Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant: Zur systematischen Bedeutung der Termini "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" in der "Kritik der reinen Vernunft" 9783110855999, 3110098113, 9783110098112

268 100 45MB

German Pages 333 [336] Year 1983

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant: Zur systematischen Bedeutung der Termini "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" in der "Kritik der reinen Vernunft"
 9783110855999, 3110098113, 9783110098112

Table of contents :
VORWORT
ZUR ZITIERWEISE VON KANTS WERKEN
0. EINLEITUNG
1. SINNLICHKEIT UND SUBJEKTIVITÄT
2. VERSTAND UND OBJEKTIVITÄT
3. URTEILSKRAFT UND REALITÄT
4. VERNUNFT UND IDEALITÄT
5. SCHLUSS: THEORETISCHE GEGENSTANDSBEZIEHUNG UND DER “LEHRBEGRIFF” DES TRANSZENDENTALEN IDEALISMUS
ANHANG: KONKORDANZ ZU “OBJEKTIVE REALITÄT” UND “OBJEKTIVE GÜLTIGKEIT”
LITERATURVERZEICHNIS

Citation preview

Günter Zöller Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant

W DE

G

Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft in Verbindung mit Ingeborg Heidemann herausgegeben von Gerhard Funke und Joachim Kopper

117

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1984

Günter Zöller

Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant Zur systematischen Bedeutung der Termini „objektive Realität" und „objektive Gültigkeit* in der „Kritik der reinen Vernunft"

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1984

CIP-Kurzutelaufnähme der Deutschen Bibliothek

Zöller, Günter: Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant : zur systemat. Bedeutung d. Termini „objektive Realität" u. „objektive Gültigkeit" in d. „Kritik der reinen Vernunft" / Günter Zöller. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1984. (Kantstudien : Erg.-H. ; 117) ISBN 3-11-009811-3 NE: Kantstudien / Ergänzungshefte

Copyright 1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30 - Printed in Germany - Alle Rechte der Übersetzung, des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen — auch auszugsweise — vorbehalten. Druck: Werner Hildebrand OHG, Berlin 65 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

DEN ELTERN ZUM DANK

VORWORT

Die folgende Untersuchung wurde im Herbst 1982 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelmsüniversität Bonn als Dissertation angenommen und vor der Drucklegung an einigen Stellen überarbeitet. Für die Heranführung an das Denken Kants, die Einübung in den analytischen Umgang mit philosophischen Texten und die Anleitung zum systematischen Philosophieren danke ich an dieser Stelle insbesondere Frau Professor Dr. Ingeborg Heidemann, die auch die Anfertigung der Arbeit betreute, sowie den Herren Professoren Dr. Peter Baumanns und Dr. Hans Wagner. Der Studienstiftung des deutschen Volkes möchte ich danken für die Förderung während meiner Studienzeit und für die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Schließlich gilt mein Dank den Herausgebern der Ergänzungshefte zu den Kant-Studien, den Herren Professoren Dr. Gerhard Funke und Dr. Joachim Kopper, für das Interesse an der Arbeit sowie dem Verlag, und hier insbesondere Herrn Professor Dr. Wenzel, für das freundliche Entgegenkommen.

Bonn, im August 1983

Günter Zöller

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

VII

ZUR ZITIERWEISE VON KANTS WERKEN

XII

0. EINLEITUNG 1. SINNLICHKEIT UND SUBJEKTIVITÄT Die Voraussetzungen einer transzendentalen Ästhetik 1.1.1. Existenz, Realopposition und synthetische Methode 1 . 1 . 2 . Die Wirklichkeit des Raumes 1 . 1 . 3 . Sinnlichkeit als Prinzipiengefüge und der Begriff einer sinnlichen Anschauung 1.2. Raum und Zeit als Formen der Anschauung 1.3. Die "objektive Gültigkeit" von Raum und Zeit als deren "objektive Realität" 1.4. Die Grammatik von "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" 1.5. "Empirische Realität" und "transzendentale Idealität" von Raum und Zeit 1.6. Die Widerlegungen des Idealismus 1.7. Vergleich mit "realitas objective" bei Descartes 1.8. übersieht in Thesenform

1 13

1.1.

16 18 26 30 36 47 54 57 67 77 80

2. VERSTAND UND OBJEKTIVITÄT

83

2.1.

Die Idee einer transzendentalen Logik

84

2.2. 2.3. 2.4. 2.4.1.

Eine "Logik der Wahrheit" Der "transzendentale Inhalt" Die transzendentale Deduktion Kategorien und transzendentale Deduktion

91 97 104 105

X

Inhaltsverzeichnis

2 . 4 . 2 . Das allgemeine Prinzip der transzendentalen Deduktion 2 . 4 . 3 . Die Beziehung auf einen transzendentalen Gegenstand (Erstfassung der Kategoriendeduktion) .... 2 . 4 . 4 . Das Strukturproblern der transzendentalen Deduktion (Zweitfassung der Kategoriendeduktion) .... 2 . 4 . 5 . Transzendentale Apperzeption und "objektive Bestimmung" 2 . 4 . 6 . Denken und Erkennen eines Gegenstandes 2.5. Übersicht in Thesenform

1 40 159 1 80

3. URTEILSKRAFT UND REALITÄT

183

"Bedeutung", "Sinn" und "Möglichkeit der Erfahrung" 3.1.1. "Logische Bedeutung" 3 . 1 . 2 . "Möglichkeit der Erfahrung" 3 . 1 . 3 . "Bestimmte Bedeutung" 3.2. Die reine Mathematik als "Mathematik der Erscheinungen" , 3.3. Realität in der Erscheinung und reale Wirklichkeit 3.4. Erscheinung und empirisches Objekt 3.5. Darstellung im Beispiel und Diskursivität der philosophischen Vernunfterkenntnis 3.6. Übersicht in Thesenform

113 120 133

3.1.

4. VERNUNFT UND IDEALITÄT

4.1. 4.2. 4.3. 5.

Der "Gegenstand in der Idee" Moralische Prinzipien der Erfahrung Übersicht in Thesenform

SCHLUSS:

1 86 187 19O 199 207 213 230 242 254 257

260 272 288

THEORETISCHE GEGENSTANDSBEZIEHUNG UND DER "LEHRBEGRIFF" DES TRANSZENDENTALEN IDEALISMUS

289

Inhaltsverzeichnis ANHANG:

XI

KONKORDANZ ZU "OBJEKTIVE REALITÄT" UND "OBJEKTIVE GÜLTIGKEIT"

LITERATURVERZEICHNIS

297 3O3

ZUR ZITIERWEISE VON KANTS WERKEN

Verweise auf die Kritik der reinen Vernunft

erfolgen direkt

im Textteil der Arbeit. Dabei beziehen sich die in Klammern gesetzten Zahlen auf die Originalpaginierung der zweiten bzw. der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (ausgewiesen durch vorangestelltes "B" b z w . " A " ) . Den Zitaten liegt die Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft

durch R. Schmidt (Hamburg

1 9 5 6 ) zugrunde. Zusammenhängende Zitate sind eingerückt und engzeilig gesetzt; sie übernehmen durchgängig Kants eigene Hervorhebungen; Sperrungen b z w . Halbfettdruck des Originals erscheinen als Kursivdruck. Zusätzliche Hervorhebungen durch den Autor werden durch " H . v . m . " ausgewiesen. Im fortlaufenden Text sind die Hervorhebungen in Zitaten aus der Kritik der reinen Vernunft

einzeln ausgewiesen; " H . v . K a n t " weist eine Hervorhe-

bung durch Kant aus, " H . v . m . " markiert eine Hervorhebung durch den Autor. Im fortlaufenden Text werden nur solche originalen Hervorhebungen übernommen, die für den jeweiligen Kontext Belegfunktion haben. Alle anderen Druckschriften Kants sowie der handschriftliche Nachlaß, der Briefwechsel und die Vorlesungsnachschriften werden nach der Akademie-Ausgabe von Kant's gesammelten Schriften zitiert, auf die in den Anmerkungen nach Band- und Seitenzahl (römische b z w . arabische Z i f f e r n )

verwiesen wird.

0. EINLEITUNG

Nach den Ausführungen ihrer Einleitung - und speziell von deren zweiter Fassung (B 24 - B 30 bzw. A 10 -A 16) - ist die Kritik der reinen Vernunft als eine "transzendentale Kritik" (B 26/A 12) zu verstehen, in der das Prinzipiengefüge allen Erkennens ("reine Vernunft") einer Beurteilung hinsichtlich ner Leistungsfähigkeit

sei-

( " K r i t i k " ) unterzogen wird. Die Kenn-

zeichnung der Kritik durch die Bestimmung "transzendental" trägt dem methodologischen Unterschied Rechnung, der zwischen der kritisch beurteilten reinen Vernunfterkenntnis und der kritischen Beurteilung selber besteht. Die transzendentale Erkenntnis der Kritik beschäftigt sich nicht wie die zu kritisierende Erkenntnis a priori "mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll" (B 25; H. v. m . ) . Thema der kritischen Reflexion auf Erkenntnis sind nach dieser definitorischen Festlegung weder die - in intentione recta vorkommenden - "Gegenstände" noch unterschiedslos allgemein deren Erkenntnis - intentio obliqua einer Erkenntnis über Erkenntnis -, sondern ausschließlich eine spezifische Form von Erkenntnis: die Erkenntnis dessen an und von Gegenständen, was

priori erkannt werden kann.

Das allgemeine Verhältnis der Erkenntnis zu "ihren" Gegenständen faßt Kant in der Kritik der reinen Vernunft durchgängig in der abstrakt relationalen Terminologie von "Beziehung" und "beziehen".

Für die Kennzeichnung des Grundthemas der Kritik

der reinen Vernunft

legt dies die Wahl des Kunstausdrucks

l V g l . " B e z i e h u n g " , z . B . B 1 1 7 / A 85; "bestimmte B e z i e h u n g " , B 1 3 7 ; " b e z i e h e n " , z . B . B IX; " s i c h a u f e i n a n d e r b e z i e h e n " , A 95; s. d a z u auch S a c h i n d e x zu K a n t s K r i t i k der r e i n e n V e r n u n f t , hg. v. G. M a r t i n , bearb. v. D.-J. Löwisch, Berlin 1967, S. 63 ( " b e z i e h e n " , " B e z i e h u n g " ) .

2

Einleitung

"Gegenstandsbeziehung" nahe. Dadurch soll der naiven mentalistischen Gegenüberstellung von Vorstellung (idea, idee) und Gegenstand ebenso wie der semantischen Auflösung der Erkenntnisrelation in die "Bedeutung" von Propositionen schon in der Grundbegrifflichkeit entgegengewirkt werden. "Gegenstandsbeziehung" meint die Einheit der Erkenntnis als Vorgang wie als Produkt und umfaßt außer der Relation selbst auch deren Relata, die immer nur in der Relation vorkommen und allenfalls methodisch-reflexiv isoliert werden können. Vor dem Hintergrund der Erweiterung des transzendentalen Gedankens über die Begründung von Erkenntnis (Kritik der reinen Vernunft) hinaus auf die Prinzipienbereiche des VJollens und des Gefühls (Kritik der praktischen Vernunft b z w . Kritik der 4 Urteilskraft) ist die in der "Kritik der reinen spekulativen Vernunft" (B XX) thematisierte Gegenstandsbeziehung näherhin als "theoretische Gegenstandsbeziehung" zu bestimmen. In Abweichung von der ursprünglichen Einschränkung der Fähigkeit zu apriorischen Prinzipien auf die theoretisch, zum Zweck der Erkenntnis von Gegenständen gebrauchte Vernunft und dem damit verbundenen expliziten Ausschluß der Gefühls- und Geschmacksregeln von der Möglichkeit vernünftiger Allgemeinheit (B 3 5 f . / A 21 Anm. bzw. B 829/A 801 ) stellt Kant schon in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft neben die Erkenntnis qua begriffliche Bestimmung von Gegenständen ("theoretische Erkenntnis"; B X) die Gegenstandsbeziehung zum Zweck der Verwirklichung des Gegenstandes ("praktische Erkenntnis"; B X) .

2 S. a u c h die V e r w e n d u n g des T e r m i n u s " G e g e n s t a n d s b e z i e h u n g " b e i H . W a g n e r , P h i l o s o p h i e u n d R e f l e x i o n , M ü n c h e n / B a s e l1 9 6 7 , S. 141 . 3 Für eine zugleich analytisch und h i s t o r i s c h v e r f a h r e n d e Kritik am C a r t e s i a n i s m u s in der n e u z e i t l i c h e n E r k e n n t n i s t h e o r i e ( M e n t a l i s m u s ) s . R . R o r t y , D e r S p i e g e l d e r N a t u r : Eine K r i t i k der P h i l o s o p h i e , F r a n k f u r t / M . 1981, b e s . S. 27 - 84,· e i n e f o r m a l s e m a n t i s c h e T r a n s f o r m a t i o n der O n t o l o g i e f i n d e t sich . bei E. T u g e n d h a t , Vorlesungen zur E i n f ü h r u n g in die sprachanalytische Philosophie, F r a n k f u r t / M . 1979, bes. S. 13 - 1 2 4 . 4 V g l . AA V, 3 - 16 ( K r . d. pr. V.) u. AA V, 167 - 17O ( K r . d. U. ) . 5 V g l . a u c h AA V, 3 u. 168.

Einleitung

3

Die Kritik der praktischen Vernunft ordnet diese "praktische Erkenntnis" dem "praktischen Gebrauche der Vernunft" bezüglich der Gegenstände des Begehrungsvermögens (Willkür) zu. Die Unterscheidung der "praktischen Erkenntnis" vom "Erkenntnisvermögen" wird besonders deutlich in der Kritik der Urteilskraft, die das "Vermögen der Erkenntnis aus Principien a priori' ("reine Vernunft") aufgliedert in Erkenntnisvermögen, Gefühl der Lust und Unlust und Begehrungsvermögen. Kriterium für die Differenzierung des Erkenntnisvermögens Vernunft ist die Konstitutivität der Vernunft in ihrem je verschiedenen Gebrauch (theoretisch, ästhetisch bzw. teleologisch, praktisch) für je o verschiedene Gegenstandsbereiche (Natur, Kunst, Freiheit) . Ein Gebrauch der Vernunft als des Erkenntnisvermögens im weiteren Sinne zum Zweck der Bestimmung von Gegenständen (Erkenntnis im engeren Sinne) findet nur statt beim theoretischen Gebrauch der Vernunft. Im folgenden bezeichnet "theoretische Gegenstandsbeziehung" (auch "(theoretische) Gegenstandsbeziehung" oder kurz "Gegenstandsbeziehung") die theoretischbestimmende Erkenntnis von Gegenständen. Die vorliegende Arbeit untersucht Kants transzendentale Kritik der Gegenstandsbeziehung in Form einer Analyse der Terminologie von "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" in der Kritik der reinen Vernunft. Dem Leser der Kritik fällt die häufige und über das ganze Werk verteilte Verwendung dieser 9 beiden Begriffe a u f . Er bemerkt aber auch, daß eine explizite definitorische Bestimmung an keiner dieser Stellen gegeben wird. Doch setzt der jeweilige sachliche Zusammenhang die beiden Termini durchgängig in Beziehung zum Thema der (theoretischen) Erkenntnis von Gegenständen, und zwar speziell zur apriorischen Erkenntnis von Gegenständen und der kritisch-

6 AA V, 15 ( E i n l . , K r . d. pr. V . ) . 7 AA V, 167 ( V o r r e d e , K r . d. U . ) . 8 V g l . d a z u die " Ü b e r s i c h t a l l e r o b e r e n V e r m ö g e n i h r e r system a t i s c h e n E i n h e i t n a c h " ( A A V , 198; E i n l . , K r . d . U . ) . 9 S . auch S a c h i n d e x z u K a n t s K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t , a . a . O . , S. 1 5 4 f . (67 Stellen zu "Gültigkeit") u. S. 226 (52 S t e l l e n zu " R e a l i t ä t , o b j e c t i v e " ) sowie die K o n k o r d a n z im Anhang der A r b e i t .

4

Einleitung

transzendentalen Analyse ihrer Möglichkeit. Ausgehend von diesen äußerlichen Befunden über einen bestimmten Wortgebrauch bei Kant, gilt die Untersuchung der Bedeutung der in der fraglichen Terminologie artikulierten Begrifflichkeit für das Grundproblem der Kritik, die Möglichkeit theoretischer Gegenstandsbeziehung. Die systematische Funktion der Beg r i f f e "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" soll durch eine Interpretation des sachlichen und terminologischen Kontextes ihres Auftretens herausgearbeitet werden. Dabei verfährt die Untersuchung im Pri nzi p so, daß sie sich von den einzelnen Stellen, an denen "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" in der Kritik gebraucht werden, den Zusammenhang mit einem jeweils spezifischen Problem oder auch einem weiteren einschlägigen Begriff vorgeben läßt. Faktisch bedeutet dies eine fortlaufende monographisch, am Problem der theoretischen Gegenstandsbeziehung orientierte Kommentierung der ersten H ä l f t e der Kritik der reinen Vernunft*

Auf diese Weise finden

alle Stellen Berücksichtigung, an denen "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" in der Transzendentalen Ästhetik und der Transzendentalen Analytik auftreten.

Für die Transzen-

dentale Ästhetik und die Analytik der Begriffe gilt zusätzlich, daß alle Stellen in der Arbeit angeführt und interpretiert werden. Eine Beschränkung auf einzelne einschlägige Stellen findet dagegen für die Transzendentale Dialektik statt. Kriterium für die Aufnahme der Stellen und für ihre Verteilung auf die einzelnen Abschnitte der Arbeit ist

das systema-

tische Thema der theoretischen Gegenstandsbeziehung in seiner den Gesichtspunkten der Behandlung nach wechselnden, dabei aber durchgängigen Präsenz im Gedankengang der Kritik. Dieser Konzeption entsprechend, nehmen die Abschnitte auf der unteren

10 E i n e A u s n a h m e b i l d e t h i e r n u r e i n e Stelle der z w e i t e n A u f l a g e , d i e a u f d i e alte T r a n s z e n d e n t a l i e n l e h r e B e z u g n i m m t : " J e m e h r w a h r e Folgen a u s e i n e m g e g e b e n e n B e g r i f f e , desto mehr Kennzeichen seiner objektiven R e a l i t ä t . " (B 114) Die Stelle b l e i b t bei der E r ö r t e r u n g des P r o b l e m s der Gegenstandsbeziehung unberücksichtigt. 11 V g l . zur Begründung dieser Auswahl u n t e n 4.

Einleitung

5

Gliederungsebene schon in der Überschrift einen Begriff oder Problemtitel Kants a u f , in dessen Umkreis die Terminologie von "objektive Realität" oder "objektive Gültigkeit" zur Anwendung kommt. Eine Ausnahme davon bilden die unter 1.1. zusammengefaßten Abschnitte sowie der Abschnitt 3.3.. Im ersten Fall wird durch eine einleitende historisch-systematische Darstellung von Kants Denken in den 6Oer Jahren die Entwicklung einer modalen Fragestellung im Zusammenhang einer Theorie der Sinnlichkeit herausgearbeitet. Im zweiten Fall wird das Verhältnis des Terminus "objektive Realität" zu den beiden Begriffen "Realität" und "Wirklichkeit" behandelt. Die Untersuchung beschränkt sich grundsätzlich auf den Text der Kritik der reinen Vernunft in den beiden Auflagen von 1781 und 1787. In Einzelfällen wird bei der Argumentation auf Werke zurückgegriffen, die Kant zwischen dem Erscheinen der ersten und der zweiten Auflage der Kritik publizierte (Prolegomena...} 1783; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785; Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, 1 7 8 6 ) . Der Abschnitt 4 . 2 . berücksichtigt ausnahmsweise auch die Kritik der praktischen Vernunft. Auf andere Stellen aus Kants Werken, aus seinen Briefen und Reflexionen (handschriftlicher Nachlaß) und aus den Vorlesungsnachschriften von fremder Hand wird nur zum Zweck der Ergänzung und ausnahmsweise verwiesen. Eine Durchsicht der Werke sowie der Nachlaßbände zu Logik, Anthropologie und Metaphysik nach Ausweisung der einschlägigen Stellen durch einen Computer-Ausdruck des Allgemeinen Kantindex 2 zu den Stichworten "Realität" und "Gültigkeit" erbrachte keine zusätzliche Klärung des terminologischen und systematischen Verständnisses der Ausdrücke bei Kant; die prinzipielle Beschränkung auf den Text der ersten Kritik ist insofern auch philologisch abgesichert. Im Verhältnis zu der Sorgfalt, mit der Kant in der Kritik der reinen Vernunft die Terminolo-

12 B e l e g s t e l l e n k o n k o r d a n z zu " g u e l t i g k e i t " und " r e a l i t a e t " . Kant-Informationssystem. Allgemeiner Kantindex, Erste Abteilung, Universität Bonn.

6

Einleitung

gie von "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" handhabt und mit der er in den beiden anderen Kritiken ihre systematische Funktion wie ihre sprachliche Verwendung auf wohlbestimmte Weise modifiziert

, bieten spätere Druckschriften und

auch das handschriftliche Material keine einschlägige neue Einsicht. Bei aller Ausrichtung auf Kants Gebrauch einer gewissen Terminologie hat die folgende Untersuchung eine durchaus systematische Absicht. Sie liefert keine Begriffsgeschichte. Darauf ist besonders hinzuweisen für den Terminus "objektive Realität", bei dem ja ein ganz spezifischer Gebrauch durch Descartes vor14 liegt. Der Gedanke des "objektiven Seins" (esse objective) von Vorstellungen, insofern letztere Gegenstände vorstellen, bzw. der "objektiven Realität" (realitas objectiva) von Vorstellungen, insofern die Sachheit (realitas) vorgestellt ist als Sachheit von Gegenständen, ist

dabei noch durchaus mittel-

alterliches und speziell skotistisches Gedankengut.

Für eine

Kenntnis der intrikaten scholastischen Terminologie

der Car-

tesianischen "Ideenlehre" durch Kant fehlen die Belege, und es fehlt auch, wie bezüglich der deutschsprachigen Erstverwendung des Ausdrucks "objektive Realität" zu zeigen sein wird

, die

nötige sachliche Übereinstimmung. Nach Descartes findet sich, abgesehen von dem Fortbestehen des einschlägigen Lehrstücks 18 vom "esse objective" etwa bei Spinoza , erst wieder bei

13 Für die K r i t i k der p r a k t i s c h e n V e r n u n f t wird dies unter 4 . 2 . gezeigt. 14 V g l . O e u v r e s de D e s c a r t e s , p u b l i e e s par Ch. Adam & P. Tannery, t. V I I , Meditationes de prima philosophia, Paris 19O4, S. 4 O f f . u. S. 161 ( M e d i t a t i o tertia b z w . Secundae responsiones). 15 V g l . E . G i l s o n , R e n e D e s c a r t e s , D i s c o u r s d e la m e t h o d e , texte et commentaire, Paris 1925, S. 318 - 3 2 3 ; R. D a l b i e z , Les s o u r c e s s c o l a s t i q u e s de la t h e o r i e k a n t i e n n e de l ' i t r e o b j e c t i f . I n : Revue d ' h i s t o i r e d e l a P h i l o s o p h i e 3 ( 1 9 2 9 ) , S. 464 - 4 7 2 . 16 V g l . dazu die Analyse bei H. W a g n e r , Realitas objectiva (Descartes - K a n t ) , in: Z e i t s c h r i f t f. phil. Forsch. 21 ( 1 9 6 7 ) , S. 325 - 3 4 O , bes. S. 33O - 3 3 3 . 17 S. u n t e n 1 . 7 . 18 S p i n o z a , B a r u c h d e , A b h a n d l u n g ü b e r die V e r b e s s e r u n g des V e r s t a n d e s , ü b e r s , v. C. G e r h a r d t , H a m b u r g 1 9 7 7 , §§ 33 - 42.

Einleitung

7

Hegel 1 9 ein klares Bewußtsein der terminologischen Bedeutung von "realitas objective". Allerdings hat eine wesentlich an der ontologischen Tradition orientierte Kantinterpretation durch Heidegger, H. Heirasoeth und G. Martin den Terminus "objektive Realität" bei Kant wesentlich vom alten realitas-Begriff und auch vom Cartesischen Begriff der "realitas objective" her aufgefaßt. Dies gilt auch für die m. W. einzige bislang vorliegende monographische Arbeit zum "Problem der objektiven Realität bei Kant" „ „ 21 von H. Hermann. Hermann geht von Descartes' Begriff der "realitas objective" aus 22 , um dann für jede der drei Kritiken den Terminus "objektive Realität" im Zusammenhang seiner Verwendung darzustellen. Dabei erfolgt keine eigentliche Analyse des Ausdrucks zum Zweck seiner begrifflichen Klärung. Der Terminus wird in seiner Bestimmtheit vorausgesetzt und in den einzelnen Abschnitten der Arbeit von Hermann mit anderen Kantischen Termini identifiziert. Erörtert wird so nicht die systematische Funktion des Terminus und also auch nicht die Bedeutung des durch ihn zum Ausdruck gebrachten Begriffs der "objektiven Realität", sondern nur der faktische Zusammenhang dieses einen Ausdrucks mit anderen Termini. Das Problem des Sinns dieses Gedankens der "objektiven Realität" bei Kant stellt sich für Hermann nicht eigens, wird vielmehr von Descartes her als bekannt vorausgesetzt und am Kantischen Text letztlich nur exemplifiziert. Darüber hinaus schränkt Hermann die Fragestellung seiner Arbeit noch ein, indem er den Terminus "objektive Gültigkeit" unberücksichtigt läßt. Statt einer Begründung für diesen Verzicht auf die Analyse des von Kant an zahlreichen Stellen mit 19 G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Bd. 2O, Vorlesungen ü b e r die G e s c h i c h t e der P h i l o s o p h i e I I I , S. 1 3 9 : "Entität des Vorgestellten, i n s o f e r n es in dem B e g r i f f e ist". 20 V g l . d a z u auch u n t e n 3 . 3 . 21 H o r s t H e r m a n n , D a s P r o b l e m d e r o b j e k t i v e n R e a l i t ä t b e i K a n t , M a i n z 1961 ( D i s s e r t a t i o n ; R e f e r e n t : G . M a r t i n ; D i s s e r t a t i onsdruck) . 22 V g l . e b e n d a , S. l - 8.

8

Einleitung

"objektive Realität" zumindest sprachlich parallelisierten Ausdrucks "objektive Gültigkeit" findet sich nur der knappe Hinweis auf die "falschen Identifikationen" der beiden Termini in der frühen Kant-Literatur. Ein Drittes zwischen Bedeutungsgleichheit und absoluter Zusammenhanglosigkeit wird nicht erwogen. Dabei ist gerade der Ausdruck "objektive Gültigkeit" durch den darin liegenden Gedanken der Geltung dazu angetan, vom kausalen Verhältnis zwischen dem Gegenstand und der von ihm 24 bewirkten Vorstellung, wie es Descartes noch vertritt , wegzuführen. An die Stelle des Ursprungs aller Vorstellungen, insofern sie objektiv sind ("objektive Realität" haben), im Gegenstand, tritt damit die subjektsursprüngliche Beziehung von Vorstellungen auf Gegenstände, die Öeinsbeziehung wird zur Erkenntnisbeziehung. Um die Bedeutung des Terminus "objektive Realität" für das Kantische Problem der (theoretischen) Gegenstandsbeziehung voll aufzunehmen, ist es daher unerläßlich, auch den Ausdruck "objektive Gültigkeit" in die Untersuchung einzubeziehen. Verfolgt man den Gebrauch von "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" in den einzelnen Partien der Kritik der reinen Vernunft, so zeigt sich ein dem Zusammenhang nach wechselnder Rückgriff teils auf je einen der beiden Termini, teils auf beide Ausdrücke. Eine Differenz zwischen "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" dürfte noch am ehesten in der Transzendentalen 26 Ästhetik vorliegen. Die Behandlung von Raum und Zeit hebt auf die "objektive Gültigkeit" der Formen der Anschauung ab. Raum und Zeit werden dabei nicht durch den Ausdruck "objektive Realität" bestimmt, sondern mittels der Doppelcharakteristik

23 V g l . e b e n d a , S. 6 A n m . 2. 2 4 V g l . d a z u W a g n e r , R e a l i t a s o b j e c t i v a , a . a . O . , S . 335. 25 F ü r e i n e a n a l y t i s c h a n g e l e g t e U m i n t e r p r e t a t i o n d e s C a r t e s i s c h e n "esse o b j e c t i v e " z u m G e d a n k e n d e r I n t e n t i o n a l i t ä t vgl. R. Chisholm, I n t e n t i o n a l i t y . In: The encyclopedia of philosophy, ed. P. Edwards, vol. 4, New York 1967, S. 2O1. 26 S. d a z u u n t e n 1 . 3 .

Einleitung "empirische Realität" - "transzendentale

9 Idealität".

In der Transzendentalen Logik werden beide Ausdrücke herangezogen, oftmals im Wechsel. Während für die Deduktion der Kategorien in der Fassung der ersten Auflage eine mehrmalige Verwendung beider Termini zu verzeichnen ist,

beschränkt sich

der Gebrauch in der Fassung der zweiten Auflage auf je zwei 28 Stellen. Die Analytik der Grundsätze liefert die meisten kontextuellen Bestimmungen der beiden Ausdrücke. Außer dem Vorkommen im Zusammenhang von Termini wie "Sinn", "Bedeutung" und 29 "Möglichkeit der Erfahrung" , ist hier besonders a u f f ä l l i g , daß der Ausdruck "objektive Realität" Bezug nimmt sowohl auf Anschauung als auch auf empirische Objekte. Innerhalb der Transzendentalen Dialektik fehlt der Ausdruck "objektive Gültigkeit" völlig in der Zweitfassung der Paralogismen-Kritik sowie in den Hauptstücken zur Antithetik der reinen Vernunft und zum Transzendentalen Ideal. Der Terminus "objektive Realität" kommt dagegen durchgängig vor.

"Objek-

tive Realität" und "objektive Gültigkeit" finden beide Verwendung zu Beginn und zu Ende der Transzendentalen Dialektik (Einleitung, Erstes Buch und "Anhang zur transzendentalen Dialektik") , 3 2 In der Transzendentalen Methodenlehre wird mehrmals auf "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit"

zurückgegriffen.

27 V g l . B 4 4 / A 2 8 u . B 5 2 / A 3 5 f ü r " o b j e k t i v e G ü l t i g k e i t " , ferner B 4 3 f . / A 2 7 f . u. B 52/A 3 5 f . für "empirische Realität" und "transzendentale I d e a l i t ä t " ; s. dazu u n t e n 1.5. 28 " O b j e k t i v e G ü l t i g k e i t " : B 137 u. B 168; " o b j e k t i v e R e a l i tät": B 148 u. B 150. 29 S . d a z u u n t e n 3 . 1 . 30 S . d a z u u n t e n 3 . 4 . u . 3 . 5 . 31 " O b j e k t i v e R e a l i t ä t " f i n d e t sich i m Z w e i t e n B u c h d e r T r a n szendentalen Dialektik ("Von den dialektischen Schlüssen der r e i n e n V e r n u n f t " ; B 3 9 6 / A 338 - B 6 7 O / A 6 4 2 ) an f o l g e n den S t e l l e n : B 4 1 2 f . , B 4 6 5 / A 4 3 7 ; B 5 O 1 / A 4 7 3 ; B 5 3 7 f . / A 5 0 9 f . ; B 5 9 3 / A 565 - B 5 9 7 / A 5 6 9 ; B 6 2 O / A 5 9 2 ; B 6 2 4 / A 596 A n m . ; B 6 6 3 / A 6 3 5 ; B 6 6 7 / A 6 3 9 . Aus G r ü n d e n , die unter 4. g e n a n n t w e r d e n , f i n d e n diese Stellen in der U n t e r s u chung keine B e r ü c k s i c h t i g u n g . 32 S . d a z u u n t e n 4 . 1 .

10

Einleitung

Dabei zieht Kant im Kanon der reinen Vernunft den Terminus "objektive Realität" heran.

ausschließlich

Die systematische Auswertung der einschlägigen Stellen in der Kritik der reinen Vernunft nach der leitenden Problemstellung der theoretischen Gegenstandsbeziehung bei Kant erfolgt in vier Kapiteln, und zwar nach Maßgabe der Gliederung der Kritik in die vier Prinzipienbereiche des Erkennens. Die Kapitelüberschriften ordnen den einzelnen Prinzipientiteln (Sinnlichkeit, Verstand, Urteilskraft und Vernunft) stichwortartig den jeweiligen Beitrag zum Thema zu (Subjektivität, Objektivität, Realität b z w . I d e a l i t ä t ) . Ein erstes Kapitel untersucht unter dem Titel "Sinnlichkeit und Subjektivität" die Bedeutung der Rezeptivität des menschlichen Subjekts für den Gegenstandsbezug. Dabei wird die erkenntnistheoretische Position Kants in der Transzendentalen Ästhetik im Rückgriff auf die vorkritische Entwicklung des Gedankens einer nicht-logischen, sinnlichen Erkenntnisweise erschlossen. Das- zweite Kapitel trägt die Überschrift "Verstand und Objektivität"; sein Thema ist die Begründung der Gegenständlichkeit des Gegenstandes durch reine Verstandesbegriffe. Mit dem Titel "Urteilskraft und Realität" ist die Ausrichtung des dritten Kapitels auf den empirischen Gebrauch der Kategorien und damit auf die eigentliche Grundlegung der empirischen Erkenntnis angezeigt. Das vierte Kapitel behandelt unter der Überschrift "Vernunft und Idealität" den Beitrag der theoretischen und praktischen reinen Vernunftbegriffe und Vernunftprinzipien zur systematischen Einheit der Erfahrung. Eine Übersicht in Thesenform stellt zu Ende jedes Kapitels die Einzelergebnisse zusammen. Dieser knappe Überblick folgt zwar im wesentlichen dem Gang der Untersuchung, gewichtet aber die Abschnitte nach ihrem je verschiedenen Ertrag für das Thema der Gegenstandsbeziehung. Infolgedessen sind zahlreiche Abschnitte durch mehr als eine These vertreten, während einige wenige Abschnitte aufgrund ihres Einleitungs- oder Exkurscha-

33 S. dazu unten 4 . 2 .

Einleitung

11

rakters bei der Zusammenfassung unberücksichtigt bleiben. Eine Kurzfassung jedes Abschnitts durch genau eine These ist also nicht beabsichtigt. Die Verweise auf je einen Abschnitt hinter jeder These dienen der annähernden Orientierung. In ihrer Gesamtheit thematisieren die vier Kapitelübersichten den systematischen Aufbau des Prinzipiengefüges der Gegenstandsbeziehung in der Folgeordnung vom Einsatz beim sinnlichen Realitätsbezug durch Anschauung über die kategoriale Begründung gegenständlicher Realität hin zur Realisierung der reinen Gegenstandsbegriffe im System der Erfahrungsprinzipien und zum abschließenden Entwurf des idealen Gesamtsystems.der Erfahrung. Der Schluß der Arbeit bezieht in den Rückblick auf die wesentlichen Aspekte der theoretischen Gegenstandsbeziehung den "Lehrbegriff" des transzendentalen Idealismus ein. Ein Anhang erfaßt die Stellen zu "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" in der Kritik der reinen Vernunft in einer Konkordanz, die den Stellenangaben nach der Originalpaginierung der ersten und der zweiten Auflage der Kritik die Angabe von Seiten- und Zeilenzahl in Band IV b z w . Band III der Akademie-Ausgabe zuordnet.

1. SINNLICHKEIT UND SUBJEKTIVITÄT

Die Lakonik, mit der Kant zu Beginn der Transzendentalen Ästhetik - in deren ersten beiden Absätzen - grundsätzliche terminologische Unterscheidungen thetisch vorgibt, führt die Interpretation auf das methodologische Problem der Darstellung einer philosophischen Theorie. Bei der Behandlung der allgemeinen argumentationslogischen Divergenz des "Vernunftsgebrauchs" in Mathematik und Philosophie (B 754/A 726 - B 766/ A 738) betont Kant bezüglich der "Erklärung" von Begriffen den bloß verdienstlichen Charakter der "philosophischen Definitionen" in Gestalt von "Expositionen gegebener ... Begriffe" (B 758/A 730). Diese Verlagerung der philosophischen Definitionen an den Schluß einer Theorie unterläuft der thetische Anfang von Kants transzendentalphilosophischem Entwurf durch vorgegebene B e g r i f f e , die nicht logisch-deduktiv eingeführt werden. Selbst im Rahmen der projektierten "Vollständigkeit der Zergliederung sowohl, als der Abteilung" (B 28/A 14) des "vollständigen Systems" (B 26/A 1 2 ) , zu dem sich ja die Transzendentale Elementarlehre nach Anleitung der Transzendentalen Methodenlehre sollte ausbauen lassen , wären die Voraussetzungen von Paragraph 1 (Zählung der zweiten Auflage) wohl kaum durch "endliche" Definitionen qua Expositionen eingeholt worden. Kant jedenfalls skizziert in einem Brief aus seiner um das Problem der Darstellung der Transzendentalphilosophie kreisenden Korrespondenz mit J. S. Beck das "System der Metaphysik" zwar mit einer gegenüber der Kritik veränderten Disposition (Ort der Einführung der Kategorien) und Extension (Aufnahme von Prädikabilien und Beispielen), kündigt aber keinen Fortschritt in der Auflösung der Grundbegriffe an. Analyse-Vollständigkeit und

1 V g l . dazu B 8 3 5 f . / A 7 O 7 f . 2 B r i e f vom 2 O . 1 . 9 2 (AA X I , 313 - 316; Nr. 5 O O ) .

14

Sinnlichkeit und Subjektivität

und veränderte Anordnung - letztere ein Novum gegenüber den einschlägigen Bestimmungen der beiden Einleitungen - betreffen wesentlich die Herausarbeitung ("Analyse") der Kombinatorik der "Stammbegriffe"

(B 27/A 1 3 ) , nicht aber deren Ursprung.

Das logische Problem eines Anfangs, der nicht eigens argumentativ ausgewiesen ist, kompliziert auch die Untersuchung der theoretischen Gegenstandsbeziehung in der Transzendentalen Ästhetik. Die allgemeinen Grundlagen seiner

"ästhetischen

Theorie" (B 72) , eines dualistischen Konzepts von menschlichendlicher Erkenntnis, reiht Kant zu einer kurzen enggliedrigen Kette von Festlegungen a u f , die nach nur vier Absätzen zum Vorbegriff einer Transzendentalen Ästhetik als "Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit a priori" (B 35/A 21 ) gelangt. Thema der folgenden Seiten sind dann allein jene Prinzipien, ihre I d e n t i f i z i e r u n g mit Raum und Zeit nebst Charakterisierung als "Formen der Anschauung" b z w . "reine Anschauungen" . Eine gründliche Behandlung des Anschauungsbegriffs f i n d e t so nur exemplarisch statt - für den Spezialfall

der Anschauung

als Form. Gewiß trägt diese Beschränkung auf reine Anschauungen und deren apriorischen Gegenstandsbezug der Zielsetzung einer transzendentalen Ästhetik Rechnung. Doch bedarf es auch einer Erwägung des Objektivitätsstatus der empirisch-materialen Anschauungen, weil nur so eine mögliche generische Objektivität von Anschauung (im Unterschied zu der von B e g r i f f e n ) von der spezifischen Objektivität reiner Anschauungen (im Unterschied zu der von empirisch-materialen Anschauungen) abgehoben werden kann. Der Analyse von Kants Begründung der "objektiven Gültigkeit" von Raum und Zeit in der Transzendentalen Ästhetik geht deshalb im folgenden eine an der Entwicklung des Kantischen Denkens orientierte, dabei aber systematisch verfahrende Exposition seines Erkenntniskonzepts - insbesondere von dessen sinnlicher Komponente - voraus. Die Darstellung der vorkritischen Philosophie K a n t s , wie sie in den zwischen 1763 und 177O publizierten Schriften vorliegt, hebt dabei ab auf die methodolo-

Sinnlichkeit und Subjektivität

15

gische Eigenständigkeit der philosophischen Erkenntnis gegenüber anderen Wissenschaften und auf das festzustellende Aufkommen einer modalen Fragestellung im Zusammenhang der Herausarbeitung des sinnlichen Erkenntnisanteils.

1.1. Die Voraussetzungen einer transzendentalen Die Ausarbeitung einer transzendentalen

Ästhetik

Ästhetik und ihre

Behandlung als Erster Teil der Transzendentalen Elementarlehre geschieht bei Kant auf der Grundlage eines B e g r i f f s von Erkenntnis, dessen wie selbstverständlicher Vortrag zu Ende der Einleitung

(dort kurz gekennzeichnet als "Vorerinnerung";

B 29/A 15) und zu Beginn von Paragraph 1 nicht die Einsicht - und auch die Problematik - dieses Ansatzes übersehen lassen sollte. Nichts weniger wird hier beansprucht als eine prinzipielle, generische Verschiedenheit des Erkenntnisvermögens Verstand vom sinnlichen Bestandteil der Erkenntnis (Anschauung) und dessen vermögenstheoretischem Pendant ( S i n n l i c h k e i t ) . Philosophiehistorisch bedeutet dies eine radikale Kritik an der Privilegisierung des Intellektuell-Rationalen durch den kontinentalen Rationalismus. Descartes' methodische Anweisung für das gewisse Erkennen, die Kriterien von Klarheit

(gegenseitige Abge-

grenztheit der Gegenstände im Unterschied zur distinktionslosen Dunkelheit) und Deutlichkeit (Wohlunterschiedenheit der Teile im Unterschied zu deren Verworrenheit) zu erfüllen , wird bei Leibniz

durch eine weitere D i f f e r e n z i e r u n g - nach adäquat bzw. 4 i n t u i t i v und inadäquat b z w . symbolisch - verschärft . Die Erkenntnis durch die Sinne kommt nach der rationalistischen Auffassung nicht über die Stufe von "cognitio d i f f u s a " hinaus; ein (Wieder-) Erkennen von sinnlichen Erkenntnisanteilen (ästhetischen Qualitäten)

findet nur je individuell statt, nicht aber

aufgrund allgemeiner, b e g r i f f l i c h e r Merkmale. Leibniz 1

Auffas-

sung der vollkommenen Erkenntnis (adäquat und, a fortiori, klar

3 V g l . O e u v r e s de D e s c a r t e s , p u b l i e e s par C h . Adam & P. T a n n e ry, t. V I , Paris 19O2, S. 33. 4 M e d i t a t i o n e s de c o g n i t i o n e , v e r i t a t e et i d e i s . In: Die philosophischen S c h r i f t e n von Gottfried Wilhelm Leibniz, hg. v. C. J. Gerhardt, IV. B d . , Hildesheim I960, S. 422 - 4 2 6 , bes. S. 4 2 3 .

Die Voraussetzungen einer transzendentalen Ästhetik

17

bzw. - bei Merkmalskombinationen - klar und deutlich) als intuitiv verweist überdies auf eine Denktradition, die Anschauung und Sinnlichkeit strikt trennt. Mit seiner Doppelthese vom Prinzipiencharakter der Sinnlichkeit und der Sensualität der Anschauung setzt Kant sich also von zwei Grundannahmen der neuzeitlichen Erkenntnisontologie ab; der Inferiorisierung des Theoretisch-Ästhetischen begegnet er, in der Anthropologie, mit einer "Apologie der Sinnlichkeit" , der Intellektualisierung der Anschauung mit einer Phänomenalisierung der Gegenstände sinnlicher Erkenntnis. Die hauptsächlich methodologisch orientierte Kritik am Leibniz - W o l f f ' schen-Rationalisinus in drei Abhandlungen der Schriftengruppe von 1762/63 trägt nur erst Elemente zu einer Neufassung von Philosophie als (Erkenntnis-) Prinzipienlehre bei. Das Problem des Raumes führt 1768 auf den eigentümlich nichtrationalen Charakter des Sinnlichen, der sich in der InauguralDissertation von 1770 zum Begriff der sinnlichen Anschauung geklärt hat und auch prinzipientheoretisch der Sinnlichkeit, dem g "mundus sensibilis", zugeordnet wird .

5 Vgl. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, AA V I I , 1 4 3 f . ; f e r n e r R e f l . 1482 ( A A X V , 6 7 4 ) sowie A n t h r o p o l o g i e DohnaWundlacken. In: Die philosophischen Hauptvorlesungen Immanuel K a n t s , hg. v. A. Kowalewski, München/Leipzig 1 9 2 4 , S. 84 - 86. 6 Es h a n d e l t sich um f o l g e n d e drei A b h a n d l u n g e n : Der e i n z i g m ö g l i c h e B e w e i s g r u n d z u e i n e r D e m o n s t r a t i o n d e s D a s e i n s Gottes ( 1 7 6 3 ) ; Versuch den B e g r i f f der negativen Größen in die W e l t w e i s h e i t e i n z u f ü h r e n ( 1 7 6 3 ) sowie U n t e r s u c h u n g e n Ober d i e D e u t l i c h k e i t d e r G r u n d s ä t z e d e r n a t ü r l i c h e n Theologie u n d Moral ( 1 7 6 4 e r s c h i e n e n , aber schon 1 7 6 2 v e r f a ß t ; v g l . d a z u AA II, 4 9 4 ) . Die S c h r i f t Ober die f a l s c h e S p i t z f i n d i g k e i t der vier s y l l o g i s t i s c h e n F i g u r e n ( 1 7 6 2 ) w i r d n i c h t b e r ü c k s i c h t i g t , 7 Von dem e r s t e n G r u n d e des U n t e r s c h i e d e s der Gegenden im R ä u me . 8 V g l . bes. §§ 3 u. 1O (AA II, 392 b z w . 3 9 6 f . ) .

18

Sinnlichkeit und Subjektivität

1.1.1. Existenz, Realopposition und synthetische Methode Im einzelnen wären für 1762/63 die charakteristischen Oppositionsbildungen herauszustellen, in die Kant den Unterschied von Metaphysik bzw. Theologie und Logik sowie von Philosophie g und Mathematik f a ß t . Der Beweisgrund (Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes) exponiert erstmals "Kants These über das Sein" . Die prinzipielle D i f f e r e n z von Daseinsprädikation qua absoluter Position und relativer Setzung realer Bestimmungen - von Kant ursprünglich als Argument gegen den theologisch-metaphysischen Schluß vom Gottesbegriff (als ens perfectissimum b z w . realissimum) auf die Gottesexistenz entwickelt - führt auf den modalen Unterschied von Möglichkeit und 12 Wirklichkeit . Es stehen einander gegenüber: die logische Beziehung ("respectus logicus") von Dingmerkmalen im Urteil und die absolute Setzung der "Sache an und für sich selbst" im Begriff der Existenz oder des Daseins. Letzteren rechnet Kant zwar nicht direkt unter die "unauflöslichen B e g r i f f e " , stellt

9 Vgl. zum folgenden D. H e n r i c h , Kants Denken 1762/63. Über den Ursprung der Unterscheidung analytischer und synthetischer U r t e i l e . In: Studien zu Kants philosophischer Entwickl u n g , hg. v. H. H e i m s o e t h , H i l d e s h e i m 1967, S. 7 - 38; F. Kaulbach, Die E n t w i c k l u n g des Synthesis-Gedankens bei Kant. In: Studien zu Kants philosophischer Entwicklung, a . a . O . , S. 56 - 92; D e r s . , Immanuel K a n t , Berlin 1969, S. 6 O f f . ; G . M a r t i n , I m m a n u e l Kant. Ontologie u n d W i s s e n s c h a f t s t h e o r i e , 4 . A u f l . B e r l i n 1 9 6 9 , S . 2 6 6 - 2 7 3 ( a u sd e m Z u s a t z teil der vierten A u f l a g e ) . 10 S o d e r T i t e l e i n e r A b h a n d l u n g H e i d e g g e r s . I n : D e r s . , Wegm a r k e n , F r a n k f u r t / M . 1967, S. 273 - 307, die Kants Unterscheidung von Essenz und Existenz als P r ä f i g u r a t i o n der "ontologischen D i f f e r e n z " ( z w i s c h e n Sein und Seiendem) rek l a m i e r t . S. aber auch H. W a g n e r , Über K a n t s S a t z , das Dasein sei k e i n P r ä d i k a t . In: A r c h . f. Gesch. d. Philos. 53 ( 1 9 7 1 ) , S. 183 - 186. 11 Schon d i e Nova d i l i c u d a t i o ( 1 7 5 5 ) k r i t i s i e r t d e n o n t o l o g i schen Gottesbeweis durch eine U n t e r s c h e i d u n g von B e g r i f f ( n o t i o ) und E x i s t e n z ( e x i s t e n t i a ) Gottes; s. dazu AA I, 394 - 3 9 6 . 12 AA I I , 7 2 f f . u. 1 5 6 f .

Existenz, Realopposition und synthetische Methode

19

ihn aber als "beinahe unauflöslich" heraus und begründet den geringen Grad an Erklärbarkeit der "Sache" "Existenz" durch "Merkmale" mit der "Natur des Gegenstandes in Beziehung auf die Vermögen unseres Verstandes" . Weiterhin ist an dieser Abhandlung von Belang die Abhebung der vorgestellten Existenz eines Dinges von der Existenz des Dinges selbst, also die Unterscheidung zwischen der Existenzprädikation bezüglich eines Gedankens - der auch eine Phantasievorstellung sein kann - und der Existenzprädikation hinsichtlich eines Gegenstandes. Die "Vorstellung eines existierenden Dinges" bezeichnet Kant an 14 einer Stelle mit dem Terminus "Erfahrungsbegriff" Die letztgenannte Distinktion (von Vorstellung eines Gegenstandes als existierend und Gegenstand dieser Vorstellung in seiner Existenz) findet sich bei Kant schon einige Jahre früher, in der Nova dilicudatio ( 1 7 5 5 ) , im Zusammenhang einer Vorform der Kritik am cartesiansichen ontologischen Gottesargument, die allerdings noch nicht die begriffliche Schärfe der späteren "Seinsthese" aufweist. Die Bestimmung des Daseins Gottes durch den wohlbestimmten Begriff von Gott wird als eine Bestimmungshandlung herausgestellt, die nicht "realiter", sondern nur "idealiter" stattfinde. Kant verbessert den cartesianischen Beweis mit Hilfe der onto-gnoseologischen Differenz von Vorstellung und Sache. Die reale Vereinigung aller positiven Realitäten impliziert die Existenz der solcherart beschaffenen "omnitudo realitatis". Hingegen gestattet der Ausgang von der Vorstellung (concipere) dieses Wesens lediglich den Schluß auf dessen Existenz "in ideis" . Die Beweislast des Gottesarguments verlagert sich damit auf die Wahrheit des im voraus gefaßten (praeconceptus) Gottesbegriffs.

13 14 15 16

Ebenda, 7 3 f . Ebenda, 72. AA I, 394 - 3 9 6 , b e s . die S c h o l l e n von P r o p o s . VI u. V I I . Ebenda, 394; die Weischede1-Ausgabe (I, 4 3 3 ; ü b e r s , von Monika Bock) gibt den Gegensatz mit "in W i r k l i c h k e i t " und "in der Vorstellung" wieder.

17 AA I I , 81.

20

Sinnlichkeit und Subjektivität Der Übergang von idealer zu realer Existenzprädikation

ist

dann nach der Einsicht des Beweisgrundes nicht mehr argumentativ-logisch zu leisten, sondern allein im Rückgriff auf den Vorgang der absoluten Setzung, durch den das Dasein eines Din18 ges "gegeben" wird. Allerdings bleibt die konstitutive Bedeutung der "data" für den Überschritt vom widerspruchsfrei Möglichen zum Wirklichen noch unausgewiesen. Insbesondere der Gedanke einer Verbindung der Merkmale auf der realen "Seite" - als Gegenstück zur logischen Verbindung vom Typus der Leibniz 'sehen Kompossibilität - fehlt im Erfahrungsbegriff des 19 Beweisgrundes völlig. Eine ausgearbeitete Modaltheorie wird Kant erst mit den "Postulaten des empirischen Denkens überhaupt" vorlegen. Doch finden sich, wie herauszustellen sein wird, gerade im Zusammenhang des Raumproblems (1768-70) weitere Anzeichen eines Umdenkens gegenüber der ontologischen Tradition. Während der Beweisgrund mit Bezug auf den Sonderfall des Gottesbegriffs die Unzulänglichkeit logischen Verknüpfens realer Bestimmtheiten zur Prädikation von Realexistenz vorführt, zeigt der ebenfalls 1763 erschienene Versuch den Begriff negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen von einem Begriff der Mathematik die I n s u f f i z i e n z Widerspruchsprinzips

der

im Ausgang des logischen

für die Begründung realer Entgegensetzung.

Am Ausgang der Abhandlung steht die Doppelcharakteristik des Verhältnisses der "Entgegensetzung" ("Opposition": eines hebt die Setzung des anderen a u f ) nach den Gesichtspunkten von "logischer" und "realer" Opposition . Die Verknüpfung von logisch Entgegengesetztem f ü h r t aufgrund des Satzes vom Widerspruch zur Aufhebung jeglicher Setzung ("gar nichts" oder "nihil negativum irrepraesentabile"). Die Verknüpfung real entgegengesetzter Prädikate eines Dinges führt dagegen auf ein "Etwas" ("cogitabile", "repraesentabile"), das auch als "Nichts" qua "Zero"

18 V g l . dazu K a u l b a c h , Die E n t w i c k l u n g des S y n t h e s i s - G e d a n k e n s bei K a n t , a . a . O . , S. 57 - 61. 19 V g l . d a z u e b e n d a , S . 5 8 f . 20 S . z u m f o l g e n d e n A A I I , 171f.

Existenz, Realopposition und synthetische Methode

21

("nihil privativum, repraesentabile") gefaßt wird. Der traditionelle Begriff der negativen Größen in der Mathematik b e t r i f f t solche Negationsverhältnisse, bei denen der negative Wert ("-a") nicht die Größe selbst und absolut, sondern ihr Verhältnis gegen andere Größen ausdrückt. Durch Aufnahme des Gedankens der Realopposition in die Philosophie gelangt Kant zu einer relational-funktionalen Auffassung 21 von realer Negativität, die - ohne besondere "negative Dinge" anzunehmen - das negationslogische Verhältnis der "Beraubung (privatio)" aus der realen Entgegensetzung von "Positionen" er22 klärt. Im Unterschied zum "Mangel (defectus, absentia)" lassen sich nämlich "negative Größen"

(H. v. m . ) nicht als

"Nega-

tionen von Größen" (H. v. m . ) auffassen, sondern ihre Erklärung verlangt die Annahme einer real entgegengesetzen anderen Posi23 tion. Ontologische Bedeutung gewinnt die Unterscheidung von logischer und realer Opposition für den Begriff des Grundes re24 aler Verhältnisse ( " R e a l g r u n d " ) . Beim logischen Grund-FolgeVerhältnis wird ein Begriff (als "Grund") nach dem Widerspruchsprinzip in seine Teilbegriffe ("Folgen") zergliedert. Das reale Grund-Folge-Verhältnis entzieht sich qua realer Opposition der bloß logischen Verknüpfung nach dem Identitätsprinzip. Aufgrund dieser Unzulänglichkeit des logischen Prinzips für die Erklärung realer Verhältnisse (speziell der Entgegensetzung) kommt es zu dem negativen Resultat, daß reale Grund-Folge-Verhältnisse nicht der urteilslogischen Darstellung fähig sind.

Das Ver-

hältnis der Realgründe zu ihren Folgen kann grundsätzlich nicht 26 "deutlich gemacht werden" . Daran ändert auch nichts die immer zu erwartende fortschreitende Zergliederung der Begriffe von Realgründen in einfachere und schließlich elementare Realgründe. Der Übergang von Grund zu Folge, wie er - sozusagen diesseits des Identitätsprinzips - real geschieht, entzieht sich

21 22 23 24 25 26

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

174f. 177. 169. 2O2. 2O2 u. 2 O 4 . 2O4.

22

Sinnlichkeit und Subjektivität

einer philosophischen Theorie, die über ihre Kritik am logischen Verfahren in der Philosophie hinaus (noch) kein positives P r i n z i p für den Ü b e r g r i f f des Denkens auf die Wirklichkeit benennen kann. Vollzieht die Schrift über die "negativen Größen" mit ihrer Unterscheidung von logischen und realen Größen eine Beschränkung der Erkenntnisfunktion des Widerspruchsprinzips auf das Verfahren der logischen Zergliederung, freilich ohne die reale Verknüpfung einem eigenen philosophischen Prinzip zuordnen zu können, so unternimmt die Preis Schrift

(Untersuchung über die

Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Morhl] eine entschiedene Trennung von philosophischer Methode und Verfahrensweise der Mathematik. Auch hier f ä l l t die im Gegenzug zur Ausgrenzung versuchte Bestimmung des spezifisch Philosophischen minimal aus. Beim Vergleich der Methoden, die in Philosophie und Mathematik auf die gewisse Erkenntnis der allgemeinen Begriffe führen, kontrastiert Kant die "synthetischen" Definitionen der Mathematik den "analytischen" in der Philosophie. Die Begriffsverbindungen erfolgen in der Mathematik "willkürlich" und "synthetisch", insofern mathematische Begriffe nicht unabhängig von Definitionen "gegeben" sind, sondern durch die Definition als 27 "willkürliche" Verbindungsvorstellung entstehen. Demgegenüber beginnt die Philosophie bei "gegebenen" Begriffen und verfährt dann zergliedernd oder "analytisch". Synthetisch-willkürliche Erklärungen werden als bloße Nominaldefinitionen aus der Philosophie verwiesen, so wie umgekehrt analytische Erklärungen in 28 der Mathematik einen "Fehler" darstellen. Die näheren Ausführungen der methodischen Differenzen zwischen Philosophie und Mathematik nehmen, zumal was die Theorie der Mathematik angeht, einen Teil der späteren Überlegungen zur "Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche" aus

27 AA II, 2 7 6 . 28 Ebenda, 2 7 7 .

Existenz, Realopposition

und synthetische Methode

der Transzendentalen Methodenlehre vorweg.

29

23

Doch die positive

Charakteristik der Methode in der Philosophie (Metaphysik) mit ihrem Analyse-Einsatz beim gegebenen Begriff der Sache bleibt noch beschränkt auf die Inanspruchnahme "unerweislicher Grundurteile"

und auf die Orientierung am Erfahrungsbezug der Na-

turwissenschaft fahrung"

31

(Physik) in Gestalt einer "sicheren inneren Er-

.

Die Einführung des Synthesis-Gedankens in der

Preissahrift 32 sollte bei alledem nicht zu sehr betont werden. Die Identifikation von "Synthesis" mit "willkürlicher Verbindung" bzw. von "gedacht" (im Unterschied zu "gegeben") mit "ausgedacht" reduziert nicht nur die Metaphysik auf die Analyse von Erfahrung, sie verhindert auch die Ausarbeitung einer positiven Theorie der mathematischen Methode über den Gedanken vom Einsatz bei synthetischen Definitionen hinaus. Für die Beschreibung des Verfahrens der Mathematik mit den definierten B e g r i f f e n rekurriert Kant in der Preissahrift nämlich nicht auf den Synthesis-Gedanken, sondern beläßt es bei einer allgemeinen Vorstellung vom Operieren mit Zeichen und Zeichnungen unter Absehung von den bezeichneten Sachen. Insgesamt betrachtet stimmen die aus dem Veröffentlichungsjahr 1763 herangezogenen Schriften überein in einem grundsätzlichen Interesse am Methodenproblem der Philosophie, insbesondere an deren Abgrenzung von Logik und Mathematik. Das Problem

29 V g l . ebenda, 278 - 283 b z w . B 7 4 O f f . / A 7 1 2 f f . 30 A A I I , 2 8 2 ; z u r " T h e o r i e d e r u n e r w e i s l i c h e n S ä t z e " v g l . Henrich, Kants Denken 1 7 6 2 / 6 3 , a . a . O . , bes. S. 3 6 f . , Henrich konstruiert eine chronologische Abfolge der S c h r i f t e n , die den Begriff des Realgrundes, die D i f f e r e n z analytischer und synthetischer Urteile und das Problem der mathematischen Sätze in einen systematischen Problemzusammenhang b r i n g t . 31 A A I I , 2 8 6 . 3 2 V g l . dazu M a r t i n , Immanuel K a n t , a . a . O . , S . 2 6 9 f . 33 V g l . ebenda, S. 2 7 8 f . I n s o f e r n scheint auch die I d e n t i f i k a tion d i e s e s S y n t h e s i s v e r s t ä n d n i s s e s m i t d e m K o n s t r u k t i o n s g e d a n k e n bei C a s s i r e r , K a n t s Leben u n d L e h r e , B e r l i n 1 9 1 8 , S. 73, v e r f r ü h t .

24

Sinnlichkeit und Subjektivität

34 einer eigentümlichen "metaphysischen Methode" führt dabei nur erst auf Stücke eines neuen B e g r i f f s von Philosophie. Es werden grundlegende Unterscheidungen eingeführt - von realer Prädikation und Existenz, von logischer und realer Opposition sowie von synthetischer und analytischer Methode -, doch die Reinigung der Philosophie von falschen Logizismen und Mathematizismen schafft eher ein Vakuum, das die neuen positiven Verfahrensanweisungen nicht wirklich auffüllen können. Das Festmachen des Existenzprädikats am "Datum", die prinzipielle "Unauflösbarkeit" realer Grund-Folge-Beziehungen und die Einführung der Introspektion ("innere Erfahrung") in die philosophische Begriffsanalyse beschreiben aber eine bei Kant zumindest zeitweise vorhandene Tendenz, im Zuge der Kritik an der "analytischen Philosophie" des Rationalismus einen gewissen Empirismus zu vertreten.

Für die Objektivitätsthematik liegt die Bedeutung dieser Phase von Kants Denken im Auftreten einer modalen Problemstellung. Realrepugnanz, Existenzsetzung durch "Data", unvordenkliche Realgründe und innere Gegebenheit von Grundbegriffen: sie alle zielen ab auf den Gegenstandsbezug des Denkens, einen Überschritt zur "Sache", für den logische Argumentation als solche jedenfalls nicht mehr aufkommen kann. Bevor nun 1768 das Modalproblem in Gestalt der Frage nach dem Raum einem ersten Lösungsversuch zugeführt wird, verschärft sich zunächst noch einmal die "Zwischenlage". Durch die Annahme eines methodischen Skeptizismus - wie er in Träume eines GeistSehers . .. vorliegt - treibt Kant die Rationalismus-Kritik

3 4 D e n A u s d r u c k v e r w e n d e t C a s s i r e r , K a n t s Leben u n d L e h r e , a . a . O . , S. 5 8 f f . , zur C h a r a k t e r i s t i k von Kants methodologis c h e m I n t e r e s s e z u B e g i n n d e r 6Oer J a h r e . 35 Vgl. zum folgenden C a s s i r e r , Kants Leben und L e h r e , a . a . O . , S. 8O - 87; K a u l b a c h , Die E n t w i c k l u n g des S y n t h e s i s - G e d a n kens bei K a n t , a . a . O . , S. 67 - 69; D e r s . , Immanuel Kant, a . a . O . , S. 74 - 83.

Existenz, Rea1opposition und synthetische Methode weiter voran, gibt ihr auch eine strengere Gestalt

25

und formu-

liert ein ganz spezifisch dem Umkreis des Modalproblems entstammendes Argument: den Traumverdacht gegen die rationale Metaphysik. Spiritismus im Stile Swedenborgs und metaphysische

Spekula-

tionen werden unter den gemeinsamen Titel des "Traumes" gebracht.

Die angekündigte Erklärung der "Träume eines Geister38 sehers" durch solche "der Metaphysik" kehrt sich gegen die

"träumende" traditionelle Metaphysik selbst, weil deren "Hypo39 thesen" von den phantastischen Berichten über "Geister" ein40 zig dem Medium nach - hier Empfindung, dort Vernunft - verschieden sind, nicht aber in der Gewißheit. Wissen im Sinne einer Uberprüfbarkeit des Behaupteten durch andere ist nämlich dann nicht gegeben, wenn der einzelne in je seiner Geisterbzw.

Geisteswelt lebt. Den im Zustand objektiv unkontrollier-

baren Gegenstandsbezugs Befangenen kennzeichnet Kant im Rückg r i f f auf den sprichwörtlichen Gegensatz von gemeinschaftlichem

36 Josef S c h m u c k e r , K a n t s k r i t i s c h e r S t a n d p u n k t zur Zeit der Träume eines G e i s t e r s e h e r s im V e r h ä l t n i s zu dem der K r i t i k der reinen V e r n u n f t . In: Beiträge zur Kritik der reinen Vern u n f t 1781 - 1 9 8 1 , h g . v . I . H e i d e m a n n u . W . R i t z e l , Berlin/ New Y o r k 1981, S.l - 36, s t e l l t die z w a r noch v o r t r a n s z e n d e n t a l e , aber schon s p e z i f i s c h k r i t i s c h e - n ä m l i c h s y s t e m a t i s c h metaphysik-kritische - Dimension der Träume eines Geistersehers h e r a u s . Bezüglich der Aufnahme des Skeptizismus in die philosophische Methode wird ein ( e r s t e r ) E i n f l u ß Humes auf Kant erwogen. V g l . d a z u C a s s i r e r , K a n t s Leben und Lehre, a . a . O . , S. 95 - 97 sowie K a u l b a c h , Immanuel K a n t , a . a . O . , S. 76. Über die Bedeutung Humes für Kant zu einem späteren Zeitpunkt (1769 bzw. nach 177O) vgl. den historisch-kritischen Materialbericht bei H. H o l z h e y , Kants E r f a h r u n g s b e g r i f f , Basel/Stuttgart 197O, S. 1 4 4 f f . 37 A A I I , 3 4 2 .

38 D e r v o l l s t ä n d i g e T i t e l d e r S c h r i f t l a u t e t : T r ä u m e e i n e s G e i stersehers, e r l ä u t e r t durch Träume der Metaphysik. 39 V g l . e b e n d a , 3 4 1 . D e n s k e p t i s c h - p o l e m i s c h e n E i n s a t z v o n "metaphysischen Hypothesen" a n a l y s i e r t Kant in seiner strategischen Bedeutung für den "Streit" der V e r n u n f t im Abschnitt der T r a n s z e n d e n t a l e n Methodenlehre über "Die D i s z i plin der reinen V e r n u n f t in Ansehung ihres polemischen Geb r a u c h s " (B 7 6 G / A 738 - B 7 9 7 / A 7 6 9 ; v g l . b e s . B 7 8 6 f f . / A 758ff.). 40 V g l . A A I I , 3 4 2 .

26

Sinnlichkeit und Subjektivität

Weltbesitz im Wachen und je individueller Welt beim Träumen terminologisch als "Träumer". Die Gegenüberstellung von (Vernunft-) Traum und Wirklichkeit markiert damit den Unterschied zwischen den logisch-rationalistischen "Gedankenwelten" - Kant nennt 41 W o l f f , aber auch Crusius - und der Selbstbeschränkung von 42 philosophischem Wissen auf Erkenntnis "aus Erfahrung" . Abermals überzeugen die Argumente gegen die alte Metaphysik mehr 43 als die Ansätze zu einer neuen Theorie der Erfahrung.

1 . 1 . 2 . Die Wirklichkeit des Raumes Beweisziel der Abhandlung Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume ( 1 7 6 8 ) ist die "eigene Realität" oder "Wirklichkeit" des "absoluten" (auch "allgemeinen absoluten", "ursprünglichen" oder "reinen") Raumes - und somit die Nichtzurückführbarkeit dieses "Grundbegriffs" auf MaterieKonstellationen im Sinne eines bloß abstraktiv gewonnenen Be44 g r i f f s vom "wirklichen Raum". Ausgehend vom mathematischen Unterschied zwischen "Lage" (situs) und "Gegend" - zwischen je relativem räumlichen Bezugssystem und absoluter räumlicher Orientierung - 45 , zeigt Kant, daß die Möglichkeit des "Unterschiedes der Gegenden im Räume" die Annahme eines von realen räumlichen Verhältnissen unabhängigen, nicht-relativen (eben "absoluten") Raumes voraussetzt, der allerdings - als "erster Grund" - selbst nicht räumlichäußerlich vorliegt. Die "Realität" oder "Wirklichkeit" dieses

41 E b e n d a . 42 Ebenda, 37O. 43 K a u l b a c h s t e l l t im Zusammenhang einer Gesamtinterpretation des vorkritischen Kant, speziell seiner Entwicklung in den 6Oer J a h r e n , E l e m e n t e e i n e r P h i l o s o p h i e d e r l e i b l i c h - f a k t i zistisch begründeten Subjektivität heraus. Für die Träume eines G e i s t e r s e h e r s geht er besonders auf die, von Kant allerdings nur hypothetisch vorgetragenen, Überlegungen zur leiblichen O r i e n t i e r u n g im Raum ein. V g l . K a u l b a c h , Die Entwicklung des Synthesis-Gedankens bei Kant, a . a . O . , S. 6 7 f f . , bes. aber d e r s . , Immanuel K a n t , a . a . O . , S . 6 7 - 7 4 . 44 AA II, 378 b z w . 383. 45 Ebenda, 3 7 7 f .

Die Wirklichkeit des Raumes

27

Meta-Raumes - im Unterschied zu seiner bloß fiktionalistischen Auffassung ("Gedankending") - belegt Kant, nach einer "Vorbereitung" über die körperliche Raumorientierung , am Phänomen der inkongruenten Gegenstücke. Der "innere" "wahre" Unterschied einer beliebigen geometrischen Gestalt von ihrem, hinsichtlich der (relativen) Lage der Teile zueinander, vollkommen identischen Spiegelbild ist nur erklärbar durch die Beziehung der räumlichen Gegenstände auf einen "absoluten" und doch "realen" Raum. 47 Der gründlichen Argumentation gegen eine materialistische Raumauffassung (Prius der Materie gegenüber ihrem räumlichen Ordnungsgefüge) entspricht bei Kant 1768 keine gleichermaßen artikulierte Bestimmung der spezifischen Form von Realität im Fall des "absoluten Raumes". Abermals bleibt es bei dem Hinweis auf die "Beschwerlichkeit . . . , wenn man über die ersten data AP unserer Erkenntniß noch philosophiren will" Zwei Punkte sind aus der Abhandlung von 1768 festzuhalten. Zum einen die terminologische Gleichsetzung von "Realität" und "Wirklichkeit", wenigstens hinsichtlich des "absoluten Raumes". Grammatisch bedeutet diese modale Auffassung von "Realität" eine Beschränkung auf den Wortgebrauch im Singular - im Unterschied zu den pluralen "Realitäten" qua relativen Setzungen. Und zum anderen die, allerdings nur erst ansatzweise vorfindliche, Ausweisung der absoluten Raum-Realität als "dem innern

46 E b e n d a , 378 - 381. 47 Ebenda, 3 8 2 £ . ; zum Theorem von den i n k o n g r u e n t e n Gegenstükken und s e i n e r W i e d e r a u f n a h m e in den P r o l e g o m e n a , § 13 (AA I V , 2 8 5 f . ) sowie z u m d a m i t z u s a m m e n h ä n g e n d e n P r o b l e m der Orientierung - W i e d e r a u f n a h m e im Z e i t s c h r i f t e n a u f s a t z Was h e i ß t : Sich i m D e n k e n o r i e n t i e r e n ? ( A A V I I I , 1 3 1 - 1 4 7 ) - s. H. Vaihinger, Commentar zu Kants Kritik der reinen V e r n u n f t , 2. B d . , S t u t t g a r t / B e r l i n / L e i p z i g 1892, S. 518 532 (Anhang. Das Paradoxon der symmetrischen G e g e n s t ä n d e ) . Für eine anthropozentrische U m i n t e r p r e t a t i o n des Orientierungsgedankens s. Kaulbach, Immanuel K a n t , a . a . O . , S. 84 8 7 sowie d e r s . , D i e M e t a p h y s i k d e s R a u m e s b e i L e i b n i z u n d K a n t , Köln I960, S. 9 3 f f . 48 AA II, 383.

28

Sinnlichkeit und Subjektivität

Sinne anschauend gnug" 49 . Dieser Hinweis auf den Gewißheitsmodus des nicht-relativen Raumes muß im Zusammenhang gesehen werden mit der Charakteristik der Geometrie durch "anschauende ( n ) U r t h e i l e ( n ) der Ausdehnung" und mit der Auffassung des "allgemeinen Raumes" als "eine(r) Einheit, wovon jede Ausdehnung wie ein Theil angesehen werden muß" . An BeStimmungsstükken des philosophischen Begriffs vom mathematisch wie naturwissenschaftlich notwendigen absoluten Realraum liegen j e t z t vor: Ganzheitlichkeit (Vorgängigkeit der Einheit gegenüber den Teilen) und nicht-rationale ("innere") Gewißheit der Wirklichkeit. 5 2 Die Fortentwicklung des Raumbegriffs von der Realitätsthese ( 1 7 6 8 ) zum Anschauungscharakter des Raumes (177O) passiert das vielerörterte "Jahr 69" und sein "großes Licht" . Für die Dar-

49 50 51 52

Ebenda. Ebenda, 378. Ebenda. D i e h i e r v o r g e t r a g e n e A u s w e r t u n g d e r R a u m s c h r i f t v o n 1768 v e r z i c h t e t auf den Einbezug der allgemeinen philosophieg e s c h i c h t l i c h e n und der besonderen entwicklungsgeschichtl i c h e n Bezüge auf den n e u z e i t l i c h e n "Kampf um den Raum" ( H e i m s o e t h ) . Hinzuweisen ist jedoch zumindest auf die von Cassirer vorgenommene Deutung des "absoluten Raumes" im Sinn von L e i b n i z ' i d e a l i s t i s c h e m R a u m b e g r i f f - und damit im Vorg r i f f auf K a n t s Bestimmung des "absoluten Raumes" als "Idee" in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft ( v g l . A A I V , 4 8 1 f . , a u c h 5 2 1 f . ) . V g l . C a s s i r e r , K a n t s Leben und Lehre, a . a . O . , S. l O 9 f . u. 114 A n m . 1. Freilich ist dies n i c h t der von Kant r e z i p i e r t e Leibniz der Abstrakt i o n s t h e o r i e des R a u m e s , den die S c h r i f t von 1768, wie auch C a s s i r e r in R e c h n u n g s t e l l t , gerade zu widerlegen beans p r u c h t . Allgemein geht es bei der historischen Deutung der Ü b e r l e g u n g e n zum R a u m p r o b l e m aus den J a h r e n 1768 - 1 7 7 O um Form u n d A u s m a ß v o n K a n t s A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t L e i b n i z . Der eindeutigen Option K a n t s für Leibniz u n d g e g e n Locke im S t r e i t u m d i e " e i n g e b o r e n e n I d e e n " e n t s p r i c h t dabei keine ebenso e i n d e u t i g e E n t s c h e i d u n g für eine der beiden Posit i o n e n bei d e r A u s e i n a n d e r s e t z u n g z w i s c h e n L e i b n i z u n d C l a r k e . V g l . dazu C a s s i r e r , K a n t s Leben u n d Lehre, a . a . O . , S. l O 2 f f . sowie d e r s . , Das E r k e n n t n i s p r o b l e m in der Philosophie und W i s s e n s c h a f t der n e u e r e n Z e i t , Bd. 2, Darmstadt 1974, S·. 6 2 1 f f . D i e h i s t o r i s c h e P e r s p e k t i v e w i r d i m f o l g e n den bei der Behandlung der d e f i n i t i v e n Raumtheorie der Transzendentalen Ästhetik wieder aufgenommen. 5 3 R e f l . 5037 ( A A X V I I I , 6 9 ) ; A d i c k e s d a t i e r t d i e R e f l e x i o n a u f d i e z w e i t e H ä l f t e d e r 7Oer J a h r e .

Die Wirklichkeit des Raumes

29

Stellung der Konvergenzbewegung von Modalproblem (Realität = Wirklichkeit) und Raumdiskussion (Realität vs. "Gedankending") interessiert an der einschlägigen Reflexion 5037 die dort vorgetragene Vermutung einer "illusion des Verstandes" hinter der widersprüchlichen Beweisbarkeit von Sätzen und ihrem Gegenteil. 54 Erdmann hat als das Entwicklungsmoment in Kants Denken zu Ende der 6Oer Jahre das Antinomienproblem namhaft gemacht. Das Auftreten inkompatibler argumentativ abgesicherter Aussagen zum kosmologischen Thema (räum-zeitliehe Erstreckung der Welt bzw. ihre Elementarstruktur) wurde insbesondere von Heimsoeth in den zugehörigen Rahmen der Auseinandersetzung zwischen ratio nalistischer Metaphysik und mathematisch-exakter Physik gestellt. Der radikalen Kritik durch Kl. Reich an der Annahme eines denkbiographischen Zusammenhangs von Raumthema und Antinomienproblem - vorgetragen als Zurückstufung des antithetischen Verfahrens in die vorkritische Form eines methodischen Skeptizismus - traten Hinske mit einer entwicklungsgeschichtlich differenzierteren Behandlung des Antinomienbegriffs und C p zuletzt J. Schmucker mit einer Unterscheidung von kosmologisch orientierter Vernunft-Dialektik und dazu paralleler Profa lematisierung des rationalistischen Raumbegriffs entgegen.

54 S. dazu B. E r d m a n n , Vorwort ( D i e E n t w i c k l u n g s p e r i o d e n von Kants theoretischer Philosophie). In: Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie, 2. Bd., Reflexionen zur Kritik der r e i n e n V e r n u n f t , L e i p z i g 1 8 8 4 , S . X X I V - X X X I V sowie d e r s . , E i n l e i t u n g . I n : I m m a n u e l Kant' s P r o l e g o m e n a . . . , L e i p z i g 1 8 7 8 , LXXIIIff. 55 S. H. Heimsoeth, Atom, Seele, Monade. Historische Ursprünge und Hintergründe von Kants Antinomie der T e i l u n g , Mainz 1960, b e s . S . 2 6 3 . 56 S. K. R e i c h , E i n l e i t u n g ( ü b e r das V e r h ä l t n i s der Dissertation u n d d e r K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t u n d d i e E n t s t e h u n g der k a n t i s c h e n R a u m l e h r e ) . In: I . Kant, De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et p r i n c i p i i s , hg. v. K. Reich, Hamburg 1958,S . V I I - X V I , bes. I X f f . 57 S. N. H i n s k e , Kants Weg zur Transzendentalphilosophie. Der dreißigjährige Kant, Stuttgart 197O, S. 9 7 f f . 58 S. J. S c h m u c k e r , Was e n t z ü n d e t e in K a n t das g r o ß e L i c h t von 1769? I n : A r c h . f . G e s c h . d . P h i l o s . 5 8 ( 1 9 7 6 ) , S . 3 9 3 434, bes. S. 4 O 3 f f .

30

Sinnlichkeit und Subjektivität

Diese Diskussion zusammenfassend, wird man dem Antinomienproblem eine heuristische Funktion zusprechen müssen, und dies zumindest bei der Aufdeckung der Kontroversität der neuzeitlichen Raumdiskussion, eventuell aber auch mit Bezug auf die (seit 1770 manifeste) Gewinnung des neuen B e g r i f f s vom Raum.

1 . 1 . 3 . Sinnlichkeit als Prinzipiengefüge und der Begriff einer sinnlichen Anschauung Das kosmologische Thema (Größenbestimmung der Welt) f ü h r t in 59 der Inaugural-Dissertation unter Bezugnahme auf die Diskrepanz zwischen begrifflich-allgemeinem Vorstellen einer Zusammensetzung (Elemente - Ganzes) und deren konkreter Ausführung zum Doppelbegriff der Welt als Sinnen- und Verstandes-Ganzheit. Die Prinzipienanalyse des "mundus sensibilis" (Sectio I I I . ) entspricht im wesentlichen den "Erörterungen" der Transzendentalen Ästhetik (A 22 - A 25 u. A 30 - A 32; vgl. auch B 37 B 41 u. B 46 - B 4 9 ) . Hier, beim entwicklungsgeschichtlichen Abriß, soll deshalb nur der 1770 vorliegende Fortschritt in der Fassung des sinnlichen Erkenntnisanteils namhaft gemacht werden, ohne daß schon auf die phänomenalistische Raum- und ZeitTheorie eingegangen wird. Mit dem neuen Begriff von Synthesis und Analysis stellt Kant neben das intellektuell-logische Subordinationsverhältnis von Grund und Begründetem die Teil-Ganzes-Beziehung der Koordination (bei Synthesis) und der Subdivision (bei A n a l y s i s ) .

Der

Fortgang von den Teilen zum Ganzen bzw. vom Ganzen zu den Teilen bedarf für die Ausführung in concreto des sinnlichen Erkenntnisvermögens (facultas cognoscendi sensitiva) und vollzieht sich nach den Gesetzen der Anschauung (leges intuitus, 59 Der T i t e l dieses ad hoc, aus A n l a ß der Ü b e r n a h m e des Logikund M e t a p h y s i k - O r d i n a r i a t s geschriebenen S c h r i f t lautet: De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. 60 V g l . d a z u AA I I , 387 - 392 ( S e c t i o I . ) , b e s . 387 - 389 (§ 1) 61 S. e b e n d a , 388, bes. A n m . I.

Sinnlichkeit und sinnliche Anschauung

31

leges cognitionis sensitivae) als Gesetzen der Sinnlichkeit (leges sensualitatis).

Die Abgrenzung des Prinzipiengefüges

Sinnlichkeit gegen die nicht-sinnliche, intellektuelle Verstandeserkenntnis (§ 3) sowie die nähere Charakteristik der sinnlichen Erkenntnis nach Form und Inhalt (§ 4) geschieht ohne Verwendung des Anschauungsbegriffs. Kriterium für die Trennung des Sensiblen vom Intelligiblen - des Gegenstandes der Sinnlichkeit (Phaenomenon) vom bloß durch den Verstand Erkannten (Noumenon) - ist die Art der Vorstellung des Objekts. Positiv bestimmt wird allein der sinnliche Bezug auf den Gegenstand: das gegenwärtige Objekt a f f i x i e r e den Vorstellungszustand. Bei der intellektuellen Erkenntnis finde demgegenüber Affektion durch Objektpräsenz nicht statt. Die Argumentation für den Erscheinungscharakter der sinnlich vorgestellten Dinge bezieht sich nun aber nicht auf das Prinzipiengefüge

Sinnlichkeit oder dessen Gesetze, sondern a u f . e i -

ne ( j e ) besondere natürliche Veranlagung

( i n d o l e s ) , die von

Subjekt zu Subjekt verschieden ausfallen könne. Diesem Extrem von naturalisierender Privatisierung der Erscheinung entspricht, auf der Ebene der Verstandeserkenntnis, eine subjektlose Nur-Objektivität. Der Objekt-Bezug der sinnlichen Erkenntnis ist bezüglich der Noumena ein "testari", kein "exponere ., . 64 Aber auch die materiale Komponente der Affektionsbeziehung (sensatio)

liefert eine nur unspezifische Gegenstandsanzeige

(arguere). Für den Gesetzeszusammenhang der Empfindungen kommen, von seiten der Sinnlichkeit, einzig deren eigene Formprinzipien a u f . Im Sensiblen ist nämlich zu unterscheiden zwischen dem sensuellen Material (sensualis) und der sensitiven Form (sensitivus) der Koordination. Das Empfindungsmannigfaltige bezieht seine Gestaltung (Spezifikation; vgl. lat.

62 S. e b e n d a , 387 b z w . 3 9 2 . 63 S. dazu ebenda, 392: "cognitio nonnisi obiectum r e s p i c i a t " . 64 E b e n d a , 391. 65 S . e b e n d a , 3 9 3 .

(sc.

intellectualis)

32

Sinnlichkeit und Subjektivität

species) weder aus einem noumenalen noch aus einem sensuellen Gegenstandsbereich, sondern lediglich durch subjektive Koordinationsregeln, deren Subjektivitätsstatus - ob Privatsubjektivität oder komparativ bzw. streng allgemeine Subjektivität noch zu bestimmen ist. Subjektive Regelung ersetzt objektive Geregeltheit. Empfindung und (zunächst noch anonyme) Form der sinnlichen Erkenntnis begründen je auf ihre Weise - durch die Affektionsbeziehung bzw. durch den Ursprung im Subjekt (mens) - den Erscheinungscharakter des sinnlich Erkannten (apparentia). Identifizierte, bestimmte Gegenstände und ein Zusammenhang des Sensiblen als Welt (mundus sensibilis) kommen erst durch den logisch-formalen Verstandesgebrauch der abstrahierenden Reflexion zustande, durch den das bloß Sinnliche zur Erfahrung (experientia) geordnet wird. Die Unzulänglichkeit der bloß formal-logischen Auffassung des Übergangs vom Einzelnen zur Gegenstandserfahrung einmal zugestanden, kommt an der Zuweisung des intellektuellen "usus logicus" an die Sinnenwelt zweierlei zum Ausdruck: einmal die Angewiesenheit des logischen Verfahrens auf ein gegebenes Material; dann die Unmöglichkeit, mit H i l f e des logisch-formalen Verfahrens das zugrundeliegende sinnliche Material in eine nicht mehr sinnliche Form von Gegenstandsbeziehung zu verwandeln, es zu entsinnlichen. Ein Übergang von der Sinnen- zur VerstandesWelt findet nicht statt. Der formal-analytische Charakter des logischen Verstandesgebrauchs setzt die bloß instrumenteile Einschätzung des Logisch-Rationalen und die dem korrespondierende modale Auszeichnung der "Daten", wie sie sich in den Schriften der 6Oer Jahre finden, fort. Erst im Anschluß an die Ausführungen zur sinnlichen Erkenntnis, zum "usus logicus" und zur reinen Verstandeserkenntnis (usus intellectus purus) behandelt die Inaugural-Dissertation

66 S. e b e n d a , 3 9 4 . 67 S . z u m l e t z t e r e n e b e n d a ,

395f.

Sinnlichkeit und sinnliche Anschauung

33

68 den Anschauungsbegriff. Die allgemeine, gattungsmäßige Bestimmung von "Anschauung" bedient sich der konvertiblen Kriterien von Unmittelbarkeit der Erkenntnis und erkennendem Bezug auf Einzelnes (immediate bzw. singulare concipere). Den Gegenbegriff bildet das diskursive Erkennen mittels Merkmalen, die als gemeinsame Kennzeichen von Vielem Allgemeinheitscharakter haben.

Im Interesse einer genauen Verhältnisbestimmung von kritischem Anschauungsbegriff und Prinzipientheorie der Sinnlichkeit wird man auf die Argumentationsfolge in Paragraph 10 zu achten haben. Den Einsatz markiert die Gegenüberstellung von Anschauung und symbolischer Erkenntnis des Intellektuellen. Erstere findet beim Menschen nicht statt. Die anzusetzende "cognitio 69 symbolica" bleibt völlig unbestimmt. Der Zurückweisung einer intellektuellen Anschauung qua Anschauung -des Intellektuellen folgt die doppelte, positive wie negative Festlegung der menschlichen A r t , intellektuell zu erkennen: durch allgemeine Beg r i f f e und in abstracto, nicht aber durch einzelne und in concreto. Die Begründung des nicht-anschaulichen Charakters aller menschlichen intellektuellen Erkenntnis geschieht mit zwei unterschiedlichen, einander ergänzenden Argumenten. Zunächst wird die Nicht-Intellektualität "unserer" Anschauung mit deren funktionaler Bindung an notwendige Formprinzipien allen Anschauens erklärt. Erkenntnis des Unmittelbar-Einzelnen unterliegt bei "uns" Menschen Bedingungen - sie werden anticipando mit "spatium" und "tempus" angegeben -, deren Prinzipienfunktion sich nur auf Gegenstände der Sinne bezieht. Die einzige dem Menschen mögliche Form der Anschauung ist also zugleich die Form sinnlicher Erkenntnis. Dieser ersten Begründung der Nicht-Intellek-

68 S. zum f o l g e n d e n e b e n d a , 3 9 6 f . 69 V g l . d a z u auch die s p ä t e r e B e h a n d l u n g der " s y m b o l i s c h e n D a r s t e l l u n g " im Z u s a m m e n h a n g der T h e o r i e der " H y p o t y p o s e " in § 59 der K r . d. U. (AA V, 351 - 3 5 4 ) . Dort ( e b e n d a , 352 A n m . 1) w i r d das S y m b o l i s c h e als s p e z i f i s c h e Form des I n t u i tiven dem Diskursiven entgegengesetzt.

34

Sinnlichkeit und Subjektivität

tualität menschlicher Anschauung durch die Sinnlichkeit der anschaulichen Form folgt als zweites Argument der Rückgriff auf die materiale Beschränktheit "unserer" Erkenntnis auf die durch die Sinne gelieferten Empfindungen. Die inhaltliche Passivität der Anschauung, ihre Angewiesenheit auf sinnlich Gegebenes, verträgt sich nicht mit dem (per definitionem) spontanintellektuellen Status des Intelligiblen. Die Begründung der Sinnlichkeit menschlicher Anschauung wird in Paragraph 12 ergänzt durch die explizite Einführung einer nicht durch A f f e k t i o n gegebenen Form der Sinnlichkeit, die als Anschauung zwar eine von Data f r e i e , reine Anschauung darstellt, jedoch aufgrund ihres notwendigen Bezugs auf die Sinne und auf deren Material keine intellektuelle Anschauung ist. Wichtig ist schließlich der im selben Zusammenhang vorgetragene Begründungsverlauf von der reinen Anschauung zu deren Identifizierung mit Raum und Zeit. Da es sich bei den Formen der Anschauung qua Anschauungen von Unmittelbar-Einzelnem um keine logisch-allgemeinen B e g r i f f e handeln k a n n , stellt die reine Anschauung das sinnliche Material in räumlichen und zeitlichen Verhältnissen der Koordination oder Umfassung vor ("in quo" im Unterschied zu "sub q u o " ) . Die analytische Aufbereitung der ästhetischen Theorie von 1770 zeigt die argumentative Trennung von Sinnlichkeit und Anschauung. Ohne Berücksichtigung des Problems der (menschlichen) Anschauung entwickelt Kant zunächst eine Theorie der Sinnlichkeit als Prinzipienlehre, die auf die Subjektivität der sinnlichen Formen wie auch ihrer Inhalte f ü h r t . Erst die am Problem der Erkenntnisweise des Intellektuellen einsetzende Thematisierung der Anschauung f ü h r t dann, unter Zurückweisung einer menschlichen intellektuellen Anschauung und unter Beziehung der menschlichen Anschauung auf ein zu formendes sinnliches Material, zum Begriff einer sinnlichen Anschauung, die auch als Form phänomenal bleibt.

70 S . e b e n d a , 71 E b e n d a .

397f.

Sinnlichkeit und sinnliche Anschauung

35

Die Diskussion um die Möglichkeiten menschlicher Anschauung wird somit durch die zugrundeliegende Theorie der Sinnlichkeit entschieden. Kants Abweichen vom rationalistischen intuitusKonzept, dem Anschauung eo ipso als nicht-sinnlich galt, ist insofern vermittelt durch die prinzipientheoretisch radikale Fassung der Sinnlichkeit als Prinzipiengefüge sui generis. Der für die Ästhetisierung des Anschauungsbegriffs maßgebliche Prinzipiendualismus von Sinnlichkeit und Verstand löst auf positive Weise die zunächst nur negativ formulierte Kritik am Methoden- und Wirklichkeitsverständnis der rationalistischen Metaphysik ein. Neben die logisch-analytischen Verfahren des reflektierenden Denkens treten die Modi des sinnlichen Anschauens.

1 . 2 . Raum und Zeit als Formen der sinnlichen Anschauung Die konstitutive Rolle der Rezeptivität des menschlichen Subjekts als dessen "Fähigkeit", Affektionen seines Vorstellungszustandes zu erleiden, hat zur Folge, daß der Einsatzpunkt der theoretischen Gegenstandsbeziehung bei der Anschauung liegt. Im Unterschied zur mittelbaren, auf "Merkmale" (B 33) angewiesenen Beziehung des Denkens auf den Gegenstand ist das Verhältnis der sinnlichen Anschauung zu ihrem Gegenstand "unmittelbar" (B 33/A 1 9 ) . Wie immer man Heideggers kontroverse Auslegung dieses Verhältnisses von Anschauung und Begriff als 72 .Zweck-Mittel-Beziehung beurteilt, so kann doch die schlechthin grundlegende Bedeutung der Anschauung für das Denken festgehalten werden. Die elementare Gegenstandsgegebenheit durch Anschauung ließe sich als Kants These von der ünhintergehbarkeit der Anschauung bezeichnen. Für den erkennenden Gegenstandsbezug ist Anschauung unverzichtbar. Freilich bleibt dabei noch o f f e n , auf welche Weise das Prinzip Anschauung jedesmal an Gegenstandserkenntnis teilhat. Die elementare Gestalt der intuitiven Basis von Erkenntnis besteht in der "empirischen Anschauung". Kants diesbezügliche Ausführungen gleich zu Beginn der Transzendentalen Ästhetik (B 34/A 1 9 f . ) scheinen den Gegenstand seinem Begriff nach mindestens zu verdoppeln. Einmal soll der Gegenstand a f f i z i e r e n ; Resultat ( " W i r k u n g " ) ist die "Empfindung". Dann soll sich die Anschauung durch ebendiese Empfindung auf den Gegenstand beziehen. Schließlich nennt Kant noch die "Erscheinung" den "unbestimmten Gegenstand einer empirischen Anschauung". Hier besteht eine Spannung zwischen der Aktivität auf seiten des Gegenstandes bei der Hervorbringung der Empfindung und dem, wenigstens grammatisch gegebenen, aktiven Bezug der Anschauung auf den Gegenstand. Ein Lösungsvorschlag könnte auf den noe-

72 Vgl. M. Heidegger, Kant und das Problem der F r a n k f u r t / M . 1973, bes. S . 2 4 f f .

Metaphysik,

Raum und Zeit als Formen der sinnlichen Anschauung

37

tisch-noematischen Doppelsinn von Anschauung als Vollzug und Gehalt zurückgreifen: qua Akt erscheint die empirische Anschauung aktiv-beziehend, qua Gehalt tritt sie passiv-bezogen a u f . Schwierigkeiten bereitet dann aber weiterhin die Rede vom "unbestimmten Gegenstand". Unter Heranziehung späterer Stellen (etwa A 2 4 8 f . ) wäre zwischen Anschauung bloß als Sinnlichkeitsmodifikation b z w . deren Gegenstand - dem entspräche die "apparentia" der Inaugural-Dissertation - und intellektuell bestimmter Anschauung - der "experientia" von 1770 - zu unterscheiden. 7 3 Der Übergang vom anonym entwickelten Begriff einer reinen sinnlichen Anschauung als Form zu deren Identifikation mit Raum und Zeit soll dem Isolationsverfahren folgen und zunächst, durch Abstraktion vom intellektuellen Erkenntnisanteil (apriorische B e g r i f f e ) , die empirische Anschauung herauspräparieren, um dann, unter Ausklammerung des ästhetischen Materials (Empfindungen) , auf die reinen Elemente der Sinnlichkeit (Prinzipien) zu führen (B 36/A 2 2 ) . Diese Regelanweisung mag den sich anschließenden "Erörterungen" zugrundeliegen, sie wird aber nicht explizit eingebracht in die Rechtfertigung der Auszeichnung gerade von Raum und Zeit. Der eigentliche Text der "metaphysischen" bzw. "transzendentalen Erörterung" des Raum- wie des Zeitbegriffs (B 3 8 f f . / A 2 3 f f . bzw. B 4 6 f f . / A 3 0 f f . ) setzt den jeweiligen Begriff schon voraus, um ihn in der Abfolge der einzelnen Argumente zu bestimmen. Als eigene Einführung von Raum und Zeit kommen nur die ersten vier Sätze von Paragraph 2 in Betracht. Sie leiten vom Gedanken der Form sinnlichen Anschauens zu den Formprinzipien der Sinne über. Die Vermittlung geschieht durch die B e g r i f f lichkeit von "äußerem" und "innerem Sinn". Ein Zwischenschritt führt den Raum als Medium des äußeren Sinnes und - analog dazu - die Zeit als Medium des inneren Sinnes ein. Doch birgt gerade die Inanspruchnahme dieser Konzeption von räumlicher Gegen-

73 Vgl. dazu den k r i t i s c h e n D i s k u s s i o n s b e r i c h t bei H. V a i h i n g e r , C o m m e n t a r z u K a n t s K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t , Bd. 2 , a . a . O . , S. 3 O .

38

Sinnlichkeit und Subjektivität

ständlichkeit und zeitlicher Zuständlichkeit gravierende Schwierigkeiten für die wechselseitige Identifikation von reiner Anschauung und Raum und Zeit. War es im Horizont von Paragraph 1 eine Form-Beziehung auf sinnliches Material, durch die "reine Anschauung" vor "empirischer Anschauung" sich auszeichnete, so stellt sich nunmehr, von Paragraph 2 ab, das zusätzliche Problem, reine Anschauung mit der Möglichkeit, innerlich bzw. äußerlich (Inneres bzw. Äußeres) anzuschauen, zusammenzubringen. 74 Neuerdings hat in diesem Zusammenhang P. Baumanns die Aporien in der argumentativen Anlage der Transzendentalen Ästhetik herausgestellt. Das Ergebnis kann in die Doppelthese gefaßt

werden, daß von Kants Begriff einer reinen Anschauung ebenso wenig umstandslos und ohne zusätzliche Differenzierung des Beg r i f f sapparates überzugehen ist zu Raum und Zeit wie umgekehrt von der Analyse dieser beiden B e g r i f f e kein direkter Weg zu ihrer Interpretation als reiner Anschauungen führt. Insbesondere zeigt Baumanns die Notwendigkeit a u f , zwischen dem Raum und der Zeit als Anschaulich-Gegenständlichem und der ästhetischen Ermöglichung räumlicher und zeitlicher Verhältnisse zu unterscheiden. Die Zurücknahme des reinen Mannigfaltigen von Raum und Zeit das als solches noch diesseits von jeglicher Synthesis zu bestimmten räumlichen und zeitlichen Vorstellungen liegt - in die

7 4 A n s c h a u u n g , Raum u n d Z e i t b e i K a n t . I n : B e i t r ä g e z u r K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t 1781 - 1981, h g . v . I . H e i d e m a n n u . W . R i t z e l , B e r l i n / N e w Y o r k 1981, S . 6 9 - 1 2 5 ; s . a u c h d e r s . , Kants B e g r i f f des inneren und äußeren Sinnes. In: Akten des 5 . i n t e r n a t i o n a l e n K a n t - K o n g r e s s e s , T e i l I . l , Bonn 1981, S. 91 - l O2 , bes. S. 9 7 . 7 5 V g l . B a u m a n n s , A n s c h a u u n g , Raum u n d Z e i t b e i K a n t , a . a . O . , S . 1O9. D i e s e U n z u l ä n g l i c h k e i t d e r K a n t i s c h e n T h e o r i e w i r d im w e s e n t l i c h e n auf die K o n t a m i n a t i o n von f o r m a l e r Anschauu n g q u a b e s t i m m t e r Form d e r A n s c h a u u n g u n d ( u n b e s t i m m t e r ) Form d e r A n s c h a u u n g q u a F o r m , a n z u s c h a u e n , z u r ü c k g e f ü h r t , d i e Kant auch durch die gleichlautende Distinktion in der zweiten A u f l a g e n i c h t behebe. Vgl. ebenda, S. 75 pass.

Raum und Zeit als Formen der sinnlichen. Anschauung

39

Minimalform einer "Zeit- und Raumwurzel" erinnert zwar an Heideggers Unterbietung des Kategorial-Zeitlichen durch das Existenzial-Temporale , vermeidet aber die Hypostasierung der irrealen, bloß in methodischer Reflexion eingeführten Entitäten. Ähnlich orientiert, wenn auch nicht speziell und detailliert auf die "Erörterungen" bezogen, präsentieren sich W. Sellars 1 kritische Überlegungen zu Kants Anschauungsbegriff. Die vermögenstheoretisch begründete Disjunktion von Begriffen qua allgemeinen Vorstellungen und Anschauungen qua Vorstellungen von Einzelnem wird, so kann man die Argumentation von Seilars zusammenfassen, durch die zumindest proto-prädikative Funktion der Anschauung (Bezugnahme auf ein "Dieses") 78 unterlaufen. Auch für die Anschauung ist ein konzeptuellrepräsentierender Formanteil konstitutiv, so daß die Zuordnung des Anschauungsbegriffs zur Rezeptivität einer Ergänzung durch spontane Leistungen bedarf. Sellars verweist in diesem Zusammenhang auf Kants Theorie der Synthesis durch Einbildungskraft, in der Einzelnheit des Bildes mit dessen gegenständlicher VorStellung zusammengeht. 79 Der Zweideutigkeit ("ambiguity") des Anschauungsbegriffs entspricht für Seilars der Unterschied zwischen einem Mannigfaltigen von Vorstellungen und der Vorstellung eines Mannigfaltigen. Da bloße Rezeptivität nur zu nicht-komplexer Mannigfaltigkeit fähig ist, entzieht sich dieses irreale BestimmbarkeitsViele als solches dem prädikativen Akt des bestimmten Vorstel8O lens. Folgerichtig lehnt Sellars auch die Auffassung des

76 Baumanns, Kants B e g r i f f des inneren und äußeren Sinnes, a . a . O . , S. 96. 7 7 V g l . M . H e i d e g g e r , Sein u n d Z e i t , T ü b i n g e n , S . 2 3 1 f f . 78 V g l . zum f o l g e n d e n W. Seilars, Science and metaphysics. V a r i a t i o n s on K a n t i a n t h e m e s , London 1968, S. 1 - 3O ( C h a p t . I. Sensibility and u n d e r s t a n d i n g ) , bes. S. 3 f f . ; f e r n e r d e r s . , K a n t ' s transcendental idealism. In: Actes du congr£s d ' O t t a w a sur K a n t , O t t a w a 1 9 7 6 , S. 165 - 181, bes. S 168. 79 V g l . S e l l a r s , S c i e n c e a n d m e t a p h y s i c s , a . a . O . , S . 4 . SO V g l . e b e n d a , S. 7 f . . S e l l a r s n e n n t in diesem Z u s a m m e n h a n g n i c h t d i e e i n s c h l ä g i g e P a s s a g e b e i K a n t über d e n U n t e r s c h i e d v o n "Form d e r A n s c h a u u n g " u n d " f o r m a l e r A n s c h a u u n g " ( B 1 6 O f . A n m . ) . Vgl. dazu auch Anm. 7 5 .

4O

Sinnlichkeit und Subjektivität

Raumes als Form des äußeren Sinnes, d.h. als Vorstellung von 81 räumlichen Komplexen, ab. Demnach scheint die Gleichsetzung der reinen Anschauung mit Formen des (äußeren oder inneren) Vorstellens nicht dazu angetan, eine intuitive Bezugnahme auf Gegenständliches schon im Horizont einer transzendentalen Ästhetik zu begründen. Man überschätzt die prinzipientheoretisch begründete Eigenursprüngliahkeit der Sinnlichkeit, wenn man ihre aus Methodengründen isolierte Darstellung in der Transzendentalen Ästhetik für eine selbständige Theorie sinnlichen Erkennens oder auch nur sinnlichen Sich-Beziehens auf Einzelnes hält. Der Sinnlichkeit eignet keine Eigenfunktionalität·, Rezeptivität bedeutet wesentlich "Fähigkeit", genauer: Möglichkeit zu . . . , nicht aber "Vermögen" im Sinne eigenen Vorstellen-Könnens. Im übrigen dürfte die funktionale Unselbständigkeit des NurÄsthetischen zumindest indirekt aus dem Kantischen Text hervorgehen. So finden sich Ansätze zu einer Theorie der Wahrnehmung bei Kant in der Transzendentalen Logik lokalisiert, vornehmlich in der Erstfassung der "transzendentalen Deduktion" und in den "Antizipationen der Wahrnehmung". Bereits die Perzeption unterliegt der (transzendentalen) Funktion der Einbildungskraft (A 120) . Zwar wird die spezifische Objektivität der empirischen Anschauung (Wahrnehmung) von Kant in der Transzendentalen Ästhetik nicht diskutiert, doch vertritt er in dieser Werkpartie für den Sonderfall der reinen Anschauung eine ganz eigentümliche Auffassung vom ästhetischen Gegenstandsbezug als der notwendig-allgemeinen Bestimmung des empirisch-zufälligen Anschauens durch subjektive Prinzipien. Die Pointe der "Schlüsse" aus der Analyse von Raum und Zeit (B 4 2 f f . / A 2 6 f f . bzw. B 4 9 f f . / A 3 2 f f . ) liegt in der Herausstellung einer objektiven Funktion gerade der Gesetzlichkeiten der ursprünglich subjektiven Sinnlichkeit. Eingeführt wird dieser ästhetische Typus von Ob-

81 E b e n d a , S.

8.

Raum und Zeit als Formen der sinnlichen Anschauung

41

jektivität über das zweite Raum-Argument (B 38f./A 2 4 ) , in dem der zuvor nur erst negativ, als nicht empirisch-abstraktiv, charakterisierte Begriff des Raumes mit dem Ausdruck "notwendige Vorstellung a priori" bestimmt wird. Die Denkunmöglichkeit der Nicht-Existenz des Raumes (im Unterschied zur Denkmöglichkeit der Nicht-Existenz von Gegenständen im Raum) führt auf die Eigenschaft des Raumes, "Bedingung der Möglichkeit der 82 (sc. äußeren) Erscheinungen" zu sein. Das dritte Raum-Argument (nach der Zählung der ersten Auflage) bzw. die in die zweite Auflage eingefügte "Transzendentale Erörterung des Begriffs vom Räume" (A 24 bzw. B 4 0 f . ) begründet dann die "apodiktische Gewißheit aller geometrischen Grundsätze" bzw. der geometrischen "synthetischen Urteile a priori" mit dieser zuvor entwickelten Notwendigkeit und Apriorität der "Vorstellung" Raum. Kant vertritt hier, insbesondere in der zweiten Auflage, einen funktionalen Zusammenhang zwischen dem Raum als reiner Anschauung und der Wissenschaftlichkeit der Geometrie. Das noch näher zu bestimmende methodologische Interesse Kants an der Begründung von Geometrie nimmt im weiteren Verlauf der Transzendentalen Ästhetik die Stelle eines zweiten Motivs oder Problemhorizontes ein - neben und hinter dem Vordergrundsbezug auf 83 die ontologischen Raumtheorien. Während das dritte Raum-Argument in der ersten Auflage lediglich die Apriorität des Raumes in ihrer Unabdingbarkeit für die Apodiktizität der Geometrie ausführt, greift die "transzendentale Erörterung" (B 41 f . ) auch auf das dritte und vierte Raum-Argument (in der Zählung der zweiten Auflage) zurück, um

82 V a i h i n g e r , Commentar z u K a n t s K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t , B d . 2 , a . a . O . , S . 1 9 2 p r ä z i s i e r t " E r s c h e i n u n g e n " m i t "äußer e n E r s c h e i n u n g e n " . Seine k o r r i g i e r t e V e r s i o n dieses Satzteils e n t h ä l t aber d a s s i n n e n t s t e l l e n d e V e r s e h e n , v o n B e d i n gungen der Unmöglichkeit (sie) zu sprechen. 83 Zur Doppelorientierung der K r i t i k der reinen V e r n u n f t "zwischen" Ontologie und Begründung von Wissenschaften ("Wissenschaftstheorie") s . Martin, Immanuel Kant, a . a . O . , V o r w o r t sowie S. 13 p a s s .

42

Sinnlichkeit und Subjektivität

mit dem Anschauungscharakter des Raumes die Synthetizität der Geometrie zu begründen. Die Rede von synthetischen Urteilen a priori in der Geometrie sowie deren apodiktische (notwendige) Gewißheit läßt sich erklären mit den definitorischen Bestimmungen zur Urteilsklassifikation aus den beiden Einleitungen (nach a priori und a posteriori sowie analytisch und synthetisch; B 3 f f . , B l O f f . bzw. A 6 f f . ) . Schwieriger ist

zu ver-

stehen, inwiefern einzelnen Vorstellungen, eben "Anschauungen" und dabei nur "reinen Anschauungen", die Prädikate "notwendig" und "a priori" zugesprochen werden können. Im Unterschied zum Fall des Urteils besteht die Notwendigkeit der Raumvorstellung nicht in der Notwendigkeit einer Verknüpfung; an die Synthesis von Raum-Mannigfaltigem und an die Größenbestimmung ist bei der Transzendentalen Ästhetik ja noch gar nicht zu denken. Das Verhältnis der Notwendigkeit kann sich beim Raum allenfalls auf dessen Funktion einer notwendigen Bedingung für alle äußeren Anschauungen beziehen. Die Apriorität des Raumes qua reiner Anschauung hat so eine doppelte Begründungsfunktion. Einmal - namentlich unter Z i f f e r a) - beweist sie die Subjektivität des Raumes: der Schritt l ä u f t hier von der Apriorität über die Bestimmbarkeit des Raumes "vor dem Dasein der Dinge" (B 42/A 26) zur

Lokalisierung

auf der Subjektseite, in dessen Sinnlichkeit. Die Apriorität beinhaltet aber auch - und dies herausgestellt unter Z i f f e r b) der "Schlüsse" - die Notwendigkeit des Raumes als allgemeinem Prinzip der Sinnlichkeit: hier geht das Argument über den Raum als Form äußeren Anschauens (des Anschauens von Äußerem) auf die logisch-sachliche Vorgängigkeit der Art , a f f i z i e r t zu werden, gegenüber den empirisch-einzelnen A f f e k t i o n e n . Kant bezeichnet denn auch den Raum als eine "subjektive ... Vorstellung, die a priori objektiv heißen" kann (B 44/A 2 8 ) . Di'e hier geübte Identifizierung von Apriorität mit notwendigallgemeiner

und insofern objektiver Subjektivität hat ihr

Gegenstück in der Gleichsetzung von Aposteriorität mit bloß zufällig-einzelner, a l l e n f a l l s komparativ allgemeiner und insofern subjektiver Objektivität, wie sie für den allerdings

Raum und Zeit als Formen der sinnlichen Anschauung

43

lediglich fiktiven Fall einer Geometrie skizziert wird, der ein nur empirischer Raumbegriff zugrundeliegt. (A 24) Der terminologische Ausdruck dieses Junktims von Subjektsursprünglichkeit und Objektbezug sind Kants "Schlüsse" auf die real-ideale Doppelnatur des Raumes. (B 4 2 f f . / A 2 6 f f . ) Bemerkenswerterweise greift die Argumentation nicht auf die Bestimmung des Raumes als reiner Anschauung zurück. Eingebracht werden lediglich die Apriorität und der Formcharakter des Raumes. Seine Eigenschaft, selbst Anschauung zu sein, spielt nur im Zusammenhang der Begründung der synthetischen geometrischen Urteile a priori eine Rolle. (B 4 O f . ) Folie der positiven Folgerung aus dem Begriff vom Raum sind klassische ontologische Raumtheorien, auf die Kant sich ohne namentliche Identifizierung bezieht. Der Fragenkatalog am Anfang der "metaphysischen Erörterung" des Raumes (B 37/A 23) inventarisiert folgende Möglichkeiten für den Raumbegriff: Substanz, Akzidenz, objektive Relation und subjektive Relation. Die kritische Stellungnahme zu Beginn der "Schlüsse" (B 42/A 26) schließt dann die sachlich zusammengehörigen ersten drei Möglichkeiten - der Raum eine Bestimmung des "Dings an sich", also in seinem "Dasein" von der Erkenntnisbeziehung unabhängig - als unverträglich mit der notwendigen Formbeziehung des Raumes auf äußere Anschauung aus. Der Fortgang der "Schlüsse" ließe sich demnach der ontologischen Position "Raum als subjektive Relation" zuordnen. Doch Kant nimmt diese Bestimmung nicht voll a u f , vielmehr reduziert er die Diskussion der Relationalitat des Raumes auf die Frage nach der Art seiner Existenz. Gerade dieser Teil der Untersuchung nimmt aber zumindest die Begrifflichkeit der Ontologies c sehen Debatte um den Status der Relation a u f . Der von Martin herausgestellte Bezug auf das Problem der Transzendentalität von Relationen findet sich jedoch nicht im Kantischen Text

84 Vgl. dazu M a r t i n , Immanuel Kant, a . a . O . , S. 14. 85 Vgl. dazu M a r t i n , Wilhelm von Ockham, B e r l i n 1949, S. 9 9 f f . sowie S . 2 4 3 - 2 5 5 ; d e r s . , L e i b n i z . Logik u n d M e t a p h y s i k , K ö l n I 9 6 0 , S . 1 7 7 - 186; d e r s . , I m m a n u e l K a n t , a . a . O . , S. l - 9.

44

Sinnlichkeit und Subjektivität

reflektiert. Vielmehr liefert die Transzendentale Ästhetik eine Kritik der Position, die Kant Leibniz zuschreibt. Eine explizite Anknüpfung Kants an Leibniz' Theorie der Relation finQ (L det nicht statt. Die anonym gehaltene Identität der Leibniz'sehen Position in der Raumfrage b e t r i f f t denn auch gar nicht dessen relationale Raumtheorie, sondern seinen in der Korrespondenz mit Clarke 87 vertretenen Phänomenalismus der Abstraktion. Das Nebeneinander von Leibniz-Nachfolge und Leibniz-Kritik bei Kant besteht in der Inanspruchnahme dieses Autors je für eine idealistische (Martin zufolge: proto-transzendentalphilosophische) und für eine realistische (Kant zufolge: schlechtontologische) Theorie vom Raum. Bei Beschränkung auf den faktisch von Kant rezipierten Leibniz unterliegt letzterer grundsätzlich dem gleichen Verdikt, das auch seinen Gegner Clarke bzw. Newton t r i f f t . Hierzu ein Exkurs in handschriftliches Material Kants aus der 88 zweiten H ä l f t e der 70er Jahre: Was zunächst die Differenz zwischen Leibniz und Newton angeht, so wird sie in der Reflexion 4 6 7 3 auf den Unterschied von "adhaerirender" und "subsi89 stirender Realitaet" gebracht. An anderer Stelle - in der Reflexion 4756 - wird ebendiese Charakteristik auf Wolff bzw. "Epicur" bezogen, während Leibniz wie "Carthesius" den Raum für ein "abstractum extensionis Materiae" gehalten hätten.

86 K a n t s s p ä t e r e A n n ä h e r u n g an L e i b n i z im Zusammenhang der Aus einanderSetzung mit dem Neo-Leibnizianismus Eberhards (vgl. AA V I I , 1 8 5 f f . s o w i e A A X X , 3 5 3 - 3 7 8 ) b e t r i f f t n i c h t d a s Raumproblem oder das R e l a t i o n s p r o b l e m , sondern die von der Schulphilosophie s i m p l i f i z i e r t e logische Prinzipienlehre von L e i b n i z . 87 Für die von L e i b n i z v e r t r e t e n e P o s t e r i o r i t a t von Raum und Z e i t gegenüber den Dingen vgl. L e i b n i z 1 D r i t t e s und F ü n f t e s Schreiben an Clarke ( D i e philosophischen Hauptschriften von G. W. Leibniz, hg. v. C. J. Gerhardt, Bd. V I I , Hildesheim 1961, S. 3 6 3 f f . , bes. S. 363, b z w . S. 3 8 9 f f . , bes. S. 3 9 5 ) . 8 8 R e f l . 4 6 7 3 ( A A X V I I , 6 3 6 - 6 4 2 ) . E s h a n d e l t sich u m z u s a m menhängende Bemerkungen auf einem Brief an Kant aus dem Jahre 1774. A u ß e r d e m : R e f l . 4756 (AA X V I I , 699 - 7 O 3 ) . A d i c k e s hält dieses Lose B l a t t für einen C o l l e g z e t t e l . 89 R e f l . 4673 (AA XVII, 6 4 2 ) .

Raum und Zeit als Formen der sinnlichen Anschauung

45

Clarke soll dagegen die "realitas spatii" angeführt haben. Für Newton wird auf dessen Begriff des "sensorium omnipraesentiae divinae" verwiesen. Interessanterweise wird an der gleichen Stelle die von allen genannten Positionen dem Prinzip nach abweichende Raumauffassung von Hobbes ("phantasma rei existentis tanqvam externae"; H . v . m . ) mit dem Zusatz "Idealitas spatii" 90 versehen. Die realistische Position umfaßt somit alle Varianten von der Abstraktionstheorie bis zur theologischen Interpretation; nur für die Fiktionalitätsthese (Raum als Einbildung) wird der Gegenbegriff der Idealität in Anschlag gebracht. Wie aus dem Text der Transzendentalen Ästhetik (B 56/A 39) einwandfrei hervorgeht, hält Kant auch noch 1781 bzw. 1787 an der Einschätzung der Abstraktionstheorie - sie wird hier umschreibend "einigen metaphysischen Naturlehrern" zugesprochen als realistisch fest. Der Fortschritt liegt in der Entwicklung einer nicht-fiktionalistischen idealistischen Raumauffassüng auf der Grundlage des Anschauungsbegriffs und der Subjektivität sinnlicher Formen. Eingeführt wird dieses Dritte zwischen Realität und Idealität des Raumes - eigentlich ein "sowohl-als-auch" - über die Analyse der Bedingungen der Prädikation von anschaulich-räumlichen Bestimmungen. Dabei kontrastiert Kant die "subjektive Bedingung", unter der äußeres Anschauen allein stattfinden kann - nämlich das Affiziertwerden der Sinnlichkeit - mit der Bedeutungslosigkeit ("bedeutet ... gar nichts") der "Vorstellung vom Räume" bei Wegfall des sinnlich vermittelten A f f e k tionsverhältnisses zu Gegenständen. Die Einschränkung der Prädizierbarkeit von Raum-Bestimmungen auf Gegenstände der Sinnlichkeit ("Erscheinungen") - im Unterschied zu den nichtsinnlichen Bestimmungen der "Sachen" - formuliert Kant unter Heranziehung des Gedankens der Gültigkeit. Vom urteilsmäßigen Tatbestand einer Prädikation, die vom Subjekt gilt, wird zunächst übergegangen zur "Regel", die unter gewissen Bedingungen . 9O R e f l .

4756

(AA X V I I ,

699).

46

Sinnlichkeit und Subjektivität

allgemein "gilt", und von dort weiter zur Bestimmung eines Subjekts - das jetzt kein Urteilssubjekt mehr ist -, die unter spezifischen Bedingungen von den durch diese Bedingungen bestimmten Gegenständen "gilt".

1.3. Die "objektive Gültigkeit" von Raum und Zeit als deren "objektive Realität" Die "objektive Gültigkeit" der Raum-Vorstellung für alle Gegenstände äußerer Anschauung (äußere Erscheinungen) setzt Kant mit der "Realität" des Raumes gleich, um davon dann dessen "Idealität" abzuheben, die bei Abstraktion von der Affektionsbeziehung vorliege. "Idealität" hat hier ganz u n z w e i f e l h a f t den Sinn von Bedeutungslosigkeit, Nichtigkeit

( " . . . nichts

s e i " ) , von Nicht-Gültigkeit. Der Doppelcharakter des Raumes, Realität und Idealität zu haben, versteht sich von den jeweils verschiedenen Zusatzbestimmungen im Gebrauch der beiden Ausdrücke her. Kant selbst macht sie namhaft, indem er die "objektive Gültigkeit" des Raumes mit Bezug auf Erscheinungen als dessen "empirische Realität" e i n f ü h r t , die Nichtigkeit des Raumes hinsichtlich der "Dinge an sich selbst" als dessen "transzendentale Idealität" kennzeichnet. Es stellt demnach eine Verkürzung dar, Kant die These von der "objektiven Gültigkeit" des Raumes zuzuschreiben. Zur sachlichen Ungenauigkeit, der Vernachlässigung des eingeschränkten Gegenstandsbereichs dieser These, tritt dabei noch eine Bedeutungsverschiebung im Ausdruck "objektive Gültigkeit", die den ursprünglich relational gefaßten Terminus ("objektive Gültigkeit von/bezüglich . . . " ) zu einem pseudo-ontologischen Prädikat ( " x hat objektive G ü l t i g k e i t " ) verfälscht. Im Fall von "Realität"

und "Idealität" hat Kant selbst die Ergänzungsbedürftigkeit

beider Ausdrücke ( " . . . in Ansehung von . . . " ) durch die hinzugefügten Attribute ("empirisch", "transzendental") berücksichtigt. Für die "objektive Gültigkeit" des Raumes mit Bezug auf Erscheinungen kann ein doppelter begrifflicher Gegensatz formuliert werden. (B 44 b z w . A 2 8 f . ) Einmal ist

zu unterscheiden

zwischen der "objektiven Gültigkeit" des Raumes als dessen "Realität" und seiner bloßen "Idealität" im Verhältnis zu den "Sachen" oder "Dingen an sich". Zum anderen steht die empiri-

48

Sinnlichkeit und Subjektivität

sehe "objektive Gültigkeit" des Raumes als die subjektiv-notwendige Bedingung äußeren Anschauens gegen die subjektivzufälligen Bedingungen des Empfindens, die nicht vom Objekt "gelten" - auch nicht vom Objekt bloß als Erscheinung -, sondern nur die empirische Organisation unserer Sinne(Plural!) zum Ausdruck bringen. Empfindungen, so ließe sich mit einer späteren Unterscheidung Kants (B 14O) sagen, haben mit Bezug auf Erscheinungen nur "subjektive Gültigkeit". Letzteres ist aber immer noch "mehr" (an Realität) als Idealität qua Nichtigkeit. Mit einigen terminologischen Variationen führen auch die "Schlüsse" aus dem Zeitbegriff auf die Differenzierung von "empirischer Realität" und "transzendentaler Idealität". Die sachlichen Unterschiede - Universalität der Zeit, Thema des inneren Sinnes - brauchen hier nicht zu interessieren. Im Terminologisch-Begrifflichen ergänzt Kant die schon von den RaumSchlüssen her bekannten Bestimmungen bei der Zeit um zwei Ausdrücke, deren Gebrauch sich rückwirkend auch auf den Raumbeg r i f f bezieht. Die Kennzeichnung des negativen Gegenstücks zur "empirischen Realität der Z e i t " , also zu ihrer "objektiven Gültigkeit in Ansehung aller Gegenstände, die jemals unseren Sinnen gegeben werden mögen" (B 52/A 3 5 ) , geschieht jetzt noch vor der Herausstellung der "transzendentalen Idealität der Zeit" - in der Form einer Ablehnung von "absoluter Realität" der Zeit. Die fiktive "absolute Realität" der Zeit - so führt noch der gleiche Satz aus - bedeutet dessen Zugehörigkeit, als "Bedingung" oder "Eigenschaft", zu "Dingen", unabhängig von der "Form unserer sinnlichen Anschauung". Der Beginn von Paragraph 7 f a ß t dann die beiden Bestimmungen der Zeit - daß sie keine "absolute Realität" hat und nur von "transzendentaler Idealität" ist - in die adjektivische Koppelung "absolute und transzendentale" Realität zusammen. (B 53/A 36) Unmittelbar zuvor, auf der gleichen Seite, hatte Kant die schon bei der Behandlung des Raumes eingeführte Unterscheidung von prinzipieller, transzendentaler Idealität der Anschauungsformen und z u f ä l l i g e r , empirischer Subjektivität der Empfindungen wieder aufgenommen. Jetzt, bei der Zeit, verdeutlicht

"Objektive Gültigkeit" von Raum und Zeit

49

er den Unterschied von transzendentalem und empirischem Erscheinungsbegriff unter Heranziehung des Ausdrucks "objektive Realität" - ein Terminus, der hier zum ersten Mal in der Transzendentalen Ästhetik vorkommt. Die Prädikate der Empfindung, fälschlich für dem Erscheinungsgegenstand zugehörig ausgegeben ("Subreption"), sind zwar selber hur (privat-) subjektiv und insofern bloß vorgestellt und nicht real, doch der Gegenstand, auf den sie sich beziehen, eben die "Erscheinung", hat "objektive Realität". Bei transzendentaler Betrachtung hingegen, wie sie in der Kritik der reinen Vernunft vorliegt, kann auch mit Bezug auf die Erscheinungen, ja sogar mit Bezug auf die sinnlichen Prinzipien (Raum und Zeit) nicht mehr von "objektiver Realität" gesprochen werden. Allerdings schränkt Kant diese strenge Sprachregelung (empirischer Standpunkt: "objektive Realität" der Erscheinungen; transzendentaler Standpunkt: keine "objektive Realität" von Raum und Zeit) wieder ein durch den Hinweis, daß Raum und Zeit auch "hier" (sc. bei transzendentaler Erwägung) "objektive Realität" zukomme, "sofern sie (sc. die Kennzeichnung von Raum und Zeit durch "objektive Realität") bloß empirisch ist, d.i. den Gegenstand selbst bloß als Erscheinung ansieht". (B 53/A 37) Demnach läßt Kant an dieser Stelle einen dreifachen Gebrauch von "objektive Realität" zu: (1) Erscheinungen haben "objektive Realität" - im Unterschied zu Empfindungen, die keine "objektive Realität" haben; (2) Erscheinungsgegenstände und deren reine sinnliche Formen (Raum und Zeit) haben keine "objektive Realität", insofern ihnen zwar "empirische Realität", dabei aber "transzendentale Idealität" eignet; (3) Raum und Zeit haben doch "objektive Realität", wenn damit ihr notwendiger Bezug auf Erscheinungsgegenstände, als deren Formbedingungen sie fungieren, gemeint ist. "Objektive Realität" in der Bedeutung von (1) gehört nicht in die Transzendentalphilosophie. Die Verwendungsweisen (2) und (3) erfolgen beide aus transzendentalphilosophischer Sicht; einmal (2) mit einem strengen Begriff von "objektiver Realität", das andere Mal (3) unter Aufhebung einer einschränkenden Bedin-

50

Sinnlichkeit und Subjektivität

gung - die Objekte dürfen jetzt auch Erscheinungen sein. Die Unterscheidung von (2) und (3) fällt exakt zusammen mit der zwischen "absoluter Realität" und "empirischer Realität" der Zeit und auch des Raumes. Im ersten Fall ist die abzulehnende "objektive Realität" der Zeit deren Realität als "Ding an sich" oder absolute Ding-Bestimmung; im zweiten Fall meint "objektive Realität" der Zeit deren Realität mit Bezug auf empirische Gegenstände. Der Bestandteil "Realität" im Ausdruck "objektive Realität" benennt so den ontologischen Status (Realität im Unterschied zu Idealität qua Nichtigkeit); das Attribut "objektiv" bezieht die Realität auf den Gegenstand, bei dem es sich je nach dem Zusammenhang um eine "Erscheinung" oder um ein 91 "Ding an sich" handelt. Kants eigener Gebrauch des Terminus "objektive Realität" bei der Behandlung von Raum und Zeit macht dann aber durchweg nur von der strengeren Version - Gleichsetzung mit "absoluter Realität" - Gebrauch, so daß er für Raum und Zeit "objektive Realität" ablehnt. Daß aber Kant nichtsdestoweniger einen auch transzendentalphilosophisch vertretbaren Sinn mit der Rede von der "objektiven Realität von Raum und Zeit" verbindet, geht aus einer Reflexion in seinem Handexemplar der Kritik der reinen Vernunft hervor. Dort, auf Seite 41 (Zählung der ersten A u f l a g e ) , also zu Ende der "Erläuterung", hat er notiert: "Schlus: Daß Raum und Zeit allerdings o b j e c t i v e R e a l i t ä t h a b e n , aber n i c h t f ü r D i n g e n a c h d e m , was i h n e n a u c h a u ß e r d e r R e l a t i o n a u f u n s e r E r kenntnisvermögen zukommt, sondern nur in Relation auf d a s s e l b e , u n d z w a r a u f d i e Form d e r S i n n l i c h keit, mithin bloß als E r s c h e i n u n g e n . " 9 2

Die im folgenden aufgeführten Stellen, an denen "objektive Realität" synonym mit "absoluter Realität" verwendet und zur negativen Bestimmung von Raum und Zeit herangezogen wird, belegen also keine veränderte Auffassung, sondern lediglich die Praxis einer terminologischen Beschränkung auf eine von zwei möglichen Bedeutungen. 91 Zum modalen C h a r a k t e r von " R e a l i t ä t " v g l . unten 1.5. 92 R e f l . XXXI (AA X X I I I , 2 4 ) .

und 3.3

"Objektive Gültigkeit" von Raum und Zeit

51

Schon die erste in den Druckschriften zu findende Erwähnung des Gedankens der "objektiven Realität", in der lateinisch verfaßten Inaugural-Dissertation, verwendet den Ausdruck in negativer Absicht. Eine den "Schlüssen" der Transzendentalen Ästhetik korrespondierende Stelle in der Inaugural-Dissertation (§ 14) charakterisiert die Zeittheorien der Engländer und von Leibniz mit "realitas temporis obiectiva" 93 Die zuerst von Pölitz veröffentlichte Metaphysik-Nachschrift führt in ihrem Ontologie-Teil aus: "Die Formen der A n s c h a u u n g haben k e i n e o b j e c t i v e Realität."94

In einem Brief an Kiesewetter vom 9 . 2 . 1 7 9 O heißt es, daß die "objektive Realität" des Raumes "dem Gange der Kritik in der Folge gänzlich zuwider laufende Folgerungen nach sich ziehen müßte" 9 5 . Einschlägig ist

auch eine Emendation im Handexemplar der

Kritik der reinen Vernunft zum ersten Satz von Seite 27 (Zählung der ersten A u f l a g e ) . Hier zunächst der Bezugssatz: "Dieses P r ä d i k a t w i r d d e n D i n g e n n u r i n s o f e r n b e i g e l e g t , als sie uns e r s c h e i n e n . "

Kants Zusatz lautet: "wie M e n d e l s s o h n dieses so a p o d i c t i s c h b e h a u p t e n k o n n t e , indem er dem Raum doch o b j e c t i v e R e a l i t ä t gab."96

Kant bringt hier seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, daß die Phänomenalitat des Raumes (Zugehörigkeit allein zu Gegenständen der Sinne) zusammenbestehen soll mit einem absolutrealen Raumbegriff.

93 AA II, 4 O O . 94 I. K a n t , V o r l e s u n g e n über die M e t a p h y s i k , E r f u r t 1821, S. 62 95 Der B r i e f lag den H e r a u s g e b e r n der Akademie-Ausgabe auch bei der zweiten, wesentlich erweiterten Auflage des Briefwechsels noch n i c h t v o r . Lediglich seine chronologische Position i s t i n beiden A u f l a g e n b e z i f f e r t ( 2 2 3 a b z w . 4 O 5 a ) . D i e V e r ö f f e n t l i c h u n g e r f o l g t e , durch P . Remnant u . Ch. E . Schweitz e r , in: J o u r n a l of the history of philosophy 3 ( 1 9 6 5 ) , S. 243 - 2 4 6 . Diesen Text ü b e r n i m m t auch der A b d r u c k im Nachtragsteil der e r w e i t e r t e n N e u a u s g a b e der alten S c h ö n d ö r f f e r Edition des Briefwechsels (Hamburg 1972, S. 9 3 7 f . ) . 96 AA X X I I , 4 4 .

52

Sinnlichkeit und Subjektivität

Schließlich nimmt die zweite Auflage der Transzendentalen Ästhetik den Terminus "objektive Realität" noch einmal auf. Im Zusammenhang der Unterscheidung von "Erscheinung" und "Schein" warnt Kant davor, den sinnlichen Anschauungen "objektive Realität" beizulegen, eben Erscheinungen für "Dinge an sich" zu halten. (B 7O) Den belegbaren doppelten transzendentalphilosophischen Gebrauch des Ausdrucks "objektive Realität" für zwei konträre Positionen - "empirische Realität" und "absolute Realität" reduziert Kant, wohl aus pragmatischen Gründen, auf die Verwendung zur Kennzeichnung der gegnerischen Position eines Realismus von Raum und Zeit. Sachlicher Hintergrund dieser Festlegung ist die explizite Widerlegung der "absoluten Realität" von Raum und Zeit. Im Anschluß an d'ie positive Bestimmung von Raum und Zeit setzt sich Kant in der schon herangezogenen Reflexion 4673 noch negativ-kritisch auseinander mit jenen Positionen, die übereinstimmen in der Beziehung von Raum und Zeit auf die Dinge selbst, unabhängig von einer sinnlich vermittelten Bezugnahme auf sie. Zu Ende der Reflexion gibt er seinem Verhältnis zu diesem ontologischen Realismus, namentlich zu Leibniz und Newton, die ausgleichende Form einer Koexistenz von verschiedenen Theorien über unterschiedliche Gegenstände, genauer: über verschiedene Hinsichten auf die gleichen Gegenstände. 97 Im Rahmen von "mathematic", "mechanik" und "allgemeiner physic" spiele die Alternative Realität - Idealität keine Rolle: "wenngleich von uns die idealitaet bewiesen ist, s o k a n n s i e ( s c . d i e I d e a l i t ä t ) i n A n s e h u n g solcher U n t e r s u c h u n g e n n i c h t s v e r s c h i e d e n e s a u s m a c h e n . "

Der Unterschied gewinne nur Bedeutung bei metaphysischen Fragen - "wo diese Antwort (sc. der Wissenschaften) transscendent werden". Kurz: Forschung in der Welt legt den Raum als ein Reales zugrunde, ohne nach dem ontologischen Status zu fragen; erst mit der Frage nach der Welt selbst wird der Grund der Realität des Raumes zum Thema.

97

AA X V I I ,

642.

"Objektive Gültigkeit" von Raum und Zeit

53

Problematisch an dieser verträglichen Lösung der Raumkontroverse ist insbesondere der eindeutig theologische Horizont der Korrespondenz zwischen Leibniz und Clarke und a fortiori der theologisch-metaphysische Hintergrund von Newtons Pvinoipia. 1781 und 1787 hält Kant dann am irenischen Modell in der Raumfrage nicht mehr fest, und dies mit je verschiedener Argumentation gegen die Newtonianer ("Partei der mathematischen Naturforscher") und gegen die Leibnizianer ("einige metaphysische Naturlehrer"). (B 56f./A 3 9 f . ) Beweisprinzip ist in beiden Fällen der Widerspruch der jeweiligen realistischen Position mit den "Prinzipien der Erfahrung". Die Newton-Clarke-Partei nimmt mit ihrer (von Kant "rekonstruierten") Theorie der "subsistierenden" "absoluten Realität des Raumes und der Zeit" eine Hypostasierung vor ( " f ü r sich bestehende Undinge"). Durch diese Vernachlässigung der Grenzen der Sinnlichkeit wird auch die metaphysische Reflexion empirisiert. Leibniz 1 Theorie der "adhärierenden" "absoluten Realität von Raum und Zeit" führt auf einen Empirismus in der Mathematik. Denn die Raum- und Zeit-Bestimmungen sollen hier erst in nachträglicher Abstraktion von den ihnen vorausliegenden realen Verhältnissen der Dinge gewonnen sein. Es ist dies ein Widerspruch mit der faktischen apodiktischen Gewißheit der Mathematik, die Kant als "glänzendes Beispiel" (B 55/A 39) für "synthetische Erkenntnisse a priori" anführt. Will man den Übergang von der Raum-Debatte zwischen Leibniz und Newton/Clarke zur Kantischen kritischen Lösung terminologisch scharf fassen, so kann man Kants Begriff vom Raum als reiner Anschauung und Form äußeren Anschauens im Verhältnis zu Newtons absolutem Realraum als eine Subjektivierung, eine Verlagerung des Ursprungs in das Subjekt, genauer: in dessen Sinnlichkeit, darstellen. Leibniz' relativer Idealraum erfährt demgegenüber bei Kant eine Apriorisierung, er wird zum sinnlichen Prinzip sui generis. Real ist Kants Raum als notwendige Form, ideal insofern er seinen Ursprung in der Sinnlichkeit hat, absolut hinsichtlich seiner Apriorität und relativ in seinem Bedingungsverhältnis zu Erscheinungen.

1.4. Die Grammatik von "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" Nach der Darstellung des Problemzusammenhangs, in dem die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit durch die Terminologie von "Realität" und "Gültigkeit" bestimmt werden, soll nun eine Beschreibung der Grammatik von Kants Verwendung dieser Begriffe im Rahmen der Transzendentalen Ästhetik zur systematischen philosophischen Interpretation überleiten. Drei wesentliche Kennzeichnungen lassen sich von Syntax und Grammatik her vornehmen: die Angewiesenheit der in Frage stehenden Ausdrücke auf ein präpositional zugestelltes Komplement, die Wahl des Satzverbs und der feststehende Numerus. Es wurde schon hingewiesen auf die grundsätzliche Ergänzungsbedürftigkeit des Ausdrucks "objektive Gültigkeit" durch ein präpositionales Attribut. Zur Prädikation von "objektive Gültigkeit", vorgenommen für die Formen von Raum und Zeit, gehört unbedingt die Angabe des Gegenstandsbereichs, hinsichtlich dessen der Anspruch von "objektiver Gültigkeit" erhoben wird bzw. zu recht besteht. Für den Terminus "Realität" in seinen verschiedenen Zusammensetzungen (empirische, objektive, absolute, absolute und transzendentale Realität)

gilt grundsätzlich das gleiche: er f u n -

giert als relationales Prädikat (Realität mit Bezug auf . . . ) . Allerdings ändert sich hier die Sachlage durch die Bestimmungsfunktion des jeweils vorangestellten Adjektivattributs. Im Fall von "empirische Realität", wie sie von Kant dem Raum und der Zeit zugesprochen wird, ist nämlich die Bezugnahme auf den Gegenstandsbereich der Prädikation mit dem Zusatz "empirisch" eindeutig festgelegt; es handelt sich um Gegenstände der Sinne, um Erscheinungen. Insofern ist auch die ohne präpositionales Attribut angelegte Aussage "Der Raum (die Zeit) hat empirische Realität"

vollständig und sinnvoll. Ebenso verhält es sich

Die Grammatik von "objektive Realität"

55

bei "objektive Realität", wenn dieses Prädikat im Sinne von "absolute", "absolute und transzendentale Realität" zur Anwendung kommt. Das Adjektiv "objektiv" nimmt dann die Angabe des (absolut-realen) Gegenstandsbereichs vor. Für die von Kant implizit zugelassene, aber nicht zur Verwendung gebrachte Bedeutung von "objektive Realität" als Gattungstitel bezüglich der Disjunktion "empirische" - "absolute Realität" (B 53/A 36) ließe sich eine funktionale Übereinstimmung mit "objektive Gültigkeit" geltend machen. "Objektive Gültigkeit" wie neutral gefaßtes "objektive Realität" benötigen das Komplement einer Bereichskennzeichnung. Der "empirischen Realität" (des Raumes, der Zeit) entspricht auch nicht etwa deren "objektive Gültigkeit" tout court - diese Verkürzung läuft dem Kantischen Sprachgebrauch zuwider - sondern: "objektive Gültigkeit" (von Raum und Zeit) für Erscheinungen als (unbestimmte) Gegenstände empirischer Anschauung. Die Kopula der Aussagen zu "Realität" und "Gültigkeit" ist grundsätzlich "haben" - und nicht etwa "sein". Zwar ändert sich dies bei der Kontraktion zu Genitivkonstruktionen wie "objektive Gültigkeit der Zeit ...". Doch liegt in solchen Fällen ein nur derivativer Gebrauch vor. Die Aussage "Der Raum hat objektive Gültigkeit" wird ihrerseits zum Gegenstand einer (Meta-) Aussage der Form: "Die objektive Gültigkeit des Raumes ist . . . " . Der metatheoretische Gebrauch kann bei der Darstellung der elementaren Grammatik der Terminologie von "Gültigkeit" und "Realität" außer acht bleiben. Der modale Sinn der Zu- oder Absprache von "objektive Gültigkeit", "empirische Realität" und "absolute Realität" kann infolgedessen keine einfache Existenzprädikation sein. Eine Aussage wie "Der Raum hat empirische Realität" mag zwar qua wahres Urteil die Wirklichkeit des Raumes aussagen. Doch wählt Kant an keiner Stelle eine Formulierung der Form: "Der Raum ist (eine) empirische Realität". Der relationale Grundsinn von "Gültigkeit" und "Realität" ("empirische Realität für . . . " , "objektive Gültigkeit für . . . " ) schließt auch eine einfache Eigenschaftsprädikation als Inter-

56

Sinnlichkeit und Subjektivität

pretation des Gültigkeit- oder Realität-Habens aus. Raum und Zeit haben "objektive Gültigkeit" oder "empirische Realität" nicht wie Bestimmungen an sioh, eher kommen sie ihnen zu, und dies nur in Hinsicht auf den Gegenstandsbereich der Erscheinungen. Den syntaktischen Befunden nach zu urteilen, operieren die Begriffe "objektive Gültigkeit" und "empirische Realität" wie Funktionen, die den Bestimmungen in der Subjektsstelle (Raum, Zeit) Gegenstände zuordnen (Erscheinungen). Beide Prädikate werden nicht von einer der "Seiten" dieser Zuordnung ausgesagt, sondern sie nehmen die Zuordnung selbst vor. Bemerkenswert ist auch der ausschließliche Gebrauch von "Gültigkeit" und "Realität" sowie aller ihrer in der Transzendentalen Ästhetik vorkommenden Zusammensetzungen im Singular. Eine verdinglichende Interpretation nach Art der kontrafaktischen Konstruktionen: Der Raum ist eine empirische Realität; die Zeit ist eine empirische Realität; beide sind empirische Realitäten, scheidet, jedenfalls vom Textbestand her, aus. Gegenstand einer Analyse der Prädikation von "Realität" und "Gültigkeit" in der Transzendentalen Ästhetik ist nach dem Ausgeführten die Form der Beziehung von Raum und Zeit als reiner Anschauungsformen auf die Erscheinungen.

1.5.

"Empirische Realität" und "transzendentale Idealität" von Raum und Zeit

Die Doppelthese der empirischen Realität und transzendentalen Idealität von Raum und Zeit wird im Rahmen der "Schlüsse" aus beiden "Begriffen" entwickelt. Gegen die traditionelle ontologische Auffassung von Raum und Zeit - als Begriffen von absoluten Wesenheiten bzw. von realen Verhältnissen - stellt Kant die Restriktion der "reinen Anschauungen" Raum und Zeit auf die Sinnlichkeit, deren notwendige Formen sie darstellen. Diese Ästhetisierung von Raum und Zeit im Zusammenhang des neuen Begriffs von Anschauung als sinnlicher Anschauung bedeutet zugleich eine Subjektivierung: die reinen sinnlichen Formen der Anschauung stehen im Prinzipienbezug auf das sinnliche Material (Empfindungen), so daß dessen raum-zeitliche Struktur dem Anschauungsvermögen (Sinnlichkeit) des Subjekts entstammt, nicht aber einer etwaigen räum-zeitlichen Ordnung, die dem Material "an sich", d.h. unabhängig vom Subjekt zukäme. Der ästhetisch, im neuen Begriff der Sinnlichkeit begründeten Subjektivität der Raum- und Zeit-Formen entspricht, auf der Seite des Materials, die bloße Zustandlichkeit der Empfindungen. Die empirischen Anschauungen samt ihren "unbestimmten Gegenständen", den Erscheinungen, unterliegen den allgemeinen subjektiven Bedingungen sinnlichen Anschauuens. Kurz: der ganze Bereich des Sinnlichen (Form, Materie, Form-Materie-Verhältnisse) gehört der ästhetischen Subjektivität zu. Zur Kennzeichnung der notwendigen Bezogenheit aller sinnlichen Bestimmungen auf das Subjekt hat sich Kant der Unterscheidung von "Ding an sich" und "Erscheinung" bedient. (B 44/A 28; B 51/A 3 4 f . ) Der Ansicht der Dinge, wie sie unseren Sinnen erscheinen, kontrastiert er die Erwägung der Dinge "an sich",

58

Sinnlichkeit und Subjektivität qo

ihre Erwägung unabhängig von "unserer" Sinnlichkeit. Der wiederholte Hinweis, insbesondere in der zweiten Auflage der Kritik

(B X V I I I f . Anm., B X X V I ) , es handele sich in den

beiden Fällen um "dieselben Gegenstände", schließt eine naive Zwei-Welten-Lehre ebenso aus wie die reduktionistische Interpretation der "Dinge an sich" im Sinne einer rein fiktionalen Erwägung. Die "Sache an sich" (B 45/A 30) kommt allerdings nicht vor wie eine "Erscheinung", ist

insofern

(vom Philosophen) hinzu-

gedacht, aber deshalb nicht ausgedaaht und imaginär. Die Grundunterscheidung von Ding an sich und Erscheinung als zweier Aspekte an den Gegenständen liegt der 'Kritik aber auch nicht in Gestalt einer gleichsam externen "transzendentalen Hypogo these" zugrunde. Vielmehr hat die Einführung von "Dingen an sich" ihren systematischen Ort in der Transzendentalen Ästhetik als Konsequenz der Verselbständigung der Sinnlichkeit zum Prinzipiengefüge sui generis. Die subjektiv-ästhetische Bedingtheit der sinnlichen Erkenntnis führt zur Trennung der (sinnlichen "Vorstellung" der Gegenstände von ihrem Dasein (Existenz) "an sich" oder unabhängig von "unserer" Vorstellung. Kants Überlegung, schon der Gedanke der "Erscheinung" verweise auf ein selbst und als solches nicht Erscheinendes (B X X V I f . ) ,

ist

nicht einfach tautologische Begriffsanalyse, sondern Rückgang auf den Begriff

von Erscheinung als Ansicht des Gegenstandes,

insofern er "uns" sinnlich gegenwärtig

ist.

Die mit der Existenzgewißheit bezüglich der Dinge selbst und an sich durchaus verträgliche Gewißheit über ihre prinzipielle Unerkennbarkeit - jedenfalls durch theoretische Erkenntnis hat ihren Ort allerdings nicht mehr in der Transzendentalen Ästhetik, beruht aber gerade auf der Ästhetisierung des theoretischen Gegenstandsbereichs. Die theoretische Unerkennbarkeit der· "Dinge an sich" widerspricht auch nicht der in ihrem Be-

98 Zur Grammatik des Ausdrucks " D i n g ( e ) an sich" v g l . G. P r a u s s , K a n t und das P r o b l e m der D i n g e an s i c h , B o n n 1 9 7 4 , S. 13 - 43. 99 S o e t w a b e i B . E r d m a n n , D i e Idee v o n K a n t s K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t , B e r l i n 1 9 1 7 , S. 85 - 89.

'Emp. Realität" und "transz. Idealität"

59

griff angezeigten Betrachtung der Gegenstände unabhängig von sinnlicher Anschauung. Meint doch letzteres nicht die positive intellektuelle Betrachtung der Sachen selbst, sondern die philosophisch-methodische Reflexion auf den Unterschied der beiden Betrachtungsweisen der Gegenstände. Ebendiese "kritische Unterscheidung" (B XXVIII) gehört - noch unabhängig von der Restriktion auch der Verstandesfunktion auf den Bereich der sinnlichen Anschauung - zum Themenbereich der Transzendentalen Ästhetik. Der Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung als zweier Betrachtungsweisen derselben Gegenstände entspricht die Abgrenzung der unerfahrbaren Bestimmheit der Gegenstände in ihrer Eigenexistenz von deren "Wirklichkeit" (B 55/A 38) für das a f f i z i e r t e , empfindende, anschauende Subjekt. Die Zugehörigkeit der Erscheinungen zur Sinnlichkeit faßt Kant mit dem Terminus "Vorstellung" (B 45/A 30; auch "Vorstellungsart"; B 51/A 3 5 ) . Der ursprüngliche Gegensatz zu "Vorstellung" ist demnach nicht der Gegenstand, das Objekt im Sinn von "Gegenstand der Vorstellung", sondern es ist das Ding, die Sache "an sich", nämlich unabhängig von "unserer" sinnlichen Vorstellung der Dinge. (A 369) "Ding an sich" heißt soviel wie das Nicht-Vorgestelle, das Nicht-Vorzustellende. Bezogen auf den grundlegenden Unterschied von Vorstellung des Gegenstandes und dessen absoluter, unvorgestellter Existenz fallen nun auch die Gegenstände der Vorstellung auf die Seite der Vorstellung. Erscheinungen, so kann es j e t z t heißen, sind "bloße" Vorstellungen - und nicht etwa Dinge an sich. Der Satz, daß auch Gegenstände der Vorstellung nur und niemals mehr als Vorstellungen sind oder doch sein könnten, bildet die Grundthese des Idealismus Kant hat die spezifische Form des von ihm vertretenen Idealismus in späteren Partien der Kritik (A 3 6 7 f f . ; B 5 l 8 f f . / A 4 9 0 f f . )

10O Zur B e g r i f f s g e s c h i c h t e von " I d e a l i s m u s " vgl. H. V a i h i n g e r , Zu K a n t s W i d e r l e g u n g d e s I d e a l i s m u s . I n : S t r a s s b u r g e r A b handlungen zur Philosophie ( Z e l l e r - F e s t s c h r i f t ) , Freiburg i . B r . / T ü b i n g e n 1 8 8 4 , S. 88 - 1 6 4 , bes. S. 94 A n m . 3.

6O

Sinnlichkeit und Subjektivität

und besonders in der zweiten Auflage (B 6 9 f f . ; B 2 7 4 f f . ) von anderen Idealismen abgesetzt. Die positive Begründung des "Lehrbegriffs"

(A 369; B 519/A 491) gibt er aber - noch ohne Inan-

spruchnahme der terminologischen Kennzeichnung - in der Transzendentalen Ästhetik als Konsequenz aus dem Anschauungscharakter

von Raum und Zeit und in Form der herausgestellten Doppel-

these von der empirischen Realität und der transzendentalen Idealität des Raumes und der Zeit. Jeder der beiden Bestandteile dieser Doppelthese e r f ü l l t den Tatbestand des Idealismus. Die "empirische Realität" von Raum und Zeit beschränkt ihre "objektive Gültigkeit" auf Erscheinungen des äußeren bzw. des äußeren und inneren Sinnes, und die "transzendentale Idealität" beider Anschauungsformen formuliert komplementär dazu die Nichtigkeit des Raumes und der Zeit mit Bezug auf nicht-sinnliche Gegenstände. Bei beiden Kennzeichnungen geht es also um die Einschätzung von "Vorstellungen" in ihrer "objektiven Gültigkeit" für je verschiedene Gegenstandsbereiche. Die dem Raum und der Zeit zugesprochene "objektive Gültigkeit" für Erscheinungen wäre demnach aufzulösen in das Verhältnis einer Vorstellung zu "ihrem" Gegenstand, der selber wieder "nur" Vorstellung ist.

"Objektive Gültigkeit" gelesen als Gültigkeit einer Vor-

stellung von Gegenständen benennt so den allgemein-notwendigen Bezug von Raum und Zeit auf alle Gegenstände des äußeren und inneren Sinnes (Erscheinungen). Grund dieses Verhältnisses der notwendigen Beziehung von Vorstellung und Gegenstand ist die apriorische Subjektivität der sinnlichen Formen von Raum und Z e i t : als reine Anschauungen sind Raum und Zeit wesentlich Vorstellung und nicht Ding an sich oder dessen absolut-reale Bestimmung; als apriorische Formen der Sinnlichkeit sind sie die Art und Weise, in der "unsere" Sinnlichkeit a f f i z i e r t wird und stehen so im notwendigen Bedingungsverhältnis zu allen Erscheinungen; die Gegenstände der empirischen Anschauung sind aufgrund des sinnlich-subjektiven Ursprungs ihrer Formen - ungeachtet des unbekannten Ursprungs der Materialkomponente im Nicht-Subjektiven - ebenfalls bloße Vorstellungen.

"Emp. Realität" und "transz. Idealität"

61

Spezifisch für Kants Fassung des Idealismus ist nun der von ihm geltend gemachte funktionale Zusammenhang zwischen den beiden komplementären Hälften der Doppelcharakteristik von Raum und Zeit. Nur weil Raum und Zeit Vorstellungen sind und keine "Dinge an sich" oder deren Bestimmungen (transzendentale Idealität) , können beide notwendige Bedingungen der Erscheinungen sein und insofern von ihnen als ihren Gegenständen gelten (empirische Realität). Es gilt: keine empirische Realität von Raum und Zeit ohne deren transzendentale Idealität. Umgekehrt führt jede transzendental-realistische Einschätzung von Raum und Zeit zur Idealität solcher absoluten Bestimmungen bezüglich der Erscheinungen, für die sich dann kein Grund ihrer Übereinstimmung mit diesen nicht-sinnlichen Entitäten angeben läßt. Die Korrelativität von transzendentaler Idealität und empirischer Realität ist von Kant an zwei Fällen deutlich gemacht worden. Zunächst, in der Transzendentalen Ästhetik, bei der schon behandelten Widerlegung der absolut-realistischen Raumund Zeit-Theorien (Newton, Leibniz). Die "Gültigkeit" (B 57/ A 40) der mathematischen Prinzipien von den Erfahrungsgegenständen ist nur zu begründen durch ihre Zurücknahme zu Vorstellungen. Später dann, in der Kritik des Idealitäts-Paralogismus (A 3 6 7 f f . ) , zeigt Kant, daß auch für die Begründung der Realität der materiellen Welt (im Raum) einzig die Verbindung von transzendentaler Idealität und empirischer Realität des Raumes aufkommen kann, nicht aber ein transzendental-realistischer Standpunkt, der notwendig auf einen skeptischen empirischen Idealismus führe. (A 3 6 9 f . ) Im Zusammenhang der Begründungsfunktion, die der transzendentalen Idealität des Raumes und der Zeit für deren empirische Realität eignet, wächst dem erstgenannten Ausdruck eine positive Bedeutung zu, die im abstrakten Begriff "transzendentale Idealität" nicht schon enthalten ist. Wie aus den Erststellen in der Transzendentalen Ästhetik (B 44/A 28 bzw. B 52/ A 3 5 f . ) hervorgeht, steht der Terminus "transzendentale Idealität" für die von Kant zurückgewiesene Beziehbarkeit von Raum und Zeit auf die Dinge in ihrer sinnlichkeitsunabhängigen Ei-

62

Sinnlichkeit und Subjektivität

genexistenz tät

("an sich"). Will man die Bestimmung dieser Ideali-

von Raum und Zeit durch den Zusatz "transzendental" nicht

überbeanspruchen nach Art der herausgestellten Argumentationsfigur "Realität durch Idealität" , so bleibt immer noch heranzuziehen die auch von Kant in Anspruch genommene ontologische oder allgemein-metaphysische Bedeutung von "transzendental" im Sinne von "den Gegenstand als solchen und überhaupt betref1 O2 fend" . Bezogen auf dieses Verständnis von "transzendental", also bezogen auf die von jeder Form der Sinnlichkeit abstrahierende, nicht gegenstandsspezifische Betrachtung der Gegenstände, kann man sehr wohl von "transzendentaler Idealität" des Raumes wie der Zeit sprechen: subjektiv-ästhetische Bestimmungen,

und seien es auch reine, nicht-empirische, gehören nicht

zum ens qua ens. Gerade weil Raum und Zeit Anschauungen und damit sinnliche Vorstellungen sind, können sie nicht mit Bezug auf die etwaige absolute Existenz der Gegenstände prädiziert werden. Die Rede von der transzendentalen Idealität des Raumes und der Zeit läßt sich so als Aussage darüber verstehen, daß beide sinnliche Vorstellungen sind. Im Hinblick auf die Existenz "an sich" der Gegenstände ist die transzendentale Idealität der Vorstellungen Raum und Zeit gleichbedeutend mit ihrer Nichtigkeit. Doch handelt es sich hier um eine den sinnlichen Vorstellungen in genere zukommende Nichtigkeit. Alle sinnlichen Vorstellungen stimmen darin überein, daß sie aufgrund ihres Formursprungs im Subjektsvermögen Sinnlichkeit nicht auf die von Sinnlichkeit und Subjektivität unabhängige Eigenexistenz der Gegenstände ("Dinge an sich") zu beziehen sind. Doch läßt dies den sinnlichkeitsbedingten Bezug der Vorstellungen auf "ihre" Gegenstände (Erscheinugen) unberührt. Die für Raum und Zeit vorgenommene Gleichsetzung von Idealität mit Nichtigkeit oder Bedeutungslosigkeit b e t r i f f t also nur die transzendental-

101 V g l . d a z u V e i h i n g e r , C o m m e n t a r z u K a n t s K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t , a . a . O . , 2. B d . , S. 351 - 355. 102 V g l . d a z u K a n t s E r l ä u t e r u n g d e s " t r a n s z e n d e n t a l e n G e b r a u c h s ' eines B e g r i f f s B 298/A 238f.

"Emp. Realität" und "transz. Idealität"

63

ontologische Erwägung der sinnlichen Vorstellungen in ihrer Unbezüglichkeit auf das Absolut-Reale; sie ist durchaus mit der für die gleichen Vorstellungen geltend gemachten empirischen Realität verträglich. Transzendental betrachtet ( " a n s i c h " ) , ist

jede Vorstellung,

unangesehen "ihres" Gegenstandes, bloße Vorstellung - und nicht Bestimmung des real-absoluten Gegenstandes; aus dem "Standpunkt eines Menschen" (B 42/A 26) betrachtet, stellt sich für jede Vorstellung die Frage nach der Realität oder "Wirklichkeit" (B 55/A 3 8 ) . Zum Kantischen Verständnis der Thematisierung von Vorstellungen hinsichtlich ihrer Realität oder Wirklichkeit gehört unbedingt die grundsätzliche Verträglichkeit von transzendentaler Idealität und empirischer Realität im Fall von Raum und Zeit. Die Vorstellungen Raum und Zeit haben Realität oder Wirklichkeit unbeschadet ( b z w . nach dem "Lehrbegriff": gerade aufgrund) ihrer transzendentalen Idealität. Philosophiegeschichtlich

stellt dies eine Verselbständigung

des Problems der Realität oder Wirklichkeit von Vorstellungen von der klassischen Gegenüberstellung wirklich - eingebildet, d . h . nur scheinbar wirklich, dar. Kant schließt sich zwar dem Sprachgebrauch der erkenntnistheoretischen Reflexionstradition in der Frage der Realität an, kommt aber zu einer unterschiedlichen Einschätzung von Irrtum und Schein.

Mit einiger modi-

fizierenden Kritik hatte Leibniz die von Locke vorgenommene dreifache Betrachtung des Gegenstandsbezuges - nach real oder phantastisch, adäquat oder inadäquat und wahr oder falsch übernommen. 1 04 Die in der ersten dieser drei Disjunktionen vollzogene Kontrastierung von wirklichen und phantastisch-

103 S . d a z u d i e U n t e r s c h e i d u n g v o n " E r s c h e i n u n g " u n d " S c h e i n " B 6 9 f f . und die A u s f ü h r u n g e n zu "Wahrheit" und "Schein" B 349ff./A 293ff. 104 S . J . L o c k e , A n e s s a y c o n c e r n i n g h u m a n u n d e r s t a n d i n g , v o l . l, New York 1959, S. 497 - 5O1 (Book I I . , Ch. X X X . ) sowie Leibniz, Die philosophischen Schriften, a . a . O . , V. Bd., S. 244 - 247 (Nouveaux essais, Livres I I . , Ch. X X X . ) .

64

Sinnlichkeit und Subjektivität

chimärischen Vorstellungen eignet sich schlechterdings nicht zur Erfassung des komplementären Verhältnisses von empirischer Realität und transzendentaler Idealität; b e t r i f f t sie doch nur eine unter den Vorstellungen vorzunehmende Differenzierung nach solchen mit unmittelbarem Realitätsbezug und solchen, bei denen reale Elemente eine nicht-reale Konfiguration eingehen - nicht aber den grundlegenden Unterschied von Vorstellung und Ding selbst. Wenn die Transzendentale Ästhetik die Wirklichkeit der Vorstellungen Raum und Zeit in der Lehre von deren empirischer Realität vertritt, so e r f ü l l t das weder den von Locke noch den von Leibniz mit der Prädikation von "reality" bzw. "realite" verbundenen Sinn. Hatte Locke die Realität der einfachen Ideen und der Substanzen als Aussage über die Existenz ihrer Gegenstände verstanden und die Wirklichkeit der gemischten Modi und der Relationen bloß mental gefaßt, als Präsenz im menschlichen Bewußtsein, so bezog Leibniz dagegen die mentale Existenz von gemischten Modi und Relationen auf den unendlichen, göttlichen Intellekt und nahm in der Frage der Realität von Substanzen die von Locke geforderte wirkliche Existenz der Gegenstände in deren mögliche Existenz bzw. wirkliche Möglichkeit (Kompossibilität) zurück. Nun könnte man zwar die Zurückführung der Relationen Raum und Zeit auf die allgemeine menschliche "Fähigkeit" Sinnlichkeit bei Kant als eine Nachfolgegestalt von Leibniz' Universalisierung der Relationen durch Beziehung auf den intellectus divinus auslegen, doch erklärt die bloße Zugehörigkeit der relationalen Vorstellungen Raum und Zeit zur Sinnlichkeit noch nicht deren empirische Realität. Die wird, wie gezeigt, bei Kant begründet über den Form-Materie-Zusammenhang von reinen und empirischen Anschauungen, durch das notwenige Bedingungsr Verhältnis zwischen den Empfindungen und ihrer raum-zeitlichen Ordnung. Die Wirklichkeit der Vorstellungen Raum und Zeit aussagen, heißt deshalb bei Kant auch nicht - wie bei Locke und noch bei Leibniz -, sie als Bestimmungen an Gegenständen nachweisen. Ebendies wird ja unter dem Titel (absolute) "objektive

"Emp. Realität" und "transz. Idealität"

65

Realität" verworfen. Vielmehr sind Raum und Zeit Bestimmungen z u Gegenständen, nämlich Bedingungen, ohne die etwas überhaupt nicht sinnlicher Gegenstand (Erscheinung) sein kann. Die Möglichkeit der Prädikation von empirischer Realität ist streng gebunden an den Formcharakter von Raum und Zeit. Folgerichtig macht Kant auch an keiner Stelle der Transzendentalen Ästhetik ebendiese Eigenschaft, empirische Realität zu haben, von einer empirischen sinnlichen Vorstellung geltend. Die empirische Realität von sinnlichen Vorstellungen bleibt in der Transzendentalen Ästhetik auf den Sonderfall der reinen sinnlichen Vorstellungen beschränkt. Für die empirischen Anschauungen wird erst die Transzendentale Logik die Frage nach ihrem Gegenstandsbezug (Objektivität) aufwerfen, dann aber nicht mehr mittels der Begriffe von (transzendentaler) Idealität und (empirischer) Realität. Thema und Beweisziel der Transzendentalen Ästhetik ist ja auch nicht die etwaige Realität bzw. Idealität von sinnlichen Gegenständen oder empirischen Vorstellungen, sondern der Status der sinnlichen Prinzipien (Raum und Z e i t ) . (B 2 9 f . / A 1 5 f . ) Und nicht genug, daß die Prinzipienlehre der Sinnlichkeit das Problem der Gegenständlichkeit der Erscheinungen nicht kennt, ihre Theorie von der sinnlichen Bedingtheit aller Erscheinungen durch subjektsursprüngliche Formen hat eine explizite Idealisierung der sinnlichen Anschauungen (und damit auch ihrer "Gegenstände", der Erscheinungen) zur Folge. (B 66; A 6 9 f . ) Dieselbe Ästhetisierung und Subjektivierung, die den sinnlichen Formen ihre empirische Realität verbürgt, bringt das sinnliche Material (Empfindungen) und auch die empirische Anschauung um die Erkenntnisbeziehung auf Gegenstände "an sich". Die Kehrseite der notwendigen Beziehbarkeit der reinen Vorstellungen Raum und Zeit auf die empirischen Anschauungen und ihre sinnlichen Gegenstände ist die Beschränkung der Anschauungen auf die sinnliche Vorstellung von Gegenständen. Im Argumentationshorizont der Transzendentalen Ästhetik führt so die empirische Realität von Raum und Zeit auf die "Idealität aller unserer sinnlichen Anschauungen" (B 7 O ) .

66

Sinnlichkeit und Subjektivität

Der oben schon für Raum und Zeit geltend gemachte positive Sinn von "Idealität", identisch mit dem positiven Sinn von "Vorstellung" als sinnlich bedingter Erscheinung des Gegenstandes, t r i f f t auch die spezifische Idealität des äußeren und des inneren Sinnes.

1 . 6 . Die Widerlegungen des Idealismus Die These von der Idealität der sinnlichen Gegenstände wird von Kant selbst als reduktionistische I d e n t i f i z i e r u n g der Erscheinungen mit "bloßen" Vorstellungen vorgetragen. Legt man die grundsätzliche Gegenüberstellung von Vorstellung als sinnlicher Erscheinung des Gegenstandes und Sache selbst in ihrer Eigenexistenz zugrunde, dann ist

nach der nicht-absoluten,

phänomenalen Wirklichkeit oder Realität der (sinnlichen) Vorstellungen zu fragen. Für den Sonderfall der reinen sinnlichen Vorstellungen vertritt Kant schon in der Transzendentalen Ästhetik die Lehrmeinung ihrer "Wirklichkeit als Vorstellungen" (B 55/A 3 8 ) , begründet allerdings mit einem Argument - ihrem apriorischen Formcharakter -, das eine Übertragung dieser Wirklichkeit oder Realität auf die materialen Anschauungen b z w . die Erscheinungen ausschließt. Den spezifischen Zusammenhang von Wirklichkeit der reinen Vorstellungen und ihrer notwendigen Bedingungsfunktion bringt eine, anonym gegen Mendelssohn und Lambert gerichtete , verdeutlichende Wiederholung des Gedankens der empirischen Realität zum Ausdruck: "Die Z e i t ist . . . die wirkliche Form der i n n e r e n Anschauung." (B 53/A 37; H . v . m . ) 1O5 S . d a z u V a i h i n g e r , C o m m e n t a r z u K a n t s K r i t i k d e r r e i n e n Vernunft, a . a . O . , Bd. 2, S. 3 9 9 f f . . Kant reagiert mit dem erläuternden Paragraphen auf Einwände, die ihm Mendelssohn u n d L a m b e r t b r i e f l i c h gegen d e n i d e a l i s t i s c h e n S t a n d p u n k t der I n a u g u r a l - D i s s e r t a t i o n gemacht h a t t e n . Vgl. dazu den B r i e f L a m b e r t s v o m 1 3 . 1 O . 1 7 7 O CAA X , 1 O 3 - 111, b e s . l O 6 108; N r . 6 1 ) und d e n B r i e f M e n d e l s s o h n s v o m 2 5 . 1 2 . 1 7 7 O ( A A X, 1 1 3 - 116, b e s . 1 1 5 f . ; N r . 6 3 ) . D i e e b e n f a l l s e i n s c h l ä g i ge zeitgenössische Rezension der I n a u g u r a l - D i s s e r t a t i o n durch J. Schultz ist neuerdings zugänglich bei R. Brandt, Materialien zur Entstehung der Kritik der reinen Vernunft ( J o h n Locke u n d J o h a n n S c h u l t z ) . I n : B e i t r ä g e z u r K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t 1781 - 1981, h g . v . I . H e i d e m a n n u . W . R i t z e l , B e r l i n / N e w Y o r k 1981, S. 59 - 66.

68

Sinnlichkeit und Subjektivität

Die Bedeutung der reinen sinnlichen Vorstellungen für die Wirklichkeit oder Realität der Erscheinungen stellt Kant später, in der Kritik des "Paralogismus der Idealität" (A 3 6 6 f f . ) heraus. Thema dieser Widerlegung des skeptischen empirischen Idealismus ist zwar speziell die Wirklichkeit der räumlichäußeren Gegenstände; doch bedient sich Kants Argument gegen die angebliche notwendige Ungewißheit bezüglich der Dinge im Raum gerade der Einsicht in die prinzipielle Gleichheit der äußeren und inneren Gegenstände als Vorstellungen. Gegen die empirisch-idealistische Auffassung vom Schlußcharakter allen Wissens um Äußerlich-Räumliches - hypothetische Erschließung der als solcher nicht gegebenen Ursache gegebener Wirkungen - stellt Kant die transzendental-idealistische Identifizierung der inneren und äußeren Wahrnehmungen mit der "Wirklichkeit" des Wahrgenommenen. Entwickelt wird diese Auffassung der grundsätzlichen unmittelbaren Gewißheit über die "Realität" der Gegenstände des äußeren wie des inneren Sinnes vom "Lehrbegriff" her. (A 370) Mit Wegfall der transzendentalrealistischen These von der ursprünglichen Eigenexistenz der materiellen (empirischen) Gegenstände reduziert sich das "Dasein" der Materie, ebenso wie das des empirischen Selbstbewußtseins, auf den Modalcharakter von Erscheinungen, bloß "eine Art meiner Vorstellungen" (A 370) zu sein. Schon Vaihinger konnte der transzendental-idealistischen Begründung von "Wirklichkeit", "Dasein", "Existenz" durch (bewußtes) Vorstellen nur den Berkeley'sehen Sinn des "esse est percipi" abgewinnen. Dies aber schien ihm so vorkritischunkantisch, daß er für die fällige Begründung der Wirklichkeit der Außenwelt auf die idealistisch-realistische und empirischtranszendentale Mischform der "doppelten Affektion" glaubte zurückgreifen zu müssen. In Anlehnung an die explizite "Widerlegung des Idealismus" (B 274 - 2 7 9 ) schränkte er die Paral-

106 S . V a i h i n g e r , Z u K a n t s W i d e r l e g u n g d e s I d e a l i s m u s , a . a . O . , S. 1 2 6 f f . 107 E b e n d a , S. 1 4 5 f f .

Die Widerlegungen des Idealismus

69

lelisierung von innerem und äußerem Sinn, von innerer und äußerer Erscheinung wieder ein, indem er eine empirisch-reale Eigenexistenz der räumlichen Gegenstände, unabhängig vom empirischen Bewußtsein, aber abhängig vom transzendentalen Selbstbewußtsein, annahm. Kant selbst wurde der Inkonsistenz bezichtigt. Nicht etwa sei nur eine Inkonsequenz zwischen der Kritik des vierten Paralogismus (A) und der "Widerlegung des Idealismus" (B) auszumachen, sondern die Widersprüchlichkeit zeige sich schon innerhalb des Textbestandes von 1781 - im Nebeneinander von idealistischer Restriktion der äußeren Gegenstände auf deren Vorstellung und gleichzeitiger Beanspruchung einer 1 O8 zusätzlichen unabhängigen Wirklichkeit der Körperwelt. Allerdings dürfte der von Vaihinger herangezogene Beleg aus dem Text beider Fassungen für eine quasi-absolute Eigenexistenz der Dinge im Raum (nach dem Modell der zweiten, internen Affektion) gerade die gegenteilige Auffassung stützen helfen. 1 O9 Vaihinger zitiert folgende realistische Konzession Kants: " . . . daß die Gegenstände äußerer Anschauung, ebenso wie sie im Räume a n g e s c h a u t w e r d e n , a u c h w i r k l i c h sind . . . " ( B 5 2 O / A 4 9 1 ; z i t i e r t nach K a n t , H e r v o r h e b u n g e n v o n V a i h i n g e r )

Dabei versteht er die konjunktionale Korrelation "ebenso auch" im Sinne eines "nicht nur - sondern auch", mithin das "auch" als "außerdem", während der Kantische Kontext und insbesondere die von Vaihinger nicht zitierte zweite Satzhälfte mit der analogen Aussage über die Zeit - der ja wohl nicht einmal der Theoretiker der "doppelten Affektion" eine quasiabsolute empirische Eigenexistenz zuschreiben dürfte - die Auffassung des "auch" als "damit auch" oder "auch schon" nahelegen: Bloß dadurch, daß die Gegenstände im Raum angeschaut werden, sind sie auch schon wirklich. Will man die "Gewaltsamkeit" der Lehre von der doppelten Affektion vermeiden und weder schon für die erste Auflage noch auch nur für das Verhältnis von erster und zweiter Auflage eine

108 E b e n d a , S. 134 - 1 3 8 . 109 E b e n d a , S. 138.

70

Sinnlichkeit und Subjektivität

Widersprüchlichkeit in der Auflösung des Modalproblems der Außenweltrealität

zugeben

, dann könnte Kants Idealismus mit

einer Variante des Berkeley'sehen Idealismus zusammenfallen. Bezieht man nämlich die These des "esse est percipi", statt auf transzendente "Dinge an sich", auf Erscheinungen und insbesondere auf äußere, räumliche Gegenstände der Sinne, dann gilt von Kants "Wahrnehmungen" wie von Berkeleys "perceptions", daß ihr Sein (Wirklichkeit, Realität) im Vorgestellt-Sein (Vor111 Stellung-Sein) besteht. Allerdings ist das Subjekt der Erscheinungen bei Kant nicht der göttliche Verstand, sondern "unsere" Sinnlichkeit. Darüber hinaus phänomenalisiert Kant auch die Vorstellungen des inneren Sinnes. Die Identität von Kants idealistischem Standpunkt mit einem Berkeley'sehen empirischen Phänomenalismus scheint vollkommen gegeben bei einer Stelle wie dieser: " . . . der Raum ( s c . i s t ) selbst n i c h t s a n d e r e s , als bloße V o r s t e l l u n g , m i t h i n kann in ihm nur das als w i r k l i c h gelten, was in ihm vorgestellt w i r d , und umgekehrt, was in ihm gegeben, d . i . durch Wahrnehmung vorgestellt w i r d , ist in ihm auch w i r k l i c h . " (A 3 7 4 f . )

Also: Keine Wirklichkeit von Räumlichem ohne dessen Vorstellung und keine Vorstellung (durch äußere Wahrnehmung) ohne W i r k l i c h k e i t des räumlich Vorgestellten. "Vorstellung" ist somit notwendiger und hinreichender Grund für Wirklichkeit, mit der Einschränkung freilich, daß der die Realität verbürgende Modus der Vorstellung vom Typus "Wahrnehmung", d . h . unmittelbar sinnlicher Gegenstandsbezug, zu sein hat. Die unmittelbare

110 Z u m V e r h ä l t n i s z w i s c h e n d e r I d e a l i s m u s - W i d e r l e g u n g ( z w e i t e A u f l a g e ) und der Kritik am Idealitäts-Paralogismus (erste A u f l a g e ) s. auch J. B e n n e t t , K a n t ' s a n a l y t i c , Cambridge, M a s s . 1 9 6 7 , S . 2 O 2 - 2 1 8 .A u s d e r u m f a n g r e i c h e n L i t e r a t u r zu beiden I d e a l i s m u s - W i d e r l e g u n g e n sei besonders auf eine Arbeit von G. Lehmann hingewiesen (Kants Widerlegung des I d e a l i s m u s . In: Kant-Studien 5O ( 1 9 5 8 / 5 9 ) , S. 348 - 3 6 2 ) . Lehmann sieht die neue "Widerlegung" der zweiten A u f l a g e als einen in polemischer Absicht vorgetragenen "Scheinbew e i s " ( S . 3 5 8 ) u n d a r g u m e n t i e r t gegen d i e B e z i e h b a r k e i t d e r (von Kants Gegnern i n i t i i e r t e n ) Idealismus-Kontroverse auf die t r a n s z e n d e n t a l e Theorie ( b e s .S. 3 6 2 ) . Für w e i t e r e Arb e i t e n z u r I d e a l i s m u s - W i d e r l e g u n g s . d a s Literaturverzeichnis 111 V g l . dazu V a i h i n g e r , Zu Kants Widerlegung des Idealismus, a . a . O . , S. 127f.

Die Widerlegungen des Idealismus

71

Wirklichkeitsgewißheit aller äußeren Wahrnehmungen - idealistisch gefaßt: die Identität dieser Wahrnehmungen mit dem "Wirklichen selbst" (A 375) - versteht Kant als kritische Richtigstellung der "falschen Bedenklichkeit wegen der objektiven Realität unserer äußeren Wahrnehmungen" (A 3 7 6 ) . Kann dies positiv formuliert werden als Lehrmeinung von der "objektiven Realität" äußerer Wahrnehmungen, und wie wäre eine solche These zu verstehen? Da Kant in der Kritik des Vierten Paralogismus und in der späteren "Widerlegung des Idealismus" auf Theoriestücke der Transzendentalen Ästhetik, vornehmlich auf den Begriff vom Raum als reiner Form des äußeren Sinnes (vgl. A 3 7 0 f f . bzw. B 2 7 5 f f . ) , zurückgreift, dürfte es sich bei der fraglichen "objektiven Realität" von äußerer Wahrnehmung um eine von selten der Sinnlichkeit begründete Auszeichnung bestimmter sinnlicher Anschauungen, nämlich der äußeren, handeln. Für die Begründung einer solchen sinnlichen Objektivität der äußeren Wahrnehmung bzw. ihrer noch unbestimmten Gegenstände kommt aber nur ihre Bedingtheit durch den Raum als Prinzip äußerer Sinnlichkeit in Betracht. In diesem Sinn wird man Kants Ankündigung der "Widerlegung des Idealismus" als "Beweis von der objektiven Realität der äußeren Anschauung" (B XXXIX Anm.) aufzufassen haben. Angestrebt ist nicht der Nachweis der äußeren Erscheinungen als Gegenstände - ein logisches, genauer: transzendental-logisches Problem - sondern die Begründung der "Wirklichkeit" oder "Realität" der Anschauung von Äußerem im Raum. Das Moment von "objektiver Realität" an der äußeren Anschauung bzw. an der äußeren Wahrnehmung besteht in der notwendigen Beziehung der Wahrnehmungen qua Wahrnehmungen von Äußerem auf den Raum und damit in ihrer räumlichen Qualität, ein Außereinander zu sein. Diese inner-räumliche und inner-sinnliche "objektive Realität" eines besonderen Typus von Wahrnehmungen und Anschauungen - gleichbedeutend mit und "nichts als" deren Räumlichkeit hat man wohl zu unterscheiden von der empirischen Realität und "objektiven Gültigkeit" des Raumes für alle Gegenstände

72

Sinnlichkeit und Subjektivität

des äußeren Sinnes. Folgendes Verhältnis ließe sich für die beiden Arten von Realität geltend machen: Nur weil der Raum als notwendige Form der Gegenstände des äußeren Sinnes seine virtuelle Relationalität (Außereinander) auf die äußeren Anschauungen - diese prinzipiierend - überträgt, kommt auch letzteren die Objektivität des Außereinander zu, eine Objektivität allerdings, die zusammengeht mit transzendentaler Subj e k t i v i t ä t (Idealität) der Vorstellung des Raumes und alles in ihm Vorgestellten. Der Raum ist

eben auch nur "in uns"

(A 3 7 0 ) .

Die im Beweisziel der beiden Idealismus-Widerlegungen angestrebte "objektive Realität" kann zur Erhellung des von Kant vertretenen Idealismus nur beschränkt beitragen. Die Erweiterung der Realitätsthematik

(Raum, Zeit) um das Objektivitäts-

thema (Gegenstände im Raum) darf nicht verwechselt werden mit dem (transzendental-logischen) Übergang von der Erscheinung als unbestimmtem, bloß sinnlichem Gegenstand empirischer Anschauung zum bestimmten Gegenstand (empirisches Objekt; Phaenomen o n ) . Räumlichkeit ist

keine hinreichende Bedingung für Objek-

tivität, sondern nur deren notwendige, genauer: die von selten der Sinnlichkeit notwendige Bedingung - eine Bedingung, von der die beiden Widerlegungen zeigen, daß sie überhaupt statthaben kann b z w . m u ß . Angesichts der expliziten argumentativen Inanspruchnahme des "Lehrbegriffs" bei der Widerlegung des skeptischen empirischen Idealismus in der Paralogismen-Kritik kann von einer empirischrealistischen oder gar transzendental-realistischen Gegenlehre in Gestalt der Realitätsthese für die räumlich äußeren Gegenstände nicht die Rede sein. Resultat der kritischen Standpunktsystematik (Realismus, Idealismus, Dualismus je in transzendentaler b z w . empirischer Hinsicht; A 3 6 9 f f . ) ist gerade die Einsicht, daß die Konstellation von transzendentalem Realismus in der Ontologie und empirischem Idealismus in der Erkenntnislehre - letzteres eine Folge von ersterem - jede ontologische Option obsolet macht, plädiere sie nun für einen transzendentalen Dualismus (A 379, 389, 391) oder für einen transzenden-

Die Widerlegungen des Idealismus

73

talen Monismus (Materialismus, Pneumatismus; A 3 7 9 ) . Der von Kant herausgestellte "Dualismus ... im empirischen Verstande" (A 379) meint nun aber nicht die neue Verbindung von transzendentalem Idealismus und empirischem Realismus - so als handele es sich bei diesem Doppelstandpunkt um koordinierte Positionen -, sondern der Ausdruck bezeichnet die der transzendentalen Idealität subordinierte empirische Realität sowohl der Materie als auch des Selbstbewußtseins. (A 37O) 1787 rekonstruiert Kant den nunmehr expresses verbis Descartes zugeschriebenen "psychologischen Idealismus" (B XXXIX A n m . ) den er j e t z t unter dem Titel "problematischer Idealismus" von Berkeleys "dogmatischem Idealismus" abgrenzt (B 2 7 4 ) , als Traumverdacht gegen alle äußere Erfahrung: die gewisse reale "innere Erfahrung" könnte mit einem völligen Fehlen des äußeren Sinnes und dessen, scheinbarer, Substitution durch die als solche nicht durchschaute "äußere Einbildung" zusammenbestell2 hen. Hatte die Kritik am Idealitäts-Paralogismus in der ersten Auflage gegen einen Skeptizismus der Begründbarkeit äußerer Realität argumentiert, so gilt die "Widerlegung" dem Zweifel an der Realität der Körperwelt als solcher. Die Zurückweisung der aus methodischen Gründen vorgenommenen und dabei für möglich gehaltenen Irrealisierung und Illusionierung der Gegenstände im Raum hat zum Beweisziel die Notwendigkeit äußerer Erfahrung im Unterschied zu universaler bloßer Einbildung derselben, und sie hat zum Beweisgrund die Notwendigkeit äußerer Erfahrung für die Begründung der als gewiß und real vorausgesetzten inneren Erfahrung. Kant zeigt, daß bei der Selbstbestimmung in der Zeit das als Bestimmungssubstrat erforderliche "Beharrliche" in der Wahrnehmung nicht "in m i r " , also bloß "in der Zeit", sondern nur "außer mir", und damit "im Raum", 112 K a n t s e l b s t n i m m t d e n p o l e m i s c h e n G e b r a u c h v o n " T r a u m " n a c h 1766 n o c h e i n m a l a u f i m T i t e l " t r ä u m e n d e r I d e a l i s m u s " ( P r o legomena, S. 13 A n m . I l l ; AA IV, 2 9 3 ) zur Kennzeichnung der Verwechslung von "Vorstellungen" mit "Sachen". Für die metaphysische Bedeutung des B e g r i f f s vom "somnium objective" s . L e i b n i z , D i e p h i l o s o p h i s c h e n S c h r i f t e n , a . a . O . , V I I . B d . , S . 3 1 9 - 3 2 2 ( D e modo d i s t i n g u e n d i p h a e n o m e n a realia ab i m a g i n a r i i s ) .

74

Sinnlichkeit und Subjektivität

sein kann. Die unterschiedlichen "Widerlegungen" beider Auflagen der Kritik d i f f e r i e r e n schon im Ansatz des methodisch-problematisierend isolierten Bewußtseins. Einmal, 1781, erlaubt die Unterscheidung einer doppelten Immanenz bzw. Transzendenz (empirisches und transzendentales "in mir" bzw. "außer uns"; A 3 7 5 f . ) die Begründung des empirischen Außen ("im Raum") im transzendentalen Innen ( " i n uns") und damit den Realitätserweis für die Körperwelt aufgrund von deren Abhängigkeit von "unserer" Sinnlichkeit, genauer: von der Realität ihrer Prinzipien. 1787 wird dann die Unselbständigkeit des empirischen Bewußtseins meiner selbst (der zeitlich gedingten Veränderungen in mir) gezeigt: kein empirisches Ich ohne Bezugskonstante außerhalb dieses Ich. Wo der Text der "Widerlegung des Idealismus" von "Vorstellung" spricht, stellt er diese in Gegensatz zum "Ding außer mir" (B 275; vgl. B XXXIX A n m . ) . Gemeint ist damit nicht etwa der kritische Unterschied von "Ding an sich" und Gegenstand einer sinnlichen Vorstellung (Erscheinung). Nicht die in "unserer" Sinnlichkeit begründete Gegenüberstellung von Realität und Idealität kommt in der zweiten Idealismus-Widerlegung zum Tragen, sondern die klassische erkenntniskritische Unterscheidung von imaginär (scheinhaft) und real (wirklich). Die Äquivokation im Ausdruck "Vorstellung" gilt auch für den charakterisierenden Zusatz "bloß": einmal benennt "bloß" die Idealität aller Vorstellung, sodann kennzeichnet es die mögliche bzw. unmögliche Irrealität eines bestimmten Typus von Vorstellungen, nämlich aller räumlichen Vorstellungen. Eine transzendental-realistische Interpretation der "Widerlegung des Idealismus", die den Beweis der "Existenz der Dinge außer mir" (B 2 7 6 ) auf Dinge "an sich" bezieht, vernachlässigt die Unterscheidung von "Erscheinung" und "Schein", wie Kant sie

113 E i n e solche t r a n s z e n d e n t a l - r e a l i s t i s c h e I n t e r p r e t a t i o n der "Widerlegung des Idealismus"gibt A. R i e h l , Der philosophische K r i t i z i s m u s , 1 . B d . , z w e i t e , n e u v e r f a ß t e A u f l a g e Leipzig 19O8, S. 4 O 6 .

Die Widerlegungen des Idealismus

75

besonders deutlich in einem Zusatz der zweiten Auflage, in den "Allgemeinen Anmerkungen zur transzendentalen Ästhetik" (B 697 1 ) , vorträgt. Die Unmöglichkeit einer bloß scheinbaren Körperwelt ist kein Beleg für die Wirklichkeit oder auch nur Möglichkeit von nicht-phänomenalen Gegenständen. Im Zusammenhang der thematischen Beschränkung der zweiten Idealismus-Widerlegung auf das empirische Verhältnis von Selbstbewußtsein und Gegenständen im Raum steht auch die standpunktliche Neutralität in der verwendeten Terminologie. Es gibt kein spezifisch idealistisches oder gar transzendental-realistisches Vokabular, und der Beweis selbst genügt keinesfalls den Kriterien einer transzendentalen Argumentation (B 8 1 d f f . / A 7 8 3 f f . ) . Der Gedankengang bleibt insofern innerempirisch, ohne (transzendentale) Reflexion auf den kritischen Sinn der Begrifflichkeit "in mir" und "außer mir". Gehen demnach beide Idealismus-Widerlegungen für die Begründung der Wirklichkeit oder Realität von sinnlichen Vorstellungen auf die Wirklichkeit der sinnlichen Form zurück, so wird die modale Bedeutung der empirischen Realität von Raum und Zeit doch dadurch auch wesentlich eingeschränkt, daß die sinnlichen Bedingungen für die Gegenständlichkeit von Gegenständen nicht aufzukommen vermögen. Die Abgrenzung der Erscheinung und ihrer Prinzipien von den Dingen "an sich", aufgefaßt als Unterscheidung von sinnlicher Gegenstandsvorstellung und nicht sinnlich erfahrbarer Existenz der Gegenstände, schließt eine in der Sinnlichkeit bloß als solcher begründete Existenzaussage für den Raum, die Zeit und das in diesen Formen Angeschaute aus. Statt von "Dasein" oder "Existenz" bezogen auf die "Sachen selbst" kann im Rahmen der Transzendentalen Ästhetik nur von "Wirklichkeit" oder "Realität" bezogen auf Vorstellungen die Rede sein. Was Kant in einer handschriftlichen Reflexion über den Raum explizit aussagt - daß er Wirklichkeit, aber keine 114 Existenz habe , läßt sich verallgemeinern zur Modalbestimmung der Vorstellungen, sofern sie in ihrer sinnlichen Bedingt-

114 Refl.

6324

(AA XVIII, 6 4 7 ) .

76

Sinnlichkeit und Subjektivität

heit betrachtet werden: sie existieren nicht "an sich", sind aber wirklich als Vorstellungen. Die Lehre von der grundsätzlichen Wirklichkeit der sinnlichen Vorstellungen markiert einen dritten Standpunkt zwischen der Intellektualisierung der Anschauung und der Reduktion von Vorstellung auf Einbildung ein Standpunkt, durch den Vorstellungen bloß aufgrund ihres Ursprungs in der Sinnlichkeit Realität oder Wirklichkeit zugesprochen wird. Die Realität oder Wirklichkeit von sinnlichen Vorstellungen kommt diesen also nicht zusätzlich und zufällig zu, sondern grundsätzlich und notwendig, und zwar insofern sie Vorstellungen der Sinnlichkeit sind.

1 . 7 . Vergleich mit "realitas objective" bei Descartes über den mehrfachen Aussagesinn von "Realität" läßt sich ein Bezug herstellen zu Descartes' Auffassung von Realität ("realitas", "esse") nach den beiden Hinsichten subjektiv115 objektiv und formal-material. So hat W. Sellars in einer an systematischen Problemen der modernen Semantik orientierten Interpretation der Kantischen Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung auf die scholastische, von Descartes fortgeführte Gegenüberstellung von Existenz "in mente" und Existenz "simpliciter" zurückgegriffen. Doch vernachlässigt Seilars - bedingt durch die eigene systematische Absicht - die komplexe mentalistische Theorie Descartes', der schon für das "Sein" der Vorstellungen (ideae) drei modi ansetzt (Aktwirklichkeit, Wirklichkeit qua Bestimmung und Wirklichkeit qua Geltung) und dazu noch eine doppelte Betrachtung der Dinge selbst (nach Eigenexistenz und nach Bezogensein auf ein vorstellendes Bewußtsein) vornimmt. Seilars beläßt es bei der zweifachen Beziehung der Vorstellungen (ideas) auf mentale Akte, "in" denen diese vorkommen, und auf simpliciter existierende Dinge samt deren Bestimmungen, mit Bezug auf welche die Vorstellungen wahr sein können. Die Rückführung des Kantischen "an sich" auf das scholastische "simpliciter" erlaubt Seilars dann eine Umdeutung der "kritischen Unterscheidung" zum Sachverhalt, daß nicht jeder Inhalt einer Vorstellung (in mente; represented) auch "an sich" (simpliciter) existiert - was aber noch nichts über die Unvorstellbarkeit der simpliciter existierenden Dinge oder Bestimmungen aussage. Insgesamt trägt Seilars eher propädeutischer Rückgriff auf

115 V g l . I. Pape, T r a d i t i o n und T r a n s f o r m a t i o n der M o d a l i t ä t , 1. B d . , M ö g l i c h k e i t - U n m ö g l i c h k e i t , H a m b u r g 1 9 6 6 , S. 67. 116 W. S e l l a r s , S c i e n c e and m e t a p h y s i c s , a . a . O . , S. 31 - 59, bes. S. 33 u. 4 1 f .

78

Sinnlichkeit und Subjektivität

Descartes' Gedanken der "realitas objectiva" nicht zur Klärung des historisch-systematischen Verhältnisses tes bei.

von Kant zu Descar-

Es läßt sich aber durchaus eine Entsprechung zwischen Termini der Cartesischen und der Kantischen Erkenntnislehre herausstellen: Der "realitas formalis" der Dinge wären die "Dinge an sich" zuzuordnen; für die Vorstellung bzw. idea könnte die Zuordnung dann lauten: "realitas objectiva" - "objektive Realität".

Der "realitas formalis" der Vorstellung bei Descartes -

der innersubjektiven Wirklichkeit der Vorstellung qua bestimmtem Gedanken ungeachtet eines möglicherweise nur imaginären Gegenstandsbezuges - entspräche dann die Bezeichnung "subjektive Realität". Kant verwendet diesen Ausdruck in der Transzendentalen Ästhetik nur an einer Stelle (B 53/A 3 7 ) , und dies gerade zur "Erläuterung" der Wirklichkeit der Zeit durch R ü c k g r i f f auf die Wirklichkeit der "inneren E r f a h r u n g " . Die Wirklichkeit der Zeit besteht in ihrer Realität im Subjekt, unbesehen jeder zusätzlichen (objektiven) Beziehung auf die Veränderungen an Gegenständen im Raum. Versteht man die

sub-

jektive Realität der Zeit als Aussage über die Rückbezüglichkeit des Zeitlich-Wirklichen auf das Subjekt und also vom Unterschied zur objektiven empirischen Realität des Raumes für Gegenstände "außer mir" her, dann vertritt der Ausdruck bei Kant diejenige Art von Realität, welche bei Descartes die "cogitationes" als Bestimmungen des Bewußtseins eo ipso haben. Der vorgenommenen äußerlichen Zuordnung entspricht nun aber keine positive Vergleichbarkeit der funktionalen Zusammenhänge dieser B e g r i f f e bei den beiden Autoren. Wenn Descartes' ontologische Argumentation die Weisen von Realität als Modi derselben Realität faßt und sie dabei mit "perfectio" gleichsetzt, so sind die objektiven Vorstellungen (realitas objectiva ideae) und das formale Sein der Gegenstände selbst nur verschiedene Arten des "esse" derselben Sachwirklichkeit ( r e a l i t a s ) . Es darf deshalb auch nicht heißen: eine Realität repräsentiert die andere; vielmehr kommt dieselbe Realität zweimal vor: einmal simpliciter und einmal vorgestellt, in mente oder reprä-

Vergleich mit "realitas objectiva"

79

sentiert. Objektive Vorstellungen stellen, bei Descartes, kein Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt dar, und erst recht nicht ein solches nach Analogie mit sinnlichen dern

Bil-

, sondern die Vorstellung des Gegenstandes in seiner

Sachhaltigkeit ist die Sachhaltigkeit selbst, nur eben vorgestellt, d.h. im Modus des "esse objective". Eine Auszeichnung der Sachwirklichkeit, insofern sie in den nicht-vorgestellten Dingen selbst besteht, durch den Titel "Existenz" 118 liegt bei Descartes noch gar nicht vor. Aber auch die Transzendentale Ästhetik unterliegt nicht den einschlägigen begrifflichen Unterscheidungen der Transzendentalen Logik, also der Zuweisung von "Realität" an die Kategorie der Qualität und der Zuordnung von "Wirklichkeit" 119 an "Dasein". Wenn Kant in der Transzendentalen Ästhetik Realität mit "wirklich" und "Wirklichkeit" erläutert (B 5 3 f f . / A 3 6 £ f . ) , so weist das auf ein Drittes hin zwischen dem alten Sinn von "realitas" (Sachheit) und dem Begriff der Existenz. Realität qua Wirklichkeit von Sinnlichem meint keine objektive Bestimmung am Ding selbst mehr, aber auch nicht die Intersubjektivität der bestimmten Erscheinungen, sondern die durch das Prinzipiengefüge Sinnlichkeit bedingte Seinsweise alles Räumlichen und Zeitlichen als Vorstellung.

117 Zu D e s c a r t e s ' K r i t i k an der B e s c h r ä n k u n g der V o r s t e l l u n g e n auf bildliche Repräsentanz nach Art der räumlichen Einbild u n g v g l . O e u v r e s d e D e s c a r t e s , a . a . O . , t . V I I , P a r i s 19O4, S. 1 7 9 f . bzw. 181 (V. Hobbes-Einwand und Descartes' Responsio) sowie S . 2 9 1 f . b z w . 3 6 6 ( G a s s e n d i - E i n w a n d z u r I I I . Meditatio und Descartes' Responsio). 118 S. d a z u Pape, T r a d i t i o n und T r a n s f o r m a t i o n der M o d a l i t ä t , a . a . O . , S. 6 7 f . Anm. u. S. 151 - 155. 119 S. dazu H. H o l z h e y , Das philosophische Realitätsproblem. Zu K a n t s U n t e r s c h e i d u n g von R e a l i t ä t und W i r k l i c h k e i t . In: 2OO J a h r e K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t , hg. v . J . K o p p e r , W. M a r x u . J . V u i l l e m i n , H i l d e s h e i m 1981, S . 7 9 - 111, b e s , S. 93 - 1O3. V g l . auch u n t e n 3 . 3 .

1.8.

Übersicht in Thesenform

1. Grundlegend f ü r die ästhetische Beziehung auf den Gegenstand ist das Prinzipiengefüge

Sinnlichkeit. ( 1 . 1 . 3 . )

2. Der sinnliche Ursprung von Erkenntnis(-elementen) bedeutet deren Subjektivität.

(1.1.3.)

3. Prinzipiate der Sinnlichkeit sind die Anschauungen. ( 1 . 2 . ) 4. Raum und Zeit als reine Anschauungen sind die Formprinzipien der Sinnlichkeit und damit aller sinnlichen Erkenntnis.

(1.2.)

5. Aufgrund der Subjektivität der Anschauungen sind sowohl die reinen Formen als auch die empirischen Anschauungen Vorstellungen. ( 1 . 2 . ) 6. Der Gegenbegriff zu Vorstellungen qua sinnlicher Vorstellung eines Gegenstandes ist

das Ding, wie es für sich

bestimmt - "an sich" - existiert. ( 1 . 2 . ) 7. Das Form-Materie-Verhältnis zwischen reinen Anschauungen und empirischen Anschauungen b z w . deren Gegenständen (Erscheinungen) verleiht Raum und Zeit als notwendigen Bedingungen sinnlichen Vorstellens "objektive Gültigkeit" Gegenstände des äußeren und des inneren Sinnes) und

(für

empirische Realität. ( 1 . 3 . ) 8. Gültigkeit und Realität werden Raum und Zeit nach Art der grammatischen Form einer idiomatischen Prädikatsergänzung zugesprochen: festes Verb ( h a b e n ) , keine Pluralbildung, kein Artikel, dazu implizite oder explizite Angabe des Gegenstandsbereichs durch Adjektiv- oder Genetivattribut. (1 . 4 . )

9. Die Prädikation von "objektive Gültigkeit" für Raum und Zeit mit Bezug auf Erscheinungen ist

aufzulösen als Gültig-

keit einer Regel für alle Fälle von innerer und/oder äußer e r Anschauung. ( 1 . 2 . ) 10. Die Prädikation von "objektive Realität" bezeichnet in der Transzendentalen Ästhetik die zurückgewiesene These

Übersicht in Thesenform

11. 12.

13.

14.

15.

16.

17.

81

vom Charakter des Raumes und der Zeit als absolut-realer Bestimmungen (der Dinge an sich). ( 1 . 3 . ) Daneben ist noch eine Auffassung von "objektive Realität" als empirische objektive Realität auszumachen. ( 1 . 3 . ) Der empirischen Realität der sinnlichen Formen entspricht ihre Nicht-Bezüglichkeit auf "Dinge an sich": transzendentale Idealität. ( 1 . 5 . ) Idealität und Realität der Anschauungen stehen im Begründung a Verhältnis: keine empirische Realität ohne transzendentale Idealität. ( 1 . 5 . ) Die Doppelbestimmung von Raum und Zeit begründet den spezifischen Modalstatus der sinnlichen Vorstellungen: Räumliches und Zeitliches ist als Vorstellung wirklich. ( 1 . 6 . ) Der grundlegende sinnliche Gegenstandsbezug besteht in der Prinzipienfunktion von Raum und Zeit als Anschauungsbedingungen für alle Erscheinungen des äußeren und des inneren Sinnes. ( 1 . 5 . ) In einem abgeleiteten Sinn partizipiert das RäumlichÄußere an der Objektivität des Raumes: die sinnliche Wirklichkeit im Raum hat "objektive Realität" im Unterschied zur "subjektiven Realität" des Zeitlich-Inneren. ( 1 . 6 . ) Descartes' Konzept der "realitae objeotiva" einer Vorstellung als der dinglichen "realitas" im Modus ihrer Vorgestelltheit ("esse objective") unterscheidet sich grundsätzlich von Kants Verständnis der "objektiven Realität" von Vorstellungen als deren in Prinzipien gegründeter Bezogenheit auf sinnlich Gegebenes ("objektive Gültigkeit"). (1.7.)

2 . VERSTAND UND OBJEKTIVITÄT

Die Untersuchung des Problems der theoretischen Gegenstandsbeziehung am Leitfaden des Begriffspaares "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" folgt der Kantischen Werkarchitektonik für den Zweiten Teil der Transzendentalen Elementarlehre außer in der Unterscheidung nach Transzendentaler Analytik und Transzendentaler Dialektik auch in der Aufteilung auf der Gliederungsebene der Bücher zwischen Analytik der Begriffe und Analytik der Grundsätze. Die im folgenden zu behandelnde Begriffs-Analytik, eine "Zergliederung des Verstandesvermögens selbst" (B 90/A 6 5 ) , greift auf die Terminologie von "objektive Gültigkeit" und "objektive Realität" im Kontext des Kategorienbegriffs zurück. Ein erster Abschnitt behandelt die Aufgabenbestimmung der Transzendentalen Logik als Kategorienlehre, und dies im Zusammenhang der doppelten Abgrenzung der transzendentalen Logik gegenüber den beiden apriorischen Wissenschaften formale Logik und transzendentale Ästhetik. Es folgt der Abschnitt über die im engeren Sinne so genannte transzendentale Deduktion der Kategorien, deren beide Versionen auf ihren Gegenstandsbegriff hin untersucht werden.

l D a s ä u ß e r e s e c h s s t u f i g e G e f ü g e d e r T e x t p a r t i e n l ä u f t , ausgehend von der G e g e n ü b e r s t e l l u n g T r a n s z e n d e n t a l e E l e m e n t a r l e h r e - Transzendentale Methodenlehre (gekennzeichnet als I. und I I . ) , ü b e r die G l i e d e r u n g s e b e n e n " T e i l " u n d " A b t e i l u n g " z u m " B u c h " und von da ü b e r das " H a u p t s t ü c k " zum " A b s c h n i t t " .

2.1.

Die Idee einer transzendentalen Logik

In der Einleitung zur transzendentalen Logik formuliert Kant "die Idee von einer Wissenschaft des reinen Verstandes und Vernunfterkenntnisses, dadurch wir Gegenstände völlig a priori denken" (B 81/A 57; H . v . m . ) . Diese Einführung der transzendentalen Logik im Modus eines noch problematischen Entwurfs, grammatisch am häufigen Gebrauch des Konjunktivs abzulesen, vollzieht sich im Rahmen eines Analogieschlusses vom Erkenntnisstand der transzendentalen Ästhetik her. War im Fall des Vorstellungstypus "Anschauung" zwischen "reiner" und "empirischer" Anschauung zu unterscheiden - zwischen apriorischem und aposteriorischem Gegenstandsbezug -, so nährt dies die "Erwartung" einer entsprechenden Abgrenzung für den Verstand: " . . . so könnte auch wohl ein Unterschied zwischen r e i n e m u n d e m p i r i s c h e n Denken d e r G e g e n s t ä n d e a n getroffen werden." (B 79f./A 55; H . v . m . )

Eine etwaige der Thematisierung von reiner Anschauung durch die transzendentale Ästhetik parallel laufende Behandlung des "reinen Denkens" ( H . v . m . ) bringt Kant auf jenen Begriff der transzendentalen Logik, dessen beide Bestandteile im Einleitungsteil eigens expliziert werden. "Logik" in genere ("überhaupt") ist die "Wissenschaft der Verstandesregeln" im Unterschied zur "Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit". (B 76/ A 52) Das Spezifische einer transzendentalen Logik liegt in der Behandlung des reinen Denkens bzw. von reinen Begriffen. Allerdings handelt es sich bei dieser Aprioritätsstufe der Verstandesregeln nicht bloß negativ um die Freiheit der intellektuellen Vorstellungen von allem Empirischen (vgl. B 3 ) , sondern positiv um das problematische Vorliegen von "Regeln des reinen Denkens eines Gegenstandes" (B 80/A 5 5 ) . Dieser apriorische Gegenstandsbezug des Denkens unterscheidet die einstweilen nur

Die Idee einer transzendentalen Logik

85

erst problematisch eingeführte Logik der Kritik der reinen Vernunft (und allgemeiner: der Transzendentalphilosophie) vom Typus der "allgemeinen Logik", die als "formale Logik" (B 170/ A 131) von aller "Beziehung (sc. der Erkenntnis) ... auf das Objekt" (B 79/A 55) abstrahiert. Die von Kant herausgestellte Allgemeinheit der formalen Logik besteht in der Beschränkung des RegelInventars auf das "Formale" des Verstandes- und Vermin ftgebr auch s unter Absehung "von allem Inhalt der Verstandeserkenntnis" (B 77/A 53 bzw. B 78/A 6 5 ) . Faßt man den Erkenntnisinhalt extensional als Gegenstand der Erkenntnis, dann kommt die formallogische Abstraktion vom Inhaltlichen dem Absehen von der Gegenstandsbeziehung der Erkenntnis gleich, mindestens aber der systematischen Vernachlässigung der "Verschiedenheit der Gegenstände" (B 7 6 / A 52) zugunsten einer nicht-gegenstandsspezifischen Allgemeinheit. Das zweite zur Kennzeichnung der formalen Logik von Kant herangezogene Bestimmungsstück - daß sie eine "reine" und keine "angewandte" Logik ist (B 7 7 / A 5 2 f . ) - kann hier vernachlässigt werden. Der Unterschied zwischen allgemeiner reiner Logik qua Abstraktion von empirischen Ausführungsbedingungen der allgemein-logischen Verstandesregeln und angewandter allgemeiner Logik qua Konkretion von notwendigen Prinzipien in Hinsicht auf empirisch-zufällige Bedingungen des sie anwendenden Subjekts (B 7 8 f . / A 5 4 f . ) ist für die fällige Abgrenzung der formalen von der transzendentalen Logik nicht einschlägig. Formale wie transzendentale Logik sind nicht-empirisch im Sinne einer (negativen) Reinheit von Empirisch-Aposteriorischem. Während aber der reine qua nicht-empirische Charakter im Fall der formalen Logik zusammenbesteht mit einer Allgemeinheit qua Abstraktion von den Gegenständen und ihrem Unterschied, stellt die - als Idee konzipierte - transzendentale Logik den Fall einer reinen, dabei aber spezifisch gegenstands2 bezogenen Logik dar. Das Allaemein-Reine der "bloßen Form des

2 Vgl. dazu unten 2 . 2 .

86

Verstand und Objektivität

Denkens" (B 78/A 54) ist deshalb wohl zu unterscheiden von jenem "reinen Denken" (B 81/A 5 7 ) , bei dem sich Begriffe " a priori auf Gegenstände beziehen" (B 81/A 5 7 ) . Kant vollzieht die Abgrenzung der beiden Logiken voneinander mittels der negativen Charakterisierung der transzendentalen Logik als "eine(r) Logik, die nicht von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahiert(e)" (B 80/A 55; H . v . m . ) . Dies ließe sich verstehen als Hinweis dara u f , daß eine transzendentale Logik zwar von einem gewissen Inhalt abstrahiert, einen gewissen anderen Inhalt aber gerade berücksichtigt. Der auch in der transzendentalen Logik vernachlässigte Inhalt wäre dann der "empirische Inhalt" (B 80/A 5 5 ) , nach dessen Aufhebung durch Abstraktion die transzendentale Logik immer noch einen nicht-empirischen Inhalt zum Thema hätte. Durch seine apriorische Gegenstandsbeziehung unterschiede sich dieser nicht-empirische Inhalt der transzendentalen Logik von der nicht-empirischen Form der formalen Logik. Damit aber fände jene von Kant mit Bezug auf die Logik überhaupt entwickelte Gegenüberstellung von allgemeinem und besonderem Verstandesgebrauch (B 76/A 52) auf die Differenz von formaler und transzendentaler Logik Anwendung. Die transzendentale Logik wäre dann durchaus eine reine Logik des besonderen Verstandesgebrauchs, insofern sie Regeln angibt, "über eine gewisse Art von Gegenständen richtig zu denken" (B 76/A 5 2 ) . Die Bestimmung der transzendentalen Logik als besonderer reiner Logik sieht sich aber folgenden Einwänden ausgesetzt. Zunächst macht Kant nicht von der Kombination der Kennzeichnungen "reiner" und "besonderer" Gebrauch, und dies schon gar nicht hinsichtlich der Idee einer transzendentalen Logik. Vielmehr stellt er die Kontrastierung von allgemeinem und besonderem Verstandesgebrauch an den Beginn seiner Aufgliederung der "Logik überhaupt", als eine erste Disjunktion, von der im weiteren dann nur das Glied "allgemeine Logik" in die anschließende Unterscheidung nach "rein" und "angewandt" eingebracht wird. (B 77/A 5 2 f . )

Die Idee einer transzendentalen Logik

87

Des weiteren setzt Kant ausdrücklich die Logik des besonderen Verstandesgebrauchs mit dem "Organon dieser oder jener Wissenschaft" (B 76/A 52) gleich. Eine Einordnung der transzendentalen Logik unter die einzelwissenschaftlichen Methodenlehren im Sinne einer "praktischen Logik" (B 736/A 7O8) - würde aber dem spezifischen nicht-formalen und nicht-empirischen Charakter der transzendentalen Logik kaum gerecht. Der skzizzierte Inter pretationsvorschlag (transzendentale Logik als besondere reine Logik) ist wegen der darin liegenden Regionalisierung und Empirisierung der apriorischen Wissenschaft transzendentaler Logik zumindest bedenklich. Kants positive Bestimmung der transzendentalen Logik unterläuft denn auch die für die "Logik überhaupt" vorgegebene Unterscheidung nach "allgemein" und "besonders". Weder handelt es sich um eine formal-allgemeine Untersuchung des Denkens, noch erfüllt der spezifische, nämlich apriorische Gegenstandsbezug des Denkens den Tatbestand einer regional-besonderen Gegenstandswahl. Nicht ein Denken besonderer, reiner Gegenstände wird von Kant entworfen, sondern das "reine Denken eines Gegenstandes". Thema der transzendentalen Logik sind danach nicht spezifische Gegenstände, sondern ein Spezifisches an Gegenständen, genauer: eine spezifische Beziehung auf Gegenstände. Daß Kant bei der Kennzeichnung der transzendentalen Logik auf die Verwendung des Ausdrucks "allgemein" verzichtet und diesen ausschließlich zur Kennzeichnung der allgemeinen und reinen Logik (formale Logik) heranzieht, kann nicht zum indirekten Beleg dienen für eine Auffassung der transzendentalen Logik als besonderer Logik; vielmehr weist das Fehlen der Terminologie von "allgemein" und "besonders" mit Bezug auf die Bestimmung der transzendentalen Logik auf die Irrelevanz dieser Disjunktion im Fall der transzendentalen Logik. Der Unterschied beider Logiken ist sionaler Terminologie, als Differenz Wissenschaft, anzugeben, sondern nur Abgrenzung der jeweiligen reflexiven

überhaupt nicht in extenim Umfang der jeweiligen durch eine gegenseitige Einstellung zu den Erkennt-

88

Verstand und Objektivität

nissen (von Gegenständen). Für die transzendentale Logik stellt Kant in einer Anmerkung (B 8 O f . / A 5 6 f . ) den spezifischen Reflexionscharakter der transzendentalen Logik heraus. Es gilt: " . . . daß nicht eine jede E r k e n n t n i s a priori, sondern nur d i e , dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse V o r s t e l l u n g e n ( A n s c h a u u n g e n oder B e g r i f f e ) l e d i g l i c h a p r i o r i a n g e w a n d t w e r d e n , oder m ö g l i c h s i n d , t r a n s z e n d e n t a l . . . h e i ß e n m ü s s e . " ( B 8O/A 5 6 )

Das Gegensatzpaar "transzendental" - "empirisch" kommt nicht auf der Ebene der apriorischen bzw. aposteriorischen Beziehung von Erkenntnissen "auf ihren Gegenstand" (B 80/A 56) zur Anwendung, sondern es figuriert auf einer reflexiven Ebene, die 4 genau diese Beziehung ihrer Möglichkeit nach thematisiert. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen kann nun übergegangen werden zu jener einschlägigen Stelle, an der Kant die problematisch entworfene transzendentale Logik bestimmt als eine " W i s s e n s c h a f t , welche den Ursprung, den Umfang und die o b j e k t i v e G ü l t i g k e i t solcher E r k e n n t n i s s e ( s c . dadurch wir Gegenstände völlig a priori denken) bes t i m m t e . " (B 81/A 57)

Mögen die damit genannten drei Themenbereiche einer transzendentalen Logik auch im Zusammenhang untereinander stehen, so ist doch zumindest eine begriffliche Verschiedenheit anzusetzen. Das Problem des "Ursprungs" der in Frage stehenden Erkenntnisse b e t r i f f t die Schwierigkeit, Begriffe nachzuweisen, "die sich a priori auf Gegenstände beziehen" (B 81/A 5 7 ) , ohne doch ihren Ursprung in Gegenständen zu haben. Vielmehr soll dieser Ursprung gerade im reinen Denken liegen. Problem ist hier die Subjektsursprünglichkeit des denkenden Bezugs auf Gegenstände.

3 Zum f o r m a l l o g i s c h e n V e r f a h r e n der R e f l e x i o n v g l . B 3 1 6 f f . / A 2 6 O f f . ; f e r n e r AA IX, 94 ( J ä s c h e - L o g i k ) . 4 Kant thematisiert die spezifische R e f l e x i v i t ä t der transzend e n t a l e n K r i t i k u n t e r dem Titel " t r a n s z e n d e n t a l e R e f l e x i o n " ; vgl. B 3 1 8 f . / A 2 6 2 f .

Die Idee einer transzendentalen Logik

89

Ein Empirismus, der den Bezug von dem Gegenstand her angeht, kommt wegen der prätendierten Apriorität der Begriffe einer transzendentalen Logik nicht in Frage. Was den "Umfang" der fraglichen Erkenntnisse angeht, so kommt dies dem Problem gleich, ob und was apriorische, subjektsursprüngliche Erkenntnisse über Gegenstände ausmachen können. Dies betrifft die Extension der transzendentalen Logik, genauer: ihrer Erkenntnisse. Lassen sich die BeStimmungsstücke "Ursprung" und "Umfang" noch eindeutig dem kritischen Programm einer "Beurteilung der reinen Vernunft" nach "Quellen und Grenzen" (B 25/A 11) zuordnen, so fehlt beim Thema der "objektiven Gültigkeit" derjenigen Erkenntnisse, "dadurch wir Gegenstände völlig a priori denken", die unmittelbare Beziehbarkeit auf die Terminologie der Aufgabenstellung der Kritik. Nun ist aber die Untersuchung von "Ursprung" und "Umfang" von Erkenntnissen kein ausschließliches Anliegen einer transzendentalen Logik, sondern ein solches Vorhaben kann auch die Fragestellung anderer Wissenschaften charakterisieren. Demgegenüber besteht beim Thema "objektive Gültigkeit" eine spezifische Zugehörigkeit zum Projekt einer transzendentalen Logik. Das Auszeichnende der von der transzendentalen Logik behandelten Erkenntnisses ist ja gerade die Verbindung von Apriorität qua Subjektivität (Subjektsursprünglichkeit) von intellektuellen Vorstellungen mit deren Beziehung auf den Gegenstand. Versteht man diese Beziehung von Erkenntnissen als deren "objektive Gültigkeit", dann ließe sich das Programm einer transzendentalen Logik formulieren als Bestimmung der apriorischen Begriffe einerseits nach ihrem Ursprung im Subjekt und andererseits nach der Art ihrer Beziehung auf den Gegenstand, durch den diese Begriffe bei aller Subjektivität doch "objektive Gültigkeit" haben. Der weitere Verlauf der Analytik der Begriffe bestätigt diese Deutung des transzendentallogischen Programms: das LeitfadenHauptstück exponiert zunächst ein systematisches Verzeichnis

90

Verstand und Objektivität

der Formen zu Urteilen, bezieht diese dann über die These vom Ursprung der reinen Verstandesbegriffe in einer mit den elementaren logischen Formen identischen Funktion auf die Kategorien - mit dem Ergebnis, ihre Zahl und Anordnung in einer "Tafel" vorzustellen. Die transzendentale Deduktion schließlich begründet die "objektive Gültigkeit" dieser Kategorien. Während die Themen "Ursprung" und "Umfang" als Untersuchungen über die Subjektivität der reinen Begriffe zusammengehören, hebt sich der Themenbereich "objektive Gültigkeit" durch den Ausgriff auf den Objektbereich ab. Die skizzierte Zweiteilung führt so direkt auf das Folgeproblem des Zusammenhangs zwischen der Nachweisbarkeit der fraglichen Erkenntnisse ihrem Ursprung und Inhalt nach einerseits und ihrer "objektiven Gültigkeit" nach andererseits. "Objektive Gültigkeit" von Erkenntnissen läßt sich nämlich nicht wie die Bestimmung des Umfangs von Erkenntnissen extensional und quantifizierbar a u f f a s s e n ? sie ist nicht teilbar. "Objektive Gültigkeit" als Thema einer transzendentalen Logik behandelt also den Gegenstandsbezug von reinen Begriffen und gibt damit eine Antwort auf die Frage, was die Rede von der "Beziehung auf den Gegenstand" im Fall der subjektsursprünglichen Begriffe meint.

2 . 2 . Eine "Logik der Wahrheit" Kant stellt formale und transzendentale Logik noch einmal gegenüber bei der parallelen Einteilung beider Wissenschaften in je eine Analytik und Dialektik. (B 8 2 f f . / A 5 7 f f . bzw. B 8 7 f f . / A 6 2 f f . ) Die beiden Logiken werden dabei vom Begriff der Wahrheit her unterschieden. Einschlägig für das Problem der Gegenstandsbeziehung sind diese Ausführungen, weil ihnen eine korrespondenztheoretische Auffassung von Wahrheit zugrundeliegt, nach der diese in der "Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstande" (B 83/A 58) besteht. Vergegenwärtigt man sich die Abgrenzung der transzendentalen Logik von der formalen Logik über den Gedanken der Gegenstandsbeziehung bzw. der "objektiven Gültigkeit" von Erkenntnissen, dann stellt sich mit Bezug auf die formale Logik die Frage nach deren möglichem Beitrag zum Wahrheitsproblem. Wahrheit der Erkenntnis im Sinne ihrer Übereinstimmung mit dem Gegenstand setzt ja die Erwägung gerade jener Dimension des Objektiven voraus, von der die formale Logik prinzipiell abstrahiert Kant faßt das Verhältnis der formalen Logik zum Wahrheitsbeg r i f f im Gedanken der logischen Unmöglichkeit, ein hinreichendes, allgemeines Kriterium für "positive" oder "materielle (objektive) Wahrheit" (B 85/A 60) anzugeben. Der Formalcharakter der allgemeinen reinen Logik gestattet lediglich die Aufstellung eines formalen, notwendigen Wahrheitskriteriums in Gestalt der formallogischen Gesetze als der "negative(n) Bedingung aller Wahrheit" (B 8 4 / A 5 9 f . ) .

5 Zur historisch-systematischen I d e n t i f i k a t i o n der k r i t e r i o logischen W a h r h e i t s f r a g e vgl. G. Prauss, Zum Wahrheitsproblera b e i K a n t . I n : d e r s . ( H g . ) , K a n t . Z u r D e u t u n g s e i n e r Theorie von E r k e n n e n und H a n d e l n , Köln 1973, S. 73 - 89, b e s . S. 74 u. S. 85 A n m . 16.

92

Verstand und Objektivität

Die Restriktion der formalen Logik auf nur negativ-notwendige Wahrheitsbedingungen ("Form der Wahrheit"; B 84/A 59) und ihre prinzipielle Unzulänglichkeit bei der inhaltlich-objektiven Unterscheidung von Wahrheit und Falschheit bedingen die Qualifikation dieser Logik zu einer bloßen Prüfungsinstanz für die formale Wahrheit anderweitig begründeter Erkenntnisse ("Kanon zur Beurteilung", kein "Organen zur wirklichen Hervorbringung"; B 85/A 6 1 ) . Der in diesem Zusammenhnag von Kant gebrauchte Begriff einer "Logik des Scheins" bezeichnet die nur scheinbar oder dialektisch zur positiven Erkenntniserweiterung geeignete formale Logik bzw. die Kritik solchen Mißbrauchs. Die "Einteilung der transzendentalen Logik in die transzendentale Analytik und Dialektik" (B 87/A 62) läuft der Disposition der formalen Logik nach Kanonteil und Organonteil (bzw. Kritik des Mißbrauchs als Organon) parallel. Den negativen formalen Bedingungen des Denkens entsprechen jene Prinzipien der transzendentalen Analytik, "ohne welche überall kein Gegenstand gedacht werden kann" (B 87/A 62; H . v . m . ) . Solche Prinzipien formulieren die notwendigen Bedingungen, Gegenstände zu denken, d.h. die Bedingungen der Beziehung von intellektuellen Erkenntnisbestandteilen auf Gegenstände. Das Auszeichnende einer transzendentalen Analytik liegt im notwendigen Bedingungsverhältnis ihrer Prinzipien zum Inhalt der Erkenntnis und nicht etwa, wie im Fall der formalen Logik bloß zu ihrer Form; der transzendentalen Analytik " . . . k a n n k e i n e E r k e n n t n i s w i d e r s p r e c h e n , ohne d a ß s i e z u g l e i c h a l l e n Inhalt v e r l ö r e , d . i . a l l e B e z i e h u n g a u f i r g e n d e i n Objekt, m i t h i n a l l e W a h r h e i t . " (B 87/A 6 2 f . ; H . v . m . )

Die Gleichsetzung von Inhaltlichkeit, Gegenstandsbeziehung und Wahrheit einer Erkenntnis sowie Kants Kennzeichnung der transzendentalen Analytik als "eine(r) Logik der Wahrheit" (B 87/ A 62) hat G. Prauss zum Beleg einer Interpretation herangezogen, derzufolge die mögliche bzw. unmögliche Angebbarkeit eines hinreichend-allgemeinen Wahrheitskriteriums selber Kriterium für den Unterschied zwischen transzendentaler und formaler

Eine "Logik der Wahrheit"

93

Logik sein soll. Prauss möchte die kriteriologisch gefaßte Wahrheitsfrage ausschließlich der transzendentalen Logik zuordnen, weil in dieser allein die Frage nach der Wahrheit sinnvoll zu stellen und eine befriedigende Antwort möglich sei. Gegen die Unterscheidung von formaler und transzendentaler Logik über die Abgrenzung eines formalen, nur notwendigen, von g einem inhaltlichen zureichenden Wahrheitskriterium ist von 9 H. Wagner geltend gemacht worden, daß logische Widerspruchsfreiheit im Gedanken eines allgemeinen Kriteriums der Wahrheit streng allgemein aufzufassen sei, und nicht etwa allein die formale Logik betreffe. Damit wird der Parallelität von formallogischem und transzendentallogischem Kanon Rechnung getragen. So wie die Analytik der allgemeinen Logik "bloß ein Kanon zur Beurteilung ist" (B 85/A 6 1 ) , bildet auch die transzendentale Analytik "nur ein(en) Kanon der Beurteilung des empirischen Gebrauchs" (B 88/A 63) von reinen Begriffen. Um - über die Parallelität beider Logiken hinaus - den spezifischen Beitrag der transzendentalen Analytik zur Theorie der Gegenstandsbeziehung herauszuarbeiten, hatte Prauss Kants Rede von einer "Logik der Wahrheit" als ausschließliche Kennzeichnung des analytischen Teils der transzendentalen Logik gefaßt, mit dem Argument, von Wahrheit qua Erkenntnisbeziehung auf den Gegenstand könne die formale Logik schlechterdings nicht handeln. Letztere sei vielmehr im Hinblick auf ihre Bedingungsfunktion für die Nicht-Falschheit von Erkenntnissen mit der Bezeichnung "Logik der Falschheit" zu versehen. Prauss geht so weit, einen doppelten Gebrauch des Titels "Logik der Wahrheit" anzusetzen; 1 2 zum einen - und dies gerade im Fall der

6 7 8 9

Vgl. Prauss, Zum Wahrheitsproblem, a . a . O . , S. 7 6 f f . V g l . e b e n d a , S. 78. V g l . e b e n d a , S. 77. Zu K a n t s A u f f a s s u n g b e z ü g l i c h des V e r h ä l t n i s s e s von F o r m a l und T r a n s z e n d e n t a l l o g i k , In: Arch. f. Gesch. d. P h i l . 68 ( 1 9 7 7 ) , S. 71 - 76, b e s . S. 7 4 f . 10 V g l . P r a u s s , Z u m W a h r h e i t s p r o b l e m , a . a . O . , S . 8 2 f . 11 V g l . e b e n d a , S. 83. 12 V g l . e b e n d a , S. 88 A n m . 6O.

94

Verstand und Objektivität

formalen Logik - in Gegenstellung zur "Logik des Scheins", zum anderen - und dies bezogen auf die transzendentale Logik und auch deren Einteilung in Analytik und Dialektik übergreifend im Unterschied zur "Logik der Falschheit", d . i . zur formalen Logik als solcher. All dies mag textphilologisch schwer zu rechtfertigen sein spricht doch Kant eher nur nebenher und zusätzlich der transzendentalen Analytik zu, "zugleich eine Logik der Wahrheit" ( H . v . m . ) zu sein. Der unbestimmte Artikel weist ganz auf jenes plurale Verständnis des Logikbegriffs (Logiken) hin, das die Einleitung zur Transzendentalen Logik insgesamt durchzieht. Vertritt man die Exklusivität des Titels für die transzendentale Logik, so wäre auch zu bedenken, daß im Horizont des bloßen Denkens die Wahrheit bzw. Gegenstandsbeziehung von Erkenntnissen hinreichend gar nicht zu begründen ist. Vielmehr gehört dazu wesentlich der Gebrauch durch Anwendung dergestalt, "daß uns Gegenstände in der Anschauung gegeben" (B 87/A 63) sein müssen. Insofern hätte die "Logik der Wahrheit" ihre notwendige Ergänzung in einer 'Ästhetik der Wahrheit, eben der Wissenschaft von den Bedingungen, ohne welche kein Gegenstand angeschaut werden kann. Gegenüber einer formallogischen Analytik wie auch einer transzendentalen Ästhetik ist die transzendentale Analytik nur dadurch exklusiv als die "Logik der Wahrheit" abzusetzen, daß man den vollständigen Erkenntnisbegriff der transzendentalen Deduktion und der Analytik der Grundsätze zugrundelegt und so die "Logik der Wahrheit" mit der Wissenschaft von den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung gleichsetzt. Dann nämlich formuliert die transzendentale Analytik in der Tat Bedingungen, ohne die alle Erkenntnis ihre Beziehung auf Gegenstände verliert, und in diesem Fall formuliert die transzendentale Analytik auch jene Bedingungen, durch die sich Erkenntnisse überhaupt erst auf Gegenstände beziehen. Ebendiese Interpretation wählt Prauss, der die Wahrheit der transzendentalen Analytik mit einer späteren Stelle (B 185/A 1 4 6 ) durch "transzendentale Wahrheit" erklärt und so die transzendentale Logik der Wahrheit

Eine "Logik der Wahrheit"

95

als Logik der transzendentalen Wahrheit a u f f a ß t . Freilich gibt diese Wendung Gelegenheit,analog auch die formale Logik im Sinne einer Logik der formalen Wahrheit zu fassen; diese ihre Wahrheit vermöchte dann auch die formale Logik hinreichend zu begründen. Der systematische Beitrag der Prauss 1 sehen Interpretation der transzendentalen Analytik als Wahrheitslogik liegt nun aber, jenseits philologischer und unmittelbar textbezogener Einwände, im Gedanken einer "Logik der Währheitsdifferenz" 14 Die durch die Prinzipien der transzendentalen Analytik notwendig und hinreichend ermöglichte Wahrheit von Erkenntnis ist gar nicht schon deren jeweilige, zufällige "empirische Wahrheit" (B 236/A 191; B 247/A 202; B 520/A 4 9 2 ; B 679/A 6 5 1 ) , und die begründete Gegenstandsbeziehung ist nicht schon die Erkenntnis einzelner empirischer Gegenstände; transzendentallogisch begründet wird nur die Möglichkeit von Wahrheit bzw. wahrer Erkenntnis, und zwar ineins mit der Begründung der Möglichkeit von Falschheit bzw. falscher Erkenntnis. Thema der transzendentalen Wahrheitslogik ist die der Spezifikation von wahrer und falscher (empirischer) Erkenntnis gattungsmäßig voraufliegende Ermöglichung jeder Gegenstandsbeziehung. Gegen die transzendentale Wahrheit der Prinzipien steht noch der transzendentale Schein, den Prauss jenseits der Wahrfalsch-Alternative lokalisiert. Urteile von transzendentalem Schein sind sinnlos oder, mit Kant, "grundlos" (B 88/A 64; B 490/A 150). 1 6 13 V g l . e b e n d a , S. 8 3 f . u. S. 88 A n m . 6O. 14 E b e n d a , S. 84 ( H . v . m . ) 15 Z u r " G l e i c h u r s p r ü n g l i c h k e i t " v o n W a h r h e i t u n d F a l s c h h e i t v g l . M . H e i d e g g e r , Sein u n d Z e i t , 1 4 . A u f l a g e , T ü b i n g e n 1977, S. 2 2 2 . 1 6 P r a u s s , Zum W a h r h e i t s p r o b l e m , a . a . O . , S . 8 9 A n m . 6 8 ; f ü r e i ne formallogische Kritik an P r a u s s ' Subsumtion der widersprüchlichen Urteile unter die transzendental wahren Urteile vgl. R. Stuhlmann-Laeisz, Kants Logik. Eine Interpretation auf der Grundlage von Vorlesungen, v e r ö f f e n t l i c h t e n Werken und N a c h l a ß , B e r l i n / N e w York 1976, S. 2 1 f f . , bes. S. 51 Anm. 2; für eine M e t a k r i t i k s. G. Schönrich, Kategorien und transzendentale Argumentation. Kant und die Idee einer trans z e n d e n t a l e n S e m i o t i k , F r a n k f u r t / M . 1981, S . 3 9 f .

96

Verstand und Objektivität

Der Entlastung des Wahrheitsbegriffs der transzendentalen Analytik von der Begründung der faktischen Wahrheit empirischer Erkenntnis entspricht genau die Zurücknahme der Gegenstandsbeziehung zur "Beziehung auf irgendein Objekt" (B 87/A 63;H.v.m.). Eingeführt ist damit nichts weniger als eine Doppelung im Verständnis von Wahrheit bzw. Erkenntnis. Außer den empirischen Erkenntnissen und deren je einzelner empirischer Wahrheit oder Falschheit ist - diese prinzipiierend - noch eine die Wahrfalsch-Disjunktion allererst bedingende Gegenstandsbeziehung anzusetzen, bei der die Erkenntnis sich im Modus der transzendentalen Wahrheit auf die Gegenstände ihrer Möglichkeit nach, auf Gegenständlichkeit bezieht. Zu fragen wäre allerdings, ob solche prädisjunktive Wahrheit überhaupt noch in terminologischer Orientierung am Modell der empirischen Wahr-falschErkenntnis formuliert werden dürfte. Gegenstandsbeziehung im Sinne einer Beziehung auf mögliche Gegenstände ist eher als mögliche Beziehung auf Gegenstände zu lesen, um jede quasiempirische Auffassung der Prinzipien - Hypostasierung der Gegenständlichkeit zum Gegenstand - auszuschließen. Die spätere Behandlung der Kantischen Theorie des "transzendentalen Gegenstandes" wird dies zu berücksichtigen haben. Die skizzierte geltungstheoretische Auffassung der Aufgabenstellung einer transzendentalen Analytik gibt der Untersuchung der theoretischen Gegenstandsbeziehung eine Differenzierung vor, nach der zwischen einem empirischen und einem transzendentalen Begriff von Gegenstandsbeziehung zu unterscheiden ist, je nach dem, ob von der faktischen Beziehung von Erkenntnissen auf Gegenstände oder von deren Begründung im Sinne einer prinzipiellen Beziehbarkeit von Erkenntnis auf "den Gegenstand" gehandelt wird.

17 Zum B e g r i f f der G e l t u n g und seiner r e f l e x i o n s t h e o r e t i s c h e n Begründung im "fundamentallogischen S u b j e k t s b e g r i f f " vgl. H. W a g n e r , Philosophie und R e f l e x i o n , München/Basel 1967, S. 4 8 f f . , bes. S. 59.

2 . 3 . Der "transzendentale Inhalt" Die beiden nach Maßgabe des kriteriologisch gefaßten Wahrheitsbegriffs unterschiedenen Typen einer formalen und transzendentalen Logik werden von Kant in ein positives Verhältnis gesetzt durch die Konzeption des "Leitfadens der Entdekcung aller reinen Verstandesbegriffe" (B 91/A 6 6 ) . Der spezifische Theoriestatus eines genetischen Systemzusammenhangs der transzendentalphilosophischen Grundbegriffe als Hervorbringungen des reinen Verstandes selbst (B 92/A 67) verlangt die Aufstellung dieser Elementarbegriffe nach einem Prinzip und damit ihre Inventarisierung in einem nach Anzahl und Position der 18 Elemente wohlbestimmten System. Dieses transzendentale System der reinen Verstandesbegriffe - die "Tafel der Kategorien" (B 106/A 8O) - gewinnt Kant durch den Nachweis eines Verhältnisses der Identität zwischen den Formen (Funktionen) formallogischen Urteilens und transzendentallogischer Begriffsbildung: "Dieselbe F u n k t i o n , w e l c h e d e n v e r s c h i e d e n e n V o r s t e l l u n g e n in einem Urteile E i n h e i t g i b t , d i e gibt a u c h d e r b l o ß e n S y n t h e s i s v e r s c h i e dener V o r s t e l l u n g e n in einer Anschauung E i n heit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt." (B lO4f./A 79)

Die Einsicht in die strenge Identität von Urteils- und Begriffsfunktionen dient insofern zum "transzendentalen Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe" (B 92/A 6 7 ) , als die "transzendentale Tafel aller Momente des Denkens in den

18 Zur B e d e u t u n g der K a t e g o r i e n t a f e l v g l . I. H e i d e m a n n , Die Kategorientafel als systematische Topik. I n i Akten des 4. i n t e r n a t i o n a l e n K a n t - K o n g r e s s e s M a i n z 6. - 1O. A p r i l 1 9 7 4 , B e r l i n / N e w Y o r k 1 9 7 4 , Teil I I I , S. 55 - 66; d i e s . , ü b e r die methodische Funktion der K a t e g o r i e n t a f e l . Zum Problem der "eigentümlichen Methode einer Transzendentalphilosophie". In: 2OO Jahre K r i t i k der reinen V e r n u n f t , hg. v. J. Kopper, W. Marx u . J . V u i l l e m i n , H i l d e s h e i m 1981, S . 4 3 - 7 8 .

98

Verstand und Objektivität

Urteilen" (B 95/A 70) - die in der Literatur so genannte "Urteilstafel" - in die Kategorientafel übergeführt werden 19 kann. Auf der Grundlage der Leitfadenkonzeption verlagert sich so die Beweislast für den Systemcharakter der Kategorientafel auf die, von Kant nicht eigens problematisierte, Vollständigkeit sowie Disposition seiner Urteilstafel. Über den transzendentalphilosophischen Entdeckungszusammenhang (ordo cognoscendi) hinaus ist für das Problem der Gegenstandsbeziehung der sachliche Zusammenhang von formaler und transzendentaler Logik bzw. des je vorliegenden unterschiedlichen Verstande sgebrauch s (ordo essendi) von Belang. Nicht weniger als der von Reich rekonstruierte "Vollständigkeitsbeweis" für die Kantische Urteilstafel ist auch Reichs Ausweisung des Lehrstücks von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption (B 1 3 3 f f . ) als zuständig schon für den formalen Verstandesgebrauch (formale Logik) bis heute Gegenstand von Kritik und Metakritik geblieben. Allgemein anerkannt ist aber die ebenfalls auf Reich zurückgehende Einsicht, daß die Unterscheidung der formalen von der transzendentalen Logik nicht der inhaltlich bestimmten Disjunktion von analytischen und synthetischen Urteilen folgt. Dieser Forschungsmeinung gegenüber verweist Reich auf die Unfähigkeit

19 V g l . dazu b e s o n d e r s die k l a s s i s c h e A r b e i t von K. Reich ( D i e Vollständigkeit der kantischen Urtei1stafel, Berlin 1932), auf die auch der Terminus " U r t e i l s t a f e l " zurückgehen d ü r f te. S. außerdem H . J . Paton, Formal and transcendental logic. In: Kant-Studien 49 ( 1 9 5 7 / 5 8 ) , S. 245 - 263 (Bezugnahme auf Reich S. 255 u. S. 2 6 1 ) ; f e r n e r F. G r a y e f f , The relation of transcendental and formal logic. In: Kant-Studien 51 (1959/ 6 O ) , S. 349 - 3 5 2 . 20 V g l . R e i c h , D i e V o l l s t ä n d i g k e i t , a . a . O . , S . 8 8 - 9 5 ; k r i tisch dazu L. K r ü g e r , Wollte Kant die Vollständigkeit seiner U r t e i l s t a f e l beweisen? In: Kant-Studien 59 ( 1 9 6 8 ) , S. 333 - 356; vgl. aber auch die V e r t i e f u n g des R e i c h ' s c h e n Programms durch W. Schönrich, Kategorien, a . a . O . , S. 94 l 16. 21 V g l . R e i c h , Die V o l l s t ä n d i g k e i t , a . a . O . , S. 33 - 46, bes. S. 45; s. dazu k r i t i s c h H. L e n k , K r i t i k der logischen Konstanten. Philosophische Begründungen der Urteilsformen vom I d e a l i s m u s b i s z u r G e g e n w a r t , B e r l i n 1968, S . 5 - 4 5 . 22 V g l . R e i c h , D i e V o l l s t ä n d i g k e i t , a . a . O . , S . 5 - 2 5 .

Der "transzendentale Inhalt"

99

der inhaltsabstrakten formalen Logik, auch nur vom Typus des analytischen Urteils als eines inhaltlich bestimmten Urteils zu wissen. Die weitergehende These Reichs vom synthetischen Charakter auch der formallogischen Urteilsform wird in ihrer Bedeutung für den Gegenstands- und Urteilsbegriff der Kategoriendeduk24 tion noch zu erörtern sein. Hier ist zunächst nur von Interesse, daß die Bestimmung von Urteil und Begriff mittels der Unterscheidung von analytischer und synthetischer Einheit (B 105/A 79) nicht der Typologie der Urteile nach dem inhaltlichen Subjekt-Prädikat-Verhältnis folgen kann, sondern im Sinne der Verstandeshandlungen Analysis und Synthesis gefaßt werden muß. Zwischen Analysis und Synthesis besteht nun ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis} keine Analysis ohne vorgängige Synthesis. (B 130) Für die analytisch prozedierende allgemeine Logik bedeutet dies die pure Formalität ihrer Verstandesregeln verbunden mit notwendiger Verwiesenheit auf ein "anderwärts" (B 102/A 76) gegebenes Material. Verhält sich die formale Logik indifferent gegen das in ihren Formen Geregelte, so verfügt die transzendentale Logik über ein ihr durch die transzendentale Ästhetik Vorgegebenes: das "Mannigfaltige der Sinnlichkeit a priori" (B 102/A 7 6 ) . Auch im Falle der transzendentalen Logik kommt das logische Regelsystem nicht selbst für Stoff und Inhalt auf; doch im Unterschied zur Beliebigkeit des Materials für die formale Logik stehen die transzendentallogischen Grundbegriffe im prinzipiellen Verhältnis zu einem ihnen zwar nicht angehörigen, wohl aber a priori zugehörigen Gegenstand, dem reinen "Ange, ^.„25 bot" Das Verhältnis der transzendentalen Verstandesformen zum reinen sinnlichen Material faßt Kant von seiten der Sinnlichkeit als Rezeptivität bzw. Affektion und von seiten des Ver23 V g l . e b e n d a , S. 4O - 46 . 24 Vgl. unten 2 . 4 . 4 . 25 S . auch M . H e i d e g g e r , K a n t u n d d a s P r o b l e m d e r 4 . , e r w . A u f l a g e , F r a n k f u r t / M . 1 9 7 3 , S . 1O4.

Metaphysik,

TOO

Verstand und Objektivität

Standes als Spontaneität bzw. Funktion. (B 93/A 68; B 1O2/A 77) Dabei stellt die durch das Denken vollzogene Aneignung des Sinnlich-Zugehörigen eine Handlung oder Synthesis dar, welche in Beziehung auf das a priori vorgegebene Mannigfaltige die Form einer reinen Synthesis hat. (B 1O3/A 77) Der "Synthesis überhaupt" und "in der allgemeinsten Bedeutung" (B 1O3/A 7 8 f . ) weist Kant die drei Aufgaben des Durchgehens, Aufnehmens und Verbindens der Mannigfaltigkeit zu. Leistung der Synthesis ist die Vereinigung der Erkenntnisbestandteile "zu einem gewissen Inhalte" (B 103/A 7 8 f . ) . Allerdings hat man von diesem "ersten Ursprung unserer Erkenntnis" noch die "Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung" zu unterscheiden, bei der es sich um die "auf Begriffe" gebrachte Synthesis handelt. Kant identifiziert die Zweiteilung in Synthesis überhaupt und Synthesis nach Begriffen (B 1O4/A 79) mittels zweier getrennter Funktionen der "Seele" bzw. - nach einer hand26 schriftlichen Korrektur Kants - des "Verstandes": Einbildungskraft und (eigentlicher) Verstand. Den inhaltlichen Ursprung von Erkenntnis durch Synthesis faßt Kant für die in der transzendentalen Logik auf Begriffe gebrachte reine Synthesis als Hervorbringung eines "transzendentalen Inhaltes": " D e r s e l b e V e r s t a n d ..., u n d z w a r durch eben d i e s e l b e n Handlungen, wodurch er in B e g r i f f e n , vermittelst der a n a l y t i s c h e n E i n h e i t , d i e l o g i s c h e Form eines U r t e i l s zustande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des M a n n i g f a l t i g e n in der Anschauung ü b e r h a u p t , in seine Vorstellungen einen transzendental e n I n h a l t . . . " ( B 105/A 7 9 )

Geht man der Parallelkonstruktion von funktional identischem logisch-formalem und transzendental-realem Verstandesgebrauch nach, so zeigt sich als Gegenstück des Ausdrucks "transzendentaler Inhalt" die Wendung "logische Form".

26 Vgl. AA X X I I I ,

45.

Der "transzendentale Inhalt"

101

Kant vergleicht im Leitfadenprinzip die formallogische Urteilsbildung mit der transzendentallogischen Begriffsbildung. Der Vergleich kompliziert sich allerdings durch den Umstand, daß auch die Bildung von Urteilen im Gebrauch von Begriffen besteht. (B 93/A 68) Das eigentliche Vergleichsthema ist insofern der formallogische und der transzendentallogische Begriff des Begriffs. Unter Heranziehung von Kants formaler Logik, wie sie in der von Jäsche herausgegebenen Logik-Vorlesung vergleichsweise 27 authentisch zur Verfügung steht, gilt für den Vorgang der formallogischen Begriffsbildung: 1. " D i e Form eines B e g r i f f s als e i n e r d i s c u r s i v e n Vorstellung ist jederzeit gemacht."28 2. "Der U r s p r u n g der B e g r i f f e der b l o ß e n Form nach beruht auf R e f l e x i o n und auf der A b s t r a c t i o n von dem U n t e r s c h i e d e d e r D i n g e , d i e d u r c h e i n e g e w i s s e Vorstellung bezeichnet sind."29

Kants Auslassung in § 1O, "es können keine Begriffe dem Inhalte nach analytisch entspringen" (B 1O3/A 77) hat 2 unterschiedliche positive Bestimmungen zum Korrelat: 1. Dem Inhalt nach entspringen alle Begriffe synthetisch, mittels der synthetischen Einheit. 2. Der logischen Form nach entspringen alle Begriffe analytisch. Während die formale Logik den Formursprung der Begriffe durch Reflexion thematisiert, behandelt die transzendentale Logik den inhaltlichen Ursprung aller Begriffe durch Grundbegriffe reiner Synthesis (Kategorien). Den prinzipiellen inhaltlichen Ursprung aller Begriffe im ursprünglichen Inhalt der reinen Verstandesbegriffe faßt Kant mit dem Ausdruck "transzendentaler Inhalt". Der Ausdruck bestimmt die spezifische Leistung der transzendentalen Logik in

27 Der K r i t i k R e i c h s an der Z u v e r l ä s s i g k e i t des K o m p e n d i u m s (Die Vollständigkeit, a . a . O . , S. 2 4 f . ) ist allerdings zuzustimmen . 28 AA IX, 93. 29 E b e n d a .

102

Verstand und Objektivität

Gegenstellung zum jeweiligen besonderen Inhalt anderer Wissenschaften und zur allgemeinen Formalität der formalen Logik. Zu fragen ist aber nach dem Zustandekommen dieses "transzendentalen Inhalts", zumal er sich derselben Funktion verdanken soll, aus der mutatis mutandis die "logische Form eines Urteils" hervorgeht. Der "transzendentale Inhalt" der Kategorien gründet in der Synthesis des "Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt", insofern die schon im Urteil vorliegenden Verstandesfunktionen bei der Einheitsleistung an den "verschiedenen Vorstellungen in einer Anschauung" als jene reinen Verstandesbegriffe fungieren, "die a priori auf Objekte gehen" (B 105/A 7 9 ) . Die prinzipielle Verschiedenheit des Produkts (logisch-analytische Urteilsform bzw. transzendental-synthetischer Verstandesbegriff) bei identischen Verstandesfunktionen ist festzumachen am Eintritt der Synthesis, also der Funktion der Einbildungskraft, durch die noch vor aller begrifflichen Einheit der "gewisse Inhalt" entspringt. Für das Verhältnis zwischen Urteilsform und Kategorie legt dies nahe, daß dieselbe Verstandesfunktion je nach Gebrauchskontext auf unterschiedliche Weise zur Anwendung kommt und über eine jeweils unterschiedliche Benennung identifiziert wird. Die Rede vom "transzendentalen Inhalt" hätte dann die Aufgabe, die Verstandesfunktion über ihre aufgrund der EinbildungskraftSynthesis notwendige Ausrichtung auf Objekte (Anschauungsmannigfaltiges) als Begriffe von Gegenständen einzuführen. Allerdings unterläuft die über den "transzendentalen Inhalt" der Kategorien diesen eo ipso zugesprochene Objektbeziehung Kants spätere Unterscheidung der reinen Verstandesbegriffe als "Notionen" (B 377/A 32O) von den Kategorien mit ihrem eigens zu deduzierenden notwendigen Anschauungsbezug (B 122/A 8 9 f . ) . Das schon ursprünglich gegebene Verhältnis der Kategorien zur Anschauung

30 Man b e a c h t e das z w e i m a l i g e A u f t r e t e n des " h e i ß e n " Zusammenhang (B l O 4 f . / A 7 9 ) .

in d i e s e m

Der "transzendentale Inhalt"

103

("transzendentaler Inhalt") würde so dem gesamten Unternehmen der transzendentalen Deduktion und dem nachfolgend-ergänzenden transzendentalen Schematismus die Pointe eines allererst zu garantierenden Zusammentreffens von Kategorie und Anschauung nehmen. Will man von dem Gedanken des "transzendentalen Inhalts" der Kategorien die Antizipation des Beweisresultats der transzendentalen Analytik fernhalten, so bleibt als Minimalinterpretation die aus der allgemeinen Zugehörigkeit von reiner Sinnlichkeit und reinem Verstand resultierende Beziehung der Verstandesfunktionen auf ein Anschauungsmannigfaltiges hin - ohne daß der reine Verstand notwendig auch schon über das in diesem Ausgehen-auf intendierte Objekt, es bestimmend, verfügte. Die im "transzendentalen Inhalt" thematisierte Gegenstandsbeziehung speziell der Kategorien beträfe dann nur deren Richtung auf Objektivität.

31 Z u r p r a x e o l o g i s c h e n I n t e r p r e t a t i o n v o n E r k e n n t n i s a l s i n t e n tionalem Verhalten vgl. G. Prauss, Intentionalität bei K a n t . In: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses Mainz 4. 8. A p r i l 1981, Teil 1 . 2 , Bonn 1981, S. 763 - 7 7 1 .

2 . 4 . Die transzendentale Deduktion Das transzendentalphilosophische Unternehmen einer Deduktion wird in jener Terminologie eingeführt, der Kant auch den Begriff selbst entnimmt: dem jurisitschen Verständnis einer Deduktion als des Beweises für einen Rechtsanspruch folgend, meint die Deduktion eines Begriffs den Nachweis eines Rechtsgrundes für den Gebrauch dieses Begriffs. (B 1 1 6 f . / A 8 4 f . ) Allerdings durchbricht Kant die im ius vorgegebene strikte Bindung des Deduktionsbegriffs an die Frage des "quid iuris", indem er auch die Darstellung des faktischen Erwerbs von Begriffen "durch Erfahrung und Reflexion" als Fall von Deduktion f a ß t , nämlich als "empirische Deduktion" (B 117/A 8 5 ) . Und auch die Zuordnung der empirischen Deduktion zu empirischen Begriffen sowie der transzendentalen Deduktion zu reinen Begriffen wird unterlaufen von der mit Bezug auf die reinen Begriffe vorgenommenen Unterscheidung ihrer transzendentalen Deduktion von ihrer empirischen Pseudo-Deduktion durch die "Erklärung des Besitzes einer Erkenntnis" (B 119/A 8 7 ) . Den ursprünglichen juristischen Sinn der Deduktion als nichtfaktizitärer Legitimation von Ansprüchen erfüllt der Typus einer transzendentalen Deduktion, durch den ein ganz spezifischer Begriffsgebrauch begründet werden soll: der "reine Gebrauch". Dieser problematische Gebrauch von Begriffen "unabhängig von

32 D . H e n r i c h m ö c h t e d e n e x t e n s i v e n R ü c k g r i f f K a n t s a u f j u r i s t i s c h e T e r m i n i a l s A u s d r u c k einer p r i n z i p i e l l e n Sprachund D e n k v e r l e g e n h e i t w e r t e n , in der sich die E i n f ü h r u n g transzendentalphilosophischen Argumentierens historisch b e f u n d e n habe; das ius wird so zum M o d e l l f a l l für das Anl i e g e n d e r V e r n u n f t k r i t i k ( D . H e n r i c h , C h a l l e n g e r o r comp e t i t o r ? On R o r t y ' s a c c o u n t of t r a n s c e n d e n t a l s t r a t e g i e s . In: Transcendental arguments and science, ed. P. Bieri, R . - P . H o r s t m a n n , L. K r ü g e r , Dordrecht/Bosten/London 1979, S. 113 - 120, bes. S. 1 1 5 f . ) .

Die transzendentale Deduktion

105

aller Erfahrung" besteht darin, daß "sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen". Die Rechtfertigung solchen erfahrungsfreien Gegenstandsbezuges ist eine transzendentale Deduktion. (B 1 1 7 f . / A 8 5 f . ) Thema einer transzendentalen Deduktion sind demnach allemal Begriffe a priori und umgekehrt kann deren Deduktion nur eine transzendentale sein. Thematisch an den transzendental zu deduzierenden Begriffen ist auch nicht dies, daß sie Begriffe a priori sind, Begriffe, die ihrem Ursprung nach a priori sind. Vielmehr gilt die transzendentale Deduktion einem prädikativ zu verstehenden Apriori an den Begriffen, nämlich deren Beziehung a priori auf Gegenstände.

2 . 4 . 1 . Kategorien und transzendentale Deduktion Unter den transzendental zu deduzierenden Begriffen nehmen die reinen Verstandesbegriffe eine Sonderstellung ein. Gerade im Bezug auf die Kategorien stellt sich allererst das Problem einer transzendentalen Deduktion auch anderer reiner Begriffe, und es stellt sich für die Kategorien in eminenter Weise. Die Begründung der "objektiven Gültigkeit", die den reinen sinnlichen "Begriffen des Raumes und der Zeit" a priori zukommt, identifiziert Kant zwar rückblickend als transzendentale Deduktion, doch ist die Notwendigkeit solcher Deduktion weder mit den sinnlichen Elementarbegriffen selbst gegeben noch mit dem Gebrauch der sinnlichen Grundbegriffe in der Geometrie. Die Aufgabe einer transzendentalen Deduktion stellt sich vielmehr erst, wenn ein selber problematischer Gebrauch von Begriffen vorliegt. Dies t r i f f t aber auf den Gebrauch des Raumbegriffs bei der Bestimmung der äußeren Sinnenwelt deshalb nicht zu, weil der reine Gebrauch des Raumes diesen als den Gegenstand der Geometrie selbst gibt ("konstruiert") und also selbst für die Gegenstandsbeziehung aufkommt. (B 1 1 9 f . / A 8 7 f . ) Notwendig wird die transzendentale Deduktion von Begriffen erst dadurch, daß die Extension des Gebrauchs dieser Begriffe ein Problem darstellt. Dies ist der Fall bei den reinen Ver-

1O6

Verstand und Objektivität

standesbegriffen, die als rein-intellektuelle Prädikationsweisen eine Gegenstandsbeziehung ohne empirische Basis und ohne Möglichkeit der Gegenstandskonstruktion (in der Anschauung) prätendieren. Außerdem insinuiert der problematische Typus eines nicht durch Sinnlichkeit und Anschauung bedingten reinen Gebrauchs von Kategorien die Ablösung der ursprünglich nur für sinnliche Anschauung begründeten "objektiven Gültigkeit" des Raumbegriffs von den sinnlichen Gebrauchsbedingungen. (B 1 2 0 f . / A 88) Im Zusammenhang dieser Überlegung greift Kant zweimal auf den Ausdruck "objektive.Gültigkeit" zurück. Zunächst (B 1 1 9 / A 8 7 ) verwendet er den Ausdruck beim Rückverweis auf die Transzendentale Ästhetik und bezieht ihn auf Raum und Zeit, genauer: auf deren " B e g r i f f e " . Bemerkenswert hieran ist der Wechsel zum Terminus "objektive Gültigkeit" bei der Charakteristik der reinen Anschauungen gegenüber dem Gebrauch des Ausdrucks "objektive Realität" (B 117/A 85) bei der Kennzeichnung jener empirischen B e g r i f f e , die einer Deduktion " i h r e ( r ) objektive(n) Realität" durch Erfahrung fähig sind. Die zweite Verwendung von "objektive Gültigkeit" (B 1 20/ A 88) erfolgt im Anschluß an die Herausarbeitung der für Kategorien konstitutiven nicht-ästhetischen apriorischen Bezugnahme auf Gegenstände, insofern sich hier ein Verdacht einstellt "wegen der objektiven Gültigkeit und Schranken ihres (sc. der Kategorien) Gebrauchs" (B 120/A 8 8 ) . Berücksichtigt man, daß die Thematik des legitimen Gebrauchs von Begriffen mit deren transzendentaler Deduktion, diese aber mit dem Nachweis der "objektiven Gültigkeit" qua Beziehung auf Gegenstände zusammenfällt, so möchte man "objektive Gültigkeit" an dieser Stelle nicht mit "Schranken" parallelisieren und also nicht auf den folgenden Genitiv ("ihres Gebrauchs") beziehen. Dem Verdacht ausgesetzt wäre dann einmal die "objektive Gültigkeit" der Kategorien und außerdem wären es die "Schranken ihres Gebrauchs". Dann aber ließe sich der doppelte Verdacht aufschlüsseln in die Trennung eines grundsätzlichen Bedenkens - ob überhaupt Kategorien "objektive Gültigkeit" haben - und einer zusätzlichen Problematik

Kategorien und transzendentale Deduktion

107

- für welchen Gegenstandsbereich sie "objektive Gültigkeit" haben. Diese Auslegung hat den Vorteil für sich, die in der Rede von "Schranken" eindeutig vorliegende quantitativ-extensionale Auffassung von der Qualifizierung "objektive Gültigkeit" abzuhalten. Schranken oder Bedingungen des Gebrauchs wurden ja auch im Fall der reinen Anschauung nicht einfach mit dem Terminus "objektive Gültigkeit" gefaßt, sondern erst durch eine hinzugefügte Ergänzung, die angab, wofür die jeweiligen Begriffe "objektive Gültigkeit" haben. "Objektive Gültigkeit" fungiert in dieser Hinsicht wie der Prädikator "wahr", der ebenfalls nur über eine zusätzliche Bestimmung ( f ü r alle ) , nie aber an sich der Quantifizierung unterliegt. Bei diesem Grundverständnis von "objektive Gültigkeit" kann man auch wieder die systematische Zugehörigkeit von "objektive Gültigkeit" und "Gebrauch" an der zuletzt herangezogenen Stelle erwägen. Die "objektive Gültigkeit" des Gebrauchs der Kategorien meint dann nicht das Ausmaß des Gebrauchs, sondern dessen Legitimität selbst. Die spezifische Schwierigkeit einer Kategoriendeduktion zeigt sich im Vergleich mit der Begründungslage bei den Begriffen von Raum und Zeit. Die Angewiesenheit der Erscheinungen auf reine sinnliche Formen macht die reinen Anschauungen qua Formen reinen Anschauens zu notwendigen Bedingungen der "Gegenstände als Erscheinungen", so daß die reinen sinnlichen Begriffe "sich ... auf Gegenstände notwendig beziehen müssen". In Ergänzung der Ausführungen der Transzendentalen Ästhetik prädiziert Kant die "objektive Gültigkeit" auch von der "Synthesis" in Raum und Zeit, um so für die synthetischen Erkenntnisse in den Wissenschaften von Raum und Zeit den apriorischen Bezug auf die Erscheinungen herauszustellen. (B 121 f . / A 89) Diese Art von apriorischer Bezogenheit auf Gegenstände entfällt für die Kategorien. Der rein intellektuelle Ursprung der elementaren Verstandesbegriffe verhindert die Gebrauchsrechtfertigung durch Berufung auf ein notwendiges Bedingungsverhältnis zwischen Prinzipien (hier: des Verstandes) und Erscheinungen.

108

Verstand und Objektivität

Das Problem der Kategoriendeduktion formuliert Kant als die " S c h w i e r i g k e i t . . . wie ... subjektive Bedingungen des Denkens s o l l t e n objektive Gültigkeit h a b e n , d . i . Bed i n g u n g e n d e r M ö g l i c h k e i t a l l e r E r k e n n t n i s d e r Gegenstände abgeben." (B 122/A 8 9 f . )

Will man den Erläuterungswert dieser Stelle für den Begriff "objektive Gültigkeit" genau fassen, so bedarf es einer Herausarbeitung des Punktes, an dem "objektive Gültigkeit" der Kategorien zum Problem wird. Der erläuternde Zusatz ("d.i.") nimmt zwar grammatisch einwandfrei Bezug auf den Ausdruck "objektive Gültigkeit", doch fungiert Kants Gebrauch der Formel "d.i." als kontextuelle Bestimmung ( " d . i . hier, in diesem F a l l " ) , so daß es darauf ankommt, das Spezifische der vorliegenden Verwendung von "objektive Gültigkeit" auszumachen. Kants Hervorhebungen legen als Grundform der "Schwierigkeit" die Gegenüberstellung von "subjektiven Bedingungen des Denkens" und deren "objektiver Gültigkeit" nahe. Das Problem liegt aber nicht in der Subjektivität von Denkbedingungen bei problematischer gleichzeitiger "objektiver Gültigkeit", sondern im Charakter dieser subjektiven Bedingungen, von der Art des Denkens zu sein. Erweitert man nämlich die Bezüge auf das Kategorienproblem durch die analoge Problemstellung für Raum und Zeit, so ergibt sich, daß subjektive Bedingungen des Anschauens "sollten objektive Gültigkeit haben"i Für die Transzendentale Ästhetik bestand aber nicht etwa ein problematisches Verhältnis oder gar ein Gegensatz zwischen subjektiv-sinnlichen Bedingungen und deren "objektiver Gültigkeit". "Objektive Gültigkeit" der reinen Anschauung bzw. der Anschauungsform bestand gerade darin und nur darin, daß diese für das Subjekt notwendige Bedingungen des Anschauens waren. Reine Verstandesbegriffe und reine Anschauung haben eben dies gemeinsam, daß subjektive Bedingungen - einmal solche des Anschauens, einmal solche des Denkens - zugleich "objektive Gültigkeit" haben. Die "objektive Gültigkeit" von subjektiven Bedingungen, soweit es sich dabei um notwendige, allgemeine Bedingungen handelt, fällt schlechterdings zusammen mit dem notwendigen Bedingungsverhältnis der subjektiven Begriffe für "alle Erkenntnis der Gegenstände". Was notwendige Bedingung für etwas ist, gehört

Kategorien und transzendentale Deduktion

1O9

diesem etwas allemal allgemein zu. Nachdem die "Schwierigkeit" der Kategoriendeduktion nicht in der an sich unproblematischen Eigenschaft von notwendig subjektiven Bedingungen, "objektive Gültigkeit" zu haben, liegen kann, wird man nach einem Unterschied zwischen der Subjektivität sinnlicher und der intellektueller Bedingungen Ausschau halten. Kants Argument dafür, daß subjektiv-intellektuelle Bedingungen jedenfalls nicht ohne weiteres "Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis der Gegenstände abgeben", greift auf den prinzipientheoretischen Unterschied von Sinnlichkeit und Verstand zurück: " . . . ohne F u n k t i o n e n d e s V e r s t a n d e s k ö n n e n allerdings Erscheinungen in der Anschauung gegeben w e r d e n . " ( B 1 2 2 / A 9 O )

Die sinnliche Gegebenheit der Erscheinungen geschieht durch Affektion, d . h . ohne Verständesieistung (Funktion), aber notwendig gemäß den der Sinnlichkeit allgemein eigentümlichen Formen. Solche allgemeine Zusammengehörigkeit von Erscheinungen und sinnlichen Formbegriffen aufgrund eines gemeinsamen Prinzips (Sinnlichkeit) fehlt bei dem Verhältnis der reinen Verstandesbeqriffe zu den Erscheinungen. Der Notwendigkeit reiner sinnlicher Bedingungen für die Anschauung von Gegenständen in der Erscheinung entspricht keine Notwendigkeit rein intellektueller Bedingungen für ebendiese bloß als Anschauungen betrachteten Erscheinungen. Der Grund der "Schwierigkeit" liegt damit im prinzipientheoretischen Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand, und genauer in der problematischen Beziehung des Verstandes auf solche Gegenstände, die an sich bloß unter sinnlichen, keineswegs aber auch schon unter intellektuellen Bedingungen stehen. Nicht der Dualismus als solcher führt zum Problem der Kategoriendeduktion, sondern die wesentlich nichtdualistische, einheitliche Auffassung von Erkenntnis als Erkenntnis von Erscheinungen. Erst wenn die heterogenen Formen des Denkens auf dieselben Erscheinungsgegenstände bezogen werden (sollen) wie die reinen sinnlichen Formen, wird der Dualismus zum Problem.

110

Verstand und Objektivität

Von der Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntniskritik her betrachtet, liegt der Ursprung des Deduktionsproblems in der Zuordnung auch des realen Verstandesgebrauchs zu den Phaenomena. Spätestens seit 1781 ist manifest, daß Kant den Gebrauch der Intellektualbegriffe, und zwar gerade ihren reinen Gebrauch als - erst noch auszuweisende - Beziehung auf Erscheinungsgegenstände faßt. Doch diese Einführung des begründeten Kategoriengebrauchs über das Verhältnis zu "Gegenständen in der Anschauung" ist nicht mit der späteren, resultativen Restriktion der Kategorien auf ebendiesen Gegenstandsbereich zu verwechseln. Die Absicht des analytischen Teils der Kritik (vgl. B j X X I Anm.) ist ja nicht eine Theorie der Erfahrung, sondern die positive Untersuchung der Möglichkeit von Vernunfterkenntnissen a priori. (B 2 4 f . / A 11 f . ) Und noch zu Beginn der transzendentalen Deduktion erwägt Kant, mit den einmal deduzierten reinen Verstandesbegriffen "auch wohl Gegenstände ( z u ) erdenken, die vielleicht unmöglich, vielleicht zwar an sich möglich, aber in keiner Erfahrung gegeben werden können" (A 9 6 ) . Zur Verdeutlichung der herausgestellten "Schwierigkeit" bei der Kategoriendeduktion - der ursprünglichen Unbezüglichkeit von Denkformen und sinnlichem Material^34 - greift Kant zu extremen Formulierungen über eine zu erwägende Disharmonie zwischen Anschauungsgegenständen und "subjektiven Bedingungen des Denkens".

33 Vgl. dazu AA II, 4 l O f . ( I n a u g . - D i s s . ) ; zum realen Verstandesg e b r a u c h s e i t 177O v g l . G . B . S a l a , D e r " r e a l e V e r s t a n d e s g e brauch" in der Inaugural-Dissertation Kants von 177O. In: K a n t - S t u d i e n 69 ( 1 9 7 8 ) , S. l - 16. 34 Kants D a r s t e l l u n g des f r a g l i c h e n V e r h ä l t n i s s e s zwischen Kateg o r i e u n d E r s c h e i n u n g a l s " a p r i o r i n i c h t k l a r " , a l s a prio-· ri z w e i f e l h a f t (B 122/A 9 O ) , verwendet "a priori" in der älteren, zeitlich geprägten Bedeutung ("von vornherein") also in o r d i n e c o g n o s c e n d i . Die U n b e z ü g l i c h k e i t besteht aber auch o b j e k t i v und u r s p r ü n g l i c h , insofern Kategorie und Anschauung notwendig-allgemein (a priori) verschiedenen Urs p r u n g s s i n d u n d d e s h a l b e r s t " s p ä t e r " - b e i w e i t e r h i n vorauszusetzender Heterogeneität - in Beziehung treten.

Kategorien und transzendentale Deduktion

111

Er skizziert, immer im Konjunktiv, das Bild einer Einrichtung der menschlichen Erkenntnisvermögen bzw. einer Beschaffenheit der Erscheinungen dergestalt, daß die Verstandesfunktionen, obwohl notwendig für das Denken, doch keine "objektive Gültigkeit" für die Gegenstände in der Anschauung hätten. (B 1 2 2 f . / A 9 0 f . ) Tragendes Argument dieser Fiktion über eine unverständliche Welt und einen der Welt nicht konformen Verstand ist die auf der Dualität von Sinnlichkeit und Verstand gründende Einsicht: " . . . die Anschauung bedarf der Funktionen des Denkens a u f k e i n e W e i s e " ( B 123/A9 1 ) .

Die problematische Disjungiertheit von reinen Verstandesbeg r i f f e n als notwendigen Denkformen und Kategorien als Bedingungen von Erkenntnis der Gegenstände ("objektive Gültigkeit") illustriert Kant am Beispiel des Begriffs von Ursache und Wirkung. Letzterer wäre "ganz leer, nichtig und ohne Bedeutung" (B 123/A 9 0 ) , wenn von Seiten der Sinnlichkeit nichts an den Erscheinungen "eine Regel der Synthesis an die Hand gäbe, und also dem Begriffe der Ursache und Wirkung entspräche" (B 123/ A 9 O ) . Liest man dies als indirekte Beschreibung der später positiv begründeten "objektiven Gültigkeit" reiner Verstandesbegriffe, so wäre von einer transzendentalen Deduktion zu erwarten, daß sie an den Erscheinungen Regelcharaktere aufwiese im Sinne einer sinnlich-intellektuellen Korrespondenz von Affektionen und Funktionen. Bedeutung bzw. "objektive Gültigkeit" wäre dann der Titel für ein immer schon ermöglichtes und empirisch je zu verwirklichendes Verhältnis der Übereinstimmung (Wahrheit). Es läßt sich geradezu als das Beweisziel der transzendentalen Deduktion und des weiteren auch der Analytik der Grundsätze, speziell des transzendentalen Schematismus, angeben, eine korrespondenztheoretische Auffassung des Kategoriengebrauchs zu entwickeln, die nicht die unkritische Voraussetzung einer prästabilierten Harmonie zwischen Sinnlichkeit und Verstand bzw. Gegenstand und Erkenntnis beansprucht. (Vgl. B 1 6 7 f . ) Eine ebenso nicht-teleologische wie nicht-faktizistische Auffassung von Erkenntnis, von Erkennen-Können, darf die formale, logi-

112

Verstand und Objektivität

sehe Denkbarkeit alternativer Erkenntniskonstellationen nicht modaltheoretisch ontologisieren zur Annahme anderer möglicher Welten , sondern muß in der Erwägung der Disharmonie die Aufgabe sehen, eine ursprünglich nicht gegebene Beziehung als notwendig abzuleiten. Von den pauschalen kontrafaktischen Erwägungen Kants noch vor der eigentlichen Kategoriendeduktion ist die Einführung solcher Teleologismen und Faktizitäten wohl zu unterscheiden, auf die gerade der Gang der transzendentalen Argumentation führt. Genausowenig wie eine wesentlich zufällige Parallelität verschiedener Anschauungs- und Denkordnungen kommt für Kant eine Abstraktionstheorie der Kategorienbildung in Frage, bei der bloß empirische Regelverhältnisse die Instanzen abgeben, um die "objektive Gültigkeit eines solchen (sc. reinen Verstandes-) B e g r i f f s zu bewähren" (B 124/A 9 1 ) . Jede Herleitung der Kategorien aus der immer nur "komparativen Allgemeinheit" der "Regelmäßigkeit der Erscheinungen" brächte die Verstandesbeg r i f f e um ihren apriorischen Charakter und bedeutete den Verzicht auf Kategorien, insofern diese "als ein Hirngespinst gänzlich aufgegeben werden m ü s s e ( n ) " (B 123f./A 9 1 ) . Diese Rückstufung der Kategorien zum "Hirngespinst" ist nun aber nicht mit der problematischen oder fiktiven Annahme von Kategorien ohne "objektive Gültigkeit" identisch. Letzteres nämlich billigte den Kategorien immer noch zu, "subjektive Bedingungen

35 F ü r e i n e d r a m a t i s i e r e n d e V e r s c h ä r f u n g d e s K a n t i s c h e n Gedank e n e x p e r i m e n t s im Zusammenhang des Gliederungsproblems der transzendentalen Kategoriendeduktion (B) vgl. D. Henrich, Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion. In: K a n t . Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln, a . a . O . , S. 9O - 1 O 4 , b e s . S. 94. 36 E b e n s o muß die p r ä z i s e t r a n s z e n d e n t a l e ( " k r i t i s c h e " ) Teleologisierung der empirischen E r k e n n t n i s im Kontext der K r i t i k .der U r t e i l s k r a f t sowie die A p r i o r i s i e r u n g des Systems des E m p i r i s c h e n in den A n s ä t z e n des Opus p o s t u m u m von j e d e r globalen E i n s c h ä t z u n g der E r k e n n t n i s m ö g l i c h k e i t als " W u n d e r " , "Gnade" e t c . u n t e r s c h e i d e n w e r d e n . 37 Zur t r a n s z e n d e n t a l p h i l o s o p h i s c h e n B e g r ü n d u n g auch noch der empirischen R e g e l m ä ß i g k e i t v g l . den B e g r i f f der " t r a n s z e n dentalen A f f i n i t ä t " (A 1 1 4 ) .

Allgemeines Prinzip d. transz. Deduktion

113

des Denkens" und damit notwendige Funktionen des Verstandes zu sein. Das bloße "Hirngespinst" einer Pseudo-Kategorie kontrastiert Kant nicht eigentlich der "objektiven Gültigkeit" von Kategorien, sondern den problematisch erwogenen Kategorien bloß als reinen Verstandesbegriffen, d.h. als notwendig-allgemeinen Denkformen. Bezüglich der Kategorien bilden "Hirngespinst" und "objektive Gültigkeit" so zwar einen Gegensatz, aber nicht schon eine vollständige Disjunktion. Erst wenn zusätzlich gezeigt wird, daß - wie im Fall der reinen Anschauungen - auch bei den Kategorien ihr allgemein-subjektiver Bedingungscharakter und ihre "objektive Gültigkeit" identisch sind, dann erst stellte ein reiner Verstandesbegriff ohne "objektive Gültigkeit" zugleich ein "Hirngespinst" dar.

2 . 4 . 2 . Das allgemeine Prinzip der transzendentalen Deduktion Im Anschluß an die grundsätzliche Problematisierung einer transzendentalen Deduktion von reinen Verstandesbegriffen (§ 13) erörtert Kant unter dem Titel "Obergang zur transzendentalen Deduktion der Kategorien" (B 124/A 92 - B 129/A 95; § 14) die allgemeine Struktur jenes Begründungsverhältnisses, aufgrund dessen nicht-empirische Begriffe "objektive Gültigkeit" ha38 ben. Das Auszeichnende dieser zwischen Einführung und Lösung der Aufgabe einer Kategoriendeduktion eingeschalteten Reflexion liegt in der elementaren Erörterung der Möglichkeit von (theo39 retischer) Gegenstandsbeziehung. Am Ausgang dieser systemtheoretisch übergeordneten Gedankenfolge steht das Beweisziel der Möglichkeit notwendig-allgemeiner Korrespondenz zwischen "synthetischer Vorstellung" und "ihren Gegenständen", ("zusammentreffen"; "sich aufeinander 38 R . Zocher ( K a n t s t r a n s z e n d e n t a l e D e d u k t i o n d e r K a t e g o r i e n . In: Z e i t s c h r i f t f. p h i l . F o r s c h . 8 ( 1 9 5 4 ) , S. 161 - 1 9 4 ) rechnet § 14 schon zum e r s t e n Teil der D e d u k t i o n selbst (ebenda, S. 165). 39 Zur b e s o n d e r e n B e d e u t u n g von A 9 2 f . / B 124 - 126 für die Deduktion vgl. A X V I I .

114

Verstand und Objektivität

notwendigerweise beziehen"; "gleichsam einander begegnen"; B 124/A 92) Den Zusatz "synthetisch" zu "Vorstellung" bzw. "Vorstellungen" 40 wird man als indirekten Ausschluß des Sonderfalls der analytisch aufeinander bezogenen Vorstellungen vom Thema der Beziehung von Vorstellungen auf einen Gegenstand fassen können. Vorstellungen, insofern sie bloß formallogisch, nach dem Widerspruchsprinzip, im Verhältnis zueinander stehen, unterliegen ja einer prinzipiellen Abstraktion vom Inhalt des reflexiv Verglichenen. Nur insofern Vorstellungen synthetisch miteinander verbunden sind, kommt ihr Inhalt als Gegenstand der Vorstellung in Betracht. Hinsichtlich seiner grundsätzlichen Möglichkeit unterliegt das allgemeine Verhältnis von Vorstellungen zu Gegenständen einer vollständigen zweigliedrigen Disjunktion: "Entweder wenn der Gegenstand die Vorstellung, oder d i e s e d e n G e g e n s t a n d a l l e i n m ö g l i c h m a c h t . " (B 1 2 4 f . / A 92)

In jedem der beiden Fälle liegt ein einseitiges Bedingungsverhältnis zwischen den Relaten vor. Die Art der Bedingung - festgehalten im "allein möglich", das als non nisi zu lesen ist macht das jeweils Bestimmende zur notwendigen Bedingung des jeweils Bestimmten. Also: 1. Fall: Keine Vorstellung ohne Gegenstand. 2. Fall: Kein Gegenstand ohne Vorstellung. Den ersten Fall identifiziert Kant mit der empirischen Beziehung, durch die eine Erscheinung materialiter bestimmt wird. Der "Gegenstand" dieser empirischen Beziehung des Bestimmtwerdens bleibt allerdings selber unbestimmt; herausgestellt wird die ihm korrespondierende Bestimmbarkeit in der Erscheinung: die Empfindung. Für den zweiten Fall - notwendige Bestimmung des Gegenstandes durch die Vorstellung - muß die Bestimmung durch ein Kausal-

4O E r d m a n n e m e n d i e r t " s y n t h e t i s c h e V o r s t e l l u n g " z u " s y n t h e t i sche V o r s t e l l u n g e n " , V a i h i n g e r z u " V o r s t e l l u n g e n " tout c o u r t ( v g l . d i e A u s g a b e d e r K r i t i k v o n R . S c h m i d t , H a m b u r g 1956, S. 133 A n m .2 ) .

Allgemeines Prinzip d. transz. Deduktion

115

Verhältnis (Hervorbringung dem Dasein nach) ausscheiden, weil die "Vorstellung" auch in der bestimmenden Beziehung auf den Gegenstand nur "an sich", d.h. als Vorstellung des Erkenntnisvermögens betrachtet wird, nicht aber als eine das Begehrungsvermögen ("Wille") bestimmende Vorstellung. Bei Beschränkung auf die theoretische Gegenstandsbeziehung hat die notwendig-bestimmende Beziehung der Vorstellung auf den Gegenstand nicht die Form einer Bedingung des Gegenstandes (gen. obj.) durch die causa Vorstellung, sondern die der Bedingung der Erkennbarkeit des Gegenstandes durch die ihn bestimmende Vorstellung: " . . . die V o r s t e l l u n g ( i s t ) in A n s e h u n g des Gegenstandes a l s d a n n a p r i o r i b e s t i m m e n d , w e n n durch sie a l l e i n es m ö g l i c h ist, etwas als einen G e g e n s t a n d zu erkennen." (B 1 2 5 / A 92)

Im Unterschied zum empirischen Charakter der gegenständlichen Bestimmtheit von Vorstellungen findet die gegenständliche Bestimmung durch Vorstellungen a priori statt. Die beiden Fälle differieren außer in der Richtung des Bedingungsverhältnisses zwischen Vorstellung und Gegenstand auch in der Besetzung der Relata. War es bei der empirischen Bestimmung durch Empfindung die sinnliche Vorstellung (Erscheinung), die durch einen anonymen Grund bestimmt wurde, so fungiert bei der apriorischen Bestimmung die Vorstellung als notwendiger Grund der Erkenntnis eines "etwas", das "als ein Gegenstand" bestimmt wird. Für die Gegenstandsseite nimmt die apriorische theoretische Gegenstandsbeziehung damit die Fassung des Gegenstandes als Erkenntnisgegenstand vor. Die Gnoseologisierung des Gegenstandes zum Gegenstand, insofern er erkannt wird bzw. erkannt werden kann, ist der systematische Ort, an dem Kant seinen Begriff von Erfahrung 41 einführt. Dies geschieht über eine Diskussion des Verhältnisses zwischen den beiden notwendigen Bedingungen einer "Erkenntnis eines Gegenstandes", wobei der Status der Gegenstandserkenntnis - ob empirisch oder rein - zunächst offengehalten wird.

4 l Z u r v o r k a n t i s c h e n B e g r i f f s g e s c h i c h t e v o n " E r f a h r u n g " vgl. H. Holzhey, Kants E r f a h r u n g s b e g r i f f . Quellengeschichtliche und b e d e u t u n g s a n a l y t i s c h e U n t e r s u c h u n g e n , B a s e l / S t u t t g a r t 1970, S. 34 - 119.

116

Verstand und Objektivität

In Übereinstimmung mit den einleitenden Ausführungen der Transzendentalen Ästhetik und der Transzendentalen Logik (B 33/ A 19 bzw. B 74/A 50) wird unterschieden zwischen der Anschauung als Bedingung, durch die der Gegenstand überhaupt erst, "aber nur als Erscheinung, gegeben wird" und dem Begriff, als der Bedingung, durch die ein Gegenstand, "der dieser Anschauung entspricht", gedacht wird. (B 125/A 9 2 f . ) Der Dualität der Bedingungen für die Erkenntnis von Gegenständen entspricht hier die strenge Trennung zwischen den respektiven Aufgaben, verbunden mit einer logischen Abfolge ("erstlich" - "zweitens") von Anschauung und Begriff. Nun faßt Kant das Ergebnis der Transzendentalen Ästhetik im Hinblick auf die Aufgabe der Begründung der Erkenntnis von Gegenständen als den Nachweis, daß die Bedingungen, unter denen "allein Gegenstände angeschaut werden können" (Raum und Zeit) immer auch solche Bedingungen sind, mit denen "alle Erscheinungen notwendig" übereinstimmen. (B 125/A 93) Im Fall der reinen Anschauung liegt eine strenge Identität vor den notwendigen Bedingungen der Erkenntnis von Gegenständen und notwendigen (sinnlichen) Bedingungen des Gegenstandes dieser Erkenntnis (Erscheinungen) . Weil die Formen von Raum und Zeit a priori "zum Grunde liegen", haben sie a priori "objektive Gültigkeit". (B 126/A 93) Die Identität von Bedingungen des Gegenstandserkennens mit Bedingungen des Erkenntnisgegenstandes konnte allerdings in der Transzendentalen Ästhetik nur für reine Anschauungen nachgewiesen werden. Legt man die Auffassung der "objektiven Gültigkeit" reiner Vorstellungen als identisch mit deren notwendiger Prinzipienfunktion für Erkenntnis zugrunde, dann macht es gar keinen Sinn, empirischen Anschauungen "objektive Gültigkeit" zu prädizieren, sind letztere doch bloße Prinzipiate. Hingegen macht es durchaus Sinn und stellt eben das Problem einer Kategoriendeduktion dar, ob - analog zur Stellung der reinen Anschauungen - "Begriffe a priori vorausgehen, als Bedingungen, unter denen allein etwas ... als Gegenstand überhaupt gedacht wird". (B 125/A 93; H . v . m . ) Diese problematisch gehaltene FunktionsbeStimmung der Kategorien hebt noch gar nicht auf die zu-

Allgemeines Prinzip d. transz. Deduktion

1 17

sätzliche, von der Leistung der Anschauungsform spezifisch abweichende Funktion der reinen intellektuellen Begriffe ab. Gegen die spezifische Differenz zwischen Objektivität der Kategorien und Phänomenalitat der Anschauungsformen verhält sich die Parallelisierung von Anschauung und Begriff als der beiden Formen von notwendigen Bedingungen des Gegenstandes qua erkanntem Gegenstand zunächst noch indifferent. Anschauung und Begriff stellen hier in ihrer reinen Form beide die Bedingungen vor, "etwas als einen Gegenstand zu erkennen". Durch Raum und Zeit wird überhaupt erst möglich, etwas als einen Gegenstand anzuschauen, durch die Kategorien wird es überhaupt erst möglich, etwas als einen Gegenstand zu denken. Der Unterschied im Bedingungsverhältnis bei reinen Anschauungen und bei Kategorien wird aber - die eigentliche transzendentale Deduktion vorwegnehmend - andeutungsweise thematisch, wenn Kant die rein intellektuellen Erkenntnisbedingungen als Bedingungen anspricht, "ohne deren Voraussetzung nichts als Objekt der Erfahrung möglich ist" (B 126/A 94; H . v . K a n t ) . Zwar wird auch die Anschauung der Sinne als Element der Erfahrung genannt, doch das BegründungsVerhältnis der Kategorien zum Objekt der Erfahrung ist gegenüber empirischen und reinen Anschauungen exklusiv. Notwendige Bedingungen speziell des Objekte der Erfahrung sind nicht die reinen Anschauungen, die nur die notwendigen Bedingungen des Gegenstandes der empirischen Anschauung (Erscheinung) darstellen - und erst recht nicht die empirischen Begriffe als bloße Prinzipiate. Wieder in Analogie zum Begründungsverfahren der "objektiven Gültigkeit" von reiner Anschauung und unter Vernachlässigung der spezifischen Objektivität der Kategorien skizziert Kant den argumentativen Verlauf der anstehenden Kategoriendeduktion. Vorausgesetzt wird das Faktum des begrifflichen Anteils an aller Erfahrung, und genauer: die Funktion des Begriffs, "Begriff von einem Gegenstande, der in der Anschauung gegeben wird" zu sein. (B 126/A 93) Ein erster Schluß ("demnach . . . " ) geht von der faktischen Unvollständigkeit einer Erfahrung ohne Begriffe über zum Gedanken der Notwendigkeit der Kategorien als "Begriffe von Gegenständen

118

Verstand und Objektivität

überhaupt als Bedingungen a priori aller Erfahrungserkenntnis" (B 126/A 9 3 ) . Doch ist dieser Schluß nicht mit dem Beweisziel der transzendentalen Deduktion zu verwechseln. Jetzt wird auf der Grundlage der bewiesenen allgemeinen Notwendigkeit von Kategorien für das empirische Erkennen die "objektive Gültigkeit der Kategorien" zu beweisen sein, die darauf beruht, "daß durch sie (sc. die Kategorien) allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) möglich sei" (B 126/A 9 3 ) . Faßt man, mit Kant (B 122/A 8 9 f . ) , als Beweisziel der Kategoriendeduktion den Nachweis der "objektiven Gültigkeit" von Kategorien, dann muß man in der Deduktionsskizze des Paragraphen 14 streng zwischen den intellektuellen Bedingungen der Erfahrungserkenntnis qua Anteil des Denkens an der Erfahrung und den Bedingungen der Erfahrung als Erfahrung eines Objekts unterscheiden. Wenn, nach der Deduktionsskizze, die faktische Anwesenheit von Begriffen in aller Erfahrung schon das notwendige Bedingungsverhältnis der "Begriffe von Gegenständen überhaupt" für die Erfahrungserkenntnis impliziert, dann kann die in diesem Schritt der Argumentation erwiesene Funktion der Kategorien für Erfahrung nicht schon deren "objektive Gültigkeit" darstellen. Es sei denn, man reduzierte die transzendentale Deduktion auf die metaphysische Deduktion (B 1 5 9 ) . Zu zeigen ist vielmehr, über die Funktion der Kategorien beim Denken von Gegenständen hinaus, die Notwendigkeit von Kategorien dafür, daß überhaupt empirische Erkenntnisse solche von empirischen Gegenständen sind. Dann erst "beziehen sie sich notwendigerweise und a priori auf Gegenstände der Erfahrung" (B 126/A 93; H . v . m . ) . Die Leistung der transzendentalen Deduktion besteht in der Identifizierung der notwendigen Bedingungen von Erfahrungserkenntnis mit den notwendigen Bedingungen der Objekte der Erfahrung. Um es in der kontrafaktischen Ausdrucksweise des Paragraphen 13 zu formulieren: Wir könnten a priori über Begriffe von Gegenständen verfügen, also die Möglichkeit haben, zu Anschauungen Gegenstände zu denken, ohne doch zugleich durch diese Begriffe notwendig die den Anschauungen zugehörigen ("ihre") Gegenstände zu denken. Die Gegenstände der Anschauungen könnten

Allgemeines Prinzip d. transz. Deduktion

119

so beschaffen sein, daß die synthetischen Funktionen des Verstandes sich gar nicht auf sie selbst bezögen, sondern bloß auf allgemeine intellektuelle Fiktionen. Es bedarf daher eines eigenen Arguments d a f ü r , daß die notwendigen Bedingungen des Denkens in aller Erfahrung zusammenfallen mit den Bedingungen, ohne die es keine Gegenstände der Erfahrung geben kann. Das Verhältnis zwischen Gegenstandserfahrung und Erfahrungsgegenstand ist

diesem Verhältnis zufolge nicht analytisch-tautolo-

gisch, vielmehr macht der eigens erforderliche Nachweis ihrer Identität die Argumentation für die "objektive Gültigkeit" der Kategorien aus. Selbstverständlich ist die hier vorgetragene Kontrastierung von Erfahrungserkenntnis

und bloßer Erfahrung künstlich und

Teil einer reflexiv konstruierten Theorie des Erkennenkönnens. In Wirklichkeit sind beide Begriffe ja identisch, aber sie sind es nicht bloß aus formallogischen Gründen, sondern es bedarf der Explikation des Begriffs der Erfahrung, um die notwendige Identität von Erfahrung als Vollzug und Erfahrung als Erfahrung von Gegenständen (Objekten)

einzusehen.

Den Doppelsinn von Erfahrung (Medium und Objekt) wird man allerdings schwerlich schon jener Fassung des Prinzips der "transzendentalen Deduktion aller Begriffe a priori" unterlegen dürfen, in der Kant noch ganz allgemein - also für reine Anschauungen und für reine Begriffe - formuliert, "daß sie als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungen erkannt werden müssen" (B 126/A 9 4 ) . Vorausweisender ist

da schon die Kennzeichnung

des notwendigen Begründungsverhältnisses als "ursprüngliche(r) Beziehung auf mögliche Erfahrung, in welcher alle Gegenstände ...

vorkommen" (B 1 2 6 f . / A 9 4 ) . Hält man von diesem Gedanken das

Bild einer (quasi-) ontologischen Relation zwischen abstrakten Entitäten fern, so bleibt als Thema der transzendentalen Deduktion die Frage nach dem Ursprung (Grund) der aposteriorischen Beziehung aller Erkenntnis auf irgendein Objekt in einer selber apriorischen Beziehung. "Objektive Gültigkeit" bedeutet, wenn von Kategorien prädiziert, den notwendigen Bezug der Denkprinzipien auf das empirische Denken (empirische E r k e n n t n i s ) , inso-

120

Verstand und Objektivität

fern dieses Denken von Objekten

ist.

Besteht die "objektive Gültigkeit" der Kategorien darin, "daß durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) möglich" (B 126/A 93) ist, dann bezieht der Terminus "objektive Gültigkeit" die Kategorien nicht ontologisch-unmittelbar auf Objekte selbst, sondern nur gnoseologisch-vermittelt auf die empirische Erkenntnis von Objekten. "Objektive Gültigkeit" von Kategorien beinhaltet nicht die prinzipientheoretische Unmöglichkeit einer Metabase der Erkenntnis zum Ding hin, sondern die prinzipielle Begründung der empirischen Beziehung auf Gegenstände.

2 . 4 . 3 . Die Beziehung auf einen transzendentalen Gegenstand (Erstfassung der Kategoriendeduktion) Die Erstfassung der dann in der zweiten Auflage als solcher ausgewiesenen "transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" (A 95 - A 130) bringt in die an ihren Beginn gesetzte Aufgabenstellung (A 95 - A 98) ebenso wie in die nach Vorbereitung und eigentlicher Ausführung zweigeteilte Durchführung (A 98 - A 114 und A 115 - A 128) die Terminologie von "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" ein. Auffällig ist dabei außer dem Wechsel zwischen den beiden Ausdrücken die unterschiedliche Prädizierung jedes der beiden Termini von reinen Erkenntnissen (Kategorien) und von empirischen Erkenntnissen. Besonderes Interesse verdient am Text von 1781 die systematische Einführung eines Gegenstandsbegriffs im Zusammenhang der Begründung der "objektiven Realität" von empirischer Erkenntnis. Was zunächst die Exposition des Argumentationsgangs angeht, so-bindet Kant die Funktionsfähigkeit jedes Begriffs - dies, Begriff zu sein, "wodurch etwas gedacht wird" - an die mög-

Der transzendentale Gegenstand

121

42 liehe Gegebenheit von Anschauungen ("mögliche Erfahrung") Bei reinen Begriffen a priori kann diese Zugehörigkeit zur Erfahrung nicht die Form eines Enthaltenseins in Erfahrung haben, sondern allenfalls die, Erfahrung der Möglichkeit nach zu begründen. Einzig in dieser notwendigen Begründungsfunktion für Erfahrung sind Kategorien überhaupt begründet einzuführen - ihre etwaige spätere von der ursprünglichen Legitimation 43 unabhängige Verwendung einmal beiseite gelassen. Die Deduktion von reinen Begriffen a priori über ihre Identifizierung mit allgemeinen Erfahrungsbedingungen kennzeichnet Kant als das, "worauf allein ihre (sc. der reinen Begriffe a priori) objektive Realität beruhen kann" (A 9 5 ) .

Der Kontext einer konstitutiven Bindung von Begriffen an korrespondierende Anschauung legt es nahe, dieses Verhältnis im Sinne eines notwendigen Bezugs auf (mögliche) Anschauung zu lesen. Im Ersten Abschnitt der Kategoriendeduktion, den der zitierte Satzteil beschließt, sind die reinen Begriffe a priori nämlich noch gar nicht in Beziehung zur sinnlichen Anschauung gesetzt. Es handelt sich hier erst noch ganz allgemein um das Legitimationsproblem für nicht-empirische Begriffe: diese können unmöglich völlig unabhängig von Erfahrung begründet werden, braucht doch jeder Begriff einen Inhalt, der nur durch Anschauung, in einer "möglichen Erfahrung" gegeben wird. Über die spezifische Bedingungsfunktion der Kategorien, ihre Art und Weise, Erfahrung zu ermöglichen, ist damit noch nichts ausgesagt. Erst die im Zusammenhang der transzendentalen Deduktion selbst begründete Fassung der reinen Begriffe a priori als reiner Verstandesbegriffe (A 95) erlaubt, das in seiner grundsätzlichen Form eingeführte notwendige Bedingungsverhältnis

42 Z u m B e g r i f f d e r " E r f a h r u n g " ( S i n g u l a r ) i m U n t e r s c h i e d z u " E r f a h r u n g e n " (B 126/A 94) vgl. auch Holzheys A u s f ü h r u n g e n über d i e " S i n g u l a r i t ä t " v o n E r f a h r u n g i . e . S . ( e b e n d a , S . 244 - 2 4 8 ) . 43 Zur problematisch möglichen Verwendung der Kategorien unabh ä n g i g von E r f a h r u n g vgl. A 96.

122

Verstand und Objektivität

der Begriffe zur Erfahrung vom speziellen Anspruch der Kategorien auf Bedingung von Gegenständlichkeit hin zu präzisieren: " E i n B e g r i f f , d e r d i e s e f o r m a l e u n d objektive Bedingung der Erfahrung allgemein und zureichend ausdrückt, würde ein reiner Verstandesb e g r i f f h e i ß e n . " ( A 96; H . v . m . )

Im Horizont der Identität des intellektuellen Begründungsanteils an der Erfahrung mit den Kategorien kann es jetzt heißen, letztere enthielten "die reinen Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung und eines Gegenstandes derselben" (A 9 6 ; H . v . m . ) . Während nun im Umkreis der einführenden Erörterung des Begründungsproblems für nicht-empirische Begriffe der Ausdruck "objektive Realität" herangezogen wird, greift die Kennzeichnung des spezifischen Begründungsproblems der Kategorien Bedingung der E r f a h r u n g , weil Bedingung des Gegenstandes der Erfahrung - auf den Terminus "objektive Gültigkeit" zurück: " . . . e s ist s c h o n e i n e h i n r e i c h e n d e D e d u k t i o n d e r selben (sc. der K a t e g o r i e n ) , und R e c h t f e r t i g u n g ihrer o b j e k t i v e n G ü l t i g k e i t , wenn wir beweisen könn e n : daß vermittelst ihrer allein ein Gegenstand gedacht werden k a n n . " ( 9 6 f . )

Für die terminologische Abgrenzung zwischen "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" mit Bezug auf den Beginn der Deduktion der Kategorien (A) könnte dies bedeuten: "objektive Realität", von nicht-empirischen Begriffen prädiziert, dient zur Kennzeichnung von deren Bezug auf mögliche Erfahrung im Sinne eines Anschauungsbezugs; "objektive Gültigkeit", speziell von Kategorien ausgesagt, findet Verwendung zur Artikulation eines Verhältnisses der Begründung von Gegenständlichkeit. Der weitere Verlauf der Deduktion der Kategorien argumentiert nun für die "objektive Gültigkeit" der Kategorien durch eine Darstellung der Verstandestätigkeit (Denken durch Kategorien) bei aller Erfahrung. Bewiesen wird, daß "die Erscheinungen eine notwendige Beziehung auf den Verstand haben" (A 119; H . v . K a n t ) . Kant geht dabei so v o r , daß er in einer "Vorläufigen Erinnerung" (A 98 - A 1 1 4 ) drei Synthesen unterscheidet, deren jeder eine die empirische Ausübung begründende

Der transzendentale Gegenstand

123

44 reine Synthesis zugrundeliegt. Die "reine Synthesis der Apprehension" (A 1OO) - ausgeübt von der Einbildungskraft (A 120) - leistet das "Durchlaufen der Mannigfaltigkeit" und die "Zusammennehmung derselben" (A 9 9 ) ; die "reine transzendentale Synthesis" (A 1O1) der "Reproduktion in der Einbildung" (A 1OO) begründet die Reproduzierbarkeit der reinen Anschauungen; die reine "Synthesis der Rekognition im Begriffe" (A 103) schließlich garantiert das einheitliche Bewußtsein vom "Gegenstand der Erkenntnis" (A 1 2 7 ) .

Auf die komplexe Synthesis-Abfolge, dreifach nach den zugrundeliegenden Vermögen und je doppelt nach empirischem und reinem Gebrauch, braucht hier nicht eingegangen zu werden. 45 Von einschlägiger Bedeutung ist aber der im Zusammenhang einer als Bewußtseinstheorie ausgearbeiteten Begriffslehre (Synthesis der Rekognition im B e g r i f f ; A 1O3 - A 110) begründete Gegenstandsbegriff sowie die der eigentlichen Deduktion unmittelbar voraufgehende Kurzfassung des Gegenstandsbezuges der Kategorien (A 110 - A 1 1 4 ) . Die Reproduktion des apprehendierten Mannigfaltigen durch Einbildungskraft bedarf der Ergänzung durch ein Bewußtsein der Identität des Reproduzierten mit dessen Reproduktion. Die Synthesis des Mannigfaltigen bekommt erst durch erinnerndes Wiedererkennen (Bewußtsein) die erforderliche Einheit. Das "Bewußtsein dieser Einheit der Synthesis" (A 1O3) ist der B e g r i f f . Den Gegenstand faßt Kant nun vom Begriff des Gegenstandes als der Einheit des Bewußtseins von Anschauungsmannigfaltigem her. (A 1 O 4 f f . )

44 Zur u n t e r s c h i e d l i c h e n Z u o r d n u n g der Synthesen zu den Vermögen vgl. H. J. de V l e e s c h a u w e r , La deduction t r a n s c e n d a n t a l e dans l'oeuvre de K a n t , t. 2, Paris 1936, S. 2 3 1 . 45 V g l . dazu auch die O n t o l o g i s i e r u n g der S y n t h e s i s - L e h r e bei M. H e i d e g g e r , K a n t u n d d a s Problem d e r M e t a p h y s i k , a . a . O . , S. 1 4 f . u. S. 2 7 f . sowie S. 37. 4 6 " R e p r o d u k t i v e S y n t h e s i s d e r E i n b i l d u n g s k r a f t " ( A 1 0 2 ) ist d u r c h a u s n i c h t m i t bloß r e p r o d u z i e r e n d e r E i n b i l d u n g s k r a f t identisch. Die reine transzendentale Synthesis der Einbild u n g s k r a f t r e p r o d u z i e r t a priori d a s r e i n e M a n n i g f a l t i g e . Die K o n j e k t u r Riehls ("produktive Synthesis"; vgl. Edition der K r i t i k von R. S c h m i d t , a . a . O . , S. 149aA n m . 2) e r ü b r i g t sich damit.

124

Verstand und Objektivität

Die Rede vom "Gegenstand der Vorstellungen", präzisiert zum Ausdruck eines Gegenstandes der Erscheinungen, führt auf den Gedanken eines von der Erkenntnis verschiedenen und dieser korrespondierenden Gegenstandes "außer der Vorstellungskraft". Diese am Immanenzcharakter der Erscheinungen ("Modifikationen des Gemüts"; A 99) ansetzende Gegenüberstellung führt auf ein nicht selbst Vorstellbares, auf ein nur "als etwas überhaupt = X" zu Denkendes, über den relationalen Gedanken der Korrespondenz jedenfalls ist dieser selber nicht vorgestellte Gegenstand von Vorstellungen nicht zu bestimmen, "weil wir außer unserer Erkenntnis doch nichts haben, welches wir dieser Erkenntnis als korrespondierend gegenübersetzen könnten" (A 1 O 4 ) . Doch gelingt eine positive Fassung jenes anonymen Etwas durch eine Modalbetrachtung der Erkenntnisse, insofern sie Erkenntnisse eines Gegenstandes sind. Die Notwendigkeit in der Beziehung von Vorstellungen auf einen Gegenstand ist äquivalent mit der Notwendigkeit in der Übereinstimmung dieser Vorstellungen untereinander, weil diese aufgrund ihres gemeinsamen Gegenstandes "notwendigerweise in Beziehung auf diesen (sc. den Gegenstand) untereinander übereinstimmen" müssen. An die Stelle der unmöglichen direkten Gegenstandsbeziehung ist jetzt eine indirekte Beziehung auf den Gegenstand durch das Bewußtsein der notwendigen Einheit der Synthesis des Vorstellungsmannigfaltigen getreten. Der Gegenstandsbegriff wird festgemacht am bewußtseinstheoretischen Begriff des B e g r i f f s . Die mit Gegenstandsbezug identische Übereinstimmung der Vorstellungen ist die Protoform von Intersubjektivität. Subjekte der Relation sind die einzelnen Vorstellungen. Daß sich zwischen Individuen durch zufällige oder notwendige Übereinstimmung in Urteilen Übereinstimmung über die Objekte der Urteile einstellen kann bzw. m u ß , hat seinen Grund in der Identität von Objektivität - sei diese nun einzeln-individuell oder intersubjektiv-allgemein verwirklicht - mit dem Bewußtsein der not-

Der transzendentale Gegenstand

125

wendigen Einheit des Synthetisierten ( B e g r i f f ) . 47 Der "transzendentale Grund" (A 106) der notwendigen Einheit von einem Gegenstand ist aber nicht die Bestimmtheit eines korrespondierenden Gegenstandes, sondern der Begriff als die für die notwendige Reproduktion der Vorstellungen vorauszusetzende "Einheit der Regel" (A 1O5). Kants Beispiele aus der Geometrie und dem Bereich der äußeren Erscheinung (A 105f.) stellen die Erkenntnis der Gegenstände als im Begriff geregelte Reproduktion der notwendig zusammengehörigen Anschauungen vor. Die bewußtseinstheoretische Reduktion des Gegenstandes auf die "Vorstellung vom Gegenstande = " ( 1 5) delegiert die Begründung der Notwendigkeit von Synthesis bzw. von deren Einheit über den Regelbegriff an dessen Ursprung, die transzendentale Apperzeption. (A 106f.) Im Vergleich zur ontologischen Naivität der Korrespondenztheorie des Gegenstandserkennens - als hätten wir außer der Erkenntnis noch den Gegenstand - legt Kants reduzierter Gegenstandsbegriff eine kohärenztheoretische Interpretation des Q Gegenstandes nahe . Im Rückgriff auf einen Gedanken von G. Prauss könnte auch von einem Nominalismus in Kants Gegenstandsbegriff gesprochen werden, 49 Kant selbst suggeriert eine solche Auffassung mit der Wendung: " A l s d a n n sagen wir: wir e r k e n n e n den G e g e n s t a n d , wenn wir in dem M a n n i g f a l t i g e n der Anschauung synthetische E i n h e i t b e w i r k t h a b e n . " ( A 1O5; H . v . m . )

Die Möglichkeit notwendigen Bewußtseins der synthetischen Einheit ( B e g r i f f ) hat zur Voraussetzung eine durchgängige Einheit des Bewußtseins von Mannigfaltigem, also das (mögliche) Bewußtsein der strengen "Identität seiner selbst" (A 1O8). Durchgän-

47 Eine makroskopische, ü b e r i n d i v i d u e l l e Fassung der Intersubjektivität als "Wechselbegriff" zu "objektive Gültigkeit" geben d i e P r o l e g o m e n a . . . ( A A I I I , 288f.). 48 Zur K l a s s i f i k a t i o n der W a h r h e i t s t h e o r i e n vgl. L. B. P u n t e l , Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie. Eine kritischs y s t e m a t i s c h e D a r s t e l l u n g , D a r m s t a d t 1978. 49 Vgl. G. P r a u s s , E i n f ü h r u n g in die E r k e n n t n i s t h e o r i e , Darms t a d t 198O, S . 1 6 8 f f . sowie d e r s . , I n t e n t i o n a l i t ä t b e i K a n t , a . a . O . , S. 765 ("Nominalismus von W a h r h e i t " ) .

126

Verstand und Objektivität

gige Identität des Bewußtseins von Mannigfaltigem ist aber nur möglich als Bewußtsein von Identität der Funktion bei der Synthesis des Mannigfaltigen: "Also ist das u r s p r ü n g l i c h e und notwendige Bewußtsein seiner selbst zugleich ein B e w u ß t s e i n einer ebenso n o t w e n d i g e n E i n h e i t d e r S y n t h e s i s a l l e r E r scheinungen nach B e g r i f f e n ..." ( A 1O8)

Die Fassung des durchgängig-einheitlichen "Selbstbewußtseins" (A 111; A 113) als Bewußtsein der b e g r i f f l i c h geregelten Vereinheitlichung ("Handlung"; A 1O8) im und durch das "Radikalvermögen" (A 1 1 4 ) der transzendentalen Apperzeption erlaubt eine bewußtseinstheoretische Präzisierung des B e g r i f f s "von einem Gegenstande überhaupt" (A 108) zum Begriff vom nichtempirischen, transzendentalen Gegenstand. In einer Vorüberlegung stellt Kant nochmals den Erscheinungen als Gegenständen der Anschauung den von allen Vorstellungen unterschiedenen Gegenstand zu den Vorstellungen gegenüber, der, insofern er kein Gegenstand für Vorstellungen ist, "der nichtempirische, d . i . transzendentale Gegenstand = X genannt werden mag" (A 1 0 9 ) . Bei aller Anonymität des Gegenstandes selbst ( " X " ) kann indessen die Funktion des Begriffs von ihm angegeben werden: "Der reine B e g r i f f von diesem t r a n s z e n d e n t a l e n Gegenstande (der w i r k l i c h bei allen unsern Erkenntnissen i m m e r e i n e r l e i = X i s t ) ist d a s , was in a l l e n u n s e r e n empirischen B e g r i f f e n ü b e r h a u p t Beziehung auf einen Gegenstand, d.i. objektive Realität verschaffen kann." (A 109)

Es handelt sich um einen nicht durch Anschauung bestimmten Beg r i f f ("kann ... keine bestimmte Anschauung enthalten"), der also auch keine Anschauung zum Inhalt hat. Vielmehr ist er der Begriff jener notwendigen synthetischen Einheit des "Mannigfaltigen der Erkenntnis", die erst dessen "Beziehung auf einen Gegenstand" ausmacht. Von dieser Beziehung gilt aber, daß sie mit der apriorischen Bewußtseinseinheit qua Einheit des Begriffes in Funktion identisch ist. Insofern geht das Moment der Gegenstandsbeziehung von Erkenntnissen - dies, daß Erkenntnis einen Gegenstand hat - auf in der allgemeinen Synthesis des Anschauungsmannigfaltigen durch das per Synthesis identische

Der transzendentale Gegenstand

127

Bewußtsein seiner selbst. Auch die Gegenstandsbeziehung von empirischen Begriffen beruht danach auf der notwendigen Apperzipierbarkeit aller bloß sinnlichen Gegenstände als der Bedingung, unter der Bewußtsein von Erscheinungen im Bewußtsein dieser Erscheinungen zustandekommt. Kant parallelisiert die formal-sinnlichen Bedingungen der Anschauung mit den formal-intellektuellen Bedingungen der Erkenntnis von Erscheinungen. (A 110) Auffallend an diesem Vergleich von transzendentalästhetischen und -logischen Prinzipien ist die Zuordnung der Erfahrung ihren Bedingungen nach zur Apperzeption und damit zu dem starken Begriff von Erkenntnis, d.i. zur Erkenntnis von Gegenständen in der Erfahrung. Erfahrung wäre hier zu erläutern durch Gegenstandsevfahrung. Die Parallelität der beiden Prinzipienbereiche (Anschauung und Denken) für die Begründung der Erfahrung (B 126/A 94) ist damit eingeschränkt durch eine Zuweisung von Erfahrung als Gegenstandserkenntnis an das Denken und dessen Begründung von Gegenständlichkeit. Erfahrung wird so von den Gegenständen der Erfahrung her systematisch eingeführt über die Objektivität begründenden Funktionen des Verstandes (Kategorien). Die für Erfahrung spezifische Beziehung der empirischen Begriffe auf einen "transzendentalen Gegenstand" stellt keine zusätzliche Bestimmung der schon vorliegenden empirischen Begriffe dar, sondern macht deren Begriffscharakter selbst aus: dadurch und nur dadurch daß sie, apperzeptiv begründet, in notwendiger Beziehung auf dieses unbestimmte Etwas ( " X " ) stehen, sind sie empirische Begriffe - B e g r i f f e von empirischen Gegenständen. Auch hat man sich die Beziehung auf einen transzendentalen Gegenstand nicht ontologisch und transzendenzmetaphysisch im Sinne einer die empirische Gegenstandsbeziehung begründenden, aber ihr gegenüber selbständigen Gegenstandsbeziehung zwischen zwei reinen Relaten (Kategorie und transzendentaler Gegenstand) zu denken. Die empirischen Begriffe stehen in der Beziehung auf einen transzendentalen Gegenstand, insofern sie überhaupt in Beziehung auf einen Gegenstand stehen. Alle Gegenstandsbeziehung ist wesentlich Beziehung auf einen transzendentalen Gegen-

128

Verstand und Objektivität

stand. Streng genommen gibt es nur einen Gegenstand aller empirischen Erkenntnisse, den transzendentalen Gegenstand, "der wirklich bei allen unsern Erkenntnissen immer einerlei = X ist" (A 109). Kants Kennzeichnung dieser uniken transzendentalen Gegenstandsbeziehung als der Form aller Gegenstandsbeziehung in empirischer Erkenntnis durch den Terminus "objektive Realität" (A 1O9) prädiziert den Ausdruck einmal von empirischen Begriffen, dann bei der zweiten Formulierung von empirischer Erkenntnis ganz allgemein. Wie schon bei der Beziehung auf einen transzendentalen Gegenstand hervorgehoben, stellt die Zusprechung von "objektiver Realität" keine zusätzliche Bestimmung der empirischen Begriffe bzw. Erkenntnis dar, sondern sie reflektiert eine notwendige Eigenschaft von empirischen Begriffen qua Gegenstandsbegriffen. Begriffe haben, insofern sie Begriffe von empirischen Gegenständen sind, eo ipso "objektive Realität". In dieser Hinsicht unterscheiden sich Begriffe wesentlich von bloß sinnlichen Vorstellungen (Anschauungen bzw. Erscheinungen) Letztere haben nämlich "an sich selbst keine objektive Realität" (A 1 2 0 ) . "Objektive Realität" haben Vorstellungen insofern und nur insofern sie durch die Synthesis-Leistung der Apperzeption in einen notwendigen Zusammenhang (Objektivität) gebracht werden. Es findet sich also ein doppelter Gebrauch von "objektive Realität", einmal bezogen auf empirische Begriffe und dann bezogen auf die reinen Begriffe. Im Kontrast zum spezifischen, gegenstandsbezogenen Bedingungsmodus der reinen Verstandesbeg r i f f e ("objektive Gültigkeit" der Kategorien) konnte die "objektive Realität" von Kategorien an einem legitimierenden Bezug auf sinnliche Anschauung festgemacht werden. Die "objektive Realität" von empirischen Begriffen qua transzendentaler Gegenstandsbeziehung kann diesen Sinn einer Begründung durch Rückg r i f f auf Sinnliches nicht haben, thematisiert doch die Einführung des transzendentalen Gegenstandes mit Bezug auf die empirischen Begriffe gerade die Überschreitung des bloß Sinnlichen (Anschauungen, Erscheinungen) auf ein als solches sinnlich

Der transzendentale Gegenstand

129

nicht gegebenes Objekt hin. Die Kennzeichnung eines empirischen Begriffs als von "objektiver Realität" akzentuiert gerade den Unterschied zwischen den "Modifikationen des Gemüts" (A 99) bloßen Zuständen vor eigentlicher Erkenntnis - und der Beziehung solcher subjektiven Vorstellungen auf ein von ihnen Unterschiedenes. Der Akzent liegt deshalb im Fall der empirischen Begriffe auf deren "objektiver Realität". Die Betonung der Objektivität bei der Charakteristik der empirischen Begriffe findet ihre Bestätigung, wenn Kant in einem sachlich vergleichbaren Zusammenhang - gegen Ende der Kategoriendeduktion bei der Gegenüberstellung von wirklicher Erfahrung und ihrem Möglichkeitsgrund (A 1 2 4 f . ) - anführt, daß die obersten Begriffe für die "Rekognition der Erscheinungen" "die f o r m a l e E i n h e i t d e r E r f a h r u n g , u n d m i t i h r alle o b j e k t i v e Gültigkeit ( W a h r h e i t ) der empirischen E r k e n n t n i s m ö g l i c h m a c h e n " ( A 1 2 5 ) .

Die Wahl des Terminus "objektive Gültigkeit" bei der Kennzeichnung der empirischen Erkenntnis sowie die Erläuterung des Ausdrucks durch "Wahrheit" sprechen für eine Herausstellung des Bezuges auf Gegenstände auch im gleichgelagerten Fall der Prädizierung von "objektiver Realität" zur Herausstellung der Beziehung von empirischen Erkenntnissen auf den Gegenstand. Die Interpretation der thematischen "objektiven Realität" als "objektive Realität" findet eine explizite Stütze in einer terminologischen Unterscheidung, die Kant bei der Behandlung der Zweiten Analogie anbringt. Auch dort geht es um ein Verständnis der "Beziehung auf einen Gegenstand" (B 242/A 1 9 7 ) . Die "objektive Realität" von Vorstellungen - dort identifiziert mit "objektiver Bedeutung" - besteht darin, den sinnlichen "Vorstellungen ein Objekt ( z u ) setzen" und so "über ihre subjektive Realität, als Modifikationen, ihnen noch ... objektive (sc. Realität) bei(zu)legen" (B 242/A 197; H . v . m . ) . 5 1 50 Zum V e r h ä l t n i s von " o b j e k t i v e R e a l i t ä t " und " B e d e u t u n g " vgl. unten 3.1. 51 D a s schon e r ö r t e r t e ( v g l . oben 1 . 2 . ) A u f t a u c h e n v o n " s u b j e k tive R e a l i t ä t " i n d e r T r a n s z e n d e n t a l e n Ä s t h e t i k ( B 5 3 ) soll hier unberücksichtigt bleiben.

130

Verstand und Objektivität

Die Rede von "subjektiver Realität" im expliziten Gegensatz zur "objektiven Realität" von Vorstellungen bietet eine Interpretationsmöglichkeit für den sachlich Gleichen Fall einer Qualifikation der Gegenständlichkeit empirischer Erkenntnisse durch den Terminus "objektive Realität". Doch kann diese Erklärung keine identische Anwendung finden auf die Erwägung der "objektiven Realität" der reinen Begriffe a priori. (A 95) Für diese intellektuellen Begriffe und also auch für die Kategorien läßt sich eine Zusprechung von "objektiver Realität" in Kontrastierung zu einer etwaigen subjektiven Realität ebendieser B e g r i f f e nicht auflösen in den Gegensatz von intellektueller und sinnlicher Bestimmtheit. Wohl wäre eine Unterscheidung vorzunehmen zwischen der anzusetzenden subjektiven Realität der nicht-empirischen B e g r i f f e ("metaphysische Deduktion") und ihrer davon unterschiedenen "objektiven Realität" ("transzendentale Deduktion"). Dann wäre im Ausdruck "objektive Realität", ausgesagt von empirischen Begriffen ganz allgemein, die noch unspezifische Beziehung auf Erfahrung thematisiert, während die "objektive Gültigkeit", prädiziert von Kategorien, auf die spezifischen Bedingungen für die Gegenständlichkeit der Erfahrung abzielte. Allerdings nimmt der Textbestand von 1781 keine dem Ausdruck "subjektive Realität" analoge Gegenbildung zu "objektive Gültigkeit" vor. 5 2 Eine weitere Schwierigkeit der konjizierten Kontrastierungen liegt in der unterschiedlichen Bedeutung von "objektiv" in den beiden Ausdrücken "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" im Fall der Kategorien. Das "objektiv" hebt bei der "objektiven Realität" nicht-empirischer Begriffe nicht eigentlich den Gegenstandsbezug im Sinne des starken Begriffs von Erkenntnis (Objektivität)

hervor, wie dies bei "objektive Gültigkeit",

ausgesagt für Kategorien, der Fall ist.

Das Objektive an der

"objektiven Realität" von nicht-empirischen Begriffen ist bloß

5 2 " S u b j e k t i v e G ü l t i g k e i t " f i n d e t sich e r s t , n a c h d e r E i n f ü h rung des Ausdrucks in den Prolegomena ··. (AA IV, 3 0 O ) , in der Zweitfassung der transzendentalen Deduktion (B 14O).

Der transzendentale Gegenstand

131

Ausdruck ihres Anschauungsbezuges und erfüllt den strengen Sinn von Objektivität nicht. Zu rechtfertigen wäre diese Abweichung durch die bei der allgemeinen Erörterung reiner Begriffe a priori noch völlig unspezifische Einschätzung des Bezuges auf Erfahrung als "Bedingungen a priori zu einer möglichen Erfahrung" (A 9 5 ) . An die spezifische Objektivität der Erfahrung ("objektive Gültigkeit") ist hier noch nicht zu denken; diese zusätzliche Bestimmung bringen erst die Kategorien, verstanden als Begriffe des Gegenstandsdenkens, ein. (A 9 6 f . ) Den starken Erfahrungsbegriff, expliziert durch die Einschränkung auf den Singular ("reine Erfahrung"; A 110) bringt Kant auch zur Anwendung in der "Vorläufigen Erklärung der Möglichkeit der Kategorien, als Erkenntnisse(n) a priori" (A 11O - A 1 1 4 ) . Er kann jetzt voraussetzen, daß Erfahrung streng genommen immer Erfahrung von Gegenständen meint: "Die Bedingungen a priori einer möglichen E r f a h r u n g ü b e r h a u p t sind z u g l e i c h B e d i n g u n g e n d e r M ö g l i c h k e i t der Gegenstände der E r f a h r u n g . " (A 111)

Das Deduktionsargument in seiner Grundform besteht in der Einsetzung der Kategorien in die beiden Seiten dieser identifizierenden Bestimmung. Kategorien sind die "Bedingungen des Denkens in einer möglichen Erfahrung" und deshalb "auch Grundbegriffe, Objekte überhaupt zu den Erscheinungen zu denken" (A 1 1 1 ) . Ebendiese Funktion der Kategorien, notwendige Bedingung für die Möglichkeit von Objekten zu den Erscheinungen zu sein, ist aber mit ihrer "objektiven Gültigkeit" identisch. "Objektive Gültigkeit" von Kategorien besagt nichts anderes als dieses: keine Gegenstände (der Erfahrung) ohne Kategorien. Die Formulierung am Schluß der eigentlichen Deduktion (A 128) bezieht die "objektive Gültigkeit" der Kategorien eindeutig auf das "Verhältnis des Verstandes zur Sinnlichkeit, und vermittelst derselben zu allen Gegenständen der Erfahrung" (A 128; H . v . m . ) .

5 3 D a s B e w e i s z i e l d e r D e d u k t i o n ( s u b j e k t i v e B e d i n g u n g e n haben " o b j e k t i v e G ü l t i g k e i t " ) f o r m u l i e r t K a n t auch a d j e k t i v i s c h ("objektiv gültig"; A 1 2 5 ) .

132

Verstand und Objektivität

Dieses Verhältnis der reinen Verstandesbegriffe zu den Erscheinungen begründet erst die Beziehung von Erscheinungen auf ihre Gegenstände. Faßt man die Analyse der Kategoriendeduktion (A) in die Terminologie von "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit", so ergibt sich: 1. Nur solche nicht-empirischen Begriffe haben überhaupt "objektive Realität" - sind Bedingungen möglicher Erfahrung -, die als Kategorien "objektive Gültigkeit" haben - die Bedingungen der Gegenstände der Erfahrung sind. 2. Die "objektive Gültigkeit" der Kategorien begründet die "objektive Realität" der empirischen Begriffe. Bemerkenswert an dieser terminologischen Konstellation ist die doppelte und spezifisch aufeinander bezogene Unterscheidung von "objektive Gültigkeit" und "objektive Realität" sowie von empirischen und nicht-empirischen Begriffen. Während die "objektive Realität" von nicht-empirischen Begriffen auf deren Realisierung durch den Bezug auf Anschauung (Erfahrung) abhebt, thematisiert die "objektive Gültigkeit" von nicht-empirischen Begriffen deren Objektivität (Gegenstand der E r f a h r u n g ) . In Umkehrung dieser Funktionsverteilung von "objektive Gültigkeit" (Objektivierung) und "objektive Realität" (Realisierung) bei nicht-empirischen Begriffen, zielt die "objektive Realität" von empirischen Begriffen gerade auf deren Objektivität (transzendentaler Gegenstand). Es steht demnach zu vermuten, daß die von empirischen Begriffen prädizierte "objektive Gültigkeit" deren Sinnlichkeitsbezug meint. Ein Beleg für diesen erschlossenen Gebrauch findet sich an einer Stelle zu Ende der Analytik der Grundsätze, im Hauptstück über den Grund der Phaenomena-Noumena-Unterscheidung. Dort macht Kant die "objektive Gültigkeit" für "alle Beg r i f f e " fest an der Beziehung auf "empirische Anschauungen". (B 298/A 2 3 9 ) Den Chiasmus in der Verwendung von "objektive Gültigkeit" und "objektive Realität" mit Bezug auf empirische bzw. nicht-empirische Begriffe kann folgende Übersicht veranschaulichen:

Struktur der transz. Deduktion

Kategorien empirische Begriffe

133

"objektive Realität 1

"objektive Gültigkeit 1

Anschauungsbezug

Objektivität

Objektivität

Anschauungsbezug

Der völlig entgegengesetzte Gebrauch der Terminologie von "objektive Gültigkeit" und "objektive Realität" mit Bezug auf empirische und reine Begriffe deutet auf einen unterschiedlichen Status beider Begriffstypen hinsichtlich des Problems der Objektivität. Offensichtlich lassen sich reine Begriffe nicht nach der Art von empirischen Begriffen behandeln, und auch umgekehrt nimmt das terminologische Instrumentarium bei der Übertragung vom Typus "reiner Begriff" zum Typus "empirischer Beg r i f f " einen abweichenden Sinn an. Die Differenz ist aber nur am Unterschied der Kontexte festzumachen und besteht nicht abstrakt als Definition des jeweiligen Begriffs.

2 . 4 . 4 . Das Strukturproblem der transzendentalen Deduktion (Zweitfassung der Kategoriendeduktion) Zu den in Reaktion auf zeitgenössische "Mißdeutung" 54 (B XXXVII) verändert dargestellten Partien der Kritik gehört die völlige Neufassung des Zweiten Abschnitts der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe. (A 95 - A 1 3O) Sie wird von Kant jetzt explizit eine "transzendentale Deduktion" genannt (B 129 - B 1 6 9 ) . 5 5 Die Neufassung des Textes setzt schon kurz vorher ein (A 94) und verzichtet inhaltlich gesehen auf die ausführliche Disposition der Vermögen und ihres je doppelten Gebrauchs. Einzig der Unterschied von transzendentaler Apperzeption und empiri-

54 V g l . de V l e e s c h a u w e r , La d e d u c t i o n , t. 2, a . a . O . , S. 497 548. 55 Noch in den P r o l e g o m e n a ... ist nur von " D e d u k t i o n " die Rede ( A A I V , 2 6 O ) .

134

Verstand und Objektivität

scher Apprehension wird wiederaufgenommen. (B 160; B 162 Anm.) Auch die formale Gliederung in eine vorbereitende Aufführung der Elemente (A 98 - A 1 1 4 ) und die anschließende eigentliche Deduktion (A 1 1 5 f f . ) ist aufgegeben. Stattdessen findet sich eine Abfolge von dreizehn, meist mit Überschrift versehenen Unterabschnitten, die in die ebenfalls neu eingefügte Paragraphenzählung für die Vorstellung der "Elementarbegriffe" (B 33 B 1 6 9 ) einbezogen sind. (§§ 15 - 28) Das Ausmaß der Differenz beider Fassungen läßt sich schon durch eine Aufzählung der einzelnen Paragraphenthemen erkennen: Einsatz beim Gedanken der Synthesis (§ 1 5 ) , Fassung der Apperzeptionseinheit durch einen analytischen Grundsatz, der als Beweisgrund für Synthesis fungiert (§ 1 6 ) , Erklärung des Verstandes durch den apperzeptionstheoretischen Objektbegriff (§ 1 7 ) , logischer Primat der objektiv-notwendigen Bewußtseinseinheit vor der subjektiv-zufälligen empirischen Bewußtseinseinheit (§ 1 8 ) , Aufnahme der logischen Urteilsform als Vollzugsweise der objektiven Apperzeptionseinheit (§ 1 9 ) , Schluß auf die Kate gorie als Apperzeptionsform der sinnlichen Anschauung (§ 2 0 ) , explizite Gliederung in einen "Anfang" der Deduktion und ihre abschließende Vollendung (§ 2 1 ) , Restriktion der Kategorien auf Gegenstände möglicher Erfahrung (§ 2 2 ) , Vergleich des Geltungsbereichs von sinnlichen Formen und reinen Verstandesbeg r i f f e n (§ 2 3 ) , Faktum der Selbstaffektion des inneren Sinnes durch den Verstand (§ 2 4 ) , Differenz von Existenzgewißheit des Selbst im Denken und Selbsterkenntnis in sinnlicher Anschauung (§ 2 5 ) , Unterscheidung von metaphysischer und transzendentaler Deduktion sowie Schluß auf die Kategorialität (das Unter-Kategorien-Stehen) der Wahrnehmung (§ 2 6 ) . In Anbetracht der strukturellen Neufassung des Deduktionsganges sowie der Neuaufnahme des apperzeptionstheoretisch gefaßten Urteilsbegriffs und der Explikation des Verhältnisses von Sinnlichkeit und Verstand durch den Proto-Schematismus der Selbstaffektion fällt es schwer, die Auflagendifferenz - mit Kant - ausschließlich der veränderten "Darstellung" (B XXXVIII) zuzurechnen. Daß die "Sätze selbst" und ihre "Beweisgründe" in-

Struktur der transz. Deduktion

135

takt blieben, kann sich wohl nur auf Argumente einer gewissen Allgemeinheitsstufe beziehen; im Fall der Deduktion wäre dies etwa die Fassung der Apperzeption als Beweisgrund oder die Restriktion der Kategorien auf mögliche Erfahrung. Im Zuge eines wachsenden Interesses an der Argumentationsform der Kantischen Transzendentalphilosophie haben sich jüngere Arbeiten zur B-Deduktion insbesondere mit der Logik des Beweises beschäftigt. Ein Gesamtverständnis der B-Deduktion - Voraussetzung auch für ihre Auswertung zum Thema der Gegenstandsbeziehung - wird von der Interpretation durchgehend an der Freilegung ihres argumentativen Aufbaus festgemacht. Zentrales 58 Thema ist dabei die "Beweisstruktur" der Deduktion. Zur Orientierung im Beweisgang wird durchweg der Anmerkungsparagraph (§ 21) herangezogen, in dem Kant eine formale Gliederung der Deduktion nach "Anfang" (§ 2O) und Vollendung (§ 26) vornimmt. (B 1 4 4 f . ) Die inhaltliche Unterscheidung dieser beiden Teile zieht dann meist die von Kant mehrmals hervorgehobene Gegenüberstellung von "Anschauung überhaupt" und "unserer sinnlichen Anschauung" (B 1 6 1 ) heran. Überwiegend geschieht dies in der Form einer Zuweisung des Themas "Anschauung überhaupt" an den ersten Teil und des Themas "menschlich-sinnliche Anschauung" an den zweiten Teil. Das "überhaupt" ist dabei mit lat. generatim gleichgesetzt 59 und zur Bestimmung eines umfangslogischen Verhältnisses der beiden Deduktionsteile eingesetzt. Allerdings verbietet sich das simple Gattungs-Art-Schema, weil, was von

56 Zum V e r h ä l t n i s von A- und B - D e d u k t i o n v g l . a. H. J. P a t o n , K a n t ' s m e t a p h y s i c of e x p e r i e n c e . A c o m m e n t a r y on the f i r s t h a l f of the K r i t i k der r e i n e n V e r n u n f t , v o l . 1, L o n d o n / N e w York 1936, S. 499 - 5O1; f e r n e r V l e e s c h a u w e r , La d e d u c t i o n , t. 3, a . a . O . , S. 276 - 2 8 4 . 57 V g l . d a z u die A u f b e r e i t u n g der D i s k u s s i o n über t r a n s z e n d e n tale A r g u m e n t a t i o n b e i R . A s c h e n b e r g , S p r a c h a n a l y s e u n d T r a n s z e n d e n t a l p h i l o s o p h i e , S t u t t g a r t 1 9 8 2 , S. 255 - 3 6 2 . Insgesamt i s t f ü r diese a n a l y t i s c h i n s p i r i e r t e D e b a t t e e i n e V e r nachlässigung des bewußtseinstheoretischen Aspekts der Kantischen Transzendentalphilosophie charakteristisch (Stichw o r t : T r a n s z e n d e n t a l p h i l o s o p h i e ohne S u b j e k t , b l o ß m i t S t r u k turen) . 58 Der A u s d r u c k selbst geht auf den e i n s c h l ä g i g e n A u f s a t z von D. Henrich (Die Beweisstruktur, a . a . O . ) zurück. 59 V g l . etwa R. E i s l e r , K a n t - L e x i k o n , B e r l i n 1 9 3 O , S. 5 4 4 .

136

Verstand und Objektivität

der Gattung gilt, a fortiori von der ihr subordinierten Spezies gesagt werden kann und insofern eine Fortführung der Deduktion über Paragraph 20 hinaus der argumentativen Notwendigkeit entbehren würde. Die Relation wird deshalb meist so verstanden, daß der Anfang abstrakt bleibt und deshalb noch der späteren abschließenden Konkretion - durch Anwendung auf die spezifische menschliche Erkenntnissituation - bedarf. Im einzelnen fassen die Interpreten das Verhältnis von erstem und zweitem Deduktionsteil bzw. von "Anschauung überhaupt" und "unserer sinnlichen Anschauung" analog zur Unterscheidung von reinen Kategorien und auf Sinnlichkeit bezogenen Kategorien (Paton ) , als Unterschied von Anschauung tout court und deren ft 2 besonderer Form (de Vleeschauwer ) , im Sinne eines bloß fiktiven Gattungs-Art-Verhältnisses bei restriktiver Identifizierung der Gattung mit der einzig möglichen Spezies (menschliche Anschauung) (Zocher ) und als Schritt von der allgemeinen Synthesis zu deren Anwendung (Wagner ) . Mehrfach wird - ausgehend von Kants Gedanken einer logisch möglichen, alternativ organisierten sinnlich-endlichen Vernünftigkeit - das Verhältnis als Anthropologisierung gedeutet (Baum , Brouillet , Nowotny ) . Ohne den Rückgriff auf eine Typisierung von Anschauung möchte dagegen D. Henrich auskommen, der die Auslassung des § 21 über die Struktur der Deduktion zur Formulierung eines Interpretationskriteriums für das Verständnis der transzendentalen Deduk-

60 V g l . d a z u P a t o n , K a n t ' s m e t a p h y s i c , v o l . l , a . a . O . , S . 2 8 4 ; ferner V. Nowotny, Die Struktur der Deduktion bei Kant. In: K a n t - S t u d i e n 72 ( 1 9 8 1 ) , S. 27O - 2 7 9 , bes. S. 2 7 5 . 61 Vgl. Paton, K a n t ' s metaphysic, vol. l, a . a . O . , S. 284 A n m . 3. 62 V g l . V l e e s c h a u w e r , La d e d u c t i o n , t. 3, a . a . O . , S. 1 5 7 f . 63 Vgl. R. Zocher, Kants transzendentale Deduktion, a . a . O . , S. 165 u. 189. 64 Vgl. H. W a g n e r , Der Argumentationsgang in Kants Deduktion der K a t e g o r i e n . In: Kant-Studien 71 ( 1 9 8 O ) , S. 358 u. S. 362. 65 Vgl. M. Baum, Die t r a n s z e n d e n t a l e Deduktion in Kants Kritik e n , Köln 1975, S. 4 1 f f . 6 6 V g l . R . B r o u i l l e t , D i e t e r H e n r i c h e t "The p r o o f - s t r u c t u r e of K a n t ' s transcendental deduction". Reflexions critiques. In: Dialogue 14 ( 1 9 7 5 ) , S. 639 - 648, bes. S. 6 4 6 f .

67 Vgl. Nowotny, Die Struktur der Deduktion, a . a . O . , S. 2 7 3 f .

Struktur der transz. Deduktion

137

tion (B) auswertet: "Es muß g e l i n g e n , die beiden P a r a g r a p h e n 2O und 26 e n t g e g e n d e m A n s c h e i n a l s zwei A r g u m e n t e m i t vers c h i e d e n e m R e s u l t a t a u f z u f a s s e n , die z u s a m m e n d e n ,._ e i n e n Beweis d e r t r a n s z e n d e n t a l e n D e d u k t i o n e r g e b e n . "

Die geltend gemachte strenge Einheitlichkeit des Beweises, verbunden mit einer inneren Gliederung in zwei getrennte Schritte entwickelt Henrich in kritischem Bezug zu den Verdoppelungen 69 ("zwei verschiedene vollständige Beweise" ) in der älteren Kantliteratur. Letztere operierte hauptsächlich mit gegenüber der transzendentalen Deduktion externen Klassifikationsprinzipien ("subjektive Deduktion" vs. "objektive Deduktion": Adickes/Paton; "Deduktion von oben" vs. "Deduktion von unten": Erdmann/de Vleeschauwer ) . Mag auch die Kritik an de Vleeschauwer zum Zweck des Kontrastes überzogen sein - die traditionell herangezogenen Gliederungshilfen lassen sich insgesamt weder sinnvoll noch in Übereinstimmung mit Paragraph 21 auf den Text von 1787 anwenden. Henrichs eigener Lösungsvorschlag zum Strukturproblem der BDeduktion verhält sich nun zu den von ihm kritisierten Interpretationen invers. Die Abfolge der Schritte folgt nicht dem formalen Verhältnis abstrakte Allgemeinheit - konkrete Anwendung, sondern sie läuft vom vorläufig noch quantitativ eingeschränkten und deshalb noch problematischen ersten Resultat zur Aufhebung der Einschränkung im Sinne einer assertorischen AIIgeme inhe it.

68 H e n r i c h , Die B e w e i s s t r u k t u r , a . a . O . , S. 91. 69 E b e n d a , S. 91. 70 Die t y p o l o g i s i e r t e n G l i e d e r u n g s s c h e m a t a s t a m m e n von A d i c k e s und Paton b z w . von Erdmann und Vleeschauwer; vgl. H e n r i c h , Die B e w e i s s t r u k t u r , a . a . O . , S. 91 u. S. 103 A n m . 5 u. 6. 7 1 V g l . d a z u bes. V l e e s c h a u w e r s v o n H e n r i c h n i c h t b e r ü c k s i c h t i g t e n A b s c h n i t t über "La s t r u c t u r e de la d e d u c t i o n " (La d e d u c t i o n , t. 3. a . a . O . , S. 155 - 159) s o w i e P a t o n s v o r s i c h tig-skeptischen Umgang mit der Terminologie " s u b j e k t i v e " " o b j e k t i v e " S e i t e d e r D e d u k t i o n ( K a n t ' s m e t a p h y s i c , vol. l, a . a . O . , S . 5 2 7 f . , bes. ebenda A n m . 6 ) .

138

Verstand und Objektivität

Zur Begründung dieser Deutung nimmt Henrich eine graphische Auffälligkeit im Kantischen Text in Anspruch. Wenn Kant im Rückblick auf das Ergebnis von Paragraph 20 formuliert: " . . . daß das empirische Bewußtsein eines gegebenen M a n n i g f a l t i g e n Einer Anschauung ... unter einem reinem S e l b s t v e w u ß t s e i n a p r i o r i ... s t e h e " ( B 1 4 4 ) ,

dann faßt Henrich dieses "Eine Anschauung" als, einstweilen nur vorausgesetzte, Einheit einer Anschauung. 72 Den vorbehaltlichen Charakter der Anschauungseinheit stützt Henrich mit einer weiteren sprachlich orientierten Interpretation. Es handelt sich dabei um Kants Schluß aus den Ergebnissen von Paragraph 19, gezogen in Paragraph 20: "Also ist alles M a n n i g f a l t i g e , sofern es in Einer e m p i r i s c h e n A n s c h a u u n g g e g e b e n ist, in Ansehung e i n e r d e r l o g i s c h e n F o r m e n z u u r t e i l e n bestimmt." (B 143)

Henrich zufolge verwendet Kant das "sofern" hier restriktiv und in Korrelation zur problematisch vorausgesetzten Anschauungseinheit. Das Ergebnis des ersten Beweisschritts (§ 21) lautet deshalb für Henrich: "Wo i m m e r E i n h e i t i s t , d a h a n d e l t e s sich u m e i n e n Zusammenhang, der gemäß den Kategorien zu denken ist."

Die damit gegebene prinzipielle Möglichkeit von nicht zu vereinheitlichender Anschauung führt Henrich zu der Frage nach dem 74 "Umfang" einheitlicher Anschauungen. Im Rückgriff auf eine etwaige Ungeeignetheit des sinnlichen Materials zur Verstandesbetätigung (Einheit durch Synthesis) erwägt Henrich eine universale oder auch nur partielle "Disproportion von Bewußtsein und Gegebenheit" . Dann aber bedarf es einer eigenen Argumentation für die universale Proportioniertheit von Verstand und Sinnlichkeit (zweiter Beweisschritt). Den drei Kernpunkten von Henrichs Interpretation der Deduktion (Vorausgesetztheit der Anschauungseinheit, restriktives 72 73 74 75

Vgl. Henrich, Die Beweis s t r u k t u r , a . a . O . , S. 93. Ebenda. Vgl. ebenda. Ebenda, S. 94.

Struktur der transz. Deduktion

139

"sofern", Problem der Korrespondenz von Sinnlichkeit und Verstand) ist mehrfach widersprochen worden. Die problematisch vorausgesetzte Einheit der Anschauung wird von Brouillet und nach ihm von Wagner im Sinne einer nichtintellektuellen, bloß sinnlichen und also vorkategorialen Einheit der Anschauung aufgefaßt und als unkantisch zurückgewie78 sen. Das "sofern" möchte Wagner rein respektiv verstehen. Und gegenüber der Einbringung der heuristischen Fiktion vom prinzipiell diskrepanten Verhältnis zwischen Kategorie und Er79 scheinung weist Baumanns auf die Unmöglichkeit hin, die pure Faktizität der harmonischen Dualität von Sinnlichkeit und Verstand je in einer Deduktion, also argumentativ, einzuholen. So anfechtbar die Verknüpfung der Argumentationsstränge bei Henrich im einzelnen sein mag - an der Grundintention seines Deutungsversuchs kann zweierlei festgehalten werden: Die Unabgeschlossenheit der Deduktion auf dem Stand von Paragraph' 20 bzw. Paragraph 21 und die radikale Dualität von Sinnlichkeit und Verstand als Problembestand im zweiten Beweisschritt. Beide Punkte sind von einschlägiger Bedeutung für die Interpretation der B-Deduktion im Licht der Terminologie von "objektive Gültigkeit" und "objektive Realität". Gegen Henrichs restriktive Interpretation von Paragraph 20 steht allerdings in der Kantliteratur eine Mehrheit von Autoren, die spätestens mit dem Ende von Paragraph 2O die "objekOf\ tive Gültigkeit" der Kategorien für begründet hält. Bezüglich

76 77 78 79

Vgl. Brouillet, Dieter Henrich, a . a . O . , S. 6 4 4 f . Vgl. Wagner, Der Argumentationsgang, a . a . O . , S. 356. Vgl. ebenda, S. 3 5 4 f . Vgl. P. Baumanns, Transzendentale Deduktion der Kategorien bei Kant und Fichte. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie i m A n s c h l u ß a n K a n t u n d F i c h t e . R e i n h a r d L a u t h z u m 60. Geburtstag, hg. v. K. Hammacher u. A. Mues, StuttgartBad C a n n s t a d t 1 9 7 9 , S . 4 2 - 7 5 , bes. S . 6 5 ; v g l . d a z u auch W a g n e r , D e r A r g u m e n t a t i o n s g a n g , a . a . O . , S . 3 5 5 A n m . 4 sowie Nowotny, Die Struktur der Deduktion, a . a . O . , S. 2 7 1 f . 80 Vgl. Paton, K a n t ' s m e t a p h y s i c , vol. l, a . a . O . , S. 5 2 3 ; Vlees c h a u w e r , L a d e d u c t i o n , t . 3 , a . a . O . , S . 156; Z o c h e r , K a n t s t r a n s z e n d e n t a l e D e d u k t i o n , a . a . O . , S. 173; B r o u i l l e t , Dieter Henrich, a . a . O . , S. 647.

140

Verstand und Objektivität

des zweiten Beweisteils wird das vorzeitige Vorliegen des Deduktionsresultats oft dadurch überboten, daß man dort erst die "objektive Gültigkeit" der Kategorien zur "universalen objektifi 1 ft 9 ven Gültigkeit" oder zur "uneingeschränkten Gültigkeit" gesteigert sieht. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß Kant an keiner Stelle im ersten Teil der Deduktion (§§ 16 - 20) und auch nicht in ihrem weiteren Verlauf - den Kategorien "objektive Gültigkeit" zuspricht, ferner daß sich auch keine Anhaltspunkte für eine quantitativ-extensionale Auffassung von "objektive Gültigkeit" bei Kant finden. Was die von Henrich in Betracht gezogene sinnlich-intellektuelle Korrespondenzlosigkeit anbelangt, so charakterisiert Kant reine Verstandesbegriffe ohne "korrespondierende Anschauung" (B 1 4 6 ) als "bloße Gedankenformen ohne objektive Realität". Nicht die Universalisierung oder die spezifizierende Anwendung der "objektiven Gültigkeit" markiert den Fortgang der Deduktion im zweiten Teil, sondern die Erweiterung der Kategorie als Verstandesbegriff ("bekommen"; B 1 5 O f . ) um das Prädikat "objektive Realität".

2 . 4 . 5 . Transzendentale Apperzeption und "objektive Bestimmung" Der erste Teil der Deduktion ist auf seinen Beitrag zum Thema der Gegenstandsbeziehung von Begriffen und der zweite Teil auf die Verhältnisbestimmung von Kategorie und Anschauung durch den Terminus "objektive Realität" hin zu untersuchen. Dabei muß allerdings schon für die Paragraphen 16 bis 20 der Anteil der Anschauung bzw. der Sinnlichkeit am Vorgang der Apperzeption zum Thema werden. Der Schluß auf die spezifische Bedeutung der Kategorien für "alle sinnliche Anschauungen" (B 1 4 3 ) erfolgt erst in Paragraph 20, und zwar im Ausgang vom Verhältnis des Urteils (als bloßer Form) zum Anschauungsmannigfaltigen und durch Rückgriff auf den Zusammmenhang von Urteils- und Katego-

81 W a g n e r , Der A r g u m e n t a t i o n s g a n g , a . a . O . , S. 365. 82 Nowotny, Die Struktur der Deduktion, a . a . O . , S. 275.

"Objektive Bestimmung" rienfunktion. 83 Thema der voraufgehenden Paragraphen (16 - 18) ist die vom Synthesis-Begriff her entwickelte und am Problem des Selbstbewußtseins festgemachte Möglichkeit des Verstandesgebrauchs, d.h. der Beziehung des Verstandes auf Anschauung (B 136) bzw. auf ein Objekt (B 1 3 7 ) . Den Übergang zum Kategorienthema ermöglicht erst die Einführung des Urteilsbegriffs (§ 1 9 ) . Von schlechthin grundlegender

Bedeutung für das Problem der

(theoretischen) Gegenstandsbeziehung ist die grundsätzliche Unterscheidung des "Mannigfaltigen der Vorstellung" von der "Verbindung des Mannigfaltigen" (B 1 2 9 f . ) . Während das Anschauungsmannigfaltige als solches "gegeben", genauer: sinnlich gegeben, wird und also prinzipientheoretisch der Sinnlichkeit zuzuordnen ist, soll - nach Kants eigener Erklärung - "alle Verbindung ... eine Verstandeshandlung" (Synthesis) sein. Gelehrt wird also negativ die Unmöglichkeit von bloß sinnlich gegebener Synthesis und positiv der Ursprung aller Synthesis im Verstand als Spontaneitätsvermögen. Es gilt, "daß w i r u n s n i c h t s , a l s i m O b j e k t v e r b u n d e n , v o r s t e l l e n k ö n n e n , ohne e s v o r h e r s e l b s t v e r bunden zu haben" (B 1 3 O ) .

Ein extremes Verständnis der Kantischen Synthesislehre besteht nun darin, in abstrakter Disjunktion das ungeformte Material (die sensuellen Daten) der formenden Bearbeitung durch den Verstand gegenüberzustellen und damit jede nicht elementar-sinnliche Vorstellung zum Verstandesprodukt

zu erklären.

Ein solcher aus Datensensualismus und Formmonopol des Subjekts zusammengesetzter absoluter Idealismus der Formen geQ C

83 K a n t s R ü c k v e r w e i s auf § 13 in B 143 w u r d e von V a i h i n g e r in e i n e B e z u g n a h m e auf § 1O v e r ä n d e r t . V a l e n t i n e r m ö c h t e den Verweis auf § 14 beziehen ( v g l . die Edition der K r i t i k durch R . S c h m i d t , a . a . O . , S . 156b A n m . 1 ) . 8 4 V g l . etwa G . P a t z i g , I m m a n u e l K a n t : W i e sin-d s y n t h e t i s c h e Ur teile a priori möglich? In: Grundprobleme der großen Philosophen, hg. v. J. Speck, Philosophie der N e u z e i t II, Göttingen 1 9 7 6 , S. 9 - 7O, b e s . S. 5 7 f . 85 Für die k l a s s i f i k a t o r i s c h e Terminologie v g l . Baumanns, Transzendentale Deduktion, a . a . O . , S. 57.

142

Verstand und Objektivität

rät aber spätestens dann in Schwierigkeit, wenn die Ebene apriorischer Gesetzlichkeiten ("Natur überhaupt") verlassen wird und verständlich werden soll, wie empirisch bestimmte, einzelne Gegenstände konkreten Gesetzen unterliegen - also gerade keine bloße Disjunktion von amorphem Stoff und abstrakt-subjektiver Form darstellen. Alternativ zum unkantischen Produktionsidealismus ist eine Zurücknahme des Allgemeinheitsanspruchs der Synthesislehre zu erwägen. So unterscheidet H. Hoppe zwischen oc der transzendentalen Synthesis mit ihrem bloß "formalen" Verbindungsprinzip und den empirisch belegbaren "faktischen Verbindungen" . Verabschiedet ist damit nichts weniger als die Q T

absolute Gesetzgeberrolle des Verstandes

88

, insofern die

Lei-

stung der transzendentalen Synthesis auf die Uberformung schon geformter empirischer Einheiten beschränkt bleibt. Ziel und

Zweck dieser Nachbehandlung des Empirischen ist es, so Hoppe, 89 den Erscheinungen qua Modifikationen einen "Erkenntniswert" oder "kognitiven Wert" 90 beizulegen. Inspiriert durch Heideggers frühe Kantinterpretation 9 1 vertritt Hoppe die latent transzendental-realistische Auffassung vom verstandesgeleiteten Begegnenlassen der Wirklichkeit im Erkennen. Ein Versuch, Kants dezidierter Zuweisung aller Synthesis an den Verstand Sinn abzugewinnen, kann beim Zusatz "überhaupt" zu "Verbindung" bzw. "Verbindung ... eines Mannigfaltigen" (B 1 2 9 ) einsetzen. Es ließe sich denken, daß Kant hier nur erst

86 Vgl. H. Hoppe, Ist alle Verbindung eine Verstandeshandlung? In: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses Mainz 4. 8. A p r i l 1981, T e i l 1.1, Bonn 1981, S. 221 - 2 3 1 , bes. S . 2 2 2 u. S. 2 2 7 . 87 Ebenda, S. 2 2 5 . 88 Für e i n e r a d i k a l e K r i t i k des K o n s t i t u t i o n s g e d a n k e n s als einer bloßen e m p i r i s c h e n Hypothese ohne systematische Bedeutung für die Transzendentalphilosophie im allgemeinen und speziell die transzendentale Kategoriendeduktion vgl. M. Hossenfeider, Kants Konstitutionstheorie und die transzendentale D e d u k t i o n , B e r l i n / N e w York 1978, bes. S. 1 1 9 f f . 89 Hoppe, Ist alle Verbindung eine VerStandeshandlung? a . a . O . S. 2 2 6 . 90 E b e n d a , S . 2 2 8 . 91 V g l . ebenda, S. 228 Anm. 19 u. S. 230 Anm. 24.

"Objektive Bestimmung"

143

ganz allgemein und schlechthin von der apriorischen Möglichkeit aller Synthesis handelt, dergegenüber die Frage der empirischen Synthesis die aura posterior einer Anwendung dieses allgemein Synthesisprinzips darstellte. Empirische und transzendentale Synthesis wären dann nicht ursprünglich getrennt - Hoppe spricht 92 von "2 Arten der Synthesis" -, sondern beide wären im Prinzip identisch, wobei die empirische Synthesis die transzendentale Synthesis unter empirischen Bedingungen darstellte. Das Grundproblem dieser Auslegung besteht nun allerdings gerade in der beanspruchten Erklärbarkeit von empirischer Synthesis aus einem Verhältnis der Anwendung von reiner, transzendentaler Synthesis auf ein sinnliches Material. Anwendung setzt Anwenden-Können, setzt ein die Anwendung erlaubendes oder gar herausforderndes Material voraus, also gerade keine amorphe Vorstellungsmannigfaltigkeit, sondern das Vorkommen von Anhaltspunkten für ein Ansetzen des Verstandes. Es wäre nicht eine bloß faktische Verbundenheit von Bestandteilen des sinnlichen Materials anzusetzen, wohl aber eine Eignung gewisser Erscheinungen zur Vereinigung als dem Resultat der Anwendung der reinen Synthesis auf dieses Material. Gegenüber der transzendental-realistischen Auflösung des Kantischen Synthesisbegriffs ist auch an eine Einschränkung in Kants Formulierung zu erinnern: Thema der oben zitierten Erklärung über die Verbundenheit im Objekt als Verbundenheit durch das Subjekt ist nicht der Gegenstand schlechthin, sondern dies: "daß wir uns nichts, als im Objekt verbunden v o r s t e l l e n k ö n n e n , ohne es vorher selbst v e r bunden zu haben" (B 13O; H . v . m . ) .

Kant stellt bei seinem Synthesisbegriff nur heraus, daß vorgestellte Verbindung im Objekt auf die Verbindung von Vorstellungen durch das Subjekt zurückgeht. Die weitergehende A u f f a s s u n g , daß auch das Objekt selbst auf Verstandessynthesis beruht, entscheidet sich erst vom Begriff des Selbstbewußtsein her.

9 2 E b e n d a , S.

231.

144

Verstand und Objektivität

Auf die Entfaltung dieses letztgenannten Themas führt die Frage nach der aller Synthesis vorgängigen und sie erst begründenden Einheit des Mannigfaltigen, eine Einheit, die Kant als "qualitative" Einheit (B 1 3 1 ) von der gleichnamigen Kategorie der Qualität unterscheidet. Transkategorial ist diese Einheit, weil sie den selber schon Synthesis enthaltenden Kategorien und Urteilsformen vorausliegt - als "Grund ... der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche" (B 1 3 1 ) . Wird "Verbindung" als "Synthesis ... (möglichen) Bewußtseins" (B 131 Anm.) von Mannigfaltigem gedacht, dann kann der Einheitsgrund des synthetisierten Mannigfaltigen selbst nicht wieder synthetische Einheit sein in dem Sinne, daß er Einheit aufgrund l von Synthesis ist. Vielmehr ist hier Einheit als Grund zu aller Synthesis zu denken. Sucht man nun in den Ausführungen von Paragraph 16 nach der erforderlichen Einheit vor der Synthesis, dann t r i f f t man auf die verschiedenen Bestimmungen des Selbstbewußtseins: "Ich denke", "reine", "ursprüngliche Aperzeption", "allgemeines Selbstbewußtsein", "transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins" (B 1 3 2 ) . "Beziehung auf die Identität des Subjekts" (B 1 3 3 ) geschieht - Kant zufolge - durch eine notwendige, prinzipiell mögliche Begleitung aller Vorstellungen durch das Bewußtsein (Apperzeption durch das "Ich denke") dergestalt, daß "ich" außer der Begleitung jeder Vorstellung mit Bewußtsein (analytische Einheit der Apperzeption) immer auch "eine (sc. Vorstellung) zu der anderen hinzusetze und mir der Synthesis derselben bewußt bin" (B 1 3 3 ) (synthetische Einheit der Apperzeption) . Kernstück des Kantischen Verständnisses von Identität ist die Begründung der "Identität des Bewußtseins" in verschiedenen Vorstellungen (analytische Bewußtseinseinheit) durch die Synthesis "in einem Bewußtsein" ( d . h . mit Bewußtsein: synthetische Bewußtseinseinheit). 93 Selbstbewußtsein (bewußte Identität des 93 Zum V e r h ä l t n i s von analytischer und synthetischer Bewußtseinseinheit und zur Theorie des B e g r i f f s vgl. Baumanns, T r a n s z e n d e n t a l e D e d u k t i o n , a . a . O . , S . 4 6 f . sowie H . Radermac h e r , Z u m P r o b l e m d e r t r a n s z e n d e n t a l e n A p p e r z e p t i o n b e i Kant. In: Z e i t s c h r i f t f. p h i l . Forsch. 24 ( 1 9 7 0 ) , S. 28 - 49, bes. S. 4 5 f .

"Objektive Bestimmung"

145

Selbst) wird von Kant eingeführt über die funktionale Abhängigkeit des Denkens von der bewußtseinsbegleiteten Synthesis des sinnlich gegebenen Anschauungsmannigfaltigen: "Ich b i n m i r also des i d e n t i s c h e n Selbst b e w u ß t , in A n s e h u n g des M a n n i f g a l t i g e n der mir in e i n e r A n s c h a u u n g g e g e b e n e n V o r s t e l l u n g e n , w e i l ich sie i n s g e s a m t m e i n e V o r s t e l l u n g e n n e n n e , d i e eine ausmachen." (B 135)

Die argumentationslogische Auszeichnung des Gedankens der transzendentalen Apperzeption liegt in der Begründung von Synthesis (des Anschauungsmannigfaltigen) durch einen selber "analytischen Satz" (B 135; B 138). Kant versteht also seine Aussagen über die Möglichkeit von Selbstbewußtsein als analytische Entfaltung der Voraussetzungen von gewußter Identität - mit dem Ergebnis einer als notwendig begründeten Synthesis: im Synthetisieren versichert sich das Selbst seiner Identität - Durch94 gängigkeit des Selbst als Durchhalten des Selbst. Gegen Kants Inanspruchnahme des Vorgangs der Reflexion Selbstbewußtsein als Bewußtseinsbewußtsein - für die Konstitution des Selbst ist von D. Henrich 95 der Einwand der Zirkularität erhoben worden; die explikative Entfaltung eines schon vorausgesetzten Selbst in Gestalt von dessen Reflexion-auf-sich könne unmöglich für den Ursprung von Selbstbewußtsein aufkommen. Des weiteren kritisiert Henrich an der Rede von "meinem Bewußtsein" das Fehlen einer Unterscheidung zwischen bloßer Ich-Zugehörigkeit qua Sinnlichkeit und der spezifischen IchZugehörigkeit der qua Synthesis zu Bewußtsein gebrachten Anschauungseinheiten .

94 Z u r B e d e u t u n g d e s S e l b s t e r h a l t u n g s p r i n z i p s f ü r d i e n e u z e i t liche B e w u ß t s e i n s - u n d S e l b s t b e w u ß t s e i n s t h e o r i e v g l . D . H e n rich, Die G r u n d s t r u k t u r der modernen Philosophie. Mit einer N a c h s c h r i f t : über Selbstbewußtsein und Selbsterhaltung. In: Subjektivität und Selbsterhaltung. Beiträge zur Diagnose der Moderne, hg. u. eingel. v. H. Ebeling, F r a n k f u r t / M . 1976, S. 97 - 143. 95 Vgl. D. Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht, F r a n k f u r t / M 1967, S . l O f f . 96 Vgl. Henrich, Die B e w e i s s t r u k t u r , a . a . O . , S. 99f.

146

Verstand und Objektivität

Eine Schwierigkeit entsteht auch, wenn man die Einheit des Selbstbewußtseins auf ihre Eignung für die geforderte oberste Einheit zu aller Synthesis hin untersucht. Faßt man die Kennzeichnung dieser Einheit als "ursprünglich-synthetische Einheit" (B 131) b z w . als "ursprüngliche synthetische Einheit" (B 137) vom Gegensatz zur derivativ-analytischen Apperzeptionseinheit her (B 1 3 3 ) , dann handelt es sich gerade um eine synthetische Einheit im Sinne des zur Einheit synthetisierten Mannigfaltigen, nicht aber um die gesuchte punktuelle Einheit vor aller Synthesis. Liest man "ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption" als Ursprung von Synthesis, dann fällt die derart vorgängige Einheit mit dem einfach-identischen Ichdenke zusammen und rückt so in die Nähe einer obersten analytischen Einheit. In diesem Fall hätte man zwischen der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption qua Beziehung des Ich-denke auf verschiedene Vorstellungen ("durchgängige Identität"; B 135) und der Einfachheit des Ich-denke als dem streng identischen Bezugspunkt der Bewußtseinssynthesen ("in allem Bewußtsein ein und dasselbe"; B 1 3 2 ) zu unterscheiden. Die für alle Vereinigung von Mannigfaltigem zu synthetischer Einheit notwendige Einheit des Bewußtseins in der Synthesis (B 137) fällt so weder mit einer vorausliegenden einfachen Bewußtseinseinheit noch mit einer resultativen komplexen Bewußtseinseinheit zusammen. Die gesuchte Einheit könnte dann eigentlich nur in dem "Aktus der Apperzeption" (B 1 3 7 ) selbst bestehen, in der Beziehung des Ich-denke auf das mannigfaltige Bewußtsein. Wird so der Handlungscharakter des Apperzipierens betont, dann ist allerdings auch zu fragen nach dem Subjekt solchen ursprünglichen Beziehens und seinem Verhältnis zum Apper97 zeptionsbewußtsein.

97 S . d a z u d i e A n s e t z u n g e i n e r " v o r g ä n g i g e n E i n h e i t d e s t r a n szendentalen Subjekts" bei Radermacher, Zum Problem der transzendentalen Apperzeption, a . a . O . , S. 48

"Objektive Bestimmung"

147

Wenn Kant schließlich die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption als eine Einheit anspricht, "unter" die das Vorstellungsmannigfaltige "durch eine Synthesis" gebracht werden müsse (B 1 3 5 f . ) , dann dürfte es sich bei der hier eingebrachten Synthesis um eine selber schon durch eine vorauszusetzende Einheit zustandegebrachte Synthesis handeln. Denn erst eine voll funktionsfähige Synthesis (Einheit von Verbindung des Mannigfaltigen) könnte, begleitet vom allgemeinen Ich-denke, Mannigfaltiges in einem Bewußtsein zusammenfassen. Inwiefern die Aufnahme der noch unsynthetisierten Vorstellungen ins Bewußtsein eine Unterordnung unter die Apperzeptionseinheit darstellt, ist vom Synthesisgedanken her nicht klar. Verbindung mag immer durch Beziehung auf das Ich-denke Zustandekommen, doch bedeutet dies gerade nicht die Subsumtion einer Größe unter eine andere, sondern die Synthesis (das Synthetisieren) eines, einheitlichen, Bewußtseins. Das Verhältnis zwischen Mannigfaltigem und Bewußtseinseinheit wäre nur dann eines von wirklicher Unterordnung, wenn das Apperzeptionsbewußtsein auch der Realgrund für die Verbindung wäre und nicht bloß deren Resultat im Sinne der durch Synthesis allererst zu garantierenden durchgängigen Identität der Apperzeption. So aber - insofern "synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauungen" erst "Grund der Identität der Apperzeption selbst" ist (B 134) - kann allenfalls von einer apriorischen Zuordnung, eben einer allgemeinen Beziehung die Rede sein. Jener starke Sinn von Synthesis, nach dem ein Mannigfaltiges durch Synthesis unter eine Einheit gebracht wird, tritt aber spätestens dann in die Kantische Argumentation ein, wenn die "Beziehung der Vorstellung auf einen Gegenstand" von der Einheit des Bewußtseins her begründet wird. (§ 17) Dann geht es nämlich nicht mehr nur um die allgemeine Beziehung des Mannigfaltigen auf das Ich-denke, sondern um die bewußte Beziehung auf Einheit des Objekts, um das Objekt als Einheit. Kant betont: "Objekt ... ist d a s , in dessen B e g r i f f das M a n n i g f a l t i g e einer gegebenen Anschauung vereinigt ist." (B 137)

148

Verstand und Objektivität

Die ursprünglich im Zusammenhang der Selbstvergewisserung von Bewußtsein eingeführte Apperzeptionseinheit soll jetzt für Objektivität aufkommen, soll "eine objektive Bedingung aller Erkenntnis ( s e i n ) , nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden" (B 138). Den Übergang vom allgemeinen Selbstbewußtsein zum möglichen Gegenstandsbewußtsein erreicht Kant über die apperzeptive Bedingtheit aller Verbindung. Doch bleibt dabei eine etwaige spezifische Differenz der Gegenstandseinheit von der allgemeinen Oewußtseinseinheit außer acht gelassen. Entweder ist also die synthetische Einheit der Apperzeption eo ipso auf die Objekteinheit bezogen - im Prinzip mit ihr identisch -, oder aber sie gibt bloß die notwendige, negative Bedingung für Objektivität. Kant nimmt die Gleichsetzung von synthetischer Apperzeption und möglichem Gegenstandsbewußtsein explizit vor, wenn er die transzendentale Einheit der Apperzeption auch die "objektive Einheit des Selbstbewußtseins" (B 139; H . v . m . ) nennt. Der in der Erstfassung der Kategoriendeduktion vorgetragene Gegenstandsbegriff (transzendentaler Gegenstand) findet seine Entsprechung in dieser prinzipiellen Identität von möglichem Selbstbewußtsein und möglichem Gegenstandsbewußtsein. Die Form der Gegenstandsbeziehung qualifiziert Kant als "objektive Gültigkeit" der Vorstellungen. (B 137) Mit "objektive Gültigkeit" wird hier dies an gewissen Vorstellungen hervorgehoben, daß sie aufgrund ihrer Verbindung in einer apperzeptiven Synthesis einen EinheitsZusammenhang ausmachen, der zugleich ihre Beziehung auf ein Objekt darstellt. Der Begriff vom Objekt ist - ganz in Übereinstimmung mit der Surrogatfunktion des transzendentalen Gegenstandes - nichts anderes als der Begriff von notwendiger Anschauungseinheit. Im Unterschied zum Text von 1781 behandelt Kant jetzt allgemein das Verhältnis von Vorstellung und Gegenstand, ohne schon den Spezialfall der "objektiven Realität" von empirischer Erkenntnis zu erörtern. Beide Fassungen stimmen aber darin überein, daß die herausgestellte "objektive Realität" bzw. "objektive Gültigkeit" von

"Objektive Bestimmung"

149

empirischen Erkenntnissen bzw. von Vorstellungen ganz allgemein deren Gegenständlichkeit (Objektivität) zum Ausdruck bringt. Der Gebrauch des Terminus "objektive Gültigkeit" in Bedeutungsgleichheit mit Objektivität läßt sich bei Kant festmachen am Verzicht auf den Zusatz "bestimmte" zur Gegenstandsbeziehung Zuvor, bei der definitorischen Erläuterung des Erkenntnisbeg r i f f s , hatte es noch geheißen: "Diese ( s c . E r k e n n t n i s s e ) b e s t e h e n in der bestimmten B e z i e h u n g gegebener V o r s t e l l u n g e n a u f e i n O b j e k t . " ( B 137; H . v . m . )

Gerade für die Bestimmtheit der Beziehung auf einen Gegenstand - dafür, daß die Beziehung auf diesen und nicht jenen Gegenstand, eben auf einen bestimmten Gegenstand geht - kann der Verstand als bloßes Apperzeptionsvermögen nicht aufkommen. Wenn Kant gleich anschließend an die Einführung der "objektiven Gültigkeit" als unbestimmter Gegenstandsbeziehung in einem Beispiel (Linie-Ziehen) die Synthesis eines "bestimmten Raumes" vorführt (B 1 3 7 f . ) , so veranschaulicht er damit die allgemeine Kompetenz des Verstandes für gegenständliche Bestimmtheit qua Synthesis - im Unterschied nämlich zur Beschränkung der Sinnlichkeit auf Unbestimmtheit als bloße Bestimmbarkeit des reinen Mannigfaltigen. Kant zieht in diesem Beispiel solche Bestimmungshandlungen des Verstandes heran, die erst später thematisiert werden und die mit der bloßen Apperzeptionseinheit noch nicht gegeben sind. Auf der Grundlage ihrer Bedingungsfunktion für den Begriff vom Objekt zeichnet Kant die transzendentale Einheit der Apperzeption als "objektiv" (B 139) aus und spricht ihr und ihr allein zu, "objektiv gültig" (B 140) zu sein. (§ 18) Die Bedeutung der "objektiven Gültigkeit" von Vorstellungen qua allgemeiner Gegenstandsbeziehung erfährt nunmehr eine Präzisierung durch Kontrastierung mit dem alternativen Gültigkeitstypus der "subjektiven Einheit des Bewußtseins" und ihrer "nur subjektiv e i n ) Gültigkeit" (B 140).

150

Verstand und Objektivität

Die Gegenüberstellung wird vom Unterschied zwischen transzendentaler und empirischer Apperzeptionseinheit her entwickelt. Im einen Fall handelt es sich um die reine Synthesis eine a priori gegebenen Mannigfaltigen, im anderen Fall um die zufällige "Assoziation der Vorstellungen" eines je empirisch gegebenen Mannigfaltigen. Allerdings ergänzt Kant die strenge Disjunktion von objektiv-notwendiger und subjektiv-zufälliger Bewußtseinseinheit um die Beziehung der Begründung der empiri98 sehen Synthesis in reiner Synthesis. Die emprirische Bewußtseinseinheit ist die transzendentale Bewußtseinseinheit "unter gegebenen Bedingungen in concrete" (B 140). Eine nähere Bestimmung der Art dieses Verhältnisses fehlt. Bemerkenswert am Dualismus der Bewußtseinseinheiten ist die beiden Einheiten gemeinsame Beziehung auf Zeit. Der transzendentalen Apperzeptionseinheit liegt "die reine Form der Anschauung in der Zeit, bloß als Anschauung überhaupt" (B 14O) zugrunde; die empirische Apperzeptionseinheit ist eine "Bestimmung des inneren Sin99 nes" , als deren Form ja die Zeit fungiert. "Anschauung überhaupt" bedeutet hier also die noch nicht empirisch bestimmte, die unbestimmte sinnliche Anschauung. Mit Bezug auf diese abstrakte innere sinnliche Anschauung überhaupt und nur mit Bezug auf sie, ist eine reine Synthesis (von a priori gegebener Mannigfaltigkeit) möglich, sie allein erlaubt "objektiv gültige" Einheit. Es steht deshalb zu erwarten, daß auch die Kategoriendeduktion im ersten Beweisteil eine solche weder intellektuell noch empirisch bestimmte sinnliche "Anschauung überhaupt" zugrundelegt.

98 Zum p r o b l e m a t i s c h e n V e r h ä l t n i s von A s s o z i a t i o n und empirischer S y n t h e s i s v g l . Hoppe, I s t a l l e V e r b i n d u n g e i n e V e r standeshandlung? a . a . O . , S. 2 2 5 f . 99 An eine B e s t i m m u n g des i n n e r e n S i n n e s "von i n n e n " , d u r c h den V e r s t a n d ( S e l b s t a f f e k t i o n ; vgl. § 24) ist hier selbstverständlich noch nicht zu denken. Die empirische Bestimmung des inneren Sinnes e r f o l g t , in der R e f l e x i o n s b e g r i f f l i c h k e i t a u s g e d r ü c k t , " v o n a u ß e n " - n i c h t durch d e n V e r s t a n d selbst, sondern durch "empirische Bedingungen" ( B 1 3 9 ) .

"Objektive Bestimmung"

151

Was zunächst noch das nähere Verständnis der objektiven Einheit anbetrifft, so kann deren Kennzeichnung als "objektiv" einmal im Sinne von "auf ein Objekt bezogen" gelesen werden, dann auch modal als Notwendigkeit der Bewußtseinseinheit. Beim subjektiven Charakter der empirischen Einheit wird ein modales Vertändnis schon vom Text abgestützt ( " z u f ä l l i g " ) . Ob auch, analog der Lesart von "objektiv" als "auf das Objekt bezogen", dem "subjektiv" eine Beziehung der Vorstellungen auf das Subjekt zu unterlegen ist, erscheint dagegen fraglich. Kant führt aus, daß die "empirische Einheit des Bewußtseins, durch Assoziation, selbst eine Erscheinung b e t r i f f t " (B 1 4 O ) . Als Bezugspunkt dieser Einheit wird also nicht das Subjekt (im Unterschied zum Objekt) genannt, sondern die (bloße) Erscheinung, wohl im Unterschied zum empirischen Objekt als der kategorial bestimmten Erscheinung. Die Beziehung geht hier also weder auf den Gegenstand noch reflexiv auf das Subjekt, sondern auf die Erscheinung als solche im Unterschied zum empirischen Objekt. Freilich könnte diese Beziehung der empirischen Bewußtseinseinheit auf Erschein nungen über die These vom Vorstellungscharakter aller Erscheinungen (Modifikationen der Sinnlichkeit) immer noch als Form der Rückbeziehung auf das Subjekt ausgegeben werden. So gesehen bleibt es offen, ob die "subjektive Gültigkeit" der empirischen Bewußtseinseinheit eine Gültigkeit vom Subjekt oder eine solche für das Subjekt meint - ob also Gegenstandsbeziehung (wenn auch in Form der bloßen Erscheinung als Gegenstand) oder bloße Subjektsbeziehung vorliegt. Der Vollsinn von Gegenstand sbeZiehung (Objektivität) bleibt allerdings dem Gültigkeitstypus "objektive Gültigkeit" vorbehalten. Je nach dem, wie man nun "subjektive Gültigkeit" a u f f a ß t , liegt darin auch schon eine, wenn auch dirimierte Gegenstandsbeziehung vor, oder aber eine bloße Subjektsbeziehung. Im ersten Fall fungieren "subjektive" und "objektive Gültigkeit" 1OO V g l . d a z u a u c h das B e i s p i e l am S c h l u ß von § 18. Dort h e i ß t es von der e m p i r i s c h e n B e w u ß t s e i n s e i n h e i t , sie sei n i c h t "notwendig und allgemein geltend" (B 1 4 O ) .

152

Verstand und Objektivität

als zwei koordinierte Typen unter dem gemeinsamen Titel "Gültigkeit" qua Beziehung auf ein anderes; im zweiten Fall wäre mit "Gültigkeit" ohne weiteren Zusatz noch nichts über die Richtung der Beziehung, ob auf das Subjekt oder auf das Objekt, ausgemacht . Das systematische Problem der Richtung einer Bezugnahme auf Erscheinungen als solche ist G. Prayss in einer Rekonstruktion des von Kant vorübergehend eingeführten Begriffs des Wahrnehmungsurteils angegangen. Prauss faßt Erscheinungen als eigentümliche Gegenstände, die in Wahrnehmungsurteilen themati• siert werden. Wenn bei Prauss das Wahrnehmungsurteil schließlich in modaler Hinsicht und auch was Art und Ausmaß seiner kategorialen Bestimmtheit angeht, eher wie eine Derivation des Erfahrungsurteils ausfällt, dann entspricht dem bei Kant die Abhängigkeit der subjektiv-empirischen Bewußtseinseinheit von der transzendentalen Bewußtseinseinheit. 104 (§ 18) Einer Urteilstypologie, die außer dem Wahrnehmungsurteil auch noch Formen nicht-theoretischen Urteilens, wie das Geschmacksurteil berücksichtigen wollte, steht Kants strenge Fassung der "logischen Form aller Urteile" von der objektiven Bewußtseinseinheit her entgegen. (§ 19) In kritischer Wendung gegen die klassische Urteilserklärung als Begriffsverhältnis und ihre Verkürzung des Urteils auf den Sonderfalll des kategorischen Urteils, insistiert Kant auf einem spezifisch objektiven Verständnis x der Urteilsrelation. Die Beziehung der Erkenntniselemente im Urteil insofern diese Beziehung intellektuell ist ("als dem Verstande a n g e h ö r i g ( e ) " ) , hat die Form der Beziehung dieser Bestandteile auf die notwendige Apperzeptionseinheit. Ein Urteil ist "die A r t , g e g e b e n e E r k e n n t n i s s e z u r objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen" (B 141). 101 V g l . AA IV, 3 O O f f . 102 V g l . G . P r a u s s , E r s c h e i n u n g b e i K a n t . E i n P r o b l e m d e r K r i t i k der reinen V e r n u n f t , Berlin 1971. 103 V g l . dazu e b e n d a , S. 158 - 1 9 7 . 104 V g l . aber a u c h AA IV, S. 3 O O f . ; n a c h § 2O der P r o l e g o m e n a . . . ist O b j e k t e r f a h r u n g das komplexe Produkt aus elementaren Wahrnehmungen.

"Objektive Bestimmung"

153

Von der Eigentümlichkeit dieses Urteilsverhältnisses, "objektiv gültig" zu sein, unterscheiden sich die Gültigkeitstypen anderer Urteile ( z . B . Wahrnehmungsurteil, Geschmacksurteil) wesentlich. Im Rahmen der Deduktion behält Kant den Titel "Urteil" dem objektiv gültigen Verhältnis zwischen Vorstellungen vor. Außerdem gibt er die "objektive Einheit der Apperzeption der im Urteil enthaltenen Begriffe" für die "logische Form aller Urteile" (B 140; H . v . m . ) aus. Damit ergibt sich die Schwierigkeit, auf der Grundlage des strengen Urteilsbegriffs der Deduktion, andere als objektiv gültige Urteilsformen einzuführen. Man hat versucht, die Urteilsdefinition des Paragraphen 19 aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur transzendentalen Logik auf einen bloß "transzendentallogischen Begriff eines Urteils" einzugrenzen. Dieser Auslegung zufolge bleibt außerhalb der transzendentalen Logik immer noch Raum für andere Urteilstypen, insbesondere aber für den allgemeinen, formallogischen Urteilsbegriff. Nun ist sicherlich der Urteilsbegriff von Paragraph 19 nicht vom Gedanken der transzendentalen Apperzeption zu trennen. Doch macht dies allenfalls den prinzipiellen Aspekt dieser Urteilsform aus. Die transzendentale Begründung der Urteilsform kann durchaus zusammenbestehen mit der Betrachtung des Urteils in anderen Hinsichten, insbesondere der formallogischen. Die Orientierung von Logik und Transzendentalphilosophie am "höchsten Punkt", der synthetischen Einheit der Apperzeption (B 134 A n m . ) , bedeutet zwar eine Begründung des gesamten Verstandesgebrauchs seiner Möglichkeit nach durch das "Radikalvermögen" (A 114) der transzendentalen Apperzeption, nicht aber die Nivellierung der verschiedenen, sachlich getrennten Abstraktions- und Konkretionsstufen des Verstandes, insofern er gebraucht wird. Das transzendental begründete Urteil stellt also, in Übereinstimmung mit Kants Erklärung, die "logische Form 105 S o S t u h l m a n n - L a e i s z , K a n t s L o g i k , a . a . O . , S . 5 8 f . 106 S . d a z u R e i c h , D i e V o l l s t ä n d i g k e i t , a . a . O . , S . 2 5 f f . ; V g l . auch B a u m a n n s , T r a n s z e n d e n t a l e D e d u k t i o n , a . a . O . , S . 4 8 f . A n m . 1O.

154

Verstand und Objektivität

aller Urteile" ( H . v . m . ) dar, und es ist nicht nur eine transzendentallogische Sonderform des Urteils. Für die Aufgabe einer Typologisierung der Urteile tritt damit zur Abgrenzung nach Gegenstandsbereichen das Kriterium der Beziehung zur transzendentallogischen Grundform des Urteils. Primär, im Sinne der sachlichen Vorgängigkeit von objektiver Bewußtseinseinheit vor der subjektiven, ist das Urteil qua Objektivierung von Bestandteilen zur Einheit des Bewußtseins. Von anderen Formen der Urteilsverhältnisse wird hier noch abgesehen. Als bloße Form stellt das Urteil in der Fassung von Paragraph 19 eine Abstraktion dar. Die empirische Konkretion dieser abstrakten Grundform illustriert Kant am Beispiel des Urteils: Der Körper ist schwer. Die Einheit der Elemente ist notwendig und objektiv begründet; das "Urteil selbst" ist "empirisch, mithin zufällig" (B 142) . Die Notwendigkeit des einheitlichen Zueinandergehörens b e t r i f f t nicht das faktische Zusammenstehen in der empirischen Anschauung, sondern die apriorische Synthesis der Anschauungen "nach Prinzipien der objektiven Bestimmung, sofern daraus Erkenntnis werden kann" (B 1 4 2 ) Eingebracht ist hier die Differenz von Vorstellung qua Bewußtseinsmodifikation und Erkenntnis qua Urteil. Nur insofern die Vorstellungen, über ihren vorobjektiv-zuständlichen Status hinaus, in der Erkenntnisbeziehung auf Gegenstände stehen bzw. stehen sollen, unterliegt ihr Synthesis nicht-empirischen Gesetzen. Das Moment an Notwendigkeit in Urteilen über empirische Gegenstände ("Körper") reflektiert also nicht die sinnliche Einheit der Anschauung, sondern die synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung nach reinen Prinzipien und zum Zweck der Gegenstandsbeziehung.

107 .Kants V e r w e n d u n g des P l u r a l s ( " P r i n z i p i e n " ) sowie die Kennz e i c h n u n g d i e s e r " P r i n z i p i e n " a l s " a l l e a u s d e mG r u n d s a t z e der transzendentalen Einheit der Apperzeption abgeleitet" (B 1 4 8 } m a r k i e r t d e n Ü b e r g a n g v o n d e r F o r m d e s U r t e i l s z u den elementaren U r t e i l s f o r m e n . Die Art der Ableitung ist nicht naher bestimmt, und sie braucht durchaus nicht ein formallogisches Deduktionsverhältnis zu sein.

"Objektive Bestimmung"

155

Die reine Synthesis der Apperzeption betrifft also nicht das eigentlich Empirische der Anschauungen, sondern nur deren gesetzlichen Zusammenhang. Im Verhältnis zu den Anschauungen hat die Gesetzlichkeit des Verstandes den Charakter von "Prinzipien der objektiven Bestimmung aller Vorstellungen, sofern daraus Erkenntnis werden kann" (B 142; H . v . m . ) . Die hier den Verstandesprinzipien zugesprochene Bestimmungsleistung besteht in der Prinzipienfunktion des Verstandes für das Zustandekommen von Erkenntnis qua Erkenntnis von Gegenständen im Unterschied zur Subjektivität der Erscheinungen qua Vorstellungen. Für diesen Übergang von der Vorstellung zur Erkenntnis bilden die genannten Prinzipien die Möglichkeitsbedingungen. Die Begründung von "objektiver Bestimmung" der Vorstellungen zu Erkenntnissen ist nichts anderes als die Begründung von Objektivität. Legt man den bewußtseinstheoretischen Gegenstandsbegriff zugrunde und bringt die Erklärung des Urteils als Form der Apperzeption ein, so besteht die prinzipielle Bestimmung der empirischen Anschauungen (gen. o b j . ) in deren synthetischer Vereinheitlichung. Diese in der Beziehung auf das Ich-denke begründete "Einheit der Anschauung" (B 143) kommt dem Anschauungsmannigfaltigen zu, "sofern es in Einer Anschauung gegeben ist", insofern nämlich, als es "in Ansehung einer der logischen Funktionen zu Urteilen bestimmt" (B 128) ist. Bestimmtheit in logischer Hinsicht und damit logische Einheit gewinnt das Mannigfaltige einer empirischen Anschauung durch die Art seiner Aufnahme in die Einheit des Bewußtseins (Apperzeption). Die Urteilsfunktionen als elementare Formen der Apperzeption bringen in das sinnliche Material durch dessen Beziehung auf die ursprüngliche Bewußtseinseinheit einen prinzipiellen Zusammenhang, eben die Bestimmtheit der Anschauungen durch die logischen Urteilsfunktionen. Bestimmt ist so nicht eigentlich das Mannigfaltige selbst, sondern das Mannigfaltige in seiner Einheit und hinsichtlich dieser Einheit. Dabei handelt es sich auch nicht um einen Aspekt am Mannigfaltigen als solchem, sondern um einen Zusatz von Bestimmtheit zu den in intellektueller Hinsicht ursprünglich nicht

156

Verstand und Objektivität

bestimmten Anschauungen. Das "sofern" an der in der Interpretation kontroversen Stelle von Paragraph 20 hat dann keinen restriktiven Sinn (nur s o f e r n ) , sondern die respektive Bedeu108 tung einer Angabe der speziellen Hinsicht (dadurch, d a ß ) , in der von logischer bzw. kategorialer Bestimmtheit die Rede sein kann. Die allgemeine Beziehung der Urteilsfunktionen auf das Anschauungsmannigfaltige macht nun aber nach Paragraph 14 den Begriff der Kategorien aus, und folglich bedeutet die notwendige Urteilsbestimmtheit der Anschauungen deren Bestimmtheit durch Kategorien: " A l s o s t e h t a u c h d a s M a n n i g f a l t i g e i n e i n e r gegebenen A n s c h a u u n g notwendig u n t e r K a t e g o r i e n . " (B 143)

Im Unterschied zur "Erklärung der Kategorien" (B 128) verzichtet diese Insertion der Kategorien in den Text der Deduktion auf die Bestimmung der Kategorien als "Begriffe von einem Gegenstande überhaupt" (B 1 2 8 ) . Dem entspricht, daß die Anschauung in Paragraph 21 nicht relativ auf diesen Gegenstandsbegriff a u f t r i t t und auch auf eine Auszeichnung der Kategorien durch den Titel "objektive Gültigkeit" nicht zurückgegriffen wird. Genausowenig wie eine Beziehung der Kategorien auf "Gegenstände überhaupt" findet sich deren Beziehung auf das Objekt im Horizont des ersten Beweisschritts thematisiert. Berücksichtigt man diesen gedanklichen Zusammenhang der Stellen, an denen Kant den Gegenstandsbezug von Vorstellungen durch den Terminus "objektive Gültigkeit" kennzeichnet (B 137; B 14O; B 1 4 2 ) , dann deutet sich ein grundsätzlicher Unterschied dieses Themenkreises (§§ 17 - 19) von der Einbringung der Kategorien (§ 20) an. Durch die Wahl des Ausdrucks "objektive Gültigkeit" wird ein Charakter von Allgemeinheit, Einheit, Notwendigkeit und Objektivität an den Erkenntnissen herausgestellt, für den die Kategorien als Prinzipien der Anschauungseinheit den Grund bilden. Also nur insofern "das Mannigfaltige in einer gegebenen

1 O 8 V g l . B r o u i l l e t , D i e t e r H e n r i c h , a . a . O . , S . 6 4 O sowie W a g n e r , D e r A r g u m e n t a t i o n s g a n g , a . a . O . , S . 358.

"Objektive Bestimmung"

157

Anschauung notwendig unter Kategorien" steht (B 143) , kommt Vorstellungen über ihren Status als sinnliche Modifikation hinaus "Beziehung ... auf einen Gegenstand, mithin objektive Gültigkeit" (B 137) zu. Die Prinzipien für "objektive Gültigkeit" von Vorstellungen haben aber nicht im selben Sinne "objektive Gültigkeit" wie 1 Cfi ihre Prinzipiate. Für den Gebrauch von "objektive Gültigkeit" als Qualifizierung der Prinzipiate und nicht der Prinzipien ist hinzuweisen auf den Zusammenhang von "objektive Gültigkeit" und Urteil. Zum Beispiel für die Differenz von "subjektiver" und "objektiver Gültigkeit" des Verhältnisses "derselben Vorstellungen" wählt Kant die unterschiedliche Verknüpfung der Begriffe "Körper" und "Schwere" in den beiden Sätzen: " W e n n ich e i n e n K ö r p e r t r a g e , so f ü h l e ich einen Druck der S c h w e r e . . . "

Und: "...

er,

der Körper, ist

s c h w e r . " ( B1 4 2 )

Der Zusammenhang von "Körper" und "Schwere" folgt im ersten Fall den "Gesetzen der Assoziation" und besteht deshalb bloß "in der Wahrnehmung". Das Verhältnis gilt dann nicht allgemein und ist also nicht objektiv. Demgegenüber gilt die Vorstellungsverbindung im zweiten Beispiel "ohne Unterschied des Zustandes im Subjekt", als Verbindung "im Objekt". Der Unterschied beider Fälle betrifft also die je verschiedene Gesetzlichkeit der Vorstellungsverbindung: "objektive Gültigkeit" eines Urteils besteht im objektiven Verhältnis der Elemente im Urteil; "subjektive Gültigkeit" besteht in einem bloß empirisch-zufälligen Verhältnis der Vorstellungen. Der für die Kategorien vorgebrachte Unterschied von deren metaphysischer und transzendentaler Deduktion - von subjektivem Bedingungscharakter für das Denken und "objektiver Gültigkeit" - ist nun aber kein nach dem obigen Beispiel zu konstruierender Unterschied von Subjektiv-Zufälligem und Objektiv1O9 V g l . d a z u auch d i e D i f f e r e n z z w i s c h e n d e r " o b j e k t i v e n R e a l i tät" v o n K a t e g o r i e n u n d d e r v o n e m p i r i s c h e n B e g r i f f e n nach - D e d u k t i o n ; s . oben 2 . 4 . 3 .

158

Verstand und Objektivität

Allgemeinem. Ihrem Ursprung nach sind Kategorien notwendige Begriffe. Zum Entscheid steht nicht, ob Kategorien bloß von empirischer "subjektiver Gültigkeit" sind, sondern ob ihr a priori gegebener Status als notwendiger Denkbedingungen zu ihrer Funktion der Ermöglichung von Gegenstandserkenntnis ("objektive Gültigkeit") hinlangt. Wollte man die abstrakte Gegenüberstellung von "subjektiver" und "objektiver Realität" auf das Problem der Kategorien übertragen, so wäre die "subjektive Gültigkeit" mit der "metaphysischen Deduktion" sichergestellt, und der transzendentalen Deduktion bliebe die Frage nach ihrer "objektiven Gültigkeit". Allerdings handelte es sich bei der "subjektiven Gültigkeit" von Kategorien um eine notwendig-allgemeine Gültigkeit, also gewissermaßen schon um eine Form von "objektiver Gültigkeit". Die zu deduzierende "objektive Gültigkeit" der Kategorien steht also nicht im Gegensatz zu einer problematischen bzw. fiktiven empirisch-zufälligen subjektiven Gültigkeit nach der Art bloß empirischer Vorstellungsverbindungen durch Assoziation (vgl. B 1 4 2 ) . Den Terminus "objektive Gültigkeit" nach Art seiner Verwendung bei empirischen Urteilen auf Kategorien anzuwenden, hieße, den Grund des Urteils zum Thema eines Verhältnisses im Urteil machen, so als würde erst durch die notwendige Bewußtseinseinheit die Kategorie von der Vorstufe "subjektive Vorstellung" auf den Wert von gegenständlicher Erkenntnis gebracht. Doch Kategorien sind nicht einfach nach dem Modell des von ihnen Prinzipiierten zu betrachten. Die Frage nach der eigenen und eigentümlichen "objektiven Gültigkeit" von Kategorien ist vielmehr die Frage nach dem Grund der Prinzipienfunktion der Kategorien gegenüber Erscheinungen.

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

159

2 . 4 . 6 . Denken und Erkennen eines Gegenstandes Außer den verschiedenen Versuchen einer immanenten Auflösung des Strukturproblems der Kategoriendeduktion liegen, insbesondere aus jüngerer Zeit, einige Interpretationen vor, in denen die Integrität des Textes der transzendentalen Deduktion (§§ 16 - 27) aufgelöst bzw. bestritten wird. Die Ansätze gehen teils dahin, die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe nicht auf die von Kant unter diesem Titel ausgegrenzte Werkpartie zu beschränken, teils nehmen sie Veränderungen an Form und Inhalt der Kantischen Argumentation vor. Bei der Extrapolation der Kategoriendeduktion wird entweder voraufliegender Textbestand - speziell der zentrale Paragraph 14 - mit einbezogen (Baum ) , oder die Autoren nivellieren die Demarkierung zwischen Analytik der Begriffe und transzendentalem Schematismus sowie System der Grundsätze (Detel , 112 113 Schindler , Wolff ). Für eine Uminterpretation des Deduktionstextes ist zunächst zu verweisen auf die Neuinterpretation des Kantischen Rückverweises auf die "metaphysische Deduktion" (B 1 5 9 ) durch W. Schindler, der die metaphysische Deduktion von der metaphysischen Exposition des Leitfaden-Abschnitts unterscheidet und als Teil der transzendentalen Deduktion identifiziert. Des weiteren findet sich ein Vorschlag von B. Thöle zur Einschaltung eines zusätzlichen Beweisschritts zwischen die auf Para-

110 V g l . B a u m , D i e t r a n s z e n d e n t a l e D e d u k t i o n , a . a . O . , S . 2 4 - 3 1 . 111 V g l . W. D e t e l , Zur Funktion des S c h e m a t i s m u s k a p i t e l s in K a n t s K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t . I n : K a n t - S t u d i e n 6 9 (1978), S. 17 - 45, b e s . S. 37 - 4 3 . 1 1 2 V g l . W . S c h i n d l e r , D i e r e f l e x i v e S t r u k t u r o b j e k t i v e r Erkenntnis. Eine U n t e r s u c h u n g zum Z e i t b e g r i f f der ' K r i t i k der reinen V e r n u n f t 1 , München 1979, S. 1 1 2 f f . 1 1 3 V g l . R . P . W o l f f , K a n t ' s t h e o r y o f m e n t a l a c t i v i t y . A com- . mentary on the t r a n s c e n d e n t a l a n a l y t i c of the C r i t i q u e of pure reason, Cambridge 1963, S. 2 0 9 f . 114 Schindler, Die reflexive S t r u k t u r , a . a . O . , S. 92.

160

Verstand und Objektivität

graph 20 und Paragraph 26 verteilten (Teil-) Schlüsse. Und auch D. Henrich bezieht sich in einer neueren Arbeit nicht mehr immanent interpretierend auf den Textbestand der Kategoriendeduktion, sondern er unternimmt - inspiriert durch anglo-amerikanische Arbeiten - eine kritische Neuformulierung von Stücken der transzendentalen Deduktion. In Auseinandersetzung mit beiden Arbeiten Henrichs zur Kategoriendeduktion bei Kant skizziert P. Baumanns das Programm einer abstrakter gefaßten Deduktion, die analytisch-implikatives Vorgehen mit einer Thematisierung der verschiedenen Faktizitätsmomente ("Empirisierung", "Anthropologisierung") verbindet. 117 Von Bedeutung für die Stellung des Gedankens der Objektivität in der zweiten Deduktionshälfte (§§ 21 f f . ) sind der Neugliederungsvorschlag von Thöle und die Interpretation der Deduktion durch Schindler. Das grundsätzliche Gliederungsproblem besteht für die zweite Deduktionshälfte im Verhältnis zwischen der Anlage der Deduktion als Geltungsbeweis - Beweisziel der "objektiven Gültigkeit" von Kategorien - und dem vorherrschenden Thema der Beziehung von Verstand und Sinnlichkeit, genauer: der Beziehung des Verstandes auf die Sinnlichkeit. Diese Doppelthematik könnte sogar schon für die erste Deduktionshälfte (§§ 16 - 2O) veranschlagt werden, wenn man nämlich den Anteil der Sinnlichkeit am Zustandekommen der intellektuellen Anschauungseinheit in Gestalt eines (a priori) gegebenen Mannigfaltigen berücksichtigt. Kant selbst macht die faktizistische Voraussetzung eines vorkategorialen Materials namhaft, wenn er die "Bedeutung" der

115 V g l . B. T h ö l e , Die B e w e i s s t r u k t u r der t r a n s z e n d e n t a l e n Ded u k t i o n i n d e r z w e i t e n A u f l a g e d e r " K r i t i k d e r r e i n e n Vern u n f t " . In: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses M a i n z 4. - 8. A p r i l 1981, T e i l 1.1, Bonn 1981, S. 3O2 - 3 1 2 , bes . S. 3 O 3 . 116 Vgl. D. H e n r i c h , Identität und O b j e k t i v i t ä t . Eine Untersuchung über K a n t s t r a n s z e n d e n t a l e D e d u k t i o n , Heidelberg 1976. 117 Vgl. dazu Baumanns, Transzendentale Deduktion, a . a . O . , S. 5 5 f f .

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

161

Kategorien an ihre Zugehörigkeit zu einem diskursiven, selber nicht anschauenden Verstand bindet. (B 145) Vorauszusetzen ist also in Paragraph 20, "daß das Mannigfaltige für die Anschauung noch vor der Synthesis des Verstandes ... gegeben sein müsse" (B 145; H . v . m . ) . Die Bestimmung der "zunächst" (in § 21) noch unbestimmten sinnlichen Bedingtheit des Verstandesgebrauchs geschieht in Paragraph 26 im Rückgriff auf die "Art, wie in der Sinnlichkeit die empirische Anschauung gegeben wird" (B 144; H . v . m . ) . Dadurch wird auch die "Gültigkeit a priori" der Kategorien "in Ansehung aller Gegenstände unserer Sinne erklärt" (B 1 4 5 ) . Der Abschluß des Gültigkeitsbeweises erfolgt im Gegenzug zur methodischen Abstraktion im "Anfang" der Deduktion gerade durch Thematisierung des dort noch ausgeklammerten Zustandekommens der empirischen Anschauung. Gegenstand von Abstraktion (erste Hälfte) bzw. Reflexion (zweite Hälfte) ist dabei nicht der sinnliche Formcharakter der Anschauungen, sondern der Modus ("Art") der Gegebenheit von empirischen Anschauungen im Bewußtsein. Es geht um die mögliche Apprehension des Material-Sinn118 liehen, die Form seiner Aufnahme ins Bewußtsein. Der erste Beweisschritt ist in dieser Hinsicht - und darin ist Henrich zuzustimmen - charakterisiert durch Abstraktion vom Problem der Bewußtseinszugehörigkeit der empirischen Anschauung. Der argumentative Schluß des Paragraphen 2O setzt die Möglichkeit des "empirischen Bewußtseins eines gegebenen Mannigfaltigen Einer Anschauung" (B 1 4 4 ) voraus. Bewiesen wird dort nur der Prinzipiencharakter des reinen Selbstbewußtseins für das in seiner Möglichkeit vorausgesetzte empirische Bewußtsein. Nur ist damit keine vorkategoriale Einheit vorausgesetzt - wie dies seinen Kritikern zufolge Henrich angenommen haben soll. 119 Die Voraussetzung erfolgt in der philosophischen Reflexion des De-

118 Zur p r i n z i p i e l l e n , u r s p r ü n g l i c h e n G e s c h i e d e n h e i t von Sinnl i c h k e i t u n d S e l b s t b e w u ß t s e i n v g l . H e n r i c h , D i e Beweisstruktur, a . a . O . , S. 99f. 119 Vgl. Brouillet, Dieter Henrich, a . a . O . , S. 6 4 3 f f . ; Wagner, Der Argumentationsgang, a . a . O . , S. 3 5 3 f .

162

Verstand und Objektivität

duktionsgangs und gilt nicht einfach in intentione recta von den Gegenständen der Theorie (dem empirischen bzw. reinen Bewußtsein) . In methodischer Reflexion wird, vorerst, abstrakt verfahren, "um nur auf die Einheit, die in die Anschauung vermittelst der Kategorie durch den Verstand hinzukommt, zu sehnen" (B 144) . Bezieht man Henrichs Lösungsvorschlag der Gegenüberstellung eines qua Voraussetzung eingeschränkten Vorergebnisses mit dessen Verallgemeinerung durch Einlösung der Voraussetzung auf das Problem der Bewußtseinszugehörigkeit des empirisch Gegebenen, dann stehen einander in Paragraph 20 und Paragraph 26 die Abstraktion von diesem Problem (im Sinne der Voraussetzung seiner Auflösung) und die nachgeholte Auflösung gegenüber. Die Unterscheidung der beiden Schritte ist als darstellungsbedingte Differenzierung zu betrachten, die nur eine Verschiedenheit der Reflexionsebenen im Gang des Vortrage der Theorie zum Ausdruck bringt. Nur die Darstellung der Kategorialität (UnterKategorien-Stehen) des empirischen Bewußtseins steht unter dem methodisch bestimmten Vorbehalt der anderweitig vorausgesetzten Apprehensionseinheit. Das Verhältnis von Sinnlichkeit und Verstand ist also kein bloßes Nebenthema der transzendentalen Deduktion, sondern dieser wesentlich zugehörig. Der Gültigkeitsbeweis behandelt im ersten Beweisschritt das Verhältnis von empirischem Bewußtsein (Prinzipiat) und reinem Bewußtsein (Prinzip), im zweiten Beweisschritt die mögliche Bewußtseinszugehörigkeit und damit Kategorialität von ursprünglich Sinnlichem. Speziell im zweiten Teil wird das Deduktionsthema der Gegenstandsbeziehung ("objektive Gültigkeit"), sei es von empirischen, sei es von reinen Begriffen, in Gestalt der Relation Verstand - Sinnlichkeit angegangen. Der Ausdruck "objektive Gültigkeit" selbst kommt

120 V g l . d a z u H e n r i c h , D i e B e w e i s s t r u k t u r , a . a . O . , S . 9 8 sowie Schindler, Die reflexive Struktur, a . a . O . , S. HO. 121 D i e B - D e d u k t i o n n i m m t a b e r d a s Thema d e r " o b j e k t i v e n G ü l tigkeit" von Kategorien nicht explizit a u f .

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

163

dabei allerdings nicht zur Anwendung. Vielmehr wird der Anschauungsbezug der Kategorien unter dem Titel "objektive Realität" erörtert. Es wird zu untersuchen sein, inwiefern der Anschauungsbezug der Kategorien zur Gegenstandsbeziehung von Erkenntnissen beiträgt und inwieweit durch die "objektive Realität" der Kategorien auch die Gegenstandsbeziehung der Kategorien selbst ("objektive Gültigkeit") begründet wird. Die Unvollständigkeit der transzendentalen Deduktion auf dem Ergebnisstand der Kategorialität von empirischem Bewußtsein (§ 20) gründet in der Angewiesenheit des Intellektuellen, der Kategorie, auf das Sensuelle, die Anschauung, wenn Erkenntnis von Gegenständen Zustandekommen soll. Die Unzulänglichkeit der Kategorie bloß als solcher (als Notion 1 22 ) zeigt sich bei der Aufgabe ihres "Gebrauch(s) zum Erkenntnisse der Dinge" (B 1 4 6 ) . Erkenntnis qua Gegenstandserkenntnis steht hier im Gegensatz zum Denken eines Gegenstandes, hat also nicht den schwachen Sinn von "Vorstellung", sondern die starke Bedeutung eines durch Begriff und Anschauung zusammen ("vereinigt") ermöglichten spezifischen Bezugs auf das Ding in seiner Bestimmtheit. Das Verhältnis von Gegenstandsdenken und Gegenstandsanschauung im Gegenstandserkennen besteht in der Erfüllung der Formalität des Denkens ("Gedanke der Form nach") durch einen anschaulich gegebenen Inhalt ("Gegenstand"). Dabei kommt dem Faktor "Anschauung" die doppelte Bestimmung zu, im Verhältnis der Korrespondenz zu Begriffen zu stehen ("korrespondierende Anschauung") und aufzukommen für die, jedenfalls mögliche, Existenz von etwas, "worauf mein Gedanke angewandt werden" kann. (B 1 4 6 ) Der Erkenntnisgebrauch der elementaren Begriffe des Gegenstandsdenkens ist auf die Möglichkeit der Anwendung des Denkens auf ein diesem selbst ursprünglich nicht Verfügbares angewiesen.

122 Zur S t e l l u n g der "notio" i n n e r h a l b der " S t u f e n l e i t e r " der V o r s t e l l u n g e n s. B 3 7 6 f . / A 3 2 O . 123 S . dazu auch K a n t s R ü c k g r i f f a u f d i e T r a n s z e n d e n t a l e Ä s t h e tik in B 1 4 6 f .

164

Verstand und Objektivität

Dieses in der sinnlichen Anschauung dem Denken zur Verfügung Gestellte ist aber nicht schon das Ding als Erkanntes, sondern nur erst die notwendige sinnliche Grundlage für die intellektuelle Bezugnahme mittels der Kategorien auf ein als solches sinnlich nicht gegebenes Ding. Will man die Erkenntnisbeziehung der Kategorien durch deren allgemeinen Bezug auf "Gegenstände der Sinne" (B 1 4 6 ) nicht zur bloß klärenden und verdeutlichenden Intellektualisierung von je schon sinnlich gegebenen Dingen verkürzen (analytischer Rationalismus), dann ist streng zu unterscheiden zwischen den Erscheinungen als sinnlich gegebenen Gegenständen und Dingen als dem in Anwendung darauf durch Kategorien Erkannten. Erkenntnis von Dingen wird nicht sinnlich (jegebeni sondern intellektuell gemacht. Es wird auch nicht eigentlich die Erscheinung ("unbestimmter Gegenstand" einer empirischen Anschauung) erkannt, sondern das Ding. Das Verhältnis der Kategorien zur sinnlichen Anschauung ist das der Bestimmung; erst durch diese Bestimmung kommt Erkenntnis zustande. (B 1 4 7 ) Die Anwendung der Kategorien auf Gegenstände ist kein bloß logisch-äußerliches Verhältnis der Applikation von Allgemeinem auf ein je Besonderes, sondern die Ausübung des Verstandesvermögens der Intellektualisierung ("auf Begriffe bringen"; B 103/ A 78) von Synthesis. Dem sinnlichen Material wird so ein von ihm unterschiedener Gegenstand bestimmt, der ihm zugehört ("ihr" (sc. der Erscheinungen) Gegenstand), ohne doch mit ihm identisch zu sein. Insofern ist das Denken eines Gegenstandes zu den Er125 Der durch Anwendung der Kategoscheinungen ein Einzudenken. rien qua Bestimmung der Erscheinungen erkannte Gegenstand (Ding) fällt aber bei aller prinzipiellen Differenz zur Erscheinung doch auch nicht mit dem Ding an sich als dem unerkennbaren Grund der Erscheinungen zusammen. Die Schwierigkeit, den Gegenstand

124 Z u r B e d e u t u n g d e s M a c h e n q u a S e l b e r m a c h e n v g l . bes. K a n t s B r i e f a n J . S . Beck v o m 1 . 7 . 1 7 9 4 ( A A X I , 5 1 4 f f . ; N r . 6 3 4 ) . 125 P r a u s s f a ß t d a s T r a n s z e n d e n z v e r h ä l t n i s d e r E r k e n n t n i s z u i h r e m M a t e r i a l m i t d e r M o d e l l v o r s t e l l u n g eines B u c h s t a b i e r e n s d e r E r s c h e i n u n g e n m i t d e m Z i e l d e r D e u t u n g i h r e s Gegens t a n d e s ; vgl. E r s c h e i n u n g b e i K a n t , a . a . O . , S 4 8 f f .

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

165

der (theoretischen) Erkenntnis zwischen dem sinnlich angeschauten Gegenstand und dessen unanschaulichem, nicht-empirischem Grund zu lokalisieren, wird noch erhöht durch Kants univoken Gebrauch des Terminus "Gegenstand" sowohl für bloße Erscheinungen als auch für Dinge sowie durch den schwer zu deutenden Gebrauch der Wendung "Gegenstand möglicher Erfahrung". Ein weiteres Problem des ausgehend von Paragraph 22 skizzierten Begriffs von Erkenntnis liegt in der Einschränkung des logisch-begrifflichen Moments auf den Gebrauch von reinen Begriffen. Die Stellung empirischer Begriffe - der durch empirische Anschauung bestimmten Begriffe - bleibt o f f e n . Sie wäre wohl durch den Gedanken der Konkretion der Kategorien durch je bestimmte sinnliche Anschauung zu empirisch bestimmten Begriffen zu fassen, so daß die Erkenntnis von Dingen (empirische Erkenntnis) durch empirische Begriffe sich vollzöge. Die für den Fortgang der Deduktion wesentliche Einschränkung des Erkenntnisgebrauchs der Kategorien ("Grenzen des Gebrauchs"; B 148) auf "Gegenstände der Erfahrung" als die einzigen Gegenstände, die eine (theoretisch-bestimmende) Anwendung der Kategorien erlauben (§§ 2 2 f . ) , dient der vorbereitenden Einführung in das Problem der Beziehung von Verstand und Sinnlichkeit. Die mögliche Anwendung auf empirische Anschauung ist zwar notwendige Gebrauchsbedingung von Kategorien, doch sagt diese negativ-restriktive Beziehung auf das Mannigfaltige in Raum und Zeit noch nichts aus über die positive allgemeine Beziehbarkeit von Verstandesprinzipien auf ein ursprünglich sinnliches Material. Der Erkenntnisbegriff (Gebrauch der Kategorien durch Anwendung auf Anschauung) erlaubt vorerst nur den Ausschluß eines (theoretischen) Erkenntnisgebrauchs der Kategorien bezüglich nicht-sinnlicher Gegenstände: "Folglich haben die Kategorien keinen anderen Gebrauch zum E r k e n n t n i s s e d e r D i n g e , a l s n u r s o f e r n d i e s e a l s Gegenstände möglicher E r f a h r u n g angenommen w e r d e n . " (B 1 4 7 f . )

Kant selbst erläutert die spezifische Restringiertheit der Kategorien im kontrastierenden Vergleich mit den Gebrauchsbedingungen der ästhetischen Prinzipien. Während die reinen For-

166

Verstand und Objektivität

men der Sinnlichkeit an sich selbst schon, ihrem "Begriff" nach, nur auf Erscheinungen gehen, sind die Kategorien aufgrund ihres nicht-sinnlichen Ursprungs Begriffe von "Gegenstände(n) der Anschauung überhaupt, sie'mag der unsrigen ähnlich sein oder nicht, wenn sie nur sinnlich und nicht intellektuell ist" (B 148) . Doch bleibt die Beziehung der reinen Verstandesbegriffe auf "uns" nicht gegebene Gegenstände "problematisch" (B 3 O 9 f . / A 2 5 4 ) bezüglich der Existenz dieser bloß gedachten Gegenstände. Die Kategorie selbst kann nämlich für die "Möglichkeit eines Objekts" zu ihrem Begriff nicht aufkommen und ist an sich selbst ein "leerer Begriff vom Objekt", eine "bloße Gedankenform ohne objektive Realität" (B 148) . Die Instanz nun, der reinen Intellektualität des Verstandesbegriffs die fehlende "objektive Realität" zu "verschaffen", ist "unsere sinnliche und empirische Anschauung" (B 1 4 9 ; H . v . m . ) . Nur durch Anwendung auf ein a posteriori, sinnlich Gegebenes, durch Beziehung auf "Wahrnehmung" (B 1 4 7 ) , gewinnen die Kategorien "Sinn und Bedeutung" ( B 1 4 9 ) . Liegt aber nicht in dieser Erfüllung der Kategorien durch empirische Anschauung als dem je gegebenen "Fall der Anwendung" (B 1 4 9 ) eine grundsätzliche Relativierung der Kategorien im Sinne einer bloß zufälligen Korrespondenz von apriorischer Form und aposteriorischem Inhalt? Und bringt dieser zum Kategoriengebrauch notwendige Rückgang auf Wahrnehmung nicht die Deduktion um ihr Beweisziel der (apriorischen) "objektiven Gültigkeit" von Kategorien? Doch ist die Realisierung der Kategorien ("objektive Realität") tatsächlich nicht schon durch die abstrakte Beibringung von empirischer Anschauung zu bewerkstelligen; erfordert wird vielmehr eine "korrespondierende Anschauung" und damit die grundsätzliche Beziehbarkeit von Verstand anf Sinnlichkeit. Dieses allgemeine Verhältnis ist in der Anwendung der Kategorien auf empirische Anschauung schon vorausgesetzt und wird je nur aktualisiert. Die "mögliche Anwendung auf empirische Anschauung" (B 1 4 7 ) als der einzig mögliche Gebrauch der Kategorien zur theoretischen Erkenntnis gründet in

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

167

der prinzipiellen Ermöglichung solcher Anwendung, in einem Müssen-Anwenden-Können der Kategorien und einem Müssen-zurAnwendung-bereit-Stehen der empirischen Anschauung. In diesem Zusammenhang fällt a u f , daß Kant hier den Terminus "objektive Realität" nur negativ gebraucht ("ohne . . . " ) und für die positive Kennzeichnung der auf empirische Anschauung angewandten Kategorie auf die Formel "Sinn und Bedeutung" (B 148) zurückgreift. Die explizite Zuschreibung von "objek tiver Realität" erfolgt für die Kategorien nur bei der Erörterung der allgemeinen Beziehung des Verstandes auf Sinnlichkeit (B 1 5 0 f . ) , so daß die "objektive Realität" der Kategorien priori begründet

ist.

Die transzendentale Begründung der "Anwendung der Kategorien auf Gegenstände der Sinne überhaupt" (B 150) stellt neben die rein intellektuelle transzendentale Synthesis der Kategorien ("Gedankenformen") eine apriorische Beziehung des Verstandes auf das reine sinnliche Anschauungsmannigfaltige in der transzendentalen "figürlichen Synthesis". Dabei handelt es sich um ein Verhältnis der Bestimmung des inneren Sinnes (gen. o b j . ) durch die "den Kategorien gemäß" verfahrende reine Synthesis der produktiven Einbildungskraft. 127 Produkt dieser von Kant praxeologisch gefaßten sinnlich-intellektuellen Synthesis ("transzendentale Handlung der Einbildungskraft"; B 154; "Bewe 1 ?ft gung als Beschreibung"; B 155 A n m . ) ist die "bestimmte Anschauung" im Unterschied sowohl zur Bestimmbarkeit der Form der Anschauung als auch zur Art der Bestimmung (spezifisch bestimmte Formen des Bestimmens) durch die Kategorie.

126 V g l . dazu auch u n t e n 3.1. 127 Zu den v e r s c h i e d e n e n F o r m e n von E i n b i l d u n g s k r a f t b z w . zum unterschiedelichen Gebrauch dieser "Funktion" vgl. AA XX, 18f. ( L o s e s B l a t t z u r K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t ) . 128 Zu Bewegung und H a n d l u n g als G r u n d b e g r i f f e n einer möglichen Kantdeutung vgl. die Arbeiten von F. Kaulbach ( D e r philosop h i s c h e B e g r i f f d e r B e w e g u n g . S t u d i e n z u A r i s t o t e l e s , Leibniz und K a n t , K ö l n / G r a z 1 9 6 5 , S. 68 - 2 3 2 , · P h i l o s o p h i e der B e s c h r e i b u n g , K ö l n / G r a z 1968, S . 2 5 O - 3 3 1 ; D a s P r i n z i p Handlung in der Philosophie Kants, B e r l i n / N e w York 1 9 7 8 ) .

168

Verstand und Objektivität

Die apriorische Zugänglichkeit des inneren Sinnes für die Apperzeption von reiner sinnlicher Mannigfaltigkeit führt Kant auf den Formcharakter der reinen sinnlichen Anschauung gegenüber allem empirisch Angeschauten zurück. 1 29 Während das in der Form des Raumes Gegebene den Sinn "äußerlich a f f i z i e r t " (B 1 5 6 ) , wird im Fall der reinen figürlichen Synthesis der innere Sinn und also die Sinnlichkeit "innerlich a f f i z i e r t " (B 1 5 3 ) . Im Unterschied zur Affektion "von außen" kennzeichnet die Affektion der Sinnlichkeit (gen. o b j . ) "von innen" (B 68) ein Verhältnis der Reflexivität: innere Affektion ist Selbstaffektion, bei der "wir" "durch" und "von uns selbst" a f f i z i e r t werden. 1 3 0 (B 68; B 1 5 6 ) Folgeproblem des Gedankens der Selbstaffektion ist die Einheit des Subjekts gegenüber seiner Differenzierung in ein affizierendes-bestimmendes und ein affiziert-bestimmtes Selbst, also die Fähigkeit des Subjekts, sich in dieser Differenz zu identifizieren in der Weise eines reflexiven Sich-Wissens ("Selbstanschauung"; B 69; B 157 A n m . ) . Die "Anschauung seiner selbst" (B 68) faßt Kant, parallel zum Vorgang der äußeren Affektion, als Phänomenalisierung des Selbst - als Beschränkung der Selbsterkenntnis auf die Erkenntnis des empirischen Selbst. Für die Selbstbeziehung bedeutet dies eine prinzipielle Unterscheidung des bestimmenden Apperzeptionsbewußtseins ("Ich, der ich denke", "Ich als Intelligenz"; B 155) vom phänomenalbestimmten Gegenstand der "inneren Wahrnehmung" oder "inneren Anschauung" ("Ich, das sich selbst anschaut", Ich als "gedachtes Objekt"; B 1 5 5 ) .

129 F ü r e i n e D e u t u n g d e s i n n e r e n S i n n e s i m Z u s a m m e n h a n g d e r Apperzeption vgl. P. Baumanns, Kants Begriff des inneren und äußeren Sinnes. In: Akten des 5. I n t e r n a t i o n a l e n KantK o n g r e s s e s M a i n z 4. - 8. A p r i l 1981, T e i l 1.1, Bonn 1981, S. 91 - 102, b e s . S. 9 3 f . 130 K a n t s c h l i e ß t h i e r an die E i n f ü h r u n g des G e d a n k e n s der S e l b s t a f f e k t i o n in einem Zusatz der zweiten Auflage zur Transzendentalen Ästhetik an (B 66 - 6 9 ) . Über die Veränd e r u n g e n g e g e n ü b e r 1781 v g l . V l e e s c h a u w e r , L a d f e d u c t i o n , t . 2 , a . a . O . , S . 5 7 9 f f . f b e s . S . 5 8 4 - 588.

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

169

Die hierin liegende Schwierigkeit der Identität von Ich-Subjekt und Ich-Objekt wird von Kant durchaus gesehen und als allgemeines Problem des Sich-Wissens angesprochen, das sich jeder Theorie des Selbst stellt. (B 1 5 5 f . ) In der Frage der Einheit des Subjekts rekurriert Kant auf ein der Differenz von real-erkennbarem phänomenalen Selbst und problematischem intelligiblen Ich enthobenes punktuelles Selbstbewußtsein qua Existenzbewußtsein ("daß ich bin"; B 1 5 7 ) . 31 Gegenüber den Ausführungen zum Begriff des Selbst (§ 2 4 , 2. Teil; § 25) mit ihrer Phänomenalisierung der Selbsterkenntnis ist für das Thema der möglichen Anwendung von Kategorien auf Erscheinungen auf den transzendentalen Status der reinen Selbstaffektion vor aller empirisch gegebenen Empfindungsmannigfaltigkeit hinzuweisen.132 Die für das Anwendungsproblem relevante Bestimmung des inneren Sinnes erfolgt streng a priori und hat außerdem am Begründungsgefüge für apriorische Erkenntnis teil, ist also transzendental (B 1 5 1 ) . Der im Aufbau der Deduktion vorgenommene Schritt von der transzendentalen intellektuellen Synthesis ( 1 . Teil) zur transzendentalen figürlichen Synthesis ist keine Metabase ins Empirische, etwa durch Einbezug von empirischer Anschauung als Fall für die Anwendung der reinen Verstandesbegriffe, sondern er besteht in der apriorischen Wendung des ursprünglich isolierten und unausgeübten Verstandesvermögens an das "passive Subjekt, dessen Vermögen er ist" (B 153). Dabei wird die dem Verstand qua Synthesisver-

131 F ü r d i e Z w i s c h e n s t e l l u n g d e s p u n k t u e l l e n S e l b s t b e w u ß t s e i n s ("daß") zwischen (unmöglicher) intelligibler Selbsterkenntnis und (einzig möglicher) phänomenaler Selbsterkenntnis vgl. H . H e i m s o e t h , P e r s ö n l i c h k e i t s b e w u ß t s e i n u n d D i n g a n sich i n d e r K a n t i s c h e n P h i l o s o p h i e . I n : d e r s . , S t u d i e n z u r Philosophie Immanuel K a n t s . Metaphysische Ursprünge und ontologische G r u n d l a g e n , Köln 1956, S. 227 - 2 5 7 ,b e s . S. 2 4 5 f . 132 K a n t selbst s p e z i f i z i e r t d i e f i g ü r l i c h e S y n t h e s i s d u r c h d e n Zusatz: "wenn sie ( s c . die f i g ü r l i c h e S y n t h e s i s ) bloß auf die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption ... geht" (B 1 5 1 ) . 133 V e r s t a n d e s s y n t h e s i s und Synthesis der E i n b i l d u n g s k r a f t sind so im U r s p r u n g i d e n t i s c h ; v g l . d a z u B 162 A n m .

170

Verstand und Objektivität

mögen a priori vorliegende Bestimmbarkeit des inneren Sinnes (Form der Anschauung) zu reinen Anschauungen (formale Anschauung) bestimmt, wodurch allerst Raum und Zeit bestimmt gegeben 134 werden. (B 1 6 0 f . ) Der reine Verstand ist so der alleinige Grund von apriorischer Bestimmtheit von Anschauung im Unterschied zur aposteriorischer FremdbeStimmung durch äußerliche Affektion. Allerdings b e t r i f f t der exklusive Ursprung von Bestimmtheit im Verstand nur den "inneren Sinn seiner Form nach" (B 6 8 ) . Es handelt sich bei der transzendentalen figürlichen Synthesis zwar um den "Grund" aller Anwendung des Verstandes auf "Gegenstände der uns möglichen Anschauung", doch sind von dieser "ersten Anwendung" die durch sie ermöglichten übrigen, späteren Anwendungen zu unterscheiden. (B 1 5 2 ) Ausgeschlossen aus dem Themenbereich der transzendentalen Deduktion sind mit dieser Beschränkung auf die "erste Anwendung" sowohl die apriorische Fortbestimmung der reinen Zeitanschauungen zu transzendentalen Schemata als auch die aposteriorische Bestimmung der Zeit durch das emprische Material. Die Beschränkung auf eine im Apriorischen noch relativ unspezifizierte und bezüglich des Aposteriorischen noch unbestimmte Beziehung von Verstand und Sinnlichkeit grenzt auch den Realitätsnachweis für die Kategorien ein. Wenn es von den reinen Verstandesbegriffen heißt, daß sie durch das ursprüngliche Anwendungsverhältnis "als Gedankenformen objektive Realität ... bekommen" (B 1 5 O ) , so meint dies nicht ihr faktisch-konkretes Angewandt-Werden durch den "Fall" einer empirischen Anschauung, sondern die prinzipiell mögliche "Anwendung auf Gegenstände, die uns in der Anschauung gegeben werden können" (B 1 5 O f . ; H . v . m . ) . Die figürliche transzendentale Synthesis verfügt ja nicht über a posteriori gegebene Gegenstände (empirische Anschauung), sondern nur über deren a priori bestimmbare Form.

134 Die S t e l l u n g des Raumes b e z ü g l i c h der reinen S e l b s t a f f e k tion, insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung des Raumes in der zweiten A u f l a g e , muß hier unerörtert bleiben.

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

171

Die den Kategorien durch reine Selbstaffektion beigebrachte "objektive Realität" ist deshalb auch nicht identisch mit jener Konkretion der Kategorien durch "unsere sinnliche und empirische Anschauung" (B 149; H . v . m . ) . Ging es bei der Forderung nach empirischer Anschauung um den Ausschluß der Möglichkeit, Kategorien durch andere als die spezifisch menschlichen sinnlichen Anschauungen (in Raum und Zeit) zu erfüllen, so wird durch die erste apriorische Anwendung der Kategorien die Möglichkeit anschaulicher Erfüllung allererst begründet. Gegenüber der "objektiven Realität" der Kategorien durch den je gegebenen empirischen Fall der Anschauung stellt die "objektive Realität" der Kategorien qua reiner Selbstaffektion bloß die Ermöglichung von "objektiver Realität" dar. Analog zur Kantischen Unterscheidung von empirischer und transzendentaler Wahr•1 O C heit wäre von empirischer und transzendentaler "objektiver Realtität" der Kategorien zu sprechen. Nur weil den Kategorien transzendentale "objektive Realität" zukommt, können sie je durch empirische Anschauungen "objektive Realität" bekommen. Der Fundierung des korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriffs in der Ermöglichung von Übereinstimmung entspricht die Rückführung der empirischen Anwendung von Kategorien auf einen vorauszusetzenden allgemeinen Grund ihrer Anwendbarkeit. Und auch die mögliche Kritik an der Inanspruchnahme des Ausdrucks "Wahrheit" für die Bedingung von (empirischer) Wahrheit, jene zumindest terminologische A'quivokation von Prinzip und Prinzipiat im Terminus "transzendentale Wahrheit", findet ihr Gegenstück im Fall der "objektiven Realität" von Kategorien. Scheint es sich doch bei der auf reiner Selbstaffektion und nur auf dieser beruhenden "objektiven Realität" der Kategorien eher um die prinzipielle Möglichkeit von (empirischer) "objektiver Realität" der Kategorien zu handeln und nicht um eine eigene Form von "objektiver Realität" von Kategorien. Ein ähnlich gelagerter Einwand gegen die von Kant im ersten Beweis-

135 V g l . d a z u B 1 8 5 / A 146 u. B 247/A 2O2.

B 2 6 9 / A 222 b z w . B 2 3 6 / A 191

u.

172

Verstand und Objektivität

schritt herausgestellte Selbständigkeit der intellektuellen Synthesis verfängt indes nicht. Denn eine Reduktion der "synthesis intellectualis" auf die Ermöglichung von anschauungsbezogener, figürlicher Synthesis verkürzte die pure Kategorie um ihre problematische Beziehung auf sinnlich nicht Gegebenes. Es gibt aber, wie Kant besonders in der zweiten Auflage hervorhebt (B X X V I f . ; B 166 A n m . ) , gute Gründe - solche der Begründung eines praktischen Kategoriengebrauchs - dafür, dem bloßen Denken eines Gegenstandes in der reinen Kategorie über die Bedingungsfunktion für anschaulich-empirische Erkenntnis hinaus eine, allerdings theoretisch funktionslose, Selbständigkeit zu belassen. Eine Umdeutung der intellektuellen Synthesis nicht durch Virtualisierung, sondern durch. Fiktionalisierung nimmt W. Thöle. vor bei dem Versuch, dem Einschnitt der Deduktion hinter Paragraph 2O die Gegenüberstellung von Denken und Erkennen unterzulegen. Die intellektuelle Synthesis bzw. das Denken eines Gegenstandes ("überhaupt") unterliegt für Thöle dem Verdacht der bloßen Einbildung, den erst der zweite Deduktionsteil durch den Nachweis der Möglichkeit "wirklicher Erkenntnis" entkräfte. Die Unterschätzung des Gegenstandsdenkens als Imagnination auf 138 dem Rationalitätsniveau der bloßen Wiederspruchsfreiheit geht hier einher mit einer unangemessenen Auflösung des Erkenntnischarakters der angewandten Kategorie in die "Richtigkeit eines Gedankens". Thöle sieht den Erkenntnisgebrauch der Kategorien dadurch e r f ü l l t , daß der intellektuellen Synthesis "eine korrespondierende Synthesis in der apriorischen Anschauung gegeben werden kann" 139 . Diese Vorstellung eines anschaulichen Korrelats zur Kategorie und ihrer Synthesis vermengt die korrespondierend gemachte figürliche Synthesis mit der faktisch 14o korrespondierenden empirisch gegebenen Anschauung. Die "ob136 S o b e i V l e e s c h a u w e r , L a d e d u c t i o n , t . 3 , a . a . O . , S . 1 8 2 . 137 Vgl. Thöle, Die Beweisstruktur, a . a . O . , S. 3 O 7 f . 138 V g l . dagegen K a n t s A u f f a s s u n g von "Denken" in B XXVI Anm. s o w i e B 166 A n m . 139 T h ö l e , Die B e w e i s s t r u k t u r , a . a . O . , S. 308 ( H . v . T h ö l e ) 140 S . d a z u e b e n d a , S . 3 1 O f .

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

173

jektive Realität" der Kategorien aufgrund ihrer apriorischen Bestimmung des inneren Sinnes ist nicht eigentlich eine Korrespondenzbeziehung ("Richtigkeit","Korrelat"); vielmehr bildet sie den Grund der Möglichkeit des Verhältnisses der Übereinstimmung zwischen einem empirischen Begriff und dessen Gegenstand und unterliegt deshalb nicht selbst dem von ihr bedingten Kriterium der (empirischen) Richtigkeit. Dem Verhältnis der "Anwendung" zwischen den beiden Formen der transzendentalen Synthesis kommt zentrale Bedeutung zu im Beweisschluß von Paragraph 26. Der "metaphysischen Deduktion" und der auf die Paragraphen 2O und 21 lokalisierten "transzendentalen Deduktion" soll dort noch die "transzendentale Deduktion des allgemein möglichen Erfahrungsgebrauchs der reinen 141 Verstandesbegriffe" (B 159) folgen. Die Beweisziele der solcherart zwar nicht verdoppelten, aber doch zweigeteilten transzendentalen Deduktion unterscheidet Kant nach den "Gegenständen" der Kategorien. Im "Anfang" (B 1 4 4 ) der transzendentalen Deduktion sei die Möglichkeit der Kategorien "als Erkenntnisse a priori von Gegenständen einer Anschauung überhaupt ... dargestellt" worden, "jetzt" (§ 26) gehe es um die "Möglichkeit, durch Kategorien die Gegenstände, die nur immer unseren Sinnen vorkommen mögen, ... den Gesetzen des Verstandes nach, a priori zu erkennen" (B 1 5 9 ) . Von Erkenntnis im strengen Sinn kann allerdings nach den Ausführungen zum Unterschied von Denken und Erkennen (B 1 4 6 ) mit Bezug auf die Kategorien bloß als Formen intellektueller Synthesis nicht die Rede sein. Das Beweisresultat von Paragraph 20 - die Kategorien sind "Erkenntnisse a priori ..." - muß deshalb streng abgesetzt werden gegen den Status der Kategorien als Prinzipien der Erkenntnis von Gegenständen der Erfahrung (§ 2 6 ) . "Gegenstände" des apriorischen Bezugs der Katego-

141 Zur I d e n t i f i z i e r u n g der "metaphysischen Deduktion" mit §§ 9f. und auch mit § 19 v g l . V l e e s c h a u w e r , La d e d u c t i o n , t . 3 , a . a . O . , S . 2 3 1 ; v g l . auch S c h i n d l e r s L o k a l i s i e r u n g auf §§ 15 - 19 ( D i e r e f l e x i v e S t r u k t u r , a . a . O . , S. 114 117) .

174

Verstand und Objektivität

rien sind im Horizont von Paragraph 20 nur die im reinen Denken objizierten, anschaulich unbestimmten Korrelate der durch Kategorien bestimmten Bewußtseinseinheit. Der Zusatz "überhaupt" zu "Gegenstand" bzw. "Gegenstände der Anschauung" neutralisiert den Gegenstandsbezug in der reinen Kategorie durch Abstraktion von der spezifischen Form der sinnlichen (empirischen) Eigenbestimmtheit der Anschauung. Diese Abstraktion kann durch die problematische Kontrastierung mit alternativen Anschauungstypen anderer sinnlich-endli142 eher Vernunftwesen verdeutlicht werden. Doch weder darf dies mit einer empiristischen Anthropologisierung der Anschauungen in Raum und Zeit verwechselt werden, noch bildet der fiktive Gegensatz von spezifisch menschlicher und allenfalls anthropoider Organisation der Rezeptivität den Grund für .die Zweiteilung der Deduktion - so als wolle Kant die Kategorialität des Denkens im ersten Teil der.Deduktion für andere endliche Intelligenzen gleich mit deduzieren. Die Abfolge einer apriorischen Beziehung der Kategorien zunächst auf Gegenstände der Sinne "überhaupt" und dann auf Gegenstände unserer empirisch-sinnlichen Anschauung gründet vielmehr in jener größeren Eigenständigkeit der isolierten reinen Kategorie im Vergleich mit der isolierten Anschauung. Kant spricht dem "leeren" Begriff immer noch eine, allerdings nicht anschaulich bestimmte, Gegenstandsbeziehung zu, während die "blinde" Anschauung - man beachte das Oxymoron - alle Beziehung auf etwas verliere. (B 3O9/A 253f bzw. B 7 6 / A 51) Das Wesentliche der transzendentalen Deduktion von Paragraph 26 ist denn auch nicht die Begründung des "allgemein möglichen Erfahrungsgebrauchs" der Kategorien im Unterschied zu einer nur problematischen oder extensional beschränkten Gebrauchsfähigkeit der Kategorien. Der Fortschritt gegenüber dem ersten Teil der transzendentalen Deduktion liegt in der Brauchbarkeit der Kategorien für die Erkenntnis von Dingen ( E r f a h r u n g ) . Es

142 V g l . d a z u V l e e s c h a u w e r , La d e d u c t i o n , - 154 u. S. 2 3 2 f .

t.

3,

a . a . O . , S. 151

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

175

entspricht nur dem apriorischen Charakter der reinen Verstandesbegriffe, daß sie, wenn überhaupt nur ihre Anwendung auf Gegenstände unserer Sinne möglich ist, dann auch allgemein und notwendig erfolgt. Nicht die Quantität oder die Modalität der Beziehung der Kategorien auf empirische Anschauung steht zur Deduktion an, sondern die empirische Anwendbarkeit als solche. "Objektive Gültigkeit" kann bei Kategorien immer nur den Sinn von allgemein-notwendiger Gültigkeit haben. Daß dieser logisch einzig mögliche Sinn im Verhältnis der Kategorien zur Erfahrung statthat, ist nachzuweisen. Beweisziel des zweiten Deduktionsteils

ist

also die allgemei-

ne Beziehung der Kategorien auf Gegenstände der empirischen Anschauung (Erscheinungen). Diese allgemeine Beziehung eines Apriorischen auf ein Aposteriorisches unterscheidet sich von der "objektiven Gültigkeit" des Raumes und der Zeit darin, daß im Fall der Transzendentalen Ästhetik nur die sinnliche Formbestimmtheit der empirischen Anschauung bewiesen wurde, während bei der Kategoriendeduktion eine nicht-sinnliche apriorische Verbindungseinheit der Erscheinungen begründet werden m u ß . Kategorien gehen nicht - nach Art der Anschauungsformen - auf die Anschauungen als bloß sinnliche Vorstellungen, sondern auf den nicht-sinnlichen Zusammenhang der Anschauungen. Die apriorische Beziehung der reinen Verstandesbegriffe auf die Synthesis der empirischen Anschauungen vergleicht Kant mit einer Legislation für die Natur ("der Natur gleichsam das Gesetz vor(zu)schreiben"; B 16O; H . v . m . ) . Einzig die Tauglichkeit des Verstandes zur notwendigen und hinreichenden Begründung der allgemeinen Gesetzlichkeit in der Synthesis der empirischen Anschauungen ( " N a t u r " ) kann erklären, wie Sinnliches unter apriorischen intellektuellen Gesetzen steht. Kant identifiziert nicht einfach zwei Gesetzlichkeiten

- eine

innere des Verstandes und eine äußere der "Natur"; vielmehr identifiziert er deren Ursprung, den er nicht wie das isomorphistische System der prästabilierten Harmonie in ein Drittes noch wie die Abbildtheorie in den Gegenstand verlegt, sondern dem reinen Verstand v i n d i z i e r t .

176

Verstand und Objektivität

Der Beweis des intellektuellen Ursprungs der allgemeinen Naturgesetzlichkeit hat die Form einer Ausdehnung des SynthesisMonopols des Verstandes auf die empirische Synthesis der Apprehension auf der Grundlage der sinnlich-intellektuellen Doppelnatur der "formalen Anschauung". Die Aufnahme des empirischen Anschauungsmannigfaltigen ins Bewußtsein (empirische Apprehension) unterliegt von Seiten der Sinnlichkeit den Formen der Anschauung. Raum und Zeit aber besitzen, insofern sie selbst Anschauungen sind, a priori Einheit als Produkt der reinen Synthesis (Bestimmung) der Sinnlichkeit durch den Verstand. (B 1 6 0 f . , bes. A n m . ) Im Zusammenhang mit der ästhetischen Formbestimmung erfolgt deshalb eine Bestimmung des in diese Form Aufgenommenen durch deren eigene apriorische synthetische Bestimmtheit. Also ist

die empirische Synthesis der Apprehension

- vermittelt durch die transzendental-figürliche Synthesis der E i n b i l d u n g s k r a f t (reine Anschauung als formale Anschauung) die auf empirische Anschauungen angewandte intellektuelle Synthesis. (B 162 A n m . ) Der Gedanke der Anwendung, mit dem Kant im Deduktionsschluß von Paragraph 26 die Ursprungs-identität von empirischer Apprehensionssynthesis und rein intellektueller Apperzeptionssynthesis begründet, b e t r i f f t also nicht so sehr - und sicher nicht primär - ein Verhältnis auf der Ebene der Theorie (Anwendung eines Resultats - Kategorialität des Denkens - auf einen spezifischen Fall - empirische Anschauung) als vielmehr das sachliche Verhältnis zwischen Denken und Erkennen selbst. In der eigentlichen Konklusion des Beweisgangs schließt Kant zunächst auf die Kategorialität der Wahrnehmung qua Synthesis der empirischen Apprehension, um dann, in einem Argument a fortiori, zur Kategorialität der Erfahrung als dem SynthesisProdukt von Wahrnehmungen zu gelangen. (B 1 6 1 ) Die Kategorialität schon der Ausgangsfaktoren von Erfahrung macht die Kategorien zu "Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung"

(B 1 6 1 ) ;

und von den Kategorien kann es deshalb heißen, sie "gelten also a priori auch von allen Gegenständen der Erfahrung" (B 161; H.v.m.).

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

177

Eine Schwierigkeit im Verständnis des Beweisresultats liegt in der Bezugnahme auf "Erfahrung" bzw. deren "Gegenstand". Bis zu Paragraph 26 handelt die transzendentale Deduktion nur von empirischen Anschauungen und deren Gegenständen (Erscheinungen). Mit der Einführung der Erfahrung als "Erkenntnis durch verknüpfte Wahrnehmungen" tritt neben die Synthesis der Wahrnehmung (gen. s u b j . ) die Synthesis von (selbst schon synthetisierten) Wahrnehmungen. Das Problem einer eigens erforderlichen Deduktion der Synthesis von Synthesen stellt sich Kant vielleicht deshalb nicht, weil dieser Verbindungstypus (Verknüpfung, nexus; B 2O1f. Anm.) im System der Kategorien unter dem Titel "Relation" erfaßt ist. Es wäre zu fragen, ob nicht ein Unterschied vorliegt zwischen der apriorischen Beziehung der Kategorien auf reine bzw. empirische Anschauung und ihrer Beziehung auf 143 dynamisch verbundene Gegenstände der Erfahrung. Differenziert man nämlich, nach Maßgabe der Zweiteilung des Kategoriensystems, zwischen Gegenständen der Anschauung und Objekten der Erfahrung, dann wird die zu deduzierende "objektive Gültigkeit" der Kategorien im Schlußteil der transzendentalen Deduktion (B 161) zunächst auf Gegenständliches der ersteren Art bezogen, um dann zusätzlich von den Erfahrungsobjekten ausgesagt zu werden. Am Schluß der transzendentalen Deduktion von Paragraph 26 fällt außerdem a u f , daß der Ausdruck "objektive Gültigkeit" also der Terminus, der für das Beweisziel der Kategoriendeduktion steht (B 122/A 8 9 f . ) - nicht vorkommt. Es ist nur bezüglich der Kategorien davon die Rede, daß sie von den Gegenständen der Erfahrung a priori "gelten". Vom speziellen Beweisziel des zweiten Deduktionsteils her ("durch Kategorien die Gegenstände, die nur immer unseren Sinnen vorkommen mögen ... a priori zu erkennen"; B 159) bietet es sich an, dem Gelten der Kategorien den Sinn eben des apriorischen Erkennens von sinnlichen Gegenständen durch die Kategorien zu unterlegen. Erkenntnisse a priori sind die Kategorien aber nur, insofern sie die Verbindungs143 S. d a z u die U n t e r s c h e i d u n g von m a t h e m a t i s c h e m und d y n a m i schem K a t e g o r i e n g e b r a u c h in B 199/A 16O.

178

Verstand und Objektivität

gesetzlichkeit der Gegenstände selbst hervorbringen. "Objektive Gültigkeit" von Kategorien wäre dann zu verstehen als Titel für die transzendentale Begründung der apriorischen intellektuellen Gegenstandsbeziehung. Zum Problem des Verhältnisses zwischen den Titeln "objektive Gültigkeit" und "objektive Realität" in der Zweitfassung der transzendentalen Deduktion liegt ein Vorschlag von W. Schindler 1 44 vor , der - in Anlehnung an Heidegger - "objektive Realität" als "objektive Sachheit" liest 1 4 5 und die "objektive Sachheit" mit dem "transzendentalen Inhalt" identifiziert. Die "objektive Gültigkeit" der Kategorien - Beweisziel der transzendentalen Deduktion - sieht Schindler bewiesen in der "Darstellung der objektiven Sachheit" dieser Begriffe, wobei er unter "Darstellung" die Erzeugung der Möglichkeit der Erfahrung versteht. In Schindlers Interpretation bringt der Terminus "objektive Gültigkeit", von Kategorien prädiziert, den Geltungsanspruch von apriorischen Begriffen zum Ausdruck, der Terminus "objekttive Realität" vertritt die Einlösung des Anspruchs auf "objektive Sachheit" durch die "Darstellung ihrer (sc. der Kategorien) Begründungsfunktion für empirische Erkenntnis (Erfahrung) über1 47 haupt" . Die Verteilung der beiden Termini auf die beiden Aspekte der transzendentalen Deduktion - Geltungsbeweis und Erfahrungsbegründung - wäre auf die Formel zu bringen: "objektive Gültigkeit" der Kategorien durch deren "objektive Realität". Allerdings ist gegenüber Schindlers Identifizierung von "objektiver Realität" ("objektiver Sachheit") mit "transzendentalem Inhalt" und also mit transzendentaler intellektueller* Synthesis auf die Realisierung der Kategorien durch figürliche, anschauungsbezogene Synthesis hinzuweisen. Erläutert man "ob-

144 V g l . S c h i n d l e r , D i e r e f l e x i v e S t r u k t u r , a . a . O . , S . 1 1 O u . S. 1 2 3 . 145 S . d a z u u n t e n 3 . 3 . 146 V g l . e b e n d a , S. 1 2 3 . 147 E b e n d a , S. 11O. 148 Vgl. dazu H e n r i c h , Die Beweisstruktur, a . a . O . , S. 9 7 f .

Denken und Erkennen eines Gegenstandes

179

jektive Gültigkeit" der Kategorien durch eine Gegenstandsbeziehung von Typus "Erkenntnis a priori", dann akzentuiert der Ausdruck "objektive Gültigkeit" die notwendig-allgemeine Beziehung der Kategorien auf den Gegenstand. Das Vorkommen des Terminus "objektive Realität" gerade im zweiten Teil der transzendentalen Deduktion (B 1 4 8 ) legt es nahe, in dem Ausdruck weniger die Sachheit qua transzendentaler Inhalt ("Anschauung überhaupt") als vielmehr die Erfüllung (Realisierung) der Denkformen durch ("unsere") sinnliche Anschauung angezeigt zu sehen. Die deduzierte "objektive Realität" der Kategorien ebenso wie ihre jedenfalls implizit vertretene "objektive Gültigkeit" hat man zu verstehen von der Relation zwischen Kategorie und Gegenstand her. Aufgrund des apriorischen Charakters dieses Verhältnisses ist es auszuschließen, daß die "objektive Gültigkeit" bzw. "objektive Realität" der Kategorien deren je faktische Erfüllung durch eine konkrete empirische Anschauung bzw. durch ein empirisoh gegebenes Objekt meint. Vielmehr handelt es sich um eine transzendentale Gegenstandsbeziehung mit Grundlegungsfunktion für empirische Verhältnisse der Erkenntnisbeziehung zwischen empirischen Begriffen und empirischen Gegenständen.

2.5. Übersicht in Thesenform 1. Die apriorische Beziehung der reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) auf Gegenstände ist Thema einer transzendentalen Logik. ( 2 . 1 . ) 2. Die Transzendentalität der Kategorien liegt in der Verbindung von apriorischer Subjektsursprünglichkeit und gleichfalls apriorischer Gegenstandsbeziehung. ( 2 . 1 . ) 3. Die Gegenstandsbeziehung der Kategorien besteht insofern a priori (transzendentale Wahrheit), als durch die reinen Verstandesbegriffe die empirische Erkenntnisbeziehung auf Gegenstände (empirische Wahrheit) möglich ist. (2.2.) 4. Die Kategorien verfügen über ein rein gegebenes sinnliches Mannigfaltiges, das sie - als darauf angewandte Urteilsformen - zu einem transzendentalen Inhalt synthetisieren. (2.3.) 5. Die apriorische Gegenstandsbeziehung der Kategorien ist Thema des Nachweises des legitimen Kategoriengebrauchs zum Zweck der Erkenntnis von Gegenständen (transzendentale Deduktion). ( 2 . 4 . 1 .) 6. Beweisgrund der Kategoriendeduktion ist die Ermöglichung (notwendige Bedingung) des empirischen Gegenstandes seiner Erkennbarkeit nach (Erfahrung) durch apriorische Formen der Vorstellungssynthesis. ( 2 . 4 . 2 . ) 7. Während der anschaulich-ästhetische Bezug auf Gegenstände bloß die sinnlich-subjektive Bestimmtheit b e t r i f f t , begründet die apriorische intellektuelle Gegenstandsbeziehung die Möglichkeit der Erfahrung von Gegenständen. ( 2 . 4 . 2 . ) 8. Durch die Kategorien stehen die empirischen Begriffe in Beziehung auf einen als solchen sinnlich nicht gegebenen Gegenstand (transzendentaler Gegenstand), und empirische Beg r i f f e haben insofern "objektive Realität". ( 2 . 4 . 3 . ) 9. Die Ermöglichung der "objektiven Realität" von empirischen Begriffen bzw. von Erscheinungen ist gleichbedeutend mit der (apriorischen) "objektiven Gültigkeit" der Kategorien. (2.4.3.)

Übersicht in Thesenform

181

10. "Objektive Realität" haben reine Begriffe überhaupt nur durch ihre Beziehung auf mögliche Erfahrung. ( 2 . 4 . 3 . ) 11. Die Kategorien fungieren als Prinzipien der Erfahrung (Ermöglichung von Erfahrung), und sie haben auf Grund dieser apriorischen Beziehung auf (mögliche) sinnliche Anschauungen "objektive Realität". ( 2 . 4 . 3 . ) 12. Der Gegenstand der Erfahrung (Objekt) ist hinsichtlich seiner Objektivität identisch mit der allgemein-notwendigen, objektiv gültigen, Bewußtseinseinheit. ( 2 . 4 . 5 . ) 13. Die Kategorien bloß als Denkprinzipien sind nur erst allgemeine Formen zur Verbindung eines durch sie selbst nicht gegebenen Materials und deshalb noch ohne "objektive Realität" (intellektuelle Synthesis). ( 2 . 4 . 6 . ) 14. Die allgemeine Beziehung von Kategorien auf Sinnlichkeit durch die innere Selbstaffektion des Subjekts (figürliche Synthesis) verschafft den Kategorien a priori "objektive Realität" im Sinne ihres apriorischen bestimmenden Verfügens über mögliche sinnliche Anschauungen. ( 2 . 4 . 6 . ) 15. Die (transzendentale) "objektive Realität" der Kategorien (apriorische Begründung der Gegenständlichkeit der Gegenstände der Erfahrung) ist die notwendige Bedingung für die Möglichkeit der (empirisohen) "objektiven Realität" von empirischen Anschauungen bzw. Erscheinungen (aposteriorische Beziehung auf empirisch bestimmte Objekte). ( 2 . 4 . 6 . )

3. URTEILSKRAFT UND REALITÄT

Die Zuordnung der Analytik der Grundsätze zum mittleren der drei oberen Erkenntnisvermögen, der Urteilskraft, und näherhin zur "transzendentalen Urteilskraft" (B 171/A 132) spezifiziert die formallogische Ergänzung der Begriffslehre durch eine Analytik von Urteilen für den Sonderfall der transzendentalen Logik, der Logik der "reine(n) Erkenntnisse a priori". (B 17O/ A 131) Der Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe in Urteilen über Gegenstände - die Anwendung der Kategorien auf Erscheinungen unterliegt besonderen apriorischen Bedingungen (transzendentale Schemata), die den reinen Gebrauch der Kategorien in grundsätzlichen Urteilen (Grundsätze) regeln. Die Analytik der Grundsätze bildet so den "Kanon für die Urteilskraft" (B 171/A 1 3 2 ) , d.h. den "Inbegriff der Grundsätze a priori" ihres "richtigen" oder "objektiv gültigen, mithin wahren Gebrauchs" (B 824/A 796; B 17O/A 1 3 1 ) . Dabei hat die Analytik der Grundsätze die Gestalt einer "transzendentalen Doktrin der Urteilskraft" (B 175/A 136) Die apriorische Begründung des Gebrauchs der Kategorien in Urteilen (Kanon für die Urteilskraft), durchgeführt als systematische Vorstellungen der obersten Urteile (Grundsätze des reinen Verstandes), gründet in der Urteilskraft als einer transzendentalen Funktion mit der Möglichkeit zu Erkenntnissen a priori (Doktrin der Urteilskraft).

l Zur I d e n t i f i z i e r u n g der U r t e i l s k r a f t mit der E i n b i l d u n g s k r a f t vgl. H. Horchen, Die Einbildungskraft bei Kant, 2. A u f l . , T ü b i n g e n 1 9 7 O , S . 1 7 3 f . sowie W . S c h i n d l e r , D i e r e f l e x i v e S t r u k t u r o b j e k t i v e r E r k e n n t n i s . Eine U n t e r s u c h u n g zum Zeitbeg r i f f der ' K r i t i k der reinen V e r n u n f t 1 , München 1979, S. l l l f .

184

Urteilskraft und Realität

Die der Urteilskraft eigentümliche Vermittlungsleistung zwischen Regel und Fall der Anwendung der Regel (Subsumtion) ist zwar im Horizont der formallogischen Analyse von Erkenntnis nicht wieder ihrerseits der allgemeinen Regelung fähig; doch macht es das Spezifikum von Transzendentalphilosophie aus, noch den Hiat von Regel und Fall, wie er im Verhältnis von Kategorie und Erscheinung vorliegt, in einer apriorischen Theorie zu thematisieren: "Es h a t a b e r d i e T r a n s z e n d e n t a l - P h i l o s o p h i e d a s Eigentümliche: daß sie außer der Regel (oder vielmehr der a l l g e m e i n e n Bedingung zu R e g e l n ) , die in dem r e i n e n B e g r i f f e des Verstandes gegeben w i r d , z u g l e i c h a p r i o r i den Fall anzeigen k a n n , worauf sie a n g e w a n d t w e r d e n s o l l e n . " (B 1 1 7 4 f . / A 1 3 5 )

Die apriorische Verfügung über den Fall und damit den Gegenstand, auf den Kategorien Anwendung finden, begründet Kant mit dem apriorischen Charakter der Gegenstandsbeziehung der Kategorien, jener ihnen eigentümlichen "Dignität", die einen bloß aposteriorischen Nachweis ihrer "objektiven Gültigkeit" ausschließe. Allerdings besteht die transzendentallogische Antizipation des Gebrauchs- oder Anwendungsfalls nur in der Angabe der "Bedingungen, unter welchen Gegenstände in Übereinstimmung mit jenen B e g r i f f e n (sc. den Kategorien) gegeben werden können" (B 175/A 136; H . v . m . ) . 2 Der Fall selbst wird so nicht eigentlich a priori gegeben, er läßt sich zwar a priori "anzeigen" (B 174/A 135), doch bleibt er in seiner Materialität jenseits der apriorischen Bedingungen und insofern unverfügbar. Die Erstreckung der Gegenstandsbeziehung durch Kategorien bis in den Fall der Anwendung hinein ordnet Kant terminologisch der "objektiven Gültigkeit" von Kategorien zu. Der Übergang von der Kategorien-Legitimation in der transzendentalen Deduktion zu ihrer apriorischen Anwendung durch transzendentale Urteilskraft besteht in der Konkretion der unspezifizierten Kategorie zunächst durch je spezifische reine Gebrauchsbedingungen (tran-

2 V g l . dazu auch die Bestimmung der t r a n s z e n d e n t a l e n Einbild u n g s k r a f t a l s F o r m d e r b e s t i m m e n d e n U r t e i l s k r a f t i n d e r Einleitung zur Kritik der U r t e i l s k r a f t (AAV, 179).

Urteilskraft und Realität

185

szendentale Schemata) und sodann in dem nach "Anweisung" der Kategorientafel erstellten "System der Grundsätze des reinen Verstandes". Die Konkretion besteht aber nicht in einem äußerlich-formalen Rückgriff auf die "Tafel der Kategorien" als dem Ergebnis der "metaphysischen Deduktion". Vielmehr erfährt der Begriff der Kategorie im Gang der Argumentation einen Zuwachs an Bestimmung durch die gestufte progressive Beziehung der Kategorien auf Erscheinungen. Im Anschluß an die nur erst grundsätzliche Objektbeziehung, wie sie die transzendentale Deduktion für die Kategorien nachweist, vollzieht sich in der Grundsatzanalytik ein Bestimmungszuwachs dieser Kategorien, der mit Kant - als Realisierung zu fassen ist. Die bestimmte Anwendung einzelner Kategorien in den Grundsätzen erlaubt es auch, die Terminologie von "objektive Gültigkeit" und "objektive Realität" in ihrem Verhältnis zum System der Kategorien zu untersuchen.

3.1. "Bedeutung", "Sinn" und "Möglichkeit der Erfahrung" In jedem der drei Hauptstücke der Analytik der Grundsätze findet sich das Problem der Gegenstandsbeziehung und seine

ter-

minologische Behandlung unter den Titeln "objektive Gültigkeit" und "objektive Realität" mit einem Ausdruck verknüpft, der

bis-

lang nicht in dieser einschlägigen Verwendung a u f t r a t : B e g r i f f e und speziell die Kategorien werden hinsichtlich ihrer "Bedeutung" diskutiert. Im einzelnen erörtert das Lehrstück vom transzendentalen Schematismus (Erstes Hauptstück) die Bedingtheit der "Bedeutung" von Kategorien durch die "Schemate der reinen Verstandesbegriffe"

(B 185/A 1 4 6 ) . Innerhalb des "System(s) aller

Grundsätze des reinen Verstandes" (Zweites Hauptstück) g r e i f t die Erläuterung der "objektiven Realität" von Erkenntnis auf die Zusammenstellung "Bedeutung und Sinn" zurück - eine Wendung die auch in umgekehrter Anordnung ("Sinn und Bedeutung")

auf-

tritt. (B 1 9 4 f . / A 1 5 5 f . ) Bei den Grundsätzen selbst ("Systematische Vorstellung aller synthetischen G r u n d s ä t z e . . . " ; B 197/ A 158 - B 294/A 2 3 5 ) kommen "Sinn" wie "Bedeutung" nicht vor. Erst wieder in dem die Analytik abschließenden Dritten Hauptstück ("Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände ( überhaupt in Phaenomena und Noumena"; B 294/A 235 - B 315/ A 2 6 0 ) taucht an zahlreichen Stellen der Ausdruck "Bedeutung" bei der Erörterung der Gegenstandsbeziehung von Begriffen a u f , wobei aber nur in E i n z e l f ä l l e n der Terminus "Sinn" h i n z u t r i t t .

3 Nur an e i n e r Stelle in der B - F a s s u n g der K a t e g o r i e n d e d u k t i o n (B 1 4 9 ) f i n d e t sich v o r h e r die W e n d u n g "Sinn und B e d e u t u n g " .

"Logische Bedeutung"

187

3.1.1. "Logische Bedeutung"

4 Unter deru Eindruck der Semantik Freges , von Husserls Bedeutungstheorie

und der Arbeiten zur Semantik im Anschluß an Car-

nap ist man versucht, auch "Bedeutung" bzw. "Sinn" bei Kant in einer abstrakten semantischen Theorie zu rekonstruieren. "Bedeutung" wäre dann - ontologisch wie erkenntnistheoretisgh neutral - mit "Beziehung auf einen Gegenstand" zu erläutern. Bei "Sinn" könnte die Interpretation zwischen der Gleichsetzung mit "Bedeutung"8 und einer Differenzierung im Ausgang von Frege wählen. Gerade im Anschluß an Kants Ausführungen zum Verhältnis von Schema bzw. Bild und Begriff sowie zur unterschiedlichen Problemlage bei empirischen und reinen Begriffen läßt sich die g Kantische Begriffslehre zeichentheoretisch (um-)interpretieren. Allerdings bestehen in der neueren semiotischen Kantinterpretation durchaus abweichende Auffassungen über die Identifizierung der Kunstausdrücke "Sinn", "Bedeutung" und "Zeichen" mit den Grundbegriffen der Kantischen Theorie. So möchte Hogrebe 4 Vgl. G. Frege, Über Sinn und Bedeutung. In: d e r s . , F u n k t i o n , B e g r i f f , B e d e u t u n g . Fünf logische S t u d i e n , hg. u. eingel. v. G. P a t z i g , G ö t t i n g e n 1 9 7 5 , S. 4O - 65. 5 Vgl. E. Husserl, Logische U n t e r s u c h u n g e n , Zweiter Band, E r s t e r T e i l , 5 . A u f l . , T ü b i n g e n 1968. 6 Vgl. R. C a r n a p , Introduction to semantics, Cambridge, Mass. 1942. 7 Zum V e r h ä l t n i s K a n t - F r e g e s. J. P. N o l a n , K a n t on m e a n i n g . Two s t u d i e s . In: K a n t - S t u d i e n 7O ( 1 9 7 9 ) , S. 113 - 131. 8 S . etwa H . S c h n ä d e l b a c h , R e f l e x i o n u n d D i s k u r s . F r a g e n e i n e r Logik d e r P h i l o s o p h i e , F r a n k f u r t / M . 1 9 7 7 , S . 1 2 1 . 9 V g l . d a z u d i e s e m i o t i s c h e n K a n t - I n t e r p r e t a t i o n e n b e i W . Hogrebe, Kant und das Problem einer transzendentalen Semantik, F r e i b u r g / M ü n c h e n 1 9 7 4 , bes. S . 9 9 f . ; H . S c h n ä d e l b a c h , a . a . O . , S . 8 7 - 1 3 3 , bes. S . 1 2 2 f f . ; G . S c h ö n r i c h , K a t e g o r i e n u n d t r a n s z e n d e n t a l e A r g u m e n t a t i o n . K a n t u n d d i e Idee e i n e r t r a n s z e n d e n t a l e n S e m i o t i k , F r a n k f u r t / M . 1981, bes. S . 1 1 7 f f . Als ein V o r l ä u f e r dieser Interpretationsrichtung kann der Rickert-Schüler R. Zocher gelten; vgl. dazu R. Zocher, Kants G r u n d l e h r e . Ihr S i n n , ihre P r o b l e m a t i k , ihre A k t u a l i t ä t , Erl a n g e n 1 9 5 9 , b e s . S. 142 - 146. 1O V g l . H o g r e b e , a . a . O . , S . 8 3 f f .

188

Urteilskraft und Realität

"Sinn" mit "Erscheinung" qua unbestimmtem Gegenstand von empirischer Anschauung und "Bedeutung" mit deren "synthetischer" Bestimmung gleichsetzen, während Schönrich in kritischer Ra1 dikalisierung des Prauss sehen Deutungsmodells die Erscheinung bei Kant zum "Zeichen" erklärt. Gegenüber den standpunktlich bestimmten und eher konstruierend verfahrenden Auslegungen wird im folgenden elementarer angesetzt, beim Kantischen Text, in dessen Verlauf die formale Deutung von "Bedeutung" als "Beziehung auf Objekte" kontextuell spezifiziert wird. (B 185/A 146; B 1 9 4 f . / A 155f.) Eine erste Bestimmung erfährt der Ausdruck "Bedeutung" über die Unterscheidung der Bedeutung, die Kategorien aufgrund ihrer Schematisierung haben, und jener "reinen", "nur logische(n) Bedeutung", die den Kategorien "nach Absonderung aller sinnlichen Bedingung" immer noch zukommt. (B 186/A 1 4 7 ) Ohne näher auf die Interpretationsprobleme der Schematismus12 lehre einzugehen, ist hier an den grundlegenden Unterschied von bloß intellektuellen reinen Verstandesbegriffen ("reine Kategorie"; A 2 4 5 ) - der bloßen "Funktion des Verstandes zu Begriffen" (B 187/A 147; H . v . m . ) - und dem Vollsinn der Kategorien als Begriffe von einem Gegenstand zu erinnern. Die funktionale Vervollständigung der puren Kategorie durch das transzendentale Schema wird von Paton als Anreicherung der Kategorie zu "schematized categories" gefaßt. Doch liegen bereits den transzendentalen Schemata, die durch den Verstand geregelte transzendentale Produkte der Einbildungskraft sind, die Kategorien als Prinzipien für die Versinnlichung zugrunde, so daß sich eine Unterscheidung von transzendentalem Schema und schematisierter Kategorie erübrigen dürfte.

11 V g l . S c h ö n r i c h , a . a . O . , S. 2 3 f f . u. S. 122 - 126. 12 F ü r e i n e L i t e r a t u r ü b e r s i c h t s . W . D e t e l , Z u r F u n k t i o n d e s Schematismuskapitels in Kants Kritik der reinen V e r n u n f t . In: K a n t - S t u d i e n 69 ( 1 9 7 8 ) , S. 17 - 45, b e s . S. 18 - 25. 13 V g l . H . J . P a t o n , K a n t ' s m e t a p h y s i c o f e x p e r i e n c e . A commentary on the f i r s t h a l f of the Kritik der reinen V e r n u n f t , v o l . 1, L o n d o n 1 9 3 6 , S. 26O sowie v o l . 2, London 1936, S. 32 u. S. 4 2 f .

"Logische Bedeutung"

189

Die reine, d.h. rein intellektuelle oder "logische Bedeutung" der Kategorien noch diesseits ihrer reinen Versinnlichung erläutert Kant negativ. Der logisch-formalen, zwar nicht formallogischen, aber doch isoliert intellektuellen Vorstellungsvereinigung wird "kein Gegenstand, mithin auch keine Bedeutung gegeben ... die einen Begriff vom Objekt abgeben könnte" (B 186/A 1 4 7 ) . Eine Textemendation Kants 1 4 verbessert im letztgenannten Zitat "Begriff vom Objekt" zu "Erkenntnis vom Objekt" Diese, allerdings nicht in den Text von 1787 eingegangene, Veränderung erlaubt es, die "logische Bedeutung" von Kategorien doch noch mit dem "Begriff vom Objekt" zu verbinden, nämlich in Form des Denkens eines Gegenstandes überhaupt durch die reine Kategorie. Im Unterschied dazu verfügt die versinnlichte Kategorie über einen Typus von "Bedeutung", der eine Gegenstandserkenntnis beinhaltet. Faßt man die "Bedeutung" von Begriffen als deren Beziehung auf Gegenstände, dann heißt "logische Bedeutung" von Kategorien: Beziehung auf einen Gegenstand überhaupt. Gegenüber dieser "von allen Schematen unabhängige(n) und viel weiter betrachtete(n) Bedeutung" sind die versinnlichten Kategorien "restringiert", und zwar durch Bedingungen ihres Gebrauchs, die außerhalb des Verstandes in der Sinnlichkeit liegen. (B 185ff./A 1 4 6 f . ) Die Restriktion des Verstandes auf Sinnlichkeit - eine Restriktion des Erkenntnisgebrauchs des Verstandes auf Gegenstände der Sinnlichkeit als die einzig möglichen Fälle seiner theoretisch-bestimmenden Anwendung - ist wohl zu unterscheiden von der prinzipiellen Restriktion der Sinnlichkeit durch den Verstand, jener kritischen Beschränkung der theoretischen Erkenntnis auf den Bereich der Erscheinungen im Resultat des analytischen Teils der Kritik. (B 312/A 2 5 6 ) Die umfangsmäßige Einschränkung der "logischen Bedeutung" von Kategorien auf die transzendentalen Schemata wird von Kant identifiziert mit der inhaltlichen Konkretion der Kategorien durch reine Versinnlichung. Die "Schemate der Sinnlichkeit"

14 V g l . AA X X I I I ,

46.

190

Urteilskraft und Realität

sollen die Kategorien "realisieren" und "restringieren". Das beanspruchte adversative Verhältnis zwischen Realisation und Restriktion ("obgleich ... d o c h . . . gleichwohl auch"; B 185f./ A 1 4 6 ) stellt dabei keinen sachlichen Gegensatz dar, sondern die innere Gegenläufigkeit der intensionalen Erfüllung der Kategorien (realisierender Gegenstandsbezug) und ihrer extensionalen Einschränkung (Phänomenalisierung des Gegenstandsbereiches) . Im Horizont des transzendentalen Schematismus wird die mehr als logische Bedeutung der realisierten Kategorie nicht eigens positiv g e f a ß t . Von "empirischer Bedeutung" zu reden, verbietet sich wegen der Apriorität des Verhältnisses der Kategorie zu ihrem Gegenstand. Eher wäre von "ästhetischer" oder "sinnlicher Bedeutung" zu sprechen.

3 . 1 . 2 . "Möglichkeit der Erfahrung" Auch die weiteren Ausführungen zum Thema der Bedeutung von realisierten Kategorien im Abschnitt über den obersten Grundsatz und im Hauptstück über die Phaenomena-Noumena-Unterscheidung geben keine zur ursprünglich logischen Bedeutung von Kategorien parallel konstruierte Bestimmung, etwa in Form einer sinnlich-ästhetischen Bedeutung von Kategorien. Wohl aber findet sich die Ergänzung der "Bedeutung" um den Titel "Sinn", und dies in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Thema der "objektiven Realität" bzw. "objektiven Gültigkeit" von Kategorien, (B 1 9 4 f . / A 1 5 5 f . ) Im Unterschied zu "Bedeutung" tritt "Sinn" nicht in Verbindung mit einer zusätzlichen adjektivischen Bestimmung (vgl. "logische Bedeutung") a u f . Des weiteren grenzt die singularische Verwendung den Terminus vom ästhesiologischen Begriff des Sinnes ab. Die Interpretation durch den transzendentalästhetischen Begriff des inneren oder äußeren Sinnes schließlich dürfte auch ausscheiden, wird doch "Sinn" in Zusammenhang mit "Bedeutung" speziell den Verstandesbegriffen zugesprochen. Es

"Möglichkeit der Erfahrung"

191

legt sich die Annahme nahe, mit der Bestimmung "Sinn" sei der zusätzliche, sinnliche Bedeutungsaspekt der Kategorien ausgedrückt . An der schon terminologisch gegebenen Nähe eines solchen semantischen Sinnbegriffs zum Vermögen der Sinnlichkeit ist dabei durchaus festzuhalten. Die "objektive Realität" einer Erkenntnis (B 194/A 155) besteht ja gerade in einer Beziehung der Erkenntnis auf den Gegenstand derart, daß dieser sinnlich gegeben ist oder jedenfalls gegeben werden kann. Die für die "objektive Realität" von Begriffen notwendige mögliche Gegebenheit des Gegenstandes, auf den der Begriff qua Bedeutung Bezug nimmt, kann nämlich - jedenfalls für endliche Vernunftwesen und deren theoretisches Erkennen - nur in der möglichen sinnlichen Gegebenheit des Gegenstandes bestehen. "Sinn" bezeichnet dann eine spezifische Art der Gegebenheit der Gegenstände - ihre Gegebenheit in der Anschauung - und ist jener Modus von "Bedeutung", durch den solchen Begriffen, die sich an sich selbst nur logisch auf Gegenstände beziehen, die Gegenstände sinnlich gegeben werden. Die dem Ausgreifen des Begriffs auf den Gegenstand hin (logische Bedeutung) entgegenkommende Erfüllung der leeren Bedeutungsfunktion durch den sinnlich gegebenen Gegenstand (Sinn) faßt Kant terminologisch als wirkliche bzw. mögliche Erfahrung: "Einen Gegenstand geben, wenn dieses n i c h t w i e d e r u m n u r m i t t e l b a r g e m e i n t sein s o l l , s o n d e r n u n m i t t e l b a r in der Anschauung d a r s t e l l e n , ist nichts anderes, als dessen Vorstellung auf E r f a h r u n g (es sei w i r k l i c h e oder doch m ö g l i c h e ) b e z i e h e n . " ( B 1 9 5 / A 156}

Die Beziehung der Erkenntnis, sofern sie "objektive Realität" hat, auf einen Gegenstand dergestalt, daß erstere in letzterer "Bedeutung und Sinn" hat oder haben kann, wird hier in die Beziehung der Vorstellung auf wirkliche oder mögliche Erfahrung umformuliert.

15 V g l . d a z u a u c h d i e A u s f ü h r u n g e n z u " S i n n " u n d " B e d e u t u n g " in d e r A n t h r o p o l o g i e i n p r a g m a t i s c h e r H i n s i c h t ( A A V I I , 169)

192

Urteilskraft und Realität

Was mit diesem realisierenden Beziehen gemeint ist, verdeutlicht Kant am Fall von Raum und Zeit, die er hier noch einmal unspezifisch - diesseits der Disjunktion Anschauung - Begriff - als "reine Begriffe" anspricht. Im Falle von Raum und Zeit (und entsprechend in jedem anderen Fall reiner Begriffe) ist zu unterscheiden zwischen dem nicht-empirischen Ursprung a priori und jener Dimension von "objektiver Gültigkeit" und "Sinn und Bedeutung", die Raum und Zeit nur zukommt, insofern ihr "notwendiger Gebrauch an den Gegenständen der Erfahrung" stattfindet. (B 195/A 1 4 6 ) Der Wechsel von "objektive Realität" (bei "Erkenntnis"; B 194/A 155) zu "objektive Gültigkeit" (beim Beispielfall von Raum und Zeit) berücksichtigt wohl den Wortgebrauch der Transzendentalen Ästhetik, in der "objektive Realität", verstanden als "absolute Realität", dem Raum und der Zeit abgesprochen wird . Die Begründung von "objektiver Gültigkeit" und von "Sinn und Bedeutung" des Raumes und der Zeit greift auf die Argumentation der Transzendentalen Ästhetik zurück: die reinen Begriffe sind notwendige Bedingungen, die von allen Gegenständen der Erfahrung gelten ("notwendiger Gebrauch"). Im Fall von Raum und Zeit besteht demnach die Beziehung der Vorstellung auf Erfahrung darin, daß die Vorstellung sich notwendig auf Erfahrung bzw. auf deren Gegenstände bezieht - die Beziehung besteht in der Bedingung von Erfahrung durch reine Begriffe. Dieser Modus der Erfahrungsbeziehung (Erfahrungsbegründung) ist spezifisch für reine Begriffe. Auch die für Raum und Zeit herausgestellte Disjunktion von apriorischem Ursprung und "objektiver Realität" bzw. "objektiver Gültigkeit" mit Bezug auf Erfahrung, und damit das Erfordernis eines eigenen argumentativen Übergangs vom Ursprung zum legitimen Gebrauch (transzendentale Deduktion), dürfte nur für reine Begriffe spezifisch sein. Gerade bei Begriffen, die unabhängig von Erfahrungen entspringen, stellt sich das Problem ihrer möglichen Anwendung und der Bedingungen ihres Gebrauchs in der E r f a h r u n g . 16 V g l . d a z u oben

1.4.

"Möglichkeit der Erfahrung"

193

Demgegenüber fällt bei empirischen Begriffen der Ursprung (Erfahrung) mit dem Bereich der Anwendung zusammen. Gemeinsam ist reinen und empirischen Begriffen allerdings dies, daß einzig die Beziehung auf Erfahrung die "objektive Realität" von Begriffen ausmacht; jeder Begriff ist nämlich an sich selbst ein "bloßes Schema" (B 195/A 1 5 6 ) , dessen Bedeutung sich erst in der Beziehung auf Erfahrung realisiert. Doch während bei reinen Begriffen ein eigener Vermittlungsvorgang zwischen Ursprung und möglichem Erfahrungsgebrauch notwendig ist, sind die empirischen Begriffe selbst schon jenes empirische Schema, das den Bezug auf Erfahrung zum Ausdruck bringt. Die allgemeine Art, wie sich reine Begriffe auf Erfahrung beziehen und dadurch "objektive Realität" bekommen, ist demnach prinzipiell verschieden von der Erfahrungsbeziehung empirischer Begriffe. Genau besehen nehmen die reinen Begriffe auch nicht Bezug auf Erfahrung, sondern auf mögliche Erfahrung, und zwar "auf diese ihre Möglichkeit selbst" (B 196/A 1 5 7 ) : "Die Möglichkeit der Erfahrung ist a l s o d a s , was a l l e n u n s e r e n E r k e n n t n i s s e n a p r i o r i obj e k t i v e R e a l i t ä t g i b t . " ( B 1 9 5 / A 156)

Das notwendige Bedingungsverhältnis in der Beziehung der reinen Begriffe auf Erfahrung hat hier im Erfahrungsbegriff selbst Ausdruck gefunden. "Möglichkeit der Erfahrung" meint die Ermöglichung der Erfahrung, die Erfahrung ihren apriorischen Gründen nach. Die Beziehung von reinen Begriffen auf mögliche oder wirkliche Erfahrung kann aber auch als selber apriorische Bezugnahme auf a posteriori Gegebenes verstanden werden, nämlich als Bedingung des empirischen Einzelfalls durch die allgemeine Regelung. Der argumentative Rückgriff auf die Möglichkeit der Erfahrung bei der Begründung der "objektiven Realität" von reinen Begriffen schlägt auch die apriorischen Bedingungen noch zum Begriff der (möglichen) Erfahrung, die zunächst der Beziehung zwischen Begriff und Gegenstand zufielen. Erfahrung erfüllt so

17 V g l . dazu oben 2 . 4 . 3 .

194

Urteilskraft und Realität

die Doppelfunktion von Relat und Relation, von Gegenstand und Medium. Tatsächlich begründet Kant die "objektive Realität" der Begriffe a priori mit deren Prinzipienfunktion für Erfahrung, wobei er Erfahrung auf die "synthetische Einheit der Erscheinungen" zurückführt (B 195/A 1 5 6 ) . Kants Begriff der Erfahrung unterstellt Erfahrung den transzendentalen Bewußtseinsbedinungen, so daß letztere in der Erfahrung notwendig zur Anwendung kommen. Die Beziehung der reinen Begriffe auf Erfahrung ist also keine Inanspruchnahme von Erfahrung, sondern deren Ermöglichung, nicht Rekurs auf ein Faktum, sondern das facere selbst dieses Produkts Erfahrung. Die "objektive Realität" der reinen Begriffe kommt diesen nicht äußerlich zu, vielmehr erwächst sie ihnen aus der notwendigen Funktion beim Zustandekommen von Erfahrung: "Die E r f a h r u n g h a t a l s o P r i n z i p i e n i h r e r Form a p r i o r i zum Grunde liegen, nämlich allgemeine Regeln der E i n h e i t in der Synthesis der Erscheinungen, deren objektive R e a l i t ä t , als notwendige Bedingungen, j e d e r z e i t i n d e r E r f a h r u n g , j a sogar i h r e r M ö g l i c h k e i t g e w i e s e n werden k a n n . " ( B 196/A

156f.)

Der gängige Zirkelvorwurf gegen die Legitimation der reinen Begriffe durch eine Erfahrung, die selbst durch eben jene Be- / 18 g r i f f e erst ermöglicht werde , verschlägt deshalb nicht, weil der Rückgriff auf Erfahrung in beiden Fällen - auch bei der Legitimationsbeziehung - die Form eines apriorischen Bedingungsverhältnisses im Ausgang vom Synthesisbewußtsein hat: der zu erweisende mögliche Gebrauch der reinen Begriffe gegenüber Gegenständen der Erfahrung ist identisch mit deren notwendigem Gebrauch an Gegenständen der Erfahrung; die reinen Begriffe können angewandt werden, weil sie angewandt werden müssen, genauer: müssen angewandt werden können, wenn Erfahrung von Gegenständen sein soll. Gegenstandserfahrung ist kein bloßes empirisches Faktum unter anderen empirischen Zufälligkeiten, sondern das Faktum der Empirie selbst, welches darin besteht, daß endliche Vernunftwesen zu anderem, von ihnen Verschiedenem, in 18 Zur W i d e r l e g u n g des Z i r k e l - E i n w a n d e s v g l . J. E b b i n g h a u s , Kantinterpretation und K a n t k r i t i k . In: Gesammelte A u f s ä t z e , V o r t r ä g e und R e d e n , D a r m s t a d t 1968, S. l - 23.

"Möglichkeit der Erfahrung"

195

einem teils bestimmenden, teils bestimmten Verhältnis stehen. Meint also "Möglichkeit der Erfahrung" die prinzipielle ErmOgliohung der Erfahrung durch sich in ihnen realisierende ursprünglich rein intellektuelle Begriffe, so bedeutet "Erfahrung", wenn sie als (empirisch) "wirkliche" oder auch nur (empirisch) "mögliche Erfahrung" auftritt, die ermöglichte Erfahrung. Von der möglichen bzw. wirklichen ermöglichten Erfahrung ist die Ermöglichung von Erfahrung demnach streng zu trennen. Sie stellt keinen Fall von (möglicher) Erfahrung dar, sondern bildet das nicht-empirische Regelsystem für jede mögliche Erfahrung. 19 Die Beziehung der reinen Begriffe auf mögliche Erfahrung kann jetzt erläutert werden als ein empirisches In-Beziehung-Stehen der reinen Begriffe zu Gegenständen der Erfahrung auf der Grundlage des ermöglichenden Sich-Beziehens dieser Begriffe qua Bedingungen auf die von ihnen bedingte Erfahrung. Die Gegenstände der Erfahrung eignen sich deshalb zum realisierenden Bezugspunkt für die Gegenstandsbeziehung reiner Begriffe, weil die Erfahrungsgegenstände selber im "notwendigen Gebrauch" dieser Begriffe gründen. Die Realisation reiner Begriffe durch Rückgriff auf mögliche Erfahrung löst so nur deren eigenen ermöglichenden Ausgriff auf die Gegenstände der Erfahrung ein. Transzendentalphilosophisch ist Erfahrung immer von ihren apriorischen Bedingungen her zu verstehen. In dieser Hinsicht sind auch die inneren Verdoppelungen des Erfahrungsbegriffs zu kassieren, die einer primären Erfahrung, als dem elementaren nicht-intellektuellen Gegenüber des Begriffs, die komplexe Erfahrung gegenüberstellen. So differen-

19 V g l . zum " h o r i z o n t a l e n " C h a r a k t e r der E r f a h r u n g auch H. Hoppe, K a n t s A n t w o r t a u f H u m e . In: K a n t - S t u d i e n 6 2 ( 1 9 7 1 ) , S . 335 - 35O, b e s . S. 3 4 7 ; gegenüber dem H e i d e g g e r ' s e h e n W e l t b e g r i f f ist aber auf den s p e z i f i s c h e n , e i n g e s c h r ä n k t e n Char a k t e r d e r E r f a h r u n g a l s ( v o r - ) w i s s e n s c h a f t l i c h e r theoretisch b e s t i m m t e r E r k e n n t n i s h i n z u w e i s e n . V g l . dazu H . H o l z hey, Kants E r f a h r u n g s b e g r i f f . Quellengeschichtliche und bed e u t u n g s a n a l y t i s c h e U n t e r s u c h u n g e n , B a s e l / S t u t t g a r t 197O, S. 252 u. S. 273 - 2 7 7 .

196

Urteilskraft und Realität

ziert Eisler zwischen Erfahrung als Wahrnehmung und Erfahrung als Verknüpfungsprodukt der Wahrnehmungen zur Einheit des Gegenstandes. Holzhey unterscheidet Erfahrung qua Empfindung von Erfahrung qua empirischer Erkenntnis. Bei Böhme schließlich wird die Empfindung in "lebensweltliche Erfahrung" umgedeutet und zum nicht weiter thematisierten Material für die wissenschaftliche Gegenstandserkenntnis erklärt. Demgegenüber ist zu verweisen auf die Kategorialität schon der Wahrnehmung (B 1 6 1 ) und auf den Umstand, daß Empfindung allererst durch prinzipiell kategoriale Apperzeption ins empirische Bewußtsein aufgenommen werden kann (B 160). Schon die vorwissenschaftliche Gegenstandserfahrung ist kategorial bestimmt; Erfahrung ist immer schon komplex, Produkt (Synthesis) und nie bloß sinnlich-elementar gegeben. Wo die Kritik für die Legitimation von reinen Begriffen auf Erfahrung oder mögliche Erfahrung rekurriert, greift sie nicht ein a posteriori Gegebenes a u f , sondern thematisiert in der Nennung des Relats die Ermöglichungsbeziehung selber, durch die reine Begriffe und bloß sinnliches Material notwendig zusammentreten. Jenes "Dritte" als das "Medium aller synthetischen Urteile" (B 194/A 1 5 5 ) , in dem die Synthesis der Begriffe besteht, ist also kein tertium, zu dem hinausgegangen wird, sondern die komplexe Einheit von Bewußtsein und Gegenstand in Gestalt der Erkenntnis von Gegenständen ( E r f a h r u n g ) . Die allgemeine Argumentation für die "objektive Realität" bzw. "objektive Gültigkeit" von reinen Begriffen im Rückgriff auf das Explikans "Möglichkeit der Erfahrung" verläuft analog zum Nachweis der "objektiven Gültigkeit" der reinen Anschauungs-

20 V g l . K a n t - L e x i k o n , b e a r b e i t e t v o n R . E i s l e r , B e r l i n 193O, S. 1 2 3 ;zum B e g r i f f von E r f a h r u n g als logisch-analytischem A b s t r a k t i o n s p r o d u k t v g l . auch die I n a u g . - D i s s . , § 5 (AA I I , 354. 21 V g l . Holzhey, Kants E r f a h r u n g s b e g r i f f , a . a . O . , S. 1 9 9 f f . 22 V g l . G. Böhme, Kants Theorie der Gegenstandskonstitution. I n : K a n t - S t u d i e n 7 3 ( 1 9 8 2 ) , S . l 3 O - 1 5 6 , b e s . S . 15O; z u r K r i t i k an der Gleichsetzung von E r f a h r u n g und wissenschaftlicher E r f a h r u n g v g l . Hoppe, a . a . O . , S . 3 4 1 .

"Möglichkeit der Erfahrung"

197

formen: nachgewiesen wird ein Verhältnis notwendiger Bedingung zwischen den Kategorien und dem von ihnen Prinzipiierten. Die in der Transzendentalen Ästhetik herausgestellte allgemeine Beziehung von Raum und Zeit auf empirische Anschauungen bzw. Erscheinungen findet sich im "obersten Grundsatz" generalisiert zur allgemeinen Beziehung der "Erkenntnisse a priori" zu den "Gegenständen der Erfahrung". Das Prinzipiierte ist jetzt Erfahrung ihrer Möglichkeit nach ("überhaupt"), noch diesseits der Spezifikation nach den verschiedenen Vermögen und Instanzen der konkreten Erfahrung. K u r z : reine Begriffe haben "objektive Realität" als notwendige Bedingungen" (B 196/A 1 5 7 ) der Bewußtseinseinheit von Erscheinungen. Damit ist aber die "objektive Realität" reiner Begriffe auch beschränkt auf die durch sie ermöglichte Erfahrung. Es gilt, daß " E r f a h r u n g , als empirische Synthesis, in ihrer M ö g l i c h k e i t d i e e i n z i g e E r k e n n t n i s a r t ist, w e l che aller anderen Synthesis R e a l i t ä t gibt" (B 196/A 1 5 7 ) .

Die "Realität" von reiner Synthesis wird hier allerdings nicht abstrakt mit einer anderen, äußerlich hinzukommenden Synthesis begründet, sondern auf jene mögliche empirische Synthesis zurückgeführt, die selber nur die Konkretion nicht-empirischer Synthesis darstellt. Der um den Zusatz "objektiv" verkürzte Ausdruck "Realität" verweist also nicht auf das Empfindungsmoment an empirischer Synthesis, sondern auf deren apriorische Prinzipiiertheit. Wenn Kant dann bei der restriktiv-realisierten reinen Synthesis den adäquationstheoretischen Wahrheitsbegriff ("Wahrheit (Einstimmung mit dem O b j e k t ) " ; B 1 9 6 f . / A 157) erfüllt sieht, ist das zu erläutern durch den Gedanken der die empirische Wahrheit ermöglichenden "transzendentalen Wahrheit". 2 3 Das Verhältnis der Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand besteht im Fall der realisierten reinen Synthesis, also bei reinen Begriffen mit "objektiver Realität", in der "allgemeinen Beziehung" (B 185/A 147; H . v . m . ) auf mögliche Erfahrung. Die 23 V g l . d a z u auch B ö h m e , a . a . O . , S. 1 4 8 f . , S. 156.

198

Urteilskraft und Realität

Übereinstimmung qua transzendentale Wahrheit besteht im allgemeinen Ubereinstimmen-Können. Die explizite Formulierung des "oberste(n) Principium(s) aller synthetischen Urteile" hat denn auch nicht die Funktion des Empirischen bei der Realisierung von Begriffen zum Inhalt, sondern den Prinzipiencharakter reiner Synthesis in aller empirischen Synthesis· " . . . ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfalt i g e n d e r A n s c h a u u n g in e i n e r m ö g l i c h e n E r f a h r u n g . " (B 197/A 158)

Die Möglichkeit synthetischer Urteile, noch unspezifiziert nach ihrer aposteriorischen oder apriorischen Geltung, wird hier durch die allgemeine Begründung der Erfahrung gerechtfertigt. Streng genommen sind synthetische Urteile a posteriori in ihrer bloßen empirischen Zufälligkeit keines allgemeinen Prinzips fähig. Ihre prinzipielle Bestimmtheit und damit ihr Regelbzw. Gegenstandscharakter ("objektive Gültigkeit") verdankt sich den reinen Prinzipien. Der oberste Grundsatz aller synthetischen Urteils ist insofern identisch mit dem Prinzip aller synthetischen Urteile a priori. Letztere kommen zustande durch die allgemeine Beziehung der reinen Erkenntnisbedingungen Anschauungsformen, Synthesis der Einbildungskraft und Apperzeptionseinheit - auf ein "mögliches Erfahrungserkenntnis überhaupt", d.h. auf die durch sie mögliche Erfahrung. Die Zuordnung des Begriffs "objektive Gültigkeit" zu den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung macht dann ausdrücklich, daß eine prinzipielle Identität von Gegenstandserfahrung (Möglichkeit der Erfahrung überhaupt) und Erfahrungsgegenstand (Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung) besteht: " . . . die B e d i n g u n g e n der Möglichkeit der Erfahrung ü b e r h a u p t s i n d z u g l e i c h B e d i n g u n g e n d e r Möglichkeit der G e g e n s t ä n d e der Erfahrung, und h a b e n d a r u m o b j e k tive G ü l t i g k e i t in einem synthetischen U r t e i l e a priori." ( B 1 9 7 / A 158)

"Bestimmte Bedeutung"

199

3.1.3. "Bestimmte Bedeutung" Das Hauptstück "Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena" (B 2 9 4 / A 235 B 315/A 260) steht zur voraufliegenden Transzendentalen Analytik, der Lehre von den reinen Begriffen des Verstandes und deren Gebrauch in synthetischen Urteilen a priori, im Verhältnis eines "summarischen Überschlag(s) ihrer (sc. der Analytik) Auflösungen" (B 295/A 2 3 6 ) . Die strenge Korrelativität von Sinnlichkeit und Verstand auch und gerade bei nicht-empirischen Erkenntnissen wird in ihrer Auswirkung für den reinen Verstandesgebrauch

und dessen rein

intellektuelle Gegenstände (Noumena) reflektiert. Der "Begriff von einem Noumenon" wird dabei vom Gedanken des transzendenta24 len Gegenstandes unterschieden. (A 2 5 2 f . ) Er wird auch vom "Noumenon in positiver Bedeutung" als dem bloß denkbaren Gegenstand einer etwaigen nicht-sinnlichen, intellektuellen Anschauung abgesetzt. (B 307 - 3O9) Sein Status ist begriffs"

der eines "Grenz-

: er dient der Begrenzung der Sinnlichkeit (gen.

o b j . ) und ihres Gegenstandsbereiches (Erscheinungen) durch den Verstand im problematischen Gedanken der nicht als Erscheinung betrachteten und insofern unerkennbaren Gegenstände (Dinge an sich) 2 6 . (B 310/A 255 - B 312/A 2 5 6 ) Die Phaenomena-Noumena-UnterScheidung hat so ihren kritischen Grund in der Doppelbestimmung der beiden Prinzipienbereiche des Erkennens, ursprünglich unabhängig voneinander und doch funktional notwendig aufeinander bezogen zu sein; die Zweitei-

24 Zur D i f f e r e n z von t r a n s z e n d e n t a l e m Gegenstand und Noumenon b z w . D i n g a n sich v g l . G . B u c h d a h l , T h e d y n a m i c v e r s i o n o f K a n t ' s transcendental method, In: Akten des 5. Internation a l e n K a n t - K o n g r e s s e s M a i n z 4 . - 8 . A p r i l 1981, Teil 1.1, Bonn 1981, S . 3 9 4 - 4 O 6 ; f e r n e r P a t o n , a . a . O . , v o l . 2 , S . 439 - 4 4 9 . 25 Zur D i f f e r e n z von "Grenze" und "Schranke" vgl. AA IV, 3 5 2 f . . 26 Vgl. dazu auch P a t o n , a . a . O . , vol. 2, S. 45O - 4 6 2 .

2OO

Urteilskraft und Realität

lung des Gegenstandsbereichs (Sinnenwelt - Verstandeswelt) hat den Sinn einer problematischen Verselbständigung des Verstandes im Rahmen von dessen Selbstverständigung über die Grenzen von Sinnlichkeit und Sinn. Der Aufstellung des kritischen Noumenon-Begriffs geht eine Zurückweisung des nicht-empirischen Gebrauchs von Begriffen und speziell von reinen Verstandesbegriffen voraus, die in ihrer terminologischen Differenziertheit die Resultate der Transzendentalen Analytik besonders markant herausstellt. Die Restriktion der reinen Verstandesbegriffe auf den "Erfahrungsgebrauch" (B 295/A 2 3 6 ) weist dem Prinzipiensystem dieses "möglichen empirischen Gebrauchs" (A 252) den Status eines "reine(n) Schema(s) zur möglichen Erfahrung" (B 296/A 237) zu. Vom faktischen Aufgehen des reinen Verstandes im "bloß empirischen Gebrauch" (B 2 9 6 / A 2 3 7 ) - der unreflektierten Praxis des empirischen Erkennens - unterscheidet sich der vorgängige Gebrauch der Kategorien in den Grundsätzen nicht durch seinen Gegenstandsbereich. Der Gegenstandsbereich ist in beiden Fällen die Erfahrung. Der Unterschied liegt vielmehr in der jeweiligen Rationalitätsstufe und im Fehlen bzw. Vorhandensein einer Reflexion auf die Gebrauchsbedingungen von Begriffen. Es gilt: "daß der bloß mit seinem e m p i r i s c h e n Gebrauche b e s c h ä f t i g t e V e r s t a n d , der über die Quellen sein e r e i g e n e n E r k e n n t n i s n i c h t n a c h s i n n t , z w a r sehr g u t f o r t k o m m e n , e i n e s a b e r g a r n i c h t l e i s t e n könne, n ä m l i c h , sich selbst die Grenzen seines Gebrauchs zu b e s t i m m e n . . . " (B 297/A 2 3 8 ) .

Der in Grenzen gesetzte empirische Gebrauch von Kategorien impliziert deshalb auch nicht einen eigenen, vom Gebrauch empirischer Begriffe im Prinzip unterschiedenen Gebrauch von Begriffen. Im Gegenteil ist die Einschränkung der Kategorien auf den empirischen Gebrauch dem Ausschluß eines nicht-empirischen, transzendentalen Gebrauchs äquivalent. Der im Begriff des transzendentalen Gebrauchs intendierte Bezug auf "Dinge überhaupt 27 und an sich" oder, wie Kant im Handexemplar emendiert , auf

27 Vgl. AA X X I I I ,

47.

"Bestimmte Bedeutung"

201

"Gegenstände, die uns in keiner Anschauung gegeben werden, mithin nicht-sinnliche Gegenstände" reduziert den Begriff auf die "logische Form eines Begriffs (des Denkens) überhaupt" und nimmt ihm gerade die Beziehung auf einen Inhalt. (B 298/A 238f.) Eben deshalb ist der im vorgeblichen transzendentalen Gebrauch "abgesonderte Begriff" ohne "objektive Gültigkeit" und also ohne "Sinn, d.i. ohne Bedeutung" (B 299/A 2 4 O ) . "Sinn", "Bedeutung" und "objektive Gültigkeit" besitzt ein Begriff nur durch Bezug auf eine korrespondierende Anschauung. Einem Begriff "Sinn" verschaffen bedeutet, ihn "sinnlich zu machen, d.i. das ihm korrespondierende Objekt in der Anschauung darzulegen" (B 299/A 2 4 O ) . Der Erkenntnisgebrauch als Gegenstandsbeziehung von Begriffen bedarf der "angebliche(n) Gegenstände" (B 299/ 28 A 2 4 O ) , des dabile ; gegeben sind "uns" Gegenstände aber nur in der Anschauung. Für die ursprünglich rein intellektuellen Kategorien, die zwar a priori abstrakt ("abgesondert") sind, aber nicht etwa 29 abstrahiert , führt dies auf das Problem ihrer Definierbarkeit. Dabei geht es nicht um die allgemeinen Ausführungen der Transzendentalen Methodenlehre zur "Definition" in der Philosophie, sondern um den Spezialfall der ursprünglich undefinierbaren Kategorien, die näher erst durch sinnliche Anwendungsbedingungen bestimmt werden können. Es handelt sich in diesem Zusammenhang auch nicht um die fällige "Erklärung der Kategorien" (B 128) im Sinne eines allgemeinen Kategorienbeg r i f f s . Vielmehr greift Kant ausdrücklich das Thema der "Definitionen" (Plural) der Kategorien an, jenes Unterfangen also, dessen er sich "in dieser Abhandlung (sc. der Kritik) geflissentlich" überhoben hatte - mit dem Hinweis, daß er dennoch "im Besitz derselben sein möchte". (B 108/A 82)

28 Zur Bedeutung von "angeblich" bei Kant vgl. Immanuel K a n t , W e r k e , h g . v . W . W e i s c h e d e l , F r a n k f u r t / M . 1968, B d . 5 , S . l 5 Anm. l . 29 Zu Kants V e r s t ä n d n i s des A u s d r u c k s " A b s t r a k t i o n " vgl. AA IX, 95 ( J ä s c h e - L o g i k ) . 30 V g l . zu den F o r m e n von D e f i n i t i o n AA IX, 14O - 145 ( J ä s c h e Logik) .

202

Urteilskraft und Realität

Die Definierbarkeit jeder Kategorie ist nicht schon im Horizont der systematischen Einführung der Kategorien ("metaphysische Deduktion") gegeben, sondern erst bei der FortbeStimmung der reinen Verstandesbegriffe zu " B e g r i f f e ( n ) eines möglichen empirischen Gebrauchs"(A 2 4 2 ) . Mit "Definition" ist hier nämlich im Unterschied zur äußerlichen Einführung eines Namens für eine Sache (Nominaldefinition) die Angabe von Merkmalen zur Identifizierung des Gegenstandes gemeint (Realdefinition). Nach der Einrichtung "unseres Gemüts" verlangt die Realdefinition den Nachweis der "Möglichkeit der Sachen" durch sinnliche Anschauung. Die Unmöglichkeit einer Definition der reinen Kategorien zeigt Kant an einzelnen reinen Verstandesbegriffen (Größe, Realität, Negation, Substanz, Ursache, Gemeinschaft, Möglichkeit, Dasein, Notwendigkeit; B 300/A 242 - B 302/A 2 4 4 ) . Es wird jedesmal deutlich, daß die reinen Kategorien keine "Bestimmungen eines Dinges" sind, keine realen (realisierten) Funktionen. Die puren Kategorien sind vielmehr bloße DenkbeStimmungen, nämlich logische Bestimmungen des Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt durch die jeweilige logische Urteilsfunktion. ( A 2 4 5 f . ) 3 1 Für den Begriff "Größe" stellt Kant den Unterschied heraus zwischen der logischen Bestimmung durch ein Urteil, bei dem die Beschaffenheit der Dinge "unbestimmt" bleibt, und der "Beziehung auf irgendein bestimmtes Objekt" durch die sinnlich realisierte Kategorie. Die "logische Bedeutung" (B 186/A 1 4 7 ) der Kategorien als bloßer Denkbestimmungen muß deshalb unterschieden werden von der "bestimmten Bedeutung" (A 2 4 4 ) der Kategorien, wobei die Kategorien diese Bestimmungen "ihrer Anwendung auf Sinnlichkeit überhaupt" (A 2 4 5 ) verdanken. Die Bedeutung der Kategorien wird "bestimmt" durch die "transzendentale Zeitbestimmung" (B 178/A 139) als die identifizierend-definierende Angabe der verschiedenen transzendentalen 31 Die " E r k l ä r u n g der Kategorien" (B 128) hebt diese Korrelativität von logischer U r t e i l s f u n k t i o n und intellektueller Bestimmtheit der A n s c h a u u n g eines Gegenstandes überhaupt deutlich h e r v o r .

"Bestimmte Bedeutung"

2O3

Schemata, auf die hin der jeweilige Verstandesbegriff zum Zweck des Erkenntnisgebrauchs angewandt werden kann. Definiert (bestimmt) werden durch die schematische Bestimmung auch nicht eigentlich die Kategorien selbst, sondern jener Gegenstand, der in der Kategorie als einer bloßen Denkbestimmung nur gedacht war und der nun durch die sinnlichen Bestimmungen "seine Bedeutung" erhält. (A 2 4 5 ) Die bloß logische, real unbestimmte Bedeutung der reinen Kategorien e r f ü l l t nicht die für den Gebrauch von Begriffen (Subsumtion eines Gegenstandes unter eine "Funktion der Urteilskraft") erforderliche Anwendbarkeit auf Erscheinungen. Ein nicht-empirischer Gebrauch der Kategorien ist deshalb nicht möglich: "Der bloß t r a n s z e n d e n t a l e G e b r a u c h . . . d e r K a t e g o r i e n ist in der Tat gar k e i n G e b r a u c h , und hat k e i n e n bes t i m m t e n , oder a u c h n u r , d e r Form n a c h , b e s t i m m b a r e n G e g e n s t a n d . " ( B 304/A 2 4 7 f . ) 3 2

Da die reinen Kategorien andererseits auch als solche noch keinen empirischen Gebrauch erlauben, "sind sie von gar keinem Gebrauch". Doch spricht Kant den reinen Kategorien korrelativ zur Aufhebung ihres "transzendentalen Gebrauchs" ausdrücklich "transzendentale Bedeutung" zu. 33 (B 305/A 2 4 8 ) Der Sache nach meint dies die bloß logische, unbestimmte Bedeutung, die in der völligen Abstraktion von gegebenen oder gebbaren Gegenständen besteht. Die Problematik der Bestimmung von Erkenntnissen bzw. von deren Gegenständen durchzieht auch die anschließende Diskussion des Begriffs von einem Noumenon - und dies in Verbindung mit der Terminologie von "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit". Der "reine Gebrauch der Kategorie", gemeint ist der Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe ohne sinnliche

32 Im H a n d e x e m p l a r e r g ä n z t K a n t : Gebrauch "um etwas zu e r k e n nen" (AAX X I I I , 48) . 33 Zur Beziehung von "empirischem Gebrauch" und "transzendentaler Bedeutung" v g l . J. Simon, Sprachphilosophische Aspekte der neueren Philosophie. In: d e r s . , H r s g . , Aspekte und Probleme der S p r a c h p h i l o s o p h i e , Frei b ü r g / M ü n c h e n 1974, S. 7 - 68 , b e s . S. 9 - 18.

2O4

Urteilskraft und Realität

Realisationsbedingungen, ist

zwar eine logische Möglichkeit

,

aber er hat keine "objektive Gültigkeit", weil das Material für die Anwendung der Kategorienfunktionen fehlt.

(A 253) Vom

Noumenonbegriff heißt es dann, er sei widerspruchsfrei

und so-

gar funktional notwendig zur Einschränkung der "objektiven Gültigkeit der sinnlichen Erkenntnis". Doch handelt es sich bei ihm um einen bloß problematischen B e g r i f f , dessen "objektive Realität auf keine Weise erkannt werden k a n n . " (B 31O/A254f.) Dieser Einschränkung der "objektiven Gültigkeit" entspricht die Restriktion des Gegenstandsbereichs der empirischen Erkenntnis auf Erscheinungen. Dem Begriff eines Noumenon wird "objektive Realität" aber nicht etwa abgesprochen. Vielmehr stellt Kant nur heraus, daß der positive Erweis der "objektiven Realität" dieses B e g r i f f s unmöglich ist, weil er eine "intellektuelle Anschauung" (B 3O8) erfordert, die für endliche Vernunftwesen nicht gegeben

ist.

Die Rede von der "objektiven Realität der Noumenen" schließlich und von einer rein intellektuellen Gegenstandserkenntnis, "welche allein objektive Realität hat" (A 2 4 9 ) , steht im Modus einer unkritischen Erwägung ("Nun sollte man d e n k e n . . . " ) . "Objektive Realität" meint in der schlecht ontologischen

Zwei-

Welten-Lehre die absolute, durch keine Erkenntnisbedingungen eingeschränkte Realität. Der Terminus steht in dieser Verwendung, wie auch schon in der Transzendentalen Ästhetik

(B 7 0 ) ,

im Gegensatz zur (empirischen) "objektiven Gültigkeit" der sinnlichen Erkenntnis. Was nun die Bestimmungsthematik angeht, so folgt aus der Unbestimmtheit der puren Kategorien auch die Unbestimmtheit des B e g r i f f s von einem Noumenon. Statt eines "bestimmten B e g r i f f ( s ) von einem Wesen, welches wir durch den Verstand auf einige Art erkennen könnten", handelt es sich bloß um den "ganz unbestimmten Begriff von einem Verstandeswesen, als einem Etwas überhaupt außer unserer Sinnlichkeit" (B 3 0 7 ) . Bestimmtheit ist qua reale Bestimmtheit an sinnliche Anschauung gebunden. 34 Den e r l ä u t e r n d e n Z u s a t z " l o g i s c h " zu "möglich" gibt Kant im Handexemplar der Erstauflage (AA XXIII, 4 9 ) .

"Bestimmte Bedeutung"

2O5

Die Ausführungen zum problematischen Begriff des Noumenon gehen insgesamt über die Differenzierung der Bedeutungsstufen beim Kategorienbegriff nicht hinaus. Von Interesse ist aber noch die Gegenüberstellung zweier Stellen, die beide die Funktionsfähigkeit der voneinander isolierten Prinzipienbereiche Verstand und Sinnlichkeit behandeln. Im Text der zweiten Auflage findet sich eine Kritik des Gedankens einer "über alle Gegenstände der Sinne erweiterte(n) Anwendung" der Kategorien. Kant hält dagegen die Überlegung, daß die Kategorien, "wenn man ihnen die uns a l l e i n mögliche Anschauung w e g n i m m t , noch w e n i g e r B e d e u t u n g h a b e n , a l s j e n e r e i n e n s i n n l i c h e n F o r m e n , d u r c h d i e doch w e n i g s t e n s e i n O b j e k t gegeben w i r d , a n s t a t t d a ß e i n e u n s e r e m V e r s t a n d e eigene V e r b i n d u n g s a r t d e s M a n n i g f a l t i g e n , wenn d i e j e n i g e Anschauung, darin dieses a l l e i n gegeben w e r d e n k a n n , n i c h t h i n z u k o m m t , g a r n i c h t s b e d e u t e t . " (B 3O6)

Abgesehen von der damit möglicherweise angedeuteten Quantifizierbarkeit der Bedeutung von Kategorien ("weniger Bedeutung") irritiert der Gedanke, den "blinden" Anschauungen Bedeutung zuzuschreiben. Die bloß sinnliche Art von Bedeutung, wie sie hier der Anschauungsform zugesprochen wird, besteht denn auch eigentlich nur in der Möglichkeit zu gegebenen Objekten, in der Bedingung für alle Beziehung auf sinnliche Gegenstände. Gegenüber diesem Bedeutungsvorrang der reinen Anschauungsform im Vergleich zur bloßen Denkform stellt Kant in einem Absatz, der unverändert in die zweite Auflage übernommen wurde, den Erkenntnisvorgang des Denkens heraus: " . . . durch bloße A n s c h a u u n g w i r d gar n i c h t s g e d a c h t , und, daß diese A f f e k t i o n der Sinnlichkeit in mir ist, macht gar keine B e z i e h u n g von d e r g l e i c h e n V o r s t e l l u n g auf i r g e n d ein O b j e k t a u s . Lasse ich aber h i n g e g e n a l l e A n s c h a u u n g w e g , s o b l e i b t doch n o c h d i e Form d e s Denkens, d . i . die A r t ,dem Mannigfaltigen einer möglic h e n A n s c h a u u n g e i n e n G e g e n s t a n d z u b e s t i m m e n . " ( B 3O9/ A 253f.)

Hier wird nun allerdings nicht der reine Formcharakter der Anschauung thematisiert, sondern die empirische Anschauung qua Affektion. Die empirische Anschauung als bloße Modifikation der Sinnlichkeit hat von sich aus keinen Gegenstandsbezug, keine Bedeutung. Erst die Funktionen des Verstandes bestimmen dem

206

Urteilskraft und Realität

sinnlichen Material ein Objekt. Das Bestimmen hat den Sinn des kategorialen Zudenkens eines Gegenstandes zum Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung. Dabei liegt der Gedanke des transzendentalen Objekts zugrunde, die "Vorstellung der Erscheinung, unter dem B e g r i f f e eines Gegenstandes überhaupt, der durch das Mannigfaltige derselben bestimmbar ist" (A 2 5 1 ) . Die kategoriale Bestimmung des Objekts zu der gegebenen Anschauungsmannigfaltigkeit besteht in der sinnlich-realen Bestimmung des an sich abstrakt-unbestimmten transzendentalen Gegenstandes durch das Anschauungsmaterial. Die reale Bestimmung durch Kategorien ist damit verwiesen auf eine die intellektuelle Bestimmbarkeit realisierende sinnlich-subjektive Zuständlichkeit (Modifikationen der Sinnlichkeit). Erst "in Verbindung" können Verstand und Sinnlichkeit "Gegenstände bestimmen" und sich auf einen "bestimmten Gegenstand" beziehen. (B 314/A 258) Die Bestimmtheit der Gegenstandsbeziehung, als Bestimmtheit des in dieser Beziehung durch Erkenntnis bestimmten Gegenstandes, verdankt sich also weder der bloß logischen Bestimmtheit der reinen Kategorien noch der sinnlich-zufälligen Bestimmtheit der einzelnen empirischen Anschauungen, sondern der funktionalen Ergänzung der kategorial vorbestimmten Bestimmbarkeit des transzendentalen Gegenstandes durch das je bestimmte sinnliche Material.

3.2.

Die reine Mathematik als "Mathematik der Erscheinungen"

Für das kritische Unternehmen einer Grenzbestimmung der reinen Vernunft (in ihrem theoretischen Gebrauch) hat die reine Mathematik die methodologische Bedeutung eines "Beispiels" (B 740/A 712) für reine Erkenntnis. 3 6 Kant hält die mathematischen Urteile für synthetische Urteile a priori, und er sieht in der unbestreitbaren "Wirklichkeit" der mathematischen Urteile einen Erweis der prinzipiellen Möglichkeit synthetischer Urteile a priori. (B 1 4 f f . ) Gerade im Ausgang vom synthetischen Charakter der mathematischen Vernunftserkenntnisse gelangt Kant zur Verallgemeinerung des Humeschen Problems. Jene von Hume an der Kausalbeziehung problematisierte objektive und nicht bloß subjektiv-assoziative Verknüpfung liegt im Fall der mathematischen Urteile für Kant unbestreitbar vor. Die partikularen Bedenken wegen der Objektivität des Verhältnisses von Ursache und Wirkung sind deshalb mit der Modifikation des bloß Skeptischen ins spezifisch Kritische (vgl. A IX - X I I ) zu universalisieren zur "eigentlichen Aufgabe der reinen Vernunft", der Frage: "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" (B 19) Von Humes exemplarischem Zweifel an der faktischen Möglichkeit solcher Urteile unterscheidet sich die Position der Vernunftkritik durch den Ansatz faktischer, wirklicher reiner Vernunfterkenntnis. Hierin liegt nun nicht einfach eine Neuinterpretation der Mathematik durch Kant, sondern - zumindest im

35 Z u m B e g r i f f d e r " r e i n e n M a t h e m a t i k " v g l . B 15; v g l . a u c h die D i f f e r e n z i e r u n g der Mathematik in einen reinen und einen angewandt-praktischen Teil in der E i n l e i t u n g in die K r i t i k der Urteilskraft (AA V, 1 7 2 f . ) . 36 Zum B e i s p i e l c h a r a k t e r der Mathematik vgl. auch AA V I I I , 246 (Eberhard-Streitschrift). 37 V g l . dazu K a n t s eigene A u s f ü h r u n g e n in den P r o l e g o m e n a . . . (AA I V , 2 5 7 f . , 2 6 0 - 2 6 2 , b e s . a b e r 2 7 2 f . ) s o w i e d i e V o r r e d e zur K r i t i k der praktischen V e r n u n f t (AAV, 12f .) . Zum systematischen V e r g l e i c h von Kant und Hume s. Hoppe, a . a . O . Im übrigen geht es hier um den von Kant r e z i p i e r t e n Hume und nicht um dessen a u t h e n t i s c h e Lehre.

2O8

Urteilskraft und Realität

Kantischen Selbstverständnis - ein objektiver Erkenntnisfort38 schritt, der die von Kant selbst als "classisch" eingeschätzte Differenz von synthetischen und analytischen Urteilen am Fall der mathematischen Vernunfterkenntnis artikuliert. 39 Die Einsicht in den synthetischen Charakter der mathematischen Urteile ist auch nicht auf die beispielsweise Vorführung des nicht-analytischen Prozedierens in der Mathematik beschränkt. Das "Hinausgehen" aus dem Begriff, wie es Kant an der Summenbildung und an der Definition der Geraden (B 1 5 f . ) illustriert, wird vielmehr in einem Begriff von sinnlicher Anschauung begründet, der die Möglichkeit der Mathematik wesentlich von der Transzendentalphilosophie ( b z w . ihrer propädeutischen Vorgestalt, der. Kritik) abhängig macht. Die Synthesis der Mathematik vollzieht sich "in der Anschauung", d . h . durch sinnliche Darstellung 40 der mathematischen B e g r i f f e . Als reine Synthesis ist die mathematische Darstellung notwendig Darstellung in der reinen Anschauung oder "Konstruktion" (B 7 4 2 f f . / 41 A 714ff.). Damit aber ist die mathematische Erkenntnis auch auf dieses ihr reines sinnliches Medium restringiert, kann doch nur in sinnlicher Anschauung die Selbsterweiterung der mathematischen Erkenntnis stattfinden. Folglich handelt es sich bei den reinen Erkenntnissen "durch Konstruktion der Begriffe" (B 752/A 7 2 4 ) zwar um synthetische "Erkenntnisse a priori von Gegenständen", "aber nur ihrer Form nach, als Erscheinungen" (B 1 4 7 ) . Der Zusammenhang von Idealität der reinen sinnlichen Formen (Raum und Zeit) und apriorischer Synthesis in der Mathematik besteht näherhin darin, daß nur die apriorische Verfügbarkeit

38 V g l . AA IV, 2 7 O . 39 Zur damit gegebenen D i f f e r e n z von formal-logischer Kombinatorik und eigentlich mathematischer Konstruktion vgl. G. M a r t i n , Immanuel Kant. Ontologie und Wissenschaftstheorie, 4. A u f . , B e r l i n 1969, S. 24 - 31. 40 Z u m A u s d r u c k " D a r s t e l l u n g " v g l . A A V , 3 5 1 - 3 5 3 ( K r . d . U . , § 59) . 41 V g l . zu " K o n s t r u k t i o n " auch AA V I I I , 191f. Anm. ( E b e r h a r d Streitschrift) .

Die "Mathematik der Erscheinungen"

2O9

der reinen Anschauungen bei der mathematischen oder Größenbestimmung die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Synthesis ermöglicht. 4 2 Der synthetische Charakter und die Apriorität der reinen Mathematik sind nur möglich bzw. in einer transzendentalen Theorie erklärbar, wenn das Medium der erweiternden Verknüpfung ein a priori gegebenes Anschaulich-Bestimmbares ist und also die Gegenstände solcher Erkenntnis (reine Anschauungen) als Formen des Anschauens den aposteriorischen Synthesen (empirische Anschauungen) prinzipiell voraufliegen. Die Restriktion der Mathematik auf die sinnlichen Formen möglicher Erscheinungen bedingt so allererst ihren Status als reiner Vernunfterkenntnis. Doch ist damit die Begründungsfunktion der Transzendentalphilosophie für die Möglichkeit reiner Mathematik noch nicht erschöpft. Vielmehr thematisiert Kant erst auf der Grundlage der Restriktion der Mathematik auf das Sinnlich-Formale möglicher Erscheinungen die eigentliche transzendentale Begründung der Mathematik. Im Unterschied zur sinnlichen Restringierung der Mathematik wird dabei nicht auf Theoreme der Transzendentalen Ästhetik zurückgegriffen (Idealität von Raum und Z e i t ) , sondern es handelt sich um die Aufgabe, durch ein Prinzip des reinen Verstandesgebrauchs die "Möglichkeit und objektive Gültigkeit" (B 199/A 16O) der mathematischen Begriffe zu begründen. Die Beziehung der mathematischen Erkenntnisse auf die reine Form sinnlicher Gegenstände läßt es nämlich von Seiten dieser bloßen Formalerkenntnisse her noch o f f e n , "ob es Dinge geben könne, die in dieser Form angeschaut werden müssen" (B 147; H . v . m . ) . Kant bezweifelt hier nicht die Existenz von Gegenständen in Raum und Zeit (Idealismus-Problem), und er bezweifelt nicht einmal, daß es Dinge gibt, die notwendig den formalen mathematischen Entwurf realisieren. Seine Überlegung stellt nur die Notwendigkeit heraus, über die transzendental-ästhetische Begründung von mathematischen synthetischen Urteilen a priori hinaus, auch den dadurch allein nicht schon garantier42 Vgl. dazu AA IV,

283f.

( P r o l . , §§ l O f . } .

210

Urteilskraft und Realität

ten spezifischen Erkenntnischarakter der mathematischen Begriffe zu begründen. "Für sich" - bloß als Bestimmungen sinnlicher Formen betrachtet - sind nämlich die mathematischen Begriffe keine eigentlichen Erkenntnisse, d . h . keine Erkenntnisse von Gegenständen, die sinnlich gegeben werden (können). Den Charakter von Real- und Ding-Erkenntnissen erhalten sie nur, "sofern man vorausoetst, daß es Dinge gibt, die sich nur der Form jener sinnlichen Anschauungen gemäß uns darstellen lassen" (B 147; H.v.m.). Die erforderliche Voraussetzung besteht aber nicht im faktischen oder exemplarischen Rückgriff auf solche "Dinge", insofern sie tatsächlich existieren, sondern im apriorischen "Beweis", daß die Dinge qua Erscheinungen notwendig den reinen sinnlichen Formbestimmungen der Geometrie unterliegen. Dies ist das Beweisziel des Prinzips der "Axiome der Anschauung", demzufolge alle Anschauungen "extensive Größen" sind, d.h. durch "sukzessive Synthesis der produktiven Einbildungskraft" 43 erzeugt werden können und müssen. (B 2 0 2 f f . / A 1 6 2 f f . ) Die Geometrie (Mathematik der äußeren Anschauung) begründet eben durch diese reine Gestalt-Synthesis ihre Axiome (mittelbar gewisse synthetische Grundsätze a priori; vgl. B 760/A 7 3 2 ) , so daß die äußere Erscheinung ihrer je bestimmten sinnlichen Form nach (extensive Größe) notwendig die reine Mathematik des Raumes zur Anwendung bringt. Nerv des Beweises ist dabei die Identität der sukzessiven Synthesis bei der reinen Bestimmung von Raum und Zeit "überhaupt" (reine Mathematik) mit der bei der Apprehension der Erscheinungen ihrer Form nach. Das Prinzip der extensiven Größenbestimmtheit aller Anschauungen bildet den "transzendentalen Grundsatz der Mathematik der Erscheinungen" (B 206/A 1 6 5 ) , insofern es die Möglichkeit von apriorischen Erkenntnissen begründet. Die transzendental begründete apriorische Beziehung der reinen mathematischen Be-

4 3 I m A n s c h l u ß a n A A I V , 3 O 6 f . ( P r o l . , § 2 4 ) k ö n n t e a u c h noch das P r i n z i p der " A n t i z i p a t i o n ..." in die Diskussion der Anwendbarkeit der Mathematik einbezogen werden. Darauf wird hier verzichtet.

Die "Mathematik der Erscheinungen"

211

g r i f f e auf die Gegenstände der Erfahrung ist gleichbedeutend mit der apriorischen Anwendung (Anwendbarkeit) der reinen Mathematik auf Erscheinungen und mit der a priori möglichen Realisierung (Realisierbarkeit) der Mathematik an "Dingen". Der Grundsatz der "Axiome der Anschauung" thematisiert im Anschluß an die Konstruktion von extensiven Größen (quanta) noch die Erzeugung von bloßer Größe (quantitas) qua Zahl. (B 204/A 163 - B 206/A 165) Die "Synthesis des Gleichartigen" (B 205/A 165) geschieht bei Zahlen nicht durch allgemeine synthetisch-evidente Sätze (Axiome), sondern in von Kant so genannten "Zahlformeln" (B 205/A 1 6 5 ) , d.h. durch besondere synthetisch-evidente Sätze über die Beziehungen zwischen bestimmten 44 Zahlen bzw. als bestimmt vorgestellten Symbolen. Die Synthesis erfolgt hier zwar immer noch a priori, aber sie gilt nur für die besonderen Zahlgrößen, die jeweils in die Rechnung eingehen. Im Unterschied zur Größenunbestimmtheit der Größen in den Axiomen der Geometrie - wie sie etwa im Fall der Invarianz der Innenwinkelsumme im Dreieck gegenüber der unendlichen Mannigfaltigkeit von Seitenlängen im Dreieck vorliegt - haben die Größen der Arithmetik individuelle Bestimmtheit, insofern die Gültigkeit einer "Zahlformel" wie 7 + 5 = 12 von der Größenbestimmtheit der eingebrachten Zahlen (7 und nicht 6 etc.) abhängt . Die argumentative Trennung der Restriktion der Mathematik auf Erscheinungen von ihrer Realisation durch Erscheinungen hat nur den Sinn einer distinctio rationis. Zwar besagt der synthetischapriorische Status der reinen Mathematik "für sich" noch nichts über ihre "objektive Gültigkeit", doch "für uns" und der Sache nach gibt es mathematische synthetische Urteile a priori, insofern und nur insofern der Gebrauch der Mathematik auf Erscheinungen, genauer: deren Form, geht und also immer schon "objektive Gültigkeit" muß haben können. Es ist deshalb nicht möglich, eine "reine Mathematik" ohne "objektive Gültigkeit" vor-

44 Zur i n d i r e k t e n B e s t i m m u n g von Größe ( q u a n t i t a s ) bolische Konstruktion s. B 7 4 5 f . / A 7 1 7 f .

d u r c h sym-

212

Urteilskraft und Realität

zustellen. Wo immer reine Mathematik möglich ist, da besteht sie aufgrund der Konstruktion in einer reinen Anschauung, und damit hat sie die Form einer Antizipation von Erscheinungen der Form nach. Solchen Formalerkenntnissen ihre "objektive Gültigkeit" abzusprechen und damit die Voraussetzbarkeit von ihnen konformen Dingen zu bestreiten, hieße, sie fälschlich auf ursprünglich nicht-sinnliche Gegenstände beziehen, von denen sie aber so wenig gelten können, wie es davon synthetischapriorische Erkenntnisse geben kann. (B 2 O 6 f . / A 1 6 5 f . ) Also gilt: keine synthetischen Urteile a priori durch Konstruktion in der Anschauung ohne notwendig mögliche Anwendung auf Erscheinungen. Gegenüber dieser strengen sachlichen Korrelativität von Urteilscharakter und Erkenntnischarakter qua Gegenstandsbezug der reinen Mathematik stellt die im Irrealis vorgetragene Fiktion einer Mathematik als bloßem "Spiel" (B 2 9 8 f . / A 2 3 9 f . ) 45 (pure Vorstellungskombinatorik) keine reale Alternative dar. Die hier dem "Spiel" kontrastierte "Bedeutung" oder "objektive Gültigkeit" von Begriffen hängt nicht von einer zusätzlichen Beziehung des B e g r i f f s auf einen gegebenen Gegenstand ab, sondern sie ist die dem Begriff selbst schon zukommende Fähigkeit zur Bedeutung, seine transzendental begründete Gebrauchsmöglichkeit. Die "objektive Gültigkeit" der reinen mathematischen Begriffe besteht, statt in der Hinzufügung einer empirischen Anschauung, in der prinzipiellen Möglichkeit zu solchem empirischen Darstellen, einer Möglichkeit, die in der allgemeinen, apriorischen Beziehung der mathematischen Begriffe auf "Erscheinungen (empirische(n) Gegenstände)" (B 299/A 240) noch vor aller faktischen empirischen Realisation gründet. Reine Begriffe haben "objektive Gültigkeit", die sie allerdings "immer nur durch die empirische Anschauung bekommen" (B 298/A 239) , nicht wie empirische Begriffe je schon und im Einzelfall, sondern im Prinzip, der Möglichkeit nach, und dies derart, daß sie für diese Möglichkeit selber aufkommen. 4 5 V g l . d a z u Anra.

39.

3.3. Realität in der Erscheinung und reale Wirklichkeit In Auseinandersetzung mit den historisch und systematisch wesentlichen Interpretationsansätzen zu Kants Begriff der "objektiven Realität" wird im folgenden dem Verhältnis dieses Terminus einerseits zur Qualitätskategorie "Realität" und andererseits zu den modalen Verstandesbegriffen, insbesondere dem der "Wirklichkeit" nachgegangen. Dabei unterliegen die beiden herangezogenen Begriffe der für die Kritik und speziell für deren ersten, analytischen Teil charakteristischen Einschränkung auf den empirischen Gebrauch, also der Restriktion auf den phänomenalen Gegenstandsbereich (Erscheinungen): "Realität" meint dann "realitas phaenomenon" (B 209/A 1 6 8 ) , "Wirklichkeit" ist die der Erscheinung. 4 6 I-m übrigen ist vorauszuschicken, daß Kant selbst eine explizite Verhältnisbestimmung zwischen "Realität" und "objektive Realität" nicht vornimmt. Der hier zu berücksichtigende Text der "Antizipationen der Wahrnehmung" (B 207/A 166 - B 218/A 1 7 6 ) thematisiert weder die "objektive Realität" noch die "objektive Gültigkeit" von Begriffen. Für den Themenbereich der Modalität legen die "Postulate des empirischen Denkens überhaupt" (B 265/ A 218 - B 287/A 235) zwar eine Gleichsetzung von "objektive Realität" mit "reale Möglichkeit" bzw. "transzendentale Wahrheit" nahe (B 268/A 221 bzw. B 269/A 2 2 1 f . ) , doch daneben deuten spätere Stellen ( z . B . B 597/A 569) auf eine Gleichsetzung mit "Existenz" hin. Allerdings fehlen die Ausdrücke "objektive Realität" und "objektive Gültigkeit" bei der eigentlichen Erläuterung des Begriffs der (phänomenalen) Wirklichkeit. (B 272/ A 225 - B 279/A 2 2 6 )

4 6 F ü r eine u m f a s s e n d e B e h a n d l u n g d e r K a n t i s c h e n M o d a l b e g r i f f lichkeit s. G. Schneeberger, Kants Konzeption der Modalbeg r i f f e , Basel 1 9 5 2 .

214

Urteilskraft und Realität

Die Abgrenzung der Qualitätskategorie "Realität" von dem ähnlich lautenden Kunstausdruck "objektive Realität" erfolgt schon bei den frühen Kant-Kommentatoren und -Lexikographen G. S. A. Meilin und C. Chr. E. Schmid durch Rückgriff auf den jeweiligen Gegenbegriff. Schmid 4 7 unterscheidet "Realität" im Gegensatz zu "Negation" von "Realität" im Gegensatz zu "Idealität", wobei er dieses zweite Verständnis von "Realität" mit "Gültigkeit" und "Bedeutung" einer Vorstellung erläutert. Innerhalb der Spezifikation von Realität qua Gültigkeit figuriert dann auch die "objektive Realität", erläutert als Beziehung einer Vorstellung auf einen extramentalen Gegenstand. Die Bestimmung von "objektive Gültigkeit" als Gültigkeit einer Objektbeziehung ergänzt Schmid dann um die Gleichsetzung mit: "I "Existenz" 49 bzw. möglicher Existenz qua realer Möglichkeit"50 Auch bei Meilin geht die über die Gegenbegriffe (Negation bzw. Idealität) durchgeführte Abhebung der "objektiven Realität" von der Qualitätskategorie "Realität" mit einer modalen Interpretation von "objektive Realität" als Möglichkeit bzw. Existenz des Gegenstandes einher. Meilin führt sogar "objektive Realität" des Begriffs (reale Möglichkeit) und "objektive Realität" des Gegenstandes (Existenz) explizit als "Kategorien der Modalität" ein 5 2 , scheint also "objektive Realität" als gemeinsamen Modaltitel für Realmöglichkeit und Ding-Existenz zu nehmen. Den modalen Sinn des nicht-qualitätskategorialen Realitätsbegriffs erläutert Meilin dann aber nicht von den "Postulaten" her, sondern im Rückgriff auf den Lehrbegriff eines empirischen bzw. transzendentalen Realismus; Mellin setzt dabei für

47 Vgl. C. Chr. E. Schmid, Wörterbuch zum leichtern Gebrauch der K a n t i s c h e n S c h r i f t e n , hg. v. N. H i n s k e , Darmstadt 1976, S. 447 (Art. "Realität"). 48 B e m e r k e n s w e r t h i e r a n i s t d e r Z u s a m m e n h a n g v o n G ü l t i g k e i t u n d R e a l i t ä t . " I d e a l i t ä t " h a t h i e r noch d e n a l t e n S i n n v o n N i c h tigkeit, Ungültigkeit. 49 Ebenda, S. 32O ( A r t . " I d e a l " ) . 50 Vgl. ebenda, S. 3 7 7 f f . ( A r t . " M ö g l i c h k e i t " ) . 51 V g l . G . S . A . M e l l i n , E n c y c l o p ä d i s c h e s W ö r t e r b u c h d e r k r i t i schen P h i l o s o p h i e , IV. / U . , Jena und L e i p z i g 1 8 O 2 , S. 8 6 7 f . (Art. "Realität"). 52 V g l . e b e n d a , S. 867.

Realität und Wirklichkeit

215

Kant Realität qua "objective Gültigkeit" mit "empirischer Realität" gleich. 53 Geht die Abgrenzung von "objektive Realität" gegenüber der Qualitätskategorie "Realität" bei Schmid und Mellin noch mit einer unkritischen Auflösung der (objektiven) Realität qua (objektiver) Gültigkeit in die Modalkategorien Möglichkeit und Wirklichkeit einher, so wird in der jüngeren Kant-Literatur zunehmend die Abhebung der "objektiven Realität" von den Modalkategorien zum Problem. Im Zusammenhang mit solchen fortgetriebenen Differenzierungen finden sich auch einzelne Versuche, die qualitätskategoriale Realität und die Modalkategorien in ihrer gegenseitigen Beziehung zu bestimmen. Dabei kommt dem Gebrauch des Terminus "objektive Realität" eine zentrale Bedeutung zu. Bei A. Maier 54 wird die Doppelbedeutung im Realitätsbegriff - Realität vs. Negation und Realität vs. Idealität - in terminologischer Präzision vom Modalbegriff der Wirklichkeit getrennt gehalten. Maier differenziert den Realitätsbegriff in eine "gegenständlich-logische" und eine " funktionell-logische" Sphäre , d . h . in Realität als eine Kategorie (der Qualität) und Realität als "objektive Gültigkeit". Der funktionelllogische Realitätsbegriff ("objektive Gültigkeit") ist also keine Kategorie und nicht mit dem gegenstands-logischen Wirklichkeitsbegriff zu verwechseln. Maier stellt hier "Wirklichkeit sg-e Z twrc^" (Realität qua "objektive Gültigkeit") und "kategoriales Wirklichsein" gegenüber. Die Dreigliederung in Realität, Wirklichkeitsgeltung und Wirklichkeit übernimmt H. Holzhey. 5 8 Doch statt wie A. Maier die

53 V g l . e b e n d a , S. 8 6 8 . 54 V g l .A . M a i e r , K a n t s Q u a l i t ä t s k a t e g o r i e n , B e r l i n 1 9 3 O , b e s . S. 8 f . 55 E b e n d a , S . 8 ( H . v . m . ) . 56 V g l . e b e n d a , S. 9. 57 V g l . e b e n d a , S. 8 A n m . 3 b z w . 9. 58 V g l .H. H o l z h e y , Das p h i l o s o p h i s c h e R e a l i t ä t s p r o b l e m . Zu Kants Unterscheidung von R e a l i t ä t und W i r k l i c h k e i t . In: 2OO J a h r e K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t , h g . v . J . Kopper u . W . M a r x , H i l d e s h e i m 1981, S. 79 - 111, b e s . S. 9 4 f .

216

Urteilskraft und Realität

Qualitätskategorie und die Wirklichkeitsgeltung unter dem gemeinsamen, und insofern homonymen, Titel "Realität" zusammenzufassen und gegen die Modalkategorie Wirklichkeit zu stellen, nimmt Holzhey eine Umgruppierung vor: Realität als "qualitätskategorialer B e g r i f f " steht jetzt gegen die beiden auf verschiedene Weise modalen Begriffe "Realität" qua "Gültigkeit" ("modalfunktional") und "Wirklichkeit" ("modalkategorial"), 5 9 Die Dreigliederung findet sich auch in einem, von Holzhey herangezogenen, handschriftlichen Eintrag Heideggers in sein Handexemplar von Sein und Zeit. Dort ist von der "Mittelstellung" des Begriffs "objektive Realität" zwischen "'Realität 1 als 'Wirklichkeit' und realitas als 'Sachheit'" die Rede. Nun hat Heidegger mehrfach gegenüber dem traditionellen modaltheoretischen Mißverständnis des Kantischen Realitätsbegriffs auf den sachlich-terminologischen Unterschied von Sosein und Dasein schon in der Schulphilosophie vor Kant, insbesondere aber bei Kant selbst hingewiesen. In diesen Zusammenhang der Unterscheidung von Essenz und Existenz gehört auch die Übernahme der Kantischen Einsicht, Dasein bzw. Sein sei kein reales Prädikat. Davon ist aber noch zu unterscheiden Heideggers Bestim64 mung der "objektiven Realität" qua "vorgestelltem Sachgehalt" bzw. "Sachgehalt des Objekts" im Verhältnis zu realitas (Essenz) und Wirklichkeit ( E x i s t e n z ) . Heideggers ontologisches Kantverständnis faßt den Ausdruck "objektive Realität" vom alten realitas-Begriff her (Sachheit), als Aufbaumoment (Bestimmung) an der Sache (Gegenstand). Dabei

59 V g l . e b e n d a , S. 95. 60 V g l . ebenda, S. 93. 6 1 V g l . M . H e i d e g g e r , Sein u n d Z e i t , 1 4 . A u f l . , T ü b i n g e n 1 9 7 7 , S. 443 (Randbemerkung zu S. 2 O 1 ) . 62 Vgl. etwa M. H e i d e g g e r , Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen, 2. A u f l . , Tübingen 1975, S. 1 6 4 f f . 6 3 V g l . M . H e i d e g g e r , K a n t s These über d a s S e i n . I n : W e g m a r k e n , F r a n k f u r t / M . 1967, S. 273 - 3O7. 64 M. Heidegger, Kant und das -Problem der Metaphysik, 4. A u f l . , F r a n k f u r t / M . 1973, S. 83. 6 5 H e i d e g g e r , D i e F r a g e n a c h d e m D i n g , a . a . O . , S . 167.

Realität und Wirklichkeit

217

unterscheidet er diesen Begriff der (objektiven) Realität als der "empirischen Realität" von Vorstellungen - vom "kritischen Begriff der Realität", den er in der Interpretation der "Antizipationen" entwickelt. Der qualitätskategoriale Realitätsbegriff ("das Reale") bildet, so Heidegger, die primäre Grundlage - "das reine und notwendige Was als solches" - für die sachlich spätere Modaldifferenz nach "Wirklichkeit und Unwirklichkeit". Einerseits wird also die Qualitätskategorie Realität dem Modalbegriff Wirklichkeit zugrundegelegt, andererseits wird das Reale (Realität in der Erscheinung) als Grundbedingung jeder "Sachheit" (B 182/A 143; B 602/A 5 7 4 ) mit der ontologisch verstandenen "objektiven Realität" in Zusammenhang gebracht. Während allgemein jeder essentiellen Sachheit, "die fi Q das Wesen des Dinges mitbestimmt" ,"objektive Realität", verstanden als Zugehörigkeit zum Objekt, eignet, zeichnet sich für Heidegger die ursprüngliche Sachheit ("das Reale") durch absolute Grundlegungsfunktion aus. Von einer "Mittelstellung" wäre dann aber allenfalls hinsichtlich der Realitätskategorie, genauer: des Realen, zu reden, nämlich hinsichtlich von dessen Beziehung einmal zur Modaldifferenz (Wirklichkeit - Unwirklichkeit) und einmal zu allen weiteren essentiellen Dingbestimmungen ("objektive Realität"). Heideggers Auffassung des Begriffs "objektive Realität" vom ontologischen Realitätsbegriff (Sachgehalt) her beinhaltet aber nicht nur eine ausgezeichnete Beziehung von "objektive Realität" zur Qualitätskategorie Realität. Diese Bindung bestimmt darüber hinaus auch das Verhältnis des Begriffs der "objektiven Realität" zu den Modalkategorien. Da nämlich, nach Kants Ausführungen in den "Postulaten", die Kategorien der Modalität die objektive Bestimmtheit des Begriffs ("Begriff ... als Bestimmung des Objekts") unverändert lassen (B 266/A 2 1 9 ) , können für Heidegger die Modalgrundsätze nicht eigentlich das "sachhaltige Wesen des

66 E b e n d a . 67 V g l . ebenda, S. 1 6 6 f . 68 E b e n d a , S. 1 6 7 .

218

Urteilskraft und Realität

Gegenstandes" b e t r e f f e n . Bezüglich der Modalkategorien kann deshalb auch gar nicht sinnvoll von "objektiver Realität" die Rede sein, meint diese doch - für Heidegger - die Zugehörigkeit von wesentlichen Bestimmungen "zur Realität des Gegenstandes", ein Verhältnis des notwendigen Vorliegens von Sachheit (Realität) in Gegenständen ( O b j e k t e n ) , das im Fall der Modalkategorien und ihrer Gebrauchsbestimmung in den "Postulaten" wegfällt, Für diesen Ausschluß der Modalbegriffe vom allgemeinen Problem der "objektiven Realität" der Kategorien findet sich aber keine Stütze im Text der "Postulate". Heideggers Begriff von "objektive Realität", am realitas-Begriff orientiert, im kategorialen Realitätsbegriff begründet und deshalb völlig nicht-modal angelegt, kann darum die Funktion einer "Mittelstellung" zwischen realitas und Wirklichkeit nicht eigentlich erfüllen. 7 0 Als ein Versuch, den Begriff der "objektiven Realität" für die Vermittlung zwischen dem essentiellen und dem modalen Sinn von Realität heranzuziehen, lassen sich die historisch-systematischen Analysen zur Genese des Modalproblems bei I. Pape lesen. In Fortsetzung und Vertiefung der einschlägigen Untersuchungen von Heimsoeth und A. Maier zum Realitätsbegriff seit 72 Descartes stellt Pape die verschiedenen Bedeutungen von Realität b z w . realitas in einen "Entwicklungszusammenhang" , der, speziell bei Leibniz, von der klassischen ontologischen Gleichsetzung (realitas = perfectio) über eine dynamische Umprägung des Qualitätsgedankens und die theologisch begründete realitas qua possibilitas bis zur Realität im Gegensatz zur Idealität 74 reicht. Von entscheidender Bedeutung für die Fortentwicklung des Realitätsgedankens ist dabei Leibniz 1 Begriff der genetischen Definition, auf den Pape Kants Gedanken der Realdefini69 E b e n d a , S. 184. 70 Für eine m o d i f i z i e r t e Fortsetzung von Heideggers qualitätsontologischer Deutung von "objektive Realität" ("objektive S a c h h e i t " ) v g l . S c h i n d l e r , a . a . O . , S . 110 u . S . 1 2 3 . 71 V g l . I. Pape, Tradition und T r a n s f o r m a t i o n der M o d a l i t ä t . E r s t e r B a n d , M ö g l i c h k e i t - U n m ö g l i c h k e i t , Hamburg 1966. 72 V g l . ebenda, S. 151 Anm. 47. 73 Vgl. ebenda. 74 Vgl. ebenda, S. 1 5 2 f .

Realität und Wirklichkeit

219

tion bezieht. Die Realität der nicht-analytischen, nichtnominalen Definition qua Konstruktionsanweisung des Gegenstandes der Definition ("generatio rei") besteht nicht in der qualitativen Bestimmtheit der Definition selbst, sondern in ihrem Bezug auf einen (realen) Gegenstand. Die Realität einer Definition ist so ein Modus, die Art ihrer Beziehung auf Gegenständlich-Reales, und nicht mehr nur eine qualitative Größe. Ebendiesen modalen Sinn der Realität eines konstruktiv definierten Begriffs sieht Pape in Kants Verwendung des Terminus "objektive Realität" zur Kennzeichnung für (mathematische) Konstruktionen aufgenommen und im Sinne des Restriktionstheorems forgeführt. Dabei ersetze Kant die Leibniz'sehe Konzeption von Realmöglichkeit als logisch-analytischer Kompossibilität 77 durch die Bindung der realen Möglichkeit an die synthetische Bestimmung des Begriffs mittels korrespondierender Anschauung. Die historisch-systematische Entwicklung von "realitas"'und "Wirklichkeit" vollzieht sich bei Pape im Übergang von der "realitas objectiva" (Descartes) qua vorgestellter qualitativer Bestimmtheit des Gegenstandes zu "objektive Realität" qua Modus 78 oder Seinsart der begrifflichen Bestimmung selbst. Eine Vermittlungsstellung kommt dem Begriff der "objektiven Realität" bzw. der "realitas objectiva" damit innerhalb der historischen Entwicklung des Realitätsbegriffs zu, doch nicht bei Kant selbst, bei dem ein modales Verständnis des Realitätsbegriffs ja seit der Fragestellung nach der Realität des Raumes (1768) 79 vorliegt.

Hatte Heidegger jeden modalen Sinn des ontologisch verstandenen Begriffs der "objektiven Realität" (Sachheit) ausgeschlossen, so führt Papes rein modale Deutung des Kantischen Begriffs der "objektiven Realität" von jedem Bezug auf den ursprünglichen qualitativen Sinn von Realität (realitas) weg. 75 76 77 78 79

Vgl. ebenda, Vgl. ebenda, Vgl. ebenda, Vgl. ebenda, S . d a z u oben

S. 1 5 6 f f . S. 1 5 9 f . S. 1 6 4 f f . S. 1 5 5 f . 1.1.2.

220

Urteilskraft und Realität

Dem Ausschlußverhältnis zwischen den alternativen Zuweisungen des Begriffs der "objektiven Realität" zur Qualität bzw. zur Modalität entspricht bei Kant die strenge Trennung zwischen 80 realer Prädikation und absoluter Position. (B 626/A 598) Die Modalbestimmung Sein (Dasein, Existenz) unterscheidet sich von den quantitativen, qualitativen und relationalen kategorialen Bestimmungen des Begriffs eines Gegenstandes durch die Bezugnahme auf den Gegenstand selbst und durch dessen Erwägung außerhalb seiner Bestimmtheit im und durch den B e g r i f f . Zu den "realen Prädikaten" rechnet dabei jede nicht-modale, also jede innerbegriffliche Bestimmung. "Reales Prädikat" fungiert als Gegenbegriff zum "logischen Prädikat", der bloßen "Denkbestimmung", meint also sehr wohl einen (realen) Gegenstandsbezug/ aber eben die begrifflich-bestimmende Beziehung auf den Gegenstand und nicht dessen "Position an sich selbst" (B 626/A 5 9 8 ) . Die Unterscheidung der absoluten Position von allen realen Prädikationen reduziert nun aber den Existenzialsatz (x ist, existiert) keineswegs auf den "logischen Gebrauch" (Urteilskopula) . Nur ist der mehr als logische Gebrauch von "Sein" kein in dem Sinn "realer Gebrauch", daß er eine weitere "Bestimmung eines Dinges" (B 6 2 6 / A 598) vornähme. 81 Während Kants "These über das Sein" (Heidegger) generell die Disjungiertheit von relativer Dingbestimmung (reale Prädikation) und absoluter Position (Existenzprädikation) vertritt, bringt die transzendentale Modaltheorie der "Postulate des empirischen Denkens überhaupt" die einzelnen Modalkategorien in 82 ein wohlbestimmtes Verhältnis zu den übrigen Grundsätzen. 8 0 V g l . d a z u H . W a g n e r , Ü b e r K a n t s S a t z , d a s D a s e i n s e i kein Präd i k a t . I n : A r c h . f . G e s c h . d . P h i l . 5 3 ( 1 9 7 1 ) , S . 1 8 3 - 186. 81 H e i d e g g e r m ö c h t e d i e v o r k r i t i s c h e F a s s u n g d e r S e i n s t h e s e i m B e w e i s g r u n d als die These, Sein sei ü b e r h a u p t kein P r ä d i k a t , v o n d e r f ü r d i e K r i t i k u n t e r s t e l l t e n V e r s i o n , Sein s e i z w a r k e i n r e a l e s , wohl a b e r e i n t r a n s z e n d e n t a l e s , o n t o l o g i s c h e s Prädikat, unterscheiden (vgl. Kants These, a . a . O . , S. 2 9 4 ) . 82 V g l . dazu die s y s t e m a r c h i t e k t o n i s c h e n Spekulationen über eine Zuordnung der einzelnen "Postulate" zu je einem der v o r a u f g e h e n d e n G r u n d s ä t z e bzw. j e e i n e r d e r d r e i " A n a l o g i e n " bei H e i d e g g e r , Die Frage nach dem Ding, a . a . O . , S. 184f. sowie S c h i n d l e r , a . a . O . , S . 2 9 u . S . 4 7 f f .

Realität und Wirklichkeit

221

Insbesondere gilt dies für das zweite Postulat, das den Begriff der Wirklichkeit (die "reale Wirklichkeit" im Unterschied zur "logischen Wirklichkeit" als der Wahrheit des Urteils 83 ) in ihrer sinnlich realisierten Form ("Dasein in einer bestimmten Zeit"; B 184/A 145) auf "Wahrnehmung, mithin Empfindung" (B 272/ A 2 2 5 ) bezieht. Damit stellt sich in systematischer Hinsicht das Problem der Abgrenzung zwischen den Begriffen Realität und Wirklichkeit, mögen diese auch einerseits entwicklungsgeschichtlich verwandt sein und andererseits von der "Seinsthese" her sachlich nicht zusammenhängen. Die Schwierigkeit, den im Wirklichkeitspostulat formulierten Zusammenhang von "Dasein in der Zeit" und "Empfindung" als Zusammenhang von Wirklichkeit und Realität zu fassen, verstärkt sich noch, wenn man wie A. Maier die in Kants Begriff der Empfindung in den "Antizipationen" angelegte Apriorisierung des "Realen" bis ins Extrem fortsetzt. A. Maier unterzieht nämlich die Realitätskategorie, die ja bereits eine Formalisierung der Empfindung ihrem Gegenstand nach zum intensiv meßbaren Realen darstellt, einer weiteren Entmaterialisierung. Der elementar-anonyme Qualitätsgrund der je empirisch-zufälligen Empfindungen ("das Reale") wird als "Quäle" (urqualitative Appre83 Zum Ausdruck "logische Wirklichkeit" vgl. K. Reich, Die Vollständigkeit der kantischen U r t e i l s t a f e l , 2. A u f l . , Berlin 1948, S . 4 7 . 84 Vgl. zum folgenden M a i e r , a . a . O . , S. 5 2 f f . , bes. S. 64 - 73. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Interpretation d e s E m p f i n d u n g s b e g r i f f s d u r c h M . C a i m i , K a n t s L e h r e v o n d e r E m p f i n d u n g i n d e r K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t .V e r such z u r R e k o n s t r u k t i o n e i n e r H y l e t i k d e r r e i n e n E r k e n n t n i s , Bonn 1 9 8 2 , S. 2 u. S. 137 - 1 3 9 . C a i m i u n t e r s c h e i d e t z w i s c h e n dem je p r i v a t - s u b j e k t i v e n q u a l i t a t i v e n I n h a l t der E m p f i n d u n g und ihrer "bezeichnenden F u n k t i o n " , durch welche die E m p f i n dung das r e i n e , leere M a n n i g f a l t i g e der Anschauung "als n u n mehr e r f ü l l t " ( e b e n d a , S . 139) a u s w e i s e . D i e F u n k t i o n v o n E m p f i n d u n g a l s allgemeinem E r f ü l l t h e i t s z e i c h e n f ü r L e e r s t e l len des A n s c h a u u n g s m a n n i g f a l t i g e n bei der apriorischen Bezugn a h m e auf G e g e n s t ä n d e b l e i b t a l l e r d i n g s im R a h m e n der von Caimi d u r c h g e f ü h r t e n speziellen Hyletik (Lehre von der s t o f f lichen Komponente empirischer E r k e n n t n i s ) u n a u s g e f ü h r t . Das P r o j e k t e i n e r allgemeinen H y l e t i k d ü r f t e s i c h i m w e s e n t l i chen m i t d e r v o n A . M a i e r v o r g e s c h l a g e n e n E r w e i t e r u n g d e r Transzendentalen Ästhetik um das reine Quäle decken.

222

Urteilskraft und Realität

hensionsform) den ästhetischen Prinzipien (Raum und Zeit) beigestellt. Von der ästhetisch-logisch komplexen Realitätskategorie bleibt allein die rein begriffliche Intensitätsform übrig, die Qualität bloß als quantitierte Intensität. Die Empfindung in ihrer schieren qualitativen Bestimmtheit, "mithin auch jede Realität in der Erscheinung" (B 211/A 169) diesseits ihrer formal-apprehensiven und kategorial-intensionalen Antizipierbarkeit entzieht sich damit grundsätzlich dem apriorischen Z u g r i f f . Der Gegenstandsbestimmung durch reine Prinzipien verbleiben nur die para-ästhetische Form des Quäle schlechthin und die Metrisierung jedes bestimmten Quäle durch die Intensitätsform. Auf der Basis des radikal apriorisierten Empfindungsbegriffs der Realitäts- b z w . Intensitätskategorie und der absoluten Positionalität der Existenzprädikation stellt sich für Holzhey die Kantische Unterscheidung von Realität und Wirklichkeit als "Scheitern" und "Verfall" dar. Den Sonderstatus der Modalbe86 Stimmungen versteht Holzhey im Anschluß an Heidegger als ein synthetisches Hinausgehen über den Begriff im Modus der Reflexion. Speziell den Begriff der Wirklichkeit sieht Holzhey "bestimmt ... in einem Reflexionsverhältnis, dessen Bezogene der Begriff als Objekt in seinem Sosein und - das entscheidende Moment der realen Soseinsbestimmung des Gegenstandes: die apriorisierte Empfindung als Realitätssignifikant bilden" 87 Q C.

In der Modalreflexion auf das ursprünglich innerbegrifflich bestimmte Reale werde, so Holzhey, einer die begriffliche Bestimmungsleistung transzendierenden unverfügbaren absoluten Position nachreflektiert. Da jedoch der wesentlich passiv-rezeptiven Existenzbestimmung das nicht-subjektive "An sich des Wirkliehen" 88 einzig in der subjektiv bestimmten Form von Wahrneh-

85 Vgl . H o l z h e y , Das philosophische R e a l i t ä t s p r o b l e m , a . a . O . , S . 100 - 103. 86 V g l . H e i d e g g e r , K a n t s These über das S e i n , a . a . O . , S. 3 O O f f . 87 Holzhey, Das philosophische Realitätsproblem, a . a . O . , S. 101 . 88 E b e n d a , S. 1 O 2 .

Realität und Wirklichkeit

223

mung zur Verfügung steht, koinzidieren, ja kollabieren ("VerQn fall") für Holzhey Wirklichkeit und Realität. Holzhey verzeichnet bei Kant eine Diskrepanz zwischen dem beanspruchten Herausgehen aus dem Begriff in der Modalbestimmung (Wirklichkeit) und dem faktischen Zusammenfallen der begriffstranszendenten Wirklichkeit mit der innerbegrifflichen Realität. Gegenüber Holzheys extremer Entsubjektivierung des Wirklichen zum "An sich", seiner latenten transzendental-realistischen Umdeutung des Begriffs "Wirklichkeit" zum unbegrifflichen Wirkli9o chen selbst, ist auf die "Phänomenalität der Modalität" hinzuweisen, insbesondere auf die Begründung der Unterscheidung von Möglichkeit und Wirklichkeit in der Differenz und gegenseitigen Ergänzungsbedürftigkeit von Sinnlichkeit und Verstand. Ganz allgemein gilt für die transzendentale Modaltheorie der "Postulate", daß sie allein den empiriechen Gebrauch der Modalkategorien regeln und daß auch, jedenfalls in theoretischer Absicht, nur ein solcher empirischer Gebrauch stattfindet. (B 266/ A 219) Die drei verschiedenen möglichen Verhältnisse des Objektes qua begrifflich bestimmtem Gegenstand zu den drei oberen Erkenntnisvermögen (in deren empirischem Gebrauch) sind zwar keine realen Prädikate, die zusätzlich den Gegenstand bestimmen, aber sie sind deshalb doch nicht absolute Bestimmungen des Dinges selbst ("an sich") unabhängig von den Bedingungen seiner Erkenntnis. Die "Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst" (B 626/A 599) besteht nicht in der Position eines "Dinges ... an sich selbst", sondern in der "Position ... an sich selbst" eines Dinges, in der absoluten Position, die das Prädikat, statt es wie bei der realen Prädikation nur beziehungsweise auf ein (Urteils-) Subjekt zu setzen (relative Position), absolut oder an sich selbst setzt.

89 E b e n d a , S. 1O3. 90 V g l . d a z u S c h n e e b e r g e r , a . a . O . , S . 7 7 - 7 9 ; v g l . a u c h P a p e , a . a . O . , S. 2 3 O f f . sowie H e i d e g g e r , K a n t s These über das S e i n , a . a . O . , S. 2 9 7 f .

224

Urteilskraft und Realität

Die absolute durchaus nicht zieht sich die Dingbestimmung

Setzung im Existenzialsatz geht als solche auf ein Transzendental-Reales. Vielmehr vollTranszendenz ("Hinausgehen") der begrifflichen gerade innerhalb der Erkenntnisbeziehung, als

absolute Setzung der selbst nur relativen, auf den Gegenstandsbegriff bezogenen, realen Setzungen (Dingbestimmungen). Die absolute Setzung des Dinges ist die an die Realbestimmung anschließende Bestimmung des Verhältnisses des schon bestimmten Begriffs von einem Ding zu den drei empirisch gebrauchten oberen Erkenntnisvermögen. Ebendiese Beziehung beinhaltet die Phänomenalität aller theoretischen Modalaussagen: "möglich", "wirklich" und "notwendig" sind sinnvoll nur von Gegenständen der Erfahrung zu prädizieren. über diese allgemeine Phänomenalisierung der Modalkategorien zum Zweck ihres empirischen Gebrauchs hinaus gibt Kant in ei91 nem Paragraphen der Kritik der Urteilskraft (§ 76) eine Begründung für die Notwendigkeit der Unterscheidung von "Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge" aus der wesentlichen Dualität von Sinnlichkeit und Verstand. Die (transzendental-) anthropologische Orientierung dieser "Anmerkung" über den "menschlichen Verstand" sowie der theologisch-teleologische Kontext können hier außer acht bleiben. Wesentlich für die Einschätzung der Modalbegriffe ist aber die Zuordnung des "Möglichen" zum begrifflichen Verstand und die Zuordnung des "Wirklichen" zur 92 "Anschauung für Objekte" : " N u n b e r u h t aber a l l e u n s e r e U n t e r s c h e i d u n g d e s b l o ß Möglichen vom W i r k l i c h e n d a r a u f , daß das erstere nur die Position der Vorstellung eines Dinges respectiv a u f u n s e r n B e g r i f f u n d ü b e r h a u p t d a s V e r m ö g e n z u denk e n , d a s l e t z t e r e aber d i e S e t z u n g d e s D i n g e s a n sich selbst ( a u ß e r d i e s e m B e g r i f f e ) b e d e u t e t . " 9 3

Die D i f f e r e n z von Möglichkeit im Sinne von bloßer Möglichkeit und Wirklichkeit als einem Mehr gegenüber der Möglichkeit gilt "bloß subjektiv für den menschlichen Verstand", freilich nicht

91 AA V, 4O1 - 4 O 4 , b e s . 4 0 1 f . 92 E b e n d a , 4 O 1 . 93 E b e n d a , 4 O 2 .

Realität und Wirklichkeit je individuell für den einzelnen menschlichen Verstand, dern streng allgemein für jeden menschlichen Verstand.

225 son-

Im Unterschied zur "Seinsthese" mit ihrer Absetzung der modalen Position ("Sein") von der realen Prädikation handelt es sich dem Anschein nach bei der modalen Phänomenalitätsthese um eine innermodale Unterscheidung zwischen den Modalbestimmungen Möglichkeit und Wirklichkeit. Dagegen spricht aber die Zuordnung der beiden Kategorien zu "Begriff" bzw. "sinnliche Anschauung"; das in Begriffen Bestimmte fällt ja, nach der "Seinsthese", auf die Seite der realen Prädikationen, während die sinnliche Gegebenheit des Gegenstandes in der Anschauung noch vor aller begrifflichen Bestimmung die Wirklichkeit eines Dinges ausmacht. Des weiteren irritiert die strikte Disjunktion von Verstand und Sinnlichkeit bei der "Möglichkeit eines Gegenstandes", an der ja gerade, sofern es sich um "reale Möglichkeit" handelt, sinnliche Bedingungen beteiligt sind. Verstünde man nun aber die dem Begriff zugeschriebene Abzielung auf die "bloße Möglichkeit" im Sinne der Widerspruchsfreiheit (logische Möglichkeit), dann käme gerade der Realisierung des begrifflich Vorgedachten ("Mögliches") durch die sinnliche Anschauung ("Wirkliches") die Modalbestimmung der possibilitas phaenomenon (reale Möglichkeit) zu. (B 2 6 8 f . / A 2 2 0 f . ) Damit stimmt zusammen, daß im Paragraphen 76 der Kritik der Urteilskraft das "Wirkliche" nicht in Zusammenhang mit Empfindung gebracht wird. Die Wirklichkeit durch Anschauung im Unterschied zur bloß logisch-begrifflichen Möglichkeit wäre demnach "reale Möglichkeit"; Wirklichsein hieße primär "von Seiten der Wirklichkeit her möglich sein". Von hier aus läßt sich dem Problem nachgehen, weshalb Kant bei der modalen Erläuterung des Begriffs der "objektiven Realität" zunächst die "reale Möglichkeit", dann aber auch die "Existenz" heranzieht. Während die "Seinsthese" noch unspezifiziert auf den Modus ("Dasein", "Sein", "Existenz") Bezug nimmt, differenziert schon die "Tafel der Kategorien" (B 1O6/A 8O) die Kategorie(n) der Modalität nach "Möglichkeit - Unmöglichkeit",

226

Urteilskraft und Realität

"Dasein - Nichtsein" und "Notwendigkeit - Zufälligkeit". 9 4 Die Formulierung der "Postulate" spezifiziert das den drei Fällen gemeinsame absolute, aber nicht bloß als Kopula gebrauchte "ist" - im dritten "Postulat" mit "existiert" erläutert - durch die Zusätze "möglich", "wirklich" und "notwendig". (B 2 6 5 f . / A 218) - Eine Moaalkategorie namens "Wirklichkeit" kommt also bei Kant nicht vor. Wenn nun Kant bei der "Erklärung" des Begriffs der Möglichkeit die "objektive Realität" eines Begriffs mit der "Möglichkeit eines solchen Gegenstandes, als durch den Begriff gedacht wird" (B 268/A 220) erläutert, so bringt dies keine einfache und ausschließliche Zuordnung von "objektive Realität" zu "Möglichkeit" zum Ausdruck. Vielmehr ist der Gegenbegriff zur gegenständlichen oder realen Möglichkeit eines Begriffs ("objektive Realität") dessen bloß logische Möglichkeit (Widerspruchsfreiheit) als bloß notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die "objektive Realität" des B e g r i f f s . Die "objektive Realität" eines B e g r i f f s qua "reale Möglichkeit" steht nicht gegen die reale Wirklichkeit eines B e g r i f f s , sondern gegen die logische Möglichkeit; die kontrastierend angelegte Erläuterung von "objektive Realität" durch reale Möglichkeit rechtfertigt nicht die Einschränkung der "objektiven Realität" auf den Sinn von realer Möglichkeit unter Ausschluß der realen Wirklichkeit. Der modale Grundsinn von "objektive Realität" kann durchaus mit "Existenz" angegeben werden. Im Verhältnis zu dieser Ausgangsbedeutung wäre dann die reale Möglichkeit als real-mögliche Existenz zu verstehen: die Möglichkeitskategorie wäre ein Modus der Grundmodalität Existenz. Gegenüber dem wenigstens mittelbaren "Zusammenhang" des als real vorgestellten Dinges mit einer Wahrnehmung (Empfindung) bei der Prädikation von realer Wirklichkeit handelt es sich bei der realen Möglichkeit eines Beg r i f f s lediglich um ein "Übereinkommen" oder "Zusammenstimmen"

94 B e i d e r " t r a n s z e n d e n t a l e n T a f e l d e r V e r s t a n d e s b e g r i f f e " i n d e n P r o l e g o m e n a . . . ( A A I V , 3 O 3 ) f e h l e n die j e w e i l i g e n G e genbegriffe .

Realität und Wirklichkeit

227

mit den formalen Erfahrungsbedingungen; ein Real-Mögliches braucht nicht real wirklich zu sein. Die formalen Erfahrungsbedingungen regeln als reale Möglichkeitsbedingungen nur den apriorischen Rahmen für die begriffliche Bestimmung des a posteriori Gegebenen. Erst der "Zusammenhang" mit den materialen Erfahrungsbedingungen aktualisiert die qua Realmöglichkeit schon realisierten Denkbestimmungen. Diese modalen Differenzierungen bleiben bei der exklusiven Festlegung von "objektive Realität" 95 auf "reale Möglichkeit" unberücksichtigt. Will man aber am modalen Grundsinn von "objektive Realität" festhalten, so ist der Begriff auf den grundlegenden Sinn von Existenz und genauer: auf den Modalbegriff der phänomenalen Wirklichkeit zu beziehen. So stehen in der Interpretation zwei extreme und unverträgliche Auffassungen von "objektive Realität" einander gegenüber: eine ontologische, am Gedanken der Realität als Sachheit und der "objektiven Realität" als sachlicher Bestimmtheit des Gegenstandes orientierte Auffassung, die den Begriff primär oder doch tendenziell von der Qualitätskategorie Realität her versteht und von den modalen Bestimmungen rigoros fernhält - und eine rein modale Lesart, die den Begriff der "objektiven Realität" allgemein mit "Existenz" gleichsetzt. Diesen Grenzfällen der Interpretation gegenüber ist zunächst auf den allgemeinen Gebrauch des Begriffs der "objektiven Realität" mit Bezug auf das Kategorienproblem hinzuweisen. Der Verwendung des Ausdrucks in der transzendentalen Deduktion, bei der Problemformulierung wie auch bei dessen Lösung, muß ein die Differenz zwischen einzelnen Kategorien- bzw. Grundsatzgruppen umgreifender Sinn von "objektive Realität" zugrundeliegen. Dieses umfassende Verständnis manifestiert sich in den unterschiedlich akzentuierten Substitutionen des Begriffs durch andere Begriffe, insbesondere durch den der "objektiven Gültigkeit".

95 Vgl. dazu M e i l i n , a . a . O . , S. 8 6 7 f . ; f e r n e r C. F. v. Weizs ä c k e r , K a n t s T h e o r i e d e r N a t u r w i s s e n s c h a f t nach P . P l a a s s . In: d e r s . , Die Einheit der N a t u r , München 1971, S. 4O5 4 2 7 , bes. S . 4 1 7 - 4 2 O .

228

Urteilskraft

und Realität

Im Ausgang vom Allgemeinverständnis der beiden Ausdrücke als Kennzeichnung des Problems der theoretischen Gegenstandsbeziehung und näherhin als der zur Auflösung dieses Problems herangezogenen Begrifflichkeit muß es auch grundsätzlich möglich sein, nach der "objektiven Realität" oder "objektiven Gültigkeit" einzelner Kategorien zu fragen. Bezüglich der Kategorie der Realität kann so gefragt werden, ob und unter welcher Bedingung diese Denkbestimmung "objektive Realität" hat und also von Gegenständen notwendig und allgemein gilt. Die Realitätskategorie steht in dieser Hinsicht gleichrangig neben den anderen reinen Verstandesbegriffen, nach deren Realisationsbedingungen zu fragen ist. Die Antwort gibt in allen Fällen der jeweilige Grundsatz; er führt die allgemeinen sinnlichen Gebrauchsbedingungen dieser oder jener Kategorie an und restringiert dadurch ihre Gebrauchsfähigkeit auf die Gegenstände der Erfahrung. Die Modalkategorien unterliegen ebenfalls der kritischen Fragestellung nach den Bedingungen und Grenzen ihres objektiven Gebrauchs. Auch sie haben nur dann "objektive Realität", d.h. sie beziehen sich nur dann auf Gegenstände, wenn sie auf Erscheinungen angewandt werden. Zur theoretischen Beziehung auf nichtsinnliche Gegenstände sind die in den "Postulaten" realisierten Kategorien der Modalität nicht zu gebrauchen. Diese durchgängige und im Prinzip unterschiedslose Zuständigkeit des Begriffs "objektive Realität" für die Deduktions- und Realisationsproblematik aller Kategorien und ihres in Grundsätzen geregelten Gebrauchs findet ein Ende erst, wenn unter Zugrundelegung des Kategoriensystems nach der Stellung des Beg r i f f s der "objektiven Realität" im Verhältnis zu diesem System der elementaren Verstandesbegriffe gefragt wird. Erst wenn der transzendentalphilosophische Verfahrensbegriff der "objektiven Realität" selber in seiner Bedeutung und in seinem Gebrauch zum Thema und Problem wird, können die Zuweisungen an einzelne Kategorien oder Kategoriengruppen einsetzen. Dabei handelt es sich durchaus nicht um ein sachlich nachrangiges Problem, das nur in äußerlicher und nachträglicher Reflexion auf das Verfahren der Kritik entsteht. Vielmehr gehört die Interpretation des Kunstausdrucks "objektive Realität" und seines Pendants "objektive

Realität und Wirklichkeit

229

Gültigkeit" zu jenen grundlegenden Fragen an die Kritik, die aus einer Selbstanwendung ihrer Resultate entstehen. Im Fall der "objektiven Realität" und der "objektiven Gültigkeit" von Begriffen kommt noch die hohe systemarchitektonische Bedeutung dieser Terminologie für die Anlage der Kritik hinzu. Die Präsenz dieser Begriffe im ganzen Werk und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen verleiht ihnen eine herausragende methodische Funktion für die Einheit der transzendentalen Theorie. Liest man nun aber die Kritik nicht als Methodenlehre ("Traktat von der Methode"; B X X I I ) , sondern als die systematischgenetische und wesentlich reflexive Selbstbegründung von Erkenntnis, wie dies nach dem Deutschen Idealismus vor allem Hei96 97 degger getan hat und neuerdings Schindler vorführt, dann rückt der reflexive Methodenbegriff der "objektiven Realität" oder der "objektiven Gültigkeit" selber in die Dimension des zu Begründenden. Die legitime Frage nach der Stellung des 'Beg r i f f s "objektive Realität" zu den Kategorien rechtfertigt aber nicht die Identifizierung dieses methodisch übergeordneten Beg r i f f s mit einzelnen Kategorien. Vielmehr ist aufgrund der allgemeinen Funktion und der vielfältigen Bedeutungsaspekte der Begriffe "objektive Realität" und auch "objektive Gültigkeit" ein im Verhältnis zum "System der Kategorien" außerkategorialer Status dieser Begriffe anzunehmen, der zwar unterschiedliche Beziehungen zu einzelnen Kategorien bzw. Grundsätzen beinhaltet, 97 doch dabei eine exklusive Identifizierung gerade ausschließt.

96 D i e s g i l t v o r a l l e m f ü r d i e K a n t i n t e r p r e t a t i o n i m H o r i z o n t von Sein und Z e i t : P h ä n o m e n o l o g i s c h e I n t e r p r e t a t i o n von Kants K r i t i k der reinen V e r n u n f t , Gesamtausgabe, Bd. 25, sowie K a n t u n d d a s P r o b l e m d e r M e t a p h y s i k , a . a . O . 97 Vgl. Schindler, a . a . O .

3 . 4 . Erscheinung und empirisches Objekt Innerhalb des "Systems der Grundsätze des reinen Verstandes" (B 197/A 158) kommt den "Analogien der Erfahrung" (B 217/A 176 - B 265/A 2 1 8 ) eine besondere Bedeutung für die Bedingung der Möglichkeit der Gegenstandsbeziehung von Erkenntnis zu. Die "mathematischen Grundsätze" (B 2O1/A 260) begründen nur die extensive bzw. intensive Größenbestimmtheit der Erscheinungen; die apriorischen Bestimmungen durch den Verstand betreffen hier lediglich die beiden möglichen Formen der Synthesis des gleichartigen Anschauungsmannigfaltigen ("Aggregation" und "Koalition"; B 2 O 1 ) . Die Existenz von Gegenständen zu den quantitativ und qualitativ bestimmten sinnlichen Vorstellungen (Erscheinungen) wird bei der Beschränkung auf mathematische Synthesis gar nicht erwogen. Die "Grundsätze der Modalität" begründen zwar wie alle "dynamischen Grundsätze" (B 201/A 1 6 2 ) die "Verbindung des Daseins des Mannigfaltigen" (B 201; H . v . K a n t ) , doch handelt es sich hier nicht um die "Verbindung der Erscheinungen untereinander", sondern um die Verbindung der Erscheinungen "im Erkenntnisvermögen a priori" (B 2 0 2 ) ; statt "objektivsynthetisch" zu sein, verfährt die modale Bestimmung "subjektiv", nicht als Hinzufügung einer weiteren realen Bestimmung zum Begriff eines Dinges, sondern als Identifizierung der "Erkenntniskraft ... worin er (sc. der Begriff vom Ding) qo entspringt" (B 286/A 2 3 2 f . ) . ö Während die mathematische Synthesis dem Begriff eines Objekts der sinnlich bestimmten Vorstellungen vorausliegt, setzt die modale Synthesis den prinzipiell bestimmten Objektbegriff schon voraus. Der genaue systematische Ort für den Übergang von der Erscheinung zum Gegenstand der Erscheinung (gen. o b j . ) , von der Vorstellung zum Objekt, sind die "Analogien der Erfahrung". Die den empirischen Gebrauch der Kategorien der Relation begründen9 8 Zum s u b j e k t i v - k o n s t i t u t i v e n C h a r a k t e r S c h i n d l e r , a . a . O . , S. 32 - 65.

der "Postulate" vgl.

Erscheinung und empirisches Objekt

231

den Prinzipien thematisieren jenen Vollsinn von Erfahrung, demzufolge diese in der Erkenntnis von empirischen Gegenständen besteht, bei der über die quantitative und qualitative Bestimmung des Bewußtseins hinaus die Bestimmung eines Objekts erfolgt. Material für die relationale Bestimmung der sinnlichen größenbestimmten Vorstellungen sind die Wahrnehmungen: "Erfahrung ist ein empirisches Erkenntnis, d.i. ein E r k e n n t n i s , d a s d u r c h W a h r n e h m u n g e i n O b j e k t bestimmt." (B 218)

Die empirische Synthesis der Apprehension, selber Produkt des "mathematisch" vereinheitlichten Anschauungsmannigfaltigen, bildet das Material für die höherstufige synthetische Einheit der "mathematisch" bestimmten Wahrnehmungen. Im Unterschied zur willkürlichen Verbindung des Anschauungsmannigfaltigen durch die reine "mathematische" Synthesis erfolgt die relationale Verknüpfung ("nexus"; B 2O1) notwendig, und sie verbindet auch Ungleichartiges. Dieses Moment von Notwendigkeit in der "dynamischen" Synthesis der "mathematischen" Synthesen unterscheidet die immer nur zufällige empirisch-faktische Assoziation von Wahrnehmungen "in der Erfahrung" (B 2 1 9 ; H . v . m . ) von der Erfahrung als Objekterkenntnis. Die Objektivität des Erfahrungsgegenstandes besteht so in der "Notwendigkeit der verbundenen Existenz der Erscheinungen"(B 219) , darin, daß Erscheinungen nicht zufällig und bloß subjektiv, in der Apprehension, zusammengestellt werden, sondern ihrem Dasein (Existenz) nach und damit objektiv zusammengehören. Da die universale Apprehensionsform des Mannigfaltigen die Zeit ist, handelt es sich bei der D i f f e r e n z von Erscheinung in ihrer sinnlichen Subjektivität und Gegenstand in seinem Dasein um unterschiedliche "Zeitverhältnisse". Es stehen einander gegenüber die bloß subjektiven zeitlichen Verhältnisse zwischen Wahrnehmungen und die objektiv bestimmte "Existenz der Objekte in der Zeit" (B 2 1 9 ) . Die objektive Bestimmtheit der Zeitverhältnisse der Erscheinungen verdankt sich nicht der an sich unbestimmten Zeit, sondern den notwendigen Verknüpfungsregeln für Wahrnehmungen, den Kategorien der Relation in ihrer sinnlich-zeitlich bedingten Gestalt (transzendentales Schema).

232

Urteilskraft und Realität

(B 2 1 9 / A 1 7 7 )

Hinsichtlich dieser im "allgemeine(n) Grundsatz aller drei Analogien" (B 22O/A 177) vorgenommenen Unterscheidung der Wahrnehmungen von deren Verknüpfung (Erfahrung) ist nun zu fragen, welches die