The Syrians: The Unknown Oriental Christians
 9781463230920

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T h e Syrians

Bar Ebroyo Kloster Publications

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The Syrians

The Unknown Oriental Christians

By

Andreas Heinz Jean-Maurice Fiey

1 gorgias press 2012

Gorgias Press LLC, 954 River Road, Piscataway, NJ, 08854, USA www.gorgiaspress.com Copyright © 2012 by Gorgias Press LLC Originally published in 1997 All rights reserved under International and Pan-American Copyright Conventions. No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording, scanning or otherwise without the prior written permission of Gorgias Press LLC. 2012

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ISBN 978-1-61143-242-8 Reprinted from the 1997 Glane/Losser edition.

Printed in the United States of America

INHALT Geleitwort des Syrisch-Orthodoxen Erzbischofs von Mitteleuropa Vorwort des Herausgebers

9 12

ERSTER TEIL Syrer. Eine Erstinformation

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Die Syrer unter uns

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Aramäer und Syrer

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Das Auftreten der Syrer

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Die syrische Sprache der Sprache Jesu verwandt

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Edessa und die syrische Sprache

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Die Bedeutung Edessas

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Antiochien und die Syrer

19

Der hl. Ignatius von Antiochien

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Die syrischen Kirchen

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Die West- und Ostsyrer

20

Die Spaltungen im syrischen Christentum

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Gemeinsamkeiten

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Baumeister von Klöstern und Kirchen

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Die wichtige Rolle der Mönche

23

Klöster ohne Zahl

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Das syrische Kirchengebäude

.24

Die syrischen Schulen

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Übersetzungszentren

25 5

Begabte Übersetzer Die syrische Literatur

25 ....26

Die Dichtungen des hl. Ephräm

26

Eine tiefe Vertrautheit mit der Bibel

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Ein schwer zugängliches Erbe

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Öffnung zur Welt - Missionarischer Schwung

28

China - Die Kirche in Indien

28

Enge Bindungen zu den Kopten

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Syrer und Araber

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Das Maronitische Kolleg in Rom

30

Die Syrer heute

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ZWEITER TEIL Die Syrer in Geschichte und Gegenwart von J.-M. Fiey OP

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Die Syrer - wer sind sie?

32

Antiochien - „Stadt Gottes"

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Konzilien

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Nestorius und das Konzil von Ephesus (431)

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Eutyches und das Konzil von Chalkedon (451)

36

Patriarch Severos von Antiochien

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Jakob Baradai (Mor Yaqub Baradaeus)

38

Die Maronitische Kirche

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Die Assyrische Kirche des Ostens

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Das Mönchtum

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6

Ausbreitung der syrischen Kirchen vor dem Islam

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Literatur der Syrer vor der Zeit des Islam

44

Der Islam

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Das goldene Zeitalter der Syrer

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Die Kreuzzüge

,...47

Unter mongolischer und osmanischer Herrschaft

47

Der Katholizismus

49

Maronitische Renaissance

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Die Rolle der Syrer in der arabischen Renaissance

51

Massaker, Exil, Diaspora und Neubeginn

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Die syrischen Kirchen in Indien

....53

ANHANG Gemeinsame Erklärung Papst Johannes Pauls II. und des Syrisch-Orthodoxen Patriarchen von Antiochien

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Pastorale Vereinbarungen der Deutschen Bischofskonferenz mit der Syrisch-Orthodoxen Kirche 60 Literaturverzeichnis

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Verzeichnis der Abbildungen

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Abbildungen

75

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2. Erzbischof Julius Jesu Qigek, seit 1979 Metropolit der SyrischOrthodoxen Erzdiözese von Mitteleuropa. 8

Geleitwort des Syrisch-Orthodoxen Erzbischofs von Mitteleuropa Die syrisch-orthodoxen Christen leben mittlerweile seit über 30 Jahren in der westeuropäischen Diaspora. Sie leben mit ihren christlich-abendländischen Mitchristen friedlich nebeneinander. Anfangs hatten sie viel zu leiden unter der Gleichgültigkeit der Behörden und deren starrer Bürokratie. Ferner wurden diese uralten Christen, welche vor dem erstarkten Islamismüs im christlichen Orient ihre Urheimat Aram-Naharaim/Beth-Nahrin (Mesopotamien) die Wiege des Christentums, verlassen mußten, von vielen als „Häretiker" und „Schismatiker" betrachtet. Infolge der christologischen Auseinandersetzungen auf dem Konzil von Chalkedon (451) und darüber hinaus, wurde die apostolische syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien, die zu einer der ältesten christlichen Kirchen zählt, von der byzantinischen Staatskirche und Staatsmacht massiv verfolgt. Es fanden Massaker an den Geistlichen, Exekutionen an den wehrlosen Gläubigen statt. Lange Zeit war der Dialog zwischen den sogenannten vorchalkedonisch-orthodoxen orientalischen Kirchen und den sogenannten chalkedonischen östlichen und westlichen Kirchen abgebrochen. Die Beziehungen zwischen Antiochien und Rom, diesen zwei ehrwürdigen apostolisch-petrinischen Kirchen, sind heute fortgeschritten wie noch nie zuvor. Der erste nennenswerte Kontakt nach dem Konzil von Chalkedon war zur Zeit des Patriarchen Michaels des Großen ( f l l 9 9 ) zu verzeichnen. Eine Medaille hat immer zwei Seiten; so waren die Kreuzfahrer, trotz einiger schlimmer Vorfälle, den Syrern gegenüber friedlich. Die beiden Kirchen kamen sich auf der pastoralen Ebene sehr nahe, insbesondere hinsichtlich der Griechen, die den Syrern immer vorwarfen, sie seien „Häretiker". Die Franken, so nannten die Syrer die abendländischen Christen, betrachteten die Theologie der Syrer als wahrhaftsgemäß und orthodox 1 . 1

Vgl. Kawerau, Peter, Die jakobitische Kirche im Zeitalter der syrischen Renaissance. Idee und Wirklichkeit, Berlin 1960, 83.

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Patriarch Michael weiß immer Gutes über die Franken zu berichten. Die Syrer, -ob in Palästina oder in Edessa- konnten unter der fränkischen Besatzung unbehelligt und ungestört ihr Leben und ihr Christsein fortführen. Eine syrische anonyme Chronik berichtet uns über ein außerordentlich erfreuliches Ereignis zum Ende des 12. Jh. Patriarch Michael I. zog nach dem Osterfest in Jerusalem nach Antiochien, wo er von den Franken herzlich aufgenommen und, auf der Kathedra Petri sitzend, in die Kirche des hl. Petrus begleitet wurde 2 , Die erfreulichen Gespräche zwischen den beiden Kirchen kamen danach leider zum Stillstand. Der erste apostolische Besuch eines antiochenischen Patriarchen bei seinem Amtsbruder in Rom fand im Jahre 1971 statt. Patriarch Ya v qub (Jakob) III. und Papst Paul VI. beschlossen eine „DECLARATIO COMMUNIS", in der sie Einvernehmen im Glauben feststellten und den Weg für weitere Gespräche ebneten. Ein weiterer Dialog kam im Jahre 1984 zustande. Papst Johannes Paul II. und Patriarch Ignatius Zakkai I. Iwas vereinbarten eine gegenseitige pastorale Hilfe. Erfreulich ist, daß sie mit der im Vatikan unterzeichneten Erklärung ihren Gläubigen erlauben, gewisse Sakramente bei den Geistlichen der anderen Kirche zu empfangen, wo kein eigener Priester erreichbar ist. Hierzu zählen das Sakrament der Buße, der Empfang der hl. Eucharistie und die Krankensalbung (Nr. 9). Desweiteren ermutigt die Gemeinsame Erklärung die Theologen, zusammenzuarbeiten: „Eine logische Folge der Zusammenarbeit in der Seelsorge wäre es, auch auf dem Gebiet der Priesterausbildung und theologischen Erziehung zusammenzuarbeiten." Dies scheint bei vielen Theologen und theologischen Institutionen angekommen zu sein. So haben einige syrische Theologen ihr Studium an den katholischen Fakultäten in Deutschland und anderwärts absolviert. Wiederum einige dieser Theologen schreiben ihre Promotionsarbeiten an den deutschen theologischen Fakultäten. Prof. Dr. Andreas Heinz vom Deutschen Liturgischen Institut in Trier betreut einen unserer Theologen bei seiner Dissertation. 2

Vgl. Chabot, J.-B., Anonymi Auctoris Chronicon II, Scriptorum Christianorum Orientalium 82), Louvain 1916, 307. 10

(=Corpus

Prof. Heinz hat Aufsätze und Bücher über die orientalischen syrischen Kirchen geschrieben. Er hilft mit, daß durch Übersetzungen ins Deutsche das reiche Erbe der syrischen Liturgie unseren Mitchristen in Europa und uns selbst bekannter wird. Das vorliegende Buch befaßt sich mit allen zur syrischen Tradition gehörenden Kirchen. Es gibt einen Überblick über die Geschichte der Syrer, deren Theologie und ihr aktuelles Leben in der Heimat und in der Diaspora mit vielen eindrucksvollen Bildern aus dem Leben der syrisch-orthodoxen Christen. Viele unserer Kinder und Jugendlichen haben heute enorme Schwierigkeiten mit ihrer Identität und Glaubenstradition; viele von ihnen sind hier geboren und aufgewachsen in zwei Sprachen und mit zwei Kulturen. Ihre eigene Sprache, das Turoyo-Syrische, beherrschen nur wenige und dann oft so ungenügend, daß sie sich mit ihren Eltern in unserer Sprache nicht immer verständigen können; nicht zu vergessen ist auch, daß Turoyo-Syrisch ein nur gesprochener Dialekt ist. Das Syrische, die Sprache der Liturgie muß eigens gelernt werden. So gesehen, sind unsere syrischen Christen zunehmend auf die Sprache, in der sie aufgewachsen sind und mit der sie leben, angewiesen. Das vorliegende Buch ist nicht nur unseren syrischen Christen zu empfehlen, sondern auch den katholischen und evangelischen Mitchristen und allen, die dieses uralte Christentum, seine Geschichte und seine Lebensweise näher kennenlernen möchten. Das Buch möge zur Verständigung der Syrer mit ihren Nachbarn beitragen! Der Segen des Drei einigen Gottes möge sie begleiten! Amen. St. Ephräm der Syrer-Kloster Glane/Losser (NL) Am Fest Mariä Himmelfahrt, 15. August 1997.

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Vorwort Wenn von orthodoxen Christen die Rede ist, denken Katholiken und Protestanten unwillkürlich an orientalische Mitchristen, die aus Griechenland, den Balkanländern Bulgarien, Rumänien und Serbien oder aus Rußland zu uns gekommen sind. Aber neben diesen Christen der byzantinischen Tradition gibt es unter uns auch Angehörige der sogenannten altorientalischen Kirchen: Armenier, Kopten aus Ägypten und dem Sudan und Syrer. Die syrisch-orthodoxen Christen sind in den letzten Jahrzehnten vor allem aus der Südosttürkei, dem Tur Abdin, nach Mitteleuropa gekommen. Ihre Wurzeln reichen zurück bis zu den ersten Anfängen des Christentums im syrisch-palästinensischen Raum. Die Syrer feiern bis heute den Gottesdienst in aramäischer Sprache, der Sprache Jesu und der Apostel. Das Oberhaupt der Syrisch-Orthodoxen Kirche führt den Titel „Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient". In Antiochien (heute die türkische Stadt Antakya) hat man die „Jesus-Gläubigen" zum erstenmal „Christen" genannt (vgl. Apg 11,26). Alle christlichen Kirchen haben aus dem reichen Erbe der syrischen Kirche geschöpft. Es genügt an Persönlichkeiten wie den Märtyrerbischof Ignatius von Antiochien (fum 107), Ephräm den Syrer (f373) und Johannes Chrysostomus (f407) zu erinnern. Das 1979 errichtete syrisch-orthodoxe Erzbistum von Mitteleuropa dürfte mittlerweile an die 50.000 Gläubige zählen. Trotz dieser beachtlichen Zahl und vielen lebendigen Gemeinden werden die syrisch-orthodoxen Christen als eigenständige orientalische Kirche kaum wahrgenommen. Ihre deutschen oder niederländischen Mitbürger wundern sich, daß die aus der Türkei gekommenen Nachbarn Christen sind und sich „Syrer" nennen. Wer sind diese Syrer? Dieses Buch möchte eine erste Antwort geben. Es tut dies zunächst in sehr einfacher und knapper Form (1. Teil). Auf diese Weise sollen nicht zuletzt die Syrer selbst, vor allem die Kinder und Jugendlichen, die das kirchliche Leben im Tur Abdin, in Syrien, im Libanon oder im Irak nicht mehr erlebt haben, ihre Geschichte und

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das reiche kulturelle Erbe ihres Volkes besser kennenlernen. Aber auch den Mitteleuropäern wird diese Erstinformation nützlich sein. Gründlicher und umfassender informieren die Ausführungen des bekannten französischen Forschers und großen Kenners des syrischen Christentums, des 1995 verstorbenen Dominikanerprofessors Jean-Maurice Fiey (2. Teil). Den Abschluß bilden zwei bedeutsame Dokumente. Sie sind Zeugnisse der wachsenden Zusammenarbeit zwischen der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien und der katholischen Kirche. 1984 unterzeichneten Papst Johannes Paul II. und der syrisch-orthodoxe Patriarch Ignatius Zakka I. Iwas eine gemeinsame Erklärung, die klarstellt, daß beide Kirchen in ihrem Christusbekenntnis vollkommen übereinstimmen und die baldige Wiederherstellung der vollen Kirchengemeinschaft anstreben (Dokument I). Die deutschen Bischöfe haben 1994 auf dieser Grundlage mit der syrisch-orthodoxen Kirche pastorale Vereinbarungen getroffen. Sie sollen die erwünschte Zusammenarbeit in der Seelsorge ordnen und fördern (Dokument II). Am Zustandekommen dieses Buches haben viele mitgewirkt. Die Anregung dazu kam aus dem Libanon. Das dortige Zentrum für pastoralliturgische Studien und Forschungen (CERP), betreut von den maronitischen Antonitern, hat 1996 die Informationsbroschüre „Les Syriaques" veröffentlicht. Sie liegt dieser deutschen Ausgabe zugrunde. Für die Überlassung der Rechte habe ich dem derzeitigen Leiter des CERP in Antelias, P. Maroun Atallah, zu danken. Mein besonderer Dank gilt dem hochwürdigsten Herrn Erzbischof Julius Jeschu Qigek, seit 1979 Metropolit der syrisch-orthodoxen Erzdiözese von Mitteleuropa. Er hat der Veröffentlichung des Buches im Bar-Hebraeus-Verlag zugestimmt, seinen Druck ermöglicht und ihm ein empfehlendes Geleitwort mit auf den Weg gegeben. Meine Sekretärin in der Wissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Liturgischen Instituts, Frau Marlene Jakobs, sowie mein Assistent, Kaplan Kai Gallus Sander, haben mich bei der Fertigstellung des Manuskripts tatkräftig unterstützt. Herr Dipl. Theol. Sabo Hanna begleitete sachkundig die Drucklegung. Ihnen sei auch an dieser Stelle herzlich gedankt. Trier, im Mai 1997

Der Herausgeber 13

ERSTER TEIL Syrer. Eine Erstinformation Die Syrer unter uns Die meisten Kirchen in den Städten und Dörfern Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und der Niederlande sind katholische oder evangelische Gotteshäuser. Aber in den letzten Jahrzehnten werden dort immer häufiger auch Kirchen gebaut, in denen sich orthodoxe Christen versammeln. Sie sind als Emigranten, Gastarbeiter und Asylbewerber nach Mitteleuropa gekommen. Viele eingewanderten Familien sind inzwischen eingebürgert. Ihre Kinder kennen die Heimat ihrer Eltern zum Teil schon nicht mehr. Die aus der Osttürkei und den arabischen Ländern des Nahen Ostens gekommenen Christen sind in ihrer großen Mehrzahl Syrer. In der Familie unterhalten sie sich in ihrer neuaramäischen Umgangssprache. Ihre Liturgie feiern sie in der altsyrischen Sprache, in der der heilige Ephräm (f373) seine Hymnen gedichtet hat. Wie schon zu seiner Zeit erklingt auch heute noch das Dreimal-Heilig in den syrischen Kirchen in der Sprache Jesu und der Apostel: „Qadischat Aloho - Heilig bist du, Gott". b>jk+tQ .(oOSs. ^«»»¿0 ..fcs->\ kjl» .|U*M U

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Die Syrer gehören unterschiedlichen Kirchen an. Es gibt Syrisch-Orthodoxe Christen und Syrisch-Katholische Christen, im Libanon und in Syrien vor allem; es gibt die Assyrer und die katholischen Chaldäer im Irak, die Maroniten im Libanon, die Syro-Malabaren und Syro-Malankaren in Südindien. Trotz mancher Unterschiede verbindet sie alle ihre Zugehörigkeit zu ihrer semitischen Volksgruppe, die Liebe zur syrischen Sprache und das Erbe einer großen gemeinsamen Kultur.

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Aramäer und Syrer Um zu verstehen, wer die Syrer sind, muß man sehr weit in die Vergangenheit zurückgehen, bis wenigstens ein Jahrtausend vor Christi Geburt. Zu dieser Zeit gab es im Norden des heutigen Syrien ein Volk, das man „die Aramäer" nannte. Es wurden uralte Inschriften in aramäischer Sprache gefunden, in Stein gemeißelt; Zeugnisse des Aramäischen haben sich auch auf Pergament oder Papyrus geschrieben erhalten. Das Aramäische ist eine semitische Sprache. Es gehört also zur gleichen Sprachfamilie wie das Hebräische und das Arabische. Die aramäische Schrift ist vom phönizischen Alphabet beeinflußt. Im letzten Jahrtausend vor Christi Geburt ist das Aramäische zur meist gesprochenen Sprache des Nahen Ostens aufgestiegen; aramäisch sprach man von den Küsten des östlichen Mittelmeers bis in die Gebiete des heutigen Afghanistan. Das Auftreten der Syrer Als der christliche Glaube von den Aposteln und den Jüngern Christi verkündigt wurde, wurden viele Aramäer in Syrien und Mesopotamien Christen. Diese christlich gewordenen Aramäer nannten die Griechen und Juden der damaligen Zeit „Syrer" (Syrioi; Suryoye), um sie von den heidnisch gebliebenen Aramäern zu unterscheiden. Es gibt also von Anfang an ein unauflösliches Band zwischen Syrer-Sein und Christ-Sein: Syrer sind Aramäer christlichen Glaubens. In der Bibel geht oft die Rede von „Aramäern". Man begegnet dieser Bezeichnung in der Geschichte der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, auch in der Geschichte der Könige Israels (David, Salomo) und in den Büchern der Propheten.

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Die syrische Sprache der Sprache Jesu verwandt Oft heißt es: die Syrer sprechen die Sprache Jesu. Sie drücken sich also noch immer mit den gleichen Worten aus, die schon Jesus, seine Verwandten und Bekannten in ihrer galiläischen Heimat einst gebraucht haben. Vielen erscheint deshalb die syrische Sprache besonders verehrungswürdig. Diese Meinung trifft zu. Wenn auch das Syrische, das heute im Gottesdienst der syrischen Kirchen erklingt, sich etwas unterscheidet von der Sprache, die Jesus und seine Apostel vor fast 2000 Jahren in Palästina sprachen, so ist es dieser Sprache doch sehr nahe. Und wenn syrische Christen das Vaterunser auf Syrisch beten, wenn sie sagen: „Abun d-baschmayo", dürfen sie sich den Anfängen des Christentums sehr nahe fühlen. Ein zeitgenössischer syrisch-orthodoxer Chorbischof (Khuri), Aziz Günel, hat den abgebildeten syrischen Text des Vaterunsers kunstvoll geschrieben und dekoriert.

3. Vaterunser in Syrischer Sprache. Abun d-baschmayo, nethqadasch schmokh, tithe malkuthokh, nehwe sebyonokh aykano d-baschmayo ofbaro'o, hab lan lahmo dsunkonan yawmono, waschbuq lan hawbayn wahtohayn aykano dof hnan schbaqn Ihayobayn, wlo ta'lan Inesyuno, elo fasson män bischo, metul d-dilokhi malkutho w-haylo w-teschbuhto Volam olmin. Amin. 16

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Edessa und die syrische Sprache Die syrische Sprache, wie sie sich unter den christlich gewordenen Aramäern in der Folgezeit einbürgerte, war das Syrische, das man in Edessa sprach. Diese Stadt heißt heute Urfa und liegt im Südosten der Türkei. Sie hatte im zweiten Jahrhundert einen König namens Abgar VIII. Ukomo (179-212). Den Syrern gilt er als der erste christliche König überhaupt. Von diesem König Abgar erzählt man sich eine Legende, die alle Syrer kennen. Sie berichtet: In Edessa lebte zu der Zeit, als Jesus wirkte, ein König mit Namen Abgar. Als er erfuhr, daß in Jerusalem ein außergewöhnlicher Mann aufgetreten war, der Wunder tat, schickte er ihm durch einen Boten einen Brief. In diesem Schreiben bat er Jesus, nach Edessa zu kommen, um dort zu lehren und zu heilen. Durch die Gegenwart Jesu hoffte der König, vor seinen Feinden befreit und vor allem von einer schrecklichen Krankheit erlöst zu werden, dem Aussatz. Dem Boten hatte König Abgar zusätzlich aufgetragen, ein Portrait von Jesus zu malen. Als der Bote zu Jesus kam, wollte es ihm unter keinen Umständen gelingen, ein Bild von ihm zu malen. Alle Bilder trafen ihn nicht. Da nahm Jesus ein Leinentuch (Mandylion) und trocknete damit sein Gesicht ab. Sein Antlitz prägte sich dem Linnen ein. Außer diesem Tuch sandte Jesus einen Antwortbrief an König Abgar. Er versprach darin, er werde ihm, da er selbst nicht kommen könne, einen seiner Jünger schicken, der ihn heilen werde. Der Jünger war Addai (Thaddäus). Dieser begab sich nach Edessa und heilte den König. Der Brief und das Mandylion wurden Jahrhunderte hindurch ehrfurchtsvoll in der Stadt Edessa aufbewahrt.

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Die Bedeutung Edessas Auch wenn die Geschichte von König Abgar nur eine Legende ist, enthält sie doch, wie die meisten Legenden, einen wahren Kern. Tatsache ist: Edessa wurde sehr früh christianisiert. Von daher kommt es, daß die Sprache und Kultur dieser Stadt sich überall hin verbreiteten, wo Syrer lebten. Antiochien und die Syrer Antiochien war in der Zeit, als das Christentum sich im Nahen Osten ausbreitete, die wichtigste Stadt der ganzen Region. Im Römischen Reich stand Antiochien am Orontes rangmäßig an dritter Stelle nach Rom und Alexandrien. Die Hauptstadt Syriens war eine Weltstadt und ein bedeutender Handelsplatz. Das Christentum faßte wohl schon wenige Jahre nach Tod und Auferstehung Jesu in Antiochien Fuß. In Antiochien nannte man die Anhänger Jesu zum ersten Mal Christen. Paulus und Barnabas predigten dort. Petrus soll in den Jahren 36/38 in der dortigen Gemeinde gewirkt haben. Er gilt als der erste Bischof von Antiochien. Das ist der Grund, weshalb nach altem Brauch der Syrisch-Maronitische Patriarch von Antiochien seinem Namen den Namen des Apostels Petrus hinzufügt (Butros). Der hl. Ignatius von Antiochien Der hl. Ignatius war einer der Nachfolger des hl. Petrus als Oberhaupt der Kirche von Antiochien. Er starb als Märtyrer in Rom, zermalen von den Zähnen wilder Tiere (wohl 107). Zum ehrenden Andenken an ihn tragen seit 1293 alle Syrisch-Orthodoxen Patriarchen von Antiochien den Beinamen Ignatius. Die Briefe, die Ignatius als Gefangener auf seinem Transport nach Rom geschrieben hat, sind uns erhalten geblieben. In einem dieser Briefe schreibt er in Voraussicht seines Martyriums: „Es ist gut für mich zu sterben, auf daß ich vereint werde mit Jesus Christus. Ihn suche ich, der für mich gestorben ist; er ist es, nach 19

dem ich verlange, der auferstanden ist für uns. Meine Geburt nähert sich. Laßt mich das reine Licht empfangen. Wenn ich dort sein werde, werde ich zum vollkommenen Alter heranreifen. Laßt mich zu einem Nachahmer des Leidens meines Gottes werden ... Es gibt in mir kein Feuer mehr, das verlangt, das Sichtbare zu lieben, sondern nur noch eine lebendige Quelle, die murmelt und in mir spricht: Komm (Jesus) mit dem Vater!" 3 . Die syrischen Kirchen Die West- und Ostsyrer Das Oberhaupt der Assyrer, die hauptsächlich im heutigen Irak leben, nennt sich „Patriarch der Assyrischen Kirche des Ostens". Die mit Rom vereinigten Assyrer heißen Chaldäer. Ihr Oberhaupt führt den Titel „Patriarch von Babylon für die Chaldäer". Assyrer und Chaldäer haben einst mächtige Reiche gegründet, lange vor Christi Geburt. Ihr Stammland ist der heutige Irak. Die Christen in diesem Siedlungsraum östlich des Euphrat wurden als Ostsyrer {suryoye madenhoye) bezeichnet, während die westlich des Euphrat lebenden Syrer (suryoye ma"erboye) zu den westsyrischen Kirchen gehören, der Syrisch-Orthodoxen, der Syrisch-Katholischen und der Syrisch-Maronitischen Kirche. Die verschiedenen syrischen Kirchen sind zwischen dem fünften und achten Jahrhundert entstanden, die mit Rom vereinigten Kirchen der Ost- und Westsyrer erst im 16. (Chaldäer) beziehungsweise im 18. Jahrhundert (Syrisch-Katholische Kirche). Die Spaltungen im syrischen Christentum Zur Zeit der Entstehung der verschiedenen syrischen Kirchen gab es jedes Mal unterschiedliche Gründe, die zu einer 3

Der Auszug aus dem Brief des Märtyrerbischofs Ignatius von Antiochien ist entnommen dem Werk von Jean Daniélou, L'Eglise des premiers temps: des origines à la fin du Illème siècle. Paris 1985, 134.

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Verselbstständigung von Teilen des syrischen Christentums führten. Bedenken wir, daß der Siedlungsraum der Syrer sich über ein weites, keineswegs einheitliches Gebiet erstreckt. Syrische Christen leben in den zerklüfteten Bergen des Libanon bis hin zu den Gebirgszügen im Norden des heutigen Irak. Die einzelnen Gruppen hatten ihre je eigene Geschichte. Sie unterstanden oft unterschiedlichen Herrschern, mit denen sie sich arrangieren mußten. Oft kam es aber auch zu heftigen Glaubensdisputen und Kämpfen untereinander, wodurch das syrische Christentum viel von seiner Kraft einbüßte. Gemeinsamkeiten Trotz interner Streitigkeiten und Spaltungen haben die syrischen Kirchen doch viele Gemeinsamkeiten bewahrt, die sie ihre Zusammengehörigkeit erfahren lassen. An erster Stelle verbindet sie ihre Sprache und Schrift. Ein Stück gemeinsames Erbe sind ihre berühmten Schulen, wo beides gepflegt wurde. Gemeinsam ist ihnen die Hochschätzung des Mönchtums und der Drang, Klöster und Kirchen zu bauen, ihr missionarischer Eifer und ihre Offenheit für die verschiedenen Kulturen, mit denen sie in Berührung kamen. Den Syrern lag ihre Sprache und ihre Schrift so sehr am Herzen, daß sie eine ihnen eigene Art und Weise erfanden, das Arabische mit syrischen Buchstaben zu schreiben. Man nennt diese Schreibweise „Karschuni". $001^ V ä S ujSs, u A

Die Schreibweise des Syrischen kennt drei Varianten. Man unterscheidet Estrangelo, Serto und die chaldäische oder nestorianische Art.

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Estrangelo IRIID)

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r^^u.taÄko r£uacue uyi a u a :r^Auallrfa r^iutjXQ r^Auxio i n Es ist dies die älteste und schönste Art, das Syrische zu schreiben. Wenn ein Schreiber bestimmte Sätze oder Worte in einem fortlaufenden Text besonders hervorheben wollte, schrieb er sie in Estrangelo. Alle Syrer bedienten sich dieser Schreibweise. Serto :JJOI

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Es ist dies die bei den Westsyrern übliche Schreibweise. Sie begegnet einem sowohl bei den orthodoxen und katholischen Syrern als auch bei den Maroniten. Die chaldäische oder nestorianische Schreibweise uJOj.)fu3ta Itoa Ajxuu JJOI l o a l o l o t l l Lw. >jr,?na

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Ihrer bedienen sich die Assyrer und katholischen Chaldäer. Diese Schreibweise der Ostsyrer ist dem Estrangelo näher als das Serto der Westsyrer.

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Baumeister von Klöstern und Kirchen Die wichtige Rolle der Mönche Die Mönche, die nicht selten in Gemeinschaften von hundert und mehr, in den Klöstern ein gottgeweihtes Leben führten, hatten bei den Syrern immer eine große Bedeutung. Bis in die jüngste Vergangenheit hatten die syrischen Christen stets eine sehr lebendige Beziehung zu dem Kloster, in dessen Umgebung sie wohnten. Klöster ohne Zahl Der ganze Mittlere Osten ist übersät von Ruinen alter Klöster und Kirchen. Oft sind allerdings von ihnen nur noch wenige Steine oder letzte Mauerreste zu sehen. Das goldene Zeitalter der syrisch-christlichen Architektur liegt zwischen dem fünften und siebten Jahrhundert. In den folgenden Jahrhunderten hörten die Syrer nicht auf, sofern es ihnen möglich war, sehr ansehnliche Klöster und schöne Kirchen zu bauen, zum Beispiel das Kloster Deyro d-zafaran (4./6. Jh.) bei Mardin im Südosten der heutigen Türkei. Eine berühmte Klosterlandschaft ist der „Tur-Abdin - Berg der Gottesknechte" in der Türkei. Man geht davon aus, daß es in dieser Gebirgsgegend mehr als 70 Klöster gab. Heute leben nur noch in vier von ihnen Mönche, in Mor Gabriel bei Midyat auch eine Gemeinschaft von Schwestern. Das schon im Jahre 397 gegründete, ununterbrochen besiedelte Kloster Mor Gabriel ist Sitz des syrisch-orthodoxen Erzbischofs für den Tur Abdin und beherbergt eine Schule. Fast ebenso alt ist das schon Vor 419 entstandene Kloster Mor Yaqub in Salah. Im Libanon, wo die Christen sich freier entfalten konnten, haben vor allem die Maroniten zahllose Kirchen und Klöster gebaut. In einem der von ihnen bewohnten Dörfern, in Beit Schabab, gibt es 16 Kirchen.

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Das syrische Kirchengebäude Man kann nicht sagen, daß die syrischen Kirchen nach einem bestimmten einheitlichen Plan gebaut wurden. Die Kirchengebäude in Syrien unterscheiden sich von denen im Tur Abdin und von denen im Nordirak. Die Kirchen der orthodoxen Syrer sehen anders aus als diejenigen der Assyrer. Doch alle sind sie so konstruiert, daß Priester und Gemeinde beim Gebet nach Osten schauen. Das Kreuz an der Rückwand des Altars weist hin auf den Tag, an dem das Zeichen des Menschensohnes am östlichen Himmel erscheinen wird. Die heiligen Orte und ihre Ausstattung sind von bedeutungstiefer Symbolik. Der Abbassiden-Kalif al-Mahdi (775-785) hatte eine lange Unterredung mit Timotheus, dem damaligen Patriarchen der Ostsyrer. Hier ein kleiner Auszug aus dem Bericht, den uns Timotheus von seinem Gespräch mit dem muslimischen Herrscher hinterlassen hat. Der Kalif: „Warum betet ihr das Kreuz an?" Timotheus: „Wie verehren das Kreuz, weil es lebenspendend ist." Der Kalif: „Das Kreuz ist nicht Ursprung des Lebens, sondern des Todes." Timotheus: „Herrscher, das Kreuz ist ein Todbringer, wie du sagst. Aber der Tod ist die Ursache der Auferstehung und die Auferstehung ist die Ursache des Lebens und der Unsterblichkeit. Das Kreuz ist also, mein Herrscher, Grund des Lebens und der Unsterblichkeit. Deshalb bringen wir mittels des Kreuzes Gott, dem Allerhöchsten, Anbetung dar, der uns durch das Kreuz die Quelle des Lebens und der Unsterblichkeit aufgetan hat."4

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Hans Putman, L'Eglise et l'Islam sous Timothée I (780-823). Beirut 1986, 251.

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Die syrischen Schulen Überall in den von Syrern besiedelten Gebieten, von Syrien bis Persien, fand man die „kleinen Schulen", wo man die Kinder die Hymnen und Kirchengesänge in syrischer Sprache lehrte. Wahrscheinlich hat man dort auch lesen lernen können. Seit dem fünften Jahrhundert galt bei den Syrern die Regel, daß nur solche in ein Kloster aufgenommen werden durften, die lesen konnten. Die kleinen Dorfschulen genügten den Begabteren nicht. Für sie wurden höhere Schulen gegründet. Diese waren so etwas wie Kloster-Universitäten. Wir besitzen noch die Hausordnung einer dieser berühtem alten syrischen Schulen, und zwar die der Schule in Nisibis (5. - 9. Jh.). Eine andere hochangesehene Hochschule war die von Edessa (4. - 5. Jh.), wo der hl. Ephräm lehrte. Übersetzungszentren Die Klosterschulen der Syrer wurden früh zu Zentren, wo griechische Werke ins Syrische übersetzt wurden. Zunächst hat man die Bibel und die Schriften der Kirchenväter übersetzt. Dann ging man dazu über, auch profane Werke der antiken Literatur zu übersetzen, etwa Abhandlungen über Medizin, Geographie, Geschichte, Astronomie und Mathematik. Begabte Übersetzer In Bagdad waren die von Syrern erstellten Übersetzungen aus dem Griechischen ins Syrischem und ins Arabische im neunten und zehnten Jahrhundert zu recht hochgeschätzt. Sie zeichneten sich durch ihre Qualität aus. Auf dem Weg über diese Übersetzungen sind uns viele philosophischen und wissenschaftlichen Werke aus dem Altertum, deren griechische Originale verloren sind, erhalten geblieben. Diese hohe Übersetzungskunst basierte auf dem reichen Erfahrungsschatz der älteren syrischen Klosterschulen. Die Syrer hatten selbst einen entwickelten Sinn für die Philosophie und die Wissenschaften. Ein berühmter Übersetzer und Philosoph,

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der in Bagdad lebende syrisch-orthodoxe Christ Yahya ibn Adi, ließ auf seinen Grabstein die folgenden Verse meißeln: „Oft geschieht es, daß ein Verstorbener durch seine Gelehrsamkeit weiterlebt, während ein Lebender bereits tot ist infolge seiner Dummheit und Sprachlosigkeit. Bemüht euch also um die Wissenschaft, damit ihr Unsterblichkeit erlangt, verliert euch aber unter keinen Umständen an ein Leben der Unwissenheit." 5 Die syrische Literatur Viele Schriftsteller haben über sehr unterschiedliche Gegenstände auf Syrisch geschrieben: über Theologie, vor allem Schriftauslegung, Geschichte, Geographie, Medizin und über das Leben heiliger Männer und Frauen. Doch die Poesie ist eine der schönsten Früchte der syrischen Literatur. Die syrischen Dichter haben Hymnen und Gesänge verfaßt in der Absicht, den christlichen Glauben zu verbreiten und zu vertiefen. Die Dichtungen des hl. Ephräm Der hl. Ephräm (303-373) war einer dieser großen Dichter. Er hat zunächst in der Stadt Nisibis gelebt, dann in Edessa. Mehr als 500 Gedichte hat er verfaßt. Ein großer Kenner der syrischen Literatur hat gesagt, Ephräm der Syrer sei „der erste Ökologist" gewesen. Ephräm liebte die Natur und fand darin Gott, im Aufblick zu einem fliegenden Vogel, im Wechsel der Jahreszeiten, in der reifen Beere einer Traube.

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Jean-Maurice Fiey, Chrétiens syriaques sous les Abbassides surtout à Bagdad (749-1258). CSCO Subsidia Tomus 59. Louvain 1980, 166.

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Aus dem Werk des hl. Ephräm „Solange ein kleiner Vogel noch nicht geformt ist, hindert ihn seine Schwäche, seine Schale aufzubrechen. So auch der Glaube, eingeschlossen in Schweigen, ist er noch unvollkommen. Vervollkommne du ihn, der du alles vollkommen machst!" Kehrvers: „Mach mich würdig, durch das Schweigen deinen Vater zu ehren!" „Der Vogel durchläuft drei Stufen: Vom Leib in das Ei, dann ins Nest, wo er singt. Wenn er erwachsen ist, fliegt er in der Luft, und in Kreuzesform breitet er seine Flügel aus." 6 Welchem Bereich man sich auch zuwendet, den Kirchengesängen, der Architektur der Kirchengebäude, der Dichtkunst oder der Malerei, überall begegnet man dem Heiligen. Man entdeckt, daß bei den Syrern selbst die alltäglichsten Dinge und natürlichsten Elemente wie das Wasser, die Luft, das Feuer, das Salz usw. einen Bezug zu Gott haben, eine sakrale Dimension, die wahrzunehmen wir heute kaum noch imstande sind. Die syrische Literatur kann einem dafür wieder die Augen öffnen. Eine tiefe Vertrautheit mit der Bibel Die Quelle der ganzen syrischen Literatur ist die Bibel. Es ist faszinierend festzustellen, wie sehr die syrische Welt von der Heiligen Schrift durchdrungen ist, wie gut sie das Heilige Buch kannte. Viele syrische Dichtungen vergegenwärtigen Begebenheiten aus der Bibel so lebendig, als ob sie sich vor unseren Augen abspielten.

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Ephräm der Syrer, 18. Hymne über den Glauben; vgl. François Graffin, XVIe centenaire de Saint Ephrem (373-1973): Parole de L'Orient 4 (1975), 119. 27

Eine Dichtung des hl. Ephräm „Niemand hat je gesehen inmitten des Meeres irrend, allein, ohne Steuermann ein Boot, das, sich selbst steuernd, dahinfährt. Wie also jedes Boot einen Steuermann braucht, so braucht die Seele Freiheit, das Geschöpf einen Schöpfer, die Kirche einen Erlöser, der Altar den Heiligen Geist."7 Ein schwer zugängliches Erbe Es ist nicht leicht, ohne weiteres an syrisches Schrifttum heranzukommen und einen Zugang zu den Schätzen der syrischen Literatur zu finden. Das syrische Schrifttum, das seine Glanzzeit vom vierten bis siebten Jahrhundert erlebte, das dann im 12. und 13. Jahrhundert eine Renaissance erfuhr, ist noch zu wenig in gedruckten Ausgaben zugänglich. Nur wenige Fachleute, die Einblick in die Handschriften haben, sind mit ihm wirklich vertraut.

Öffnung zur weiten Welt - Missionarischer Schwung China In Hsi-an-fu, der alten Hauptstadt Chinas, bevor Peking es wurde, hat man ein Denkmal entdeckt, auf dem in chinesischer und syrischer Sprache über die Ankunft ostsyrischer Missionare um das Jahr 635 berichtet wird. Solche Missionare reisten mit den syrischen Händlern in den Gebieten Persiens, der heutigen Türkei, bis nach Indien und China. Sie gründeten christliche Gemeinden

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Ephräm der Syrer, Contra haereses 5,20; vgl. F. Graffin (wie Anm. 4), 104.

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entlang der Handelsstraßen, so auch auf der Route der Seidenstraße. Nach dem Zeugnis der Stele von Hsi-an-fu, die 781 errichtet wurde, um an die mehr als zwei Jahrhunderte zurückliegende Ankunft von Missionaren auf chinesischem Boden zu erinnern, hieß der Anführer der Gruppe Alopen. Er wurde freundlich von Kaiser T'ai Tsang (627-650) aufgenommen. Der Herrscher erließ 639 ein Edikt zugunsten der Christen. Es erlaubte ihnen Kirchen und Schulen zu bauen. Die letzten Spuren von chinesischen Christengemeinden, die Beziehungen mit der ostsyrischen Kirche, den Assyrern, pflegten, lassen sich im 16. Jahrhundert ausmachen. Die Kirche in Indien In Südindien zählen die Gemeinden der Syro-Malabaren und Syro-Malankaren mehr als vier Millionen Gläubige. Sie leben entlang der Malabar-Küste am südwestlichen Ende des indischen Subkontinents. Diese syrischen Christen Indiens nennen sich auch „Thomas-Christen". Nach einer sehr alten Überlieferung soll es Thomas, einer der zwölf Apostel, gewesen sein, der ihnen das Evangelium verkündigt hat. Man weiß mit Sicherheit, daß nach 345 diese „Thomas-Christen" mit der syrischen Kirche Kontakt hatten. Sie feierten ihre Liturgie in syrischer Sprache. Aussprache und Schreibweise entsprechen der in Mesopotamien verbreiteten Variante des Syrischen. Man hat sogar Hinweise, daß bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Christen an der Malabar-Küste so viel Syrisch konnten, daß sie aktiv die Liturgie mitfeiern konnten. Enge Bindungen zu den Kopten In der Nähe von Kairo, im Tal Natrun, kann man ein Kloster besichtigen, das sich „Dair al-Suriyan - Kloster der Syrer" nennt. Es wurde um die Mitte des neunten Jahrhunderts von syrisch-orthodoxen Mönchen besiedelt. Dies ist nur eines von vielen Zeugnissen für die festen Bande, die die Koptische Kirche Ägyptens mit der Syrisch-Orthodoxen Kirche verbinden. Die wechselseitigen Beziehungen wurden durch die Jahrhunderte auf 29

verschiedene Weise gepflegt, etwa durch den Austausch von Botschaften und Besuche der Syrisch-Orthodoxen Patriarchen in Ägypten. Die Oberhäupter der beiden Kirchen werden in der Liturgie gegenseitig erwähnt. Syrer und Araber Nach der Eroberung von Damaskus durch die Araber im Jahre 635, suchten sich diese syrisch-orthodoxe und griechische Sekretäre, die sie in der Verwaltung der neueroberten Gebiete unterstützten. Eine ähnliche Rolle haben vom achten bis zehnten Jahrhundert ostsyrische Christen in Bagdad gespielt. Auch waren die syrischen Ärzte, die in Gondisapor ausgebildet worden waren, wegen ihres Könnens hochgeschätzt. Am Hof der Kalifen und Vesire in Bagdad standen sie in hoher Gunst. Jahrhunderte später haben die Maroniten einen bedeutenden Beitrag zur sogenannten „arabischen Renaissance" geleistet. Im 19. Jahrhundert gründeten sie die ersten arabischsprachigen Zeitschriften und Tageszeitungen in Beirut. Sie haben wesentlich zur Entwicklung des Arabischen zu einer modernen Sprache beigetragen. So haben also die Syrer des Nahen Ostens im Laufe der Jahrhunderte sich eine tiefe Kenntnis der arabischen Kultur angeeignet. Im Schoß dieser Kultur waren sie selbst weitgehend zuhause. Sie haben sie mitgestaltet und gefördert. Das Maronitische Kolleg in Rom Vom 16. Jahrhundert verstärken sich die Kontakte nach Europa. Maroniten kommen in den Westen als Professoren für Arabisch oder Syrisch. Sie verfassen Lehr- und Wörterbücher. Ihre Wirksamkeit erstreckt sich über ganz Europa. Doch vor allem begegnen wir ihnen in Italien und Frankreich. In Italien ist ihr Hauptstützpunkt das Maronitische Kolleg, das Papst Gregor XIII. im Jahre 1584 in Rom gegründet hat. In Paris waren Maroniten Inhaber der Lehrstühle für Arabisch und Syrisch am Collège Royal.

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Die Syrer heute Die augenblickliche Lage Im Nahen Osten beobachten wir eine starke Abwanderung von syrischen Christen aus der Osttürkei und dem Irak. Die Auswanderer versuchen, sich im Libanon oder in Syrien niederzulassen; viele von ihnen gehen aber auch in den Westen. In Indien haben die verschiedenen syrischen Kirchen an der Malabar-Küste ihre eigene hierarchische Ordnung ausgebaut. Doch bleiben sie weiterhin in Gemeinschaft mit ihren Mutterkirchen, der Kirche des Ostens (Malabaren des ostsyrischen Ritus) und dem Patriarchat von Antiochien (Malankaren des westsyrischen Ritus). Die katholischen Malabaren und Malankaren stehen in voller Gemeinschaft mit der Kirche von Rom. Sie feiern ihre Liturgie heute in der Landessprache Malayalam. Es ist schön, ein Syrer zu sein! Wo immer du als Syrer lebst - in Europa, in Nordamerika, im Nahen Osten oder in Indien -, du gehörst zu einem Kulturvolk mit einem reichen Erbe. Lerne deine Sprache! Lerne das Syrische! Du kannst es singend lernen, indem du die Gesänge deiner Kirche mitsingst. Studiere die Geschichte deines Volkes und seiner Kirche! Liebe die Bibel und erkenne in der Natur die Spuren Gottes, wie die großen syrischen Schriftsteller und Heiligen die Bibel geliebt und die Gegenwart Gottes in allen Dingen erkannt haben. Als syrischer Christ sei ein lebendiges Glied deiner Kirche und wirke hinein in deine Umwelt, wie es zu allen Zeiten Art der Syrer war.

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ZWEITER TEIL Die Syrer in Geschichte und Gegenwart von J.-M. Fiey OP Die Syrer - wer sind sie? Lange vor Christi Geburt lebte im Norden des heutigen Syrien ein semitisches Volk, dessen Angehörige Aramäer hießen. Ein Zentrum der aramäischen Kultur war die Stadt Edessa, heute Urfa im Südosten der Türkei. Neunhundert Jahre vor Christus wurde das Reich der Aramäer vom König von Assyrien, Tiglath Phalassar III., besiegt. Große Teile der Bevölkerung wurden deportiert. Dadurch breitete sich die aramäische Sprache aus. Sie wurde zur Umgangssprache im alten Orient, dann sogar die offizielle Sprache des persischen Achämeniden-Reiches. So blieb es, bis Alexander der Große, der Herrscher aus dem griechischen Mazedonien, um 330 vor Christi Geburt das Perserreich eroberte. In der Folgezeit verzweigte sich die aramäische Sprache in zahlreiche Lokaldialekte, die dann sämtlich als syrisch bezeichnet wurden, weil sie die in Syrien gesprochene Sprache waren. Man unterschied den ostsyrischen Dialekt, der auf „a" vokalisiert wird. Es ist dies heute die Sprache der katholischen Chaldäer und der mit Rom nicht unierten Ostsyrer, bisweilen auch Assyrer genannt, nach dem gleichnamigen Königreich, das ihre Heimat war. Demgegenüber wird der westsyrische Dialekt auf „o" vokalisiert und kennt keine Verdoppelung von Konsonanten. Zum Beispiel wird das Wort „qaddisch" (heilig) im Westsyrischen zu „qadischo". Das Westsyrische ist die Sprache, die heute noch in der Liturgie der Maroniten zu hören ist. In den Kirchen und Klöstern der orthodoxen und katholischen Westsyrer ist sie die reguläre Sprache des Gottesdienstes. Die Trennungslinie zwischen West- und Ostsyrern wird in etwa durch den Lauf des Euphrat bestimmt. Bald nach den Ereignissen von Tod und Auferstehung Jesu breitete sich das Christentum aus, angefangen von Jerusalem bis hin zu der 32

damals weltbekannten Stadt Antiochien am Orontes. Heute liegt dort die kleine türkische Provinzstadt Antakya, 22 km von der Mittelmeerküste entfernt. Rasch drang der christliche Glaube, über Edessa, weiter nach Norden vor, bis nach Armenien, auch nach Osten und Südosten, also in jene Gebiete, die heute im Irak liegen, ja selbst darüber hinaus. Antiochien - „Stadt Gottes" Antiochien, die Große, Residenz des obersten Amtsträgers im Osten des Römischen Reiches, seit dem Sieg der Römer im Jahre 64 vor Christus Hauptstadt der Provinz Groß-Syrien, wurde auch der Ort, wo der ranghöchste Bischof für die orientalischen Gebiete, den man später Patriarch nennen wird, seinen Sitz hatte. Der Bischofssitz von Antiochien wurde vom heiligen Petrus selbst begründet, möglicherweise schon in den Jahren 36/38, ehe der Apostel sich nach Rom begab. Was Paulus betrifft, ist sicher, daß er sich mehrere Male in Antiochien aufgehalten hat. Er machte die Stadt zum Ausgangspunkt seiner ersten Missionsreisen zur Bekehrung der Heiden. Es war auch in Antiochien, wo die Anhänger des Christentums zum ersten Mal „Christen" genannt wurden. Der berühmteste unter den bischöflichen Nachfolgern des heiligen Petrus auf dem Stuhl von Antiochien ist der heilige Ignatius, dessen Briefe uns erhalten sind. Orientalische Kirchenschriftsteller nennen ihn „Theophoros-Gottesträger", beziehungsweise „nurono". Ignatius starb als Märtyrer in Rom, zermalen von den Zähnen der wilden Tiere gegen Ende des Jahres 107. Ihm zur Ehre tragen alle orthodoxen und katholischen Patriarchen von Antiochien den Beinamen Ignatius. Der maronitische Patriarch fügt seinem Eigennamen dagegen den Namen des Apostels Petrus (Butros) hinzu. Unter den bekannteren Bischöfen von Antiochien verdient der heilige Babylas genannt zu werden. Er war Zeitgenosse des möglicherweise ersten christlichen Kaisers, Philipps des Arabers. 33

Der Bischof verbot diesem Herrscher am Osterfest 244 in Antiochien die Kirche zu betreten, es sei denn, er habe zuvor für den Mord an seinem Vorgänger gehörig Buße getan. Babylas starb wie Ignatius als Märtyrer im Jahre 250. Den Verfolgungen innerhalb des Römischen Reiches fügten von außen kommende Kriege neue Prüfungen für die Christen hinzu. 258 und 260 eroberte der Perserkönig Schapur I. Antiochien und deportierte einen Teil der Bevölkerung, darunter Bischof Demetrianus. Die Umsiedlung ermöglichte es dem Sieger, in Persien eine Ruinenstadt wiederaufzubauen, die sich fortan „das größere Antiochien von Schapur", Gondischapur, nannte. Demetrianus wurde der erste Bischof dieser Stadt. In der Geschichte der persischen Kirche ist oft zu beobachten, daß die Gründung oder die Verstärkung von Christengemeinden zusammenhängt mit Deportationen von Christen aus dem unter römischer Herrschaft stehenden Syrien. Um die gleiche Zeit brach auch im Römischen Reich die Christenverfolgung wieder aus und Antiochien sah neue Märtyrer, jene Frauen und Mädchen etwa, die unter Kaiser Maximinus Daja (307-314) sich nicht scheuten, in den Tod zu gehen, um ihre Reinheit zu bewahren. Die letzte Verfolgung im Ostteil des Reiches war jene unter Licinius in den Jahren 321-323. Mittlerweile, im Jahre 313, hatte der Kaiser des Westreiches, Konstantin, das Christentum als im Imperium Romanum anerkannte Religion zugelassen. Der Friede, den er durch das Edikt von Mailand der Kirche zugestanden hatte, wurde auch auf den Ostteil des Reiches ausgedehnt, nachdem Konstantin Licinius 324 besiegt hatte. Konstantin war von da an Alleinherrscher. Nachdem er zu Anfang seiner Herrschaft zunächst in Trier an der Mosel (Augusta Trevirorum) residiert hatte, baute er Byzanz als neue Hauptstadt aus. Die Stadt am Bosporus nannte sich fortan Konstantinopel (heute Istanbul).

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Konzilien Im Jahre 325 konnte in Nikaia (Nizäa) das erste Ökumenische Konzil in der Kirchengeschichte zusammentreten. Im sechsten Kanon seiner Beschlüsse erkannte dieses Konzil, das im Orient als Versammlung der 318 Väter bekannt ist, die Oberaufsicht des Stuhls von Alexandrien über die Kirche Ägyptens an. Gleiches geschah im Hinblick auf „die alten Rechte" von Antiochien und der anderen alten Eparchien. Die Oberhoheit von Antiochien, sein „Primat", erstreckte sich bis zu den Grenzen des römischen Verwaltungsgebiets „Oriens". Das so bezeichnete Territorium umfaßte zur damaligen Zeit acht Provinzen: Palästina, Phönizien, Syrien, Arabien (Bosra), Mesopotamien (Edessa), Zilizien (Tarsus) und Zypern. In dieser Region bestanden etwa 100 Bistümer. Welche Völkerschaften lebten in diesen Provinzen? Um diese Zeit kann man noch nicht von Nationalitäten sprechen, höchstens von Sprachgruppen. Die Bevölkerung in den Städten sprach hauptsächlich griechisch, auf dem Land sprach man syrisch. Selbst in den Vororten von Antiochien war das Syrische die Umgangssprache. Im Jahre 381 bestätigte das Konzil von Konstantinopel die Vorrechte des Stuhls von Antiochien. Wenig später wird man vom „Patriarchat von Antiochien" sprechen. Aufgrund von Rivalitäten zwischen verschiedenen Bischofssitzen und ihren Inhabern, auch wegen mangelnder Genauigkeit beim Gebrauch theologischer Begriffe in den beiden Sprachen, der griechischen und der syrischen, ergaben sich leider im Laufe des vierten Jahrhunderts immer häufiger Streitigkeiten, aus denen sich Schismen entwickelten. Diese Zwistigkeiten waren wie ein Vorspiel zu der bedauerlichen Kirchenspaltung, die im fünften Jahrhundert ausbrach.

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Nestorius und das Konzil von Ephesus (431) Nestorius stammte aus Germanicia, einem Ort nördlich von Aleppo, heute Marasch in der Türkei. Gegen Ende des vierten Jahrhunderts wurde er geboren. Er war als redegewandter Priestermönch in Antiochien wohlbekannt, als er 428 zum Patriarchen von Konstantinopel gewählt wurde. Nestorius begann schon im folgenden Jahr eine (an sich rechtgläubige) Lehre über die Unterscheidung der beiden Naturen in Christus vorzutragen. Er betonte dabei aber mit solchem Nachdruck die Unterscheidung der beiden Naturen, daß man sie als eine Trennung in zwei Personen verstehen konnte, so als ob es zwei „Christusse" gäbe. Auf dieser scharfen Trennung insistierend, lehnte es Nestorius ab, Maria den Titel „Theotokos - Gottesgebärerin" zuzugestehen. Er nannte sie lieber „die Mutter Jesu", der, als Mensch geboren, jedoch wahrer Gott ist. 431 versammelte sich ein Ökumenisches Konzil in Ephesus. Während der ersten Beratungsphase wurde Nestorius von seinem Freund Johannes von Antiochien unterstützt. Doch erwirkte der Patriarch von Alexandrien, der heilige Cyrill, bald die Verurteilung und Deportation des Patriarchen von Konstantinopel. Nestorius verbrachte sein Exil in einer Oase in Südägypten, wo er auch starb. Diese Ereignisse hatten schwerwiegende Folgen für die weit entfernte Kirche im Perserreich. Davon wird noch zu sprechen sein. Eutyches und das Konzil von Chalkedon (451) In Antiochien selbst gingen die Diskussionen nach dem Konzil von Ephesus weiter. Sie wurden vor allem angeheizt von dem Vorsteher eines Klosters in Konstantinopel, einem Eiferer, der aber hinsichtlich seiner theologischen Bildung eher beschränkt war. Sein Name: Eutyches. Dieser Mönch machte sich zum wilden Verteidiger des Marientitels „Gottesgebärerin" (Theotokos), wobei er die göttliche Natur Christi auf Kosten seiner menschlichen Natur einseitig betonte. Von daher der Name seiner Anhänger: „Monophysiten" (d. h. Bekenner der einen Natur, und zwar der 36

göttlichen). Nachdem Flavian, der Patriarch von Konstantinopel, Eutyches 448 verurteilt hatte, wurde dieser aus seinem Konvent entfernt. Ein weiteres Konzil wurde vom Kaiser nach Ephesus einberufen. Im Verlauf der Beratungen hinderten die Parteigänger des Eutyches die Abgesandten von Papst Leo daran, Schriftstücke zu verlesen, die Eutyches verurteilten; sie verlangten vielmehr seine Rehabilitation. Als eine neue Kaiserin, Pulcheria, 450 an die Macht kam, entzog sie Eutyches den kaiserlichen Schutz. Dieser wurde zunächst in ein Kloster in der Umgebung von Konstantinopel verbracht, dann in einem entlegeneren Konvent interniert. Das Konzil von Chalkedon im Jahre 451 bereinigte die Streitfrage. Selbst die ägyptischen Bischöfe gaben ihre Zustimmung zur Verurteilung des Anführers der Häresie, weigerten sich aber den dogmatischen Brief, den Papst Leo aus Rom an Patriarch Flavian von Konstantinopel in der Sache geschrieben hatte, (den „tomos Leonis"), zu unterzeichnen. Auf dem Stuhl von Antiochien folgten mehrere Patriarchen aufeinander, von denen die einen „Melkiten", d. h. Anhänger des Kaisers und des Konzils von Chalkedon, waren, die anderen sogenannte „Monophysiten". Obwohl sie Eutyches verurteilten, lehnten sie es dennoch ab, das Dogma von Chalkedon anzuerkennen. Patriarch Severos von Antiochien Eine der bedeutendsten Theologenpersönlichkeiten jener Zeit war Patriarch Severos, der sich auf die Seite der Gegner von Chalkedon stellte. Wer war Severos? Nach dem Studium der Literatur in Alexandrien und des Rechts an der damals berühmten Schule von Beirut war er im großen Kloster des heiligen Leontius in Tripolis (heute ist vom Kloster nichts mehr erhalten) getauft worden. Als Mönch lebte er in Palästina, nahe bei Mayyuma im Gebiet von Gaza. 512 wurde er zum Patriarchen von Antiochien gewählt. Angesichts des Widerstands der Melkiten mußte er 518 nach 37

Ägypten fliehen. Der Regierungsantritt des Kaisers Justinian im Jahre 527 und der Einfluß der Kaiserin Theodora gestatteten es Mor Severos, sich in Konstantinopel niederzulassen. Aber eine neue Wende in der Politik, eingeleitet durch den Besuch des Papstes Agapitos in der Hauptstadt, führte dazu, daß im Jahre 536 die Verurteilungen des Severos erneuert wurden und dieser sich abermals ins ägyptische Exil begeben mußte. Dort starb er 538. Zahlreich sind die in griechischer Sprache verfaßten Werke des Patriarchen. Es handelt sich dabei sowohl um von ihm als Bischof gehaltene Homilien als auch um polemische Traktate. Die meisten davon, auch seine Briefe, sind in syrischer Übersetzung erhalten. Jakob Baradai (Mor Yaqub Burd ono) Die „severianische" Kirche von Antiochien hätte, verfolgt von den Streitern für das Konzil von Chalkedon, die die kaiserliche Autorität auf ihrer Seite hatten, keine Überlebenschance gehabt, hätte sich da nicht ein unerschrockener Kämpfer für ihre Sache erhoben: Jakob, der um 543 zum Bischof von Edessa, von Syrien und von Asien ernannt worden war. Es soll dies auf Ersuchen des arabischen Königs Al-Harith ibn Djabala und der Kaiserin Theodora geschehen sein. 35 Jahre hindurch bereiste Jakob unermüdlich die Regionen des Orients bis Armenien im Norden und Persien im Osten, nicht zu vergessen Zypern und Rhodos, oft verkleidet, um der kaiserlichen Polizei zu entwischen (von daher sein Zuname „Baradai - in Lumpen"). Seine Absicht war es, den Widerstand der Gegner des Konzils von Chalkedon zu organisieren und ihnen eine kirchliche Struktur zu geben. Jakob Baradai soll mehrere tausend Priester und Diakone geweiht haben, dazu 27 Bischöfe. Im Jahre 550 ließ er, im Einverständnis mit dem Patriarchen Theodosios von Alexandrien, Paul von Beit Ukama als Patriarchen von Antiochien einsetzen. Doch bald schon entzweiten sich die beiden Kirchenmänner. Jakob starb 578 in Ägypten, im Romanos-Kloster. Paul war bereits 575 gestorben. Daraufhin ließ sich Petrus von Zilizien, der Kandidat von Jakob Baradai, zum Patriarchen von Antiochien weihen. Mor Yaqub wird in der Syrisch-Orthodoxen Kirche als Heiliger verehrt. 38

Als Jakob Baradai starb, war das Patriarchat von Antiochien also in zwei Parteien gespalten. Auf der einen Seite die Anhänger Baradais, Gegner des Konzils von Chalkedon, denen die Griechen den Spitznamen „Jakobiten" gaben, auf der anderen Seite die Anhänger des Konzils von Chalkedon, die „Chalkedonenser", die dem Kaiser folgten. Von daher ihr syrischer Beiname „Melkiten die Kaiserlichen". Die Maronitische Kirche Um das Jahr 400 lebte in der Nähe der Stadt Apamea (das heutige Qala'at al Modiq in Syrien) ein frommer Mönch namens Maron. Seine Tugenden und seine Wunder führten ihm Schüler zu, so daß ein großes Kloster entstand. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts wurden 350 Mönche dieses Klosters von den „Monophysiten" ermordet und das Kloster selbst sowie weitere ihm unterstellte Konvente niedergebrannt. Das Kloster des heiligen Maron erhob sich jedoch wieder aus den Ruinen und wurde neu besiedelt. Es hatte bis um die Mitte des neunten Jahrhunderts Bestand. Wahrscheinlich geschah es Ende des achten Jahrhunderts anläßlich einer Vakanz des Stuhls von Antiochien, daß die Mönche des Klosters Mar Maron und die im Umkreis lebende Bevölkerung, die sich mittlerweile als Maroniten bezeichnete, einen eigenen Patriarchen aufstellten und dazu übergingen, ihre eigenen Bischöfe zu weihen. Dieser erste „maronitische" Patriarch war der heilige Johannes Maron. Seine Nachfolger tragen auch heute noch den Titel: „Maronitischer Patriarch von Antiochien". Dem Oberhaupt der Maronitischen Kirche war es nicht immer möglich, in der Stadt Antiochien zu residieren. Die Umstände und die religiösen und politischen Verhältnisse zwangen den Patriarchen oft, sich an anderen Orten aufzuhalten. Schließlich wurde der Sitz des Patriarchats in den Libanon verlegt, wohin schon seit dem siebten Jahrhundert Manoniten immer wieder ausgewandert waren. Diese Maßnahme erfolgte in der Amtszeit von Johannes Maron II., im Jahre 939. Im Libanon siedelten die Maroniten an verschiedenen Orten: Yanuh, Mayfuq, Kafarhai, Qannubin usw. 39

Die Assyrische Kirche des Ostens Östlich des Territoriums der Kirche von Antiochien, grob gesprochen östlich des Euphrats, hatte um das Jahr 250 vor Christus das Reich der Parther das der persischen Achämeniden abgelöst. Die Parther waren folglich zu der Zeit an der Macht, als sich das Christentum in jener Region auszubreiten begann. Ihre Hauptstadt war Ktesiphon am Tigris, heute im Irak gelegen, 35 km südlich von Bagdad. Es ist durchaus möglich, daß der Apostel Thomas auf seinem Weg nach Indien dieses Gebiet durchzogen und bereits kleine Christengemeinschaften ins Leben gerufen hat. Doch die Stiftung der Kirche des Ostens wird herkömmlicherweise dem Apostelschüler Mar Mari Zugeschrieben, einem Schüler des Apostels Thaddäus (Addai). Dieser hatte das Evangelium in Edessa verkündigt. Mari errichtete die erste kleine Kirche gegen Ende des ersten oder zu Beginn des zweiten Jahrhunderts im Süden von Ktesiphon, an einem Ort, der Kokhe (Hütten) hieß. Daraus entwickelte sich später das offizielle kirchliche Zentrum und der Amtssitz des Katholikos-Patriarchen der „Kirche des Ostens". Anders als die Kirche innerhalb der Grenzen des Römischen Reiches hatte die Kirche des Ostens in ihrer Anfangsphase unter Verfolgungen nicht zu leiden. Sie konnte sich ungehindert entfalten. Doch im Jahre 226 folgten auf die Herrschaft der arsakidischen Parther die sassanidischen Perser (die Chosroes, al-Akasira). Unter dem Einfluß eines Hohenpriesters namens Kartir, führten die Sassaniden 286 eine offizielle Staatsreligion ein. Es handelte sich um die Zoroastrische Religion, d. h. den Glauben an zwei gleiche Prinzipien, Ahura Mazdah, Hochgott des Guten, und Ahiram, Gott des Bösen. Die Staatsmacht war entschlossen, diese Religion allen Bürgern aufzuzwingen. Aus diesem Grund wurden die Christen verfolgt. Die blutigste Verfolgung fand unter König Schapur II. statt. Sie dauerte 40 Jahre (339-379). Eine ihrer Ursachen war die Tatsache, daß man die Christen verdächtigte, Parteigänger des verfeindeten Römischen Kaisers zu sein, der sich zu diesem Zeitpunkt offiziell zum Christentum bekannte. 40

Diese Verfolgung brachte Tausenden von Christen den Tod; unter den Bluzeugen waren drei Katholikoi, zahlreiche Bischöfe, Kleriker, gottgeweihte Jungfrauen und Laien. Die Namen der Märtyrerbischöfe und ihrer Bischofssitze beweisen, daß die Kirche im Land der Perser sich schon um diese Zeit über einen großen Teil des heutigen Iran ausgebreitet hatte. Sie reichte bis Gilan, am Südufer des Kaspischen Meeres. Mehrere Diözesen im Gebiet des heutigen Iran sind gegründet worden - wir erwähnten es bereits - von Christen aus dem Römischen Reich, die die Perser im Verlauf ihrer Einfälle ins Imperium Romanum gefangengenommen hatten. Als die Lage sich beruhigte, war es der Kirche des Ostens möglich, wieder Verbindung mit der Kirche von Antiochien aufzunehmen. Nachträglich nahm sie im Jahre 410 alle zwischenzeitlich gefaßten Konzilsbeschlüsse an, namentlich die Dekrete des Konzils von Nizäa (325) und jene von Konstantinopel (381). Bedauerlicherweise unterbrach eine neuerliche Verfolgung die wiederhergestellten Verbindungen. Die persische Kirche war auf den Konzilien von Ephesus (431) und Chalkedon (451), die für die Lehre von der Person Christi von so großer Bedeutung waren, nicht vertreten. Als man wieder aufatmen konnte, fand im Jahre 484 eine Synode in Beth Laphat statt. Auf ihr setzte sich die Kirche im Perserreich von der Kirche im byzantinischen Reich ab. Sie erklärte, ohne zustimmend oder ablehnend zu den Konzilien von Ephesus und Chalkedon Stellung zu nehmen, sie halte sich an die Theologie von Theodor von Mopsuestia. Von Nestorius, dem Schüler Theodors, war zunächst noch nicht die Rede. Gab es politische Gründe für diese Entscheidung? Traf man sie, um den persischen Herrschern sagen zu können, die Gläubigen ihres Reiches hätten, selbst in den grundlegenden Glaubenslehren, nichts gemein mit den Römern, deren Reich offiziell christlich geworden war? Ein solches Taktieren scheint psychologisch sehr plausibel zu sein. Die Konzilsakten verraten freilich über die Beweggründe nichts. Immerhin fällt auf, daß der ostsyrische Bischof, der auf die Anahme der theologischen Positionen drängte, die man später als „nestorianisch" kennzeichnen wird, Barsaum war, der Bischof von 41

Nisibis im persisch-byzantinischen Grenzgebiet. Dort konnten die christlichen Syrer sehr leicht beschuldigt werden, sie konspirierten mit dem Feind. Es ist eine bedauerliche Tatsache, daß die Gläubigen der Kirche des Ostens in der Folgezeit in ihrer Glaubenskraft erheblich geschwächt wurden durch dauernde theologische Dispute, von denen sie nichts verstanden. Nach regelrechten Bruderkämpfen, bisweilen bis aufs Blut, schlössen sich die Gegner der in Beth Laphat festgelegten neuen Richtung dem Patriarchat von Antiochien an. In den Jahren 628/29 entstanden im äußersten Osten des oströmischen Reiches sechs neue Diözesen. Die Stadt Tagrit, Sitz der byzantinischen Verwaltung für die eroberten Provinzen im Norden des heutigen Irak, wurde Amtssitz eines Groß-Metropoliten, später Maphrian genannt. Er war zuständig für die Westsyrer im Gebiet der Persischen Kirche. Es liegt auf der Hand, daß die Kämpfe der Christen untereinander den Glaubenssinn des Volkes schwinden ließen. Dies erklärt zum großen Teil die Hilflosigkeit der christlichen Bevölkerung vor der Herausforderung durch den Islam. Das Mönchtum Die monastische Bewegung in Syrien ist durchaus jener vergleichbar, die durch den heiligen Antonius und den heiligen Pachomius in Ägypten ausgelöst wurde. Sie entstand aber allem Anschein nach unabhängig davon. In Mesopotamien und Syrien gab es, bevor ein christliches Mönchtum im eigentlichen Sinn sich ausbildete, das, was man „die Söhne" und „die Töchter des Bundes" nannte. Die so Bezeichneten waren junge Männer und junge Frauen, die dem Herrn ihre Jungfräulichkeit gelobt hatten. Sie hatten das als einzelne getan, ohne sich in Gemeinschaften zu organisieren. Gegen Ende des vierten Jahrhunderts treffen wir aber in Mesopotamien auf Aszeten, von denen eine ganze Reihe sich auf Mar Awgin berufen. Ihre Art zu leben unterscheidet sich aber von

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derjenigen der Schüler des heiligen Antonius insofern, als die ägyptischen Mönche Anachoreten oder Einsiedler waren. Im syrischen Raum finden wir dagegen eher Zönobiten, etwa nach Art der Schüler des heiligen Pachomius. Man erwartet von denen, die sich für das Mönchtum entscheiden, daß sie zunächst in einem Kloster mehrere Jahre hindurch das Gemeinschaftsleben praktizieren, Erst dann können sie die Erlaubnis erhalten, sich in eine Zelle zurückzuziehen, in immer größerer Entfernung vom Kloster. Zu ihrem Mutterkloster kehren sie nur zurück, um am Sonntag dort den Gottesdienst mitzufeiern, oder auch noch seltener. Den höchsten Rang nehmen die Reklusen ein. Sie leben eingemauert in einer Zelle, wohin man ihnen von Zeit zu Zeit etwas zu essen bringt, etwa einmal pro Woche. In Syrien findet man die besondere Lebensform der Styliten. Die „Säulensteher" leben auf der Plattform einer Säule. Die beiden berühmtesten Vertreter dieser Gruppe von Aszeten sind Simeon der Ältere und Simeon der Jüngere; der erste lebte im sechsten, der andere im siebten Jahrhundert. Die ostsyrische Kirche betrachtete diese Lebensweise als übertrieben. Sie verbot den Stylitismus genauso wie sie Einsiedeleien von Frauen in zu großer Entfernung von einem Kloster nicht duldete. Klöster entstanden überall, weit in den heutigen Iran hinein. Es gab sogar welche in China. Die Mönche verfaßten bis in die Gegenwart hochgeschätze spirituelle Schriften. Sie traten bisweilen auch als ausgesprochen gewalttätige Streiter für ihre religiösen Überzeugungen in Erscheinung, die sie mit Feuereifer propagierten. Viele Mönche und Nonnen werden von den syrischen Kirchen als Heilige verehrt; nicht wenige von ihnen starben als Märtyrer.

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Ausbreitung der syrischen Kirchen vor dem Islam Sowohl die Predigt der Mönche als auch die werbenden Kontakte syrischer Händler hatten den christlichen Glauben in sämtlichen Gegenden verbreitet, die im Südosten der heutigen Türkei und im Irak liegen, desweiteren im ganzen Iran und an der arabischen Golfküste, die von den Persern den Arabern vom Reich Lakhmides von Hira anvertraut worden war. Entlang der Seidenstraße war das Christentum bis nach China gelangt. Indien hatte nach 345 einen ostsyrischen Bischof erhalten, um dem Mangel an eigenen Hierarchen bei den dortigen „Thomas-Christen" abzuhelfen. Darüberhinaus hatten Gruppen von Christen, die aus Syrien deportiert worden waren, sich der persischen Ortskirche angeschlossen. Das Beispiel von Gondischapur wurde bereits erwähnt. Dort gab es im sechsten Jahrhundert eine berühmte medizinische Schule, die christliche Ärzte für die abbassidischen Kalifen ausbildete. Von den nach Zentralasien deportierten Westsyrern waren einige Gruppen dem westsyrischen Patriarchensitz von Antiochien treu geblieben. Sie gründeten Bistümer, zum Beispiel in Segestan (Sarang) und in Khorasan. Neunhundert westsyrische Kaufleute, die unter Führung eines übergelaufenen persischen Generals namens Schahbaraz, der sich mit dem byzantinischen Kaiser Heraklius verbündet hatte, nach Persien gekommen waren, stifteten 627 die Diözese von Herat im heutigen Afghanistan und eine weitere in Gurgan (Hyrkanien). Literatur der christlichen Syrer vor der Zeit des Islam Es ist unmöglich, alle uns bekannten Schriftsteller zu nennen. Vor den Spaltungen des fünften Jahrhunderts (431/451/485) müssen aus der Schar der berühmteren Autoren unbedingt Aphraat, der persische Weise (f346) und der heilige Ephram (1*373), Kirchenlehrer mit dem Beinamen „Zither des Heiligen Geistes", erwähnt werden.

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Nach der Abspaltung der Ostsyrer verdient unter deren geistlichen Schriftstellern der gelehrte Narsai (f503) besondere Erwähnung, ferner der Erneuerer und Gesetzgeber des Mönchtums, Abraham der Große (1*588). Die Westsyrer haben unter vielen anderen Jakob von Sarug (f521), Philoxenos von Mabbug (1"523) und den Patriarchen Severos (f538) hervorgebracht, ferner die Geschichtsschreiber Jeschu der Stylit (f515), Zacharias der Rhetor (6. Jh.) und besonders Johannes aus Asien (oder von Ephesus), der 587 gestorben ist. Der Islam Die islamische Eroberung vereinigte unter einer Oberhoheit das ehemalige Perserreich, dessen Königsstädte 635 eingenommen wurden, und den byzantinischen Teil Syriens bis Antiochien, der im folgenden Jahr 636 besetzt wurde. Grundsätzlich überließen die Eroberer den verschiedenen Christengemeinden weiterhin die eigenen Kirchengebäude. Die Syrer, die nunmehr im „Dar al-Islam" lebten, mußten, wie sie es schon im Perserreich getan hatten, eine Schützsteuer, Kopfgeld genannt, zahlen. Abgesehen von den Übergriffen, wie sie bei jeder Eroberung vorkommen, waren im Herrschaftsgebiet der Kalifen nur wenige Massaker zu beklagen. Sie hatten oft ihren Grund in den unsicheren örtlichen Verhältnissen. Sie kamen vor, wenn die Zentralgewalt nicht wirksam präsent war. Zu Ausschreitungen gegen Christen kam es auch wegen der angeblichen oder tatsächlichen Grausamkeiten, die man den Byzantinern, später den Kreuzfahrern, anlastete. Es trifft zu, daß die neue Herren fortan das, was man „die Bedingungen Omars" nennt, den Christen auferlegt haben: das Tragen eines Erkennungszeichens auf der Kleidung (wie die Sassaniden es vordem von den Arabern verlangt hatten), das Verbot, das Simandron zu schlagen, das Verbot, Kreuze in der Öffentlichkeit zu errichten oder ein Pferd zu besteigen. Doch wurden diese Gesetze je nach Zeit, Ort und Umständen mit unterschiedlicher Strenge durchgeführt. Sie konnten allerdings 45

jeder Zeit als Druckmittel benutzt werden, wenn beispielsweise ein geldgieriger Gouverneur drohte, sie anzuwenden, um von den Christen Geld zu erpressen. Die Vereinigung weiter Gebiete des asiatischen Kontinents unter dem Banner des Islam begünstigte den Handel mit dem fernen China. So ist es eine erwiesene Tatsache, daß nach der Ankunft des Islam christliche Missionare, hauptsächlich Ostsyrer, das Evangelium bis zu den Mongolenstämmen brachten. Die Geschichte weiß sogar von türkischen Herrschern, die Christen geworden waren. Solche Bekehrungen gab es 644, 782/83 und sogar noch 1002. Metropolitansitze mit Suffraganbistümern wurden in Zentralasien gegründet, zum Beispiel in Samarkand und in Kaschgar. Das Goldene Zeitalter der Syrer Zur Zeit der Abbassidenherrschaft schufen die Syrer, die teils syrisch teils arabisch schrieben, eine beachtliche Literatur. Es waren die Syrer, die die philosophischen und wissenschaftlichen Werke der alten Griechen ins Arabische übersetzten. Die meisten dieser Werke hatten sie schon zuvor ins Syrische übersetzt. Die syrischen Ärzte genossen das höchste Ansehen bei den Kalifen und beim Volk, so sehr, daß ein Neider ein Pamphlet verfaßte mit dem Ziel, die hohe Meinung über die Christen ins Gegenteil zu verkehren und die Christen alle auf das Niveau ihrer untersten sozialen Schichten herabzuziehen. Es gab zwar in der Administration der Kalifen von Bagdad keine christlichen Minister oder Generäle. Aber viele zweisprachigen Syrer bekleideten als sogenannte „Kuttab" hohe Posten in der Verwaltung. Was die Schriftsteller angeht, sind unter ihnen vom siebten bis zum zehnten Jahrhundert die Ostsyrer zahlreicher vertreten als die Westsyrer. Das Siedlungsgebiet der letzeren war zwischen Arabern und Byzantinern umstritten und befand sich im Kriegszustand. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, alle großen und weniger bedeutenden Schriftsteller namentlich aufzuzählen, die in den Handbüchern der syrischen Literatur einen Platz gefunden haben. Unter ihnen sind Rechtsgelehrte, Autoren geistlicher Werke, 46

Sprachwissenschaftler, Historiker, Übersetzer usw. Die berühmtesten mögen der Mystiker Isaak von Ninive (7. Jh.), der Arzt und Übersetzer Husayn bar Ishaq ("¡"873) sowie der Universalgelehrte Gregor bar Hebraeus (f1286) sein, dessen Werke fast das ganze Wissen der damaligen Zeit enthalten, und das sowohl im weltlichen wie im kirchlichen Bereich. Die Kreuzzüge Eine schwierige Periode für die Syrer begann mit der Ankunft von Heeren ihrer Glaubensgenossen aus dem Westen in Syrien. Obwohl sich bereits eine syrisch-arabische Mischkultur herausgebildet hatte, läßt sich nicht übersehen, daß das Herz der Syrer sich dann doch denen zuneigte, die, obwohl sie aus einem fremden Kulturkreis kamen, doch den christlichen Glauben mit ihnen teilten. Es ist eine Tatsache, daß die Syrer im Gebiet des heutigen Irak, also außerhalb der von den Franken eroberten Gebiete, es als Katastrophe empfanden, als beispielsweise König Ludwig gefangengenommen oder Jerusalem von Saladin zurückerobert wurde. Vielleicht hatten sie den Traum, mit Hilfe der Fremden ihre Lage als „Beherrschte" zu wenden und selbst „Herrscher" zu werden. Die Syrer träumten in jener Zeit davon, christliche Könige zu bekommen. Das erklärt auch, weshalb sie, nach der Niederlage der Kreuzritter, ihre Hoffnung auf die Mongolen richteten. Unter mongolischer und osmanischer Herrschaft Als vorhin Bar Hebraeus genannt wurde, ist das Ende der Abbassidenherrschaft und die Eroberung von Bagdad durch die Mongolen im Jahre 1258 unerwähnt geblieben. Die Mongolen waren zu Beginn ihrer Herrschaft den Christen ausgesprochen günstig gesonnen. Mehrere ihrer Stämme, auch militärische Befehlshaber, bekannten sich zum Christentum. Die Frau von Hulagu, Dokuz Katun, war eine ostsyrische Christin. Im übrigen machte das Grundgesetz des Mongolischen Reiches, die „yasa" von Djingis Kan, keinen Unterschied zwischen den Religionen.

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In der Folgezeit gingen die Mongolen jedoch mehr und mehr zum Islam über. Die Islamisierung begann beim einfachen Volk (1295), dann bei den Adeligen und schließlich auch bei den Angehörigen der Herrscherfamilie. Vor allem die Wirren, die charakteristisch sind für die Regierungszeit des schwachen Kan Abu Sa'id, bewirkten in den Jahren 1333/35 den totalen Zusammenbruch, hauptsächlich aber den Ruin der Christen. Obwohl es kurz zuvor an der Spitze der Kirche des Ostens einen Katholikos von türkisch-mongolischer Abstammung aus China, den großen Yahwalaha III. (f 1317), gegeben hatte und obwohl sein Nachfolger Timotheus II. (fl332) großes diplomatisches Geschick bewies, mußten die Katholikoi Bagdad verlassen und in den heutigen Nordirak fliehen, dann weiter in die unzugänglichen Berge von Hakkari (im Südosten der heutigen Türkei). Seit Beginn des 14. Jahrhunderts zeichnete sich der Niedergang ab. Die politischen Wirren, die schwarze Pest, die blutigen Eroberungszüge von Timur Leng (1370-1405) schwächten nach und nach das orientalische Christentum, mag sich das Bild auch mancherorts noch vereinzelt aufhellen. Der Untergang zahlreicher Gotteshäuser und der Ortskirchen in China, Zentralasien und zum großen Teil auch im Iran war nicht mehr aufzuhalten. Zu Anfang des 14. Jahrhunderts hatte eine neue Macht begonnen, Asien zu erobern. Ihr Stammvater war der Türke Osman I. Einer seiner Nachfolger, Mohammed II. al Gazi, sollte dem byzantinischen Reich durch die Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1453 den Todesstoß versetzen. Zur Zeit der Osmanen war das Siedlungsgebiet der syrischen Christen als ganzes wieder einer einzigen muslimischen Macht unterstellt. Was bis dahin von der Ost- und Westsyrischen Kirche noch übrig geblieben war, konnte nur mit größter Ungewißheit in die Zukunft blicken.

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Der Katholizismus Wie wir gesehen haben, mußten die syrischen Kirchen, abgesehen von den Maroniten, hauptsächlich aufgrund politischer Umstände ihren Weg unabhängig von Rom und von Konstantinopel gehen. Im Laufe des Mittelalters gab es allerdings mehrfach Versuche, die Beziehungen mit der Westkirche wieder aufzunehmen, hauptsächlich anläßlich des Konzils von Lyon im Jahre 1274. Doch erst im Verlauf des Konzils von Ferrara-Florenz im Jahre 1445 kam es dazu, daß Timotheus, Metropolit von Tarsus und Zypern, mit Papst Eugen IV. die Kirchengemeinschaft wiederherstellte. Die mit Rom vereinigten Ostsyrer begann man seitdem offiziell Chaldäer zu nennen. Eine umfassendere Union kam im Jahre 1552 zustande, als der Abt des berühmten Klosters von Rabban Hormizd bei Mossul, Sulaqa mit Namen, zum ersten „Chaldäischen Patriarchen" ernannt wurde. Was die Westsyrer betrifft, war es Patriarch Ignatius Michael Jarweh (1782-1800), der die Union mit der römischen Kirche vollzog. Seitdem konnten die Chaldäer und die katholischen Syrer sich der geistlichen, intellektuellen, auch materiellen Unterstützung seitens der Missionare aus dem Westen erfreuen, namentlich der Kapuziner und Dominikaner. Trotz der durch die Teilunion mit Rom entstandenen Spaltung im Inneren der syrischen Kirchen - sie wird von beiden Seiten heute als schmerzlich empfunden - verfolgten die syrisch-orthodoxen Christen des Patriarchats von Antiochien und die Ostsyrer, später Assyrer genannt, ihren Weg und hielten ihr kirchliches Leben dank bemerkenswerter Persönlichkeiten auf beachtlichem Niveau. Nennen wir unter den bereits verstorbenen Kirchenmännern für die orthodoxen Westsyrer nur den hervorragenden Patriarchen Ignatius Ephram Barsaum (1933-1957) und seinen Schüler Gregorius Paul Behnam, Bischof von Mossul, später von Bagdad (1952-1969). Von den katholischen Westsyrern verdienen die Patriarchen Ignatius Ephräm Rahmani (1898-1929) und Ignatius Gabriel 49

Tapouni (1929-1968), der 1935 Kardinal wurde, besonders erwähnt zu werden. Was die Chaldäer angeht, so ist ihr bemerkenswertester Patriarch vielleicht der jugendliche Joseph II. Ma'ruf de Teil Nayf, der im Alter von 29 Jahren Patriarch wurde (1696-1712). Maronitische Renaissance Das Wiedererwachen der Syrer begann mit der Errichtung des Maronitischen Kollegs in Rom. Die Idee, ein solches Kolleg zu gründen, war schon von Jibrail ibn al-Qila'i (1450-1516), seit 1504 Bischof von Zypern, geäußert worden. Sie wurde von Papst Gregor XIII. aufgegriffen und im Jahre 1584 verwirklicht. Es waren die ehemaligen Schüler dieses Kollegs, denen das Hauptverdienst am Zustandekommen der „Polyglotten Bibel von Paris" zukommt. Die Namen dieser Pioniere sind Sionita (Jibrail al-Suhyuni), Esronita (Yuhanna al-Husruni), Echellensis (Ibrahim al-Haqilani) usw. Als Professoren am Collège Royal in Paris waren sie es auch, die ermutigt von Colbert, kostbare orientalische Manuskripte sammelten, die heute den Reichtum der wichtigsten Bibliotheken Europas darstellen; sie erstellten auch die ersten Kataloge. Die berühmesten Vertreter dieser orientalischen Orientalisten waren wohl die Angehörigen der Familie Assemani, allen voran Stephan 'Awad, dem wir den ersten Katalog der Vatikanischen Bibliothek verdanken, und Josef Simon (Yusuf Scham'un), der vor allem wegen der Ausgabe seiner berühmten „Bibliotheca Orientalis Clementino-Vaticana" (1719-1723) in vier Folio-Bänden bekannt ist. Darin ist alles zusammengetragen, was man zur damaligen Zeit über das Schrifttum und die Geschichte der syrischen Kirchen wußte.

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Die Rolle der Syrer in der arabischen Renaissance Mit solchen Vorgängern und aufgrund der Verbindungen zum Westen, die über die Schulen liefen, die die Absolventen des Maronitischen Kollegs fast überall in ihrer libanesischen Heimat gründeten, und nachdem die erste syrisch/arabische Druckerei 1595 im Antonius-Kloster von Qazhaya, im Tal der Heiligen (Qaddischa) im Libanon, eingerichtet worden war, waren die Voraussetzungen für eine Renaissance der arabischen Sprache gegeben. Das Verdienst, sie in Gang gebracht zu haben, kommt nicht zuletzt den syrischen Christen zu, wobei freilich auch die Griechisch-Orthodoxen und die Protestanten nicht vergessen werden dürfen. Zeitschriften in arabischer Sprache, seit 1852, dann auch Tageszeitungen, seit 1858, boten den Schriftstellern und Dichtern ein Forum, um in die Öffentlichkeit hinein wirken zu können. Unter den Journalisten ist der Name des Maroniten Antonius Gemayel zu erwähnen. Was die Zeitschriften angeht, ist der Jesuit Louis Cheiko, ein Chaldäer aus Mardin, zu nennen, der 1898 die berühmte Zeitschrift „al-Maschreq" gründete. Im Bereich der Sprachwissenschaften verdient Germanos Farhat, maronitischer Bischof von Zypern (18. Jh.), besondere Erwähnung. Er verfaßte eine Grammatik, die noch zu Beginn unseres Jahrhunderts als Lehrbuch diente. Auf dem Sektor der Literatur glänzte die maronitische Familie Bustani, angefangen von dem „mu'allem" Butros (Petrus) bis zu Fuad Ephräm, der der erste Rektor der Libanesischen Universität geworden ist. Im Bereich des Theaters muß man sich den Namen von Maroun al-Naqqasch merken. Darüber hinaus gibt es im Libanon und in der nord- und südamerikanischen Diaspora (New York, Rio und Buenos Aires) zahlreiche Schriftsteller und Journalisten syrischer Herkunft.

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Massaker, Exil, Diaspora und Neubeginn Die letzten unruhigen Jahre des osmanischen Sultanats in der Türkei brachten den Syrern in diesem Land neues Unglück. 1895, im Zusammenhang mit dem Genozid an den Armeniern, waren viele Syrer, vor allem in der Umgebung von Mardin, erneut Massakern ausgesetzt oder mußten aus ihrer Heimat fliehen. Doch das größte Drama ereignete sich 1915, als die Berge des Hakkari im Südosten der Türkei, Zufluchtsort der Assyrer und ihres Patriarchen, weitgehend entvölkert wurden. Die christlichen Bewohner der Gegend wurden durch Angriffe der Türken, die von den mit ihnen verbündeten Kurden unterstützt wurden, getötet oder vertrieben. Im Nordirak, wo die Flüchtlinge zunächst Zuflucht gesucht hatten, wurden sie von den westlichen Mächten ihrem Schicksal überlassen, obwohl diese den Assyrern, die sie im Krieg unterstützt hatten, eine „nationale Heimat" zugesagt hatten. 1933 hatten die Assyrer erneut unter Massakern zu leiden, was ihre Zerstreuung noch beschleunigte. Zu einer bedauerlichen Spaltung kam es im Jahre 1968, als der Metropolit von Indien, Thomas Darmo, sich zum Patriarchen erklärte gegen Mar Schim'un Ischa'i, der einige Änderungen in der Kirchenordnung eingeführt hatte. Als Mar Schim'un Ischa'i 1976 in Nordamerika ermordet wurde, folgte ihm Mar Denkha IV., ehemaliger Bischof von Teheran, im Amt. Er hat seinen Amtssitz in den Vereinigten Staaten von Amerika. Der Nachfolger von Mar Thomas Darmo ist seit 1972 Patriarch Addai II. von Bagdad. Der chaldäische Zweig wird zur Zeit repräsentiert durch Patriarch Raphael I. Bidawid, der in Bagdad residiert. Vor seiner Erhebung zum Oberhaupt der katholischen Ostsyrer war er Bischof von Beirut. Patriarch der orthodoxen Westsyrer ist seit 1980 Seine Heiligkeit Ignatius Zakka I., der seinen Amtssitz in Damaskus hat. Oberhaupt der katholischen Westsyrer ist Msgr. Ignatius Antonius II. Hayyek, Patriarch seit 1968. Er residiert in Beirut. Maronitischer Patriarch

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von Antiochien ist seit 1986 Msgr. Petrus Nasrallah Sfeir. 1994 wurde er ins Kardinalskollegium berufen. Die syrischen Kirchen in Indien Der Apostel Thomas gilt als Gründer der Kirche in Indien. Wir haben jedoch bereits angemerkt, daß die sogenannten "Thomas-Christen" im Jahre 345 sich an den Katholikos der Kirche des Ostens wenden mußten, weil sie keine Hierarchen hatten. Sie erbaten sich einen Bischof. Dieser Brauch, sich einen ostsyrischen Bischof zu erbitten, hielt sich auch in der Folgezeit und wird noch um 553 von dem Reisenden Kosmas Indikopleustes bezeugt. Im achten Jahrhundert wurde der ostsyrische Bischofssitz in Indien in den Rang eines Metropolitansitzes erhoben. Der Metropolit hatte zwei Suffragane. Ein Bischof residierte auf der Insel Soqotra, der andere in Südchina (Masin). Damit scheint sich die Annahme zu bestätigen, daß diese Gegend Chinas von Indien aus missioniert wurde. Später, schon im 11. Jahrhundert, werden die Beziehungen zwischen dem Katholikos in Bagdad und Indien spärlicher. Ein Reisender berichtet zu Beginn des 16. Jahrhunderts, daß „alle drei Jahre ein Mal ein Priester aus Bagdad die Inder aufsucht, um sie zu taufen." Die ostsyrischen Christen in Indien haben aber am Ende des 16. Jahrhunderts noch einen Metropoliten namens Abraham. Als dieser starb, organisierte der Klerus der neuen Kolonialmacht Portugal 1599 die Synode von Diamper. Sie verfügte, alle Bücher zu verbrennen, die als „nestorianisch" verdächtigt wurden. Die einheimischen Christen wurden latinisiert. Das chaldäische Patriarchat von Babylon versuchte zwar im 19. Jahrhundert, seine Jurisdiktion über die indischen Christen wiederherzustellen. Doch Rom widersetzte sich diesen Versuchen. Die katholische Syro-Malabarische Kirche ostsyrischer Tradition hat seit 1896 eine eigene Hierarchie. Als Liturgiesprache wurde 1962 die dortige Landessprache, das Malayalam, eingeführt. Der nicht-katholische Zweig der indischen Ostsyrer folgt zur Zeit dem Patriarchen in Bagdad, Addai II. 53

Die Gemeinschaft der westsyrischen Christen in Indien, die sich Malankaren nennen, hat ein ähnliches Schicksal erlebt wie die Christen des ostsyrischen Ritus. An ihrer Spitze steht heute ein Groß-Metropolit (Maphrian). Die Kirche steht in Gemeinschaft mit dem Syrisch-Orthodoxen Patriarchat von Antiochien. Von ihr haben sich allerdings zwei Gruppen abgespalten: die Syrische Kirche von Mar Thomas und die unabhängige Syrische Kirche von Malabar. Die westsyrische Kirche in Indien hat auch einen katholischen Zweig, der sich 1930 von den orthodoxen Malankaren getrennt hat. Es ist dies die katholische Syro-Malankarische Kirche. Ihr Metropolit hat seinen Sitz in Trivandrum. Die Heimat aller dieser Kirchen ist der südindische Bundesstaat Kerala (Malabar).

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ANHANG Gemeinsame Erklärung des Römischen Papstes Johannes Paul II. und des Syrisch-Orthodoxen Patriarchen von Antiochien Moran Mor Ignatius Zakka I. Iwas vom 23. Juni 1984 8 1. Seine Heiligkeit Papst Johannes Paul II., Bischof von Rom und Papst der katholischen Kirche, und seine Heiligkeit Moran Mor Ignatius Zakka I. Iwas, Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient und Oberhaupt der universalen syrisch-orthodoxen Kirche, knien voll Demut vor dem erhabenen und hochgepriesenen himmlischen Thron unseres Herrn Jesus Christus und sagen Dank für die einzigartige Gelegenheit, die ihnen gewährt worden ist, nämlich in Seiner Liebe einander zu begegnen, um die Beziehung zwischen ihren beiden Schwesterkirchen, der Kirche von Rom und der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien, weiter zu stärken. Die Beziehung war bereits hervorragend durch die gemeinsame Initiative Ihrer Heiligkeiten seligen Andenkens Papst Paul VI. und Patriarch Moran Mor Ignatius Jaqub III. 2. Ihre Heiligkeiten Papst Johannes Paul II. und Patriarch Zakka I. erklären feierlich ihren Wunsch, den Umfang ihrer brüderlichen Verbundenheit auszuweiten und so die Voraussetzungen der tiefen geistlichen Gemeinschaft, die sie und die Würdenträger, den Klerus und die Gläubigen ihrer beiden Kirchen bereits miteinander verbindet, zu bestärken, die Bande des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu festigen und voranzuschreiten hin zu einem Leben in voller Kirchengemeinschaft. 3. Zunächst bekennen sich Ihre Heiligkeiten zum Glauben ihrer beiden Kirchen, wie er vom Konzil von Nizäa im Jahr 325 8

Dokumente wachsender Übereinstimmung II, Paderborn-Frankfurt 1992, 571-574; Der christliche Osten 39 (1984), 140-143; H. Aydin, Die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien. Ein geschichtlicher Überblick, Glane-Losser (NL) 1990, 171-174. 55

formuliert wurde, gemeinhin bekannt als das Nizänische Glaubensbekenntnis. Die Verwirrungen und Schismen, zu denen es in den folgenden Jahrhunderten zwischen ihren Kirchen kam, betreffen oder berühren, wie sie heute erkennen, in keiner Weise die Substanz ihres Glaubens, da diese lediglich aufgrund von Unterschieden in der Terminologie und Kultur und der vielfältigen Formeln entstanden, die von den verschiedenen theologischen Schulen angewandt wurden, um ein und dieselbe Sache auszudrücken. Dementsprechend finden wir heute ebensowenig eine echte Grundlage für die bedauerlichen Trennungen und Schismen, die in der Folge hinsichtlich der Lehre von der Menschwerdung entstanden sind. Wir bekennen in Worten und im Leben die wahre Lehre von Christus, unserem Herrn, ungeachtet der Unterschiede in der Interpretation dieser Lehre, die zur Zeit des Konzils von Chalkedon entstanden. 4. Wir wollen daher erneut unser Bekenntnis gemeinsamen Glaubens an die Menschwerdung unseres Herrn Jesus Christus feierlich bestätigen, wie es 1971 Papst Paul VI. und Patriarch Moran Mor Ignatius Jaqub Iii. getan haben. Sie bestritten, daß es irgend einen Unterschied in dem von ihnen bekannten Glauben an das Geheimnis des Fleisch und wahrhaft Mensch gewordenen Wortes Gottes gebe. Wir bekennen unsererseits, daß Er für uns Mensch geworden ist, indem er einen wirklichen Leib mit einer vernunftbegabten Seele annahm. Er teilte unser Menschsein in allem außer der Sünde. Wir bekennen, daß unser Herr und unser Gott, unser Erlöser und König aller, Jesus Christus, seiner göttlichen Natur nach vollkommener Gott und seiner menschlichen Natur nach vollkommener Mensch ist. In ihm ist seine Göttlichkeit mit seiner Menschlichkeit vereint. Diese Einheit ist wirklich, vollkommen, ohne Täuschung oder Vermischung, ohne Verwirrung, ohne Veränderung, ohne Teilung, ohne die geringste Trennung. Er, der ewige und unsichtbare Gott, wurde sichtbar im Fleisch und nahm Knechtsgestalt an. In ihm sind auf eine wirkliche, vollkommen unteilbare und untrennbare Weise Gottheit und Menschheit vereint, und in ihm sind alle ihre Eigenschaften gegenwärtig und wirksam. 56

5. Da wir dasselbe Christusverständnis haben, bekennen wir auch dasselbe Verständnis seines Geheimnisses. Durch seine Menschwerdung, seinen Tod und seine Auferstehung hat unser Herr, Gott und Erlöser Sünde und Tod besiegt. Durch ihn ist es in der Zeit zwischen Pfingsten und der Wiederkunft, der Zeit, die der Endzeit vorausgeht, dem Menschen geschenkt, die neue Schöpfung, das Reich Gottes, den bereits unter uns vorhandenen, alles verwandelnden Sauerteig (vgl. Mt 13,33) zu erfahren. Zu diesem Zweck hat Gott ein neues Volk erwählt, seine heilige Kirche, die der Leib Christi ist. Durch das Wort und die Sakramente ist der Heilige Geist in der Kirche am Werk, um jeden einzelnen zu berufen und alle zu Gliedern des Leibes Christi zu machen. Diejenigen, die glauben, werden im Heiligen Geist im Namen der Heiligsten Dreifaltigkeit getauft, damit sie einen Leib bilden und durch das heilige Sakrament der Firmung ihr Glaube vervollkommnet und von demselben Geist gestärkt wird. 6. Das sakramentale Leben findet so sehr in der heiligen Eucharistie seine Erfüllung und seinen Höhepunkt, daß die Kirche durch die Eucharistie ihre eigentliche Natur am tiefsten verwirklicht und offenbart. Durch die heilige Eucharistie breitet sich das Ereignis des Leidens und Sterbens Christi über die ganze Kirche aus. Durch die heilige Taufe und Firmung werden die Glieder Christi in der Tat vom Heiligen Geist gesalbt und in Christus eingegliedert; und durch die heilige Eucharistie wird die Kirche das, wozu sie durch Taufe und Firmung bestimmt ist. Durch die Gemeinschaft mit dem Leib und dem Blut Christi wachsen die Gläubigen in jene geheimnisvolle Vergöttlichung hinein, die sie durch den Heiligen Geist im Sohn zu Kindern des Vaters macht. 7. Die anderen Sakramente, die die katholische Kirche und die syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien gemeinsam haben in ein und derselben Sukzession des apostolischen Dienstes: die heilige Ordination (das Weihesakrament), das Ehesakrament, die Versöhnung der Büßenden und die Salbung der Kranken sind hingeordnet auf die Feier der heiligen Eucharistie, die das Zentrum 57

des sakramentlichen Lebens ist und den höchsten sichtbaren Ausdruck kirchlicher Gemeinschaft darstellt. Die Gemeinschaft der Christen untereinander und der Ortskirchen, die durch ihre rechtmäßigen Bischöfe miteinander verbunden sind, wird in der versammelten Gemeinde verwirklicht, die denselben Glauben bekennt, die in der Hoffnung auf die kommende Welt und in Erwartung der Wiederkunft des Erlösers nach vorne schaut und vom Heiligen Geist gesalbt wird, der in ihr Wohnung nimmt mit einer Liebe, die niemals trügt. 8. Da die heilige Eucharistie der höchste Ausdruck kirchlicher Einheit zwischen den Gläubigen und zwischen Bischöfen und Priestern ist, kann sie von uns noch nicht gemeinsam gefeiert werden. Eine solche Feier setzt eine vollkommene Identität des Glaubens voraus, die zwischen uns noch nicht besteht. Denn gewisse Fragen, die den Willen des Herrn für seine Kirche, sowie die lehrmäßigen Implikationen und kirchenrechtlichen Details unserer nun schon zu lange von einander getrennten Gemeinschaften und ihrer Überlieferungen betreffen, müssen noch gelöst werden. 9. Unsere wenn auch noch nicht vollkommene Übereinstimmung im Glauben berechtigt uns, die Zusammenarbeit zwischen unseren Kirchen ins Auge zu fassen: in der Seelsorge, in Situationen, die heutzutage sowohl wegen der Zerstreuung unserer Gläubigen über die ganze Welt als auch wegen der unsicheren Zustände dieser schwierigen Zeiten nicht selten sind. Es ist in der Tat unseren Gläubigen oft aus physischen oder moralischen Gründen unmöglich, Zugang zu einem Priester ihrer eigenen Kirche zu finden. Bemüht, ihren Bedürfnissen entgegenzukommen, und in der Sorge um ihr geistliches Wohl autorisieren wir sie, in solchen Fällen rechtmäßige Priester unserer beiden Schwesterkirchen um die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung zu bitten, wenn sie sie brauchen. Eine logische Folge der Zusammenarbeit in der Seelsorge wäre es, auch auf dem Gebiet der Priesterausbildung und theologischen Erziehung zusammenzuarbeiten. Die Bischöfe werden ermutigt, die 58

Teilnahme an Möglichkeiten für die theologische Ausbildung zu fördern, wenn sie es für ratsam halten. Dabei vergessen wir nicht, daß wir noch alles in unserer Macht Stehende unternehmen müssen, um zur vollen sichtbaren Gemeinschaft zwischen der katholischen Kirche und der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien zu gelangen, und unaufhörlich und flehendlich unseren Herrn bitten müssen, uns jene Einheit zu gewähren, die allein es uns ermöglichen wird, der Welt ein im Vollsinn einmütiges Zeugnis des Evangeliums zu geben. 10. Während wir dem Herrn danken, der uns gewährt hat, uns zu begegnen und uns des Zuspruchs des gemeinsamen Glaubens zu erfreuen (vgl. Rom 1,12) und vor der Welt das Geheimnis von der Person des menschgewordenen Wortes und seines Heilswerks zu verkünden, welches das unerschütterliche Fundament dieses gemeinsamen Glaubens bildet, verpflichten wir uns feierlich, alles uns Mögliche zu tun, um die letzten Hindernisse zu beseitigen, die einer vollen Gemeinschaft zwischen der katholischen Kirche und der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien noch im Wege stehen, auf daß wir eines Herzens und mit einer Stimme das Wort verkünden können: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet" und daß „alle, die an seinen Namen glauben", Kinder Gottes werden (vgl. Joh 1,9-12). Rom im Vatikan am 23. Juni 1984 Johannes Paul II.

Ignatius Zakka I. Iwas

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Pastorale Vereinbarungen der Deutschen Bischofskonferenz mit der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien9 Am 23. Juni 1984 unterzeichneten Papst Johannes Paul II. und der syrisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien, Mar Ignatius Zakka I. Iwas, eine Erklärung zu gegenseitigen pastoralen Hilfen (vgl. Dokumente wachsender Übereinstimmung II, Paderborn-Frankfurt 1992, 571-574). Dieses Dokument bringt eine weitgehende, wenn auch noch nicht vollkommene Kirchengemeinschaft zwischen der katholischen und der syrisch-orthodoxen Kirche zum Ausdruck. Papst und Patriarch bekräftigen darin nicht nur eine Identität hinsichtlich des christologischen Bekenntnisses, sondern erkennen auch ausdrücklich die Gültigkeit aller Sakramente an, die in beiden Kirchen gespendet werden. Sie machen sich die Aussagen zu eigen, die bereits das Zweite Vatikanische Konzil in seinem Dekret über die katholischen Ostkirchen (OE 27) und in dem Dekret über den Ökumenismus (UR 15) gemacht hat, und erklären: „Es ist in der Tat nicht selten, daß unsere Gläubigen keinen physischen und moralischen Zugang zu einem Priester ihrer eigenen Kirche haben. In der Sorge darum, diesen Nöten entgegenzukommen, und mit dem Gedanken an ihr geistliches Wohlergehen autorisieren wir die Gläubigen, in diesen Fällen die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung von einem rechtmäßigen Priester einer unserer beiden Schwesterkirchen zu erbitten, wenn sie diese benötigen." In der Bundesrepublik Deutschland leben zur Zeit aufgrund verschiedener Umstände mehr als 30.000 Gläubige der syrischorthodoxen Kirche, vor allem aus der Südosttürkei, aber auch aus dem Libanon, aus Syrien und aus dem Irak. Sie werden von 35 Priestern und drei Diakonen seelsorglich betreut. Vielfach befinden sie sich jedoch in einer echten Diasporasituation und haben oft keine Möglichkeit, von ihren Seelsorgern regelmäßig betreut zu werden. Viele besuchen daher mit Gutheißung ihrer zuständigen kirchlichen Autorität katholische Gottesdienste, und ihre Kinder 9

Veröffentlicht in den Amtsblättern der deutschen Diözesen, Kirchliches Amtsblatt für das Bistum Trier 138 (1994), 108f.

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hier:

nehmen am katholischen Religionsunterricht teil. Auf ihre Situation treffen die Aussagen der von Papst Johannes Paul II. und Patriarch Ignatius Zakka I. unterzeichneten Erklärung in besonderer Weise zu. Aus diesem Dokument, das weltweite Geltung hat, sind für die Seelsorge in Deutschland Konsequenzen zu ziehen. Der nachfolgende Text ist daher vor der Veröffentlichung dem für Deutschland zuständigen syrisch-orthodoxen Metropoliten von Mitteleuropa, Mar Julius I. Qi—* («H «5 43 « O 3 u 5 M S s l ' (Ai "G cû 43 O „ I — » 03 O i- X 'C -H "O T3° te 6 « > ••s _§ OtO N « ^ V2 '33 C O C O w -g 3 S B « .S3 •J3 C ¿Í •a uc 43 •« IN O TS S - O C tH Oî -g .2 o S m t í iJ O

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