reinhold / Seymour, Bruce (Hrsg.), Ludwig I. und Lola Montez. Der Briefwechsel, München / New York 1995. Rumpler, Helmut, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie (Österreichische Geschichte 1804–1914), Wien 1997. Schneider, Karl, Altenburg in der revolutionären Bewegung 1848–49, Altenburg 1913. Schoeppl, Heinrich Ferdinand, Die Herzoge von Sachsen-Altenburg ehem. von Hildburghausen, Bozen 1917. Seitz, Max, „Die Februar- und Märzunruhen in München 1848“, in: Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte, 78 / 1953, S. 1–104. Seymour, Bruce, Lola Montez. Eine Biographie, Düsseldorf / Zürich 1998. Sing, Achim, Die Memoiren König Maximilians II. von Bayern 1848–1864. Mit Einführung und Kommentar, München 1997. Srbik, Heinrich von, Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, Bd. 2, München 1925. Stucke, Sigismund, Die Reußen und ihr Land. Die Geschichte einer süddeutschen Dynastie, Sankt Michael 1984. Thuß, Holger, Freiheit und Ordnung. Die Konstitutionelle Partei in den Thüringer Staaten in den Jahren 1848 bis 1850, 2 Teile, (Diss.) Jena 2005. Walter, Friedrich, Die österreichische Zentralverwaltung. III. Abteilung: Von der Märzrevolution 1848 bis zur Dezemberverfassung 1867. Die Geschichte der Ministerien Kolowrat, Ficquelmont, Pillersdorff, Wessenberg-Doblhoff und Schwarzenberg, Bd. 1, Wien 1964. Weidner, Thomas, „Lola Montez oder eine Revolution in München“, in: Ders. (Hrsg.), Lola Montez oder eine Revolution in München, München 1998, S. 116–317. Weissensteiner, Friedrich, „Kaiser Ferdinand“, in: Ders., Die österreichischen Kaiser. Franz I., Ferdinand I., Franz Joseph I., Karl I., Wien 2003, S. 63–89. Werner, Eva Maria, Die Märzministerien. Regierungen der Revolution von 1848 / 49 in den Staaten des Deutschen Bundes, Göttingen 2009. Wessenberg, Johann Philipp Freiherr von, Briefe von Johann Philipp Freiherr von Wessenberg aus den Jahren 1848–1858 an Isfordink-Kostnitz, Bd. 1, Leipzig 1877. Wessenberg, Johann Philipp Freiherr von, Briefe Wessenbergs an seinen Bruder, hrsg. von Kurt Aland, Freiburg 1987. Wucher, Waldemar, Reuß jüngere Linie in der Bewegung der Jahre 1848 / 49, Weida 1926.

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Das Ende der Regionalmonarchien in Italien Abdankungen im Zuge des Risorgimento

Bernd Braun Zersplitterung und Fremdherrschaft kennzeichneten seit dem Untergang des Weströmischen Reiches die territoriale Struktur auf der italienischen Halbinsel. Durch die französische Expansion nach 1796 wurde Italien in noch größerem Umfang als Deutschland Teil der napoleonischen Hegemonialbestrebungen und damit zum Schauplatz fast unüberschaubarer Grenzverschiebungen, System- und Herrscherwechsel. Immerhin: Es gab seit 1805 wieder ein Königreich Italien, wenn auch nur Gebiete im Norden des Landes umfassend, und damit die Wiedergeburt eines Begriffs, der gerade als Ausgangsbasis der nationalen Identitätsstiftung in Italien angesehen werden muss – trotz der Versuche des österreichischen Außenministers Fürst Metternich, Italien als rein geographisches Gebiet zu definieren und ihm damit die nationale Identität abzusprechen.1 Der Wiener Kongress, Ausgangspunkt der erst später als Restauration definierten Epoche, hatte sich zwar an der vornapoleonischen Staatenordnung in Italien orientiert, allerdings einige gewichtige Umstrukturierungen vorgenommen. So wurden die drei Republiken Venedig, Genua und Lucca nicht wiederhergestellt; während Lucca in ein Herzogtum umgewandelt wurde, verloren Genua nach mehr als acht Jahrhun1

Die italienische Literatur zum Risorgimento ist zu umfangreich, um im Rahmen eines Aufsatzes in toto zitiert zu werden. Verwiesen wird deshalb hauptsächlich auf deutschsprachige Darstellungen, wobei diejenigen österreichischer Herkunft in Teilen Rechtfertigungscharakter aufweisen. Vgl. zum Risorgimento allgemein: Altgeld, Wolfgang / Lill, Rudolf (Hrsg.), Kleine italienische Geschichte, Stuttgart 2004, bes. S.  257ff.; Lill, Rudolf, Geschichte Italiens in der Neuzeit, Darmstadt 41994, bes. S. 91ff.; Seidlmayer, Michael, Geschichte Italiens. Vom Zusammenbruch des Römischen Reiches bis zum ersten Weltkrieg. Mit Beiträgen von Theodor Schieder: Italien vom ersten zum zweiten Weltkrieg und Jens Petersen: Italien als Republik 1946–1987, Stuttgart 21989, bes. S. 368ff.; Omodeo, Adolfo, Die Erneuerung Italiens und die Geschichte Europas 1700–1920, Zürich 1951; Kramer, Hans, Österreich und das Risorgimento, Wien 1963; Ders., Die Einigung Italiens im 19. Jahrhundert, Göttingen 1962; als farbige, kein deutliches Urteil scheuende Darstellung aus dem 19. Jahrhundert: Reuchlin, Hermann, Geschichte Italiens von der Gründung der regierenden Dynastien bis zur Gegenwart, 3 Bde., Leipzig 1859, 1860, 1870 sowie die jeweiligen Kapitel in den zahlreichen Biographien der Protagonisten Cavour, Garibaldi, Viktor Emanuel II., Franz Josef usw. Das Ende der Regionalmonarchien in Italien  

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derten und Venedig nach weit mehr als einem Jahrtausend ihre Eigenstaatlichkeit. Insbesondere am Verlust der Selbständigkeit Venedigs nahmen die Zeitgenossen lebhaften Anteil, allen voran die Romantiker, die, von Lord Byron bis August von Platen, den Untergang der Serenissima in ihren Gedichten thematisierten.2 Einmal abgesehen von den zu Österreich gehörenden und von Italienern bewohnten Gebieten Welsch-Tirol sowie Teilen Istriens und Dalmatiens, die erst als Ergebnis des Ersten Weltkrieges zu Italien gekommen sind, teilte sich die Apenninenhalbinsel 1815 in zehn Staaten: in drei Königreiche, das Königreich Sardinien-Piemont unter der Dynastie des Hauses Savoyen, das neu geschaffene Königreich Lombardo-Venetien, das in Personalunion vom österreichischen Kaiser regiert wurde, und das Königreich beider Sizilien unter den spanischen Bourbonen, das neben der größten Insel des Mittelmeeres auch ganz Süditalien umfasste; von Habsburgern regiert wurden das Großherzogtum Toskana, das Herzogtum Modena und das Herzogtum Parma, Letzteres auf Lebenszeit von Napoleons Ehefrau bzw. seit 5. Mai 1821 von dessen Witwe Marie Louise; außerdem gab es noch zwei weitere kleine Herzogtümer: Lucca unter den Bourbonen und Massa-Carrara unter Maria Beatrice d’Este. Fast ganz Mittelitalien umfasste der Kirchenstaat, dessen Beseitigung das größte Problem der italienischen Einigung darstellen sollte. Definierbar als absolute Wahlmonarchie, beflügelte das Herrschaftsgebiet des Papstes die oft kühnen Phantasien der Vordenker des Risorgimento. Nur eines konnte sich niemand im 19. Jahrhundert vorstellen: dass ein Nicht-Italiener auf den Stuhl Petri gelangen könne. Und zu guter Letzt lag als Enklave im Kirchenstaat die Republik von San Marino, die bei aller Bescheidenheit des Territoriums die längste staatliche Tradition in Italien vorweisen konnte: Ihre mythische Gründungsgeschichte reicht bis in die Anfangsjahre des vierten nachchristlichen Jahrhunderts zurück. Das Ergebnis des Wiener Kongresses für Italien kann man in die Formel zusammenfassen: weniger Zersplitterung, aber dafür mehr Fremdherrschaft und eine noch größere Dominanz der Monarchien als zuvor. Von den zehn Staaten auf italienischem Boden des Jahres 1815 verschwanden zwei während, aber nicht durch das Risorgimento – nämlich das Herzogtum Massa-Carrara, das nach dem Tod von Maria Beatrice d’Este 1829 mit dem Herzogtum ihres Sohnes, Franz des IV. von Modena, vereinigt wurde, und das Herzogtum Lucca, das 1847 an die Toskana kam, als die Napoleonwitwe Marie Louise starb und Parma an die bisher in Lucca regierenden Bourbonen fiel. Am Ende des Risorgimento 1870, als die weltliche Herrschaft des 2

Lord Byron hatte in seiner „Ode to Venice“ 1818 den Niedergang Venedigs beklagt: „thirteen hundred years of wealth and glory turned to dust and tears“, begleitet von dem für den neuen Landesherrn Österreich wenig schmeichelhaften „harsh sound of the barbarian drum“. August von Platen verarbeitete den tiefen Fall Venedigs in einem der berühmtesten SonettZyklen überhaupt, den „Sonetten aus Venedig“ (1825).

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Papstes beendet wurde und König und Parlament Italiens von Florenz nach Rom umzogen, bestand von den ursprünglich zehn, dann acht italienischen Staaten der Wiener Friedensordnung von 1815 nur noch ein einziger: „L’antica terra della libertà“ – die Republik von San Marino, deren weiter bestehende Unabhängigkeit vor allem auf ihre republikanische Staatstradition zurückzuführen war.3 An die Stelle aller übrigen Monarchien war als neuer Nationalstaat das Königreich Italien unter der Casa Savoya getreten. Anders als in Deutschland, wo Bismarck zwar auch im Deutschen Krieg drei Monarchien (Hannover, Kurhessen und Nassau) an Preußen angeschlossen, aber das Deutsche Reich auf föderaler Grundlage gebildet hatte, stellte die zentralistisch umgesetzte Einigung Italiens kein Monarchienkonservierungs-, sondern das bedeutendste Monarchieneliminierungsprojekt im Jahrhundert zwischen 1815 und 1917 / 18 dar. Und anders als etwa im ehemaligen Königreich Hannover, wo das Herrscherhaus fest verankert war und sich deshalb eine Welfennostalgie noch bis einige Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg halten konnte, gingen die italienischen Regionalmonarchien sang- und klanglos unter. Den Untergang der Regionalmonarchien in Italien besiegelten keine freiwilligen, zum Teil nicht einmal formale Abdankungen, sondern durch die Macht des Faktischen erzwungene Thronverluste, von denen die meisten Herrscher unvorbereitet getroffen wurden. Sie wurden von der unaufhaltsamen politischen Entwicklung des Risorgimento überrollt und waren nicht mehr Handelnde, sondern zumeist nur noch hilflos Getriebene. Ziel des zweiten italienischen Unabhängigkeitskrieges im Jahr 1859 zwischen Frankreich und Sardinien-Piemont auf der einen, Österreich auf der anderen Seite sollte zwar ursprünglich die Vertreibung der Österreicher aus Italien sein, aber keineswegs ein einheitlicher italienischer Nationalstaat. Unmittelbar vor und während der Kriegshandlungen, die für Österreich mit einer vernichtenden Niederlage endeten, brachen Aufstände in den drei Herzogtümern Toskana, Modena und Parma sowie in den nördlichen Provinzen des Kirchenstaates aus, als deren Folge die drei weltlichen Herrscher aus dem Haus Habsburg und die Kardinallegaten ihre Länder und Landesteile verlassen mussten. Die geflüchteten Herrscher konnten berechtigte Hoffnungen auf eine Rückkehr hegen, als Napoleon III. aus Furcht vor der nationalen Eigendynamik in Italien am 11. Juli 1859 einen „Rückzieher“ in Gestalt des Vorfriedens von Villa­franca machte. Dort war nur noch von der Abtretung der Lombardei an Sardinien-Piemont die Rede, während eine Wiedereinsetzung der drei Herzöge vorgesehen war. Allein, keine der europäischen Großmächte war willens oder 3

Vgl. Kochwasser, Friedrich, San Marino. Die älteste und kleinste Republik der Welt, Herrenalb 1961; Matteini, Nevio, Die Republik von San Marino. Führer durch Geschichte und Kunst, San Marino 1971. Das Ende der Regionalmonarchien in Italien  

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militärisch / finanziell in der Lage, den geflüchteten Herzögen den Rückweg auf ihre Throne zu ermöglichen bzw. den Anschluss der drei Herzogtümer an das Königreich Sardinien-Piemont über Plebiszite im Jahr 1860 zu verhindern. Diese Ereignisse waren das Signal für den charismatischen Freischärler Giuseppe Garibaldi, auch dem Königreich beider Sizilien den Todesstoß zu versetzen. Beginnend mit seinem „Marsch der Tausend“ am 6. Mai 1860 fegte er binnen weniger Monate die Bourbonenherrschaft hinweg, die nach Einschätzung des Historikers Heinrich von Treitschke an „unheilbarer Altersschwäche“ und „grenzenloser Sittenfäulnis“ gelitten hatte.4 Keiner der geflüchteten Herrscher hatte somit Gelegenheit zu einer finalen dramatischen Geste vor der Geschichte, zu einem patriotischen Appell an seine Untertanen. Der letzte König beider Sizilien, Franz II., soll auf seiner Flucht vor Garibaldi von Neapel in die Festung Gaeta, wo er sich noch einige Monate verschanzen konnte, unter anderem 66 Reliquien mitgenommen haben – ein Akt, der symbolisch für die Ratlosigkeit der gestürzten Herrscher gegenüber der Eigendynamik des Risorgimento steht.5 Als Beispiel dafür, unter welchem Zeitdruck die jeweiligen Thronwechsel vollzogen wurden, soll etwas ausführlicher auf das liberale habsburgische „Musterland“6, auf das Großherzogtum Toskana, eingegangen werden.7 Am Anfang der letzten vier Monate seiner 35-jährigen Herrschaft hatte Großherzog Leopold II. die politische Lage diametral falsch eingeschätzt. Die Tatsache, dass Napoleon III. beim Neujahrsempfang für das diplomatische Corps in Paris 1859 auf die bedauerliche Verschlechterung der französisch-österreichischen Beziehungen hingewiesen hatte und dass der sardinische König Viktor Emanuel II. wenige Tage später in einer Thronrede vor dem Parlament geäußert hatte, er könne sich dem Schmerzensschrei („grido di dolore“), der ihn aus allen Teilen Italiens erreiche, nicht verschließen, wertete Leopold II. noch in der Rückschau nicht als Alarmzeichen für eine Allianz Frankreichs und Piemonts. 4

5 6

7

Treitschke, Heinrich von: „Cavour“, in: Ausgewählte Schriften von Heinrich von Treitschke, Bd. 2, Leipzig 1907, Zitate S.  151f. Vgl. zur Geschichte Siziliens allgemein: Finley, Moses I. / Mack Smith, Denis / Duggan, Christopher, Geschichte Siziliens und der Sizilianer, München 1989; zum Risorgimento im Königreich beider Sizilien: De Cesare, Raffaele, La fine di un regno, 3 Bde., Sorrent 2002 (Nachdruck der Ausgabe von 1908 / 1909). Vgl. die Auflistung der von Franz II. nach Gaeta verbrachten Objekte bei: De Cesare, Raffaele, La fine di un regno, Bd. 2 (Regno di Francesco II.), 2002, S. 410ff. Zum Musterland Toskana vgl. Jung, Frank, „‚Die Staatsverfassung von Toskana, unter der Regierung Peter Leopold des Zweiten, andern Staatsverfassungen zum Muster vorgestellt.‘ Der toskanische Getreidefreihandel und die Konstruktion eines ‚Modellstaates‘ in der deutschen Aufklärung“, in: Europa und seine Regionen, 2007, S. 389–424. Vgl. zur Toskana im 19. Jahrhundert: Pesendorfer, Franz, Die Habsburger in der Toskana, Wien 1988; Ders., Zwischen Trikolore und Doppeladler: Leopold II., Großherzog von Toskana, 1824–1859, Wien 1987; Ders. (Hrsg.), Il governo di famiglia in Toscana: le memorie del granduca Leopoldo II. di Lorena (1824–1859), Florenz 1987.

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In seinem in italienischer Sprache verfassten, erst 1987 veröffentlichten autobiographischen Rechenschaftsbericht „Libro Toscano“ schreibt Leopold: „Ich prüfte die Lage in der Toskana, sah keine Gefahren, gab den Präfekten genaue Befehle, wachsam zu sein und jede Bewegung sofort einzubremsen und fuhr ab.“8 Die Reise zu einer Prinzenhochzeit nach Neapel war Anlass für eine mehr als fünfwöchige Abwesenheit des Großherzogs in dieser zugespitzten politischen Situation. Angesichts der spürbaren Rüstungsbemühungen Frankreichs und Sardinien-Piemonts in den folgenden Wochen und Monaten versuchte Österreich, sich seiner Bundesgenossen zu versichern und die Toskana an ihre Bündnispflicht zu erinnern. Der Großherzog schrieb am Gründonnerstag, dem 21. April 1859 an seinen Neffen Kaiser Franz Josef, dass die Toskana im Falle eines Krieges neutral bleiben müsse, da sonst die Revolution unvermeidlich sei. Mit dieser Haltung hatte sich Leopold II. zwischen die beiden einzigen möglichen Stühle gesetzt, den habsburgischen und den italienischen. Am Ostersamstag 1859 tappte Österreich dann in die sardinisch-französische Falle, stellte dem Königreich Sardinien-Piemont ein auf drei Tage befristetes Abrüstungsultimatum und drohte für den Fall seiner Ablehnung mit dem von der Gegenseite herbeigesehnten Krieg. Am Ostersonntag versammelten sich im Palazzo Pitti in Florenz die ausländischen Gesandten und Freunde des Großherzogs. Leopold II. fand, wie er in seinem „Libro Toscano“ schreibt, freundliche Worte für die „Gefährten meiner Arbeiten, meiner Maßnahmen, meiner Hoffnungen, meiner Unternehmungen und Tränen hinderten mich am Reden“.9 Diese Hilflosigkeit fand auch Ausdruck in Leopolds zeitweisen Erwägungen einer 180-Grad-Kehrtwendung, zur Rettung seines Thrones auf der Seite Piemonts in den Krieg einzutreten, die Regierung umzubilden und eine Verfassung zu erlassen. Nur zu einer Konzession, zur Abdankung zugunsten seines Sohnes Ferdinand, war er nicht bereit. Aufgrund des von Sardinien-Piemont nahe stehenden Kräften organisierten Drucks der Straße und der Befehlsverweigerung des heimischen Militärs verließ der Großherzog bereits drei Tage später, am 27. April 1859, die Toskana Richtung Wien. Die Publikation eines feierlichen Protestes verhinderte der sardinische Gesandte in Florenz. Diese Flucht der großherzoglichen Familie bedeutete das faktische, wenn auch noch nicht das formale Ende der 122-jährigen Regentschaft des Hauses Habsburg-Lothringen über die Toskana, die sich in diesem Zeitraum zu einem der führenden Staaten Europas entwickelt hatte. Trotz der Serie militärischer Niederlagen Österreichs, besonders in den Schlachten von Magenta und Solferino am 4. bzw. 24. Juni, glaubte Leopold fest an eine Erneuerung seiner Herrschaft. Noch am Vorabend der Schlacht von Solferino hatte er an seinen Sohn Ferdinand geschrieben, nach ihrer beider Rückkehr in die Toskana 8 9

Zitat aus Pesendorfer, Franz (Hrsg.), Il governo di famiglia in Toscana, 1987, S. 514, wiedergegeben in dessen Übersetzung aus: Zwischen Trikolore und Doppeladler, 1987, S. 368. Zitat ebd., S. 524 (Il governo) bzw. 364 (Zwischen Trikolore). Das Ende der Regionalmonarchien in Italien  

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werde die dortige Säuberung noch länger dauern als nach der 48er Revolution.10 Dass diese Hoffnungen des exilierten Großherzogs nicht gänzlich unberechtigt waren, bestätigte der erwähnte Vorfrieden von Villafranca mit der darin enthaltenen Rückkehroption für die vertriebenen Herzöge. Für eine Optimierung dieser Rückkehroption hielt Kaiser Franz Josef eine Abdankung des amtierenden Großherzogs für notwendig und ließ noch von Villafranca aus einen Emissär zu seinem Onkel schicken, der sich in Vöslau, 35 Kilometer südlich von Wien, aufhielt. Leopold II. telegraphierte dem Kaiser umgehend seine Bereitschaft, auf diesen Vorschlag einzugehen. Am 22. Juli 1859 teilte er Franz Josef in einem einseitigen, völlig schmucklosen, in italienischer Sprache verfassten Brief seine auf den 21. Juli datierte und aus „voller Überzeugung und freiem Willen vollzogene“ Abdankung mit („pieno Mio convincimento e libera Mia volontà“). Dieser, wie auch der vom gleichen Schreiber am gleichen Tag verfasste Brief des nunmehrigen Großherzogs Ferdinand IV., der den Kaiser über seinen Regierungsantritt nach der „spontaneamente“ vollzogenen Abdankung seines Vaters informiert, sind rein formellen Charakters und lassen nicht erkennen, wie schwer gerade dem vom Gottesgnadentum überzeugten Leopold II. dieser Schritt gefallen sein muss.11 Seine wahren Gefühle vertraute Leopold seinem „Libro Toscano“ an, das er mit den Worten enden lässt: „Am 21. Juli unterschrieb ich die Abdankung, der Sohn Ferdinand trat gleichzeitig die Regierung der Toskana an. In dem Schmerz, auf das zu verzichten, was mir am liebsten war, auf das, wodurch mein Leben seinen Sinn erhielt, erhellte ein Lichtstrahl der Freude die Finsternis meiner Seele: Die Toskana ist durch mein Opfer gerettet, sie weiß, dass ich sie bis zum Schluss geliebt habe.“12 So vollzog sich der letzte Thronwechsel des Großherzogtums Toskana nach außen hin als nüchterner Akt ohne jede Feierlichkeit, ohne jedes Zeremoniell, ohne jede Öffentlichkeit. Inzwischen war die provisorische Regierung der Toskana nicht untätig gewesen und hatte ein Parlament installieren lassen, das aufgrund eines extremen Zensuswahlrechts allerdings nur von zwei Prozent der toskanischen Männer gewählt worden war. Dieses Parlament beschloss im August 1859 fast einstimmig, dass eine Rückkehr der bisherigen Dynastie Habsburg-Lothringen ausgeschlossen sei und die Toskana den Anschluss an eine konstitutionelle Monarchie unter Viktor Emanuel II. anstrebe. Die Kritik, dieses Parlament sei nicht Ausdruck der Volksmeinung, konnte dann nicht mehr gelten gegenüber der nach allgemeinem (Männer-) Wahlrecht durchgeführten 10 Zitiert bei: Pesendorfer, Franz, Zwischen Trikolore und Doppeladler, 1987, S. 397. 11 Österreichisches Staatsarchiv Wien, k. k. Ministerium des Äußeren, Administrative Registratur F 2, Kt. 16 (Toskana), Briefe von Leopold II. bzw. Ferdinand IV. an Kaiser Franz Josef, Vöslau 22. Juli 1859. 12 Zitat aus Pesendorfer, Franz (Hrsg.), Il governo di famiglia in Toscana, 1987, S. 531 (Übersetzung des Verf.).

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Volksabstimmung vom 11. und 12. März 1860, die der nunmehrige nominelle Großherzog Ferdinand IV. im Vorfeld als „unverschämte Komödie“ bezeichnet hatte13: 94,81 Prozent der toskanischen Wähler sprachen sich für den Anschluss an Sardinien-Piemont aus, nur 3,88 Prozent für eine unabhängige Toskana. Selbst wenn alle Nichtwähler und alle ungültigen Stimmen sich für die Selbständigkeit ihres Landes ausgesprochen hätten, wären dies insgesamt nur knapp 24 Prozent der Wahlberechtigten gewesen. Mit Ausnahme der vertriebenen Herrscherfamilie betrachtete niemand in Europa dieses Ergebnis als Komödie, sondern als eindeutiges Votum gegen eine Restauration der Habsburgerherrschaft in Florenz. Die Proklamation des Königreiches Italien am 17. März 1861 besiegelte endgültig das Ende der Eigenstaatlichkeit der Toskana. Bis 1866 konnten die Aufrechterhaltung der Botschaften des Großherzogtums und diplomatische Proteste gegen die Anerkennung des Königreiches Italien durch die europäischen Staaten Ferdinand noch über seine ausweglose Situation hinwegtäuschen. Spätestens nach der Niederlage Österreichs im Deutschen Krieg 1866, der auf italienischem Boden die Abtretung Venetiens zur Folge hatte,14 war für Österreich der Zeitpunkt gekommen, den endgültigen Verlust der Vormachtstellung in Italien anzuerkennen. Augenfällig wurde dieser tiefe Einschnitt durch die kaiserliche Anordnung vom 3. Oktober 1866, den Titel „König der Lombardei und Venetiens“ aus dem „Großen Titel“ ebenso zu streichen wie die entsprechenden Landeswappen aus dem Staatswappen.15 Es dauerte noch weitere vier Jahre, bis Ferdinand IV. 1870 in Lindau am Bodensee abdankte, nicht zuletzt, um offene Vermögensfragen klären zu können. Aus den Ausführungen über die Toskana lassen sich schon einige der Gründe ableiten, warum die Throne der Regionalmonarchien in Italien so wenig verankert waren und so jäh gestürzt werden konnten. Drei zentrale Ursachen haben hier den Ausschlag gegeben: Erstens hatten sämtliche Herrscher die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Spätestens seit der Revolution von 1848 hätte jeder politisch bewusste Zeitgenosse wissen müssen, dass die Frage der italienischen Einigung nicht mehr ignoriert, ironisiert oder schlicht unterdrückt werden konnte. Mit dem Januaraufstand in Sizilien 1848 und der Niederschlagung der Republik Venedig Ende August 1849 war Italien Schauplatz des ersten und des letzten Aktes des revolutionären Doppeljahres gewesen. Im Un13 Zitiert bei Pesendorfer, Franz, Zwischen Trikolore und Doppeladler, 1987, S. 420. 14 Vgl. zu den letzten sieben Jahren österreichischer Herrschaft in Venetien: Gottsmann, Andreas, Venetien 1859–1866. Österreichische Verwaltung und nationale Opposition, Wien 2005. 15 Vgl. Göbl, Michael, „Staatssymbole des Habsburger-Reiches ab 1867 mit besonderer Berücksichtigung des Staatswappens“, in: Leser, Norbert / Wagner, Manfred (Hrsg.), Österreichische politische Symbole. Historisch, ästhetisch und ideologiekritisch beleuchtet, Wien u. a. 1994, S. 11–36, hier: S. 18. Das Ende der Regionalmonarchien in Italien  

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terschied zu den Erhebungen von 1820 / 21 und 1830 / 31 war die Revolution von 1848 / 49 in Italien weder importiert noch imitiert, sondern selbsttragend gewesen, sie hatte alle italienischen Staaten erfasst und ihre Stoßrichtung war nicht mehr nur konstitutionell, sondern auch national. Noch anachronistischer war die Rückkehr aller italienischen Staaten – mit der einzigen Ausnahme Sardinien-Piemont – zum Absolutismus. Die 1848 gewährten Verfassungen wurden wieder kassiert und dadurch die Liberalen, die keineswegs den Sturz der Regionalmonarchien oder den Einheitsstaat anstrebten, sondern lediglich konstitutionelle Monarchien, mit den Demokraten und den Radikalen zusammen in das Lager der Fundamentalopposition gegen die bestehenden Systeme gedrängt. Sardinien-Piemont, das sich mit der Beibehaltung seiner Verfassung, des „Statuto Albertino“, an die Spitze der Moderne in Italien gesetzt hatte, avancierte daher nach 1848 zum Hoffnungsträger nicht mehr nur der nationalen, sondern auch der konstitutionellen Strömungen. Wie einer der einflussreichsten Protagonisten des Risorgimento, Massimo D’Azeglio, schon 1847 in seinem „Programm der Nationalpartei in Italien“ definiert hatte, gebe es zwei Mittel, „um die Völker ruhig zu erhalten: die Gewalt und die Gerechtigkeit“.16 In der Mehrzahl der italienischen Staaten setzten die Herrscher auf die Gewalt. Berüchtigt waren in dieser Hinsicht das Königreich beider Sizilien, das Königreich Lombardo-Venetien und das Herzogtum Modena. In Neapel-Sizilien hatte sich König Ferdinand II. durch die Beschießung der aufständischen Stadt Messina mit Kanonen im September 1848 den wenig schmeichelhaften Beinamen „Re Bomba“ – „König Bombe“ erworben. Nach der endgültigen Niederschlagung der Revolution erhielten 22.000 seiner Untertanen Strafen wegen politischer Vergehen, eine Härte, die der französische Karikaturist Honoré Daumier 1851 in einer berühmten Zeichnung anprangerte. Auf dieser Karikatur ist unter dem Titel: „In Neapel. Der beste aller Könige lässt weiterhin die Ordnung in seinen Staaten herrschen“ der bekrönte und beleibte Ferdinand II. zu sehen, wie er – in eine Galauniform gezwängt – selbstzufrieden von der Balustrade seines Schlosses herab die Verhaftung eines politisch Verdächtigen betrachtet, während drei aufgeknüpfte Delinquenten bereits am Galgen baumeln.17 In Lombardo-Venetien regierte der greise Militärbefehlshaber Feldmarschall Radetzky, dessen Niederschlagung der Revolution 1848 in Mailand den RadetzkyMythos erst begründet hatte, mit eiserner Hand und ließ zahlreiche Todesurteile 16 Zitiert in: Stübler, Dietmar (Hrsg.), Deutschland – Italien 1789–1849. Zeitgenössische Texte, Leipzig 2002, S. 230. 17 Zahlreich abgebildet, zuletzt: Honoré Daumier, Aktueller denn je! Europäische Visionen, Ausstellungskatalog der Städtischen Museen Zittau, Görlitz 2004, S. 6 oder www.daumier-gesellschaft.de/zittau/katalog.pdf

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vollstrecken. Ähnlich verhielt sich Herzog Franz IV. von Modena, vor allem nach der Revolution von 1830 / 31 ließ er politische Gefangene foltern und drakonische Strafen bis hin zur Todesstrafe verhängen, darunter selbst den von österreichischen Legitimisten nicht anfechtbaren Justizmord an dem Modeneser Adeligen Giuseppe Ricci, der am 17. Juli 1832 erschossen wurde.18 Damit wurden Märtyrer des Risorgimento geschaffen und nicht emotionale Bindungen an die jeweiligen Dynastien verstärkt. Es verwundert nicht, dass gerade diejenigen Herrscher in der Geschichtsschreibung und im öffentlichen Bewusstsein Italiens bis heute positiv gewürdigt werden, die sich der brutalen Niederschlagung der Oppositionsbewegung widersetzten. Die Herzogin Marie Louise von Parma galt ihren Untertanen und gilt bis heute sicher auch deshalb als „buona duchessa“ – „gute Herzogin“ – und beste Regentin in der Geschichte Parmas,19 weil sie nach dem Aufstand 1830 / 31 äußerst großzügig reagierte, die Rädelsführer, wenn überhaupt, dann nur äußerst milde bestrafen ließ und sich auch in den Nachbarstaaten für politisch Verfolgte einsetzte, nicht zuletzt für die Inhaftierten in der berüchtigten Festung Spielberg bei Brünn.20 Von ihrem Nachbarn, Herzog Franz IV. von Modena, musste sie sich für ihre liberale Haltung die spöttische Spitze gefallen lassen, sie agiere wie „la presidentissima della repubblica di Parma“,21 was man als „übereifrige Präsidentin der Republik von Parma“ ins Deutsche übersetzen könnte. Das zweite ausschlaggebende Kriterium für den Untergang der italienischen Regionalmonarchien ist, dass sie als Fremdherrschaft empfunden wurden. Besonders deutlich wurde dies im Königreich Lombardo-Venetien. Vizekönig Heinrich Graf Bellegarde hatte in einer Denkschrift an Kaiser Franz im Frühjahr 1816 vor einer zu großen Fremdbestimmung des neuen Retorten-Königreiches durch Wien gewarnt: „Es muss Italien als ein von den übrigen Ländern der Monarchie ganz heterogener Körper betrachtet und dessen innigste Anschließung an den Gesamtstaat eben dadurch bezweckt und erhalten werden, dass derselbe mit ganz anderen Formen, ja 18 Vgl. Faber, Hanns A., Modena – Austria. Das Herzogtum und das Kaiserreich 1814–1867, Frankfurt am Main u. a. 1996. Franz IV. hatte eine unbeantwortet gebliebene Anfrage an den russischen Zaren Nikolaus I. gerichtet, ob er seine politischen Gefangenen nach Sibirien schicken könne. Ebd., S. 135. 19 Vgl. Herre, Franz, Marie Louise. Napoleon war ihr Schicksal, Köln 1996; Schiel, Irmgard, Marie Louise. Eine Habsburgerin für Napoleon, Stuttgart 31984. Sichtbares Zeichen der ungebrochenen Sympathie für Marie Louise in Parma ist das Museum Glauco Lombardi (www. museolombardi.it). 20 Das 1832 erstmals erschienene Buch „Le mie prigioni“ („Meine Gefängnisse“) des Dramatikers Silvio Pellico über seine mehrjährige Haft in den Bleikammern von Venedig und auf dem Spielberg bei Brünn trug wesentlich zur Stärkung des italienischen Unabhängigkeitswillens bei, zuletzt auf Deutsch: Gauting 2001. 21 Zitiert bei: Benedikt, Heinrich, Kaiseradler über dem Apennin. Die Österreicher in Italien 1700 bis 1866, Wien / München 1964, S. 442. Das Ende der Regionalmonarchien in Italien  

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selbst durch ganz andere Mittel regiert und alle unnatürlichen Annäherungen zu den Deutschen vermieden werden.“22 Diese Warnung schlug der Kaiser in den Wind, der Lombardo-Venetien von Wien aus zentralistisch regierte.23 Er hatte zwar den Posten eines Vizekönigs eingerichtet, der allerdings über keinerlei Entscheidungskompetenzen verfügte, sondern rein repräsentative Aufgaben wahrzunehmen hatte. Über Erzherzog Rainer, den Bruder des Kaisers, der stolze drei Jahrzehnte von 1818 bis 1848 als Vizekönig amtierte, kursiert das entlarvende Bonmot, er habe, sobald ein Anliegen an ihn gerichtet worden sei, geantwortet: „Wir werden sehen, Wir werden tun, Wir werden unserem Bruder berichten“.24 Auch die beiden als Beratungsgremien eingesetzten Kongregationen, je eine für jeden Landesteil, deren fast ausschließlich adlige Mitglieder vom Kaiser berufen wurden, waren loyal-handzahme Pseudo-Institutionen und keine Interessenvertretungen der einheimischen Bevölkerung. So wurde Lombardo-Venetien, das mit einem Anteil von einem Siebtel an der Gesamtbevölkerung der Habsburgermonarchie ein Viertel ihres Steueraufkommens bestritt, wie eine Kolonie regiert.25 Als Akt fragwürdiger Legitimierung und Traditionsschöpfung dieses Kunstgebildes wurde am 6. September 1838 der österreichische Kaiser im Dom von Mailand mit der eisernen Krone der Langobarden gekrönt. Die eiserne Krone besaß zwar für die Lombarden einen hohen nationalen Symbolwert, aber keinesfalls für die Venezianer; sie mussten sich einmal mehr innerhalb des Doppelkönigreiches degradiert fühlen. Dass ausgerechnet der geistesschwache Kaiser Ferdinand als einziger der drei habsburgischen Könige diese Zeremonie vollzog, mag seinen italienischen Untertanen als zusätzlicher Hohn erschienen sein.26 Die im jeweiligen Land regierenden Herrscher Oberitaliens verstanden sich in erster Linie als Habsburger und erst in zweiter Linie als Italiener. Selbst die „buona duchessa“ Marie Louise verweigerte 1830 in Parma die Gewährung einer Verfassung mit der Begründung, sie könne ihrem Herrn Papa in Wien – dem Kaiser Franz I. – nicht zuwider handeln. Ihre beiden Liebhaber und Ehemänner nach Napoleon, Adam von Neipperg und Charles-René de Bombelles, waren ebenso wenig Italiener wie die mei22 Zitiert bei: Pesendorfer, Franz, Eiserne Krone und Doppeladler. Lombardo-Venetien 1814–1866, Wien 1992, S. 153. 23 Vgl. zur Verwaltungsstruktur Lombardo-Venetiens: Mazohl-Wallnig, Brigitte, Österreichischer Verwaltungsstaat und Administrative Eliten im Königreich Lombardo-Venetien 1815–1859, Mainz 1993. 24 Zitiert bei: Benedikt, Heinrich, Kaiseradler über dem Apennin, 1964, S. 125. 25 Zur ökonomischen Prosperität des Doppelkönigreiches trug vor allem die Lombardei bei. Vgl.: Pichler, Rupert, Die Wirtschaft der Lombardei als Teil Österreichs. Wirtschaftspolitik, Außenhandel und industrielle Interessen 1815–1859, Berlin 1996. 26 Vgl. zur Krönung Ferdinands detailreich, aber verklärend: Lewald, August, Die Krönung in Mailand im Jahr 1838, Karlsruhe 1838.

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sten Königinnen, Großherzoginnen und Herzoginnen der italienischen Staaten. Und nach ihrem Tod 1847 wurde Marie Louise nicht in ihrem geliebten Parma beigesetzt, das sie 30 Jahre regiert hatte, sondern in der Kapuzinergruft in Wien, unter anderem neben vier von fünf Großherzögen der Toskana, Maria Beatrice d’Este und Herzog Franz V. von Modena. Fühlten sich die habsburgischen Herrscher in Italien in erster Linie den Interessen eines supranationalen Imperiums verpflichtet, so gilt dies im übertragenen Sinn auch für das Papsttum. Im entscheidenden Moment des Jahres 1848 stellte sich Papst Pius IX., der seit seiner Wahl 1846 die Hoffnungen seiner liberalen Zeitgenossen verkörpert hatte, nicht an die Spitze, vor allem nicht an die militärische Spitze der italienischen Einigungsbewegung, weil er sich als Oberhaupt eines weltumspannenden Reiches – der katholischen Christenheit – verstand. Es ist die Tragik von Pius IX., dass er den Widerspruch zwischen seiner Funktion als Oberhaupt einer Weltreligion und als italienischer Regionalmonarch bis zum Ende seines langen Pontifikates im Jahr 1878 konsequent geleugnet hat und deshalb nicht nur nichts zur Lösung der „Römischen Frage“ beigetragen hat, sondern durch sein kompromissloses Beharren auf längst überholten Positionen als ihr eigentlicher Schöpfer betrachtet werden muss.27 Die dritte Ursache für den geringen Grad der Verankerung der italienischen Regionalmonarchien ist in der Qualität der jeweiligen Herrscherpersönlichkeiten zu suchen. Herrschern, die ihre Throne verloren haben, wird nur dann nachgetrauert, wenn sie sich während ihrer Regentschaft als charismatische Persönlichkeiten präsentiert haben. Dies war gerade in Italien nicht der Fall. In Lombardo-Venetien folgte auf die Jahrhundertgestalt Napoleon als König der eher blasse Franz I., der erste Biedermeier, dann mit Ferdinand I. ab 1835 ein zur Herrschaft dauerhaft unfähiger Monarch, abschließend seit 1848 mit dem erst 18-jährigen Franz Joseph ein zunächst unreifer Herrscher, der das Lehrgeld für seine Unerfahrenheit in erster Linie in Italien entrichten musste und lange Zeit Radetzky das Regiment überließ, den er erst Ende Februar 1857, im Alter von 90 Jahren, als Generalgouverneur in den Ruhestand versetzen ließ. Im Königreich beider Sizilien und im Herzogtum Parma waren die jeweils letzten Herrscher nur so kurze Zeit im Amt, dass sie keine eigenen Akzente setzen konnten. Bei König Franz II., der seinem Vater im Mai 1859 im Alter von erst 23 Jahren nachfolgte, kann man dies schon an seinen beiden Beinamen ablesen, an „Franzeschiello“ – dem „Fränzchen“ und noch mehr an „Bombino“ – dem „Bömbchen“, das 27 Vgl. zur „Römischen Frage“: Seibt, Gustav, Rom oder Tod. Der Kampf um die italienische Hauptstadt, Berlin 2001; Heydenreich, Titus (Hrsg.), Pius IX. und der Kirchenstaat in den Jahren 1860–1870. Ein deutsch-italienisches Kolloquium, Erlangen 1995; Miko, Norbert, Das Ende des Kirchenstaates, 2 Bde., Wien / München 1962; Bastgen, Hubert, Die Römische Frage. Dokumente und Stimmen, 3 Bde., Freiburg im Breisgau 1917–1919. Das Ende der Regionalmonarchien in Italien  

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an seinen Vater – „Re Bomba“ – nicht einmal spitznamentlich heranreichte.28 Nach der Flucht aus seinem Königreich und seiner Kapitulation in der Festung Gaeta am 13. Februar 1861 lebte Franz II. mit seiner Familie bis zum Ende des Kirchenstaates 1870 im Exil in Rom, von wo aus er Aufstandsversuche in Süditalien finanzierte. In seinen „Römischen Tagebüchern“ schildert Ferdinand Gregorovius, welchen Eindruck der gestürzte Monarch und seine Familie wenige Wochen nach ihrer Ankunft in Rom bei einer Begegnung im Petersdom auf ihn gemacht hatten. Aus seinen Worten sprechen weder Mitleid noch Sympathie, sondern der schonungslose Blick des Historikers auf Repräsentanten einer aus seiner Sicht abgeschlossenen Epoche: „Rom, Palmsonntag 1861. Ich war heute bei der Feier im St. Peter. Ich hatte meinen Platz unmittelbar an der Tribüne, wo die ganze Familie des gestürzten Königshauses von Neapel saß. Franz II. sah sehr gelangweilt und misanthropisch aus. Seine Haltung war ungezwungen, weder militärisch noch fürstlich; er sieht älter aus als seine Jahre. Die Königin Marie bleich und leidend. Der Herzog von Trapani hässlich und unbedeutend, wie alle übrigen Prinzen. Die zwei Prinzessinnen, junge Mädchen, elende und traurige Gestalten. Die Mutter, Tochter des berühmten Erzherzogs Carl, gleicht eher einer Handwerkerfrau als einer Königin. Die ganze königliche Gesellschaft erschien mir in St. Peter wie ein Häuflein zusammengewehter welker Blätter.“29 Zumindest die bleiche und leidende Ex-Königin Marie, eine Wittelsbacherin und Schwester von Elisabeth von Österreich, hatte sich innerhalb eines halben Jahres gefangen, fiel aber auch nicht durch typisch weibliche, schon gar nicht einer vertriebenen Monarchin geziemende Aktivitäten auf. Wieder Ferdinand Gregorovius in einem Tagebucheintrag am 1. Dezember 1861: „Die Exkönigin fährt noch immer mit ihrer Schwester allabendlich auf dem Corso und exponiert sich zu sehr der Menge. Sie reitet, raucht, schießt mit Pistolen im Quirinal, kutschiert mit vier Pferden vom Bock.“30 Galt Franz II. seinen Zeitgenossen als Sonderling, so waren die nach Marie Louises Tod 1847 in Parma eingesetzten Bourbonen so unbeliebt, dass Herzog Karl II., ermüdet durch die revolutionären Unruhen, 1849 zugunsten seines Sohnes Karl III. abdankte, der wiederum 1854 von einem unerkannt gebliebenen Attentäter auf offener Straße erstochen wurde. Der erst sechsjährige Thronerbe Robert, der letzte regierende Herzog von Parma, stand in den fünf Jahren bis 1859 unter der Regentschaft seiner Mutter Marie Louise von Bourbon. Im ursprünglichen Sinn des Wortes fruchtbare Aktivitäten konnte Robert erst als erwachsener Mann im Exil entfalten, als er mit

28 Vgl. Jaeger, Pier Giusto, Francesco II di Borbone. L’ ultimo re di Napoli, Mailand 1982. 29 Gregorovius, Ferdinand, Römische Tagebücher 1852–1889, München 1991, S. 128. 30 Ebenda, S. 139; laut Heinrich von Treitschke, „Cavour“, 1907, S. 154, ist die „tapfere deutsche Königin der einzige Mann am Bourbonenhof gewesen“.

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seinen beiden Ehefrauen jeweils zwölf Kinder in die Welt setzte, darunter die spätere letzte Kaiserin von Österreich, Zita von Bourbon-Parma. Dass die Ex-Kaiserin Zita zeit ihres langen Lebens, sie starb erst 1989 im Alter von fast 97 Jahren, nicht auf ihre Thronrechte verzichtete, entsprach der Familientradition, denn schon ihr Vater hatte niemals abgedankt. Auch Franz II. von Neapel-Sizilien hatte eine Abdankung stets als mit seiner Ehre unvereinbar zurückgewiesen. Er schlug damit eine Erstattung konfiszierten Vermögens in seinem ehemaligen Königreich aus. Und so geistern auch heute noch Thronprätendenten der spanischen Bourbonen und Titularherzöge von Parma mit eigenen Homepages durch das Internet.31 Die Päpste schließlich brauchten fast sechzig Jahre Gefangenschaft im Vatikan, bis sie in den Lateran-Verträgen von 1929 als italienische Regionalmonarchen definitiv abdankten und mit einem nur mehr symbolischen Territorium abgefunden wurden. Wie sehr die „Römische Frage“ die italienische Nation seit 1870 gespalten hatte, macht der rhetorische Aufwand deutlich, mit dem sie im Artikel 26 der Lateran-Verträge gleich dreifach für beendet erklärt wurde: „Der Heilige Stuhl […] erklärt die „Römische Frage“ für endgültig und unwiderruflich geregelt und dadurch beigelegt und erkennt das Königreich Italien unter der Dynastie des Hauses Savoyen mit Rom als Hauptstadt des italienischen Staates an.“32 Bei der Betrachtung der beseitigten Regionalmonarchien könnten die beiden wichtigsten Abdankungen im Zuge des Risorgimento fast aus dem Blickfeld geraten: König Karl Albert von Sardinien-Piemont trat nach seinem gescheiterten Feldzug gegen Radetzky 1849 zugunsten seines nüchterner kalkulierenden Sohnes Viktor Emanuel II. zurück, der dann zusammen mit seinem Ministerpräsidenten Camillo Cavour als einer der Architekten der italienischen Einigung fungieren sollte. Und die allerwichtigste Abdankung betraf einen Mann, den Heinrich von Treitschke in geradezu hymnischem Überschwang als „das Geschenk der himmlischen Barmherzigkeit“ bezeichnet hat, nur vergleichbar in seiner historischen Dimension mit der französischen Nationalheldin Jeanne d’Arc: Giuseppe Garibaldi.33 Im November 1860 dankte Garibaldi als Diktator über Süditalien zugunsten von Viktor Emanuel II. ab und zog sich auf die Insel Caprera nördlich von Sardinien zurück. Finanzielle Zuwendungen und Auszeichnungen lehnte er ab. Garibaldi verzichtete auf die eine Hälfte seines Lebens­ traumes – die demokratische Republik –, um die andere Hälfte – den italienischen Einheitsstaat – verwirklicht zu sehen. Ein Beispiel von größerer moralischer Grandezza als den bescheidenen Rückzug Garibaldis kenne die Geschichte nicht, urteilt 31 Vgl. die Homepage des „königlichen Hauses“ von Neapel: www.realcasadiborbone.it oder diejenige des „königlichen Hauses“ von Bourbon-Parma www.borboneparma.it 32 „La Santa Sede […] dichiara definitivamente ed irrevocabilmente composta e quindi eliminata la „questione romana“ e riconosce il Regno d’Italia sotto la dinastia di Casa Savoia con Roma capitale dello Stato italiano.“ 33 Treitschke, Heinrich von, „Cavour“, 1907, S. 146. Das Ende der Regionalmonarchien in Italien  

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der Historiker Raffaele De Cesare in seiner Darstellung vom Ende des Königreichs beider Sizilien.34 Welche Folgen zeitigte der Untergang der Regionalmonarchien für Italien und für das Haus Savoyen?35 Italien mit seiner ausgeprägt regionalstaatlichen Tradition sah sich binnen weniger Jahre in einen zentralistisch regierten Einheitsstaat verwandelt, eine Lösung, die keinem der Vordenker des Risorgimento zu prophezeien in den Sinn gekommen wäre. Statt der verschiedenen monarchisch-föderalistischen Modelle und des republikanisch-unitarischen Modells von Giuseppe Mazzini wurde eine Art Zwitter aus beiden Modellen realisiert. Die Frage einer stärkeren Regionalisierung ist bis heute ein Dauerbrenner der italienischen Politik geblieben. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in der Verfassung der italienischen Republik von 1947 nicht befriedigend gelöst. Dort wurden zwar 19 (später 20) Regionen, davon fünf mit Sonderstatus, geschaffen, aber die Umsetzung dieser Verfassungsbestimmungen schleppte sich jahrzehntelang hin. Die halbherzige Dezentralisierung hat mittlerweile zur Bildung von Regionalparteien wie der Lega Nord geführt, die mit separatistischen Parolen erfolgreich auf Stimmenfang ziehen. Die Formel, die Viktor Emanuel II. im März 1861 bei der Proklamation des Königreiches Italien verwendete, er sei König von Italien „durch die Gnade Gottes und durch den Willen des Volkes“ täuschte darüber hinweg, dass die breite Masse des Volkes nach 1861 weitgehend von der politischen Teilhabe ausgeschlossen blieb. Die Zahl der Wahlberechtigten zum Parlament in Rom stieg nur äußerst langsam an und blieb hinter dem Deutschen Reich, der zweiten „verspäteten“ Nation in Europa, weit zurück.36 Dieses demokratische Defizit konnten auch die unzähligen Denkmäler für Giuseppe Garibaldi nicht dauerhaft kaschieren. Anders als in Deutschland, wo ein überzeugter, aber mit dem säbelrasselnden Stil Kaiser Wilhelms II. unzufriedener Monarchist sich etwa am jovial-patriarchalischen Prinzregenten Luitpold in Bayern oder am liberalen Großherzog Friedrich in Baden 34 De Cesare, Raffaele, La fine di un regno, Bd. 2 (Regno di Francesco II.), 2002, S. 467. 35 Vgl. zu den Problemen der Nationwerdung Italiens bis zu dessen Kriegseintritt im Ersten Weltkrieg auch: Croce, Benedetto, Geschichte Italiens 1871–1915. Nach der vierten Auflage ins Deutsche übertragen von Ernst Wilmersdorfer, Berlin 1928. 36 Während zum Deutschen Reichstag ein allgemeines Wahlrecht für Männer über 25 Jahre galt, verlangte das italienische Wahlrecht von den Männern über 25 zusätzlich einen Mindeststeuerbeitrag und die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können. Bei dem hohen Anteil von Analphabeten in Italien betrug der Anteil der Wahlberechtigten an der Gesamtbevölkerung deshalb 1861 nur rund 1,9 Prozent und verließ erst durch die Wahlrechtsreform von 1912 den einstelligen Bereich auf nunmehr 23,2 Prozent, als alle männlichen Staatsbürger über 30 ohne Bedinungen wählen durften (Die Einschränkungen galten nur noch für Männer unter 30.). Vgl. Dieter Nohlen, „Italien“, in: Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane. Ein Handbuch, hrsg. von Dolf Sternberger und Bernhard Vogel, Bd. 1,1, Berlin 1969, S. 713–752, hier S. 714–718 und 741.

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aufrichten konnte, konzentrierte sich in Italien die gesamte Machtfülle, aber auch die gesamte Aufmerksamkeit der Nation auf den König und dessen Familie. Damit war die Casa Savoya nach der Ermordung König Umbertos I., der im Jahr 1900 einem anarchistischen Attentat zum Opfer fiel, offensichtlich überfordert. Durch ihr Fraternisieren mit dem Faschismus haben sich ihre letzten beiden Könige Viktor Emanuel III. und Umberto II. politisch völlig diskreditiert, so dass das Referendum über die Zukunft der Monarchie am 2. Juni 1946 mit einem Vorsprung von 8,6 Prozentpunkten für die Einführung der Republik endete. Schließlich haben sich die Thronanwärter des Hauses Savoyen seit 1946 durch zahlreiche Skandale und Affären gesellschaftlich derart ins Abseits manövriert, dass im heutigen politischen System Italiens fast alles in Frage gestellt wird, nur eines nicht – die republikanische Staatsform.

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und die Konstruktion eines ‚Modellstaates‘ in der deutschen Aufklärung“, in: Europa und seine Regionen, Köln 2007, S. 389–424. Kochwasser, Friedrich, San Marino. Die älteste und kleinste Republik der Welt, Herrenalb 1961. Kramer, Hans, Österreich und das Risorgimento, Wien 1963. Ders., Die Einigung Italiens im 19. Jahrhundert, Göttingen 1962. Lewald, August, Die Krönung in Mailand im Jahr 1838, Karlsruhe 1838. Lill, Rudolf, Geschichte Italiens in der Neuzeit, Darmstadt 41994. Matteini, Nevio, Die Republik von San Marino. Führer durch Geschichte und Kunst, San Marino 1971. Mazohl-Wallnig, Brigitte, Österreichischer Verwaltungsstaat und Administrative Eliten im Königreich Lombardo-Venetien 1815–1859, Mainz 1993. Miko, Norbert, Das Ende des Kirchenstaates, 2 Bde., Wien / München 1962. Omodeo, Adolfo, Die Erneuerung Italiens und die Geschichte Europas 1700–1920, Zürich 1951. Pesendorfer, Franz, Eiserne Krone und Doppeladler. Lombardo-Venetien 1814–1866, Wien 1992. Ders., Die Habsburger in der Toskana, Wien 1988. Ders., Zwischen Trikolore und Doppeladler: Leopold II., Großherzog von Toskana, 1824–1859, Wien 1987. Ders. (Hrsg.), Il governo di famiglia in Toscana: le memorie del granduca Leopoldo II. di Lorena (1824–1859), Florenz 1987. Pichler, Rupert, Die Wirtschaft der Lombardei als Teil Österreichs. Wirtschaftspolitik, Außenhandel und industrielle Interessen 1815–1859, Berlin 1996. Reuchlin, Hermann, Geschichte Italiens von der Gründung der regierenden Dynastien bis zur Gegenwart, 3 Bde., Leipzig 1859, 1860, 1870. Schiel, Irmgard, Marie Louise. Eine Habsburgerin für Napoleon, Stuttgart 31984. Seibt, Gustav, Rom oder Tod. Der Kampf um die italienische Hauptstadt, Berlin 2001. Seidlmayer, Michael, Geschichte Italiens. Vom Zusammenbruch des Römischen Reiches bis zum ersten Weltkrieg. Mit Beiträgen von Theodor Schieder: Italien vom ersten zum zweiten Weltkrieg und Jens Petersen: Italien als Republik 1946–1987, Stuttgart 21989. Stübler, Dietmar (Hrsg.), Deutschland – Italien 1789–1849. Zeitgenössische Texte, Leipzig 2002. Treitschke, Heinrich von: „Cavour“, in: Ausgewählte Schriften von Heinrich von Treitschke, Bd. 2, Leipzig 1907.

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Zwischen Abdankung und Absetzung Das Ende der Herrschaft der Bundesfürsten des Deutschen Reichs im November 1918

Michael Horn 1. Thematik und Forschungsstand „Leider bewies es die Zeit der Revolution: Sie wurden weggefegt ohne irgendetwas zurückzulassen, weil sie doch zu große Nullen waren, wenn sie auch immer anständig dachten. […] Wenn ich zu Kaisers Geburtstag in Berlin weilte, fand ich oft, daß viele von meinen sogenannten Kollegen noch so rückständig in ihren Anschauungen waren, daß ich mich als reiner Sozialist fühlte. Sie begriffen so gar nicht die Frage, wie man mit der Zeit gehen muß, wenn man zuletzt nicht von ihr übergangen werden will.“1 Mit diesen harschen Worten kommentierte1935 in der Rückschau der letzte amtierende Großherzog von Hessen, Ernst Ludwig, den Umbruch in Deutschland durch die Revolution im November 1918. Sich selbst dabei ausnehmend, sah er den Grund für das Ende der Monarchie in erster Linie darin, dass es den Monarchen an der Bereitschaft zur politischen Modernisierung fehlte. Am monarchischen Prinzip und seiner Legitimierung durch das Gottesgnadentum festhaltend,2 wollten oder konnten sie – Ernst Ludwig zufolge – nicht erkennen, dass die Kontinuität monarchischer Herrschaft einem bis zum Ende des Ersten Weltkriegs rasch anwachsenden, systembedrohenden Autoritäts- und Legitimationsverlust ausgesetzt war. Während sich die historische Forschung intensiv mit der deutschen Novemberrevolution auseinandergesetzt hat, gibt es auch neun Jahrzehnte nach den Ereignissen des Epochenjahres 1918 immer noch keine größere Darstellung darüber, wie die bis dahin in Deutschland mehr oder weniger souverän herrschenden Bundesfürsten diese ihnen 1 2

Franz, Eckhart (Hrsg.), Erinnertes. Aufzeichnungen des letzten Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, Darmstadt 1983, S. 110. Vgl. dazu insgesamt: Brunner, Otto, „Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip. Der Weg der europäischen Monarchie seit dem hohen Mittelalter“, in: Ders. (Hrsg.), Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968, S. 160–186; sowie: Böckenförde, Ernst-Wolfgang, „Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert“, in: Ders. (Hrsg.), Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt / Main 1986, S. 112–145. Zwischen Abdankung und Absetzung  

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letztlich oktroyierte Abdankung exekutierten.3 Lediglich die schon seit den 1920er Jahre intensiv diskutierte Abdankung und Flucht des letzten Deutschen Kaisers und des Kronprinzen nach Holland kann als umfangreich bearbeitet gelten.4 Diesem skizzierten Forschungsdefizit ist sich die Geschichtswissenschaft durchaus bewusst. So gehört für Hagen Schulze „das sang- und klanglose Verschwinden“ Wilhelms II. und der anderen Monarchen „in den trüben Novembernebeln des Jahres 1918 zu den seltsamsten Geschehnissen der deutschen Geschichte.“5 Diese fast lautlose Implosion und Ablösung des monarchischen Systems wurde von mehr als zwei Dritteln der deutschen Monarchen durch Abdankung vollzogen und der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Vor diesem Hintergrund verdienen die über individuellen Thronverzicht hinausgehenden und dadurch eine ganz andere Qualität erlangenden Abdankungen der Mehrzahl der deutschen Monarchen im November 1918 besondere Beachtung. Wie – so ist zu fragen – vollzog sich das immer wieder apostrophierte „sang- und klanglose Verschwinden“6 der deutschen Dynastien mit oftmals jahrhundertealter Herrschaftstradition aus staatlicher Verantwortung, und wie lässt es sich vor dem Hintergrund der Autorität und Legitimität der Monarchie erklären?

2. Die Situation in den Residenzstädten im Noevember 1918 Den Anlass für Thronverzicht, Abdankung und Niederlegung der Regierungsgeschäfte im November 1918 bildete die sich nach und nach in den Residenzstädten 3

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Seine bisher einzige monografische Bearbeitung fand das Thema in einem zum zehnten Jahrestag der Revolution erschienen Buch, das von seinem Impetus allerdings mehr eine antiroyalistische und antiföderale Streitschrift als eine sachliche Abhandlung ist. Dennoch ist das Buch als Quelle nicht zu unterschätzen, da hier neben verschiedenem Schrifttum alle Abdankungsurkunden bzw. Verzichtserklärungen abgedruckt sind: Wecker, Fritz, Unsere Landesväter. Wie sie gingen, wo sie blieben, Berlin 1928. Gestreift wurde das Thema dann noch einmal von: Reichold, Helmut, Bismarcks Zaunkönige. Duodez im 20. Jahrhundert, Paderborn 1977. Für einen allgemeinen Forschungsüberblick über den deutschen Hochadel im 20. Jahrhundert und zu den landesgeschichtlichen Aspekten sei verwiesen auf: Machtan, Lothar, „Die Entkrönung der deutschen Bundesfürsten im Herbst 1918. Skizze eines Forschungsprojektes“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 55 / 2007, Heft 3, S. 251–264. Nach der Tagung erschien hingegen eine neue Forschungsarbeit zu dem Thema, deren Ergebnisse in den Aufsatz nicht mehr einfließen konnten. Dennoch sei hier darauf verwiesen: Machtan, Lothar, Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin 2008. Aus diesem Grund wird sich die vorliegende Arbeit in erster Linie auf die Bundesfürsten und nicht den Deutschen Kaiser und König von Preußen konzentrieren. Zu Wilhelm II. zuletzt: Afflerbach, Holger, Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr im Ersten Weltkrieg, München 2005; sowie: Kohlrausch, Martin, Der Monarch im Skandal, Berlin 2005. Schulze, Hagen, Weimar. Deutschland 1917–1933, Berlin 1994. So z.B.: Ellwein, Thomas, Das Erbe der Monarchie in der deutschen Staatskrise. Zur Geschichte des Verfassungsstaates in Deutschland, München 1954.

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konzentrierende revolutionäre Bewegung. Sie forderte die Einführung der Republik, damit verbunden war zumeist direkt, manchmal auch nur indirekt, die Forderung nach der Abdankung des regierenden Herrscherhauses. Am Ende der ersten Novemberwoche gab es kaum noch eine deutsche Stadt, in der nicht Arbeiter- und Soldatenräte den Gang der Dinge bestimmten. Insgesamt verlief die Zäsur im November 1918, als die Fürsten ihren Thronen entsagten und somit die alte Ordnung des Kaiserreiches zusammenbrach, bemerkenswert ruhig und unblutig. Vereinzelt kam es zwar zu Unruhen, zum Sturm auf Schlösser, zu vereinzelten Schießereien und zum Hissen roter Fahnen anstelle von Königs- und Fürstenstandarten. Gleichwohl waren die deutschen Bundesfürsten, aufs Ganze gesehen, mehr der angedrohten als der tatsächlichen Gewalt gewichen. Selbst in Berlin war die Stimmung weiter Teile der Bevölkerung nach der – durch Max v. Baden verkündeten – Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik von einer abwartenden, fast schon unbeteiligten Haltung geprägt.7 Der äußere Ablauf der Entwicklung in den Residenzstädten, in denen Republiken oder Freistaaten ausgerufen und die Monarchen abgesetzt wurden, sofern sie es nicht vorzogen, selbst zu demissionieren, folgte zumeist ähnlichen Grundmustern. Dem Einzug meuternder Matrosen oder Soldaten folgte die Fraternisierung mit den örtlichen Sicherheitskräften, insbesondere mit den Palastwachen, was wiederum Widerstand in höheren Verwaltungen oder Polizeistellen ausschloss. Die Soldatenräte nahmen Kontakt zu den Arbeitern, Gewerkschaften oder sozialistischen Parteien vor Ort auf, die sich ihrerseits wiederum in Arbeiterräten organisierten. Die meist zu Arbeiter- und Soldatenräten vereinigten Revolutionäre übernahmen in der Regel die politische Verantwortung. Vom Beginn der örtlichen Revolution bis zur Etablierung der Räte vergingen regelmäßig etwa zwei Tage. Je weiter ein Ort von der Küste entfernt war, desto geringer der Einfluss der Matrosen und Soldaten und umso größer die Bedeutung der Arbeiterparteien und Gewerkschaften. Einem organisierten Widerstand gegen diese Entwicklung standen die drohende Illoyalität der eigenen Truppen und eine abwartende Haltung der Regierungen und der konservativen und bürgerlichen Parteien entgegen. Es war nicht zuletzt diese Reibungslosigkeit, die den von weitgehender Ruhe und Ordnung gekennzeichneten Umsturz entscheidend prägte. Gleichwohl entbehrten im Einzelfall die Ereignisse unmittelbar vor den Abdankungen und die Augenblicke des Thronverzichts selbst nicht einer gewissen Zuspitzung. Dramatisch entwickelten sich die Ereignisse beispielsweise im Fürstentum Lippe, wo sich Fürst Leopold IV. zur Lippe bereits am 9. November 1918 in einer Proklamation 7

Ellwein, Thomas, Das Erbe der Monarchie, 1954, S. 7. „Mir griff es an die Gurgel, dieses Ende des Hohenzollern­hauses; so kläglich, so nebensächlich, nicht einmal Mittelpunkt der Ereignisse“, schrieb Harry Graf Kessler am 9. November 1918, den er einen „der denkwürdigsten, furchtbarsten Tage der deutschen Ge­schichte“ nannte (Pfeiffer-Belli, Werner (Hrsg.), Harry Graf Kessler: Aus den Tagebüchern 1918–1937, München 1965, S. 11.). Zwischen Abdankung und Absetzung  

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„An mein geliebtes Volk“ zum Thronverzicht bereit erklärte, „wenn die berufene Landesvertretung glaubt, davon Heil und Segen für Volk und Land erwarten zu müssen.“8 Über die Vorgänge im Einzelnen berichtete der Fürst seinem Bruder Bernhard in einem Brief vom 17. November 1918 nach Woynowo im Regierungsbezirk Posen, einer Art Rechenschaftsbericht über seine Abdankung vom 12. November: Leopold IV. sah sich bereits einen Tag nach seiner Proklamation in einer Situation, in der „morgens Soldaten ins Schloß brachen und die rote Fahne hißten und für Mich die große Gefahr kam, daß ich ebenso gewaltsam von einer unberufenen Gesellschaft im Schloß zum Thronverzicht gezwungen werden könnte“. Fluchtpläne, um persönlich nicht zum Verzicht gezwungen werden zu können, wurden letztendlich nicht durchgeführt, nachdem der Fürst am Abend des 11. November, 22 Uhr, per Ultimatum aufgefordert worden war, bis zum nächsten Morgen abzudanken. „So blieb mir nichts weiter übrig“, berichtete der Fürst seinem Bruder, „wollte ich Ruhe und Ordnung im Lande nicht noch mehr gefährden, als der Gewalt zu weichen. Die Verzichturkunde wurde ausgearbeitet und nachts um ein Uhr von mir unterzeichnet.“ Die in einem früheren Entwurf noch enthaltene Begründung, die Abdankung erfolge „in dem Bewußtsein der großen Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung“ wurde zum Bedauern des Fürsten weggelassen und durch die Erklärung ersetzt, dass der „Volksrat [ … ] eine Entscheidung der Lippischen Volksvertretung nicht abwarten wolle.“9 In einem Brief an seinen Vetter Albrecht beschrieb wie folgt der württembergische König Wilhelm II. am 10. November 1918 einen für den Umbruch in Deutschland durchaus typischen Verlauf: „Die Menge stürmte gestern das Wilhelmspalais, während die Minister bei mir waren, verlangte Einziehen meiner Fahne und Hissen der roten Fahne, sonst wurde nicht das Geringste beschädigt. Soldaten und Arbeiter der Räte halten Wache vor dem Haus, weil die Sicherheitswache verschwunden ist. […] Ansonsten sind wir alle unter dem Ausweis und dem Geleite des Arbeiter- und Soldatenrates wohlauf. […] Es ist ein trauriges Erbe, das ich Dir hinterlasse – unser liebes schönes Württemberg, mit dem durch Jahrhunderte unser Haus eng verknüpft war, ist dahin.“10 Dass der staatspolitische Umbruch – trotz einzelner Ausnahmen – in geordneten Bahnen verlief, hatte seinen Grund auch darin, dass die Monarchien im November 1918 nicht mehr über die Machtmittel verfügten, ihre Positionen zu verteidigen, selbst wenn sie dies gewollt hätten. Im November 1918 kämpfte keiner der deutschen Monarchen ernsthaft um seine Herrschaftsrechte. Vielleicht noch wichtiger war die Abgedruckt in: Kittel, Erich, „Die Revolution von 1918 in Lippe“, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, 37 / 1968, S. 32–153, hier: S. 43. 9 Abgedruckt in: Ebd., S. 109–116, Anlage III. 10 Text bei: Wecker, Fritz , Unsere Landesväter, 1928, S. 102. 8

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Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt auch sonst niemand dazu bereit war. In den Tagen des Umbruchs, und das wurde zum entscheidenden Punkt für den Sturz der Bundesfürsten, standen keine loyalen „weißen“ Truppen zur Verfügung, die als sichtbares Machtmittel der Monarchie fungieren und diese schützen konnten. Der Autoritätsund Legitimitätsverfall der Monarchie während und vor allem gegen Ende des Krieges griff nicht nur unvermindert auf das Heer über,11 der Umsturz entstand praktisch bei den Heimattruppen.12 In Stuttgart erklärte am 8. November 1918 der stellvertretende Kommandierende General Paul von Schäfer, es stünden keine zehn zuverlässigen Männer mehr hinter ihm. Das dortige Militär sei vom revolutionären Geist zersetzt und gehorche seinen Führern nicht mehr.13 König Wilhelm II. hatte von ihm weder Schutz noch Hilfe zu erwarten. Sichtbar wurde dies nicht nur in Stuttgart, sondern in praktisch allen Residenzstädten daran, dass die militärische Bewachung sich von den Schlössern zurückzog. Selbst wenn die Bundesfürsten noch über genügend loyale Soldaten verfügt hätten, beabsichtigten sie nicht, gegen die Revolutionäre militärisch vorzugehen. Fast alle Monarchen hatten ausdrücklich den Einsatz von Gewalt untersagt. In Detmold verfügte Leopold IV. ein Schießverbot: „Ich hatte Befehl gegeben, daß vom Militär kein Schuß zu fallen hätte, außer in der Notwehr, ließ auch, um zweckloses Blutvergießen zu vermeiden, meiner Schlosswache alle Patronen abnehmen. Und abends war bereits ein Volks- und Soldatenrat konstituiert, am nächsten Morgen meine Schlosswache verschwunden.“14 Und der württembergische König unterrichtete sein Kabinett, dass seinetwegen kein Blut vergossen werde. Zur Untermauerung seiner Anweisung ließ er zwei zuvor hastig aufgestellte Maschinengewehre am Wilhelmspalais in Stuttgart wieder demontieren.15 Bürgerkriegsähnliche Zustände am Ende des von enormen Verlusten geprägten Ersten Weltkrieges zu vermeiden, sprach als Motiv aus diesen Anweisungen. Letztlich hätte der Einsatz von Gewalt das geschlagene Deutschland gegenüber den alliierten Siegermächten nur noch zusätzlich geschwächt und angesichts einer weitverbreiteten Kriegsmüdigkeit schien gewaltsame Gegenwehr nicht nur aus Sorge um die Landeskinder kein probates Mittel zu sein. Hinzu kam ein persönliches 11 Symptomatisch hierfür die Äußerung des Generalquartiermeisters der Obersten Heeresleitung, General Wilhelm Groener, gegenüber Kaiser Wilhelm II. in Spa am 9. November 1918: „Das Heer wird unter seinen Führern und kommandierenden Generalen in Ruhe und Ordnung in die Heimat zurückmarschieren, aber nicht unter dem Befehl Eurer Majestät, denn es steht nicht mehr hinter Eurer Majestät.“ (Abgedruckt in: Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart u.a. 1965, S. 387.) 12 Vgl.: Ullrich, Volker, Die nervöse Großmacht 1871–1918, Frankfurt / Main 2001, S. 552–557. 13 Blos, Wilhelm, Von der Monarchie zum Volksstaat. Zur Geschichte der Revolution in Deutschland insbesondere in Württemberg, Stuttgart 1922, S. 35. 14 Kittel, Erich, „Die Revolution von 1918 in Lippe“, 1968, S. 43. 15 Vgl.: Weller, Karl, Die Staatsumwälzung in Württemberg 1918–1920, Stuttgart 1930, S. 105. Zwischen Abdankung und Absetzung  

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Motiv: Die „Meuterei in Kiel und die letztjährigen Vorgänge in Rußland zeigten die Gefahren“,16 in denen sich mancher der Fürsten zu befinden glaubte. Die Vermeidung von Gewalt auf Seiten der Monarchen sollte verhindern, dass der Umsturz sich radikalisierte. Die durch gemäßigte Kräfte am ehesten mögliche Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung17 erschien manchem Fürsten als bester Garant für die eigene Unversehrtheit sowie die seiner Familie. Dem entsprechend erklärte etwa Herzog Ernst August von Braunschweig gegenüber einer Delegation des örtlichen Arbeiter- und Soldatenrates am 8. November 1918, dass „um des Thrones willen kein Blut vergossen werden sollte. Natürlich auch nicht mein eigenes oder das meiner Familie.“18 Dass die Abdankungen der deutschen Bundesfürsten Ergebnis und Ausdruck ihrer Machtlosigkeit am Ende des Ersten Weltkriegs waren, zeigte sich nicht nur am Fehlen „zuverlässiger Truppen“, sondern auch daran, dass jegliche Unterstützung von Seiten der, bisher die Monarchie stützenden, politischen Parteien unterblieb. Fürst Leopold IV. zur Lippe beklagte sich bitter darüber: „Und wo bleiben die konservativen Männer in dieser Stunde? Da hat sich keiner gefunden, der für seinen Fürsten eingetreten wäre, sie hatten sich alle ängstlich in ihr Kämmerlein verschlossen.“19 Der hier aus der persönlichen Warte eines ehemaligen Herrschers beschriebene Zustand war sinnbildlich und repräsentativ für die politischen Ereignisse des Novembers 1918. Im Königreich Bayern zeichnete sich, um ein zweites Beispiel zu nennen, ein ganz ähnliches Bild ab. Noch am 22. Oktober 1918 hatte die bayerische Zentrumspartei auf einer Delegiertentagung betont, dass „eine Hauptforderung auch künftig die Erhaltung und Stärkung des monarchischen Gedankens“ sein werde.20 Zwei Wochen später aber trat das Zentrum eben nicht für Ludwig III. ein. An ihre Adresse richtete Erhard Auer, in der Revolution Vorsitzender der bayerischen (M)SPD und unter Kurt 16 Kittel, Erich, „Die Revolution von 1918 in Lippe“, 1968, S. 49. 17 Dieses Ziel vertrat auch die überwiegende Mehrheit der Revolutionäre in den einzelnen Ländern. Im Organ der Sozialdemokraten Württembergs, der Schwäbischen Tagwacht, schrieb beispielsweise Wilhelm Keil, als einer der Führer der (M)SPD Württembergs, einen dort veröffentlichten Aufruf „An das werktätige Volk Württembergs: Die Arbeiter […] werden in voller Ruhe und Würde ihre Demonstration durchführen. Jeder einzelne Teilnehmer übernimmt die Pflicht, jede Sonderaktion und Provokation zu verhindern. Von den derzeitigen öffentlichen Gewalten wird erwartet, daß auch sie jede Provokation vermeiden. Es sind Menschenleben genug geopfert. Kein Tropfen Blut soll mehr fließen. Die größte aller Revolutionen soll zugleich die friedlichste sein. […] Vorwärts zur sozialen Republik!“, in: Cordes, Günther, Krieg – Revolution – Republik. Die Jahre 1918 bis 1920 in Baden und Württemberg. Eine Dokumentation, Ulm 1978, S. 16. 18 So schilderte es die Herzogin in ihren Erinnerungen nach dem Umsturz: Braunschweig, Viktoria Luise von, Im Strom der Zeit, München 1985, S. 159. 19 Kittel, Erich, „Die Revolution von 1918 in Lippe“, 1968, S. 50. 20 Vgl.: Morenz, Ludwig / Münz, Erwin, Revolution und Räteherrschaft in München. Aus der Stadtchronik 1918 / 19, München 1968, S.15.

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Eisner Innenminister, sechs Jahre danach die anklagenden Sätze: „Die Herrschaften, die heute so mutige Worte finden, sie waren ja zu feig, ihren König in ihre Münchener Wohnung aufzunehmen, sie haben den alten Mann mit seiner schwerkranken Frau nachts im Auto wegfahren lassen […]. Und heute ist alles königstreu.“21 In der öffentlichen Meinung stieß der politische Umbruch, eigentlich doch unerhörte Vorgänge, auf keine ernst zu nehmenden Proteste. Für die Formierung einer royalistischen Volksund Gegenbewegung hat deutschlandweit niemand eine Hand gerührt. Nur im Fürstentum Schaumburg-Lippe, dem mit 46.651 Einwohnern kleinsten Gliedstaat, wichen die Ereignisse im November 1918 von dem sonst im Deutschen Reich typischen Muster ab. Zwar bildete sich am 9. November 1918 in der Garnison von Bückeburg ein Arbeiter- und Soldatenrat, woraufhin die Truppen sich von der Bewachung der Residenz zurückzogen. Sie wurden jedoch spontan von dem regierenden Fürsten Adolf II. Bernhard treuen Förstern, Polizisten und Bürgern der Stadt ersetzt. Diese Haltung fand in den nächsten Tagen in Erklärungen des Landtags weiteren Ausdruck, in denen dieser sich mit der bestehenden Staatsgewalt solidarisierte. Sogar der Führer der schaumburg-lippischen Sozialdemokratie verwahrte sich dabei entschieden gegen alle Versuche, den Fürsten von außen – gemeint war hier der Arbeiter- und Soldatenrat Bielefeld – mit Abdankungsforderungen zu bedrängen. Denn es sei „das ausschließliche Recht des Landtags, die künftige Staatsform zu bestimmen. Im übrigen ist der Fürst Arbeitgeber auch vieler braver Sozialdemokraten, die wir nicht durch voreilige Handlungen erwerbslos und damit brotlos machen wollen. […] Wenn der Fürst nur nicht abdankt, das Land jedenfalls läßt ihn nicht fallen.“22 Gerade in den kleineren Gliedstaaten konnte der Monarch durchaus als eigenständiger Wirtschaftsfaktor auftreten, der als Arbeitgeber für Handwerker, Arbeiter und Bauern fungierte. Ihr nicht nur hieraus resultierendes persönliches Renommee versuchten einige Bundesfürsten einzusetzen, um ihren Thronverzicht zumindest hinauszuzögern. Zwar musste sich beispielsweise Herzog Bernhard III. von SachsenMeiningen am 10. November 1918 vom Soldatenrat belehren lassen, dass „es nicht um Liebe des Volkes zu Personen geht, sondern um Institutionen, um die Sache, um die Politik und die Republik.“23 Dennoch erfreuten sich viele der deutschen Monarchen durchaus einer gewissen Popularität bei ihren Untertanen. Ihre komplette Suspendierung innerhalb nur weniger Tage muss also nicht unbedingt einer dezidierten Mehrheitsmeinung der jeweiligen Landeskinder entsprochen haben. Hierauf jedenfalls ruhten die Hoffnungen einiger Bundesfürsten, und daraus entwickelte sich 21 Zitiert nach: Zimmermann, Werner, Bayern und das Reich. Der bayerische Föderalismus zwischen Revolution und Reaktion 1918–1923, München 1953, S. 23. 22 Zu den Vorgängen: Wecker, Fritz, Unsere Landesväter, 1928, S. 187–196; die Aussage ist abgedruckt: Ebd., S. 192. 23 Ebd., S. 247. Zwischen Abdankung und Absetzung  

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die einzige nennenswerte Abwehrstrategie einiger Dynastien gegen Revolution und Staatsumbruch. Die völlige Beseitigung der Monarchie war bis in den Sommer 1918 hinein jedenfalls nicht in einem nennenswerten Maße gefordert worden. Daher ordnete der König von Württemberg am 9. November 1918 zusammen mit der kurzzeitig amtierenden Regierung Theodor Lieschings in einer gemeinsamen Proklamation an das Volk die Einberufung einer konstituierenden Landesversammlung an. Sie sollte die Aufgabe haben, „unserem Staat eine den Bedürfnissen der neuen Zeit genügende Verfassung auf demokratischer Grundlage zu geben. Die Mehrheit des württembergischen Volkes soll damit in die Lage versetzt sein, die Entscheidung über die künftige Regierungsform zu treffen.“24 Daran knüpfte sich die Hoffnung an, dass sich der neue Staat als parlamentarische Monarchie restituieren könnte. Den gleichen Weg wollte Kronprinz Rupprecht von Bayern am 10. November 1918 eingeschlagen sehen, als er in einer Stellungnahme an die Kommandeure der bayerischen Truppen von seinem Hauptquartier in Brüssel aus forderte: „Das bayerische Volk und das seit hunderten von Jahren mit ihm verbundene Fürstenhaus haben das Recht, zu verlangen, daß über die Staatsform durch eine verfassunggebende Nationalversammlung entschieden wird, die aus freien und allgemeinen Wahlen hervorgeht.“ Am selben Tag funkte er eine Protesterklärung gleichen Inhalts an die Revolutionsregierung in München.25 Ebenso willigte Fürst Friedrich von Waldeck in die vom Waldeckschen Soldatenrat überbrachte Forderung ein, dass die Gestaltung der Staatsform für Waldeck-Pyrmont der Entscheidung des Waldecker Volkes überlassen werden sollte. Er war bereit, auf seinen Thron zu verzichten, wenn es das Volk forderte. Am 11. November 1918 erklärte das Fürstliche Kabinett, dass „bei der Entscheidung dieser Frage nach Ansicht des Fürsten in erster Linie das Waldecker Volk maßgeblich mitzusprechen hat, ebenso steht ihm auch ein entscheidender Einfluß auf die Regelung der schwebenden Verfassungsfragen und auf die Lösung der Domanialfrage zu.“26 Großherzog Friedrich Franz IV. von Mecklenburg hatte bis einen Tag vor seiner Abdankung gehofft, dass er „zusammen mit dem neuen Schweriner Ministerium die Vorbereitungen zur 24 Schneider, Eugen von, „Der 9. November 1918 im Wilhelmspalast“, in: Christof von Ebbinghaus (Hrsg.), Die Memoiren des Generals von Ebbinghaus, Stuttgart 1928, S. 69–73, hier: S. 72. 25 Frauenholz, Eugen von (Hrsg.), Kronprinz Rupprecht von Bayern. Mein Kriegstagebuch, Berlin 1929, S. 370. 26 Im Gründungsdokument des Waldecker Soldatenrates vom 11. November 1918 war geradezu ironisch formuliert worden: „Von dem Fürsten soll die Einwilligung eingeholt werden, daß er sich den Beschlüssen einer alsbald nach den Grundsätzen des geheimen, gleichen Wahlrechts vorzunehmenden Volksabstimmung unterwirft, ob er auf den Fürstenthron Verzicht leisten muß oder nicht.“ Fürst Friedrich hat davon mit seiner Unterschrift Kenntnis genommen. (Abgedruckt bei Wecker, Fritz, Unsere Landesväter, 1928, S. 209, 213.)

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Wahl zur konstituierenden Versammlung würde durchführen können.“27 Und auch Fürst Leopold IV. zur Lippe wollte „die Frage der zukünftigen Staatsform [ … ] der Entschließung des neuen, auf freier Grundlage gewählten Landtages überlassen“, weil er sich „nicht einseitig für befugt“ hielt, „abzudanken, dies vielmehr eine Landesangelegenheit sei.“28

3. Die fortschreitende Erosion des monarchischen Prinzips Es war mithin staatsrechtlich geboten und lag in der Konsequenz der Revolution, Landtage einzuberufen, die den eingetretenen, außerhalb des Rechts liegenden Zustand beendeten. Zumindest theoretisch bestand die Möglichkeit, dass sie die Monarchien im Deutschen Reich wiederherstellten bzw. beibehielten. Tatsächlich aber haben sich die zwischen dem 15. Dezember 1918 (in Anhalt und Mecklenburg-Strelitz) und 9. März 1919 (in Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen sowie Waldeck und Pyrmont) gewählten 22 verfassunggebenden Landesversammlungen mit diesem Problem überhaupt nicht mehr befasst. Ende 1918 hatte Max Weber in einer von der Frankfurter Zeitung veröffentlichten Analyse der unmittelbaren Zeitumstände die Frage nach parlamentarischer Monarchie oder Republik thematisiert: „Wir waren den Dynastien treu, aus geschichtlicher Erinnerung, in Baden auch infolge der Volkstümlichkeit und Korrektheit der dortigen Dynastie. Heute aber stehen uns die Interessen und Aufgaben der Nation turmhoch über allen Gefühlen.“29 Die Einführung der parlamentarischen Monarchie im Reich am 30. September 1918 und Ende Oktober, Anfang November in Bayern, Hessen, Sachsen, Mecklenburg oder Baden30 konnte den Autoritäts- und Legitimitätsverlust der Monarchie nicht mehr aufhalten. Beschleunigt durch die allgemeine Friedenssehnsucht31 27 So in einem Brief des Großherzogs vom 22. November 1918 an seinen ehemaligen Staatsminister Heinrich Bossart, abgedruckt in: Bley, Hermannfried, „Das revolutionäre Jahr 1918 in Mecklenburg. Novemberrevolu­tion und Gründung der KPD in Dokumenten“, in: Heinrich Bley / Paul Jürgen Rakow (Hrsg.), Kleine Schriften­reihe des Staatsarchivs Schwerin, Schwerin 1968, Heft 3, S. 48f., Nr.16. 28 Vgl. die fürstliche Proklamation vom 9. November 1918, in: Staatsanzeiger für das Fürstentum Lippe, S. 913, Nr. 121. 29 Weber, Max, „Deutschlands künftige Staatsform“, in: Ders. (Hrsg.), Zur deutschen Revolution, 1919, Heft 2, S. 1. 30 Vgl. dazu: Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Weltkrieg, Revolu­ tion und Reichserneuerung 1914–1919, Bd. 5, Stuttgart 1978, S. 1014–1053. 31 Spätestens seit der dritten Wilson-Note stand die Frage der Abdankung des Kaisers im Mittelpunkt der innenpolitischen Diskussion. Nicht nur unter sozialdemokratischen Arbeitern, auch im liberalen Bürgertum galt Wilhelm II. als entscheidendes Friedenshindernis. Vgl. hierzu eingehender: Ullrich, Volker, Die nervöse Großmacht, 2001, S. 558–573. Zwischen Abdankung und Absetzung  

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erschien sie zunehmend als eine „Zeitwidrigkeit“32, in der die Austauschbarkeit der Monarchen offen zu Tage trat. Für Max Weber spielte nicht nur der Umstand eine Rolle, dass die Modernisierung des politischen Systems von der konstitutionellen zur parlamentarischen Monarchie zu spät und mit einer „hastig nachgeholten Zeitgemäßheit erfolgte“.33 Der entscheidende Grund war für ihn die Ausgestaltung des „nationalen Kaisertums“34 durch Wilhelm II. In seinen Augen hatte es die Monarchie in ihrer Gesamtheit für Deutschland untragbar gemacht: „Dieses System aber hat zum mindesten die preußisch-deutsche Dynastie derart belastet, daß es heute unmöglich ist, für sie einzutreten. Dynastische Rivalitäten haben schon die elsässische Frage seit 1871 verpfuscht. Die Monarchie hat ihre eigentliche Funktion in einem Militärstaat, die reine Militärherrschaft zu hindern, nicht erfüllt. Sie hat vielmehr die Admiralsdemagogie und die Generalsdiktatur mitsamt der Politisierung des Heeres geduldet. […] Das den Geist der bisherigen Verfassung gröblich verletzende persönliche Regiment mit seiner lauten Reklame und absolut dilettantischen Politik hat die Weltkoalition gegen uns zusammenbringen helfen. […] Und schließlich hat der Kaiser durch Desertion aus der Hauptstadt die Revolution geradezu provoziert. Die Abwälzung der Verantwortung auf die Minister, traurig vom Standpunkt der Würde, gab dem monarchischen Gedanken den Rest. Die preußische Dynastie ist dadurch derart hoffnungslos diskreditiert, daß nunmehr ihre Erhaltung, damit aber auch die der anderen Dynastien, auf Grund noch so triftiger staatstechnischer Erwägungen nicht mehr vertreten werden könnte.“35 Auch der „Herzensmonarchist“ Friedrich Meinecke hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Zeit der Monarchie vorüber war. Die „überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes empfindet zwar immer noch monarchisch“, lautete sein Urteil, doch die „Monarchie selber hat dieser Loyalität den Todesstoß versetzt durch die unwürdige Art ihres Endes, durch das völlige Versagen ihres letzten Trägers im Reiche.“ Deshalb verstehe er sich nun als „Vernunftrepublikaner.“36 In einer Zeit, in der Deutschland mit den Weltmächten in Konkurrenz trat, verlor die Funktion der einzelnen Bundesfürsten als mitspracheberechtigte Glieder des Reiches immer mehr an Gewicht. Das Ansehen der Monarchie als Ganzes wurde in 32 So die Bielefelder Volkswacht vom 15. November 1918 mit Blick auf die Abdankung des Fürsten zur Lippe in Detmold; Kittel, Erich, „Die Revolution von 1918 in Lippe“, 1968, S. 104. 33 Weber, Max, „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens“, in: Ders., Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914–1918, Tübingen 1984, S. 432–596, hier: S. 593. 34 Vgl.: Fehrenbach, Elisabeth, Wandlungen des deutschen Kaisergedankens 1871–1918, München 1969, S. 177–194. 35 Weber, Max, „Deutschlands künftige Staatsform“, 1919, S. 3f. 36 Meinecke, Friedrich, „Verfassung und Verwaltung der deutschen Republik ( Januar 1919)“, in: Ders., Politische Schriften und Reden, Darmstadt 1979, S. 281.

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zunehmendem Maße vom preußischen König und Deutschen Kaiser Wilhelm II. bestimmt. Dieser Entwicklung zum Trotz glaubte in Württemberg Ministerpräsident von Weizsäcker, dass die Abdankung des Kaisers keineswegs die Entthronung der Bundesfürsten nach sich ziehe. Insbesondere sei die Stellung König Wilhelms II. wegen seiner großen Popularität relativ sicher; das Kaisertum habe sich zu einer Art Obermonarchie entwickelt, so dass ein Thronverzicht des Kaisers die Bundesfürsten nicht berühre.37 Genau das Gegenteil war der Fall: Wie bereits Max Weber erkannt hatte, griff der Autoritäts- und Legitimitätsverfall der Hohenzollerndynastie in der Zeit des militärischen Zusammenbruchs unaufhaltsam auf die übrigen deutschen Fürstenhäuser über. Es war mehr als nur die Benennung eines Sündenbockes, wenn der Großherzog von Oldenburg Ende Oktober 1918 gegenüber dem alldeutschen Politiker Fürst Otto zu Salm-Horstmar erklärte: „Wir sind uns vollkommen klar darüber, dass der Kaiser das Reich ruiniert, dass er fortgejagt werden wird, und dass wir sein Schicksal teilen. Wilhelm wird uns zugrunde richten, damit haben wir uns abgefunden.“38 Vor diesem Hintergrund erfüllte sich die von manchem Monarchen gehegte geringe Hoffnung nicht, mit Hilfe eines Volksentscheides doch noch einen letzten Rest Einfluss auf die politische Entwicklung nehmen zu können: In Württemberg scheiterte – obwohl von der am Abend des 9. November 1918 gebildeten Revolutionsregierung unter Willhelm Blos unterstützt – das Vorhaben König Wilhelms II., eine konstituierende Landesversammlung einzuberufen.39 In Bayern blieb es bei der Forderung des Kronprinzen nach einer verfassunggebenden Nationalversammlung, obwohl auch die Regierung Kurt Eisners am 15. November 1918 eine konstituierende bayerische Nationalversammlung als Bestandteil ihres Programms anstrebte.40 In Waldeck wurde Fürst Friedrich am 13. November 1918 abgesetzt, nachdem er sich geweigert hatte abzudanken, bevor die Meinung des Volkes bekannt wurde. In Detmold dankte Fürst Leopold IV. in vergleichbarer Situation ab, und der Mecklenburger wurde von den Ereignissen überrollt und musste sehr bald nach seiner Abdankung feststellen, dass sich „nicht einmal die kommende mecklenburgische Nationalversammlung wird [ … ] dazu aufraffen wollen oder können, die republikanische Idee zu bannen“. Nachdem auch die Konservativen „irgendwelche Versuche auf Wiedereinführung der Monarchie für augenblicklich 37 Vgl.: Sauer, Paul, Württembergs letzter König. Das Leben Wilhelms II., Stuttgart 1994, S. 291. 38 Günther, Wolfgang, „Freistaat und Land Oldenburg (1918–1946)“, in: Albrecht Eckhardt /  Heinrich Schmidt (Hrsg.), Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch, Oldenburg 1987, S. 403–489, hier: S. 401. 39 Pistorius, Theodor von, Die letzten Tage des Königreichs Württemberg, Stuttgart 1935, S. 23; Blos, Wilhelm, Von der Monarchie zum Volksstaat, 1922, S. 24–27. 40 Vgl. dazu: Huber, Ernst Rudolf, Verfassungsgeschichte, 1978, S. 1019f. Zwischen Abdankung und Absetzung  

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zwecklos“ hielten, stellte er sich auf eine dauerhafte „Einführung der republikanischen Staatsform“ ein, die er für eine „tiefbetrübende Tatsache“ hielt.41 Nur in den beiden Fürstentümern Schwarzburg-Rudolstadt und SchwarzburgSondershausen, die von Fürst Günther Viktor in Personalunion regiert wurden, hatten die Landtage mittels verfassungsändernder Gesetze am 23. und 25. November 1918 die Umwandlung der Monarchien in Republiken beschlossen. In seinen Abdankungsurkunden berief Günther Viktor sich freilich nicht auf diese Entscheidungen, sondern – im Übrigen als einziger deutscher Monarch – auf die Vorgänge in Berlin vom 9. November 1918 und die Abdankungen mehrerer bzw. der meisten Bundesfürsten des Deutschen Reiches, die ihm den Weg zur Republik zwangsläufig erscheinen ließen, „nachdem ferner in Berlin für das Deutsche Reich die Republik verkündet worden ist.“42 Die Bundesfürsten wurden selbst für eine auch nur repräsentative Monarchie nicht mehr gebraucht und dankten daher mehrheitlich sang- und klanglos ab. Georg Witzmann, der ab 1919 als Mitglied der Volkspartei im Thüringer Landtag saß, stellte in seinen Erinnerungen fest: „Widerstandslos brach die alte Herrschaft zusammen, ohne daß der abdankende Großherzog auch nur ein Wort des Rückblicks auf die Vergangenheit, auf die Geschichte des Landes und der regierenden Familie verloren hätte.“43 Es ist in der Tat bemerkenswert, dass lediglich in zwei Abdankungsdokumenten diese Tatsache thematisiert wurde. So verwies Prinzregent Aribert von Anhalt auf die Verbundenheit seines Hauses mit dem anhaltischen Volk seit ältesten Zeiten,44 und Herzog Ernst II. von Sachsen-Altenburg gedachte der „nahezu 100 Jahre“, in denen sein Haus den Thron innegehabt habe.45 Leopold IV. Fürst zur Lippe erinnerte in seiner dem Thronverzicht vorausgehenden, am 9. November 1918 „An mein geliebtes Volk!“ gerichteten Proklamation daran, dass er und sein Haus „durch tausendjährige Geschichte auf das engste mit dem Lipperlande“ verbunden seien.46

4. Dier Vollzug der Abdankungen Von den 22 Monarchen des Deutschen Reiches dankten als Reaktion auf die revolutionären Ereignisse in ihren Ländern bzw. im Reich zwischen dem 7. und 30. 41 Brief an Oberhofmarschall Cuno von Rantzau, in: Bley, Hermannfried, „Das revolutionäre Jahr 1918 in Mecklenburg“, 1968, S. 51f., Nr. 17a. 42 Wecker, Fritz, Unsere Landesväter, 1928, S. 280f.; lediglich Großherzog Friedrich II. von Baden bezog sich ebenfalls auf die „tatsächlichen Verhältnisse“ und die „Lage im Reich.“ 43 Witzmann, Georg, Thüringen von 1918–1933. Erinnerungen eines Politikers, Bd. 2, Meisenheim 1958, S. 10f. 44 Text bei: Wecker, Fritz , Unsere Landesväter, 1928, S. 179. 45 Ebd., S. 249. 46 Ebd., S. 190.

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November 1918 einschließlich der Prinzregenten bzw. Landesverweser von Anhalt, Reuß ältere Linie und Mecklenburg-Strelitz 17 Fürsten ab. Sie verzichteten damit formell auf den Thron und ihre Herrschaftsrechte. Das durch ihre Willenserklärungen in Form besonderer Abdankungsurkunden herbeigeführte Ende der Monarchie als Staatsform ging über einen individuellen Thronverzicht – wie etwa bei Ludwig I. von Bayern 1848 – hinaus und kann dem Erlöschen einer Dynastie aus biologischen Gründen gleichgesetzt werden. Zwar war im November 1918 keines der regierenden Fürstenhäuser ausgestorben. Die Abdiktionen brachten die Monarchien gleichwohl in eine Situation, die einem Aussterben der Dynastie sehr ähnlich war, denn es gab de jure keinen Thronfolger mehr.47 Entscheidend war, dass die 17 Fürsten von sich aus auf den Thron verzichteten und sie den Staatsumbruch somit selbst nachträglich legitimierten. Der Sturz der monarchischen Herrschaft erfolgte durch die formellen Abdankungen als Selbstauflösung der Monarchie. Fünf Monarchen waren nicht willens, diesen Weg zu beschreiten. Die beiden Könige von Bayern und Sachsen, der Großherzog von Hessen, der Herzog von SachsenCoburg und Gotha sowie der Fürst zu Waldeck und Pyrmont verließen ihre Throne ohne formelle Abdikationsurkunden. Sie dankten streng genommen nicht ab, leisteten also keinen freiwilligen Thronverzicht, sondern wurden von den Kräften der Revolution abgesetzt und ihrer Herrschaftsrechte enthoben. Zusammen mit dem Herzog von Braunschweig war der bayerische König Ludwig III. der erste deutsche Monarch, den die Revolution vertrieben hatte. Nach der Proklamation des Freistaates Bayern durch Kurt Eisner am 7. November 1918 wurde er als König de facto abgesetzt. Von Schloss Anif bei Salzburg, wo er vorübergehend Asyl fand, erklärte er am 13. November 1918 schriftlich in einer im Original verloren gegangenen Erklärung seinen Verzicht auf die Regierungsausübung,48 was Kurt Eisner, namens des „Ministerrates des Volksstaates Bayern“, als „Thronverzicht zur Kenntnis nahm“.49 Wie sein Vater hat auch Kronprinz Rupprecht nie formal auf den Thron

47 Der Fall eines endgültigen Verzichts einer herrschenden Dynastie auf den Thron lag dabei für die Staatsrechts­lehre außerhalb aller Erfahrungen und Vorstellungen. Zur zeitgenössischen Diskussion über die Abdankung als eine individuelle Entscheidung eines Herrschers vgl.: Frisch, Hans von, Der Thronverzicht. Ein Beitrag vom Verzicht im öffentlichen Recht, Tübingen 1906; sowie: Abraham, Paul, Der Thronverzicht nach deutschem Staatsrecht, Berlin 1906. 48 Vgl.: Beckenbauer, Alfons, Ludwig III. von Bayern 1845–1921. Ein König auf der Suche nach seinem Volk, Regensburg 1987, S. 266–271; zum Gesamtzusam­menhang: Schwarz, Albert, „Die Zeit von 1918 bis 1933. Erster Teil: Der Sturz der Monarchie, Revolution und Rätezeit, die Einrichtung des Freistaates (1918–1920)“, in: Handbuch der Bayerischen Geschichte, Bd. 4,1, München 1974, S. 387–453, insbes. 395–398. 49 Der Text ist abgedruckt bei: Beckenbauer, Alfons, Ludwig III., 1987, S. 270f. Zwischen Abdankung und Absetzung  

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verzichtet.50 Der sächsische König Friedrich August III. sprach am 13. November 1918 telefonisch von seinem Jagdschloss Moritzburg aus gegenüber Finanzminister Schröder seinen Thronverzicht aus, den Innenminister Koch noch am selben Tag dem Dresdner Arbeiter- und Soldatenrat bekannt gab.51 Herzog Carl Eduard von SachsenCoburg und Gotha wurde in Gotha schon am 9. November 1918 vom dortigen Arbeiter- und Soldatenrat für abgesetzt erklärt. Die Ausstellung eines Abdankungsdokumentes verweigerte er beharrlich und war lediglich dazu bereit, gegen eine am 14. November 1918 vom Staatsminister vor dem Gemeinschaftlichen Landtag in Gotha abzugebende Erklärung keinen Widerspruch zu erheben. Mit ihr wurde festgestellt, dass Carl Eduard „aufgehört hat, in den Herzogtümern Coburg und Gotha zu regieren“, da „Deutschland eine auf sozialistischer Grundlage ruhende Republik geworden [ist], in deren Rahmen kein Raum für das Weiterbestehen von Einzelmonarchien ist.“52 „Durch den Arbeiter- und Soldatenrat Arolsen [ … ] als abgesetzt erklärt“ wurde Fürst Friedrich zu Waldeck und Pyrmont am Nachmittag des 13. November 1918, weil er „einen freiwilligen Verzicht auf den Thron ablehnte“. Daraufhin hat er diese „im Auftrage des Arbeiter- und Soldatenrates Kassel“ abgefasste Erklärung lediglich mit seiner Unterschrift „zur Kenntnis genommen.“ 53 Abgesetzt wurde am 9. November 1918 Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein durch einen Beschluss des Darmstädter Arbeiter- und Soldatenrates. Per Proklamation erklärte er Hessen zu einer freien sozialistischen Republik, in der „die Zeit des Gottesgnadentums vorüber“ sei.54 Ernst Ludwig betrachtete sich als amtsenthoben und hat zu keinem Zeitpunkt auf seinen Thron verzichtet oder auch nur eine Erklärung zum Ende der Monarchie in Hessen abgegeben.55 Von den 17 formell zurückgetretenen Monarchen sprachen 14 Fürsten zugleich den Thronverzicht für ihr ganzes Haus, ihre Nachkommen oder ihre Familie aus. Beispielsweise erklärte Großherzog Friedrich II. von Baden seinen Verzicht „mit der Zustimmung meines Vetters des Prinzen Max von Baden auch für ihn und seine gesamte 50 Zum bayerischen Kronprinzen vgl. eingehender: Weiss, Dieter, „Kronprinz Rupprecht von Bayern – Thronprätendent in einer Republik“, in: Günther Schulz / Markus Denzel (Hrsg.), Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert, St. Katharinen 2004, S. 445–460. 51 Text bei: Wecker, Fritz , Unsere Landesväter, 1928, S. 71; vgl. auch: Sachsen, Ernst Heinrich von, Mein Lebensweg vom Königsschloß zum Bauernhof , München 1968, S. 11–20. 52 Vgl.: Heß, Ulrich, Die Vorbereitung und Durchführung der Novemberrevolution 1918 im Lande Gotha. Eine Quellenpublikation, Gotha 1960, S. 9f. 53 Text bei: Wecker, Fritz , Unsere Landesväter, 1928, S. 209 und 211. 54 Ebd., S. 119. 55 Zu den Zusammenhängen: Franz, Eckhart, „Der Staat der Großherzöge von Hessen und bei Rhein 1806–1918“, in: Walter Heinemeyer (Hrsg.), Das Werden Hessens, Marburg 1986, S. 481–515, insbes. 510f.; Knöpp, Friedrich, „Der Volksstaat Hessen 1918–1945“, in: Ebd., S. 697–763, insbes. 697–704; Knodt, Manfred, Ernst Ludwig. Großherzog von Hessen und bei Rhein. Sein Leben und seine Zeit, Darmstadt 1985, insbes. S. 367–376.

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Nachkommenschaft.“56 Damit nahmen die Fürsten ein Dispositionsrecht zur endgültigen Regelung der Nachfolge für sich in Anspruch, das ihnen aufgrund des Erbrechts, aber auch des Thronfolgerechts als Verfassungsrecht gar nicht zustand. „Der Thronfolger hat ein bestimmtes Anrecht auf die Folge, welches ihm nicht willkürlich von dem herrschenden König entzogen werden kann; ein Anrecht, welches nicht erst mit dem Tode des letzteren zu einem wirklichen Rechte wird, sondern schon vorher als ein festes Recht der Anwartschaft (jus devolutionis) einen Wert und eine reale Bedeutung und Anspruch auf Schutz und Anerkennung hat.“57 Der herrschende Monarch konnte seinem Thronfolger das Nachfolgerecht also nicht willkürlich entziehen. Allerdings widersprach 1918 keiner der fürstlichen Agnaten den generellen Verzichtserklärungen der Inhaber von Krone und Thron. Auch in den drei Fällen, in denen der Monarch nur für seine Person abgedankt hatte, erhoben die Nachfolger keine ernsthaften Ansprüche auf den Thron: Der Deutsche Kaiser und König von Preußen, Wilhelm II., der die Verkündigung seiner Abdankung durch den letzten Kanzler des Kaiserreichs, Max von Baden, vom 9. November 1918 nicht autorisiert hatte, bestätigte den Thronverzicht am 28. November von seinem holländischen Exil aus. Obwohl nur für seine Person und nicht generell für das Haus Hohenzollern geltend, bekräftigte der preußische Kronprinz Wilhelm die individuelle Abdankung im Sinne einer endgültigen Regelung. Drei Tage nach seinem Vater verzichtete er in Wieringen in Holland auf seine Rechte an der Königskrone Preußens und an der Deutschen Kaiserkrone.58 In Sachsen-Meiningen verzichtete Thronfolger Prinz Ernst am 12. November 1918 wie zwei Tage zuvor Herzog Bernhard III. „auf Wunsch des Landtags des Herzogtums“ auf die Ausübung der Regierungsgeschäfte.59 Nur Herzog Albrecht von Württemberg weigerte sich am 29. November gegenüber der provisorischen Regierung, auf seine erbfolgerechtlichen Ansprüche zu verzichten, wohl wissend, dass König Wilhelm II. am nächsten Tag abdanken würde und auch er sich der Macht beugen musste.60 Ihre Abdankungen machten die Fürsten auf verschiedene Arten bekannt. Entweder adressierten sie diese an ihr Volk als Ganzes, wie der württembergische König

56 Text bei: Kaller, Gerhard, „Die Revolution des Jahres 1918 in Baden und die Tätigkeit des Arbeiter- und Soldatenrats in Karlsruhe“, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 114 / 1966, S. 301–350, hier: S. 338, Beilage 7. 57 Bluntschli, Johann Kaspar, Allgemeines Staatsrecht, Stuttgart 1885, S. 159. 58 Text bei: Huber, Ernst Rudolf, Dokumente, Bd. 2, 1965, S. 387. 59 Text bei: Wecker, Fritz, Unsere Landesväter, 1928, S. 245. 60 Vgl.: Pfizer, Theodor, „Albrecht Herzog von Württemberg (1865–1939)“, in: Robert Uhland (Hrsg.), 900 Jahre Haus Württemberg. Leben und Leistung für Land und Volk, Stuttgart 1985, S. 363–378, hier S. 374. Zwischen Abdankung und Absetzung  

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Wilhelm II. am 30. November 191861 oder Herzog Ernst II. von Sachsen-Altenburg am 13. November 1918.62 Oder die Monarchen teilten sie der neuen Regierung mit, wie der badische Großherzog Friedrich II. am 22. November auf Schloss Langenstein. In Braunschweig erklärte der welfische Herzog Ernst August seine Abdankung am 8. November gegenüber dem örtlichen Arbeiter- und Soldatenrat. Oder die Abdankung wurde, als letzte Möglichkeit ihrer Bekanntmachung, gegenüber der alten, der eigenen fürstlichen Regierung ausgesprochen, so geschehen im Falle des Fürsten Adolf zu Schaumburg-Lippe am 15. November 1918 in Bückeburg.63 Durch Veröffentlichung, teilweise durch formelle Entgegennahme und Bestätigung der Abdankungen kam gleichsam ein Vertrag zustande, der analog zur staatstheoretischen Begründung monarchischer Herrschaft als Aufkündigung des Herrschaftsvertrages von oben verstanden werden kann: „Die provisorische Regierung nimmt den Thronverzicht entgegen. Eine Thronfolge im Sinne des § 7 der Württembergischen Verfassungsurkunde ist nach den durch die Umwälzung vom 9. November geschaffenen Verhältnissen ausgeschlossen.“ So hieß es z.B. in einer Erklärung der provisorischen Stuttgarter Regierung vom 30. November 1918, die am selben Tag mit der Abdankungsurkunde des Königs im Staatsanzeiger veröffentlicht wurde.64 Auch in den Fällen, in denen sich ein Fürst wie Großherzog Ernst Ludwig von Hessen weigerte, auf Thron und Krone zu verzichten, waren nicht Verlust von Popularität oder gar ein gewaltsamer Konflikt die Folge: Zur Eröffnung der ersten republikanischen Hessischen Volkskammer am 13. Februar 1919 richtete Ernst Ludwig eine Grußadresse an Ministerpräsident Carl Ulrich, in der er „der neuen Volksvertretung meine aufrichtigsten Wünsche für eine gesegnete und gedeihliche Arbeit zum Besten unseres Vaterlandes“ aussprach. Weiterhin bedankte er sich bei Ulrich persönlich „für die würdige Art und Weise, mit der Sie unter den schwierigsten Verhältnissen der sich vielfach durchkreuzenden Strömungen des Volkswillens das Steuer des Staates geführt und es zu vermeiden gewußt haben, daß sich die ernsteste Wandlung in der Geschichte Hessens ohne andere Härten, als die durchaus notwendigen, vollziehen konnte.“65 Dieser Dank war gegenseitig, denn nach der Verlesung des Briefes in der konstituierenden Sitzung der Volkskammer durch Carl Ulrich haben die überraschten Abgeordneten den Ausführungen des Großherzogs herzlichen Beifall gezollt. 61 Zu den Zusammenhängen: Blos, Wilhelm, Von der Monarchie zum Volksstaat, 1922; Pistorius, Theodor von, Die letzten Tage, 1935; Hoffmann, Wilhelm, „Erinnerungen an und um König Wilhelm II. anläßlich seines 60. Todes­tages am 2. Oktober 1981“, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte, 42 / 1983, S. 304–321. 62 Text bei: Wecker, Fritz, Unsere Landesväter, 1928, S. 251. 63 Vgl.: Brosius, Dieter, „Von der Monarchie zur Republik – Die Begründung des Freistaates Schaumburg-Lippe“, in: Schaumburg-Lippische Mitteilungen, 19 / 1968, S. 47–60, Text: S. 53. 64 Pistorius, Theodor von, Die letzten Tage, 1935, S. 55. 65 Knodt, Manfred, Ernst Ludwig, 1985, S. 375f.

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Ernst Ludwig wurde von den Republikanern als „Bürger Brabant“ begrüßt,66 auch wenn seine Grußadresse vom 12. Februar 1919 nicht als eine Art Abdankungsurkunde miss­zuverstehen war. Bei der Vorbereitung des mit der Regierung zu schließenden Abfindungsvertrages im Kreise der großherzoglichen Ratgeber wurde in einem Entwurf für die Abmachungen „ein Passus Verzicht auf den Thron [ … ] heraus gelassen“, wie Großherzogin Eleonore zum 17. Februar 1919 in ihr Tagebuch mit dem Kommentar notierte: „Gott sei Dank. Hoffentlich wird er nicht wieder gefordert.“67 An vielen Höfen wurden die Fragen der finanziellen Abfindung der Fürsten zusammen mit dem Thronverzicht erörtert. In Darmstadt standen sie sogar im Zentrum der Überlegungen: „Die Juristen halten sehr darauf, daß nichts erfolgt, was als Abdankung erklärt werden könne, da rechtlich zu viel auf dem Spiel steht.“ Auch in einem Bericht der Preußischen Gesandtschaft in Darmstadt vom 13. Februar 1919 an das Preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten in Berlin wurde auf diesen Zusammenhang verwiesen: „Der Großherzog hat noch nicht abgedankt aus Erwägungen, die mit den demnächst zu erwartenden Vermögensauseinandersetzungen zwischen ihm und dem hessischen Staate in Zusammenhang stehen. Er will sich durch eine Abdankung gewisser Rechte für diese Auseinandersetzung nicht entledigen.“68 Das Ausscheiden der Monarchen aus staatlicher Verantwortung zeichnete sich in der Mehrzahl der Fälle durch kooperatives Verhalten aus. Ziel war die möglichst konfliktfreie Beibehaltung der bisherigen staatlichen Organisation ohne monarchische Spitze. Zu diesem Zweck wurden mit dem Thronverzicht zugleich alle Beamten und Offiziere ihres dem bisherigen Herrscher geleisteten Treueides entbunden. In Einzelfällen galt das auch für die übrigen Soldaten, die Geistlichen und die Lehrer. In Baden entließ der Großherzog darüber hinaus die Staatsbürger insgesamt aus ihrem Treueverhältnis. Der badische Großherzog hatte schon am 14. November 1918 gegenüber der Vorläufigen Regierung erklärt, „kein Hindernis derjenigen Neugestaltung der staatsrechtlichen Verhältnisse des badischen Landes sein“ zu wollen, „welche die Verfassungsgebende Versammlung beschließen wird“, und bis dahin auf die Ausübung der Regierungsgewalt zu verzichten. „Für den Fall, daß die provisorische Regierung es für ein Gebot der Stunde erachten sollte, die republikanische Staatsform schon vor der Entscheidung der Verfassungsgebenden Versammlung zu beschließen“, wünschte Friedrich II., dass „die Beamten im Interesse der Aufrechterhaltung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit ihren Dienst weiterführen und daß niemand sich durch Rück66 Im Beschluss des Darmstädter Arbeiter- und Soldatenrates vom 9. November 1918 hieß es abschließend: „Ernst Ludwig ist als Bürger der Republik Hessen stets willkommen.“ (Wecker, Fritz, Unsere Landesväter, 1928, S. 119.). 67 Tagebuch der Großherzogin Eleonore, Bd. 1: 1917 Sept.–1919 Juli, StaatsArchiv Darmstadt: Großherzogliches Familienarchiv, Abt. D 24 Nr.43 / 8, 152–157, S. 201–203. 68 Wecker, Fritz, Unsere Landesväter, 1928, S. 118. Zwischen Abdankung und Absetzung  

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sicht auf meine Person oder die Treue und Anhänglichkeit für mich und mein Haus abhalten läßt, Anordnungen der neuen Regierung zu befolgen.“69 Nicht nur formell zurückgetretene Fürsten erklärten das Treueverhältnis für aufgehoben: Bereits am 13. November 1918 entband der bayerische König – als Konsequenz seiner Absetzung – Beamte, Offiziere und Soldaten von ihrem Treueeid.70 Im Großherzogtum Hessen enthob Ernst Ludwig am 18. März 1919 „die Beamten von den durch den Treueid übernommenen Pflichten“, nachdem die Volkskammer Hessen durch die Annahme der vorläufigen Verfassung zum Freistaat erklärt hatte. Ein förmlicher Thronverzicht war damit jedoch nicht verbunden.71 Darüber hinaus sahen sich die Monarchen in der beginnenden und durch die Niederlage besonders schwierigen Nachkriegszeit zu unterschiedlichen Appellen zur Aufrechterhaltung der Ordnung veranlasst. Während der nicht zurückgetretene Bayernkönig Ludwig III. und Fürst Adolf von Schaumburg-Lippe lediglich die Konsequenzen aus den von ihnen ausgesprochenen Entpflichtungen zogen, indem sie die Weiterarbeit ihrer bisherigen staatlichen Funktionsträger unter den neuen Verhältnissen freistellten,72 baten König Friedrich August III. von Sachsen, Großherzog Friedrich Franz IV. von MecklenburgSchwerin, Großherzog Friedrich August von Oldenburg und Prinzregent Aribert von Anhalt die von ihnen entpflichteten Personenkreise zum Teil dringend, im Amte zu verbleiben und ihren Dienst auch unter veränderten Verhältnissen weiter zu tun.73 Der Mecklenburger verwies sie ausdrücklich an die neue Volksregierung und ersuchte sie, ihre Dienste zum Besten von Volk und Vaterland weiterhin zur Verfügung zu stel69 Kaller, Gerhard, „Revolution in Baden“, 1966, S. 338, Beilage 7. 70 Beckenbauer, Alfons, Ludwig III., 1987, S. 268. 71 Stahl, Wilhelm (Hrsg.), Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender, 1919, Bd. 60.1, München 1923, S. 127. 72 Ludwig III. von Bayern formulierte: „Nachdem Ich infolge der Ereignisse der letzten Tage nicht mehr in der Lage bin, die Regierung weiterzuführen, stelle Ich allen Beamten, Offizieren und Soldaten die Weiterarbeit unter den gegebenen Verhältnissen frei und entbinde sie des Mir geleisteten Treueides“ (vgl.: Beckenbauer, Alfons, Ludwig III., 1987, S. 270f.). Adolf von Schaumburg-Lippe erkannte, dass „der im Landtage ausgesprochene Wunsch, das Fürstentum in seiner bisherigen Staatsform zu erhalten, nur unter großen Gefahren für die Ruhe und Sicherheit des Landes erfüllt werden kann“, und erklärte mit seinem Thronverzicht: „Alle im Staats- und Gemeindedienst angestellten Beamten, Geistlichen und Lehrer entbinde Ich von dem Mir geleisteten Treueide und stelle ihnen frei, auch unter den veränderten Verhältnissen zum Nutzen des Ganzen ihren Dienst weiter zu verrichten.“ (Brosius, Dieter, „Von der Monarchie zur Republik“, 1968 , S. 53.) 73 Vgl. die Texte bei: Wecker, Fritz, Unsere Landesväter, 1928, S. 71, 147, 137, 181. In Oldenburg hat zudem „als letzte Willenskundgebung vor dem Thronverzicht [ … ] der Großherzog das Staatsministerium beauftragt, die gesammte Bevölkerung dringend zu bitten, sich in das Unabänderliche zu schicken und Ruhe zu bewahren.“ (Text bei: Günther, Wolfgang, „Freistaat und Land Oldenburg“, 1987, S. 406; zu den Zusammenhängen: Günther, Wolfgang, Die Revolution von 1918 / 19 in Oldenburg, Oldenburg 1979.).

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len.74 Wilhelm II. erwartete am 28. November 1918 als Kaiser, König und Oberster Befehlshaber, dass die von ihm entpflichteten „Beamten des Deutschen Reiches und Preußens sowie alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Marine, des Preußischen Heeres und der Truppen der Bundeskontingente […] bis zur Neuordnung des Deutschen Reichs den Inhabern der tatsächlichen Gewalt in Deutschland helfen, das Deutsche Volk gegen die drohenden Gefahren der Anarchie, der Hungersnot und der Fremdherrschaft zu schützen.“75 Wie selbstverständlich standen in den meisten deutschen Monarchien Thronverzicht der regierenden Dynastien und Entpflichtung ihrer staatlichen Funktionsträger nebeneinander. Nicht selten folgten ihnen im Namen des Volkes Danksagungen der provisorischen Revolutionsregierungen, in denen den Fürsten nicht nur für ihr kooperatives Handeln durch freiwilligen Thronverzicht gedankt wurde, sondern auch für die den jeweiligen Ländern zugute kommenden Leistungen in der Vergangenheit. So hob die provisorische Regierung in Stuttgart am 30. November 1918, dem Tag seiner Abdankung, hervor, dass Wilhelm II. „in allen seinen Handlungen von der Liebe zur Heimat und zum Volke getragen war und daß er durch seinen freiwilligen Verzicht dazu beigetragen hat, die Bahn für die freiheitliche Entwicklung zu ebnen. Das württembergische Volk vergisst nicht, daß der König mit seiner Gemahlin in Werken der Nächstenliebe stets edel und hilfreich gehandelt hat.“76 Viele der neuen Volksregierungen und -vertretungen waren darum bemüht, den abgetretenen Fürsten ihren Respekt zu erweisen und insbesondere ihren Dank für den relativ reibungslosen und in der historischen Rückschau als geräuschlos empfundenen Übergang von der Monarchie zur Republik auszusprechen. So heißt es im Absetzungsbeschluss des Darmstädter Arbeiter- und Soldatenrates vom 9. November 1918, dass sich gegen den hessischen Großherzog „kein Zorn und Groll des Volkes richte“.77 Wie Ernst Ludwig in Darmstadt wurde auch in Braunschweig Herzog Ernst August als „freier Bürger einer freien Republik“ willkommen geheißen.78 Dem Großherzog Friedrich II. von Baden dankte Minister Haas in einer Sitzung des Staatsministeriums vom 22. November dafür, dass er „diesen schweren Schritt im Interesse des badischen Volkes und im Interesse der Entwicklung des badischen Landes getan hat.“79 In gleichem Sinne äußerten sich andere, etwa Minister Trunk, der zudem versicherte, dass „der Person des Großherzogs und der Person der einzelnen Mitglieder der großher74 Text in Bley, Hermannfried, „Das revolutionäre Jahr 1918 in Mecklenburg“, 1968, S.  50, Nr.16. 75 Wecker, Fritz, Unsere Landesväter, 1928, S. 27. 76 Ebd., S. 103. 77 Wecker, Fritz , Unsere Landesväter, 1928, S. 119. 78 Vgl.: Roloff, Ernst August, Braunschweig und der Staat von Weimar. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 1918–1933, Braunschweig 1964, S. 43. 79 Kaller, Gerhard, „Revolution in Baden“, 1966, S. 338, Beilage 7. Zwischen Abdankung und Absetzung  

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zoglichen Familie [ … ] auch in Zukunft unsere anhängliche Liebe gehören.“80 Wenn ihm Minister Marum bestätigte, dass „uns nicht etwa ein Haß gegen die Person des Großherzogs bei der ganzen Angelegenheit geleitet hat […] und daß es nicht seine persönlichen Eigenschaften gewesen sind, die zu diesem Ausgang geführt haben“81, dann wurde damit zugleich auf das strukturell bedingte Ende der Monarchien in Deutschland verwiesen. In den Abdankungsurkunden verzichteten die Bundesfürsten darauf, persönliche Betroffenheit oder Gefühle auszudrücken, sondern leisteten lediglich Ihren Beitrag dazu, den Übergang von der monarchischen zur republikanischen Staatsform so friedlich wie möglich zu gestalten und für eine staatsrechtlich klare Situation zu sorgen. In einigen Fällen schien sich gleichwohl eine gewisse persönliche Verbitterung Bahn zu brechen. So bestand die gesamte Abdankungsurkunde des Fürsten Heinrich XXVII. von Reuß jüngere Linie aus einem einzigen Satz: „Ich entsage hiermit für Mich und Mein Haus der Regierung des Landes.“82 Den Abdankungen und Absetzungen, die im November 1918 überall in Deutschland das Ende der Monarchie als Staatsform markierten, mangelte es an Planung und Organisation, sie fanden praktisch spontan statt. Die Situation traf die deutschen Souveräne größtenteils unvorbereitet. Vom Ausbruch der Revolution erfuhr der bayerische König Ludwig III. bei seinem täglichen Nachmittagsspaziergang im englischen Garten durch einen Polizisten. Bei der Rückkehr in die Residenz fand er diese vom Personal und den Wachen verlassen vor, kurz darauf floh der restliche Hofstaat mit Automobilen vorübergehend nach Österreich.83 Soweit ersichtlich, hatten die fürstlichen Entouragen keine nennenswerten Maßnahmen gegen die sich seit dem Herbst 1918 abzeichnenden politischen Veränderungen ergriffen. Die Möglichkeit eines Thronverlustes hatte wohl keiner der Fürsten so recht erkennen beziehungsweise wahrhaben wollen. Als dann die Throne wackelten, war man darauf weitgehend unvorbereitet. Ernsthafte Bemühungen, den Umsturz zu verhindern, hat es denn auch nicht gegeben. Was die Person des preußischen Königs und Deutschen Kaisers anbelangte, wurden in der Öffentlichkeit verschiedene Vorschläge diskutiert: Zur Erhaltung der parlamentarischen Monarchie forderte die (M)SPD in Berlin die Abdankung Wilhelms II. Selbst in konservativen Kreisen wurden Stimmen laut, die im Thronverzicht des Kaisers das einzige Mittel sahen, die Monarchie zu retten. Entgegen Art. 11 der Reichsverfassung sollte der Hohenzoller aber König von Preußen bleiben.84 Im Reich 80 81 82 83 84

Ebd., S. 339, Beilage 7. Ebd. Ebd., S. 303. Vgl. dazu eingehender: Beckenbauer, Alfons, Ludwig III., 1987, S. 272f. Zu den Vorgängen ausführlicher: Gusy, Christoph, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 1–20.

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schien die Abdankung des Monarchen das einzige probate Mittel, um den Fortbestand der Monarchie zu gewährleisten. Doch Wilhelm II. war von einer solchen Einsicht weit entfernt und erklärte: „Ein Nachfolger Friedrichs des Großen dankt nicht ab.“85 Den Gedanken, sich an die Spitze eines Regiments an die Front zu begeben und dort das ehrenvolle Ende des „Königstodes“ zu finden, um so der Monarchie die Legitimität zu erhalten, wie es manche Generalstabsoffiziere als rettenden Ausweg empfahlen, lehnte der Hohenzoller ebenfalls ab.86 Entscheidend für das Ende der monarchischen Ära in den Bundesstaaten wurde, dass die monarchische Legitimität sich vorzugsweise im Kaisertum verkörperte und dieses seine Kraft aus der Verkörperung der nationalen Einheit schöpfte. Der Kaiser stützte sich nicht auf monarchische, sondern auf eine nationale Legitimität. Er war Repräsentations- und Integrationsorgan der (kleindeutschen) nationalen Einheit. Gerade Wilhelm II. war somit Integrationsfigur und – auch in seinen Fehlleistungen – der Repräsentant eines „monarchischen Systems“, dessen Bild im Reich und nicht in den Einzelstaaten geformt wurde. Die Legitimität der Monarchie geriet weiter in Erosion durch das „persönliche Regiment“, das Wilhelm II. längere Zeit für sich in Anspruch nahm. Die Kritik daran – etwa bei der „Daily-Telegraph-Affäre“ oder der „Zabern-Affäre“ oder dem letztlich erfolglosen Versuch, die Arbeiterschaft einzubinden – blieb nicht auf die Person des Kaisers beschränkt, sie griff auf das institutionelle Gefüge des Reichs und seine Regierungsform über.87 Dadurch brauchte sich auch das „royalistische Kapital“ in den Einzelstaaten auf. Überall räumten die alteingesessenen dynastischen Herrscher ohne großen Widerstand, fast freiwillig, das Feld, der Umbruch wurde nahezu fatalistisch hingenommen. Nur wenige deutsche Fürsten verließen ihr Land. Meist lebten sie zurückgezogen auf ihren Gütern, der letzte hessische Großherzog blieb sogar in „seiner“ Hauptstadt Darmstadt. Der Oldenburger und der Mecklenburger kehrten nach kurzem Exil im 85 Zitiert nach: Ritter, Gerhard, Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des „Militarismus“ in Deutschland, Bd. 4, München 1968, S. 458. 86 Vgl.: Kaehler, Siegfried, „Vier quellenkritische Untersuchungen zum Kriegsende“, in: Ders., Studien zur deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Aufsätze und Vorträge, Göttingen 1961, S. 259–305, insbes. 280–302; Michaelis, Wilhelm, „Zum Problem des Königstodes am Ende der Hohenzollernmonarchie“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 13 / 1962, S. 695–704. 87 Nicht wenige Anhänger des untergegangenen Systems beeilten sich nun, den gestürzten Kaiser für alle Fehler und Versäumnisse der deutschen Politik seit Bismarcks Abgang verantwortlich zu machen. Gegen diese Neigung zur kollektiven Selbstentlastung wandte sich Walther Rathenau: „Dies Volk in dieser Zeit, bewußt und unbewußt, hat ihn so gewollt, nicht anders gewollt, hat sich selbst in ihm so gewollt, nicht anders gewollt […] hat so vollkommen ein sinnbildlicher Mensch sich in der Epoche, eine Epoche sich im Menschen gespiegelt.“ (Rathenau, Walter, Der Kaiser. Eine Betrachtung, Berlin 1919, S. 24.). Zwischen Abdankung und Absetzung  

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nahen Dänemark wieder in ihre Länder zurück. Nur der Deutsche Kaiser und König von Preußen, der Großherzog von Sachsen-Weimar und der Fürst von SchaumburgLippe verließen ihre Heimat für immer. Der Großherzog von Sachsen-Weimar, Wilhelm Ernst, wich nach Preußen aus. Dort verlieh er weiter Orden, bis ihm seine Regierung in Weimar energisch bedeutete, er solle dies sein lassen, sonst würde man ihn bei den vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen kurz halten.88

Quellen- und Literaturverzeichnis Abraham, Paul, Der Thronverzicht nach deutschem Staatsrecht, Berlin 1906. Afflerbach, Holger, Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr im Ersten Weltkrieg, München 2005. Beckenbauer, Alfons, Ludwig III. von Bayern 1845–1921. Ein König auf der Suche nach seinem Volk, Regensburg 1987. Bley, Hermannfried „Das revolutionäre Jahr 1918 in Mecklenburg. Novemberrevolution und Gründung der KPD in Dokumenten“, in: Heinrich Bley / Paul Jürgen Rakow (Hrsg.), Kleine Schriftenreihe des Staatsarchivs Schwerin, Schwerin 1968, Heft 3, S. 45–61. Blos, Wilhelm, Von der Monarchie zum Volksstaat. Zur Geschichte der Revolution in Deutschland insbesondere in Württemberg, Stuttgart 1922. Bluntschli, Johann Kaspar, Allgemeines Staatsrecht, Stuttgart 1885. Böckenförde, Ernst-Wolfgang, „Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert“, in: Ders. (Hrsg.), Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt / Main 1986, S. 112–145. Braunschweig, Viktoria Luise von, Im Strom der Zeit, München 1985. Brosius, Dieter, „Von der Monarchie zur Republik – Die Begründung des Freistaates Schaumburg-Lippe“, in: Schaumburg-Lippische Mitteilungen, 19 / 1968, S. 47–60. Brunner, Otto, „Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip. Der Weg der europäischen Monarchie seit dem hohen Mittelalter“, in: Ders. (Hrsg.), Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968, S. 160–186. Cordes, Günther, Krieg – Revolution – Republik. Die Jahre 1918 bis 1920 in Baden und Württemberg. Eine Dokumentation, Ulm 1978. Ellwein, Thomas, Das Erbe der Monarchie in der deutschen Staatskrise. Zur Geschichte des Verfassungsstaates in Deutschland, München 1954. Fehrenbach, Elisabeth, Wandlungen des deutschen Kaisergedankens 1871–1918, München 1969. Franz, Eckhart (Hrsg.), Erinnertes. Aufzeichnungen des letzten Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, Darmstadt 1983. Ders., „Der Staat der Groß­herzöge von Hessen und bei Rhein 1806–1918“, in: Walter Heinemeyer (Hrsg.), Das Werden Hessens, Marburg 1986, S. 481–515. Frauenholz, Eugen von (Hrsg.), Kronprinz Rupprecht von Bayern. Mein Kriegstagebuch, Berlin 1929. 88 Vgl.: Wecker, Fritz , Unsere Landesväter, 1928, S. 237.

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Michael Horn

„Ay, no; no, ay; for I must nothing be.“ Die Abdankung des Monarchen – eine Leerstelle in der Herrscherikonographie

Martin Schieder 1.

Katoptromantie

In der ersten Szene des vierten Akts von Shakespeares „Tragedy of King Richard the Second“ wird der gefangengehaltene König dazu gezwungen, Krone und Zepter niederzulegen. Der gleichermaßen hybride wie selbstzweiflerische Richard muß zugunsten seines Cousins Bolingbroke, des späteren Henry IV, abtreten. Es ist ein ungeheuerlicher Akt der Machtaufgabe und -übergabe, den der König in Anwesenheit der geistlichen und weltlichen Lords in Westminster Hall vollziehen muß: „I give this heavy weight from off my head, And this unwieldy sceptre from my hand, The pride of kingly sway from out my heart. […] With mine own hands I give away my crown, With mine own tongue deny my sacred state, With mine own breath release all duteous oaths“.

Unmittelbar danach verlangt Richard nach einem Spiegel: „Let it command a mirror hither straight, That it may show me what a face I have, Since it is bankrupt of his majesty. […] Give me that glass, and therein will I read“.

Doch das Gesicht, das Richard nun anblickt, entspricht nicht mehr seinem Selbstverständnis, die äußere Erscheinung nicht mehr dem inneren Sein, weshalb der König ohne Krone den Spiegel auf dem Boden zerschmettert:

„Ay, no; no ay; for I must nothing be.“  

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„O flatt’ring glass, Like to my followers in prosperity, Thou dost beguile me! […] A brittle glory shineth in this face. As brittle as the glory is the face, He shatters the glass For there it is, cracked in an hundred shivers“.1

Was ist ein König, der nicht mehr Souverän ist? Nichts. „Ay, no; no, ay; for I must nothing be“, heißt es bei Shakespeare.2 Für Ernst Kantorowicz war Shakespeares Geschichtstragödie die literarische Verkörperung seiner These von „The King’s Two Bodies“. Der Dichter habe „die Metapher unsterblich gemacht“, mit der Juristen und Staatsrechtler seit der Antike um die Legitimierung königlicher Macht gerungen hätten.3 Alle frühneuzeitlichen Monarchen Europas, die als Stellvertreter Gottes auf Erden zu regieren glaubten, konnten in dem Königsdrama das „memento mori“ ihrer eigenen Herrschaft lesen. Tatsächlich wurde Shakespeares Abdankungsszene des 1601 im Globe Theater erstmals aufgeführten politischen Historiendramas aufgrund ihrer aktuellen Brisanz zunächst zensiert; erst in der vierten Auflage (1608), also erst nach dem Tod von Elisabeth I, durfte das Stück „with new additions of the Parliament Sceane, and the deposing of King Richard“ gedruckt und gespielt werden.4 Dabei waren Richards Abdankung und Katoptromantie eine Erfindung des englischen Dichters. Aus zeitgenössischen Quellen wissen wir, daß Richard II nicht abdankte, sondern abgesetzt wurde. Am 29. September 1399 wurde er im Tower von Vertretern der Stände und des Klerus gezwungen, die Krone niederzulegen und den Siegelring abzugeben. In Westminster Hall verlas dann der Erzbischof von York, den Richard zu seinem Stellvertreter ernannt hatte, die Abdankungsurkunde „in der ersten Person, so als ob der

1 2 3 4

Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine erweiterte Fassung des Artikels „Abdankung im Handbuch zur politischen Ikonographie“, Bd. 1, hrsg. von Uwe Fleckner, Martin Warnke und Hendrik Ziegler, München 2010, S. 308–314. Ich danke dem Verlag C. H. Beck und den Herausgebern für die freundliche Genehmigung. Dieser Beitrag folgt auf Wunsch des Verfassers der alten deutschen Rechtschreibung. Shakespeare, William, „Richard II.“, in: Ders., The Complete Works, hrsg. von Stanley Wells /  Gary Taylor, Oxford 2006, S. 360–361. Ebd., S. 360. Kantorowicz, Ernst, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990, S. 48 f. Shakespeare, William, The tragedie of King Richard the second: With new additions of the Parliament sceane, and the deposing of King Richard, as it hath been lately acted by the Kinges Maiesties seruantes, at the Globe, London 1608.

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König persönlich spräche“, wie es in einer Quelle heißt.5 Möglicherweise hat Shake­ speare bei seinen Recherchen die „Chroniques de France, d’Angleterre, d’Ecosse, de Bretagne, de Gascogne, de Flandre et lieux circonvoisins“ von Jean Froissart zu Rate gezogen. Denn in ihnen wird berichtet, Richard habe in vollem Ornat die Insignien in Westminster Hall an Bolingbroke übergeben: „J’ay esté roy d’Angleterre […] laquelle royaulté, ceptre, couronne et héritage je résigne purement et quittement à mon cousin Henry duc de Lancastre, et luy prie ‚en la présence de vous tous‘ que il prende le ceptre en cause de possession“. Das Exemplar der British Library enthält eine Miniatur, auf der ein „notaire publique“ zu erkennen ist, der bei der Abdankungszeremonie die „tesmoingnages“ der anwesenden geistlichen und weltlichen Lords aufzeichnet (Abb. 1).6 Für die Nachwelt sollten Text und Bild die vermeintliche historische Authentizität einer Abdankung belegen, wie sie so nie stattgefunden hat.

2. „Le Roi est mort, vive le Roi!“ Bei der Miniatur handelt es sich um eine der frühesten Darstellungen einer Abdankung, die wir kennen.7 Man könnte annehmen, daß sich zahlreiche weitere Beispiele in der Kunstgeschichte finden, zumal die Liste der Kaiser, Könige und Päpste, die abgedankt haben, ebenso lang wie prominent ist. Sie reicht von Diocletian (305) und Papst Benedikt IX. (1048) über Karl V. (1555 / 56), Maria Stuart (1567), Christina von Schweden (1654), Franz II., der 1806 nicht nur die Krone niederlegte, sondern auch das Ende des Heiligen Römischen Reiches erklärte, Napoleon Bonaparte (1814), Charles X (1830), Wilhelm II. (1918) bis hin zu Edward VIII (1936) und Juliana der Niederlande (1980). Jedoch: Eine politische Ikonographie der Abdankung des Monarchen gibt es nicht. Während etwa mit Rubens’ „Krönung der Maria Medici in Saint-Denis am 13. Mai 1610“ (1622–1625), Davids „Krönung Napoleons I. und der Kaiserin Joséphine in Notre-Dame de Paris am 2. Dezember 1804“ (1806–1807, Abb. 2), Gérards „Krönung von Charles X in Reims am 29. Mai 1825“ (1825–1829), Menzels „Krönung Wilhelms I. in der Königsberger Schloßkapelle am 18. Oktober 1861“ (1865) oder auch Anton von Werners „Proklamation Wilhelms I. zum Deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal zu Versailles“ (1877 und 1882) bedeutende Krönungsbilder überliefert sind, sucht man 5 6 7

The Chronicle of Adam of Usk, 1377–1421; zit. nach Jussen, Bernhard (Hrsg.), Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005, S. 242. Froissart, Jean, Chroniques, in: Ders., Œuvres, hrsg. von Baron Kervyn de Lettenhove, Bd. 16, 1867–1877, (ND Osnabrück 1967), S. 202 und 203. Noch älter ist eine Miniatur im Le Miroir historial de Vincent de Beauvais von 1333 (Chantilly, Ms. 722 folio, 118r), die die Abdankung von Lothar I. (855) zeigt. „Ay, no; no ay; for I must nothing be.“  

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vergleichbar prominente künstlerische Interpretationen der Abdankung vergebens.8 Der Grund für diese ikonographische Fehlstelle liegt auf der Hand: Die „abdicatio regni“ ist in der Herrscherinszenierung nicht vorgesehen. In der Goldenen Bulle von 1356 etwa wird die mögliche Abdankung des Kaisers nicht erwähnt, bis zur Abdankung Karls V. schweigen sich die Wahlkapitulationen und Staatsrechtler aus. Das Amt des Königs ist sakrosankt, seine Herrschaftslegitimation von Gottes Gnaden und daher ewig. Die Macht eines gesalbten Fürsten endet erst mit seinem Tod, und wenn er stirbt, dann lebt sein Amt weiter. „Le Roi est mort, vive le Roi!“ Weshalb sollte deshalb die Abdankung eines Monarchen ein für die Bildende Kunst abbildungswürdiger Akt sein? In der Literatur ist dies etwas anderes: Shakespeare und der historische Roman des 19. Jahrhunderts haben den Thronverzicht, vor allem den der Maria Stuart, zu einem großen Thema gemacht.9 Doch was sollte einen Abdankenden, seinen Nachfolger oder die Nachwelt dazu veranlassen, den Moment der politischen Ohnmacht, eines Imperium und Dynastie gefährdenden Machtvakuums darstellen zu lassen? Allen Herrschern sei „die Begierde über andre zu herrschen gleichsam angebohren“, so Johann Christian Lünig 1720 in seinem „Theatrum Ceremoniale“. Deshalb sei es etwas „Bewundernswürdiges“, wenn ein Fürst „freywillig niedergeleget, was andre mit so emsiger Bemühung gesuchet“.10 Tatsächlich muß bei jeder Abdankung staatsrechtlich eine Voraussetzung gegeben sein: Sie muss aus freiem Willen erfolgen. In einigen Fällen haben Alter, Gesundheit, persönliche oder konfessionelle Gewissensfragen zum vorzeitigen Abtreten geführt, in der Regel aber waren es die politischen Umstände – militärische Niederlagen, Revolutionen, Umstürze –, die einen Fürsten dazu gezwungen haben. Doch welcher Souverän gibt ein Kunstwerk in Auftrag, das den abdankenden König wiedergibt? Wenn im Folgenden also die wenigen Beispiele vorgestellt werden, die eine Abdankung illustrieren, wird deutlich, daß es keine archetypischen Bilder gibt, die im Rahmen der Herrscherinszenierung einen Bildtypus nachhaltig geprägt haben. 8

Während Marc Bloch, Ernst H. Kantorowicz und Percy Ernst Schramm früh wegweisende „coronation studies“ vorgelegt haben, fehlt eine historische und kulturhistorische Untersuchung zur Abdankung. Diese blieb bisher Zeremonienmeistern und Staatsrechtlern vorbehalten; siehe Bauer, Markus, „Das große Nein – Zum Zeremoniell der Resignation“, in: Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn (Hrsg.), Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Tübingen 1995, S. 99–124. 9 Siehe die literaturwissenschaftliche Studie von Mayer, Mathias, Die Kunst der Abdankung. Neun Kapitel über die Macht der Ohnmacht, Würzburg 2001. 10 Lünig, Johann Christian, Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien […], Leipzig 1720, S. 807. Unter Abdankung, auch Abdikation (lat. abdicare: sich lossagen) oder Resignation, versteht man im weiteren Sinn den Verzicht auf ein öffentliches Amt durch seinen Inhaber. Im engeren Sinn ist es der Thronverzicht des Königs oder Papstes, also die „abdicatio regni“, während in einem demokratischen System die Amtsaufgabe durch Rücktritt oder Demission erfolgt.

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Gleichwohl erweist sich eine chronologische Vorgehensweise insofern als sinnvoll, als dass sich im Verlauf der Jahrhunderte hinsichtlich der Wahl des dargestellten Momentes wie des Bildmediums bemerkenswerte Veränderungen aufzeigen lassen.

3.

αυτοψία

Über keine frühneuzeitliche Abdankung sind wir durch Text und Bild so gut unterrichtet wie über die von Karl V. am 25. Oktober 1555 in der Aula Magna des Schlosses von Brüssel. In Anwesenheit der Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies, der Räte und Statthalter der Niederlande sowie der Granden des Reiches übertrug der Kaiser seinem Sohn Philipp die Souveränität über die Niederlande. Nachdem der in Trauer gekleidete Karl mit der kaiserlichen Familie eingezogen war, wurde verkündet, daß ihm Krankheit „die Bürde der Macht unerträglich“ gemacht habe.11 Anschließend bedauerte er in seinem Rechenschaftsbericht, daß er nicht in der Lage gewesen sei, „Euch einen festen und gesicherten Frieden zu hinterlassen“.12 Tatsächlich war er, dessen Vision einer „Monarchia universalis“ unter dem Motto „plus ultra“ gestanden hatte, gescheitert. Kurz zuvor hatte der Augsburger Religionsfrieden den Territorialfürsten die Religionsfreiheit „Cuius regio eius religio“ zugesprochen. Auf zwei Kupferstichen hielt Frans Hogenberg die Zeremonie fest, die sich mit Hilfe der Bildlegenden, der Augenzeugenberichte und Abdankungsrede präzise rekonstruieren lässt. Das erste Blatt zeigt, wie der Kaiser, sich der Singularität seiner Handlung wohlbewußt, dem knienden Philipp die Regentschaft überträgt (Abb. 3): „Andere Könige schätzen sich glücklich, wenn sie in ihrer Todesstunde ihre Kronen ihren Kindern auf ’s Haupt setzen können; ich will dieses Glückes im Leben mich freuen und Dich regieren sehen. Meine Handlungsweise wird wenige Nachahmer finden, wie sie wenige Beispiele hat.“13 Das zweite Blatt stellt, einem Bilderbogen gleich, mehrere Sequenzen der Abdankung auf einmal dar. Man sieht Karl V., wie ihm seine Schwester Maria die Statthalterschaft der Niederlande zurückgibt, wie er seinen Sohn zum Thron führt und er schließlich den Saal verläßt (Abb. 4). Gleichsam einer Inversion der Krönungszeremonie wird dieser staatsrechtlich so komplizierte performative Akt der Abdankung visuell kommuniziert. Alle Handlungen werden durch die Autopsie der Anwesenden legitimiert. Der Rechtsgelehrte und Sprecher der Stände, Jacobus Masius, bestätigt 11 Zit. nach Mayer, Mathias, „Individualität und Zurückhaltung. Die Resignation Karls des Fünften in Brüssel“, in: Ders. (Hrsg.), Kaiser Karl der Fünfte. Rede vor den Generalstaaten der Niederlande am 25. Oktober 1555 in Brüssel, Hamburg 2001, S. 17–53, hier: S. 47. 12 Zit. nach Conrads, Norbert, Die Abdankung Kaiser Karls V. Abschiedsvorlesung, gehalten am 23. Juli 2003 in der Universität Stuttgart, Stuttgart 2003, S. 19. 13 Mayer, Mathias, Rede, 2001, S. 9 und 14. „Ay, no; no ay; for I must nothing be.“  

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sowohl Karls Abdankung als auch die Übertragung der Herrschaft an dessen Sohn und zerschlägt die alten Siegel, während an einem Tisch die neuen erstellt werden. Der emotionale Aspekt der Zeremonie wird hingegen ausgeblendet. Zwar überliefern die Quellen, daß Kaiser und hohe Gesellschaft zu Tränen gerührt gewesen seien, doch es ist der Rechtsakt, auf den Hogenberg sich konzentriert. Dem Thronverzicht folgt unmittelbar die Übergabe der Insignien an den neuen Herrscher derselben Dynastie, dies ist die Botschaft der beiden Blätter an die Nachwelt. Der Abgang Karls V. von der Weltbühne bot nicht nur ein Modell für alle ihm folgenden amtsmüden Potentaten, sondern gilt auch als Geburtsstunde der niederländischen Unabhängigkeit. So beschreibt das um 1620 entstandene Gemälde von Frans Francken II. im Amsterdamer Rijksmuseum die Abdankung Karls als eine Herrschaftsallegorie (Abb. 5).14 Karl V. sitzt auf dem Thron mit dem habsburgischen Doppeladler, vor dem er bereits die Reichsinsignien abgelegt hat. Er ist im Begriff, die Herrschaft zwischen seinem Sohn und seinem Bruder aufzuteilen: Philipp II. zu seiner Linken erhält die Herrschaft über Spanien und Burgund, während Ferdinand I. zu seiner Rechten das Heilige Römische Reich zugesprochen wird, dessen Kaiser er de facto allerdings erst 1558 werden sollte. Das übrige komplexe allegorische Programm dieses Zeremoniengemäldes verweist auf die Verbreitung des christlichen Glaubens und auf die Weltherrschaft des Hauses Habsburg. Im Hintergrund erkennt man noch eine Sänfte, die den einstigen Kaiser zum Kloster San Gerónimo de Yuste bringt, wo dieser bald darauf sterben wird. Aber weshalb präsentiert das Franckensche Gemälde ein historisches Ereignis, das beinahe einhundert Jahre zurückliegt? Die Antwort liegt in dem historischen Kontext des Werkes begründet: Offensichtlich ist es als ein kritischer Kommentar zum aktuellen niederländischen Unabhängigkeitskampf gegen die spanisch-habsburgische Fremdherrschaft zu lesen, stellt es doch das noch geeinte Reich dar – im Rücken von Philipp sieht man eine weibliche Figur, die in ihrer Rechten die Fahne mit den Wappen der siebzehn niederländischen Provinzen hält –, das zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch den Abfall der sieben nördlichen Provinzen vom habsburgischen Spanien aufgebrochen wurde. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich, als Revolution und Restauration die europäischen Dynastien erschütterten, begann man, die Abdankung Karls V. historisch zu erforschen und erneut als Thema für Literatur und Malerei zu entdecken.15 1841 stellte Louis Gallait im Pariser Salon seine monumentale Interpretation des inzwischen vierhundert Jahre zurückliegenden Ereignisses aus, das Friedrich Schiller in 14 Siehe Horn, Hendrik, „The ‚Allegory on the Abdication of the Emperor Charles V‘ by Frans Francken II: Some Observations on the Iconography of Antwerp’s Plight in the Early Seventeenth Century“, in: Revue d’art canadienne – Canadien Art Review, 13–1 / 1986, S. 23–30. 15 Siehe Hoozee, Robert u.a., Mise-en-scene. Keizer Karel en de verbeelding van de negentiende eeuw (Ausstellungskatalog, Antwerpen, Mercatorfonds; Gent, Museum voor Schone Kunsten), Antwerpen 1999.

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seiner „Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung“ als „rührendes Gaukelspiel“ bezeichnet hat (Abb. 6).16 Der junge belgische Staat hatte das Bild bei Gallait in Auftrag gegeben, um an den niederländischen Freiheitskampf zu erinnern, der 1830 mit der Unabhängigkeit Belgiens vollendet worden war. In seinem rührseligen Kostümstück, das dem Betrachter einen „historischen Logenplatz“ zuweist, hat der Schüler von Paul Delaroche besonderen Wert auf die „vérité historique“ gelegt.17

4. Adieu Es ist davon auszugehen, daß beinahe jeder Salonbesucher beim Betrachten des Gallaitschen Bildes an eine andere Abdankung gedacht haben wird, die noch allzu präsent war: die von Napoleon Bonaparte. Der französische Imperator ist wohl der einzige Regent, der sich nicht nur selbst gekrönt, sondern gleich zweimal abgedankt hat. Beim ersten Mal, am 11. April 1814, zwangen ihn die Koalitionsmächte, die Abgeordnetenkammer und die eigenen Generäle in Fontainebleau dazu, die Abdankung einzureichen; seine Herrschaft der Hundert Tage endete am 22. Juni 1815 und mit der Verbannung nach Sankt Helena. Obgleich die erste Thronübergabe an Louis XVIII in keiner Weise geregelt war und schon gar nicht freiwillig erfolgte, hat wohl keine Abdankung den Fortgang der Geschichte so bestimmt wie diese. Noch zu Lebzeiten, insbesondere aber nach der Abdankung von Charles X im Juli 1830, wurde sie wichtiges Element der sogenannten Napoleon-Legende, die in verschiedenen Medien und „images“ die politische Mythenbildung Napoleons betrieb. Auf dem Revers einer Medaille, die Vivant Denon noch im Jahre 1814 für die „Histoire métallique de Napoléon le Grand“ entwarf, sieht man Napoleon an einem Stehpult die „Déclaration au peuple français“ unterschreiben (Abb. 7). Vergeblich versucht von hinten eine Furie der Zwietracht, ihn von diesem Schritt abzubringen. Mit der Feder vollzieht der Imperator seine letzte Tat zum Wohl des französischen Volkes. 16 Schiller, Friedrich, Werke und Briefe, Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung, Bd. 6, hrsg. von Klaus Harro Hilzinger u.a., Frankfurt / Main 2000, S. 88. 17 Schoch, Rainer, „Die ‚belgischen Bilder‘. Zu einem Prinzipienstreit der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts“, in: Karl Möseneder (Hrsg.), Streit um Bilder. Von Byzanz bis Duchamp, Berlin 1997, S.  161–179, hier: S. 162. Als Gallaits Gemälde zwischen 1842 und 1844 gemeinsam mit anderen Monumentalwerken der belgischen Historienmalerei Jahre durch verschiedene Kunstmetropolen Deutschlands wanderte, löste es einen regelrechten Bilderstreit unter deutschen Kunsthistorikern und Historikern über Form und Aufgabe einer modernen Historienmalerei zwischen Positivismus und „geschichtlicher Schönheit“ (Friedrich Theodor Vischer) aus. „Ay, no; no ay; for I must nothing be.“  

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1839 griff der französische Illustrator Denis-Auguste-Marie Raffet in seiner Illustration für Norvins’ „Histoire de Napoléon“ auf diesen historischen Moment zurück: Von seinen Generälen dazu gedrängt, unterzeichnet Napoleon im roten Salon de l’Abdication in Schloß Fontainebleau die Abdankungsurkunde. Es ist der vom Glück und von seinen Offizieren verlassene Herrscher, der noch im Augenblick der Niederlage seiner staatsmännischen Verantwortung gerecht wird, indem er der Nation das vermeintlich selbstlose Opfer bringt, zu dem ihn seine Generäle aufgefordert, ja gezwungen hatten. Standen bei Karl V. noch offizielle Zeremonie und Rechtsakt im Vordergrund, sehen wir bei Napoleon die einsame Entscheidung und die vermeintlich uneigennützige Unterzeichnung der Urkunde. Während Karl V. im Thronsaal abdankt und die Staatsgewalt geregelt an seinen Sohn weiterreicht, vollzieht sich Napoleons Abdankung abseits der Öffentlichkeit in den privaten Gemächern von Fontainebleau, der ihm nachfolgende Souverän ist nicht präsent. Die Unterzeichung der Urkunde am Schreibpult beziehungsweise Salontisch macht den Akt zu einer gleichsam profanen, tragischen Szene. Die historisierende Verklärung steigerte Delaroche 1845 in seinem Gemälde „Napoleon I. in Fontainebleau“ (1845, Leipzig) schließlich ins Romantische, indem er den Feldherrn einsam im Salon zeigt, nachdem ihm die Meldung vom Einzug der Koalitionstruppen in Paris zugetragen worden ist. Während er noch über einen Ausweg nachsinnt, weiß der Betrachter bereits um die Unumkehrbarkeit der historischen Ereignisse.18 Die größte Verbreitung erfuhr Napoleons Abdankung durch die Reproduktionsgraphik nach dem Gemälde „Adieux de Napoléon Ier à la garde impériale“ von Horace Vernet (Abb. 8). Es gibt den Moment wieder, als der entmachtete Imperator am 20. April 1814 im Cour du Cheval blanc von Schloß Fontainebleau mit einer bewegenden Rede Abschied von seiner Garde nimmt, bevor er nach Elba ins Exil geht: „Soldats de ma vieille Garde, […], je vous fais mes adieux“. Vor den alten Weggefährten und sichtlich bewegten Vertretern der siegreichen Koalitionsmächte greift der zurückgetretene Imperator zur Tricolore: „Adieu, mes enfants! Je voudrais vous presser tous sur mon cœur; que j’embrasse au moins votre drapeau!“ Seine Geste lenkt den Blick auf den Fahnenträger, der sein Gesicht mit der Hand bedeckt, und auf General Petit, der seinen ehemaligen Gebieter ein wenig linkisch zu umarmen versucht. Diesen Elementen der Rührung steht die Gefaßtheit Napoleons gegenüber, der seinen getreuen Soldaten einen letzten Befehl erteilt: „J’ai donc sacrifié tous nos intérêts à ceux de la patrie. Je pars! Vous, mes amis, continuez à servir la France… Ne plaignez 18 Siehe Fleckner, Uwe, „Napoleon am Scheidewege. Paul Delaroches ‚Napoleon I. in Fontainebleau‘ und die Ikonographie des Gallischen Herkules“, in: Ders., / Martin Schieder / Michael Zimmermann (Hrsg.), Jenseits der Grenzen. Französische und deutsche Kunst vom Ancien Régime bis zur Gegenwart. Thomas W. Gaehtgens zum 60. Geburtstag, Bd. 2, Köln 2000, S. 145–167.

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pas mon sort.“19 Es war die Selbstbeherrschung Napoleons auch im Moment des Abschiedes, welche die Zeitgenossen beeindruckte und der Nachwelt überliefert werden sollte. „Ayant embrassé ses amis, il descendit les degrés dans une attitude aussi assurée que lorsqu’il avait monté les marches du trône“, kommentierte der Außenminister Maret Napoleons großen Abtritt.20 Vernets Gemälde vermittelte ein romantisches, ein durch Volkslieder, die „imagerie épinal“ und die Dichtung nach der Juli-Revolution gezielt verbreitetes Napoleon-Bild, als nicht wenige Franzosen noch auf die Rückkehr der Bourbonen hofften. Sein Erfolg war so groß, weil es Napoleon Bonaparte gleichermaßen als Opfer der Geschichte und als menschlichen Helden stilisierte.

5. „It was love, love alone“ Im Frühjahr 1848 erreichte die bürgerliche Revolution das Königreich Bayern. Doch im Gegensatz zum preußischen König schloß Ludwig I. ein Aufgeben des monarchischen Prinzips und eine Annäherung an die liberalen Kräfte aus. Er wolle kein „Unterschreibkönig“ sein und dankte am 20. März, „ohne daß es jemand vorgeschlagen hätte“, zugunsten seines Sohnes ab.21 Ludwig I. tat damit dem geforderten Prinzip der Freiwilligkeit genüge. Aber der Thronverzicht stand im engen Zusammenhang mit der Affaire, die er mit Lola Montez, einer Tänzerin am Münchner Hoftheater und Hochstaplerin, hatte. Als der Innenminister nach ihr fahnden ließ, stand Ludwigs „resignatio“ fest. Für die Nachwelt fand sie Ausdruck in einer delikaten Karikatur (Abb. 9): Während der König seine Abdankung formuliert, versucht die Geliebte ihn zu verführen – wie Herkules am Scheideweg steht Ludwig zwischen Thron und Himmelbett: „Wie? Es soll mich dieses Bein nicht länger erfreuen? Nein! Ich danke ab!“ Auch spätere Abdankungen sind nun willkommene Motive der Karikatur. Am 9. November 1918 hatte Reichskanzler Prinz Max von Baden den Thronverzicht von Kaiser Wilhelm II. ohne vorherige Rücksprache verkündet. „Der Kaiser hat abgedankt! Es wird nicht geschossen!“ Die historische Zäsur wurde bevorzugt von ausländischen Presseillustratoren bloßgestellt.22 So druckte „The Herald“ bereits am 19 Fain, Agathon-Jean-François, Manuscrit de mil huit cent-quatorze, trouvé dans les voitures impériales prises à Waterloo, contenant l’histoire des six derniers mois du règne de Napoléon, Paris 1824, S. 406. 20 Napoléon à l’île d’Elbe. Chronique des événements de 1814 et 1815 d’après le journal du colonel Sir Neil Campbell, le Journal d’un détenu et autres documents inédits ou peu connus, pour servir à l’histoire du Premier Empire et de la Restauration, Paris 1873. 21 Zit. nach Weidner, Thomas, Lola Montez oder eine Revolution in München (Ausstellungskatalog, Münchner Stadtmuseum), Eurasburg 1998, S. 312 und 311. 22 Siehe Rebentisch, Jost, Die vielen Gesichter des Kaisers Wilhelm II. in der deutschen und britischen Karikatur (1888–1918), Berlin 2000. „Ay, no; no ay; for I must nothing be.“  

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10. Oktober 1914, der Erste Weltkrieg war gerade ausgebrochen, eine Karikatur von Will Dyson mit dem Titel „Prophecy? (Dropping the Pilot)“ (Abb. 10). Sie stellt den deutschen Kaiser dar, wie er die Kommandobrücke eines Schiffes herabsteigt, von dessen Reling ihm Germania hinterherblickt – eine bissige und in der Tat prophetische Paraphrase auf John Tenniels legendäre Karikatur „Der Lotse verläßt das Schiff “, die 1890 im satirischen Wochenblatt „Punch“ anläßlich der Entlassung des Reichskanzlers Otto von Bismarck durch Wilhelm II. erschienen war. Als Kaiser und Zar abgetreten waren und ein Jahrhundert der Demokratien und Diktaturen begann, verlor die Abdankung ihre große politische Symbolik. 1936 beschwor allerdings Edward VIII noch einmal einen Skandal im Vereinigten Königreich herauf, als er die bereits einmal geschiedene und noch verheiratete Wallis Simpson ehelichen wollte. Von Seiten der Regierung und des Parlaments wurde ihm unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß man die Eheschließung nicht dulden werde. Da aus dem gesellschaftlichen Skandal eine Verfassungskrise zu werden drohte, stimmte Edward VIII am 10. Dezember seiner Abdankung zu. Tags darauf wandte er sich von Schloß Windsor aus in einer vom Prime Minister Stanley Baldwin zensierten Radioansprache an die Briten. Er hob die Freiwilligkeit seiner Entscheidung hervor und erklärte: „I have found it impossible to carry the heavy burden of responsibility and to discharge my duties as king as I would wish to do without the help and support of the woman I love. And I want you to know that the decision I have made has been mine and mine alone. This was a thing I had to judge entirely for myself.“23 Eine Abdankung aus Liebe! Bezeichnenderweise ist kein Bild von der Unterzeichnung der Abdankungsurkunde überliefert, sondern nur ein Photo, das Edward als Privatier in seiner Bibliothek vor einem Mikrophon zeigt (Abb. 11). Noch bekannter als dieses Photo dürfte allerdings der Song „Edward the VIII“ sein, den der CalypsoMusiker Lord Caresser 1937 schrieb und der den wunderbaren Refrain hat: „It was love, love alone / That caused King Edward to leave the throne.“24 Die Sage berichtet, 23 Zit. nach Bloch, Michael, The Reign and Abdication of Edward VIII, London 1990, S. 197. 24 “Edward the VIII“, 1937, geschrieben von Rufus Callender (Caresser), gesungen von Duke of Iron, Lord Invader and Macbeth the Great, begleitet von Gerald Clark and His Invaders: Gerald Clark (Guitarre), Victor Pacheco (Violine), Gregory Felix (Klarinette), Albert Morris (Klavier), Hi Clark (Baß), Simeon and DeLeon (Drums) (siehe URL: http://www.calypsoworld.org/noflash/songs–3.htm#1; Stand: 14.05.2008). Das Lied hat folgenden Text: „Now, it’s love, love alone That cause King Edward to leave his throne. It’s love, love alone That cause King Edward to leave his throne. Yes, we know Edward is noble and great But love will cause him to abdicate. Oh, what a sad disappointment

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daß Edward, der im Zweiten Weltkrieg auf Veranlassung von Churchill als Gouverneur auf die britische Kronkolonie Bahamas ging, diesen Song mehrfach von Blind Blake, einem der großen Calypso Singer, auf Parties hat vorspielen lassen.

6. Beerenauslese Die jüngeren Abdankungen wie die von Königin Juliana der Niederlande zugunsten von Beatrix und vom luxemburgischen Grand-Duc Jean interessieren kaum mehr die politische Öffentlichkeit, allenfalls die Yellow Press. Seit Jahren spekuliert diese über eine Abdankung, die einfach nicht stattfinden möchte – die der englischen Königin Elisabeth II. Gleichwohl begegnen wir hier einem Schema, das bereits in den Hogenbergschen Kupferstichen der Abdankung von Karl V. angelegt ist. Der staatsrechtliche Vorgang wird in der Regel in zwei Photographien dokumentiert: Im Fall der niederländischen Thronübergabe am 30. April 1980 zeigt das erste die abdankende Juliana der Niederlande auf dem Balkon des Koninklijk Paleis Amsterdam im Kreise der königlichen Familie (Abb. 12a). Auf dem zweiten sieht man nur noch ihre Was endured by the British government. On the 10th of December, we heard the talk That he gave the throne to the Duke of York. He said, „I’m sorry my mother is going to grieve But I cannot help, I’m bound to leave“. Yes, we got the money, we got the talk And the fancy walk to just to suit New York. And if I can’t get a boat to set me free Well, I will walk to Miss Simpson across the sea Scepter, robes and my crown is on my mind But I cannot leave Miss Simpson behind. And if you see Miss Simpson walk in the street She can fall an angel with her body beat. Oh, how Baldwin tried to break down his plan He said, „Come what may the American Yea, they can take my crown, they can take my throne But they must leave Miss Simpson and me alone“. Oh, let the organ roll, let the church bell ring Good luck to our second bachelor king though he is gone, don’t give him bad name. For you and I might have done the same. Aspersion on Simpson, they try to cast They even said that she had a shady past. Now on the annals of history. He has left a record for intensity.“ „Ay, no; no ay; for I must nothing be.“  

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Nachfolgerin, Beatrix von Oranien-Nassau, und die Familie (Abb. 12b). Der Ab- und Auftritt auf dem Balkon veranschaulichen der Öffentlichkeit – denn längst ist das wahlberechtigte Volk der eigentliche und permanente Souverän – Abdankung und Nachfolge. Welche Rückschlüsse lassen sich aus den in ihrer Anzahl – das sei noch einmal betont – überschaubaren Darstellungen von Abdankungen ziehen? Zunächst läßt sich ein Wandel der Medien konstatieren: von der mittelalterlichen Miniatur über die Graphik und Malerei der Neuzeit sowie die Karikatur im 19. und frühen 20. Jahrhundert bis hin zu Pressephoto, Fernsehen und den Medien der Gegenwart. Mit diesem Wandel ging eine elementare Veränderung von Funktion und Rezeption einher. Ganz offensichtlich dominierte bei Darstellungen aus Mittelalter und Renaissance noch der Gedanke staatsrechtlicher Legitimität und historischer Faktizität, widergespiegelt in einer strengen Zeremonie: Alter und neuer König treten gemeinsam ab beziehungsweise auf, resignatio und Inthronisation folgen unmittelbar aufeinander. So wurde sowohl die Freiwilligkeit der Abdankung als auch die Gewährleistung der Herrschaftskontinuität betont. Bei Napoleon und Ludwig I. begegnen wir dann dem Fürsten, der, einsam oder nur von seinen letzten Weggefährten umgeben, die Abdankungsurkunde unterzeichnet. Zum einen erhielt die Unterzeichnung dadurch den „Status einer alle anderen Authentisierungen ersetzenden obligatorischen Geste“, zum anderen ließ sich der Abdankende im Moment der Ohnmacht zum tragischen Helden stilisieren.25 Nachdem im 19. Jahrhundert die Abdankung von der Karikatur, vor allem aber von der Literatur als Gegenstand entdeckt wurde, verlor sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre staatsrechtliche Symbolik und wurde zum Thema der Boulevardpresse. Insofern beschreiben die Beispiele auch die Geschichte der europäischen Monarchien und ihres Niedergangs. Bezeichnenderweise ist der Begriff „Abdankung“ heute in Fachwörterbüchern und Lexika kaum mehr verzeichnet. Er scheint für das zeitgenössische politische, historische oder staatsrechtliche Verständnis seine Relevanz verloren zu haben. Und so hat auch keine der Darstellungen Geschichte gemacht, kaum eine hat Eingang in unser kollektives Gedächtnis gefunden. Dann schon eher der Ausspruch, mit dem Sachsens letzter König Friedrich August III. nach der Novemberrevolution abgedankt haben soll: „Macht euern Dreck alleene!“26 Um sich alsdann auf Schloß Guteborn eine Beerenauslese zu genehmigen.

25 Bauer, Markus, „Das große Nein – Zum Zeremoniell der Resignation“, 1995, S. 114. 26 Siehe Fellmann, Walter, Sachsens letzter König, Friedrich August III., Berlin 1992.

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Quellen- und Literaturverzeichnis Bauer, Markus, „Das große Nein – Zum Zeremoniell der Resignation“, in: Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn (Hrsg.), Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Tübingen 1995, S. 99–124. Bloch, Michael, The Reign and Abdication of Edward VIII, London 1990. Conrads, Norbert, Die Abdankung Kaiser Karls V. Abschiedsvorlesung, gehalten am 23. Juli 2003 in der Universität Stuttgart, Stuttgart 2003. Fain, Agathon-Jean-François, Manuscrit de mil huit cent-quatorze, trouvé dans les voitures impériales prises à Waterloo, contenant l’histoire des six derniers mois du règne de Napoléon, Paris 1824. Fellmann, Walter, Sachsens letzter König, Friedrich August III., Berlin 1992. Fleckner, Uwe, „Napoleon am Scheidewege. Paul Delaroches ‚Napoleon I. in Fontainebleau‘ und die Ikonographie des Gallischen Herkules“, in: Ders., / Martin Schieder / Michael Zimmermann (Hrsg.), Jenseits der Grenzen. Französische und deutsche Kunst vom Ancien Régime bis zur Gegenwart. Thomas W. Gaehtgens zum 60. Geburtstag, Bd. 2, Köln 2000, S. 145–167. Froissart, Jean Chroniques, in: Ders., Œuvres, hrsg. von Baron Kervyn de Lettenhove, Bd. 16, 1867–1877, (ND Osnabrück 1967). Hoozee, Robert u.a., Mise-en-scene. Keizer Karel en de verbeelding van de negentiende eeuw (Ausstellungskatalog, Antwerpen, Mercatorfonds; Gent, Museum voor Schone Kunsten), Antwerpen 1999. Horn, Hendrik, „The ‚Allegory on the Abdication of the Emperor Charles V‘ by Frans Francken II: Some Observations on the Iconography of Antwerp’s Plight in the Early Seventeenth Century“, in: Revue d’art canadienne – Canadien Art Review, 13–1 / 1986, S. 23–30. Jussen, Bernhard (Hrsg.), Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005. Kantorowicz, Ernst, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990. Lünig, Johann Christian, Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien […], Leipzig 1720. Mayer, Mathias, „Individualität und Zurückhaltung. Die Resignation Karls des Fünften in Brüssel“, in: Ders. (Hrsg.), Kaiser Karl der Fünfte. Rede vor den Generalstaaten der Niederlande am 25. Oktober 1555 in Brüssel, Hamburg 2001, S. 17–53. Ders., Die Kunst der Abdankung. Neun Kapitel über die Macht der Ohnmacht, Würzburg 2001. Napoléon à l’île d’Elbe. Chronique des événements de 1814 et 1815 d’après le journal du colonel Sir Neil Campbell, le Journal d’un détenu et autres documents inédits ou peu connus, pour servir à l’histoire du Premier Empire et de la Restauration, Paris 1873. Rebentisch, Jost, Die vielen Gesichter des Kaisers Wilhelm II. in der deutschen und britischen Karikatur (1888–1918), Berlin 2000. Schiller, Friedrich, Werke und Briefe, Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung, Bd. 6, hrsg. von Klaus Harro Hilzinger u.a., Frankfurt / Main 2000. Schoch, Rainer, „Die ‚belgischen Bilder‘. Zu einem Prinzipienstreit der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts“, in: Karl Möseneder (Hrsg.), Streit um Bilder. Von Byzanz bis Duchamp, Berlin 1997, S. 161–179.

„Ay, no; no ay; for I must nothing be.“  

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Shakespeare, William, „Richard II.“, in: Ders., The Complete Works, hrsg. von Stanley Wells / Gary Taylor, Oxford 2006. Shakespeare, William, The tragedie of King Richard the second: With new additions of the Parliament sceane, and the deposing of King Richard, as it hath been lately acted by the Kinges Maiesties seruantes, at the Globe, London 1608. Weidner, Thomas, Lola Montez oder eine Revolution in München (Ausstellungskatalog, Münchner Stadtmuseum), Eurasburg 1998.

Verzeichnis der Abbildungen Richard II übergibt Krone und Zepter an Henri de Lancastre, in: Jean Froissart, Croniques de France, d’Angleterre […] et lieux circunvoisins, London, British Library, ms. Harley 4380, fol. 184. Abb. 2 Jacques-Louis David: Le Couronnement de l’Empereur et de l’Impératrice, 1806– 1807, 629×979 cm, Paris, Musée du Louvre. Abb. 3 Franz Hogenberg: Die Abdankung von Karl V. am 25. Oktober 1555, um 1558, Kupferstich, Amsterdam, Rijksmuseum. Abb. 4 Franz Hogenberg: Die Übernahme der Amtsgewalt in Burgund durch König Philipp II. am 25. Oktober 1555, um 1558, Kupferstich, Amsterdam, Rijksmuseum. Abb. 5 Frans Francken II.: Allegorie auf die Abdankung von Karl V. am 25. Oktober 1555 in Brüssel, um 1620, 134×172 cm, Amsterdam, Rijksmuseum. Abb. 6 Louis Gallait: Die Abdankung Kaisers Karls V. zugunsten seines Sohnes Philipps II. in Brüssel am 25. Oktober 1555, 1838–1841, Öl auf Leinwand, 485×683 cm, Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique. Abb. 7 F. Brenet (nach Vivant Denon): L’empereur Napoléon abdique XI avril MDCCCXIV, 1814, Medaille, Paris, Monnaie des Médailles. Abb. 8 Horace Vernet: Adieux de Napoléon Ier à la garde impériale à Fontainebleau, 20 avril 1814 , 1825, 98×130 cm, Privatsammlung. Abb. 9 Anonym: Es soll dieses Bein mich länger nicht erfreun?, 1848, Kreidelithographie 37,2×26,1 cm (Blatt) / 28,5×22,3 cm (Darstellung). Abb. 10 Will Dyson: Prophecy? (Dropping the pilot), in: The Herald, 10. Oktober 1914. Abb. 11 Edward VIII, Herzog von Windsor, bei der Radioansprache am 10. Dezember 1936, in der er seinen Thronverzicht erklärt, um Wallis Simpson zu heiraten. Abb. 12a/b Königin Juliana dankt zugunsten ihrer Tochter Beatrix ab, 30. April 1980 auf dem Balkon des Koninklijk Paleis in Amsterdam. Abb. 1

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Thronverzicht aus politischer Klugheit? Die Reaktionen der zeitgenössischen Öffentlichkeit auf Abdankung und Ende König Viktor Amadeus II. von Sardinien 1730–32

Jochen A. Fühner Zu Beginn der 1730er Jahre geriet das sonst vor allem aufgrund seiner geostrategischen Lage für die anderen europäischen Mächte bedeutende Königreich Sardinien ins Zentrum allgemeinen Interesses. Ursache dafür waren die bewegten letzten Lebensjahre König Viktor Amadeus II. (1666–1732). Die mit seiner Abdankung und dem gescheiterten Versuch der erneuten Machtergreifung verbundenen Ereignisse 1730 / 31 zogen die Aufmerksamkeit einer größeren Öffentlichkeit auf sich. Einige Beobachter entwickelten aus den Geschehnissen von Abdankung und unrühmlichem Ende König Viktor Amadeus II. politische Leitlinien, so Alberto Radicati di Passerano, dessen „Histoire de l’abdication de Victor-Amedée“ einer der größten publizistischen Erfolge seiner Zeit wurde. Die Untersuchung dieser Flugschrift gibt Einblicke in die Meinungsbildung in der zeitgenössischen Öffentlichkeit und ihre Reaktion zwischen Bewunderung, Vorwurf und Mitleid.

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Viktor Amadeus II. von Sardinien

Der 1666 geborene Viktor Amadeus II. wurde im Alter von neun Jahren Herzog von Savoyen. 1684 nahm er die Regierungsgeschäfte selbst in die Hand. Seine lange und erfolgreiche Herrschaft war geprägt durch den Pfälzischen und den Spanischen Erbfolgekrieg, in denen seine Länder zwischen 1690 und 1696 sowie zwischen 1703 und 1713 einer der Hauptkriegsschauplätze waren. An der Seite wechselnder Bündnispartner und besonders mit Hilfe britischer und niederländischer Subsidienzahlungen seit 1703 konnte der Herzog von Savoyen sein Herrschaftsgebiet beträchtlich erweitern. Die von Viktor Amadeus II. initiierten inneren Reformen seiner Länder bildeten die

Thronverzicht aus politischer Klugheit?  

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Grundlage für den Aufstieg Savoyen-Piemonts zu einer allseits respektierten und als Bündnispartner geschätzten Mittelmacht sowie zur Rangerhöhung seiner Dynastie.1 Im Frieden von Utrecht setzte sein Bündnispartner Großbritannien durch, dass dem Herzog von Savoyen neben umfangreichen Arrondierungen seiner norditalienischen Herrschaftsgebiete aus dem spanischen Erbe das Königreich Sizilien zugesprochen wurde.2 Am 24. Dezember 1713 ließ sich Viktor Amadeus II. in der Kathedrale von Palermo zum König von Sizilien krönen. Seinen Zeitgenossen galt diese Krönung als eine der prächtigsten, die Sizilien je gesehen hatte.3 Auch in Turin wurden anläss­ lich der Königskrönung prunkvolle Feste inszeniert.4 In den Frieden von Rastatt 1714 wurde jedoch keine Garantie der savoyischen Gebietsgewinne aufgenommen und Kaiser Karl VI. lehnte eine Anerkennung Viktor Amadeus II. als König von Sizilien ab. Wechselnde Prioritäten der britischen Außenpolitik führten in Verbindung mit einer Annäherung an das Haus Habsburg dazu, dass Viktor Amadeus II. sein Königreich Sizilien bereits 1718 wieder verlor, denn ohne massive Unterstützung durch die britische Flotte konnte er die Insel nicht wirkungsvoll verteidigen. Er musste im November 1718 den von Frankreich und Groß1

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Zu den von Viktor Amadeus II. initiierten Reformen Quazza, Guido, Le riforme in Piemonte nella prima metà del Settecento (Collezione storica del Risorgimento italiano III / 51 und 52), 2 Bde., Modena 1957; Woolf, Stuart, A History of Italy, 1700–1860. The Social Constraints of Political Change, London 1979, S. 66–69; Symcox, Geoffrey, Victor Amadeus II. Absolutism in the Savoyard State, 1675–1730 (Men in Office), London 1983, S. 118–133 und S. 190–225; sowie ders., „L’età di Vittorio Amedeo II“, in: Giuseppe Galasso (Hrsg.), Storia d’Italia, Il Piemonte sabaudo. Stato e territori in età moderna, Bd. 8.1, Turin 1994, S. 269–438, hier: S. 312–327 und S. 394–429. „… Vittorio Amedeo aveva iniziato a disegnare per lo Stato sabaudo un nuovo ruolo nell’ambito della politica europea e a sviluppare un processo di espansione che sarebbe continuato fino al 1748. … Non si deve però attribuire la spinta riformatrice interamente al bisogno di ripresa all’indomani di una guerra rovinosa, o alla necessità di potenziare l’esercito. Vittorio Amedeo cercava anche di estendere l’autorità del governo centrale in ogni angolo dello Stato, di porre un freno all’autonomia locale e di sottomettere la nobiltà e il clero.“ Ebd., S. 313. Vgl. Symcox, Geoffrey, „Britain and Victor Amadeus II: Or, the Use and Abuse of Allies“, in: Stephen B. Baxter (Hrsg.), England’s Rise to Greatness, 1660–1763 (Publications from the Clark Library professorship, UCLA 7), Berkeley / Los Angeles / London 1983, S. 151–184, hier: S. 167–170, und ders., „L’età di Vittorio Amedeo II“, S. 365–367. Zur Bedeutung, die Viktor Amadeus II. der Allianz mit Großbritannien zumaß, vgl. Storrs, Christopher, „Savoyard Diplomacy in the Eighteenth Century (1684–1798)“, in: Daniela Frigo (Hrsg.), Politics and Diplomacy in Early Modern Italy. The Structure of Diplomatic Practice, 1450–1800 (Cambridge Studies in Italian History and Culture ), Cambridge 2000, S. 210–253, hier: S. 232f. Vgl. Symcox, Geoffrey, Victor Amadeus II, 1983, S.  164–175, und ders., „L’età di Vittorio Amedeo II“, 1994, S. 373. Vgl. Kessel, Lydia, „Le feste della corte sabauda“, in: Valerio Castronovo (Hrsg.), Storia illustrata di Torino, Torino sabauda, Bd. 2, Mailand 1992, S. 521–540, hier: S. 522–526.

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britannien favorisierten Plänen zustimmen und zugunsten Kaiser Karls VI. auf das Königreich Sizilien verzichten, als Entschädigung wurde ihm das Königreich Sardinien zugesprochen.5 Viktor Amadeus II. dankte 1718 / 19 nicht ab, er erklärte lediglich seinen Verzicht auf das Königreich Sizilien zugunsten Kaiser Karls VI. Im Mai 1719 übergab sein Vizekönig Maffei das Königreich Sizilien dem Oberbefehlshaber eines kaiserlichen Expeditionskorps. Während sich der Herzog von Savoyen im Dezember 1713 in der Kathedrale von Palermo in einer spektakulären Zeremonie, die europaweit Aufsehen erregte, zum König von Sizilien hatte krönen lassen, verlief sein Herrschaftsantritt in Sardinien weitaus bescheidener: Am 4. August 1720 landete Vizekönig Saint-Rémy in Cagliari, um die Insel im Namen von Viktor Amadeus II. in Besitz zu nehmen. Sein neues und dauerhaft behauptetes Königreich Sardinien hat Viktor Amadeus II. kein einziges Mal betreten.6

2. Abdankung und Ende König Viktor Amadeus II. Welche Gründe bewegten diesen außerordentlich erfolgreichen Herrscher zur Abdankung?7 Mit zunehmendem Alter litt Viktor Amadeus II. unter verschiedenen Krankheiten. Viele seiner Familienangehörigen und seiner engsten Berater waren gestorben, so dass sich der König in der zweiten Hälfte der 1720er Jahre zunehmend isoliert fühlte und über einen Rückzug ins Privatleben nachdachte.8 Sein Vorfahr Amadeus VIII. hatte sich einst dazu entschlossen. Und die Abdankung seines Schwiegersohnes Philipp V. von Spanien zugunsten seines Enkels Ludwig lag erst wenige Jahre zurück. Eine Frage stellt sich dabei im Hinblick auf den Verlauf der Ereignisse in Piemont 1730 / 31: Inwiefern war nicht nur die Abdankung im Januar 1724, sondern auch die erneute Übernahme der Krone nach dem Tod des Thronfolgers siebenein-

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Vgl. Storrs, Christopher, „Ormea as Foreign Minister: The Savoyard State between England and Spain“, in: Andrea Merlotti (Hrsg.), Nobiltà e Stato in Piemonte. I Ferrero d’Ormea. Atti del convegno Torino – Mondovì, 3–5 ottobre 2001 (Nobiltà e Stato in Piemonte, Bd. 1), Turin 2003, S. 231–248, hier: S. 236f.; Symcox, Geoffrey, Britain and Victor Amadeus II, 1983, S. 170f., und ders., „L’età di Vittorio Amedeo II“, 1994, S. 379–385. Vgl. Symcox, Geoffrey, Victor Amadeus II, 1983, S.  175–183, und ders., „L’età di Vittorio Amedeo II“, 1994, S. 386–388. Zur Abdankung König Viktor Amadeus II. von Sardinien vgl. Symcox, Geoffrey, Victor Amadeus II, 1983, S. 226–233, und ders., „L’età di Vittorio Amedeo II“, 1994, S. 430–438. Vgl. Quazza, Guido, Le riforme in Piemonte nella prima metà del Settecento, 1957, S. 22f. Thronverzicht aus politischer Klugheit?  

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halb Monate später durch Philipp V. von Spanien ein Vorbild für die Abdankung und den Versuch der erneuten Machtergreifung Viktor Amadeus II. von Sardinien?9 Die Beziehung des alten Königs zu seinem Thronerben Karl Emanuel war seit langem von großen Spannungen geprägt. Dennoch hatte Viktor Amadeus II. seinen Sohn seit 1727 intensiv auf seine künftigen Aufgaben vorbereitet und ihn auf Inspektionsreisen durch alle Provinzen geschickt, um ihn mit den lokalen Gegebenheiten und Problemen vertraut zu machen.10 Anfang 1730 schien der Entschluss des Königs festzustehen, den er am 22. April diesen Jahres dem französischen Geschäftsträger Louis-Augustin Blondel in einem Gespräch unter vier Augen andeutete.11 Unter größter Geheimhaltung bereitete Viktor Amadeus II. nun seine Abdankung vor. Sein Sekretär Lanfranchi unterstützte ihn bei der Ausarbeitung der juristischen Formeln und des zeremoniellen Procedere.12 Am 12. August 1730 heiratete der König Vgl. Kamen, Henry, Philip V of Spain. The King who Reigned Twice, New Haven / London 2001, S. 139–152. 10 „Il giovane Carlo Emanuele non destò mai il suo affetto; Vittorio Amedeo lo trattava con freddo disdegno, chiamandolo tardo di mente, e lo trascurò finché la morte del primogenito non lo costrinse, sia pure con riluttanza, a interessarsi di questo disprezzato secondogenito. Carlo Emanuele ricevette un’istruzione funzionale ai compiti che lo attendevano, e fu sottoposto a un severo regime personale. Vittorio Amedeo lo costrinse ad abbandonare la caccia, che era il suo divertimento preferito, e regolamentò persino i suoi rapporti con la moglie.“ Symcox, Geoffrey, „L’età di Vittorio Amedeo II“, 1994, S. 277. Vgl. Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne par Mr. Blondel, Chargé des Affaires de France à Turin (Memorie aneddotiche sulla Corte di Sardegna del Conte di Blondel, Ministro di Francia a Torino, sotto i Re Vittorio Amedeo II e Carlo Emanuele III)“,  hrsg. von Vincenzo Promis, in: Miscellanea di Storia Italiana, 13 / 1871, S. 459–693, hier : S. 480–488, 491f. und 616f. Zu König Karl Emanuel III. von Sardinien (1701–73) vgl. Oliva, Gianni, I Savoia. Novecento anni di una dinastia, Mailand 1998, S. 308–314; Rice, Geoffrey, „Lord Rochford at Turin, 1749–55: A Pivotal Phase in Anglo-Italian Relations in the Eighteenth Century“, in: Jeremy Black (Hrsg.), Knights Errant and True Englishmen: British Foreign Policy, 1660–1800, Edinburgh 1989, S. 92–112, hier: S. 94f., und Ricuperati, Giuseppe, „Il Settecento“, in: Giuseppe Galasso (Hrsg.), Storia d’Italia, Il Piemonte sabaudo. Stato e territori in età moderna, Bd. 8.1, Turin 1994, S. 439–834, hier: S. 441–448. 11 Zu Louis-Augustin de Blondel (1696–nach 1760), Chargé d’Affaires in Turin von 1728 bis 1732, vgl. Horric de Beaucaire, Charles P. (Hrsg.), Recueil des instructions données aux ambassadeurs et ministres de France depuis les traîtés de Westphalie jusqu’à la Révolution française, Savoie-Sardaigne des origines jusqu’en 1748, Bd. 14, Paris 1899, S. 359f. 12 Viktor Amadeus „… ne s’occupa secrètement avec son secrétaire de cabinet Lanfranchi qu’à rassembler tous les mémoires de son administration, les états détaillés de toutes les parties du gouvernement, et à dresser des mémoires en forme de conseils pour toutes les conjonctures où son fils pourrait se trouver à l’avenir: il dressa aussi les minutes de tous les ordres que lui et son fils auraient à donner en conséquence de l’événement qu’il projetait soit aux gouverneurs et commandans des provinces et des villes, soit au clergé et aux magistrats, ainsi que les lettres de notification aux Puissances étrangères, et il travailla lui-même l’acte d’abdication, et il ne fit 9

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die Gräfin von San Sebastiano, die ihm nach seinem Rückzug ins Privatleben Gesellschaft leisten sollte, und der er als Hochzeitsgeschenk das Marchesat von Spigno übertrug.13 Nicht einmal sie schien er über seine bevorstehende Abdankung informiert zu haben. Zwischen dem 9. und 14. August 1730 wechselte Viktor Amadeus II. die Hälfte seiner Minister und leitenden Beamten und ernannte Carlo Luigi Caissotti14 zum Präsidenten des Senats.15 Fähige Mitarbeiter, die ihm bereits viele Jahre lang gedient hatten und sein Vertrauen genossen, standen damit an der Spitze der Regierung.16 Die formelle Abdankung König Viktor Amadeus II. erfolgte am 3. September 1730 im Schloss von Rivoli.17 Nach der Staatsratssitzung betrat Viktor Amadeus II.

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délivrer toutes ces minutes à ses secrétaires d’État pour être expédiées que la surveille de son abdication, leur recommandant de contenir tellement leurs commis, qu’il n’en pût transpirer rien dans le public.“ Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 508. Vgl. ebd., S. 492–498 und 503–507. Anna Carlotta Teresa Canalis di Cumiana (1680–1769) diente der Mutter Viktor Amadeus II. ab 1695 als Hoffräulein. 1703 heiratete sie den Conte di San Sebastiano, der auch den Sohn anerkannte, mit dem sie (wahrscheinlich von Viktor Amadeus II.) schwanger war. Nach dem Tod ihres Mannes 1724 wurde sie Hofdame der zweiten Gemahlin des Thronfolgers Karl Emanuel. Nachdem Viktor Amadeus II. 1732 gestorben war, zog sie sich in den Convento della Visitazione in Pinerolo zurück. Vgl. Symcox, Geoffrey, Victor Amadeus II, 1983, S.  229, Anm. 3, und ders., „L’età di Vittorio Amedeo II“, 1994, S. 432, Anm. 2. Carlo Luigi Caissotti (1694–1779) wurde am 10. August 1730 von König Viktor Amadeus II. zum Präsidenten des Senats von Piemont ernannt, 1768 übertrug ihm König Karl Emanuel die Würde des Gran Cancelliere. Vgl. Quazza, Guido, Le riforme in Piemonte nella prima metà del Settecento, 1957, S. 52f. Viktor Amadeus II. ernannte Gian Cristoforo Zoppi zum Gran Cancelliere, Victor Amedée Chapel de Saint Laurant zum Generale delle Finanze und den Marchese d’Ormea zum Primo Segretario degli Interni. Gian Ciacomo Fontana, seit 1728 Primo Segretario di Guerra, wurde zum Ministro di Stato befördert. Vgl. Ricuperati, Giuseppe, „Il Settecento“, 1994, S. 454–457, 469 und 515. „La scelta di subordinati fedeli ed efficienti fu un elemento essenziale del sistema di governo di Vittorio Amedeo. Egli li sottoponeva a stretta sorveglianza, … Li teneva a briglie strette e non lasciava loro spazio per iniziative autonome. Non si incontrò mai con il Consiglio dei ministri al completo, ma si consultava separatamente con ogni membro e decideva poi da solo quale linea seguire; a volte incoraggiava le rivalità tra i ministri … Il sovrano si circondò di un gruppo di collaboratori esperti e competenti in ogni sfera degli affari di stato e abbastanza privi di scrupoli da eseguire qualsiasi ordine. E per quanto la loro fedeltà si indirizzasse alla persona di Vittorio Amedeo, questi con il suo esempio inculcava un ideale di servizio allo Stato anziché alla persona del sovrano che trascendeva la vecchia concezione della fedeltà personale per sostituirla con il senso di un dovere più alto nei confronti dell’impersonale entità pubblica dello Stato.“ Symcox, Geoffrey, „L’età di Vittorio Amedeo II“, 1994, S. 275f. Die Aufforderung an die Würdenträger, sich am 3. September 1730 nachmittags um 3 Uhr in Rivoli einzufinden, war erst einen Tag zuvor ergangen. Blondel, Louis-Augustin de, „AnecThronverzicht aus politischer Klugheit?  

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zusammen mit seinem Sohn Karl Emanuel und dessen Frau Polyxena den großen Saal, in dem sich alle Minister und die wichtigsten Würdenträger des Hofs versammelt hatten.18 In einer kurzen und bewegenden Ansprache übergab er die Herrschaft an Karl Emanuel, brachte sein Vertrauen in die Fähigkeiten seines Sohnes zur Ausübung des Herrscheramts zum Ausdruck und bat die Minister und Würdenträger, seinem Nachfolger ebenso loyal zu dienen, wie sie ihm bisher gedient hatten.19 Später am Abend erklärte der König dem französischen Geschäftsträger Blondel, der Grund für seine Abdankung sei seine sich stetig verschlechternde Gesundheit. Der Brief, in dem König Karl Emanuel seinen Neffen Ludwig XV. von Frankreich über den Thronwechsel unterrichtete, wurde noch am selben Abend ausgefertigt.20 Am folgenden Tag verließ Viktor Amadeus II. Piemont und zog sich mit der Marchesa di Spigno und einem kleinen Gefolge nach Chambéry zurück. Eine jährliche Pension in Höhe von 150.000 Lire sollte ihm dort ein standesgemäßes Leben ermögdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 509f. Zum Castello di Rivoli vgl. Canavesio, Walter, Piemonte Barocco (Patrimonio Artistico Italiano), Mailand 2001, S. 223–231. 18 Vgl. Carutti, Domenico, Storia della diplomazia della corte di Savoia, Bd. 4, Rom / Turin /  Florenz 1880, S.  624. Zu Polyxena Christina Johanna von Hessen-Rotenburg-Rheinfels (1706–35), zweiter Gemahlin König Karl Emanuels III., vgl. Franz, Eckhart G., Das Haus Hessen. Eine europäische Familie, Stuttgart 2005, S. 115, und Kaufmann, Alexander, „Die Königin Polyxene von Sardinien, eine deutsche Fürstentochter“, in: Forschungen zur deutschen Geschichte, 11 / 1871, S. 1–12. 19 „ A l’heure marquée il [Viktor Amadeus] tint conseil d’État dans lequel il déclara qu’il allait faire son abdication générale de son royaume et de ses États en faveur de son fils Mr le Prince de Piémont: ensuite il entra dans le grand salon où tout le monde était assemblé, et où le marquis del Borgo secrétaire d’État lut à haute et intelligible voix l’acte d’abdication, après quoi ce Prince fit un discours énergique et tendre, mais court, dans lequel il expliqua les motifs de sa résolution fondée sur son âge et ses infirmités, témoignant que sa consolation était grande (présentant son fils à toute l’assemblée), en ce qu’il lui avait reconnu toute la capacité requise pour bien gouverner, ayant des preuves de sa justice en tout, de son amour pour les peuples, et de son secret dans les différens affaires d’État; ensuite tenant son fils par la main, il fit le tour de tout le cercle, rappela à son fils les services de chacun, et parla à chaque membre de l’assemblée avec une fermeté, un courage héroïque et une tendresse qui arracha les larmes à toute l’assemblée. … Dans le moment il ne put retenir les siennes, mais il s’efforça à consoler tout le monde, … après quoi il invita tout le monde à assister au Te Deum pour remercier Dieu de l’avoir éclairé pour vaquer avec plus de liberté à la grande affaire de son salut et pour avoir en même tems la consolation de voir régner son fils glorieusement vis-à-vis toute l’Europe et tendrement envers ses sujets.“ Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 510f. 20 Vgl. die Kopie des Briefs von Karl Emanuel an Ludwig XV. bei Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 637. Die Benachrichtigung der sardischen Gesandten an anderen Höfen dauerte länger: So wurde der noch als Botschafter an der Kurie in Rom akkreditierte Marchese d’Ormea erst mehr als eine Woche später über den Thronwechsel informiert. Vgl. ebd., S. 515–518.

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lichen.21 Sein Sohn hatte ihm versprochen, wöchentlich ein Bullettin zu senden, das ihn über alle Regierungsentscheidungen informierte. Begann der alte König bereits zu diesem Zeitpunkt an den Fähigkeiten seines Sohnes zu zweifeln oder hatte er nie beabsichtigt, die Regierungsgeschäfte definitiv abzugeben? Folgte er dabei wiederum dem Vorbild seines Schwiegersohnes Philipp V. von Spanien, der nach seiner Abdankung 1724 den jungen König Ludwig I. und seine Regierung in Madrid von San Ildefonso aus durch seinen ersten Minister Marques de Grimaldo hatte leiten lassen?22 Jedenfalls versuchte Viktor Amadeus II., die Führung der Staatsgeschäfte in Turin von Chambéry aus mittels Korrespondenz zu lenken. Außerdem setzte er seinen Briefwechsel mit den sardischen Gesandten an den europäischen Höfen fort und gab ihnen Anweisungen, die immer häufiger mit den Direktiven der Turiner Regierung kollidierten.23 König Karl Emanuel und der Marchese d’Ormea, sein wichtigster Ratgeber, erkannten schnell, dass Viktor Amadeus sein Interesse am politischen Geschehen keineswegs verloren hatte, sondern dass er ihre Handlungen und damit die Staatsgeschäfte weiterhin lenken wollte – und dass dies zu einer Spaltung des königlichen Machtmonopols führte: Zwei konkurrierende Machtzentren, eines mit dem jungen König und Ormea an der Spitze in Turin und ein zweites in der Person des alten Königs jenseits der Alpen in Chambéry, stellten die Stabilität der Herrschaft der Dynastie Savoyen in Frage. Der Marchese d’Ormea „… ne cessait d’assurer et de dire à ceux qui le sollicitaient, ou pour grâces, ou pour expéditions d’affaires qu’il fallait qu’ils attendissent la décision de Chambéry, disant à chacun à l’oreille: „Nous avons à Turin la représentation, mais l’organe qui fait jouer les marionettes est en Savoie“. Le public en était si persuadé que le bruit en était général à Turin, ce que faisait perdre tout crédit au Roi Charles, dont l’amour propre fut très choqué de voir le peu de confiance que ses sujets avaient en lui, et qu’on fit croire dans l’Europe que son père ne lui avait transmis qu’un fantôme de royauté sans la liberté de la décision.“24 Das geringe Vertrauen des alten Königs in die Fähigkeiten seines Sohnes trug wesentlich zur Eskalation des Konflikts bei, denn Karl Emanuel wollte sich nicht länger von seinem Vater bevormunden lassen. In einem undatierten Brief erinnerte er Viktor Amadeus daran, dass sein Entschluss zur Abdankung eine freiwillige Entscheidung gewesen sei, 21 Viktor Amadeus hatte sich vorbehalten: „… un attelage, quatre valets de pied, un valet de chambre, deux cuisiniers et cent cinquante milles livres de revenu…“ Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 513. 22 Vgl. Kamen, Henry, Philip V of Spain, 2001, S. 148f. 23 Vgl. Storrs, Christopher, „Savoyard Diplomacy in the Eighteenth Century“, 2000, S. 227 und 234f. 24 Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 527. Thronverzicht aus politischer Klugheit?  

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„… colla quale V. M. per moto suo proprio, e non solamente senza che io, in forma alcuna, né diretta, né indiretta, n’abbi contribuito, che anzi V. M. ben sa le tenere e vive mie rappresentazioni in quella congiuntura, ha voluto risolutamente cedermi, e m’ha, effettivamente ceduto l’intiero governo de’stati, la sua dignità e tutta l’autorità reale con tutto, ciò che ne dipende con volere che d’allora in avvenire a me solo tutti dovessero ubbidire, e considerarmi legittimo sovrano e signore…“ Als König wolle er dem leuchtenden Vorbild seines Vaters folgen: „… applicandomi io stesso senza dipendenza da altri, al governo degli stati, amministrando la giustizia secondo i veri dettami della coscienza, ch’è quella che si ha da render conto a Dio, e sostenendo con tutta la fermezza propria e degna d’un sovrano l’autorità reggia ed il mio onore.“ Dadurch werde er der mit seinem Amt verbundenen Verantwortung in jeder Hinsicht gerecht: „Adempiendo a questa forma a quello che devo a Dio, allo stato, a V. M., a me stesso, ed al mondo tutto, non posso se non che essere persuaso che la pietà, la giustizia, l’affetto, il zelo d’onore, e tutte quelle altre virtù da V. M. possedute in grado cotanto eroico, concorrono a farli approvare e gradire questi sentimenti…“25 Anfang Februar 1731 erlitt Viktor Amadeus II. einen Schlaganfall, doch er erholte sich rasch. Die Krankheit bot Ormea den Anlass, das wöchentliche Bulletin über die Staatsgeschäfte nicht mehr nach Chambéry zu senden. Im März reiste der junge König nach Savoyen und fand seinen Vater bei guter Gesundheit und in guter Stimmung vor.26 Anlässlich eines weiteren Besuchs von König Karl Emanuel in Chambéry kam es im Juli 1731 allerdings zu heftigen Auseinandersetzungen: Viktor Amadeus bezeichnete seinen Sohn als Dummkopf („imbecille“), der sich von seinen Ministern führen lasse, und warf ihm vor, ihn nicht mehr ausreichend über die Staatsgeschäfte zu informieren. Obwohl die Minister einen Eid auf Karl Emanuel geleistet hätten, habe er sie nie formell von dem ihm geleisteten Eid und damit der Treuepflicht ihm gegenüber entbunden, sodass er seinen Anspruch auf ihre Loyalität weiterhin geltend mache.27 Überstürzt kehrte Karl Emanuel nach Turin zurück. Sein Vater verließ Chambéry am 23. August, überquerte die Alpen und ließ sich im Schloss von Moncalieri südlich von Turin nieder.28 Als Karl Emanuel ihn dort besuchte, wurde er mit eisiger Miene empfangen. Viktor Amadeus forderte, künftig wieder über alle Staatsgeschäfte auf dem Laufenden gehalten zu werden. Er verlangte, die diplomatische Korrespondenz mit der Kurie gemeinsam mit seinem Sohn zu unterzeichnen. Außerdem sollten die 25 Undatierter Brief Karl Emanuels im Archivio di Stato di Torino, Archivio di Corte, Real Casa, Storia Real Casa, cat. 3, Storie particolari, mazzo 76, fasc. 5, zitiert nach Ricuperati, Giuseppe, „Il Settecento“, 1994, S. 445f. 26 Vgl. Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 530–541. 27 Vgl. ebd., S. 547–549. 28 Zum Castello di Moncalieri vgl. Canavesio, Walter, Piemonte Barocco, 2001, S. 291f.

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Minister seines Sohnes seinen Befehlen Folge leisten. Erneut stellte er die Gültigkeit seiner Abdankung in Frage, da er seine Untertanen niemals von dem ihm geleisteten Treueid entbunden habe. Karl Emanuel und Ormea befürchteten nun, dass der in ihren Augen verwirrte Ex-Souverän, der seinen Staat in den falschen Händen wähnte und sein Lebenswerk ruiniert sah, Pläne schmiedete, um seinen Thron zurückzugewinnen. Am 16. September 1731 befahl Viktor Amadeus schließlich Ormea und Caissotti nach Moncalieri und erklärte ihnen, dass er entschlossen sei, die Staatsgeschäfte wieder selbst zu führen, da sich die Regierung seines Sohnes in Intrigen verzettele und sofort wieder Ordnung hergestellt werden müsse. Seine Abdankung sei nie rechtskräftig geworden und sein Sohn müsse deshalb seinen Befehlen gehorchen. Viktor Amadeus II. war nach Ansicht seiner Gegner zu diesem Zeitpunkt bereits geistig verwirrt, soll sich in die wildesten Pläne verstiegen und ständig von Verschwörungen gesprochen haben. Auf jeden Fall stellte er eine Bedrohung für das neue Regime und die Stabilität des Staates dar. Als er am 26. September 1731 zudem erklärte, er wolle nach Mailand aufbrechen und den Kaiser als Schlichter im Streit zwischen ihm und seinem undankbaren Sohn sowie dessen treulosen Ministern anrufen, provozierte er eine Intervention des mächtigsten Gegners des Hauses Savoyen in interne Familienund Staatsangelegenheiten.29 Karl Emanuel fürchtete seinen jähzornigen Vater nach wie vor. Schließlich bewegte ihn Ormea dazu, die Minister und den Erzbischof von Turin zu einer Krisensitzung des Staatsrats einzuladen. Nachdem Ormea eindringlich vor Verschwörungen, die sich um die Person des alten Königs bilden und die zum Bürgerkrieg und zur Intervention anderer Mächte führen könnten, gewarnt hatte, beschloss der Staatsrat am Abend des 28. September einstimmig, Viktor Amadeus sofort zu verhaften. In der Nacht vom 28. auf den 29. September 1731 ritt eine Abteilung Grenadiere und Dragoner unter dem Kommando von Louis Picon de la Pérouse30 nach Moncalieri und drang in das Schlafzimmer von Viktor Amadeus und der Marchesa di Spigno ein. „… quand on a arrêté le Roi Victor il n’a pas voulu obéir, et au contraire a voulu commander, en protestant contre la nullité de son abdication, en disant qu’il était le Roi et qu’il n’avait point dégagé ses sujets du serment de fidelité qu’ils lui avaient

29 Vgl. Carutti, Domenico, Storia della diplomazia della corte di Savoia, Bd. 4, Rom / Turin / Florenz 1880, S. 13. 30 Oberst Graf Louis Picon de la Pérouse war einer der engsten Vertrauten des Marchese d’Ormea. Vgl. Reumont, Alfredo, „Lettere di Polissena Regina di Sardegna sull’abdicazione e prigionia di Vittorio Amedeo II“, in: Archivio Storico Italiano, 4. Reihe, 11 / 1883, S. 216–223, hier: S. 221. Thronverzicht aus politischer Klugheit?  

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prêté; qu’il ne présumait pas que qui que ce soit fût assez hardi pour mettre la main sur lui, puisqu’il était personne sacrée…“31 Der alte König wurde in einer Kutsche nach Rivoli gebracht und dort in hastig als Gefängnis hergerichteten Räumen unter strenge Bewachung gestellt, seine Frau in die als Besserungsanstalt für Prostituierte dienende Festung von Ceva überführt. Eine heikle Frage war nun, wie der Turiner Hof den europäischen Mächten und den verwandten Monarchen, besonders den französischen und spanischen Königen, die Ereignisse erklären sollte. Alles, was auf eine zunehmende Altersdemenz Viktor Amadeus II., überhaupt auf eine Beeinträchtigung seines Geisteszustandes schließen lassen könnte, war peinlichst zu vermeiden – hätten sich doch daraus eventuell Schlüsse auf die gegenwärtige oder zukünftige physische oder psychische Verfassung seiner Enkel König Ludwig XV. von Frankreich und des Prinzen Ferdinand von Asturien ziehen lassen.32 Welche offizielle Erklärung konnte König Karl Emanuel also in Umlauf bringen lassen? Ormea löste das Problem: Er führte die Eskalation der Familientragödie auf den fehlgeleiteten Ehrgeiz der Marchesa di Spigno zurück, der er unterstellte, mit Hilfe ihrer Verwandten eine Verschwörung gegen den jungen Herrscher angezettelt zu haben.33 Nach einigen diplomatischen Instanzen seitens des französischen Geschäftsträgers Blondel und einem intensivierten Briefwechsel Karl Emanuels mit Kardinal Fleury wurde das Thema ad acta gelegt.34

31 Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 553. Vgl. ebd., S. 559–563. 32 Vgl. ebd., S. 576f. Seinem Gesandten Ossorio in London teilte König Karl Emanuel III. lapidar mit: „Le roi mon père s’est trouvé depuis quelque temps sujet à des embarras de tête, qui en jettant la confusion dans son esprit, l’exposent à des impétuosités et à des égarements peu conformes à une raison claire et tranquille.“ Zitiert nach Venturi, Franco, Alberto Radicati di Passerano. Prefazione di Silvia Berti (Gli Imprescindibili), Turin 2005, S. 143. 33 André Biver hält ein auf den 9. Oktober 1731 datiertes, heute in der Bibliothèque municipale von Chambéry aufbewahrtes Manuskript für einen Entwurf Ormeas zu einem Schreiben an die europäischen Höfe. Einem detaillierten Bericht über die Ereignisse, die im September 1731 zur Internierung Viktor Amadeus II. geführt hatten, folgt der Hinweis auf einen geplanten Anschlag auf König Karl Emanuel: „On dit que dans une lettre du medecin Ricca [Leibarzt König Viktor Amadeus II.], il y avoit ces termes, Nous sommes àsseurés de la succession, nous avons deux princes, et la Reyne est enceinte : on voit que le dessein étoit d’empoissonner [sic] le Roy Charles Emanuël.“ Biver, André (Hrsg.), „L’arrestation du roi Victor“ , in: Mémoires et Documents publiés par la Société Savoisienne d’histoire et d’archéologie, 63 / 1926, S. 191–196, hier: S. 196. Vgl. Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 685–688. 34 Vgl. die Instruktion für den französischen Geschäftsträger Blondel vom 6. November 1731 in Horric de Beaucaire, Charles P., Recueil des instructions, 1899, S. 362, und Carutti, Domenico, Recueil des instructions, Bd. 4, 1880, S. 19f.

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Einige Personen aus der Umgebung des alten Königs und Verwandte der Marchesa di Spigno waren verhaftet, aber wieder freigelassen worden, nachdem sich herausstellt hatte, dass nie ein Umsturz geplant war.35 Selbst die Marchesa di Spigno durfte einige Monate später zu ihrem Gatten ins Schloss von Rivoli zurückkehren.36 Sein letztes Lebensjahr verbrachte Viktor Amadeus II. von Sardinien in strenger Haft ohne jeden Kontakt zur Außenwelt. Da König Karl Emanuel das Schloss von Rivoli wieder selbst nutzen wollte, wurden die beiden Gefangenen am 12. April 1732 ins Schloss von Moncalieri verlegt, wo der alte König am 31. Oktober 1732 starb.37 Nach einer prunkvollen Trauerfeier im Dom von Turin wurde er in der Familiengrablege bestattet.38 Erst sein Enkel Viktor Amadeus III. ließ den Leichnam in die Krypta der Superga überführen, die Viktor Amadeus II. als seine letzte Ruhestätte hatte bauen und ausstatten lassen.39 Wieso scheiterte die Abdankung König Viktor Amadeus II. von Sardinien und führte zur temporären Destabilisierung der Herrschaft seiner Dynastie? Maßgeblich trug dazu die mangelnde Einbeziehung der Eliten und der Öffentlichkeit im Rahmen des Herrschaftswechsels bei: Viktor Amadeus bereitete seine Abdankung zusammen mit seinem Sekretär Lanfranchi hinter dem Rücken der politischen Elite vor, er legte den offiziellen Termin der Herrschaftsübergabe extrem kurzfristig fest und mischte sich entgegen seinen Versprechungen weiterhin massiv in die Staatsgeschäfte ein. Die fast ein halbes Jahrhundert währende Konzentration des Regiments und der Dynastie auf die Person des alten Königs hatten diesem in seinen Staaten und in Europa zu einer sehr hohen Reputation verholfen, während dem jungen König eine ausreichende Reputation zunächst noch fehlte. Nicht außer Acht gelassen werden dürfen zudem die spezifischen Verhältnisse in Savoyen-Piemont, denn die langandauernden Kriege und die tiefgreifenden Reformen König Viktor Amadeus II. im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts hatten einen institutionellen Ordnungs- und Traditionsverlust nach sich gezogen. Deshalb sahen viele seiner ehemaligen Untertanen auch nach seiner Ab35 Vgl. Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 584f. 36 Der französische Geschäftsträger Blondel berichtete am 17. November 1731 nach Versailles: „Il n’y a encore aucun adoucissement au sort du Roi Victor et de madame la marquise de Spigno; au contraire l’un et l’autre son[t] gardés plus étroitement, je ne serais point étonné si on les rejoignit dans peu, car le public commence à crier et à parler haut: le Roi de Sardaigne et ses ministres ne sont retenus sur cette démarche que parce qu’ils craignent, que cette marquise ne rende compte au Roi Victor de l’indignité avec laquelle elle a été traitée depuis son arrêt, ayant été prisonnière dans le château de Cève, où ordinairement on n’enferme que les femmes de mauvaise vie, au lieu que le Roi Victor la suppose dans un couvent.“ Ebd., S. 591. 37 Vgl. ebd., S. 601f. 38 Vgl. Kessel, Lydia, „Le feste della corte sabauda“, 1992, S. 532. 39 Zur Reale Chiesa di Superga vgl. Canavesio, Walter, Piemonte Barocco, 2001, S.  115–127. Eine Abbildung des Grabmals Viktor Amadeus II. ebd., S. 11, Abb. 1. Thronverzicht aus politischer Klugheit?  

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dankung in der Person König Viktor Amadeus II. den einzigen Garanten jeglicher Ordnung.40

3. Die Flugschrift von Alberto Radicati di Passerano Die Abdankung des Königs Victor Amadeus II. wurde von dem Zeitgenossen Alberto Radicati di Passerano beschrieben und kommentiert. Martino Ignazio Adalberto Radicati Conte di Passerano e di Cocconato wurde am 11. November 1698 als jüngster Sohn eines der ältesten und bedeutendsten piemontesischen Adelsgeschlechter in Passerano oder Turin geboren.41 Im Alter von neun Jahren diente er in Turin im Haushalt eines Enkels des Herzogs von Savoyen als Page. 1715 wurde er mit Maria Teodora Cecilia Provana di Bussolino verheiratet. Heftige Auseinandersetzungen innerhalb seiner Familie führten dazu, dass er auf Betreiben seiner Frau und seiner Schwiegermutter 1716 / 17 neun Monate lang im Schloss von Ivrea gefangen gesetzt wurde. Als seine Frau wenig später im Kindbett starb, wurde Radicati verdächtigt, sie vergiftet zu haben. Doch die Protektion des Königs und des königlichen Beichtvaters Dormiglia bewahrte ihn vor der Verfolgung durch die Justizbehörden. Radicati verließ Piemont 1719 und lebte bis 1721 in Montpellier und Paris, wo er religiösen Studien nachging und sich dem Protestantismus zuwandte. Nach der Heirat mit Angélique-Thérèse de Marins de la Villardière kehrte er nach Piemont zurück. Aus seinen Gütern bezog er jährliche Einnahmen zwischen sechs- und siebentausend Lire, die ihm ein standesgemäßes Leben ermöglichten.42 In Turin galt er bald als Häretiker und war für seine radikale Ablehnung des Eingreifens kirchlicher Organe in weltliche Belange bekannt. Dadurch erregte er das Interesse König Viktor Amadeus II., der bereits seit drei Jahrzehnten mit der Kurie über die Rechte der Kirche und des Klerus in seinen Staaten stritt.43 Radicati entwickelte ein weitreichendes 40 Vgl. dazu den Beitrag von Susan Richter mit der Bestimmung der für eine „funktionierende“ Abdankung unerläßlichen Elemente. 41 Zu A(da)lberto Radicati di Passerano (1698–1737) vgl. Ajello, Raffaele, u. a. (Hrsg.), Dal Muratori al Cesarotti, Politici ed economisti del primo settecento (La letteratura italiana. Storia e testi, Bd. 44), Bd. 5, Mailand / Neapel 1978, S.  1–29; Carpanetto, Dino / Ricuperati, Giuseppe, Italy in the Age of Reason 1685–1789 (Longman History of Italy, Bd. 5), London / New York 1987, S. 113–118, und Venturi, Franco, Alberto Radicati di Passerano, 2005. 42 Diese Summe entsprach ungefähr den Gehältern des ersten Präsidenten der Camera dei Conti und des Controllore delle Finanze. Vgl. Ajello, Raffaele, Dal Muratori al Cesarotti, Bd. 5, 1978, S. 8, und Venturi, Franco, Alberto Radicati di Passerano, 2005, S. 95–97. 43 Zur langwierigen Auseinandersetzung Viktor Amadeus II. mit der Kurie seit 1694 vgl. Symcox, Geoffrey, „L’età di Vittorio Amedeo II“, 1994, S. 278f. und 321–325. „Per Vittorio Ame-

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politisches und religiöses Reformprogramm, das er dem König unterbreiten wollte.44 Doch seit 1725 verhandelte der Marchese d’Ormea45 im Auftrag Viktor Amadeus II. mit der Kurie, um eine Einigung in den strittigen Fragen und den Abschluss eines Konkordats zu erreichen.46 Da Radicati eine Verfolgung durch die Inquisition fürchtete, entschloss er sich zur Emigration. Im Februar 1726 reiste er nach Bordeaux, um von dort aus mit dem Schiff nach England überzusetzen. In seinem in London publizierten „Manifesto“ legte er die Gründe für seine Flucht dar: Der ständige Kleinkrieg mit seinen Verwandten und die Angst vor der Inquisition.47 Nachdem Papst Benedikt XIII. Viktor Amadeus II. am 9. Dezember 1726 als König von Sardinien anerkannt hatte, stand der Unterzeichnung des Konkordats, die am 27. März 1727 erfolgte, nichts mehr im Weg: Viktor Amadeus II. erreichte eine Lösung der meisten strittigen Punkte in seinem Sinne.48 Da Radicati ohne die Erlaubnis seines Landesherrn nach England gereist war, riskierte er die Konfiskation seiner Güter in Piemont. Im Mai 1728 erreichte ihn ein Schreiben König Viktor Amadeus II., der ihm Straflosigkeit zusicherte, falls er umgehend nach Piemont zurückkehre und sich dort zum katholischen Glauben bekenne, andernfalls drohe ihm die Verfolgung durch die Inquisition. Radicati kehrte nicht zurück, er wollte dem König aber seine inzwischen fertig gestellten „Discours moraux, historiques et politiques“ unterbreiten.49 Der Dominikaner François Mellet brachte

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deo II la questione centrale era quella del potere dello Stato, ovverossia dell’intrusione della Chiesa in materie che egli considerava di giurisdizione secolare.“ Ebd., S. 321. Vgl. Venturi, Franco, Alberto Radicati di Passerano, 2005, S. 107–115. Carlo Francesco Vincenzo Ferrero (1680–1745), erster Marchese d’Ormea, wurde von Viktor Amadeus II. Anfang August 1730 zum Primo Segretario degli Interni ernannt. König Karl Emanuel bestätigte ihn am 10. September 1730 in seinem Amt und übertrug ihm 1732 auch das Amt des Primo Segretario degli Esteri. Seit 1730 war Ormea der mächtigste Minister am Turiner Hof. Vgl. Gaja, Roberto, Il Marchese d’Ormea, Mailand 1988; Ricuperati, Giuseppe, „Il Settecento“, 1994, S.  458–471, und Storrs, Christopher, „Ormea as Foreign Minister“, 2003. Zu den Verhandlungen, die Ormea im Auftrag Viktor Amadeus II. in Rom führte, vgl. Quazza, Guido, Le riforme in Piemonte nella prima metà del Settecento, 1957, S. 37f., und Ricuperati, Giuseppe, „La scrittura di un ministro. La Relazione sulle negoziazioni con la corte di Roma di Carlo Francesco Vincenzo Ferrero, marchese d’Ormea“, in: Andrea Merlotti (Hrsg.), Nobiltà e Stato in Piemonte. I Ferrero d’Ormea. Atti del convegno Torino – Mondovì, 3–5 ottobre 2001 (Nobiltà e Stato in Piemonte, Bd. 1), Turin 2003, S. 207–229, hier: S. 211f. Vgl. Radicati, Alberto, „Factum d’Albert, Comte de Passeran, par lequel on voit les motifs qui l’ont engagé a composer cet ouvrage (Recueil de pièces curieuses sur les matières les plus intéressantes)“, in: Raffaele Ajello u. a. (Hrsg.), Dal Muratori al Cesarotti, Bd. 5, 1978, S. 69–76, hier: S. 73f., und Venturi, Franco, Alberto Radicati di Passerano, 2005, S. 115–120. Vgl. Symcox, Geoffrey, „L’età di Vittorio Amedeo II“, 1994, S. 416–420. Vgl. Radicati, Alberto, Histoire de l’abdication de Victor-Amedée Roi de Sardaigne etc. de sa détention au chateau de Rivoli et des moyens qu’il s’est servi pour remonter sur le trone. Á Turin Thronverzicht aus politischer Klugheit?  

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das Manuskript im November 1728 in einer versiegelten Kassette nach Turin. Radicati propagierte in den „Discours“ die komplette Enteignung der Kirche und ihre Verdrängung aus dem öffentlichen Leben: „In questo modo la religione sarà soggetta al principe (come deve essere) e non il principe alla religione.“50 Viktor Amadeus II. reagierte auf den Traktat mit heftiger Ablehnung: „… nous avons désapprouvé au dernier point sa témérité de nous adresser un ouvrage de cette nature, qui le rend indigne de notre protection…“51 Er ließ die Güter des Grafen von Passerano beschlagnahmen. Radicati blieb in London und verbreitete seine Ideen in weiteren Publikationen, bevor er sich um den Jahreswechsel 1734 / 35 in die Niederlande zurückzog, wo er am 24. Oktober 1737 starb. Die Abdankung König Viktor Amadeus II. und seinen Aufenthalt in Chambéry, seine Rückkehr nach Piemont ein knappes Jahr später und seine Internierung beschrieb und kommentierte Radicati in einer Flugschrift, die 1732 erschien und ein außerordentlicher publizistischer Erfolg war: Der unter dem Pseudonym Wicardel de Trivié52 publizierte Text kann als ein Meisterwerk des zeitgenössischen politischen Journalismus gelten. Er zirkulierte zunächst in englischer, später auch in französischer und deutscher Sprache in ganz Europa und erlebte zehn Auflagen bzw. Nachdrucke. Außerdem wurde er in unzähligen Manuskripten in italienischer Sprache vor allem in Piemont verbreitet.53 Radicatis Flugschrift war und ist in vielen Bibliotheken zu finden, so z. B. in Voltaires Bibliothek in Ferney. Radicati gab seiner Flugschrift die Form eines Briefes des ehemaligen sardischen Gesandten in London, Wicardel de Trivié, der inzwischen im Exil am Dresdner Hof lebte, an den Conte di Cocconato – er schrieb also gewissermaßen einen Brief an sich selbst, war dies doch der mit seinem zweiten Lehen verbundene Titel. Diesen „Brief “ datierte er auf den 29. Januar 1732.54 Selbstverständlich ging der Autor davon aus, dass der Adressat seiner Schrift bereits über die in ganz Europa bekannten Ereignisse in Piemont informiert war, wollte

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de l’imprimerie royale (London) 1734, S. 6f., Anm. c, und ders., „Factum“, 1978, S. 74f., sowie Venturi, Franco, Alberto Radicati di Passerano, 2005, S. 120–126. Radicati, Alberto, „Lettera dedicatoria che serve di prefazione ai ‚Discours moraux’“, in: Raffaele Ajello, Dal Muratori al Cesarotti, Bd. 5, 1978, S. 43–50, hier: S. 45. Vgl. ders., „Discours moraux, historiques et politiques. Discours XII et dernier“, in: Raffaele Ajello u. a. (Hrsg.), Dal Muratori al Cesarotti, Bd. 5, 1978, S. 51–68. Brief Viktor Amadeus II. an seinen Gesandten in London, zitiert nach Ajello, Raffaele, Dal Muratori al Cesarotti, 1978, S. 75, Anm. 2. François Eleazar Wicardel de Fleury, Marquis de Trivié, diente König Viktor Amadeus II. von 1713 bis 1716 als Gesandter in London. Vgl. Storrs, Christopher, „Savoyard Diplomacy in the Eighteenth Century“, 2000, S. 216–218 und 238f., sowie Venturi, Franco, Alberto Radicati di Passerano, 2005, S. 109f. Vgl. ebd., S. 144–146. Vgl. Radicati, Alberto, Histoire de l’abdication de Victor-Amedée, 1734, S. 63.

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sie dem Empfänger aber in seiner eigenen Interpretation als Trost für erlittenes Unrecht präsentieren: „Je ne doute pas que vous ne soïez informé de l’Abdication du Roi Victor, & de la maniére violente avec laquelle il a voulu reprendre la Couronne, car cela a fait trop de bruit en Europe pour que vous puissiez l’ignorer: mais comme vous ne savez peut être pas les particularitez ni les causes d’une action si surprenante, je veux vous les apprendre, pour que vous vous consoliez en considérant que nul crime ne demeure impuni, & que vous admiriez en même tem[p]s, cette justice & cette sagesse éternelle, qui a fait sentir à ce Prince orgueilleux, qu’il n’étoit qu’un pauvre mortel, qui, malgré son pouvoir absolu, n’a pas pû suspendre ces jujemens, par lesquels Dieu afflige quand bon lui semble, le fier Monarque aussi bien que le timide Berger.“55 3.1. Die Schilderung zeremonieller Abläufe als Garant für die Authentizität der Ereignisse

Dem detailliert beschriebenen Zeremoniell der Abdankung König Viktor Amadeus II. stellt Radicati das Fehlen jeglichen Zeremoniells bei seiner Internierung gegenüber. Anlässlich des Rücktritts am 3. September 1730 legte er dem alten König einen „discours fort patétique“ in den Mund: „Les troubles infinis & les fatigues que nous avons endurées sans cesse pendant un Regne de 50. ans, sans parler des infirmitez qui accompagnent toujours l’âge auquel nous avons atteint, auroient été plus que suffisantes pour nous rendre le poids du Gouvernement trop pesant & insuportable. D’ailleurs comme nous approchons de nôtre fin, & que nous commençons à envisager la mort comme un sort commun aux Souverains & aux Sujets: nous nous croïons obligez en concience de mettre quelque intervalle entre le trône & le tombeau. Ces motifs ont été assez puissans pour nous porter à la résolution que nous avons prise; d’autant plus qu’elle semble secondée par la Providence, qui nous a donné un Fils digne de nous succéder, & de bien gouverner nos Peuples; étant doüé de toutes les qualitez qui conviennent à un bon Roi. C’est pourquoi nous avons résolu sans hésiter de lui conférer notre autorité supréme sur tous nos Etats, par un Acte solemnel signé de ce jour de notre propre main, aïant determiné de passer le reste de notre vie éloigné de toute occupation publique. Nous vous exhortons donc à servir le Roi nôtre bien aimé fils avec la même fidelité que j’ai toujours trouvé en vous: vous assurant en même tem[p]s que nous vous avons ardemment recommandez a sa protection Royale, &c.“56 Radicatis Kenntnis von Zeremoniell und Hofordnung erhöhten den Wahrheitsgehalt seiner Erzählung in den Augen der Leser: Ungenauigkeiten und offensichtlich propagandistische Inhalte erschienen als wahr durch die exakte Schilderung zere55 Ebd., S. 7f. 56 Ebd., S. 17–19. Thronverzicht aus politischer Klugheit?  

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monieller Abläufe. So musste z. B. eine Kammerfrau der Königin den jungen König wecken, als ihn der Marchese del Borgo mitten in der Nacht dringend zu sprechen wünschte: „Lorsque le Roi est couché avec la Reine, il n’y a que des femmes qui puissent entrer dans la Chambre.“57 Der Wegfall jeglichen Zeremoniells bei der Internierung Viktor Amadeus II. erhöhte die Wirkung dieser politischen Handlung auf den ehemaligen Souverän und seine potentiell noch vorhandenen Anhänger bzw. die Leser. Die Schilderung der Gefangennahme des alten Königs endet mit der Bemerkung: Viktor Amadeus „… devint furieux & frénetique; c’est pourquoi on fut obligé de l’enfermer dans une chambre, de mettre des barres de fer aux fenêtres, & de faire observer ses actions de près, de crainte qu’il ne se tuât ou qu’il ne commit quelqu’autre désordre.“58 3.2. Erklärungsmodelle der gescheiterten Abdankung

Radicati kündigte bereits auf der Titelseite der englischen Ausgabe seiner Flugschrift an, dass er Geheimnisse („secret Reasons“) enthüllen werde, und behauptete, der alte König habe sich im Frühjahr 1730 im Netz seiner politischen Ränke auf höchster internationaler Ebene verheddert, gleichzeitig sowohl mit der französisch-spanisch-britischen Allianz als auch mit dem Kaiser einander diametral entgegengesetzte Bündnisse geschlossen, und als sich der Kaiser der französisch-spanisch-britischen Allianz annäherte, schließlich keinen anderen Ausweg aus der verworrenen und gefährlichen Lage mehr gesehen, als sich aus der vordersten politischen Front zurückzuziehen und die Herrschaft seinem Sohn zu übertragen, um zu verhindern, dass seine Staaten zwischen den Großmächten zerrieben werden.59 Dem widersprechen die Ergebnisse der neuesten Untersuchungen von Geoffrey Symcox nachdrücklich: „Al momento dell’abdicazione, nel settembre 1730, Vittorio Amedeo fu in grado di trasmettere al suo successore un assetto diplomatico fondamentalmente positivo. Le grandi potenze ricercavano di nuovo la sua alleanza e le prospettive di conquiste territoriali in Lombardia si facevano allettanti.“60 Der fehlgeleitete persönliche Ehrgeiz der Marchesa di Spigno diente auch Radicati zur Erklärung der Vorgänge rund um den Generationenkonflikt im Haus Savoyen: Er übernahm das von Ormea so wirkungsvoll propagierte Erklärungsmuster und wurde damit selbst zum Propagandisten der Verlautbarungen der Turiner Regierung in der Öffentlichkeit der europäischen „république des lettres“.61 57 58 59 60 61

Ebd., S. 45, Anm. g. Ebd., S. 53. Ebd., S. 9–13, und 28–30. Symcox, Geoffrey, „L’età di Vittorio Amedeo II“, 1994, S. 393. Vgl. Radicati, Alberto, Histoire de l’abdication de Victor-Amedée,1734, S. 53f.

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3.3. Die Manipulation der öffentlichen Meinung

Radicati behauptete, dass König Viktor Amadeus II. von Anfang an nur eine temporäre Abdankung beabsichtigt und eine Wiederaufnahme der Krone geplant hatte: „Le Roi Victor … resolut alors, de se depoüiller de la Royauté, jusqu’à ce que les Affaires eussent changé de face, … par une feinte Abdication.“62 Alles, was auf eine Trübung des Verstandes des alten Königs hindeuten könnte, erwähnte Radicati in seiner Flugschrift nicht, so die zum Teil in Gewalt ausartende Antipathie des Vaters gegenüber seinem Sohn, den Schlaganfall Viktor Amadeus II. im Februar 1731 sowie die beiden Höflichkeitsbesuche Karl Emanuels in Chambéry, deren zweiter in maßlosen Wutanfällen des Vaters endete, die den jungen König demütigten. Die Ereignisse, die sich im September 1731 im Verlauf von drei Wochen zur finalen Krise zugespitzt hatten, konzentrierte Radicati in seiner Erzählung auf die Nacht vom 28. auf den 29. September 1731. Dabei stellte er den relativ unbeteiligten Marchese del Borgo, der unter dem neuen König massiv an Einfluss verloren hatte, in den Mittelpunkt des Geschehens. Eine zentrale Episode der Schilderung der Ereignisse dieser Nacht, in der der Kommandant der Turiner Zitadelle dem alten König den Einlass verwehrt haben soll, ging auf ein in Turin kursierendes Gerücht zurück und entbehrte jeglichen Wahrheitsgehalts.63 Die maßgebliche Ursache für das persönliche Scheitern König Viktor Amadeus II. von Sardinien sah Radicati in der Ablehnung radikaler Reformen von Staat und Gesellschaft im Sinne der beginnenden Aufklärung.64 Da er große Hoffnungen in den jungen König setzte, zeichnete er die Person König Karl Emanuels III. in seiner Flugschrift überaus positiv. Und den allmächtigen Marchese d’Ormea erwähnte er kein einziges Mal. Offensichtlich manipulierte er in seiner Flugschrift die öffentliche Meinung bewusst in Richtung der Version der Vorgänge, wie sie Ormea propagierte, denn er erhoffte sich von der neuen Regierung eine Begnadigung, die ihm die Rückkehr nach Piemont und die Wiedergewinnung seiner beschlagnahmten Güter ermöglicht hätte.65 Deshalb ließ er auch dem neuen König seine „Discours“ unterbreiten, allerdings wiederum vergeblich. Denn Karl Emanuel III. setzte den von seinem Vater seit 1725 eingeschlagenen Kurs des Ausgleichs zwischen Monarch, Adel und Klerus zur Stabilisierung der durch die Kriege beträchtlich erweiterten und durch die Reformen aufgewühlten Länder des Hauses Savoyen fort.

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Ebd., S. 12f. Vgl. ebd., S. 33–53. Ders., „Lettera dedicatoria“, 1978, S. 43–50, hier: S. 45. Vgl. ders., „Discours“ 1978. Vgl. Venturi, Franco, Alberto Radicati di Passerano, 2005, S. 147–149. Thronverzicht aus politischer Klugheit?  

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4. Radicatis Ideal der Liebe der Untertanen als Gegenmodell zur Herrschaft Viktor Amadeus II. Am Ende seiner Flugschrift zeichnete Radicati ein sehr düsteres Bild des im Schloss von Rivoli internierten alten Königs: „… le Roi Victor dès son vivant, est tourmenté par mille maux infiniment plus cruels que la mort, les voïant fondre sur lui sans pouvoir les éviter, & les sentant augmenter à chaque instant sans savoir quand ils finiroient. Il se trouva enfermé dans un Chateau, environné par des Officiers & par des Soldats incorruptibles, à qui il n’ose se plaindre de son adversité, sachant qu’ils n’ont aucune compassion pour lui. Il se voit Prisonnier d’un fils, dont les volontez lui aïant toujours été fort soumises, il s’imaginoit d’être toujours le maitre absolu: d’un Prince, dis-je, qu’il croyoit incapable de prendre une si ferme & si sage résolution. … L’ambition le déchire à tous momens rappellant à sa mémoire sa grandeur passée, & ne lui laissant que le triste souvenir de l’avoir perdue. Sa vengeance, ne pouvant éclater sur son fils ni sur les Ministres le fait désesperer: elle le jette pendant le jour dans des délires horribles, & le fait tomber la nuit dans des réves funestes & affreux. Enfin il n’a que de petits intervalles de raison, dans lesquels il reconnoit, mais trop tard, qu’il a toujours observé une fausse & mauvaisse maxime: il reconnoit, dis-je, qu’il est beaucoup avantageux, pour un Souverain, de s’appliquer à gagner l’amour de ses sujets par sa bonté, par sa justice & par sa liberalité; que de s’attirer leur haine par ses cruautez, par ses violences & par ses extorsions. Car si le Roi Victor s’étoit réellement fait aimer de ses peuples; il est évident que lorsque son fils demanda leur consentement pour lui rendre la Couronne, pas un d’eux ne s’y seroit opposé, comme ils ont fait: mais au contraire ils auroient été tous charmez de le voir sur le trône; devant naturellement plus se confier dans un Souverain, dont la probité, la sagesse & l’humanité leur étoient connues depuis long tem[p]s; que dans un jeune Prince, dont ils ne connoissoient que foiblement le genie & les inclinations. Mais comme le Roi Victor étoit généralement haï & détesté de ses Sujets, quoi qu’ils eussent fait semblant de l’aimer pendant qu’il regnoit, pour éviter ses sévéres & cruels chatimens, par lesquels il supportoit uniquement son autorité; quand ils le virent dépouillé du souverain pouvoir, ils ôterent le masque, & se déclarerent ouvertement ses ennemis. Que les Princes & leurs Ministres apprennent donc par ce grand & rare évenement, à gouverner leurs Sujets comme des Etres raisonnables & libres, & non comme des Brutes & des Esclaves; afin qu’ils n’aïent pas lieu un jour de se repentir, comme ce Roi, d’avoir attiré sur eux la haine implacable de toute une Nation.“66

66 Radicati, Alberto, Histoire de l’abdication de Victor-Amédée, 1734, S. 57–62.

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Selbst der französische Geschäftsträger Blondel, der den alten König sehr schätzte, berichtete nach Versailles, dass Viktor Amadeus „… n’avait pas d’ailleurs le coeur de ses sujets, puisqu’il les a toujours tyrannisés…“67

5. Die Ereignisse in den Augen der Öffentlichkeit68 Der Titel dieser Untersuchung enthält die Frage, auf die nun noch näher einzugehen ist: Konnte die Abdankung König Viktor Amadeus II. von Sardinien von seinen Zeitgenossen als ein Thronverzicht aus politischer Klugheit angesehen werden? Eine mögliche Reaktion auf die Ereignisse in Savoyen-Piemont konnte Bewunderung für den politischen Weitblick des alternden Königs sein. Andererseits ließ sich das Schicksal Viktor Amadeus II. auch dahingehend interpretieren, dass ein erfolgreicher Herrscher im Vollbesitz seiner politischen Macht aus persönlichem Interesse auf eine vorzeitige Abdankung verzichten sollte, denn er konnte trotz seiner großen politischen Erfahrung im Voraus nicht wissen, wie sich die politische Lage und seine persönlichen Lebensumstände unter der Herrschaft seines Nachfolgers entwickeln würden. Die mit der Abdankung und dem Ende König Viktor Amadeus II. von Sardinien verbundenen Ereignisse konnten also in unterschiedlicher Weise als Exemplum dienen und folgende Gefühle respektive Reaktionen auslösen: – Bewunderung für die politische Klugheit und Weitsicht, die sich in der Abdankung manifestierte, – Vorwurf mangelnder politischer Klugheit und Weitsicht, die sich im Versuch der erneuten Übernahme der Herrschaftsgewalt zeigte und sich den Zeitgenossen nur durch die Ambitionen der Marchesa di Spigno erklären ließ, – Mitleid mit dem persönlichen Schicksal eines außerordentlich erfolgreichen Herrschers, der sein Leben nach der Familientragödie in Isolationshaft beendete. Aus den mit der Abdankung und dem Ende König Viktor Amadeus II. von Sardinien verbundenen Ereignissen konnten die politische Eliten in Europa auch weitreichendere Schlüsse ziehen: Eine Abdankung destabilisierte das politische System eines Staates unter Umständen stärker als die Fortführung der Herrschaft durch einen eingeschränkt herrschaftsfähigen Regenten, sofern dessen Ausfälle durch starke und 67 Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne“, 1871, S. 582. 68 In Anlehnung an Andreas Gestrich ist es sinnvoll, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von mehreren Öffentlichkeiten zu sprechen, wobei wir uns im Rahmen der folgenden Überlegungen auf die höfische und die gelehrte Öffentlichkeit beschränken. Vgl. Gestrich, Andreas, Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 103), Göttingen 1994, S. 75–134. Thronverzicht aus politischer Klugheit?  

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kompetente Persönlichkeiten in seinem direkten Umfeld zumindest zu einem großen Teil kompensiert werden konnten. Ein Vergleich der Entwicklung in Savoyen-Piemont 1730 / 31 mit ähnlichen Ereignissen in Spanien lag nahe: Dort übernahm in der zweiten Regentschaftsperiode König Philipps V., der in erster Ehe mit einer Tochter Viktor Amadeus II. von Sardinien verheiratet war, seine zweite Gemahlin Elisabeth Farnese in den hochdepressiven Phasen des Königs die Regierungsgeschäfte (1724–46).69 Während Elisabeth Farnese als alter ego ihres Gemahls die Fortführung der Regierungstätigkeit gewährleisten konnte, führte ein ähnlicher Versuch durch die spanischen Minister nach dem Tod der Königin Barbara von Braganza und dem Rückzug ihres Gemahls Ferdinand VI. aus dem öffentlichen Leben 1758 / 59 zu einer ernsten Krise, die erst nach dem Tod des Königs durch den Regierungsantritt seines energischen Nachfolgers Karl III. beendet werden konnte.70

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Quellenverzeichnis zum Thronverzicht Susan Richter und Michael Roth Vorbemerkung Im Folgenden wird dem interessierten Leser eine Zusammenstellung von unpubliziertem und publiziertem Quellenmaterial zu fürstlichen Abdankungen des Mittelalters, der Frühen Neuzeit und der Zeitgeschichte geboten. Das Verzeichnis geht dabei bewusst auch auf Abdankungen ein, die nicht explizit im Rahmen dieses Sammelbandes behandelt werden. Das Verzeichnis wurde nicht nach den Personen, sondern nach den Themenkomplexen des Sammelbandes geordnet. Am Anfang steht die Abdankung als Rechtsakt mit den Reflexionen zeitgenössischer juristischer Literatur, den Abdankungsurkunden und dem Status der zurückgetretenen Monarchen nach dem Vollzug des Abdankungsaktes. Der Abdankung als Rechtsakt folgt das zeremonielle Geschehen. Allerdings ist gerade der Übergang zwischen der Abdankung als Rechtsakt und dem zeremoniellen Ablauf fließend, zielte doch das Zeremoniell explizit darauf, eine Visualisierung des Rechtsaktes zu erreichen und somit die rechtliche Verbindlichkeit des Geschehens zu unterstreichen und in sichtbarer oder hörbarer Form zu verdeutlichen. Die unter diesem Punkt subsummierten Abdankungsreden sind somit gleichzeitig Teil des Rechtsaktes und des Zeremoniells, ebenso wie die Abdankungserklärungen in schriftlicher Form. Unter einem dritten Punkt wurden sowohl offizielle Dokumente als auch fürstliche Egodokumente wie Briefe und Tagebücher zusammengestellt, in denen die Fürsten ihre Motivation zum Thronverzicht darlegten oder nach dem Rechtsakt über die Niederlegung ihres Amtes reflektierten. Der vierte Themenbereich bietet eine Sammlung von bildlichen Darstellungen zu Abdankungen in der Regel aus der Retrospektive mit der Intention der Dokumentation des Ablaufs in der Druckgraphik, der Fixierung des entscheidenden Momentes der Abdankung oder der Verklärung herrscherlicher Größe der Machtentsagung. Im Anschluss folgen frühe historische Darstellungen des 17. und 18. Jahrhunderts von fürstlichen Abdankungen, welche diese Akte aus zeitgenössischer Sicht bewerteten. Dem Amtsverzicht Karls V. in den Niederlanden, Spanien und als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da seine Abdankungen Vorbildcharakter besaßen und als „Prototyp“ für zahlreiche spätere Abdankungsakte galten.1 Zuletzt folgt eine 1

Vgl. hierzu die Einleitung von Susan Richter und Dirk Dirbach in diesem Band sowie Bauer, Markus, „Das große Nein – Zum Zeremoniell der Resignation“, in: Jörg Jochen Berns / ThoQuellenverzeichnis zum Thronverzicht  

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Übersicht zur Wahrnehmung von Abdankungen in der Öffentlichkeit, etwa in der zeitgenössischen Presse. Hinsichtlich der Abdankung von König Edward von England wurde allerdings nur eine kleine Auswahl an Leitartikeln der internationalen Presse zusammengestellt. Innerhalb der thematischen Bereiche des Verzeichnisses erfolgt die Anordnung der Quellen in chronologischer Reihenfolge. Zudem ist es nicht die Intention der Verfasser, ein vollständiges Quellenverzeichnis zu erstellen, sondern eine breite Auswahl zur Verfügung zu stellen, die Studierenden und Lehrenden einen quellenfundierten Einstieg in das Thema Thronverzicht und Abdankung von Monarchen ermöglicht.

1.

Abdankung als Rechtsakt

a) Abdankung in der Rechtsliteratur aa) Amtsverzicht im kanonischen Recht Verbot der eigenmächtigen Aufgabe eines Kirchenamts C.20 q.3 c.3 = Conc. chalcedon. (451) c.7.2 (Alberigo, Giuseppe u.a. (Hrsg.), Conciliorum oecumenicorum decreta, Bologna ³1973, S. 90). Gründe, die zum Amtsverzicht führen X 1.9,10 (Friedberg, Aemilius (Hrsg.), Corpus Iuris Canonici. Pars secunda, Leipzig 1881, Sp. 108). Zustimmung des Papstes bei Bischofsresignationen X 1.9.1, 9, 10, 15 (Friedberg, Aemilius (Hrsg.), Corpus Iuris Canonici. Pars secunda, Leipzig 1881, Sp. 102 f., 107–112). Verbot der Resignation unter Zwang oder Geldeinfluss X 1.9.5 (Friedberg, Aemilius (Hrsg.), Corpus Iuris Canonici. Pars secunda, Leipzig 1881, Sp. 104); X 1.40.2, 3, 4, 6 (Ebd., Sp. 219–222); Clem. 5.8.2 (Ebd. Sp. 1188 f.); X 1.35.8 (Ebd., Sp. 205 f.). Verbot der Resignation zugunsten eines Dritten X 1.17.7, 10, 11, 13 (Friedberg, Aemilius (Hrsg.), Corpus Iuris Canonici. Pars secunda, Leipzig 1881, Sp. 137–139); X 3.38.6, 15 (Ebd., Sp. 611, 614). Konstitution Bonifatius VIII. über die Möglichkeit der Resignation vom Papstamt VI 1.7.1 (Friedberg, Aemilius (Hrsg.), Corpus Iuris Canonici. Pars secunda, Leipzig 1881, Sp. 971). bb) Abdankung in Rechtstraktaten der Frühen Neuzeit Becmann, Johann Christoph, De abdicatione regni, Frankfurt / Oder 1671. Coccěji, Heinrich, Juris publici prudentia, Frankfurt / Oder 1700.

2

mas Rahn (Hrsg.), Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Frühe Neuzeit, Bd. 25.), Tübingen 1995, S. 98–124. Die Vorgängerkanones finden sich ebenfalls dort.

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Quellenverzeichnis zum Thronverzicht

Dithmar, Justus Christoph, De abdicatione regnorum aliarumve dignitatum illustrium, Frankfurt / Oder 1724. Fritsch, Ahasver, Tractatus de resignationibus imperatorum, regum, principum etc., Naumburg 1669. Godolaeus od. Godelevaeus, Wilhelm, De abdicatione seu renuntiatione imperii et regnorum a Carolo V., Basel 1574. Moser, Johann Jacob, Neues teutsches Staatsrecht, Bd. 11.1, Frankfurt / Leipzig 1775 (ND Osnabrück 1967), S. 230–249, 666. Obrecht, Ulrich, Disputatio Academica, De abdicatione Caroli V. imperatoris, Straßburg 1676. Pfeffinger, Johann Friedrich, Corpus Iuris Publici, Tom I, Lib I., Frankfurt / M. 1754. Runde, Johann Friedrich, „Zusätze zu voriger Abhandlung über die Abdankung der Dienerschafft“, in: Stats=Anzeigen, 8 / 1785, S. 43–48. Schweder, Gabriel, Introductio in ius publicum Imperii Romani-Germanici novissimum, part. spec. Sect. I., Tübingen 1733, Seld, Georg Sigismund, Außbündiger treweyfriger Rahtschlag. Darin[n] von der Keyser unnd Päbst Gewalt / unnd wie weit sich derselb bevorab gegen den andern erstrecke / catholice discurirt, hauptsachlich aber von dem zwischen weiland Keyser Ferdinandt allerhochlöblichster gedechtnus und Pabst Paulo IV. entstandenem streit / ob nemlich ein Röm. Keyser so sich deß Reichs Würde unnd Bürde entladen will / nohtwendig die resignation in der Päbstl. hlt. hand thun müsse […] gehandelt würd […], o.O. 1612. Schurzfleich, Conrad Samuel, Dissertatio de eo, quod inter est abdicationis Principum, Wittenberg 1671. Zapf, Johann Ernst, De abdicatione ab officio, Altdorf 1686. cc) Abdankung in Rechtsschriften des 19. und 20. Jahrhunderts Bluntschli Johann Caspar / Brater, Karl, Deutsches Staatswörterbuch, Bd. 9, Stuttgart / Leipzig 1865, S. 754–757. Klüber, Johann Ludwig, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Frankfurt 1840 (ND Frankfurt 1975), § 242 und Fn. f zu § 242, S. 334 f. 2.

Urkunden

Abdankungserklärung Papst Cölestins V., 13. Dezember 1294 Publikation3: Theiner, Augustus (Hrsg.), Annales ecclesiastici, Bd. 23, Nr. 20, S. 145. Abdankungsurkunde Karls V. von den Niederlanden, 25. Oktober 1555 Publikation: Gachard, Louis Prosper, Analectes belgiques ou receuil de pièces inédites, mémoires, notices, faits et anecdotes concernant l’histoire des Pays-Bas, Bd.1, Paris 1830, S. 102–106. Abdankungsurkunde Karls V. von Kastilien / Aragon / Sizilien, 16. Januar 1556 Kastilien im Wortlaut bei: Sandoval, Prudencio de, Historia de la vida y hechos del emperador Carlos V, Bd. 3, Madrid 1956, S. 486–489. Aragon: Signatur: Archiv von Simancas, Patronato real n. 273 o Sizilien: Signatur: Archiv von Simancas, Secretarias provinciales libro 931 3 Eine Auflistung weiterer Ausgaben bietet Herde, Peter, Cölestin V. (1294) (Peter von Morrone). Der Engelpapst (Päpste und Papsttum, Bd. 16), Stuttgart 1981, S. 136, Fn. 330. Quellenverzeichnis zum Thronverzicht  

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Abdankungsurkunde Karls V. vom Kaisertum, 3. August 1556 Signatur: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mainzer Erzkanzlerarchiv, Wahl- u. Krönungsakten 4, Bd. 1, fol. 21. Publikation: Hoffmann, Johann Wilhelm, „Acta und vollständige Beschreibung von der durch Kayser Carls des Fünften Gesandten zu Frankfurtn am Mayn 1558 vollzogenen Resignation der Kayserlichen Würde“, in: Ders., Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nachrichten, Bd. 1, Halle 1736, S. 33–37. Abdankungsurkunde Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach, 12. / 22. April 1622 Signatur: Generallandesarchiv Karlsruhe 46 / 5013. Publikation: Schoepflin, Johann Daniel, Historia Zaringo-Badensis, VII. Theil (Codex dipl.), Karlsruhe 1766, S. 179–181, Nr. 504. Abdankungserklärung Königin Christinas von Schweden, 16. Juni 1654 Publikation: Arckenholz, Johann, Historische Merkwürdigkeiten, die Königinn Christina von Schweden betreffend […], Bd. 1, Leipzig / Amsterdam 1751, S. 429. Abdankungsurkunde4 König Johann Casimirs von Polen, 17. September 1668 Publikation: Zaluski, Josef Andreas, Epistolae Historico-familiares, Braunsberg 1727, S. 57–59. Abdankungserklärung Markgraf Carl Alexanders von Ansbach-Bayreuth, 2. Dezember 1791 Signatur: Staatsarchiv Nürnberg, Fm. Ansb., Klosterverwaltungsamt Heilsbronn, Akten, Nr. 4. Publikation: Christian Friedrich Karl Alexander Markgraf v. Brandenburg-Ansbach-Bayreuth / Friedrich Wilhelm II. König v. Preußen, „Regierungsveränderung in den beyden Fürstenthümern Anspach und Bayreut“, in: Journal von und für Franken, 4 / 1792, S. 251–255. Abdankungsurkunde Napoleons, 12. April 1814 Signatur5: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Allgemeine Urkundenreihe 1814 IV 12. Publikation: Capefigue, Jean-Baptiste (Hrsg.), Le congrès de Vienne et les traités de 1815, Bd. 1, Paris 1863, S. 148–151. Abdankungsurkunde und gedruckte Bekanntmachung 6 der Abdankung König Ludwigs I. von Bayern, 20. März 1848 Signatur: Münchner Stadtmuseum, Graphiksammlung, Inv. Nr. 35 / 2417. Publikation als Faksimile: Weidner, Thomas, „Lola Montez oder eine Revolution in München“, in: Ders. (Hrsg.), Lola Montez oder eine Revolution in München, München 1998, S. 116–317, hier: S. 313. 4

5 6

Der jetzige Aufbewahrungsort der Urkunde konnte leider nicht ermittelt werden. Ein Vergleich der lateinischen Übersetzung Zaluskis mit dem originalen Wortlaut muss Gegenstand einer weiteren Untersuchung bleiben. Ein weiteres Exemplar befindet sich in den Archives Nationales in Paris. Der handschriftliche Entwurf Ludwigs befindet sich im Geheimen Hausarchiv München, XXII 587. Die Gründe, die Ludwig zur Abdankung bewegten, sind gut in seinem Briefwechsel mit Lola Montez dokumentiert. Vgl. Rauh, Reinhold / Seymour, Bruce (Hrsg.), Ludwig I. und Lola Montez. Der Briefwechsel, München / New York 1995, S. 127–158.

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Quellenverzeichnis zum Thronverzicht

Proklamation der Abdankung König Ludwigs I. von Bayern, 21. März 1848 Publikation: Regierungsblatt für das Königreich Bayern, Nr. 12, 21.3.1848, S. 149 f., auch in: Weber, Karl, Neue Gesetz- und Verordnungensammlung für das Königreich Bayern mit Einschluß der Reichsgesetzgebung, Bd. 3, Nördlingen / München 1880–1919, S. 676. Thronverzichtsproklamation Kaiser Ferdinands I. von Österreich, 2. Dezember 1848 Signatur: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, HabsburgLothringische Familienurkunden Nr. 2429. Publikation: als Digitalisat online unter: http://edocs.ub.uni-frankfurt. de/volltexte/2006/5922/ (Stand: 24.10.2008). Verzichtserklärung7 Karls I. von Österreich, 11. November 1918 Publikation: Goldinger, Walter, Geschichte der Republik Österreich 1918–1938, Wien 1992, S. 23. Entwurf zur Thronverzichtserklärung Leopolds IV. zur Lippe, 12. November 1918 Signatur: Stadtarchiv Detmold, L 75 I 1 Nr. 39 Bl. 14. Publikation: Drake, Heinrich, „Rückblick nach 50 Jahren“, in: Lippische Miteilungen aus Geschichte und Landeskunde, 37 / 1968, S. 5–31, hier: S. 15, 115. Abdankungserklärung Kaiser Wilhelms II., 28. November 1918 Signatur: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, BPH, Rep. 53, Nr. 203. Publikation: Reichanzeiger Nr. 283, 30. November 1918, auch in: Huber, Erst Rudolf, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Deutsche Verfassungsdokumente 1900–1918, Bd. 3, Stuttgart / Berlin / Köln 31990, S. 312. Abdankungserklärung8 König Wilhelms II. von Württemberg, 30. November 1918 Signatur: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 55 Nr. 671. Publikation: Pistorius, Theodor von, Die letzten Tage des Königreichs Württemberg. Mit Lebenserinnerungen und Lebensbekenntnissen von seinem letzten Finanzminister, dem nachherigen Hochschullehrer Theodor von Pistorius, Stuttgart 1935, S. 54. Abdankungsurkunde König Edwards VIII. von Großbritannien, 10. Dezember 1936 Signatur: The National Archives, Kew, PC 11 / 1, auch online unter: http://www.nationalarchives.gov.uk/museum/item.asp?item_id=45 (Stand: 21.11.2008). Publikation: Bloch, Michael, The reign and abdication of Edward VIII, London 1990, S. 194.

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Das Original ist 1927 beim Brand des Justizpalastes in Wien vernichtet worden. Wilhelm II. von Württemberg steht hier exemplarisch für alle Fürsten, die 1918 abdanken mussten. Die Texte der anderen Abdankungs- bzw. Verzichtsurkunden finden sich bei Wecker, Fritz, Unsere Landesväter. Wie sie gingen, wo sie blieben, Berlin 1928. Quellenverzeichnis zum Thronverzicht  

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3. Die verfassungsrechtliche Stellung des Fürsten nach der Abdankung und seine Beziehung zum Staat Vertrag über die rechtliche und finanzielle Situation Johann Casimirs von Polen nach seiner Abdankung, 9. März 1668 Publikation: Pufendorf, Samuel von, De Rebus Gestis Friderici Wilhelmi Magni, Electoris Brandenburci, Commentariorum Libri Novendecim, Berlin 1695, S. 705, X, § 69. Reaktion der Provisorischen Regierung Württembergs auf die Niederlegung der Krone Regierungsblatt für das Königreich Württemberg 1918, Nr. 23, S. 264. Zum gewandelten Verständnis ehemaliger fürstlicher Symbole Preußischer Auseinandersetzungsvertrag, Preußische Gesetzessammlung 1926, S. 271ff. Württembergischer Auseinandersetzungsvertrag, Abkommen zwischen den Vertretern des Königs und dem württembergischen Staat, 29. November 1918 Signatur: Hauptstaatsarchiv Stuttgart E 130b, BÜ 66, fol. 32. Aufhebung des Privatfürstenrechts in Österreich „Gesetz vom 3. April 1919, betreffend die Landesverweisung und Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen“, in: Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich 1919, S. 513, § 4. Zur privaten Stellung der zurückgetretenen Fürsten Art. 109, Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung, in: Anschütz, Gerhard, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Berlin 131930, Art. 109. Auflösung der Familienfideikommisse und die vermögensrechtliche Situation a) im Deutschen Reich: Art. 155, Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung, in: Anschütz, Gerhard, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Berlin 131930, Art. 155. b) in Preußen: Verordnung über Familiengüter vom 10. März 1919, Preußische Gesetzessammlung 1919, S. 39 ff. / Preußische Gesetzessammlung 1920, S. 367 ff. Vergleich zwischen dem ehemals regierenden Königshaus und dem Freistaat Preußen: Vertrag in Anlage zum Gesetz vom 28.10.1926, Preußische Gesetzessammlung 1926, S. 267 ff. c) in Baden: Gesetz über die Auseinandersetzung bezüglich des Eigentums an dem Domänenvermögen, Anlage 1, Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1919, S. 180. Vergleich zwischen dem ehemaligen Großherzog Friedrich II. und dem badischen Staat: Anlage zum Gesetz vom 25. März 1919, Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1919, S. 180–182. d) in Bayern: Übereinkommen zwischen dem Bayerischen Staate und dem vormaligen Bayerischen Königshause vom 24. Januar 1923 (Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1922 / 1923, Beilagen-Band 11), München 1923, S. 498. e) in Sachsen: Gesetz vom 21. Juli 1924, Sächsisches Gesetzblatt 1924, S. 74 ff. f ) in Württemberg: Abkommen zwischen den Vertretern des Königs und dem württembergischen Staat vom 29.11.1918. Signatur: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 130b, BÜ 66, fol. 32.

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Quellenverzeichnis zum Thronverzicht

g) in Sachsen-Meiningen: Vertrag zwischen dem Staatsfiskus des Staates Sachsen-Meiningen und dem herzoglichen Spezialhaus (Auseinandersetzungsvertrag), Signatur: ThStA Meiningen, GA Meiningen, Urkunden B 2 Nr. 315.

4. Abdankungen als zeremonielle Akte a) Darstellungen von Abläufen Winterfeld, Friedrich Wilhelm von, Teutsche und Ceremonial-Politica. Deren Erster Theil Eine vollständige Politicam, der Andere aber Eine Ceremonial-Politicam, Durch Anführung der neuesten Exempel, so wohl bey Freuden-Trauer und anderen Fällen / Reichs- Wahl- und Deputation- Tägen und Conventen / Crönungen / Absetz- und Abdanken hoher Personen / Lehens- Empfängnüßen / Kriegs- und Friedens-Handlungen / Gesandtschafften / Ertheilungen derer Audienzen / Visiten / Einholungen / Sessionen / Processionen / u.s.w. deutlich vorstellet, Frankfurt u.a. 1700. Beschreibung der Abdankung9 Papst Cölestins V., 13. Dezember 1294 Publikation: Stefaneschi, Jacobus Gaietani, „Opus metricum“, in: Seppelt, Franz Xaver (Hrsg.), Monumenta Coelestiana. Quellen zur Geschichte des Papstes Coelestin V. (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte, Bd. 19), Paderborn 1921, S. 1–146, hier: S. 80–82, V. 526–591. Beschreibung der Abdankung Karls V. von den Niederlanden, 25. Oktober 1555 Sommaire description de ce que, par un vendredy , 25ième jour d’octobre 1555, fut fait en la ville de Bruxelles, où estoient appellez et congreyéz par la Majesté de l’Empereur les estatz de tous ces pays d’embas, à raison du devosement que fait à Philippe, par la grâce de Dieu, son très-chier et bien aimé filz, prince de royaumes d’Espaigne et roy d’Angleterre. Signatur: Archives générales du Royaume, Brüssel, Manuscrits divers, 164, fol. 44–47. Der Text ist nicht ediert vorhanden. Sein Inhalt wird allerdings oftmals paraphrasiert wiedergegeben.10

9 Die Überlieferung des Opus metricum sowie die zugrunde liegenden Handschriften werden bei Seppelt, Franz Xaver (Hrsg.), Monumenta Coelestiana. Quellen zur Geschichte des Papstes Coelestin V. (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte, Bd. 19), Paderborn 1921, S. XXIX–XLV besprochen. 10 Vgl. Lünig, Johann Christian, „Beschreibung, mit was für Ceremonien Kayser Carl der V. seine Regierung […] niedergeleget“, in: Ders., Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien, Welche bey Päbst- und Käyser-, auch Königlichen Wahlen und Crönungen […] Ingleichen bey Grosser Herren und dero Gesandten Einholungen […] beobachtet worden, Bd. 2, Leipzig 1720, S. 808–812; Ähnliches findet sich auch in jeder Biographie über Karl V. Quellenverzeichnis zum Thronverzicht  

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Beschreibung der Abdankung Karls V. von den Niederlanden und von Spanien, 25. Oktober 1555 / 16. Januar 1556 Lünig, Johann Christian, „Beschreibung, mit was für Ceremonien Kayser Carl der V. seine Regierung11 […] niedergeleget“, in: Ders., Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien, Welche bey Päbst- und Käyser-, auch Königlichen Wahlen und Crönungen […] Ingleichen bey Grosser Herren und dero Gesandten Einholungen […] beobachtet worden, Bd. 2, Leipzig 1720, S. 808–812. Beschreibung der Abdankung Karls V. von den spanischen Reichen, 16. Januar 1556 Ragionamento de l’imperatore fatto, quando rinontio tutti i suoi regni et stati al re, suo figliuolo. Signatur: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, HS B 187.12 Publikation: Mayr, Josef Karl, Die letzte Abdankung Karls V. (16. Jänner 1556). Berichte und Studien zur Geschichte Karls V. (Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 3), Berlin 1931, S. 156–158. Beschreibung der Abdankung Königin Christinas von Schweden, 6. Juni 1654 Lünig, Johann Christian, „Beschreibung, mit was für Ceremonien die Königin Christina in Schweden Cron und Scepter niedergeleget und sich des Regiments begeben“, in: Ders., Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien, Welche bey Päbst- und Käyser-, auch Königlichen Wahlen und Crönungen […] Ingleichen bey Grosser Herren und dero Gesandten Einholungen […] beobachtet worden, Bd. 2, Leipzig 1720, S. 813–815. Beschreibung der Abdankung13 König Johann Casimirs von Polen, 16. September 1668 Lünig, Johann Christian, „Beschreibung, mit was für Ceremonien König Johann Casimir in Polen Cron und Scepter niedergeleget“, in: Ders., Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien, Welche bey Päbst- und Käyser-, auch Königlichen Wahlen und Crönungen […] Ingleichen bey Grosser Herren und dero Gesandten Einholungen […] beobachtet worden, Bd. 2, Leipzig 1720, S. 815–816. Zaluski, Josef Andreas, Epistolae Historico-familiares, Braunsberg 1727, S. 42, 51–63, 159.

11 Eine weitere Beschreibung des Abdankungsaktes in Brüssel findet sich bei Heuterus, Pontus, Rerum Belgicarum Libri Quindecim […], Antwerpen 1598, S. 668–682. Auf Grund der großen Übereinstimmung mit Lünig ist es möglich, dass dieser sich auf diese Quelle stützte. 12 Nach Auskunft des Haus-, Hof- und Staatsarchivs befindet sich die Beschreibung in einer Handschriftensammlung mit dem Titel „Collectanea Germanica“, die verschiedene Ereignisse zusammenfasst, die die habsburgischen Herrscher betreffen. Verfasst wurde sie von Hans Herpfer 1618 und Jacob von Kurz 1620. 13 Einen Überblick über die wichtigsten Quellen und eine allgemeine Darstellung findet sich bei: Grauert, Wilhelm „Über die Thronentsagung des Königs Johann Casimir von Polen und die Wahl seines Nachfolgers“, in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, 6 / 1851, S. 342–408.

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Quellenverzeichnis zum Thronverzicht

Beschreibung14 der Abdankung Landgraf Moritz’ von Hessen-Kassel, 17. März 1627 Signatur: Staatsarchiv Marburg, 4a 41,4. Beschreibung der Abdankung Ludwigs I. aus der Sicht Maximilians II., 20. März 1848 Signatur: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Geheimes Hausarchiv, Nl Pfistermeister 1, Memoiren Maximilians II., S. 106–108. Publikation: Sing, Achim, Die Memoiren König Maximilians II. von Bayern 1848–1864 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 112), München 1997, S. 140.

5. Abdankungsreden als Teil des Abdankungszeremoniells Abdankungsrede Karls V. vor den Generalständen in Brüssel,15 25. Oktober 1555 Receuil de ce que l’Empereur dit de bouche aux estatz généraulx de pardeçà, le xxvme d’octobre 1555, après la proposition faicte par le conseillier, noté par quelque bon personnaige à ladicte assemblée. Signatur: Archives générales du Royaume, Brüssel, Manuscrits divers, 64, fol. 101–103. Publikation: Gachard, Louis Prosper, Analectes belgiques ou receuil de pièces inédites, mémoires, notices, faits et anecdotes concernant l’histoire des Pays-Bas, Bd. 1, Paris 1830, S. 87–91. Ansprache Karls V. vor den Deputierten der niederländischen Generalstände, Auszug, Brüssel 25. Oktober 1555, in: Alfred Kohler (Hrsg.), Quellen zur Geschichte Karls V. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 15), Darmstadt 1990, S. 466–468. Mayer, Mathias (Hrsg.), Kaiser Karl der Fünfte, Rede vor den Generalstaaten der Niederlande, Hamburg 2001. Rede Maries, der Statthalterin der Niederlande, zu ihrer Amtsniederlegung, 25. Oktober 1555 Copie de la proposition que la Roine de hongrie fist aux estats de païs d’embas le 25 d’8bre 1555. Signatur: Archives générales du Royaume, Brüssel, Manuscrits divers, 164, fol. 35–37. Publikation: Gachard, Louis Prosper, Analectes belgiques ou receuil de pièces inédites, mémoires, notices, faits et anecdotes concernant l’histoire des Pays-Bas, Bd. 1, Paris 1830, S. 99–102.

14 Es sind zwei Abdankungsprotokolle überliefert, die sich beide in dem angeführten Bestand befinden. Der Text ist nicht ediert, sein Inhalt ist allerdings bei Eßer, Raingard, „Landgraf Moritz’ Abdankung und sein politisches Vermächtnis“, in: Gerhard Menk (Hrsg.), Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft, Marburg 2000, S. 196–214, hier: S. 204 zusammengefasst. 15 Von dieser Rede sind zwei Fassungen überliefert. Der hier angeführte Text steht in der dritten Person und ist kürzer, enthält dafür aber mehr Eigennamen. Die zweite Rede ist in der ersten Person gehalten. Sie geht auf die lateinische Übersetzung des Pontus Heuterus, Rerum Belgicarum Libri Quindecim […], Antwerpen 1598, S.  673–676, der ursprünglich auf Französisch vorgetragenen Rede zurück. Vgl. Mayer, Mathias, Kaiser Karl der Fünfte. Rede vor den Generalstaaten der Niederlande am 25 Oktober 1555 (Eva Reden, Bd. 29), Hamburg 2001, S. 48 f., dort findet sich auch eine deutsche Übersetzung der Rede, S. 7–14. Quellenverzeichnis zum Thronverzicht  

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Abdankungsrede16 Landgraf Moritz’ von Hessen-Kassel, 17. März 1627 Signatur: Staatsarchiv Marburg, 4a, 41,9, fol. 33–36. Abdankungsrede König Johann Casimirs von Polen, 16. September 1668 Publikation17: Johann Casimir von Polen, Letzte Rede / die der König in Pohlen bey Hinlegung Cron und Scepters / am 16. Septembris gegen die Stände selbigen Reichs gethan, o.O. 1668. Ansprache Napoleons vor seinen Soldaten in Fontainebleau, 20. April 1814 Publikation: Fain, Agathon Jean François, Manuscrit de mil huit cent-quatorze, trouvé dans les voitures impériales prises à Waterloo, contenant l’histoire des six derniers mois du règne de Napoléon, Paris 1824, S. 406. Abdankungsrede des russischen Zaren Nikolaus II. vom 2. März 1917, 15.05 Uhr http://rushistory.stsland.ru/Documents/Document6_4.html Abdankungsrede von Michail Romanov (Bruder des Zaren) vom 2. März 1917 Publikation: Февральская революция, Москва 1996, S. 144. Abdankungsrede König Edwards VIII. von Großbritannien, 11. Dezember 1936 Publikation vollständig: „King Edward’s Farewell ‚My Choice Alone‘. A Broadcast From Windsor“, in: The Times (Samstag, 12. Dezember 1936), S. 14. (Times Digital Archiv, Zugang: http://rzblx10.uniregensburg.de/dbinfo/detail.php?bib_id=ubhe&colors=&ocolors =&lett=fs&titel_id=5199). Publikation18: teilweise bei Ziegler, Philip, King Edward VIII, Stoud ²2001, S. 331 f. und Williams, Susan, The Peoples’s King. The True Story of the Abdication, London 2003, S. 237 f.

6. Reden / Erklärungen der Nachfolger der zurückgetretenen Fürsten Rede Philipps II. vor den Generalständen der Niederlande, gehalten vom Bischof von Arras, 25. Oktober 1555 Rémontrance faite ausdits Etats généraulx de la part dudit seigneur Roi par la bouche de Monseigneur d’Arras, au lieu et jour susdit. Signatur: Archives générales du Royaume, Brüssel, Manuscrits divers, 164, fol. 33–34. Publikation: Gachard, Louis Prosper, Analectes belgiques ou receuil de pièces inédites, mémoires, notices, faits et anecdotes concernant l’histoire des Pays-Bas, Bd. 1, Paris 1830, S. 97–99. 16 Es sind drei Versionen der Rede überliefert, wobei unklar ist, welche tatsächlich verlesen wurde. Die beiden anderen Texte finden sich ebenfalls in diesem Bestand. Eine Darstellung der relevanten Quellen findet sich bei Eßer, Raingard, „Landgraf Moritz’ Abdankung und sein politisches Vermächtnis“, in: Gerhard Menk (Hrsg.), Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft, Marburg 2000, S. 196–214, sowie auf der Homepage des Hessischen Staatsarchivs Marburg über die Online-Recherchedatenbank HADIS (Rubrik: Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, Abdication). 17 Auch vollständig online unter: VD17 – Das Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts, www.vd17.de (Stand: 27.12.2008) (Stichwort: Hinlegung). 18 Das Online-Tonarchiv der BBC, die die Rede am 11. Dezember 1936 übertrug, bietet nur Auszüge der Rede. Die Internetenzyklopädie Wikipedia bietet die vollständige Radioansprache, allerdings ohne Nennung der Quellen: http://en.wikisource.org/wiki/Edward_VIII_ of_the_United_Kingdom%27s_Abdication (Stand: 27.12.2008).

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Quellenverzeichnis zum Thronverzicht

Friedrich Wilhelm II. von Preußen, Bekanntmachung der Regierungs­veränderung in den beyden Fürstenthümern Anspach und Bayreut, Reaktion auf die Abdankung Friedrich Carl Alexanders Publikation in: Journal von und für Franken, 4 / 1792, S. 251–255.

7. Reaktionen der Untertanen Antwort der Ständevertreter auf die Abdankung Karls V., 25. Oktober 1555 Reponse faite a sa majesté imperiale en ladite assemble au lieu et jour susdit de la part desdits estats generaux des païs depardeçà. Signatur: Archives générales du Royaume, Brüssel, Manuscrits divers, 164, fol. 47–52. Publikation: Gachard, Louis Prosper, Analectes belgiques ou receuil de pièces inédites, mémoires, notices, faits et anecdotes concernant l’histoire des Pays-Bas, Bd. 1, Paris 1830, S. 91–97. Antwort der Ständevertreter auf die Abdankung König Johann Casimirs von Polen, 16. September 1668 Publikation: Zaluski, Josef Andreas, Epistolae Historico-familiares, Braunsberg 1727, S. 59 f. Protokoll19 der Sitzung des badischen Staatsministeriums am 22. November 1918 Signatur: Generallandesarchiv Karlsruhe, 233 / 24312. Publikation: Kaller, Gerhard, „Die Revolution des Jahres 1918 in Baden und die Tätigkeit des Arbeiter- und Soldatenrates in Karlsruhe“, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 114 / 1966, S. 301–350, hier: S. 338 f.

8. Motivation und Reflexion: Die Abdankung in offiziellen Staatsdokumenten und fürstlichen Egodokumenten a) Motivation zur Abdankung Rede Philiberts de Bruxelles im Namen Karls V. vor den Generalständen der Niederlande, 25. Oktober 1555 Proposition faite au nom de l’Empereur aux estats generaux des païs depardeça assemblez en la grande sale en la ville de Brusselles, le 25e jour d’octobre 1555. Signatur: Archives générales du Royaume, Brüssel, Manuscrits divers, 164, fol. 39–43. Publikation: Gachard, Louis Prosper, Analectes belgiques ou receuil de pièces inédites, mémoires, notices, faits et anecdotes concernant l’histoire des Pays-Bas, Bd. 1, Paris 1830, S. 81–87. Instruktionen Karls V. für den Kanzleirat Paul Pfintzing, 19. / 20. September 1555 Signatur20: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Reichskanzlei, Reichstagsakten 41 (Konvolut Kurfürstentag zu Frankfurt 1558, Nr. 53). 19 Im gleichen Dokument befindet sich auch die Niederschrift der Verzichtserklärung Großherzog Friedrichs II. von Baden. 20 Das Original ist nicht mehr vorhanden, eine Abschrift verbrannte 1927. Die hier angeführte Signatur ist die eines Reinkonzeptes, vgl. Laubach, Ernst, Ferdinand I. als Kaiser. Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V., Münster 2001, S. 135, Fn. 635. Der Text ist nicht vollständig ediert, Turba, Gustav, „Beiträge zur Geschichte der Habsburger III. Zur deutschen Reichs- und Hauspolitik der Jahre 1553 bis 1558“, in: Archiv für österreichische Geschichte, Quellenverzeichnis zum Thronverzicht  

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Instruktionen für die Abdankungsgesandtschaft Karls V., 3. August 1556 Summarium commissionis lagatorum Caroli V. Imperatoris in causa resignationis Rom. Regi facienda[e] Signatur: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Bestand Hofkanzlei II B 4, Succession Böhmen: Akt 3. Publikation: vollständig bei Hoffmann, Johann Wilhelm, „Acta und vollständige Beschreibung von der durch Kayser Carls des Fünften Gesandten zu Frankfurtn am Mayn 1558 vollzogenen Resignation der Kayserlichen Würde“, in: Ders., Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nachrichten, Bd. 1, Halle 1736, S. 23–26; teilweise bei Turba, Gustav, „Beiträge zur Geschichte der Habsburger III. Zur deutschen Reichs- und Hauspolitik der Jahre 1553 bis 1558“, in: Archiv für österreichische Geschichte, 90 / 1901, S. 233–319, hier: S. 314–316. Rede Christinas von Schweden, Juni 1654 Publikation: Arckenholz, Johann, Historische Merkwürdigkeiten, die Königinn Christina von Schweden betreffend […], Bd. 1, Leipzig / Amsterdam 1751, S. 425 f. Handschreiben Josephs II. an Maria Theresia, 23. September 1777 Drohung, wegen antiprotestantischer Religionspolitik in Mähren, als österreichischer Mitregent zurückzutreten21 Publikation: Arneth, Alfred von, Maria Theresia und Joseph II. Ihre Correspondenz sammt Briefen Joseph’s an seinen Bruder Leopold, 1773 – Juli 1778, Bd. 2, Wien 1867, S. 160 f. Abdankungserklärung des Herzogs von Curland 1795. Publikation: Politisches Journal, 2 / 1795, S. 698–701. Abschiedsschreiben Heinrichs LXXII. von Reuß-Lobenstein-Ebersdorf, 1. Oktober 1848 Publikation: Leipziger Zeitung, Nr. 306 vom 1. November 1848. Abschiedsschreiben Herzog Josephs von Sachsen-Altenburg, 30. November 1848 Publikation: Leipziger Zeitung, Nr. 342 vom 19. Dezember 1848.

b) Reflexionen Abschiedsschreiben Karls V. an die deutschen Fürsten, 5. September 1556 Signatur: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Reichskanzlei, Reichsakten in genere 36, fol. 2r / v. Publikation: Hoffmann, Johann Wilhelm, Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nachrichten, Bd. 1, Halle 1736, S. 12–14. Tagebucheintrag Großherzogs Leopolds II. von Toskana zum 21. Juli 1859 Signatur: Zentrales Staatsarchiv Prag, Familienarchiv Habsburg-Lothringens, Leopold II., Diario del 1859, Nr. 32. Publikation: Pesendorfer, Franz (Hrsg.), Il governo di famiglia in Toscana. Le memorie del granduca Leopoldo II. di Lorena (1824–1859), Florenz 1987, S. 531. 90 / 1901, S. 233–319, hier: S. 246 f., zitiert Auszüge aus dem später verbrannten Exemplar, während Laubach, Ernst, Ferdinand I., 2001, S. 136 nach dem Reinkonzept zitiert. 21 Eine Übersetzung findet sich bei Klueting, Harm (Hrsg.), Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reformen (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr von Stein Gedächtnisausgabe, Bd. 12) Darmstadt 1995, Nr. 78, S. 208 f.

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Quellenverzeichnis zum Thronverzicht

Briefe über Abdankung Leopolds II. und Regierungsantritt Ferdinands IV. an Kaiser Franz Josef, 22. Juli 1859 Signatur: Österreichisches Staatsarchiv Wien, k. k. Ministerium des Äußeren, Administrative Registratur F 2, Kt. 16 (Toskana). Aufzeichnung der Abdankungsvorgänge durch Leopold IV. zur Lippe, 17. November 1918 Signatur: Der Brief befindet sich im Privatbesitz Armins Prinz zur Lippe-Detmold. Publikation: Kittel, Erich, „Die Revolution von 1918 in Lippe“, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, 37 / 1968, S.  32–153, hier: S.  109–116, Anlage III.

9. Visualisierung von fürstlichen Abdankungen Die Abdankung Karls V., Gemälde von Frans Francken II, um 1620, Rijksmuseum, Amsterdam, Vorlage: http://www.rijksmuseum.nl/aria/aria_assets/SK-A–112?lang=en (26.12.2008). Die Abdankung Karls V. in Brüssel, Gemälde von Louis Gallait, 1841, Musée des Beaux-Arts, Tournai, Vorlage: Hugo Soly (Hrsg.), Karl V. 1500–1558 und seine Zeit, Köln 2000, S. 462. Die Übernahme der Amtsgewalt in Burgund durch König Philipp II. am 25. Oktober 1555 in Brüssel, Kupferstich von Franz Hogenberg, Bibliothèque Royal Albert I, Cabinet des Estampes, Brüssel, Vorlage: Hellwig, Fritz (Hrsg.), Franz Hogenberg – Abraham Hogenberg. Geschichtsblätter, Nördlingen 1983, Abb. 13. Die Übertragung der Herrschaft Burgunds an Philipp II. am 25. Oktober 1555 in Brüssel, Kupferstich von Franz Hogenberg, Bibliothèque Royal Albert I, Cabinet des Estampes, Brüssel, Vorlage: Hellwig, Fritz (Hrsg.), Franz Hogenberg – Abraham Hogenberg. Geschichtsblätter, Nördlingen 1983, Abb. 12. Die Übergabe der Niederlande an Philipp II., Kupferstich von Simon Fokke, in: Wagenaar, Jan, Vaderlandsche Historie, Beginnende, in ’t jaar 1529, en einigende, met der Overdragt der Landen […] an zynnen Zoon, Filips, in ’t jaar 1555, Bd. 5, Amsterdam 1751, S. 434a. Abdankung Königin Christinas von Schweden im Schloss von Uppsala am 6. Juni 1654, Kupferstich von Willem Swidde nach einem Original von Erik Dahlberg, Kungliga Biblioteket Stockholm, Vorlage in: Samuel Pufendorf, Sieben Bücher von denen Thaten Carl Gustavs in Schweden […], Nürnberg 1697, S.  6a, auch in: Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn (Hrsg.), Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Frühe Neuzeit, Bd. 25), Tübingen 1995, S. 679. Napoleon22 nach seiner Abdankung, Illustration von Horace Vernet, in: Paul-Marie Laurent de l’Ardèche, Histoire de l’Empereur Napoléon, Paris 1839, S. 699. Napoleons Abschied von seiner Garde in Fontainebleau am 20. April 1814, Gemälde von Horace Vernet, Châteaux de Versailles et de Trianon, Vorlage: Ullrich, Volker, Napoleon. Eine Biographie, Hamburg 2004, S. 125. Abdankung Wilhelms II., Karikatur von Will Dyson: „Prophecy? (Dropping the Pilot)“, in: The Herald, 10. November 1914, auch in: Rebentisch, Jost, Die vielen Gesichter des Kaisers. Wilhelm II. in der deutschen und britischen Karikatur (1888–1918), Berlin 2000, S. 406, Abb. 129. 22 Napoleons Abdankungsakt in Fontainebleau wurde vielfach in der Kunst dargestellt. Einen Überblick bietet die Suche innerhalb der digitalen Bildarchive. Quellenverzeichnis zum Thronverzicht  

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10. Abdankungen in frühneuzeitlichen historischen Betrachtungen Abdankung Königin Christinas von Schweden, 1654 Alembert, Jean-Baptiste Le Rond d’, „Anecdoten und Anmerkungen über Christina, Königinn von Schweden“, in: Hamburgisches Magazin oder gesammlete Schriften, zum Unterricht und Vergnügen, 13.4 / 1754, S. 339–401. Anonymus, Staats und Geschichts-Spiegel. Worinnen I. der Status Politicus in denen fürnehmsten Europöischen [sic!] Reichen. […] IV. Die von der Königin Christinen in Schweden beschehene Abdication des Reichs / und gehaltene Valet-Rede […], o.O. 1673. Arckenholz23, Johann, Historische Merkwürdigkeiten, die Königinn Christina von Schweden betreffend […], Bd. 1, Leipzig / Amsterdam 1751, S. 412–469. Heise, J. C. F., „Von des Großsultans Amurath des II. zweymaliger Niederlegung der Regierung, und mehrern ähnlichen Entschließungen“, in: Hannoverisches Magazin, 9 / 1771, S. 1073–1084. (Bezüge zur Abdankung Christinas) Wartmann24, Sigismund Friedrich, Polonia Suspirans. Durch die klagende Königin Polonia auff dem Parnasso Apollini vorgetragen. Das ist: Von Staats-Sachen / Zustand / Königlicher Sucession, Abdication, Nachbarschafft / Verein- und Trennung der beyden Königreiche Pohlen und Schweden […], Frankfurt 1656. Whitelocke, B., „Gespräch zwischen der Königin Christina von Schweden und dem Lord Whitelocke, Ambassadeur Oliver Chromwells am Schwedischen Hofe“, in: Minerva. Ein Journal historischen und politischen Inhalts, 1 / 1806, S. 467–479. Berichte25 über die Abdankung König Viktor Amadeus’ II. von Sardinien, 1730 Blondel, Louis-Augustin de, „Anecdotes sur la Cour de Sardaigne par Mr. Blondel, Chargé des Affaires de France à Turin (Memorie aneddotiche sulla Corte di Sardegna del Conte di Blondel, Ministro di Francia a Torino, sotto i Re Vittorio Amedeo II e Carlo Emanuele III)“, hrsg. von Vincenzo Promis, in: Miscellanea di Storia Italiana, 13 / 1871, S. 459–693. Radicati Conte di Passerano e Cocconato, Alberto, Histoire de l’abdication de Victor-Amedée Roi de Sardaigne etc. de sa détention au chateau de Rivoli et des moyens qu’il s’est servi pour remonter sur le trone, London 1734. Trivié, Wicardel de Fleury Marquis de, „Geschichte der Abdankung Königs Victor Amadeus II. von Sardinien“, in: Neues deutsches Magazin, 6 / 1803, S. 251–297. Bericht über die Abdankung Markgraf Carl Alexanders von Ansbach-Bayreuth, 1791 Beiträge zu der Lebensgeschichte des letzten Regenten der Brandenburgischen Markgrafentümer Signatur: HStA Nürnberg, Hist. Verein f. Mfr. Ms hist., Nr. 40, Von Gemmingen. 23 Dort sind diverse Briefe, Reden und Urteile der Zeitgenossen enthalten. Pufendorf, Samuel, Commentariorum de Rebus Suecicis Libri XXVI […], Frankfurt 1705, S. 1061–1064 berichtet ebenfalls über die Abdankung. 24 Die Urheberschaft der Schrift ist strittig. Als Autor wird auch manchmal Christian Gottfried Franckenstein genannt. 25 In den Berichten sind auch viele Briefe und Reden enthalten, die hier nicht weiter aufgeführt werden.

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Quellenverzeichnis zum Thronverzicht

11. Die Wahrnehmung von Abdankungen in der Presse Anonymus, „Briefwechsel zwischen Graf Wilhelm VII. zu Henneberg und seinem Sohn Graf Poppen XVIII. Domherr zu Würzburg, Bamberg und Straßburg, die für letztern, wegen Resignation des Geistlichen Standes, auszuwürkende Päbstliche Dispensation betreffend“, in: Historisch-Litterarisches Magazin, 3 / 1786, S. 152–170. Anonymus, „Ueber die Bittschrift der Braunschweiger an ihren Herzog“, in: Berlinische Monatsschrift, Januar 1806, S. 314–317. „Europa zu Anfange des Jahres 1814“, in: Minerva. Ein Journal historischen und politischen Inhalts, 2 / 1814, S. 418–482. Hanov, M. C., „Von derAbdankung des Hohemeisters Poppo von Osterna“, in: Hamburgisches Magazin, oder gesammlete Schriften, zum Unterricht und Vergnügen, 24.3 / 1760, S. 318–328. Velthusen, J. P., „Anekdote“ (Abdankung Christine, Königin von Schweden), in: Hannoverisches Magazin, 10 / 1772, S. 1611–1616. Abdankung König Edwards VIII. – Artikel der London Times (Times Digital Project) „Abdication Of King Edward VIII. Final Appeal By The Cabinet Rejected. Prime Minister’s Story Of The Crisis. ‚Let US Rally Behind The New King’“, in: The Times, (Freitag, 11. Dezember 1936), S. 7. „King Edward’s Reign Shortest For 453 Years“, in:  The Times, (Freitag, 11. Dezember 1936), S. 10. „King Edward To Broadcast A Message To-Night“, in: The Times, (Freitag, 11. Dezember 1936), S. 16. „King Edward’s Choice“, in: The Times, (Freitag, 11. Dezember 1936), S. 17. „Departure Of King Edward Sailing From Portsmouth Early To-Day“, in: The Times, (Samstag, 12. Dezember 1936), S. 14. „Idol Of The Nation King Edward As HE Was“, in: The Times, (Montag, 14. Dezember 1936), S. 19. „A Statement By Mrs. Simpson‚Willing To Withdraw’“, in: The Times, (Dienstag, 8. Dezember 1936), S. 16. „The King’s Abdication: Incidents In London“, in: The Times, (Freitag, 11. Dezember 1936), S. 11. „King And Monarchy“, in: The Times, (Donnerstag, 3. Dezember 1936), S. 15. „Grievous Blow’ To The Monarchy“, in: The Times, (Mittwoch, 9. Dezember 1936), S. 14. „Pride In The Monarchy Bishop Of Coventry On A Long View“, in: The Times, (Donnerstag, 10. Dezember 1936), S. 16. „Monarchy Strong Against All Dangers“, in: The Times, (Freitag, 11. Dezember 1936), S. 21. „Nationalist View In South Africa. ‚Blow’ To Monarchy“, in: The Times, (Samstag, 12. Dezember 1936), S. 9. „The King and A Crisis Points At Issue. Two Meetings In Retrospect. Waiting For A Statement“, in: The Times, (Freitag, 4. Dezember 1936), S. 16. „Constitutional Crisis Newspaper Comment. The Crown As Link Of Empire“, in: The Times, (Freitag, 4. Dezember 1939), S. 18.

Quellenverzeichnis zum Thronverzicht  

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„Dominions And The Crisis Cabinet’s Action Supported. Australian Policy“, in: The Times, (Samstag, 5. Dezember 1936), S. 14. „Press Views On The Crisis Ministers And Their Task. Dominion Attitude“, in: The Times, (Montag, 7. Dezember 1936), S. 8. „London In The Crisis Street Scenes. Expressions Of Popular Feeling“, in: The Times, (Montag, 7. Dezember 1936), S. 8. „Opinion On The Crisis. No ‚Pressure‘ On The King. Relentless Events“, in: The Times, (Montag, 7. Dezember 1936), S. 14. „Dominions And The Crisis Canadian Concern, Public Opinion Divided“, in: The Times (Montag, 7. Dezember 1936), S. 16. „Further Statement On The Crisis. Mr. Baldwin’s Great Welcome. Ministers Have Answered Only One Question. No Advice Until The King Decides“, in: The Times, (Dienstag, 8. Dezember 1936), S. 16. „New Zealand Premier On The Crisis. ‚Unthinkable‘ As Election Issue“, in: The Times, (Dienstag, 8. Dezember 1936), S. 18. „The Crisis–A Day Of Suspense. Mr. Baldwin With The King Last Night. Cabinet Meeting This Morning. Labour Party And The Government, in: The Times, (Mittwoch, 9. Dezember 1936), S. 14. „An Epitome Of The Crisis. ‚The Times Weekly Edition’“, in: The Times, (Donnerstag, 10. Dezember 1936), S. 9. „The Crisis-Statement To-Day Two Cabinet Meetings. Activity Of Duchy Of Cornwall Official. Preparing For Possible Abdication“, in: The Times, (Donnerstag, 10. Dezember 1936), S. 14. „History Of The Crisis Rumour And Fact. The King’s Decision To Abdicate“, in: The Times, (Freitag, 11. Dezember 1936), S. 10. Dugdale, Blanche, „The Empire And The Crisis Bonds Of Spirit. Lord Balfour’s Vision In 1930“ (Leserbrief ), in: The Times, (Montag, 14. Dezember 1936), S. 15. „Churches And The Crisis Archbishop’s Broadcast. ‚The Pity Of It’“, in: The Times, (Montag, 14. Dezember 1936), S. 19. „National Labour And Recent Events Lessons Of The Crisis“, in: The Times, (Freitag, 18. Dezember 1936), S. 20. „Nation Strengthened By The Crisis. Dr. Temple And The New Reign“, in: The Times, (Mittwoch, 23. Dezember 1936), S. 5. „Opinion In The Dominions Canadian Reactions. The Flood Of American Stories“, in: The Times, (Freitag, 4. Dezember 1936), S. 16. „Constitutional Crisis Newspaper Comment. The Crown As Link Of Empire“, in: The Times, (Freitag, 4. Dezember 1936), S. 18. „Members And The Statement Clearing The Air. No Consent To Marry Required“, in: The Times, (Samstag, 5. Dezember 1936), S. 12. „Feeling In New Zealand. ‚Gravity Of The Crisis’“, in: The Times, (Samstag, 5. Dezember 1936), S. 14. Garvin, J. L., „Press Views On The Crisis Ministers And Their Task. Dominion Attitude“, in: The Times, (Montag, 7. Dezember 1936), S. 8. „House Of Commons“, in: The Times, (Dienstag, 8. Dezember 1936), S. 7.

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Quellenverzeichnis zum Thronverzicht

„Lobby Opinion. Mr. Churchill’s Bad Day. No Further Cabinet Called“, in: The Times (Dienstag, 8. Dezember 1936), S. 16. „Continued Anxiety In Canada Damage To Sentiment“, in: The Times, (Donnerstag, 10. Dezember 1936), S. 14. „House Of Commons“, in: The Times, (Freitag, 11. Dezember 1936), S. 7. „The King Abdicates. Duke Of York Ascends The Throne. Decision ‚Final And Irrevocable’. Mr. Baldwin’s Narrative Of His Efforts. Succession Bill To Pass To-Day“, in: The Times, (Freitag, 11. Dezember 1936), S. 16. „House Of Commons“, in: The Times, (Samstag, 12. Dezember 1936), S. 7. „Canada And The Abdication Cabinet’s Appeal To King Edward“, in: The Times, (Mittwoch, 20. Januar 1937), S. 13.

Quellenverzeichnis zum Thronverzicht  

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Autorenverzeichnis Bernd Braun, Dr. phil., Historiker, 1990 bis 1999 Museumspädagoge, seitdem Wis-

senschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg, Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg, Veröffentlichungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung und der Weimarer Republik, Kurator der Wanderausstellung „Die Reichskanzler der Weimarer Republik – Zwölf Lebensläufe in Bildern“. Wilhelm Brauneder, Prof. Dr., seit 1980 Ordentlicher Universitätsprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Wien. Über 400 Publikationen und etwa 200 Buchbesprechungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte (vor allem Lehrbuch „Österreichische Verfassungsgeschichte“, 11. Aufl. 2009, ungarische Übersetzung 1994), zur Privatrechtsgeschichte (u.a. Lehrbuch in ungarischer Sprache, 1995), zum ehelichen Güterrecht („Entwicklung des Ehegüterrechts in Österreich“, ABGBKommentar) und zum Verfassungsrecht. Dirk Dirbach, M.A., Volljurist, hat parallel zum Jurastudium Geschichte und Politologie studiert und 1999 an der Universität Freiburg mit dem „Magister Artium“ abgeschlossen. 1998 bis 2000 Rechtsrefendariat mit Stationen am Umweltbundesamt in Berlin und bei amnesty international in Uruguay. 2001 und 2002 Volontariat bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Danach Wissenschaftlicher Assistent am Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft, Germanistische Abteilung, der Universität Heidelberg. Derzeit Ressortleiter beim Deutschen Olympischen Sportbund. Jochen A. Fühner, Dr. phil., Historiker, promovierte 2003 in Heidelberg mit einer Arbeit über „Die Kirchen- und die antireformatorische Religionspolitik Kaiser Karls V. in den siebzehn Provinzen der Niederlande 1515–1555“. Nach einem Aufbaustudium in Budapest arbeitete er am Historischen Museum Frankfurt am Main an Konzeption und Organisation mehrerer großer kulturhistorischer Ausstellungen mit, darunter „Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle 1356–1806“. Die Appellationen an den Reichshofrat sind Gegenstand seiner aktuellen Forschungstätigkeit als Mitarbeiter der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Hans Hattenhauer, Prof. Dr. iur., emeritierter Professor für Deutsche und Euro­ päische Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Handelsrecht an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel.

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Autorenverzeichnis

Michael Horn, Dr. des., M.A., Historiker und Politologe. Geprüfte wissenschaftliche

Hilfskraft und Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Promotion über die antipreußische Bewegung im Reichsgründungsjahrzehnt. Arbeitsschwerpunkte: Reichsgründung, Kaiserreich und Weimarer Republik. Winfried Klein, Dr. iur., 2004 Promotion zum Thema: „Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht des 19. Jahrhunderts“. Von 2004 bis 2006 Rechtsreferendar am Landgericht Heidelberg. Seit 2006 Rechtsanwalt und seit 2008 Mitarbeiter einer renommierten BGH-Anwaltskanzlei. Ingo Knecht, Dr. iur., 2001 bis Juni 2005 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Insti-

tut für Öffentliches Recht der Philipps-Universität Marburg am Lehrstuhl von Prof. Dr. Werner Frotscher tätig. 2006 Promotion mit der Arbeit „Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803. Rechtmäßigkeit, Rechtswirksamkeit und verfassungsgeschichtliche Bedeutung“, Berlin 2007. Von 2005 bis August 2007 Rechtsreferendar am Landgericht Marburg, seit Dezember 2007 als Richter am Amtsgericht Coburg tätig. Sebastian Meurer, M.A., Historiker und Religionswissenschaftler, 2008 Studienab-

schluss mit einer Arbeit über „Die Idee des germanischen Ursprungs der Engländer von der Reformation bis zur Amerikanischen Revolution“. Sein Interessenschwerpunkt liegt in der Ideengeschichte der Frühen Neuzeit. Er ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg tätig und arbeitet an einer Dissertation über frühneuzeitliche Vorstellungen von Verwaltung im britischen Empire. Michael Roth studiert seit 2007 Geschichte und Historische Grundwissenschaften

an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Seit 2008 ist er als studentische Hilfskraft im Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg tätig. Susan Richter, Dr. phil., Historikerin und Germanistin, 2007 Promotion zum Thema

„Fürstentestamente der Frühen Neuzeit. Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation“, Göttingen 2009, 2008 Ruprecht-Karls-Preis der Universität Heidelberg für die Dissertation. 2004-2008 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Heidelberg, seit 2008 Nachwuchsgruppenleiterin am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“, Forschungsschwerpunkte: Politische und Ideengeschichte der Frühen Neuzeit, Kulturgeschichte und Kulturtransfer zwischen Europa und Asien. Autorenverzeichnis  

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Martin Schieder, Prof. Dr. phil., forscht und lehrt als Professor für moderne und

zeitgenössische Kunstgeschichte an der Universität Leipzig. Zuvor war er als Wissenschaftlicher Assistent und Gastprofessor an der Freien Universität Berlin sowie als Zweiter Direktor am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die französische Kunst des 18. bis 20. Jahrhunderts, der deutsch-französische Kulturtransfer sowie die deutsch-deutsche Kunstgeschichte seit 1945. In dem Rahmen hat er an verschiedenen Forschungs- und Ausstellungsprojekten mitgewirkt sowie Publikationen veröffentlicht; darunter Jenseits der Aufklärung. Die religiöse Malerei im ausgehenden Ancien Régime (1997) und Im Blick des anderen. Die deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1945–1959 (2005; ausgezeichnet mit dem Deutsch-französischen Parlamentspreis 2005 des Deutschen Bundestages und der Assemblée Nationale). Carola Schulze, Prof. Dr. iur., 1975 Promotion zum Thema der subjektiven Rechte

der Bürger. 1981 Habilitation mit einer Arbeit über gesetzgebungstheoretische Probleme. 1986 wurde sie Professorin für Rechtstheorie. Seit 1994 ist sie Professorin für Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, öffentliches Recht an der Universität Potsdam. Sie hat vor allem auf den Gebieten der Verfassungsgeschichte (Frühkonstitutionalismus in Deutschland, 2003), der Rechtsphilosophie (Klausurenbuch Rechtsphilosophie, 2005), dem Haftungsrecht (Recht der öffentlichen Ersatzleistungen, 2008) publiziert und am GG-Kommentar (Art. 122–128), hrsg. von Sachs, mitgewirkt. Volker Sellin, Prof. Dr. phil., war von 1980 bis 2004 Ordinarius für neuere Geschichte an der Universität Heidelberg. Zu seinen jüngsten Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte der deutschen Universität unter dem Nationalsozialismus und die vergleichende Geschichte Europas in der Epoche zwischen Aufklärung und Restauration. Gegenwärtig arbeitet er an einer Untersuchung über die Legitimität der Monarchie in Europa vom 18. bis 20. Jahrhundert. István Szabó (PhD), Promotion: Universität Miskolc (1999); Habilitation: Universi-

tät Miskolc (2007); Arbeitsplatz: Katholische Universität Pázmány Péter (Budapest), Juristische Fakultät, Leiter des Lehrstuhls für Rechtsgeschichte; Forschungsthemen: ungarische Verfassungsgeschichte nach 1848, deutsche Verfassungsgeschichte nach 1806, österreichische Verfassungsgeschichte nach 1848. Eva Maria Werner, Dr. phil., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität

Innsbruck im Forschungsprojekt „Der Wiener Kongress und die politische Presse“. Sie wurde 2008 mit einer Arbeit über die Märzministerien der Revolution von 1848 an den Universitäten Innsbruck und Trient promoviert.

346  

Autorenverzeichnis

Thomas Wetzstein, PD Dr. phil., 2002 Promotion (Ruprecht-Karls-Universität Hei-

delberg); 2002-2006 Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main; seit 2003 Lehrbeauftragter, 2007-2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Historischen Seminars der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg am Lehrstuhl von Prof. Dr. Stefan Weinfurter, 2009 Habilitation zum Thema: „Die Überwältigung des Raumes. Studien zur Kommunikationsgeschichte des europäischen Hochmittelalters“, momentan akademischer Mitarbeiter für die Lehre im Bereich mittelalterliche Geschichte und Historische Grundwissenschaften.

Autorenverzeichnis  

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Abb. 1

Richard II übergibt Krone und Zepter an Henri de Lancastre, in: Jean Froissart: Croniques de France, d’Angleterre […] et lieux circunvoisins, London, British Library, ms. Harley 4380, fol. 184.

Abb. 2

Jacques-Louis David: Le Couronnement de l’Empereur et de l’Impératrice, 1806–1807, 629 x 979 cm, Paris, Musée du Louvre.

Abb. 3

Franz Hogenberg: Die Abdankung von Karl V. am 25. Oktober 1555, um 1558, Kupferstich, Amsterdam, Rijksmuseum.

Abb. 4

Franz Hogenberg: Die Übernahme der Amtsgewalt in Burgund durch König Philipp II. am 25. Oktober 1555, um 1558, Kupferstich, Amsterdam, Rijksmuseum.

Abb. 5

Frans Francken II.: Allegorie auf die Abdankung von Karl V. am 25. Oktober 1555 in Brüssel, um 1620, 134 x 172 cm, Amsterdam, Rijksmuseum.

Abb. 6

Louis Gallait: Die Abdankung Kaisers Karls V. zugunsten seines Sohnes Philipps II. in Brüssel am 25. Oktober 1555, 1838–1841, Öl auf Leinwand, 485 x 683 cm, Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique.

Abb. 7

F. Brenet (nach Vivant Denon): L’empereur Napoléon abdique XI avril MDCCCXIV, 1814, Medaille, Paris, Monnaie des Médailles.

Abb. 8

Horace Vernet: Adieux de Napoléon Ier à la garde impériale à Fontainebleau, 20 avril 1814 , 1825, 98 x 130 cm, Privatsammlung.

Abb. 9

Anonym: Es soll dieses Bein mich länger nicht erfreun?, 1848, Kreidelithographie 37,2 x 26,1 cm (Blatt) / 28,5 x 22,3 cm (Darstellung).

Abb. 10 Will Dyson: Prophecy? (Dropping the pilot), in: The Herald, 10. Oktober 1914.

Abb. 11

Edward VIII, Herzog von Windsor, bei der Radioansprache am 10. Dezember 1936, in der er seinen Thronverzicht erklärt, um Wallis Simpson zu heiraten.

Abb. 12 a und b Königin Juliana dankt zugunsten ihrer Tochter Beatrix ab, 30. April 1980 auf dem Balkon des Koninklijk Paleis in Amsterdam.

Forschungen zur Kaiser- und PaPstgeschichte des Mittelalters

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Band 23:

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2008. 472 S. 8 s/w-Abb. Gb. ISBN 978-3-205-77643-7

Band 28: Wilfried Hartmann, Klaus Herbers (Hg.) die faszination der papstgeschichte neue zugänge zum frühen und hohen mittelalter

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Als Franz II. am 6. August 1806 die Kaiserkrone niederlegte und damit auch das Ende des Heiligen Römischen Reiches besiegelte, tat er dies in Wien. Gut 1000 Jahre zuvor hatte Karl der Große Aachen zu seiner Lieblingspfalz erkoren. Im Verlaufe seines Bestehens hatte sich offenbar das Zentrum des Reiches, das an antik-römische Traditionen anknüpfte, vom Westen nach Südosten verlagert. Dieses Alte Reich, zu dem lange Zeit auch Italien und Burgund gehörten und dessen Grenzen sich in Mittelalter und Früher Neuzeit mehrfach änderten, hat etwa ein Jahrtausend lang die kulturelle, soziale und politische Geschichte Europas maßgeblich beeinflusst. Das vorliegende Studienbuch bietet die einzige sowohl Mittelalter als auch Neuzeit umfassende Darstellung dieses Herrschaftsgebildes. Darin werden die Entstehung und Entwicklung, aber auch das Ende des Heiligen Römischen Reiches anschaulich nachgezeichnet. Ergänzt wird der informative Überblick durch neues Kartenmaterial und Tabellen. 2010. 371 S. Mit zahlreichen Karten und tabellen. 120 x 185 MM. iSbn 978-3-8252-3298-6

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Päpsten und Kaisern war nach mittelalterlicher Auffassung die Führung der Christenheit gemeinsam anvertraut. Die jeweiligen Kompetenzen und Einflussbereiche waren jedoch nicht unumstößlich festgeschrieben, sondern unterlagen den sich wandelnden realpolitischen Machtkonstellationen. Beide Gewalten trugen nicht unabhängig voneinander, sondern gemeinsam Ver­ antwortung für die christliche Gesellschaft. Ohne ein fundiertes Wissen über diese weltliche und geistliche Führung kann das Mittelalter nicht verstan­ den und beurteilt werden. Heike Johanna Mierau legt mit diesem Buch eine moderne Überblicksdarstellung für die Zeit von Konstantin dem Großen und Papst Silvester bis zur Reformation vor und bewertet den oft spannungs­ geladenen Dualismus zwischen den Herrschern im Licht der jüngeren For­ schung neu. 2010. 328 S. mit 20 S/w-Abb. Auf 16 tAf. Gb. mit Su. 155 x 230 mm. iSbN 978-3-412-20551-5

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