Textsammlung Europäisches Privatrecht: Vertrags- und Schuldrecht, Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht 9783110667776, 9783110667653

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Textsammlung Europäisches Privatrecht: Vertrags- und Schuldrecht, Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht
 9783110667776, 9783110667653

Table of contents :
Schnellübersicht I
Inhaltsübersicht
Einleitung
1. Grundlagen
1.1. EU-Vertrag
1.2. AEU-Vertrag
1.3. Grundrechte-Charta
2 Vertrags- und Schuldrecht
Allgemeines Vertrags- und Schuldrecht
2.1. Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83
2.2. Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 2002/65
2.3. E-Commerce-RL 2000/31
2.4. Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Vertrag) 2004/113
2.5. Rassendiskriminierungs-RL 2000/43
2.6. Klausel-RL 93/13
2.7. Digitale Inhalte-RL 2019/770
2.8. Warenkauf-RL 2019/771
2.8a. Kaufgewährleistungs-RL 1999/44
2.9. Produkthaftungs-RL 85/374
2.10. Zahlungsverzugs-RL 2011/7
Besondere Sektoren
2.11. Handelsvertreter-RL 86/653
2.12. Pauschalreise-Richtlinie 2015/2302
2.13. Timesharing-RL 2008/122
2.14. Fluggastrechte-VO 261/2004
2.15. Zahlungsdienste-RL II 2015/2366
2.16. Zahlungsentgelte-VO 924/2009
2.17. Verbraucherkredit-RL 2008/48
2.18. Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17
2.19. Finanzmarkt-RL II 2014/65
Marktordnung und Vertragsrecht
2.20. Werbe-RL 2006/114
2.21. Geschäftspraktiken-RL 2005/29
2.22. Geschäftsgeheimnis-RL 2016/943
2.23. Gruppenfreistellungs-VO Vertikalabreden 330/2010
2.24. Datenschutz-Grundverordnung 2016/679
3. Arbeitsrecht
Binnenmarkt
3.1. Entsende-Richtlinie 96/71
Arbeitsverhältnis
3.2. Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Arbeit) 2006/54
3.3. Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78
3.4. Transparenz-Richtlinie 2019/1152
3.5. Whistleblower-RL (EP)
3.6. Arbeitsschutzrahmen-RL 89/391
3.7. Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88
3.8. Teilzeit-Richtlinie 97/81
3.9. Befristungs-Richtlinie 1999/70
3.10. Leiharbeits-Richtlinie 2008/104
3.11. Mutterschutz-Richtlinie 92/85
Arbeitnehmer und Organisation
3.12. Massenentlassungs-Richtlinie 98/59
3.13. Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23
3.14. Unterrichtungsrahmen-Richtlinie 2002/14
3.15. Europäischer Betriebsrat-Richtlinie 2009/38
4. Gesellschaftsrecht
Einzelgesellschaft
4.1. Kodifikations-RL (Titel I – Gründung) 2017/1132
4.2. Aktionärsrechte-RL I 2007/36
4.3. Aktionärsrechte-RL II 2017/828
4.4. Ein-Mann-GmbH-RL 2009/102
Rechnungslegung und Sozialordnung
4.5. Allgemeine Bilanz-RL (mit CSR) 2013/34
4.6. Abschlussprüfer-RL 2006/43
4.7. IFRS-VO 1606/2002
Kapitalmarktrecht
4.8. Prospekt-VO 2017/1129
4.9. Transparenz-RL 2004/109
4.10. Börsen-RL 2001/34
4.11. Marktmissbrauchs-VO 596/2014
4.12. Marktmissbrauchs-RL II 2014/57
Umstrukturierung
4.13. Kodifikations-RL (Titel II – Fusion und Spaltung) 2017/ 1132
4.14. Übernahme-RL 2004/25
Supranationale Rechtsformen
4.15. SE-VO 2157/2001
4.16. SE-Mitbestimmungs-Richtlinie 2001/86
5. Internationales Privat- und Prozessrecht
5.1. Rom I-VO 593/2008
5.2. Rom II-VO 864/2007
5.3. EuGVVO (Brüssel Ia) 1215/2012
Schnellübersicht II

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Textsammlung Europäisches Privatrecht

Textsammlung Europäisches Privatrecht Vertrags- und Schuldrecht, Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht 3., erweiterte Auflage Herausgegeben von Stefan Grundmann und Karl Riesenhuber

Dr. Dr. Stefan Grundmann, Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Karl Riesenhuber, Universitätsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum, Richter am Oberlandesgericht Hamm

ISBN 978-3-11-066765-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-066777-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-067132-2 Library of Congress Control Number: 2019946360 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Printing and binding/Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark www.degruyter.com

Schnellübersicht I Abschlussprüfer-RL . . . . . . . . . AEU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . Aktionärsrechte-RL I . . . . . . . . Aktionärsrechte-RL II . . . . . . . . Allgemeine Bilanz-RL (mit CSR) Arbeitsschutzrahmen-RL . . . . . Arbeitszeit-RL . . . . . . . . . . . . . . Befristungs-RL . . . . . . . . . . . . . . Betriebsübergangs-RL . . . . . . . Börsen-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenschutz-Grundverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . Digitale Inhalte-RL . . . . . . . . . . Diskriminierungsrahmen-RL . . E-Commerce-RL . . . . . . . . . . . . . Ein-Mann-GmbH-RL . . . . . . . . . Entsende-RL . . . . . . . . . . . . . . . EuGVVO (Brüssel Ia) . . . . . . . . Europäischer Betriebsrat-RL . . . EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . FinanzdienstleistungsFernabsatz-RL . . . . . . . . . . . . . . Finanzmarkt-RL II . . . . . . . . . . Fluggastrechte-VO . . . . . . . . . . Geschäftsgeheimnis-RL ..... Geschäftspraktiken-RL . . . . . . . Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Arbeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Vertrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundrechte-Charta . . . . . . . . . Gruppenfreistellungs-VO Vertikalabreden . . . . . . . . . . . . Handelsvertreter-RL . . . . . . . . . IFRS-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.6 1.2 4.2 4.3 4.5 3.6 3.7 3.9 3.13 4.10 2.24 2.7 3.3 2.3 4.4 3.1 5.3 3.15 1.1 2.2 2.19 2.14 2.22 2.21 3.2 2.4 1.3 2.23 2.11 4.7

Kaufgewährleistungs-RL . . . . . Klausel-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . Kodifikations-RL (Titel I – Gründung) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kodifikations-RL (Titel II – Fusion und Spaltung) . . . . . . . Leiharbeits-RL . . . . . . . . . . . . . . Marktmissbrauchs-RL II . . . . . Marktmissbrauchs-VO . . . . . . . Massenentlassungs-RL . . . . . . . Mutterschutz-RL . . . . . . . . . . . . Pauschalreise-RL . . . . . . . . . . . Produkthaftungs-RL . . . . . . . . . Prospekt-VO . . . . . . . . . . . . . . . . Rassendiskriminierungs-RL . . Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . SE-Mitbestimmungs-RL . . . . . . SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilzeit-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . Timesharing-RL . . . . . . . . . . . . . Transparenz-RL (Arbeit) . . . . . Transparenz-RL (Kapitalmarkt) Übernahme-RL . . . . . . . . . . . . . Unterrichtungsrahmen-RL . . . Verbraucherkredit-RL . . . . . . . . Verbraucherrechte-RL . . . . . . . Warenkauf-RL . . . . . . . . . . . . . . Werbe-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . Whistleblower-RL (EP) . . . . . . . Wohnimmobilienkredit-RL . . . Zahlungsdienste-RL II . . . . . . . Zahlungsentgelte-VO . . . . . . . . Zahlungsverzugs-RL . . . . . . . . .

2.8a 2.6 4.1 4.13 3.10 4.12 4.11 3.12 3.11 2.12 2.9 4.8 2.5 5.1 5.2 4.16 4.15 3.8 2.13 3.4 4.9 4.14 3.14 2.17 2.1 2.8 2.20 3.5 2.18 2.15 2.16 2.10

Inhaltsübersicht Einleitung

IX

1 Grundlagen 1.1 1.2 1.3

EU-Vertrag 1 AEU-Vertrag 4 Grundrechte-Charta

35

2 Vertrags- und Schuldrecht

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.8a 2.9 2.10

Allgemeines Vertrags- und Schuldrecht Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83 47 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 2002/65 85 E-Commerce-RL 2000/31 101 Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Vertrag) 2004/113 Rassendiskriminierungs-RL 2000/43 130 Klausel-RL 93/13 139 Digitale Inhalte-RL 2019/770 147 Warenkauf-RL 2019/771 188 Kaufgewährleistungs-RL 1999/44 218 Produkthaftungs-RL 85/374 227 Zahlungsverzugs-RL 2011/7 234

2.11 2.12 2.13 2.14 2.15 2.16 2.17 2.18 2.19

Besondere Sektoren 249 Handelsvertreter-RL 86/653 Pauschalreise-Richtlinie 2015/2302 258 Timesharing-RL 2008/122 290 Fluggastrechte-VO 261/2004 303 Zahlungsdienste-RL II 2015/2366 315 Zahlungsentgelte-VO 924/2009 384 Verbraucherkredit-RL 2008/48 395 Wohnimmobilienkredit-RL 2014/17 432 Finanzmarkt-RL II 2014/65 487

120

Inhaltsübersicht

2.20 2.21 2.22 2.23 2.24

Marktordnung und Vertragsrecht Werbe-RL 2006/114 584 Geschäftspraktiken-RL 2005/29 592 Geschäftsgeheimnis-RL 2016/943 614 Gruppenfreistellungs-VO Vertikalabreden 330/2010 Datenschutz-Grundverordnung 2016/679 649

639

3 Arbeitsrecht

3.1

Binnenmarkt Entsende-Richtlinie 96/71

3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11

Arbeitsverhältnis Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Arbeit) 2006/54 Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78 767 Transparenz-Richtlinie 2019/1152 779 Whistleblower-RL (EP) 800 Arbeitsschutzrahmen-RL 89/391 842 Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88 855 Teilzeit-Richtlinie 97/81 869 Befristungs-Richtlinie 1999/70 877 Leiharbeits-Richtlinie 2008/104 885 Mutterschutz-Richtlinie 92/85 894

3.12 3.13 3.14 3.15

Arbeitnehmer und Organisation Massenentlassungs-Richtlinie 98/59 902 Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23 907 Unterrichtungsrahmen-Richtlinie 2002/14 916 Europäischer Betriebsrat-Richtlinie 2009/38 924

735

747

4 Gesellschaftsrecht

4.1 4.2 4.3 4.4 VI

Einzelgesellschaft Kodifikations-RL (Titel I – Gründung) 2017/1132 998 Aktionärsrechte-RL I 2007/36 1013 Aktionärsrechte-RL II 2017/828 1049 Ein-Mann-GmbH-RL 2009/102

946

Inhaltsübersicht

4.5 4.6 4.7

Rechnungslegung und Sozialordnung Allgemeine Bilanz-RL (mit CSR) 2013/34 1130 Abschlussprüfer-RL 2006/43 1169 IFRS-VO 1606/2002

4.8 4.9 4.10 4.11 4.12

Kapitalmarktrecht 1175 Prospekt-VO 2017/1129 1250 Transparenz-RL 2004/109 1298 Börsen-RL 2001/34 1318 Marktmissbrauchs-VO 596/2014 1382 Marktmissbrauchs-RL II 2014/57

1053

4.14

Umstrukturierung Kodifikations-RL (Titel II – Fusion und Spaltung) 2017/ 1395 1132 1439 Übernahme-RL 2004/25

4.15 4.16

Supranationale Rechtsformen 1460 SE-VO 2157/2001 SE-Mitbestimmungs-Richtlinie 2001/86

4.13

1490

5 Internationales Privat- und Prozessrecht 5.1 5.2 5.3

Rom I-VO 593/2008 1507 1526 Rom II-VO 864/2007 EuGVVO (Brüssel Ia) 1215/2012

Schnellübersicht II

1542

1580

VII

Stefan Grundmann und Karl Riesenhuber*

Einleitung Diese Sammlung enthält den gesamten Europäischen Normenbestand in den privatrechtlichen Kernbereichen: Vertragsrecht (2), Arbeitsrecht (3) und Gesellschaftsrecht (4), ergänzt um die Grundlagen (1) und die wichtigsten diesbezüglichen kollisions- und verfahrensrechtlichen Rechtsakte (5). Insbesondere das Vertragsrecht wird dabei breit verstanden und umfasst auch die Teile des wirtschaftsrechtlichen Bestandes mit Relevanz für Verträge und annexweise auch die Produkthaftungs-Richtlinie, ähnlich das Gesellschaftsrecht, das ohne Kapitalmarktrecht nicht sein kann. Damit eignet sich die Sammlung für jede Diskussion und Veranstaltung zum Deutschen und Europäischen Vertrags-, Schuld-, Arbeits-, Gesellschafts-, aber auch Bank- und Kapitalmarktrecht, mithin das gesamte Privatrecht, soweit es erheblich unionsrechtlich beeinznznflusst ist; selbst für nicht unwichtige Teile des Wettbewerbsrechts wird man fündig. Für jede Beschäftigung und Veranstaltung zu den Parallelgebieten im nationalen, etwa im deutschen oder österreichischen Recht, ist die Sammlung heute ab einem gewissen Kenntnis- und Professionalisierungsgrad gleichermaßen unverzichtbar. Soweit es um Verordnungen geht, etwa im Datenschutzrecht, im IPR oder IZPR oder auch bei den immer wichtiger werdenden supranationalen Rechtsformen wie der SE und heute auch vielfach im Kapitalmarktrecht, ist das selbstverständlich. Hier gibt es auch im nationalen Recht nur noch – unmittelbar anwendbares – Europäisches Recht. Doch gerade auch für den ungleich größeren Bestand an Richtlinienrecht gilt: Wer die nationale Umsetzungsnorm regelgerecht beurteilen will, muss auf die Richtlinie schauen (I.). Nach der sich zunehmend verdichtenden EuGH-Rechtsprechung gibt ihre Auslegung auch in (fast) allen Fällen im Privatrecht – im sog. Horizontalverhältnis zwischen Privatrechtssubjekten – und nicht die Auslegung des nationalen Umsetzungsrechtsakts im Zweifelsfalle den Ausschlag. Das (Europäische) Original gilt letztentscheidend! Für das Vertragsrecht bedeutet dies etwa, dass praktisch das gesamte Leistungsstörungsrecht (potentiell) nach der Kaufgewährleistungs-

* Die Herausgeber danken den Mitarbeitern an ihren Lehrstühlen in Berlin und Bochum, in der 1. und 2. Auflage besonders den wissenschaftlichen Mitarbeitern Dr. Martin Schmidt und Stefan Wichary, und für die sehr weitgehend neu gefasste 3. Auflage dem Forschungsassistenten Herrn Cüneyd Erbay und Herrn stud. iur. Andrei Morariu für ihre umsichtige und gedankenreiche Mitwirkung an der Gestaltung und der Redaktion des Bandes bis in die vorliegende Auflage. Andauernder Dank gebührt Herrn Hans Paulo Osterkamp, dessen Textgestaltung die Ausgabe seit der ersten Auflage prägt. https://doi.org/10.1515/9783110667776-203

Einleitung

Richtlinie (2.8a) auszulegen ist. Die Sammlung soll zugleich helfen, die Breite, Prinzipienausrichtung und Systematik des Europäischen und Europäisierten Privat- und Wirtschaftsrechtsbestandes zu erfassen (II. und III.–V.).

I Instrumente der Einwirkung im nationalen Recht 1 Rechtsquellen a) Zu den Rechtsquellen des Europäischen Privatrechts gehört zuerst das Primärrecht. Von den Vorschriften des Vertrags über die Europäische Union (EUV) sind die Grundrechtsbestimmung des Art. 6 EUV hervorzuheben, aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) neben Grundlagenbestimmungen vor allem die Grundfreiheiten, die Wettbewerbsvorschriften der Art. 101–109 AEUV und das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung in Art. 157 AEUV. Primärrechtlichen Rang haben auch einige der vom EuGH hervorgehobenen Allgemeinen Rechtsgrundsätze wie z. B. der Grundsatz der Berufsfreiheit (Vertragsfreiheit), die auch im Privatrecht grundlegende Bedeutung haben können. Diese ergibt sich heute auch aus Art. 15 der Grundrechtscharta, die durch den Verweis in Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 EUV zu einer unmittelbaren Quelle des Primärrechts geworden ist. b) Für das auf der Grundlage des Primärrechts, insbesondere des AEUVertrags, erlassene sogenannte Sekundärrecht sieht Art. 288 AEUV verschiedene rechtliche Formen vor. Davon sind die Verordnung und die Richtlinie für das Privatrecht die wichtigsten. „Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“, Art. 288 Abs. 2 AEUV. Die Verordnung wirkt daher ebenso wie ein nationales Gesetz. Auf eine privatrechtliche Verordnung wie auf die Zahlungsentgelte-Verordnung (2.16) oder die SEVerordnung (4.15) kann sich der einzelne auch im Verhältnis zu anderen Privaten auch vor inländischen Gerichten unmittelbar berufen. Praktische Bedeutung hat das heute vor allem im Datenschutzrecht (2.24) sowie, mit der Marktmissbrauchs- und jüngst der Prospekt-VO (4.11 und 4.8), zunehmend im Kapitalmarktrecht und bereits seit längerem für die Verordnungen des IPR und IZPR. Umgekehrt ist das ehedem als EU-Verordnung geplante Gemeinsame Europäischen Kaufrecht (2.18 in der Vorauflage) heute überholt (ebenso wohl die SPE-VO, 4.20 in der Vorauflage). Das Gros der privatrechtlichen Regelungen wurde bisher hingegen in Richtlinienform erlassen. Die Richtlinie ist ein besonderer Rechtsakt des Unionsrechts. Sie „ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen X

Einleitung

Stellen die Wahl der Form und der Mittel“, Art. 288 Abs. 3 AEUV. Aus dieser „gestuften Rechtsetzung“ ergeben sich eine Reihe rechtsetzungstechnischer und methodischer Fragen. Als weitere Rechtsakte erwähnt Art. 288 AEUV Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen. Im Europäischen Privatrecht haben sie eine untergeordnete Bedeutung.

2 Auslegung und Rechtsfortbildung Die Auslegung des Europäischen Privatrechts folgt im Ansatz weithin den aus dem nationalen Recht bekannten Methoden, doch stellen sich teilweise auch spezielle Fragen. Eine unionsrechtsspezifische Vorfrage ist, ob ein auszulegender Begriff unionsautonom oder, als Verweisung auf das mitgliedstaatliche Recht, mitgliedstaatlich-autonom auszulegen ist. Der Gerichtshof geht regelmäßig von der Vermutung aus, dass die in einem Unionsrechtsakt enthaltenen Begriffe auch unionsautonom auszulegen sind. Soweit es um unionsrechtlich-autonome Begriffe geht, ist auch im Europäischen Recht der Wortlaut Ausgangspunkt für die Auslegung. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass alle Sprachfassungen Europäischer Rechtsakte gleichwertig sind. Diese Mehrsprachigkeit bietet einerseits die Chance, ein Wortverständnis in anderen Sprachfassungen zu bestätigen. Nicht selten begründen allerdings gerade die unterschiedlichen Sprachfassungen Auslegungszweifel. Oft wird den Arbeitssprachen – Französisch, Englisch, Deutsch – besonderes Gewicht beigelegt. Hier kam in der Sechser-Gemeinschaft dem Französischen eine hervorragende Bedeutung zu, das auch Arbeitssprache am EuGH ist, mit dem Beitritt des Vereinigten Königreichs und den zunehmenden Erweiterungen hat offenbar das Englische eine gewisse Vorherrschaft erlangt, die wohl auch durch einen Brexit nicht in Frage gestellt werden wird. Methodische Folgerungen lassen sich aus diesen empirischen Befunden indes praktisch nicht ableiten. Können Wortlautdiskrepanzen nur Auslegungszweifel begründen, so können im Sekundärrecht (weniger im Primärrecht) die Materialien, v. a. die Begründung des Kommissionsvorschlags, Aufschluss über das Gemeinte geben. Entscheidende Bedeutung misst der Gerichtshof indes dem Zweck der Regelung bei, den er mitunter durch das Gebot der praktischen Wirksamkeit (effet utile) noch zusätzlich verstärkt. Im Europäischen Recht gehört wie im nationalen Recht die Rechtsfortbildung zu den anerkannten Aufgaben der Gerichte. Analogie und teleologische Reduktion gehören auch hier zum methodischen Handwerkszeug. Der zunehmend dichte Regelungsbestand bietet dabei heute ein festes Fundament für eine systematisch-teleologische Rechtsfortbildung. Wiederum ist allerdings zu XI

Einleitung

beachten, dass das Unionsrecht nicht für sich allein steht, sondern zumal das Sekundärrecht – in allen hier abgedruckten Materien – das mitgliedstaatliche Recht nur in einzelnen Hinsichten ergänzt. Stellt man daher eine Regelungslücke fest, so ist hier die Vorfrage, ob es sich um eine interne Lücke des Unionsrechts handelt, die auch auf der Ebene des Unionsrechts zu schließen ist, oder um eine aus Sicht des Unionsrechts externe Lücke, die vom mitgliedstaatlichen Recht zu schließen ist.

3 Nicht-spezifizierte Rechtsfolgen Eine Besonderheit des Europäischen Privatrechts liegt darin, dass es bisher oft nur Rechte und Pflichten, nicht aber die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung vorgibt. Das hat besonders bei Richtlinien Bedeutung, aber auch darüber hinaus. Diese mangelnde Spezifizierung von Rechtsfolgen ist im Grundsatz keineswegs zu beanstanden, sondern entspricht dem Gebot einer schonenden und rücksichtsvollen Rechtsetzung, denn gerade die Bestimmung der Rechtsfolgen ist für die systematische Einpassung von Richtlinienvorgaben in das mitgliedstaatliche Recht wichtig. Gibt das Unionsrecht allerdings die Rechtsfolgen nicht spezifisch vor, so bedeutet das keineswegs eine völlige Freiheit der Mitgliedstaaten. Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV sind sie vielmehr zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben verpflichtet, und dazu gehört auch, unionsrechtlich begründete Rechte effektiv zu bewehren. Ausgehend vom „Grundsatz der Verfahrensautonomie“ hat der Gerichtshof diese Umsetzungspflichten durch zwei Gebote konkretisiert, das Äquivalenzgebot und das Effektivitätsgebot. Das Äquivalenzgebot bedeutet, dass unionsrechtlich determinierte Rechte äquivalent, d. h. gleichwertig ebenso zu bewehren sind wie entsprechende Rechte nationaler Provenienz. Das Äquivalenzgebot hat zum einen den Vorzug, dass es den Mitgliedstaaten nur eine systemgerechte Einpassung in das nationale Recht abverlangt. Allein dadurch ist im Regelfall auch eine effektive Umsetzung gesichert. Zudem wird die äquivalente Umsetzung für die Rechtsunterworfenen regelmäßig gut erkennbar sein. Nach dem Effektivitätsgebot dürfen die unionsrechtlich determinierten Rechte nicht praktisch leerlaufen. Damit wird in Ergänzung zu dem relativen Maßstab des Äquivalenzgebots als äußerste Grenze ein absoluter Maßstab angelegt. Sanktionen müssen danach jedenfalls „tatsächlich abschreckend“ wirken.

4 Das Zusammenwirken von Europäischem und mitgliedstaatlichem Recht a) Für die Grundfreiheiten ist anerkannt, dass sie seit Ablauf der Übergangszeit unmittelbar geltende Rechte der einzelnen Bürger der Mitgliedstaaten bilden. XII

Einleitung

Der Einzelne kann sich daher auch vor den mitgliedstaatlichen Gerichten unmittelbar auf die Grundfreiheiten berufen. Umstritten ist, ob sie darüber hinaus eine unmittelbare Drittwirkung gegenüber Privaten entfalten. Der Gerichtshof hat das in einzelnen Entscheidungen bejaht, namentlich für die Dienstleistungsfreiheit und für die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Auch das Diskriminierungsverbot des Art. 157 AEUV stellt nach der Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbares Recht dar. Der einzelne Arbeitnehmer kann sich auch im Privatrechtsverhältnis zu einem Arbeitgeber darauf berufen. b) Über die Wirkung von sekundärrechtlichen Verordnungen ist weniger zu sagen. Sie haben allgemeine Geltung (oben, I. 1. b)), sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, so wie ein nationales Gesetz. c) Dagegen verdienen einige Besonderheiten der Wirkungen von Richtlinien Hervorhebung, die ein Instrument eines zweistufigen Rechtsetzungsverfahrens sind. Als Zielvorgabe für die Mitgliedstaaten muss die Richtlinie in das mitgliedstaatliche Recht umgesetzt werden. Für die Umsetzung haben die Mitgliedstaaten eine in der Richtlinie bestimmte Frist. Grundsätzlich entfalten Richtlinien vorher keine Rechtswirkungen. Allerdings ergibt sich schon aus den Umsetzungspflichten ein „Frustrations-“ oder Vereitelungsverbot, das die Mitgliedstaaten bindet, vor Ablauf der Umsetzungsfrist keine Tatsachen zu schaffen, die einer fristgerechten Umsetzung entgegenstehen. Insofern entfalten Richtlinien eine gewisse Vorwirkung. Als eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Regelung, die den Adressaten die Wahl der Form und der Mittel zur Umsetzung überlässt, ist die Richtlinie grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar. Wenn indes ein Mitgliedstaat seine Umsetzungspflicht nicht (rechtzeitig oder vollständig) erfüllt, die Richtlinienregelung aber darauf gerichtet ist, Rechte gegen den Mitgliedstaat zu begründen, erschiene es nicht richtig, wenn er sich auf den Umsetzungsmangel berufen dürfte. Daher hat der Gerichtshof für diesen Fall eine unmittelbare Anwendbarkeit anerkannt, vorausgesetzt dass die Richtlinienvorgaben hinreichend bestimmt und unbedingt sind. Zu Lasten Privater kann die Richtlinienregelung indes in keinem Fall unmittelbare Wirkung entfalten, und zwar weder im Horizontalverhältnis zwischen Privaten noch im Vertikalverhältnis zwischen einem Privaten und einem Mitgliedstaat. Das gilt auch für den Fall, dass der Private sich gegenüber dem Mitgliedstaat auf die (nicht oder nicht vollständig) umgesetzte Richtlinie beruft. Schon die unmittelbare Anwendung der Richtlinie gegen den Staat setzt voraus, dass mit den „Mitgliedstaaten“ alle staatliche Gewalt Adressat der Richtlinie ist, nämlich auch die Verwaltung. Aber auch die Judikative ist als Bestandteil der mitgliedstaatlichen Gewalt Adressat der Richtlinie und als solXIII

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cher an die Umsetzungspflichten gebunden. Daraus folgt, in den Worten des Gerichtshofs, „dass das nationale Gericht (…) [das] nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen hat, um das in Art. 288 Abs. 3 AEUV genannte Ziel zu erreichen“. – Mit Ablauf der Umsetzungsfrist trifft die mitgliedstaatlichen Gerichte m. a. W. eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und Rechtsfortbildung. Diese Bindung gilt keineswegs nur, soweit es um die gerichtliche Geltendmachung von Pflichten des Staates geht, sondern findet auch bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten Anwendung. Umstritten sind die Grenzen der Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfindung. Der Gerichtshof deutet sie an, wenn er sagt, das Gericht habe seine Auslegung „soweit wie möglich“ am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten. Damit ist einerseits die hervorragende Bedeutung ausgedrückt, die der Durchsetzung der Richtlinienziele zukommt. Andererseits weist die Beschränkung auf das „Mögliche“, auf die Grenzen hin, die jedes mitgliedstaatliche Gericht in seinem nationalen Methodenrecht und der nationalen Methodenlehre findet. Ob die unionsrechtliche Verpflichtung zur richtlinienkonformen Rechtsfindung daher auch eine Rechtsfindung contra legem fordert, hängt davon ab, ob diese auch sonst im nationalen Recht (in Ausnahmefällen) zulässig ist. In Deutschland ist die Rechtsfindung contra legem keineswegs vollständig ausgeschlossen. Zudem ist zu bedenken, dass auch die Richtlinie „Recht“ i.S.v. Art. 20 Abs. 3 GG darstellt. Daher ist eine richtlinienkonforme Rechtsfindung contra legem jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. In der Tat hat der BGH für die Regeln der Schuldrechtsmodernisierung eine richtlinienkonforme Auslegung weitgehend auch contra legem angenommen. Ungeachtet der Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendung von Richtlinien gegen die Mitgliedstaaten und der Bindung mitgliedstaatlicher Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung gibt es (eher seltene) Fälle, in denen Mitgliedstaaten die Richtlinienvorgaben nicht vollständig erfüllen. Soweit die Richtlinie dazu bestimmt war, Rechte des Einzelnen zu begründen, stellt sich dann die Frage, ob der Mitgliedstaat dem Geschützten für das Versäumnis einstehen muss. Die Frage einer Staatshaftung kommt zwar auch in anderen Bereichen in Betracht, sie spielt aber hier eine besondere Rolle. Auf der Grundlage der Unionstreue (heute Art. 4 Abs. 3 EUV) und des Gedankens des effet utile hat der Gerichtshof eine „unmittelbar im Gemeinschaftsrecht begründete“ Staatshaftung der Mitgliedstaaten anerkannt. Voraussetzungen dieser Staatshaftung sind: (1) Verletzung einer Richtlinienbestimmung, die die Verleihung von Rechten an Einzelne bezweckt; (2) hinreichend qualifizierte Verletzung der Umsetzungspflicht (stets bei unterlassener/verspäteter Umsetzung); (3) unmittelbare Kausalität der Pflichtverletzung für den dem Geschädigten entstandenen Schaden. Eine Verletzung von Richtlinienbestimmungen liegt zum einen vor, wenn XIV

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der Gesetzgeber die Vorgaben nicht vollständig und richtig oder nur verspätet umsetzt, zum anderen aber auch, wenn Gerichte und Verwaltung der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Zuständigkeiten das Gebot der richtlinienkonformen Rechtsfindung nicht beachten. Im Hinblick auf Defizite bei der Richtlinienumsetzung erweist sich dabei die Voraussetzung eines hinreichend qualifizierten Pflichtverstoßes als erhebliche Hürde: Hier hat das mitgliedstaatliche Gericht, das über den Anspruch entscheidet, eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen, nämlich das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, den Umfang des Ermessensspielraums, den die verletzte Vorschrift den Mitgliedstaaten belässt; ob die Pflichtverletzung schuldhaft erfolgte; ob sie auf einem (entschuldbaren oder unentschuldbaren) Rechtsirrtum beruht; und ob Verhaltensweisen eines Unionsorgans die Pflichtverletzung veranlasst haben. Wegen ihrer bloßen Zielverbindlichkeit belassen Richtlinien den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern aber öfter Ermessensspielräume oder Umsetzungsoptionen. Ein richterlicher Verstoß gegen die Umsetzungspflichten ist sogar nur dann hinreichend qualifiziert, wenn die Entscheidung offenkundig mit den Richtlinienvorgaben unvereinbar ist, z. B. die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig verkennt. d) Nicht selten entscheidet sich der nationale Gesetzgeber, Richtlinienvorgaben überschießend umzusetzen. Das ist z. B. dann der Fall, wenn er Vorgaben für das Verbrauchervertragsrecht darüber hinausgehend auch für das allgemeine Vertragsrecht übernimmt. Dann stellen sich zwei Fragen. Methodisch ist zu prüfen, ob das „überschießende“ Recht mit Rücksicht auf die europarechtlichen Richtlinien auszulegen ist. Und prozessual stellt sich die Frage, ob ein nationales Gericht dem EuGH auch wegen der überschießenden nationalen Rechtsetzung im Verfahren nach Art. 267 AEUV vorlegen kann (oder sogar muss). Eine Bindung zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts auch im überschießenden Bereich könnte sich aus dem Unionsrecht oder aus dem nationalen Recht ergeben. Eine unionsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung besteht in diesem Bereich indes nicht. Da sich die fragliche Bestimmung insoweit außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts befindet, kann es grundsätzlich auch keine unionsrechtliche Bindung geben. Anderes kann im Einzelfall nach nationalem Recht begründet sein, soweit sich ein entsprechender Wille des nationalen Gesetzgebers ermitteln lässt. Die Bindung zur richtlinienkonformen Auslegung ist dann ein Anwendungsfall der subjektiv-teleologischen Auslegung. Teilweise wird eine Art Vermutung zugunsten der einheitlichen – im Gegensatz zur „gespaltenen“ – Auslegung angenommen: im Zweifel wolle der (deutsche) Gesetzgeber entsprechend dem Systemgedanken eine einheitliche Auslegung. Die Frage der Vorlagefähigkeit überlässt der EuGH, von klaren Missbrauchsfällen abgesehen, weitgehend der Einschätzung des vorlegenden Gerichts. Der XV

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Gerichtshof beantwortet eine Vorlagefrage auch dann, wenn der streitgegenständliche Fall nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, die Auslegung des Unionsrechts dafür aber nach Einschätzung des vorlegenden Gerichts eine Rolle spielt. Dabei räumt er dem vorlegenden Gericht eine weitgehende Prärogative ein, einzuschätzen, ob die Vorlage für seine Entscheidung erforderlich ist.

II Allgemeine Grundlagen und Politiken In der 1. Abteilung der Sammlung ist der Normenbestand zu den allgemeinen Grundlagen und Politiken vereint. Dies sind diejenigen Teile des EU- und des AEU-Vertrages (1.1., 1.2.), die materielles Recht setzen und nicht nur die institutionellen Arrangements betreffen, sowie die Grundrechte-Charta (1.3), die auf Grund der verfassungs- und privatrechtlichen Rechtsprechung in wichtigen Mitgliedstaaten und in der Union sowohl als privatrechtliche Grundordnung fungiert als auch auf Rechtsbeziehungen zwischen Privatrechtssubjekten direkt oder indirekt ausstrahlen kann. Abgedruckt sind insbesondere auch die Regeln zu den Grundfreiheiten sowie die Regeln zur Wettbewerbsordnung, der einzigen allgemein geltenden Politik, die in der Europäischen Union seit Anbeginn ausgeformt war (mit der sog. Europäischen Bankenunion, der Bankaufsicht in der Eurozone unter Letztverantwortung der Europäischen Zentralbank, ist zwar im Gefolge von Finanz- und Eurokrise ein zweites solches unmittelbar auf EU-Ebene geregeltes und administriertes Politikfeld hinzugekommen, es wirkt jedoch ungleich spezieller, ist auch „nur“ im EU-Sekundärrecht geregelt und wird im Folgenden nicht einbezogen); abgedruckt sind umgekehrt jedoch auch die Regeln zu den sozialen Dimensionen Europas. Insgesamt geht es nämlich im Europäischen Privatrecht mit seinen verfassungsrechtlichen Grundlagen um das Großthema des Privatrechts unserer Zeit: um die Verbindung eines freiheitsermöglichenden Privatrechts, das etwa den Parteien eine („Reserve“) Vertragsordnung zur Verfügung stellt, die ihrer Gestaltung offen ist, mit einem Ordnungsrahmen, der Schwächen von Marktmechanismen und Organisationsgestaltung entgegen wirkt. Paradigmatisch deutlich wurde dieses Grundanliegen schon von Anbeginn an im Wettbewerbsrecht, das Austausch auf Märkten und freien Wettbewerb, also Verwirklichung von Privatautonomie zum Ziel hat, und die zu diesem Zwecke nötigen Instrumente voraussetzt, zugleich jedoch darauf ausgerichtet ist, diese zu erhalten gegen Eingriffe seitens privater Macht. Eine der fundamentalen Besonderheiten des AEU-Vertrages (etwa im Vergleich zu nationalem, auch marktordnendem Recht) liegt darin, dass dieser Ansatz systematisch auch gegenüber XVI

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Eingriffen seitens öffentlicher Macht verfolgt wird, namentlich durch die Beihilfenregelung, die Regelung über das öffentliche Auftragswesen und vor allem durch die Grundfreiheiten. Gegenstand ist ein Ordnungsrahmen, der schützt, indem er darauf abzielt, materiale, nicht nur formale Freiheitsausübung (möglichst weitgehend) zu erhalten. Die vorliegende Sammlung hat, weil sie den Gesamtbestand abbildet, immer wieder Regeln zum Gegenstand, die im Zeichen dieses Gleichgewichts und einer Suche nach ihm stehen. Angesichts des immensen Umfangs der ordnenden Teile – im Wettbewerbsrecht, im Aufsichtsrecht, aber auch in Sonderwirtschaftsrechten – steht jedoch das Privatrecht in seinem ermöglichenden Teil im Vordergrund, das Privatrecht ist vollständig erfasst. Umgekehrt sind das Wirtschaftsrecht – und genereller: der Ordnungsrahmen – zwar konzeptionell mitgedacht und in vielen Bereichen Teil der jeweiligen Rechtsakte – namentlich im Kapitalgesellschafts- und im Kapitalmarktrecht. Vollständigkeit im Wirtschaftsrecht im engen Sinne war jedoch im Rahmen der vorliegenden Sammlung und ihres akzeptierten Umfangs unmöglich zu erzielen.

III Vertragsrecht 1 Bestand Der vertragsrechtliche Bestand ist in drei Gruppen geordnet. a) Die erste gilt dem allgemeinen Vertragsrecht. Den Auftakt machen die Rechtsakte zum Vertragsabschluss, die spezielle Absatztechniken zum Gegenstand haben. Zu nennen ist hier die Verbraucherrechterichtlinie (2.1), die die ursprünglichen Richtlinien zum Haustürwiderruf und zum Fernabsatz ersetzte. Bestand hat daneben auch heute noch eine eigene Richtlinie für den Fernabsatz im Bereich der Finanzdienstleistungen (2.2). Hauptinhalte dieser Rechtsakte sind Informationsregeln, die die speziell bei diesen Absatztechniken besonders hohen Informationsprobleme, etwa -asymmetrien, abzubauen helfen sollen, sowie Widerrufsrechte, die, weil sie grundlos ausgeübt werden können, dem Kunden (Verbraucher) ermöglichen, die fehlende Vergleichsinformation nachträglich einzuholen und/oder nochmals frei von fremd geschaffenem Druck über den Vertragsschluss zu entscheiden. Noch etwas weitergehende Inhalte finden sich in der E-Commerce-Richtlinie, vor allem zur Frage, wie der Vertragsschluss erfolgt, und zur grundsätzlich alleinigen Anwendbarkeit des Herkunftslandrechts (2.3). Den Vertragsschluss und seine Vorbereitung betreffen auch die Rechtsakte zu (unlauteren) Geschäftspraktiken und, als besonders wichtige und früh geregelte Unterkategorie, zu Werbepraktiken, die jedoch so starke Bezüge XVII

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zur Marktordnung allgemein aufweisen, dass sie in diesen – dritten – Bereich eingeordnet wurden (2.20 und 2.21). Noch allgemeiner als der genannte erste Regelkomplex wirken die Richtlinien zur Gleichbehandlung. Das Antidiskriminierungsrecht nimmt im Europäischen Recht primär seinen Ausgangspunkt bei dem Verbot, nach der Staatsangehörigkeit zu diskriminieren, so in den Grundfreiheiten und in Art. 18 AEUV. Bereits in den Römischen Verträgen, also von Anbeginn an, tritt daneben jedoch auch ein Verbot, nach dem Geschlecht zu diskriminieren, freilich nur für den Arbeitslohn (Art. 119 EWGV; s. heute Art. 10, 157 AEUV). Auf das Vertragsrecht erstreckt wird die von einer umfangreichen EuGH-Rechtsprechung und umfangreicher arbeitsrechtlicher Harmonisierungstätigkeit getragene Entwicklung durch zwei Richtlinien. Sie statuieren ein Verbot, nach Geschlecht (2.4) bzw. nach Rasse oder Herkunft (2.5) zu diskriminieren, und gestalten es bis hin zu Fragen der Beweislast aus. Entscheidend ist, dass es sich um Verträge von einer gewissen Öffentlichkeit handeln muss. Im Anwendungsbereich handelt es sich um die wohl breitesten Teile des allgemeinen Vertragsrechts im Unionsrecht, weil sogar schon die Verweigerung des Vertragsschlusses, natürlich aber auch der Vertragsschluss und dann der Vertragsinhalt betroffen sind. Eine nochmals weitere Untergruppe betrifft Vertragsinhalt und Vertragsdurchführung, hier vor allem Leistungsstörungen – teils auch sehr punktuell, wie etwa die Zahlungsverzugs-Richtlinie (2.10). Den ersten Rechtsakt, der auf diese Weise über den Vertragsschluss hinaus ging und in dem die Inhaltskontrolle im Vordergrund steht, bildet die AGB- oder Klausel-Richtlinie (2.6), die freilich mit dem stark in den Vordergrund gerückten Transparenzgebot durchaus auch Bezüge zur schon vorher dominierenden Informationsausrichtung des Europäischen Vertragsrechts hat. Die drei als Nächstes anzusprechenden Richtlinien bilden das Konvolut, das am fundamentalsten den Umbruch im allgemeinen Vertragsrecht in diesem Jahrzehnt wiederspiegelt. Nicht mehr wirklich zum allgemeinen Vertragsrecht zu gehören scheint dabei die KaufgewährleistungsRichtlinie (2.8a), nach deutschem Verständnis natürlich ein spezieller Vertragstyp. International, im UN-Kaufrecht, wurde Harmonisierung bzw. Vereinheitlichung in diesem Bereich jedoch als Modell bildend für das ganze Vertragsrecht verstanden – ebenso auch in der Kaufgewährleistungs-Richtlinie. Beide prägten denn auch alle Prinzipienkataloge, namentlich die Principles of European Contract Law (PECL). Und beide bilden auch ein insofern einheitliches Modell, als im Kern inhaltsgleiche Regeln für Verbraucherkauf und Kauf zu beruflichen Zwecken niedergelegt wurden. Die Kaufgewährleistungs-Richtlinie gilt zudem allgemein für den Warenverkehr, nicht sektorenspezifisch. Dieser Rechtsakt war für das deutsche Recht auch insofern von grundlegender Bedeutung, als er die Schuldrechtsmodernisierung auslöste und damit die fundamentale UmgestalXVIII

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tung des gesamten Leistungsstörungsrechts (im Schuldrecht AT!) – die wohl fundamentalste seit 1900. Diese Richtlinie wird jedoch ersetzt – zum 1. 1. 2022 – durch die neue Warenkauf-Richtlinie (2.8), mit im Wesentlichen gleichen Regelungen und Konzepten, die jedoch – schon von Nummerierung und Gesetzgebungsgeschichte her – Teil eines Konvoluts von zwei Richtlinien ist, das neben ihr auch die Digitale Inhalte Richtlinie umfasst (2.7). Beide Richtlinien bilden Europas Antwort auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters an das Vertragsrecht mit neuen digitalen Vertragsabschlussformen (neben der bereits bestehenden E-Commerce-Richtlinie) und neuen digitalen Inhalten (und weiteren derzeit betriebenen Initiativen zu digitalen Plattformen). Gerade die WarenkaufRichtlinie zeigt jedoch, dass der EU-Gesetzgeber dies mit einer Reform des allgemeinen (Kauf-)Vertragsrecht der analogen Welt verbunden hat. Insbesondere hat er hier, nachdem die Vorschläge zunächst noch ganz allein auf die digitalen Phänomene beschränkt waren, das gesamte Kaufrecht der analogen Welt einbezogen und dabei gewisse Elemente aus einem Vorschlag übernommen, der noch die Diskussion am Anfang des Jahrzehnts beherrscht hatte: Als solcher nicht verwirklicht wurde nämlich umgekehrt der Vorschlag der Kommission über eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht aus dem Jahre 2011 (2.12 in der Vorauflage). Ziel dieses auf dem sog. Gemeinsamen Referenzrahmen fußenden Rechtsaktes (Entwurfs) war es, ein „28. Regime“ zu schaffen, das – in der gesamten Union anwendbar – neben die nationalen Kaufrechtsregelungen getreten wäre. Der persönliche Anwendungsbereich hätte dabei solche Verträge umfasst, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen wurden, sowie solche zwischen Unternehmen, sofern eines davon ein KMU gewesen wäre. Dort hatten sich auch bereits erste Regeln zur Bereitstellung digitaler Inhalte gefunden. Da der Vorschlag politisch gescheitert ist, wird – auch aus Platzgründen – insoweit auf einen Abdruck verzichtet und auf die Vorauflage verwiesen. Weder als allgemein, noch als Vertragsrecht erscheint der Gehalt der Produkthaftungs-Richtlinie (2.9). Mit der Kaufgewährleistungs- und der Warenkauf-Richtlinie teilt dieser Rechtsakt jedoch das Ansetzen am fehlerhaften Produkt – bei freilich abweichenden Kriterien zur Fehlerbestimmung. Vor allem jedoch handelt es sich bei der Produkthaftung um den Teil des Deliktsrechts, der in besonderem Maße Absatz und planbare Zahlen zum Gegenstand hat und insofern durchaus Vertragsrecht und -denken benachbart erscheint. Zudem handelt es sich (neben dem Umwelthaftungsrecht) um den einzigen wichtigen harmonisierten Teil des Deliktsrechts, also den Rechtsakt, der das unionsrechtlich verfasste „Schuldrecht“ komplettiert. In einem Sonderbereich – dem Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen – ist 2014 freilich mit der Wettbewerbsschadensersatzklagen-Richtlinie ein weiterer spezialisierter Deliktsrechtsakt hinzugekommen (hier nicht abgedruckt). XIX

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b) In der zweiten Gruppe sind Regelungen zum besonderen Vertragsrecht zusammengefasst, die jeweils ganz spezielle Sektoren betreffen. Am Übergang steht der Handelsvertretervertrag (2.11), einerseits in allen Sektoren verwendbar, andererseits jedoch ein spezieller Vertragstyp. Die Ingmar-Entscheidung des EuGH legt es nahe, ihn sogar in der Nähe abhängiger Stellungen, namentlich abhängiger Arbeit zu sehen. Die Richtlinie selbst regelt sowohl einen Vertragstyp mit klassischen Vertragspflichten als auch die besondere Abhängigkeitslage, besonders bei Vertragsbeendigung. Ansonsten betreffen die Richtlinien drei Sektoren, die insgesamt fast 1/3 des Bruttosozialprodukts europaweit ausmachen: Den ersten bilden Verträge im Zusammenhang mit dem Tourismus. Dabei stellt die Pauschalreise-Richtlinie (2.12) ein besonders weit durchgestaltetes Modell vieler Fragen dar, gerade auch im Hinblick auf die Vertragsdurchführung und -anpassung. Die Timesharing-Richtlinie – zweite Generation (2.13) – betrifft hingegen eher einen Sonderfall, in dem die Freiheit beim Vertragsschluss ähnlich problematisch gesehen wird wie im Falle der oben genannten besonderen Absatztechniken (wiederum mit Widerrufsrecht). Zu diesen zwei Richtlinien aus dem Reisesektor trat mit der Fluggastrechte-VO (2.14) in jüngerer Zeit ein weiterer – vorliegend neu aufgenommener – Rechtsakt in diesem Sektor, der bereits eine erhebliche Judikatur auch des EuGH ausgelöst hat. Den zweiten Sektor bildet das Kreditwesen. Dabei sind zwei der drei klassischen Hauptbankgeschäfte inzwischen sehr dicht harmonisiert: der Zahlungsverkehr mit allen wichtigen Zahlungsverkehrsinstrumenten in der ZahlungsdiensteRichtlinie – bereits in der dritten, die digitale Dimension besonders berücksichtigenden Generation (2.15, ergänzt um eine Verordnung zu den Entgelten, 2.16) –, ebenso der Wertpapierhandel und damit das Effektengeschäft mit der Finanzmarkt-Richtlinie – ebenfalls bereits in der dritten, hier nun auch Lehren aus der Finanzkrise ziehenden Generation (2.19). Charakteristisch ist hier, dass nicht nur das Vertragsrecht, sondern umfangreich auch das jeweilige Bankaufsichtsrecht geregelt ist, weil nicht nur klassische Kreditinstitute zu diesen Geschäften zugelassen werden, deren Beaufsichtigung in anderen Rechtsakten ausführlich harmonisiert war, sondern weitere Institute, die an vergleichbare Aufsichtsstandards zu binden waren, und zudem auch Marktformen reguliert wurden. Im Vertragsrecht ist, da diese Richtlinien über mehrere Generationen entwickelt wurden, eine im Wesentlichen flächendeckende Durchgestaltung zu konstatieren, im Falle der Zahlungsdienste-Richtlinie auch eindeutig als reiner Vollharmonisierungsansatz. Hinzu kommt die Verbraucherkredit-Richtlinie (2.17), ebenfalls sehr grundlegend reformiert, die nicht nur – anders als die anderen Rechtsakte im Finanzrecht – einen reinen B2C-Rechtsakt bildet, sondern auch lange Zeit noch begrenzter im Anwendungsbereich erschien: Ausgeschlossen war (neben dem rein beruflichen Kredit) auch im B2C-Bereich der grundXX

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pfandrechtlich gesicherte Kredit, also das Hauptvolumen der Verbraucherkredite. Diese Lücke wurde freilich – auch im Eindruck der Finanzkrise – 2014 mit Verabschiedung der Wohnimmobilienkredit-Richtlinie (2.18) geschlossen (nach BGB-Diktion und präziser: Immobiliar-Verbraucherkredit-Richtlinie). Ein dritter Sektor ist noch „spezieller“ (und seit der zweiten Auflage nicht mehr abgedruckt): das Versicherungswesen und -vertragsrecht. c) Die dritte Gruppe fand überwiegend nur rudimentär, exemplarisch Aufnahme in die Sammlung. Sie gilt dem Marktordnungsrecht. Auf die Werbe- und die Geschäftspraktiken-Richtlinie (2.20 und 2.21) und ihre Nähe zum Vertragsrecht – namentlich dem Vertragsrecht zur Abschlussphase – wurde bereits hingewiesen. Kernstück der Regelung ist eine Bindung an – so die Generalklausel der zweitgenannten Richtlinie – den Standard der „Erfordernisse der beruflichen Sorgfaltspflicht“. Traditionell wird dieser Teil nicht als Vertragsrecht gesehen (so ausdrücklich auch Begründungserwägung 9 der GeschäftspraktikenRichtlinie). Phänomene wie etwa die Zusendung unbestellter Ware oder auch die Bindung des Verkäufers an Tatsachen in Werbeaussagen zeigen jedoch, dass die Grenzen verschwimmen und neu diskutiert werden müssen. Funktional handelt es sich um Rechtsakte, die den Vertragsschluss, teils sogar den -inhalt, jedenfalls mit prägen. Es handelt sich damit auch um einen ersten Komplex, in dem Ordnungsrahmen und klassisches „Bürgerliches Recht“ des Vertragsschlusses zusammenwirken. Ähnlich zugeschnitten ist die (als jüngerer Rechtsakt) neu in die Sammlung aufgenommene GeschäftsgeheimnisseRichtlinie (2.22). Marktordnungsrecht wirkt auch darüber hinaus immer wieder so stark vertragsprägend, dass die jeweilige Vertragsgestaltung von ihm weitgehend abhängig ist, und ist praktisch auch insofern wichtig, als es besonders volumenstarke Bereiche betrifft. So macht etwa das öffentliche Auftragswesen ca. 15 % des Bruttosozialprodukts aus. Umgekehrt wird diese Gruppe jedoch traditionell nicht (auch) als Teil des Vertragsrechts verstanden, sondern beispielsweise im Fall der Gruppenfreistellungsverordnungen als Teil des Wettbewerbsrechts, dem sie in der Tat primär angehören. Auf Grund der funktionalen Bezüge schien es angemessen, Teile dieses Rechtsbereichs jedenfalls exemplarisch und in Auszügen aufzunehmen. Auf Grund der primären Zugehörigkeit zum genuinen Wirtschaftsrecht und, um nicht den Rahmen zu sprengen, sollte und musste es hierbei freilich auch bleiben. Während im Bereich des öffentlichen Auftragswesens sogar der wichtigste Rechtsakt zum öffentlichen Auftragswesen, die Richtlinie zu öffentlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, nicht mehr Berücksichtigung finden konnte (2.21 in der Vorauflage) und natürlich ebenfalls nicht die Richtlinien zu den speziellen Sektoren Wasser, Energie, Verkehrsversorgung und Postdienste, ist das im allgemeinen Wettbewerbsrecht anders. Ausgewählt wurde hier immerhin eine GruppenfreistelXXI

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lungsverordnung, von denen es eine ganze Reihe gibt, und mit denen jeweils das grundsätzliche Kartellverbot für unanwendbar erklärt wird, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Diese Bedingungen betreffen insbesondere auch die Ausgestaltung des Kartells, d. h. die dort zu findenden Absprachen und Klauseln, und gestalten so das Recht dieser Verträge. Besonders wichtig sind eine Gruppenfreistellungsverordnung zu vertikalen Absprachen (unterschiedlicher Produktions- bzw. Vertriebsstufen), eine speziell für den Kfz-Sektor (i. d. R. ebenfalls vertikale Absprachen) und eine zum Versicherungssektor (i. d. R. horizontal, unter Konkurrenten). Als besonders exemplarisch ausgewählt wurde die Gruppenfreistellungsverordnungen für Vertikalvereinbarungen (2.23). Ein echtes Kerngebiet der Wirtschafts- und Sozialordnung bildet inzwischen der Datenschutz – gerade auch im digitalen Zeitalter –, das „Europäische“ Modell ist zudem durch den Umstand besonders prominent hervorgetreten, dass der maßgebliche Rechtsakt heute Verordnungsform angenommen hat. Die Datenschutz-Grundverordnung (2.24) wurde aus diesem Grunde – mit ihrem auch inhaltlich innovativen und auf moderne Problemlagen zugeschnittenen Modell – erstmals in die Sammlung aufgenommen. Für die Durchsetzung ist daran zu erinnern, dass die UnterlassungsklageRichtlinie (wenn auch in dieser Auflage nicht mit abgedruckt) für viele richtliniendeterminierte Rechte jedenfalls eine Verbraucherklage vorsieht.

2 System So fragmentarisch dieser Bestand selbst heute noch ist, die Behauptung von und der Ruf nach Systembildung zeitigten seit Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts reiche Wirkung. Die inzwischen erlassene VerbraucherrechteRichtlinie, der (wenn auch gescheiterte) Entwurf eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts, aber auch die Digital-Richtlinien sind Früchte dieser Tendenz und dieses Petitums. Charakteristisch erscheinen als Systemprinzipien unter anderem: Es wird, erstens, sehr intensiv auf Informationsregeln gesetzt, also auf Regeln, die einerseits zwar zwingend sind, sich umgekehrt jedoch von herkömmlichen inhaltlich zwingenden Regeln dadurch diametral unterscheiden, dass sie den Vertragsparteien ihre Freiheit bei der inhaltlichen Ausgestaltung durchaus belassen, ja gerade eine Gestaltung mit möglichst viel „Richtigkeitsgewähr“ unterstützen sollen. Der EuGH geht daher gar von einem Primat von Informations- vor inhaltlich zwingenden Regeln aus (Cassis de Dijon). Es wird, zweitens, im Europäischen Vertragsrecht an das Unternehmen angesetzt, also Unternehmensaußenrecht geschaffen. Das ist etwas anderes als Verbraucherrecht, obwohl viele Rechtsakte auf der anderen Seite in der Tat einen Verbraucher voraussetzen. Lange war dies im allgemeinen Vertragsrecht sogar XXII

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allgemein so (heute nicht mehr bei der Zahlungsverzugs-, bei der Geschäftspraktiken- und bei den Gleichbehandlungs-Richtlinien), im besonderen Teil jedoch immer schon nur sehr vereinzelt (etwa Verbraucherkredit-Richtlinie). Wichtiger ist jedoch, dass alle Rechtsakte auf der Anbieterseite die Unternehmereigenschaft (berufliche Tätigkeit) fordern. Diese Unternehmereigenschaft ist also der einzige Generalnenner, und zwar auch inhaltlich, denn zentral geht es um die Frage der überlegenen Organisations- und Informationsmacht von Unternehmen, um Überlegenheit, deren Auswirkungen zu regeln sind. Das Europäische Vertragsrecht kann, drittens, auch als ein Recht gesehen werden, das moderne Phänomene des Vertragsrechts besonders stark in den Blick nimmt, weil es praxis-, teils auch skandalorientiert ist. Stichworte sind Informationsgesellschaft, Vertragsnetze oder auch die Verschränkung von klassischem Vertragsrecht und Regulierung, in jüngerer Zeit auch Finanzkrise, Verbraucherirrationalitäten und vor allem Digitalisierung. Und viertens ist unübersehbar, dass zunehmend ein modernes Leistungsstörungsrecht entsteht, bisher mit der Kaufgewährleistungs-Richtlinie (2.8a), in Zukunft überführt in die WarenkaufRichtlinie (2.8.), freilich kein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (2.12 in der Vorauflage). Charakteristisch für alle ist der einheitliche Pflichtenverstoßtatbestand, auch eine zunehmende Reduktion der Rechtsbehelfe, vielleicht sogar eine Tendenz dahin gehend, diese sämtlich (weitest gehend möglich) verschuldensunabhängig auszugestalten.

IV Arbeitsrecht 1 Bestand Im Arbeitsrecht kann man ebenfalls drei Regelungsgruppen unterscheiden, sie betreffen Binnenmarkt, Arbeitsverhältnis und den Bereich von Arbeitnehmer und Organisation. a) Historischer und systematischer Ausgangspunkt sind die Binnenmarktregeln. Dem liberalen Ansatz der Gründungsverträge entsprechend standen sie bis in die 1970er Jahre ganz im Vordergrund. Man erwartete sich vom Binnenmarkt einen wirtschaftlichen Fortschritt, der insbesondere auch Verbrauchern und Arbeitnehmern zugute kommen würde. Dementsprechend beschränkte sich das Europäische Arbeitsrecht lange Zeit auf Regelungen zur Effektuierung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (vgl. 1.1) in der Arbeitnehmerfreizügigkeitsverordnung (in dieser Auflage nicht abgedruckt). Dieses Grundmodell wurde indes zunehmend in Frage gestellt und führte im Anschluss an den Pariser Gipfel von 1972 zu dem sozialpolitischen Aktionsprogramm von 1974, das in den Folgejahren in mehreren Phasen umgesetzt wurde. Sozialer Fortschritt sollte zunehXXIII

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mend durch Angleichung der mitgliedstaatlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften durch Mindeststandards erreicht werden. Ein ganz anderer Ansatz mit erheblicher Sprengkraft entfaltete sich im Anschluss an den Beitritt Spaniens und Portugals (1986). Nachdem zunächst der EuGH in einem obiter dictum die Erstreckung von Arbeitnehmerschutzvorschriften auf entsandte Arbeitnehmer anerkannt hatte, erließ die Union schließlich die Arbeitnehmerentsenderichtlinie (jetzt in der reformierten Fassung von 2018; 3.1), um die Entwicklung immerhin in gewisse Bahnen zu lenken. Beide Bereiche, Arbeitnehmerfreizügigkeit und Arbeitnehmerentsendung, stehen in engem Zusammenhang mit dem Arbeitskollisionsrecht, dessen Bestand sich aus den Rom I- und Rom IIVerordnungen ergibt (5.1, 5.2). b) Die größte Gruppe der arbeitsrechtlichen Richtlinien betrifft das Arbeitsverhältnis, von ihnen konnten nur die wichtigsten in dieser Sammlung Aufnahme finden. Vorschriften zum Vertragsschluss als solchem fehlen in diesen Richtlinien. Ebenso wie im Vertragsrecht kommt auch hier den Diskriminierungsverboten überragende Bedeutung zu, und zwar für alle Phasen des Arbeitsverhältnisses, von der Ausschreibung über den Vertragsschluss und die Arbeitsbedingungen bis zur Vertragsbeendigung. Die arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbote waren Ausgangspunkt und Motor der Entwicklung des Antidiskriminierungsrechts, an ihrem Beispiel hat der Gerichtshof grundlegende Konzepte entwickelt – z. B. das der mittelbaren Diskriminierung, der Beweiserleichterung und des Benachteiligungsverbots. Die Umsetzung der richtliniendeterminierten Diskriminierungsverbote war aber auch Anlass für grundlegende Entscheidungen zu Umsetzungspflichten, insbesondere den Sanktionen, und zur richtlinienkonformen Auslegung. Am Anfang stand das Verbot der Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts, das 1957 Eingang in den EWG-Vertrag gefunden hatte, weil Frankreich einen Wettbewerbsnachteil besorgte. Die ersten Richtlinien stammen aus den 1970er Jahren und betreffen das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung im Arbeitsleben; sie sind 2006 in einer kodifizierten Zusammenfassung in der Geschlechtsdiskriminierungsrichtlinie aufgegangen (3.2). Nachdem der Amsterdamer Vertrag 1997 mit Art. 13 EG (heute Art. 19 AEUV) eine besondere Rechtsetzungskompetenz einführte, erweiterte der Europäische Gesetzgeber 2000 die Liste der verbotenen Differenzierungsmerkmale (Rasse, ethnische Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Ausrichtung) (3.3). Ein einzelner Rechtsakt betrifft Information und Transparenz im Arbeitsverhältnis. Die Transparenzrichtlinie (3.4) statuiert eine vertragliche zunächst – wie schon die vorangegangen Nachweisrichtlinie von 1991 – Informationspflicht des Arbeitgebers, der dem Arbeitnehmer schriftlich Auskunft über die wesentlichen Arbeitsbedingungen zu geben hat. Der Gesetzgeber wollte damit einer zunehXXIV

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menden Differenzierung der Arbeitsverhältnisse Rechnung tragen, die im Zuge der Digitalisierung noch einmal zugenommen hat. Insofern steht die Nachweisrichtlinie in engem Verhältnis zu den Regelungen über atypische Arbeitsverhältnisse (Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit, 3.8–3.10. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit der Reform aus dem Jahr 2019 auch Mindestanforderungen an Arbeitsbedingungen in die Transparenzrichtlinie aufgenommen. Auch diese betreffen vor allem atypische Arbeitsverhältnisse, doch ist der Unionsgesetzgeber damit zugleich weiter in den Bereich der Regulierung der Arbeitsbedingungen vorgedrungen. Ergänzt wird die Nachweisrichtlinie in Zukunft durch die (kurz vor der Verabschiedung stehende) Whistleblower-Richtlinie (3.5). Sie lässt sich als grundlegende Regelung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten verstehen. Den wohl größten Einzelkomplex bilden die Arbeitsschutzvorschriften. Sie können in der Sammlung ebenfalls nur exemplarisch abgebildet werden. Die Arbeitsschutzrahmenrichtlinie (3.6) bildet indes nicht nur, wie gesagt wird, das „Grundgesetz“ des Europäischen Arbeitsschutzes, sie ist zugleich Grundlage für den Erlass von Einzelrichtlinien und enthält die grundlegenden Schutzkonzepte: die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, die Pflicht zur Gefahrerfassung und den Vorrang der Gefahrvermeidung. Eng mit dem Arbeitsschutz verbunden ist die Arbeitszeitrichtlinie (3.7), die maßgebend mit Erwägungen des Gesundheitsschutzes begründet wurde. Sie regelt die tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie Ruhezeiten ebenso wie den Jahresurlaub. Die Arbeitszeitrichtlinie ist zudem ein andauernder rechtspolitischer Streitpunkt, vor allem seit der EuGH in einer Reihe von Entscheidungen den Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit qualifiziert hatte. Hinzu kommt jetzt die in Einzelheiten umstrittene Rechtsprechung zur Arbeitszeiterfassung und zur Übertragbarkeit des Urlaubsanspruchs. Die längst überfällige Reform ist indes wiederholt gescheitert. Einen vorläufigen Abschluss hat dagegen 2008 aber die Regelung des Rechts der atypischen Arbeitsverhältnisse gefunden. Nachdem von den Rechtsetzungsvorhaben aus den 1980er Jahren zunächst nur die ZeitarbeitGesundheitsschutzrichtlinie verabschiedet wurde (in dieser Auflage nicht mehr abgedruckt) konnten in der Folge im Wege des sozialen Dialogs die Teilzeitund die Befristungsrichtlinie realisiert und mit ihnen entsprechende Rahmenvereinbarungen umgesetzt werden (3.8, 3.9). Der soziale Dialog über eine Regelung der Leiharbeit scheiterte indes und erst 2008 konnte eine Richtlinie verabschiedet werden (3.10). Während die Richtlinie zum Gesundheitsschutz auf den Konzepten der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie aufbaut, verwenden die abgedruckten Richtlinien vor allem das Verbot der Diskriminierung im Verhältnis zum Normalarbeitnehmer und den Pro-rata-temporis Grundsatz als Schutzinstrumente; weitere Schutzvorschriften sind nur weich ausgestaltet und haben eher Appellcharakter. XXV

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Der Unionsgesetzgeber hat darüber hinaus Richtlinien zum Schutz besonderer Arbeitnehmergruppen betreffen wie etwa Mütter, Eltern oder Jugendlicher erlassen. Diese enthalten vor allem Ergänzungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, auch im Hinblick auf die Arbeitszeit. Die hier exemplarisch abgedruckte Mutterschutzrichtlinie begründet mit der Entgeltsicherung darüber hinaus aber auch einen Schutz wirtschaftlicher Interessen (3.11). c) Unter dem Gesichtspunkt von Arbeitnehmer und Organisation zusammengefasst sind in dieser Sammlung die Regelungen über Umstrukturierung und Insolvenz sowie über die betriebliche und unternehmerische Arbeitnehmermitwirkung. Die Regelungsbereiche sind auf mehreren Ebenen verbunden. Sie hängen teils genetisch, teils inhaltlich zusammen und betreffen die Einbindung des Arbeitnehmers in die Betriebs- und Unternehmensorganisation. Eine gewisse Sonderstellung nimmt dabei freilich die (freilich praktisch wichtige!) Insolvenzschutzrichtlinie ein (in dieser Auflage nicht mehr mit abgedruckt). Die erste Untergruppe dieser Vorschriften stammt aus der Frühzeit des Europäischen Arbeitsrechts. Massenentlassungsrichtlinie und Betriebsübergangsrichtlinie (3.12 und 3.13) setzen zusammen mit der Insolvenzschutzrichtlinie zentrale Regelungsziele des sozialpolitischen Aktionsprogramms von 1974 um. Wichtigster Schutzmechanismus der Betriebsübergangsrichtlinie ist, das Arbeitsverhältnis mit dem Betrieb auf den Erwerber zu übertragen. So wie die Massenentlassungsrichtlinie setzt aber auch die Betriebsübergangsrichtlinie auf prozedurale Schutzmechanismen durch Information und Konsultation; in den Richtlinien ist damit zugleich der Keim des Europäischen Betriebsverfassungsrechts mit angelegt. Die Insolvenzschutzrichtlinie trägt hingegen den unzureichenden Möglichkeiten des Arbeitnehmers Rechnung, seine offenen Vergütungsforderungen abzusichern; dies übernimmt in einem Mindestmaß eine Garantieeinrichtung. Das Recht der Arbeitnehmermitwirkung in Betrieb und Unternehmen war zuerst in den Vorschlägen der Europäischen Aktiengesellschaft (vgl. 4.15) angelegt, die freilich erst 2001 – in stark veränderter Form – umgesetzt werden konnten. Nachdem Einzelrichtlinien zu Massenentlassungen, Betriebsübergang, aber auch zum Arbeitsschutz bereits Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmervertreter begründet hatten, entstand mit der Unterrichtungsrahmenrichtlinie eine Querschnittsregelung (3.14). Sie begründet Unterrichtungs- und Anhörungsrechte, setzt aber vor allem bei deren Ausgestaltung auf ein Konzept der „Prävention und Antizipation“ durch andauernden Dialog. Zeitlich vorangegangen war die Europäischer-Betriebsrat-Richtlinie (3.15). Sie sieht die Einrichtung eines EBR oder eines besonderen Unterrichtungs- und Anhörungsverfahrens für grenzüberschreitend tätige Unternehmer bestimmter Größe vor und macht für deren Ausgestaltung nähere Vorgaben. Was die Richtlinie über ihren AnwendungsbeXXVI

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reich hinaus hervorhebt, ist, dass der Gesetzgeber mit ihr von einem inhaltlichen zu einem prozeduralen Regulierungsmechanismus übergegangen ist. Die Ausgestaltung der Arbeitnehmermitwirkung wird nicht primär rechtlich vorgegeben, sondern der autonomen Vereinbarung der Betriebspartner überlassen, die im Rahmen eines strukturierten Verfahrens verhandeln, freilich im Schatten einer subsidiär anwendbaren Auffanglösung. Dieses Regulierungskonzept einer contract governance erwies sich auch für die Arbeitnehmermitwirkung in der SE (4.16) als prägend: Mit seiner Hilfe konnte der „dreißigjährige Krieg“ um die Mitbestimmung beendet werden.

2 System Auch im Europäischen Arbeitsrecht zeichnet sich damit eine gewisse Systembildung ab. Sind die Einzelregelungen auch in mehreren Phasen und auf der Grundlage unterschiedlicher Regulierungskonzepte entstanden, so erscheinen sie heute doch als ein weithin geordnetes Ganzes. Das anfänglich verfolgte liberale Konzept hat einem stärker regulierenden Ansatz Platz gemacht. Kernbereiche sind neben der Arbeitnehmerfreizügigkeit die Diskriminierungsverbote, der Arbeitsschutz, Schutz bei Umstrukturierung und Insolvenz sowie die Arbeitnehmermitwirkung in Betrieb und Unternehmen. In einzelnen Bereichen ist eine Konsolidierung erkennbar, Gesetzgebung und Rechtsprechung bilden zunehmend allgemeine Lehren aus; so vor allem im Antidiskriminierungsrecht, im Arbeitsschutzrecht, im Recht der atypischen Arbeitsverhältnisse und im Recht der Arbeitnehmermitwirkung. Einzelne Regelungen bleiben freilich gerade auch in ihrer Konkretisierung durch die Rechtsprechung unbefriedigend. Vor allem im Recht des Betriebsübergangs ist dem Gesetzgeber 2001 keine überzeugende Kodifikation gelungen und bleibt die Rechtsprechung des EuGH sehr kasuistisch. Eine für die Systembildung zentrale Regelung bleibt indes umstritten und wirkt als andauernder Irritant: die Beurteilung der Arbeitnehmerentsendung auf der Grundlage der Dienstleistungsfreiheit und die darauf aufbauende Entsenderichtlinie. Wenn danach die Aufnahmestaaten ihre Arbeitnehmerschutzregelungen auch im harmonisierten Bereich (z. B. Urlaub) weitgehend auf entsandte Arbeitnehmer erstrecken können, so erscheint das nicht nur binnenmarktpolitisch und ökonomisch fragwürdig, sondern stellt es ein zentrales Ziel der Rechtsangleichung in Frage.

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V Gesellschaftsrecht (mit Kapitalmarktrecht) 1 Bestand Der gesellschaftsrechtliche Bestand ist in vier Gruppen geordnet. a) Die erste gilt der Einzelgesellschaft. Den Kernbestand bilden seit Jahrzehnten das Publizitäts- und das Kapital-Regime (ursprünglich 1. und 2. gesellschaftsrechtliche Richtlinie, heute zusammengefasst in Titel I der sog. Kodifikations-Richtlinie, 4.1) und seit 2007 die Aktionärsrechte-Richtlinie I (4.2), die ursprünglich, ungleich breiter, als sog. Struktur-Richtlinie (5. Richtlinie) geplant war, im Lichte der Finanzkrise dann tatsächlich auch allgemein auf die Frage guter Governance ausgedehnt wurde, mit der sog. AktionärsrechteRichtlinie II (4.3). All diese Bereiche zählen also alle zum ursprünglichen „Masterplan“ der ersten fünf gesellschaftsrechtlichen Richtlinien. In ihnen geht es zunächst um das Außenverhältnis aller Kapitalgesellschaften – nur dieser Gesellschaftsform(en), weil diese volumenmäßig für Binnenmarkttransaktionen ungleich wichtiger sind als Personenhandelsgesellschaften, vor allem jedoch weil nur bei den Kapitalgesellschaften angesichts der beschränkten Haftung ein gesteigertes Schutzproblem für Gläubiger – aus ganz Europa! – besteht. Mit anderen Worten: Die Gläubigerabsicherung musste europaweit in den zentralen Koordinaten gleich sein, wenn diese Gesellschaften im gesamten Binnenmarkt frei agieren können sollten. Die zentralen Koordinaten sind dann die Begrenzung der Nichtigkeit dieser Gesellschaften (allein nach Gerichtsurteil und nur, wenn registermäßig ausgewiesen), die umfassende Vertretungsmacht von Organen, die als vertretungsberechtigt aus dem Handelsregister hervorgehen, und die allgemeine Publizität: Alle wichtigen Verhältnisse der Gesellschaft müssen aus einem Gesellschafts- oder Handelsregister ersichtlich sein und diese Eintragungen dann auch Wirkungen des öffentlichen Glaubens zeitigen. Ergänzt wird diese Publizität vor allem durch die speziell geregelte Rechnungslegungspublizität (ursprünglich vor allem 4. Richtlinie, dazu sogleich). Während solchermaßen die 1. Richtlinie verbürgen sollte, dass der Gläubiger überhaupt einen Schuldner hat (keine Nichtigkeit, kein Fehlen der Vertretungsmacht), sollte die Kapital-Richtlinie (2. Richtlinie) inhaltlich eine Mindestausstattung dieses Schuldners verbürgen. Durchgesetzt wurde dies – vor allem wegen des Eintritts des Vereinigten Königreichs – freilich nur für die Aktiengesellschaft. Die umfangreiche Regelung von Kapitalaufbringung, -erhaltung und -maßnahmen ist heute in der Tat auch als Schutz der Mitgesellschafter, der Aktionäre, zu verstehen (vgl. unten 2.). Die Überführung in Titel I der Kodifikations-Richtlinie hat an diesem Generalzuschnitt nichts geändert. Schließlich war von Anfang an die Harmonisierung der inneren Struktur der Aktiengesellschaft geplant (Entwurf XXVIII

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einer 5. Richtlinie). Denn die frei und potentiell in großen Anlegerkreisen in ganz Europa zirkulierende Aktie sollte auch vergleichbare Rechte verbürgen, Aktien verschiedener Länder sollten solchermaßen „vergleichbar“ erscheinen. Diese Sicht hat sich überholt. Kapitalmärkte funktionieren auch ohne diese Harmonisierung, Unterschiede werden eingepreist. Heute findet statt Vereinheitlichung des Produkts „Aktie“ ein Wettbewerb der (Aktien- und Kapital-) Gesellschaftsrechtssetzer statt. Nur in einem Kernbereich, bei der Stimmrechtsausübung der Aktionäre, und auch nur in den kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften, setzte sich 2007 die Überzeugung durch, dass (fokussierte) Harmonisierung hilfreich wäre: zum Abbau derjenigen Hindernisse, die ausländischen Anlegern eine Mitwirkung auf der Hauptversammlung bisher faktisch unmöglich machten. Die Harmonisierung ordnete sich bereits in die Bemühungen um gute Governance in den Gesellschaften ein. Diese wurden mit der Aktionärsrechte-Richtlinie II (4.3) noch verstärkt und jetzt vor allem auf die „starken“ Entscheidungsträger in Aktiengesellschaften erstreckt – die Institutionellen Anleger, ihre Stimmrechtsberater und das Management. Daneben traten zwei eher flankierende Rechtsakte: die Zweigniederlassungs-Richtlinie (heute ebenfalls in Titel I der Kodifikations-Richtlinie eingestellt) und die Ein-MannGmbH-Richtlinie (4.4). Mit Letzterer wurde ein Rechtsakt erlassen, der auch Einzelpersonen ein Instrument der beschränkten Haftung – europaweit wirkend und verbürgt! – an die Hand gibt; das ist primär als Mittel zur Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu verstehen. b) Die zweite Gruppe gilt der Rechnungslegung und Finanzierung an Kapitalmärkten. Beides sind eigenständige Rechtsmaterien, sie hängen jedoch eng zusammen. Bei beidem handelt es sich um den mit Abstand am dichtesten regulierten Bereich im Europäischen Gesellschaftsrecht, die Regelungen sind letztlich so flächendeckend zu allen Problemen und so detailliert, dass sie einer Kodifikation des Gesamtbereichs – auf Europäischer Ebene! – nahe kommen. Die Bedeutung des Rechnungslegungsrechts hat stetig zugenommen – paradigmatisch deutlich wird dies in der Corporate Governance Diskussion sowie eben im Kapitalmarktrecht. Jahresabschlüsse ebenso wie Quartalsberichte prägen das öffentliche Bild von (großen) Gesellschaften so wie kaum ein anderes Datum. Und in der Corporate Governance Diskussion zählen Audit Committee und Abschlussprüfer zu den Spielern, die – jenseits von Vorstand und Aufsichtsrat (Board) sowie Institutionellem Anleger und (abwanderungswilligem) Aktionär, also den Eignern und Organen selbst – am meisten diskutiert werden. Die Hauptrechtsakte sind Teil des ursprünglichen Masterplans: Bereits die Publizitäts-Richtlinie (1. Richtlinie, heute Titel I Kodifikations-Richtlinie, 4.1) räumt der Rechnungslegung eine ganz zentrale Stelle ein, die dann ausgefüllt und hinreichend ausgestaltet wird in der Bilanz-Richtlinie (4. Richtlinie, heute XXIX

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Allgemeine Bilanz-Richtlinie) (4.5). Sie war wegen der Komplexität der Fragen als eigenständiges Instrument notwendig, zählte jedoch auch selbst zu den – schon in den 70er Jahren verabschiedeten – Kernrechtsakten. Von Beginn an war ihre Ergänzung durch zwei Rechtsakte geplant: einerseits die Konzernbilanz-Richtlinie (7. Richtlinie), mit der die Vorgaben der BilanzRichtlinie für die ergänzende Konzernbilanz fortgeschrieben und auf die Besonderheiten von Konzernen im Rechnungslegungsrecht adaptiert wurden und die heute ebenfalls in den Bestand der Allgemeinen Bilanz-Richtlinie überführt wurde; und andererseits die Abschlussprüfer-Richtlinie (ursprünglich 8. Richtlinie) (4.6), weil die veröffentlichungspflichtige Rechnungslegung für das Publikum als Informationsquelle ungleich verlässlicher ist, wenn sie professionell von einem unabhängigen Dritten geprüft wurde. Dass Konzerne die Lebenswirklichkeit bilden und dass diese Kern-information möglichst verlässlich für alle Betroffenen sein muss, steht hinter diesen beiden Ausweitungen. Dabei kann Rechnungslegung vor allem als Bericht an die Gläubiger oder als Rechenschaft gegenüber den Anteilseignern gesehen werden. Lange wurde insoweit ein Kompromiss gesucht, insgesamt jedoch kann man in der Tendenz eine immer stärkere Hinwendung zur angloamerikanischen Bilanzierungsphilosophie nach dem sog. „true and fair view“ feststellen. Zentrale Bedeutung hat insoweit die IFRS-VO (4.7), weil sie jedenfalls für die Konzernbilanz, wenn auch nur eine Konzerngesellschaft kapitalmarktorientiert ist, zwingend eine Rechnungslegung nach IFRS/IAS vorsieht, und weil die Mitgliedstaaten für alle anderen Bilanzen dieses Regime immerhin wählen dürfen (an der Stelle des sonstigen Richtlinienregimes). Zu den wichtigen Entwicklungen der letzten beiden Dekaden zählt die zunehmende Ausdehnung der Rechnungslegung auch auf Informationen jenseits der klassischen finanziellen und vermögensmäßigen Erfolgszahlen, insbesondere zur öffentlichen Verantwortlichkeit. Besonders deutlich wurde das damit, dass auch die CSR-Politik der EU, namentlich mit dem CSRRechnungslegungsregime, primär in der Allgemeinen Bilanz-Richtlinie verankert wurde. Besonders dicht ist die Harmonisierung des Kapitalmarktrechts. Zwei Richtlinien und eine Verordnung regeln heute den sog. Primärmarkt, die erstmalige Einführung von Effekten in Märkte (Emission), etwa die erstmalige Börsennotierung oder die erstmalige Platzierung bei einem offenen Publikum, eine Richtlinie und eine Verordnung den sog. Sekundär- oder Zirkulationsmarkt, den Handel mit solchermaßen platzierten oder emittierten Effekten. Dabei ist der Zirkulationsmarkt grds. weniger weitgehend gefasst, nicht alle zentralen Pflichten gelten für jeden öffentlichen Markt, die wichtigsten vielmehr nur für sog. (staatlich) „geregelte (und überwachte) Märkte“, d. h. für (Handel mit) Effekten, die an solchen zugelassen sind. Besonders dicht ist die Harmonisierung, weil XXX

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in allen Fällen bereits die dritte oder jedenfalls zweite Richtliniengeneration gilt (teils auch mit Umgliederungen im Laufe der Geschichte) und nicht zuletzt auch deswegen, weil eine Verfeinerung durch das sog. Komitologieverfahren vorgesehen ist, d. h. die weitere Ausfüllung durch die EG-Kommission und die European Securities and Markets Authority (ESMA) (jenseits des Europäischen Gesetzgebers und in dichterer Folge), zunehmend auch durch ein aus den verschiedenen Rechtsakten und Anwendungsleitlinien zusammengestelltes sog. Single Rulebook. Den Basisrechtsakt im Primärmarktrecht bildet die ProspektVerordnung, früher (allgemeine) Prospekt-Richtlinie, ein Produkt mehrerer Generationen von Prospektregulierung (4.8). Mit dem Basisinstrument, dem Prospekt, fußt sie zentral in der Rechnungslegung, die (für die letzten drei Jahre) als Hauptinformationspunkt des Prospektes fungiert, zugleich jedoch zusätzlich, von den Emissionsbanken, „zertifiziert“ wird. Der Prospekt hat ein umfassendes Bild des Emittenten (und der emittierten Papiere/Instrumente) zu geben und dies für den kundigen, professionellen Anleger. Wichtig an diesem Basisrechtsakt ist, dass der Prospekt allgemein für jede öffentliche Emission von Effekten vorgeschrieben wird (gleich in welchem Marktsegment), diese Ausgangsinformation also immer zu geben ist. Mit der jüngsten Reform wurde freilich eine Dezentralisierung eingeleitet (bis zu einem Gesamtemissionsvolumen von 9 Mio. A), indem bis zu dieser Schwelle umfassende Mitgliedstaatenwahlrechte (vor allem zur Förderung ihrer KMUs) begründet wurden. Daran schließt sich zweierlei an: Einerseits eine gesteigerte Zugangskontrolle auf engeren Marktsegmenten, in der Börsen-Richtlinie (4.10) für die amtliche Börsennotierung geregelt; andererseits eine Reihe von Folgepflichten, die wiederum nur in engeren Marktsegmenten, hier nun freilich neben der amtlichen Börsennotierung an allen (staatlich) geregelten und überwachten Märkten, gelten und dauerhaft eingreifen. Dabei handelt es sich vor allem um eine dichtere Berichterstattung (zwischen der jährlichen Rechnungslegung), die sog. Quartalsberichterstattung, um eine Veröffentlichungspflicht von wichtigen Änderungen im Eignerbestand (Beteiligungstransparenz) und allgemeiner von allen erheblich kursbeeinflussenden, nicht öffentlich bekannten Tatsachen (Ad-hoc-Publizität). Da diese Pflichten zunehmend für alle geregelten Märkte gelten, ist ihre Regelung entsprechend aus der Börsen-Richtlinie herausgenommen worden, die inzwischen trotz ihrer Konsolidierung in 2001 sehr „zerfleddert“ wirkt. Die Regelungskomplexe sind dann teils in die Transparenz-Richtlinie (4.9), teils auch in die Marktmissbrauchs-Richtlinie, heute Marktmissbrauchs-Verordnung (4.11) verschoben worden. Diese Letzte wird heute, da der EU-Gesetzgeber keine strafbewehrten Sanktionen in einer EU-Verordnung verankern wollte, von einer gesonderten Marktmissbrauchs-Richtlinie (II) flankiert (für diese Sanktionsinhalte, vgl. 4.12). Die eigentliche Basisrichtlinie für den Sekundär- oder ZirkulationsXXXI

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markt jedoch bildet die Finanzmarkt-Richtlinie – inzwischen II, wiederum dritte Generation (2.19) –, die freilich zugleich das Vertragsregime für den insoweit zentralen Wertpapierhandel enthält und daher (auch) vertragsrechtlich eingeordnet wurde. (Auch) Sie bildet bereits die dritte Generation (nach der Wertpapierhandels-Richtlinie von 1993 und der Finanzmarkt-Richtlinie I). Diese Richtlinie regelt vor allem die sog. Wohlverhaltensregeln (Informations- und Beratungsgebote, Gebote, Interessenkonflikte zurückzudrängen, und auftragsrechtliche Interessenwahrungspflicht), daneben jedoch auch Spezialtatbestände, etwa die möglichst kundenfreundliche Orderausführung (Best Execution), die möglichst zielgenaue Definition der adäquaten Risikokategorien („Zielmärkte“) mit der sog. Product Governance, und interne Organisationsregeln für Wertpapierdienstleister sowie zuletzt auch Regeln über Wettbewerb zwischen und Gestaltung der verschiedenen Arten von Finanzmärkten (Börsen, geregelte Märkte, multilaterale Handelssysteme, systematische Internalisierer, inzwischen auch allgemein organisierte Handelsfazilitäten). Zentral ist die Informations- und Beratungspflicht, auf Grund derer nämlich der jeweils eingeschaltete Intermediär (Wertpapierdienstleister) verpflichtet wird, dem Kunden, idR keinem Professionellen, die hochkomplexe Information aus dem Primärmarktrecht zusammengefasst und kundengerechter zu präsentieren (Transformationsfunktion). Eher nur außergewöhnliche Sachverhalte – Missbräuche – regelt demgegenüber die lange Zeit sogar noch prominentere Marktmissbrauchs-Richtlinie, heute -Verordnung (4.11, auch 4.12), deren Einführung 1989 (ursprünglich als Insiderhandels-Richtlinie) vielleicht den eigentlichen Durchbruch für ein starkes Kapitalmarktrecht in Europa bildete. Der Rechtsakt enthält heute das Verbot von Insiderhandel und vorgelagerten Weitergaben von Insiderinformation, das Gebot einer unverzüglichen allgemeinen Veröffentlichung von Insiderinformationen sowie – besonders offen – ein Verbot von Marktmanipulation. c) Die dritte Gruppe regelt Umstrukturierungsmaßnahmen im weiten Sinne. In diesem Bereich ist eine umfangreiche Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV), die für alle Gesellschaftsformen gilt, und diejenige zur Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) mitzudenken. Diese Rechtsprechung führt dazu, dass auf Grund der erstgenannten Grundfreiheit die grenzüberschreitende Verschmelzung und der grenzüberschreitende Zuzug grds. umfassend gewährleistet sein müssen, der Wegzug nach der CartesioEntscheidung nur zum Teil, auf Grund der zweitgenannten Grundfreiheit Regeln, die faktisch Übernahmen behindern, einer Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses bedürfen. Zumindest für den Zuzug, zum Teil auch den Wegzug wird dadurch in Binnenmarktsachverhalten die kollisionsrechtliche Sitztheorie durch die Gründungstheorie abgelöst, ohne dass das insoweit geltende nationale Kollisionsrecht formal durch Europäisches KolliXXXII

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sionsrecht ersetzt worden wäre. Rechtssicherheit in diesen Fragen verbürgen dann materiellrechtliche Harmonisierungsakte, soweit sie existieren. Dies gilt vor allem für die zwei Umstrukturierungsformen, die externes Wachstum ermöglichen: Bei der Verschmelzung folgte auf die allein die innerstaatliche Verschmelzung regelnde Fusions-Richtlinie (3. Richtlinie), die für Aktiengesellschaften ein durchaus schutzadäquates Verfahren bereitstellte und die für einen Spezialfall einige Jahre später durch die Spaltungs-Richtlinie ergänzt wurde (6. Richtlinie), zuletzt (nach dem maßgeblichen EuGH-Urteil zur internationalen Fusion in Sachen Sevic) die Internationale Fusions-Richtlinie (10. Richtlinie), alle heute eingegangen in Titel II der sog. Kodifikations-Richtlinie (4.13). Interessant ist, dass das grenzüberschreitende Regime schon mit der Verabschiedung der Internationalen Fusions-Richtlinie alle Gesellschaftsformen erfasste. Das Regime der Fusions-Richtlinie hatte auch jenseits der Aktiengesellschaften zu genügend verlässlichen Strukturen geführt, um diesen – aus dem Gedanken der Niederlassungsfreiheit heraus naheliegenden – Schritt zu tun. Die Alternativform, bei deren Wahl beide beteiligten Gesellschaften erhalten bleiben (und nicht verschmelzen) und nur Konzernabhängigkeit entsteht, die sog. Übernahme, regelte schließlich die Übernahme-Richtlinie (4.14) (zeitlich bereits einige Jahre vor Verabschiedung der Internationaler Fusions-Richtlinie). Sie erfasst innerstaatliche wie grenzüberschreitende Sachverhalte gleichermaßen, freilich nur für kapitalmarktorientierte Gesellschaften, bei denen auch feindliche Übernahmen möglich sind und bei denen das Instrument auch aus GovernanceGesichtspunkten besonders wichtig erscheint. Gerade diese Regelung blieb bei der Ausräumung von Übernahmehindernissen jedoch hinter dem ursprünglich geplanten Standard zurück, so dass die angesprochene Grundfreiheitenrechtsprechung noch Wirkung entfaltet und vielleicht noch weitergehend entfalten wird. Ergänzt wird das Regime durch zwei (schon früher verabschiedete) steuerrechtliche Rechtsakte, die für grenzüberschreitende Fusion, Übernahme und Konzernverbund weitgehend Steuerneutralität verbürgen sollen (seit der 2. Auflage nicht mehr abgedruckt). Umgekehrt ist für andere Strukturmaßnahmen noch immer keine Harmonisierung erfolgt, auch nicht im Zivilrecht, namentlich nicht für die verschiedenen Formen der Sitzverlegung (Satzungssitz, Verwaltungssitz, Zuzug, Wegzug). d) Die vierte Gruppe betrifft die supranationalen Rechtsformen: Während die EWIV – die Europäische Personenhandelsgesellschaft (nicht abgedruckt) – unbedeutend blieb, kann schon heute Gleiches für die viel jüngere SE – die Europäische Aktiengesellschaft – nicht mehr gesagt werden. Sie wurde möglich, nachdem ein über 400 Artikel langer früher Vorschlag über mehrere Etappen zunehmend verknappt worden war, vor allem jedoch im Jahre 2000 eine Lösung für die Mitbestimmungsfrage gefunden wurde: Heute enthält die SE-VO XXXIII

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(4.15) fast nur noch eine ausführliche Regelung der Gründung der SE und einige wenige Eckpunkte für die laufende Organisation (etwa zur Struktur des Leitungsorgans oder Mehrheiten bei Satzungsänderung). Für die Gründung ist charakteristisch, dass sie nur aus bereits bestehenden Gesellschaften erfolgen kann (nicht „auf der grünen Wiese“) und in diesen insgesamt ein grenzüberschreitendes Element angelegt sein muss. Für den Rest der Fragen wird auf das nationale Sitzrecht verwiesen, weshalb auch teils von einer Europäischen Aktiengesellschaft nationaler Prägung gesprochen wird. Die nationalen Sitzrechte divergieren freilich wegen der Harmonisierungserfolge weniger, als dies zur Zeit des ursprünglichen Vorschlags der Fall gewesen wäre. Hinzu tritt die SEMitbestimmungs-Richtlinie (4.16), deren Grundidee dahin geht, dass Arbeitnehmer- und Unternehmensseite eine Lösung aushandeln können, mangels Einigung aber eine Auffanglösung eingreift, nach der im Wesentlichen der höchste Mitbestimmungsbestand in den beteiligten Gesellschaften allgemein erhalten bleibt. Vorgesehen war – wiederum basierend auf EU-Recht und nationalem Sitzrecht – auch eine Europäische GmbH, eine Privatgesellschaft zu schaffen. Einen diesbezüglichen Verordnungsentwurf (vgl. Vorauflage 4.20) hatte die Kommission schon 2008 vorgelegt, er konnte jedoch nicht wie geplant 2010 und auch später nicht in Kraft treten.

2 System Im Gesellschaftsrecht wurde der Bestand von Anfang eher als systematisch geordnet gesehen (wenn auch rudimentär), nicht so fragmentarisch und zufällig wie von den meisten noch in den 1990er Jahren im Vertragsrecht. Dennoch tat und tut auch hier Systembildung Not. Vor allem die Verknüpfung von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, die in der Lebenswirklichkeit so zentral ist, muss hier gedacht, erforscht und dargestellt werden. Charakteristisch erscheinen als Systemprinzipien unter anderem: Ausgangspunkt ist, erstens, die starke Binnenmarktorientierung. Das Europäische Gesellschaftsrecht entwickelte sich von Anfang an „planender“ als das Europäische Vertragsrecht, das anfangs eher „skandalgetrieben“ erschien, nicht so klar fokussiert auf die Notwendigkeiten des Binnenmarkts. Dieser Binnenmarktsbezug im Europäischen Gesellschaftsrecht prägt vor allem seinen Zuschnitt: Zunächst ist dieses nach dem Gesagten ganz auf Kapitalgesellschaften bezogen (außer bei Niederlassungsfragen wie Sitzverlegung und sonstiger Umstrukturierung). Dies erklärt sich nach dem Gesagten aus der größeren Binnenmarktrelevanz, jedoch auch aus der intensiveren Gefährdung, die europaweit für die Gläubigerschaft von Kapitalgesellschaften ausgeht. Vergleichbar ist dann der zweite Schritt: Wo immer nicht primär der Gläubigerschutz im Mittelpunkt stand, sondern der Anleger- und XXXIV

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Gesellschafterschutz, wurde die Harmonisierung gezielt auf Aktiengesellschaften beschränkt (namentlich Kapital und Fusion), weil nur diese von ihrer Struktur her europaweit Anleger und Gesellschafter haben können, die nur investieren und diese Gesellschaft nicht (mit-)unternehmerisch betreiben. Zuletzt wird sogar zunehmend der letzte Schritt getan und die Harmonisierung zielgenau auf kapitalmarktbezogene Aktiengesellschaften beschränkt (4.2, 4.3). Das wirkt sich dann aus bis hin ins Rechnungslegungsrecht (4.5 bis 4.7), wo Anteilseigner andere Bedürfnisse haben als Gläubiger, oder bis hin ins Übernahmerecht (4.14). Damit ist das Europäische Gesellschaftsrecht, zweitens, sehr stark auf das Außenverhältnis bezogen – so selbstverständlich, soweit Gläubigerschutz geregelt wird; so allerdings auch, soweit Anteilseignerschutz im Vordergrund steht, denn geschützt wird vor allem der (nur) investierende Anleger in seiner Schwäche und seiner „Apathie“ wird entgegen gewirkt. Ganz zentral die starken Spieler in der Governance nimmt erst die Aktionärsrechte-Richtlinie II (4.3) in den Blick. Ein ganzes Teilgebiet, das Kapitalmarktrecht, widmet sich denn auch allein der Investitions- und Desinvestitionsentscheidung der Anleger – mit Schwerpunkt auf den Bedürfnissen der anonymen Anleger und Streuaktionäre. Bei all dem – und vor allem im Rechnungslegungs- und im Kapitalmarktrecht – steht, drittens, ein Informationsmodell im Vordergrund: Wie im Vertragsrecht wird primär versucht, den Schutz durch Informationsweitergabe zu gewährleisten und ansonsten auf die privatautonomen Gestaltungskräfte in Markt und Organisation zu setzen. Kapitalmarkt und Hauptversammlung, der viele Kompetenzen europarechtlich verbürgt werden, sind hier die zentralen Schauplätze („exit and voice“). Im Gesellschafts- und vor allem Kapitalmarktrecht mit den vielen professionellen Informationsverarbeitern, denen auch der Privatanleger folgen kann, scheint das Modell vielleicht sogar noch vielversprechender als im Vertragsrecht. Ist hierin bereits ein liberales Modell angelegt, so gilt das auch für das vierte Strukturmerkmal: Die Grundfreiheitenrechtsprechung sowie die Einführung supranationaler Rechtsformen haben zu einem Mobilitätsschub und – als Folge – zu einem verschärften Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten und -rechtssetzern geführt. Europäisches Gesellschaftsrecht hat also viel mit Modernisierungsdruck in Gebieten zu tun, die, wie das Aktienrecht, über eine Reihe von Jahrzehnten eher „ewig verfasst“ erschienen. Der starke Bezug zur „Privatautonomie“ im Europäischen Gesellschaftsrecht zeigt sich nicht zuletzt zunehmend auch darin, dass private Regelsetzer den Öffentlichen tatsächlich Konkurrenz machen (Rechnungslegung, Corporate Governance).

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VI Internationales Privat- und Verfahrensrecht Sehr maßgeblich für die Binnenmarkttauglichkeit aller genannten Materien ist die Vereinheitlichung von Internationalem Privat- und Verfahrensrecht. Einheitliches Kollisionsrecht (Internationales Privatrecht) gilt im gesamten Schuldrecht: mit der Rom-I-VO für die vertraglichen, auch die arbeitsvertraglichen, und mit der Rom-II-VO für die außervertraglichen Schuldverhältnisse (5.1, 5.2). (Jedenfalls) Das anwendbare Recht wird also einheitlich in allen Mitgliedstaaten bestimmt – soweit nicht ohnehin einheitliches Europäisches Recht gilt. Wie sehr der EU-Harmonisierungsbestand bereits als eine eigene „Rechtsordnung“ verstanden wird, zeigt Art. 3 Abs. 3 der Rom-I-VO, nach dem ein Sachverhalt, der in mehreren Mitgliedstaaten, nicht jedoch außerhalb der EU „situiert“ ist, für Fragen der Anwendbarkeit harmonisierten Rechts als reiner „Inlandsfall“ verstanden wird – mit der Folge, dass eine Abwahl dieses Rechts im Wege der kollisionsrechtlichen Rechtswahl (Parteiautonomie) nicht mehr zulässig ist. Darauf, dass auch im Gesellschaftsrecht die Grundfreiheitenrechtsprechung ein Stück EU-Kollisionsrecht geschaffen hat, wurde hingewiesen; einen Rechtsakt gibt es (außer für die Fusion und supranationale Rechtsformen, 4.13, 4.15, 4.16) hingegen nicht. Breit vereinheitlicht ist auch das Internationale Verfahrensrecht, das teils sogar ganz am Anfang stand. Abgesehen von einzelnen speziell auf das Vertragsrecht zugeschnittenen Rechtsakten, etwa der Unterlassungsklagen-RL (seit der 2. Auflage nicht mehr abgedruckt), handelt es sich dabei um allgemeine Akte zum internationalen Verfahrensrecht, die gekennzeichnet sind von der praktisch unbeschränkten Zirkulationsfähigkeit von gerichtlichen Maßnahmen und Entscheidungen (keine Anerkennungsnotwendigkeit), idR auf der Grundlage einer einheitlichen Ordnung der Zuständigkeit: Grundakt ist die EuGVVO idF von Brüssel Ia (5.3) – (Nach-)Nachfolgerin einiger Übereinkommen aus relativ alter Zeit. Sie regelt vor allem die internationale Zuständigkeit und freie Zirkulationsfähigkeit sowie dann die EG-weite Vollstreckbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen. Für Insolvenzverfahren gewährleistet Vergleichbares die InsolvenzVO (seit der 2. Auflage leider nicht mehr abgedruckt), die – freilich mit großen Ausnahmebereichen – auch das anwendbare Recht in solchen Verfahren regelt (Kollisionsrecht).

In der Neuauflage ist vor allem der Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (und der Restbestand öffentliches Auftragswesen) entfallen, umgekehrt jedoch sind das Schuldrecht der digitalen Sachverhalte sowie die Datenschutz-Grundverordnung (und je ein Rechtsakt zu Fluggastrechten, den XXXVI

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Verbraucher-Immobiliarkrediten, den Geschäftsgeheimnissen und – bald – zum Whistleblowing) hinzugekommen, die jetzt dringend breit diskutiert werden müssen. Der Bestand ist zudem – gerade im Gesellschaftsrecht – breit umstrukturiert, in der Substanz aber erhalten geblieben, im Kapitalmarktrecht erheblich erweitert und zunehmend in Verordnungsform gegossen worden. An anderen Stellen waren daher Kürzungen erforderlich, auch damit das Buch seine Handlichkeit und Handhabbarkeit nicht verliert. Wir haben bei den gebotenen Streichungen zum einen versucht, immerhin die Regelungen in der Sammlung zu behalten, die exemplarisch für Regelungsbereiche und -modelle stehen. Zudem haben wir den Fokus auf die materiellen Regeln des Vertrags-, Schuld-, Arbeitsund Gesellschaftsrechts gelegt; insbesondere die aufsichtsrechtlichen Abschnitte – einschließlich der zugehörigen Begründungserwägungen – haben wir demgegenüber weithin nicht mit abgedruckt. Wir haben versucht, das Wachstum im Umfang – veranlasst durch den EU-Gesetzgeber – in der Sammlung auf ein erträgliches Maß zu beschränken. Die Sammlung ist auf dem Stand vom 1. Juni 2019.

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1.1 EU-Vertrag

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Titel I − Gemeinsame Bestimmungen […] Art. 2 [Werte der Union] Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet. Art. 3 (ex-Art. 2 EUV a. F.) [Ziele der Union] (1) Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern. (2) Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem – in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität – der freie Personenverkehr gewährleistet ist. (3) Die Union errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin. Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes. Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Sie wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas. (4) Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist. (5) In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen und trägt zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger bei. * Vertrag über die Europäische Union, ABl. 2012 C 326/13. https://doi.org/10.1515/9783110667776-001

1.1

EU-Vertrag

Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen. (6) Die Union verfolgt ihre Ziele mit geeigneten Mitteln entsprechend den Zuständigkeiten, die ihr in den Verträgen übertragen sind. Art. 4 [Beziehungen zwischen Union und Mitgliedstaaten] (1) Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben gemäß Artikel 5 bei den Mitgliedstaaten. (2) Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Sie achtet die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit. Insbesondere die nationale Sicherheit fällt weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten. (3) Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben. Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten. Art. 5 (ex-Art. 5 EGV) [Einzelermächtigung, Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit] (1) Für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union gilt der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union gelten die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. (2) Nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei den Mitgliedstaaten. 2

EU-Vertrag

1.1

(3) Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Die Organe der Union wenden das Subsidiaritätsprinzip nach dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit an. Die nationalen Parlamente achten auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips nach dem in jenem Protokoll vorgesehenen Verfahren. (4) Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Die Organe der Union wenden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit an. Art. 6 (ex-Art. 6 EUV a. F.) [Grundrechte] (1) Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 in der am 12. Dezember 2007 in Straßburg angepassten Fassung1 niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig. Durch die Bestimmungen der Charta werden die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise erweitert. Die in der Charta niedergelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze werden gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Titels VII der Charta, der ihre Auslegung und Anwendung regelt, und unter gebührender Berücksichtigung der in der Charta angeführten Erläuterungen, in denen die Quellen dieser Bestimmungen angegeben sind, ausgelegt. (2) Die Union tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei. Dieser Beitritt ändert nicht die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union. (3) Die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. […]

1 [Grundrechte-Charta, in dieser Sammlung Nr. 1.3.]

3

1.2 AEU-Vertrag

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Erster Teil − Grundsätze Art. 1 [Regelungsbereich] (1) Dieser Vertrag regelt die Arbeitsweise der Union und legt die Bereiche, die Abgrenzung und die Einzelheiten der Ausübung ihrer Zuständigkeiten fest. (2) Dieser Vertrag und der Vertrag über die Europäische Union bilden die Verträge, auf die sich die Union gründet. Diese beiden Verträge, die rechtlich gleichrangig sind, werden als „die Verträge“ bezeichnet.

Titel I − Arten und Bereiche der Zuständigkeit der Union Art. 2 [Arten von Zuständigkeiten] (1) Übertragen die Verträge der Union für einen bestimmten Bereich eine ausschließliche Zuständigkeit, so kann nur die Union gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen; die Mitgliedstaaten dürfen in einem solchen Fall nur tätig werden, wenn sie von der Union hierzu ermächtigt werden, oder um Rechtsakte der Union durchzuführen. (2) Übertragen die Verträge der Union für einen bestimmten Bereich eine mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit, so können die Union und die Mitgliedstaaten in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen. Die Mitgliedstaaten nehmen ihre Zuständigkeit wahr, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat. Die Mitgliedstaaten nehmen ihre Zuständigkeit erneut wahr, sofern und soweit die Union entschieden hat, ihre Zuständigkeit nicht mehr auszuüben. (3) Die Mitgliedstaaten koordinieren ihre Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik im Rahmen von Regelungen nach Maßgabe dieses Vertrags, für deren Festlegung die Union zuständig ist. (4) Die Union ist nach Maßgabe des Vertrags über die Europäische Union dafür zuständig, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik zu erarbeiten und zu verwirklichen. (5) In bestimmten Bereichen ist die Union nach Maßgabe der Verträge dafür zuständig, Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten durchzuführen, ohne dass dadurch die Zuständigkeit der Union für diese Bereiche an die Stelle der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten tritt.

* Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2012 C 326/47. https://doi.org/10.1515/9783110667776-002

AEU-Vertrag

1.2

Die verbindlichen Rechtsakte der Union, die aufgrund der diese Bereiche betreffenden Bestimmungen der Verträge erlassen werden, dürfen keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten beinhalten. (6) Der Umfang der Zuständigkeiten der Union und die Einzelheiten ihrer Ausübung ergeben sich aus den Bestimmungen der Verträge zu den einzelnen Bereichen. Art. 3 [Ausschließliche Zuständigkeit] (1) Die Union hat ausschließliche Zuständigkeit in folgenden Bereichen: a) Zollunion, b) Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Wettbewerbsregeln, c) Währungspolitik für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, d) Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik, e) gemeinsame Handelspolitik. (2) Die Union hat ferner die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss internationaler Übereinkünfte, wenn der Abschluss einer solchen Übereinkunft in einem Gesetzgebungsakt der Union vorgesehen ist, wenn er notwendig ist, damit sie ihre interne Zuständigkeit ausüben kann, oder soweit er gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte. Art. 4 [Geteilte Zuständigkeit] (1) Die Union teilt ihre Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten, wenn ihr die Verträge außerhalb der in den Artikeln 3 und 6 genannten Bereiche eine Zuständigkeit übertragen. (2) Die von der Union mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit erstreckt sich auf die folgenden Hauptbereiche: a) Binnenmarkt, b) Sozialpolitik hinsichtlich der in diesem Vertrag genannten Aspekte, c) wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt, d) Landwirtschaft und Fischerei, ausgenommen die Erhaltung der biologischen Meeresschätze, e) Umwelt, f) Verbraucherschutz, g) Verkehr, h) transeuropäische Netze, i) Energie, j) Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, k) gemeinsame Sicherheitsanliegen im Bereich der öffentlichen Gesundheit hinsichtlich der in diesem Vertrag genannten Aspekte. 5

1.2

AEU-Vertrag

(3) In den Bereichen Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt erstreckt sich die Zuständigkeit der Union darauf, Maßnahmen zu treffen, insbesondere Programme zu erstellen und durchzuführen, ohne dass die Ausübung dieser Zuständigkeit die Mitgliedstaaten hindert, ihre Zuständigkeit auszuüben. (4) In den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe erstreckt sich die Zuständigkeit der Union darauf, Maßnahmen zu treffen und eine gemeinsame Politik zu verfolgen, ohne dass die Ausübung dieser Zuständigkeit die Mitgliedstaaten hindert, ihre Zuständigkeit auszuüben. Art. 5 [Koordinierung der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik] (1) Die Mitgliedstaaten koordinieren ihre Wirtschaftspolitik innerhalb der Union. Zu diesem Zweck erlässt der Rat Maßnahmen; insbesondere beschließt er die Grundzüge dieser Politik. Für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, gelten besondere Regelungen. (2) Die Union trifft Maßnahmen zur Koordinierung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten, insbesondere durch die Festlegung von Leitlinien für diese Politik. (3) Die Union kann Initiativen zur Koordinierung der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten ergreifen. Art. 6 [Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen] Die Union ist für die Durchführung von Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten zuständig. Diese Maßnahmen mit europäischer Zielsetzung können in folgenden Bereichen getroffen werden: a) Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit, b) Industrie, c) Kultur, d) Tourismus, e) allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, f) Katastrophenschutz, g) Verwaltungszusammenarbeit.

Titel II − Allgemein geltende Bestimmungen Art. 7 [Kohärenzgebot] Die Union achtet auf die Kohärenz zwischen ihrer Politik und ihren Maßnahmen in den verschiedenen Bereichen und trägt dabei un6

AEU-Vertrag

1.2

ter Einhaltung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung ihren Zielen in ihrer Gesamtheit Rechnung. Art. 8 (ex-Art. 3 Abs. 2 EGV) [Gleichstellungsgebot] Bei allen ihren Tätigkeiten wirkt die Union darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. Art. 9 [Sozialklausel] Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen trägt die Union den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung. Art. 10 [Antidiskriminierung] Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen zielt die Union darauf ab, Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. […] Art. 12 (ex-Art. 153 Abs. 2 EGV) [Verbraucherschutz] Den Erfordernissen des Verbraucherschutzes wird bei der Festlegung und Durchführung der anderen Unionspolitiken und -maßnahmen Rechnung getragen. […]

Zweiter Teil − Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft Art. 18 (ex-Art. 12 EGV) [Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit] Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen treffen. 7

1.2

AEU-Vertrag

Art. 19 (ex-Art. 13 EGV) [Antidiskriminierungsmaßnahmen] (1) Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen der Verträge kann der Rat im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. (2) Abweichend von Absatz 1 können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Grundprinzipien für Fördermaßnahmen der Union unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Unterstützung der Maßnahmen festlegen, die die Mitgliedstaaten treffen, um zur Verwirklichung der in Absatz 1 genannten Ziele beizutragen. Art. 20 (ex-Art. 17 EGV) [Unionsbürgerschaft] (1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht. (2) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem a) das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten; b) in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen, wobei für sie dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats; c) im Hoheitsgebiet eines Drittlands, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, nicht vertreten ist, Recht auf Schutz durch die diplomatischen und konsularischen Behörden eines jeden Mitgliedstaats unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige dieses Staates; d) das Recht, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten und sich an den Europäischen Bürgerbeauftragten zu wenden, sowie das Recht, sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe und die beratenden Einrichtungen der Union zu wenden und eine Antwort in derselben Sprache zu erhalten. Diese Rechte werden unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt, die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind. 8

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Art. 21 (ex-Art. 18 EGV) [Unionsbürgerliche Freizügigkeit] (1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. (2) Erscheint zur Erreichung dieses Ziels ein Tätigwerden der Union erforderlich und sehen die Verträge hierfür keine Befugnisse vor, so können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Vorschriften erlassen, mit denen die Ausübung der Rechte nach Absatz 1 erleichtert wird. (3) Zu den gleichen wie den in Absatz 1 genannten Zwecken kann der Rat, sofern die Verträge hierfür keine Befugnisse vorsehen, gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen erlassen, die die soziale Sicherheit oder den sozialen Schutz betreffen. Der Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments. […]

Dritter Teil − Die internen Politiken und Maßnahmen Titel I − Der Binnenmarkt Art. 26 (ex-Art. 14 EGV) [Binnenmarktziel] (1) Die Union erlässt die erforderlichen Maßnahmen, um nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der Verträge den Binnenmarkt zu verwirklichen beziehungsweise dessen Funktionieren zu gewährleisten. (2) Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist. (3) Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission die Leitlinien und Bedingungen fest, die erforderlich sind, um in allen betroffenen Sektoren einen ausgewogenen Fortschritt zu gewährleisten. […]

Titel II − Der freie Warenverkehr […] 9

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Kapitel 3 − Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten Art. 34 (ex-Art. 28 EGV) [Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen] Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Art. 35 (ex-Art. 29 EGV) [Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen] Mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Art. 36 (ex-Art. 30 EGV) [Ausnahmen] Die Bestimmungen der Artikel 34 und 35 stehen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. Art. 37 (ex-Art. 31 EGV) [Staatliche Handelsmonopole] (1) Die Mitgliedstaaten formen ihre staatlichen Handelsmonopole derart um, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Dieser Artikel gilt für alle Einrichtungen, durch die ein Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar die Einfuhr oder die Ausfuhr zwischen den Mitgliedstaaten rechtlich oder tatsächlich kontrolliert, lenkt oder merklich beeinflusst. Er gilt auch für die von einem Staat auf andere Rechtsträger übertragenen Monopole. (2) Die Mitgliedstaaten unterlassen jede neue Maßnahme, die den in Absatz 1 genannten Grundsätzen widerspricht oder die Tragweite der Artikel über das Verbot von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten einengt. (3) Ist mit einem staatlichen Handelsmonopol eine Regelung zur Erleichterung des Absatzes oder der Verwertung landwirtschaftlicher Erzeugnisse verbunden, so sollen bei der Anwendung dieses Artikels gleichwertige Sicherheiten für die Beschäftigung und Lebenshaltung der betreffenden Erzeuger gewährleistet werden. […] 10

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Titel IV − Die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr Kapitel 1 − Die Arbeitskräfte Art. 45 (ex-Art. 39 EGV) [Arbeitnehmerfreizügigkeit] (1) Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. (2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. (3) Sie gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht, a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben; b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen; c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben; d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission durch Verordnungen festlegt. (4) Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. Art. 46 (ex-Art. 40 EGV) [Maßnahmen zur Herstellung der Freizügigkeit] Das Europäische Parlament und der Rat treffen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses durch Richtlinien oder Verordnungen alle erforderlichen Maßnahmen, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 45 herzustellen, insbesondere a) durch Sicherstellung einer engen Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Arbeitsverwaltungen; b) durch die Beseitigung der Verwaltungsverfahren und -praktiken sowie der für den Zugang zu verfügbaren Arbeitsplätzen vorgeschriebenen Fristen, die sich aus innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder vorher zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkünften ergeben und deren Beibehaltung die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer hindert; c) durch die Beseitigung aller Fristen und sonstigen Beschränkungen, die in innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder vorher zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkünften vorgesehen sind und die den Arbeitnehmern der anderen Mitgliedstaaten für die freie Wahl des Arbeitsplatzes andere Bedingungen als den inländischen Arbeitnehmern auferlegen; 11

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d) durch die Schaffung geeigneter Verfahren für die Zusammenführung und den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu Bedingungen, die eine ernstliche Gefährdung der Lebenshaltung und des Beschäftigungsstands in einzelnen Gebieten und Industrien ausschließen. Art. 47 (ex-Art. 41 EGV) [Austausch junger Arbeitskräfte] Die Mitgliedstaaten fördern den Austausch junger Arbeitskräfte im Rahmen eines gemeinsamen Programms. Art. 48 (ex-Art. 42 EGV) [System zur Sicherung von Ansprüchen und Leistungen] Das Europäische Parlament und der Rat beschließen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen; zu diesem Zweck führen sie insbesondere ein System ein, das zu- und abwandernden Arbeitnehmern und Selbstständigen sowie deren anspruchsberechtigten Angehörigen Folgendes sichert: a) die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen; b) die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen. Erklärt ein Mitglied des Rates, dass ein Entwurf eines Gesetzgebungsakts nach Absatz 1 wichtige Aspekte seines Systems der sozialen Sicherheit, insbesondere dessen Geltungsbereich, Kosten oder Finanzstruktur, verletzen oder dessen finanzielles Gleichgewicht beeinträchtigen würde, so kann es beantragen, dass der Europäische Rat befasst wird. In diesem Fall wird das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ausgesetzt. Nach einer Aussprache geht der Europäische Rat binnen vier Monaten nach Aussetzung des Verfahrens wie folgt vor: a) er verweist den Entwurf an den Rat zurück, wodurch die Aussetzung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beendet wird, oder b) er sieht von einem Tätigwerden ab, oder aber er ersucht die Kommission um Vorlage eines neuen Vorschlags; in diesem Fall gilt der ursprünglich vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen. Kapitel 2 − Das Niederlassungsrecht Art. 49 (ex-Art. 43 EGV) [Niederlassungsfreiheit] Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von 12

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Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind. Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen. Art. 50 (ex-Art. 44 EGV) [Richtlinien zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit] (1) Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit für eine bestimmte Tätigkeit. (2) Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission erfüllen die Aufgaben, die ihnen aufgrund der obigen Bestimmungen übertragen sind, indem sie insbesondere a) im Allgemeinen diejenigen Tätigkeiten mit Vorrang behandeln, bei denen die Niederlassungsfreiheit die Entwicklung der Produktion und des Handels in besonderer Weise fördert; b) eine enge Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Verwaltungen der Mitgliedstaaten sicherstellen, um sich über die besondere Lage auf den verschiedenen Tätigkeitsgebieten innerhalb der Union zu unterrichten; c) die aus innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder vorher zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkünften abgeleiteten Verwaltungsverfahren und -praktiken ausschalten, deren Beibehaltung der Niederlassungsfreiheit entgegensteht; d) dafür Sorge tragen, dass Arbeitnehmer eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt sind, dort verbleiben und eine selbstständige Tätigkeit unter denselben Voraussetzungen ausüben können, die sie erfüllen müssten, wenn sie in diesen Staat erst zu dem Zeitpunkt einreisen würden, in dem sie diese Tätigkeit aufzunehmen beabsichtigen; e) den Erwerb und die Nutzung von Grundbesitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch Angehörige eines anderen Mitgliedstaats ermöglichen, soweit hierdurch die Grundsätze des Artikels 39 Absatz 2 nicht beeinträchtigt werden; f) veranlassen, dass bei jedem in Betracht kommenden Wirtschaftszweig die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit in Bezug auf die Voraussetzungen für die Errichtung von Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats sowie für den Eintritt 13

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des Personals der Hauptniederlassung in ihre Leitungs- oder Überwachungsorgane schrittweise aufgehoben werden; g) soweit erforderlich, die Schutzbestimmungen koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten; h) sicherstellen, dass die Bedingungen für die Niederlassung nicht durch Beihilfen der Mitgliedstaaten verfälscht werden. Art. 51 (ex-Art. 45 EGV) [Ausübung öffentlicher Gewalt] Auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, findet dieses Kapitel in dem betreffenden Mitgliedstaat keine Anwendung. Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschließen, dass dieses Kapitel auf bestimmte Tätigkeiten keine Anwendung findet. Art. 52 (ex-Art. 46 EGV) [Öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit] (1) Dieses Kapitel und die aufgrund desselben getroffenen Maßnahmen beeinträchtigen nicht die Anwendbarkeit der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. (2) Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Richtlinien für die Koordinierung der genannten Vorschriften. Art. 53 (ex-Art. 47 EGV) [Richtlinien zur gegenseitigen Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und Befähigungsnachweisen] (1) Um die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten zu erleichtern, erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise sowie für die Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten. (2) Die schrittweise Aufhebung der Beschränkungen für die ärztlichen, arztähnlichen und pharmazeutischen Berufe setzt die Koordinierung der Bedingungen für die Ausübung dieser Berufe in den einzelnen Mitgliedstaaten voraus. Art. 54 (ex-Art. 48 EGV) [Gleichstellung der Gesellschaften] Für die Anwendung dieses Kapitels stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitglied14

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staats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind. Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen. Art. 55 (ex-Art. 294 EGV) [Gleichstellung bei Kapitalbeteiligungen] Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen der Verträge stellen die Mitgliedstaaten die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Beteiligung am Kapital von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 den eigenen Staatsangehörigen gleich.

Kapitel 3 − Dienstleistungen Art. 56 (ex-Art. 49 EGV) [Dienstleistungsfreiheit] Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschließen, dass dieses Kapitel auch auf Erbringer von Dienstleistungen Anwendung findet, welche die Staatsangehörigkeit eines dritten Landes besitzen und innerhalb der Union ansässig sind. Art. 57 (ex-Art. 50 EGV) [Dienstleistungen] Dienstleistungen im Sinne der Verträge sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Als Dienstleistungen gelten insbesondere: a) gewerbliche Tätigkeiten, b) kaufmännische Tätigkeiten, c) handwerkliche Tätigkeiten, d) freiberufliche Tätigkeiten. Unbeschadet des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Mitgliedstaat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt. 15

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Art. 58 (ex-Art. 51 EGV) [Dienstleistungen im Verkehr und Kapitalverkehr] (1) Für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs gelten die Bestimmungen des Titels über den Verkehr. (2) Die Liberalisierung der mit dem Kapitalverkehr verbundenen Dienstleistungen der Banken und Versicherungen wird im Einklang mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs durchgeführt. Art. 59 (ex-Art. 52 EGV) [Richtlinien zur Liberalisierung] (1) Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien zur Liberalisierung einer bestimmten Dienstleistung. (2) Bei den in Absatz 1 genannten Richtlinien sind im Allgemeinen mit Vorrang diejenigen Dienstleistungen zu berücksichtigen, welche die Produktionskosten unmittelbar beeinflussen oder deren Liberalisierung zur Förderung des Warenverkehrs beiträgt. Art. 60 (ex-Art. 53 EGV) [Weitergehende Liberalisierung] Die Mitgliedstaaten bemühen sich, über das Ausmaß der Liberalisierung der Dienstleistungen, zu dem sie aufgrund der Richtlinien gemäß Artikel 59 Absatz 1 verpflichtet sind, hinauszugehen, falls ihre wirtschaftliche Gesamtlage und die Lage des betreffenden Wirtschaftszweigs dies zulassen. Die Kommission richtet entsprechende Empfehlungen an die betreffenden Staaten. Art. 61 (ex-Art. 54 EGV) [Übergangsregelung; Diskriminierungsverbot] Solange die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs nicht aufgehoben sind, wendet sie jeder Mitgliedstaat ohne Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit oder Aufenthaltsort auf alle in Artikel 56 Absatz 1 bezeichneten Erbringer von Dienstleistungen an. Art. 62 (ex-Art. 55 EGV) [Anwendung des Niederlassungsrechts] Die Bestimmungen der Artikel 51 bis 54 finden auf das in diesem Kapitel geregelte Sachgebiet Anwendung.

Kapitel 4 − Der Kapital- und Zahlungsverkehr Art. 63 (ex-Art. 56 EGV) [Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit] (1) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. 16

AEU-Vertrag

1.2

(2) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. Art. 64 (ex-Art. 57 EGV) [Vorbehalt für den Kapitalverkehr mit Drittländern] (1) Artikel 63 berührt nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder, die am 31. Dezember 1993 aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder aufgrund von Rechtsvorschriften der Union für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestehen. Für in Bulgarien, Estland und Ungarn bestehende Beschränkungen nach innerstaatlichem Recht ist der maßgebliche Zeitpunkt der 31. Dezember 1999. (2) Unbeschadet der anderen Kapitel der Verträge sowie ihrer Bemühungen um eine möglichst weit gehende Verwirklichung des Zieles eines freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern beschließen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten. (3) Abweichend von Absatz 2 kann nur der Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments Maßnahmen einstimmig beschließen, die im Rahmen des Unionsrechts für die Liberalisierung des Kapitalverkehrs mit Drittländern einen Rückschritt darstellen. Art. 65 (ex-Art. 58 EGV) [Vorbehalt mitgliedstaatlicher Beschränkungen] (1) Artikel 63 berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, a) die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln, b) die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern, sowie Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen oder Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind. (2) Dieses Kapitel berührt nicht die Anwendbarkeit von Beschränkungen des Niederlassungsrechts, die mit den Verträgen vereinbar sind. 17

1.2

AEU-Vertrag

(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen und Verfahren dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 63 darstellen. (4) Sind keine Maßnahmen nach Artikel 64 Absatz 3 erlassen worden, so kann die Kommission oder, wenn diese binnen drei Monaten nach der Vorlage eines entsprechenden Antrags des betreffenden Mitgliedstaats keinen Beschluss erlassen hat, der Rat einen Beschluss erlassen, mit dem festgelegt wird, dass die von einem Mitgliedstaat in Bezug auf ein oder mehrere Drittländer getroffenen restriktiven steuerlichen Maßnahmen insofern als mit den Verträgen vereinbar anzusehen sind, als sie durch eines der Ziele der Union gerechtfertigt und mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts vereinbar sind. Der Rat beschließt einstimmig auf Antrag eines Mitgliedstaats. […]

Titel V − Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Kapitel 1 − Allgemeine Bestimmungen Art. 67 (ex-Art. 61 EGV und ex-Art. 29 EUV a. F.) [Grundsätze] (1) Die Union bildet einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden. (2) Sie stellt sicher, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden, und entwickelt eine gemeinsame Politik in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Kontrollen an den Außengrenzen, die sich auf die Solidarität der Mitgliedstaaten gründet und gegenüber Drittstaatsangehörigen angemessen ist. Für die Zwecke dieses Titels werden Staatenlose den Drittstaatsangehörigen gleichgestellt. (3) Die Union wirkt darauf hin, durch Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität sowie von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, zur Koordinierung und Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Organen der Strafrechtspflege und den anderen zuständigen Behörden sowie durch die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen und erforderlichenfalls durch die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. (4) Die Union erleichtert den Zugang zum Recht, insbesondere durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen. 18

AEU-Vertrag

1.2

Art. 68 [Strategische Leitlinien] Der Europäische Rat legt die strategischen Leitlinien für die gesetzgeberische und operative Programmplanung im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts fest. […] Kapitel 1 − Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen Art. 81 (ex-Art. 65 EGV) [Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen] (1) Die Union entwickelt eine justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen beruht. Diese Zusammenarbeit kann den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten umfassen. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 erlassen das Europäische Parlament und der Rat, insbesondere wenn dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen, die Folgendes sicherstellen sollen: a) die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten; b) die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke; c) die Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten; d) die Zusammenarbeit bei der Erhebung von Beweismitteln; e) einen effektiven Zugang zum Recht; f) die Beseitigung von Hindernissen für die reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften; g) die Entwicklung von alternativen Methoden für die Beilegung von Streitigkeiten; h) die Förderung der Weiterbildung von Richtern und Justizbediensteten. (3) Abweichend von Absatz 2 werden Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren festgelegt. Dieser beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments. Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einen Beschluss erlassen, durch den die Aspekte des Familienrechts mit grenzüberschreitendem Bezug bestimmt werden, die Gegenstand von Rechtsakten sein können, die gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden. Der Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments. 19

1.2

AEU-Vertrag

Der in Unterabsatz 2 genannte Vorschlag wird den nationalen Parlamenten übermittelt. Wird dieser Vorschlag innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung von einem nationalen Parlament abgelehnt, so wird der Beschluss nicht erlassen. Wird der Vorschlag nicht abgelehnt, so kann der Rat den Beschluss erlassen. […]

Titel VII − Gemeinsame Regeln betreffend Wettbewerb, Steuerfragen und Angleichung der Rechtsvorschriften Kapitel 1 − Wettbewerbsregeln Abschnitt 1 − Vorschriften für Unternehmen Art. 101 (ex-Art. 81 EGV) [Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen] (1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen; b) die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen; c) die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen; d) die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; e) die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen. (2) Die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig. (3) Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf — Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, 20

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1.2

— Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen, — aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen a) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder b) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Art. 102 (ex-Art. 82 EGV) [Verbot missbräuchlicher Ausnutzung marktbeherrschender Stellung] Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Dieser Missbrauch kann insbesondere in Folgendem bestehen: a) der unmittelbaren oder mittelbaren Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen; b) der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher; c) der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; d) der an den Abschluss von Verträgen geknüpften Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen. Art. 103 (ex-Art. 83 EGV) [Verordnungen und Richtlinien zur Durchsetzung der Wettbewerbsregeln] (1) Die zweckdienlichen Verordnungen oder Richtlinien zur Verwirklichung der in den Artikeln 101 und 102 niedergelegten Grundsätze werden vom Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments beschlossen. (2) Die in Absatz 1 vorgesehenen Vorschriften bezwecken insbesondere, a) die Beachtung der in Artikel 101 Absatz 1 und Artikel 102 genannten Verbote durch die Einführung von Geldbußen und Zwangsgeldern zu gewährleisten; 21

1.2

AEU-Vertrag

b) die Einzelheiten der Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 festzulegen; dabei ist dem Erfordernis einer wirksamen Überwachung bei möglichst einfacher Verwaltungskontrolle Rechnung zu tragen; c) gegebenenfalls den Anwendungsbereich der Artikel 101 und 102 für die einzelnen Wirtschaftszweige näher zu bestimmen; d) die Aufgaben der Kommission und des Gerichtshofs der Europäischen Union bei der Anwendung der in diesem Absatz vorgesehenen Vorschriften gegeneinander abzugrenzen; e) das Verhältnis zwischen den innerstaatlichen Rechtsvorschriften einerseits und den in diesem Abschnitt enthaltenen oder aufgrund dieses Artikels getroffenen Bestimmungen andererseits festzulegen. Art. 104 (ex-Art. 84 EGV) [Übergangsregelung] Bis zum Inkrafttreten der gemäß Artikel 103 erlassenen Vorschriften entscheiden die Behörden der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren eigenen Rechtsvorschriften und den Bestimmungen der Artikel 101, insbesondere Absatz 3, und 102 über die Zulässigkeit von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen sowie über die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt. Art. 105 (ex-Art. 85 EGV) [Wettbewerbsaufsicht durch die Kommission] (1) Unbeschadet des Artikels 104 achtet die Kommission auf die Verwirklichung der in den Artikeln 101 und 102 niedergelegten Grundsätze. Sie untersucht auf Antrag eines Mitgliedstaats oder von Amts wegen in Verbindung mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die ihr Amtshilfe zu leisten haben, die Fälle, in denen Zuwiderhandlungen gegen diese Grundsätze vermutet werden. Stellt sie eine Zuwiderhandlung fest, so schlägt sie geeignete Mittel vor, um diese abzustellen. (2) Wird die Zuwiderhandlung nicht abgestellt, so trifft die Kommission in einem mit Gründen versehenen Beschluss die Feststellung, dass eine derartige Zuwiderhandlung vorliegt. Sie kann den Beschluss veröffentlichen und die Mitgliedstaaten ermächtigen, die erforderlichen Abhilfemaßnahmen zu treffen, deren Bedingungen und Einzelheiten sie festlegt. (3) Die Kommission kann Verordnungen zu den Gruppen von Vereinbarungen erlassen, zu denen der Rat nach Artikel 103 Absatz 2 Buchstabe b eine Verordnung oder Richtlinie erlassen hat. Art. 106 (ex-Art. 86 EGV) [Öffentliche Unternehmen; Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse] (1) Die Mitgliedstaaten werden in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere 22

AEU-Vertrag

1.2

oder ausschließliche Rechte gewähren, keine den Verträgen und insbesondere den Artikeln 18 und 101 bis 109 widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten. (2) Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten die Vorschriften der Verträge, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Union zuwiderläuft. (3) Die Kommission achtet auf die Anwendung dieses Artikels und richtet erforderlichenfalls geeignete Richtlinien oder Beschlüsse an die Mitgliedstaaten. Abschnitt 2 − Staatliche Beihilfen Art. 107 (ex-Art. 87 EGV) [Beihilfeverbot; Ausnahmen] (1) Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. (2) Mit dem Binnenmarkt vereinbar sind: a) Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher, wenn sie ohne Diskriminierung nach der Herkunft der Waren gewährt werden; b) Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind; c) Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind. Der Rat kann fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon auf Vorschlag der Kommission einen Beschluss erlassen, mit dem dieser Buchstabe aufgehoben wird. (3) Als mit dem Binnenmarkt vereinbar können angesehen werden: a) Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht, sowie der in Artikel 349 genannten Gebiete unter Berücksichtigung ihrer strukturellen, wirtschaftlichen und sozialen Lage; b) Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats; 23

1.2

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c) Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft; d) Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Union nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft; e) sonstige Arten von Beihilfen, die der Rat durch einen Beschluss auf Vorschlag der Kommission bestimmt. Art. 108 (ex-Art. 88 EGV) [Beihilfeaufsicht durch die Kommission] (1) Die Kommission überprüft fortlaufend in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die in diesen bestehenden Beihilferegelungen. Sie schlägt ihnen die zweckdienlichen Maßnahmen vor, welche die fortschreitende Entwicklung und das Funktionieren des Binnenmarkts erfordern. (2) Stellt die Kommission fest, nachdem sie den Beteiligten eine Frist zur Äußerung gesetzt hat, dass eine von einem Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe mit dem Binnenmarkt nach Artikel 107 unvereinbar ist oder dass sie missbräuchlich angewandt wird, so beschließt sie, dass der betreffende Staat sie binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat. Kommt der betreffende Staat diesem Beschluss innerhalb der festgesetzten Frist nicht nach, so kann die Kommission oder jeder betroffene Staat in Abweichung von den Artikeln 258 und 259 den Gerichtshof der Europäischen Union unmittelbar anrufen. Der Rat kann einstimmig auf Antrag eines Mitgliedstaats beschließen, dass eine von diesem Staat gewährte oder geplante Beihilfe in Abweichung von Artikel 107 oder von den nach Artikel 109 erlassenen Verordnungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar gilt, wenn außergewöhnliche Umstände einen solchen Beschluss rechtfertigen. Hat die Kommission bezüglich dieser Beihilfe das in Unterabsatz 1 dieses Absatzes vorgesehene Verfahren bereits eingeleitet, so bewirkt der Antrag des betreffenden Staates an den Rat die Aussetzung dieses Verfahrens, bis der Rat sich geäußert hat. Äußert sich der Rat nicht binnen drei Monaten nach Antragstellung, so beschließt die Kommission. (3) Die Kommission wird von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet, dass sie sich dazu äußern kann. Ist sie der Auffassung, dass ein derartiges Vorhaben nach Artikel 107 mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, so leitet sie unverzüglich das in Absatz 2 vorgesehene Verfahren ein. Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat. 24

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1.2

(4) Die Kommission kann Verordnungen zu den Arten von staatlichen Beihilfen erlassen, für die der Rat nach Artikel 109 festgelegt hat, dass sie von dem Verfahren nach Absatz 3 ausgenommen werden können. Art. 109 (ex-Art. 89 EGV) [Durchführungsverordnungen] Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments alle zweckdienlichen Durchführungsverordnungen zu den Artikeln 107 und 108 erlassen und insbesondere die Bedingungen für die Anwendung des Artikels 108 Absatz 3 sowie diejenigen Arten von Beihilfen festlegen, die von diesem Verfahren ausgenommen sind. […] Kapitel 3 − Angleichung der Rechtsvorschriften Art. 114 (ex-Art. 95 EGV) [Rechtsangleichung im Binnenmarkt] (1) Soweit in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist, gilt für die Verwirklichung der Ziele des Artikels 26 die nachstehende Regelung. Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. (2) Absatz 1 gilt nicht für die Bestimmungen über die Steuern, die Bestimmungen über die Freizügigkeit und die Bestimmungen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer. (3) Die Kommission geht in ihren Vorschlägen nach Absatz 1 in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau aus und berücksichtigt dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen. Im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse streben das Europäische Parlament und der Rat dieses Ziel ebenfalls an. (4) Hält es ein Mitgliedstaat nach dem Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme durch das Europäische Parlament und den Rat beziehungsweise durch den Rat oder die Kommission für erforderlich, einzelstaatliche Bestimmungen beizubehalten, die durch wichtige Erfordernisse im Sinne des Artikels 36 oder in Bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtfertigt sind, so teilt er diese Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Beibehaltung der Kommission mit. (5) Unbeschadet des Absatzes 4 teilt ferner ein Mitgliedstaat, der es nach dem Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme durch das Europäische Parlament und den Rat beziehungsweise durch den Rat oder die Kommission für erforder25

1.2

AEU-Vertrag

lich hält, auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte einzelstaatliche Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt aufgrund eines spezifischen Problems für diesen Mitgliedstaat, das sich nach dem Erlass der Harmonisierungsmaßnahme ergibt, einzuführen, die in Aussicht genommenen Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Einführung der Kommission mit. (6) Die Kommission beschließt binnen sechs Monaten nach den Mitteilungen nach den Absätzen 4 und 5, die betreffenden einzelstaatlichen Bestimmungen zu billigen oder abzulehnen, nachdem sie geprüft hat, ob sie ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung und eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen und ob sie das Funktionieren des Binnenmarkts behindern. Erlässt die Kommission innerhalb dieses Zeitraums keinen Beschluss, so gelten die in den Absätzen 4 und 5 genannten einzelstaatlichen Bestimmungen als gebilligt. Die Kommission kann, sofern dies aufgrund des schwierigen Sachverhalts gerechtfertigt ist und keine Gefahr für die menschliche Gesundheit besteht, dem betreffenden Mitgliedstaat mitteilen, dass der in diesem Absatz genannte Zeitraum gegebenenfalls um einen weiteren Zeitraum von bis zu sechs Monaten verlängert wird. (7) Wird es einem Mitgliedstaat nach Absatz 6 gestattet, von der Harmonisierungsmaßnahme abweichende einzelstaatliche Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen, so prüft die Kommission unverzüglich, ob sie eine Anpassung dieser Maßnahme vorschlägt. (8) Wirft ein Mitgliedstaat in einem Bereich, der zuvor bereits Gegenstand von Harmonisierungsmaßnahmen war, ein spezielles Gesundheitsproblem auf, so teilt er dies der Kommission mit, die dann umgehend prüft, ob sie dem Rat entsprechende Maßnahmen vorschlägt. (9) In Abweichung von dem Verfahren der Artikel 258 und 259 kann die Kommission oder ein Mitgliedstaat den Gerichtshof der Europäischen Union unmittelbar anrufen, wenn die Kommission oder der Staat der Auffassung ist, dass ein anderer Mitgliedstaat die in diesem Artikel vorgesehenen Befugnisse missbraucht. (10) Die vorgenannten Harmonisierungsmaßnahmen sind in geeigneten Fällen mit einer Schutzklausel verbunden, welche die Mitgliedstaaten ermächtigt, aus einem oder mehreren der in Artikel 36 genannten nicht wirtschaftlichen Gründe vorläufige Maßnahmen zu treffen, die einem Kontrollverfahren der Union unterliegen. Art. 115 (ex-Art. Art. 94 EGV) [Angleichung nationalen Rechts mit unmittelbarer Auswirkung auf den Binnenmarkt] Unbeschadet des Artikels 114 er26

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1.2

lässt der Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken. […] Art. 118 [Rechtstitel zum Schutz geistigen Eigentums] Im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen zur Schaffung europäischer Rechtstitel über einen einheitlichen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums in der Union sowie zur Einführung von zentralisierten Zulassungs-, Koordinierungs- und Kontrollregelungen auf Unionsebene. Der Rat legt gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen die Sprachenregelungen für die europäischen Rechtstitel fest. Der Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments. […]

Titel X − Sozialpolitik Art. 151 (ex-Art. 136 EGV) [Ziele und Mittel der Sozialpolitik] Die Union und die Mitgliedstaaten verfolgen eingedenk der sozialen Grundrechte, wie sie in der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Europäischen Sozialcharta und in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 festgelegt sind, folgende Ziele: die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen, einen angemessenen sozialen Schutz, den sozialen Dialog, die Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung von Ausgrenzungen. Zu diesem Zweck führen die Union und die Mitgliedstaaten Maßnahmen durch, die der Vielfalt der einzelstaatlichen Gepflogenheiten, insbesondere in den vertraglichen Beziehungen, sowie der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Union zu erhalten, Rechnung tragen. Sie sind der Auffassung, dass sich eine solche Entwicklung sowohl aus dem eine Abstimmung der Sozialordnungen begünstigenden Wirken des Binnen27

1.2

AEU-Vertrag

markts als auch aus den in den Verträgen vorgesehenen Verfahren sowie aus der Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften ergeben wird. Art. 152 [Einbeziehung der Sozialpartner; sozialer Dialog] Die Union anerkennt und fördert die Rolle der Sozialpartner auf Ebene der Union unter Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der nationalen Systeme. Sie fördert den sozialen Dialog und achtet dabei die Autonomie der Sozialpartner. Der Dreigliedrige Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung trägt zum sozialen Dialog bei. Art. 153 (ex-Art. 137 EGV) [Kompetenzen der Union] (1) Zur Verwirklichung der Ziele des Artikels 151 unterstützt und ergänzt die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf folgenden Gebieten: a) Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer, b) Arbeitsbedingungen, c) soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer, d) Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags, e) Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, f) Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung, vorbehaltlich des Absatzes 5, g) Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen dritter Länder, die sich rechtmäßig im Gebiet der Union aufhalten, h) berufliche Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen, unbeschadet des Artikels 166, i) Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz, j) Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung, k) Modernisierung der Systeme des sozialen Schutzes, unbeschadet des Buchstabens c. (2) Zu diesem Zweck können das Europäische Parlament und der Rat a) unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten Maßnahmen annehmen, die dazu bestimmt sind, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten durch Initiativen zu fördern, die die Verbesserung des Wissensstands, die Entwicklung des Austauschs von Informationen und bewährten Verfahren, die Förderung innovativer Ansätze und die Bewertung von Erfahrungen zum Ziel haben; b) in den in Absatz 1 Buchstaben a bis i genannten Bereichen unter Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen 28

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1.2

und technischen Regelungen durch Richtlinien Mindestvorschriften erlassen, die schrittweise anzuwenden sind. Diese Richtlinien sollen keine verwaltungsmäßigen, finanziellen oder rechtlichen Auflagen vorschreiben, die der Gründung und Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen entgegenstehen. Das Europäische Parlament und der Rat beschließen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen. In den in Absatz 1 Buchstaben c, d, f und g genannten Bereichen beschließt der Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der genannten Ausschüsse. Der Rat kann einstimmig auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Europäischen Parlaments beschließen, dass das ordentliche Gesetzgebungsverfahren auf Absatz 1 Buchstaben d, f und g angewandt wird. (3) Ein Mitgliedstaat kann den Sozialpartnern auf deren gemeinsamen Antrag die Durchführung von aufgrund des Absatzes 2 angenommenen Richtlinien oder gegebenenfalls die Durchführung eines nach Artikel 155 erlassenen Beschlusses des Rates übertragen. In diesem Fall vergewissert sich der Mitgliedstaat, dass die Sozialpartner spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Richtlinie umgesetzt oder ein Beschluss durchgeführt sein muss, im Wege einer Vereinbarung die erforderlichen Vorkehrungen getroffen haben; dabei hat der Mitgliedstaat alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die durch diese Richtlinie oder diesen Beschluss vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden. (4) Die aufgrund dieses Artikels erlassenen Bestimmungen — berühren nicht die anerkannte Befugnis der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen, und dürfen das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme nicht erheblich beeinträchtigen; — hindern die Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu treffen, die mit den Verträgen vereinbar sind. (5) Dieser Artikel gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht. Art. 154 (ex-Art. 138 EGV) [Anhörung der Sozialpartner] (1) Die Kommission hat die Aufgabe, die Anhörung der Sozialpartner auf Unionsebene zu fördern, und erlässt alle zweckdienlichen Maßnahmen, um den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu erleichtern, wobei sie für Ausgewogenheit bei der Unterstützung der Parteien sorgt. (2) Zu diesem Zweck hört die Kommission vor Unterbreitung von Vorschlägen im Bereich der Sozialpolitik die Sozialpartner zu der Frage, wie eine Unionsaktion gegebenenfalls ausgerichtet werden sollte. 29

1.2

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(3) Hält die Kommission nach dieser Anhörung eine Unionsmaßnahme für zweckmäßig, so hört sie die Sozialpartner zum Inhalt des in Aussicht genommenen Vorschlags. Die Sozialpartner übermitteln der Kommission eine Stellungnahme oder gegebenenfalls eine Empfehlung. (4) Bei den Anhörungen nach den Absätzen 2 und 3 können die Sozialpartner der Kommission mitteilen, dass sie den Prozess nach Artikel 155 in Gang setzen wollen. Die Dauer dieses Prozesses darf höchstens neun Monate betragen, sofern die betroffenen Sozialpartner und die Kommission nicht gemeinsam eine Verlängerung beschließen. Art. 155 (ex-Art. 139 EGV) [Sozialer Dialog] (1) Der Dialog zwischen den Sozialpartnern auf Unionsebene kann, falls sie es wünschen, zur Herstellung vertraglicher Beziehungen einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen führen. (2) Die Durchführung der auf Unionsebene geschlossenen Vereinbarungen erfolgt entweder nach den jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten oder – in den durch Artikel 153 erfassten Bereichen – auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien durch einen Beschluss des Rates auf Vorschlag der Kommission. Das Europäische Parlament wird unterrichtet. Der Rat beschließt einstimmig, sofern die betreffende Vereinbarung eine oder mehrere Bestimmungen betreffend einen der Bereiche enthält, für die nach Artikel 153 Absatz 2 Einstimmigkeit erforderlich ist. Art. 156 (ex-Art. 140 EGV) [Fördermaßnahmen der Kommission] Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen der Verträge fördert die Kommission im Hinblick auf die Erreichung der Ziele des Artikels 151 die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und erleichtert die Abstimmung ihres Vorgehens in allen unter dieses Kapitel fallenden Bereichen der Sozialpolitik, insbesondere auf dem Gebiet — der Beschäftigung, — des Arbeitsrechts und der Arbeitsbedingungen, — der beruflichen Ausbildung und Fortbildung, — der sozialen Sicherheit, — der Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten, — des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit, — des Koalitionsrechts und der Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Zu diesem Zweck wird die Kommission in enger Verbindung mit den Mitgliedstaaten durch Untersuchungen, Stellungnahmen und die Durchführung von 30

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1.2

Konsultationen in Bezug auf innerstaatlich oder in den internationalen Organisationen zu behandelnde Fragen tätig, und zwar insbesondere im Wege von Initiativen, die darauf abzielen, Leitlinien und Indikatoren festzulegen, den Austausch bewährter Verfahren durchzuführen und die erforderlichen Elemente für eine regelmäßige Überwachung und Bewertung auszuarbeiten. Das Europäische Parlament wird in vollem Umfang unterrichtet. Vor Abgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Stellungnahmen hört die Kommission den Wirtschafts- und Sozialausschuss. Art. 157 (ex-Art. 141 EGV) [Gleiches Entgelt für Männer und Frauen] (1) Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher. (2) Unter „Entgelt“ im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt. Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet, a) dass das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit aufgrund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird, b) dass für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist. (3) Das Europäische Parlament und der Rat beschließen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. (4) Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben hindert der Grundsatz der Gleichbehandlung die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen. […]

Titel XV − Verbraucherschutz Art. 169 (ex-Art. 153 EGV) [Beitrag der Union zum Verbraucherschutz] (1) Zur Förderung der Interessen der Verbraucher und zur Gewährleistung eines 31

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hohen Verbraucherschutzniveaus leistet die Union einen Beitrag zum Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher sowie zur Förderung ihres Rechtes auf Information, Erziehung und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen. (2) Die Union leistet einen Beitrag zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele durch a) Maßnahmen, die sie im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts nach Artikel 114 erlässt; b) Maßnahmen zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten. (3) Das Europäische Parlament und der Rat beschließen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen nach Absatz 2 Buchstabe b. (4) Die nach Absatz 3 beschlossenen Maßnahmen hindern die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Diese Maßnahmen müssen mit den Verträgen vereinbar sein. Sie werden der Kommission mitgeteilt. […]

Sechster Teil – Institutionelle Bestimmungen und Finanzvorschriften Titel I − Vorschriften über die Organe Kapitel 1 − Die Organe […] Abschnitt 5 − Der Gerichtshof der Europäischen Union […] Art. 267 (ex-Art. 234 EGV) [Vorabentscheidung] Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung a) über die Auslegung der Verträge, b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. 32

AEU-Vertrag

1.2

Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren, das eine inhaftierte Person betrifft, bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, so entscheidet der Gerichtshof innerhalb kürzester Zeit. […] Kapitel 2 − Rechtsakte der Union, Annahmeverfahren und sonstige Vorschriften Art. 288 (ex-Art. 249 EGV) [Rechtsakte der Union] Für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union nehmen die Organe Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen an. Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Beschlüsse sind in allen ihren Teilen verbindlich. Sind sie an bestimmte Adressaten gerichtet, so sind sie nur für diese verbindlich. Die Empfehlungen und Stellungnahmen sind nicht verbindlich. Art. 289 [Gesetzgebungsverfahren] (1) Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren besteht in der gemeinsamen Annahme einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses durch das Europäische Parlament und den Rat auf Vorschlag der Kommission. Dieses Verfahren ist in Artikel 294 festgelegt. (2) In bestimmten, in den Verträgen vorgesehenen Fällen erfolgt als besonderes Gesetzgebungsverfahren die Annahme einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses durch das Europäische Parlament mit Beteiligung des Rates oder durch den Rat mit Beteiligung des Europäischen Parlaments. (3) Rechtsakte, die gemäß einem Gesetzgebungsverfahren angenommen werden, sind Gesetzgebungsakte. (4) In bestimmten, in den Verträgen vorgesehenen Fällen können Gesetzgebungsakte auf Initiative einer Gruppe von Mitgliedstaaten oder des Europäischen Parlaments, auf Empfehlung der Europäischen Zentralbank oder auf Antrag des Gerichtshofs oder der Europäischen Investitionsbank erlassen werden. Art. 290 [Delegierte Rechtsakte] (1) In Gesetzgebungsakten kann der Kommission die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit 33

1.2

AEU-Vertrag

allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen. In den betreffenden Gesetzgebungsakten werden Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt. Die wesentlichen Aspekte eines Bereichs sind dem Gesetzgebungsakt vorbehalten und eine Befugnisübertragung ist für sie deshalb ausgeschlossen. (2) Die Bedingungen, unter denen die Übertragung erfolgt, werden in Gesetzgebungsakten ausdrücklich festgelegt, wobei folgende Möglichkeiten bestehen: a) Das Europäische Parlament oder der Rat kann beschließen, die Übertragung zu widerrufen. b) Der delegierte Rechtsakt kann nur in Kraft treten, wenn das Europäische Parlament oder der Rat innerhalb der im Gesetzgebungsakt festgelegten Frist keine Einwände erhebt. Für die Zwecke der Buchstaben a und b beschließt das Europäische Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder und der Rat mit qualifizierter Mehrheit. (3) In den Titel der delegierten Rechtsakte wird das Wort „delegiert“ eingefügt. Art. 291 [Durchführung in den Mitgliedstaaten; Durchführungsrechtsakte] (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen alle zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union erforderlichen Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht. (2) Bedarf es einheitlicher Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union, so werden mit diesen Rechtsakten der Kommission oder, in entsprechend begründeten Sonderfällen und in den in den Artikeln 24 und 26 des Vertrags über die Europäische Union vorgesehenen Fällen, dem Rat Durchführungsbefugnisse übertragen. (3) Für die Zwecke des Absatzes 2 legen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen im Voraus allgemeine Regeln und Grundsätze fest, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren. (4) In den Titel der Durchführungsrechtsakte wird der Wortteil „Durchführungs-“ eingefügt. Art. 292 [Empfehlungen] Der Rat gibt Empfehlungen ab. Er beschließt auf Vorschlag der Kommission in allen Fällen, in denen er nach Maßgabe der Verträge Rechtsakte auf Vorschlag der Kommission erlässt. In den Bereichen, in denen für den Erlass eines Rechtsakts der Union Einstimmigkeit vorgesehen ist, beschließt er einstimmig. Die Kommission und, in bestimmten in den Verträgen vorgesehenen Fällen, die Europäische Zentralbank geben Empfehlungen ab. […] 34

1.3 Grundrechte-Charta

*

Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission proklamieren feierlich den nachstehenden Text als Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Präambel Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer engeren Union verbinden. In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet. Die Union trägt zur Erhaltung und zur Entwicklung dieser gemeinsamen Werte unter Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas sowie der nationalen Identität der Mitgliedstaaten und der Organisation ihrer staatlichen Gewalt auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene bei. Sie ist bestrebt, eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung zu fördern und stellt den freien Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit sicher. Zu diesem Zweck ist es notwendig, angesichts der Weiterentwicklung der Gesellschaft, des sozialen Fortschritts und der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen den Schutz der Grundrechte zu stärken, indem sie in einer Charta sichtbarer gemacht werden. Diese Charta bekräftigt unter Achtung der Zuständigkeiten und Aufgaben der Union und des Subsidiaritätsprinzips die Rechte, die sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, aus den von der Union und dem Europarat beschlossenen Sozialchartas sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergeben. In diesem Zusammenhang erfolgt die Auslegung der Charta durch die Gerichte der Union und der Mitgliedstaaten unter gebührender Berücksichtigung der Erläuterungen, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden. Die Ausübung dieser Rechte ist mit Verantwortung und mit Pflichten sowohl gegenüber den Mitmenschen als auch gegenüber der menschlichen Gemeinschaft und den künftigen Generationen verbunden. Daher erkennt die Union die nachstehend aufgeführten Rechte, Freiheiten und Grundsätze an.

* Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. 2012 C 326/391. https://doi.org/10.1515/9783110667776-003

1.3

Grundrechte-Charta

Titel I − Würde des Menschen Art. 1 Würde des Menschen Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen. Art. 2 Recht auf Leben (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. (2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden. Art. 3 Recht auf Unversehrtheit (1) Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit. (2) Im Rahmen der Medizin und der Biologie muss insbesondere Folgendes beachtet werden: a) die freie Einwilligung des Betroffenen nach vorheriger Aufklärung entsprechend den gesetzlich festgelegten Einzelheiten, b) das Verbot eugenischer Praktiken, insbesondere derjenigen, welche die Selektion von Menschen zum Ziel haben, c) das Verbot, den menschlichen Körper und Teile davon als solche zur Erzielung von Gewinnen zu nutzen, d) das Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen. Art. 4 Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Art. 5 Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit (1) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. (2) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. (3) Menschenhandel ist verboten.

Titel II − Freiheiten Art. 6 Recht auf Freiheit und Sicherheit Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Art. 7 Achtung des Privat- und Familienlebens Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation. Art. 8 Schutz personenbezogener Daten (1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. 36

Grundrechte-Charta

1.3

(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken. (3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht. Art. 9 Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen Das Recht, eine Ehe einzugehen, und das Recht, eine Familie zu gründen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet, welche die Ausübung dieser Rechte regeln. Art. 10 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen. (2) Das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nach den einzelstaatlichen Gesetzen anerkannt, welche die Ausübung dieses Rechts regeln. Art. 11 Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. (2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet. Art. 12 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (1) Jede Person hat das Recht, sich insbesondere im politischen, gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich auf allen Ebenen frei und friedlich mit anderen zu versammeln und frei mit anderen zusammenzuschließen, was das Recht jeder Person umfasst, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. (2) Politische Parteien auf der Ebene der Union tragen dazu bei, den politischen Willen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zum Ausdruck zu bringen. Art. 13 Freiheit der Kunst und der Wissenschaft Kunst und Forschung sind frei. Die akademische Freiheit wird geachtet. 37

1.3

Grundrechte-Charta

Art. 14 Recht auf Bildung (1) Jede Person hat das Recht auf Bildung sowie auf Zugang zur beruflichen Ausbildung und Weiterbildung. (2) Dieses Recht umfasst die Möglichkeit, unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teilzunehmen. (3) Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze sowie das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung regeln. Art. 15 Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten (1) Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben. (2) Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen. (3) Die Staatsangehörigen dritter Länder, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten arbeiten dürfen, haben Anspruch auf Arbeitsbedingungen, die denen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger entsprechen. Art. 16 Unternehmerische Freiheit Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt. Art. 17 Eigentumsrecht (1) Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist. (2) Geistiges Eigentum wird geschützt. Art. 18 Asylrecht Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie nach Maßgabe des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden „die Verträge“) gewährleistet. Art. 19 Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung (1) Kollektivausweisungen sind nicht zulässig. 38

Grundrechte-Charta

1.3

(2) Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.

Titel III − Gleichheit Art. 20 Gleichheit vor dem Gesetz Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich. Art. 21 Nichtdiskriminierung (1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten. (2) Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Art. 22 Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen. Art. 23 Gleichheit von Frauen und Männern Die Gleichheit von Frauen und Männern ist in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen. Der Grundsatz der Gleichheit steht der Beibehaltung oder der Einführung spezifischer Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Geschlecht nicht entgegen. Art. 24 Rechte des Kindes (1) Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt. (2) Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein. (3) Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen. 39

1.3

Grundrechte-Charta

Art. 25 Rechte älterer Menschen Die Union anerkennt und achtet das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben. Art. 26 Integration von Menschen mit Behinderung Die Union anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft.

Titel IV − Solidarität Art. 27 Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Unternehmen Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ihre Vertreter muss auf den geeigneten Ebenen eine rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung in den Fällen und unter den Voraussetzungen gewährleistet sein, die nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vorgesehen sind. Art. 28 Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen haben nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen. Art. 29 Recht auf Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsdienst Jeder Mensch hat das Recht auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst. Art. 30 Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung. Art. 31 Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen (1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen. (2) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub. 40

Grundrechte-Charta

1.3

Art. 32 Verbot der Kinderarbeit und Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz Kinderarbeit ist verboten. Unbeschadet günstigerer Vorschriften für Jugendliche und abgesehen von begrenzten Ausnahmen darf das Mindestalter für den Eintritt in das Arbeitsleben das Alter, in dem die Schulpflicht endet, nicht unterschreiten. Zur Arbeit zugelassene Jugendliche müssen ihrem Alter angepasste Arbeitsbedingungen erhalten und vor wirtschaftlicher Ausbeutung und vor jeder Arbeit geschützt werden, die ihre Sicherheit, ihre Gesundheit, ihre körperliche, geistige, sittliche oder soziale Entwicklung beeinträchtigen oder ihre Erziehung gefährden könnte. Art. 33 Familien- und Berufsleben (1) Der rechtliche, wirtschaftliche und soziale Schutz der Familie wird gewährleistet. (2) Um Familien- und Berufsleben miteinander in Einklang bringen zu können, hat jeder Mensch das Recht auf Schutz vor Entlassung aus einem mit der Mutterschaft zusammenhängenden Grund sowie den Anspruch auf einen bezahlten Mutterschaftsurlaub und auf einen Elternurlaub nach der Geburt oder Adoption eines Kindes. Art. 34 Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung (1) Die Union anerkennt und achtet das Recht auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit und zu den sozialen Diensten, die in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes Schutz gewährleisten, nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. (2) Jeder Mensch, der in der Union seinen rechtmäßigen Wohnsitz hat und seinen Aufenthalt rechtmäßig wechselt, hat Anspruch auf die Leistungen der sozialen Sicherheit und die sozialen Vergünstigungen nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. (3) Um die soziale Ausgrenzung und die Armut zu bekämpfen, anerkennt und achtet die Union das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen, nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Art. 35 Gesundheitsschutz Jeder Mensch hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und Durchführung der Politik und Maßnahmen der Union in allen Bereichen wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt. 41

1.3

Grundrechte-Charta

Art. 36 Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Die Union anerkennt und achtet den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wie er durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Einklang mit den Verträgen geregelt ist, um den sozialen und territorialen Zusammenhalt der Union zu fördern. Art. 37 Umweltschutz Ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität müssen in die Politik der Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden. Art. 38 Verbraucherschutz Die Politik der Union stellt ein hohes Verbraucherschutzniveau sicher.

Titel V − Bürgerrechte Art. 39 Aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament (1) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besitzen in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament unter denselben Bedingungen wie die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. (2) Die Mitglieder des Europäischen Parlaments werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt. Art. 40 Aktives und passives Wahlrecht bei den Kommunalwahlen Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besitzen in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen unter denselben Bedingungen wie die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Art. 41 Recht auf eine gute Verwaltung (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. (2) Dieses Recht umfasst insbesondere a) das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird, b) das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufsund Geschäftsgeheimnisses, c) die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen. (3) Jede Person hat Anspruch darauf, dass die Union den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach 42

Grundrechte-Charta

1.3

den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ersetzt, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. (4) Jede Person kann sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe der Union wenden und muss eine Antwort in derselben Sprache erhalten. Art. 42 Recht auf Zugang zu Dokumenten Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat haben das Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, unabhängig von der Form der für diese Dokumente verwendeten Träger. Art. 43 Der Europäische Bürgerbeauftragte Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat haben das Recht, den Europäischen Bürgerbeauftragten im Falle von Missständen bei der Tätigkeit der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, mit Ausnahme des Gerichtshofs der Europäischen Union in Ausübung seiner Rechtsprechungsbefugnisse, zu befassen. Art. 44 Petitionsrecht Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat haben das Recht, eine Petition an das Europäische Parlament zu richten. Art. 45 Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit (1) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. (2) Staatsangehörigen von Drittländern, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, kann nach Maßgabe der Verträge Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit gewährt werden. Art. 46 Diplomatischer und konsularischer Schutz Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger genießen im Hoheitsgebiet eines Drittlands, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, nicht vertreten ist, den Schutz durch die diplomatischen und konsularischen Behörden eines jeden Mitgliedstaats unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige dieses Staates.

Titel VI – Justizielle Rechte Art. 47 Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder 43

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Grundrechte-Charta

Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen. Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten. Art. 48 Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte (1) Jeder Angeklagte gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld als unschuldig. (2) Jedem Angeklagten wird die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet. Art. 49 Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen (1) Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden. Wird nach Begehung einer Straftat durch Gesetz eine mildere Strafe eingeführt, so ist diese zu verhängen. (2) Dieser Artikel schließt nicht aus, dass eine Person wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt oder bestraft wird, die zur Zeit ihrer Begehung nach den allgemeinen, von der Gesamtheit der Nationen anerkannten Grundsätzen strafbar war. (3) Das Strafmaß darf zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein. Art. 50 Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.

Titel VII − Allgemeine Bestimmungen über die Auslegung und Anwendung der Charta Art. 51 Anwendungsbereich (1) Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Uni44

Grundrechte-Charta

1.3

on. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden. (2) Diese Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben. Art. 52 Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze (1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. (2) Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen geregelt sind, erfolgt im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen. (3) Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt. (4) Soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden sie im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt. (5) Die Bestimmungen dieser Charta, in denen Grundsätze festgelegt sind, können durch Akte der Gesetzgebung und der Ausführung der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch Akte der Mitgliedstaaten zur Durchführung des Rechts der Union in Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten umgesetzt werden. Sie können vor Gericht nur bei der Auslegung dieser Akte und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden. (6) Den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ist, wie es in dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen. (7) Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen. 45

1.3

Grundrechte-Charta

Art. 53 Schutzniveau Keine Bestimmung dieser Charta ist als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen, die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch das Recht der Union und das Völkerrecht sowie durch die internationalen Übereinkünfte, bei denen die Union oder alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind, darunter insbesondere die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, sowie durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden. Art. 54 Verbot des Missbrauchs der Rechte Keine Bestimmung dieser Charta ist so auszulegen, als begründe sie das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als dies in der Charta vorgesehen ist.

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2.1 Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen,2 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) In der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen4 und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz5 sind eine Reihe von vertraglichen Rechten der Verbraucher verankert. (2) Diese Richtlinien wurden im Lichte der gesammelten Erfahrungen im Hinblick darauf überprüft, ob die geltenden Rechtsvorschriften durch Beseitigung von Unstimmigkeiten und Regelungslücken vereinfacht und aktualisiert werden können. Diese Überprüfung hat ergeben, dass es sinnvoll ist, die beiden genannten Richtlinien durch eine einzige Richtlinie zu ersetzen. Daher sollten in dieser Richtlinie allgemeine Vorschriften für die gemeinsamen Aspekte von Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen festgelegt werden; dabei sollte der den älteren Richtlinien zugrunde liegende Mindestharmonisierungsansatz aufgegeben werden, wobei dennoch den Mitgliedstaaten gestattet werden sollte, innerstaatliche Rechtsvorschriften in Bezug auf bestimmte Aspekte beizubehalten oder einzuführen. (3) Artikel 169 Absatz 1 und Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sehen vor, dass die Union durch Maßnahmen, die sie nach Artikel 114 erlässt, einen Beitrag zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet. (4) Gemäß Artikel 26 Absatz 2 AEUV umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen sowie die Niederlassungsfreiheit gewährleistet sind. Die Harmonisierung bestimmter Aspekte von im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verbraucherverträgen ist unabding-

* Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. 2011 L 304/64. 1 ABl. C 317 vom 23. 12. 2009, S. 54. 2 ABl. C 200 vom 25. 8. 2009, S. 76. 3 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 23. Juni 2011 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 10. Oktober 2011. 4 ABl. L 372 vom 31. 12. 1985, S. 31. 5 ABl. L 144 vom 4. 6. 1997, S. 19. https://doi.org/10.1515/9783110667776-004

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bar, wenn ein echter Binnenmarkt für Verbraucher gefördert werden soll, in dem ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei gleichzeitiger Wahrung des Subsidiaritätsprinzips gewährleistet ist. Das grenzüberschreitende Potenzial des Versandhandels, das zu den wichtigsten greifbaren Ergebnissen des Binnenmarkts gehören sollte, wird nicht in vollem Umfang ausgeschöpft. Im Vergleich zu dem erheblichen Wachstum, das in den letzten Jahren im inländischen Versandhandel verzeichnet werden konnte, gab es im grenzüberschreitenden Versandhandel nur ein geringes Wachstum. Diese Diskrepanz zeigt sich besonders deutlich beim Internethandel, bei dem das weitere Wachstumspotenzial groß ist. Das grenzüberschreitende Potenzial von Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen werden (Direktvertrieb) wird durch eine Reihe von Faktoren eingeschränkt, darunter auch unterschiedliche Verbraucherschutzvorschriften der Mitgliedstaaten, an die sich die Wirtschaft halten muss. Im Vergleich zum Wachstum des inländischen Direktvertriebs in den letzten Jahren, vor allem im Dienstleistungssektor (z. B. in der Versorgungswirtschaft), hat die Zahl der Verbraucher, die solche Kanäle grenzüberschreitend zum Einkauf nutzen, nicht zugenommen. Angesichts der besseren Geschäftsmöglichkeiten, die sich in vielen Mitgliedstaaten bieten, sollten kleine und mittlere Unternehmen (auch einzelne Unternehmer) oder Vertreter von Unternehmen, die im Direktvertrieb tätig sind, in stärkerem Maße bereit sein, in anderen Mitgliedstaaten, insbesondere in Grenzregionen, nach neuen Geschäftsmöglichkeiten Ausschau zu halten. Deshalb dürfte die vollständige Harmonisierung der Verbraucherinformation und des Widerrufsrechts in Verträgen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, zu einem hohen Verbraucherschutzniveau und zum besseren Funktionieren des Binnenmarkts für Geschäfte zwischen Unternehmen und Verbrauchern beitragen. Bestimmte Unterschiede schaffen erhebliche Hindernisse für den Binnenmarkt, von denen die Unternehmer und die Verbraucher betroffen sind. Aufgrund dieser Unterschiede müssen Unternehmer, die ihre Waren oder Dienstleistungen grenzüberschreitend anbieten wollen, höhere Kosten für die Einhaltung der Rechtsvorschriften aufwenden. Die unangemessene Rechtszersplitterung untergräbt auch das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt. Die vollständige Harmonisierung einiger wesentlicher Aspekte der einschlägigen Regelungen sollte die Rechtssicherheit für Verbraucher wie Unternehmer erheblich erhöhen. Sowohl die Verbraucher als auch die Unternehmer sollten sich auf einen einheitlichen Rechtsrahmen stützen können, der auf eindeutig definierten Rechtskonzepten basiert und bestimmte Aspekte von Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern unionsweit regelt. Durch eine solche Harmonisierung sollte es zur Beseitigung der sich aus der Rechtszersplitterung ergebenden Hindernisse und zur Vollendung des Binnenmarkts auf diesem Gebiet kommen. Die betreffenden Hindernisse lassen sich nur durch die Einführung einheitlicher Rechtsvorschriften auf Unionsebene abbauen. Darüber hinaus sollten die Verbraucher in den Genuss eines hohen, einheitlichen Verbraucherschutzniveaus in der gesamten Union kommen. Die zu harmonisierenden Aspekte der Regelungen sollten nur Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern betreffen. Deshalb sollte diese Richtlinie die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über Arbeitsverträge und Verträge auf dem Gebiet des Erb-, Familienund Gesellschaftsrechts unberührt lassen. Diese Richtlinie enthält Bestimmungen über Informationen, die bei Fernabsatzverträgen, außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sowie anderen Verträgen als

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Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen bereitgestellt werden müssen. Diese Richtlinie regelt auch das Widerrufsrecht bei Verträgen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen werden, und harmonisiert bestimmte Vorschriften in Bezug auf die Erfüllung und einige andere Aspekte von Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern. Diese Richtlinie sollte die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)6 unberührt lassen. Diese Richtlinie sollte die Vorschriften der Union zu spezifischen Bereichen, beispielsweise Humanarzneimittel, Medizinprodukte, Datenschutz bei der elektronischen Kommunikation, Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Lebensmittelkennzeichnung und Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt, unberührt lassen. Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Informationspflichten sollten die Informationspflichten nach der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt 7 und nach der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“)8 ergänzen. Die Mitgliedstaaten sollten weiterhin die Möglichkeit haben, den in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Dienstleistungserbringern zusätzliche Informationspflichten aufzuerlegen. Die Mitgliedstaaten sollten im Einklang mit dem Unionsrecht weiterhin befugt sein, diese Richtlinie auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen. Die Mitgliedstaaten können daher den Bestimmungen oder einigen Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechende nationale Rechtsvorschriften für Verträge, die nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, beibehalten oder einführen. So können die Mitgliedstaaten beispielsweise beschließen, die Anwendung dieser Richtlinie auf juristische oder natürliche Personen auszudehnen, die keine „Verbraucher“ im Sinne dieser Richtlinie sind, beispielsweise Nichtregierungsorganisationen, neu gegründete oder kleine und mittlere Unternehmen. Desgleichen können Mitgliedstaaten die Vorschriften dieser Richtlinie auf Verträge anwenden, die keine „Fernabsatzverträge“ im Sinne dieser Richtlinie sind, etwa weil sie nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebsbzw. Dienstleistungssystems abgeschlossen werden. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten auch nationale Rechtsvorschriften zu Themen beibehalten oder einführen, die in dieser Richtlinie nicht speziell behandelt werden, beispielsweise zusätzliche Vorschriften über Kaufverträge, auch im Hinblick auf die Lieferung von Waren oder auf Anforderungen bezüglich der Bereitstellung von Informationen während der Laufzeit eines Vertrags. Diese Richtlinie sollte das innerstaatliche Vertragsrecht unberührt lassen, soweit vertragsrechtliche Aspekte durch diese Richtlinie nicht geregelt werden. Deshalb sollte diese Richtlinie keine Wirkung auf nationale Rechtsvorschriften haben, die beispielsweise den Abschluss oder die Gültigkeit von Verträgen (zum Beispiel im Fall einer fehlenden Einigung) betreffen. Desgleichen sollte diese Richtlinie nationale Rechtsvorschriften in Bezug

6 ABl. L 177 vom 4. 7. 2008, S. 6. 7 ABl. L 376 vom 27. 12. 2006, S. 36. 8 ABl. L 178 vom 17. 7. 2000, S. 1.

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auf die allgemeinen vertraglichen Rechtsbehelfe, die Vorschriften des allgemeinen Wirtschaftsrechts (beispielsweise Vorschriften über überhöhte Preise oder Wucherpreise) und die Vorschriften über sittenwidrige Rechtsgeschäfte unberührt lassen. Durch diese Richtlinie sollten die sprachlichen Anforderungen für Verbraucherverträge nicht harmonisiert werden. Die Mitgliedstaaten können daher sprachliche Anforderungen in Bezug auf die Vertragsinformationen und die Vertragsklauseln in ihrem nationalen Recht beibehalten oder einführen. Diese Richtlinie sollte die nationalen Rechtsvorschriften über die gesetzliche Vertretung, wie z. B. die Vorschriften zu der Person, die im Namen des Unternehmers oder auf dessen Rechnung handelt (beispielsweise ein Handelsvertreter oder ein Treuhänder), unberührt lassen. Auf diesem Gebiet sollten die Mitgliedstaaten zuständig bleiben. Diese Richtlinie sollte für alle Unternehmer im öffentlich-rechtlichen und im privaten Sektor gelten. Die Definition des Verbrauchers sollte natürliche Personen, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handeln, umfassen. Wird der Vertrag jedoch teilweise für gewerbliche und teilweise für nichtgewerbliche Zwecke abgeschlossen (Verträge mit doppeltem Zweck) und ist der gewerbliche Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht überwiegend, so sollte diese Person auch als Verbraucher betrachtet werden. Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, im Einklang mit dem Unionsrecht festzulegen, welche Leistungen sie als von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erachten, wie diese Dienstleistungen unter Beachtung der Vorschriften über staatliche Beihilfen organisiert und finanziert werden sollten und welchen spezifischen Verpflichtungen sie unterliegen sollten. „Digitale Inhalte“ bezeichnet Daten, die in digitaler Form hergestellt und bereitgestellt werden, wie etwa Computerprogramme, Anwendungen (Apps), Spiele, Musik, Videos oder Texte, unabhängig davon, ob auf sie durch Herunterladen oder Herunterladen in Echtzeit (Streaming), von einem körperlichen Datenträger oder in sonstiger Weise zugegriffen wird. Verträge über die Bereitstellung von digitalen Inhalten sollten in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen. Werden digitale Inhalte auf einem körperlichen Datenträger wie einer CD oder einer DVD bereitgestellt, sollten diese als Waren im Sinne dieser Richtlinie betrachtet werden. Vergleichbar mit Verträgen über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, oder über die Lieferung von Fernwärme, sollten Verträge über digitale Inhalte, die nicht auf einem körperlichen Datenträger bereitgestellt werden, für die Zwecke dieser Richtlinie weder als Kaufverträge noch als Dienstleistungsverträge betrachtet werden. Für derartige Verträge sollte der Verbraucher ein Widerrufsrecht haben, es sei denn, er hat während der Widerrufsfrist dem Beginn der Vertragserfüllung zugestimmt und zur Kenntnis genommen, dass er infolgedessen sein Widerrufsrecht verliert. Über die allgemeinen Informationspflichten hinaus sollte der Unternehmer den Verbraucher über die Funktionsweise und — soweit wesentlich — die Interoperabilität digitaler Inhalte informieren. Der Begriff der Funktionsweise sollte sich darauf beziehen, wie digitale Inhalte verwendet werden können, etwa für die Nachverfolgung des Verhaltens des Verbrauchers; er sollte sich auch auf das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von technischen Beschränkungen wie den Schutz mittels digitaler Rechteverwaltung oder Regionalcodierung beziehen. Der Begriff der wesentlichen Interoperabilität beschreibt die Information in Bezug auf die standardmäßige Umgebung an Hard- und Software, mit der die digitalen Inhalte kompatibel sind, etwa das Betriebssystem, die notwendige Version und bestimmte Eigenschaften der Hardware. Die Kommission sollte prü-

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fen, inwieweit für digitale Inhalte eine weitere Harmonisierung der Bestimmungen erforderlich ist, und gegebenenfalls einen entsprechenden Gesetzgebungsvorschlag vorlegen. (20) Die Begriffsbestimmung von Fernabsatzverträgen sollte alle Fälle erfassen, in denen ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher im Rahmen eines für die Lieferung im Fernvertrieb organisierten Verkaufs- oder Dienstleistungserbringungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/werden (z. B. Bestellung per Post, Internet, Telefon oder Fax). Diese Begriffsbestimmung sollte auch Situationen erfassen, in denen der Verbraucher die Geschäftsräume lediglich zum Zwecke der Information über die Waren oder Dienstleistungen aufsucht und anschließend den Vertrag aus der Ferne verhandelt und abschließt. Im Gegensatz dazu sollte ein Vertrag, der in den Geschäftsräumen eines Unternehmers verhandelt und letztendlich über ein Fernkommunikationsmittel geschlossen wird, nicht als Fernabsatzvertrag gelten. Desgleichen sollte ein Vertrag, der über ein Fernkommunikationsmittel angebahnt und letztendlich in den Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossen wird, nicht als Fernabsatzvertrag gelten. Desgleichen sollte der Begriff des Fernabsatzvertrags auch keine Reservierungen eines Verbrauchers über ein Fernkommunikationsmittel im Hinblick auf die Dienstleistung eines Fachmanns, wie beispielsweise im Fall eines Telefonanrufs eines Verbrauchers zur Terminvereinbarung mit einem Friseur, einschließen. Der Begriff eines für die Lieferung im Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungserbringungsystems sollte von einem Dritten angebotene Fernabsatz- oder Dienstleistungssysteme erfassen, die von Unternehmern verwendet werden, wie etwa eine Online-Plattform. Der Begriff sollte jedoch nicht Fälle erfassen, in denen Webseiten lediglich Informationen über den Unternehmer, seine Waren und/oder Dienstleistungen und seine Kontaktdaten anbieten. (21) Ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag sollte definiert werden als ein Vertrag, der bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers an einem Ort, der nicht zu den Geschäftsräumen des Unternehmers gehört, geschlossen wird, also beispielsweise in der Wohnung oder am Arbeitsplatz des Verbrauchers. Außerhalb von Geschäftsräumen steht der Verbraucher möglicherweise psychisch unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt, wobei es keine Rolle spielt, ob der Verbraucher den Besuch des Unternehmers herbeigeführt hat oder nicht. Die Begriffsbestimmung für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sollte auch Situationen einschließen, in denen der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen persönlich und individuell angesprochen wird, der Vertrag aber unmittelbar danach in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder über Fernkommunikationsmittel geschlossen wird. Die Begriffsbestimmung für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sollte nicht Situationen umfassen, in denen der Unternehmer zunächst in die Wohnung des Verbrauchers kommt, um ohne jede Verpflichtung des Verbrauchers lediglich Maße aufzunehmen oder eine Schätzung vorzunehmen, und der Vertrag danach erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder mittels Fernkommunikationsmittel auf der Grundlage der Schätzung des Unternehmers abgeschlossen wird. In diesen Fällen ist nicht davon auszugehen, dass der Vertrag unmittelbar, nachdem der Unternehmer den Verbraucher angesprochen hat, geschlossen worden ist, wenn der Verbraucher Zeit gehabt hatte, vor Vertragsabschluss über die Schätzung des Unternehmers nachzudenken. Käufe während eines vom Unternehmer organisierten Ausflugs, in dessen Verlauf die erworbenen Erzeugnisse beworben und zum Verkauf angeboten werden, sollten als außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge gelten.

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(22) Als Geschäftsräume sollten alle Arten von Räumlichkeiten (wie Geschäfte, Stände oder Lastwagen) gelten, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder gewöhnlich ausübt. Markt- und Messestände sollten als Geschäftsräume behandelt werden, wenn sie diese Bedingung erfüllen. Verkaufsstätten, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit saisonal ausübt, beispielsweise während der Fremdenverkehrssaison an einem Skiort oder Seebadeort, sollten als Geschäftsräume angesehen werden, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesen Geschäftsräumen für gewöhnlich ausübt. Der Öffentlichkeit zugängliche Orte wie Straßen, Einkaufszentren, Strände, Sportanlagen und öffentliche Verkehrsmittel, die der Unternehmer ausnahmsweise für seine Geschäftstätigkeiten nutzt, sowie Privatwohnungen oder Arbeitsplätze sollten nicht als Geschäftsräume gelten. Die Geschäftsräume einer Person, die im Namen oder für Rechnung des Unternehmers gemäß dieser Richtlinie handelt, sollten als Geschäftsräume im Sinne dieser Richtlinie gelten. (23) Dauerhafte Datenträger sollten es dem Verbraucher ermöglichen, Informationen so lange zu speichern, wie es für den Schutz seiner Interessen in den Beziehungen zum Unternehmer erforderlich ist. Zu diesen dauerhaften Datenträgern sollten insbesondere Papier, USB-Sticks, CD-ROMs, DVDs, Speicherkarten oder die Festplatten von Computern sowie E-Mails gehören. (24) Bei einer öffentlichen Versteigerung sind Unternehmer und Verbraucher persönlich anwesend oder erhalten die Möglichkeit, bei ihr persönlich anwesend zu sein. Die Waren oder Dienstleistungen werden dem Verbraucher vom Unternehmer im Rahmen eines in einigen Mitgliedstaaten gesetzlich zugelassenen Bieterverfahrens öffentlich zum Kauf angeboten. Die Person, die den Zuschlag erhält, ist zum Erwerb der Waren oder Dienstleistungen verpflichtet. Die Verwendung von Online-Plattformen, die Verbrauchern und Unternehmern zu Versteigerungszwecken zur Verfügung stehen, sollte nicht als öffentliche Versteigerung im Sinne dieser Richtlinie gelten. (25) Verträge im Zusammenhang mit Fernwärme sollten in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, ähnlich wie Verträge über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom. Fernwärme ist in einer zentralen Anlage erzeugte Wärme, unter anderem in Form von Dampf oder Heißwasser, die über ein Rohrleitungs- und Verteilungsnetz einer Vielzahl von Wärmeverbrauchern zu Heizzwecken zugeführt wird. (26) Verträge über die Übertragung von Immobilien oder von Rechten an Immobilien oder die Begründung oder den Erwerb solcher Immobilien oder Rechte, Verträge über den Bau von neuen Gebäuden oder über erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden sowie über die Vermietung von Wohnraum sind bereits Gegenstand einer Reihe spezifischer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften. Zu diesen Verträgen gehören beispielsweise der Verkauf noch zu bebauender Liegenschaften und der Mietkauf. Die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen eignen sich nicht für diese Verträge, welche daher vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden sollten. Erhebliche Umbaumaßnahmen sind solche, die dem Bau eines neuen Gebäudes vergleichbar sind, beispielsweise Baumaßnahmen, bei denen nur die Fassade eines alten Gebäudes erhalten bleibt. Dienstleistungsverträge insbesondere im Zusammenhang mit der Errichtung von Anbauten an Gebäude (z. B. dem Anbau einer Garage oder eines Wintergartens) und im Zusammenhang mit der Instandsetzung und Renovierung von Gebäuden, die keine erheblichen Umbauarbeiten darstellen, wie auch Verträge über Dienstleistungen von Immobilienmaklern und über die Vermietung von Räumen für andere als Wohnzwecke sollten unter diese Richtlinie fallen. (27) Beförderungsdienstleistungen schließen die Beförderung von Personen und die Beförderung von Gütern ein. Die Beförderung von Personen sollte vom Geltungsbereich dieser

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Richtlinie ausgenommen sein, weil sie bereits im Rahmen anderer Unionsvorschriften geregelt wird, beziehungsweise, was den öffentlichen Verkehr und Taxis betrifft, auf nationaler Ebene geregelt ist. Die in dieser Richtlinie enthaltenen Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers gegen überhöhte Entgelte für die Verwendung bestimmter Zahlungsmittel oder gegen versteckte Kosten sollten jedoch auch auf Personenbeförderungsverträge Anwendung finden. In Bezug auf die Beförderung von Gütern und die Vermietung von Kraftfahrzeugen, sofern diese Dienstleistungen darstellen, sollten Verbraucher mit Ausnahme des Widerrufsrechts durch diese Richtlinie geschützt werden. (28) Um Verwaltungsaufwand für Unternehmer zu vermeiden, können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Richtlinie nicht auf Fälle anzuwenden, in denen Waren oder Dienstleistungen von geringem Wert außerhalb von Geschäftsräumen verkauft werden. Der Schwellenbetrag sollte so niedrig festgesetzt werden, dass nur Geschäfte von geringer Bedeutung ausgeschlossen werden. Den Mitgliedstaaten sollte es gestattet sein, diesen Schwellenwert in ihrem nationalen Recht festzusetzen; er darf aber 50 EUR nicht überschreiten. Werden zwei oder mehr Verträge, die in Bezug auf ihren Gegenstand zusammenhängen, vom Verbraucher gleichzeitig geschlossen, so sollten deren Gesamtkosten für diesen Schwellenwert maßgebend sein. (29) Sozialdienstleistungen haben grundlegend unterschiedliche Merkmale, die in sektorspezifischer Gesetzgebung, zum Teil auf Unionsebene und zum Teil auf einzelstaatlicher Ebene, ihren Niederschlag finden. Zu den Sozialdienstleistungen gehören zum einen Dienstleistungen für besonders benachteiligte oder einkommensschwache Personen sowie Dienstleistungen für Personen und Familien, die bei routinemäßigen Handlungen und alltäglichen Verrichtungen auf Hilfe angewiesen sind, und zum anderen Dienstleistungen für alle Menschen, die in einer besonderen Phase ihres Lebens Hilfe, Unterstützung, Schutz oder Zuspruch benötigen. Zu den Sozialdienstleistungen gehören unter anderem Dienstleistungen für Kinder und Jugendliche, Dienstleistungen zur Unterstützung von Familien, Alleinerziehenden und älteren Menschen sowie Dienstleistungen für Migranten. Sozialdienstleistungen schließen sowohl Dienstleistungen der Kurzzeit- als auch der Langzeitpflege ein, die beispielsweise von häuslichen Pflegediensten, im Rahmen von betreuten Wohnformen und in Wohnheimen oder -stätten („Pflegeheimen“) erbracht werden. Zu den Sozialdienstleistungen zählen nicht nur staatliche Sozialdienstleistungen, die auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene durch staatlich beauftragte Dienstleister oder staatlich anerkannte Hilfsorganisationen geleistet werden, sondern auch Sozialdienstleistungen privater Anbieter. Die Bestimmungen dieser Richtlinie eignen sich nicht für Sozialdienstleistungen; diese sollten daher vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden. (30) Für die Gesundheitsversorgung sind wegen ihrer technischen Komplexität, ihrer Bedeutung als Dienst von allgemeinem Interesse und ihrer weitgehenden öffentlichen Finanzierung besondere Regelungen erforderlich. Die Gesundheitsversorgung ist in der Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung9 definiert als „Gesundheitsdienstleistungen, die von Angehörigen der Gesundheitsberufe gegenüber Patienten erbracht werden, um deren Gesundheitszustand zu beurteilen, zu erhalten oder wiederherzustellen, einschließlich der Verschreibung, Abgabe und Bereit-

9 ABl. L 88 vom 4. 4. 2011, S. 45.

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stellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten“. Ein Angehöriger der Gesundheitsberufe ist in dieser Richtlinie definiert als ein Arzt, eine Krankenschwester oder ein Krankenpfleger für allgemeine Pflege, ein Zahnarzt, eine Hebamme oder ein Apotheker im Sinne der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen10 oder eine andere Fachkraft, die im Gesundheitsbereich Tätigkeiten ausübt, die einem reglementierten Beruf im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2005/36/EG vorbehalten sind, oder eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Behandlungsmitgliedstaats als Angehöriger der Gesundheitsberufe gilt. Die Bestimmungen dieser Richtlinie eignen sich nicht für die Gesundheitsversorgung; diese sollte daher vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden. Glücksspiele sollten vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden. Glücksspiele sind Spiele, bei denen ein geldwerter Einsatz verlangt wird, einschließlich Lotterien, Glücksspiele in Spielkasinos und Wetten. Mitgliedstaaten sollten andere, auch strengere Verbraucherschutzmaßnahmen in Bezug auf diese Tätigkeiten einführen können. Das geltende Unionsrecht unter anderem über Finanzdienstleistungen für Verbraucher, Pauschalreisen und Teilzeitnutzungsverträge enthält zahlreiche Verbraucherschutzbestimmungen. Deshalb sollte diese Richtlinie für Verträge in diesen Bereichen nicht gelten. Was Finanzdienstleistungen betrifft, sollten die Mitgliedstaaten ermutigt werden, sich bei der Schaffung von neuen Rechtsvorschriften in nicht auf Unionsebene geregelten Bereichen von den maßgeblichen bestehenden Rechtsvorschriften der Union in diesem Bereich anregen zu lassen, so dass gleiche Ausgangsbedingungen für alle Verbraucher und alle Verträge über Finanzdienstleistungen gewährleistet sind. Der Unternehmer sollte verpflichtet sein, den Verbraucher im Voraus über etwaige Geschäftsmodalitäten zu informieren, die dazu führen, dass der Verbraucher dem Unternehmer eine Kaution zahlt; dazu gehören auch Modalitäten, bei denen ein Betrag auf der Kredit- oder Debitkarte des Verbrauchers gesperrt wird. Bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag, durch einen anderen als einen Fernabsatzvertrag oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, sollte der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise informieren. Bei der Bereitstellung dieser Informationen sollte der Unternehmer den besonderen Bedürfnissen von Verbrauchern Rechnung tragen, die aufgrund ihrer geistigen oder körperlichen Behinderung, ihrer psychischen Labilität, ihres Alters oder ihrer Leichtgläubigkeit in einer Weise besonders schutzbedürftig sind, die für den Unternehmer vernünftigerweise erkennbar ist. Die Berücksichtigung dieser besonderen Bedürfnisse sollte jedoch nicht zu unterschiedlichen Verbraucherschutzniveaus führen. Die dem Verbraucher vom Unternehmer zur Verfügung zu stellenden Informationen sollten obligatorisch sein und sollten nicht geändert werden. Dennoch sollten die Vertragsparteien eine ausdrückliche Vereinbarung über die Änderung des Inhalts des anschließend abgeschlossenen Vertrags, etwa hinsichtlich der Lieferbedingungen, abschließen können.

10 ABl. L 255 vom 30. 9. 2005, S. 22.

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(36) Bei Fernabsatzverträgen sollten die Informationspflichten so angepasst werden, dass den technischen Beschränkungen, denen bestimmte Medien unterworfen sind, Rechnung getragen werden kann, wie zum Beispiel der beschränkten Anzahl der Zeichen auf bestimmten Displays von Mobiltelefonen oder dem Zeitrahmen für Werbespots im Fernsehen. In diesen Fällen sollte sich der Unternehmer an Mindestanforderungen hinsichtlich der Information halten und den Verbraucher an eine andere Informationsquelle verweisen, beispielsweise durch Angabe einer gebührenfreien Telefonnummer oder eines HypertextLinks zu einer Webseite des Unternehmers, auf der die einschlägigen Informationen unmittelbar abrufbar und leicht zugänglich sind. Die Pflicht zur Information darüber, dass der Verbraucher die Kosten für die Rücksendung der Waren zu tragen hat, wenn die Waren aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht auf dem normalen Postweg zurückgesendet werden können, gilt als erfüllt, wenn der Unternehmer etwa einen Beförderer (beispielsweise den, den er mit der Warenlieferung beauftragt hat) und einen Preis für die Rücksendung der Waren angibt. In den Fällen, in denen die Kosten für die Rücksendung der Waren vom Unternehmer vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden können, beispielsweise weil der Unternehmer nicht anbietet, die Rücksendung der Waren selbst zu organisieren, sollte der Unternehmer erklären, dass Kosten zu entrichten sind und diese Kosten hoch sein können, einschließlich einer vernünftigen Schätzung der Höchstkosten, die auf den Kosten der Lieferung an den Verbraucher basieren könnte. (37) Da der Verbraucher im Versandhandel die Waren nicht sehen kann, bevor er den Vertrag abschließt, sollte ihm ein Widerrufsrecht zustehen. Aus demselben Grunde sollte dem Verbraucher gestattet werden, die Waren, die er gekauft hat, zu prüfen und zu untersuchen, um die Beschaffenheit, die Eigenschaften und die Funktionsweise der Waren festzustellen. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sollte dem Verbraucher aufgrund des möglichen Überraschungsmoments und/oder psychologischen Drucks das Recht auf Widerruf zustehen. Der Widerruf des Vertrags sollte die Verpflichtung der Parteien beenden, den Vertrag zu erfüllen. (38) Auf den Webseiten für den elektronischen Geschäftsverkehr sollte spätestens bei Beginn des Bestellvorgangs klar und deutlich angegeben werden, ob Lieferbeschränkungen bestehen und welche Zahlungsarten akzeptiert werden. (39) Es ist wichtig, dass sichergestellt wird, dass die Verbraucher bei Fernabsatzverträgen, die über Webseiten abgeschlossen werden, in der Lage sind, die Hauptbestandteile des Vertrags vor Abgabe ihrer Bestellung vollständig zu lesen und zu verstehen. Zu diesem Zweck sollte in dieser Richtlinie dafür Sorge getragen werden, dass diese Vertragsbestandteile in unmittelbarer Nähe der für die Abgabe der Bestellung erforderlichen Bestätigung angezeigt werden. Es ist außerdem wichtig, in Situationen dieser Art sicherzustellen, dass die Verbraucher den Zeitpunkt erkennen, zu dem sie gegenüber dem Unternehmer eine Zahlungsverpflichtung eingehen. Aus diesem Grunde sollte die Aufmerksamkeit der Verbraucher durch eine unmissverständliche Formulierung auf die Tatsache gelenkt werden, dass die Abgabe der Bestellung eine Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Unternehmer zur Folge hat. (40) Der Umstand, dass die Widerrufsfristen derzeit sowohl zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten als auch zwischen Verträgen im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen unterschiedlich lang sind, verursacht Rechtsunsicherheit und Kosten. Die Widerrufsfrist sollte deshalb für sämtliche im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge dieselbe sein. Bei Dienstleistungsverträgen sollte die Widerrufsfrist 14 Tage nach dem Vertragsabschluss enden. Bei Kaufverträgen sollte die Widerrufsfrist 14 Tage nach dem Tag enden, an dem der Verbraucher oder ein von

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ihm benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, in den Besitz der Waren gelangt. Zudem sollte der Verbraucher das Widerrufsrecht ausüben können, bevor die Waren physisch in Empfang genommen werden. Wenn der Verbraucher mehrere Waren in einer Bestellung bestellt, diese dann jedoch getrennt geliefert werden, sollte die Widerrufsfrist 14 Tage nach dem Tag enden, an dem der Verbraucher in den Besitz der zuletzt gelieferten Ware gelangt. Werden Waren in mehreren Partien oder Teilen geliefert, so sollte die Widerrufsfrist 14 Tage nach dem Tag enden, an dem der Verbraucher den Besitz an der letzten Partie oder dem letzten Teil erlangt. Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit ist es zweckmäßig, die Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom 3. Juni 1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine11 auf die Berechnung der in dieser Richtlinie genannten Fristen anzuwenden. Deshalb sollten alle in dieser Richtlinie genannten Fristen als in Kalendertagen ausgedrückt zu verstehen sein. Ist für den Anfang einer nach Tagen bemessenen Frist der Zeitpunkt maßgebend, zu dem ein Ereignis eintritt oder eine Handlung vorgenommen wird, so sollte bei der Berechnung dieser Frist der Tag nicht mitgerechnet werden, auf den das Ereignis oder die Handlung fällt. Die Bestimmungen zum Widerrufsrecht sollten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Beendigung oder die Unwirksamkeit eines Vertrags oder die Möglichkeit eines Verbrauchers, seine vertraglichen Verpflichtungen vor der in dem Vertrag festgesetzten Frist zu erfüllen, unberührt lassen. Wurde der Verbraucher vor dem Abschluss eines Fernabsatzvertrags oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags vom Unternehmer nicht angemessen informiert, so sollte sich die Widerrufsfrist verlängern. Damit jedoch Rechtssicherheit bezüglich der Dauer der Widerrufsfrist gewährleistet ist, sollte eine Begrenzung der Frist auf zwölf Monate eingeführt werden. Durch Unterschiede in der Art und Weise der Ausübung des Widerrufsrechts in den Mitgliedstaaten sind den im grenzüberschreitenden Handel tätigen Unternehmern Kosten entstanden. Die Einführung eines harmonisierten Musterformulars für den Widerruf, das der Verbraucher benutzen kann, sollte das Widerrufsverfahren vereinfachen und für Rechtssicherheit sorgen. Aus diesen Gründen sollten die Mitgliedstaaten über das unionsweit einheitliche Musterformular hinaus keine weiteren Anforderungen an die optische Gestaltung des Widerrufs — etwa in Bezug auf die Schriftgröße — stellen. Dem Verbraucher sollte es jedoch nach wie vor freistehen, den Vertrag mit seinen eigenen Worten zu widerrufen, vorausgesetzt, seine an den Unternehmer gerichtete Erklärung, aus der seine Widerrufsentscheidung hervorgeht, ist unmissverständlich. Diese Anforderung könnte durch einen Brief, einen Telefonanruf oder durch die Rücksendung der Waren, begleitet von einer deutlichen Erklärung, erfüllt sein; die Beweislast, dass der Widerruf innerhalb der in der Richtlinie festgelegten Fristen erfolgt ist, sollte jedoch dem Verbraucher obliegen. Aus diesem Grund ist es im Interesse des Verbrauchers, für die Mitteilung des Widerrufs an den Unternehmer einen dauerhaften Datenträger zu verwenden. Da erfahrungsgemäß viele Verbraucher und Unternehmer die Kommunikation über die Webseite des Unternehmers vorziehen, sollte Letzterer die Möglichkeit haben, den Verbrauchern ein Web-Musterformular für den Widerruf zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall sollte der Unternehmer den Eingang des Widerrufs unverzüglich bestätigen, beispielsweise per E-Mail.

11 ABl. L 124 vom 8. 6. 1971, S. 1.

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(46) Falls der Verbraucher den Vertrag widerruft, sollte der Unternehmer alle Zahlungen, die er vom Verbraucher erhalten hat, erstatten; hierzu gehören auch Zahlungen für Aufwendungen des Unternehmers im Zusammenhang mit der Lieferung der Waren an den Verbraucher. Die Erstattung sollte nicht in Form eines Gutscheins erfolgen, es sei denn, der Verbraucher hat für die ursprüngliche Transaktion Gutscheine verwendet oder diese ausdrücklich akzeptiert. Wenn der Verbraucher ausdrücklich eine bestimmte Art der Lieferung gewählt hat (zum Beispiel eine Expresslieferung innerhalb von 24 Stunden), obwohl der Unternehmer eine normale und allgemein akzeptable Art der Lieferung angeboten hatte, die geringere Lieferkosten verursacht hätte, sollte der Verbraucher den Kostenunterschied zwischen diesen beiden Arten der Lieferung tragen. (47) Manche Verbraucher üben ihr Widerrufsrecht aus, nachdem sie die Waren in einem größeren Maß genutzt haben, als zur Feststellung ihrer Beschaffenheit, ihrer Eigenschaften und ihrer Funktionsweise nötig gewesen wäre. In diesem Fall sollte der Verbraucher das Widerrufsrecht nicht verlieren, sollte aber für einen etwaigen Wertverlust der Waren haften. Wenn er Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren feststellen will, sollte der Verbraucher mit ihnen nur so umgehen und sie nur so in Augenschein nehmen, wie er das in einem Geschäft tun dürfte. So sollte der Verbraucher beispielsweise ein Kleidungsstück nur anprobieren, nicht jedoch tragen dürfen. Der Verbraucher sollte die Waren daher während der Widerrufsfrist mit der gebührenden Sorgfalt behandeln und in Augenschein nehmen. Die Verpflichtungen des Verbrauchers im Falle des Widerrufs sollten den Verbraucher nicht davon abhalten, sein Widerrufsrecht auszuüben. (48) Der Verbraucher sollte verpflichtet sein, die Waren spätestens 14 Tage nach dem Tag zurückzusenden, an dem er den Unternehmer über seinen Widerruf informiert hat. Erfüllt der Unternehmer oder der Verbraucher die Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Widerrufsrechts nicht, so sollten Sanktionen, die gemäß dieser Richtlinie in innerstaatlichen Vorschriften festgelegt sind, sowie vertragsrechtliche Bestimmungen zur Anwendung gelangen. (49) Es sollten sowohl für Fernabsatzverträge als auch für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge bestimmte Ausnahmen vom Widerrufsrecht gelten. Ein Widerrufsrecht könnte beispielsweise in Anbetracht der Beschaffenheit bestimmter Waren oder Dienstleistungen unzweckmäßig sein. Dies gilt beispielsweise für Verträge über Wein, der erst lange nach Abschluss eines Vertrags spekulativer Art geliefert wird; der Wert des Weins hängt dabei von den Schwankungen der Marktpreise ab („vin en primeur“). Das Widerrufsrecht sollte weder bei Waren, die nach Kundenspezifikationen angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind, wie beispielsweise nach Maß gefertigte Vorhänge, noch beispielsweise bei der Lieferung von Brennstoff, der aufgrund seiner Beschaffenheit nach der Lieferung untrennbar mit anderen Gütern verbunden ist, Anwendung finden. Die Einräumung eines Widerrufsrechts für den Verbraucher könnte auch im Fall bestimmter Dienstleistungen unangebracht sein, bei denen der Vertragsabschluss die Bereitstellung von Kapazitäten mit sich bringt, die der Unternehmer im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts möglicherweise nicht mehr anderweitig nutzen kann. Dies wäre beispielsweise bei Reservierungen in Hotels, für Ferienhäuser oder Kultur- oder Sportveranstaltungen der Fall. (50) Der Verbraucher sollte auf der einen Seite sein Widerrufsrecht auch dann ausüben können, wenn er die Erbringung von Dienstleistungen vor Ende der Widerrufsfrist gewünscht hat. Auf der anderen Seite sollte der Unternehmer sichergehen können, dass er für die von ihm erbrachte Leistung angemessen bezahlt wird, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt. Der anteilige Betrag sollte ausgehend vom vertraglich vereinbarten Ge-

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samtpreis berechnet werden; falls der Verbraucher jedoch nachweist, dass der Gesamtpreis selbst unverhältnismäßig ist, wird der zu zahlende Betrag auf der Grundlage des Marktwertes der erbrachten Dienstleistung berechnet. Der Marktwert sollte festgelegt werden, indem der Preis einer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von anderen Unternehmern erbrachten gleichwertigen Dienstleistung zum Vergleich herangezogen wird. Wünscht der Verbraucher, dass die Dienstleistung vor Ende der Widerrufsfrist erbracht wird, so sollte er dies von daher ausdrücklich und, bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, auf einem dauerhaften Datenträger verlangen. Ebenso sollte der Unternehmer den Verbraucher auf einem dauerhaften Datenträger über eine etwaige Verpflichtung informieren, die Kosten entsprechend dem Anteil der bereits erbrachten Dienstleistung zu zahlen. Bei Verträgen, die sowohl Waren als auch Dienstleistungen zum Gegenstand haben, sollten hinsichtlich der Waren die Vorschriften dieser Richtlinie über die Rücksendung von Waren und hinsichtlich der Dienstleistungen die Regelungen über die Abgeltung von Dienstleistungen gelten. (51) Die Hauptschwierigkeiten für die Verbraucher und eine der Hauptquellen für Konflikte mit Unternehmern betreffen die Lieferung von Waren, etwa wenn Waren beim Transport verloren gehen oder beschädigt werden oder zu spät oder unvollständig geliefert werden. Es ist deshalb zweckmäßig, die innerstaatlichen Vorschriften darüber, wann die Lieferung erfolgen sollte, zu klären und zu harmonisieren. Der Ort und die Modalitäten der Lieferung und die Regeln für die Bestimmung der Bedingungen und des Zeitpunkts des Übergangs des Eigentums an den Waren sollten weiterhin dem einzelstaatlichen Recht unterliegen und daher von dieser Richtlinie nicht berührt werden. Die in dieser Richtlinie enthaltenen Lieferregeln sollten die Möglichkeit für den Verbraucher enthalten, einem Dritten zu gestatten, in seinem Namen den Besitz an den Waren oder die Kontrolle über die Waren zu erlangen. Es sollte davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher die Kontrolle über die Waren hat, wenn er oder ein von ihm angegebener Dritter Zugang zu den Waren zum Zwecke ihrer Nutzung als Eigentümer oder die Möglichkeit zu ihrer Weiterveräußerung hat (beispielsweise wenn er die Schlüssel erhalten hat oder im Besitz der Eigentumsdokumente ist). (52) Bei Kaufverträgen kann die Lieferung von Waren auf unterschiedliche Weise und entweder unverzüglich oder zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Haben die Vertragsparteien keinen bestimmten Liefertermin vereinbart, so sollte der Unternehmer die Waren so bald wie möglich und in jedem Fall spätestens binnen 30 Tagen nach Abschluss des Vertrags liefern. Bei den Vorschriften über verspätete Lieferung sollte auch berücksichtigt werden, dass Waren, die speziell für den Verbraucher hergestellt oder erworben werden müssen, vom Unternehmer nicht ohne erheblichen Verlust anderweitig verwendet werden können. Daher sollte in dieser Richtlinie eine Vorschrift vorgesehen werden, mit der dem Unternehmer unter bestimmten Umständen eine zusätzliche angemessene Frist gewährt wird. Hat der Unternehmer die Waren nicht in der mit dem Verbraucher vereinbarten Frist geliefert, so sollte der Verbraucher, bevor er vom Vertrag zurücktreten kann, den Unternehmer auffordern, die Lieferung innerhalb einer angemessenen zusätzlichen Frist vorzunehmen, und er sollte das Recht haben, vom Vertrag zurückzutreten, wenn der Unternehmer die Waren auch innerhalb dieser zusätzlichen Frist nicht liefert. Diese Vorschrift sollte jedoch nicht gelten, wenn sich der Unternehmer in einer unmissverständlichen Erklärung geweigert hat, die Waren zu liefern. Sie sollte auch nicht gelten, wenn bestimmte Umstände vorliegen, unter denen die Lieferfrist wesentlich ist, wie beispielsweise im Falle eines Hochzeitskleids, das vor der Hochzeit geliefert werden sollte. Sie sollte außerdem nicht gelten, wenn Umstände vorliegen, unter denen der Verbraucher den Unternehmer davon

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in Kenntnis setzt, dass die Lieferung an einem bestimmten Datum wesentlich ist. Zu diesem Zweck kann der Verbraucher die gemäß dieser Richtlinie angegebenen Kontaktinformationen verwenden. In diesen speziellen Fällen sollte der Verbraucher berechtigt sein, nach Ablauf der ursprünglich vereinbarten Lieferfrist sofort von dem Vertrag zurückzutreten, wenn der Unternehmer die Waren nicht fristgerecht geliefert hat. Diese Richtlinie sollte nationale Bestimmungen über die Art und Weise, wie der Verbraucher dem Unternehmer seinen Willen zum Rücktritt vom Vertrag mitteilen sollte, nicht berühren. Neben dem Recht des Verbrauchers, vom Vertrag zurückzutreten, wenn der Unternehmer seiner Pflicht zur Lieferung der Waren gemäß dieser Richtlinie nicht nachkommt, kann der Verbraucher gemäß den geltenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften andere Rechtsbehelfe in Anspruch nehmen, beispielsweise dem Unternehmer eine zusätzliche Lieferfrist gestatten, die Erfüllung des Vertrags durchsetzen, Zahlungen zurückhalten und Schadensersatz verlangen. Nach Artikel 52 Absatz 3 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt 12 sollten die Mitgliedstaaten in der Lage sein, im Hinblick auf das Bedürfnis, den Wettbewerb anzukurbeln und die Nutzung effizienter Zahlungsmittel zu fördern, dem Unternehmer zu verbieten bzw. dessen Recht einzuschränken, vom Verbraucher Entgelte zu verlangen. In jedem Falle sollte es Unternehmern untersagt werden, von Verbrauchern Entgelte zu verlangen, die über die dem Unternehmer für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsmittels entstehenden Kosten hinausgehen. Werden die Waren vom Unternehmer an den Verbraucher gesendet, so können sich im Falle eines Verlusts oder einer Beschädigung hinsichtlich des Zeitpunkts des Risikoübergangs Streitigkeiten ergeben. Daher sollte diese Richtlinie vorsehen, dass der Verbraucher, bevor er in den Besitz der Waren gelangt ist, vor dem Risiko eines Verlusts oder einer Beschädigung der Waren geschützt ist. Der Verbraucher sollte während eines vom Unternehmer organisierten oder durchgeführten Transports geschützt sein, auch wenn der Verbraucher eine bestimmte Lieferart aus einer Reihe von Optionen, die der Unternehmer anbietet, ausgewählt hat. Allerdings sollte diese Bestimmung nicht für Verträge gelten, bei denen es Sache des Verbrauchers ist, die Waren selbst abzuholen oder einen Beförderer mit der Lieferung zu beauftragen. Was den Zeitpunkt des Risikoübergangs betrifft, so sollte davon ausgegangen werden, dass ein Verbraucher in den Besitz der Waren gelangt ist, wenn er sie erhalten hat. Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse daran haben, die vertraglichen Rechte der Verbraucher zu schützen, sollten das Recht erhalten, sich an ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde, die über Beschwerden entscheiden oder geeignete gerichtliche Schritte einleiten kann, zu wenden. Es ist notwendig, dass die Mitgliedstaaten Sanktionen für Verstöße gegen diese Richtlinie festlegen und für deren Durchsetzung sorgen. Die Sanktionen sollten wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Den Verbrauchern sollte der mit dieser Richtlinie gewährte Schutz nicht entzogen werden können. Ist auf den Vertrag das Recht eines Drittstaats anwendbar, so sollte sich die Beurteilung der Frage, ob der Verbraucher weiterhin von dieser Richtlinie geschützt wird, nach der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 richten.

12 ABl. L 319 vom 5. 12. 2007, S. 1.

59

2.1

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(59) Die Kommission sollte nach Konsultation der Mitgliedstaaten und der betroffenen Akteure untersuchen, wie am besten dafür gesorgt werden kann, dass alle Verbraucher an der Verkaufsstelle auf ihre Rechte hingewiesen werden. (60) Da die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken)13 die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, die der Verbraucher nicht bestellt hat, verbietet, jedoch für diesen Fall keinen vertraglichen Rechtsbehelf vorsieht, ist es erforderlich, nunmehr in dieser Richtlinie als vertraglichen Rechtsbehelf vorzusehen, dass der Verbraucher von der Verpflichtung zur Erbringung der Gegenleistung für derartige unbestellte Lieferungen oder Erbringungen befreit ist. (61) Die Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation)14 enthält bereits eine Regelung für unerbetene Nachrichten und sieht ein hohes Verbraucherschutzniveau vor. An den entsprechenden Bestimmungen in der Richtlinie 97/7/ EG besteht daher kein Bedarf. (62) Es ist zweckmäßig, dass die Kommission diese Richtlinie für den Fall überprüft, dass Binnenmarkthindernisse festgestellt werden. Die Kommission sollte bei ihrer Überprüfung besonderes Augenmerk auf die den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeiten legen, spezifische nationale Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen, einschließlich in bestimmten Bereichen der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen15 und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter16. Diese Überprüfung könnte dazu führen, dass die Kommission einen Vorschlag zur Änderung dieser Richtlinie vorlegt; dieser Vorschlag kann auch Änderungen an anderen Rechtsvorschriften zum Schutz der Verbraucher umfassen und sich aus der von der Kommission in ihrer verbraucherpolitischen Strategie eingegangenen Verpflichtung ergeben, den Besitzstand der Union mit Blick auf die Gewährleistung eines hohen, einheitlichen Verbraucherschutzniveaus zu überprüfen. (63) Die Richtlinien 93/13/EWG and 1999/44/EG sollten abgeändert werden, um die Mitgliedstaaten dazu zu verpflichten, die Kommission über die Annahme spezifischer innerstaatlicher Vorschriften in bestimmten Bereichen zu informieren. (64) Die Richtlinien 85/577/EWG und 97/7/EG sollten aufgehoben werden. (65) Da das Ziel dieser Richtlinie, durch Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarktes beizutragen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden kann und daher besser auf Unionsebene zu erreichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das zum Erreichen dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.

13 14 15 16

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ABl. ABl. ABl. ABl.

L L L L

149 vom 11. 6. 2005, S. 22. 201 vom 31. 7. 2002, S. 37. 95 vom 21. 4. 1993, S. 29. 171 vom 7. 7. 1999, S. 12.

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2.1

(66) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, wie sie insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. (67) Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ 17 sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Union eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen —HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

KAPITEL I − Gegenstand, Begriffsbestimmungen und Geltungsbereich Art. 1 Gegenstand Zweck dieser Richtlinie ist es, durch Angleichung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verträge, die zwischen Verbrauchern und Unternehmern geschlossen werden, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen und damit zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen. Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke 1. „Verbraucher“ jede natürliche Person, die bei von dieser Richtlinie erfassten Verträgen zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen; 2. „Unternehmer“ jede natürliche oder juristische Person, unabhängig davon, ob letztere öffentlicher oder privater Natur ist, die bei von dieser Richtlinie erfassten Verträgen selbst oder durch eine andere Person, die in ihrem Namen oder Auftrag handelt, zu Zwecken tätig wird, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können; 3. „Waren“ bewegliche körperliche Gegenstände mit Ausnahme von Gegenständen, die aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft werden; als Waren im Sinne dieser Richtlinie gelten auch Wasser, Gas und Strom, wenn sie in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden; 4. „nach Verbraucherspezifikation angefertigte Waren“ Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Entscheidung durch den Verbraucher maßgeblich ist;

17 ABl. C 321 vom 31. 12. 2003, S. 1.

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2.1

5.

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„Kaufvertrag“ jeden Vertrag, durch den der Unternehmer das Eigentum an Waren an den Verbraucher überträgt oder deren Übertragung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt, einschließlich von Verträgen, die sowohl Waren als auch Dienstleistungen zum Gegenstand haben; 6. „Dienstleistungsvertrag“ jeden Vertrag, der kein Kaufvertrag ist und nach dem der Unternehmer eine Dienstleistung für den Verbraucher erbringt oder deren Erbringung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt; 7. „Fernabsatzvertrag“ jeden Vertrag, der zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/werden; 8. „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossener Vertrag“ jeden Vertrag zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher, a) der bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers an einem Ort geschlossen wird, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist; b) für den der Verbraucher unter den unter Buchstabe a genannten Umständen ein Angebot gemacht hat; c) der in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder durch Fernkommunikationsmittel geschlossen wird, unmittelbar nachdem der Verbraucher an einem anderen Ort als den Geschäftsräumen des Unternehmers bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers persönlich und individuell angesprochen wurde; oder d) der auf einem Ausflug geschlossen wird, der von dem Unternehmer in der Absicht oder mit dem Ergebnis organisiert wurde, dass er für den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen beim Verbraucher wirbt und entsprechende Verträge mit dem Verbraucher abschließt; 9. „Geschäftsräume“ a) unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, oder b) bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt; 10. „dauerhafter Datenträger“ jedes Medium, das es dem Verbraucher oder dem Unternehmer gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart 62

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11. 12.

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2.1

zu speichern, dass er sie in der Folge für eine für die Zwecke der Informationen angemessene Dauer einsehen kann, und das die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht; „digitale Inhalte“ Daten, die in digitaler Form hergestellt und bereitgestellt werden; „Finanzdienstleistung“ jede Bankdienstleistung sowie jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung; „öffentliche Versteigerung“ eine Verkaufsmethode, bei der der Unternehmer Verbrauchern, die bei der Versteigerung persönlich anwesend sind oder denen diese Möglichkeit gewährt wird, Waren oder Dienstleistungen anbietet, und zwar in einem vom Versteigerer durchgeführten, auf konkurrierenden Geboten basierenden transparenten Verfahren, bei dem der Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, zum Erwerb der Waren oder Dienstleistungen verpflichtet ist; „gewerbliche Garantie“ jede dem Verbraucher gegenüber zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung eingegangene Verpflichtung des Unternehmers oder eines Herstellers (Garantiegebers), den Kaufpreis zu erstatten oder die Waren auszutauschen oder nachzubessern oder Dienstleistungen für sie zu erbringen, falls sie nicht diejenigen Eigenschaften aufweisen oder andere als die Mängelfreiheit betreffende Anforderungen nicht erfüllen, die in der Garantieerklärung oder der einschlägigen Werbung, wie sie bei oder vor dem Abschluss des Vertrags verfügbar war, beschrieben sind; „akzessorischer Vertrag“ einen Vertrag, mit dem der Verbraucher Waren oder Dienstleistungen erwirbt, die im Zusammenhang mit einem Fernabsatzvertrag oder einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag stehen und bei dem diese Waren oder Dienstleistungen von dem Unternehmer oder einem Dritten auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen diesem Dritten und dem Unternehmer geliefert oder erbracht werden.

Art. 3 Geltungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt unter den Bedingungen und in dem Umfang, wie sie in ihren Bestimmungen festgelegt sind, für jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden. Sie gilt auch für Verträge über die Lieferung von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme, einschließlich durch öffentliche Anbieter, sofern diese Güter auf vertraglicher Basis geliefert werden. (2) Kollidiert eine Bestimmung dieser Richtlinie mit einer Bestimmung eines anderen Unionsrechtsakts, der spezifische Sektoren regelt, so hat die Bestimmung dieses anderen Unionsrechtsakts Vorrang und findet auf diese spezifischen Sektoren Anwendung. 63

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(3) Diese Richtlinie gilt nicht für Verträge a) über soziale Dienstleistungen, einschließlich der Bereitstellung und Vermietung von Sozialwohnungen, der Kinderbetreuung oder der Unterstützung von dauerhaft oder vorübergehend hilfsbedürftigen Familien oder Personen, einschließlich Langzeitpflege; b) über Gesundheitsdienstleistungen gemäß Artikel 3 Buchstabe a der Richtlinie 2011/24/EU, unabhängig davon, ob sie von einer Einrichtung des Gesundheitswesens erbracht werden; c) über Glücksspiele, die einen geldwerten Einsatz verlangen, einschließlich Lotterien, Glücksspiele in Spielkasinos und Wetten; d) über Finanzdienstleistungen; e) über die Begründung, den Erwerb oder die Übertragung von Eigentum oder anderen Rechten an Immobilien; f) über den Bau von neuen Gebäuden, erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden oder die Vermietung von Wohnraum; g) über Pauschalreisen im Sinne des Artikels 3 Nummer 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates(**); Artikel 6 Absatz 7, Artikel 8 Absätze 2 und 6 und Artikel 19, Artikel 21 und Artikel 22 der vorliegenden Richtlinie gelten für Pauschalreisen im Sinne des Artikels 3 Nummer 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 in Bezug auf Reisende im Sinne des Artikels 3 Nummer 6 der genannten Richtlinie entsprechend; h) die in den Geltungsbereich der Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Januar 2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufsund Tauschverträgen fallen; i) die nach dem Recht der Mitgliedstaaten vor einem öffentlichen Amtsträger geschlossen werden, der gesetzlich zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verpflichtet ist und durch umfassende rechtliche Aufklärung sicherzustellen hat, dass der Verbraucher den Vertrag nur aufgrund gründlicher rechtlicher Prüfung und in Kenntnis seiner rechtlichen Tragweite abschließt; j) über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs, die am Wohnsitz, am Aufenthaltsort

(**) Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (ABl. L 326 vom 11. 12. 2015, S. 1).

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oder am Arbeitsplatz eines Verbrauchers von einem Unternehmer im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten geliefert werden; k) über die Beförderung von Personen mit Ausnahme des Artikels 8 Absatz 2 und der Artikel 19 und 22; l) die unter Verwendung von Warenautomaten oder automatisierten Geschäftsräumen geschlossen werden; m) die mit Betreibern von Telekommunikationsmitteln mit Hilfe öffentlicher Fernsprecher zu deren Nutzung geschlossen werden oder die zur Nutzung einer einzelnen von einem Verbraucher hergestellten Telefon-, Internetoder Faxverbindung geschlossen werden. (4) Die Mitgliedstaaten können beschließen, diese Richtlinie auf außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, bei denen die vom Verbraucher zu zahlende Gegenleistung 50 EUR nicht überschreitet, nicht anzuwenden und keine entsprechenden nationalen Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder einzuführen. Die Mitgliedstaaten können in den nationalen Rechtsvorschriften einen niedrigeren Schwellenwert festsetzen. (5) Diese Richtlinie lässt das allgemeine innerstaatliche Vertragsrecht wie die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags, soweit Aspekte des allgemeinen Vertragsrechts in dieser Richtlinie nicht geregelt werden, unberührt. (6) Diese Richtlinie hindert Unternehmer nicht daran, Verbrauchern Vertragsbedingungen anzubieten, die über den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schutz hinausgehen. Art. 4 Grad der Harmonisierung Sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt, erhalten die Mitgliedstaaten weder von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Rechtsvorschriften aufrecht noch führen sie solche ein; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Rechtsvorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus.

Kapitel II – Information der Verbraucher bei anderen als Fernabsatzverträgen oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen Art. 5 Informationspflichten bei anderen als Fernabsatzverträgen oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (1) Bevor der Verbraucher durch einen anderen als einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert der Unternehmer den Verbraucher in 65

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klarer und verständlicher Weise über Folgendes, sofern sich diese Informationen nicht bereits unmittelbar aus den Umständen ergeben: a) die wesentlichen Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen in dem für den Datenträger und die Waren oder Dienstleistungen angemessenen Umfang; b) die Identität des Unternehmers, beispielsweise seinen Handelsnamen und die Anschrift des Ortes, an dem er niedergelassen ist, sowie seine Telefonnummer; c) den Gesamtpreis der Waren oder Dienstleistungen einschließlich aller Steuern und Abgaben oder in den Fällen, in denen der Preis aufgrund der Beschaffenheit der Ware oder der Dienstleistung vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden kann, die Art der Preisberechnung sowie gegebenenfalls alle zusätzlichen Fracht-, Liefer- oder Versandkosten oder in den Fällen, in denen diese Kosten vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden können, die Tatsache, dass solche zusätzlichen Kosten anfallen können; d) gegebenenfalls die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen, den Termin, bis zu dem die Waren zu liefern oder die Dienstleistung zu erbringen der Unternehmer sich verpflichtet hat, sowie das Verfahren des Unternehmers zum Umgang mit Beschwerden; e) zusätzlich zu dem Hinweis auf das Bestehen eines gesetzlichen Gewährleistungsrechts für die Waren gegebenenfalls das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienstleistungen nach dem Verkauf und gewerblichen Garantien; f) gegebenenfalls die Laufzeit des Vertrags oder die Bedingungen der Kündigung unbefristeter Verträge oder sich automatisch verlängernder Verträge; g) gegebenenfalls die Funktionsweise digitaler Inhalte, einschließlich anwendbarer technischer Schutzmaßnahmen für solche Inhalte; h) gegebenenfalls — soweit wesentlich — die Interoperabilität digitaler Inhalte mit Hard- und Software, soweit diese dem Unternehmer bekannt ist oder vernünftigerweise bekannt sein muss; (2) Absatz 1 gilt auch dann für Verträge über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, von Fernwärme oder von digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden. (3) Die Mitgliedstaaten sind nicht dazu verpflichtet, Absatz 1 auf Verträge anzuwenden, die Geschäfte des täglichen Lebens zum Gegenstand haben und zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sofort erfüllt werden. (4) Die Mitgliedstaaten können für Verträge, auf die dieser Artikel anwendbar ist, zusätzliche vorvertragliche Informationspflichten einführen oder aufrechterhalten. 66

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Kapitel III – Information der Verbraucher und Widerrufsrecht bei Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen Art. 6 Informationspflichten bei Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (1) Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag im Fernabsatz oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über Folgendes: a) die wesentlichen Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen, in dem für das Kommunikationsmittel und die Waren oder Dienstleistungen angemessenen Umfang; b) die Identität des Unternehmers, beispielsweise seinen Handelsnamen; c) die Anschrift des Ortes, an dem der Unternehmer niedergelassen ist, und gegebenenfalls seine Telefonnummer, Faxnummer und E-Mail-Adresse, damit der Verbraucher schnell Kontakt zu ihm aufnehmen und effizient mit ihm kommunizieren kann, sowie gegebenenfalls die Anschrift und die Identität des Unternehmers, in dessen Auftrag er handelt; d) falls diese von der gemäß Buchstabe c angegebenen Anschrift abweicht, die Geschäftsanschrift des Unternehmers und gegebenenfalls die Geschäftsanschrift des Unternehmers, in dessen Auftrag er handelt, an die sich der Verbraucher mit jeder Beschwerde wenden kann; e) den Gesamtpreis der Waren oder Dienstleistungen einschließlich aller Steuern und Abgaben, oder in den Fällen, in denen der Preis aufgrund der Beschaffenheit der Waren oder Dienstleistungen vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden kann, die Art der Preisberechnung sowie gegebenenfalls alle zusätzlichen Fracht-, Liefer- oder Versandkosten und alle sonstigen Kosten, oder in den Fällen, in denen diese Kosten vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden können, die Tatsache, dass solche zusätzliche Kosten anfallen können. Im Falle eines unbefristeten Vertrags oder eines Abonnement-Vertrags umfasst der Gesamtpreis die pro Abrechnungszeitraum anfallenden Gesamtkosten. Wenn für einen solchen Vertrag Festbeträge in Rechnung gestellt werden, umfasst der Gesamtpreis ebenfalls die monatlichen Gesamtkosten. Wenn die Gesamtkosten vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden können, ist die Art der Preisberechnung anzugeben; f) die Kosten für den Einsatz der für den Vertragsabschluss genutzten Fernkommunikationstechnik, sofern diese nicht nach dem Grundtarif berechnet werden; 67

2.1

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g) die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen, den Termin, bis zu dem sich der Unternehmer verpflichtet, die Waren zu liefern oder die Dienstleistung zu erbringen, und gegebenenfalls das Verfahren des Unternehmers zum Umgang mit Beschwerden; h) im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Artikel 11 Absatz 1 sowie das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B; i) gegebenenfalls den Hinweis, dass der Verbraucher im Widerrufsfall die Kosten für die Rücksendung der Waren zu tragen hat und bei Fernabsatzverträgen die Kosten für die Rücksendung der Waren, wenn die Waren aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht auf dem normalen Postweg zurückgesendet werden können; j) den Hinweis, dass, falls der Verbraucher das Widerrufsrecht nach Erklärung eines Verlangens gemäß Artikel 7 Absatz 3 oder Artikel 8 Absatz 8 ausübt, der Verbraucher verpflichtet ist, dem Unternehmer einen angemessenen Betrag gemäß Artikel 14 Absatz 3 zu leisten; k) in Fällen, in denen gemäß Artikel 16 kein Widerrufsrecht besteht, den Hinweis, dass der Verbraucher nicht über ein Widerrufsrecht verfügt, oder gegebenenfalls die Umstände, unter denen der Verbraucher sein Widerrufsrecht verliert; l) den Hinweis auf das Bestehen eines gesetzlichen Gewährleistungsrechts für die Waren; m) gegebenenfalls den Hinweis auf das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienst, Kundendienstleistungen und gewerblichen Garantien; n) gegebenenfalls den Hinweis auf bestehende einschlägige Verhaltenskodizes gemäß Artikel 2 Buchstabe f der Richtlinie 2005/29/EG und darauf, wie Exemplare davon erhalten werden können; o) gegebenenfalls die Laufzeit des Vertrags oder die Bedingungen der Kündigung unbefristeter Verträge oder sich automatisch verlängernder Verträge; p) gegebenenfalls die Mindestdauer der Verpflichtungen, die der Verbraucher mit dem Vertrag eingeht; q) gegebenenfalls den Hinweis auf die Tatsache, dass der Unternehmer vom Verbraucher die Stellung einer Kaution oder die Leistung anderer finanzieller Sicherheiten verlangen kann, sowie deren Bedingungen; r) gegebenenfalls die Funktionsweise digitaler Inhalte, einschließlich anwendbarer technischer Schutzmaßnahmen für solche Inhalte; s) gegebenenfalls — soweit wesentlich — die Interoperabilität digitaler Inhalte mit Hard- und Software, soweit diese dem Unternehmer bekannt ist oder vernünftigerweise bekannt sein dürfte; t) gegebenenfalls die Möglichkeit des Zugangs zu einem außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren, dem der Unternehmer unterworfen ist, und die Voraussetzungen für diesen Zugang. 68

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2.1

(2) Absatz 1 gilt auch dann für Verträge über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, von Fernwärme oder von digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden. (3) Im Falle einer öffentlichen Versteigerung können anstelle der in Absatz 1 Buchstaben b, c und d genannten Informationen die entsprechenden Angaben des Versteigerers übermittelt werden. (4) Die Informationen nach Absatz 1 Buchstaben h, i und j können mittels der Muster-Widerrufsbelehrung gemäß Anhang I Teil A gegeben werden. Die Informationspflicht des Unternehmers gemäß Absatz 1 Buchstaben h, i und j ist erfüllt, wenn der Unternehmer dieses Informationsformular zutreffend ausgefüllt dem Verbraucher übermittelt hat. (5) Die Informationen nach Absatz 1 sind fester Bestandteil des Fernabsatzvertrags oder des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags und dürfen nicht geändert werden, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes. (6) Ist der Unternehmer seiner Pflicht zur Information über die zusätzlichen und sonstigen Kosten gemäß Absatz 1 Buchstabe e oder über die Kosten für die Rücksendung der Waren gemäß Absatz 1 Buchstabe i nicht nachgekommen, so hat der Verbraucher die zusätzlichen und sonstigen Kosten nicht zu tragen. (7) Die Mitgliedstaaten können sprachliche Anforderungen in Bezug auf die Vertragsinformationen in ihrem nationalen Recht aufrechterhalten oder einführen, um damit sicherzustellen, dass diese Angaben vom Verbraucher ohne Weiteres verstanden werden. (8) Die in dieser Richtlinie festgelegten Informationspflichten gelten zusätzlich zu den Informationspflichten nach der Richtlinie 2006/123/EG und der Richtlinie 2000/31/EG und hindern die Mitgliedstaaten nicht daran, zusätzliche Informationspflichten im Einklang mit jenen Richtlinien vorzusehen. Unbeschadet des Unterabsatzes 1 hat bei Kollisionen zwischen einer Bestimmung der Richtlinie 2006/123/EG oder der Richtlinie 2000/31/EG betreffend den Inhalt der Information und die Art und Weise, wie die Information bereitzustellen ist, und einer Bestimmung dieser Richtlinie die Bestimmung dieser Richtlinie Vorrang. (9) Die Beweislast für die Erfüllung der in diesem Kapitel genannten Informationspflichten obliegt dem Unternehmer. Art. 7 Formale Anforderungen für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (1) Bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, stellt der Unternehmer die in Artikel 6 Absatz 1 vorgeschriebenen Informationen dem Verbraucher auf Papier oder, sofern der Verbraucher 69

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dem zustimmt, auf einem anderen dauerhaften Datenträger bereit. Diese Informationen müssen lesbar und in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein. (2) Der Unternehmer stellt dem Verbraucher eine Kopie des unterzeichneten Vertragsdokuments oder die Bestätigung des geschlossenen Vertrags auf Papier oder, sofern der Verbraucher dem zustimmt, auf einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung, wobei diese Kopie gegebenenfalls auch die Bestätigung der vorher ausdrücklich erklärten Zustimmung und der Kenntnisnahme des Verbrauchers gemäß Artikel 16 Buchstabe m umfasst. (3) Möchte ein Verbraucher, dass die Dienstleistung oder die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, oder von Fernwärme während der Widerrufsfrist gemäß Artikel 9 Absatz 2 beginnt, so fordert der Unternehmer den Verbraucher dazu auf, ein entsprechendes ausdrückliches Verlangen auf einem dauerhaften Datenträger zu erklären. (4) Wenn der Verbraucher bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, ausdrücklich die Dienste des Unternehmers zur Ausführung von Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten angefordert hat, der Unternehmer und der Verbraucher ihre vertraglichen Verpflichtungen sofort erfüllen und das vom Verbraucher zu zahlende Entgelt 200 EUR nicht übersteigt, gilt: a) Der Unternehmer stellt dem Verbraucher die in Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben b und c genannten Informationen sowie Informationen über die Höhe des Preises oder die Art der Preisberechnung zusammen mit einem Kostenvoranschlag über die Gesamtkosten auf Papier oder, wenn der Verbraucher dem zustimmt, einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung. Der Unternehmer stellt die in Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, h und k genannten Informationen zur Verfügung, kann jedoch davon absehen, diese auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger bereitzustellen, wenn der Verbraucher sich damit ausdrücklich einverstanden erklärt. b) Die gemäß Absatz 2 dieses Artikels bereitgestellte Bestätigung des Vertrags muss die in Artikel 6 Absatz 1 genannten Informationen beinhalten. Die Mitgliedstaaten können beschließen, diesen Absatz nicht anzuwenden. (5) Die Mitgliedstaaten legen hinsichtlich der Erfüllung der in dieser Richtlinie festgelegten Informationspflichten keine weiteren formellen vorvertraglichen Informationsanforderungen fest. Art. 8 Formale Anforderungen bei Fernabsatzverträgen (1) Bei Fernabsatzverträgen erteilt der Unternehmer die in Artikel 6 Absatz 1 vorgeschriebenen Informationen dem Verbraucher in klarer und verständlicher Sprache in einer 70

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den benutzten Fernkommunikationsmitteln angepassten Weise bzw. stellt diese Informationen entsprechend zur Verfügung. Soweit diese Informationen auf einem dauerhaften Datenträger bereitgestellt werden, müssen sie lesbar sein. (2) Wenn ein auf elektronischem Wege geschlossener Fernabsatzvertrag den Verbraucher zur Zahlung verpflichtet, weist der Unternehmer den Verbraucher klar und in hervorgehobener Weise, und unmittelbar bevor dieser seine Bestellung tätigt, auf die in Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, e, o und p genannten Informationen hin. Der Unternehmer sorgt dafür, dass der Verbraucher bei der Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass die Bestellung mit einer Zahlungsverpflichtung verbunden ist. Wenn der Bestellvorgang die Aktivierung einer Schaltfläche oder eine ähnliche Funktion umfasst, ist diese Schaltfläche oder entsprechende Funktion gut lesbar ausschließlich mit den Worten „zahlungspflichtig bestellen“ oder einer entsprechenden eindeutigen Formulierung zu kennzeichnen, die den Verbraucher darauf hinweist, dass die Bestellung mit einer Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Unternehmer verbunden ist. Wenn der Unternehmer diesen Unterabsatz nicht einhält, ist der Verbraucher durch den Vertrag oder die Bestellung nicht gebunden. (3) Auf Webseiten für den elektronischen Geschäftsverkehr wird spätestens bei Beginn des Bestellvorgangs klar und deutlich angegeben, ob Lieferbeschränkungen bestehen und welche Zahlungsmittel akzeptiert werden. (4) Wird der Vertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, so hat der Unternehmer über das jeweilige Fernkommunikationsmittel vor dem Abschluss des Vertrags zumindest diejenigen vorvertraglichen Informationen zu erteilen, die die in Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, b, e, h und o genannten wesentlichen Merkmale der Waren oder Dienstleistungen, die Identität des Unternehmers, den Gesamtpreis, das Widerrufsrecht, die Vertragslaufzeit und die Bedingungen der Kündigung unbefristeter Verträge betreffen. Die anderen in Artikel 6 Absatz 1 genannten Informationen hat der Unternehmer dem Verbraucher in geeigneter Weise im Einklang mit Absatz 1 dieses Artikels zu erteilen. (5) Ruft der Unternehmer den Verbraucher im Hinblick auf den Abschluss eines Fernabsatzvertrags an, so hat er unbeschadet des Absatzes 4 zu Beginn des Gesprächs mit dem Verbraucher seine Identität und gegebenenfalls die Identität der Person, in deren Auftrag er anruft, sowie den geschäftlichen Zweck des Anrufs offenzulegen. (6) Für Fernabsatzverträge, die telefonisch geschlossen werden, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Unternehmer dem Verbraucher das Angebot bestätigen muss und der Verbraucher erst dann gebunden ist, wenn er das Ange71

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bot unterzeichnet oder sein schriftliches Einverständnis übermittelt hat. Die Mitgliedstaaten können ferner vorsehen, dass solche Bestätigungen auf einem dauerhaften Datenträger erfolgen müssen. (7) Der Unternehmer stellt dem Verbraucher die Bestätigung des geschlossenen Vertrags innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Abschluss des Fernabsatzvertrags auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung, und zwar spätestens bei der Lieferung der Waren oder bevor die Ausführung der Dienstleistung beginnt. Diese Bestätigung enthält: a) alle in Artikel 6 Absatz 1 genannten Informationen, es sei denn, der Unternehmer hat dem Verbraucher diese Informationen bereits vor dem Abschluss des Fernabsatzvertrags auf einem dauerhaften Datenträger zukommen lassen, und b) gegebenenfalls die Bestätigung der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung und der Kenntnisnahme des Verbrauchers gemäß Artikel 16 Buchstabe m. (8) Möchte ein Verbraucher, dass die Dienstleistung oder die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, oder von Fernwärme während der Widerrufsfrist gemäß Artikel 9 Absatz 2 beginnt, so fordert der Unternehmer den Verbraucher dazu auf, ein entsprechendes ausdrückliches Verlangen zu erklären. (9) Dieser Artikel berührt nicht die Bestimmungen über den Abschluss von elektronischen Verträgen und Bestellungen gemäß den Artikeln 9 und 11 der Richtlinie 2000/31/EG. (10) Die Mitgliedstaaten legen hinsichtlich der Erfüllung der in dieser Richtlinie festgelegten Informationspflichten keine weiteren formellen vorvertraglichen Informationsanforderungen fest. Art. 9 Widerrufsrecht (1) Sofern nicht eine der Ausnahmen gemäß Artikel 16 Anwendung findet, steht dem Verbraucher eine Frist von 14 Tagen zu, in der er einen Fernabsatz- oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag ohne Angabe von Gründen und ohne andere Kosten als in Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 14 vorgesehen widerrufen kann. (2) Unbeschadet des Artikels 10 endet die in Absatz 1 dieses Artikels vorgesehene Widerrufsfrist a) bei Dienstleistungsverträgen 14 Tage ab dem Tag des Vertragsabschlusses, b) bei Kaufverträgen 14 Tage ab dem Tag, an dem der Verbraucher oder ein vom Verbraucher benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, in den physischen Besitz der Waren gelangt, oder i) wenn der Verbraucher mehrere Waren im Rahmen einer einheitlichen Bestellung bestellt hat, die getrennt geliefert werden, ab dem Tag, an 72

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dem der Verbraucher oder ein vom Verbraucher benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, in den physischen Besitz der letzten Ware gelangt, ii) bei Lieferung einer Ware in mehreren Teilsendungen oder Stücken ab dem Tag, an dem der Verbraucher oder ein vom Verbraucher benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, in den physischen Besitz der letzten Teilsendung oder des letzten Stücks gelangt, iii) bei Verträgen zur regelmäßigen Lieferung von Waren über einen festgelegten Zeitraum hinweg ab dem Tag, an dem der Verbraucher oder ein vom Verbraucher benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, in den physischen Besitz der ersten Ware gelangt, c) bei Verträgen über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, von Fernwärme oder von digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden, 14 Tage ab dem Tag des Vertragsabschlusses. (3) Die Mitgliedstaaten verbieten den Vertragsparteien eine Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen während der Widerrufsfrist nicht. Die Mitgliedstaaten können jedoch bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen innerstaatliche Rechtsvorschriften aufrechterhalten, die dem Unternehmer verbieten, innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Vertragsabschluss Zahlung vom Verbraucher zu fordern und entgegenzunehmen. Art. 10 Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht (1) Hat der Unternehmer den Verbraucher nicht gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe h über sein Widerrufsrecht belehrt, so läuft die Widerrufsfrist 12 Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist gemäß Artikel 9 Absatz 2 ab. (2) Hat der Unternehmer dem Verbraucher die in Absatz 1 genannten Informationen binnen 12 Monaten ab dem in Artikel 9 Absatz 2 genannten Tag erteilt, so endet die Widerrufsfrist 14 Tage nach dem Tag, an dem der Verbraucher diese Informationen erhalten hat. Art. 11 Ausübung des Widerrufsrechts (1) Der Verbraucher informiert den Unternehmer vor Ablauf der Widerrufsfrist über seinen Entschluss, den Vertrag zu widerrufen. Der Verbraucher kann zu diesem Zweck entweder a) das Muster-Widerrufsformular des Anhangs I Teil B verwenden oder b) eine entsprechende Erklärung in beliebiger anderer Form abgeben, aus der sein Entschluss zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgeht. Die Mitgliedstaaten legen für das Muster-Widerrufsformular keine weiteren Formvorschriften außer den in Anhang I Teil B genannten fest. 73

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(2) Die in Artikel 9 Absatz 2 und in Artikel 10 genannte Widerrufsfrist ist gewahrt, wenn der Verbraucher die Mitteilung über die Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absendet. (3) Der Unternehmer kann dem Verbraucher zusätzlich zu den in Absatz 1 genannten Möglichkeiten auch die Wahl einräumen, entweder das MusterWiderrufsformular des Anhangs I Teil B oder eine entsprechende eindeutige Erklärung in beliebiger anderer Form auf der Webseite des Unternehmers elektronisch auszufüllen und abzuschicken. In diesen Fällen hat der Unternehmer dem Verbraucher unverzüglich auf einem dauerhaften Datenträger eine Bestätigung über den Eingang eines solchen Widerrufs zu übermitteln. (4) Die Beweislast für die Ausübung des Widerrufsrechts nach diesem Artikel obliegt dem Verbraucher. Art. 12 Wirkungen des Widerrufs Mit der Ausübung des Widerrufsrechts enden die Verpflichtungen der Vertragsparteien a) zur Erfüllung des Fernabsatz- oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags oder b) zum Abschluss des Fernabsatz- oder außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags, sofern der Verbraucher dazu ein Angebot abgegeben hat. Art. 13 Pflichten des Unternehmers im Widerrufsfall (1) Der Unternehmer hat alle Zahlungen, die er vom Verbraucher erhalten hat, gegebenenfalls einschließlich der Lieferkosten, unverzüglich und in jedem Fall spätestens binnen 14 Tagen ab dem Tag zurückzuzahlen, an dem er gemäß Artikel 11 über den Entschluss des Verbrauchers informiert wird, den Vertrag zu widerrufen. Der Unternehmer nimmt die Rückzahlung gemäß Unterabsatz 1 unter Verwendung desselben Zahlungsmittels vor, das vom Verbraucher bei der ursprünglichen Transaktion eingesetzt wurde, es sei denn, mit dem Verbraucher wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart, und vorausgesetzt, für den Verbraucher fallen infolge einer solchen Rückzahlung keine Kosten an. (2) Unbeschadet des Absatzes 1 ist der Unternehmer nicht verpflichtet, zusätzliche Kosten zu erstatten, wenn sich der Verbraucher ausdrücklich für eine andere Art der Lieferung als die vom Unternehmer angebotene, günstigste Standardlieferung entschieden hat. (3) Bei Kaufverträgen kann der Unternehmer die Rückzahlung verweigern, bis er die Waren wieder zurückerhalten hat oder bis der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er die Waren zurückgeschickt hat, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist, es sei denn, der Unternehmer hat angeboten, die Waren selbst abzuholen. 74

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Art. 14 Pflichten des Verbrauchers im Widerrufsfall (1) Der Verbraucher hat die Waren unverzüglich und in jedem Fall spätestens nach 14 Tagen ab dem Tag, an dem er dem Unternehmer gemäß Artikel 11 seinen Entschluss mitgeteilt hat, den Vertrag zu widerrufen, an den Unternehmer oder eine von diesem zur Entgegennahme der Waren ermächtigte Person zurückzusenden oder zu übergeben, es sei denn, der Unternehmer hat angeboten, die Waren selbst abzuholen. Die Frist ist gewahrt, wenn der Verbraucher die Waren vor Ablauf der Frist von 14 Tagen absendet. Der Verbraucher hat nur die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren zu tragen, es sei denn, der Unternehmer hat sich bereit erklärt, diese Kosten zu tragen oder der Unternehmer hat es unterlassen, den Verbraucher darüber zu unterrichten, dass er diese Kosten zu tragen hat. Im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, bei denen die Waren zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zur Wohnung des Verbrauchers geliefert worden sind, holt der Unternehmer die Waren auf eigene Kosten ab, wenn die Waren so beschaffen sind, dass sie normalerweise nicht per Post zurückgesandt werden können. (2) Der Verbraucher haftet für einen etwaigen Wertverlust der Waren nur, wenn dieser Wertverlust auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendigen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist. Der Verbraucher haftet in keinem Fall für den Wertverlust der Waren, wenn er vom Unternehmer nicht gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe h über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. (3) Übt ein Verbraucher das Widerrufsrecht aus, nachdem er ein Verlangen gemäß Artikel 7 Absatz 3 oder Artikel 8 Absatz 8 erklärt hat, so zahlt er dem Unternehmer einen Betrag, der verhältnismäßig dem entspricht, was bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher den Unternehmer von der Ausübung des Widerrufsrechts unterrichtet, im Vergleich zum Gesamtumfang der vertraglich vereinbarten Leistungen geleistet worden ist. Der anteilige Betrag, den der Verbraucher an den Unternehmer zu zahlen hat, wird auf der Grundlage des vertraglich vereinbarten Gesamtpreises berechnet. Ist der Gesamtpreis überhöht, so wird der anteilige Betrag auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistung berechnet. (4) Der Verbraucher hat nicht aufzukommen für: a) Dienstleistungen, die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, oder von Fernwärme, die während der Widerrufsfrist ganz oder teilweise erbracht wurden, wenn i) der Unternehmer es unterlassen hat, die Informationen gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben h oder j bereitzustellen oder 75

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ii) der Verbraucher nicht ausdrücklich gemäß Artikel 7 Absatz 3 und Artikel 8 Absatz 8 verlangt hat, dass die Erbringung der Leistung während der Widerrufsfrist beginnen soll, oder b) die vollständige oder teilweise Bereitstellung von digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden, wenn i) der Verbraucher sich nicht zuvor ausdrücklich damit einverstanden erklärt hat, dass die Erfüllung des Vertrags vor Ablauf der Frist von 14 Tagen gemäß Artikel 9 beginnt, oder ii) der Verbraucher nicht zur Kenntnis genommen hat, dass er mit seiner Zustimmung sein Widerrufsrecht verliert, oder iii) der Unternehmer es unterlassen hat, eine Bestätigung gemäß Artikel 7 Absatz 2 oder Artikel 8 Absatz 7 zur Verfügung zu stellen. (5) Sofern in Artikel 13 Absatz 2 und diesem Artikel nichts anderes vorgesehen ist, kann der Verbraucher aufgrund der Ausübung seines Widerrufsrechts nicht in Anspruch genommen werden. Art. 15 Wirkungen der Ausübung des Widerrufsrechts auf akzessorische Verträge (1) Unbeschadet des Artikels 15 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge werden, wenn der Verbraucher sein Recht auf Widerruf eines im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags gemäß den Artikeln 9 bis 14 dieser Richtlinie ausübt, auch alle akzessorischen Verträge automatisch beendet, ohne dass dem Verbraucher dafür Kosten entstehen dürfen, außer solchen, die gemäß Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 14 dieser Richtlinie vorgesehen sind. (2) Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten bezüglich der Beendigung dieser Verträge fest. Art. 16 Ausnahmen vom Widerrufsrecht Die Mitgliedstaaten sehen bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen kein Widerrufsrecht nach den Artikeln 9 bis 15 vor, wenn a) bei Dienstleistungsverträgen die Dienstleistung vollständig erbracht worden ist, wenn der Unternehmer die Erbringung mit der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung des Verbrauchers und dessen Kenntnisnahme, dass er sein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer verliert, begonnen hatte; b) Waren oder Dienstleistungen geliefert werden, deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können; c) Waren geliefert werden, die nach Kundenspezifikation angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind; 76

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d) Waren geliefert werden, die schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde; e) versiegelte Waren geliefert werden, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde; f) Waren geliefert werden, die nach der Lieferung aufgrund ihrer Beschaffenheit untrennbar mit anderen Gütern vermischt wurden; g) alkoholische Getränke geliefert werden, deren Preis beim Abschluss des Kaufvertrags vereinbart wurde, deren Lieferung aber erst nach 30 Tagen erfolgen kann und deren aktueller Wert von Schwankungen auf dem Markt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat; h) es sich um Verträge handelt, bei denen der Verbraucher den Unternehmer ausdrücklich zu einem Besuch aufgefordert hat, um dringende Reparaturoder Instandhaltungsarbeiten vorzunehmen; erbringt der Unternehmer bei einem solchen Besuch weitere Dienstleistungen, die der Verbraucher nicht ausdrücklich verlangt hat, oder liefert er Waren, die bei der Instandhaltung oder Reparatur nicht unbedingt als Ersatzteile benötigt werden, so steht dem Verbraucher in Bezug auf diese zusätzlichen Dienstleistungen oder Waren ein Widerrufsrecht zu; i) Ton- oder Videoaufnahmen oder Computersoftware in einer versiegelten Packung geliefert wurden und die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde; j) Zeitungen, Zeitschriften oder Illustrierte geliefert werden, mit Ausnahme von Abonnement-Verträgen über die Lieferung solcher Publikationen; k) Verträge auf einer öffentlichen Versteigerung geschlossen werden; l) Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergung zu anderen Zwecken als zu Wohnzwecken, Beförderung von Waren, Mietwagen, Lieferung von Speisen und Getränken sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen erbracht werden und der Vertrag für die Erbringung einen spezifischen Termin oder Zeitraum vorsieht; m) digitale Inhalte geliefert werden, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden, wenn die Ausführung mit vorheriger ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers und seiner Kenntnisnahme, dass er hierdurch sein Widerrufsrecht verliert, begonnen hat.

Kapitel IV – Sonstige Verbraucherrechte Art. 17 Geltungsbereich (1) Die Artikel 18 und 20 gelten für Kaufverträge. Diese Artikel gelten nicht für Verträge über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, 77

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wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, von Fernwärme oder von digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden. (2) Die Artikel 19, 21 und 22 finden auf Kauf- und Dienstleistungsverträge und Verträge über die Lieferung von Wasser, Gas, Strom, Fernwärme oder digitalen Inhalten Anwendung. Art. 18 Lieferung (1) Sofern die Vertragsparteien hinsichtlich des Zeitpunkts der Lieferung nichts anderes vereinbart haben, liefert der Unternehmer die Waren, indem er den physischen Besitz an den Waren oder die Kontrolle über die Waren dem Verbraucher unverzüglich, jedoch nicht später als dreißig Tage nach Vertragsabschluss, überträgt. (2) Ist der Unternehmer seiner Pflicht zur Lieferung der Waren zu dem mit dem Verbraucher vereinbarten Zeitpunkt oder innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist nicht nachgekommen, so fordert ihn der Verbraucher auf, die Lieferung innerhalb einer den Umständen angemessenen zusätzlichen Frist vorzunehmen. Liefert der Unternehmer die Waren nicht innerhalb dieser zusätzlichen Frist, so ist der Verbraucher berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten. Unterabsatz 1 gilt nicht für Kaufverträge, wenn sich der Unternehmer geweigert hat, die Waren zu liefern, oder wenn die Lieferung innerhalb der vereinbarten Frist unter Berücksichtigung aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände wesentlich ist oder wenn der Verbraucher dem Unternehmer vor Vertragsabschluss mitteilt, dass die Lieferung bis zu einem bestimmten Datum oder an einem bestimmten Tag wesentlich ist. In diesen Fällen ist der Verbraucher berechtigt, sofort vom Vertrag zurückzutreten, wenn der Unternehmer die Waren nicht zu dem mit dem Verbraucher vereinbarten Zeitpunkt oder innerhalb der Frist gemäß Absatz 1 liefert. (3) Im Fall des Rücktritts hat der Unternehmer unverzüglich alle gemäß dem Vertrag gezahlten Beträge zurückzuerstatten. (4) Zusätzlich zum Rücktrittsrecht gemäß Absatz 2 können dem Verbraucher andere, nach dem einzelstaatlichen Recht vorgesehene Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen. Art. 19 Entgelte für die Verwendung bestimmter Zahlungsmittel Die Mitgliedstaaten verbieten Unternehmern, von Verbrauchern für die Nutzung von Zahlungsmitteln Entgelte zu verlangen, die über die Kosten hinausgehen, die dem Unternehmer für die Nutzung solcher Zahlungsmittel entstehen. Art. 20 Risikoübergang Bei Verträgen, bei denen der Unternehmer die Waren an den Verbraucher versendet, geht das Risiko für einen Verlust oder eine Be78

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schädigung der Waren auf den Verbraucher über, wenn er oder ein vom Verbraucher benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die Waren in Besitz genommen hat. Unbeschadet der Rechte des Verbrauchers gegenüber dem Beförderer geht das Risiko mit der Übergabe an den Beförderer jedoch auf den Verbraucher über, wenn der Beförderer vom Verbraucher mit der Beförderung der Waren beauftragt wurde und diese Option nicht vom Unternehmer angeboten wurde. Art. 21 Telefonische Kommunikation Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass der Verbraucher nicht verpflichtet ist, bei einer telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Unternehmer mehr als den Grundtarif zu zahlen, wenn der Unternehmer eine Telefonleitung eingerichtet hat, um mit ihm im Zusammenhang mit dem geschlossenen Vertrag telefonisch Kontakt aufzunehmen. Das Recht von Anbietern von Telekommunikationsdiensten, Entgelte für solche Anrufe zu berechnen, bleibt von Unterabsatz 1 unberührt. Art. 22 Zusätzliche Zahlungen Bevor der Verbraucher durch den Vertrag oder das Angebot gebunden ist, hat der Unternehmer die ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers zu jeder Extrazahlung einzuholen, die über das vereinbarte Entgelt für die Hauptleistungspflicht des Unternehmers hinausgeht. Hat der Unternehmer vom Verbraucher keine ausdrückliche Zustimmung eingeholt, sondern sie dadurch herbeigeführt, dass er Voreinstellungen verwendet hat, die vom Verbraucher abgelehnt werden müssen, wenn er die zusätzliche Zahlung vermeiden will, so hat der Verbraucher Anspruch auf Erstattung dieser Zahlung.

Kapitel V – Allgemeine Vorschriften Art. 23 Rechtsdurchsetzung (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, mit denen die Einhaltung dieser Richtlinie sichergestellt wird. (2) Die in Absatz 1 genannten Mittel schließen Rechtsvorschriften ein, nach denen eine oder mehrere der folgenden nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften bestimmten Einrichtungen gemäß dem jeweiligen innerstaatlichen Recht die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen kann bzw. können, um die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie sicherzustellen: a) öffentliche Einrichtungen oder ihre Vertreter; b) Verbraucherverbände, die ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben; 79

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c) Berufsverbände, die ein berechtigtes Interesse daran haben, tätig zu werden. Art. 24 Sanktionen (1) Die Mitgliedstaaten legen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Vorschriften Sanktionen fest und treffen die zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die Sanktionen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein. (2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Vorschriften bis zum 13. Dezember 2013 mit und unterrichten sie unverzüglich über etwaige spätere Änderungen dieser Vorschriften. Art. 25 Unabdingbarkeit der Richtlinie Ist auf den Vertrag das Recht eines Mitgliedstaats anwendbar, so können Verbraucher auf die Rechte, die ihnen mit den einzelstaatlichen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie eingeräumt werden, nicht verzichten. Vertragsklauseln, die einen Verzicht auf die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Rechte oder deren Einschränkung unmittelbar oder mittelbar bewirken, sind für den Verbraucher nicht bindend. Art. 26 Information Die Mitgliedstaaten treffen angemessene Maßnahmen zur Information der Verbraucher und der Unternehmer über die innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie und legen gegebenenfalls den Unternehmern sowie den Urhebern eines Kodex im Sinne des Artikels 2 Buchstabe g der Richtlinie 2005/29/EG nahe, die Verbraucher über ihre Verhaltenskodizes zu informieren. Art. 27 Unbestellte Waren und Dienstleistungen Werden unter Verstoß gegen Artikel 5 Absatz 5 und Anhang I Nummer 29 der Richtlinie 2005/29/EG unbestellte Waren, Wasser, Gas, Strom, Fernwärme oder digitaler Inhalt geliefert oder unbestellte Dienstleistungen erbracht, so ist der Verbraucher von der Pflicht zur Erbringung der Gegenleistung befreit. In diesen Fällen gilt das Ausbleiben einer Antwort des Verbrauchers auf eine solche unbestellte Lieferung oder Erbringung nicht als Zustimmung. Art. 28 Umsetzung (1) Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 13. Dezember 2013 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Maßnahmen in Form von Dokumenten mit. Die Kommission bedient sich für die Zwecke des in Artikel 30 genannten Berichts dieser Dokumente. 80

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Sie wenden diese Maßnahmen ab dem 13. Juni 2014 an. Bei Erlass dieser Maßnahmen nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme. (2) Diese Richtlinie gilt für Verträge, die nach dem 13. Juni 2014 geschlossen werden. Art. 29 Berichtspflichten (1) Macht ein Mitgliedstaat von einer Regelungsmöglichkeit nach Artikel 3 Absatz 4, Artikel 6 Absätze 7 und 8, Artikel 7 Absatz 4, Artikel 8 Absatz 6 sowie Artikel 9 Absatz 3 Gebrauch, so setzt er die Kommission bis zum 13. Dezember 2013 hiervon sowie von allen nachfolgenden Änderungen in Kenntnis. (2) Die Kommission stellt sicher, dass die in Absatz 1 genannten Informationen den Verbrauchern und den Unternehmern leicht zugänglich sind, u. a. auf einer speziellen Webseite. (3) Die Kommission leitet die in Absatz 1 genannten Informationen an die anderen Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament weiter. Die Kommission hört die Beteiligten zu diesen Informationen an. Art. 30 Berichterstattung durch die Kommission und Überprüfung Bis 13. Dezember 2016 legt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Anwendung dieser Richtlinie vor. Dieser Bericht enthält insbesondere eine Bewertung der Bestimmungen dieser Richtlinie über digitale Inhalte, einschließlich des Widerrufsrechts. Diesem Bericht werden erforderlichenfalls Gesetzgebungsvorschläge zur Anpassung dieser Richtlinie an Entwicklungen auf dem Gebiet der Verbraucherrechte beigefügt.

Kapitel VI – Schlussbestimmungen Art. 31–35 Aufhebung und Änderung von Rechtsakten, Inkrafttreten, Adressaten. Hier nicht abgedruckt.

Anhang I – Informationen zur Ausübung des Widerrufsrechts A. Muster-Widerrufsbelehrung Widerrufsrecht Sie haben das Recht, binnen vierzehn Tagen ohne Angabe von Gründen diesen Vertrag zu widerrufen. Die Widerrufsfrist beträgt vierzehn Tage ab dem Tag 1 . 81

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Um Ihr Widerrufsrecht auszuüben, müssen Sie uns ( 2 ) mittels einer eindeutigen Erklärung (z. B. ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail) über Ihren Entschluss, diesen Vertrag zu widerrufen, informieren. Sie können dafür das beigefügte Muster-Widerrufsformular verwenden, das jedoch nicht vorgeschrieben ist. 3 Zur Wahrung der Widerrufsfrist reicht es aus, dass Sie die Mitteilung über die Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absenden. Folgen des Widerrufs Wenn Sie diesen Vertrag widerrufen, haben wir Ihnen alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben, einschließlich der Lieferkosten (mit Ausnahme der zusätzlichen Kosten, die sich daraus ergeben, dass Sie eine andere Art der Lieferung als die von uns angebotene, günstigste Standardlieferung gewählt haben), unverzüglich und spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag zurückzuzahlen, an dem die Mitteilung über Ihren Widerruf dieses Vertrags bei uns eingegangen ist. Für diese Rückzahlung verwenden wir dasselbe Zahlungsmittel, das Sie bei der ursprünglichen Transaktion eingesetzt haben, es sei denn, mit Ihnen wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart; in keinem Fall werden Ihnen wegen dieser Rückzahlung Entgelte berechnet. 4 5 6 Gestaltungshinweise: 1 Fügen Sie einen der folgenden in Anführungszeichen gesetzten Textbausteine ein: a) im Falle eines Dienstleistungsvertrags oder eines Vertrags über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, von Fernwärme oder von digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden: „des Vertragsabschlusses.“; b) im Falle eines Kaufvertrags: „,an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die Waren in Besitz genommen haben bzw. hat.“; c) im Falle eines Vertrags über mehrere Waren, die der Verbraucher im Rahmen einer einheitlichen Bestellung bestellt hat und die getrennt geliefert werden: „, an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die letzte Ware in Besitz genommen haben bzw. hat.“; d) im Falle eines Vertrags über die Lieferung einer Ware in mehreren Teilsendungen oder Stücken: „, an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die letzte Teilsendung oder das letzte Stück in Besitz genommen haben bzw. hat.“; 82

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e) im Falle eines Vertrags zur regelmäßigen Lieferung von Waren über einen festgelegten Zeitraum hinweg: „, an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die erste Ware in Besitz genommen haben bzw. hat.“ Fügen Sie Ihren Namen, Ihre Anschrift und, soweit verfügbar, Ihre Telefonnummer, Faxnummer und E-Mail-Adresse ein. Wenn Sie dem Verbraucher die Wahl einräumen, die Information über seinen Widerruf des Vertrags auf Ihrer Webseite elektronisch auszufüllen und zu übermitteln, fügen Sie Folgendes ein: „Sie können das Muster-Widerrufsformular oder eine andere eindeutige Erklärung auch auf unserer Webseite [Internet-Adresse einfügen] elektronisch ausfüllen und übermitteln. Machen Sie von dieser Möglichkeit Gebrauch, so werden wir Ihnen unverzüglich (z. B. per E-Mail) eine Bestätigung über den Eingang eines solchen Widerrufs übermitteln.“ Im Falle von Kaufverträgen, in denen Sie nicht angeboten haben, im Fall des Widerrufs die Waren selbst abzuholen, fügen Sie Folgendes ein: „Wir können die Rückzahlung verweigern, bis wir die Waren wieder zurückerhalten haben oder bis Sie den Nachweis erbracht haben, dass Sie die Waren zurückgesandt haben, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist.“ Wenn der Verbraucher Waren im Zusammenhang mit dem Vertrag erhalten hat: a) Fügen Sie ein: — „Wir holen die Waren ab.“ oder — „Sie haben die Waren unverzüglich und in jedem Fall spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag, an dem Sie uns über den Widerruf dieses Vertrags unterrichten, an … uns oder an [hier sind gegebenenfalls der Name und die Anschrift der von Ihnen zur Entgegennahme der Waren ermächtigten Person einzufügen] zurückzusenden oder zu übergeben. Die Frist ist gewahrt, wenn Sie die Waren vor Ablauf der Frist von vierzehn Tagen absenden.“ b) Fügen Sie ein: — „Wir tragen die Kosten der Rücksendung der Waren.“; — „Sie tragen die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.“; — Wenn Sie bei einem Fernabsatzvertrag nicht anbieten, die Kosten der Rücksendung der Waren zu tragen und die Waren aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht normal mit der Post zurückgesandt werden können: „Sie tragen die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren in Höhe von … EUR [Betrag einfügen].“, oder wenn die Kosten vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden 83

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können: „Sie tragen die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. Die Kosten werden auf höchstens etwa … EUR [Betrag einfügen] geschätzt.“ oder — wenn die Waren bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht normal mit der Post zurückgesandt werden können und zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Wohnung des Verbrauchers geliefert worden sind: „Wir holen die Waren auf unsere Kosten ab.“ und c) Fügen Sie ein: „Sie müssen für einen etwaigen Wertverlust der Waren nur aufkommen, wenn dieser Wertverlust auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendigen Umgang mit ihnen zurückzuführen ist.“ Im Falle eines Vertrags zur Erbringung von Dienstleistungen oder der Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden, oder von Fernwärme fügen Sie Folgendes ein: „Haben Sie verlangt, dass die Dienstleistungen oder Lieferung von Wasser/Gas/Strom/Fernwärme [Unzutreffendes streichen] während der Widerrufsfrist beginnen soll, so haben Sie uns einen angemessenen Betrag zu zahlen, der dem Anteil der bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie uns von der Ausübung des Widerrufsrechts hinsichtlich dieses Vertrags unterrichten, bereits erbrachten Dienstleistungen im Vergleich zum Gesamtumfang der im Vertrag vorgesehenen Dienstleistungen entspricht.“

B. Muster-Widerrufsformular (Wenn Sie den Vertrag widerrufen wollen, dann füllen Sie bitte dieses Formular aus und senden Sie es zurück) — An [hier ist der Name, die Anschrift und gegebenenfalls die Faxnummer und E-Mail-Adresse des Unternehmers durch den Unternehmer einzufügen]: — Hiermit widerrufe(n) ich/wir (*) den von mir/uns (*) abgeschlossenen Vertrag über den Kauf der folgenden Waren (*)/ die Erbringung der folgenden Dienstleistung (*) — Bestellt am (*)/erhalten am (*) — Name des/der Verbraucher(s) — Anschrift des/der Verbraucher(s) — Unterschrift des/der Verbraucher(s) (nur bei Mitteilung auf Papier) — Datum (*) Unzutreffendes streichen. Anhang II Entsprechungstabelle Richtlinie 85/577/EWG — nicht abgedruckt. 84

2.2 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 2002/65

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 47 Absatz 2, Artikel 55 und Artikel 95, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Im Rahmen der Verwirklichung der Ziele des Binnenmarkts sind Maßnahmen zu dessen schrittweiser Festigung zu ergreifen; diese Maßnahmen müssen gemäß den Artikeln 95 und 153 des Vertrags zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus beitragen. (2) Für die Verbraucher wie auch für die Anbieter von Finanzdienstleistungen gehört der Fernabsatz von Finanzdienstleistungen zu den wichtigsten greifbaren Ergebnissen des vollendeten Binnenmarkts. (3) Im Rahmen des Binnenmarkts liegt es im Interesse der Verbraucher, gleichen Zugang zum breitestmöglichen Angebot an Finanzdienstleistungen zu haben, die in der Gemeinschaft verfügbar sind, damit sie sich für die Leistungen entscheiden können, die ihren Bedürfnissen am meisten entsprechen. Um den Verbrauchern die Freiheit der Wahl zu gewährleisten, die für sie ein wesentliches Recht darstellt, ist ein hohes Verbraucherschutzniveau erforderlich, damit das Vertrauen des Verbrauchers in den Fernabsatz wächst. (4) Für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts ist es wesentlich, dass die Verbraucher mit Anbietern in einem anderen Mitgliedstaat Verträge aushandeln und schließen können, und zwar unabhängig davon, ob der Anbieter auch in dem Mitgliedstaat über eine Niederlassung verfügt, in dem der Verbraucher ansässig ist. (5) Aufgrund ihrer immateriellen Beschaffenheit eignen sich Finanzdienstleistungen ganz besonders für Transaktionen im Fernabsatz; auch dürfte die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen das Vertrauen der Verbraucher in die Nutzung der neuen Fernabsatztechniken für Finanzdienstleistungen wie beispielsweise des elektronischen Geschäftsverkehrs stärken. (6) Diese Richtlinie sollte im Einklang mit dem Vertrag und dem abgeleiteten Recht, einschließlich der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr,4 angewandt werden, wobei die genannte Richtlinie nur für die von ihr erfassten Transaktionen gilt.

* Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. 2002 L 271/16. 1 ABl. C 385 vom 11. 12. 1998, S. 10, und ABl. C 177 E vom 27. 6. 2000, S. 21. 2 ABl. C 169 vom 16. 6. 1999, S. 43. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 5. 5. 1999 (ABl. C 279 vom 1. 10. 1999, S. 207), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 19. 12. 2001 (ABl. C 58 E vom 5. 3. 2002, S. 32) und Beschluss des Europäischen Parlaments vom 14. 5. 2002 (ABl. C 180 E vom 31. 7. 2003, S. 108). Beschluss des Rates vom 26. 6. 2002. 4 ABl. L 178 vom 17. 7. 2000, S. 1. [E-Commerce-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.3.] https://doi.org/10.1515/9783110667776-005

2.2

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(7) Mit dieser Richtlinie sollen die vorgenannten Ziele erreicht werden, ohne dass davon gemeinschaftliche oder nationale Vorschriften betreffend den freien Dienstleistungsverkehr oder gegebenenfalls die Kontrolle durch den Aufnahmemitgliedstaat und/oder die Zulassungs- oder Aufsichtsregelungen der Mitgliedstaaten berührt werden, soweit dies mit den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft vereinbar ist. (8) Außerdem berühren diese Richtlinie und insbesondere ihre Bestimmungen betreffend Informationen über Vertragsklauseln über das auf den Vertrag anwendbare Recht und/oder die zuständige Gerichtsbarkeit nicht die Anwendbarkeit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen5 sowie des Übereinkommens von Rom von 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht auf den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen. (9) Zur Verwirklichung der Ziele des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen ist in bestimmten Bereichen ein noch höheres Verbraucherschutzniveau erforderlich. Dies setzt eine größere Konvergenz, insbesondere bei nicht harmonisierten Investmentfonds, Verhaltensregeln für Investitionsdienstleistungen und Verbraucherkrediten voraus. Bis diese Konvergenz erreicht ist, ist ein hohes Verbraucherschutzniveau aufrechtzuerhalten. (10) Die Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz6 enthält die wesentlichen Bestimmungen über Verträge zwischen einem Anbieter und einem Verbraucher über den Fernabsatz von Waren und Dienstleistungen. Aus dieser Richtlinie sind Finanzdienstleistungen jedoch ausgeklammert. (11) Im Rahmen ihrer Untersuchung zur Feststellung des Bedarfs an spezifischen Maßnahmen im Bereich der Finanzdienstleistungen hat die Kommission insbesondere anlässlich der Erstellung ihres Grünbuchs „Finanzdienstleistungen — Wahrung der Verbraucherinteressen“ alle betroffenen Kreise um Stellungnahme gebeten. Diese Konsultierung hat gezeigt, dass eine Stärkung des Verbraucherschutzes in diesem Bereich erforderlich ist. Demzufolge hat die Kommission beschlossen, einen spezifischen Vorschlag zum Fernabsatz von Finanzdienstleistungen vorzulegen. (12) Gegensätzliche oder voneinander abweichende Verbraucherschutzbestimmungen der Mitgliedstaaten im Bereich Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher könnten negative Auswirkungen auf den Binnenmarkt und den Wettbewerb der Unternehmen im Binnenmarkt zur Folge haben. Es ist daher geboten, auf Gemeinschaftsebene gemeinsame Regeln für diesen Bereich einzuführen, wobei am allgemeinen Verbraucherschutz in den Mitgliedstaaten keine Abstriche vorgenommen werden dürfen. (13) Mit der vorliegenden Richtlinie soll ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleistet werden, um den freien Verkehr von Finanzdienstleistungen sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten sollten in den durch diese Richtlinie harmonisierten Bereichen keine anderen als die darin festgelegten Bestimmungen vorsehen dürfen, es sei denn, die Richtlinie sieht dies ausdrücklich vor. (14) Diese Richtlinie erfasst Finanzdienstleistungen jeder Art, die im Fernabsatz erbracht werden können. Für bestimmte Finanzdienstleistungen gelten jedoch besondere gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen, die auch weiterhin auf diese Finanzdienstleistungen an-

5 ABl. L 12 vom 16. 1. 2001, S. 1. [EuGVVO, in dieser Sammlung Nr. 5.3.] 6 ABl. L 144 vom 4. 6. 1997, S. 19.

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wendbar sind. Dennoch sollten Grundsätze für den Fernabsatz solcher Dienstleistungen festgelegt werden. Der Vertragsabschluss im Fernabsatz setzt den Einsatz von Fernkommunikationsmitteln voraus, die im Rahmen eines für den Fernabsatz von Waren und Dienstleistungen organisierten Vertriebssystems eingesetzt werden, bei dem Anbieter und Verbraucher nicht gleichzeitig anwesend sind. Aufgrund der ständigen Weiterentwicklung dieser Techniken müssen Grundsätze formuliert werden, die auch für die noch wenig verbreiteten unter ihnen Gültigkeit haben. Fernabsatzverträge sind daher alle Verträge, bei denen das Angebot, die Verhandlung und der Abschluss selbst an getrennten Orten erfolgen. Ein einzelner Vertrag, der aufeinander folgende oder getrennte Vorgänge der gleichen Art umfasst, die in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, kann je nach Mitgliedstaat in rechtlicher Hinsicht unterschiedlich ausgestaltet sein; die vorliegende Richtlinie muss aber in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen anwendbar sein. Daher sollte diese Richtlinie für den ersten einer Reihe von aufeinander folgenden oder getrennten Vorgängen der gleichen Art gelten, die in einem zeitlichen Zusammenhang stehen und als ein Gesamtvorgang betrachtet werden können, und zwar unabhängig davon, ob dieser Vorgang oder diese Reihe von Vorgängen Gegenstand eines einzigen Vertrags oder mehrerer aufeinander folgender Verträge ist. Als „erste Dienstleistungsvereinbarung“ gelten beispielsweise eine Kontoeröffnung, der Erwerb einer Kreditkarte oder der Abschluss eines Portfolioverwaltungsvertrags; als „Vorgänge“ gelten beispielsweise Einzahlungen auf das eigene Konto oder Abhebungen vom eigenen Konto, Zahlungen per Kreditkarte oder Transaktionen im Rahmen eines Portfolioverwaltungsvertrags. Die Erweiterung einer ersten Vereinbarung um neue Komponenten, z. B. um die Möglichkeit, ein elektronisches Zahlungsinstrument zusammen mit dem vorhandenen Bankkonto zu benutzen, ist nicht ein „Vorgang“, sondern ein Zusatzvertrag, auf den diese Richtlinie Anwendung findet. Zeichnungen neuer Anteile desselben Investmentfonds gelten als „aufeinander folgende Vorgänge der gleichen Art“. Unter die Richtlinie fällt die organisierte Bereitstellung von Dienstleistungen durch den Anbieter von Finanzdienstleistungen, nicht jedoch die Bereitstellung von Dienstleistungen auf gelegentlicher Basis und außerhalb einer Absatzstruktur, deren Zweck der Abschluss von Fernabsatzverträgen ist. Als Anbieter gilt die Person, die Leistungen auf Distanz erbringt. Die Richtlinie sollte aber gleichermaßen Anwendung finden, wenn sich eine der Absatzphasen unter Mitwirkung eines Vermittlers vollzieht. Mit Rücksicht auf die Art und den Umfang dieser Mitwirkung sollten die einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig von der Rechtsstellung des Vermittlers auf diesen anwendbar sein. Zu den dauerhaften Datenträgern gehören insbesondere Disketten, CD-ROMs, DVDs und die Festplatte des Computers des Verbrauchers, auf der die elektronische Post gespeichert wird, jedoch nicht Internet-Websites, es sei denn, sie erfüllen die in der Definition des Begriffs „dauerhaftes Medium“ enthaltenen Kriterien. Der Einsatz eines Fernkommunikationsmittels darf nicht zu einer ungerechtfertigten Einschränkung der dem Verbraucher vermittelten Information führen. Aus Transparenzgründen werden in dieser Richtlinie Anforderungen festgelegt, die eine angemessene Verbraucherinformation vor und nach Abschluss eines Vertrags gewährleisten. Vor Abschluss eines Vertrags sollten dem Verbraucher die erforderlichen Vorabinformationen zugehen, damit er die ihm angebotene Finanzdienstleistung entsprechend beurteilen und folglich seine Entscheidung in Kenntnis aller Umstände treffen kann. Der Anbieter sollte ausdrücklich angeben, wie lange sein etwaiges Angebot gültig ist.

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(22) Die in dieser Richtlinie aufgeführten Informationselemente betreffen Informationen allgemeiner Art, die für alle Arten von Finanzdienstleistungen gelten. Die sonstigen Informationspflichten in Bezug auf die Merkmale einer bestimmten Dienstleistung, wie der Versicherungsschutz einer Versicherungspolice, sind nicht nur in dieser Richtlinie angegeben. Derartige Informationen sollten gegebenenfalls im Einklang mit den einschlägigen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften oder den gemäß diesen erlassenen nationalen Rechtsvorschriften erteilt werden. (23) Um einen optimalen Schutz des Verbrauchers zu gewährleisten, muss dieser hinlänglich über die Bestimmungen dieser Richtlinie und die auf diesem Gebiet gegebenenfalls bestehenden Verhaltensmaßregeln informiert werden, und ihm sollte ein Recht auf Widerruf eingeräumt werden. (24) Besteht das Widerrufsrecht nicht, weil der Verbraucher die Erfüllung eines Vertrags ausdrücklich verlangt hat, dann sollte der Anbieter den Verbraucher davon unterrichten. (25) Der Verbraucher muss vor unaufgefordert erbrachten Dienstleistungen geschützt werden. In diesen Fällen sollte er von jeder Verpflichtung befreit sein; dabei darf das Ausbleiben einer Reaktion nicht als Zustimmung seinerseits verstanden werden. Diese Regel sollte jedoch nicht die stillschweigende Verlängerung wirksamer Verträge zwischen den Parteien berühren, wenn das Recht der Mitgliedstaaten eine solche stillschweigende Verlängerung zulässt. (26) Die Mitgliedstaaten sollten die geeigneten Maßnahmen ergreifen, um die Verbraucher, die keine Kontaktaufnahme durch bestimmte Kommunikationsmittel oder zu bestimmten Zeiten wünschen, auf wirksame Weise vor derartigen Kontakten zu schützen. Von dieser Richtlinie sollten die zusätzlichen Garantien unberührt bleiben, die dem Verbraucher aufgrund gemeinschaftlicher Regelungen über den Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten zustehen. (27) Um die Verbraucher zu schützen, muss es in den Mitgliedstaaten angemessene und wirksame Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren zur Beilegung etwaiger Streitigkeiten zwischen Anbietern und Verbrauchern geben; dabei sollten gegebenenfalls bestehende Verfahren genutzt werden. (28) Die Mitgliedstaaten sollten die bestehenden öffentlichen oder privaten Einrichtungen, denen die außergerichtliche Beilegung von Rechtsstreitigkeiten obliegt, zur Kooperation bei der Beilegung grenzübergreifender Streitfälle anhalten. Diese Kooperation könnte insbesondere dazu dienen, dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, bei den außergerichtlichen Instanzen, die in dem Mitgliedstaat seines Wohnsitzes bestehen, Beschwerde gegen Anbieter zu erheben, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind. Mit der Schaffung von FIN-NET wird Verbrauchern umfassendere Unterstützung gewährt, wenn sie grenzübergreifende Dienste in Anspruch nehmen. (29) Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften den Schutz dieser Richtlinie auf gemeinnützige Organisationen oder Personen auszuweiten, die Finanzdienstleistungen in Anspruch nehmen, um Unternehmer zu werden. (30) Die Richtlinie sollte auch für Fälle gelten, in denen die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Abgabe einer verbindlichen vertraglichen Erklärung durch den Verbraucher vorsehen. (31) Die Bestimmungen in dieser Richtlinie betreffend die Wahl der Sprache durch den Anbieter sollten unbeschadet der Bestimmungen der einzelstaatlichen, im Einklang mit den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft erlassenen Rechtsvorschriften über die Wahl der Sprache gelten.

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(32) Im Rahmen des Allgemeinen Übereinkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) sind die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten Verpflichtungen hinsichtlich der Möglichkeit für Verbraucher, im Ausland Bank- und Investmentdienstleistungen zu erwerben, eingegangen. Nach dem GATS können die Mitgliedstaaten aus aufsichtsrechtlichen Gründen, unter anderem zum Schutz der Anleger, der Einleger, der Versicherungsnehmer und der Personen, denen der Anbieter einer Finanzdienstleistung eine solche Finanzdienstleistung schuldet, Maßnahmen erlassen. Mit derartigen Maßnahmen sollten keine Einschränkungen auferlegt werden dürfen, die über das zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes erforderliche Maß hinausgehen. (33) Im Hinblick auf die Annahme dieser Richtlinie ist es erforderlich, den Anwendungsbereich der Richtlinie 97/7/EG und der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen7 und den Anwendungsbereich der Widerrufsfrist der Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs8 anzupassen. (34) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Aufstellung gemeinschaftlicher Regelungen über den Fernabsatz von Dienstleistungen an Verbraucher, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden kann und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsgrundsatz tätig werden. Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach demselben Artikel geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 Gegenstand und Anwendungsbereich (1) Gegenstand dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher. (2) Bei Verträgen über Finanzdienstleistungen, die eine erstmalige Dienstleistungsvereinbarung mit daran anschließenden aufeinander folgenden Vorgängen oder einer daran anschließenden Reihe von Vorgängen der gleichen Art umfassen, die in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, gelten die Bestimmungen dieser Richtlinie nur für die erste Vereinbarung. Falls es keine erstmalige Dienstleistungsvereinbarung gibt, aber die aufeinander folgenden oder getrennten Vorgänge der gleichen Art, die in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, zwischen den gleichen Vertragsparteien abgewickelt werden, gelten die Artikel 3 und 4 nur für den ersten Vorgang. Findet jedoch länger als ein Jahr kein Vorgang der gleichen Art mehr statt, so gilt der nächste Vorgang als der erste einer neuen Reihe von Vorgängen, so dass die Artikel 3 und 4 Anwendung finden. 7 ABl. L 166 vom 11. 6. 1998, S. 51. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2000/31/EG (ABl. L 178 vom 17. 7. 2000, S. 1). 8 ABl. L 330 vom 29. 11. 1990 S. 50. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 92/96/EWG (ABl. L 360 vom 9.12. 1992, S. 1).

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Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) „Fernabsatzvertrag“ jeden zwischen einem Anbieter und einem Verbraucher geschlossenen, Finanzdienstleistungen betreffenden Vertrag, der im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems des Anbieters geschlossen wird, wobei dieser für den Vertrag bis zu und einschließlich dessen Abschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet; b) „Finanzdienstleistung“ jede Bankdienstleistung sowie jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung; c) „Anbieter“ jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts, die im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit Dienstleistungen aufgrund von Fernabsatzverträgen erbringt; d) „Verbraucher“ jede natürliche Person, die bei Fernabsatzverträgen zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können; e) „Fernkommunikationsmittel“ jedes Kommunikationsmittel, das ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Anbieters und des Verbrauchers für den Fernabsatz einer Dienstleistung zwischen diesen Parteien eingesetzt werden kann; f) „dauerhafter Datenträger“ jedes Medium, das es dem Verbraucher gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass er sie in der Folge für eine für die Zwecke der Informationen angemessene Dauer einsehen kann, und das die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht; g) „Betreiber oder Anbieter eines Fernkommunikationsmittels“ jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts, deren gewerbliche oder berufliche Tätigkeit darin besteht, den Anbietern eine oder mehrere Fernkommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen. Art. 3 Unterrichtung des Verbrauchers vor Abschluss des Fernabsatzvertrags (1) Rechtzeitig bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder durch ein Angebot gebunden ist, sind ihm folgende Informationen zur Verfügung zu stellen: 1. betreffend den Anbieter a) die Identität und Hauptgeschäftstätigkeit des Anbieters, die Anschrift seiner Niederlassung und jede andere Anschrift, die für die Geschäftsbeziehung zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter maßgeblich ist; b) die Identität des Vertreters des Anbieters in dem Mitgliedstaat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, und die Anschrift, die für die 90

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Geschäftsbeziehung zwischen dem Verbraucher und dem Vertreter maßgeblich ist, wenn es einen Vertreter gibt; c) wenn der Verbraucher mit einer anderen gewerblich tätigen Person als dem Anbieter geschäftlich zu tun hat, die Identität dieser Person, die Eigenschaft, in der sie gegenüber dem Verbraucher tätig wird, und die Anschrift, die für die Geschäftsbeziehung zwischen dem Verbraucher und dieser Person maßgeblich ist; d) wenn der Anbieter in ein Handelsregister oder ein vergleichbares öffentliches Register eingetragen ist, das Handelsregister, in das er eingetragen ist, und seine Handelsregisternummer oder eine gleichwertige in diesem Register verwendete Kennung; e) soweit für die Tätigkeit des Anbieters eine Zulassung erforderlich ist, die Angaben zur zuständigen Aufsichtsbehörde; betreffend die Finanzdienstleistung a) eine Beschreibung der wesentlichen Merkmale der Finanzdienstleistung; b) den Gesamtpreis, den der Verbraucher dem Anbieter für die Finanzdienstleistung schuldet, einschließlich aller damit verbundenen Provisionen, Gebühren und Abgaben sowie aller über den Anbieter abgeführten Steuern, oder, wenn kein genauer Preis angegeben werden kann, die Grundlage für seine Berechnung, die dem Verbraucher eine Überprüfung des Preises ermöglicht; c) gegebenenfalls einen Hinweis darauf, dass sich die Finanzdienstleistung auf Finanzinstrumente bezieht, die wegen ihrer spezifischen Merkmale oder der durchzuführenden Vorgänge mit speziellen Risiken behaftet sind oder deren Preis Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliegt, auf die der Anbieter keinen Einfluss hat, und einen Hinweis darauf, dass in der Vergangenheit erwirtschaftete Erträge kein Indikator für künftige Erträge sind; d) einen Hinweis auf mögliche weitere Steuern und/oder Kosten, die nicht über den Anbieter abgeführt oder von ihm in Rechnung gestellt werden; e) Angaben zu einer etwaigen Beschränkung des Zeitraums, während dessen die zur Verfügung gestellten Informationen gültig sind; f) Einzelheiten hinsichtlich der Zahlung und der Erfüllung; g) alle spezifischen zusätzlichen Kosten, die der Verbraucher für die Benutzung des Fernkommunikationsmittels zu tragen hat, wenn solche zusätzlichen Kosten in Rechnung gestellt werden; betreffend den Fernabsatzvertrag a) Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts gemäß Artikel 6 sowie für den Fall, dass ein solches Recht besteht, die Widerrufsfrist und 91

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Modalitäten für dessen Ausübung, einschließlich des Betrags, den der Verbraucher gegebenenfalls gemäß Artikel 7 Absatz 1 zu entrichten hat, sowie die Folgen der Nichtausübung dieses Rechts; b) die Mindestlaufzeit des Fernabsatzvertrags, wenn dieser die Erbringung einer dauernden oder regelmäßig wiederkehrenden Finanzdienstleistung zum Inhalt hat; c) Angaben zum Recht der Parteien, den Fernabsatzvertrag vorzeitig oder einseitig aufgrund der Vertragsbedingungen zu kündigen, einschließlich aller Vertragsstrafen, die in einem solchen Fall auferlegt werden; d) praktische Hinweise zur Ausübung des Widerrufsrechts, darunter Angabe der Anschrift, an die die Mitteilung über den Widerruf zu senden ist; e) den oder die Mitgliedstaaten, dessen bzw. deren Recht der Anbieter der Aufnahme von Beziehungen zum Verbraucher vor Abschluss des Fernabsatzvertrags zugrunde legt; f) Vertragsklausel über das auf den Fernabsatzvertrag anwendbare Recht und/oder über das zuständige Gericht; g) Angaben darüber, in welcher Sprache oder in welchen Sprachen die Vertragsbedingungen und die in diesem Artikel genannten Vorabinformationen mitgeteilt werden, sowie darüber, in welcher Sprache oder in welchen Sprachen sich der Anbieter verpflichtet, mit Zustimmung des Verbrauchers die Kommunikation während der Laufzeit dieses Vertrags zu führen; 4. betreffend den Rechtsbehelf a) Angaben darüber, ob der Verbraucher, der Vertragspartei ist, Zugang zu einem außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren hat, und gegebenenfalls die Voraussetzungen für diesen Zugang; b) Angaben über das Bestehen eines Garantiefonds oder anderer Entschädigungsregelungen, die nicht unter die Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme9 und die Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger10 fallen. (2) Die in Absatz 1 genannten Informationen, deren geschäftlicher Zweck unmissverständlich zu erkennen sein muss, sind auf klare und verständliche Weise in einer dem benutzten Fernkommunikationsmittel angepassten Weise zu erteilen; dabei ist insbesondere der Grundsatz von Treu und Glauben im Ge-

9 ABl. L 135 vom 31. 5. 1994, S. 5. 10 ABl. L 84 vom 26. 3. 1997, S. 22.

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schäftsverkehr sowie der Grundsatz des Schutzes der Personen, die nach dem Recht der Mitgliedstaaten nicht geschäftsfähig sind, wie zum Beispiel Minderjährige, zu wahren. (3) Bei fernmündlicher Kommunikation a) wird die Identität des Anbieters und der geschäftliche Zweck des vom Anbieter initiierten Anrufs zu Beginn eines jeden Gesprächs mit dem Verbraucher offen gelegt; b) brauchen — vorbehaltlich der ausdrücklichen Zustimmung des Verbrauchers — nur folgende Informationen übermittelt zu werden: — Identität der Kontaktperson des Verbrauchers und deren Verbindung zum Anbieter; — Beschreibung der Hauptmerkmale der Finanzdienstleistung; — Gesamtpreis, den der Verbraucher dem Anbieter für die Finanzdienstleistung schuldet, einschließlich aller über den Anbieter abgeführten Steuern, oder, wenn kein genauer Preis angegeben werden kann, die Grundlage für die Berechnung des Preises, die dem Verbraucher eine Überprüfung des Preises ermöglicht; — Hinweis auf mögliche weitere Steuern und/oder Kosten, die nicht über den Anbieter abgeführt oder von ihm in Rechnung gestellt werden; — Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts gemäß Artikel 6 sowie für den Fall, dass ein Widerrufsrecht besteht, die Widerrufsfrist und Modalitäten für dessen Ausübung, einschließlich des Betrags, den der Verbraucher gegebenenfalls gemäß Artikel 7 Absatz 1 zu entrichten hat. Der Anbieter informiert den Verbraucher darüber, dass auf Wunsch weitere Informationen übermittelt werden können, und welcher Art diese Informationen sind. Der Anbieter erteilt auf jeden Fall sämtliche Informationen, wenn er seinen Verpflichtungen nach Artikel 5 nachkommt. (4) Informationen über vertragliche Verpflichtungen, die dem Verbraucher im Vorfeld des Vertragsabschlusses mitzuteilen sind, müssen im Einklang mit den vertraglichen Verpflichtungen stehen, die sich aufgrund des Rechts ergeben würden, dessen Anwendbarkeit auf den Fernabsatzvertrag im Falle seines Abschlusses angenommen wird. Art. 4 Zusätzliche Auskunftspflichten (1) Enthalten die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Finanzdienstleistungen Bestimmungen mit zusätzlichen Anforderungen an eine vorherige Auskunftserteilung, die über die in Artikel 3 Absatz 1 genannten hinausgehen, so gelten diese Anforderungen weiterhin. (2) Bis zu einer weiteren Harmonisierung können die Mitgliedstaaten strengere Bestimmungen über die Anforderungen an eine vorherige Auskunftserteilung 93

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aufrechterhalten oder erlassen, wenn diese Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehen. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Anforderungen an eine vorherige Auskunftserteilung im Sinne der Absätze 1 und 2 mit, wenn es sich dabei um Anforderungen handelt, die zu den in Artikel 3 Absatz 1 genannten hinzukommen. Die Kommission berücksichtigt die mitgeteilten einzelstaatlichen Bestimmungen bei der Erstellung des Berichts gemäß Artikel 20 Absatz 2. (4) Um durch alle geeigneten Mittel ein hohes Maß an Transparenz zu schaffen, trägt die Kommission dafür Sorge, dass die ihr mitgeteilten einzelstaatlichen Bestimmungen auch Verbrauchern und Anbietern zur Verfügung stehen. (5) In den Fällen, in denen auch die Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates11 Anwendung findet, werden die Bestimmungen des Artikels 3 Absatz 1 der vorliegenden Richtlinie über die Unterrichtung mit Ausnahme von Absatz 2 Buchstaben c bis g, Absatz 3 Buchstaben a, d und e sowie Absatz 4 Buchstabe b durch die Artikel 44, 45, 51 und 52 der Richtlinie (EU) 2015/2366 ersetzt. Art. 5 Übermittlung der Vertragsbedingungen und Vorabinformationen (1) Rechtzeitig bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder durch ein Angebot gebunden ist, übermittelt der Anbieter dem Verbraucher alle Vertragsbedingungen sowie die in Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 4 genannten Informationen in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger, der dem Verbraucher zur Verfügung steht und zu dem er Zugang hat. (2) Der Anbieter kommt der Verpflichtung gemäß Absatz 1 unverzüglich nach Abschluss des Fernabsatzvertrags nach, wenn der Vertrag auf Ersuchen des Verbrauchers mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wurde, das die Vorlage der Vertragsbedingungen sowie der entsprechenden Informationen gemäß Absatz 1 nicht gestattet. (3) Zu jedem Zeitpunkt des Vertragsverhältnisses kann der Verbraucher die Vorlage der Vertragsbedingungen in Papierform verlangen. Außerdem ist der Verbraucher berechtigt, ein anderes Fernkommunikationsmittel zu verwenden, es sei denn, dass dies mit dem geschlossenen Fernabsatzvertrag oder der Art der erbrachten Finanzdienstleistung unvereinbar ist.

11 Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/ 110/EG, 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (ABl. L 337 vom 23. 12. 2015, S. 35).

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Art. 6 Widerrufsrecht (1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der Verbraucher innerhalb einer Frist von 14 Kalendertagen den Vertrag widerrufen kann, ohne Gründe nennen oder eine Vertragsstrafe zahlen zu müssen. Bei Fernabsatzverträgen über Lebensversicherungen, die unter die Richtlinie 90/ 619/EWG fallen, und bei Fernabsatzverträgen über die Altersversorgung von Einzelpersonen wird diese Frist jedoch auf 30 Kalendertage verlängert. Die Widerrufsfrist beginnt zu laufen: — am Tag des Abschlusses des Fernabsatzvertrags, außer bei den genannten Lebensversicherungen; bei diesen beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher über den Abschluss des Fernabsatzvertrags informiert wird; — oder an dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und Informationen gemäß Artikel 5 Absatz 1 oder 2 erhält, wenn dieser Zeitpunkt später als der im ersten Gedankenstrich genannte liegt. Die Mitgliedstaaten können zusätzlich zum Widerrufsrecht vorsehen, dass die Wirksamkeit von Fernabsatzverträgen über Geldanlagedienstleistungen für die Dauer der in diesem Absatz vorgesehenen Frist ausgesetzt wird. (2) Das Widerrufsrecht ist ausgeschlossen bei a) Finanzdienstleistungen, deren Preis auf dem Finanzmarkt Schwankungen unterliegt, auf die der Anbieter keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können, wie z. B. Dienstleistungen im Zusammenhang mit — Devisen, — Geldmarktinstrumenten, — handelbaren Wertpapieren, — Anteilen an Anlagegesellschaften, — Finanztermingeschäften (Futures) einschließlich gleichwertiger Instrumente mit Barzahlung, — Zinstermingeschäften (FRA), — Zins- und Devisenswaps sowie Swaps auf Aktien- oder Aktienindexbasis („equity swaps“), — Kauf- oder Verkaufsoptionen auf alle in diesem Buchstaben genannten Instrumente einschließlich gleichwertiger Instrumente mit Barzahlung. Zu dieser Kategorie gehören insbesondere die Devisen- und die Zinsoptionen; b) Reise- und Gepäckversicherungspolicen oder bei ähnlichen kurzfristigen Versicherungspolicen mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat; c) Verträgen, die auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten bereits voll erfüllt sind, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt. 95

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(3) Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass das Widerrufsrecht in folgenden Fällen ausgeschlossen ist: a) bei einem Kredit, der überwiegend für den Erwerb oder die Erhaltung von Eigentumsrechten an einem Grundstück oder einem bestehenden oder geplanten Gebäude oder zur Renovierung oder Aufwertung eines Gebäudes bestimmt ist; oder b) bei einem Kredit, der entweder durch eine Hypothek auf einen unbeweglichen Vermögensgegenstand oder durch ein Recht an einem unbeweglichen Vermögensgegenstand gesichert ist; oder c) bei Erklärungen von Verbrauchern, die unter Mitwirkung eines Amtsträgers abgegeben werden, unter der Voraussetzung, dass der Amtsträger bestätigt, dass die Rechte des Verbrauchers gemäß Artikel 5 Absatz 1 gewahrt wurden. Das Recht auf eine Bedenkzeit zugunsten der Verbraucher mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, in dem ein solches Recht zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie besteht, bleibt von diesem Absatz unberührt. (4) Die Mitgliedstaaten, die von der in Absatz 3 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen, teilen dies der Kommission mit. (5) Die Kommission leitet die von den Mitgliedstaaten übermittelten Informationen an das Europäische Parlament und den Rat weiter und stellt sicher, dass diese auf Wunsch auch den Verbrauchern und Anbietern zur Verfügung stehen. (6) Übt der Verbraucher sein Widerrufsrecht aus, so teilt er dies vor Fristablauf unter Beachtung der ihm gemäß Artikel 3 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe d) gegebenen praktischen Hinweise in einer Weise mit, die einen Nachweis entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ermöglicht. Die Frist gilt als gewahrt, wenn die Mitteilung, sofern sie in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften dem Empfänger zur Verfügung stehenden und ihm zugänglichen Datenträger erfolgt, vor Fristablauf abgesandt wird. (7) Dieser Artikel gilt nicht für Kreditverträge, die gemäß Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie 97/7/EG oder Artikel 7 der Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien12 widerrufen wurden. Wurde einem Fernabsatzvertrag über eine bestimmte Finanzdienstleistung ein anderer Fernabsatzvertrag hinzugefügt, der Dienstleistungen des Anbieters oder eines Dritten auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Anbieter betrifft, so wird dieser Zusatzvertrag ohne Vertragsstrafe aufgelöst, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Artikel 6 Absatz 1 ausübt.

12 ABl. L 280 vom 29. 10. 1994, S. 83. [Ersetzt durch neue Timesharing-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.13.]

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2.2

(8) Dieser Artikel berührt nicht die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kündigung, die Auflösung oder die Unwirksamkeit eines Fernabsatzvertrags oder das Recht eines Verbrauchers, seine vertraglichen Verpflichtungen vor der in dem Fernabsatzvertrag festgesetzten Frist zu erfüllen. Dies gilt ungeachtet der Bedingungen für eine Aufhebung des Fernabsatzvertrags und deren rechtlicher Wirkungen. Art. 7 Zahlung für eine vor Widerruf des Vertrags erbrachte Dienstleistung (1) Übt der Verbraucher sein Widerrufsrecht gemäß Artikel 6 Absatz 1 aus, so darf von ihm lediglich die unverzügliche Zahlung für die vom Anbieter gemäß dem Fernabsatzvertrag tatsächlich erbrachte Dienstleistung verlangt werden. Mit der Erfüllung des Vertrags darf erst nach Zustimmung des Verbrauchers begonnen werden. Der zu zahlende Betrag darf — einen Betrag nicht überschreiten, der dem Anteil der bereits erbrachten Dienstleistungen im Vergleich zum Gesamtumfang der im Fernabsatzvertrag vorgesehenen Dienstleistungen entspricht; — nicht so bemessen sein, dass er als Vertragsstrafe ausgelegt werden kann. (2) Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass der Verbraucher keinen Betrag schuldet, wenn er eine Versicherungspolice kündigt. (3) Der Anbieter darf vom Verbraucher eine Zahlung gemäß Absatz 1 nur verlangen, wenn er nachweisen kann, dass der Verbraucher über den zu zahlenden Betrag gemäß Artikel 3 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a) ordnungsgemäß unterrichtet worden ist. Er kann eine solche Zahlung jedoch nicht verlangen, wenn er vor Ende der Widerrufsfrist gemäß Artikel 6 Absatz 1 ohne ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers mit der Vertragsausführung begonnen hat. (4) Der Anbieter erstattet dem Verbraucher unverzüglich und spätestens binnen 30 Kalendertagen jeden Betrag, den er von diesem gemäß dem Fernabsatzvertrag erhalten hat; hiervon ausgenommen ist der in Absatz 1 genannte Betrag. Diese Frist beginnt an dem Tag, an dem der Anbieter die Mitteilung über den Widerruf erhält. (5) Der Verbraucher gibt unverzüglich und nicht später als binnen 30 Kalendertagen vom Anbieter erhaltene Geldbeträge und/oder Gegenstände an den Anbieter zurück. Diese Frist beginnt an dem Tag, an dem der Verbraucher die Mitteilung über den Widerruf abschickt. Art. 8 Zahlung mittels Karte − [gestrichen] Art. 9 [Unbestellte Dienstleistungen und Waren] Angesichts des in der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr 97

2.2

Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 2002/65

zwischen Unternehmen und Verbrauchern13 festgelegten Verbots von Praktiken bezüglich unbestellter Waren oder Dienstleistungen und unbeschadet der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die stillschweigende Verlängerung von Fernabsatzverträgen, soweit danach eine stillschweigende Verlängerung möglich ist, treffen die Mitgliedstaaten Maßnahmen, um die Verbraucher für den Fall, dass unbestellte Waren geliefert oder unbestellte Dienstleistungen erbracht wurden, von jeder Verpflichtung zu befreien, wobei das Ausbleiben einer Antwort nicht als Zustimmung gilt. Art. 10 Unerwünschte Mitteilungen (1) Die Verwendung folgender Fernkommunikationsmittel durch einen Anbieter bedarf der vorherigen Einwilligung des Verbrauchers: a) telefonische Kommunikation mit einem Anrufautomaten (Voice-Mail-System); b) Telefax. (2) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass andere Fernkommunikationsmittel als die in Absatz 1 genannten, die eine individuelle Kommunikation erlauben, a) ohne die Zustimmung des betreffenden Verbrauchers nicht zulässig sind, oder b) nur benutzt werden dürfen, wenn der Verbraucher keine deutlichen Einwände dagegen erhebt. (3) Die Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 dürfen dem Verbraucher keine Kosten verursachen. Art. 11 Sanktionen Die Mitgliedstaaten sehen angemessene Sanktionen zur Ahndung von Verstößen des Anbieters gegen in Umsetzung dieser Richtlinie erlassene einzelstaatliche Vorschriften vor. Zu diesem Zweck können sie insbesondere vorsehen, dass der Verbraucher den Vertrag jederzeit kündigen kann, ohne dass ihm daraus Kosten entstehen oder er eine Vertragsstrafe zahlen muss. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Art. 12 Unabdingbarkeit der Bestimmungen dieser Richtlinie (1) Der Verbraucher kann auf die Rechte, die ihm durch diese Richtlinie eingeräumt werden, nicht verzichten. (2) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen um sicherzustellen, dass der Verbraucher den durch diese Richtlinie gewährten Schutz nicht

13 ABl. L 149 vom 11. 6. 2005, S. 22. [Geschäftspraktiken-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.21.]

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Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 2002/65

2.2

dadurch verliert, dass das Recht eines Drittstaates als das auf den Vertrag anzuwendende Recht gewählt wird, wenn der Vertrag eine enge Verbindung mit dem Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten aufweist. Art. 13 Rechtsbehelfe vor Gericht oder bei den Verwaltungsbehörden (1) Die Mitgliedstaaten sorgen für angemessene und wirksame Mittel, mit denen die Einhaltung dieser Richtlinie im Interesse der Verbraucher sichergestellt wird. (2) Die in Absatz 1 genannten Mittel schließen Rechtsvorschriften ein, nach denen eine oder mehrere der folgenden nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften bestimmten Einrichtungen gemäß dem jeweiligen innerstaatlichen Recht die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen kann bzw. können, um die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie sicherzustellen: a) öffentliche Einrichtungen oder ihre Vertreter; b) Verbraucherverbände, die ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben; c) Berufsverbände, die ein Rechtsschutzinteresse haben. (3) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit die Betreiber und Anbieter von Fernkommunikationsmitteln, sofern sie hierzu in der Lage sind, Praktiken einstellen, die durch eine ihnen zugestellte Entscheidung eines Gerichts, einer Verwaltungsbehörde oder einer Aufsichtsbehörde für nicht mit dieser Richtlinie vereinbar befunden worden sind. Art. 14 Außergerichtliche Rechtsbehelfe (1) Die Mitgliedstaaten fördern die Einrichtung oder die Weiterentwicklung angemessener und wirksamer außergerichtlicher Beschwerde und Rechtsbehelfsverfahren für die Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten über Finanzdienstleistungen im Fernabsatz. (2) Die Mitgliedstaaten halten insbesondere die für die außergerichtliche Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zuständigen Einrichtungen dazu an, bei der Beilegung grenzüberschreitender Rechtsstreitigkeiten über Finanzdienstleistungen im Fernabsatz zusammenzuarbeiten. Art. 15 Beweislast Unbeschadet von Artikel 7 Absatz 3 können die Mitgliedstaaten bestimmen, dass die Beweislast für die Erfüllung der Verpflichtungen des Anbieters zur Unterrichtung des Verbrauchers und für die Zustimmung des Verbrauchers zum Abschluss des Vertrags sowie gegebenenfalls zur Durchführung des Vertrags beim Anbieter liegt. Eine Vertragsbedingung, nach der die Beweislast für die Erfüllung aller oder eines Teils der Verpflichtungen des Anbieters, die diesem aufgrund dieser Richtlinie obliegen, beim Verbraucher liegt, gilt als 99

2.2

Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL 2002/65

missbräuchlich im Sinne der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.14 Art. 16 Übergangsmaßnahmen Die Mitgliedstaaten können auf Anbieter, die in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind, der diese Richtlinie noch nicht umgesetzt hat und nach dessen Recht keine den Verpflichtungen dieser Richtlinie entsprechenden Verpflichtungen bestehen, nationale Bestimmungen anwenden, die den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen. Art. 17–23 Änderungen anderer Richtlinien (dort berücksichtigt), Überprüfung, Umsetzungsfrist und Inkrafttreten — nicht abgedruckt.

14 ABl. L 95 vom 21. 4. 1993, S. 29. [Klausel-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.6.]

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2.3 E-Commerce-RL 2000/31

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 47 Absatz 2 und die Artikel 55 und 95, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Ziel der Europäischen Union ist es, einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Staaten und Völker zu schaffen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu sichern. Der Binnenmarkt umfaßt nach Artikel 14 Absatz 2 des Vertrags einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen sowie die Niederlassungsfreiheit gewährleistet sind. Die Weiterentwicklung der Dienste der Informationsgesellschaft in dem Raum ohne Binnengrenzen ist ein wichtiges Mittel, um die Schranken, die die europäischen Völker trennen, zu beseitigen. (2) Die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs in der Informationsgesellschaft bietet erhebliche Beschäftigungsmöglichkeiten in der Gemeinschaft, insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen, und wird das Wirtschaftswachstum sowie die Investitionen in Innovationen der europäischen Unternehmen anregen; diese Entwicklung kann auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken, vorausgesetzt, daß das Internet allen zugänglich ist. (3) Das Gemeinschaftsrecht und die charakteristischen Merkmale der gemeinschaftlichen Rechtsordnung sind ein wichtiges Instrument, damit die europäischen Bürger und Unternehmen uneingeschränkt und ohne Behinderung durch Grenzen Nutzen aus den Möglichkeiten des elektronischen Geschäftsverkehrs ziehen können. Diese Richtlinie zielt daher darauf ab, ein hohes Niveau der rechtlichen Integration in der Gemeinschaft sicherzustellen, um einen wirklichen Raum ohne Binnengrenzen für die Dienste der Informationsgesellschaft zu verwirklichen. (4) Es ist wichtig zu gewährleisten, daß der elektronische Geschäftsverkehr die Chancen des Binnenmarktes voll nutzen kann und daß somit ebenso wie mit der Richtlinie 89/552/ EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit 4 ein hohes Niveau der gemeinschaftlichen Integration erzielt wird.

* Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. 2000 L 178/1. 1 ABl. C 30 vom 5. 2. 1999, S. 4. 2 ABl. C 169 vom 16. 6. 1999, S. 36. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 6. 5. 1999 (ABl. C 279 vom 1. 10. 1999, S. 389). Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 28. 2. 2000 (ABl. C 128 vom 8. 5. 2000, S. 32) und Beschluß des Europäischen Parlaments vom 4. 5. 2000 (ABl. C 41 vom 7. 2. 2001, S. 38). 4 ABl. L 298 vom 17. 10. 1989, S. 23. https://doi.org/10.1515/9783110667776-006

2.3

E-Commerce-RL 2000/31

(5) Die Weiterentwicklung der Dienste der Informationsgesellschaft in der Gemeinschaft wird durch eine Reihe von rechtlichen Hemmnissen für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes behindert, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs weniger attraktiv machen. Die Hemmnisse bestehen in Unterschieden der innerstaatlichen Rechtsvorschriften sowie in der Rechtsunsicherheit hinsichtlich der auf Dienste der Informationsgesellschaft jeweils anzuwendenden nationalen Regelungen. Solange die innerstaatlichen Rechtsvorschriften in den betreffenden Bereichen nicht koordiniert und angepaßt sind, können diese Hemmnisse gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften gerechtfertigt sein. Rechtsunsicherheit besteht im Hinblick darauf, in welchem Ausmaß die Mitgliedstaaten über Dienste aus einem anderen Mitgliedstaat Kontrolle ausüben dürfen. (6) In Anbetracht der Ziele der Gemeinschaft, der Artikel 43 und 49 des Vertrags und des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts gilt es, die genannten Hemmnisse durch Koordinierung bestimmter innerstaatlicher Rechtsvorschriften und durch Klarstellung von Rechtsbegriffen auf Gemeinschaftsebene zu beseitigen, soweit dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist. Diese Richtlinie befaßt sich nur mit bestimmten Fragen, die Probleme für das Funktionieren des Binnenmarktes aufwerfen, und wird damit in jeder Hinsicht dem Subsidiaritätsgebot gemäß Artikel 5 des Vertrags gerecht. (7) Um Rechtssicherheit zu erreichen und das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen, muß diese Richtlinie einen klaren allgemeinen Rahmen für den Binnenmarkt bezüglich bestimmter rechtlicher Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs festlegen. (8) Ziel dieser Richtlinie ist es, einen rechtlichen Rahmen zur Sicherstellung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten zu schaffen, nicht aber, den Bereich des Strafrechts als solchen zu harmonisieren. (9) In vieler Hinsicht kann der freie Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft die besondere gemeinschaftsrechtliche Ausprägung eines allgemeineren Grundsatzes darstellen, nämlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Artikels 10 Absatz 1 der von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Richtlinien, die das Angebot von Diensten der Informationsgesellschaft betreffen, müssen daher sicherstellen, daß diese Tätigkeit gemäß jenem Artikel frei ausgeübt werden kann und nur den Einschränkungen unterliegt, die in Absatz 2 des genannten Artikel und in Artikel 46 Absatz 1 des Vertrages niedergelegt sind. Die grundlegenden Regeln und Prinzipien des einzelstaatlichen Rechts, die die freie Meinungsäußerung betreffen, sollen von dieser Richtlinie unberührt bleiben. (10) Gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind in dieser Richtlinie nur diejenigen Maßnahmen vorgesehen, die zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes unerläßlich sind. Damit der Binnenmarkt wirklich zu einem Raum ohne Binnengrenzen für den elektronischen Geschäftsverkehr wird, muß diese Richtlinie in den Bereichen, in denen ein Handeln auf Gemeinschaftsebene geboten ist, ein hohes Schutzniveau für die dem Allgemeininteresse dienenden Ziele, insbesondere für den Jugendschutz, den Schutz der Menschenwürde, den Verbraucherschutz und den Schutz der öffentlichen Gesundheit, gewährleisten. Nach Artikel 152 des Vertrags ist der Schutz der öffentlichen Gesundheit ein wesentlicher Bestandteil anderer Gemeinschaftspolitiken. (11) Diese Richtlinie läßt das durch Gemeinschaftsrechtsakte eingeführte Schutzniveau, insbesondere für öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz, unberührt. Unter anderem bilden die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen5 und die Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parla5 ABl. L 95 vom 21. 4. 1993, S. 29 [Klausel-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.6.]

102

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2.3

ments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz6 wichtige Errungenschaften für den Verbraucherschutz im Bereich des Vertragsrechts. Jene Richtlinien gelten voll und ganz auch für die Dienste der Informationsgesellschaft. Zum Rechtsstand auf Gemeinschaftsebene, der uneingeschränkt für die Dienste der Informationsgesellschaft gilt, gehören insbesondere auch die Richtlinien 84/ 450/EWG des Rates vom 10. September 1984 über irreführende und vergleichende Werbung,7 die Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit,8 die Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen,9 die Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen,10 die Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse,11 die Richtlinie 92/59/EWG des Rates vom 29. Juni 1992 über die allgemeine Produktsicherheit,12 die Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien,13 die Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen,14 die Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte,15 die Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter,16 die künftige Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher,17

6 ABl. L 144 vom 4. 6. 1997, S. 19. 7 ABl. L 250 vom 19. 9. 1984, S. 17. Richtlinie geändert durch die Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 290 vom 23. 10. 1997, S. 18). [Ersetzt durch neue Werbe-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.20.] 8 ABl. L 42 vom 12. 2. 1987, S. 48. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 101 vom 1. 4. 1998, S. 17). [Ersetzt durch neue Verbraucherkredit-RL, in dieser Sammlung 2.17.] 9 ABl. L 141 vom 11. 6. 1993, S. 27. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 84 vom 26. 3. 1997, S. 22). [Ersetzt durch Finanzmarkt-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.19.] 10 ABl. L 158 vom 23. 6. 1990, S. 59. [Pauschalreise-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.12.] 11 ABl. L 80 vom 18. 3. 1998, S. 27. 12 ABl. L 228 vom 11. 8. 1992, S. 24. 13 ABl. L 280 vom 29. 10. 1994, S. 83. [Ersetzt durch neue Timesharing-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.13.] 14 ABl. L 166 vom 11. 6. 1998, S. 51. Richtlinie geändert durch die Richtlinie 1999/44/EG (ABl. L 171 vom 7. 7. 1999, S. 12). 15 ABl. L 210 vom 7. 8. 1985, S. 29. Richtlinie geändert durch die Richtlinie 1999/34/EG (ABl. L 141 vom 4. 6. 1999, S. 20). [Produkthaftungs-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.9.] 16 ABl. L 171 vom 7. 7. 1999, S. 12. [Kaufgewährleistungs-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.8a.] 17 ABl. L 113 vom 30. 4. 1992, S. 13. [Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.2.]

103

2.3

E-Commerce-RL 2000/31

und die Richtlinie 92/28/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Werbung für Humanarzneimittel.18 Die vorliegende Richtlinie sollte die im Rahmen des Binnenmarktes angenommene Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen19 und die Richtlinien über den Gesundheitsschutz unberührt lassen. Diese Richtlinie ergänzt die Informa-tionserfordernisse, die durch die vorstehend genannten Richtlinien und insbesondere durch die Richtlinie 97/7/EG eingeführt wurden. Bestimmte Tätigkeiten müssen aus dem Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden, da gegenwärtig in diesen Bereichen der freie Dienstleistungsverkehr aufgrund der Bestimmungen des Vertrags bzw. des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts nicht sicherzustellen ist. Dieser Ausschluß darf Maßnahmen, die zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts erforderlich sein könnten, nicht berühren. Das Steuerwesen, insbesondere die Mehrwertsteuer, die auf eine große Zahl von Diensten erhoben wird, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, muß von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen werden. Mit dieser Richtlinie sollen weder Regelungen über steuerliche Verpflichtungen festgelegt werden, noch greift sie der Ausarbeitung von Gemeinschaftsrechtsakten zu den steuerlichen Aspekten des elektronischen Geschäftsverkehrs vor. Der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ist ausschließlich Gegenstand der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr20 und der Richtlinie 97/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation,21 beide Richtlinien sind uneingeschränkt auf die Dienste der Informationsgesellschaft anwendbar. Jene Richtlinien begründen bereits einen gemeinschaftsrechtlichen Rahmen für den Bereich personenbezogener Daten, so daß diese Frage in der vorliegenden Richtlinie nicht geregelt werden muß, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts und insbesondere den freien Fluß personenbezogener Daten zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Die Grundsätze des Schutzes personenbezogener Daten sind bei der Umsetzung und Anwendung dieser Richtlinie uneingeschränkt zu beachten, insbesondere in bezug auf nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation und die Verantwortlichkeit von Vermittlern. Die anonyme Nutzung offener Netze wie des Internets kann diese Richtlinie nicht unterbinden. Die Vertraulichkeit der Kommunikation ist durch Artikel 5 der Richtlinie 97/66/EG gewährleistet. Gemäß jener Richtlinie untersagen die Mitgliedstaaten jede Art des Abfangens oder Überwachens dieser Kommunikation durch andere Personen als Sender und Empfänger, es sei denn, diese Personen sind gesetzlich dazu ermächtigt. Die Ausklammerung von Gewinnspielen aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie betrifft nur Glücksspiele, Lotterien und Wetten mit einem einen Geldwert darstellenden

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113 vom 30. 4. 1992, S. 13. 213 vom 30. 7. 1998, S. 9. 281 vom 23. 11. 1995, S. 31. 24 vom 30. 1. 1998, S. 1.

E-Commerce-RL 2000/31

2.3

Einsatz. Preisausschreiben und Gewinnspiele, mit denen der Verkauf von Waren oder Dienstleistungen gefördert werden soll und bei denen etwaige Zahlungen nur dem Erwerb der angebotenen Waren oder Dienstleistungen dienen, werden hiervon nicht erfaßt. (17) Das Gemeinschaftsrecht enthält in der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft 22 sowie in der Richtlinie 98/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 1998 über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten23 bereits eine Definition der Dienste der Informationsgesellschaft. Diese Definition umfaßt alle Dienstleistungen, die in der Regel gegen Entgelt im Fernabsatz mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten auf individuellen Abruf eines Empfängers erbracht werden. Nicht unter diese Definition fallen die Dienstleistungen, auf die in der Liste von Beispielen in Anhang V der Richtlinie 98/34/EG Bezug genommen wird und die ohne Verarbeitung und Speicherung von Daten erbracht werden. (18) Die Dienste der Informationsgesellschaft umfassen einen weiten Bereich von wirtschaftlichen Tätigkeiten, die online vonstatten gehen. Diese Tätigkeiten können insbesondere im Online-Verkauf von Waren bestehen. Tätigkeiten wie die Auslieferung von Waren als solche oder die Erbringung von Offline-Diensten werden nicht erfaßt. Die Dienste der Informationsgesellschaft beschränken sich nicht nur auf Dienste, bei denen online Verträge geschlossen werden können, sondern erstrec-ken sich, soweit es sich überhaupt um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt, auch auf Dienste, die nicht von denjenigen vergütet werden, die sie empfangen, wie etwa Online-Informationsdienste, kommerzielle Kommunikation oder Dienste, die Instrumente zur Datensuche, zum Zugang zu Daten und zur Datenabfrage bereitstellen. Zu den Diensten der Informationsgesellschaft zählen auch Dienste, die Informationen über ein Kommunikationsnetz übermitteln, Zugang zu einem Kommunikationsnetz anbieten oder Informationen, die von einem Nutzer des Dienstes stammen, speichern. Fernsehsendungen im Sinne der Richtlinie 89/552/EWG und Radiosendungen sind keine Dienste der Informationsgesellschaft, da sie nicht auf individuellen Abruf erbracht werden. Dagegen sind Dienste, die von Punkt zu Punkt erbracht werden, wie Video auf Abruf oder die Verbreitung kommerzieller Kommunikationen mit elektronischer Post, Dienste der Informationsgesellschaft. Die Verwendung der elektronischen Post oder gleichwertiger individueller Kommunikationen zum Beispiel durch natürliche Personen außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit, einschließlich ihrer Verwendung für den Abschluß von Verträgen zwischen derartigen Personen, ist kein Dienst der Informationsgesellschaft. Die vertragliche Beziehung zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber ist kein Dienst der Informationsgesellschaft. Tätigkeiten, die ihrer Art nach nicht aus der Ferne und auf elektronischem Wege ausgeübt werden können, wie die gesetzliche Abschlußprüfung von Unternehmen oder ärztlicher Rat mit einer erforderlichen körperlichen Untersuchung eines Patienten, sind keine Dienste der Informationsgesellschaft. (19) Die Bestimmung des Ortes der Niederlassung des Anbieters hat gemäß den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Kriterien zu erfolgen, nach denen der Niederlas-

22 ABl. L 204 vom 21. 7. 1998, S. 37. Richtlinie geändert durch die Richtlinie 98/48/EG (ABl. L 217 vom 5. 8. 1998, S. 18). 23 ABl. L 320 vom 28. 11. 1998, S. 54.

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sungsbegriff die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit umfaßt. Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn ein Unternehmen für einen festgelegten Zeitraum gegründet wird. Erbringt ein Unternehmen Dienstleistungen über eine Web-Site des Internets, so ist es weder dort niedergelassen, wo sich die technischen Mittel befinden, die diese Web-Site beherbergen, noch dort, wo die Web-Site zugänglich ist, sondern an dem Ort, an dem es seine Wirtschaftstätigkeit ausübt. In Fällen, in denen ein Anbieter an mehreren Orten niedergelassen ist, ist es wichtig zu bestimmen, von welchem Niederlassungsort aus der betreffende Dienst erbracht wird. Ist im Falle mehrerer Niederlassungsorte schwierig zu bestimmen, von welchem Ort aus ein bestimmter Dienst erbracht wird, so gilt als solcher der Ort, an dem sich der Mittelpunkt der Tätigkeiten des Anbieters in bezug auf diesen bestimmten Dienst befindet. Die Definition des Begriffs des Nutzers eines Dienstes umfaßt alle Arten der Inanspruchnahme von Diensten der Informationsgesellschaft sowohl durch Personen, die Informationen in offenen Netzen wie dem Internet anbieten, als auch durch Personen, die im Internet Informationen für private oder berufliche Zwecke suchen. Eine künftige gemeinschaftliche Harmonisierung auf dem Gebiet der Dienste der Informationsgesellschaft und künftige Rechtsvorschriften, die auf einzelstaatlicher Ebene in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht erlassen werden, bleiben vom Geltungsbereich des koordinierten Bereichs unberührt. Der koordinierte Bereich umfaßt nur Anforderungen betreffend Online-Tätigkeiten, beispielsweise Online-Informationsdienste, Online-Werbung, Online-Verkauf und Online-Vertragsabschluß; er betrifft keine rechtlichen Anforderungen der Mitgliedstaaten bezüglich Waren, beispielsweise Sicherheitsnormen, Kennzeichnungspflichten oder Haftung für Waren, und auch keine Anforderungen der Mitgliedstaaten bezüglich der Lieferung oder Beförderung von Waren, einschließlich der Lieferung von Humanarzneimitteln. Der koordinierte Bereich umfaßt nicht die Wahrnehmung des Vorkaufsrechts durch öffentliche Behörden in bezug auf bestimmte Güter wie beispielsweise Kunstwerke. Die Aufsicht über Dienste der Informationsgesellschaft hat am Herkunftsort zu erfolgen, um einen wirksamen Schutz der Ziele des Allgemeininteresses zu gewährleisten. Deshalb muß dafür gesorgt werden, daß die zuständige Behörde diesen Schutz nicht allein für die Bürger ihres Landes, sondern für alle Bürger der Gemeinschaft sichert. Um das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten zu fördern, muß die Verantwortlichkeit des Mitgliedstaates des Herkunftsortes der Dienste klar herausgestellt werden. Um den freien Dienstleistungsverkehr und die Rechtssicherheit für Anbieter und Nutzer wirksam zu gewährleisten, sollten die Dienste der Informationsgesellschaft zudem grundsätzlich dem Rechtssystem desjenigen Mitgliedstaates unterworfen werden, in dem der Anbieter niedergelassen ist. Diese Richtlinie zielt weder darauf ab, zusätzliche Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts hinsichtlich des anwendbaren Rechts zu schaffen, noch befaßt sie sich mit der Zuständigkeit der Gerichte; Vorschriften des anwendbaren Rechts, die durch Regeln des Internationalen Privatrechts bestimmt sind, dürfen die Freiheit zur Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft im Sinne dieser Richtlinie nicht einschränken. Unbeschadet der Regel, daß Dienste der Informationsgesellschaft an der Quelle zu beaufsichtigen sind, ist es im Zusammenhang mit dieser Richtlinie gerechtfertigt, daß die Mitgliedstaaten unter den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen Maßnahmen ergreifen dürfen, um den freien Verkehr für Dienste der Informationsgesellschaft einzuschränken. Nationale Gerichte, einschließlich Zivilgerichte, die mit privatrechtlichen Streitigkeiten befaßt sind, können im Einklang mit den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen

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Maßnahmen ergreifen, die von der Freiheit der Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft abweichen. Die Mitgliedstaaten können im Einklang mit den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen ihre nationalen strafrechtlichen Vorschriften und Strafprozeßvorschriften anwenden, um Ermittlungs- und andere Maßnahmen zu ergreifen, die zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten erforderlich sind, ohne diese Maßnahmen der Kommission mitteilen zu müssen. Diese Richtlinie trägt zusammen mit der künftigen Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher dazu bei, einen rechtlichen Rahmen für die Online-Erbringung von Finanzdienstleistungen zu schaffen. Diese Richtlinie greift künftigen Initiativen im Bereich der Finanzdienstleistungen, insbesondere in bezug auf die Harmonisierung der Verhaltensregeln für diesen Bereich, nicht vor. Die durch diese Richtlinie geschaffene Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, die Freiheit der Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft unter bestimmten Umständen zum Schutz der Verbraucher einzuschränken, erstreckt sich auch auf Maßnahmen im Bereich der Finanzdienstleistungen, insbesondere Maßnahmen zum Schutz von Anlegen. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den Zugang zur Tätigkeit eines Anbieters von Diensten der Informationsgesellschaft keiner Zulassung zu unterwerfen, gilt nicht für Postdienste, die unter die Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität 24 fallen und in der materiellen Auslieferung ausgedruckter Mitteilungen der elektronischen Post bestehen; freiwillige Akkreditierungssysteme, insbesondere für Anbieter von Diensten für die Zertifizierung elektronischer Signaturen, sind hiervon ebenfalls nicht betroffen. Kommerzielle Kommunikationen sind von entscheidender Bedeutung für die Finanzierung der Dienste der Informationsgesellschaft und die Entwicklung vielfältiger neuer und unentgeltlicher Dienste. Im Interesse des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs müssen die verschiedenen Formen kommerzieller Kommunikation, darunter Preisnachlässe, Sonderangebote, Preisausschreiben und Gewinnspiele, bestimmten Transparenzerfordernissen genügen. Diese Transparenzerfordernisse lassen die Richtlinie 97/7/EG unberührt. Diese Richtlinie ist ferner ohne Auswirkung auf die Richtlinien, die bereits im Bereich der kommerziellen Kommunikationen bestehen, insbesondere die Richtlinie 98/43/EG. Die Zusendung nicht angeforderter kommerzieller Kommunikationen durch elektronische Post kann für Verbraucher und Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft unerwünscht sein und das reibungslose Funktionieren interaktiver Netze beeinträchtigen. Die Frage der Zustimmung der Empfänger bestimmter Formen der nicht angeforderten kommerziellen Kommunikation ist nicht Gegenstand dieser Richtlinie, sondern ist, insbesondere in den Richtlinien 97/7/EG und 97/66/EG, bereits geregelt. In Mitgliedstaaten, die nicht angeforderte kommerzielle Kommunikationen über elektronische Post zulassen, sollten geeignete Initiativen der Branche zum Herausfiltern entsprechender Mitteilungen gefördert und erleichtert werden. Darüber hinaus müssen nicht angeforderte kommerziel-

24 ABl. L 15 vom 21. 1. 1998, S. 14.

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le Kommunikationen auf jeden Fall klar als solche erkennbar sein, um die Transparenz zu verbessern und die Funktionsfähigkeit derartiger Filtersysteme der Branche zu fördern. Durch elektronische Post zugesandte nicht angeforderte kommerzielle Kommunikationen dürfen keine zusätzlichen Kommunikationskosten für den Empfänger verursachen. Mitgliedstaaten, die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbietern die Versendung nicht angeforderter kommerzieller Kommunikation mit elektronischer Post ohne vorherige Zustimmung des Empfängers gestatten, müssen dafür Sorge tragen, daß die Diensteanbieter regelmäßig sog. Robinson-Listen konsultieren, in die sich natürliche Personen eintragen können, die keine derartigen Informationen zu erhalten wünschen, und daß die Diensteanbieter diese Listen beachten. Um Hindernisse für die Entwicklung grenzüberschreitender Dienste innerhalb der Gemeinschaft zu beseitigen, die Angehörige der reglementierten Berufe im Internet anbieten könnten, muß die Wahrung berufsrechtlicher Regeln, insbesondere der Regeln zum Schutz der Verbraucher oder der öffentlichen Gesundheit, auf Gemeinschaftsebene gewährleistet sein. Zur Festlegung der für kommerzielle Kommunikation geltenden Berufsregeln sind vorzugsweise gemeinschaftsweit geltende Verhaltenskodizes geeignet. Die Erstellung oder gegebenenfalls die Anpassung solcher Regeln sollte unbeschadet der Autonomie von Berufsvereinigungen und -organisationen gefördert werden. Diese Richtlinie ergänzt gemeinschaftliche und einzelstaatliche Rechtsvorschriften für reglementierte Berufe, wobei in diesem Bereich ein kohärenter Bestand anwendbarer Regeln beibehalten wird. Jeder Mitgliedstaat hat seine Rechtsvorschriften zu ändern, in denen Bestimmungen festgelegt sind, die die Verwendung elektronisch geschlossener Verträge behindern könnten; dies gilt insbesondere für Formerfordernisse. Die Prüfung anpassungsbedürftiger Rechtsvorschriften sollte systematisch erfolgen und sämtliche Phasen bis zum Vertragsabschluß umfassen, einschließlich der Archivierung des Vertrages. Diese Änderung sollte bewirken, daß es möglich ist, elektronisch geschlossene Verträge zu verwenden. Die rechtliche Wirksamkeit elektronischer Signaturen ist bereits Gegen-stand der Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen.25 Die Empfangsbestätigung durch den Diensteanbieter kann darin bestehen, daß dieser die bezahlte Dienstleistung online erbringt. Diese Richtlinie läßt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, allgemeine oder spezifische rechtliche Anforderungen für Verträge, die auf elektronischem Wege erfüllt werden können, insbesondere Anforderungen für sichere elektronische Signaturen, aufrechtzuerhalten oder festzulegen. Die Mitgliedstaaten können Beschränkungen für die Verwendung elektronisch geschlossener Verträge in bezug auf Verträge beibehalten, bei denen die Mitwirkung von Gerichten, Behörden oder öffentliche Befugnisse ausübenden Berufen gesetzlich vorgeschrieben ist. Diese Möglichkeit gilt auch für Verträge, bei denen die Mitwirkung von Gerichten, Behörden oder öffentliche Befugnisse ausübenden Berufen erforderlich ist, damit sie gegenüber Dritten wirksam sind, und für Verträge, bei denen eine notarielle Beurkundung oder Beglaubigung gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Hindernisse für die Verwendung elektronisch geschlossener Verträge zu beseitigen, betrifft nur Hindernisse, die sich aus rechtlichen An-

25 ABl. L 13 vom 19. 1. 2000, S. 12.

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forderungen ergeben, nicht jedoch praktische Hindernisse, die dadurch entstehen, daß in bestimmten Fällen elektronische Mittel nicht genutzt werden können. (38) Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Hindernisse für die Verwendung elektronisch geschlossener Verträge zu beseitigen, ist im Einklang mit den im Gemeinschaftsrecht niedergelegten rechtlichen Anforderungen an Verträge zu erfüllen. (39) Die in dieser Richtlinie in bezug auf die bereitzustellenden Informationen und die Abgabe von Bestellungen vorgesehenen Ausnahmen von den Vorschriften für Verträge, die ausschließlich durch den Austausch von elektronischer Post oder durch damit vergleichbare individuelle Kommunikation geschlossen werden, sollten nicht dazu führen, daß Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft diese Vorschriften umgehen können. (40)–(48) zu Verantwortlichkeitsbeschränkung bei reiner Durchleitung, Caching und Hosting — nicht abgedruckt. (49) Die Mitgliedstaaten und die Kommission haben zur Ausarbeitung von Verhaltenskodizes zu ermutigen. Dies beeinträchtigt nicht die Freiwilligkeit dieser Kodizes und die Möglichkeit der Beteiligten, sich nach freiem Ermessen einem solchen Kodex zu unterwerfen. (50)–(53), (57)–(65) zu den Materien, deren Regelung im Textteil der Richtlinie nicht abgedruckt wurde. (54) Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Sanktionen lassen andere nach einzelstaatlichem Recht vorgesehene Sanktionen oder Rechtsbehelfe unberührt. Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, strafrechtliche Sanktionen für Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechtsvorschriften, die aufgrund dieser Richtlinie erlassen wurden, vorzusehen. (55) Diese Richtlinie läßt das Recht unberührt, das für die sich aus Verbraucherverträgen ergebenden vertraglichen Schuldverhältnisse gilt. Dementsprechend kann diese Richtlinie nicht dazu führen, daß dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm von den zwingenden Vorschriften für vertragliche Verpflichtungen nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem er seinen gewöhnlichen Wohnsitz hat, gewährt wird. (56) Im Hinblick auf die in dieser Richtlinie vorgesehene Ausnahme für vertragliche Schuldverhältnisse in bezug auf Verbraucherverträge ist zu beachten, daß diese Schuldverhältnisse auch Informationen zu den wesentlichen Elementen des Vertrags erfassen; dazu gehören auch die Verbraucherrechte, die einen bestimmenden Einfluß auf die Entscheidung zum Vertragschluß haben. — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Zielsetzung und Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie soll einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarktes leisten, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt. (2) Diese Richtlinie sorgt, soweit dies für die Erreichung des in Absatz 1 genannten Ziels erforderlich ist, für eine Angleichung bestimmter für die Dienste der Informationsgesellschaft geltender innerstaatlicher Regelungen, die den Binnenmarkt, die Niederlassung der Diensteanbieter, kommerzielle Kommunika109

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tionen, elektronische Verträge, die Verantwortlichkeit von Vermittlern, Verhaltenskodizes, Systeme zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten, Klagemöglichkeiten sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten betreffen. (3) Diese Richtlinie ergänzt das auf die Dienste der Informationsgesellschaft anwendbare Gemeinschaftsrecht und läßt dabei das Schutzniveau insbesondere für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz, wie es sich aus Gemeinschaftsrechtsakten und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu deren Umsetzung ergibt, unberührt, soweit die Freiheit, Dienste der Informationsgesellschaft anzubieten, dadurch nicht eingeschränkt wird. (4) Diese Richtlinie schafft weder zusätzliche Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts, noch befaßt sie sich mit der Zuständigkeit der Gerichte. (5) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf a) den Bereich der Besteuerung, b) Fragen betreffend die Dienste der Informationsgesellschaft, die von den Richtlinien 95/46/EG und 97/66/EG erfaßt werden, c) Fragen betreffend Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die dem Kartellrecht unterliegen, d) die folgenden Tätigkeiten der Dienste der Informationsgesellschaft: — Tätigkeiten von Notaren oder Angehörigen gleichwertiger Berufe, soweit diese eine unmittelbare und besondere Verbindung zur Ausübung öffentlicher Befugnisse aufweisen; — Vertretung eines Mandanten und Verteidigung seiner Interessen vor Gericht; — Gewinnspiele mit einem einen Geldwert darstellenden Einsatz bei Glücksspielen, einschließlich Lotterien und Wetten. (6) Maßnahmen auf gemeinschaftlicher oder einzelstaatlicher Ebene, die unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts der Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt und dem Schutz des Pluralismus dienen, bleiben von dieser Richtlinie unberührt. Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) „Dienste der Informationsgesellschaft“ Dienste im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 98/34/EG in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG; b) „Diensteanbieter“ jede natürliche oder juristische Person, die einen Dienst der Informationsgesellschaft anbietet; c) „niedergelassener Diensteanbieter“ ein Anbieter, der mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit eine Wirtschaftstätigkeit tatsächlich ausübt; Vorhandensein und Nutzung technischer Mittel und Technologien, die 110

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d)

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zum Anbieten des Dienstes erforderlich sind, begründen allein keine Niederlassung des Anbieters; „Nutzer“ jede natürliche oder juristische Person, die zu beruflichen oder sonstigen Zwecken einen Dienst der Informationsgesellschaft in Anspruch nimmt, insbesondere um Informationen zu erlangen oder zugänglich zu machen; „Verbraucher“ jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die nicht zu ihren gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeiten gehören; „kommerzielle Kommunikation“ alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt; die folgenden Angaben stellen als solche keine Form der kommerziellen Kommunikation dar: — Angaben, die direkten Zugang zur Tätigkeit des Unternehmens bzw. der Organisation oder Person ermöglichen, wie insbesondere ein DomainName oder eine Adresse der elektronischen Post; — Angaben in bezug auf Waren und Dienstleistungen oder das Erscheinungsbild eines Unternehmens, einer Organisation oder Person, die unabhängig und insbesondere ohne finanzielle Gegenleistung gemacht werden; „reglementierter Beruf“ alle Berufe im Sinne von Artikel 1 Buchstabe d) der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen,26 oder im Sinne von Artikel 1 Buchstabe f) der Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG27; „koordinierter Bereich“ die für die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft und die Dienste der Informationsgesellschaft in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten festgelegten Anforderungen, ungeachtet der Frage, ob sie allgemeiner Art oder speziell für sie bestimmt sind. i) Der koordinierte Bereich betrifft vom Diensteanbieter zu erfüllende Anforderungen in bezug auf

26 ABl. L 19 vom 24. 1. 1989, S. 16. 27 ABl. L 209 vom 24. 7. 1992, S. 25.

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— die Aufnahme der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend Qualifikationen, Genehmigung oder Anmeldung; — die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend das Verhalten des Diensteanbieters, Anforderungen betreffend Qualität oder Inhalt des Dienstes, einschließlich der auf Werbung und Verträge anwendbaren Anforderungen, sowie Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters. ii) Der koordinierte Bereich umfaßt keine Anforderungen wie — Anforderungen betreffend die Waren als solche; — Anforderungen betreffend die Lieferung von Waren; — Anforderungen betreffend Dienste, die nicht auf elektronischem Wege erbracht werden. Art. 3 Binnenmarkt (1) Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, daß die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen. (2) Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen. (3) Die Absätze 1 und 2 finden keine Anwendung auf die im Anhang genannten Bereiche. (4) Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft von Absatz 2 abweichen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) Die Maßnahmen i) sind aus einem der folgenden Gründe erforderlich: — Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen, — Schutz der öffentlichen Gesundheit, — Schutz der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen, — Schutz der Verbraucher, einschließlich des Schutzes von Anlegern; ii) betreffen einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft, der die unter Ziffer i) genannten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte 112

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und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt; iii) stehen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen. b) Der Mitgliedstaat hat vor Ergreifen der betreffenden Maßnahmen unbeschadet etwaiger Gerichtsverfahren, einschließlich Vorverfahren und Schritten im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung, — den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, und dieser hat dem nicht Folge geleistet oder die von ihm getroffenen Maßnahmen sind unzulänglich; — die Kommission und den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat über seine Absicht, derartige Maßnahmen zu ergreifen, unterrichtet. (5) Die Mitgliedstaaten können in dringlichen Fällen von den in Absatz 4 Buchstabe b) genannten Bedingungen abweichen. In diesem Fall müssen die Maßnahmen so bald wie möglich und unter Angabe der Gründe, aus denen der Mitgliedstaat der Auffassung ist; daß es sich um einen dringlichen Fall handelt, der Kommission und dem in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat mitgeteilt werden. (6) Unbeschadet der Möglichkeit des Mitgliedstaates, die betreffenden Maßnahmen durchzuführen, muß die Kommission innerhalb kürzestmöglicher Zeit prüfen, ob die mitgeteilten Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind; gelangt sie zu dem Schluß, daß die Maßnahme nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, so fordert sie den betreffenden Mitgliedstaat auf, davon Abstand zu nehmen, die geplanten Maßnahmen zu ergreifen, bzw. bereits ergriffene Maßnahmen unverzüglich einzustellen.

Kapitel II − Grundsätze Abschnitt 1 − Niederlassung und Informationspflichten Art. 4 Grundsatz der Zulassungsfreiheit (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß die Aufnahme und die Ausübung der Tätigkeit eines Anbieters von Diensten der Informationsgesellschaft nicht zulassungspflichtig ist und keiner sonstigen Anforderung gleicher Wirkung unterliegt. (2) Absatz 1 gilt unbeschadet der Zulassungsverfahren, die nicht speziell und ausschließlich Dienste der Informationsgesellschaft betreffen oder die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemeinund Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste28 fallen. 28 ABl. L 117 vom 7. 5. 1997, S. 15.

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Art. 5 Allgemeine Informationspflichten (1) Zusätzlich zu den sonstigen Informationsanforderungen nach dem Gemeinschaftsrecht stellen die Mitgliedstaaten sicher, daß der Diensteanbieter den Nutzern des Dienstes und den zuständigen Behörden zumindest die nachstehend aufgeführten Informationen leicht, unmittelbar und ständig verfügbar macht: a) den Namen des Diensteanbieters; b) die geographische Anschrift, unter der der Diensteanbieter niedergelassen ist; c) Angaben, die es ermöglichen, schnell mit dem Diensteanbieter Kontakt aufzunehmen und unmittelbar und effizient mit ihm zu kommunizieren, einschließlich seiner Adresse der elektronischen Post; d) wenn der Diensteanbieter in ein Handelsregister oder ein vergleichbares öffentliches Register eingetragen ist, das Handelsregister, in das der Diensteanbieter eingetragen ist, und seine Handelsregisternummer oder eine gleichwertige in diesem Register verwendete Kennung; e) soweit für die Tätigkeit eine Zulassung erforderlich ist, die Angaben zur zuständigen Aufsichtsbehörde; f) hinsichtlich reglementierter Berufe: — gegebenenfalls der Berufsverband, die Kammer oder eine ähnliche Einrichtung, dem oder der der Diensteanbieter angehört, — die Berufsbezeichnung und der Mitgliedstaat, in der sie verliehen worden ist; — eine Verweisung auf die im Mitgliedstaat der Niederlassung anwendbaren berufsrechtlichen Regeln und Angaben dazu, wie sie zugänglich sind; g) in Fällen, in denen der Diensteanbieter Tätigkeiten ausübt, die der Mehrwertsteuer unterliegen, die Identifikationsnummer gemäß Artikel 22 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage.29 (2) Zusätzlich zu den sonstigen Informationsanforderungen nach dem Gemeinschaftsrecht tragen die Mitgliedstaaten zumindest dafür Sorge, daß, soweit Dienste der Informationsgesellschaft auf Preise Bezug nehmen, diese klar und unzweideutig ausgewiesen werden und insbesondere angegeben wird, ob Steuern und Versandkosten in den Preisen enthalten sind.

29 ABl. L 145 vom 13. 6. 1977, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 1999/85/EG (ABl. L 277 vom 28. 10. 1999, S. 34).

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Abschnitt 2 − Kommerzielle Kommunikationen Art. 6 Informationspflichten Zusätzlich zu den sonstigen Informationsanforderungen nach dem Gemeinschaftsrecht stellen die Mitgliedstaaten sicher, daß kommerzielle Kommunikationen, die Bestandteil eines Dienstes der Informationsgesellschaft sind oder einen solchen Dienst darstellen, zumindest folgende Bedingungen erfüllen: a) Kommerzielle Kommunikationen müssen klar als solche zu erkennen sein; b) die natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag kommerzielle Kommunikationen erfolgen, muß klar identifizierbar sein; c) soweit Angebote zur Verkaufsförderung wie Preisnachlässe, Zugaben und Geschenke im Mitgliedstaat der Niederlassung des Diensteanbieters zulässig sind, müssen sie klar als solche erkennbar sein, und die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme müssen leicht zugänglich sein sowie klar und unzweideutig angegeben werden; d) soweit Preisausschreiben oder Gewinnspiele im Mitgliedstaat der Niederlassung des Diensteanbieters zulässig sind, müssen sie klar als solche erkennbar sein, und die Teilnahmebedingungen müssen leicht zugänglich sein sowie klar und unzweideutig angegeben werden. Art. 7 Nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation (1) Zusätzlich zu den sonstigen Anforderungen des Gemeinschaftsrechts stellen Mitgliedstaaten, die nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation mittels elektronischer Post zulassen, sicher, daß solche kommerziellen Kommunikationen eines in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieters bei Eingang beim Nutzer klar und unzweideutig als solche erkennbar sind. (2) Unbeschadet der Richtlinien 97/7/EG und 97/66/EG ergreifen die Mitgliedstaaten Maßnahmen um sicherzustellen, daß Diensteanbieter, die nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation durch elektronische Post übermitteln, regelmäßig sog. Robinson-Listen konsultieren, in die sich natürliche Personen eintragen können, die keine derartigen kommerziellen Kommunikationen zu erhalten wünschen, und daß die Diensteanbieter diese Listen beachten. Art. 8 Reglementierte Berufe (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß die Verwendung kommerzieller Kommunikationen, die Bestandteil eines von einem Angehörigen eines reglementierten Berufs angebotenen Dienstes der Informationsgesellschaft sind oder einen solchen Dienst darstellen, gestattet ist, soweit die berufsrechtlichen Regeln, insbesondere zur Wahrung von Unabhängigkeit, Würde und Ehre des Berufs, des Berufsgeheimnisses und eines lauteren Verhaltens gegenüber Kunden und Berufskollegen, eingehalten werden. (2) Unbeschadet der Autonomie von Berufsvereinigungen und -organisationen ermutigen die Mitgliedstaaten und die Kommission die Berufsvereinigungen 115

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und -organisationen dazu, Verhaltenskodizes auf Gemeinschaftsebene aufzustellen, um zu bestimmen, welche Arten von Informationen im Einklang mit den in Absatz 1 genannten Regeln zum Zwecke der kommerziellen Kommunikation erteilt werden können. (3) Bei der Ausarbeitung von Vorschlägen für Gemeinschaftsinitiativen, die erforderlich werden könnten, um das Funktionieren des Binnenmarktes im Hinblick auf die in Absatz 2 genannten Informationen zu gewährleisten, trägt die Kommission den auf Gemeinschaftsebene geltenden Verhaltenskodizes gebührend Rechnung und handelt in enger Zusammenarbeit mit den einschlägigen Berufsvereinigungen und -organisationen. (4) Diese Richtlinie findet zusätzlich zu den Gemeinschaftsrichtlinien betreffend den Zugang zu und die Ausübung von Tätigkeiten im Rahmen der reglementierten Berufe Anwendung.

Abschnitt 3 − Abschluß von Verträgen auf elektronischem Weg Art. 9 Behandlung von Verträgen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß ihr Rechtssystem den Abschluß von Verträgen auf elektronischem Wege ermöglicht. Die Mitgliedstaaten stellen insbesondere sicher, daß ihre für den Vertragsabschluß geltenden Rechtsvorschriften weder Hindernisse für die Verwendung elektronischer Verträge bilden noch dazu führen, daß diese Verträge aufgrund des Umstandes, daß sie auf elektronischem Wege zustande gekommen sind, keine rechtliche Wirksamkeit oder Gültigkeit haben. (2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß Absatz 1 auf alle oder bestimmte Verträge einer der folgenden Kategorien keine Anwendung findet: a) Verträge, die Rechte an Immobilien mit Ausnahme von Mietrechten begründen oder übertragen; b) Verträge, bei denen die Mitwirkung von Gerichten, Behörden oder öffentliche Befugnisse ausübenden Berufen gesetzlich vorgeschrieben ist; c) Bürgschaftsverträge und Verträge über Sicherheiten, die von Personen außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit eingegangen werden; d) Verträge im Bereich des Familienrechts oder des Erbrechts. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission mit, für welche der in Absatz 2 genannten Kategorien sie Absatz 1 nicht anwenden. Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission alle fünf Jahre einen Bericht über die Anwendung des Absatzes 2, aus dem hervorgeht, aus welchen Gründen es ihres Erachtens weiterhin gerechtfertigt ist, auf die unter Absatz 2 Buchstabe b) fallende Kategorie Absatz 1 nicht anzuwenden. 116

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Art. 10 Informationspflichten (1) Zusätzlich zu den sonstigen Informationspflichten aufgrund des Gemeinschaftsrechts stellen die Mitgliedstaaten sicher, daß — außer im Fall abweichender Vereinbarungen zwischen Parteien, die nicht Verbraucher sind — vom Diensteanbieter zumindest folgende Informationen klar, verständlich und unzweideutig erteilt werden, bevor des Nutzer des Dienstes die Bestellung abgibt: a) die einzelnen technischen Schritte, die zu einem Vertragsabschluß führen; b) Angaben dazu, ob der Vertragstext nach Vertragsabschluß vom Diensteanbieter gespeichert wird und ob er zugänglich sein wird; c) die technischen Mittel zur Erkennung und Korrektur von Eingabefehlern vor Abgabe der Bestellung; d) die für den Vertragsabschluß zur Verfügung stehenden Sprachen. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß — außer im Fall abweichender Vereinbarungen zwischen Parteien, die nicht Verbraucher sind — der Diensteanbieter alle einschlägigen Verhaltenskodizes angibt, denen er sich unterwirft, einschließlich Informationen darüber, wie diese Kodizes auf elektronischem Wege zugänglich sind. (3) Die Vertragsbestimmungen und die allgemeinen Geschäftsbedingungen müssen dem Nutzer so zur Verfügung gestellt werden, daß er sie speichern und reproduzieren kann. (4) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Verträge, die ausschließlich durch den Austausch von elektronischer Post oder durch damit vergleichbare individuelle Kommunikation geschlossen werden. Art. 11 Abgabe einer Bestellung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß — außer im Fall abweichender Vereinbarungen zwischen Parteien, die nicht Verbraucher sind — im Fall einer Bestellung durch einen Nutzer auf elektronischem Wege folgende Grundsätze gelten: — Der Diensteanbieter hat den Eingang der Bestellung des Nutzers unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen; — Bestellung und Empfangsbestätigung gelten als eingegangen, wenn die Parteien, für die sie bestimmt sind, sie abrufen können. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß — außer im Fall abweichender Vereinbarungen zwischen Parteien, die nicht Verbraucher sind — der Diensteanbieter dem Nutzer angemessene, wirksame und zugängliche technische Mittel zur Verfügung stellt, mit denen er Eingabefehler vor Abgabe der Bestellung erkennen und korrigieren kann. (3) Absatz 1 erster Gedankenstrich und Absatz 2 gelten nicht für Verträge, die ausschließlich durch den Austausch von elektronischer Post oder durch vergleichbare individuelle Kommunikation geschlossen werden. 117

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Abschnitt 4 − Verantwortlichkeit der Vermittler Art. 12–15 Verantwortlichkeitsbeschränkung bei reiner Durchleitung, Caching und Hosting — nicht abgedruckt.

Kapitel III − Umsetzung Art. 16 Verhaltenskodizes (1) Die Mitgliedstaaten und die Kommission ermutigen a) die Handels-, Berufs- und Verbraucherverbände und -organisationen, auf Gemeinschaftsebene Verhaltenkodizes aufzustellen, die zur sachgemäßen Anwendung der Artikel 5 bis 15 beitragen; b) zur freiwilligen Übermittlung der Entwürfe für Verhaltenskodizes auf der Ebene der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft an die Kommission; c) zur elektronischen Abrufbarkeit der Verhaltenskodizes in den Sprachen der Gemeinschaft; d) die Handels-, Berufs- und Verbraucherverbände und -organisationen, die Mitgliedstaaten und die Kommission darüber zu unterrichten, zu welchen Ergebnissen sie bei der Bewertung der Anwendung ihrer Verhaltenskodizes und von deren Auswirkungen auf die Praktiken und Gepflogenheiten des elektronischen Geschäftsverkehrs gelangen; e) zur Aufstellung von Verhaltenskodizes zum Zwecke des Jugendschutzes und des Schutzes der Menschenwürde. (2) Die Mitgliedstaaten und die Kommission ermutigen dazu, die Verbraucherverbände und -organisationen bei der Ausarbeitung und Anwendung von ihre Interessen berührenden Verhaltenskodizes im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a) zu beteiligen. Gegebenenfalls sind Vereinigungen zur Vertretung von Sehbehinderten und allgemein von Behinderten zu hören, um deren besonderen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Art. 17–19 Außergerichtliche Streitbeilegung, Klagemöglichkeiten und Zusammenarbeit bei der Aufsicht — nicht abgedruckt Art. 20 Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie anzuwenden sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um ihre Durchsetzung sicherzustellen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. 118

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Kapitel IV − Schlussbestimmungen Art. 21–24 Umsetzungsfrist, Adressaten, Überprüfung — nicht abgedruckt.

Anhang − Ausnahmen im Rahmen von Artikel 3 Bereiche gemäß Artikel 3 Absatz 3, auf die Artikel 3 Absätze 1 und 2 keine Anwendung findet: — Urheberrecht, verwandte Schutzrechte, Rechte im Sinne der Richtlinie 87/ 54/EWG30 und der Richtlinie 96/9/EG31 sowie gewerbliche Schutzrechte; — Ausgabe elektronischen Geldes durch Institute, auf die die Mitgliedstaaten eine der in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 2000/46/EG32 vorgesehenen Ausnahmen angewendet haben; — Artikel 44 Absatz 2 der Richtlinie 85/611/EWG33; — Artikel 30 und Titel IV der Richtlinie 92/49/EWG,34 Titel IV der Richtlinie 92/96/EWG35 sowie die Artikel 7 und 8 der Richtlinie 88/357/EWG36 und Artikel 4 der Richtlinie 90/619/EWG37; — Freiheit der Rechtswahl für Vertragsparteien; — vertragliche Schuldverhältnisse in bezug auf Verbraucherverträge; — formale Gültigkeit von Verträgen, die Rechte an Immobilien begründen oder übertragen, sofern diese Verträge nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem sich die Immobilie befindet, zwingenden Formvorschriften unterliegen; — Zulässigkeit nicht angeforderter kommerzieller Kommunikation mittels elektronischer Post.

30 ABl. L 24 vom 27. 1. 1987, S. 36. 31 ABl. L 77 vom 27. 3. 1996, S. 20. 32 [ABl. L 275 vom 27. 10. 2000, S. 39.] 33 ABl. L 375 vom 31. 12. 1985, S. 3. [Ersetzt durch Richtlinie 2009/65/EG (ABl. L 302 vom 17. 11. 2009, S. 32).] 34 ABl. L 228 vom 11. 8. 1992, S. 1. [Zum 31. 10. 2012 ersetzt durch Richtlinie 2009/138/EG (ABl. L 335 vom 17. 12. 2009, S. 1).] 35 ABl. L 360 vom 9. 12. 1992, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 95/26/EG. 36 ABl. L 172 vom 4. 7. 1988, S. 1. [Zum 31. 10. 2012 ersetzt durch Richtlinie 2009/138/EG (ABl. L 335 vom 17. 12. 2009, S. 1).] 37 ABl. L 330 vom 29. 11. 1990, S. 50. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 92/96/ EG.

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2.4 Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Vertrag) * 2004/113 DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 13 Absatz 1, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments,2 nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen,3 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,4 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Nach Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union beruht die Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind den Mitgliedstaaten gemeinsam; sie achtet ferner die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. (2) Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und der Schutz vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht; dieses Recht wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, im Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte, im Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkannt, die von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet wurden. (3) Durch das Diskriminierungsverbot dürfen andere Grundrechte und Freiheiten nicht beeinträchtigt werden; hierzu gehören der Schutz des Privat- und Familienlebens und der in diesem Kontext stattfindenden Transaktionen sowie die Religionsfreiheit. (4) Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist ein grundlegendes Prinzip der Europäischen Union. Nach Artikel 21 und 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union5 ist jegliche Diskriminierung wegen des Geschlechts verboten und muss die Gleichheit von Männern und Frauen in allen Bereichen gewährleistet werden.

* Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. 2004 L 373/37. 1 [KOM(2003) 657 endg.] 2 [ABl. C 103E vom 29. 4. 2004, S. 36.] 3 ABl. C 121 vom 30. 4. 2004, S. 27. 4 ABl. C 241 vom 28. 9. 2004, S. 44. 5 [Grundrechte-Charta, in dieser Sammlung Nr. 1.3.] https://doi.org/10.1515/9783110667776-007

Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Vertrag) 2004/113

2.4

(5) Gemäß Artikel 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen eine der Hauptaufgaben der Gemeinschaft. Außerdem muss die Gemeinschaft gemäß Artikel 3 Absatz 2 des Vertrags bei all ihren Tätigkeiten darauf hinwirken, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. (6) In ihrer Mitteilung zur sozialpolitischen Agenda hat die Kommission ihre Absicht angekündigt, eine Richtlinie zur Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorzulegen, die über den Bereich des Arbeitsmarktes hinausgeht. Dieser Vorschlag steht in vollem Einklang mit der Entscheidung 2001/51/EG des Rates vom 20. Dezember 2000 über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft betreffend die Gemeinschaftsstrategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2001–2005),6 die sämtliche Gemeinschaftspolitiken umfasst und darauf abzielt, die Gleichstellung von Männern und Frauen durch eine Anpassung dieser Politiken und durch konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Stellung von Männern und Frauen in der Gesellschaft zu fördern. (7) Auf seiner Tagung in Nizza am 7. und 9. Dezember 2000 hat der Europäische Rat die Kommission aufgefordert, die Gleichstellungsrechte durch Verabschiedung einer Richtlinie zur Förderung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in anderen Bereichen als der Beschäftigung und dem Erwerbsleben zu stärken. (8) Die Gemeinschaft hat eine Reihe von Rechtsinstrumenten zur Verhütung und Bekämpfung geschlechtsbedingter Diskriminierungen am Arbeitsmarkt verabschiedet. Diese Instrumente haben den Nutzen von Rechtsvorschriften im Kampf gegen Diskriminierung deutlich gemacht. (9) Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, einschließlich Belästigungen und sexuellen Belästigungen, gibt es auch in Bereichen außerhalb des Arbeitsmarktes. Solche Diskriminierungen können dieselben negativen Auswirkungen haben und ein Hindernis für eine vollständige, erfolgreiche Eingliederung von Männern und Frauen in das wirtschaftliche und soziale Leben darstellen. (10) Besonders augenfällig sind die Probleme im Bereich des Zugangs zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Daher sollte dafür gesorgt werden, dass Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts in diesem Bereich verhindert bzw. beseitigt werden. Wie dies bei der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft 7 der Fall war, kann dieses Ziel im Wege gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften besser erreicht werden. (11) Diese Rechtsvorschriften sollten die Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen verhindern. Unter Gütern sollten Güter im Sinne der den freien Warenverkehr betreffenden Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft verstanden werden. Unter Dienstleistungen sollten Dienstleistungen im Sinne des Artikels 50 dieses Vertrags verstanden werden. (12) Um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts zu verhindern, sollte diese Richtlinie sowohl für unmittelbare als auch für mittelbare Diskriminierungen gelten. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt nur dann vor, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts

6 ABl. L 17 vom 19. 1. 2001, S. 22. 7 ABl. L 180 vom 19. 7. 2000, S. 22 [Rassendiskriminierungs-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.5].

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in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt. Somit liegt beispielsweise bei auf körperliche Unterschiede bei Mann und Frau zurückzuführenden unterschiedlichen Gesundheitsdienstleistungen für Männer und Frauen keine Diskriminierung vor, weil es sich nicht um vergleichbare Situationen handelt. Das Diskriminierungsverbot sollte für Personen gelten, die Güter und Dienstleistungen liefern bzw. erbringen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und die außerhalb des Bereichs des Privat- und Familienlebens und der in diesem Kontext stattfindenden Transaktionen angeboten werden. Nicht gelten sollte es dagegen für Medien- und Werbeinhalte sowie für das staatliche oder private Bildungswesen. Für jede Person gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit, der die freie Wahl des Vertragspartners für eine Transaktion einschließt. Eine Person, die Güter oder Dienstleistungen bereitstellt, kann eine Reihe von subjektiven Gründen für die Auswahl eines Vertragspartners haben. Diese Richtlinie sollte die freie Wahl des Vertragspartners durch eine Person solange nicht berühren, wie die Wahl des Vertragspartners nicht von dessen Geschlecht abhängig gemacht wird. Es bestehen bereits zahlreiche Rechtsinstrumente zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich Beschäftigung und Beruf. Diese Richtlinie sollte deshalb nicht für diesen Bereich gelten. Das Gleiche gilt für selbstständige Tätigkeiten, wenn sie von bestehenden Rechtsvorschriften erfasst werden. Diese Richtlinie sollte nur für private, freiwillige und von Beschäftigungsverhältnissen unabhängige Versicherungen und Rentensysteme gelten. Eine unterschiedliche Behandlung kann nur dann zulässig sein, wenn sie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Ein legitimes Ziel kann beispielsweise sein: der Schutz von Opfern sexueller Gewalt (wie die Einrichtung einer Zufluchtsstätte für Personen gleichen Geschlechts), der Schutz der Privatsphäre und des sittlichen Empfindens (wie etwa bei der Vermietung von Wohnraum durch den Eigentümer in der Wohnstätte, in der er selbst wohnt), die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter oder der Interessen von Männern und Frauen (wie ehrenamtliche Einrichtungen, die nur den Angehörigen eines Geschlechts zugänglich sind), die Vereinsfreiheit (Mitgliedschaft in privaten Klubs die nur den Angehörigen eines Geschlechts zugänglich sind) und die Organisation sportlicher Tätigkeiten (z. B. Sportveranstaltungen, zu denen ausschließlich die Angehörigen eines Geschlechts zugelassen sind). Beschränkungen sollten jedoch im Einklang mit den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften festgelegten Kriterien angemessen und erforderlich sein. Der Grundsatz der Gleichbehandlung beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen bedeutet nicht, dass Einrichtungen Männern und Frauen in jedem Fall zur gemeinsamen Nutzung bereitgestellt werden müssen, sofern dabei nicht Angehörige des einen Geschlechts besser gestellt sind als die des anderen. Die Anwendung geschlechtsspezifischer versicherungsmathematischer Faktoren ist im Bereich des Versicherungswesens und anderer verwandter Finanzdienstleistungen weit verbreitet. Zur Gewährleistung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen sollte die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer versicherungsmathematischer Faktoren nicht zu Unterschieden bei den Prämien und Leistungen führen. Damit es nicht zu einer abrupten Umstellung des Marktes kommen muss, sollte die Anwendung dieser Regel nur für neue Verträge gelten, die nach dem Zeitpunkt der Umsetzung dieser Richtlinie abgeschlossen werden. Bestimmte Risikokategorien können bei Männern und Frauen unterschiedlich sein. In einigen Fällen ist das Geschlecht ein bestimmender Faktor bei der Beurteilung der versi-

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cherten Risiken, wenn auch nicht unbedingt der Einzige. Bei Verträgen, mit denen diese Arten von Risiken versichert werden, können die Mitgliedstaaten entscheiden, Ausnahmen von der Regel geschlechtsneutraler Prämien und Leistungen zuzulassen, sofern sie sicherstellen können, dass die zugrunde liegenden versicherungsmathematischen und statistischen Daten, auf die sich die Berechnungen stützen, verlässlich sind, regelmäßig aktualisiert werden und der Öffentlichkeit zugänglich sind. Ausnahmen sind nur dann zulässig, wenn das betreffende nationale Recht die Regel der Geschlechtsneutralität bisher noch nicht vorsah. Fünf Jahre nach der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten prüfen, inwieweit diese Ausnahmen noch gerechtfertigt sind, wobei die neuesten versicherungsmathematischen und statistischen Daten sowie ein Bericht, den die Kommission drei Jahre nach der Umsetzung dieser Richtlinie vorlegen wird, zu berücksichtigen sind. Eine Schlechterstellung von Frauen aufgrund von Schwangerschaft oder Mutterschaft sollte als eine Form der direkten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angesehen und daher im Bereich der Versicherungsdienstleistungen und der damit zusammenhängenden Finanzdienstleistungen unzulässig sein. Mit den Risiken der Schwangerschaft und der Mutterschaft verbundene Kosten sollten daher nicht den Angehörigen eines einzigen Geschlechts zugeordnet werden. Opfer von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts sollten über einen angemessenen Rechtsschutz verfügen. Um einen effektiveren Schutz zu gewährleisten, sollten Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen bei einem entsprechenden Beschluss der Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit haben, sich unbeschadet der nationalen Verfahrensregeln bezüglich der Vertretung und Verteidigung vor Gericht im Namen eines Opfers oder zu seiner Unterstützung an einem Verfahren zu beteiligen. Die Beweislastregeln sollten für die Fälle, in denen der Anschein einer Diskriminierung besteht und zur wirksamen Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, angepasst werden; die Beweislast sollte wieder auf die beklagte Partei verlagert werden, wenn eine solche Diskriminierung nachgewiesen ist. Voraussetzung für eine effektive Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ist ein angemessener gerichtlicher Schutz vor Viktimisierung. Die Mitgliedstaaten sollten zur Förderung des Grundsatzes der Gleichbehandlung den Dialog zwischen den einschlägigen Interessengruppen unterstützen, die im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ein rechtmäßiges Interesse daran haben, sich an der Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts im Bereich des Zugangs zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zu beteiligen. Der Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sollte verstärkt werden, indem in jedem Mitgliedstaat eine oder mehrere Stellen vorgesehen werden, die für die Analyse der mit Diskriminierungen verbundenen Probleme, die Prüfung möglicher Lösungen und die Bereitstellung konkreter Hilfsangebote für die Opfer zuständig wäre. Bei diesen Stellen kann es sich um dieselben Stellen handeln, die auf nationaler Ebene die Aufgabe haben, für den Schutz der Menschenrechte, für die Wahrung der Rechte des Einzelnen oder für die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung einzutreten. In dieser Richtlinie werden Mindestanforderungen festgelegt; den Mitgliedstaaten steht es somit frei, günstigere Vorschriften einzuführen oder beizubehalten. Die Umsetzung dieser Richtlinie sollte nicht der Rechtfertigung einer Absenkung des in den Mitgliedstaaten bereits bestehenden Schutzniveaus dienen.

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(27) Die Mitgliedstaaten sollten für die Verletzung der aus dieser Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorsehen. (28) Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Gewährleistung eines einheitlichen, hohen Niveaus des Schutzes vor Diskriminierung in allen Mitgliedstaaten, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und sich daher wegen des Umfangs und der Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. (29) Zur Pflicht der Mitgliedstaaten zur tabellarischen Darstellung — nicht abgedruckt. — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Zweck Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines Rahmens für die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Diskriminierungen beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zur Umsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in den Mitgliedstaaten. Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) unmittelbare Diskriminierung: wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde; b) mittelbare Diskriminierung: wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich; c) Belästigung: wenn unerwünschte geschlechtsbezogene Verhaltensweisen gegenüber einer Person erfolgen, die bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird; d) sexuelle Belästigung: jede Form von unerwünschtem Verhalten sexueller Natur, das sich in verbaler, nichtverbaler oder physischer Form äußert und das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Er124

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niedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Art. 3 Geltungsbereich (1) Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen, die Güter und Dienstleistungen bereitstellen, die der Öffentlichkeit ohne Ansehen der Person zur Verfügung stehen, und zwar in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, und die außerhalb des Bereichs des Privat- und Familienlebens und der in diesem Kontext stattfindenden Transaktionen angeboten werden. (2) Diese Richtlinie berührt nicht die freie Wahl des Vertragspartners durch eine Person, solange diese ihre Wahl nicht vom Geschlecht des Vertragspartners abhängig macht. (3) Diese Richtlinie gilt weder für den Inhalt von Medien und Werbung noch im Bereich der Bildung. (4) Diese Richtlinie gilt nicht im Bereich Beschäftigung und Beruf. Diese Richtlinie gilt nicht für selbstständige Tätigkeiten, soweit diese von anderen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft erfasst werden. Art. 4 Grundsatz der Gleichbehandlung (1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, a) dass keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, auch keine Schlechterstellung von Frauen aufgrund von Schwangerschaft oder Mutterschaft, erfolgen darf; b) dass keine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfolgen darf. (2) Diese Richtlinie gilt unbeschadet günstigerer Bestimmungen zum Schutz der Frauen in Bezug auf Schwangerschaft oder Mutterschaft. (3) Belästigung und sexuelle Belästigung im Sinne dieser Richtlinie gelten als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und sind daher verboten. Die Zurückweisung oder Duldung solcher Verhaltensweisen durch die betreffende Person darf nicht als Grundlage für eine Entscheidung herangezogen werden, die diese Person berührt. (4) Eine Anweisung zur unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gilt als Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinie. (5) Diese Richtlinie schließt eine unterschiedliche Behandlung nicht aus, wenn es durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist, die Güter und Dienstleistungen ausschließlich oder vorwiegend für die Angehörigen eines Geschlechts bereitzustellen, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. 125

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Art. 5 Versicherungsmathematische Faktoren (1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass spätestens bei den nach dem 21. Dezember 2007 neu abgeschlossenen Verträgen die Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei der Berechnung von Prämien und Leistungen im Bereich des Versicherungswesens und verwandter Finanzdienstleistungen nicht zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen führt. (2) Unbeschadet des Absatzes 1 können die Mitgliedstaaten vor dem 21. Dezember 2007 beschließen, proportionale Unterschiede bei den Prämien und Leistungen dann zuzulassen, wenn die Berücksichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Die betreffenden Mitgliedstaaten informieren die Kommission und stellen sicher, dass genaue Daten in Bezug auf die Berücksichtigung des Geschlechts als bestimmender versicherungsmathematischer Faktor erhoben, veröffentlicht und regelmäßig aktualisiert werden. Diese Mitgliedstaaten überprüfen ihre Entscheidung fünf Jahre nach dem 21. Dezember 2007, wobei sie dem in Artikel 16 genannten Bericht der Kommission Rechnung tragen, und übermitteln der Kommission die Ergebnisse dieser Überprüfung. (3) Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen führen. Die Mitgliedstaaten können die Durchführung der aufgrund dieses Absatzes erforderlichen Maßnahmen bis spätestens zwei Jahre nach dem 21. Dezember 2007 aufschieben. In diesem Fall unterrichten die betreffenden Mitgliedstaaten unverzüglich die Kommission. Art. 6 Positive Maßnahmen Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen in der Praxis spezifische Maßnahmen, mit denen geschlechtsspezifische Benachteiligungen verhindert oder ausgeglichen werden, beizubehalten oder zu beschließen. Art. 7 Mindestanforderungen (1) Die Mitgliedstaaten können Vorschriften einführen oder beibehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen günstiger sind, als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vorschriften. (2) Die Umsetzung dieser Richtlinie darf keinesfalls der Rechtfertigung einer Absenkung des von den Mitgliedstaaten bereits garantierten Schutzniveaus in Bezug auf Diskriminierungen in den von der Richtlinie erfassten Bereichen dienen. 126

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Kapitel II − Rechtsbehelfe und Rechtsdurchsetzung Art. 8 Rechtsschutz (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche aus dieser Richtlinie auf dem Gerichts- und/oder Verwaltungsweg sowie, wenn die Mitgliedstaaten es für angezeigt halten, in Schlichtungsverfahren geltend machen können, selbst wenn das Verhältnis, während dessen die Diskriminierung vorgekommen sein soll, bereits beendet ist. (2) Die Mitgliedstaaten treffen im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der einer Person durch eine Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinie entstandene Schaden gemäß den von den Mitgliedstaaten festzulegenden Modalitäten tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschehen muss. Die vorherige Festlegung einer Höchstgrenze schränkt diese Ausgleichs- oder Ersatzpflicht nicht ein. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die gemäß den in ihrem nationalen Recht festgelegten Kriterien ein rechtmäßiges Interesse daran haben, für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu sorgen, sich im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung und mit deren Einwilligung an den zur Durchsetzung der Ansprüche aus dieser Richtlinie vorgesehenen Gerichts- und/oder Verwaltungsverfahren beteiligen können. (4) Die Absätze 1 und 3 lassen nationale Regelungen über Fristen für die Rechtsverfolgung in Fällen, in denen es um den Grundsatz der Gleichbehandlung geht, unberührt. Art. 9 Beweislast (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit ihrem nationalen Gerichtswesen die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass immer dann, wenn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in ihren Rechten für verletzt halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vorgelegen hat. (2) Absatz 1 lässt das Recht der Mitgliedstaaten, eine für die Kläger günstigere Beweislastregelung vorzusehen, unberührt. (3) Absatz 1 gilt nicht für Strafverfahren. (4) Die Absätze 1, 2 und 3 gelten auch für Verfahren gemäß Artikel 8 Absatz 3. 127

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(5) Die Mitgliedstaaten können davon absehen, Absatz 1 auf Verfahren anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder anderen zuständigen Behörde obliegt. Art. 10 Viktimisierung Die Mitgliedstaaten treffen im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung die erforderlichen Maßnahmen, um den Einzelnen vor Benachteiligungen zu schützen, die als Reaktion auf eine Beschwerde oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung erfolgen. Art. 11 Dialog mit einschlägigen Interessengruppen Zur Förderung des Grundsatzes der Gleichbehandlung unterstützen die Mitgliedstaaten den Dialog mit den einschlägigen Interessengruppen, die gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ein rechtmäßiges Interesse daran haben, sich an der Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts im Bereich des Zugangs zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zu beteiligen.

Kapitel III − Mit der Förderung der Gleichbehandlung befasste Stellen Art. 12 Mit der Förderung der Gleichbehandlung befasste Stellen (1) Jeder Mitgliedstaat bezeichnet eine oder mehrere Stellen, deren Aufgabe darin besteht, die Verwirklichung der Gleichbehandlung aller Personen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu fördern, zu analysieren, zu beobachten und zu unterstützen und trifft die erforderlichen Vorkehrungen. Diese Stellen können Teil von Einrichtungen sein, die auf nationaler Ebene die Aufgabe haben, für den Schutz der Menschenrechte, für die Wahrung der Rechte des Einzelnen oder für die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung einzutreten. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es zu den Zuständigkeiten der in Absatz 1 genannten Stellen gehört, a) unbeschadet der Rechte der Opfer und der Verbände, der Organisationen oder anderer juristischer Personen nach Artikel 8 Absatz 3 die Opfer von Diskriminierungen auf unabhängige Weise dabei zu unterstützen, ihrer Beschwerde wegen Diskriminierung nachzugehen; b) unabhängige Untersuchungen zum Thema Diskriminierung durchzuführen; c) unabhängige Berichte zu veröffentlichen und Empfehlungen zu allen Aspekten vorzulegen, die mit diesen Diskriminierungen in Zusammenhang stehen. 128

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2.4

Kapitel IV − Schlussbestimmungen Art. 13 Einhaltung Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen im Rahmen des Geltungsbereichs dieser Richtlinie beachtet wird; insbesondere ist sicherzustellen, dass a) Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung zuwiderlaufen, aufgehoben werden; b) vertragliche Bestimmungen, Betriebsordnungen, Statuten von Vereinigungen mit oder ohne Erwerbszweck, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung zuwiderlaufen, für nichtig erklärt werden oder erklärt werden können oder geändert werden. Art. 14 Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die nationalen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um deren Durchsetzung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Bestimmungen bis spätestens zum 21. Dezember 2007 mit und melden alle sie betreffenden Änderungen unverzüglich. Art. 15 Unterrichtung Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die gemäß dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen sowie die bereits geltenden einschlägigen Vorschriften allen Betroffenen in geeigneter Form in ihrem gesamten Hoheitsgebiet bekannt gemacht werden. Art. 16–19 Berichte, Umsetzung, Inkrafttreten und Adressaten — nicht abgedruckt.

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2.5 Rassendiskriminierungs-RL 2000/43

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DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 13, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments,2 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,3 nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen,4 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Der Vertrag über die Europäische Union markiert den Beginn einer neuen Etappe im Prozeß des immer engeren Zusammenwachsens der Völker Europas. (2) Nach Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union5 beruht die Europäische Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind den Mitgliedstaaten gemeinsam. Nach Artikel 6 EU-Vertrag sollte die Union ferner die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben, achten. (3) Die Gleichheit vor dem Gesetz und der Schutz aller Menschen vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht. Dieses Recht wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im VN-Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, im Internationalen Pakt der VN über bürgerliche und politische Rechte sowie im Internationalen Pakt der VN über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten anerkannt, die von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet wurden. (4) Es ist wichtig, daß diese Grundrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Vereinigungsfreiheit, geachtet werden. Ferner ist es wichtig, daß im Zusammenhang mit dem Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen der Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens sowie der in diesem Kontext getätigten Geschäfte gewahrt bleibt. (5) Das Europäische Parlament hat eine Reihe von Entschließungen zur Bekämpfung des Rassismus in der Europäischen Union angenommen. (6) Die Europäische Union weist Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener

* Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. 2000 L 180/22. 1 [ABl. C 116 E vom 26. 4. 2000, S. 56.] 2 [ABl. C 59 vom 23. 2. 2001, S. 276.] 3 [ABl. C 204 vom 18. 7. 2000, S. 82.] 4 Stellungnahme vom 31. 5. 2000. 5 [Ersetzt durch EU-Vertrag (aktuelle Fassung), in dieser Sammlung Nr. 1.1.] https://doi.org/10.1515/9783110667776-008

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menschlicher Rassen zu belegen, zurück. Die Verwendung des Begriffs „Rasse“ in dieser Richtlinie impliziert nicht die Akzeptanz solcher Theorien. Auf seiner Tagung in Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999 ersuchte der Europäische Rat die Kommission, so bald wie möglich Vorschläge zur Durchführung des Artikels 13 EG-Vertrag6 im Hinblick auf die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorzulegen. In den vom Europäischen Rat auf seiner Tagung vom 10. und 11. Dezember 1999 in Helsinki vereinbarten beschäftigungspolitischen Leitlinien für das Jahr 2000 wird die Notwendigkeit unterstrichen, günstigere Bedingungen für die Entstehung eines Arbeitsmarktes zu schaffen, der soziale Integration fördert; dies soll durch ein Bündel aufeinander abgestimmter Maßnahmen geschehen, die darauf abstellen, Diskriminierungen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, wie ethnischer Minderheiten, zu bekämpfen. Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft können die Verwirklichung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt sowie die Solidarität. Ferner kann das Ziel der Weiterentwicklung der Europäischen Union zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beeinträchtigt werden. Die Kommission legte im Dezember 1995 eine Mitteilung über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus7 vor. Der Rat hat am 15. Juli 1996 die Gemeinsame Maßnahme 96/443/JI zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit 8 angenommen, mit der sich die Mitgliedstaaten verpflichten, eine wirksame justitielle Zusammenarbeit bei Vergehen, die auf rassistischen oder fremdenfeindlichen Verhaltensweisen beruhen, zu gewährleisten. Um die Entwicklung demokratischer und toleranter Gesellschaften zu gewährleisten, die allen Menschen — ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft — eine Teilhabe ermöglichen, sollten spezifische Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft über die Gewährleistung des Zugangs zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit hinausgehen und auch Aspekte wie Bildung, Sozialschutz, einschließlich sozialer Sicherheit und der Gesundheitsdienste, soziale Vergünstigungen, Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, mit abdecken. Daher sollte jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen gemeinschaftsweit untersagt werden. Dieses Diskriminierungsverbot sollte auch hinsichtlich Drittstaatsangehörigen angewandt werden, betrifft jedoch keine Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit und läßt die Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen und ihren Zugang zu Beschäftigung und Beruf unberührt. Bei der Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ohne Ansehen der Rasse oder der ethnischen Herkunft sollte die Gemeinschaft im Einklang mit Artikel 3 Absatz 2 EG-

6 [Ersetzt durch EU-Arbeitsweisevertrag, in dieser Sammlung Nr. 1.2.] 7 [KOM(95) 653 endg.] 8 ABl. L 185 vom 24. 7. 1996, S. 5.

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Vertrag bemüht sein, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern, zumal Frauen häufig Opfer mehrfacher Diskriminierungen sind. Die Beurteilung von Tatbeständen, die auf eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung schließen lassen, obliegt den einzelstaatlichen gerichtlichen Instanzen oder anderen zuständigen Stellen nach den nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten. In diesen einzelstaatlichen Vorschriften kann insbesondere vorgesehen sein, daß mittelbare Diskriminierung mit allen Mitteln, einschließlich statistischer Beweise, festzustellen ist. Es ist wichtig, alle natürlichen Personen gegen Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft zu schützen. Die Mitgliedstaaten sollten auch, soweit es angemessen ist und im Einklang mit ihren nationalen Gepflogenheiten und Verfahren steht, den Schutz juristischer Personen vorsehen, wenn diese aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft ihrer Mitglieder Diskriminierungen erleiden. Das Diskriminierungsverbot sollte nicht der Beibehaltung oder dem Erlaß von Maßnahmen entgegenstehen, mit denen bezweckt wird, Benachteiligungen von Angehörigen einer bestimmten Rasse oder ethnischen Gruppe zu verhindern oder auszugleichen, und diese Maßnahmen können Organisation von Personen einer bestimmten Rasse oder ethnischen Herkunft gestatten, wenn deren Zweck hauptsächlich darin besteht, für die besonderen Bedürfnisse dieser Personen einzutreten. Unter sehr begrenzten Bedingungen kann eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt sein, wenn ein Merkmal, das mit der Rasse oder ethnischen Herkunft zusammenhängt, eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen legitimen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Diese Bedingungen sollten in die Informationen aufgenommen werden, die die Mitgliedstaaten der Kommission übermitteln. Opfer von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft sollten über einen angemessenen Rechtsschutz verfügen. Um einen effektiveren Schutz zu gewährleisten, sollte auch die Möglichkeit bestehen, daß sich Verbände oder andere juristische Personen unbeschadet der nationalen Verfahrensordnung bezüglich der Vertretung und Verteidigung vor Gericht bei einem entsprechenden Beschluß der Mitgliedstaaten im Namen eines Opfers oder zu seiner Unterstützung an einem Verfahren beteiligen. Voraussetzungen für eine effektive Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes sind ein angemessener Schutz vor Viktimisierung. Eine Änderung der Regeln für die Beweislastverteilung ist geboten, wenn ein glaubhafter Anschein einer Diskriminierung besteht. Zur wirksamen Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist eine Verlagerung der Beweislast auf die beklagte Partei erforderlich, wenn eine solche Diskriminierung nachgewiesen ist. Die Mitgliedstaaten können davon absehen, die Regeln für die Beweislastverteilung auf Verfahren anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder der zuständigen Stelle obliegt. Dies betrifft Verfahren, in denen die klagende Partei den Beweis des Sachverhalts, dessen Ermittlung dem Gericht oder der zuständigen Stelle obliegt, nicht anzutreten braucht. Die Mitgliedstaaten sollten den Dialog zwischen den Sozialpartnern und mit Nichtregierungsorganisationen fördern, mit dem Ziel, gegen die verschiedenen Formen von Diskriminierung anzugehen und diese zu bekämpfen. Der Schutz vor Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft würde verstärkt, wenn es in jedem Mitgliedstaat eine Stelle bzw. Stellen gäbe, die für die Analyse der mit Diskriminierungen verbundenen Probleme, die Prüfung möglicher Lösungen und die Bereitstellung konkreter Hilfsangebote an die Opfer zuständig wäre.

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2.5

(25) In dieser Richtlinie werden Mindestanforderungen festgelegt; den Mitgliedstaaten steht es somit frei, günstigere Vorschriften beizubehalten oder einzuführen. Die Umsetzung der Richtlinie darf nicht als Rechtfertigung für eine Absenkung des in den Mitgliedstaaten bereits bestehenden Schutzniveaus benutzt werden. (26) Die Mitgliedstaaten sollten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für den Fall vorsehen, daß gegen die aus der Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen verstoßen wird. (27) Die Mitgliedstaaten können den Sozialpartnern auf deren gemeinsamen Antrag die Durchführung der Bestimmungen dieser Richtlinie übertragen, die in den Anwendungsbereich von Tarifverträgen fallen, sofern sie alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, daß die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden. (28) Entsprechend dem in Artikel 5 EG-Vertrag niedergelegten Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip kann das Ziel dieser Richtlinie, nämlich ein einheitliches, hohes Niveau des Schutzes vor Diskriminierungen in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden; es kann daher wegen des Umfangs und der Wirkung der vorgeschlagenen Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden. Diese Richtlinie geht nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Zweck Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten. Art. 2 Der Begriff „Diskriminierung“ (1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet „Gleichbehandlungsgrundsatz“, daß es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft geben darf. (2) Im Sinne von Absatz 1 a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person aufgrund ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde; b) liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. 133

2.5

Rassendiskriminierungs-RL 2000/43

(3) Unerwünschte Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit der Rasse oder der ethnischen Herkunft einer Person stehen und bezwecken oder bewirken, daß die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird, sind Belästigungen, die als Diskriminierung im Sinne von Absatz 1 gelten. In diesem Zusammenhang können die Mitgliedstaaten den Begriff „Belästigung“ im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten definieren. (4) Die Anweisung zur Diskriminierung einer Person aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft gilt als Diskriminierung im Sinne von Absatz 1. Art. 3 Geltungsbereich (1) Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in bezug auf: a) die Bedingungen — einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen — für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg; b) den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung einschließlich der praktischen Berufserfahrung; c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich Entlassungsbedingungen und Arbeitsentgelt; d) die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation oder einer Organisation, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Innanspruchnahme der Leistungen solcher Organisationen; e) den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste; f) die sozialen Vergünstigungen; g) die Bildung; h) den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum. (2) Diese Richtlinie betrifft nicht unterschiedliche Behandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit und berührt nicht die Vorschriften und Bedingungen für die Einreise von Staatsangehörigen dritter Staaten oder staatenlosen Personen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder deren Aufenthalt in diesem Hoheitsgebiet sowie eine Behandlung, die sich aus der Rechtsstellung von Staatsangehörigen dritter Staaten oder staatenlosen Personen ergibt. 134

Rassendiskriminierungs-RL 2000/43

2.5

Art. 4 Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß eine Ungleichbehandlung aufgrund eines mit der Rasse oder der ethnischen Herkunft zusammenhängenden Merkmals keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt und sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Art. 5 Positive Maßnahmen Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der vollen Gleichstellung in der Praxis spezifische Maßnahmen, mit denen Benachteiligungen aufgrund der Rasse oder ethnischen Herkunft verhindert oder ausgeglichen werden, beizubehalten oder zu beschließen. Art. 6 Mindestanforderungen (1) Es bleibt den Mitgliedstaaten unbenommen, Vorschriften einzuführen oder beizubehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vorschriften sind. (2) Die Umsetzung dieser Richtlinie darf keinesfalls als Rechtfertigung für eine Absenkung des von den Mitgliedstaaten bereits garantierten Schutzniveaus in bezug auf Diskriminierungen in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen benutzt werden.

Kapitel II − Rechtsbehelfe und Rechtsdurchsetzung Art. 7 Rechtsschutz (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche aus dieser Richtlinie auf dem Gerichts- und/oder Verwaltungsweg sowie, wenn die Mitgliedstaaten es für angezeigt halten, in Schlichtungsverfahren geltend machen können, selbst wenn das Verhältnis, während dessen die Diskriminierung vorgekommen sein soll, bereits beendet ist. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die gemäß den in ihrem einzelstaatlichen Recht festgelegten Kriterien ein rechtmäßiges Interesse daran haben, für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu sorgen, sich entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung und mit deren Einwilligung an den in dieser Richtlinie zur Durchsetzung der Ansprüche vorgesehenen Gerichts- und/oder Verwaltungsverfahren beteiligen können. 135

2.5

Rassendiskriminierungs-RL 2000/43

(3) Die Absätze 1 und 2 lassen einzelstaatliche Regelungen über Fristen für die Rechtsverfolgung betreffend den Gleichbehandlungsgrundsatz unberührt. Art. 8 Beweislast (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit ihrem nationalen Gerichtswesen die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, daß immer dann, wenn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, daß keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. (2) Absatz 1 läßt das Recht der Mitgliedstaaten, eine für den Kläger günstigere Beweislastregelung vorzusehen, unberührt. (3) Absatz 1 gilt nicht für Strafverfahren. (4) Die Absätze 1, 2 und 3 gelten auch für Verfahren gemäß Artikel 7 Absatz 2. (5) Die Mitgliedstaaten können davon absehen, Absatz 1 auf Verfahren anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder der zuständigen Stelle obliegt. Art. 9 Viktimisierung Die Mitgliedstaaten treffen im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung die erforderlichen Maßnahmen, um den einzelnen vor Benachteiligungen zu schützen, die als Reaktion auf eine Beschwerde oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfolgen. Art. 10 Unterrichtung Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, daß die gemäß dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen sowie die bereits geltenden einschlägigen Vorschriften allen Betroffenen in geeigneter Form in ihrem Hoheitsgebiet bekanntgemacht werden. Art. 11 Sozialer Dialog (1) Die Mitgliedstaaten treffen im Einklang mit den nationalen Gepflogenheiten und Verfahren geeignete Maßnahmen zur Förderung des sozialen Dialogs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, mit dem Ziel, die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch Überwachung der betrieblichen Praxis, durch Tarifverträge, Verhaltenskodizes, Forschungsarbeiten oder durch einen Austausch von Erfahrungen und bewährten Lösungen voranzubringen. (2) Soweit vereinbar mit den nationalen Gepflogenheiten und Verfahren, fordern die Mitgliedstaaten Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne Eingriff in deren Autonomie auf, auf geeigneter Ebene Antidiskriminierungsvereinbarungen zu 136

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2.5

schließen, die die in Artikel 3 genannten Bereiche betreffen, soweit diese in den Verantwortungsbereich der Tarifparteien fallen. Die Vereinbarungen müssen den in dieser Richtlinie festgelegten Mindestanforderungen sowie den einschlägigen nationalen Durchführungsbestimmungen entsprechen. Art. 12 Dialog mit Nichtregierungsorganisationen Die Mitgliedstaaten fördern den Dialog mit geeigneten Nichtregierungsorganisationen, die gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ein rechtmäßiges Interesse daran haben, sich an der Bekämpfung von Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft zu beteiligen, um den Grundsatz der Gleichbehandlung zu fördern.

Kapitel III − Mit der Förderung der Gleichbehandlung befasste Stellen Art. 13 [Mitgliedstaatliche Stellen] (1) Jeder Mitgliedstaat bezeichnet eine oder mehrere Stellen, deren Aufgabe darin besteht, die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Personen ohne Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft zu fördern. Diese Stellen können Teil einer Einrichtung sein, die auf nationaler Ebene für den Schutz der Menschenrechte oder der Rechte des einzelnen zuständig ist. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß es zu den Zuständigkeiten dieser Stellen gehört, — unbeschadet der Rechte der Opfer und der Verbände, der Organisationen oder anderer juristischer Personen nach Artikel 7 Absatz 2 die Opfer von Diskriminierungen auf unabhängige Weise dabei zu unterstützen, ihrer Beschwerde wegen Diskriminierung nachzugehen; — unabhängige Untersuchungen zum Thema der Diskriminierung durchzuführen; — unabhängige Berichte zu veröffentlichen und Empfehlungen zu allen Aspekten vorzulegen, die mit diesen Diskriminierungen in Zusammenhang stehen.

Kapitel IV − Schlussbestimmungen Art. 14 Einhaltung Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, 137

2.5

Rassendiskriminierungs-RL 2000/43

a) daß sämtliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden; b) daß sämtliche mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmungen in Einzel- oder Kollektivverträgen oder -vereinbarungen, Betriebsordnungen, Statuten von Vereinigungen mit oder ohne Erwerbszweck sowie Statuten der freien Berufe und der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen für nichtig erklärt werden oder erklärt werden können oder geändert werden. Art. 15 Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um deren Durchsetzung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Bestimmungen bis zum 19. Juli 2003 mit und melden alle sie betreffenden Änderungen unverzüglich. Art. 16–19 Umsetzung, Bericht, Inkrafttreten und Adressaten — nicht abgedruckt.

138

2.6 Klausel-RL 93/13

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DER RAT DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 100a, auf Vorschlag der Kommission,1 in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament,2 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,3 in Erwägung nachstehender Gründe: [1] Es müssen Maßnahmen zur schrittweisen Errichtung des Binnenmarktes bis zum 31. Dezember 1992 getroffen werden. Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. [2] Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Vertragsklauseln zwischen dem Verkäufer von Waren oder dem Dienstleistungserbringer einerseits und dem Verbraucher andererseits weisen viele Unterschiede auf, wodurch die einzelnen Märkte für den Verkauf von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen an den Verbraucher uneinheitlich sind; dadurch wiederum können Wettbewerbsverzerrungen bei den Verkäufern und den Erbringern von Dienstleistungen, besonders bei der Vermarktung in anderen Mitgliedstaaten, eintreten. [3] Namentlich die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über mißbräuchliche Klauseln in Verträgen mit Verbrauchern weisen beträchtliche Unterschiede auf. [4] Die Mitgliedstaaten müssen dafür Sorge tragen, daß die mit den Verbrauchern abgeschlossenen Verträge keine mißbräuchlichen Klauseln enthalten. [5] Die Verbraucher kennen im allgemeinen nicht die Rechtsvorschriften, die in anderen Mitgliedstaaten für Verträge über den Kauf von Waren oder das Angebot von Dienstleistungen gelten. Diese Unkenntnis kann sie davon abhalten, Waren und Dienstleistungen direkt in anderen Mitgliedstaaten zu ordern. [6] Um die Errichtung des Binnenmarktes zu erleichtern und den Bürger in seiner Rolle als Verbraucher beim Kauf von Waren und Dienstleistungen mittels Verträgen zu schützen, für die die Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten gelten, ist es von Bedeutung, mißbräuchliche Klauseln aus diesen Verträgen zu entfernen. [7] Den Verkäufern von Waren und Dienstleistungsbringern wird dadurch ihre Verkaufstätigkeit sowohl im eigenen Land als auch im gesamten Binnenmarkt erleichtert. Damit wird der Wettbewerb gefördert und den Bürgern der Gemeinschaft in ihrer Eigenschaft als Verbraucher eine größere Auswahl zur Verfügung gestellt. [8] In den beiden Programmen der Gemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher4 wird die Bedeutung des Verbraucherschutzes auf dem Gebiet

* Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. 1993 L 95/29. 1 ABl. Nr. C 73 vom 24. 3. 1992, S. 7. 2 ABl. Nr. C 326 vom 16. 12. 1991, S. 108, und ABl. Nr. C 21 vom 25. 1. 1993. 3 ABl. Nr. C 159 vom 17. 6. 1991, S. 34. 4 ABl. Nr. C 92 vom 25. 4. 1975, S. 1, und ABl. Nr. C 133 vom 3. 6. 1981, S. 1. https://doi.org/10.1515/9783110667776-009

2.6

[9]

[10]

[11]

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[14]

[15] [16]

140

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mißbräuchlicher Vertragsklauseln hervorgehoben. Dieser Schutz sollte durch Rechtsvorschriften gewährleistet werden, die gemeinschaftsweit harmonisiert sind oder unmittelbar auf dieser Ebene erlassen werden. Gemäß dem unter dem Abschnitt „Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher“ festgelegten Prinzip sind entsprechend diesen Programmen Käufer von Waren oder Dienstleistungen vor Machtmißbrauch des Verkäufers oder des Dienstleistungserbringers, insbesondere vor vom Verkäufer einseitig festgelegten Standardverträgen und vor dem mißbräuchlichen Ausschluß von Rechten in Verträgen zu schützen. Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet mißbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden. Diese Vorschriften sollten für alle Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern gelten. Von dieser Richtlinie ausgenommen sind daher insbesondere Arbeitsverträge sowie Verträge auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts. Der Verbraucher muß bei mündlichen und bei schriftlichen Verträgen — bei letzteren unabhängig davon, ob die Klauseln in einem oder in mehreren Dokumenten enthalten sind — den gleichen Schutz genießen. Beim derzeitigen Stand der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften kommt allerdings nur eine teilweise Harmonisierung in Betracht. So gilt diese Richtlinie insbesondere nur für Vertragsklauseln, die nicht einzeln ausgehandelt wurden. Den Mitgliedstaaten muß es freigestellt sein, dem Verbraucher unter Beachtung des Vertrags einen besseren Schutz durch strengere einzelstaatliche Vorschriften als den in dieser Richtlinie enthaltenen Vorschriften zu gewähren. Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, daß sie keine mißbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff „bindende Rechtsvorschriften“ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch dafür sorgen, daß darin keine mißbräuchlichen Klauseln enthalten sind, zumal diese Richtlinie auch für die gewerbliche Tätigkeit im öffentlich-rechtlichen Rahmen gilt. Die Kriterien für die Beurteilung der Mißbräuchlichkeit von Vertragsklauseln müssen generell festgelegt werden. Die nach den generell festgelegten Kriterien erfolgende Beurteilung der Mißbräuchlichkeit von Klauseln, insbesondere bei beruflichen Tätigkeiten des öffentlich-rechtlichen Bereichs, die ausgehend von einer Solidargemeinschaft der Dienstleistungsnehmer kollektive Dienste erbringen, muß durch die Möglichkeit einer globalen Bewertung der Interessenlagen der Parteien ergänzt werden. Diese stellt das Gebot von Treu und Glauben dar. Bei der Beurteilung von Treu und Glauben ist besonders zu berücksichtigen, welches Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien bestand, ob auf den Verbraucher in irgendeiner Weise eingewirkt wurde, seine Zustimmung zu der Klausel zu geben, und ob die Güter oder Dienstleistungen auf eine Sonderbestellung des Verbrauchers hin verkauft bzw. erbracht wurden. Dem Gebot von Treu und Glauben kann durch den Gewerbetreibenden Genüge getan werden, indem er sich gegenüber der anderen Partei, deren berechtigten Interessen er Rechnung tragen muß, loyal und billig verhält.

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2.6

[17] Die Liste der Klauseln im Anhang kann für die Zwecke dieser Richtlinie nur Beispiele geben; infolge dieses Minimalcharakters kann sie von den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, insbesondere hinsichtlich des Geltungsbereichs dieser Klauseln, ergänzt oder restriktiver formuliert werden. [18] Bei der Beurteilung der Mißbräuchlichkeit von Vertragsklauseln ist der Art der Güter bzw. Dienstleistungen Rechnung zu tragen. [19] Für die Zwecke dieser Richtlinie dürfen Klauseln, die den Hauptgegenstand eines Vertrages oder das Preis-/Leistungsverhältnis der Lieferung bzw. der Dienstleistung beschreiben, nicht als mißbräuchlich beurteilt werden. Jedoch können der Hauptgegenstand des Vertrages und das Preis-/Leistungsverhältnis bei der Beurteilung der Mißbräuchlichkeit anderer Klauseln berücksichtigt werden. Daraus folgt unter anderem, daß bei Versicherungsverträgen die Klauseln, in denen das versicherte Risiko und die Verpflichtung des Versicherers deutlich festgelegt oder abgegrenzt werden, nicht als mißbräuchlich beurteilt werden, sofern diese Einschränkungen bei der Berechnung der vom Verbraucher gezahlten Prämie Berücksichtigung finden. [20] Die Verträge müssen in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein. Der Verbraucher muß tatsächlich die Möglichkeit haben, von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen. Im Zweifelsfall ist die für den Verbraucher günstigste Auslegung anzuwenden. [21] Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, daß in von einem Gewerbetreibenden mit Verbrauchern abgeschlossenen Verträgen keine mißbräuchlichen Klauseln verwendet werden. Wenn derartige Klauseln trotzdem verwendet werden, müssen sie für den Verbraucher unverbindlich sein; die verbleibenden Klauseln müssen jedoch weiterhin gelten und der Vertrag im übrigen auf der Grundlage dieser Klauseln für beide Teile verbindlich sein, sofern ein solches Fortbestehen ohne die miß-bräuchlichen Klauseln möglich ist. [22] In bestimmten Fällen besteht die Gefahr, daß dem Verbraucher der in dieser Richtlinie aufgestellte Schutz entzogen wird, indem das Recht eines Drittlands zum anwendbaren Recht erklärt wird. Es sollten daher in dieser Richtlinie Bestimmungen vorgesehen werden, die dies ausschließen. [23] Personen und Organisationen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats ein berechtigtes Interesse geltend machen können, den Verbraucher zu schützen, müssen Verfahren, die Vertragsklauseln im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung in Verbraucherverträgen, insbesondere mißbräuchliche Klauseln, zum Gegenstand haben, bei Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die für die Entscheidung über Klagen bzw. Beschwerden oder die Eröffnung von Gerichtsverfahren zuständig sind, einleiten können. Diese Möglichkeit bedeutet jedoch keine Vorabkontrolle der in einem beliebigen Wirtschaftssektor verwendeten allgemeinen Bedingungen. [24] Die Gerichte oder Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten müssen über angemessene und wirksame Mittel verfügen, damit der Verwendung mißbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 [Zweck; ausgenommene Klauseln] (1) Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über mißbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern. (2) Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei de141

2.6

Klausel-RL 93/13

nen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft — insbesondere im Verkehrsbereich — Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie. Art. 2 [Begriffsbestimmungen] Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten: a) mißbräuchliche Klauseln: Vertragsklauseln, wie sie in Artikel 3 definiert sind; b) Verbraucher: eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann; c) Gewerbetreibender: eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist. Art. 3 [Mißbräuchliche Klauseln; Ausnahme von ausgehandelten Klauseln] (1) Eine Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde, ist als mißbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Mißverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht. (2) Eine Vertragsklausel ist immer dann als nicht im einzelnen ausgehandelt zu betrachten, wenn sie im voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb, insbesondere im Rahmen eines vorformulierten Standardvertrags, keinen Einfluß auf ihren Inhalt nehmen konnte. Die Tatsache, daß bestimmte Elemente einer Vertragsklausel oder eine einzelne Klausel im einzelnen ausgehandelt worden sind, schließt die Anwendung dieses Artikels auf den übrigen Vertrag nicht aus, sofern es sich nach der Gesamtwertung dennoch um einen vorformulierten Standardvertrag handelt. Behauptet ein Gewerbetreibender, daß eine Standardvertragsklausel im einzelnen ausgehandelt wurde, so obliegt ihm die Beweislast. (3) Der Anhang enthält eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für mißbräuchlich erklärt werden können. Art. 4 [Kriterien der Mißbräuchlichkeit; Herausnahme des Preis-LeistungsVerhältnisses] (1) Die Mißbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluß begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt. 142

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2.6

(2) Die Beurteilung der Mißbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind. Art. 5 [Transparenzgebot; Zweifelsregel] Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. Diese Auslegungsregel gilt nicht im Rahmen der in Artikel 7 Absatz 2 vorgesehenen Verfahren. Art. 6 [Rechtsfolgen bei Mißbräuchlichkeit; Kollisionsnorm] (1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, daß mißbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, daß der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die mißbräuchlichen Klauseln bestehen kann. (2) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der Verbraucher den durch diese Richtlinie gewährten Schutz nicht verliert, wenn das Recht eines Drittlands als das auf den Vertrag anzuwendende Recht gewählt wurde und der Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet der Mitgliedstaaten aufweist. Art. 7 [Durchsetzung; Verbandsklage] (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung mißbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird. (2) Die in Absatz 1 genannten Mittel müssen auch Rechtsvorschriften einschließen, wonach Personen oder Organisationen, die nach dem innerstaatlichen Recht ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, damit diese darüber entscheiden, ob Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, mißbräuchlich sind, und angemessene und wirksame Mittel anwenden, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen. (3) Die in Absatz 2 genannten Rechtsmittel können sich unter Beachtung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften getrennt oder gemeinsam gegen mehrere 143

2.6

Klausel-RL 93/13

Gewerbetreibende desselben Wirtschaftssektors oder ihre Verbände richten, die gleiche allgemeine Vertragsklauseln oder ähnliche Klauseln verwenden oder deren Verwendung empfehlen. Art. 8 [Mindeststandard] Die Mitgliedstaaten können auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet mit dem Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten. Art. 8a Berichtspflichten bei strengeren Vorschriften, — nicht abgedruckt. Art. 9–11 Bericht der Kommission, Umsetzungspflicht und Adressaten — nicht abgedruckt.

Anhang − Klauseln gemäß Artikel 3 Absatz 3 1.

144

Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, daß a) die gesetzliche Haftung des Gewerbetreibenden ausgeschlossen oder eingeschränkt wird, wenn der Verbraucher aufgrund einer Handlung oder Unterlassung des Gewerbetreibenden sein Leben verliert oder einen Körperschaden erleidet; b) die Ansprüche des Verbrauchers gegenüber dem Gewerbetreibenden oder einer anderen Partei, einschließlich der Möglichkeit, eine Verbindlichkeit gegenüber dem Gewerbetreibenden durch eine etwaige Forderung gegen ihn auszugleichen, ausgeschlossen oder ungebührlich eingeschränkt werden, wenn der Gewerbetreibende eine der vertraglichen Verpflichtungen ganz oder teilweise nicht erfüllt oder mangelhaft erfüllt; c) der Verbraucher eine verbindliche Verpflichtung eingeht, während der Gewerbe-treibende die Erbringung der Leistungen an eine Bedingung knüpft, deren Eintritt nur von ihm abhängt; d) es dem Gewerbetreibenden gestattet wird, vom Verbraucher gezahlte Beträge einzubehalten, wenn dieser darauf verzichtet, den Vertrag abzuschließen oder zu erfüllen, ohne daß für den Verbraucher ein Anspruch auf eine Entschädigung in entsprechender Höhe seitens des Gewerbetreibenden vorgesehen wird, wenn dieser selbst es unterlässt; e) dem Verbraucher, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, ein unverhältnismäßig hoher Entschädigungsbetrag auferlegt wird;

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f)

g)

h)

i)

j) k)

l)

m)

n)

o) p)

2.6

es dem Gewerbetreibenden gestattet wird, nach freiem Ermessen den Vertrag zu kündigen, wenn das gleiche Recht nicht auch dem Verbraucher eingeräumt wird, und es dem Gewerbetreibenden für den Fall, daß er selbst den Vertrag kündigt, gestattet wird, die Beträge einzubehalten, die für von ihm noch nicht erbrachte Leistungen gezahlt wurden; es dem Gewerbetreibenden — außer bei Vorliegen schwerwiegender Gründe — gestattet ist, einen unbefristeten Vertrag ohne angemessene Frist zu kündigen; ein befristeter Vertrag automatisch verlängert wird, wenn der Verbraucher sich nicht gegenteilig geäußert hat und als Termin für diese Äußerung des Willens des Verbrauchers, den Vertrag nicht zu verlängern, ein vom Ablaufzeitpunkt des Vertrages ungebührlich weit entferntes Datum festgelegt wurde; die Zustimmung des Verbrauchers zu Klauseln unwiderlegbar festgestellt wird, von denen er vor Vertragsabschluß nicht tatsächlich Kenntnis nehmen konnte; der Gewerbetreibende die Vertragsklauseln einseitig ohne triftigen und im Vertrag aufgeführten Grund ändern kann; der Gewerbetreibende die Merkmale des zu liefernden Erzeugnisses oder der zu erbringenden Dienstleistung einseitig ohne triftigen Grund ändern kann; der Verkäufer einer Ware oder der Erbringer einer Dienstleistung den Preis zum Zeitpunkt der Lieferung festsetzen oder erhöhen kann, ohne daß der Verbraucher in beiden Fällen ein entsprechendes Recht hat, vom Vertrag zurückzutreten, wenn der Endpreis im Verhältnis zu dem Preis, der bei Vertragsabschluß vereinbart wurde, zu hoch ist; dem Gewerbetreibenden das Recht eingeräumt ist zu bestimmen, ob die gelieferte Ware oder erbrachte Dienstleistung den Vertragsbestimmungen entspricht, oder ihm das ausschließliche Recht zugestanden wird, die Auslegung einer Vertragsklausel vorzunehmen; die Verpflichtung des Gewerbetreibenden zur Einhaltung der von seinen Vertretern eingegangenen Verpflichtungen eingeschränkt wird oder diese Verpflichtung von der Einhaltung einer besonderen Formvorschrift abhängig gemacht wird; der Verbraucher allen seinen Verpflichtungen nachkommen muß, obwohl der Gewerbetreibende seine Verpflichtungen nicht erfüllt; die Möglichkeit vorgesehen wird, daß der Vertrag ohne Zustimmung des Verbrauchers vom Gewerbetreibenden abgetreten wird, wenn dies möglicherweise eine Verringerung der Sicherheiten für den Verbraucher bewirkt; 145

2.6

2.

146

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q) dem Verbraucher die Möglichkeit, Rechtsbehelfe bei Gericht einzulegen oder sonstige Beschwerdemittel zu ergreifen, genommen oder erschwert wird, und zwar insbesondere dadurch, daß er ausschließlich auf ein nicht unter die rechtlichen Bestimmungen fallenden Schiedsgerichtsverfahren verwiesen wird, die ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel ungebührlich eingeschränkt werden oder ihm die Beweislast auferlegt wird, die nach dem geltenden Recht einer anderen Vertragspartei obläge. Tragweite der Buchstaben g), j) und l) a) Buchstabe g) steht Klauseln nicht entgegen, durch die sich der Erbringer von Finanzdienstleistungen das Recht vorbehält, einen unbefristeten Vertrag einseitig und — bei Vorliegen eines triftigen Grundes — fristlos zu kündigen, sofern der Gewerbetreibende die Pflicht hat, die andere Vertragspartei oder die anderen Vertragsparteien alsbald davon zu unterrichten. b) Buchstabe j) steht Klauseln nicht entgegen, durch die sich der Erbringer von Finanzdienstleistungen das Recht vorbehält, den von dem Verbraucher oder an den Verbraucher zu zahlenden Zinssatz oder die Höhe anderer Kosten für Finanzdienstleistungen in begründeten Fällen ohne Vorankündigung zu ändern, sofern der Gewerbetreibende die Pflicht hat, die andere Vertragspartei oder die anderen Vertragsparteien unverzüglich davon zu unterrichten, und es dieser oder diesen freisteht, den Vertrag alsbald zu kündigen. Buchstabe j) steht ferner Klauseln nicht entgegen, durch die sich der Gewerbetreibende das Recht vorbehält, einseitig die Bedingungen eines unbefristeten Vertrages zu ändern, sofern es ihm obliegt, den Verbraucher hiervon rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, und es diesem freisteht, den Vertrag zu kündigen. c) Die Buchstaben g), j) und l) finden keine Anwendung auf — Geschäfte mit Wertpapieren, Finanzpapieren und anderen Erzeugnissen oder Dienstleistungen, bei denen der Preis von den Veränderungen einer Notierung oder eines Börsenindex oder von Kursschwankungen auf dem Kapitalmarkt abhängt, auf die der Gewerbetreibende keinen Einfluß hat; — Verträge zum Kauf oder Verkauf von Fremdwährungen, Reiseschecks oder internationalen Postanweisungen in Fremdwährung. d) Buchstabe l) steht Preisindexierungsklauseln nicht entgegen, wenn diese rechtmäßig sind und der Modus der Preisänderung darin ausdrücklich beschrieben wird.

2.7 Digitale Inhalte-RL 2019/770

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Absatz 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Das Wachstumspotenzial des elektronischen Handels in der Union ist noch nicht voll ausgeschöpft. Die Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa zielt ganzheitlich auf die Beseitigung der größten Hindernisse für die Entwicklung des grenzüberschreitenden elektronischen Handels in der Union ab, um dieses Potenzial freizusetzen. Wenn die Verbraucher einen besseren Zugang zu digitalen Inhalten und digitalen Dienstleistungen erhalten und Unternehmen digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen leichter bereitstellen können, kann dies dazu beitragen, die digitale Wirtschaft der Union und das Wachstum insgesamt anzukurbeln. (2) Artikel 26 Absatz 1 und 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sehen vor, dass die Union Maßnahmen erlässt, um den Binnenmarkt, der einen Raum ohne Binnengrenzen umfasst, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen gewährleistet ist, zu verwirklichen oder dessen Funktionieren zu gewährleisten. Artikel 169 Absatz 1 und Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe a AEUV sehen vor, dass die Union durch die Maßnahmen, die sie im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts nach Artikel 114 AEUV erlässt, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet. Mit dieser Richtlinie soll für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bei gleichzeitiger Wahrung des Subsidiaritätsprinzips gesorgt werden. (3) Bestimmte Aspekte von Verträgen über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen sollten harmonisiert werden, wobei ein hohes Verbraucherschutzniveau grundlegende Voraussetzung ist, damit ein echter digitaler Binnenmarkt erreicht wird, für mehr Rechtssicherheit gesorgt wird und die Transaktionskosten, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), gesenkt werden. (4) Den Unternehmen, und insbesondere den KMU, entstehen häufig zusätzliche Kosten, die auf Unterschiede zwischen zwingenden nationalen Verbrauchervertragsvorschriften und auf die Rechtsunsicherheit beim Anbieten von grenzüberschreitenden digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen zurückzuführen sind. Zudem tragen Unternehmen die

* Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. L 136/1. 1 ABl. C 264 vom 20. 7. 2016, S. 57. 2 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 26. März 2019 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 15. April 2019. https://doi.org/10.1515/9783110667776-010

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Kosten für die Anpassung ihrer Verträge an bestimmte zwingende Vorschriften für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen, die in mehreren Mitgliedstaaten bereits angewendet werden und durch die Unterschiede in Anwendungsbereich und Inhalt der nationalen Vorschriften über solche Verträge entstehen. Verbraucher sind bisweilen verunsichert, wenn sie in anderen Mitgliedstaaten einkaufen, vor allem bei Online-Käufen. Ein wesentlicher Grund für das fehlende Verbrauchervertrauen ist, dass Unklarheit über ihre wichtigsten vertraglichen Rechte besteht und dass es keinen klaren vertragsrechtlichen Rahmen für digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen gibt. Viele Verbraucher haben Probleme mit der Qualität digitaler Inhalte oder Dienstleistungen oder dem Zugang zu solchen Inhalten oder Dienstleistungen. Sie erhalten beispielsweise falsche oder fehlerhafte digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen oder sind nicht in der Lage, auf die betreffenden digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zuzugreifen. Dies führt dazu, dass Verbrauchern finanzielle und sonstige Nachteile entstehen. Zur Behebung solcher Probleme sollten sich sowohl Unternehmer als auch Verbraucher auf vollständig harmonisierte vertragliche Rechte in bestimmten Kernbereichen, die die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen in der gesamten Union betreffen, verlassen können. Die vollständige Harmonisierung einiger wesentlicher Aspekte der einschlägigen Regelungen würde die Rechtssicherheit für Verbraucher wie Unternehmen erheblich verbessern. Harmonisierte Verbrauchervertragsvorschriften in allen Mitgliedstaaten würden es den Unternehmen, und insbesondere KMU, erleichtern, digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen unionsweit bereitzustellen. Durch sie würden die Unternehmen einen soliden vertragsrechtlichen Rahmen für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten erhalten. Außerdem würde dadurch eine Rechtsfragmentierung verhindert, die sonst durch neue nationale Regelungen speziell für digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen entstehen würde. Die Verbraucher sollten von harmonisierten Rechten für die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen profitieren, die ein hohes Schutzniveau gewährleisten. Sie sollten klare, obligatorische Rechte haben, wenn sie von einem beliebigen Ort in der Union digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen erhalten oder auf diese zugreifen. Wenn sie über solche Rechte verfügen, sollten sie sich bei der Erlangung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen sicherer fühlen. Zudem sollten sich hierdurch die gegenwärtigen Nachteile für die Verbraucher verringern, da es klare Rechte gäbe, auf deren Grundlage sie Probleme, die sich bei digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen stellen, bewältigen könnten. Durch diese Richtlinie sollten bestimmte grundlegende, bisher noch nicht auf der Ebene der Union oder der Mitgliedstaaten geregelte Vorschriften vollständig harmonisiert werden. Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie sollte in ihr klar und eindeutig festgelegt werden und sie sollte klare materiellrechtliche Vorschriften für die in ihren Anwendungsbereich fallenden digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen enthalten. Sowohl der Anwendungsbereich dieser Richtlinie als auch ihre materiellrechtlichen Vorschriften sollten technologieneutral und zukunftssicher sein. Diese Richtlinie sollte gemeinsame Vorschriften für bestimmte Anforderungen an Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen festlegen. Zu diesem Zweck sollten die Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen, Abhilfen im Fall ihrer

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Vertragswidrigkeit oder nicht erfolgten Bereitstellung, und die Art und Weise der Inanspruchnahme dieser Abhilfen, sowie die Änderung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen, vollständig harmonisiert werden. Die vollständige Harmonisierung einiger wesentlicher Elemente des Verbrauchervertragsrechts würde es Unternehmen — und insbesondere KMU — einfacher machen, ihre Produkte in anderen Mitgliedstaaten anzubieten. Die Verbraucher würden aufgrund einer vollständigen Harmonisierung der wesentlichsten Vorschriften von einem hohen Verbraucherschutzniveau und Wohlfahrtsgewinnen profitieren. Die Mitgliedstaaten dürfen im Anwendungsbereich dieser Richtlinie keine weiteren formalen oder materiellen Anforderungen vorschreiben. So sollten die Mitgliedstaaten beispielsweise keine Vorschriften über die Umkehr der Beweislast erlassen, die sich von den Bestimmungen dieser Richtlinie unterscheiden, oder auch keine Verpflichtung des Verbrauchers, den Anbieter innerhalb eines bestimmten Zeitraums über eine Vertragswidrigkeit zu informieren. Diese Richtlinie sollte nationale Rechtsvorschriften unberührt lassen, soweit die betreffenden Angelegenheiten nicht durch diese Richtlinie geregelt sind, wie beispielsweise nationale Vorschriften über das Zustandekommen, die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Wirkungen von Verträgen oder über die Rechtmäßigkeit des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung. Auch die Rechtsnatur von Verträgen über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen sollte nicht durch diese Richtlinie bestimmt werden, und die Klärung der Frage, ob solche Verträge beispielsweise einen Kauf-, Dienstleistungs- oder Mietvertrag oder einen Vertrag sui generis darstellen, sollte dem nationalen Recht überlassen bleiben. Diese Richtlinie sollte nationale Vorschriften, die nicht speziell für Verbraucherverträge gelten und spezifische Abhilfen für bestimmte Arten von Mängeln, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags nicht offenbar waren, vorsehen, ebenfalls unberührt lassen, nämlich nationale Bestimmungen, die möglicherweise spezifische Vorschriften für die Haftung des Unternehmers für versteckte Mängel festlegen. Diese Richtlinie sollte nationale Vorschriften, die nicht speziell für Verbraucherverträge gelten und spezifische Abhilfen für bestimmte Arten von Mängeln, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags nicht offenbar waren, vorsehen, ebenfalls unberührt lassen, da in nationalen Bestimmungen möglicherweise spezifische Vorschriften für die Haftung des Unternehmers für versteckte Mängel festgelegt sind. Ebenso wenig sollte diese Richtlinie nationale Vorschriften berühren, die den Verbrauchern im Fall einer Vertragswidrigkeit des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung außervertragliche Rechtsbehelfe gegenüber Personen in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette oder anderen Personen, die die Pflichten solcher Personen erfüllen, ermöglichen.. Den Mitgliedstaaten steht es außerdem weiterhin frei, beispielsweise Haftungsansprüche eines Verbrauchers gegenüber einem Dritten zu regeln, bei dem es sich nicht um einen Unternehmer handelt, der die digitalen Inhalte liefert oder die digitale Dienstleistung erbringt, bzw. sich dazu verpflichtet, wie z. B. ein Entwickler, der nicht identisch mit dem Unternehmer nach dieser Richtlinie ist.. Ferner sollten die Mitgliedstaaten auch weiterhin die Möglichkeit haben, beispielsweise die Folgen einer nicht erfolgten Bereitstellung oder einer Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistung zu regulieren, wenn diese nicht erfolgte Bereitstellung oder Vertragswidrigkeit auf ein Hindernis zurückzuführen ist, auf das der Unternehmer keinen Einfluss hat und das oder dessen Folgen der Unternehmer nicht vermeiden oder beseitigen konnte, beispielsweise im Fall höherer Gewalt. Den Mitgliedstaaten sollte es auch nach wie vor freistehen, beispielsweise die Rechte von Parteien auf Zurückhaltung der Erfüllung ihrer Verpflichtungen oder von Teilen davon,

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bis die andere Partei ihre Verpflichtungen erfüllt, zu regeln. Die Mitgliedstaaten sollten zum Beispiel weiterhin die Möglichkeit haben, zu regeln, ob ein Verbraucher im Fall einer Vertragswidrigkeit Anspruch darauf hat, die Zahlung des Preises oder eines Teils davon zurückzuhalten, bis der Unternehmer den vertragsgemäßen Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen hergestellt hat, oder ob der Unternehmer Anspruch darauf hat, eine dem Verbraucher bei Beendigung des Vertrags zustehende Erstattung zurückzuhalten, bis der Verbraucher seiner in dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung, den körperlichen Datenträger an den Anbieter zurückzugeben, nachgekommen ist. Den Mitgliedstaaten sollte es zudem nach wie vor freistehen, die Anwendung der Vorschriften dieser Richtlinie auf Verträge auszudehnen, die vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind, oder derartige Verträge auf andere Weise zu regeln. So sollte es den Mitgliedstaaten zum Beispiel nach wie vor freistehen, den Schutz, der durch diese Richtlinie den Verbrauchern geboten wird, auch auf natürliche oder juristische Personen auszudehnen, die keine Verbraucher im Sinne dieser Richtlinie sind, beispielsweise Nichtregierungsorganisationen, neu gegründete Unternehmen oder KMU Die Definition des Begriffs „Verbraucher“ sollte natürliche Personen, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handeln, umfassen. Jedoch sollte es den Mitgliedstaaten in dem Fall, dass der Vertrag teilweise für gewerbliche und teilweise für nichtgewerbliche Zwecke geschlossen wird (Verträge mit doppeltem Zweck) und der gewerbliche Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht überwiegend ist, nach wie vor freistehen, festzulegen, ob und unter welchen Bedingungen diese Person auch als Verbraucher betrachtet werden sollte. Diese Richtlinie sollte für alle Verträge gelten, auf deren Grundlage der Unternehmer dem Verbraucher digitale Inhalte oder eine digitale Dienstleistung bereitstellt oder sich hierzu verpflichtet. Im Rahmen dieser Richtlinie könnten Plattformanbieter als Unternehmer gelten, wenn sie bei der Bereitstellung von digitalen Inhalten oder einer digitalen Dienstleistung für die Zwecke ihrer eigenen geschäftlichen Tätigkeit und als direkte Vertragspartner des Verbrauchers tätig sind. Den Mitgliedstaaten sollte es weiterhin freistehen, die Anwendung dieser Richtlinie auf Plattformbetreiber auszudehnen, die nicht den Anforderungen der Begriffsbestimmung für „Unternehmer“ im Sinne dieser Richtlinie entsprechen. Mit der Richtlinie sollten die Probleme angegangen werden, die bei den verschiedenen Kategorien von digitalen Inhalten, digitalen Dienstleistungen und ihrer Bereitstellung auftreten. Um den rasanten technologischen Entwicklungen Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass die Begriffe „digitale Inhalte“ und „digitale Dienstleistungen“ nicht schon bald überholt sind, sollte sich diese Richtlinie unter anderem auf Computerprogramme, Anwendungen, Videodateien, Audiodateien, Musikdateien, digitale Spiele, elektronische Bücher und andere elektronische Publikationen und auch digitale Dienstleistungen erstrecken, die die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form sowie den Zugriff auf sie ermöglichen, einschließlich Software-as-a-Service, wie die gemeinsame Nutzung von Video- oder Audioinhalten und andere Formen des Datei-Hosting, Textverarbeitung oder Spiele, die in einer Cloud-Computing-Umgebung und in sozialen Medien angeboten werden. Da es zahlreiche Möglichkeiten für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen gibt, wie beispielsweise die Übermittlung auf einem körperlichen Datenträger, das Herunterladen auf Geräte des Verbrauchers, Streaming oder die Ermöglichung des Zugangs zu Speicherkapazitäten für digitale Inhalte oder zur Nutzung von sozialen Medien, sollte diese Richtlinie unabhängig von der Art des für die Datenübermittlung oder die Gewährung des Zugangs zu den digita-

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len Inhalten oder digitalen Dienstleistungen verwendeten Datenträgers gelten. Diese Richtlinie sollte jedoch nicht für Internetzugangsdienste gelten. (20) Die vorliegende Richtlinie und die Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates3 sollten einander ergänzen. Während in der vorliegenden Richtlinie Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Verträge für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen festgelegt werden, enthält die Richtlinie (EU) 2019/771 Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Verträge für den Warenhandel. Um den Erwartungen der Verbraucher zu entsprechen und einen klaren und einfachen Rechtsrahmen für Unternehmer, die digitale Inhalte anbieten, sicherzustellen, sollte diese Richtlinie deshalb auch für digitale Inhalte‚ die auf körperlichen Datenträgern wie DVDs, CDs, USBSticks und Speicherkarten bereitgestellt werden, sowie für den körperlichen Datenträger selbst gelten, sofern die körperlichen Datenträger ausschließlich als Träger der digitalen Inhalte dienen. Jedoch sollten anstelle der Bestimmungen dieser Richtlinie über die Lieferpflicht des Unternehmers sowie über Abhilfen, die dem Verbraucher bei nichterfolgter Lieferung zur Verfügung stehen, die Bestimmungen der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates4 über Pflichten im Zusammenhang mit der Lieferung von Waren und über Abhilfen bei nicht erfolgter Lieferung gelten. Zusätzlich sollten auch die Bestimmungen der Richtlinie 2011/83/EU z. B. über das Widerrufsrecht und die Art des Vertrags, nach dem diese Waren bereitgestellt werden‚ weiterhin für diese körperlichen Datenträger und die auf ihnen bereitgestellten digitalen Inhalte gelten. Diese Richtlinie lässt ferner das Verbreitungsrecht unberührt, das im Rahmen des Urheberrechts auf diese Waren anwendbar ist. (21) Die Richtlinie (EU) 2019/771 sollte für Verträge über den Verkauf von Waren gelten, einschließlich Waren mit digitalen Elementen. Der Begriff Waren mit digitalen Elementen sollte sich auf Waren beziehen, die in einer Weise digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht erfüllen könnten. Digitale Inhalte oder Dienstleistungen, die in dieser Weise in Waren enthalten oder mit ihnen verbunden sind, sollten dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2019/771 fallen, wenn sie im Rahmen eines Kaufvertrags über diese Waren bereitgestellt werden. Ob die Bereitstellung enthaltener oder verbundener digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen Bestandteil des Kaufvertrags mit dem Verkäufer ist, sollte vom Inhalt dieses Kaufvertrags abhängen. Dies sollte enthaltene oder verbundene digitale Inhalte oder Dienstleistungen umfassen, deren Bereitstellung im Vertrag ausdrücklich vorgesehen ist. Dies umfasst auch Kaufverträge, die dahin gehend verstanden werden können, dass sie die Bereitstellung spezifischer digitaler Inhalten oder einer spezifischen digitalen Dienstleistung abdecken, weil diese bei Waren der gleichen Art üblich sind und der Verbraucher sie — in Anbetracht der Beschaffenheit der Waren und unter Berücksichtigung öffentli-

3 Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 (siehe Seite 28 dieses Amtsblatts). [In dieser Sammlung 2.8.] 4 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 304 vom 22. 11. 2011, S. 64).

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cher Erklärungen, die von dem Verkäufer oder im Auftrag des Verkäufers oder von anderen Personen in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette, einschließlich des Herstellers, abgegeben wurden — vernünftigerweise erwarten könnte. Würde beispielsweise in der betreffenden Werbung angegeben, dass ein Smart-TV eine bestimmte Video-Anwendung enthält, so würde diese Video-Anwendung als Bestandteil des Kaufvertrags angesehen werden. Dies sollte unabhängig davon gelten, ob der digitale Inhalt oder die digitale Dienstleistung auf der Ware selbst vorinstalliert ist oder erst später auf ein anderes Gerät heruntergeladen werden muss und mit der Ware nur verbunden ist. Beispielsweise könnten auf einem Smartphone gemäß Kaufvertrag standardisierte vorinstallierte Anwendungen zu finden sein wie beispielsweise eine Alarmfunktion oder eine Kameraanwendung. Ein anderes mögliches Beispiel ist eine intelligente Armbanduhr (smart watch). In einem solchen Fall würde die Uhr selbst als die Ware mit digitalen Elementen gelten, die ihre Funktionen nur mittels einer Anwendung erfüllen kann, die gemäß Kaufvertrag bereitgestellt wird, aber vom Verbraucher auf ein Smartphone heruntergeladen werden muss. In diesem Fall wäre die Anwendung das verbundene digitale Element. Dies sollte auch gelten, wenn die enthaltenen oder verbundenen digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht vom Verkäufer selbst, sondern gemäß Kaufvertrag von einem Dritten bereitgestellt werden. Bestehen Zweifel, ob die Bereitstellung von digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen Teil des Kaufvertrags ist, sollte die Richtlinie (EU) 2019/771 gelten, um Unsicherheit sowohl bei den Händlern als auch bei den Verbrauchern zu vermeiden. Darüber hinaus sollte gegen die Feststellung, dass eine zweiseitige Vertragsbeziehung zwischen dem Verkäufer und dem Verbraucher besteht, zu der die Bereitstellung enthaltener oder verbundener digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen gehört, nicht allein der Umstand sprechen, dass der Verbraucher einer Lizenzvereinbarung mit einem Dritten zustimmen muss, um digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen nutzen zu können. (22) Im Gegensatz dazu sollte, wenn das Fehlen der enthaltenen oder verbundenen digitalen Inhalte oder Dienstleistungen die Ware nicht daran hindert, ihre Funktionen zu erfüllen, oder wenn der Verbraucher einen Vertrag über die Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen abschließt, der nicht Bestandteil eines Kaufvertrags über Waren mit digitalen Elementen ist, dieser Vertrag als getrennt vom Vertrag über den Verkauf der Waren angesehen werden, selbst wenn der Verkäufer als Vermittler dieses zweiten Vertrags mit dem Drittanbieter fungiert, und dieser Vertrag könnte in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen. Wenn der Verbraucher beispielsweise eine Spielanwendung aus einem App-Store auf ein Smartphone herunterlädt, ist der Vertrag über die Bereitstellung der Spielanwendung unabhängig vom Kaufvertrag für das Smartphone selbst. Daher sollte die Richtlinie (EU) 2019/771 nur für den Kaufvertrag für das Smartphone gelten, während die Bereitstellung der Spielanwendung unter die vorliegende Richtlinie fallen könnte, sofern deren Bedingungen erfüllt sind. Ein anderes Beispiel wären Fälle, in denen ausdrücklich vereinbart wurde, dass der Verbraucher ein Smartphone ohne ein bestimmtes Betriebssystem kauft, und der Verbraucher anschließend einen Vertrag über die Bereitstellung eines Betriebssystems durch einen Dritten abschließt. In einem solchen Fall wäre die Bereitstellung des getrennt erworbenen Betriebssystems nicht Bestandteil des Kaufvertrags und würde daher nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie (EU) 2019/771, könnte aber in den Anwendungsbereich der vorliegenden Richtlinie fallen, sofern deren Bedingungen erfüllt sind. (23) Verbraucher verwenden digitale Darstellungen eines Werts wie elektronische Gutscheine oder E-Coupons, um für verschiedene Waren oder Dienstleistungen im digitalen Binnen-

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markt zu bezahlen. Solche digitalen Darstellungen eines Werts gewinnen im Zusammenhang mit der Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen immer mehr an Bedeutung und sollten daher als Zahlungsweise im Sinne dieser Richtlinie betrachtet werden. Zu diesen digitalen Darstellungen eines Werts sollten auch virtuelle Währungen gezählt werden, soweit sie nach nationalem Recht anerkannt sind. Eine Differenzierung nach Zahlungsweisen könnte zu Diskriminierung führen und Unternehmen einen ungerechtfertigten Anreiz bieten, digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen vermehrt im Austausch gegen digitale Darstellungen eines Werts anzubieten. Da digitale Darstellungen eines Werts jedoch einzig und allein den Zweck haben, als Zahlungsmethode zu dienen, sollten sie selbst nicht als digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie angesehen werden. (24) Digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen werden häufig auch dann bereitgestellt, wenn der Verbraucher keinen Preis zahlt‚ sondern dem Unternehmer personenbezogene Daten zur Verfügung stellt. Solche Geschäftsmodelle treten in verschiedenen Formen in einem erheblichen Teil des Marktes auf. Obwohl in vollem Umfang anerkannt wird, dass der Schutz personenbezogener Daten ein Grundrecht ist und daher personenbezogene Daten nicht als Ware betrachtet werden können, sollte mit dieser Richtlinie sichergestellt werden, dass die Verbraucher im Zusammenhang mit solchen Geschäftsmodellen Anspruch auf vertragliche Rechtsbehelfe haben. Deshalb sollte diese Richtlinie für Verträge gelten, auf deren Grundlage ein Unternehmer einem Verbraucher digitale Inhalte oder eine digitale Dienstleistung bereitstellt oder sich hierzu verpflichtet und ein Verbraucher personenbezogene Daten bereitstellt oder deren Bereitstellung zusagt. Die personenbezogenen Daten könnten dem Unternehmer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder zu einem späteren Zeitpunkt übermittelt werden, z. B. wenn der Verbraucher dem Unternehmer seine Einwilligung zur Verwendung personenbezogener Daten erteilt, die der Verbraucher möglicherweise im Rahmen der Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen hochlädt oder erzeugt. Das Unionsrecht zum Schutz personenbezogener Daten enthält eine erschöpfende Liste der Rechtsgrundlagen für die rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten. Diese Richtlinie sollte für alle Verträge gelten, auf deren Grundlage ein Verbraucher einem Unternehmer personenbezogene Daten bereitstellt oder deren Bereitstellung zusagt. So sollte die vorliegende Richtlinie beispielsweise dann gelten, wenn ein Verbraucher ein Konto in sozialen Medien eröffnet und dem Unternehmer Namen und E-Mail-Adresse bereitstellt, die nicht ausschließlich zur Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen oder zur Erfüllung rechtlicher Anforderungen verwendet werden. Diese Richtlinie sollte gleichfalls Anwendung finden, wenn der Verbraucher seine Einwilligung erteilt, dass Material, das als personenbezogene Daten zu betrachten ist, wie z. B. Fotos oder Textbeiträge, die der Verbraucher ins Internet hochlädt, von einem Unternehmer zu Marketingzwecken verarbeitet werden darf. Den Mitgliedstaaten sollte es jedoch weiterhin freistehen, festzustellen, ob die Anforderungen für das Zustandekommen, das Bestehen und die Gültigkeit eines Vertrags nach nationalem Recht erfüllt sind. (25) Wenn die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen nicht gegen Zahlung eines Preises erfolgt, sollte diese Richtlinie nicht für Fälle gelten, in denen der Unternehmer personenbezogene Daten ausschließlich zum Zwecke der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen oder ausschließlich zur Erfüllung rechtlicher Anforderungen erhebt. Dazu können beispielsweise Fälle zählen, in denen die Registrierung des Verbrauchers zu Sicherheits- und Identifizierungszwecken durch anwendbare Gesetze vorgeschrieben ist. Diese Richtlinie sollte auch nicht in Fällen gelten, in denen der Unter-

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nehmer nur Metadaten wie Informationen zum Gerät des Verbrauchers oder zum Browserverlauf erhebt, es sei denn, der betreffende Sachverhalt gilt als Vertrag nach nationalem Recht. Ebenso wenig sollte sie in Fällen gelten, in denen der Verbraucher ausschließlich zwecks Erlangung des Zugangs zu digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen Werbung ausgesetzt ist, ohne mit dem Unternehmer einen Vertrag abgeschlossen zu haben. Allerdings sollte es den Mitgliedstaaten freistehen, die Anwendung dieser Richtlinie auf derartige Fälle auszudehnen oder derartige Fälle, die vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind, auf andere Weise zu regeln. Diese Richtlinie sollte für Verträge über die Entwicklung maßgeschneiderter digitaler Inhalte gemäß den Anforderungen des Verbrauchers gelten, auch für maßgeschneiderte Software. Diese Richtlinie sollte überdies für die Bereitstellung elektronischer Dateien im Rahmen des 3D-Drucks von Waren gelten, soweit solche Dateien unter die Begriffsbestimmung für digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie fallen. Rechte und Verpflichtungen im Zusammenhang mit Waren, die unter Verwendung der 3DDruck-Technologie hergestellt wurden, sollten jedoch nicht unter diese Richtlinie fallen. Da diese Richtlinie für Verträge gelten sollte, deren Gegenstand die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen für Verbraucher ist, sollte sie nicht gelten, wenn der Hauptgegenstand eines Vertrags die Erbringung von freiberuflichen Dienstleistungen wie Übersetzungsleistungen, Dienstleistungen von Architekten, juristischen Dienstleistungen oder sonstigen Fachberatungsleistungen ist, die häufig vom Unternehmer persönlich erbracht werden, unabhängig davon, ob der Unternehmer digitale Mittel einsetzt, um das Ergebnis der Dienstleistung zu erzeugen oder es dem Verbraucher zu liefern oder zu übermitteln. Die vorliegende Richtlinie sollte ebenso nicht für öffentliche Dienstleistungen wie Dienstleistungen der sozialen Sicherheit oder öffentliche Register gelten, bei denen die digitalen Mittel lediglich genutzt werden, um dem Verbraucher die Dienstleistung zu übermitteln oder mitzuteilen. Diese Richtlinie sollte auch nicht für öffentliche Urkunden und andere notarielle Urkunden gelten, und zwar unabhängig davon, ob sie durch digitale Mittel erstellt, aufgezeichnet, wiedergegeben oder übermittelt werden. Der Markt für nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste, die nicht mit öffentlich zugeteilten Nummerierungsressourcen verbunden sind, entwickelt sich rasch weiter. In den letzten Jahren hat das Aufkommen neuer digitaler Dienste, die eine interpersonelle Kommunikation über das Internet ermöglichen, wie z. B. webbasierte EMail-Dienste und Online-Mitteilungsdienste, eine wachsende Zahl von Verbrauchern dazu veranlasst, solche Dienste zu nutzen. Aus solchen Gründen ist es erforderlich, hinsichtlich solcher Dienste einen wirksamen Verbraucherschutz zu bieten. Die vorliegende Richtlinie sollte daher auch für nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste gelten. Diese Richtlinie sollte nicht für die Gesundheitsversorgung im Sinne der Richtlinie 2011/ 24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates5 gelten. Der Ausschluss der Gesundheitsversorgung vom Geltungsbereich dieser Richtlinie sollte auch für digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen gelten, die ein Medizinprodukt im Sinne der Richtlinien

5 Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (ABl. L 88 vom 4. 4. 2011, S. 45).

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93/42/EWG6 oder 90/385/EWG7 des Rates oder der Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates8 darstellen‚ sofern ein solches Medizinprodukt von einem Angehörigen der Gesundheitsberufe im Sinne der Richtlinie 2011/24/EU verschrieben oder bereitgestellt wird. Die vorliegende Richtlinie sollte jedoch für alle digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gelten, die ein Medizinprodukt darstellen, wie beispielsweise gesundheitsbezogene Anwendungen, die von dem Verbraucher erworben werden können, ohne dass es von einem Angehörigen eines Gesundheitsberufs verschrieben oder bereitgestellt wird. Das Unionsrecht über Finanzdienstleistungen enthält zahlreiche Verbraucherschutzbestimmungen. Finanzdienstleistungen im Sinne der in diesem Bereich bestehenden Rechtsvorschriften, insbesondere der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates,9 sind auch digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen, die mit Finanzdienstleistungen in Verbindung stehen oder mit denen Zugang zu Finanzdienstleistungen gewährt wird, und sie fallen daher unter den durch das Unionsrecht über Finanzdienstleistungen gewährten Schutz. Verträge über digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen, die eine Finanzdienstleistung darstellen, sollten daher vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden. Die vorliegende Richtlinie sollte nicht für digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen gelten, die einem Publikum als Teil einer künstlerischen Darbietung oder sonstigen Ereignisses, wie z. B. einer digitalen Filmvorführung oder einer audiovisuellen Theateraufführung, bereitgestellt werden. Diese Richtlinie sollte jedoch gelten, wenn digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen einem Publikum durch Signalübertragung, wie etwa digitale Fernsehdienste, bereitgestellt werden. Freie und quelloffene Software, bei der der Quellcode öffentlich geteilt wird und bei der die Nutzer frei über den Zugriff, die Verwendung, die Änderung und den Austausch der Software oder ihrer geänderten Versionen verfügen können, kann zu Forschung und Innovation auf dem Markt für digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen beitragen. Um Hindernisse für solche Marktentwicklungen zu vermeiden, sollte die vorliegende Richtlinie auch nicht für kostenlose und quelloffene Software gelten, sofern sie nicht im Austausch gegen die Zahlung eines Preises bereitgestellt wird und die personenbezogenen Daten der Verbraucher ausschließlich zur Verbesserung der Sicherheit, Kompatibilität oder Interoperabilität der Software verwendet werden. Digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen werden oft mit der Bereitstellung von Waren oder anderen Dienstleistungen kombiniert und dem Verbraucher in dem gleichen Ver-

6 Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169 vom 12. 7. 1993, S. 1). 7 Richtlinie 90/385/EWG des Rates vom 20. Juni 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte (ABl. L 189 vom 20. 7. 1990, S. 17). 8 Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika (ABl. L 331 vom 7. 12. 1998, S. 1). 9 Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. L 271 vom 9. 10. 2002, S. 16).

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trag, der in einem Paket unterschiedliche Elemente beinhaltet, angeboten, beispielsweise die Bereitstellung digitalen Fernsehens und der Kauf elektronischer Geräte. In solchen Fällen enthält der Vertrag zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer Elemente eines Vertrags über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder einer digitalen Dienstleistung, aber auch Elemente anderer Vertragsarten, beispielsweise von Verträgen über den Kauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen. Diese Richtlinie sollte nur für die Elemente des Gesamtvertrags gelten, die die Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen betreffen. Die übrigen Elemente des Vertrags sollten durch die Vorschriften geregelt werden, die für solche Verträge nach nationalem Recht oder gegebenenfalls anderem Unionsrecht für einen bestimmten Sektor oder einen bestimmten Gegenstand gelten. In gleicher Weise sollten die Auswirkungen, die die Beendigung eines Elements eines Paketvertrags auf die übrigen Elemente des Paketvertrags haben könnte, nach Maßgabe des nationalen Rechts geregelt werden. Um jedoch die Kohärenz mit den sektorspezifischen Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates10 für die Regulierung von Paketverträgen, bei denen ein Unternehmer im Sinne der genannten Richtlinie digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen in Verbindung mit einem nummerngebundenen interpersonellen Kommunikationsdienst oder einem Internetzugangsdienst anbietet, sicherzustellen, sollten die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Änderung digitaler Inhalte nicht für den Bestandteil des Pakets gelten, den die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen ausmachen. Die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2018/1972 sollten stattdessen für alle Bestandteile des Pakets gelten, einschließlich der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen. (34) Die Bestimmungen dieser Richtlinie über Paketverträge sollten nur für Fälle gelten, in denen die verschiedenen Bestandteile des Pakets von ein und demselben Unternehmer im Rahmen eines einzigen Vertrags ein und demselben Verbraucher angeboten werden. Die vorliegende Richtlinie sollte nationale Rechtsvorschriften unberührt lassen, durch die geregelt wird, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen als verbunden mit oder akzessorisch zu einem anderen Vertrag betrachtet werden kann, den der Verbraucher mit demselben oder einem anderen Unternehmer geschlossen hat, welche Rechtsbehelfe für die jeweiligen Verträge vorgesehen sind und welche Auswirkungen die Beendigung eines der beiden Verträge auf den anderen Vertrag hat. (35) Die Geschäftspraxis der Bündelung von Angeboten für digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen mit der Bereitstellung von Waren oder anderen Dienstleistungen unterliegt der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern.11 Eine solche Bündelung ist nach der Richtlinie 2005/29/EG für sich

10 Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (ABl. L 321 vom 17. 12. 2018, S. 36). 11 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der

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genommen nicht verboten. Sie ist jedoch verboten, wenn sie nach einer Einzelfallprüfung gemäß den in der Richtlinie festgelegten Kriterien für unlauter befunden wird. Das Wettbewerbsrecht der Union ermöglicht es auch, gegen Koppelungs- und Bündelungspraktiken vorzugehen, wenn diese den Wettbewerbsprozess beeinflussen und den Verbrauchern schaden. (36) Diese Richtlinie sollte anderes Unionsrecht, durch das ein bestimmter Sektor oder ein bestimmter Gegenstand wie z. B. die Telekommunikation, der elektronische Handel oder der Verbraucherschutz geregelt werden, unberührt lassen. Sie sollte auch Unionsrecht und nationales Recht über Urheberrechte und verwandte Schutzrechte, einschließlich der Portabilität von Online-Inhaltediensten, unberührt lassen. (37) Die Ausübung von Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, könnte die Verarbeitung personenbezogener Daten umfassen. Das Unionsrecht bietet einen umfassenden Rahmen für den Schutz personenbezogener Daten. Diese Richtlinie lässt insbesondere die Verordnung (EU) 2016/67912 und die Richtlinie 2002/58/EG13 des Europäischen Parlaments und des Rates unberührt. Dieser Rahmen gilt für alle personenbezogenen Daten, die im Zusammenhang mit den von dieser Richtlinie erfassten Verträgen verarbeitet werden. Folglich sollten personenbezogene Daten nur im Einklang mit der Verordnung (EU) 2016/679 und der Richtlinie 2002/58/EG erhoben oder auf andere Weise verarbeitet werden. Im Fall eines Widerspruchs zwischen der vorliegenden Richtlinie und dem Unionsrecht für den Schutz personenbezogener Daten sollte letzteres maßgeblich sein. (38) Die vorliegende Richtlinie sollte nicht die Voraussetzungen für die rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten regeln, da diese Frage insbesondere durch die Verordnung (EU) 2016/679, geregelt wird. Eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit einem Vertrag, der in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, ist daher nur rechtmäßig, wenn sie mit den Bestimmungen der Verordnung (EU) 2016/679 über die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Einklang steht. Stützt sich die Verarbeitung personenbezogener Daten auf eine Einwilligung, insbesondere nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2016/679, finden die spezifischen Bestimmungen der genannten Verordnung, auch in Bezug auf die Bedingungen für die Beurteilung, ob die Einwilligung freiwillig erfolgt ist, Anwendung. Die vorliegende Richtlinie sollte nicht die Gültigkeit der gegebenen Einwilligung regeln. Die Verordnung (EU) 2016/679 enthält auch umfassende Rechte in Bezug auf die Löschung von Daten und die Datenübertragbarkeit. Die vorliegende Richtlinie sollte die Rechte unberührt lassen, die für alle personenbezogenen Daten gelten, die im Zusammenhang mit

Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149 vom 11. 6. 2005, S. 22). 12 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4. 5. 2016, S. 1). 13 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. L 201 vom 31. 7. 2002, S. 37).

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einem vom Anwendungsbereich der vorliegenden Richtlinie erfassten Vertrag dem Unternehmer vom Verbraucher bereitgestellt werden oder vom Unternehmer erhoben werden, wenn der Verbraucher den Vertrag gemäß der vorliegenden Richtlinie beendet hat. (39) Das Recht auf Löschung personenbezogener Daten und das Recht des Verbrauchers auf Widerruf der Einwilligung zur Verarbeitung personenbezogener Daten sollten auch im Zusammenhang mit den von dieser Richtlinie erfassten Verträgen uneingeschränkt gelten. Das Recht des Verbrauchers auf Beendigung des Vertrags gemäß der vorliegenden Richtlinie sollte das Recht des Verbrauchers auf Widerruf einer Einwilligung zur Verarbeitung der den Verbraucher betreffenden personenbezogenen Daten gemäß der Verordnung (EU) 2016/679 unberührt lassen. (40) Diese Richtlinie sollte nicht die Folgen für die von ihr erfassten Verträge regeln, die sich ergeben, wenn der Verbraucher die Einwilligung zur Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten widerruft. Solche Folgen sollten weiterhin dem nationalen Recht unterliegen. (41) Der Unternehmer kann einem Verbraucher digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen auf verschiedene Weise bereitstellen. Es ist angezeigt, einfache und klare Vorschriften für die Art und Weise und den Zeitpunkt der Erfüllung der Bereitstellungspflicht, die die wichtigste Vertragspflicht des Unternehmers darstellt, festzulegen, die darin besteht, die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen für den Kunden verfügbar oder zugänglich zu machen. Die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen sollten als für den Verbraucher verfügbar oder zugänglich angesehen werden, wenn die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen oder etwaige Mittel, mit denen auf sie zugegriffen werden kann oder mit denen sie heruntergeladen werden können, die Sphäre des Verbrauchers erreicht haben und keine weiteren Handlungen vonseiten des Unternehmers erforderlich sind, damit der Verbraucher die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vertragsgemäß nutzen kann. In der Erwägung, dass der Unternehmer grundsätzlich nicht für Handlungen oder Unterlassungen eines Dritten, der eine körperliche oder virtuelle Einrichtung — beispielsweise eine elektronische Plattform oder eine Einrichtung zur Cloud-Speicherung — betreibt, die der Verbraucher für den Empfang oder die Speicherung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen auswählt, haftbar ist, sollte es ausreichen, dass der Unternehmer die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen diesem Dritten bereitstellt. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher die körperliche oder virtuelle Einrichtung bestimmt hat, wenn sie vom Unternehmer kontrolliert wird oder mit dem Unternehmer vertraglich verbunden ist oder wenn der Verbraucher diese körperliche oder virtuelle Einrichtung für den Empfang der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen ausgewählt hat, diese Wahl aber vom Unternehmer als einzige angeboten wurde, um die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zu empfangen oder Zugang zu ihnen zu erlangen. Kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher die körperliche oder virtuelle Einrichtung ausgewählt hat, sollte die Verpflichtung des Unternehmers zur Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen als nicht erfüllt gelten, wenn die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zwar in der körperlichen oder virtuellen Einrichtung bereitgestellt werden, der Verbraucher die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen jedoch nicht gemäß dieser Richtlinie empfangen oder auf diese zugreifen kann. In diesen Fällen sollten dem Verbraucher dieselben Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen wie im Fall der nicht erfolgten Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen seitens des Unternehmers. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Bereitstellung sollten die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen in Übereinstimmung mit den marktüblichen Praktiken und technischen Möglichkeiten und zur Sicherstellung einer gewissen Fle-

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xibilität unverzüglich bereitgestellt werden, sofern die Parteien keine andere Vereinbarung über sonstige Bereitstellungsmodelle treffen. Die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen sollten die Anforderungen erfüllen, die zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher vertraglich vereinbart worden sind. Insbesondere sollten sie der vertraglich vereinbarten Beschreibung, Menge (z. B. Anzahl der Musikdateien, auf die zugegriffen werden kann), Qualität (z. B. Bildauflösung), Sprache und Version entsprechen. Außerdem sollten sie die Sicherheit, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstigen Merkmale aufweisen, die vertraglich vereinbart wurden. Zu den vertraglichen Anforderungen sollten die Anforderungen gehören, die sich aus den vorvertraglichen Informationen ergeben, die gemäß der Richtlinie 2011/83/EU fester Bestandteil des Vertrags sind. Diese Anforderungen könnten auch in einer Leistungsvereinbarung festgelegt werden, wenn gemäß dem anwendbaren nationalen Recht eine solche Art von Vereinbarung Bestandteil der Vertragsbeziehung zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer ist. Der Begriff der Funktionalität sollte so verstanden werden, dass er sich darauf bezieht, wie digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen verwendet werden können. Beispielsweise kann das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von technischen Beschränkungen wie der Schutz mittels digitaler Rechteverwaltung oder Regionalcodierung Auswirkungen darauf haben, ob die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen alle für ihren Zweck erforderlichen Funktionen erfüllen können. Der Begriff der Interoperabilität bezieht sich auf die Frage, ob und in welchem Umfang digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen mit einer anderen Hardware oder Software als derjenigen, mit denen digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen derselben Art in der Regel genutzt werden, funktionieren. Das erfolgreiche Funktionieren könnte beispielsweise die Fähigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen umfassen, Informationen mit einer solchen anderen Software oder Hardware auszutauschen und die ausgetauschten Informationen zu nutzen. Da sich digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen ständig weiterentwickeln, können Unternehmer mit Verbrauchern vereinbaren, Aktualisierungen (Updates) und Merkmale bereitzustellen, sobald sie zur Verfügung stehen. Die Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen sollte daher auch hinsichtlich der Frage geprüft werden, ob die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen auf die Art und Weise aktualisiert werden, die vertraglich festgelegt worden ist. Die nicht erfolgte Bereitstellung von vertraglich vereinbarten Aktualisierungen sollte als Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen betrachtet werden. Darüber hinaus sollten fehlerhafte oder unvollständige Aktualisierungen ebenfalls als Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen betrachtet werden, da dies bedeuten würde, dass solche Aktualisierungen nicht in der Weise durchgeführt werden, die im Vertrag festgelegt wurde. Damit die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen vertragsgemäß sind und sichergestellt ist, dass den Verbrauchern ihre Rechte nicht vorenthalten werden, beispielsweise in Fällen, in denen der Vertrag sehr niedrige Standards festlegt, sollten die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht nur den subjektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit entsprechen, sondern darüber hinaus die in dieser Richtlinie festgelegten objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit erfüllen. Die Vertragsmäßigkeit sollte unter anderem anhand des Zwecks, für den digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen derselben Art gewöhnlich genutzt werden, beurteilt werden. Sie sollten auch die qualitativen Merkmale aufweisen und die Leistungsmerkmale erfüllen, die bei digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen derselben Art normal sind und die die Verbraucher ange-

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sichts der Beschaffenheit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen und unter Berücksichtigung etwaiger öffentlicher Aussagen zu den besonderen Merkmalen der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, die von dem Unternehmer oder anderen Personen in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette oder in deren Namen gemacht wurden, vernünftigerweise erwarten können. (46) Der Standard für Vernünftigkeit bei allen Verweisen in dieser Richtlinie darauf, was eine Person vernünftigerweise erwarten kann, sollte objektiv und unter Berücksichtigung der Art und des Zwecks der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, der Umstände des Einzelfalls und der Gebräuche und Gepflogenheiten der Vertragsparteien bestimmt werden. Eine objektive Bestimmung ist insbesondere dann erforderlich, wenn es gilt, eine angemessene Frist für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen festzulegen, wobei der Art der Vertragswidrigkeit Rechnung zu tragen ist. (47) Während des Zeitraums, den der Verbraucher vernünftigerweise erwarten würde, sollte der Unternehmer dem Verbraucher Aktualisierungen, einschließlich Sicherheitsaktualisierungen, bereitstellen, damit die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen in vertragsgemäßem Zustand bleiben und sicher bleiben. So sollte beispielsweise in Bezug auf digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen, deren Zweck zeitlich begrenzt ist, die Verpflichtung zur Bereitstellung von Aktualisierungen auf diesen begrenzten Zeitraum beschränkt sein, während bei anderen Arten digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen der Zeitraum, in dem dem Verbraucher Aktualisierungen bereitgestellt werden sollten, dem Gewährleistungszeitraum für Vertragswidrigkeit entsprechen könnte oder über diesen Zeitraum hinausgehen könnte, was insbesondere bei Sicherheitsaktualisierungen der Fall sein könnte. Es sollte den Verbrauchern freistehen, die bereitgestellten Aktualisierungen zu installieren. Entscheidet sich der Verbraucher dafür, die Aktualisierungen nicht zu installieren, sollte er jedoch nicht erwarten, dass die Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gewahrt bleibt. Der Unternehmer sollte den Verbraucher darüber informieren, dass sich die Entscheidung des Verbrauchers, Aktualisierungen nicht zu installieren, die für die Aufrechterhaltung der Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen erforderlich sind, einschließlich der Sicherheitsaktualisierungen, auf die Haftung des Unternehmers für die Vertragsmäßigkeit dieser Merkmale der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, die durch die betreffenden Aktualisierungen gewahrt werden soll, auswirkt. Diese Richtlinie sollte die im Unionsrecht oder im nationalen Recht festgelegten Verpflichtungen zur Bereitstellung von Sicherheitsaktualisierungen unberührt lassen. (48) Die Verordnung (EU) 2016/679 oder andere Datenschutzvorschriften der Union sollten für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit Verträgen, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, in vollem Umfang gelten. Außerdem sollten die Rechte, Verpflichtungen und außervertraglichen Rechtsbehelfe gemäß der Verordnung (EU) 2016/679 von dieser Richtlinie unberührt bleiben. Sachverhalte, die dazu führen, dass die Anforderungen der Verordnung (EU) 2016/679, einschließlich wesentlicher Grundsätze wie Datenminimierung, Datenschutz durch Technik und datenschutzfreundliche Voreinstellungen, nicht eingehalten werden, können je nach den Umständen des Falls auch als fehlende Übereinstimmung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen mit den subjektiven oder objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit gemäß dieser Richtlinie betrachtet werden. Ein Beispiel könnten Fälle sein, in denen ein Unternehmer im Vertrag ausdrücklich eine Verpflichtung eingeht oder in denen der Vertrag entsprechend ausgelegt werden kann, und eine Verbindung mit den Verpflichtungen

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des Unternehmers nach der Verordnung (EU) 2016/679 besteht. In diesem Fall kann eine solche vertragliche Verpflichtung Teil der subjektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit werden. Ein zweites Beispiel könnten Fälle sein, in denen eine Nichteinhaltung der Verpflichtungen gemäß der Verordnung (EU) 2016/679 zugleich dazu führen könnte, dass die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht für den vorgesehenen Zweck geeignet sind, was bedeutet, dass die objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit, denen zufolge die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen für die Zwecke geeignet sein müssen, für die digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen desselben Typs normalerweise verwendet werden, nicht erfüllt werden. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Unternehmer, der eine Datenverschlüsselungssoftware anbietet, die in der Verordnung (EU) 2016/679 vorgeschriebenen Maßnahmen nicht umsetzt, mit denen auf technischem Wege sichergestellt wird, dass personenbezogene Daten nicht an unbefugte Empfänger weitergegeben werden, wodurch die Verschlüsselungssoftware nicht für den beabsichtigten Zweck geeignet wäre, nämlich die sichere Übertragung von Daten durch den Verbraucher an den vorgesehenen Empfänger. Schließlich könnte es Fälle geben, in denen der Unternehmer seinen Verpflichtungen gemäß der Verordnung (EU) 2016/679 nicht nachkommt und damit gleichzeitig die objektive Anforderung an die Vertragsmäßigkeit, demzufolge der digitale Inhalt oder die digitale Dienstleistung die Eigenschaften aufweisen muss, die für digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen des gleichen Typs normal sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, nicht erfüllt. Wenn beispielsweise der Anbieter einer Anwendung für den Einkauf im Internet die in der Verordnung (EU) 2016/679 vorgesehenen Maßnahmen für die Sicherheit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Verbrauchers nicht ergreift und die Kreditkarteninformationen des Verbrauchers deshalb anfällig für Schadsoftware oder Spähsoftware sind, könnte dieses Versäumnis auch eine Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie darstellen, da der Verbraucher vernünftigerweise erwarten würde, dass eine solche Anwendung normalerweise Merkmale aufweist, die die Offenlegung von Zahlungsdaten verhindern. Wenn der Sachverhalt, der zu einem Verstoß gegen die Anforderungen der Verordnung (EU) 2016/679 führt, gleichzeitig bedeutet, dass die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen die subjektiven oder objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit gemäß dieser Richtlinie nicht erfüllen, so sollte der Verbraucher Anspruch auf die Abhilfen haben, die in dieser Richtlinie für den Fall der Vertragswidrigkeit vorgesehen sind, es sei denn, der Vertrag ist nach nationalem Recht ohnehin nichtig oder anfechtbar. (49) Um für ausreichende Flexibilität zu sorgen, sollten die Parteien die Möglichkeit haben, von den objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit abzuweichen. Eine solche Abweichung sollte nur möglich sein, wenn der Verbraucher ausdrücklich davon unterrichtet wurde und wenn er sie gesondert von anderen Erklärungen oder Vereinbarungen und durch sein aktives und eindeutiges Verhalten akzeptiert hat. Beide Bedingungen könnten beispielsweise durch Anklicken eines Kästchens, Betätigung einer Schaltfläche oder Aktivierung einer ähnlichen Funktion erfüllt werden. (50) Bei der Anwendung dieser Richtlinie sollten die Unternehmer unter anderem in Bezug auf das allgemein gebräuchliche und maschinenlesbare Format für die Abfrage der Inhalte, die vom Verbraucher bei der Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bereitgestellt oder erzeugt wurden, sofern es sich dabei nicht um personenbezogene Daten handelt, und in Bezug auf die Sicherheit von Informationssystemen und digitalen Umgebungen auf Standards, offene technische Spezifikationen, bewährte Verfahren und Verhaltenskodizes zurückgreifen, die auf internationaler Ebene, Unionsebene

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oder auf Ebene eines Industriezweigs festgelegt wurden. In diesem Zusammenhang könnte die Kommission die Entwicklung internationaler Normen und Unionsnormen ebenso verlangen wie die Erstellung eines Verhaltenskodex durch Branchenverbände und sonstige repräsentative Organisationen, die die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie unterstützen könnten. (51) Viele Arten digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen, wie der Zugriff auf CloudDienste, werden über einen Zeitraum fortlaufend bereitgestellt. Daher muss dafür Sorge getragen werden, dass die Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte und digitalen Dienstleistungen während der Vertragslaufzeit gewahrt ist. Kurzfristige Unterbrechungen der Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen sollten dann als Fälle von Vertragswidrigkeit behandelt werden, wenn diese Unterbrechungen mehr als vernachlässigbar oder wiederkehrend sind. Da digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen häufig insbesondere durch Aktualisierungen verbessert werden, sollte außerdem die dem Verbraucher bereitgestellte Version der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen die aktuellste Version sein, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verfügbar war, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. (52) Digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen müssen sachgemäß in die Hard- und Softwareumgebung des Verbrauchers integriert werden, damit sie ordnungsgemäß funktionieren. Eine Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, die auf eine unsachgemäße Integration zurückzuführen ist, sollte als Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen selbst gelten, sofern sie vom Unternehmer selbst oder unter seiner Kontrolle oder aber vom Verbraucher anhand der auf die Integration bezogenen Anweisungen des Unternehmers integriert wurden und die unsachgemäße Integration auf Mängeln in den erforderlichen Integrationsanweisungen, wie beispielsweise Unvollständigkeit oder mangelnde Klarheit der Integrationsanweisungen, die dadurch von einem Durchschnittsverbraucher nur schwer zu nutzen sind, beruht. (53) Beschränkungen der Nutzung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen durch den Verbraucher im Einklang mit dieser Richtlinie könnten aufgrund von Einschränkungen entstehen, die vom Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums im Einklang mit den Rechtsvorschriften für geistiges Eigentum auferlegt wurden. Solche Beschränkungen können sich aus der Lizenzvereinbarung für Endnutzer ergeben, gemäß der die digitalen Inhalte oder die digitalen Dienstleistungen für den Verbraucher bereitgestellt werden. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn dem Verbraucher durch eine Lizenzvereinbarung für Endnutzer untersagt ist, bestimmte Merkmale im Zusammenhang mit der Funktionalität der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zu nutzen. Eine solche Beschränkung könnte dazu führen, dass die digitalen Inhalte oder die digitalen Dienstleistungen die in dieser Richtlinie festgelegten objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit nicht erfüllen, sofern sie Merkmale betreffen sollte, die digitale Inhalte oder digitale Dienste desselben Typs für gewöhnlich aufweisen und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann. In solchen Fällen sollte der Verbraucher in der Lage sein, gegenüber dem Unternehmer, der die digitalen Inhalte oder die digitalen Dienstleistungen geliefert hat, die in dieser Richtlinie festgelegten Abhilfen für Vertragswidrigkeit geltend zu machen. Der Unternehmer sollte einer dementsprechenden Haftung nur entgehen können, wenn er die Bedingungen für Abweichungen von den in dieser Richtlinie festgelegten objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit erfüllt, was konkret bedeutet, dass der Unternehmer den Verbraucher vor Abschluss des Vertrags ausdrücklich darüber informiert, dass eine bestimmte Eigenschaft der digitalen Inhalte oder digitalen

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Dienstleistungen von den objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit abweicht und dass der Verbraucher diese Abweichung ausdrücklich und gesondert akzeptiert hat. (54) Rechtsmängel sind bei digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen, die Rechten des geistigen Eigentums unterliegen, besonders erheblich. Beschränkungen der Nutzung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen durch den Verbraucher im Einklang mit dieser Richtlinie könnten ein Ergebnis von Verletzungen von Rechte Dritter sein. Ein solcher Verstoß könnte den Verbraucher wirksam an der Nutzung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen oder einiger ihrer Merkmale hindern beispielsweise wenn der Verbraucher überhaupt nicht oder nicht rechtmäßig auf die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zugreifen kann. Der Grund dafür kann darin liegen, dass der Dritte den Unternehmer rechtmäßig zwingt, die Verletzung dieser Rechte einzustellen und die betreffenden digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht mehr bereitzustellen, oder dass der Verbraucher die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht nutzen kann, ohne gegen das Recht zu verstoßen. Im Fall einer Verletzung von Rechten Dritter, die zu einer Beschränkung führt, durch die die Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen im Einklang mit den subjektiven und objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit verhindert oder eingeschränkt wird, sollte der Verbraucher Anspruch auf die Abhilfen bei Vertragswidrigkeit haben, es sei denn, nationale Rechtsvorschriften sehen die Nichtigkeit oder die Aufhebung des Vertrags vor, beispielsweise aufgrund eines Verstoßes gegen die gesetzliche Rechtsmängelhaftung. (55) Der Unternehmer sollte dem Verbraucher gegenüber bei einer Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen und für die nicht erfolgte Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen haften. Da digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen den Verbrauchern im Rahmen einer oder mehrerer einzelner Bereitstellungen oder fortlaufend über einen Zeitraum bereitgestellt werden können, ist es angemessen, den maßgeblichen Zeitpunkt für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Arten der Bereitstellung festzulegen. (56) Digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen können den Verbrauchern im Rahmen einer einmaligen Bereitstellung bereitgestellt werden, beispielsweise wenn ein Verbraucher ein E-Book herunterlädt und auf seinem persönlichen Gerät abspeichert. Ähnlich kann die Bereitstellung aus einer Reihe solcher einzelnen Vorgänge bestehen, beispielsweise wenn der Verbraucher wöchentlich einen Link für das Herunterladen eines neuen E-Books erhält. Diese Kategorie digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen ist dadurch gekennzeichnet, dass die Verbraucher danach unbefristeten Zugang auf und unbefristete Nutzungsrechte für die digitalen Inhalte und digitalen Dienstleistungen haben. In solchen Fällen sollte die Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zum Zeitpunkt der Bereitstellung geprüft werden, und daher sollte der Unternehmer nur für eine Vertragswidrigkeit haftbar sein, die zu dem Zeitpunkt besteht, zu dem die einmalige Bereitstellung oder jede einzelne Bereitstellung erfolgt. Um für Rechtssicherheit zu sorgen, sollten sich Unternehmer und Verbraucher auf einen einheitlichen Mindestzeitraum stützen können, während der der Unternehmer für eine Vertragswidrigkeit haftbar gemacht werden sollte. In Bezug auf Verträge, die eine einmalige Bereitstellung oder eine Reihe einzelner Bereitstellungen der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vorsehen, sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Unternehmer für nicht weniger als zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Bereitstellung haften, wenn sie gemäß dem jeweiligen nationalen Recht nur für eine Vertragswidrigkeit haften, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach der Bereitstellung offenbar wird.

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(57) Digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen könnten den Verbrauchern auch fortlaufend über einen Zeitraum bereitgestellt werden. Eine fortlaufende Bereitstellung kann Fälle erfassen, in denen der Unternehmer dem Verbraucher eine digitale Dienstleistung für einen bestimmten oder unbegrenzten Zeitraum zur Verfügung stellt, beispielsweise bei Zweijahresverträgen für eine Cloud-Speicherung oder bei einer unbefristeten Mitgliedschaft bei einer Plattform für soziale Medien. Diese Kategorie ist dadurch gekennzeichnet, dass die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen dem Verbraucher nur so lange zur Verfügung stehen oder zugänglich sind, wie die festgelegte Vertragslaufzeit andauert oder der unbefristete Vertrag in Kraft ist. Daher ist es gerechtfertigt, dass der Unternehmer in solchen Fällen nur für eine Vertragswidrigkeit haften sollte, die während dieses Zeitraums offenbar wird. Fortlaufende Bereitstellung sollte nicht unbedingt bedeuten, dass es sich dabei um eine langfristige Bereitstellung handelt. Beispielsweise sollte das Streaming eines Videoclips unabhängig von der tatsächlichen Abspieldauer der audiovisuellen Datei als eine fortlaufende Bereitstellung über einen bestimmten Zeitraum betrachtet werden. Fälle, in denen bestimmte Elemente der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen während des Zeitraums, in dem die festgelegte Vertragslaufzeit andauert oder der unbefristete Vertrag in Kraft ist, regelmäßig oder wiederholt bereitgestellt werden, sollten ebenfalls als fortlaufende Bereitstellung über einen Zeitraum betrachtet werden, beispielsweise wenn der Vertrag vorsieht, dass ein Antivirenprogramm ein Jahr lang genutzt werden kann und in diesem Zeitraum immer am Ersten jeden Monats automatisch aktualisiert wird oder dass der Unternehmer Aktualisierungen bereitstellt, wenn neue Merkmale eines Computerspiels verfügbar sind, und die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen dem Verbraucher nur so lange zur Verfügung stehen oder zugänglich sind, wie die festgelegte Vertragslaufzeit andauert oder der unbefristete Vertrag in Kraft ist. (58) Den Mitgliedstaaten sollte es weiterhin freistehen, die nationalen Verjährungsfristen zu regeln. Allerdings sollten solche Verjährungsfristen die Verbraucher nicht daran hindern, ihre Rechte während des gesamten Zeitraums, in dem der Unternehmer für eine Vertragswidrigkeit haftet, wahrzunehmen. Während mit dieser Richtlinie daher nicht der Beginn der nationalen Verjährungsfristen harmonisiert werden sollte, so sollte dennoch sichergestellt werden, dass solche Fristen es Verbrauchern ermöglichen, ihre Abhilfen für eine Vertragswidrigkeit auszuüben, die zumindest während des Zeitraums offenbar wird, in dem der Unternehmer für eine Vertragswidrigkeit haftet. (59) Aufgrund des besonderen und äußerst komplexen Charakters digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen und des Umstands, dass der Unternehmer über bessere Fachkenntnisse verfügt und Zugang zu Know-how, technischen Informationen und Unterstützung durch Hochtechnologie hat, kann der Unternehmer wahrscheinlich besser als der Verbraucher beurteilen, warum digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen nicht bereitgestellt werden oder vertragswidrig sind. Der Unternehmer kann wahrscheinlich auch besser beurteilen, ob die nicht erfolgte Bereitstellung oder die Vertragswidrigkeit auf die Unvereinbarkeit der digitalen Umgebung des Verbrauchers mit den technischen Anforderungen an die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zurückzuführen ist. Auch wenn es im Fall einer Streitigkeit zwar dem Verbraucher obliegt, die Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nachzuweisen, so sollte es ihm jedoch nicht obliegen, nachzuweisen, dass die Vertragswidrigkeit zum Zeitpunkt der Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen oder, im Fall einer fortlaufenden Bereitstellung, während der Vertragslaufzeit bestanden hat. Stattdessen sollte es dem Unternehmer obliegen, die zu dem entsprechenden Zeitpunkt oder während des entsprechenden Zeitraums bestehende Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen

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Dienstleistungen nachzuweisen. Diese Beweislast sollte der Unternehmer tragen, wenn die Vertragswidrigkeit — im Fall eines Vertrags, in dem eine einmalige Bereitstellung oder eine Reihe einzelner Bereitstellungen vorgesehen ist — innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt der Bereitstellung offenbar wird und wenn die Vertragswidrigkeit — im Fall eines Vertrags, in dem die fortlaufende Bereitstellung über einen Zeitraum vorgesehen ist — während der Vertragslaufzeit offenbar wird. Weist der Unternehmer jedoch nach, dass die digitale Umgebung des Verbrauchers nicht mit den technischen Anforderungen vereinbar ist, über die der Unternehmer den Verbraucher vor Abschluss des Vertrags in klarer und verständlicher Weise informiert hat, so sollte der Verbraucher nachweisen müssen, dass die Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen — im Fall eines Vertrags, in dem eine einmalige Bereitstellung oder eine Reihe einzelner Bereitstellungen vorgesehen ist — zum Zeitpunkt der Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bzw. im Fall eines Vertrags, in dem die fortlaufende Bereitstellung über einen Zeitraum vorgesehen ist — während der Vertragslaufzeit vorlag. (60) Unbeschadet des Grundrechts auf Schutz der Privatsphäre, einschließlich der Vertraulichkeit der Kommunikation, und auf Schutz der personenbezogenen Daten des Verbrauchers sollte der Verbraucher mit dem Unternehmer im Hinblick darauf zusammenarbeiten, dass der Unternehmer unter Verwendung der zur Verfügung stehenden technischen Mittel, die die Privatsphäre des Verbrauchers am wenigsten beeinträchtigen, prüft, ob die Ursache für die Vertragswidrigkeit in der digitalen Umgebung des Verbrauchers liegt. Dies kann beispielsweise erfolgen, indem dem Unternehmer automatisch erzeugte Berichte über Zwischenfälle übermittelt werden, oder mittels Details der Internetverbindung des Verbrauchers. Nur in begründeten Ausnahmefällen, in denen es keine andere Möglichkeit gibt, obwohl alle anderen Mittel ausgeschöpft wurden, müssen Verbraucher möglicherweise virtuellen Zugang zu ihrer digitalen Umgebung gewähren. Arbeitet der Verbraucher jedoch nicht mit dem Unternehmer zusammen und wurde er über diese Folge mangelnder Zusammenarbeit unterrichtet, sollte nicht nur die Beweislast für die Vertragswidrigkeit digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen beim Verbraucher liegen, sondern auch die Beweislast dafür, dass die Vertragswidrigkeit digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen im Fall eines Vertrags, in dem eine einmalige Bereitstellung oder eine Reihe einzelner Bereitstellungen vorgesehen ist, zum Zeitpunkt von deren Bereitstellung bzw. – im Fall eines Vertrags, in dem die fortlaufende Bereitstellung über einen Zeitraum vorgesehen ist — während der Vertragslaufzeit vorlag (61) Hat der Unternehmer die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht bereitgestellt, so sollte der Verbraucher den Unternehmer auffordern, die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bereitzustellen. In solchen Fällen sollte der Unternehmer unverzüglich oder innerhalb einer von den Parteien ausdrücklich vereinbarten zusätzlichen Frist tätig werden. Da digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen in digitaler Form bereitgestellt werden, sollte bei der Bereitstellung in den meisten Fällen keine zusätzliche Zeit erforderlich sein, um dem Verbraucher die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bereitzustellen. Daher sollte in solchen Fällen die Verpflichtung des Unternehmers zur unverzüglichen Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bedeuten, dass sie sofort bereitzustellen sind. Stellt der Unternehmer die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen dann nicht bereit, so sollte der Verbraucher zur Beendigung des Vertrags berechtigt sein. Unter bestimmten Umständen, beispielsweise wenn klar zu erkennen ist, dass der Unternehmer die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht bereitstellen wird, oder wenn für den Verbraucher ein bestimmter Zeitpunkt für die Bereitstellung von grundlegender Bedeutung ist, sollte der Verbraucher berechtigt

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sein, den Vertrag zu beenden, ohne vorher den Unternehmer zur Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen aufzufordern. Bei Vertragswidrigkeit sollten Verbraucher Anspruch auf unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, auf eine anteilsmäßige Preisminderung oder auf Beendigung des Vertrags haben. Je nach den technischen Merkmalen der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen sollte der Unternehmer entscheiden dürfen, wie er den vertragsgemäßen Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen herstellt, beispielsweise indem er aktualisierte Versionen übermittelt oder dem Verbraucher eine neue Kopie der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bereitstellt. Angesichts der Vielfalt digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen ist es nicht angemessen, feste Fristen für die Wahrnehmung der Rechte oder die Erfüllung der Pflichten im Zusammenhang mit diesen Inhalten oder Dienstleistungen festzulegen. Feste Fristen würden solcher Vielfalt nicht gerecht werden und könnten je nach Fall zu kurz oder zu lang ausfallen. Daher ist es sinnvoller, vorzuschreiben, dass der vertragsgemäße Zustand der digitalen Inhalte und digitalen Dienstleistungen innerhalb einer angemessenen Frist hergestellt werden muss. Eine solche Vorschrift sollte die Parteien nicht daran hindern, eine bestimmte Frist für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zu vereinbaren. Der vertragsgemäße Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen sollte kostenfrei hergestellt werden. Insbesondere sollten dem Verbraucher keine Kosten im Zusammenhang mit der Entwicklung einer aktualisierten Version der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen entstehen. Ist die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen rechtlich oder tatsächlich unmöglich oder weigert sich der Unternehmer, den vertragsgemäßen Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen herzustellen, da ihm dies unverhältnismäßige Kosten verursachen würde, oder hat der Unternehmer den vertragsgemäßen Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht innerhalb einer angemessenen Frist kostenlos und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher hergestellt, so sollte der Verbraucher Anspruch auf Abhilfe in Form einer Preisminderung oder einer Beendigung des Vertrags haben. In bestimmten Fällen ist es gerechtfertigt, dass der Verbraucher sofort Anspruch auf Minderung des Preises oder Beendigung des Vertrags haben sollte, beispielsweise wenn der Unternehmer bereits zuvor die Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen erfolglos herzustellen versucht hat oder wenn aufgrund der schwerwiegenden Art der Vertragswidrigkeit vom Verbraucher kein weiteres Vertrauen in die Fähigkeit des Unternehmers, den vertragsgemäßen Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen herzustellen, erwartet werden kann. So sollte der Verbraucher beispielsweise das Recht haben, unmittelbar die Beendigung des Vertrags oder eine Preisminderung zu fordern, wenn ihm ein Antivirenprogramm bereitgestellt wird, das selbst mit Viren infiziert ist, da dies eine solche schwerwiegende Vertragswidrigkeit darstellen würde. Dasselbe sollte gelten, wenn klar zu erkennen ist, dass der Unternehmer den vertragsgemäßen Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistung nicht innerhalb einer angemessenen Frist bzw. nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher herstellen wird. Hat der Verbraucher Anspruch auf eine Minderung des Preises, der für über einen Zeitraum bereitgestellte digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen gezahlt wird, so sollte bei der Berechnung der Preisminderung die Wertminderung des digitalen Inhalts oder

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der digitalen Dienstleistung sowohl aufgrund der Vertragswidrigkeit als auch aufgrund des Zeitraums, in dem der Verbraucher die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht in vertragsgemäßem Zustand nutzen konnte, berücksichtigt werden. Werden die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gegen Zahlung eines Preises bereitgestellt, so sollte der Verbraucher den Vertrag nur dann beenden können, wenn es sich nicht um eine geringfügige Vertragswidrigkeit handelt. Wenn die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zwar nicht gegen Zahlung eines Preises bereitgestellt werden, der Verbraucher jedoch personenbezogene Daten bereitstellt, so sollte der Verbraucher das Recht haben, den Vertrag auch in Fällen einer geringfügigen Vertragswidrigkeit zu beenden, da ihm Abhilfe in Form einer Preisminderung nicht zur Verfügung steht. In Fällen, in denen der Verbraucher sowohl einen Preis zahlt als auch personenbezogene Daten bereitstellt sollte der Verbraucher im Fall einer Vertragswidrigkeit Anspruch auf alle zur Verfügung stehenden Abhilfen haben. Insbesondere sollte der Verbraucher, sofern alle anderen Bedingungen erfüllt sind, Anspruch auf Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, eine Minderung des für die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gezahlten Preises oder die Beendigung des Vertrags haben. Beendet der Verbraucher den Vertrag, sollte der Unternehmer dem Verbraucher den gezahlten Preis erstatten. Werden digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen über einen Zeitraum bereitgestellt und entsprechen sie nur während eines Teils dieses Zeitraums dem Vertrag, so sollten die legitimen Interessen von Verbrauchern und Unternehmern gegeneinander abgewogen werden. Bei Beendigung des Vertrags sollte der Verbraucher daher nur Anspruch auf den Anteil des gezahlten Preises haben, der dem Zeitraum entspricht und zur Länge des Zeitraums im Verhältnis steht, in dem die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vertragswidrig waren. Der Verbraucher sollte auch Anspruch auf den Anteil des Preises haben, den er im Voraus für den nach Beendigung des Vertrags verbleibenden Zeitraum gezahlt hat. Stellt der Verbraucher dem Unternehmer personenbezogene Daten bereit, so sollte der Unternehmer die Verpflichtungen der Verordnung (EU) 2016/679 einhalten. Solche Verpflichtungen sollten auch in jenen Fällen zu erfüllen sein, in denen der Verbraucher eine Geldzahlung leistet und personenbezogene Daten bereitstellt. Nach Beendigung des Vertrags sollte es der Unternehmer zudem unterlassen, Inhalte, die nicht personenbezogene Daten sind und die vom Verbraucher bei der Nutzung der vom Unternehmer bereitgestellten digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bereitgestellt oder erstellt wurden, zu nutzen. Solche anderen Inhalte könnten digitale Bilder, Video- und Audiodateien oder auf mobilen Geräten erstellte Inhalte umfassen. Jedoch sollte der Unternehmer berechtigt sein, die vom Verbraucher bereitgestellten oder erstellten Inhalte weiter zu nutzen, wenn solche Inhalte außerhalb des Kontextes der von dem Unternehmer bereitgestellten digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen keinen Nutzen haben, wenn sie ausschließlich mit der Aktivität des Verbrauchers zusammenhängen, wenn sie vom Unternehmer mit anderen Daten aggregiert wurden und nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand disaggregiert werden können oder wenn sie vom Verbraucher gemeinsam mit anderen erzeugt wurden und sie von anderen Verbrauchern weiter genutzt werden können. Der Verbraucher könnte von der Inanspruchnahme von Abhilfen bei Vertragswidrigkeit digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen abgehalten werden, wenn ihm der Zugang zu anderem Inhalt als personenbezogenen Daten genommen wurde, den er durch die Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bereitgestellt oder erstellt hat. Um sicherzustellen, dass der Verbraucher im Hinblick auf das Recht zur Beendi-

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gung des Vertrags wirksamen Schutz genießt, sollte der Unternehmer dem Verbraucher auf dessen Ersuchen diese Inhalte daher nach Beendigung des Vertrags zugänglich machen. Der Verbraucher sollte das Recht haben, die Inhalte innerhalb einer angemessenen Frist, ohne Behinderung durch den Unternehmer, in einem gebräuchlichen, maschinenlesbaren Format und kostenfrei wiederzuerlangen; dies gilt nicht für Kosten wie Internetverbindungskosten, die durch die digitale Umgebung des Verbrauchers bedingt sind, da diese Kosten nicht spezifisch mit der Wiedererlangung der Inhalte zusammenhängen. Die Verpflichtung des Unternehmers zur Zugänglichmachung solcher Inhalte sollte jedoch nicht gelten, wenn die Inhalte nur im Kontext der Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen von Nutzen sind, sie ausschließlich mit der Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen durch den Verbraucher zusammenhängen oder sie vom Unternehmer mit anderen Daten aggregiert wurden und nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand disaggregiert werden können. In diesen Fällen sind die Inhalte für den Verbraucher nicht von nennenswertem praktischen Nutzen oder von nennenswertem Belang, wobei auch die Interessen des Unternehmers zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus sollte die Verpflichtung des Unternehmers, dem Verbraucher nach Beendigung des Vertrags Inhalte bereitzustellen, die keine personenbezogenen Daten darstellen und die vom Verbraucher bereitgestellt oder erstellt wurden, unbeschadet des Rechts des Unternehmers gelten, im Einklang mit den geltenden Rechtsvorschriften bestimmte Inhalte nicht offenzulegen. Wurde der Vertrag beendet, sollte der Verbraucher nicht verpflichtet sein, für die Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen für einen Zeitraum, in dem die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vertragswidrig waren, zu zahlen, da dem Verbraucher hierdurch der wirksame Schutz entzogen würde. Jedoch sollte der Verbraucher auch die Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen und deren Zurverfügungstellung an Dritte unterlassen, beispielsweise indem er die digitalen Inhalte oder jede verwendbare Kopie löscht oder die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen auf andere Weise unzugänglich macht. Der Grundsatz der Haftung des Unternehmers für Schäden ist ein wesentlicher Bestandteil von Verträgen über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen. Daher sollte der Verbraucher Anspruch auf Entschädigung für die Nachteile haben, die auf eine Vertragswidrigkeit oder eine unterlassene Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen zurückzuführen sind. Die Entschädigung sollte den Verbraucher so weit wie möglich in die Lage versetzen, in der er sich befunden hätte, wenn die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen ordnungs- und vertragsgemäß bereitgestellt worden wären. Da ein solcher Schadensersatzanspruch bereits in allen Mitgliedstaaten besteht, sollte diese Richtlinie die nationalen Vorschriften über die Entschädigung von Verbrauchern für Schäden, die sich aus dem Verstoß gegen diese Vorschriften ergeben, unberührt lassen. Diese Richtlinie sollte auch Änderungen wie etwa Aktualisierungen und Verbesserungen (Upgrades) erfassen, die von den Unternehmern an digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen, die dem Verbraucher über einen Zeitraum bereitgestellt oder zugänglich gemacht werden, vorgenommen werden. Da sich digitale Inhalte und digitalen Dienstleistungen rasch weiterentwickeln, können solche Aktualisierungen, Verbesserungen oder ähnliche Änderungen erforderlich sein; für den Verbraucher sind sie oftmals vorteilhaft. Einige Änderungen — etwa solche, die im Vertrag als Aktualisierungen festgelegt sind — können Bestandteil der Vertragspflichten sein. Andere Änderungen können zur Einhal-

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tung der in dieser Richtlinie vorgesehenen objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen erforderlich sein. Anderen Änderungen wiederum, die von den objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit abweichen würden und zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhersehbar sind, müsste der Verbraucher beim Abschluss des Vertrags ausdrücklich zustimmen. (75) Zusätzlich zu Änderungen, die der Aufrechterhaltung der Vertragsmäßigkeit dienen, sollte es dem Unternehmer unter bestimmten Umständen auch gestattet sein, Merkmale der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zu ändern, sofern im Vertrag ein triftiger Grund für eine solche Änderung angegeben ist. Solche triftigen Gründe könnten Fälle umfassen, in denen die Änderung erforderlich ist, um die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen an eine neue technische Umgebung oder an eine erhöhte Nutzerzahl anzupassen, oder in denen sie aus anderen wichtigen betriebstechnischen Gründen erforderlich ist. Solche Änderungen sind häufig vorteilhaft für den Verbraucher, da sie die digitalen Inhalte bzw. digitalen Dienstleistungen verbessern. Daher sollten die Vertragsparteien entsprechende Klauseln in den Vertrag aufnehmen können, die es dem Unternehmer ermöglichen, Änderungen vorzunehmen. Um die Interessen von Verbrauchern und Unternehmen in Einklang zu bringen, sollte diese Möglichkeit für den Unternehmer mit einem Recht für den Verbraucher einhergehen, den Vertrag zu beenden, wenn sich solche Änderungen mehr als nur geringfügig negativ auf die Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen oder den Zugang zu ihnen auswirken. Das Maß, in dem sich Änderungen negativ auf die Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen durch den Verbraucher oder seinen Zugang zu ihnen auswirken, sollte in Anbetracht von Art und Zweck der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen und der Qualität, der Funktionalität, der Kompatibilität und anderer wesentlicher Merkmale, wie sie bei digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen derselben Art üblich sind, objektiv bestimmt werden. Die in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Vorschriften für solche Aktualisierungen, Verbesserungen oder ähnliche Änderungen sollten jedoch nicht für Fälle gelten, in denen die Vertragsparteien beispielsweise infolge der Herausgabe einer neuen Version der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen einen neuen Vertrag über die Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen schließen. (76) Verbraucher sollten über Änderungen in klarer und verständlicher Weise informiert werden. Wirkt sich eine Änderung für den Verbraucher mehr als nur geringfügig negativ auf den Zugang zu digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen oder deren Nutzung aus, so sollte der Verbraucher darüber auf eine Weise informiert werden, die die Speicherung dieser Informationen auf einem dauerhaften Datenträger ermöglicht. Ein dauerhafter Datenträger sollte es dem Verbraucher ermöglichen, Informationen so lange zu speichern, wie es für den Schutz der Interessen des Verbrauchers in seinen Beziehungen zum Unternehmer erforderlich ist. Diese dauerhaften Datenträger sollten insbesondere Papier, DVDs, CDs, USB-Sticks, Speicherkarten und Festplatten sowie E-Mails umfassen. (77) Wirkt sich eine Änderung für den Verbraucher mehr als nur geringfügig negativ auf den Zugang zu digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen oder deren Nutzung aus, so sollte der Verbraucher das Recht haben, den Vertrag infolge einer solchen Änderung kostenfrei zu beenden. Alternativ kann sich der Unternehmer dazu entscheiden, dem Verbraucher ohne zusätzliche Kosten weiterhin den Zugang zu den digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen ohne die Änderung und im Einklang mit dem Vertrag zu ermöglichen; in diesem Fall sollte der Verbraucher nicht das Recht haben, den Vertrag zu beenden. Stehen die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, zu denen der Unternehmer dem Verbraucher weiterhin den Zugang ermöglicht hat, jedoch nicht mehr mit

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den subjektiven und objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit im Einklang, so sollte der Verbraucher Anspruch auf die in dieser Richtlinie vorgesehenen Abhilfen bei Vertragswidrigkeit haben. Wenn die Anforderungen an eine solche Änderung gemäß dieser Richtlinie nicht erfüllt sind und die Änderung eine Vertragswidrigkeit zur Folge hat, so sollten die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte des Verbrauchers auf Herstellung der Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, auf Preisminderung oder auf Beendigung des Vertrags unberührt bleiben. Gleichermaßen gilt, dass der Verbraucher, wenn im Anschluss an eine Änderung eine Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen auftritt, die nicht durch die Änderung verursacht wurde, weiterhin Anspruch auf die in dieser Richtlinie bestimmten Abhilfen bei Vertragswidrigkeit in Bezug auf diese digitalen Inhalte bzw. digitalen Dienstleistungen haben sollte. (78) Die Vertragswidrigkeit der dem Verbraucher bereitgestellten digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen ist häufig auf ein Glied innerhalb der gewerblichen Vertragskette vom ursprünglichen Entwurf bis hin zur endgültigen Bereitstellung zurückzuführen. Obschon bei Vertragswidrigkeit der letzte Unternehmer gegenüber dem Verbraucher haften sollte, ist es wichtig, sicherzustellen, dass der Unternehmer zur Deckung dieser Haftung gegenüber dem Verbraucher angemessene Rechte gegenüber verschiedenen Personen in der Vertragskette hat. Diese Rechte sollten sich auf den Geschäftsverkehr beschränken und sollten daher nicht in Fällen gelten, in denen der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher wegen einer Vertragswidrigkeit digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen haftet, die sich aus einer Software zusammensetzen oder auf einer Software aufbauen, die ohne die Zahlung eines Preises im Rahmen einer freien und quelloffenen Lizenz von einer Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette bereitgestellt wurde. Allerdings sollte es den Mitgliedstaaten obliegen, die Personen in der Vertragskette, gegen die der letzte Unternehmer Ansprüche geltend machen kann, sowie die Regelungen und Modalitäten für die Geltendmachung dieser Ansprüche nach nationalem Recht festzulegen. (79) Personen oder Organisationen, die nach nationalem Recht ein berechtigtes Interesse daran haben, die vertraglichen Rechte und die Datenschutzrechte der Verbraucher zu schützen, sollten das Recht erhalten, sich an ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde, die über Beschwerden entscheiden oder geeignete gerichtliche Schritte einleiten kann, zu wenden, um sicherzustellen, dass die nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der vorliegenden Richtlinie angewendet werden. (80) Diese Richtlinie sollte die Anwendung der Vorschriften des internationalen Privatrechts, insbesondere der Verordnungen (EG) Nr. 593/200814 und (EU) Nr. 1215/201215 des Europäischen Parlaments und des Rates, unberührt lassen.

14 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177 vom 4. 7. 2008, S. 6). 15 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 351 vom 20. 12. 2012, S. 1).

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(81) Anhang I der Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates16 sollte zur Einfügung eines Verweises auf die vorliegende Richtlinie geändert werden, damit die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Durchsetzung dieser Richtlinie erleichtert wird. (82) Anhang I der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates17 sollte zur Einfügung eines Verweises auf die vorliegende Richtlinie geändert werden, um zu gewährleisten, dass der Schutz der in dieser Richtlinie festgelegten Kollektivinteressen der Verbraucher gewährleistet ist. 14 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177 vom 4. 7. 2008, S. 6). 15 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 351 vom 20. 12. 2012, S. 1). 16 Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. L 345 vom 27. 12. 2017, S. 1). 17 Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (kodifizierte Fassung) (ABl. L 110 vom 1. 5. 2009, S. 30). (83) Die Verbraucher sollten ihre gemäß dieser Richtlinie gewährten Rechte wahrnehmen können, sobald die entsprechenden nationalen Umsetzungsmaßnahmen gelten. Daher sollten diese nationalen Umsetzungsmaßnahmen auch für Verträge mit einer unbefristeten oder befristeten Laufzeit gelten, die vor dem Zeitpunkt des Anwendungsbeginns dieser Maßnahmen geschlossen wurden und in denen die fortlaufende Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen bzw. deren Bereitstellung im Wege einer Reihe einzelner Bereitstellungen über einen Zeitraum vorgesehen ist, jedoch nur in Bezug auf die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, die ab dem Zeitpunkt der Anwendung der nationalen Umsetzungsmaßnahmen bereitgestellt werden. Um die berechtigten Interessen von Verbrauchern und Unternehmen in Einklang zu bringen, sollten jedoch die nationalen Maßnahmen zur Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie zur Änderung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen und zu Rückgriffsansprüchen nur auf Verträge angewandt werden, die nach dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Zeitpunkt der Anwendung geschlossen wurden. (84) Gemäß der Gemeinsamen Politischen Erklärung der Mitgliedstaaten und der Kommission vom 28. September 2011 zu erläuternden Dokumenten18 haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, in begründeten Fällen zusätzlich zur Mitteilung ihrer Umsetzungsmaßnahmen ein oder mehrere Dokumente zu übermitteln, in denen der Zusammenhang zwischen

16 Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2006/ 2004 (ABl. L 345 vom 27. 12. 2017, S. 1). 17 Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (kodifizierte Fassung) (ABl. L 110 vom 1. 5. 2009, S. 30). 18 ABl. C 369 vom 17. 12. 2011, S. 14.

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den Bestandteilen einer Richtlinie und den entsprechenden Teilen nationaler Umsetzungsinstrumente erläutert wird. In Bezug auf diese Richtlinie hält der Gesetzgeber die Übermittlung derartiger Dokumente für gerechtfertigt. 18 ABl. C 369 vom 17. 12. 2011, S. 14. (85) Der Europäische Datenschutzbeauftragte wurde gemäß der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates19 angehört und hat seine Stellungnahme am 14. März 2017 abgegeben.20 (86) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich einen Beitrag zum Funktionieren des Binnenmarkts zu leisten, indem unter Verhinderung einer Rechtsfragmentierung vertragsrechtliche Hindernisse für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen einheitlich angegangen werden, von den Mitgliedstaaten allein nicht in ausreichendem Maße erreicht werden kann, sondern sich zum Zwecke der Sicherstellung der Gesamtkohärenz der nationalen Rechtsvorschriften durch harmonisierte vertragsrechtliche Vorschriften, die auch koordinierte Durchsetzungsmaßnahmen erleichtern würden, besser auf Unionsebene verwirklichen lässt, kann die Union im Einklang mit dem Subsidiaritätsgrundsatz in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (87) Diese Richtlinie wahrt die Grundrechte und Grundfreiheiten sowie die Grundsätze, wie sie unter anderem in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, insbesondere in deren Artikel 16, 38 und 47 — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 Gegenstand und Zweck Ziel dieser Richtlinie ist es, zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes beizutragen und dabei ein hohes Verbraucherschutzniveau herzustellen, indem gemeinsame Vorschriften über bestimmte Anforderungen an zwischen Unternehmern und Verbrauchern geschlossene Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen festgelegt werden, insbesondere die Regelungen über — die Vertragsmäßigkeit digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen, — die Abhilfen bei Vertragswidrigkeit oder nicht erfolgter Bereitstellung und die Art und Weise der Inanspruchnahme dieser Abhilfen, und — die Änderung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen. Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. „digitale Inhalte“ Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden;

19 Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. L 8 vom 12. 1. 2001 S. 1). 20 ABl. C 200 vom 23. 6. 2017, S. 10.

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„digitale Dienstleistungen“ a) Dienstleistungen, die dem Verbraucher die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten ermöglichen, oder b) „Dienstleistungen, die die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten ermöglichen; c) „vergleichende Werbung“ jede Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar macht; „Waren mit digitalen Elementen“ bewegliche körperliche Gegenstände, die in einer Weise digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht erfüllen könnten; „Integration“ die Verbindung und die Einbindung von digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen mit den bzw. in die Komponenten der digitalen Umgebung des Verbrauchers, damit die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit genutzt werden können; „Unternehmer“ jede natürliche oder juristische Person, unabhängig davon, ob letztere öffentlicher oder privater Natur ist, die in Bezug auf von dieser Richtlinie erfasste Verträge selbst oder durch eine andere Person, die in ihrem Namen oder Auftrag handelt, zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen; „Verbraucher“ jede natürliche Person, die in Bezug auf von dieser Richtlinie erfasste Verträge zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen; „Preis“ Geld oder eine digitale Darstellung eines Werts, das bzw. die im Austausch für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen geschuldet wird; „personenbezogene Daten“ personenbezogene Daten im Sinne des Artikels 4 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/679; „digitale Umgebung“ Hardware, Software und Netzverbindungen aller Art, die von dem Verbraucher für den Zugang zu oder die Nutzung von digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen verwendet werden; „Kompatibilität“ die Fähigkeit digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen, mit Hardware oder Software zu funktionieren, mit der digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen derselben Art in der Regel genutzt werden, 173

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ohne dass die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen konvertiert werden müssen; 11. „Funktionalität“ die Fähigkeit digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen, ihre Funktionen ihrem Zweck entsprechend zu erfüllen; 12. „Interoperabilität“ die Fähigkeit digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen, mit anderer Hardware oder Software als derjenigen, mit der digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen derselben Art in der Regel genutzt werden, zu funktionieren; 13. „dauerhafter Datenträger“ jedes Medium, das es dem Verbraucher oder dem Unternehmer gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass er sie in der Folge für eine für die Zwecke der Informationen angemessene Dauer einsehen kann, und das die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht. Art. 3 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt für alle Verträge, auf deren Grundlage der Unternehmer dem Verbraucher digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen bereitstellt oder deren Bereitstellung zusagt und der Verbraucher einen Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt. Diese Richtlinie gilt auch, wenn der Unternehmer dem Verbraucher digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen bereitstellt oder deren Bereitstellung zusagt und der Verbraucher dem Unternehmer personenbezogene Daten bereitstellt oder deren Bereitstellung zusagt, außer in Fällen, in denen die vom Verbraucher bereitgestellten personenbezogenen Daten durch den Unternehmer ausschließlich zur Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen im Einklang mit dieser Richtlinie oder zur Erfüllung von vom Unternehmer einzuhaltenden rechtlichen Anforderungen verarbeitet werden und der Unternehmer diese Daten zu keinen anderen Zwecken verarbeitet (2) Diese Richtlinie gilt auch, wenn die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nach den Spezifikationen des Verbrauchers entwickelt werden. (3) Mit Ausnahme der Artikel 5 und 13 gilt diese Richtlinie auch für alle körperlichen Datenträger, die ausschließlich als Träger digitaler Inhalte dienen. (4) Diese Richtlinie gilt nicht für digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen, die im Sinne von Artikel 2 Nummer 3 in Waren enthalten oder mit ihnen verbunden sind und gemäß einem diese Waren betreffenden Kaufvertrag mit diesen Waren bereitgestellt werden, unabhängig davon, ob diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vom Verkäufer oder von einem Dritten bereitgestellt werden. Bestehen Zweifel, ob die Bereitstellung in einer Ware enthaltener oder mit ihr verbundener digitaler Inhalte oder in ihr enthaltener oder mit ihr verbundener digitaler Dienstleistungen Bestandteil des Kaufvertrags ist, so wird vermutet, dass die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vom Kaufvertrag umfasst sind. 174

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(5) Diese Richtlinie gilt nicht für Verträge, die Folgendes zum Gegenstand haben: a) die Erbringung von Dienstleistungen, die keine digitalen Dienstleistungen sind, unabhängig davon, ob der Unternehmer digitale Formen oder Mittel einsetzt‚ um das Ergebnis der Dienstleistung zu generieren oder es dem Verbraucher zu liefern oder zu übermitteln; b) elektronische Kommunikationsdienste im Sinne des Artikels 2 Nummer 4 der Richtlinie (EU) 2018/1972, ausgenommen nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste im Sinne des Artikels 2 Nummer 7 der genannten Richtlinie; c) Gesundheitsdienstleistungen im Sinne des Artikels 3 Buchstabe a der Richtlinie 2011/24/EU; d) elektronisch oder mit jeder anderen Technologie, die eine Kommunikation ermöglicht, und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Glücksspieldienstleistungen, also Dienstleistungen, die bei Glücksspielen wie Lotterien, Kasinospielen, Pokerspielen und Wetten, einschließlich Spielen, die eine gewisse Geschicklichkeit voraussetzen, einen geldwerten Einsatz erfordern; e) Finanzdienstleistungen im Sinne des Artikels 2 Buchstabe b der Richtlinie 2002/65/EG; f) Software, die der Unternehmer im Rahmen einer freien und quelloffenen Lizenz anbietet, sofern der Verbraucher keinen Preis zahlt und die vom Verbraucher bereitgestellten personenbezogenen Daten durch den Unternehmer ausschließlich zur Verbesserung der Sicherheit, der Kompatibilität oder der Interoperabilität dieser speziellen Software verarbeitet; g) die Bereitstellung digitaler Inhalte, wenn die digitalen Inhalte der Öffentlichkeit auf eine andere Weise als durch Signalübermittlung als Teil einer Darbietung oder Veranstaltung, wie einer digitalen Kinovorführung, zugänglich gemacht werden; h) digitale Inhalte, die gemäß der Richtlinie 2003/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates21 von öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten bereitgestellt werden. (6) Unbeschadet des Absatzes 4 dieses Artikels gilt diese Richtlinie bei einem einzigen Vertrag zwischen demselben Unternehmer und demselben Verbraucher, der in einem Paket neben der Bereitstellung digitaler Inhalte oder Dienstleistungen Elemente der Bereitstellung anderer Dienstleistungen oder Waren

21 Richtlinie 2003/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. November 2003 über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (ABl. L 345 vom 31. 12. 2003, S. 90).

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enthält, nur für die Elemente des Vertrags, die die digitalen Inhalte bzw. Dienstleistungen betreffen. Artikel 19 der vorliegenden Richtlinie gilt nicht, wenn ein Paket im Sinne der Richtlinie (EU) 2018/1972 Elemente eines Internetzugangsdienstes im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates22 oder nummerngebundener interpersoneller Kommunikationsdienste im Sinne des Artikels 2 Nummer 6 der Richtlinie (EU) 2018/1972 umfasst. Unbeschadet des Artikels 107 Absatz 2 der Richtlinie (EU) 2018/1972 werden die Auswirkungen, die die Beendigung eines Elements eines Paketvertrags auf die übrigen Elemente des Paketvertrags haben kann, vom nationalen Recht geregelt. (7) Kollidiert eine Bestimmung dieser Richtlinie mit einer Bestimmung eines anderen Unionsrechtsakts, der einen bestimmten Sektor oder Gegenstand regelt, so hat die Bestimmung dieses anderen Unionsrechtsakts Vorrang vor dieser Richtlinie. (8) Das Unionsrecht betreffend den Schutz personenbezogener Daten gilt für alle personenbezogenen Daten, die im Zusammenhang mit Verträgen gemäß Absatz 1 verarbeitet werden. Insbesondere lässt diese Richtlinie die Verordnung (EU) 2016/679 und die Richtlinie 2002/58/EG unberührt. Im Fall von Widersprüchen zwischen Bestimmungen dieser Richtlinie und dem Unionsrecht zum Schutz personenbezogener Daten ist letzteres maßgeblich. (9) Diese Richtlinie lässt das Unionsrecht und das nationale Recht auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte, einschließlich der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates,23 unberührt. (10) Diese Richtlinie lässt die Freiheit der Mitgliedstaaten zur Regelung von Aspekten des allgemeinen Vertragsrechts, wie der Bestimmungen über das Zustandekommen, die Wirksamkeit, die Nichtigkeit oder die Wirkungen eines Vertrags einschließlich der Folgen der Vertragsbeendigung, soweit diese Aspekte nicht in dieser Richtlinie geregelt werden, oder zur Regelung des Rechts auf Schadensersatz unberührt. Art. 4 Grad der Harmonisierung Sofern in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist, dürfen die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht keine von den

22 Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (ABl. L 310 vom 26. 11. 2015, S. 1). 23 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22. 6. 2001, S. 10).

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Bestimmungen dieser Richtlinie abweichenden Vorschriften aufrechterhalten oder einführen; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Vorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus. Art. 5 Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitaler Dienstleistungen (1) Der Unternehmer stellt die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen dem Verbraucher bereit. Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, stellt der Unternehmer die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nach Vertragsschluss unverzüglich bereit. (2) Der Unternehmer hat die Verpflichtung zur Bereitstellung erfüllt, sobald Es obliegt jedem Mitgliedstaat zu entscheiden, a) die digitalen Inhalte oder jedes Mittel, die/das für den Zugang zu den digitalen Inhalten oder deren Herunterladen geeignet ist, dem Verbraucher oder einer von ihm zu diesem Zweck bestimmten körperlichen oder virtuellen Einrichtung zur Verfügung gestellt oder zugänglich gemacht worden ist; b) die digitale Dienstleistung dem Verbraucher oder einer von ihm zu diesem Zweck bestimmten körperlichen oder virtuellen Einrichtung zugänglich gemacht worden ist. Art. 6 Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen Der Unternehmer stellt dem Verbraucher digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen bereit, die unbeschadet des Artikels 10 und soweit jeweils anwendbar, die Anforderungen der Artikel 7, 8 und 9 erfüllen. Art. 7 Subjektive Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit (1) Die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen sind vertragsgemäß, wenn sie, soweit zutreffend, insbesondere a) hinsichtlich der Beschreibung, Quantität und Qualität, der Funktionalität, der Kompatibilität, der Interoperabilität und sonstiger Merkmale den Anforderungen entsprechen, die sich aus dem Vertrag ergeben; b) sich für einen bestimmten vom Verbraucher angestrebten Zweck eignen, den der Verbraucher dem Unternehmer spätestens bei Vertragsschluss zur Kenntnis gebracht hat und dem der Unternehmer zugestimmt hat, c) den Anforderungen des Vertrags entsprechend mit sämtlichem Zubehör, sämtlichen Anleitungen — einschließlich zur Installation — und Kundendienst bereitgestellt werden und d) wie im Vertrag bestimmt aktualisiert werden. Art. 8 Objektive Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit (1) Zusätzlich zur Einhaltung der subjektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit müssen die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen 177

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a) sich für die Zwecke eignen, für die digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen derselben Art in der Regel genutzt werden, soweit anwendbar unter Berücksichtigung des geltenden Unions- und nationalen Rechts, technischer Normen oder, in Ermangelung solcher technischer Normen, anwendbarer sektorspezifischer Verhaltenskodizes; b) der Quantität, den Eigenschaften und den Leistungsmerkmalen — darunter Funktionalität, Kompatibilität, Zugänglichkeit, Kontinuität und Sicherheit — entsprechen, die bei digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen derselben Art üblich sind und die der Verbraucher aufgrund der Art der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen und unter Berücksichtigung öffentlicher Erklärungen, die von dem Unternehmer oder anderen Personen in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette oder in deren Namen insbesondere in der Werbung oder auf dem Etikett abgegeben werden, vernünftigerweise erwarten kann, es sei denn, der Unternehmer weist nach, dass i) der Unternehmer die betreffende öffentliche Erklärung nicht kannte und vernünftigerweise nicht kennen konnte, ii) die öffentliche Erklärung bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in derselben oder einer vergleichbaren Weise wie jener, in der sie abgegeben wurde, berichtigt worden ist, oder iii) die Entscheidung, die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zu erwerben, nicht durch die öffentliche Erklärung beeinflusst worden sein konnte; c) soweit zutreffend mit dem Zubehör und den Anleitungen, deren Erhalt der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, bereitgestellt werden und d) der durch den Unternehmer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellten Testversion oder Voranzeige der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen entsprechen. (2) Der Unternehmer stellt sicher, dass der Verbraucher über Aktualisierungen, einschließlich Sicherheitsaktualisierungen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte und digitalen Dienstleistungen erforderlich sind, informiert wird und dass diese ihm bereitgestellt werden, und zwar während des Zeitraums, a) in dem die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen im Rahmen des Vertrags bereitzustellen sind, wenn der Vertrag eine fortlaufende Bereitstellung über einen Zeitraum vorsieht, oder b) den der Verbraucher aufgrund der Art und des Zwecks der digitalen Inhalte oder digitale Dienstleistungen und unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags vernünftigerweise erwarten kann, wenn der Vertrag eine einmalige Bereitstellung oder eine Reihe einzelner Bereitstellungen vorsieht. 178

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2.7

(3) Installiert der Verbraucher Aktualisierungen, die ihm vom Unternehmer in Übereinstimmung mit Absatz 2 bereitgestellt wurden, nicht innerhalb einer angemessenen Frist, so haftet der Unternehmer nicht für eine etwaige Vertragswidrigkeit, die allein auf das Fehlen der entsprechenden Aktualisierung zurückzuführen ist, sofern a) der Unternehmer den Verbraucher über die Verfügbarkeit der Aktualisierung und darüber, welche Folgen es hat, wenn der Verbraucher diese nicht installiert, informiert hat und b) die Tatsache, dass der Verbraucher die Aktualisierung nicht oder unsachgemäß installiert hat, nicht auf eine vom Unternehmer bereitgestellte mangelhafte Installationsanleitung zurückzuführen ist (4) Sieht ein Vertrag die fortlaufende Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen über einen Zeitraum vor, so müssen die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen während des gesamten Zeitraums vertragsgemäß sein. (5) Es liegt keine Vertragswidrigkeit im Sinne der Absätze 1 oder 2 vor, wenn der Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eigens darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen von den in den Absätzen 1 und 2 vorgesehenen objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit abweicht, und er bei Vertragsschluss diese Abweichung ausdrücklich und gesondert akzeptiert hat. (6) Sofern die Vertragsparteien nichts anderes vereinbart haben, müssen digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses neuesten verfügbaren Version bereitgestellt werden Art. 9 Unsachgemäße Integration der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen Jede durch die unsachgemäße Integration der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen in die digitale Umgebung des Verbrauchers verursachte Vertragswidrigkeit ist als Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen anzusehen, wenn a) die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vom Unternehmer oder unter seiner Verantwortung integriert wurden oder b) die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vom Verbraucher zu integrieren waren und die unsachgemäße Integration auf eine mangelhafte, vom Unternehmer bereitgestellte Anleitung zurückzuführen ist. Art. 10 Rechte Dritter Wenn eine Beschränkung, die sich aus der Verletzung von Rechten Dritter — insbesondere von Rechten des geistigen Eigentums — ergibt, die Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen im Sinne der Artikel 7 und 8 verhindert oder einschränkt, stellen die Mitgliedstaaten 179

2.7

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sicher, dass der Verbraucher Anspruch auf die Abhilfen bei Vertragswidrigkeit gemäß Artikel 14 hat, es sei denn, im nationalen Recht ist in solchen Fällen die Nichtigkeit oder Aufhebung des Vertrags über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen vorgesehen. Art. 11 Haftung des Unternehmers (1) Der Unternehmer haftet für jede nicht in Übereinstimmung mit Artikel 5 erfolgte Bereitstellung der digitalen Inhalte oder Dienstleistungen. (2) Sieht ein Vertrag eine einmalige Bereitstellung oder eine Reihe einzelner Bereitstellungen vor, so haftet der Unternehmer unbeschadet des Artikels 8 Absatz 2 Buchstabe b für jede Vertragswidrigkeit im Sinne der Artikel 7, 8 und 9, die zum Zeitpunkt der Bereitstellung besteht. Ist der Unternehmer gemäß dem nationalen Recht nur für Vertragswidrigkeiten haftbar, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach der Bereitstellung offenbar werden, so beträgt dieser Zeitraum unbeschadet des Artikels 8 Absatz 2 Buchstabe b nicht weniger als zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Bereitstellung. Unterliegen die Ansprüche nach Artikel 14 gemäß dem nationalen Recht unter anderem oder ausschließlich einer Verjährungsfrist, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass es diese Verjährungsfrist dem Verbraucher ermöglicht, die Abhilfen nach Artikel 14 bei einer Vertragswidrigkeit, die zu dem in Unterabsatz 1 genannten Zeitpunkt besteht und innerhalb des in Unterabsatz 2 genannten Zeitraums offenbar wird, in Anspruch zu nehmen. (3) Sieht ein Vertrag eine fortlaufende Bereitstellung über einen Zeitraum vor, so haftet der Unternehmer für eine Vertragswidrigkeit im Sinne der Artikel 7, 8 und 9, die während des Zeitraums, in dem die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen aufgrund des Vertrags bereitzustellen sind, eintritt oder offenbar wird. Unterliegen die Ansprüche nach Artikel 14 gemäß dem nationalen Recht unter anderem oder ausschließlich einer Verjährungsfrist, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass es diese Verjährungsfrist den Verbrauchern ermöglicht, die Abhilfen nach Artikel 14 bei einer Vertragswidrigkeit, die während des in Unterabsatz 1 genannten Zeitraums eintritt oder offenbar wird, in Anspruch zu nehmen. Art. 12 Beweislast (1) Die Beweislast dafür, dass die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen im Einklang mit Artikel 5 bereitgestellt wurden, trägt der Unternehmer. (2) In den Fällen nach Artikel 11 Absatz 2 trägt der Unternehmer bei einer Vertragswidrigkeit, die innerhalb eines Jahres nach Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen offenbar wird, die Beweislast dafür, dass 180

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2.7

die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zu dem Zeitpunkt der Bereitstellung in vertragsgemäßem Zustand waren. (3) In den Fällen nach Artikel 11 Absatz 3 trägt der Unternehmer für eine Vertragswidrigkeit, die während des Zeitraums, in dem die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen im Rahmen des Vertrags bereitzustellen sind, offenbar wird, die Beweislast dafür, dass die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen während dieses Zeitraums in vertragsgemäßem Zustand waren. (4) Die Absätze 2 und 3 finden keine Anwendung, wenn der Unternehmer nachweist, dass die digitale Umgebung des Verbrauchers in Bezug auf die technischen Anforderungen der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht kompatibel ist, und wenn er den Verbraucher vor Vertragsschluss in klarer und verständlicher Weise von diesen Anforderungen in Kenntnis gesetzt hat. (5) Der Verbraucher arbeitet mit dem Unternehmer zusammen, soweit dies vernünftigerweise notwendig und möglich ist, um festzustellen, ob die Ursache für die Vertragswidrigkeit der digitalen Inhalte oder Dienstleistungen zu dem in Artikel 11 Absatz 2 oder Absatz 3 genannten Zeitpunkt in der digitalen Umgebung des Verbrauchers lag. Die Pflicht zur Zusammenarbeit ist auf die technisch verfügbaren Mittel beschränkt, die für den Verbraucher den geringsten Eingriff darstellen. Kommt der Verbraucher seiner Pflicht zur Zusammenarbeit nicht nach und hat der Unternehmer den Verbraucher vor Vertragsschluss in klarer und verständlicher Weise von dieser Pflicht in Kenntnis gesetzt, trägt der Verbraucher die Beweislast dafür, dass die Vertragswidrigkeit zu dem in Artikel 11 Absatz 2 bzw. 3 genannten Zeitpunkt vorlag.

Art. 13 Abhilfe bei nicht erfolgter Bereitstellung (1) Hat der Unternehmer die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht gemäß Artikel 5 bereitgestellt, so fordert der Verbraucher den Unternehmer auf, die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen bereitzustellen. Versäumt es der Unternehmer daraufhin, die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen unverzüglich oder innerhalb einer ausdrücklich zwischen den Vertragsparteien vereinbarten zusätzlichen Frist bereitzustellen, so ist der Verbraucher zur Beendigung des Vertrags berechtigt. (2) Absatz 1 findet keine Anwendung und der Verbraucher ist zur sofortigen Beendigung des Vertrags berechtigt, wenn a) der Unternehmer erklärt hat oder aus den Umständen eindeutig zu erkennen ist, dass er die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen nicht bereitstellen wird; b) der Verbraucher und der Unternehmer vereinbart haben oder aus den den Vertragsschluss begleitenden Umständen eindeutig zu erkennen ist, dass für den Verbraucher ein bestimmter Zeitpunkt für die Bereitstellung von 181

2.7

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wesentlicher Bedeutung ist, und der Unternehmer es versäumt, die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen bis zu oder zu diesem Zeitpunkt bereitzustellen. (3) Beendet der Verbraucher den Vertrag gemäß Absatz 1 oder Absatz 2 des vorliegenden Artikels, so finden die Artikel 15 bis 18 entsprechend Anwendung. Art. 14 Abhilfen bei Vertragswidrigkeit (1) Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher unter den in diesem Artikel genannten Bedingungen Anspruch auf Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, auf eine anteilmäßige Preisminderung oder auf Beendigung des Vertrags. (2) Der Verbraucher hat Anspruch auf Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, es sei denn, dies wäre unmöglich oder würde dem Unternehmer Kosten verursachen, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unverhältnismäßig wären; zu diesen Umständen zählt Folgendes: a) der Wert, den die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen hätten, wenn keine Vertragswidrigkeit vorläge, und b) die Erheblichkeit der Vertragswidrigkeit. (3) Der Unternehmer hat den vertragsgemäßen Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gemäß Absatz 2 innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem er vom Verbraucher von der Vertragswidrigkeit in Kenntnis gesetzt wurde, kostenfrei und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher herzustellen, wobei die Art der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen und der Zweck, für den der Verbraucher die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen benötigt, zu berücksichtigen sind. (4) Der Verbraucher hat Anspruch entweder auf eine anteilmäßige Minderung des Preises gemäß Absatz 5, wenn die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gegen Zahlung eines Preises bereitgestellt werden, oder auf Beendigung des Vertrags gemäß Absatz 6, wenn einer der folgenden Fälle vorliegt: a) Die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen ist gemäß Absatz 2 unmöglich oder unverhältnismäßig; b) der Unternehmer hat den vertragsgemäßen Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht gemäß Absatz 3 hergestellt; c) eine Vertragswidrigkeit tritt trotz des Versuchs des Unternehmers ein, den vertragsgemäßen Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen herzustellen; d) die Vertragswidrigkeit ist derart schwerwiegend, dass eine sofortige Preisminderung oder Beendigung des Vertrags gerechtfertigt ist; oder 182

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2.7

e) der Unternehmer hat erklärt oder es ist klar aus den Umständen zu erkennen, dass er den vertragsgemäßen Zustand der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht innerhalb einer angemessenen Frist bzw. nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher herstellen wird. (5) Die Preisminderung bemisst sich nach dem Verhältnis, in dem der verminderte Wert der dem Verbraucher bereitgestellten digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen zu dem Wert steht, den die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gehabt hätten, wenn sie vertragsgemäß gewesen wären. Ist in dem Vertrag festgelegt, dass die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen über einen Zeitraum gegen Zahlung eines Preises bereitgestellt werden, so gilt die Preisminderung für den Zeitraum, in dem die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht in vertragsgemäßem Zustand waren. (6) Wurden die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gegen Zahlung eines Preises bereitgestellt, so ist der Verbraucher nur dann berechtigt, den Vertrag zu beenden, wenn die Vertragswidrigkeit nicht geringfügig ist. Der Unternehmer trägt die Beweislast dafür, dass die Vertragswidrigkeit geringfügig ist. Art. 15 Ausübung des Rechts auf Beendigung des Vertrags Der Verbraucher übt sein Recht auf Vertragsbeendigung durch eine Erklärung an den Unternehmer aus, die seinen Entschluss zur Vertragsbeendigung zum Ausdruck bringt. Art. 16 Pflichten des Unternehmers im Fall der Beendigung des Vertrags (1) Im Fall der Beendigung des Vertrags hat der Unternehmer dem Verbraucher alle im Rahmen des Vertrags gezahlten Beträge zurückzuerstatten. In Fällen, in denen der Vertrag die Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gegen Zahlung eines Preises und über einen bestimmten Zeitraum vorsieht und in denen die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen während eines Zeitraums vor der Beendigung des Vertrags in vertragsgemäßem Zustand waren, hat der Unternehmer dem Verbraucher jedoch nur den Anteil des gezahlten Preises zurückzuerstatten, der dem Zeitraum entspricht, in dem die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht in vertragsgemäßem Zustand waren, sowie gegebenenfalls den Teil des Preises, den der Verbraucher im Voraus für den verbleibenden Zeitraum des Vertrags — wenn dieser nicht beendet worden wäre — gezahlt hat. (2) In Bezug auf personenbezogene Daten des Verbrauchers hat der Unternehmer die gemäß der Verordnung (EU) 2016/679 geltenden Verpflichtungen einzuhalten. (3) Der Unternehmer darf Inhalte, die nicht personenbezogene Daten sind, und die vom Verbraucher bei der Nutzung der vom Unternehmer bereitgestellten digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bereitgestellt oder erstellt wurden, nicht verwenden, es sei denn, diese Inhalte 183

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a) haben außerhalb des Kontextes der von dem Unternehmer bereitgestellten digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen keinen Nutzen, b) hängen ausschließlich mit der Nutzung der von dem Unternehmer bereitgestellten digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen durch den Verbraucher zusammen, c) wurden vom Unternehmer mit anderen Daten aggregiert und können nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand disaggregiert werden oder d) wurden vom Verbraucher gemeinsam mit anderen erzeugt, und andere Verbraucher können die Inhalte weiterhin nutzen. (4) Mit Ausnahme der in Absatz 3 Buchstaben a, b oder c genannten Fälle stellt der Unternehmer dem Verbraucher auf dessen Ersuchen alle Inhalte, die nicht personenbezogen Daten sind, bereit, welche vom Verbraucher bei der Nutzung der vom Unternehmer bereitgestellten digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bereitgestellt oder erstellt wurden. Der Verbraucher ist berechtigt, diese digitalen Inhalte kostenfrei, ohne Behinderung durch den Unternehmer, innerhalb einer angemessenen Frist und in einem allgemein gebräuchlichen und maschinenlesbaren Format wiederzuerlangen. (5) Der Unternehmer darf jede weitere Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen durch den Verbraucher unterbinden, insbesondere indem er unbeschadet des Absatzes 4 den Zugang des Verbrauchers zu den digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen oder das Nutzerkonto des Verbrauchers sperrt. Art. 17 Pflichten des Verbrauchers im Fall der Beendigung des Vertrags (1) Nach Beendigung des Vertrags hat der Verbraucher die Nutzung der digitalen Inhalte bzw. digitalen Dienstleistungen sowie deren Zurverfügungstellung an Dritte zu unterlassen. (2) Sofern die digitalen Inhalte auf einem körperlichen Datenträger bereitgestellt wurden, hat der Verbraucher auf Aufforderung und auf Kosten des Unternehmers den körperlichen Datenträger dem Unternehmer unverzüglich zurückzusenden. Beschließt der Unternehmer, die Rückgabe des körperlichen Datenträgers zu fordern, so muss diese Aufforderung innerhalb von 14 Tagen ab dem Tag erfolgen, an dem der Unternehmer über den Entschluss des Verbrauchers, den Vertrag zu beenden, in Kenntnis gesetzt wurde. (3) Der Verbraucher ist für die Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vor Beendigung des Vertrags in dem Zeitraum, in dem die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht in vertragsgemäßem Zustand waren, nicht zahlungspflichtig. 184

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2.7

Art. 18 Fristen und Zahlungsmittel für die Erstattung durch den Unternehmer (1) Jede Erstattung, die der Unternehmer dem Verbraucher gemäß Artikel 14 Absatz 4 und 5 oder gemäß Artikel 16 Absatz 1 aufgrund einer Preisminderung oder der Beendigung des Vertrags schuldet, hat unverzüglich und in jedem Fall innerhalb von 14 Tagen ab dem Tag, an dem der Unternehmer über den Entschluss des Verbrauchers, sein Recht auf eine Preisminderung oder auf Beendigung des Vertrags in Anspruch zu nehmen, in Kenntnis gesetzt wurde, zu erfolgen. (2) Der Unternehmer nimmt die Erstattung unter Verwendung der gleichen Zahlungsmittel vor, die der Verbraucher zur Zahlung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen verwendet hat, es sei denn, der Verbraucher stimmt ausdrücklich einer anderslautenden Vereinbarung zu, und vorausgesetzt, dass für den Verbraucher infolge einer solchen Erstattung keine Gebühren anfallen. (3) Der Unternehmer berechnet dem Verbraucher für die Erstattung keine Gebühr. Art. 19 Änderung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen (1) Über das zur Erhaltung der Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gemäß den Artikeln 7 und 8 erforderliche Maß hinausgehende Änderungen der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, die dem Vertrag zufolge dem Verbraucher während eines Zeitraums bereitzustellen oder zugänglich zu machen sind, können vom Unternehmer vorgenommen werden, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) Der Vertrag gestattet eine solche Änderung und enthält einen triftigen Grund dafür; b) die Änderung ist für den Verbraucher nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden; c) der Verbraucher wird in klarer und verständlicher Weise von der Änderung in Kenntnis gesetzt und d) in den in Absatz 2 genannten Fällen wird der Verbraucher innerhalb einer angemessenen Frist im Voraus mittels eines dauerhaften Datenträgers über Merkmale und Zeitpunkt der Änderung und über sein Recht, den Vertrag gemäß Absatz 2 zu beenden, oder über die Möglichkeit, die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gemäß Absatz 4 unverändert beizubehalten, unterrichtet. (2) Der Verbraucher ist berechtigt, den Vertrag zu beenden, falls durch die Änderung der Zugang des Verbrauchers zu den digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen oder deren Nutzung durch den Verbraucher beeinträchtigt wird, es sei denn, diese Beeinträchtigung ist nur geringfügig. In diesem Fall ist der Verbraucher berechtigt, den Vertrag innerhalb von 30 Tagen nach Eingang 185

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der Information oder nach dem Zeitpunkt kostenfrei zu beenden, zu dem die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vom Unternehmer geändert wurden, je nachdem, welcher Zeitpunkt der spätere ist. (3) Beendet der Verbraucher den Vertrag auf der Grundlage von Absatz 2 dieses Artikels, so gelten die Artikel 15 bis 18 entsprechend. (4) Die Absätze 2 und 3 des vorliegenden Artikels finden keine Anwendung, wenn der Unternehmer dem Verbraucher ermöglicht hat, die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen ohne zusätzliche Kosten unverändert beizubehalten, und wenn die Vertragsmäßigkeit der digitalen Inhalte oder Dienstleistungen gewahrt bleibt. Art. 20 Rückgriffsansprüche Haftet der Unternehmer dem Verbraucher für die nicht erfolgte oder die nicht vertragsgemäße Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitalen Dienstleistungen infolge eines Handelns oder Unterlassens einer Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette, ist der Unternehmer berechtigt, den oder die innerhalb der gewerblichen Vertragskette Haftenden in Regress zu nehmen. Welche Person der Unternehmer in Regress nehmen kann, sowie die diesbezüglichen Maßnahmen und Bedingungen für die Geltendmachung der Rückgriffsansprüche bestimmt das nationale Recht. Art. 21 Rechtsdurchsetzung (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, mit denen die Einhaltung dieser Richtlinie sichergestellt wird. (2) Die in Absatz 1 genannten Mittel schließen Vorschriften ein, nach denen eine oder mehrere der folgenden nach den nationalen Rechtsvorschriften bestimmten Einrichtungen die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts anrufen können, um die Anwendung der nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie sicherzustellen: a) öffentliche Einrichtungen oder ihre Vertreter, b) Verbraucherverbände, die ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, c) Berufsverbände, die ein berechtigtes Interesse daran haben, tätig zu werden, d) Einrichtungen, Organisationen oder Vereinigungen ohne Gewinnerzielungsabsicht, die im Bereich des Schutzes der Rechte und Freiheiten von betroffenen Personen in Bezug auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten tätig sind, wie in Artikel 80 der Verordnung (EU) 2016/679 beschrieben 186

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2.7

Art. 22 Zwingender Charakter (1) Vertragsklauseln, die die Anwendung nationaler Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie zum Nachteil des Verbrauchers ausschließen, davon abweichen oder deren Wirkungen abändern, bevor der Verbraucher dem Unternehmer die nicht erfolgte Bereitstellung oder die Vertragswidrigkeit zur Kenntnis gebracht hat oder bevor der Unternehmer dem Verbraucher die Änderung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen gemäß Artikel 19 zur Kenntnis gebracht hat, sind für den Verbraucher nicht bindend, es sei denn, diese Richtlinie bestimmt etwas anderes. (2) Diese Richtlinie hindert den Unternehmer nicht daran, dem Verbraucher Vertragsbedingungen anzubieten, die über den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schutz hinausgehen. Art. 23–27 Änderungen der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/ 22/EG, Umsetzung, Überprüfung, Inkrafttreten, Adressaten — nicht abgedruckt.

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2.8 Warenkauf-RL 2019/771

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben, muss die Union das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern und sich den zahlreichen Herausforderungen einer zunehmend technologiegestützten Wirtschaft erfolgreich stellen. Mit der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa wurde ein umfassender Rahmen geschaffen, der es einfacher machen wird, die digitale Dimension in den Binnenmarkt zu integrieren. Mit der ersten Säule der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt soll die Fragmentierung des Handels innerhalb der EU überwunden werden, indem alle größeren Hindernisse für die Entwicklung des grenzüberschreitenden elektronischen Handels, auf den der bedeutendste Anteil des grenzüberschreitenden Warenkaufs zwischen Unternehmen und Verbrauchern entfällt, ins Visier genommen werden. (2) Artikel 26 Absätze 1 und 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sehen vor, dass die Union Maßnahmen erlässt, um den Binnenmarkt, der einen Raum ohne Binnengrenzen umfasst, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen gewährleistet ist, zu verwirklichen oder dessen Funktionieren zu gewährleisten. Artikel 169 Absatz 1 und Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe a AEUV sehen vor, dass die Union durch die Maßnahmen, die sie im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts nach Artikel 114 AEUV erlässt, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet. Mit dieser Richtlinie soll für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bei gleichzeitiger Wahrung des Subsidiaritätsprinzips gesorgt werden. (3) Bestimmte Aspekte von Verträgen über den Warenkauf sollten harmonisiert werden, wobei ein hohes Verbraucherschutzniveau grundlegende Voraussetzung ist, damit ein echter digitaler Binnenmarkt erreicht wird, für mehr Rechtssicherheit gesorgt wird und die Transaktionskosten, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), gesenkt werden.

* Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vetragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. L 136/28. 1 ABl. C 264 vom 20. 7. 2016, S. 57. 2 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 26. März 2019 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 15. April 2019. https://doi.org/10.1515/9783110667776-011

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2.8

(4) Der elektronische Handel ist ein ausschlaggebender Wachstumsfaktor im Binnenmarkt. Sein Wachstumspotenzial wird jedoch bei weitem nicht voll genutzt. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Union zu stärken und das Wachstum zu fördern, muss die Union schnell handeln und die Wirtschaftsteilnehmer dazu ermutigen, sich das volle Potenzial des Binnenmarkts zunutze zu machen. Dieses kann nur freigesetzt werden, wenn alle Marktteilnehmer einen reibungslosen Zugang zum grenzüberschreitenden Warenkauf, einschließlich Online-Geschäften haben. Die vertragsrechtlichen Regeln, auf denen die Geschäfte der Marktteilnehmer beruhen, gehören zu den wichtigsten Faktoren für die Entscheidung eines Unternehmens, Waren im grenzüberschreitenden Handel anzubieten. Diese Regeln beeinflussen auch die Verbraucher in ihrer Bereitschaft, dieser Art von Einkäufen Vertrauen entgegenzubringen. (5) Die technologische Entwicklung hat zu einem wachsenden Markt für Waren geführt, die digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen enthalten oder mit diesen verbunden sind. Wegen der wachsenden Anzahl dieser Produkte und der schnell steigenden Akzeptanz der Verbraucher müssen auf Unionsebene Maßnahmen ergriffen werden, um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten und die Rechtssicherheit bezüglich der Vorschriften, denen Verkaufsverträge für solche Produkte unterliegen, zu erhöhen. Die Erhöhung der Rechtssicherheit würde helfen, das Vertrauen der Verbraucher und Händler zu stärken. (6) Trotz der vollständigen Harmonisierung der Vorschriften über die Lieferbedingungen und — hinsichtlich Fernabsatzverträgen oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen — über vorvertragliche Informationspflichten und das Widerrufsrecht durch die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates3 ist bei den Vorschriften der Union für den Warenkauf nach wie vor eine starke Fragmentierung festzustellen. Andere zentrale Vertragsbestandteile wie die Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit, Abhilfemaßnahmen im Falle einer Vertragswidrigkeit und die wesentlichen Modalitäten für deren Anwendung unterliegen zurzeit einer Mindestharmonisierung auf der Grundlage der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.4 Den Mitgliedstaaten wurde die Möglichkeit gegeben, über die Unionsstandards hinauszugehen und Regeln einzuführen oder beizubehalten, die gewährleisten, dass ein noch höheres Verbraucherschutzniveau erreicht wird. Diese Möglichkeit wurde in Bezug auf verschiedene Elemente und in unterschiedlichem Ausmaß wahrgenommen. Bei den nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG kam es daher zu erheblichen Abweichungen bezüglich wesentlicher Elemente, wie etwa dem Bestehen oder Nichtbestehen einer Hierarchie der bestehenden Abhilfemöglichkeiten. (7) Die bestehenden Unterschiede können Unternehmen und Verbrauchern gleichermaßen schaden. Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des

3 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 304 vom 22. 11. 2011, S. 64). 4 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. L 171 vom 7. 7. 1999, S. 12).

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Rates5 müssen Unternehmen, die ihre Tätigkeiten auf Verbraucher in anderen Mitgliedstaaten ausrichten, die zwingenden Verbrauchervertragsvorschriften des Staates erfüllen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Aufgrund der Abweichungen zwischen diesen Vorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten können Unternehmen zusätzliche Kosten entstehen. Folglich könnten es viele Unternehmen vorziehen, nur im Inland tätig zu werden bzw. Ausfuhren auf einen oder zwei Mitgliedstaaten zu beschränken. Diese Entscheidung zur Minimierung von Kosten und Risiken im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Handel führt im Ergebnis zu entgangenen Möglichkeiten für eine Ausweitung der Geschäftstätigkeit und ungenutzten Größenvorteilen. KMU sind davon besonders stark betroffen. (8) Obwohl die Verbraucher bei Käufen im Ausland infolge der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 ein hohes Schutzniveau genießen, leidet auch das Vertrauen der Verbraucher in grenzüberschreitende Geschäfte unter der bestehenden rechtlichen Fragmentierung. Zwar gründet dieses Misstrauen auf mehreren Faktoren, doch nimmt die Ungewissheit hinsichtlich der vertraglichen Rechte der Verbraucher einen besonderen Stellenwert unter den Bedenken von Verbrauchern ein. Bei dieser Ungewissheit spielt es keine Rolle, ob die Verbraucher gegenüber Verkäufern, die ihre grenzüberschreitenden Tätigkeiten an sie richten, durch die zwingenden Verbrauchervertragsvorschriften ihres eigenen Landes geschützt sind, oder ob sie mit Verkäufern, einen grenzüberschreitenden Vertrag abschließen, auch wenn der jeweilige Verkäufer nicht im Land des Verbrauchers gewerblich tätig ist. (9) Wenngleich der weitaus größte Anteil des grenzüberschreitenden Handels in der Union auf den Online-Warenkauf entfällt, behindern Unterschiede im nationalen Vertragsrecht sowohl Einzelhändler, die Kanäle des Fernabsatzes nutzen, als auch klassische Einzelhändler und hindern sie an einer grenzüberschreitenden Ausweitung ihrer Tätigkeit. Um gleiche Ausgangsbedingungen für alle Unternehmen, die Waren an Verbraucher verkaufen, zu schaffen, sollte diese Richtlinie alle Absatzkanäle erfassen. Durch die Festlegung einheitlicher Vorschriften für alle Absatzkanäle dürfte die Richtlinie Abweichungen verhindern, die zu unverhältnismäßigen Belastungen für die wachsende Zahl von Einzelhändlern in der Union, die alle Absatzkanäle nutzen, führen würden. Die Notwendigkeit, einheitliche Regeln für Verkäufe und Garantien für alle Absatzkanäle beizubehalten, wurde in der am 29. Mai 2017 veröffentlichten Eignungsprüfung der Kommission des Verbraucher- und Marketingrechts bestätigt, die auch die Richtlinie 1999/44/EG betraf. (10) Diese Richtlinie sollte die Vorschriften für den Kauf von Waren, einschließlich Waren mit digitalen Elementen, nur in Bezug auf die Vertragselemente abdecken, die im Hinblick auf die Überwindung der vertragsrechtlichen Hindernisse im Binnenmarkt besonders wichtig sind. Zu diesem Zweck sollten die Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit, Abhilfen, die Verbrauchern im Falle nicht vertragsgemäßer Waren zur Verfügung stehen, sowie die wesentlichen Modalitäten für deren Inanspruchnahme vollständig harmonisiert und das Niveau des Verbraucherschutzes im Vergleich zu der Richtlinie 1999/44/EG angehoben werden. Die vollständige Harmonisierung einiger wesentlicher Elemente des Verbrauchervertragsrechts würde es Unternehmen — und insbesondere KMU — einfacher ma-

5 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177 vom 4. 7. 2008, S. 6).

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chen, ihre Produkte in anderen Mitgliedstaaten anzubieten. Die Verbraucher würden aufgrund einer vollständigen Harmonisierung der wesentlichsten Vorschriften von einem hohen Verbraucherschutzniveau und Wohlfahrtsgewinnen profitieren. Diese Richtlinie ergänzt die Richtlinie 2011/83/EU. Während die Richtlinie 2011/83/EU hauptsächlich Vorschriften über vorvertragliche Informationspflichten, das Widerrufsrecht bei Fernabsatz- oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sowie Bestimmungen über Warenlieferung und Risikoübergang enthält, werden mit der vorliegenden Richtlinie Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit der Waren, die Abhilfen bei nicht vertragsgemäßen Waren und die Modalitäten für deren Inanspruchnahme eingeführt. Diese Richtlinie sollte nur für bewegliche körperliche Gegenstände gelten, die Waren im Sinne dieser Richtlinie darstellen. Den Mitgliedstaaten sollte es daher freistehen, Verträge über den Verkauf unbeweglicher Gegenstände, beispielsweise von Wohngebäuden, und ihrer Hauptkomponenten, die einen wesentlichen Teil dieser unbeweglichen Gegenstände bilden sollen, zu regeln. Die vorliegende Richtlinie und die Richtlinie 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates6 sollten einander ergänzen. Während in der vorliegenden Richtlinie Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Verträge für den Warenkauf festgelegt werden, enthält die Richtlinie (EU) 2019/770 Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Verträge für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen. Um den Erwartungen der Verbraucher zu entsprechen und einen klaren und einfachen Rechtsrahmen für Unternehmer, die digitale Inhalte anbieten, sicherzustellen, gilt die Richtlinie (EU) 2019/770 auch für digitale Inhalte‚ die auf körperlichen Datenträgern wie DVDs, CDs, USB-Sticks und Speicherkarten bereitgestellt werden, sowie für den körperlichen Datenträger selbst, sofern die körperlichen Datenträger ausschließlich als Träger der digitalen Inhalte dienen. Im Unterschied dazu sollte die vorliegende Richtlinie für Verträge über den Verkauf von Waren, einschließlich Waren mit digitalen Elementen, gelten, die einen digitalen Inhalt oder eine digitale Dienstleistung benötigen, um ihre Funktionen erfüllen zu können. Der Begriff „Waren“ gemäß dieser Richtlinie sollte auch „Waren mit digitalen Elementen“ einschließen und sich dadurch auch auf alle digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen beziehen, die in diesen Waren enthalten sind oder so mit diesen Waren verbunden sind, dass die Waren ohne diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen ihre Funktionen nicht erfüllen könnten. Digitale Inhalte, die in einer Ware enthalten sind oder mit ihr verbunden sind, können alle Daten sein, die in digitaler Form erzeugt und bereitgestellt werden, wie Betriebssysteme, Anwendungen und andere Software. Digitale Inhalte können zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags bereits installiert sein oder diesem Vertrag entsprechend erst später installiert werden. Zu digitalen Dienstleistungen, die mit einer Ware verbunden sind, können Dienstleistungen zählen, die die Erstellung, Verarbeitung, die Speicherung von oder den Zugang zu Daten in digitaler Form erlauben, wie Software as a Service, die in einer Cloud-Computing-Umgebung bereitgestellt wird, die fortlaufende Bereitstellung von Verkehrsdaten in einem Navigationssystem oder die

6 Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (siehe Seite 1 dieses Amtsblatts). [In dieser Sammlung 2.7.]

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fortlaufende Bereitstellung von individuell angepassten Trainingsplänen im Falle einer intelligenten Armbanduhr (smart watch). (15) Diese Richtlinie sollte für Verträge über den Verkauf von Waren gelten, einschließlich von Waren mit digitalen Elementen, bei denen das Fehlen von darin enthaltenen oder damit verbundenen digitalen Inhalten oder Dienstleistungen die Ware daran hindert, ihre Funktionen zu erfüllen und bei denen die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen gemäß dem Kaufvertrag über diese Waren mit den Waren bereitgestellt werden. Ob die Bereitstellung enthaltener oder verbundener digitaler Inhalte oder Dienstleistungen Bestandteil des Kaufvertrags mit dem Verkäufer ist, sollte vom Inhalt dieses Kaufvertrags abhängen. Dies sollte für enthaltene oder verbundene digitale Inhalte oder Dienstleistungen gelten, deren Bereitstellung im Vertrag ausdrücklich vorgesehen ist. Dies sollte zudem für Kaufverträge gelten, die dahin gehend verstanden werden können, dass sie die Bereitstellung spezifischer digitaler Inhalte oder einer spezifischen digitalen Dienstleistung abdecken, weil diese bei Waren der gleichen Art üblich sind und der Verbraucher sie — in Anbetracht der Beschaffenheit der Waren und unter Berücksichtigung öffentlicher Erklärungen, die im Vorfeld des Vertragsschlusses von dem Verkäufer oder im Auftrag des Verkäufers oder anderen Personen in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette, einschließlich des Herstellers abgegeben wurden — vernünftigerweise erwarten könnte. Würde beispielsweise in der betreffenden Werbung angegeben, dass ein Smart-TV eine bestimmte Video-Anwendung enthält, so würde diese Video-Anwendung als Bestandteil des Kaufvertrags angesehen werden. Dies sollte unabhängig davon gelten, ob der digitale Inhalt oder die digitale Dienstleistung auf der Ware selbst vorinstalliert ist oder anschließend auf einem anderen Gerät heruntergeladen werden muss und mit der Ware nur verbunden ist. Beispielsweise könnten auf einem Smartphone gemäß Kaufvertrag standardisierte vorinstallierte Anwendungen zu finden sein wie beispielsweise eine Alarmfunktion oder eine Kameraanwendung. Ein anderes mögliches Beispiel ist die intelligente Armbanduhr. In einem solchen Fall würde die Uhr selbst als die Ware mit digitalen Elementen gelten, die ihre Funktionen nur mittels einer Anwendung erfüllen kann, die gemäß Kaufvertrag bereitgestellt wird, aber vom Verbraucher auf ein Smartphone heruntergeladen werden muss. Die Anwendung wäre dann das verbundene digitale Element. Dies sollte auch gelten, wenn die enthaltenen oder verbundenen digitalen Inhalte oder Dienstleistungen nicht vom Verkäufer selbst, sondern gemäß Kaufvertrag von einem Dritten bereitgestellt werden. Bestehen Zweifel, ob die Bereitstellung von digitalen Inhalten oder Dienstleistungen Teil des Kaufvertrags ist, sollten die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten, um Unsicherheit sowohl bei den Händlern als auch bei den Verbrauchern zu vermeiden. Darüber hinaus sollte das Bestehen einer bilateralen Vertragsbeziehung zwischen dem Verkäufer und dem Verbraucher, zu der die Bereitstellung enthaltener oder verbundener digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen gehört, nicht allein dadurch in Frage gestellt werden, dass der Verbraucher einer Lizenzvereinbarung mit einem Dritten zustimmen muss, um digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen nutzen zu können. (16) Wenn hingegen die Waren ihre Funktionen auch ohne diese enthaltenen oder verbundenen digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen erfüllen können, oder wenn der Verbraucher einen Vertrag für die Bereitstellung der digitalen Inhalte oder Dienstleistungen abschließt, die nicht Bestandteil des Vertrags über den Verkauf von Waren mit digitalen Elementen ist, wäre dieser Vertrag als vom Vertrag über den Verkauf der Waren getrennt anzusehen, auch wenn der Verkäufer als Vermittler dieses zweiten Vertrags mit dem Drittanbieter fungiert und dieser Vertrag könnte in den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2019/770 fallen, sofern die Bedingungen der genannten Richtlinie erfüllt sind. Wenn

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der Verbraucher beispielsweise eine Spielanwendung aus einem App-Store auf ein Smartphone herunterlädt, ist der Vertrag über die Bereitstellung der Spielanwendung nicht Bestandteil des Kaufvertrags über das Smartphone selbst. Daher sollte die vorliegende Richtlinie nur für den Kaufvertrag über das Smartphone gelten, während die Bereitstellung der Spielanwendung unter die Richtlinie (EU) 2019/770 fallen sollte, sofern die Bedingungen der genannten Richtlinie erfüllt sind. Ein anderes Beispiel wäre eine Vereinbarung, wonach der Verbraucher ein Smartphone ausdrücklich ohne ein bestimmtes Betriebssystem kauft, und der Verbraucher anschließend einen Vertrag für die Bereitstellung eines Betriebssystems durch einen Dritten abschließt. In einem solchen Fall wäre die Bereitstellung des getrennt erworbenen Betriebssystems nicht Bestandteil des Kaufvertrags und würde daher nicht in den Geltungsbereich der vorliegenden Richtlinie, könnte aber in den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2019/770 fallen, sofern die Bedingungen der genannten Richtlinie erfüllt sind. (17) Für die Zwecke der Rechtssicherheit sollte diese Richtlinie eine Definition des Begriffs „Kaufvertrag“ enthalten und auch ihren Anwendungsbereich eindeutig festlegen. Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie sollte auch Verträge über Waren einschließen, die — gegebenenfalls nach Vorgaben des Verbrauchers — noch hergestellt oder erzeugt werden müssen. Außerdem könnte die Montage oder Installierung von Waren in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, wenn die Montage oder Installierung Bestandteil des Kaufvertrags ist und vom Verkäufer oder unter seiner Verantwortung ausgeführt werden muss. Wenn ein Vertrag sowohl Elemente eines Warenverkaufs als auch der Bereitstellung von Dienstleistungen enthält, soll das nationale Recht bestimmen, ob der ganze Vertrag als Kaufvertrag im Sinne dieser Richtlinie gelten kann. (18) Diese Richtlinie sollte nationales Recht unberührt lassen, soweit die betreffenden Angelegenheiten nicht durch diese Richtlinie geregelt sind, insbesondere die Rechtmäßigkeit der Waren, Schadensersatz und Aspekte des allgemeinen Vertragsrechts wie das Zustandekommen, die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Wirkungen von Verträgen. Dasselbe sollte sowohl für die Folgen der Vertragsbeendigung und auch für bestimmte Aspekte der Nachbesserung und Ersatzlieferung gelten, die beide nicht in dieser Richtlinie geregelt werden. Bei der Regelung der Rechte der Parteien auf Zurückhaltung der Erfüllung ihrer Verpflichtungen oder von Teilen davon, bis die andere Partei ihre Verpflichtungen erfüllt, sollte es den Mitgliedstaaten nach wie vor freistehen, die Bedingungen und Modalitäten zu regeln, unter denen der Verbraucher die Zahlung des Preises zurückhalten kann. Die Mitgliedstaaten sollten außerdem die Ansprüche des Verbrauchers auf Entschädigung für Schäden, die durch Verstoß des Verkäufers gegen diese Richtlinie entstanden sind, weiterhin regeln können. Diese Richtlinie sollte nationale Vorschriften, die nicht im Besonderen für Verbraucherverträge gelten und spezifische Abhilfen für bestimmte Arten von Mängeln vorsehen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags nicht offenbar waren, ebenfalls unberührt lassen; gemeint sind nationale Bestimmungen die mitunter besondere Vorschriften für die Haftung des Verkäufers für versteckte Mängel festlegen. Ebenso wenig sollte diese Richtlinie nationale Vorschriften berühren, die dem Verbraucher im Fall einer Vertragswidrigkeit der Waren außervertragliche Rechtsbehelfe gegen Personen in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette, beispielsweise Herstellern oder anderen Personen, die die Pflichten solcher Personen erfüllen, ermöglichen. (19) Diese Richtlinie sollte nicht die Freiheit der Mitgliedstaaten berühren, den Verbrauchern die Wahl einer spezifischen Abhilfe zu überlassen, wenn die Vertragswidrigkeit der Waren kurz nach der Lieferung offenbar wird, falls nationale Bestimmungen dem Verbraucher das Recht einräumen, mangelhafte Waren abzulehnen und den Vertrag als aufgelöst zu

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betrachten oder einen sofortigen Ersatz zu fordern, und zwar innerhalb einer bestimmten kurzen Frist nach der Lieferung der Waren, die 30 Tage nicht überschreiten sollte. Es sollte den Mitgliedstaaten nach wie vor freistehen, Informationspflichten des Verkäufers festzulegen, was den Abschluss des Vertrags oder die Pflicht des Verkäufers betrifft, den Verbraucher beispielsweise auf bestimmte Eigenschaften der Ware, auf die Eignung von vom Verbraucher zur Verfügung gestellten Materialien oder auf mögliche Nachteile bestimmter Wünsche des Verbrauchers, beispielsweise des Wunsches, einen bestimmten Stoff für die Fertigung eines Ballkleids zu verwenden, aufmerksam zu machen. Den Mitgliedstaaten sollte es zudem nach wie vor freistehen, die Anwendung der Vorschriften dieser Richtlinie auf Verträge auszudehnen, die vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind, oder derartige Verträge auf andere Weise zu regeln. So sollte es den Mitgliedstaaten zum Beispiel nach wie vor freistehen, den Schutz, der durch diese Richtlinie den Verbrauchern gebotenen wird, auch auf natürliche oder juristische Personen auszudehnen, die keine Verbraucher im Sinne dieser Richtlinie sind, beispielsweise Nichtregierungsorganisationen, neu gegründete Unternehmen oder KMU. Die Definition des Begriffs „Verbraucher“ sollte natürliche Personen, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handeln, umfassen. Jedoch sollte es den Mitgliedstaaten bei Verträgen mit doppeltem Zweck, wenn der Vertrag teilweise für gewerbliche und teilweise für nichtgewerbliche Zwecke geschlossen wird und der gewerbliche Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht überwiegend ist, nach wie vor freistehen, festzulegen, ob und unter welchen Bedingungen diese Person auch als Verbraucher betrachtet werden sollte. Diese Richtlinie sollte für alle Verträge gelten, auf deren Grundlage der Verkäufer das Eigentum an einer Ware auf den Verbraucher überträgt oder sich zur Übertragung des Eigentums an dieser Ware auf den Verbraucher verpflichtet. Im Rahmen dieser Richtlinie könnten Plattformbetreiber als Verkäufer gelten, wenn sie bei dem Verkauf von Waren für die Zwecke ihrer eigenen geschäftlichen Tätigkeit und als direkte Vertragspartner des Verbrauchers tätig sind. Den Mitgliedstaaten sollte es nach wie vor freistehen, die Anwendung dieser Richtlinie auf Plattformbetreiber auszudehnen, die nicht den Anforderungen der Begriffsbestimmung für „Verkäufer“ im Sinne dieser Richtlinie entsprechen. Im Interesse eines ausgewogenen Gleichgewichts zwischen dem Erfordernis der Rechtssicherheit und einer angemessenen Flexibilität der Rechtsvorschriften sollte der Verweis in dieser Richtlinie darauf, was eine Person erwarten kann bzw. was von einer Person erwartet werden kann, als Verweis darauf verstanden werden, was „vernünftigerweise“ erwartet werden darf. Der Standard für „Vernünftigkeit“ bzw. „Angemessenheit“ sollte objektiv unter Berücksichtigung der Art und des Zwecks des Vertrags, der Umstände des Einzelfalls und der Gebräuche und Gepflogenheiten der Vertragsparteien bestimmt werden. Um Klarheit darüber zu schaffen, was Verbraucher von Waren erwarten können und welcher Haftung der Verkäufer unterliegt, wenn er nicht liefert, was erwartet wird, müssen die Vorschriften zur Bestimmung der Vertragsmäßigkeit der Waren unbedingt vollständig harmonisiert werden. Alle Hinweise auf Vertragsmäßigkeit in dieser Richtlinie beziehen sich auf die Übereinstimmung der Waren mit dem Kaufvertrag. Um die berechtigten Interessen beider Parteien eines Kaufvertrags zu wahren, sollte die Vertragsmäßigkeit auf Grundlage von subjektiven und objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit beurteilt werden. Deshalb sollten die Waren den Anforderungen entsprechen, die der Verkäufer und der Verbraucher im Kaufvertrag vereinbart haben. Solche Anforderungen könnten unter anderem die Menge, die Qualität, die Art und Beschreibung der Waren, ihre Eignung für

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bestimmte Zwecke sowie die Lieferung von Waren mit dem vereinbarten Zubehör und etwaigen Anleitungen einschließen. Zu den Anforderungen des Kaufvertrags sollten die Anforderungen gehören, die sich aus vorvertraglichen Informationen ergeben, die gemäß der Richtlinie 2011/83/EU fester Bestandteil des Kaufvertrags sind. Der Begriff „Funktionalität“ sollte so verstanden werden, dass er sich darauf bezieht, wie Waren ihre Funktionen ihrem Zweck entsprechend erfüllen können. Der Begriff „Interoperabilität“ bezieht sich auf die Frage, ob und in welchem Umfang die Waren mit einer anderen Hardware oder Software als derjenigen, mit der Waren derselben Art in der Regel benutzt werden, funktionieren. Das erfolgreiche Funktionieren könnte beispielsweise die Fähigkeit der Waren umfassen, Informationen mit einer solchen Software oder Hardware auszutauschen und die ausgetauschten Informationen zu nutzen. Da die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, die in den Waren enthalten oder mit ihnen verbunden sind, ständig weiterentwickelt werden, könnten Verkäufer und Verbraucher vereinbaren, Aktualisierungen (Updates) für derartige Waren bereitzustellen. Die im Kaufvertrag vereinbarten Aktualisierungen können die digitalen Inhalte oder die digitalen Dienstleistungen der Waren verbessern, ihre Funktionen erweitern, sie an die technischen Entwicklungen anpassen, sie gegen neue Sicherheitsbedrohungen schützen oder anderen Zwecken dienen. Die Vertragsmäßigkeit von Waren mit digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen, die in den Waren enthalten oder mit ihnen verbunden sind, sollte daher auch hinsichtlich der Frage geprüft werden, ob die digitalen Inhalte oder die digitalen Dienstleistungen dieser Waren gemäß dem Kaufvertrag aktualisiert werden. Die unterbliebene Bereitstellung von im Kaufvertrag vereinbarten Aktualisierungen sollte als Vertragswidrigkeit der Waren betrachtet werden. Darüber hinaus sollten fehlerhafte oder unvollständige Aktualisierungen ebenfalls als Vertragswidrigkeit der Waren betrachtet werden, da dies bedeuten würde, dass solche Aktualisierungen nicht so ausgeführt werden, wie im Kaufvertrag festgelegt wurde. Damit Waren vertragsgemäß sind, sollten sie nicht nur die subjektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit, sondern darüber hinaus die objektiven Anforderungen dieser Richtlinie an die Vertragsmäßigkeit erfüllen. Die Vertragsmäßigkeit sollte unter anderem anhand des Zwecks, für den Waren dieser Art üblicherweise verwendet werden, ob sie mit dem Zubehör und den Anleitungen geliefert werden, die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, und ob sie der Probe oder dem Muster entsprechen, das der Verkäufer dem Verbraucher zur Verfügung gestellt hat, beurteilt werden. Die Waren sollten auch die Eigenschaften und Merkmale aufweisen, die bei Waren derselben Art normal sind und die der Verbraucher angesichts der Art der Waren und unter Berücksichtigung etwaiger öffentlicher Aussagen, die von dem Verkäufer oder im Auftrag des Verkäufers oder einer anderen Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette gemacht wurden, vernünftigerweise erwarten kann. Zusätzlich zu vertraglich vereinbarten Aktualisierungen sollte der Verkäufer auch Aktualisierungen einschließlich Sicherheitsaktualisierungen bereitstellen, damit die Waren mit digitalen Elementen in vertragsgemäßem Zustand bleiben. Die Pflicht des Verkäufers sollte sich auf die Aktualisierungen beschränken, die notwendig sind, damit diese Waren den in dieser Richtlinie festgelegten objektiven und subjektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit weiterhin genügen. Sofern die Parteien vertraglich nichts anderes vereinbart haben, sollte der Verkäufer weder verpflichtet sein, verbesserte Versionen des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung der Waren zur Verfügung zu stellen, noch die Funktionen der Waren zu verbessern oder auszuweiten, soweit dies über die Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit hinausgeht. Wenn eine Aktualisierung seitens des Ver-

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käufers oder eines Dritten, der gemäß Kaufvertrag den digitalen Inhalt oder die digitale Dienstleistung bereitstellt, die Vertragswidrigkeit einer Ware mit digitalen Elementen verursacht, sollte der Verkäufer für die Wiederherstellung der Vertragsmäßigkeit der Ware haften. Es sollte den Verbrauchern freistehen, die bereitgestellten Aktualisierungen zu installieren. Entscheidet sich der Verbraucher dafür, die Aktualisierungen nicht zu installieren, die notwendig sind, damit die Waren mit digitalen Elementen ihre Vertragsmäßigkeit beibehalten, sollte er jedoch nicht erwarten, dass die Vertragsmäßigkeit der Waren gewahrt bleibt. Der Verkäufer sollte den Verbraucher darüber informieren, dass sich die Entscheidung des Verbrauchers, Aktualisierungen nicht zu installieren, die für die Aufrechterhaltung der Vertragsmäßigkeit der Waren mit digitalen Elementen erforderlich sind, einschließlich der Sicherheitsaktualisierungen, auf die Haftung des Unternehmers für die Vertragsmäßigkeit dieser Merkmale der Waren mit digitalen Elementen, die durch die betreffenden Aktualisierungen gewahrt werden soll, auswirkt. Diese Richtlinie sollte die im Unionsrecht oder im nationalen Recht festgelegten Verpflichtungen zur Bereitstellung von Sicherheitsaktualisierungen unberührt lassen. (31) Grundsätzlich sollte der Verkäufer bei Waren mit digitalen Elementen, bei denen die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen, die in den Waren enthalten sind oder mit ihnen verbunden sind, durch eine einmalige Bereitstellung verfügbar gemacht werden, nur für Vertragswidrigkeiten haften, die zum Zeitpunkt der Lieferung bestehen. Bei der Pflicht zur Bereitstellung von Aktualisierungen ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich das digitale Umfeld derartiger Waren fortlaufend ändert. Daher sind Aktualisierungen ein notwendiges Instrument, das sicherstellt, dass die Waren genauso funktionieren wie zum Zeitpunkt der Lieferung. Zudem sind Waren mit digitalen Elementen im Gegensatz zu herkömmlichen Waren nicht vollständig außerhalb der Sphäre des Verkäufers, da der Verkäufer oder ein Dritter, der nach Kaufvertrag den digitalen Inhalt oder die digitale Dienstleistung bereitstellt, die Waren aus der Entfernung aktualisieren kann, in der Regel über das Internet. Deshalb sollte der Verkäufer in Fällen, in denen die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen durch eine einmalige Bereitstellung verfügbar gemacht werden, für die Bereitstellung der Aktualisierungen haften, die erforderlich sind, um die Vertragsmäßigkeit der Waren mit digitalen Elementen während eines Zeitraums, den der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, aufrechtzuerhalten, auch wenn die Waren zum Zeitpunkt der Lieferung vertragsgemäß waren. Der Zeitraum, innerhalb dessen der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, Aktualisierungen zu erhalten, sollte auf der Grundlage der Art und des Zwecks der Waren und der digitalen Elemente und unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Kaufvertrags beurteilt werden. Ein Verbraucher würde normalerweise erwarten, Aktualisierungen zumindest so lange zu erhalten, wie der Zeitraum andauert, in dem der Verkäufer für Vertragswidrigkeiten haftet. In einigen Fällen könnte sich allerdings die vernünftige Erwartung des Verbrauchers über diesen Zeitraum hinaus erstrecken, was insbesondere hinsichtlich Sicherheitsaktualisierungen der Fall sein könnte. In anderen Fällen, beispielsweise bei Waren mit digitalen Elementen, deren Zweck zeitlich befristet ist, wäre die Pflicht des Verkäufers, Aktualisierungen bereitzustellen, regelmäßig auf diesen Zeitraum beschränkt. (32) Die Gewährleistung einer längeren Haltbarkeit von Waren ist wichtig für die Förderung nachhaltigerer Verbrauchergewohnheiten und einer Kreislaufwirtschaft. Zur Stärkung des Vertrauens in das Funktionieren des Binnenmarkts ist es gleichermaßen von zentraler Bedeutung, dass Produkte, die nicht den Anforderungen genügen, aus dem Unionsmarkt ausgeschlossen werden, was durch eine bessere Marktüberwachung und das Setzen der richtigen Anreize für die Wirtschaftsteilnehmer erreicht werden kann. Vor diesem Hinter-

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grund sind produktspezifische Rechtsvorschriften der Union das am besten geeignete Instrument, um für bestimmte Arten oder Gruppen von Produkten unter Zugrundelegung geeigneter Kriterien Anforderungen an die Haltbarkeit und andere Produkteigenschaften einzuführen. Die Ziele dieser Richtlinie sollten daher die mit solchen produktspezifischen Rechtsvorschriften der Union verfolgten Ziele ergänzen, und die Haltbarkeit sollte als objektives Kriterium für die Beurteilung der Vertragsmäßigkeit von Waren in die Richtlinie aufgenommen werden. Dabei sollte sich die Haltbarkeit in dieser Richtlinie auf die Fähigkeit der Waren beziehen, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung zu behalten. Damit Waren vertragsgemäß sind, sollten sie eine Haltbarkeit haben, die für Waren derselben Art üblich ist und die der Verbraucher in Anbetracht der Art der spezifischen Waren, einschließlich der möglichen Notwendigkeit einer vernünftigen Wartung der Waren, wie etwa der regelmäßigen Inspektion oder des Austausches von Filtern in einem Auto, und unter Berücksichtigung öffentlicher Erklärungen, die von dem Verkäufer oder im Auftrag des Verkäufers oder einer anderen Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette abgegeben wurden, vernünftigerweise erwarten kann. Bei der Beurteilung sollten auch alle anderen maßgeblichen Umstände berücksichtigt werden, wie beispielsweise der Preis der Ware und die Intensität oder Häufigkeit der Verwendung seitens des Verbrauchers. Darüber hinaus sollte sich der Verbraucher, soweit eine etwaige vorvertragliche Erklärung, die Bestandteil des Kaufvertrags ist, spezifische Angaben zur Haltbarkeit enthält, darauf als Bestandteil der subjektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit berufen können. (33) Gemäß dieser Richtlinie sollte der Verkäufer verpflichtet sein, dem Verbraucher Waren zu liefern, die zum Zeitpunkt der Lieferung vertragsgemäß sind. Falls zum Zeitpunkt der Lieferung eine Vertragswidrigkeit vorliegt, ist es möglich, dass Verkäufer Ersatzteile verwenden, um ihre Pflicht zur Nachbesserung der Waren zu erfüllen. Diese Richtlinie sollte die Verkäufer zwar nicht — als objektive Anforderung an die Vertragsmäßigkeit — dazu verpflichten die Verfügbarkeit von Ersatzteilen während eines Zeitraums zu gewährleisten, doch sollte sie anderen Bestimmungen im nationalen Recht, die den Verkäufer, den Hersteller oder andere Personen in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette verpflichten, die Verfügbarkeit von Ersatzteilen zu gewährleisten oder Verbraucher über diese Verfügbarkeit zu unterrichten, nicht berühren. (34) Viele Waren müssen montiert oder installiert werden, bevor sie vom Verbraucher bestimmungsgemäß verwendet werden können. Darüber hinaus ist bei Waren mit digitalen Elementen die Installierung des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung in der Regel Voraussetzung dafür, dass der Verbraucher diese Waren für den vorgesehenen Zweck verwenden kann. Aus diesem Grund sollte eine etwaige Vertragswidrigkeit, die auf eine unsachgemäße Montage oder Installierung der Waren, auch auf die unsachgemäße Installierung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, die in den Waren enthalten oder mit ihnen verbunden sind, zurückzuführen ist, als Vertragswidrigkeit angesehen werden, wenn die Montage oder Installierung durch den Verkäufer oder unter seiner Verantwortung vorgenommen wurde. Wenn vorgesehen ist, dass die Waren vom Verbraucher montiert oder installiert werden, ist die Vertragswidrigkeit aufgrund einer unsachgemäßen Montage oder Installierung als Vertragswidrigkeit der Waren anzusehen, unabhängig davon, ob die Montage oder Installierung vom Verbraucher oder von einem Dritten unter der Verantwortung des Verbrauchers durchgeführt wurde, sofern die unsachgemäße Montage oder Installierung auf Mängel in den Anleitungen zurückzuführen ist, etwa auf unvollständige oder unklare Anleitungen, die die Verwendung dieser Anleitungen für den Durchschnittsverbraucher erschweren.

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(35) Vertragsmäßigkeit sollte die Abwesenheit von Sachmängeln und Rechtsmängeln umfassen. Beschränkungen, die sich aus einer Verletzung von Rechten Dritter ergeben, insbesondere von Rechten des geistigen Eigentums, könnten die vertragsgemäße Nutzung von Waren verhindern oder einschränken. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass der Verbraucher in derartigen Fällen Anspruch auf in der vorliegenden Richtlinie für Fälle von Vertragswidrigkeit vorgesehene Abhilfen hat, es sei denn, nationales Recht sieht in solchen Fällen die Nichtigkeit oder die Auflösung des Vertrags vor. (36) Um für ausreichende Flexibilität der Vorschriften zu sorgen, beispielsweise im Hinblick auf den Verkauf von gebrauchten Waren, sollten die Parteien die Möglichkeit haben, von den in dieser Richtlinie vorgesehenen objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit abzuweichen. Eine solche Abweichung sollte nur möglich sein, wenn der Verbraucher eigens davon unterrichtet wurde und wenn er ihr gesondert von anderen Erklärungen oder Vereinbarungen und durch sein aktives und eindeutiges Verhalten zugestimmt hat. (37) Im Interesse einer höheren Rechtssicherheit sowohl für den Verbraucher als auch für den Verkäufer bedarf es einer klaren Angabe des Zeitpunkts, zu dem die Vertragsmäßigkeit der Waren beurteilt werden sollte. Für die Beurteilung der Vertragsmäßigkeit der Waren sollte der Zeitpunkt der Warenlieferung maßgeblich sein. Dies sollte auch gelten, wenn in den Waren digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen enthalten oder mit den Waren digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen verbunden sind, die durch eine einmalige Bereitstellung verfügbar gemacht werden. In Fällen, in denen die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, die in den Waren enthalten oder mit ihnen verbunden sind, jedoch fortlaufend über einen Zeitraum bereitgestellt werden müssen, sollte der maßgebliche Zeitpunkt für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit dieser digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht ein bestimmter Zeitpunkt, sondern ein Zeitraum, der mit dem Zeitpunkt der Lieferung beginnt, sein. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte sich dieser Zeitraum mit dem Zeitraum decken, in dem der Verkäufer für Vertragswidrigkeiten haftet. (38) Die Bedeutung des Begriffs „Lieferung“ sollte nicht in dieser Richtlinie, sondern weiterhin im nationalen Recht geregelt werden. Dies gilt insbesondere für die Frage, was der Verkäufer tun muss, um seine Pflicht zur Lieferung der Waren zu erfüllen. Darüber hinaus sollten Verweise auf den Lieferzeitpunkt in dieser Richtlinie nicht die Vorschriften über den Risikoübergang berühren, die in der Richtlinie 2011/83/EU festgelegt und entsprechend in das Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt wurden. (39) Waren mit digitalen Elementen sollten dann als an den Verbraucher geliefert gelten, wenn sowohl die körperlichen Bestandteile der Waren geliefert wurden als auch die einmalige Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen erfolgt ist oder die fortlaufende Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen über einen Zeitraum begonnen hat. Dies bedeutet, dass der Verkäufer auch die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen so für den Verbraucher verfügbar oder zugänglich machen sollte, dass die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen oder etwaige Mittel, mit denen sie heruntergeladen werden können oder auf sie zugegriffen werden kann, in der Sphäre des Verbrauchers sind und keine weiteren Handlungen vonseiten des Verkäufers — beispielsweise die Bereitstellung eines Links oder einer Download-Option — erforderlich sind, damit der Verbraucher die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vertragsgemäß nutzen kann. Für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit sollte in Fällen, in denen die körperlichen Bestandteile bereits zuvor geliefert wurden, daher der Zeitpunkt maßgeblich sein, zu dem die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bereitgestellt werden. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass es einen einheitli-

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chen Zeitpunkt des Beginns der Haftung für die körperlichen Bestandteile einerseits und die digitalen Elemente andererseits gibt. Darüber hinaus ist der Verbraucher in vielen Fällen nicht in der Lage, Mängel der körperlichen Bestandteile zu erkennen, bevor die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen bereitgestellt sind. Wenn die Waren eine Montage oder Installierung durch den Verkäufer erfordern, ist der Verbraucher in bestimmten Fällen nicht in der Lage, die Waren zu verwenden oder Mängel zu erkennen, bevor die Montage oder Installierung abgeschlossen ist. Aus diesem Grund sollten die Waren in Fällen, in denen im Kaufvertrag vorgesehen ist, dass diese vom Verkäufer oder unter Verantwortung des Verkäufers montiert oder installiert werden, dann als an den Verbraucher geliefert betrachtet werden, wenn die Montage oder Installierung abgeschlossen ist. Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit für den Verkäufer und zur Förderung des allgemeinen Vertrauens der Verbraucher in grenzüberschreitende Kaufgeschäfte muss ein Zeitraum festgelegt werden, in dem der Verbraucher Anspruch auf Abhilfen für Vertragswidrigkeiten hat, die zu dem für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt bestehen. Da eine überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG einen Zeitraum von zwei Jahren vorgesehen hat und dieser Zeitraum von den Marktteilnehmern in der Praxis für angemessen erachtet wird, sollte daran festgehalten werden. Derselbe Zeitraum sollte für Waren mit digitalen Elementen gelten. Ist im Vertrag jedoch die fortlaufende Bereitstellung über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren vorgesehen, so sollte der Verbraucher Anspruch auf Abhilfen für jede Vertragswidrigkeit eines digitalen Inhalts oder einer digitalen Dienstleistung haben, die innerhalb des Zeitraums eintritt oder offenbar wird, in dem der digitale Inhalt oder die digitale Dienstleistung laut Vertrag bereitzustellen ist. Um den Mitgliedstaaten eine gewisse Flexibilität einzuräumen, sodass sie in ihrem nationalen Recht ein höheres Verbraucherschutzniveau festlegen können, sollte es ihnen freistehen, längere Fristen für die Haftung des Verkäufers vorzuschreiben als in dieser Richtlinie vorgesehen. Aus Gründen der Kohärenz mit den bestehenden nationalen Rechtssystemen sollte es den Mitgliedstaaten freistehen vorzusehen, dass Verkäufer für eine Vertragswidrigkeit, die innerhalb eines Zeitraums auftritt, haften, wobei für diesen Zeitraum gleichzeitig auch eine Verjährungsfrist vorgesehen sein kann, oder dass die Abhilfen der Verbraucher nur einer Verjährungsfrist unterliegen. Im erstgenannten Fall sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass der Zeitraum, in dem der Verkäufer haftet, nicht durch die Verjährungsfrist für die Abhilfen des Verbrauchers umgangen wird. Wenn durch diese Richtlinie deshalb auch nicht der Zeitpunkt des Beginns der nationalen Verjährungsfristen harmonisiert werden sollte, sollte sie doch sicherstellen, dass solche Verjährungsfristen nicht das Recht der Verbraucher einschränken, ihre Abhilfen für eine Vertragswidrigkeit auszuüben, die während des Zeitraums offenbar wird, in dem der Verkäufer für eine Vertragswidrigkeit haftet. Im letzteren Fall sollten die Mitgliedstaaten in der Lage sein, nur eine Verjährungsfrist für die Abhilfen des Verbrauchers beizubehalten oder einzuführen, ohne einen bestimmten Zeitraum festzulegen, in dem die Vertragswidrigkeit offenbar werden muss, damit der Verkäufer haftet. Um sicherzustellen, dass die Verbraucher auch in solchen Fällen gleichermaßen geschützt sind, sollten die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass in den Fällen, in denen nur eine Verjährungsfrist gilt, diese es den Verbrauchern ermöglichen sollte, ihre Abhilfen für eine Vertragswidrigkeit in Anspruch zu nehmen, die zumindest während des Zeitraums offenbar wird, der in dieser Richtlinie als Haftungszeitraum vorgesehen ist. Unterbestimmten Gesichtspunkten könnte es gerechtfertigt sein, gebrauchte Waren anders zu behandeln. Auch wenn eine Gewährleistungs- oder Verjährungsfrist von zwei Jah-

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ren oder länger grundsätzlich die Interessen sowohl des Verkäufers als auch des Verbrauchers in Einklang bringt, könnte dies bei gebrauchten Waren nicht zutreffen. Die Mitgliedstaaten sollten es daher den Parteien ermöglichen dürfen, sich auf eine kürzere Gewährleistungs- oder Verjährungsfrist für derartige Waren zu einigen. Der Umstand, dass es den Parteien überlassen bleibt, diese Frage in einer vertraglichen Vereinbarung zu regeln, erhöht die Vertragsfreiheit und stellt sicher, dass der Verbraucher darüber informiert werden muss, dass es sich bei der Ware um eine gebrauchte Ware handelt und dass für sie eine kürzere Gewährleistungs- oder Verjährungsfrist gilt. Eine derartige vertraglich vereinbarte Frist sollte jedoch nicht weniger als ein Jahr betragen. Diese Richtlinie sollte nicht die Bedingungen regeln, unter denen der in dieser Richtlinie vorgesehene Haftungszeitraum oder eine Verjährungsfrist gehemmt oder unterbrochen werden kann. Die Mitgliedstaaten sollten daher eine Hemmung oder Unterbrechung der Gewährleistungs- oder Verjährungsfrist vorsehen können, beispielsweise im Falle einer Nachbesserung, Ersatzlieferung oder von Verhandlungen zwischen dem Verkäufer und dem Verbraucher im Hinblick auf eine gütliche Einigung. Innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr oder eines Zeitraums von zwei Jahren — falls sich die Mitgliedstaaten für diese Frist entscheiden — sollte der Verbraucher lediglich nachweisen müssen, dass die Ware vertragswidrig ist, ohne jedoch auch nachweisen zu müssen, dass die Vertragswidrigkeit tatsächlich bereits zu dem für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit maßgebenden Zeitpunkt bestand. Um den Anspruch eines Verbrauchers abzuwehren, müsste der Verkäufer nachweisen, dass die Vertragswidrigkeit zu diesem Zeitpunkt nicht bestand. Zudem könnte in manchen Fällen die Vermutung, dass die Vertragswidrigkeit zu dem für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit maßgebenden Zeitpunkt bestand, mit der Art der Waren oder der Art der Vertragswidrigkeit unvereinbar sein. Ersteres könnte bei Waren der Fall sein, die aufgrund ihrer Art eine Qualitätsminderung erfahren, etwa verderbliche Produkte wie beispielsweise Blumen oder Waren, die nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind. Ein Beispiel für Letzteres würde eine Vertragswidrigkeit sein, die ausschließlich auf eine Handlung des Verbrauchers oder eine eindeutige externe Ursache zurückzuführen ist, die erst nach der Lieferung der Waren an den Verbraucher eingetreten ist. Im Falle von Waren mit digitalen Elementen sollte, wenn im Vertrag die fortlaufende Lieferung des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung vorgesehen ist, der Verbraucher nicht nachweisen müssen, dass der digitale Inhalt oder die digitale Dienstleistung während des für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit maßgebenden Zeitraums vertragswidrig war. Um den Anspruch eines Verbrauchers abzuwehren, müsste der Verkäufer nachweisen, dass der digitale Inhalt oder die digitale Dienstleistung während dieses Zeitraums vertragsgemäß war. Die Mitgliedstaaten sollten Bestimmungen beibehalten oder einführen dürfen, nach denen der Verbraucher seine Rechte nur geltend machen kann, wenn er den Verkäufer innerhalb eines Zeitraums von nicht weniger als zwei Monaten ab dem Zeitpunkt, zu dem er die Vertragswidrigkeit festgestellt hat, über die Vertragswidrigkeit unterrichtet. Die Mitgliedstaaten sollten ein höheres Verbraucherschutzniveau gewährleisten dürfen, indem sie keine derartige Verpflichtung einführen. Zur Erhöhung der Rechtssicherheit und zur Beseitigung eines der größten Hindernisse für die Entwicklung des Binnenmarkts sollten die Abhilfen, die Verbrauchern bei einer Vertragswidrigkeit von Waren zur Verfügung stehen, und die Bedingungen, unter denen sie solche Abhilfen in Anspruch nehmen können, mit dieser Richtlinie vollständig harmonisiert werden. Insbesondere sollte der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit Anspruch auf

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Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Waren, auf eine anteilige Minderung des Preises oder auf Beendigung des Vertrags haben. Im Hinblick auf die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Waren sollten Verbraucher zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung wählen können. Wird dem Verbraucher die Möglichkeit geboten, eine Nachbesserung zu verlangen, dürfte dies einen nachhaltigen Verbrauch fördern und zur Verlängerung der Haltbarkeit von Produkten beitragen. Die Möglichkeit für den Verbraucher, zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung zu wählen, sollte nur dann beschränkt werden, wenn die gewählte Möglichkeit rechtlich oder tatsächlich unmöglich wäre oder wenn sie dem Verkäufer im Vergleich zu der anderen in Betracht kommenden Option unverhältnismäßige Kosten verursachen würde. So könnte es beispielsweise unverhältnismäßig sein, wegen eines kleinen Kratzers die Ersetzung einer Ware zu verlangen, wenn eine solche Ersatzlieferung erhebliche Kosten verursachen würde und der Kratzer ohne Probleme beseitigt werden könnte. Der Verkäufer sollte die Möglichkeit haben, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Waren zu verweigern, wenn ihm sowohl eine Nachbesserung als auch eine Ersatzlieferung unmöglich sind oder unverhältnismäßige Kosten verursachen würden. Dasselbe sollte gelten, wenn entweder eine Nachbesserung oder eine Ersatzlieferung nicht möglich ist und die alternative Abhilfe dem Verkäufer unverhältnismäßige Kosten verursachen würde. Wenn sich die Waren beispielsweise an einem anderen Ort befinden als dem, von dem aus sie ursprünglich geliefert wurden, könnten dem Verkäufer unverhältnismäßige Versand- und Beförderungskosten entstehen. Wenn eine Vertragswidrigkeit offenbar wird, sollte der Verbraucher den Verkäufer darüber informieren, um dem Verkäufer die Möglichkeit zu geben, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen. Der Verkäufer sollte dies innerhalb eines angemessenen Zeitraums tun. Daher sollte der Verbraucher grundsätzlich nicht sofort Anspruch auf eine Preisminderung oder die Beendigung des Vertrags haben, sondern dem Verkäufer eine angemessene Frist für die Nachbesserung der vertragswidrigen Ware oder eine Ersatzlieferung einräumen. Ist die angemessene Frist verstrichen, ohne dass der Verkäufer die Ware nachgebessert oder ersetzt hat, sollte der Verbraucher Anspruch darauf haben, ohne weiteres Warten eine Preisminderung oder die Beendigung des Vertrags zu fordern und zu erhalten. Hat die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung dem Verbraucher keine sachgemäße Abhilfe für die Vertragswidrigkeit gebracht, sollte der Verbraucher Anspruch auf eine Preisminderung oder die Beendigung des Vertrags haben. Dies sollte besonders dann der Fall sein, wenn der Verkäufer die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung nicht vorgenommen hat, wenn aus den Umständen klar zu erkennen ist, dass der Verkäufer die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung nicht vornehmen wird, oder wenn der Verkäufer die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Waren verweigert hat, weil Nachbesserung oder Ersatzlieferung nicht möglich sind oder ihm unverhältnismäßige Kosten verursachen würden. In bestimmten Fällen könnte es gerechtfertigt sein, dass der Verbraucher Anspruch auf eine sofortige Preisminderung oder Beendigung des Vertrags haben sollte. Wenn der Verkäufer Schritte unternommen hat, um den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, anschließend jedoch eine Vertragswidrigkeit offenbar wird, sollte objektiv bestimmt werden, ob der Verbraucher weitere Bemühungen des Verkäufers, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, akzeptieren sollte, wobei alle Umstände des Falles wie Art und Wert der Waren und Art und Bedeutung der Vertragswidrigkeit zu berücksichtigen sind. Insbesondere bei teuren oder komplexen Waren könnte es gerechtfertigt sein,

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dem Verkäufer einen weiteren Versuch zur Behebung der Vertragswidrigkeit zu gestatten. Außerdem sollte berücksichtigt werden, ob vom Verbraucher erwartet werden kann, dass er weiterhin darauf vertraut, dass der Verkäufer in der Lage ist, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, beispielsweise weil dasselbe Problem zum zweiten Mal auftritt. Gleichermaßen könnte die Vertragswidrigkeit in bestimmten Fällen so schwerwiegend sein, dass der Verbraucher nicht mehr darauf vertrauen kann, dass der Verkäufer in der Lage ist, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, beispielsweise wenn die Vertragswidrigkeit die Möglichkeit des Verbrauchers zur normalen Verwendung der Waren ernsthaft beeinträchtigt und von ihm nicht erwartet werden kann, darauf zu vertrauen, dass eine Nachbesserung oder Ersatzlieferung durch den Verkäufer dem Problem abhelfen würde. Um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien zu wahren, sollte der Verbraucher nur dann Anspruch auf Beendigung des Vertrags haben, wenn die Vertragswidrigkeit nicht geringfügig ist. Die Mitgliedstaaten sollten die Bedingungen regeln können, unter denen die Leistung des Schuldners von einer anderen Person erbracht werden kann, beispielsweise die Bedingungen, unter denen die Pflicht des Verkäufers zur Nachbesserung einer Ware vom Verbraucher oder einem Dritten auf Kosten des Verkäufers erfüllt werden kann. Damit die Verbraucher vor erheblichen Verzögerungen geschützt sind, sollten Nachbesserungen oder Ersatzlieferungen innerhalb einer angemessenen Frist erfolgreich vorgenommen werden. Die als angemessen erachtete Frist für die Vornahme einer Nachbesserung oder Ersatzlieferung sollte der kürzesten Frist entsprechen, in der eine Nachbesserung oder Ersatzlieferung vorgenommen werden kann. Diese Frist sollte objektiv unter Berücksichtigung der Art und der Komplexität der Waren, der Art und der Schwere der Vertragswidrigkeit sowie des für eine Nachbesserung oder Ersatzlieferung erforderlichen Aufwands festgestellt werden. Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten auslegen können, was unter einer angemessenen Frist für die Nachbesserung oder Ersatzlieferung zu verstehen ist, indem sie feste Fristen festlegen, die für die Nachbesserung oder Ersatzlieferung, insbesondere bei bestimmten Produktkategorien, allgemein als angemessen gelten könnten. Dieser Richtlinie sollte keine Bestimmungen darüber enthalten, wo die Pflichten eines Schuldners zu erfüllen sind. In dieser Richtlinie sollte daher weder der Ort der Lieferung festgelegt noch vorgeschrieben werden, wo die Nachbesserung oder Ersatzlieferung stattfinden sollte; diese Fragen sollten dem nationalen Recht überlassen bleiben. Stellt der Verkäufer den vertragsgemäßen Zustand der Ware durch eine Ersatzlieferung her, sollte der Verbraucher nicht verpflichtet sein, für die normale Verwendung der Waren zu zahlen, bevor diese ersetzt wurden. Die Verwendung der Waren sollte als normal gelten, wenn sie der Art und dem Zweck der Waren entspricht. Um in Fällen, in denen der Verbraucher mehrere Waren erwirbt und die Vertragswidrigkeit nur einige der aufgrund des Vertrags gelieferten Waren betrifft, dem Recht des Verbrauchers auf Vertragsbeendigung effektiv Geltung zu verschaffen, sollte dieser das Recht haben, den Vertrag auch in Bezug auf die anderen, zusammen mit den vertragswidrigen Waren erworbenen Waren zu beenden, obwohl diese anderen Waren vertragsgemäß geliefert wurden, sofern vom Verbraucher nicht vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er akzeptiert, lediglich die vertragsgemäßen Waren zu behalten. Für den Fall, dass ein Verbraucher einen Vertrag wegen Vertragswidrigkeit einer Ware beendet, sollte diese Richtlinie nur Vorschriften über die Hauptwirkungen und die Modalitäten der Ausübung des Rechts auf Vertragsbeendigung vorschreiben, insbesondere

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2.8

über die Verpflichtung der Parteien zur Rückgabe dessen, was sie bereits erhalten haben. So sollte der Verkäufer verpflichtet sein, den vom Verbraucher gezahlten Preis zurückzuerstatten, und der Verbraucher sollte die empfangenen Waren zurückgeben. (60) Diese Richtlinie sollte die Freiheit der Mitgliedstaaten nicht einschränken, andere als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Folgen der Vertragsbeendigung zu regeln, beispielsweise die Folgen der Wertminderung der Waren oder die Folgen ihrer Zerstörung oder ihres Verlusts. Die Mitgliedstaaten sollten außerdem die Modalitäten der Erstattung des Preises an den Verbraucher regeln dürfen, etwa die Modalitäten bezüglich der für eine solche Erstattung verwendeten Mittel oder der aufgrund der Erstattung möglicherweise anfallenden Kosten und Gebühren. Die Mitgliedstaaten sollten beispielsweise auch die Freiheit haben, bestimmte Fristen für die Erstattung des Preises oder die Rückgabe der Ware vorzusehen. (61) Das Prinzip der Haftung des Verkäufers für Schäden ist ein wesentliches Element von Kaufverträgen. Deshalb sollten Verbraucher einen Anspruch auf Entschädigung für alle Schäden haben, die durch einen Verstoß des Verkäufers gegen diese Richtlinie entstanden sind, einschließlich Schäden, die als Folge einer Vertragswidrigkeit entstanden sind. Eine solche Entschädigung sollte den Verbraucher so weit wie möglich in die Lage versetzen, in der er sich befunden hätte, wenn die Waren vertragsgemäß gewesen wären. Da ein solcher Schadensersatzanspruch bereits in allen Mitgliedstaaten gewährleistet ist, sollte diese Richtlinie die nationalen Vorschriften über die Entschädigung von Verbrauchern für Schäden, die sich aus dem Verstoß gegen diese Vorschriften ergeben, unberührt lassen. Die Mitgliedstaaten sollten außerdem die Ansprüche von Verbrauchern auf Entschädigung in Fällen weiterhin regeln können, in denen die Nachbesserung oder Ersatzlieferung erhebliche Unannehmlichkeiten verursacht hat oder zu spät kam. (62) Zur Gewährleistung von Transparenz sollten bestimmte Anforderungen an gewerbliche Garantien vorgesehen werden, neben den vorvertraglichen Informationspflichten in Bezug auf das Bestehen und die Bedingungen von gewerblichen Garantien gemäß der Richtlinie 2011/83/EU. Zur Erhöhung der Rechtssicherheit und zur Vermeidung einer Irreführung der Verbraucher sollte diese Richtlinie darüber hinaus vorsehen, dass in Fällen, in denen die gewerbliche Garantie für den Verbraucher weniger günstige Bedingungen als die einschlägige Werbung enthält, die günstigeren Bedingungen gelten sollten. Schließlich sollte diese Richtlinie Bestimmungen über den Inhalt der Garantieerklärung und darüber, wie diese den Verbrauchern zur Verfügung gestellt wird, enthalten. Beispielsweise sollte die Garantieerklärung die Bestimmungen der gewerblichen Garantie enthalten und darlegen, dass die gesetzliche Gewährleistung der Vertragsmäßigkeit durch die gewerbliche Garantie nicht berührt wird, wobei deutlich hervorzuheben ist, dass die gewerbliche Garantie eine Verpflichtung darstellt, die zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung besteht. Es sollte den Mitgliedstaaten freigestellt sein, Bestimmungen über andere, nicht in dieser Richtlinie geregelte Aspekte von gewerblichen Garantien festzulegen, beispielsweise andere Schuldner als den Garantiegeber in die gewerbliche Garantie einzubeziehen, soweit diese Bestimmungen den Schutz, den Verbraucher aufgrund der vollständig harmonisierten Bestimmungen dieser Richtlinie über gewerbliche Garantien genießen, nicht beeinträchtigen. Während es den Mitgliedstaaten freistehen sollte, festzulegen, dass gewerbliche Garantien kostenlos sein sollten, sollten sie jedoch sicherstellen, dass alle vom Verkäufer oder Hersteller eingegangenen Verpflichtungen, die unter die in dieser Richtlinie festgelegte Definition des Begriffs „gewerbliche Garantie“ fallen, den harmonisierten Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen.

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2.8

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(63) Da der Verkäufer dem Verbraucher gegenüber für Vertragswidrigkeiten der Waren haftet, die auf eine Handlung oder Unterlassung des Verkäufers oder eines Dritten zurückzuführen sind, sollte der Verkäufer auf die verantwortliche Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette Rückgriff nehmen können. Dies sollte Abhilfen für eine Vertragswidrigkeit umfassen, die auf das Unterlassen einer Aktualisierung, einschließlich einer Sicherheitsaktualisierung, zurückzuführen ist, die notwendig gewesen wäre, um die Vertragsmäßigkeit der Ware mit digitalen Elementen beizubehalten. Diese Richtlinie sollte jedoch den Grundsatz der Vertragsfreiheit zwischen dem Verkäufer und anderen Parteien innerhalb der Vertragskette unberührt lassen. Die Einzelheiten der Ausübung dieses Rechts, insbesondere gegen wen und auf welche Weise Rückgriffsansprüche geltend zu machen sind und ob diese zwingend vorgeschrieben sind, sollten von den Mitgliedstaaten festgelegt werden. Außer in Fällen, in denen der Hersteller dem Verbraucher eine gewerbliche Garantie anbietet, sollte die Frage, ob der Verbraucher auch direkt Ansprüche gegen eine Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette geltend machen kann, in dieser Richtlinie nicht geregelt werden. (64) Personen oder Organisationen, die nach nationalem Recht ein berechtigtes Interesse daran haben, die vertraglichen Rechte der Verbraucher zu schützen, sollten das Recht erhalten, sich an ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde, die über Beschwerden entscheiden oder geeignete gerichtliche Schritte einleiten kann, zu wenden. (65) Diese Richtlinie sollte die Anwendung der Vorschriften des internationalen Privatrechts, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 und der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates,7 unberührt lassen. (66) Die Richtlinie 1999/44/EG sollte aufgehoben werden. Das Datum der Aufhebung sollte auf das Datum der Umsetzung der vorliegenden Richtlinie abgestimmt sein. Um die einheitliche Anwendung der erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die für die Befolgung dieser Richtlinie erforderlich sind, auf nach dem Umsetzungsdatum geschlossene Verträge sicherzustellen, sollte diese Richtlinie nicht für vor ihrem Umsetzungsdatum geschlossene Verträge gelten. (67) Der Anhang der Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates8 sollte durch Aufnahme eines Verweises auf die vorliegende Richtlinie geändert werden, damit die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Durchsetzung dieser Richtlinie erleichtert wird. (68) Anhang I der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates9 sollte durch Aufnahme eines Verweises auf die vorliegende Richtlinie geändert werden, damit der Schutz der in dieser Richtlinie genannten Kollektivinteressen der Verbraucher gewährleistet wird.

7 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 351 vom 20. 12. 2012, S. 1). 8 Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2006/ 2004 (ABl. L 345 vom 27. 12. 2017, S. 1). 9 Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110 vom 1. 5. 2009, S. 30).

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(69) Gemäß der Gemeinsamen Politischen Erklärung der Mitgliedstaaten und der Kommission vom 28. September 2011 zu erläuternden Dokumenten10 haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, in begründeten Fällen zusätzlich zur Mitteilung ihrer Umsetzungsmaßnahmen ein oder mehrere Dokumente zu übermitteln, in denen der Zusammenhang zwischen den Bestandteilen einer Richtlinie und den entsprechenden Teilen nationaler Umsetzungsinstrumente erläutert wird. In Bezug auf diese Richtlinie hält der Gesetzgeber die Übermittlung derartiger Dokumente für gerechtfertigt. (70) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich einen Beitrag zum Funktionieren des Binnenmarkts zu leisten, indem vertragsrechtliche Hindernisse für den grenzüberschreitenden Warenkauf in der Union in kohärenter Weise angegangen werden, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann, weil die einzelnen Mitgliedstaaten auf sich alleine gestellt nicht in der Lage sind, die bestehende Fragmentierung der rechtlichen Rahmenbedingungen durch Gewährleistung der Kohärenz ihres Rechts mit dem anderer Mitgliedstaaten zu bewältigen, sondern vielmehr wegen der Möglichkeit der Beseitigung der zentralen vertragsrechtlichen Hindernisse durch vollständige Harmonisierung auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (71) Es ist angebracht, dass die Kommission die Anwendung dieser Richtlinie fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten überprüft, einschließlich insbesondere der Bestimmungen, die Abhilfen und die Beweislast — auch hinsichtlich gebrauchter Waren und Waren, die bei öffentlichen Versteigerungen verkauft werden — sowie die gewerbliche Haltbarkeitsgarantie des Herstellers betreffen. Die Kommission sollte auch bewerten, ob die Anwendung dieser Richtlinie und der Richtlinie (EU) 2019/770 einen einheitlichen und kohärenten Rahmen für die Bereitstellung von digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen und Waren mit digitalen Elementen gewährleistet. (72) Diese Richtlinie wahrt die Grundrechte und Grundfreiheiten und die Grundsätze, wie sie unter anderem in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, insbesondere in deren Artikeln 16, 38 und 47 — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 Gegenstand und Zweck Zweck dieser Richtlinie ist es, zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen und gleichzeitig für ein hohes Verbraucherschutzniveau zu sorgen, indem gemeinsame Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Kaufverträge zwischen Verkäufern und Verbrauchern festgelegt werden, insbesondere Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit der Waren, die Abhilfen im Falle einer Vertragswidrigkeit, die Modalitäten für die Inanspruchnahme dieser Abhilfen sowie über gewerbliche Garantien.

10 ABl. C 369 vom 17. 12. 2011, S. 14.

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Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. „Kaufvertrag“ jeden Vertrag, durch den der Verkäufer das Eigentum an Waren auf einen Verbraucher überträgt oder die Übertragung des Eigentums an dieser Ware auf den Verbraucher zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis dafür zahlt oder dessen Zahlung zusagt; 2. „Verbraucher“ jede natürliche Person, die in Bezug auf von dieser Richtlinie erfasste Verträge zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen; 3. „Verkäufer“ jede natürliche oder juristische Person, unabhängig davon, ob letztere öffentlicher oder privater Natur ist, die in Bezug auf von dieser Richtlinie erfasste Verträge selbst oder durch eine andere Person, die in ihrem Namen oder Auftrag handelt, zu Zwecken handelt, die innerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen; 4. „Hersteller“ den Hersteller von Waren, den Importeur von Waren in die Union oder jede andere Person, die sich dadurch, dass sie ihren Namen, ihre Marke oder ein anderes Kennzeichen an den Waren anbringt, als Hersteller bezeichnet; 5. „Waren“ a) bewegliche körperliche Gegenstände; Wasser, Gas und Strom gelten als Waren im Sinne dieser Richtlinie, wenn sie in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden; b) bewegliche körperliche Gegenstände, die in einer Weise digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht erfüllen könnten (im Folgenden „Waren mit digitalen Elementen“); 6. „digitale Inhalte“ Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden; 7. „digitale Dienstleistung“ a) eine Dienstleistung, die dem Verbraucher die Erstellung, Verarbeitung und Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu Daten in digitaler Form ermöglicht, oder b) eine Dienstleistung, die die gemeinsame Nutzung der von dem Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktion mit diesen Daten, ermöglicht; 8. „Kompatibilität“ die Fähigkeit der Waren, mit der Hardware oder Software zu funktionieren, mit der Waren derselben Art in der Regel benutzt werden, 206

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9. 10.

11.

12.

13. 14.

15.

2.8

ohne dass die Waren, die Hardware oder die Software verändert werden müssen; „Funktionalität“ die Fähigkeit der Waren, ihre Funktionen ihrem Zweck entsprechend zu erfüllen; „Interoperabilität“ die Fähigkeit der Waren, mit einer anderen Hardware oder Software zu funktionieren als derjenigen, mit den Waren derselben Art in der Regel benutzt werden; „dauerhafter Datenträger“ jedes Medium, das es dem Verbraucher oder dem Verkäufer gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass er sie in der Folge für eine für die Zwecke der Informationen angemessene Dauer einsehen kann, und das die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht; „gewerbliche Garantie“ jede dem Verbraucher gegenüber zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung eingegangene Verpflichtung des Verkäufers oder eines Herstellers (Garantiegebers), den Kaufpreis zu erstatten oder die Waren zu ersetzen, nachzubessern oder in sonstiger Weise Abhilfe zu schaffen, falls sie nicht die Eigenschaften aufweisen oder andere nicht mit der Vertragsmäßigkeit verbundene Anforderungen erfüllen sollten, die in der Garantieerklärung oder der einschlägigen Werbung, wie sie bei oder vor Abschluss des Vertrags verfügbar war, beschrieben sind; „Haltbarkeit“ die Fähigkeit der Waren, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung zu behalten; „unentgeltlich“ ohne die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Waren, insbesondere Versand-, Beförderungs-, Arbeits- oder Materialkosten notwendigen Kosten; „öffentliche Versteigerung“ eine Verkaufsmethode, bei der der Verkäufer Verbrauchern, die bei der Versteigerung persönlich anwesend sind oder denen diese Möglichkeit gewährt wird, Waren oder Dienstleistungen anbietet, und zwar in einem von einem Versteigerer durchgeführten, auf konkurrierenden Geboten basierenden transparenten Verfahren, bei dem der Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, zum Erwerb der Waren oder Dienstleistungen verpflichtet ist.

Art. 3 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt für Kaufverträge zwischen einem Verbraucher und einem Verkäufer. (2) Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Verkäufer zur Bereitstellung von Waren, die noch hergestellt oder erzeugt werden müssen, gelten auch als Kaufverträge im Sinne dieser Richtlinie. (3) Diese Richtlinie gilt nicht für Verträge über die Bereitstellung von digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen. Sie gilt jedoch für digitale Inhalte oder 207

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digitale Dienstleistungen, die im Sinne von Artikel 2 Nummer 5 Buchstabe b in Waren enthalten oder mit ihnen verbunden sind und gemäß dem Kaufvertrag mit diesen Waren bereitgestellt werden, unabhängig davon, ob diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vom Verkäufer oder von einem Dritten bereitgestellt werden. Bestehen Zweifel, ob die Bereitstellung enthaltener oder verbundener digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen Bestandteil des Kaufvertrags ist, so wird vermutet, dass die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen vom Kaufvertrag umfasst sind. (4) Diese Richtlinie gilt nicht für a) körperliche Datenträger, die lediglich als Träger digitaler Inhalte dienen; b) Waren, die aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft werden. (5) Die Mitgliedstaaten können Verträge über den Verkauf folgender Waren vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschließen: a) gebrauchte Waren, die in einer öffentlichen Versteigerung verkauft werden, und b) lebende Tiere. Im Falle des Buchstabens a müssen klare und umfassende Informationen darüber, dass die aus dieser Richtlinie herrührenden Rechte nicht gelten, für Verbraucher leicht verfügbar gemacht werden. (6) Diese Richtlinie berührt nicht die Freiheit der Mitgliedstaaten zur Regelung von Aspekten des allgemeinen Vertragsrechts, wie der Bestimmungen über das Zustandekommen, die Wirksamkeit, die Nichtigkeit oder die Wirkungen eines Vertrags einschließlich der Folgen der Vertragsbeendigung, soweit diese Aspekte nicht in dieser Richtlinie geregelt werden, oder zur Regelung des Rechts auf Schadensersatz. (7) Diese Richtlinie berührt nicht die Freiheit der Mitgliedstaaten, den Verbrauchern zu gestatten, eine spezielle Abhilfemaßnahme zu wählen, wenn die Vertragswidrigkeit der Waren innerhalb eines kurzen Zeitraums nach der Lieferung, der 30 Tage nicht überschreitet, offenbar wird. Diese Richtlinie berührt darüber hinaus auch nicht nationale Vorschriften, die nicht speziell für Verbraucherverträge gelten und spezifische Abhilfen für bestimmte Arten von Mängeln vorsehen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags nicht offenbar waren. Art. 4 Grad der Harmonisierung Sofern in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist, dürfen die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht keine von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichenden Vorschriften aufrechterhalten oder einführen; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Vorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus. 208

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2.8

Art. 5 Vertragsmäßigkeit von Waren Unbeschadet des Artikels 9 liefert der Verkäufer dem Verbraucher Waren, die — soweit anwendbar — die Anforderungen der Artikel 6, 7 und 8 erfüllen. Art. 6 Subjektive Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit Die Waren entsprechen dem Kaufvertrag, insbesondere wenn sie, soweit dies anwendbar ist, a) hinsichtlich der Beschreibung, der Art, der Menge und der Qualität, der Funktionalität, der Kompatibilität, der Interoperabilität und sonstiger Merkmale den Anforderungen entsprechen, die sich aus dem Kaufvertrag ergeben; b) sich für einen bestimmten vom Verbraucher angestrebten Zweck eignen, den der Verbraucher dem Verkäufer spätestens bei Abschluss des Kaufvertrags zur Kenntnis gebracht und dem der Verkäufer zugestimmt hat, c) wie im Kaufvertrag bestimmt mit sämtlichem Zubehör und Anleitungen, einschließlich Montage- oder Installationsanleitungen, geliefert werden und d) wie im Kaufvertrag bestimmt Aktualisierungen erhalten. Art. 7 Objektive Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit (1) Zusätzlich zur Einhaltung der subjektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit müssen die Waren a) für die Zwecke geeignet sein, für die Waren der gleichen Art in der Regel gebraucht werden, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des bestehenden Unionsrechts und nationalen Rechts, technischer Normen oder — in Ermangelung solcher technischer Normen — anwendbarer sektorspezifischer Verhaltenskodizes, b) soweit anwendbar, der Qualität und der Beschreibung einer Probe oder eines Musters entsprechen, das der Verkäufer dem Verbraucher vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat, c) soweit anwendbar, mit solchem Zubehör einschließlich Verpackung, Montage- oder Installationsanleitungen und anderen Anleitungen geliefert werden, deren Erhalt der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, und d) hinsichtlich ihrer Menge, Qualität und sonstigen Merkmale — einschließlich ihrer Haltbarkeit, Funktionalität, Kompatibilität und Sicherheit — dem entsprechen, was bei Waren der gleichen Art üblich ist und was der Verbraucher in Anbetracht der Art der Waren und unter Berücksichtigung öffentlicher Erklärungen, die von dem Verkäufer oder im Auftrag des Verkäufers oder einer anderen Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette einschließlich des Herstellers, insbesondere in der Werbung oder auf dem Etikett, abgegeben wurden, vernünftigerweise erwarten kann. 209

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(2) Der Verkäufer ist durch die in Absatz 1 Buchstabe d genannten öffentlichen Erklärungen nicht gebunden, wenn er nachweisen kann, dass a) er die betreffende öffentliche Erklärung nicht kannte und vernünftigerweise nicht kennen konnte, b) die betreffende öffentliche Erklärung bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in derselben oder einer vergleichbaren Weise wie jener, in der sie abgegeben wurde, berichtigt worden ist, oder c) die Kaufentscheidung nicht durch die öffentliche Erklärung beeinflusst worden sein konnte. (3) Im Falle von Waren mit digitalen Elementen sorgt der Verkäufer dafür, dass der Verbraucher über Aktualisierungen, einschließlich Sicherheitsaktualisierungen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit dieser Waren erforderlich sind, informiert wird und solche erhält a) während des Zeitraums, den der Verbraucher aufgrund der Art und des Zwecks der Waren und der digitalen Elemente und unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags vernünftigerweise erwarten kann, wenn im Kaufvertrag die einmalige Bereitstellung des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung vorgesehen ist, oder b) während des gesamten in Artikel 10 Absatz 2 oder Absatz 5 genannten Zeitraums, wenn im Kaufvertrag die fortlaufende Bereitstellung des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung über einen Zeitraum vorgesehen ist. (4) Unterlässt es der Verbraucher Aktualisierungen, die er gemäß Absatz 3 erhalten hat, innerhalb einer angemessenen Frist zu installieren, haftet der Verkäufer nicht für eine etwaige Vertragswidrigkeit, die allein auf das Fehlen der entsprechenden Aktualisierung zurückzuführen ist, sofern a) der Verkäufer den Verbraucher über die Verfügbarkeit der Aktualisierung und darüber, welche Folgen es hat, wenn der Verbraucher diese nicht installiert, informiert hat und b) die Tatsache, dass der Verbraucher die Aktualisierung nicht oder unsachgemäß installiert hat, nicht auf eine mangelhafte dem Verbraucher bereitgestellte Installationsanleitung zurückzuführen ist. (5) Es liegt keine Vertragswidrigkeit im Sinne der Absätze 1 oder 3 vor, wenn der Verbraucher zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags eigens darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Waren von den in den Absätzen 1 und 3 vorgesehenen objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit abweicht, und er bei Abschluss des Kaufvertrags dieser Abweichung ausdrücklich und gesondert zugestimmt hat. Art. 8 Unsachgemäße Montage oder Installierung der Waren Jede Vertragswidrigkeit, die durch die unsachgemäße Montage oder Installierung der Waren verursacht wird, ist als Vertragswidrigkeit der Waren anzusehen, wenn 210

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2.8

a) die Montage oder Installierung Teil des Kaufvertrags ist und vom Verkäufer oder unter seiner Verantwortung vorgenommen wurde oder b) die vom Verbraucher vorzunehmende Montage oder Installierung von diesem getätigt wurde und die unsachgemäße Montage oder Installierung auf einen Mangel in der vom Verkäufer oder, im Falle von Waren mit digitalen Elementen, vom Verkäufer oder vom Anbieter der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen mitgelieferten Anleitung zurückzuführen ist. Art. 9 Rechte Dritter Wenn eine Beschränkung, die sich aus einer Verletzung von Rechten Dritter, insbesondere von Rechten des geistigen Eigentums, ergibt, die Nutzung der Waren im Sinne der Artikel 6 und 7 verhindert oder einschränkt, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Verbraucher Anspruch auf die Abhilfen bei Vertragswidrigkeit gemäß Artikel 13 hat, es sei denn, im nationalen Recht ist die Nichtigkeit oder Auflösung des Kaufvertrags für solche Fälle vorgesehen. Art. 10 Haftung des Verkäufers (1) Der Verkäufer haftet dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit, die zum Zeitpunkt der Lieferung der Waren besteht und innerhalb von zwei Jahren nach diesem Zeitpunkt offenbar wird. Unbeschadet des Artikels 7 Absatz 3 gilt dieser Absatz auch für Waren mit digitalen Elementen. (2) Ist im Falle von Waren mit digitalen Elementen im Kaufvertrag die fortlaufende Bereitstellung des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung über einen Zeitraum hinweg vorgesehen, haftet der Verkäufer auch für jede Vertragswidrigkeit des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung, die innerhalb von zwei Jahren nach dem Zeitpunkt der Lieferung der Waren mit digitalen Elementen eintritt oder offenbar wird. Ist im Vertrag eine fortlaufende Bereitstellung über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren vorgesehen, haftet der Verkäufer für jede Vertragswidrigkeit des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung, die innerhalb des Zeitraums eintritt oder offenbar wird, über den der digitale Inhalt oder die digitale Dienstleistung laut Kaufvertrag bereitzustellen ist. (3) Die Mitgliedstaaten können längere Fristen beibehalten oder einführen als in den Absätzen 1 und 2 vorgesehen. (4) Unterliegen die Abhilfen nach Artikel 13 gemäß nationalem Recht auch einer Verjährungsfrist, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Verjährungsfrist dem Verbraucher ermöglicht, die Abhilfen nach Artikel 13 bei einer Vertragswidrigkeit, für die der Verkäufer gemäß den Absätzen 1 und 2 des vorliegenden Artikels haftet und die innerhalb des in diesen Absätzen genannten Zeitraums offenbar wird, in Anspruch zu nehmen. 211

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(5) Ungeachtet der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels kann ein Mitgliedstaat nur eine Verjährungsfrist für die Abhilfen nach Artikel 13 beibehalten oder einführen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es diese Verjährungsfrist dem Verbraucher ermöglicht, die Abhilfen nach Artikel 13 bei einer Vertragswidrigkeit, für die der Verkäufer gemäß den Absätzen 1 und 2 des vorliegenden Artikels haftet und die innerhalb des in diesen Absätzen genannten Zeitraums offenbar wird, in Anspruch zu nehmen. (6) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass sich der Verkäufer und der Verbraucher im Falle von gebrauchten Waren auf Vertragsklauseln oder Vereinbarungen über kürzere Haftungszeiträume oder Verjährungsfristen als in den Absätzen 1, 2 und 5 genannt einigen können, sofern diese kürzeren Fristen ein Jahr nicht unterschreiten. Art. 11 Beweislast (1) Bei Vertragswidrigkeiten, die innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt der Lieferung der Waren offenbar werden, wird vermutet, dass sie bereits zu dem Zeitpunkt der Lieferung der Waren bestanden haben, es sei denn, das Gegenteil wird bewiesen oder diese Vermutung ist mit der Art der Waren oder der Art der Vertragswidrigkeit unvereinbar. Dieser Absatz gilt auch für Waren mit digitalen Elementen. (2) Statt der Frist von einem Jahr gemäß Absatz 1 können die Mitgliedstaaten eine Frist von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Lieferung der Waren beibehalten oder einführen. (3) Ist im Falle von Waren mit digitalen Elementen im Kaufvertrag die fortlaufende Bereitstellung des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung über einen Zeitraum vorgesehen, so trägt bei einer Vertragswidrigkeit, die innerhalb des in Artikel 10 Absatz 2 genannten Zeitraums offenbar wird, der Verkäufer die Beweislast dafür, dass der digitale Inhalt oder die digitale Dienstleistung innerhalb des in dem angeführten Artikel genannten Zeitraums vertragsgemäß war. Art. 12 Rügeobliegenheit Die Mitgliedstaaten können Bestimmungen beibehalten oder einführen, nach denen der Verbraucher zur Inanspruchnahme seiner Rechte den Verkäufer innerhalb eines Zeitraums von mindestens zwei Monaten ab dem Zeitpunkt, zu dem er die Vertragswidrigkeit festgestellt hat, über diese Vertragswidrigkeit unterrichten muss. Art. 13 Abhilfen bei Vertragswidrigkeit (1) Bei Vertragswidrigkeit ist der Verbraucher berechtigt, unter den in diesem Artikel genannten Bedingungen entweder die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Waren zu verlangen oder eine anteilige Minderung des Preises zu erhalten oder aber den Vertrag zu beenden. 212

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(2) Für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Waren kann der Verbraucher zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung wählen, es sei denn, die gewählte Abhilfe wäre unmöglich oder würde dem Verkäufer im Vergleich zu der anderen Abhilfemöglichkeit unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen, und zwar unter Berücksichtigung aller Umstände, wie unter anderem a) des Werts, den die Waren hätten, wenn sie vertragsgemäß wären, b) der Bedeutung der Vertragswidrigkeit, und c) des Umstands, ob die alternative Abhilfe ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher durchgeführt werden kann. (3) Der Verkäufer kann die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Waren verweigern, wenn ihm sowohl Nachbesserung als auch Ersatzlieferung unter Berücksichtigung aller Umstände, einschließlich der in Absatz 2 Buchstaben a und b genannten, unmöglich wären oder unverhältnismäßige Kosten verursachen würden. (4) Der Verbraucher hat entweder Anspruch auf eine anteilige Minderung des Preises nach Maßgabe des Artikels 15 oder auf die Beendigung des Kaufvertrags nach Maßgabe des Artikels 16, wenn einer der folgenden Fälle vorliegt: a) Der Verkäufer hat die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung nicht vorgenommen oder hat gegebenenfalls die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung nicht im Einklang mit Artikel 14 Absatz 2 und Absatz 3 vorgenommen oder aber der Verkäufer hat die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Waren nach Absatz 3 des vorliegenden Artikels verweigert; b) eine Vertragswidrigkeit tritt auf, obwohl der Verkäufer versucht hat, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen; c) die Vertragswidrigkeit ist derart schwerwiegend, dass eine sofortige Preisminderung oder eine Beendigung des Kaufvertrags gerechtfertigt ist; oder d) der Verkäufer hat erklärt oder es ist nach den Umständen offensichtlich, dass er den vertragsgemäßen Zustand der Waren nicht innerhalb einer angemessenen Frist oder nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher herstellen wird. (5) Der Verbraucher hat keinen Anspruch auf die Beendigung des Vertrags, wenn die Vertragswidrigkeit nur geringfügig ist. Die Beweislast dafür, ob es sich um eine geringfügige Vertragswidrigkeit handelt trägt der Verkäufer. (6) Der Verbraucher ist berechtigt, die Zahlung eines ausstehenden Teiles des Preises oder eines Teils davon so lange zurückzuhalten, bis der Verkäufer seine Verpflichtungen nach dieser Richtlinie erfüllt hat. Die Mitgliedstaaten können die Bedingungen und Modalitäten festlegen, unter denen der Verbraucher die Zahlung zurückhalten kann. (7) Die Mitgliedstaaten können regeln, ob und in welchem Umfang ein Beitrag des Verbrauchers zu der Vertragswidrigkeit dessen Recht auf Abhilfe beeinträchtigt. 213

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Art. 14 Nachbesserung der Waren oder Ersatzlieferung (1) Eine Nachbesserung oder die Ersatzlieferung wird wie folgt vorgenommen: a) unentgeltlich, b) innerhalb einer angemessenen Frist ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher den Verkäufer über die Vertragswidrigkeit unterrichtet hat, und c) ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher, wobei die Art der Waren sowie der Zweck, für den der Verbraucher die Waren benötigt, zu berücksichtigen sind. (2) Hat die Abhilfe der Vertragswidrigkeit durch Nachbesserung der Waren oder durch Ersatzlieferung zu erfolgen, so stellt der Verbraucher dem Verkäufer die Waren zur Verfügung. Der Verkäufer nimmt die ersetzten Waren auf seine Kosten zurück. (3) Erfordert die Nachbesserung die Entfernung von Waren, die entsprechend ihrer Art und ihrem Zweck montiert oder installiert wurden, bevor die Vertragswidrigkeit offenbar wurde, oder sind solche Waren zu ersetzen, so umfasst die Pflicht zur Nachbesserung oder Ersatzlieferung die Entfernung der nicht vertragsgemäßen Waren und die Montage oder Installierung der Ersatzwaren oder der nachgebesserten Waren oder die Übernahme der Kosten dieser Entfernung und Montage oder Installierung. (4) Der Verbraucher ist nicht verpflichtet, für die normale Verwendung der ersetzten Waren in der Zeit vor ihrer Ersetzung zu zahlen. Art. 15 Preisminderung Die Preisminderung bemisst sich nach dem Verhältnis, in dem der verminderte Wert der vom Verbraucher entgegengenommenen Waren zu dem Wert steht, den die Waren gehabt hätten, wenn sie vertragsgemäß gewesen wären. Art. 16 Beendigung des Kaufvertrags (1) Der Verbraucher übt sein Recht auf Beendigung des Kaufvertrags durch eine Erklärung an den Verkäufer aus die seinen Entschluss zur Beendigung des Kaufvertrags zum Ausdruck bringt. (2) Bezieht sich die Vertragswidrigkeit nur auf einen Teil der aufgrund des Kaufvertrags gelieferten Waren und besteht ein Grund für die Beendigung des Kaufvertrags nach Artikel 13, so kann der Verbraucher den Kaufvertrag nur in Bezug auf diese Waren beenden, sowie in Bezug auf andere Waren, die er zusammen mit den nicht vertragsgemäßen Waren erworben hat, sofern vom Verbraucher nicht vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er akzeptiert, nur die vertragsgemäßen Waren zu behalten. (3) Beendet der Verbraucher den Kaufvertrag insgesamt oder in Bezug auf einen Teil der gelieferten Waren gemäß Absatz 2, gilt Folgendes: a) Der Verbraucher hat dem Verkäufer die Waren auf dessen Kosten zurückzugeben, und 214

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b) der Verkäufer hat dem Verbraucher den für die Waren gezahlten Preis zu erstatten, sobald er die Waren erhält oder der Verbraucher einen Nachweis erbringt, dass er die Waren zurückgesandt hat. Für die Zwecke dieses Absatzes können die Mitgliedstaaten die Modalitäten der Rückgabe und Erstattung festlegen. Art. 17 Gewerbliche Garantien (1) Jede gewerbliche Garantie ist für den Garantiegeber zu den Bedingungen verbindlich, die in der entsprechenden Garantieerklärung und einschlägiger Werbung, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder davor vorgelegen haben, angegeben sind. Zu den Bedingungen, die in diesem Artikel festgelegt sind, und unbeschadet sonstiger anwendbarer Vorschriften der Union oder des nationalen Rechts haftet der Hersteller in dem Fall, dass der Hersteller dem Verbraucher eine gewerbliche Haltbarkeitsgarantie für bestimmte Waren für einen bestimmten Zeitraum anbietet, dem Verbraucher direkt während des gesamten Zeitraums der gewerblichen Haltbarkeitsgarantie auf Nachbesserung der Waren oder Ersatzlieferung gemäß Artikel 14. Der Hersteller kann dem Verbraucher in der Haltbarkeitsgarantieerklärung günstigere Bedingungen anbieten. Sind die in der Garantieerklärung genannten Bedingungen weniger vorteilhaft für den Verbraucher als die in der einschlägigen Werbung angegebenen, ist die gewerbliche Garantie zu den in der Werbung für diese Garantie angegebenen Bedingungen verbindlich, es sei denn die einschlägige Werbung wurde vor Abschluss des Vertrags in der gleichen oder einer vergleichbaren Weise berichtigt, in der sie gemacht wurde. (2) Die Garantieerklärung wird dem Verbraucher auf einem dauerhaften Datenträger spätestens zum Zeitpunkt der Lieferung der Waren zur Verfügung gestellt. Die Garantieerklärung muss in klarer und verständlicher Sprache formuliert sein. Sie muss Folgendes enthalten: a) einen klaren Hinweis, dass der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit der Waren ein gesetzliches Recht auf unentgeltliche Abhilfen des Verkäufers hat und dass diese Abhilfen von der gewerblichen Garantie nicht berührt werden; b) Name und Anschrift des Garantiegebers; c) das vom Verbraucher einzuhaltende Verfahren für die Geltendmachung der gewerblichen Garantie; d) die Nennung der Waren, auf die sich die gewerbliche Garantie bezieht; sowie e) die Bestimmungen der gewerblichen Garantie. (3) Die gewerbliche Garantie bindet den Garantiegeber auch dann, wenn die Anforderungen des Absatzes 2 nicht eingehalten werden. 215

2.8

Warenkauf-RL 2019/771

(4) Die Mitgliedstaaten können für andere Aspekte in Bezug auf gewerbliche Garantien, die nicht in diesem Artikel geregelt sind, Vorschriften einführen, einschließlich Vorschriften zu der Sprache oder den Sprachen, in denen die Garantieerklärung dem Verbraucher zur Verfügung gestellt werden muss. Art. 18 Rückgriffsrechte Haftet der Verkäufer dem Verbraucher aufgrund einer Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens einer Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette, einschließlich des Unterlassens, Aktualisierungen für Waren mit digitalen Elementen gemäß Artikel 7 Absatz 3 zur Verfügung zu stellen, ist der Verkäufer berechtigt, bei den oder dem innerhalb der Vertragskette Haftenden in Rückgriff zu nehmen. Bei welcher Person der Verkäufer Rückgriff nehmen kann, sowie die diesbezüglichen Maßnahmen und Bedingungen für die Geltendmachung der Rückgriffsansprüche bestimmt das nationale Recht. Art. 19 Rechtsdurchsetzung (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, mit denen die Einhaltung dieser Richtlinie sichergestellt wird. (2) Die in Absatz 1 genannten Mittel schließen Vorschriften ein, nach denen eine oder mehrere der folgenden nach den nationalen Rechtsvorschriften bestimmten Einrichtungen die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts anrufen kann oder können, um die Anwendung der nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie sicherzustellen: a) öffentliche Einrichtungen oder ihre Vertreter, b) Verbraucherverbände, die ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, c) Berufsverbände, die ein berechtigtes Interesse daran haben, tätig zu werden. Art. 20 Information der Verbraucher Die Mitgliedstaaten ergreifen angemessene Maßnahmen um sicherzustellen, dass Verbrauchern Informationen über ihre Rechte nach dieser Richtlinie, und über die Mittel für die Durchsetzung dieser Rechte, zur Verfügung stehen. Art. 21 Zwingender Charakter (1) Sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt, ist jede vertragliche Vereinbarung, die die Anwendung nationaler Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie zum Nachteil des Verbrauchers ausschließt, davon abweicht oder deren Wirkungen abändert, bevor der Verbraucher dem Verkäufer die Vertragswidrigkeit der Waren zur Kenntnis gebracht hat, für den Verbraucher nicht bindend. 216

Warenkauf-RL 2019/771

2.8

(2) Diese Richtlinie hindert den Verkäufer nicht daran, dem Verbraucher Vertragsbedingungen anzubieten, die über den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schutz hinausgehen. Art. 21–27 Änderungen der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/ 22/EG, Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG, Umsetzung, Überprüfung, Inkrafttreten, Adressaten — nicht abgedruckt.

217

2.8a Kaufgewährleistungs-RL 1999/44

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags, aufgrund des vom Vermittlungsausschuß am 18. März 1999 gebilligten gemeinsamen Entwurfs,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Nach Artikel 153 Absätze 1 und 3 des Vertrags leistet die Gemeinschaft durch die Maßnahmen, die sie nach Artikel 95 des Vertrags erläßt, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus. (2) Der Binnenmarkt umfaßt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. Der freie Warenverkehr betrifft nicht nur den gewerblichen Handel, sondern auch Privatpersonen. Dies bedeutet, daß es den Verbrauchern aus einem Mitgliedstaat möglich sein muß, auf der Grundlage angemessener einheitlicher Mindestvorschriften über den Kauf von Verbrauchsgütern im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats frei einzukaufen. (3) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Kauf von Verbrauchsgütern weisen Unterschiede auf; dies hat zur Folge, daß die einzelstaatlichen Absatzmärkte für Verbrauchsgüter uneinheitlich sind und bei den Verkäufern Wettbewerbsverzerrungen eintreten können. (4) Dem Verbraucher, der die Vorzüge des Binnenmarkts dadurch nutzen möchte, daß er sich Waren in einem anderen Mitgliedstaat als in seinem Wohnsitzland beschafft, fällt eine fundamentale Aufgabe bei der Vollendung des Binnenmarkts zu; es muß verhindert werden, daß neue künstliche Grenzen entstehen und die Märkte abgeschottet werden. Die Möglichkeiten der Verbraucher haben durch die neuen Kommunikationstechnologien, die einen leichten Zugang zu den Vertriebssystemen in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittländern bieten, deutlich zugenommen. Ohne eine Mindestharmonisierung der Bestimmungen über den Verbrauchsgüterkauf könnte die Weiterentwicklung des Warenkaufs mit Hilfe der neuen Fernkommunikationstechniken behindert werden. (5) Die Schaffung eines gemeinsamen Mindestsockels von Verbraucherrechten, die unabhängig vom Ort des Kaufs der Waren in der Gemeinschaft gelten, stärkt das Vertrauen der

* Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. 1999 L 171/12. 1 ABl. C 307 vom 16. 10. 1996, S. 8, und ABl. C 148 vom 14. 5. 1998, S. 12. 2 ABl. C 66 vom 3. 3. 1997, S. 5. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 10. 3. 1998 (ABl. C 104 vom 6. 4. 1998, S. 30), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 24. 9. 1998 (ABl. C 333 vom 30. 10. 1998, S. 46) und Beschluß des Europäischen Parlaments vom 17. 12. 1998 (ABl. C 98 vom 9. 4. 1999, S. 226). Beschluß des Europäischen Parlaments vom 5. 5. 1999 und Beschluß des Rates vom 17. 5. 1999. https://doi.org/10.1515/9783110667776-012

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2.8a

Verbraucher und gestattet es ihnen, die durch die Schaffung des Binnenmarkts gebotenen Vorzüge besser zu nutzen. Schwierigkeiten der Verbraucher und Konflikte mit den Verkäufern haben ihre Ursache vor allem in der Vertragswidrigkeit von Waren. Infolgedessen erweist sich eine Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über den Verbrauchsgüterkauf in dieser Hinsicht als geboten. Eine solche Angleichung darf jedoch nicht die Bestimmungen und Grundsätze des innerstaatlichen Rechts über die Regelung der vertraglichen und außervertraglichen Haftung beeinträchtigen. Waren müssen vor allem vertragsgemäß sein. Der Grundsatz der Vertragsmäßigkeit kann als gemeinsames Element der verschiedenen einzelstaatlichen Rechtstraditionen betrachtet werden. Im Rahmen bestimmter einzelstaatlicher Rechtstraditionen ist es möglicherweise nicht möglich, sich allein auf diesen Grundsatz zu stützen, um ein Mindestmaß an Verbraucherschutz zu gewährleisten. Insbesondere im Rahmen solcher Rechtstraditionen könnte es nützlich sein, zusätzliche innerstaatliche Bestimmungen vorzusehen, um den Verbraucherschutz für den Fall zu gewährleisten, daß die Parteien sich entweder nicht auf spezifische Vertragsklauseln geeinigt haben oder aber Vertragsklauseln vorgesehen oder Vereinbarungen getroffen haben, aufgrund deren die Rechte des Verbrauchers unmittelbar oder mittelbar außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden. Soweit sich diese Rechte aus dieser Richtlinie ergeben, sind solche Vertragsklauseln oder Vereinbarungen für den Verbraucher nicht bindend. Um die Anwendung des Grundsatzes der Vertragsmäßigkeit zu erleichtern, ist es sinnvoll, eine widerlegbare Vermutung der Vertragsmäßigkeit einzuführen, die die meisten normalen Situationen abdeckt. Diese Vermutung stellt keine Einschränkung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit dar. In Ermangelung spezifischer Vertragsklauseln sowie im Fall der Anwendung der Mindestschutzklausel können die in dieser Vermutung genannten Elemente verwendet werden, um die Vertragswidrigkeit der Waren zu bestimmen. Die Qualität und die Leistung, die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, hängen unter anderem davon ab, ob die Güter neu oder gebraucht sind. Die in der Vermutung genannten Elemente gelten kumulativ. Ist ein bestimmtes Element aufgrund der Umstände des betreffenden Falls offenkundig unanwendbar, so behalten die übrigen Elemente der Vermutung dennoch ihre Gültigkeit. Der Verkäufer muß dem Verbraucher gegenüber unmittelbar für die Vertragsmäßigkeit der Güter haften. Dieser klassische Grundsatz ist in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten verankert. Der Verkäufer muß allerdings nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts den Hersteller, einen früheren Verkäufer innerhalb derselben Vertragskette oder eine andere Zwischenperson in Regreß nehmen können, es sei denn, daß er auf dieses Recht verzichtet hat. Diese Richtlinie berührt nicht den Grundsatz der Vertragsfreiheit in den Beziehungen zwischen dem Verkäufer, dem Hersteller, einem früheren Verkäufer oder einer anderen Zwischenperson. Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bestimmen, gegen wen und wie der Verkäufer Regreß nehmen kann. Bei Vertragswidrigkeit eines Gutes muß der Verbraucher das Recht haben, die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Gutes zu verlangen, wobei er zwischen einer Nachbesserung und einer Ersatzlieferung wählen kann; andernfalls muß er Anspruch auf Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung haben. Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die Nachbesserung des Gutes oder eine Ersatzlieferung verlangen, es sei denn, daß diese Abhilfen unmöglich oder unverhältnismäßig wären. Ob eine Abhilfe unverhältnismäßig ist, müßte objektiv festgestellt werden. Unverhältnismäßig sind Abhilfen, die im Vergleich zu anderen unzumutbare Kosten ver-

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ursachen; bei der Beantwortung der Frage, ob es sich um unzumutbare Kosten handelt, sollte entscheidend sein, ob die Kosten der Abhilfe deutlich höher sind als die Kosten einer anderen Abhilfe. In Fällen von Vertragswidrigkeit kann der Verkäufer dem Verbraucher zur Erzielung einer gütlichen Einigung stets jede zur Verfügung stehende Abhilfemöglichkeit anbieten. Die Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des betreffenden Vorschlags bleibt dem Verbraucher anheimgestellt. Um es dem Verbraucher zu ermöglichen, den Binnenmarkt zu nutzen und Verbrauchsgüter in einem anderen Mitgliedstaat zu erwerben, sollte empfohlen werden, daß der Hersteller von Verbrauchsgütern, die in mehreren Mitgliedstaaten verkauft werden, im Interesse des Verbrauchers dem Verbrauchsgut eine Liste mit mindestens einer Ansprechadresse in jedem Mitgliedstaat, in dem die Ware vertrieben wird, beifügt. Die Bezugnahmen auf den Zeitpunkt der Lieferung bedeuten nicht, daß die Mitgliedstaaten ihre Vorschriften über den Gefahrübergang ändern müssen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß eine dem Verbraucher zu leistende Erstattung gemindert werden kann, um der Benutzung der Ware Rechnung zu tragen, die durch den Verbraucher seit ihrer Lieferung erfolgt ist. Die Regelungen über die Modalitäten der Durchführung der Vertragsauflösung können im innerstaatlichen Recht festgelegt werden. Gebrauchte Güter können aufgrund ihrer Eigenart im allgemeinen nicht ersetzt werden. Bei diesen Gütern hat der Verbraucher deshalb in der Regel keinen Anspruch auf Ersatzlieferung. Die Mitgliedstaaten können den Parteien gestatten, für solche Güter eine kürzere Haftungsdauer zu vereinbaren. Es ist zweckmäßig, den Zeitraum, innerhalb dessen der Verkäufer für Vertragswidrigkeiten haftet, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Gutes bestanden, zu begrenzen. Die Mitgliedstaaten können ferner eine Frist vorsehen, innerhalb deren die Verbraucher ihre Ansprüche geltend machen können, sofern diese Frist nicht vor Ablauf von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Lieferung endet. Wird in innerstaatlichen Rechtsvorschriften für den Beginn einer Frist ein anderer Zeitpunkt als die Lieferung des Gutes festgelegt, so darf die Gesamtdauer der in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Frist einen Zeitraum von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Lieferung nicht unterschreiten. Für den Fall einer Nachbesserung oder einer Ersatzlieferung sowie für den Fall von Verhandlungen zwischen dem Verkäufer und dem Verbraucher über eine gütliche Regelung können die Mitgliedstaaten gemäß ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften gegebenenfalls die Hemmung oder Unterbrechung des Zeitraums, während dessen Vertragswidrigkeiten offenbar werden müssen, und der Verjährungsfrist vorsehen. Den Mitgliedstaaten sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, eine Frist festzusetzen, innerhalb deren die Verbraucher den Verkäufer über Vertragswidrigkeiten unterrichten müssen. Die Mitgliedstaaten können ein höheres Niveau des Verbraucherschutzes gewährleisten, indem sie keine derartige Verpflichtung einführen. In jedem Fall sollten die Verbraucher für die Unterrichtung des Verkäufers über das Vorliegen einer Vertragswidrigkeit überall in der Gemeinschaft über einen Zeitraum von mindestens zwei Monaten verfügen. Die Mitgliedstaaten sollten vorbeugende Maßnahmen ergreifen, damit eine solche Unterrichtungsfrist die Verbraucher bei grenzüberschreitenden Käufen nicht benachteiligt. Alle Mitgliedstaaten sollten die Kommission über ihre in bezug auf diese Bestimmung gewählte Lösung unterrichten. Die Kommission sollte die Auswirkungen der unterschiedlichen Anwendung dieser Bestimmung auf die Verbraucher und den Binnenmarkt beobachten.

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2.8a

Informationen über die von einem Mitgliedstaat gewählte Lösung sollten den übrigen Mitgliedstaaten, den Verbrauchern und den Verbraucherorganisationen gemeinschaftsweit zugänglich gemacht werden. Daher sollte im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften eine Übersicht über die Lage in allen Mitgliedstaaten veröffentlicht werden. (21) Bei bestimmten Warengattungen ist es üblich, daß die Verkäufer oder die Hersteller auf ihre Erzeugnisse Garantien gewähren, die die Verbraucher gegen alle Mängel absichern, die innerhalb einer bestimmten Frist offenbar werden können. Diese Praxis kann zu mehr Wettbewerb am Markt führen. Solche Garantien stellen zwar rechtmäßige Marketinginstrumente dar, sollten jedoch den Verbraucher nicht irreführen. Um sicherzustellen, daß der Verbraucher nicht irregeführt wird, sollten die Garantien bestimmte Informationen enthalten, unter anderem eine Erklärung, daß die Garantie nicht die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers berührt. (22) Die Vertragsparteien dürfen die den Verbrauchern eingeräumten Rechte nicht durch Vereinbarung einschränken oder außer Kraft setzen, da dies den gesetzlichen Schutz aushöhlen würde. Dieser Grundsatz hat auch für Klauseln zu gelten, denen zufolge dem Verbraucher jede zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende Vertragswidrigkeit des Verbrauchsguts bekannt war. Der dem Verbraucher aufgrund dieser Richtlinie gewährte Schutz darf nicht dadurch geschmälert werden, daß das Recht eines Nichtmitgliedstaats als das auf den betreffenden Vertrag anzuwendende Recht gewählt worden ist. (23) Die diesbezüglichen Rechtsvorschriften und die Rechtsprechung der Mitgliedstaaten zeugen von dem zunehmenden Bemühen, den Verbrauchern ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten. Angesichts dieser Entwicklung und der zu erwartenden Erfahrung mit der Durchführung dieser Richtlinie kann es sich als notwendig erweisen, eine stärkere Harmonisierung in Erwägung zu ziehen, die insbesondere eine unmittelbare Haftung des Herstellers für ihm zuzuschreibende Mängel vorsieht. (24) Die Mitgliedstaaten sollten auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet strengere Bestimmungen zur Gewährleistung eines noch höheren Verbraucherschutzniveaus erlassen oder beibehalten können. (25) Entsprechend der Empfehlung der Kommission vom 30. März 1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind,4 können die Mitgliedstaaten Einrichtungen schaffen, die eine unparteiische und effiziente Beschwerdebehandlung im nationalen und grenzüberschreitenden Rahmen gewährleisten und die von den Verbrauchern als Vermittler in Anspruch genommen werden können. (26) Zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher ist es angebracht, diese Richtlinie in das im Anhang der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen5 enthaltene Richtlinienverzeichnis aufzunehmen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen (1) Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien

4 ABl. L 115 vom 17. 4. 1998, S. 31. 5 ABl. L 166 vom 11. 6. 1998, S. 51.

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2.8a

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für Verbrauchsgüter zur Gewährleistung eines einheitlichen VerbraucherschutzMindestniveaus im Rahmen des Binnenmarkts. (2) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) „Verbraucher“ jede natürliche Person, die im Rahmen der unter diese Richtlinie fallenden Verträge zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann; b) „Verbrauchsgüter“ bewegliche körperliche Gegenstände, mit Ausnahme von — Gütern, die aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft werden, — Wasser und Gas, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge abgefüllt sind, — Strom; c) „Verkäufer“ jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Vertrags im Rahmen ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit Verbrauchsgüter verkauft; d) „Hersteller“ den Hersteller von Verbrauchsgütern, deren Importeur für das Gebiet der Gemeinschaft oder jede andere Person, die sich dadurch, daß sie ihren Namen, ihre Marke oder ein anderes Kennzeichen an den Verbrauchsgütern anbringt, als Hersteller bezeichnet; e) „Garantie“ jede von einem Verkäufer oder Hersteller gegenüber dem Verbraucher ohne Aufpreis eingegangene Verpflichtung, den Kaufpreis zu erstatten, das Verbrauchsgut zu ersetzen oder nachzubessern oder in sonstiger Weise Abhilfe zu schaffen, wenn das Verbrauchsgut nicht den in der Garantieerklärung oder in der einschlägigen Werbung genannten Eigenschaften entspricht; f) „Nachbesserung“ bei Vertragswidrigkeit die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes. (3) Die Mitgliedstaaten können festlegen, daß unter „Verbrauchsgütern“ keine gebrauchten Güter zu verstehen sind, die in einer öffentlichen Versteigerung verkauft werden, bei der die Verbraucher die Möglichkeit haben, dem Verkauf persönlich beizuwohnen. (4) Als Kaufverträge im Sinne dieser Richtlinie gelten auch Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Verbrauchsgüter. Art. 2 Vertragsmäßigkeit (1) Der Verkäufer ist verpflichtet, dem Verbraucher dem Kaufvertrag gemäße Güter zu liefern. (2) Es wird vermutet, daß Verbrauchsgüter vertragsgemäß sind, wenn sie a) mit der vom Verkäufer gegebenen Beschreibung übereinstimmen und die Eigenschaften des Gutes besitzen, das der Verkäufer dem Verbraucher als Probe oder Muster vorgelegt hat; 222

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2.8a

b) sich für einen bestimmten vom Verbraucher angestrebten Zweck eignen, den der Verbraucher dem Verkäufer bei Vertragsschluß zur Kenntnis gebracht hat und dem der Verkäufer zugestimmt hat; c) sich für die Zwecke eignen, für die Güter der gleichen Art gewöhnlich gebraucht werden; d) eine Qualität und Leistungen aufweisen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn die Beschaffenheit des Gutes und gegebenenfalls die insbesondere in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachten öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder dessen Vertreters über die konkreten Eigenschaften des Gutes in Betracht gezogen werden. (3) Es liegt keine Vertragswidrigkeit im Sinne dieses Artikels vor, wenn der Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von der Vertragswidrigkeit hatte oder vernünftigerweise nicht in Unkenntnis darüber sein konnte oder wenn die Vertragswidrigkeit auf den vom Verbraucher gelieferten Stoff zurückzuführen ist. (4) Der Verkäufer ist durch die in Absatz 2 Buchstabe d) genannten öffentlichen Äußerungen nicht gebunden, wenn er — nachweist, daß er die betreffende Äußerung nicht kannte und vernünftigerweise nicht davon Kenntnis haben konnte, — nachweist, daß die betreffende Äußerung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses berichtigt war, oder — nachweist, daß die Kaufentscheidung nicht durch die betreffende Äußerung beeinflußt sein konnte. (5) Ein Mangel infolge unsachgemäßer Montage des Verbrauchsgutes wird der Vertragswidrigkeit gleichgestellt, wenn die Montage Bestandteil des Kaufvertrags über das Verbrauchsgut war und vom Verkäufer oder unter dessen Verantwortung vorgenommen wurde. Das gleiche gilt, wenn das zur Montage durch den Verbraucher bestimmte Erzeugnis vom Verbraucher montiert worden ist und die unsachgemäße Montage auf einen Mangel in der Montageanleitung zurückzuführen ist. Art. 3 Rechte des Verbrauchers (1) Der Verkäufer haftet dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsgutes besteht. (2) Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nach Maßgabe des Absatzes 3 oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung in bezug auf das betreffende Verbrauchsgut nach Maßgabe der Absätze 5 und 6. 223

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(3) Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist. Eine Abhilfe gilt als unverhältnismäßig, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würde, die — angesichts des Werts, den das Verbrauchsgut ohne die Vertragswidrigkeit hätte, — unter Berücksichtigung der Bedeutung der Vertragswidrigkeit und — nach Erwägung der Frage, ob auf die alternative Abhilfemöglichkeit ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zurückgegriffen werden könnte, verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären. Die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung muß innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen, wobei die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte, zu berücksichtigen sind. (4) Der Begriff „unentgeltlich“ in den Absätzen 2 und 3 umfaßt die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und Materialkosten. (5) Der Verbraucher kann eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder eine Vertragsauflösung verlangen, — wenn der Verbraucher weder Anspruch auf Nachbesserung noch auf Ersatzlieferung hat oder — wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat oder — wenn der Verkäufer nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher Abhilfe geschaffen hat. (6) Bei einer geringfügigen Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher keinen Anspruch auf Vertragsauflösung. Art. 4 Rückgriffsrechte Haftet der Letztverkäufer dem Verbraucher aufgrund einer Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens des Herstellers, eines früheren Verkäufers innerhalb derselben Vertragskette oder einer anderen Zwischenperson, so kann der Letztverkäufer den oder die Haftenden innerhalb der Vertragskette in Regreß nehmen. Das innerstaatliche Recht bestimmt den oder die Haftenden, den oder die der Letztverkäufer in Regreß nehmen kann, sowie das entsprechende Vorgehen und die Modalitäten. Art. 5 Fristen (1) Der Verkäufer haftet nach Artikel 3, wenn die Vertragswidrigkeit binnen zwei Jahren nach der Lieferung des Verbrauchsgutes offenbar wird. 224

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2.8a

Gilt nach dem inner-staatlichen Recht für die Ansprüche nach Artikel 3 Absatz 2 eine Verjährungsfrist, so endet sie nicht vor Ablauf eines Zeitraums von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Lieferung. (2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß der Verbraucher den Verkäufer zur Inanspruchnahme seiner Rechte über die Vertragswidrigkeit binnen zwei Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem er die Vertragswidrigkeit festgestellt hat, unterrichten muß. Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission über ihre bezüglich dieses Absatzes gewählte Lösung. Die Kommission überwacht die Auswirkungen dieser den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit auf die Verbraucher und den Binnenmarkt. Die Kommission erstellt bis zum 7. Januar 2003 einen Bericht über die von den Mitgliedstaaten bezüglich dieses Absatzes gewählte Lösung. Dieser Bericht wird im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. (3) Bis zum Beweis des Gegenteils wird vermutet, daß Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar werden, bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art des Gutes oder der Art der Vertragswidrigkeit unvereinbar. Art. 6 Garantien (1) Die Garantie muß denjenigen, der sie anbietet, zu den in der Garantieerklärung und der einschlägigen Werbung angegebenen Bedingungen binden. (2) Die Garantie muß — darlegen, daß der Verbraucher im Rahmen der geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften über den Verbrauchsgüterkauf gesetzliche Rechte hat, und klarstellen, daß diese Rechte von der Garantie nicht berührt werden; — in einfachen und verständlichen Formulierungen den Inhalt der Garantie und die wesentlichen Angaben enthalten, die für die Inanspruchnahme der Garantie notwendig sind, insbesondere die Dauer und den räumlichen Geltungsbereich des Garantieschutzes sowie Namen und Anschrift des Garantiegebers. (3) Auf Wunsch des Verbrauchers muß diesem die Garantie schriftlich zur Verfügung gestellt werden oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger enthalten sein, der dem Verbraucher zur Verfügung steht und ihm zugänglich ist. (4) Die Mitgliedstaaten, in denen das Verbrauchsgut in Verkehr gebracht wird, können, soweit dies mit den Vorschriften des Vertrags vereinbar ist, für ihr Gebiet vorschreiben, daß die Garantie in einer oder in mehreren Sprachen abzufassen ist, die der jeweilige Mitgliedstaat unter den Amtssprachen der Gemeinschaft auswählt. 225

2.8a

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(5) Werden für eine Garantie die Anforderungen der Absätze 2, 3 oder 4 nicht erfüllt, so berührt dies in keinem Fall die Gültigkeit dieser Garantie; der Verbraucher kann sie weiterhin geltend machen und ihre Einhaltung verlangen. Art. 7 Unabdingbarkeit (1) Vertragsklauseln oder mit dem Verkäufer vor dessen Unterrichtung über die Vertragswidrigkeit getroffene Vereinbarungen, durch welche die mit dieser Richtlinie gewährten Rechte unmittelbar oder mittelbar außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden, sind für den Verbraucher gemäß dem innerstaatlichen Recht nicht bindend. Im Fall gebrauchter Güter können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß der Verkäufer und der Verbraucher sich auf Vertragsklauseln oder Vereinbarungen einigen können, denen zufolge der Verkäufer weniger lange haftet als in Artikel 5 Absatz 1 vorgesehen. Diese kürzere Haftungsdauer darf ein Jahr nicht unterschreiten. (2) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit dem Verbraucher der durch diese Richtlinie gewährte Schutz nicht dadurch vorenthalten wird, daß das Recht eines Nichtmitgliedstaats als das auf den Vertrag anzuwendende Recht gewählt wird, sofern dieser Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet der Mitgliedstaaten aufweist. Art. 8 Innerstaatliches Recht und Mindestschutz (1) Andere Ansprüche, die der Verbraucher aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften über die vertragliche oder außervertragliche Haftung geltend machen kann, werden durch die aufgrund dieser Richtlinie gewährten Rechte nicht berührt. (2) Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich mit dem Vertrag in Einklang stehende strengere Bestimmungen erlassen oder aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen. Art. 8a Berichtspflichten bei strengeren Vorschriften — nicht abgedruckt. Art. 9 [Unterrichtung der Verbraucher] Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zur Unterrichtung der Verbraucher über das innerstaatliche Recht, mit dem diese Richtlinie umgesetzt wird, und rufen, falls angebracht, Berufsorganisationen dazu auf, die Verbraucher über ihre Rechte zu unterrichten. Art. 10–14 Änderung der Unterlassungsklage-RL (dort berücksichtigt), Umsetzungspflichten, Überprüfung und Inkrafttreten — nicht abgedruckt.

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2.9 Produkthaftungs-RL 85/374

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DER RAT DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 100, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments,2 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,3 in Erwägung nachstehender Gründe: [1] Eine Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Haftung des Herstellers für Schäden, die durch die Fehlerhaftigkeit seiner Produkte verursacht worden sind, ist erforderlich, weil deren Unterschiedlichkeit den Wettbewerb verfälschen, den freien Warenverkehr innerhalb des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigen und zu einem unterschiedlichen Schutz des Verbrauchers vor Schädigungen seiner Gesundheit und seines Eigentums durch ein fehlerhaftes Produkt führen kann. [2] Nur bei einer verschuldensunabhängigen Haftung des Herstellers kann das unserem Zeitalter fortschreitender Technisierung eigene Problem einer gerechten Zuweisung der mit der modernen technischen Produktion verbundenen Risiken in sachgerechter Weise gelöst werden. [3] Die Haftung darf sich nur auf bewegliche Sachen erstrecken, die industriell hergestellt werden. Folglich sind landwirtschaftliche Produkte und Jagderzeugnisse von der Haftung auszuschließen, außer wenn sie einer industriellen Verarbeitung unterzogen worden sind, die Ursache eines Fehlers dieses Erzeugnisses sein kann. Die in dieser Richtlinie vorzusehende Haftung muß auch für bewegliche Sachen gelten, die bei der Errichtung von Bauwerken verwendet oder in Bauwerke eingebaut werden. [4] Der Schutz des Verbrauchers erfordert es, daß alle am Produktionsprozeß Beteiligten haften, wenn das Endprodukt oder der von ihnen gelieferte Bestandteil oder Grundstoff fehlerhaft war. Aus demselben Grunde hat die Person, die Produkte in die Gemeinschaft einführt, sowie jede Person zu haften, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen anbringt, oder die ein Produkt liefert, dessen Hersteller nicht festgestellt werden kann. [5] Haften mehrere Personen für denselben Schaden, so erfordert der Schutz des Verbrauchers, daß der Geschädigte eine jede für den vollen Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen kann. [6] Damit der Verbraucher in seiner körperlichen Unversehrtheit und seinem Eigentum geschützt wird, ist zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts nicht auf dessen mangelnde Gebrauchsfähigkeit, sondern auf einen Mangel an Sicherheit abzustellen, die von der Allgemeinheit berechtigterweise erwartet werden darf. Bei der Beurteilung dieser

* Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. 1985 L 210/29. 1 ABl. C 241 vom 14. 10. 1976, S. 9, und ABl. C 271 vom 26. 10. 1979, S. 3. 2 ABl. C 127 vom 21. 5. 1979, S. 61. 3 ABl. C 114 vom 7. 5. 1979, S. 15. https://doi.org/10.1515/9783110667776-013

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Sicherheit wird von jedem mißbräuchlichen Gebrauch des Produkts abgesehen, der unter den betreffenden Umständen als unvernünftig gelten muß. Eine gerechte Verteilung der Risiken zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller bedingt, daß es dem Hersteller möglich sein muß, sich von der Haftung zu befreien, wenn er den Beweis für ihn entlastende Umstände erbringt. Der Schutz des Verbrauchers erfordert, daß die Haftung des Herstellers nicht durch Handlungen anderer Personen beeinträchtigt wird, die zur Verursachung des Schadens beigetragen haben. Ein Mitverschulden des Geschädigten kann jedoch berücksichtigt werden und die Haftung mindern oder ausschließen. Der Schutz des Verbrauchers erfordert die Wiedergutmachung von Schäden, die durch Tod und Körperverletzungen verursacht wurden, sowie die Wiedergutmachung von Sachschäden. Letztere ist jedoch auf Gegenstände des privaten Ge- bzw. Verbrauchs zu beschränken und zur Vermeidung einer allzu großen Zahl von Streitfällen um eine Selbstbeteiligung in fester Höhe zu vermindern. Die Richtlinie berührt nicht die Gewährung von Schmerzensgeld und die Wiedergutmachung anderer seelischer Schäden, die gegebenenfalls nach dem im Einzelfall anwendbaren Recht vorgesehen sind. Eine einheitlich bemessene Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche liegt sowohl im Interesse des Geschädigten als auch des Herstellers. Produkte nutzen sich im Laufe der Zeit ab, es werden strengere Sicherheitsnormen entwickelt, und die Erkenntnisse von Wissenschaft und Technik schreiten fort. Es wäre daher unbillig, den Hersteller zeitlich unbegrenzt für Mängel seiner Produkte haftbar zu machen. Seine Haftung hat somit nach einem angemessenen Zeitraum zu erlöschen, wobei ein rechtshängiger Anspruch jedoch nicht berührt wird. Damit ein wirksamer Verbraucherschutz gewährleistet ist, darf es nicht möglich sein, die Haftung des Herstellers gegenüber dem Geschädigten durch eine Vertragsklausel abweichend zu regeln. Nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten kann der Geschädigte aufgrund einer vertraglichen Haftung oder aufgrund einer anderen als der in dieser Richtlinie vorgesehenen außervertraglichen Haftung Anspruch auf Schadenersatz haben. Soweit derartige Bestimmungen ebenfalls auf die Verwirklichung des Ziels eines wirksamen Verbraucherschutzes ausgerichtet sind, dürfen sie von dieser Richtlinie nicht beeinträchtigt werden. Soweit in einem Mitgliedstaat ein wirksamer Verbraucherschutz im Arzneimittelbereich auch bereits durch eine besondere Haftungsregelung gewährleistet ist, müssen Klagen aufgrund dieser Regelung ebenfalls weiterhin möglich sein. Da die Haftung für nukleare Schäden in allen Mitgliedstaaten bereits ausreichenden Sonderregelungen unterliegt, können Schäden dieser Art aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen werden. Der Ausschluß von landwirtschaftlichen Naturprodukten und Jagderzeugnissen aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie kann in einigen Mitgliedstaaten in Anbetracht der Erfordernisse des Verbraucherschutzes als ungerechtfertigte Einschränkung dieses Schutzes empfunden werden; deshalb müssen die Mitgliedstaaten die Haftung auf diese Produkte ausdehnen können. Aus ähnlichen Gründen kann es in einigen Mitgliedstaaten als ungerechtfertigte Einschränkung des Verbraucherschutzes empfunden werden, daß ein Hersteller sich von der Haftung befreien kann, wenn er den Beweis erbringt, daß der Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Erzeugnis in der Verkehr gebracht hat, es nicht gestattete, die Existenz des Fehlers festzustellen. Die Mitgliedstaaten müssen daher die Möglichkeit haben, einschlägige Rechtsvorschriften, denen zufolge ein solcher

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2.9

Beweis nicht von der Haftung befreien kann, beizubehalten bzw. dahingehende Rechtsvorschriften zu erlassen. Werden entsprechende neue Rechtsvorschriften eingeführt, so muß jedoch die Inanspruchnahme einer derartigen Abweichung von einem gemeinschaftlichen Stillhalteverfahren abhängig gemacht werden, damit der Umfang des Schutzes in der Gemeinschaft möglichst in einheitlicher Weise erweitert wird. [17] In Anbetracht der Rechtstraditionen in den meisten Mitgliedstaaten empfiehlt es sich nicht, für die verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers eine finanzielle Obergrenze festzulegen. Da es jedoch auch andere Rechtstraditionen gibt, erscheint es möglich, den Mitgliedstaaten das Recht einzuräumen, vom Grundsatz der unbeschränkten Haftung abzuweichen und für Todesfälle und Körperverletzungen, die durch gleiche Artikel mit demselben Fehler verursacht wurden, die Gesamthaftung des Herstellers zu begrenzen, sofern diese Begrenzung hoch genug angesetzt wird, um einen angemessenen Schutz der Verbraucher und ein einwandfreies Funktionieren des Gemeinsamen Marktes sicherzustellen. [18] Mit dieser Richtlinie läßt sich vorerst keine vollständige Harmonisierung erreichen, sie öffnet jedoch den Weg für eine umfassendere Harmonisierung. Der Rat sollte von der Kommission daher regelmäßig mit Berichten über die Durchführung dieser Richtlinie befaßt werden, denen gegebenenfalls entsprechende Vorschläge beizufügen wären. [19] Im Hinblick darauf ist es besonders wichtig, daß die Bestimmungen der Richtlinie, die den Mitgliedstaaten Abweichungen ermöglichen, nach einem ausreichend langen Zeitraum überprüft werden, sobald genügend praktische Erfahrungen über die Auswirkungen dieser Abweichungen auf den Verbraucherschutz und auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes gesammelt worden sind — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 [Haftung des Herstellers] Der Hersteller eines Produkts haftet für den Schaden, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist. Art. 2 [Produkt] Bei der Anwendung dieser Richtlinie gilt als „Produkt“ jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet. Unter „Produkt“ ist auch Elektrizität zu verstehen. Art. 3 [Hersteller] (1) „Hersteller“ ist der Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie jede Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt. (2) Unbeschadet der Haftung des Herstellers gilt jede Person, die ein Produkt zum Zweck des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder einer anderen Form des Vertriebs im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit in die Gemeinschaft einführt, im Sinne dieser Richtlinie als Hersteller dieses Produkts und haftet wie der Hersteller. (3) Kann der Hersteller des Produkts nicht festgestellt werden, so wird jeder Lieferant als dessen Hersteller behandelt, es sei denn, daß er dem Geschädigten 229

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innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat. Dies gilt auch für eingeführte Produkte, wenn sich bei diesen der Importeur im Sinne des Absatzes 2 nicht feststellen läßt, selbst wenn der Name des Herstellers angegeben ist. Art. 4 [Beweislast] Der Geschädigte hat den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen. Art. 5 [Gesamtschuldnerische Haftung] Haften aufgrund dieser Richtlinie mehrere Personen für denselben Schaden, so haften sie unbeschadet des einzelstaatlichen Rückgriffsrechts gesamtschuldnerisch. Art. 6 [Fehler] (1) Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere a) der Darbietung des Produkts, b) des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, c) des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, zu erwarten berechtigt ist. (2) Ein Produkt kann nicht allein deshalb als fehlerhaft angesehen werden, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde. Art. 7 [Exkulpationsmöglichkeiten des Herstellers] Der Hersteller haftet aufgrund dieser Richtlinie nicht, wenn er beweist, a) daß er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat; b) daß unter Berücksichtigung der Umstände davon auszugehen ist, daß der Fehler, der den Schaden verursacht hat, nicht vorlag, als das Produkt von ihm in den Verkehr gebracht wurde, oder daß dieser Fehler später entstanden ist; c) daß er das Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck hergestellt noch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat; d) daß der Fehler darauf zurückzuführen ist, daß das Produkt verbindlichen hoheitlich erlassenen Normen entspricht; e) daß der vorhandene Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zudem Zeitpunkt, zudem er das betreffende Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte; f) wenn es sich um den Hersteller eines Teilproduktes handelt, daß der Fehler durch die Konstruktion des Produkts in welches das Teilprodukt eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitungen des Herstellers des Produktes verursacht worden ist. 230

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Art. 8 [Verhalten Dritter; Mitverschulden des Geschädigten] (1) Unbeschadet des einzelstaatlichen Rückgriffsrechts wird die Haftung eines Herstellers nicht gemindert, wenn der Schaden durch einen Fehler des Produkts und zugleich durch die Handlung eines Dritten verursacht worden ist. (2) Die Haftung des Herstellers kann unter Berücksichtigung aller Umstände gemindert werden oder entfallen, wenn der Schaden durch einen Fehler des Produkts und zugleich durch Verschulden des Geschädigten oder einer Person, für die der Geschädigte haftet, verursacht worden ist. Art. 9 [Schaden] Der Begriff „Schaden“ im Sinne des Artikels 1 umfaßt a) den durch Tod und Körperverletzungen verursachten Schaden; b) die Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produktes — bei einer Selbstbeteiligung von 500 ECU –, sofern diese Sache i) von einer Art ist, wie sie gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt ist, und ii) von dem Geschädigten hauptsächlich zum privaten Ge- oder Verbrauch verwendet worden ist. Dieser Artikel berührt nicht die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend immaterielle Schäden. Art. 10 [Verjährung ab Kenntnis] (1) Die Mitgliedstaaten sehen in ihren Rechtsvorschriften vor, daß der aufgrund dieser Richtlinie vorgesehene Ersatzanspruch nach Ablauf einer Frist von drei Jahren ab dem Tage verjährt, an dem der Kläger von dem Schaden, dem Fehler und der Identität des Herstellers Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. (2) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung werden durch diese Richtlinie nicht berührt. Art. 11 [Erlöschen der Ansprüche nach zehn Jahren] Die Mitgliedstaaten sehen in ihren Rechtsvorschriften vor, daß die dem Geschädigten aus dieser Richtlinie erwachsenden Ansprüche nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren ab dem Zeitpunkt erlöschen, zu dem der Hersteller das Produkt, welches den Schaden verursacht hat, in den Verkehr gebracht hat, es sei denn, der Geschädigte hat in der Zwischenzeit ein gerichtliches Verfahren gegen den Hersteller eingeleitet. Art. 12 [Ausschluss vertraglicher Haftungsbegrenzung] Die Haftung des Herstellers aufgrund dieser Richtlinie kann gegenüber dem Geschädigten nicht durch eine die Haftung begrenzende oder von der Haftung befreiende Klausel begrenzt oder ausgeschlossen werden. Art. 13 [Konkurrierende mitgliedstaatliche Anspruchsgrundlagen] Die Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund der Vorschriften über die vertragliche 231

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und außervertragliche Haftung oder aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie bestehenden besonderen Haftungsregelung geltend machen kann, werden durch diese Richtlinie nicht berührt. Art. 14 [Nukleare Schäden] Diese Richtlinie ist nicht auf Schäden infolge eines nuklearen Zwischenfalls anwendbar, die in von den Mitgliedstaaten ratifizierten internationalen Übereinkommen erfaßt sind. Art. 15 [Mitgliedstaatliche Regelungsfreiräume; Prüfauftrag der EG-Kommission] (1) Jeder Mitgliedstaat kann a) [gestrichen] b) abweichend von Artikel 7 Buchstabe e) in seinen Rechtsvorschriften die Regelung beibehalten oder — vorbehaltlich des Verfahrens nach Absatz 2 des vorliegenden Artikels — vorsehen, daß der Hersteller auch dann haftet, wenn er beweist, daß der vorhandene Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte. (2) Will ein Mitgliedstaat eine Regelung nach Absatz 1 Buchstabe b) einführen, so teilt er der Kommission den Wortlaut der geplanten Regelung mit; die Kommission unterrichtet die übrigen Mitgliedstaaten hiervon. Der betreffende Mitgliedstaat führt die geplante Regelung erst neun Monate nach Unterrichtung der Kommission und nur dann ein, wenn diese dem Rat in der Zwischenzeit keinen einschlägigen Änderungsvorschlag zu dieser Richtlinie vorgelegt hat. Bringt die Kommission jedoch innerhalb von drei Monaten nach der Unterrichtung dem betreffenden Mitgliedstaat nicht ihre Absicht zur Kenntnis, dem Rat einen derartigen Vorschlag zu unterbreiten, so kann der Mitgliedstaat die geplante Regelung unverzüglich einführen. Legt die Kommission dem Rat innerhalb der genannten Frist von neun Monaten einen derartigen Änderungsvorschlag zu dieser Richtlinie vor, so stellt der betreffende Mitgliedstaat die geplante Regelung für einen weiteren Zeitraum von achtzehn Monaten nach der Unterbreitung dieses Vorschlags zurück. (3) Zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie legt die Kommission dem Rat einen Bericht darüber vor, wie sich die Anwendung des Artikels 7 Buchstabe e) und des Absatzes 1 Buchstabe b) des vorliegenden Artikels durch die Gerichte auf den Verbraucherschutz und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes ausgewirkt hat. Der Rat entscheidet unter Berücksichtigung dieses Berichts nach Maßgabe des Artikels 100 des Vertrages auf Vorschlag der Kommission über die Aufhebung des Artikels 7 Buchstabe e). Art. 16 [Haftungsbegrenzung der Höhe nach] (1) Jeder Mitgliedstaat kann vorsehen, daß die Gesamthaftung des Herstellers für die Schäden infolge von 232

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Tod oder Körperverletzungen, die durch gleiche Artikel mit demselben Fehler verursacht wurden, auf einen Betrag von nicht weniger als 70 Millionen ECU begrenzt wird. (2) Zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie unterbreitet die Kommission dem Rat einen Bericht über die Frage, wie sich diese Haftungsbegrenzung durch diejenigen Mitgliedstaaten, die von der in Absatz 1 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, auf den Verbraucherschutz und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes ausgewirkt hat. Der Rat entscheidet unter Berücksichtigung dieses Berichts nach Maßgabe des Artikels 100 des Vertrages auf Vorschlag der Kommission über die Aufhebung des Absatzes 1. Art. 17 [Zeitliche Geltung] Diese Richtlinie ist nicht auf Produkte anwendbar, die in den Verkehr gebracht wurden, bevor die in Artikel 19 genannten Vorschriften in Kraft getreten sind. Art. 18–22 ECU und Anpassung der Beträge, Umsetzungspflichten, Berichte und Adressaten — nicht abgedruckt.

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2.10 Zahlungsverzugs-RL 2011/7

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr4 muss in wesentlichen Punkten geändert werden. Aus Gründen der Klarheit und der Vereinfachung sollten die entsprechenden Bestimmungen neu gefasst werden. (2) Für die meisten Waren und Dienstleistungen erfolgen die Zahlungen im Binnenmarkt zwischen Wirtschaftsteilnehmern einerseits und zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Stellen andererseits im Wege des Zahlungsaufschubs, wobei gemäß den Vereinbarungen der Vertragsparteien, der Lieferantenrechnung oder den gesetzlichen Bestimmungen der Leistungserbringer seinem Kunden einen gewissen Zeitraum zur Begleichung der Rechnung einräumt. (3) Viele Zahlungen im Geschäftsverkehr zwischen Wirtschaftsteilnehmern einerseits und zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Stellen andererseits werden später als zum vertraglich vereinbarten oder in den allgemeinen Geschäftsbedingungen festgelegten Zeitpunkt getätigt. Trotz Lieferung der Waren oder Erbringung der Leistungen werden viele Rechnungen erst lange nach Ablauf der Zahlungsfrist beglichen. Ein derartiger Zahlungsverzug wirkt sich negativ auf die Liquidität aus und erschwert die Finanzbuchhaltung von Unternehmen. Es beeinträchtigt außerdem die Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Unternehmen, wenn der Gläubiger aufgrund eines Zahlungsverzugs Fremdfinanzierung in Anspruch nehmen muss. Das Risiko solcher Beeinträchtigungen nimmt in Zeiten eines Wirtschaftsabschwungs, wenn der Zugang zu Finanzmitteln besonders schwierig ist, erheblich zu. (4) Die juristische Durchsetzung von Forderungen bei Zahlungsverzug wurde bereits erleichtert durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen,5 die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstre-

* Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl. 2011 L 48/1. 1 [KOM(2009) 126 endg.] 2 ABl. C 255 vom 22. 9. 2010, S. 42. 3 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 20. Oktober 2010 ([ABl. C 70 E vom 8. 3. 2012, S. 176]) und Beschluss des Rates vom 24. Januar 2011. 4 ABl. L 200 vom 8. 8. 2000, S. 35. 5 ABl. L 12 vom 16. 1. 2001, S. 1 [Ersetzt durch EuGVVO, in dieser Sammlung Nr. 5.3]. https://doi.org/10.1515/9783110667776-014

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ckungstitels für unbestrittene Forderungen,6 die Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens.7 und die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen8 Gleichwohl ist es erforderlich, ergänzende Bestimmungen festzulegen, um von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr abzuschrecken. Die Unternehmen sollten in der Lage sein, im gesamten Binnenmarkt unter Bedingungen Handel zu treiben, die gewährleisten, dass grenzüberschreitende Geschäfte nicht größere Risiken mit sich bringen als Inlandsverkäufe. Es käme zu Wettbewerbsverzerrungen, wenn es für den Binnen- und den grenzüberschreitenden Handel Regeln gäbe, die sich wesentlich voneinander unterscheiden. In ihrer Mitteilung vom 25. Juni 2008 mit dem Titel „Vorfahrt für KMU in Europa — Der ‚Small Business Act‘ für Europa“ betonte die Kommission, dass für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Zugang zu Finanzierungen erleichtert und ein rechtliches und wirtschaftliches Umfeld für mehr Zahlungsdisziplin im Geschäftsleben geschaffen werden sollte. Es ist zu beachten, dass öffentlichen Stellen diesbezüglich eine besondere Verantwortung zufällt. Die Kriterien für die Definition von KMU sind in der Empfehlung 2003/ 361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen9 festgelegt. Eine der Schwerpunktmaßnahmen in der Mitteilung der Kommission vom 26. November 2008 mit dem Titel „Europäisches Konjunkturprogramm“ besteht darin, die Verwaltungslast für Unternehmen zu verringern und die unternehmerische Initiative zu fördern, indem unter anderem sichergestellt wird, dass Rechnungen — auch von KMU — über Lieferungen und Dienstleistungen grundsätzlich innerhalb eines Monats bezahlt werden, um Liquiditätsengpässe zu vermeiden. Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie sollte auf die als Entgelt für Handelsgeschäfte geleisteten Zahlungen beschränkt sein. Diese Richtlinie sollte weder Geschäfte mit Verbrauchern noch die Zahlung von Zinsen im Zusammenhang mit anderen Zahlungen, z. B. unter das Scheck- und Wechselrecht fallende Zahlungen oder Schadensersatzzahlungen einschließlich Zahlungen von Versicherungsgesellschaften, umfassen. Außerdem sollten die Mitgliedstaaten befugt sein, Schulden auszuschließen, die Gegenstand eines Insolvenzverfahrens, einschließlich eines Verfahrens zur Umschuldung, sind. Diese Richtlinie sollte den gesamten Geschäftsverkehr unabhängig davon regeln, ob er zwischen privaten oder öffentlichen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen erfolgt, da öffentliche Stellen in großem Umfang Zahlungen an Unternehmen leisten. Sie sollte deshalb auch den gesamten Geschäftsverkehr zwischen Generalunternehmern und ihren Lieferanten und Subunternehmern regeln. Die Tatsache, dass diese Richtlinie die freien Berufe einbezieht, sollte die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichten, diese für nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Zwecke als Unternehmen oder Kaufleute zu behandeln.

ABl. ABl. ABl. ABl.

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143 vom 30. 4. 2004, S. 15. 399 vom 30. 12. 2006, S. 1. 199 vom 31. 7. 2007, S. 1. 124 vom 20. 5. 2003, S. 36.

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(11) Die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt, auf die diese Richtlinie Anwendung findet, sollte auch die Planung und Ausführung öffentlicher Bauarbeiten sowie Hoch- und Tiefbauarbeiten einschließen. (12) Zahlungsverzug stellt einen Vertragsbruch dar, der für die Schuldner in den meisten Mitgliedstaaten durch niedrige oder nicht vorhandene Verzugszinsen und/oder langsame Beitreibungsverfahren finanzielle Vorteile bringt. Ein durchgreifender Wandel hin zu einer Kultur der unverzüglichen Zahlung, in der auch der Ausschluss des Rechts zur Verzinsung von verspäteten Zahlungen immer als grob nachteilige Vertragsklausel oder Praxis betrachtet wird, ist erforderlich, um diese Entwicklung umzukehren und von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. Dieser Wandel sollte auch die Einführung besonderer Bestimmungen zu Zahlungsfristen und zur Entschädigung der Gläubiger für die ihnen entstandenen Kosten einschließen, sowie auch Bestimmungen, wonach vermutet wird, dass der Ausschluss des Rechts auf Entschädigung für Beitreibungskosten grob nachteilig ist. (13) Daher sollte festgelegt werden, dass die vertraglich vereinbarten Zahlungsfristen zwischen Unternehmen grundsätzlich auf 60 Kalendertage beschränkt sind. Jedoch können Unternehmen unter Umständen längere Zahlungsfristen benötigen, beispielsweise wenn sie ihren Kunden Handelskredite gewähren möchten. Die Vertragsparteien sollten daher weiterhin Zahlungsfristen von mehr als 60 Kalendertagen ausdrücklich vereinbaren können, wenn dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig ist. (14) Im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsvorschriften der Union sollte für die Zwecke dieser Richtlinie die in der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste10 und die in der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge11 enthaltene Definition des Begriffs „öffentlicher Auftraggeber“ gelten. (15) Der gesetzliche Zins für Zahlungsverzug sollte gemäß der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom 3. Juni 1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine12 in Form eines einfachen Zinses auf Tagesbasis berechnet werden. (16) Durch diese Richtlinie sollte kein Gläubiger verpflichtet werden, Verzugszinsen zu fordern. Diese Richtlinie sollte es einem Gläubiger ermöglichen, bei Zahlungsverzug ohne eine vorherige Mahnung oder eine andere vergleichbare Mitteilung, die den Schuldner an seine Zahlungsverpflichtung erinnert, Verzugszinsen zu verlangen. (17) Die Zahlung eines Schuldners sollte als verspätet in dem Sinne betrachtet werden, dass ein Anspruch auf Verzugszinsen entsteht, wenn der Gläubiger zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht über den geschuldeten Betrag verfügt, vorausgesetzt, er hat seine gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllt. (18) Rechnungen erzeugen Zahlungsaufforderungen und sind wichtige Dokumente in der Kette der Geschäftsvorgänge für die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen, unter anderem zur Festlegung der Zahlungsfrist. Für die Zwecke dieser Richtlinie

10 ABl. L 134 vom 30. 4. 2004, S. 1. 11 ABl. L 134 vom 30. 4. 2004, S. 114. 12 ABl. L 124 vom 8. 6. 1971, S. 1.

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sollten die Mitgliedstaaten Systeme fördern, die Rechtssicherheit hinsichtlich des genauen Datums des Eingangs von Rechnungen bei den Schuldnern schaffen, einschließlich im Bereich der elektronischen Rechnungsstellung, in dem der Eingang von Rechnungen elektronisch nachgewiesen werden könnte und der teilweise durch die Bestimmungen über die Rechnungsstellung, die in der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem13 enthalten sind, geregelt wird. Eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten ist erforderlich, um von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. In den Beitreibungskosten sollten zudem die aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten enthalten sein; für diese Kosten sollte durch diese Richtlinie ein pauschaler Mindestbetrag vorgesehen werden, der mit Verzugszinsen kumuliert werden kann. Die Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags sollte dazu dienen, die mit der Beitreibung verbundenen Verwaltungskosten und internen Kosten zu beschränken. Eine Entschädigung für die Beitreibungskosten sollte unbeschadet nationaler Bestimmungen, nach denen ein nationales Gericht dem Gläubiger eine Entschädigung für einen durch den Zahlungsverzug eines Schuldners entstandenen zusätzlichen Schaden zusprechen kann, festgelegt werden. Neben einem Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrages für interne Beitreibungskosten sollte der Gläubiger auch Anspruch auf Ersatz der übrigen, durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten haben. Zu diesen Kosten sollten insbesondere Kosten zählen, die dem Gläubiger durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen. Diese Richtlinie sollte das Recht der Mitgliedstaaten, höhere und daher für den Gläubiger günstigere Pauschalbeträge als Entschädigung für Beitreibungskosten festzulegen oder diese Beträge zu erhöhen — unter anderem um mit der Inflation Schritt zu halten — nicht berühren. Diese Richtlinie sollte Raten- oder Abschlagszahlungen nicht ausschließen. Jedoch sollten sämtliche Raten oder Zahlungen nach den vereinbarten Bedingungen gezahlt werden und den in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen für Zahlungsverzug unterliegen. Im Allgemeinen können öffentliche Stellen mit sichereren, berechenbareren und beständigeren Einkünften als Unternehmen rechnen. Ferner werden vielen öffentlichen Stellen Finanzmittel zu günstigeren Bedingungen angeboten als Unternehmen. Zugleich sind öffentliche Stellen in Bezug auf die Verwirklichung ihrer Ziele auch weniger von der Herstellung stabiler Geschäftsbeziehungen abhängig, als dies bei Unternehmen der Fall ist. Lange Zahlungsfristen und Zahlungsverzug öffentlicher Stellen für Waren und Dienstleistungen verursachen ungerechtfertigte Kosten für Unternehmen. Es ist daher angebracht, spezielle Vorschriften für Geschäftsvorgänge einzuführen, bei denen Unternehmen öffentlichen Stellen Waren liefern und Dienstleistungen für sie erbringen, die insbesondere Zahlungsfristen vorsehen sollten, die grundsätzlich 30 Kalendertage nicht überschreiten, es sei denn, im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart, und vorausgesetzt, dies ist aufgrund der besonderen Natur oder der besonderen Merkmale des Vertrags objektiv begründet, und die in keinem Fall 60 Kalendertage überschreiten. Es sollte jedoch die besondere Situation öffentlicher Stellen berücksichtigt werden, die wirtschaftliche Tätigkeiten industrieller oder kommerzieller Natur ausüben, indem sie als

13 ABl. L 347 vom 11. 12. 2006, S. 1.

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öffentliches Unternehmen Waren und Dienstleistungen auf dem Markt anbieten. Zu diesem Zweck sollten die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen die gesetzlich vorgesehene Zahlungsfrist auf bis zu 60 Kalendertage ausdehnen können. Besonders problematisch im Hinblick auf den Zahlungsverzug ist in einem Großteil der Mitgliedstaaten die Situation im Gesundheitswesen. Die Gesundheitssysteme als grundlegender Bestandteil der sozialen Infrastruktur Europas müssen oft individuelle Bedürfnisse mit den verfügbaren Finanzen in Einklang bringen, da die Bevölkerung Europas altert, die Lebenserwartung steigt und die Medizin Fortschritte macht. Alle Systeme müssen die Herausforderung annehmen, bei der Gesundheitsversorgung in einer Weise Prioritäten zu setzen, dass ein Ausgleich zwischen den Bedürfnissen des einzelnen Patienten und den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen geschaffen wird. Die Mitgliedstaaten sollten daher öffentlichen Einrichtungen, die Gesundheitsdienste anbieten, bei der Erfüllung ihrer Zahlungsverpflichtungen ein gewisses Maß an Flexibilität einräumen können. Hierzu sollten die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen die gesetzlich vorgesehene Zahlungsfrist auf bis zu 60 Kalendertage ausdehnen können. Die Mitgliedstaaten sollten dennoch alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, damit der Gesundheitssektor seinen Zahlungsverpflichtungen innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Zahlungsfristen nachkommt. Damit die Erfüllung der Ziele dieser Richtlinie nicht gefährdet wird, sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Höchstdauer eines Abnahme- oder Überprüfungsverfahrens im Geschäftsverkehr grundsätzlich nicht mehr als 30 Kalendertage beträgt. Dennoch sollte ein Überprüfungsverfahren 30 Kalendertage überschreiten können, beispielsweise bei besonders komplexen Verträgen, wenn dies ausdrücklich im Vertrag und in den Vergabeunterlagen vereinbart ist und sofern dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig ist. Was ihre Finanzierung und geschäftlichen Beziehungen betrifft, befinden sich die Organe der Europäischen Union und die öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten in einer vergleichbaren Situation. Nach der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften14 muss die Bestätigung, Genehmigung und Zahlung von Ausgaben durch die Organe der Union innerhalb der in den Durchführungsbestimmungen festgelegten Fristen erfolgen. Diese Durchführungsbestimmungen sind gegenwärtig in der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23. Dezember 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften15 niedergelegt und bestimmen im Einzelnen die Umstände, unter denen Gläubiger, die Zahlungen zu spät erhalten, Anspruch auf Verzugszinsen haben. Im Rahmen der laufenden Überprüfung der genannten Verordnungen sollte sichergestellt werden, dass die Höchstfristen für Zahlungen der Organe der Union an die gesetzlich vorgesehenen Fristen für öffentliche Stellen gemäß dieser Richtlinie angepasst werden. Der Missbrauch der Vertragsfreiheit zum Nachteil des Gläubigers sollte nach dieser Richtlinie verboten sein. Wenn sich demzufolge eine Vertragsklausel oder eine Praxis im Hinblick auf den Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist, auf den für Verzugszinsen geltenden Zinssatz oder auf die Entschädigung für Beitreibungskosten nicht auf der Grundlage der

14 ABl. L 248 vom 16. 9. 2002, S. 1. 15 ABl. L 357 vom 31. 12. 2002, S. 1.

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dem Schuldner gewährten Bedingungen rechtfertigen lässt oder in erster Linie dem Zweck dient, dem Schuldner zusätzliche Liquidität auf Kosten des Gläubigers zu verschaffen, kann dies als ein Faktor gelten, der einen solchen Missbrauch darstellt. In diesem Sinne und entsprechend dem akademischen „Entwurf eines Gemeinsamen Referenzrahmens“ sollte eine Vertragsklausel oder Praxis, die eine grobe Abweichung von der guten Handelspraxis darstellt und gegen den Grundsatz des guten Glaubens und der Redlichkeit verstößt, als nachteilig für den Gläubiger angesehen werden. Insbesondere sollte der vollständige Ausschluss des Anspruchs auf Zinsen immer als grob nachteilig angesehen werden, während vermutet werden sollte, dass der Ausschluss des Rechts auf Entschädigung für Beitreibungskosten grob nachteilig ist. Nationale Vorschriften über den Vertragsabschluss oder die Gültigkeit von Vertragsbestimmungen, die für den Schuldner unbillig sind, sollten von dieser Richtlinie unberührt bleiben. Im Rahmen der verstärkten Anstrengungen zur Vermeidung des Missbrauchs der Vertragsfreiheit zum Nachteil der Gläubiger sollten die Organisationen, die offiziell als Vertreter von Unternehmen anerkannt sind, und Organisationen, die ein berechtigtes Interesse daran haben, Unternehmen zu vertreten, die nationalen Gerichte oder die Verwaltungsbehörden anrufen können, um die Verwendung von Vertragsklauseln oder Praktiken, die dem Gläubiger gegenüber als grob nachteilig zu betrachten sind, zu beenden. Um zur Erreichung des Ziels dieser Richtlinie beizutragen, sollten die Mitgliedstaaten die Verbreitung bewährter Praktiken, auch durch die Förderung der Veröffentlichung einer Liste derjenigen, die unverzüglich zahlen, unterstützen. Es ist wünschenswert, dass sichergestellt ist, dass Gläubiger eine Bestimmung zum Eigentumsvorbehalt auf nichtdiskriminierender Grundlage in der Union insgesamt geltend machen können, falls der Eigentumsvorbehalt gemäß den anwendbaren nationalen Vorschriften, wie sie durch das internationale Privatrecht bestimmt werden, rechtswirksam ist. Diese Richtlinie definiert den Begriff „vollstreckbarer Titel“, sie sollte jedoch weder die verschiedenen Verfahren der Zwangsvollstreckung eines solchen Titels regeln, noch die Bedingungen, unter denen die Zwangsvollstreckung eines solchen Titels eingestellt oder ausgesetzt werden kann. Die Folgen des Zahlungsverzugs können jedoch nur abschreckend wirken, wenn sie mit Beitreibungsverfahren gekoppelt sind, die für den Gläubiger schnell und wirksam sind. Nach dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung in Artikel 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sollten diese Verfahren allen in der Union niedergelassenen Gläubigern zur Verfügung stehen. Um die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu erleichtern, sollten die Mitgliedstaaten Anreize zur Inanspruchnahme der Mediation und anderer Formen alternativer Streitbeilegung setzen. Die Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen16 schafft bereits einen Rahmen für Mediationssysteme auf Unionsebene, insbesondere für grenzüberschreitende Streitfälle, ohne dass dessen Anwendung auf interne Mediationssysteme ausgeschlossen wird. Die Mitgliedstaaten sollten überdies die beteiligten Parteien ermutigen, freiwillige Verhaltenskodizes zu erstellen, die insbesondere darauf abzielen, zur Umsetzung dieser Richtlinie beizutragen.

16 ABl. L 136 vom 24. 5. 2008, S. 3.

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(35) Es muss gewährleistet werden, dass die Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen bei Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr innerhalb eines kurzen Zeitraums abgeschlossen werden, auch im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens und unabhängig von dem Betrag der Geldforderung. (36) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Binnenmarkt, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkung besser auf Unionsebene zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (37) Die Verpflichtung zur Umsetzung dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht sollte nur jene Bestimmungen betreffen, die im Vergleich zu der Richtlinie 2000/35/EG inhaltlich geändert wurden. Die Pflicht zur Umsetzung der inhaltlich unveränderten Bestimmungen ergibt sich aus der genannten Richtlinie. (38) Diese Richtlinie sollte die Verpflichtung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht und für die Anwendung der Richtlinie 2000/35/ EG unberührt lassen. (39) Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung17 sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Union eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 [Gegenstand und Anwendungsbereich] (1) Diese Richtlinie dient der Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr, um sicherzustellen, dass der Binnenmarkt reibungslos funktioniert, und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und insbesondere von KMU zu fördern. (2) Diese Richtlinie ist auf alle Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind, anzuwenden. (3) Die Mitgliedstaaten können Schulden ausnehmen, die Gegenstand eines gegen den Schuldner eingeleiteten Insolvenzverfahrens, einschließlich eines Verfahrens zur Umschuldung, sind. Art. 2 [Begriffsbestimmungen] Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. „Geschäftsverkehr“ Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen, die zu einer Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen; 2. „öffentliche Stelle“ jeden öffentlichen Auftraggeber im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2004/17/EG und von Artikel 1 Absatz 9

17 ABl. C 321 vom 31. 12. 2003, S. 1.

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der Richtlinie 2004/18/EG, unabhängig vom Gegenstand oder Wert des Auftrags; „Unternehmen“ jede im Rahmen ihrer unabhängigen wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit handelnde Organisation, ausgenommen öffentliche Stellen, auch wenn die Tätigkeit von einer einzelnen Person ausgeübt wird; „Zahlungsverzug“ eine Zahlung, die nicht innerhalb der vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Zahlungsfrist erfolgt ist, sofern zugleich die Voraussetzungen des Artikels 3 Absatz 1 oder des Artikels 4 Absatz 1 erfüllt sind; „Verzugszinsen“ den gesetzlichen Zins bei Zahlungsverzug oder den zwischen Unternehmen vereinbarten Zins, vorbehaltlich des Artikels 7; „gesetzlicher Zins bei Zahlungsverzug“ den einfachen Zins bei Zahlungsverzug, dessen Höhe sich aus dem Bezugszinssatz zuzüglich mindestens acht Prozentpunkten ergibt; „Bezugszinssatz“ a) für Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, entweder i) den von der Europäischen Zentralbank auf ihre jüngsten Hauptrefinanzierungsoperationen angewendeten Zinssatz oder ii) den marginalen Zinssatz, der sich aus Tenderverfahren mit variablem Zinssatz für die jüngsten Hauptrefinanzierungsoperationen der Europäischen Zentralbank ergibt; b) für Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, den entsprechenden von ihrer nationalen Zentralbank festgesetzten Zinssatz; „fälliger Betrag“ die Hauptforderung, die innerhalb der vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Zahlungsfrist hätte gezahlt werden müssen, einschließlich der anfallenden Steuern, Gebühren, Abgaben oder Kosten, die in der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung aufgeführt werden; „Eigentumsvorbehalt“ die vertragliche Vereinbarung, nach der der Verkäufer bis zur vollständigen Bezahlung Eigentümer des Kaufgegenstands bleibt; „vollstreckbarer Titel“ Entscheidungen, Urteile oder Zahlungsbefehle — auch vorläufig vollstreckbare — eines Gerichts oder einer anderen zuständigen Behörde, nach denen eine Zahlung unverzüglich oder in Raten zu leisten ist und mit denen der Gläubiger seine Forderung gegen den Schuldner im Wege der Zwangsvollstreckung beitreiben kann.

Art. 3 [Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen] (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen der Gläubiger Anspruch auf Verzugszinsen hat, ohne dass es einer Mahnung bedarf, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 241

2.10

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a) Der Gläubiger hat seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt, und b) der Gläubiger hat den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten, es sei denn, dass der Schuldner für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich ist. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass folgender Bezugszinssatz angewendet wird: a) für das erste Halbjahr des betreffenden Jahres der am 1. Januar dieses Jahres geltende Zinssatz; b) für das zweite Halbjahr des betreffenden Jahres der am 1. Juli dieses Jahres geltende Zinssatz. (3) Für die Fälle, in denen die in Absatz 1 genannten Bedingungen erfüllt sind, stellen die Mitgliedstaaten Folgendes sicher: a) Der Gläubiger hat Anspruch auf Verzugszinsen ab dem Tag, der auf den vertraglich festgelegten Zahlungstermin oder das vertraglich festgelegte Ende der Zahlungsfrist folgt. b) Ist der Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist nicht vertraglich festgelegt, so hat der Gläubiger Anspruch auf Verzugszinsen nach Ablauf einer der folgenden Fristen: i) 30 Kalendertage nach dem Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung beim Schuldner; ii) wenn der Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung unsicher ist, 30 Kalendertage nach dem Zeitpunkt des Empfangs der Waren oder Dienstleistungen; iii) wenn der Schuldner die Rechnung oder die gleichwertige Zahlungsaufforderung vor dem Empfang der Waren oder Dienstleistungen erhält, 30 Kalendertage nach dem Zeitpunkt des Empfangs der Waren oder Dienstleistungen; iv) wenn ein Abnahme- oder Überprüfungsverfahren, durch das die Übereinstimmung der Waren oder Dienstleistungen mit dem Vertrag festgestellt werden soll, gesetzlich oder vertraglich vorgesehen ist und wenn der Schuldner die Rechnung oder eine gleichwertige Zahlungsaufforderung vor oder zu dem Zeitpunkt, zu dem die Abnahme oder Überprüfung erfolgt, erhält, 30 Kalendertage nach letzterem Zeitpunkt. (4) Ist ein Abnahme- oder Überprüfungsverfahren vorgesehen, durch das die Übereinstimmung der Waren oder Dienstleistungen mit dem Vertrag festgestellt werden soll, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Höchstdauer dieses Verfahrens nicht mehr als 30 Kalendertage ab dem Zeitpunkt des Empfangs der Waren oder Dienstleistungen beträgt, es sei denn im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart und vorausgesetzt, dass dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig im Sinne von Artikel 7 ist. 242

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2.10

(5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die vertraglich festgelegte Zahlungsfrist 60 Kalendertage nicht überschreitet, es sei denn im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart und vorausgesetzt, dass dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig im Sinne von Artikel 7 ist. Art. 4 [Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen] (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei Geschäftsvorgängen mit einer öffentlichen Stelle als Schuldner der Gläubiger nach Ablauf der in den Absätzen 3, 4 oder 6 festgelegten Fristen Anspruch auf den gesetzlichen Zins bei Zahlungsverzug hat, ohne dass es einer Mahnung bedarf, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Der Gläubiger hat seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt, und b) der Gläubiger hat den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten, es sei denn, der Schuldner ist für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass folgender Bezugszinssatz angewendet wird: a) für das erste Halbjahr des betreffenden Jahres der am 1. Januar dieses Jahres geltende Zinssatz; b) für das zweite Halbjahr des betreffenden Jahres der am 1. Juli dieses Jahres geltende Zinssatz. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei Geschäftsvorgängen, bei denen der Schuldner eine öffentliche Stelle ist, a) die Zahlungsfrist keine der folgenden Fristen überschreitet: i) 30 Kalendertage nach dem Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung beim Schuldner; ii) wenn der Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung unsicher ist, 30 Kalendertage nach dem Zeitpunkt des Empfangs der Waren oder Dienstleistungen; iii) wenn der Schuldner die Rechnung oder die gleichwertige Zahlungsaufforderung vor dem Empfang der Waren oder Dienstleistungen erhält, 30 Kalendertage nach dem Zeitpunkt des Empfangs der Waren oder Dienstleistungen; iv) wenn ein Abnahme- oder Überprüfungsverfahren, durch das die Übereinstimmung der Waren oder Dienstleistungen mit dem Vertrag festgestellt werden soll, gesetzlich oder vertraglich vorgesehen ist und wenn der Schuldner die Rechnung oder eine gleichwertige Zahlungsaufforderung vor oder zu dem Zeitpunkt, zu dem die Abnahme oder Überprüfung erfolgt, erhält, 30 Kalendertage nach letzterem Zeitpunkt; b) der Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung nicht Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger ist. 243

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(4) Die Mitgliedstaaten können die in Absatz 3 Buchstabe a genannten Fristen für folgende Einrichtungen auf bis zu höchstens 60 Kalendertagen verlängern: a) sämtliche öffentliche Stellen, die wirtschaftliche Tätigkeiten industrieller oder kommerzieller Natur ausüben, indem sie Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt anbieten, und als öffentliches Unternehmen den Transparenzanforderungen gemäß der Richtlinie 2006/111/EG der Kommission vom 16. November 2006 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen18 unterliegen; b) öffentliche Einrichtungen, die Gesundheitsdienste anbieten und für diesen Zweck ordnungsgemäß anerkannt sind. Beschließt ein Mitgliedstaat, die Fristen gemäß dem vorliegenden Absatz zu verlängern, so übermittelt er der Kommission bis 16. März 2018 einen Bericht über diese Verlängerung. Auf dieser Grundlage übermittelt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht, in dem angegeben wird, welche Mitgliedstaaten die Fristen gemäß dem vorliegenden Absatz verlängert haben, und in dem die Folgen für das Funktionieren des Binnenmarktes, insbesondere für die KMU, berücksichtigt werden. Diesem Bericht werden geeignete Vorschläge beigefügt. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Höchstdauer eines der in Absatz 3 Buchstabe a Ziffer iv genannten Abnahme- oder Überprüfungsverfahrens nicht mehr als 30 Kalendertage ab dem Empfang der Waren oder Dienstleistungen beträgt, es sei denn im Vertrag und in etwaigen Vergabeunterlagen ist ausdrücklich etwas anderes vereinbart und vorausgesetzt, dass dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig im Sinne von Artikel 7 ist. (6) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die vertraglich festgelegte Zahlungsfrist nicht die in Absatz 3 genannten Fristen überschreitet, es sei denn im Vertrag ist ausdrücklich etwas anderes vereinbart und dies ist aufgrund der besonderen Natur oder Merkmale des Vertrags sachlich gerechtfertigt, und dass die Zahlungsfrist in keinem Fall 60 Kalendertage überschreitet. Art. 5 [Ratenzahlungen] Diese Richtlinie berührt nicht die Möglichkeit der Vertragsparteien, vorbehaltlich der maßgeblichen Bestimmungen des anwendbaren nationalen Rechts Ratenzahlungen zu vereinbaren. Wird in solchen Fällen eine Rate nicht zu dem vereinbarten Termin gezahlt, so werden die in dieser Richtlinie vorgesehenen Zinsen und Entschädigungen allein auf der Grundlage der rückständigen Beträge berechnet.

18 ABl. L 318 vom 17. 11. 2006, S. 17.

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2.10

Art. 6 [Entschädigung für Beitreibungskosten] (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Fällen, in denen gemäß Artikel 3 oder Artikel 4 im Geschäftsverkehr Verzugszinsen zu zahlen sind, der Gläubiger gegenüber dem Schuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens 40 EUR hat. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der in Absatz 1 genannte Pauschalbetrag ohne Mahnung und als Entschädigung für die Beitreibungskosten des Gläubigers zu zahlen ist. (3) Der Gläubiger hat gegenüber dem Schuldner zusätzlich zu dem in Absatz 1 genannten Pauschalbetrag einen Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten, die diesen Pauschalbetrag überschreiten. Zu diesen Kosten können auch Ausgaben zählen, die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen. Art. 7 [Nachteilige Vertragsklauseln und Praktiken] (1) Die Mitgliedstaaten bestimmen, dass eine Vertragsklausel oder eine Praxis im Hinblick auf den Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist, auf den für Verzugszinsen geltenden Zinssatz oder auf die Entschädigung für Beitreibungskosten entweder nicht durchsetzbar ist oder einen Schadensersatzanspruch begründet, wenn sie für den Gläubiger grob nachteilig ist. Bei der Entscheidung darüber, ob eine Vertragsklausel oder eine Praxis im Sinne von Unterabsatz 1 grob nachteilig für den Gläubiger ist, werden alle Umstände des Falles geprüft, einschließlich folgender Aspekte: a) jede grobe Abweichung von der guten Handelspraxis, die gegen den Grundsatz des guten Glaubens und der Redlichkeit verstößt; b) die Art der Ware oder der Dienstleistung und c) ob der Schuldner einen objektiven Grund für die Abweichung vom gesetzlichen Zinssatz bei Zahlungsverzug oder von der in Artikel 3 Absatz 5, Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a, Artikel 4 Absatz 4 und Artikel 4 Absatz 6 genannten Zahlungsfrist oder von dem Pauschalbetrag gemäß Artikel 6 Absatz 1 hat. (2) Eine Vertragsklausel oder eine Praxis ist als grob nachteilig im Sinne von Absatz 1 anzusehen, wenn in ihr Verzugszinsen ausgeschlossen werden. (3) Es wird vermutet, dass eine Vertragsklausel oder Praxis grob nachteilig im Sinne von Absatz 1 ist, wenn in ihr die in Artikel 6 genannte Entschädigung für Beitreibungskosten ausgeschlossen wird. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Interesse der Gläubiger und der Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit die Verwendung von Vertragsbestimmungen und von Praktiken, die grob nachteilig im Sinne von Absatz 1 sind, verhindert wird. 245

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(5) Die in Absatz 4 erwähnten Mittel schließen auch Rechtsvorschriften ein, wonach Organisationen, die offiziell als Vertreter von Unternehmen anerkannt sind, oder Organisationen, die ein berechtigtes Interesse daran haben, Unternehmen zu vertreten, im Einklang mit dem anwendbaren nationalen Recht die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden mit der Begründung anrufen können, dass Vertragsklauseln oder Praktiken grob nachteilig im Sinne von Absatz 1 sind, so dass diese angemessene und wirksame Mittel anwenden können, um deren Verwendung zu beenden. Art. 8 [Transparenz und Aufklärung] (1) Die Mitgliedstaaten stellen die Transparenz der aus dieser Richtlinie erwachsenden Rechte und Pflichten sicher; dazu gehört auch die Veröffentlichung des anwendbaren gesetzlichen Zinssatzes bei Zahlungsverzug. (2) Die Kommission veröffentlicht im Internet Einzelheiten zu den derzeit in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden gesetzlichen Zinssätzen bei Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. (3) Die Mitgliedstaaten greifen gegebenenfalls auf Fachpublikationen, Informationskampagnen oder sonstige geeignete Mittel zurück, um die Rechtsbehelfe gegen Zahlungsverzug zwischen Unternehmen besser bekannt zu machen. (4) Die Mitgliedstaaten können die Erstellung von Verhaltenskodizes für unverzügliche Zahlungen fördern, in denen klar definierte Zahlungsfristen festgelegt werden und der richtige Umgang mit strittigen Zahlungen erläutert wird; ferner können sie jede Initiative fördern, mit der das drängende Problem des Zahlungsverzugs gelöst und ein Beitrag zur Schaffung einer Kultur der unverzüglichen Zahlung geleistet wird, die das Ziel dieser Richtlinie unterstützt. Art. 9 [Eigentumsvorbehalt] (1) Die Mitgliedstaaten sehen in Einklang mit den anwendbaren nationalen Vorschriften, wie sie durch das internationale Privatrecht bestimmt werden, vor, dass der Verkäufer bis zur vollständigen Bezahlung das Eigentum an Waren behält, wenn zwischen Käufer und Verkäufer vor der Lieferung der Waren ausdrücklich eine Eigentumsvorbehaltsklausel vereinbart wurde. (2) Die Mitgliedstaaten können Vorschriften verabschieden oder beibehalten, die vom Schuldner bereits geleistete Anzahlungen betreffen. Art. 10 [Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen] (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein vollstreckbarer Titel — auch durch ein beschleunigtes Verfahren und unabhängig von dem Betrag der Geldforderung — in der Regel binnen 90 Kalendertagen ab Einreichung der Klage oder des Antrags des Gläubigers bei Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde er246

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wirkt werden kann, sofern die Geldforderung oder verfahrensrechtliche Aspekte nicht bestritten werden. Die Mitgliedstaaten kommen dieser Verpflichtung im Einklang mit ihren jeweiligen nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach. (2) Die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften sehen für alle in der Union niedergelassenen Gläubiger die gleichen Bedingungen vor. (3) Bei der Berechnung der in Absatz 1 genannten Frist ist Folgendes nicht zu berücksichtigen: a) die Fristen für Zustellungen, b) alle vom Gläubiger verursachten Verzögerungen, wie etwa der für die Korrektur von Anträgen benötigte Zeitraum. (4) Dieser Artikel berührt nicht die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006. Art. 11 [Bericht] Bis 16. März 2016 übermittelt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Durchführung dieser Richtlinie. Dem Bericht werden geeignete Vorschläge beigefügt. Art. 12 [Umsetzung] (1) Die Mitgliedstaaten erlassen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um den Artikeln 1 bis 8 und 10 bis 16. März 2013 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit. Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. In diese Vorschriften fügen sie die Erklärung ein, dass Bezugnahmen in den geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf die aufgehobene Richtlinie als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie gelten. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme und die Formulierung dieser Erklärung. (2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen. (3) Die Mitgliedstaaten können Vorschriften beibehalten oder erlassen, die für den Gläubiger günstiger sind als die zur Erfüllung dieser Richtlinie notwendigen Maßnahmen. (4) Bei der Umsetzung dieser Richtlinie entscheiden die Mitgliedstaaten, ob sie Verträge, die vor dem 16. März 2013 geschlossen worden sind, ausnehmen. Art. 13 [Aufhebung] Die Richtlinie 2000/35/EG wird mit Wirkung vom 16. März 2013 unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht und die Anwendung aufgeho247

2.10

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ben. Sie bleibt jedoch auf Verträge anwendbar, die vor diesem Zeitpunkt geschlossen wurden und für die die vorliegende Richtlinie gemäß Artikel 12 Absatz 4 nicht gilt. Verweise auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Verweise auf die vorliegende Richtlinie und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle im Anhang zu lesen. Art. 14 [Inkrafttreten] Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Art. 15 [Adressaten] Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet. Anhang Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt.

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2.11 Handelsvertreter-RL 86/653

*

DER RAT DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 100, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments,2 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,3 in Erwägung nachstehender Gründe: [1] Die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die Vermittlertätigkeiten in Handel, Industrie und Handwerk sind durch die Richtlinie 64/224/EWG4 aufgehoben worden. [2] Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen beeinflussen die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der Gemeinschaft spürbar und beeinträchtigen den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmen sowie die Sicherheit im Handelsverkehr. Diese Unterschiede erschweren im übrigen auch erheblich den Abschluß und die Durchführung von Handelsvertreterverträgen zwischen einem Unternehmer und einem Handelsvertreter, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind. [3] Der Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten muß unter Bedingungen erfolgen, die denen eines Binnenmarktes entsprechen, weswegen die Rechtordnungen der Mitgliedstaaten in dem zum guten Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang angeglichen werden müssen. Selbst vereinheitlichte Kollisionsnormen auf dem Gebiet der Handelsvertretung können die erwähnten Nachteile nicht beseitigen und lassen daher einen Verzicht auf die vorgeschlagene Harmonisierung nicht zu. [4] Die Rechtsbeziehungen zwischen Handelsvertreter und Unternehmer sind in diesem Zusammenhang mit Vorrang zu behandeln. [5] Die in den Mitgliedstaaten für Handelsvertreter geltenden Vorschriften sind in Anlehnung an die Grundsätze von Artikel 117 des Vertrages auf dem Wege des Fortschritts zu harmonisieren. [6] Einigen Mitgliedstaaten müssen zusätzliche Übergangsfristen eingeräumt werden, da sie besondere Anstrengungen zu unternehmen haben, um ihre Regelungen den Anforderungen dieser Richtlinie anzupassen; es handelt sich insbesondere um den Ausgleich nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

* Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl. 1986 L 382/ 17. 1 ABl. C 13 vom 18. 1. 1977, S. 2 und ABl. C 56 vom 2. 3. 1979, S. 5. 2 ABl. C 239 vom 9. 10. 1978, S. 17. 3 ABl. C 59 vom 8. 3. 1978, S. 31. 4 ABl. Nr. 56 vom 4. 4. 1964, S. 869/64. https://doi.org/10.1515/9783110667776-015

2.11

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Kapitel I − Anwendungsbereich Art. 1 [Anwendungsbereich; Begriff des Handelsvertreters] (1) Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Rechtsbeziehungen zwischen Handelsvertretern und ihren Unternehmern regeln. (2) Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen. (3) Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist insbesondere nicht — eine Person, die als Organ befugt ist, für eine Gesellschaft oder Vereinigung verbindlich zu handeln; — ein Gesellschafter, der rechtlich befugt ist, für die anderen Gesellschafter verbindlich zu handeln; — ein Zwangsverwalter (receiver), ein gerichtlich bestellter Vermögensverwalter (receiver and manager), ein Liquidator (liquidator) oder ein Konkursverwalter (trustee in bankruptcy). Art. 2 [Ausnahmen vom Anwendungsbereich] (1) Diese Richtlinie ist nicht anzuwenden — auf Handelsvertreter, die für ihre Tätigkeit kein Entgelt erhalten; — auf Handelsvertreter, soweit sie an Handelsbörsen oder auf Rohstoffmärkten tätig sind; — auf die unter der Bezeichnung „Crown Agents for Overseas Governments and Administrations“ bekannte Körperschaft, wie sie im Vereinigten Königreich nach dem Gesetz von 1979 über die „Crown Agents“ eingeführt worden ist, oder deren Tochterunternehmen. (2) Jeder Mitgliedstaat kann vorsehen, daß die Richtlinie nicht auf Personen anwendbar ist, die Handelsvertretertätigkeiten ausüben, welche nach dem Recht dieses Mitgliedstaates als nebenberufliche Tätigkeiten angesehen werden.

Kapitel II − Rechte und Pflichten Art. 3 [Pflichten des Handelsvertreters; Treu und Glauben] (1) Bei der Ausübung seiner Tätigkeit hat der Handelsvertreter die Interessen des Unterneh250

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2.11

mers wahrzunehmen und sich nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten (2) Im besonderen muß der Handelsvertreter a) sich in angemessener Weise für die Vermittlung und gegebenenfalls den Abschluß der ihm anvertrauten Geschäfte einsetzen; b) dem Unternehmer die erforderlichen ihm zur Verfügung stehenden Informationen übermitteln; c) den vom Unternehmer erteilten angemessenen Weisungen nachkommen. Art. 4 [Pflichten des Unternehmers; Treu und Glauben] (1) Der Unternehmer hat sich gegenüber dem Handelsvertreter nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten. (2) Insbesondere hat der Unternehmer dem Handelsvertreter a) die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die sich auf die betreffenden Waren beziehen; b) die für die Ausführung des Handelsvertretervertrages erforderlichen Informationen zu geben und ihn insbesondere binnen angemessener Frist zu benachrichtigen, sobald er absieht, daß der Umfang der Geschäfte erheblich geringer sein wird, als der Handelsvertreter normalerweise hätte erwarten können. (3) Im übrigen muß der Unternehmer dem Handelsvertreter binnen angemessener Frist von der Annahme oder Ablehnung und der Nichtausführung der vom Handelsvertreter vermittelten Geschäfte Kenntnis geben. Art. 5 [Umgehungsverbot] Die Parteien dürfen keine Vereinbarungen treffen, die von den Artikeln 3 und 4 abweichen.

Kapitel III − Vergütung Art. 6 [Ortsübliche Vergütung] (1) Bei Fehlen einer diesbezüglichen Vereinbarung zwischen den Parteien und unbeschadet der Anwendung der verbindlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Höhe der Vergütungen hat der Handelsvertreter Anspruch auf eine Vergütung, die an dem Ort, an dem er seine Tätigkeit ausübt, für die Vertretung von Waren, die den Gegenstand des Handelsvertretervertrags bilden, üblich ist. Mangels einer solchen Üblichkeit hat der Handelsvertreter Anspruch auf eine angemessene Vergütung, bei der alle mit dem Geschäft zusammenhängenden Faktoren berücksichtigt sind. (2) Jeder Teil der Vergütung, der je nach Zahl oder Wert der Geschäfte schwankt, gilt als Provision im Sinne dieser Richtlinie. 251

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(3) Die Artikel 7 bis 12 gelten nicht, soweit der Handelsvertreter nicht ganz oder teilweise in Form einer Provision vergütet wird. Art. 7 [Anspruch des Handelsvertreters auf Provision für während der Vertragslaufzeit abgeschlossenes Geschäft] (1) Für ein während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenes Geschäft hat der Handelsvertreter Anspruch auf die Provision, a) wenn der Geschäftsabschluß auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist oder b) wenn das Geschäft mit einem Dritten abgeschlossen wurde, den er bereits vorher für Geschäfte gleicher Art als Kunden geworben hatte. (2) Für ein während der Vertragsverhältnisse abgeschlossenes Geschäft hat der Handelsvertreter ebenfalls Anspruch auf die Provision, — wenn ihm ein bestimmter Bezirk oder Kundenkreis zugewiesen ist oder — wenn er die Alleinvertretung für einen bestimmten Bezirk oder Kundenkreis hat und sofern das Geschäft mit einem Kunden abgeschlossen worden ist, der diesem Bezirk oder dieser Gruppe angehört. Die Mitgliedstaaten müssen in ihr Recht die eine oder die andere der unter den beiden obigen Gedankenstrichen enthaltenen Alternativen aufnehmen. Art. 8 [Anspruch des Handelsvertreters auf Provision für nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossenes Geschäft] Für ein erst nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geschlossenes Geschäft hat der Handelsvertreter Anspruch auf Provision: a) wenn der Geschäftsabschluß überwiegend auf die Tätigkeit zurückzuführen ist, die er während des Vertragsverhältnisses ausgeübt hat, und innerhalb einer angemessenen Frist nach dessen Beendigung erfolgt oder b) wenn die Bestellung des Dritten gemäß Artikel 7 vor Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses beim Unternehmer oder beim Handelsvertreter eingegangen ist. Art. 9 [Ausnahme bei Provisionsanspruch des Vorgängers] Der Handelsvertreter hat keinen Anspruch auf die Provision nach Artikel 7, wenn diese gemäß Artikel 8 dem Vorgänger zusteht, es sei denn, daß die Umstände eine Teilung der Provision zwischen den Handelsvertretern rechtfertigen. Art. 10 [Entstehen des Provisionsanspruchs und Fälligkeit] (1) Der Anspruch auf Provision besteht, sobald und soweit eines der folgenden Ereignisse eintritt: 252

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a) der Unternehmer hat das Geschäft ausgeführt; b) der Unternehmer hätte nach dem Vertrag mit dem Dritten das Geschäft ausführen sollen; c) der Dritte hat das Geschäft ausgeführt. (2) Der Anspruch auf Provision besteht spätestens, wenn der Dritte seinen Teil des Geschäfts ausgeführt hat oder ausgeführt haben müsste, falls der Unternehmer seinen Teil des Geschäfts ausgeführt hätte. (3) Die Provision ist spätestens am letzten Tag des Monats zu zahlen, der auf das Quartal folgt, in welchem der Anspruch des Handelsvertreters auf Provision erworben worden ist. (4) Von den Absätzen 2 und 3 darf nicht durch Vereinbarung zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden. Art. 11 [Erlöschen des Provisionsanspruchs] (1) Der Anspruch auf Provision erlischt nur, wenn und soweit — feststeht, daß der Vertrag zwischen dem Dritten und dem Unternehmer nicht ausgeführt wird, und — die Nichtausführung nicht auf Umständen beruht, die vom Unternehmer zu vertreten sind. (2) Vom Handelsvertreter bereits empfangene Provisionen sind zurückzuzahlen, falls der Anspruch darauf erloschen ist. (3) Vom Absatz 1 darf nicht durch Vereinbarungen zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden. Art. 12 [Abrechnung über die geschuldeten Provisionen] (1) Der Unternehmer hat dem Handelsvertreter eine Abrechnung über die geschuldeten Provisionen zu geben, und zwar spätestens am letzten Tag des Monats, der auf das Quartal folgt, in dem der Provisionsanspruch erworben worden ist. Diese Abrechnung muß alle für die Berechnung der Provision wesentlichen Angaben enthalten. (2) Der Handelsvertreter kann verlangen, daß ihm alle Auskünfte, insbesondere ein Auszug aus den Büchern, gegeben werden, über die der Unternehmer verfügt und die der Handelsvertreter zur Nachprüfung des Betrags der ihm zustehenden Provisionen benötigt. (3) Von den Absätzen 1 und 2 darf nicht durch Vereinbarungen zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden. (4) Diese Richtlinie berührt nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen, nach denen der Handelsvertreter ein Recht auf Einsicht in die Bücher des Unternehmers hat. 253

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Kapitel IV − Abschluß und Beendigung des Handelsvertretervertrages Art. 13 [Anspruch auf unterzeichnete Urkunde; Möglichkeit der Schriftform] (1) Jede Partei kann von der anderen Partei eine von dieser unterzeichnete Urkunde verlangen, die den Inhalt des Vertrages einschließlich der Änderungen oder Ergänzungen wiedergibt. Dieser Anspruch kann nicht ausgeschlossen werden. (2) Absatz 1 hindert einen Mitgliedstaat nicht daran vorzuschreiben, daß ein Vertretungsvertrag nur in schriftlicher Form gültig ist. Art. 14 [Befristete Verträge] Ein auf bestimmte Zeit geschlossener Vertrag, der nach Ende seiner Laufzeit von beiden Parteien fortgesetzt wird, gilt als in einen auf unbestimmte Zeit geschlossenen Vertrag umgewandelt. Art. 15 [Unbefristete Verträge; Kündigungsfrist] (1) Ist der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen, so kann er von jeder Partei unter Einhaltung einer Frist gekündigt werden. (2) Die Kündigungsfrist beträgt für das erste Vertragsjahr einen Monat, für das angefangene zweite Vertragsjahr zwei Monate, für das angefangene dritte und die folgenden Vertragsjahre drei Monate. Kürzere Fristen dürfen die Parteien nicht vereinbaren. (3) Die Mitgliedstaaten können die Kündigungsfrist für das vierte Vertragsjahr auf vier Monate, für das fünfte Vertragsjahr auf fünf Monate und für das sechste und die folgenden Vertragsjahre auf sechs Monate festsetzen. Sie können bestimmen, daß die Parteien kürzere Fristen nicht vereinbaren dürfen. (4) Vereinbaren die Parteien längere Fristen als die der Absätze 2 und 3, so darf die vom Unternehmer einzuhaltende Frist nicht kürzer sein als die vom Handelsvertreter einzuhaltende Frist. (5) Sofern die Parteien nicht etwas anderes vereinbart haben, ist die Kündigung nur zum Ende eines Kalendermonats zulässig. (6) Dieser Artikel gilt auch für einen auf bestimmte Zeit geschlossenen Vertrag, der nach Artikel 14 in einen auf unbestimmte Zeit geschlossenen Vertrag umgewandelt wird, mit der Maßgabe, daß bei der Berechnung der Dauer der Kündigungsfrist die vorher geltende feste Laufzeit zu berücksichtigen ist. Art. 16 [Fristlose Beendigung des Vertragsverhältnisses] Diese Richtlinie berührt nicht die Anwendung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, wenn diese Rechtsvorschriften die fristlose Beendigung des Vertragsverhältnisses für den Fall vorsehen, daß 254

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a) eine der Parteien ihren Pflichten insgesamt oder teilweise nicht nachgekommen ist; b) aussergewöhnliche Umstände eintreten. Art. 17 [Ansprüche des Handelsvertreters auf Ausgleich oder Schadensersatz] (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, daß der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat. (2) a) Der Handelsvertreter hat Anspruch auf einen Ausgleich, wenn und soweit — er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und — die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß zu diesen Umständen auch die Anwendung oder Nichtanwendung einer Wettbewerbsabrede im Sinne des Artikels 20 gehört. b) Der Ausgleich darf einen Betrag nicht überschreiten, der einem jährlichen Ausgleich entspricht, der aus dem Jahresdurchschnittsbetrag der Vergütungen, die der Handelsvertreter während der letzten fünf Jahre erhalten hat, errechnet wird; ist der Vertrag vor weniger als fünf Jahren geschlossen worden, wird der Ausgleich nach dem Durchschnittsbetrag des entsprechenden Zeitraums ermittelt. c) Die Gewährung dieses Ausgleichs schließt nicht das Recht des Handelsvertreters aus, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. (3) Der Handelsvertreter hat Anspruch auf Ersatz des ihm durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Unternehmer entstandenen Schadens. Dieser Schaden umfasst insbesondere — den Verlust von Ansprüchen auf Provision, die dem Handelsvertreter bei normaler Fortsetzung des Vertrages zugestanden hätten und deren Nichtzahlung dem Unternehmer einen wesentlichen Vorteil aus der Tätigkeit des Handelsvertreters verschaffen würde, und/oder — Nachteile, die sich aus der nicht erfolgten Amortisation von Kosten und Aufwendungen ergeben, die der Handelsvertreter in Ausführung des Vertrages auf Empfehlung des Unternehmers gemacht hatte. (4) Der Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 entsteht auch dann, wenn das Vertragsverhältnis durch Tod des Handelsvertreters endet. 255

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(5) Der Handelsvertreter verliert den Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3, wenn er dem Unternehmer nicht innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mitgeteilt hat, daß er seine Rechte geltend macht. (6) Die Kommission legt dem Rat innerhalb von acht Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie einen Bericht über die Durchführung dieses Artikels vor und unterbreitet ihm gegebenenfalls Änderungsvorschläge. Art. 18 [Ausschluss der Ansprüche] Der Anspruch auf Ausgleich oder Schadensersatz nach Artikel 17 besteht nicht, a) wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet hat, das aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt; b) wenn der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis beendet hat, es sei denn, diese Beendigung ist aus Umständen, die dem Unternehmer zuzurechnen sind, oder durch Alter, Gebrechen oder Krankheit des Handelsvertreters, derentwegen ihm eine Fortsetzung seiner Tätigkeit billigerweise nicht zugemutet werden kann, gerechtfertigt; c) wenn der Handelsvertreter gemäß einer Vereinbarung mit dem Unternehmer die Rechte und Pflichten, die er nach dem Vertrag besitzt, an einen Dritten abtritt. Art. 19 [Kein Verzicht während der Vertragslaufzeit] Die Parteien können vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarungen treffen, die von Artikel 17 und 18 zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen. Art. 20 [Wettbewerbsabrede] (1) Eine Vereinbarung, die den Handelsvertreter nach Beendigung des Vertrages in einer gewerblichen Tätigkeit einschränkt, wird in dieser Richtlinie als Wettbewerbsabrede bezeichnet. (2) Eine Wettbewerbsabrede ist nur gültig, wenn und soweit sie a) schriftlich getroffen worden ist und b) sich auf den dem Handelsvertreter zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis sowie auf Warengattungen erstreckt, die gemäß dem Vertrag Gegenstand seiner Vertretung sind. (3) Eine Wettbewerbsabrede ist längstens zwei Jahre nach Beendigung des Vertragsverhältnisses wirksam. (4) Dieser Artikel berührt nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, die weitere Beschränkungen der Wirksamkeit oder Anwendbarkeit der Wettbewerbsabreden vorsehen oder nach denen die Gerichte die Verpflichtungen der Parteien aus einer solchen Vereinbarung mindern können. 256

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KAPITEL V − Allgemeine und Schlußbestimmungen Art. 21 [Keine Offenlegungspflicht bei Verstoß gegen öffentliche Ordnung] Diese Richtlinie verpflichtet keinen Mitgliedstaat die Offenlegung von Informationen vorzuschreiben, wenn eine solche Offenlegung mit einer öffentlichen Ordnung unvereinbar wäre. Art. 22–23 Umsetzungspflichten und Adressaten — nicht abgedruckt.

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 nach Anhörung des Ausschusses der Regionen, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) In der Richtlinie 90/314/EWG des Rates3 sind eine Reihe wichtiger Verbraucherrechte bei Pauschalreisen — unter anderem Informationspflichten, die Haftung von Unternehmern für Leistungen, die Bestandteil der Pauschalreise sind, und Schutz vor der Insolvenz eines Reiseveranstalters oder Reisevermittlers — festgelegt worden. Der rechtliche Rahmen muss allerdings jetzt den Entwicklungen des Marktes angepasst und besser auf den Binnenmarkt abgestimmt werden; gleichzeitig müssen Unklarheiten ausgeräumt und Regelungslücken geschlossen werden. (2) Der Tourismus ist für die Volkswirtschaft der Union von großer Bedeutung; Pauschalreisen, Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen (im Folgenden „Pauschalreisen“) machen einen erheblichen Anteil des Reisemarktes aus. Dieser Markt hat sich seit Erlass der Richtlinie 90/314/EWG stark gewandelt. Zusätzlich zu den traditionellen Vertriebswegen hat das Internet als Mittel zum Angebot oder Verkauf von Reiseleistungen erheblich an Bedeutung gewonnen. Reiseleistungen werden nicht nur in der herkömmlichen Form vorab zusammengestellter Pauschalreisen angeboten, sondern häufig nach den Vorgaben des Kunden zusammengestellt. Viele dieser Kombinationen von Reiseleistungen befinden sich rechtlich gesehen in einer „Grauzone“ oder sind eindeutig vom Anwendungsbereich der Richtlinie 90/314/EWG nicht erfasst. Mit der vorliegenden Richtlinie soll der Schutz solcher Reiseleistungen diesen Entwicklungen angepasst, die Transparenz erhöht und den Reisenden und Unternehmern mehr Rechtssicherheit geboten werden. (3) Artikel 169 Absatz 1 und Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bestimmen, dass die Union durch die Maßnahmen,

* Richtlinie (EU) 2015/2302 des Eurpäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, ABl. 2015 L 326/1. 1 ABl. C 170 vom 5. 6. 2014, S. 73. 2 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Standpunkt des Rates in erster Lesung vom 18. September 2015 (ABl. C 360 vom 30. 10. 2015, S. 1). Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 27. Oktober 2015 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). 3 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. L 158 vom 23. 6. 1990, S. 59). https://doi.org/10.1515/9783110667776-016

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die sie nach Artikel 114 AEUV erlässt, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet. Die Richtlinie 90/314/EWG ließ den Mitgliedstaaten einen breiten Umsetzungsspielraum. Daher bestehen erhebliche Unterschiede im jeweiligen Recht der Mitgliedstaaten. Die unterschiedlichen Regelungen haben für die Unternehmen höhere Kosten zur Folge, was ihre Bereitschaft, ihre Geschäftstätigkeit auf andere Mitgliedstaaten auszuweiten, hemmt und damit die Verbraucher in ihren Wahlmöglichkeiten beschränkt. Gemäß Artikel 26 Absatz 2 und Artikel 49 AEUV umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen sowie die Niederlassungsfreiheit gewährleistet sind. Um einen echten Binnenmarkt für Verbraucher bei Pauschalreisen und verbundenen Reiseleistungen zu schaffen, müssen die Rechte und Pflichten, die sich aus Pauschalreiseverträgen und verbundenen Reiseleistungen ergeben, so harmonisiert werden, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dieser Branche gewährleistet ist. Die grenzübergreifende Dimension des Pauschalreisemarkts wird in der Union zurzeit nicht voll genutzt. Unterschiede im Reiseschutz zwischen den Mitgliedstaaten halten Reisende davon ab, Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen in anderen Mitgliedstaaten zu kaufen, und nehmen Reiseveranstaltern und Reisevermittlern den Anreiz, ihre Leistungen in anderen Mitgliedstaaten anzubieten. Damit Reisende und Unternehmer die Vorteile des Binnenmarkts in vollem Umfang nutzen können und gleichzeitig unionsweit ein hohes Verbraucherschutzniveau gewahrt ist, müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen weiter angeglichen werden. Die meisten Reisenden, die Pauschalreisen oder verbundene Reiseleistungen kaufen, sind Verbraucher im Sinne des Verbraucherrechts der Union. Es ist allerdings nicht immer leicht, zwischen Verbrauchern und Vertretern kleiner Unternehmen oder Geschäftsleuten zu unterscheiden, die über dieselben Buchungskanäle wie Verbraucher Reisen zu geschäftlichen oder beruflichen Zwecken buchen. Solche Reisende benötigen häufig einen vergleichbaren Schutz. Allerdings gibt es auch Unternehmen oder Organisationen, die Reisearrangements auf der Grundlage einer allgemeinen Vereinbarung anbieten, die oftmals für eine Vielzahl von Reisearrangements oder für einen benannten Zeitraum geschlossen werden, beispielsweise mit einer Reiseagentur. Reisearrangements dieser Art erfordern nicht dasselbe Maß an Schutz, das Verbraucher benötigen. Daher sollte diese Richtlinie für Geschäftsreisende einschließlich Angehöriger freier Berufe oder Selbstständiger oder anderer natürlicher Personen, gelten, wenn diese nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Vereinbarung reisen. Um eine Verwechslung mit der sonst im Unionsrecht verwendeten Definition des Begriffs des Verbrauchers zu vermeiden, sollten die auf der Grundlage der vorliegenden Richtlinie geschützten Personen als „Reisende“ bezeichnet werden. Da sich Reiseleistungen auf vielfältige Weise kombinieren lassen, empfiehlt es sich, alle Kombinationen von Reiseleistungen, die Merkmale aufweisen, die Reisende üblicherweise mit Pauschalreisen in Verbindung bringen, als Pauschalreisen zu betrachten, insbesondere wenn einzelne Reiseleistungen zu einem einzigen Reiseprodukt zusammengefasst werden, für dessen ordnungsgemäße Durchführung der Reiseveranstalter haftet. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union4 sollte es

4 Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 30. April 2002, Club-Tour, Viagens e Turismo SA/Alberto Carlos Lobo Gonçalves Garrido und Club Med Viagens Ld.a, C-400/00, ECLI:EU:C:2002:272.

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keinen Unterschied machen, ob die Reiseleistungen bereits vor einem Kontakt mit dem Reisenden, auf Wunsch des Reisenden oder entsprechend seiner Auswahl zusammengestellt werden. Diese Grundsätze sollten unabhängig davon gelten, ob die Buchung über einen Unternehmer mit einer physischen oder einen Unternehmer mit einer Online-Vertriebsstelle erfolgt. Im Interesse der Transparenz sollten Pauschalreisen von verbundenen Reiseleistungen unterschieden werden, bei denen Unternehmer mit einer physischen oder Unternehmer mit einer Online-Vertriebsstelle den Reisenden bei dem Erwerb der Reiseleistung unterstützen und bei denen der Reisende mit verschiedenen Erbringern von Reiseleistungen unter anderem über verbundene Buchungsverfahren Verträge schließt, die nicht die Merkmale einer Pauschalreise aufweisen und für die deshalb nicht die Geltung aller derjenigen Pflichten angemessen ist, denen Pauschalreiseverträge unterliegen. Aufgrund der Entwicklungen des Marktes empfiehlt es sich, Pauschalreisen des Weiteren auf der Grundlage alternativer, objektiver Kriterien zu definieren, die sich in erster Linie auf die Art und Weise beziehen, wie Reiseleistungen angeboten oder erworben werden, sowie auf die Umstände, unter denen Reisende nach vernünftigem Ermessen erwarten dürfen, dass sie durch diese Richtlinie geschützt sind. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn verschiedene Arten von Reiseleistungen von einer einzigen Vertriebsstelle aus für dieselbe Reise erworben werden und wenn diese Reiseleistungen vor der Zustimmung des Reisenden zur Zahlung ausgewählt wurden, d. h. im Rahmen desselben Buchungsvorgangs, oder wenn solche Leistungen zu einem Pauschal- oder Gesamtpreis angeboten, verkauft oder in Rechnung gestellt werden und wenn solche Leistungen unter der Bezeichnung „Pauschalreise“ oder einer ähnlichen Bezeichnung, die auf eine enge Verbindung zwischen den betreffenden Reiseleistungen hinweist, beworben oder verkauft werden. Solche ähnliche Bezeichnungen könnten etwa „Kombireise“, „All-inclusive“ oder „Komplettangebot“ sein. Es sollte außerdem klargestellt werden, dass Reiseleistungen, die nach dem Abschluss eines Vertrags kombiniert werden, in dem der Unternehmer den Reisenden dazu berechtigt, eine Auswahl unter verschiedenen Arten von Reiseleistungen — wie bei einer ReiseGeschenkbox — zu treffen, als Pauschalreisevertrag gelten. Als Pauschalreise sollte auch eine Kombination von Reiseleistungen angesehen werden, wenn der Name, die Zahlungsdaten und die E-Mail-Adresse des Reisenden zwischen den Unternehmern übermittelt werden und wenn spätestens 24 Stunden nach Bestätigung der Buchung der ersten Reiseleistung ein weiterer Vertrag geschlossen wird. Verbundene Reiseleistungen sollten von Reiseleistungen unterschieden werden, die der Reisende unabhängig voneinander und häufig zu einer anderen Zeit bucht, auch wenn die Leistungen dieselbe Reise betreffen. Online angebotene verbundene Reiseleistungen sollten zudem von verlinkten Websites unterschieden werden, die keinen Vertragsabschluss mit dem Reisenden zum Ziel haben, sowie von elektronischen Links, über die der Reisende lediglich allgemein über weitere Reiseleistungen informiert wird, beispielsweise wenn ein Hotel oder der Organisator einer Veranstaltung auf seiner Website eine Liste aller Betreiber aufführt, die unabhängig von einer Buchung der Veranstaltung eine Beförderung zum Veranstaltungsort anbieten, oder wenn Cookies oder Metadaten zur Platzierung von Werbung auf Webseiten benutzt werden. Es sollten besondere Bestimmungen für Unternehmer mit einer physischen und Unternehmer mit einer Online-Vertriebsstelle festgelegt werden, mit deren Hilfe Reisende anlässlich eines einzigen Besuchs in der Vertriebsstelle oder eines einzigen Kontakts mit der Vertriebsstelle separate Verträge mit einzelnen Leistungserbringern schließen, sowie für Un-

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ternehmer mit einer Online-Vertriebsstelle, die beispielsweise über verbundene OnlineBuchungsverfahren den Erwerb zumindest einer zusätzlichen Reiseleistung von einem anderen Unternehmer gezielt vermitteln, wenn ein Vertrag spätestens 24 Stunden nach Bestätigung der Buchung der ersten Reiseleistung geschlossen wird. Eine solche Vermittlung wird sich oftmals auf einen kommerziellen Link stützen und ein Entgelt zwischen dem Unternehmer, der den Erwerb zusätzlicher Reiseleistungen vermittelt, und dem anderen Unternehmer beinhalten, ungeachtet der hierzu verwendeten Abrechnungsmethode, die sich beispielsweise auf die Anzahl der Klicks oder auf den Umsatz stützen kann. Diese Bestimmungen würden beispielsweise dann Anwendung finden, wenn ein Reisender bei der Bestätigung der Buchung der ersten Reiseleistung wie Flug oder Bahnfahrt zusammen mit einem elektronischen Link zum Buchungsportal eines anderen Leistungserbringers oder Reisevermittlers eine Aufforderung erhält, am Bestimmungsort eine zusätzliche Reiseleistung wie Hotelunterkunft zu buchen. Solche Reiseleistungen sollten zwar keine Pauschalreise im Sinne dieser Richtlinie darstellen, bei der ein Reiseveranstalter für die ordnungsgemäße Durchführung aller Reiseleistungen haftet, jedoch sind solche verbundenen Reiseleistungen ein alternatives Geschäftsmodell, das häufig in enger Konkurrenz zu Pauschalreisen steht. Die Verpflichtung, einen ausreichenden Nachweis dafür zu erbringen, dass im Fall einer Insolvenz die Erstattung von Zahlungen und die Rückbeförderung der Reisenden gewährleistet sind, sollte auch für verbundene Reiseleistungen gelten, damit fairer Wettbewerb und der Schutz der Reisenden gewährleistet werden. Der alleinige Erwerb einer Reiseleistung als Reiseeinzelleistung sollte weder eine Pauschalreise noch verbundene Reiseleistungen darstellen. Im Interesse einer größeren Transparenz und damit sich Reisende bewusst zwischen den verschiedenen Arten von Reisearrangements am Markt entscheiden können, sollten die Unternehmer dazu verpflichtet werden, vor der Zustimmung des Reisenden zur Zahlung genau und deutlich anzugeben, ob sie eine Pauschalreise oder verbundene Reiseleistungen anbieten, und Informationen über das betreffende Schutzniveau zu geben. Die Angabe des Unternehmers zur Rechtsnatur des angebotenen Reiseprodukts sollte der wirklichen Rechtsnatur des betreffenden Produkts entsprechen. Werden die Reisenden nicht zutreffend von dem Unternehmer informiert, sollten die zuständigen Behörden tätig werden. Als Kriterium für eine Pauschalreise oder verbundene Reiseleistungen sollte nur die Kombination verschiedener Arten von Reiseleistungen wie Unterbringung, Beförderung von Personen per Bus, Eisenbahn, Schiff oder Flugzeug sowie die Vermietung von Kraftfahrzeugen oder bestimmten Krafträdern herangezogen werden. Eine Unterbringung zu Wohnzwecken, unter anderem im Rahmen von Langzeit-Sprachkursen, sollte nicht als Unterbringung im Sinne dieser Richtlinie gelten. Finanzdienstleistungen wie beispielweise Reiseversicherungen sollten nicht als Reiseleistungen gelten. Zudem sollten Leistungen, die wesensmäßig Bestandteil einer anderen Reiseleistung sind, nicht als eigenständige Reiseleistung angesehen werden. Hierzu zählen beispielsweise eine Gepäckbeförderung im Zuge der Beförderung von Personen, kleinere Beförderungsleistungen — etwa eine Personenbeförderung im Rahmen einer Führung oder ein Transfer zwischen einem Hotel und einem Flughafen oder einem Bahnhof —, Mahlzeiten, Getränke oder Reinigung im Rahmen der Unterbringung oder ein inbegriffener Zugang zu hoteleigenen Einrichtungen wie Schwimmbad, Sauna, Wellnessbereich oder Fitnessraum. Dies bedeutet auch, dass im Fall einer Übernachtung, die als Teil der Beförderung von Personen per Bus, Eisenbahn, Schiff oder Flugzeug angeboten wird, anders als im Fall einer Kreuzfahrt die Unterbrin-

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gung nicht als eigenständige Reiseleistung gelten sollte, wenn die Beförderung eindeutig den Hauptbestandteil darstellt. Andere touristische Leistungen, die nicht wesensmäßig Bestandteil der Beförderung oder Unterbringung von Personen oder der Vermietung von Kraftfahrzeugen oder bestimmten Krafträdern sind, können beispielsweise Folgendes darstellen: Eintrittskarten für Konzerte, Sportveranstaltungen, Ausflüge oder Themenparks, Führungen, Skipässe und die Vermietung von Sportausrüstungen wie etwa Skiausrüstungen, oder Wellnessbehandlungen. Werden derartige Leistungen allerdings mit nur einer anderen Art von Reiseleistung, beispielweise der Unterbringung, kombiniert, so sollte dies nur dann zur Gestaltung einer Pauschalreise oder verbundener Reiseleistungen führen, wenn diese Leistungen einen erheblichen Teil des Werts der Pauschalreise oder der verbundenen Reiseleistungen ausmachen oder wenn sie als wesentliches Merkmal der Reise beworben werden oder in anderer Hinsicht ein wesentliches Merkmal der Reise darstellen. Machen andere touristische Leistungen 25 % oder mehr des Werts der Kombination aus, so sollten diese als Leistungen angesehen werden, die einen erheblichen Teil des Werts der Pauschalreise oder der verbundenen Reiseleistungen darstellen. Es sollte klargestellt werden, dass es nicht als Pauschalreise gilt, wenn andere touristische Leistungen beispielsweise zu einer als eigenständige Leistung gebuchten Hotelunterkunft nach Ankunft des Reisenden im Hotel hinzugefügt werden. Dies sollte nicht zu einer Umgehung dieser Richtlinie führen, bei der Reiseveranstalter oder Reisevermittler dem Reisenden anbieten, zusätzliche touristische Leistungen im Voraus auszuwählen, um ihm den Abschluss eines Vertrags für diese Leistungen erst nach Beginn der Erbringung der ersten Reiseleistung anzubieten. Da Reisende bei Kurzreisen weniger Schutz benötigen, sollten Reisen, die weniger als 24 Stunden dauern und keine Unterbringung einschließen, sowie Pauschalreisen oder verbundene Reiseleistungen, die gelegentlich und ohne Gewinnabsicht und nur einer begrenzten Gruppe von Reisenden angeboten oder vermittelt werden, vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden, um den Unternehmern unnötigen Aufwand zu ersparen. Zu Letzterem können etwa Reisen gehören, die lediglich wenige Male im Jahr von Wohltätigkeitsorganisationen, Sportvereinen oder Schulen für ihre Mitglieder veranstaltet werden und die nicht öffentlich angeboten werden. Geeignete Informationen über diesen Ausschluss sollten öffentlich zugänglich gemacht werden, um zu gewährleisten, dass Unternehmer und Reisende hinreichend darüber unterrichtet werden, dass Pauschalreisen oder verbundene Reiseleistungen dieser Art nicht von dieser Richtlinie erfasst werden. Diese Richtlinie sollte das nationale Vertragsrecht, das jene Aspekte regelt, die nicht von dieser Richtlinie erfasst sind, unberührt lassen. Die Mitgliedstaaten sollten im Einklang mit dem Unionsrecht weiterhin befugt sein, diese Richtlinie auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen. Die Mitgliedstaaten können daher den Bestimmungen oder einigen Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechende nationale Rechtsvorschriften für Verträge, die nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, beibehalten oder einführen. Beispielsweise können die Mitgliedstaaten entsprechende Bestimmungen für eigenständige Verträge über einzelne Reiseleistungen (wie etwa die Vermietung von Ferienwohnungen), für ohne Gewinnabsicht organisierte und einer begrenzten Zahl von Reisenden ausschließlich gelegentlich angebotene oder vermittelte Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen oder für Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, die weniger als 24 Stunden dauern und die keine Unterbringung einschließen, beibehalten oder einführen.

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(22) Pauschalreisen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass ein Unternehmer als Reiseveranstalter für die ordnungsgemäße Erbringung der Pauschalreise als Ganzes haftet. Nur wenn ein anderer Unternehmer als Veranstalter einer Pauschalreise auftritt, sollte ein Unternehmer — in der Regel ein Unternehmer mit einer physischen oder ein Unternehmer mit einer Online-Vertriebsstelle — als Vermittler handeln können, ohne als Veranstalter haftbar zu sein. Ob ein Unternehmer bei einer bestimmten Pauschalreise als Reiseveranstalter handelt, sollte von der Beteiligung des Unternehmers an der Gestaltung einer Pauschalreise abhängen und nicht davon, wie dieser Unternehmer seine Tätigkeit beschreibt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Unternehmer ein Reiseveranstalter oder ein Reisevermittler ist, sollte es keinen Unterschied machen, ob der betreffende Unternehmer auf der Angebotsseite tätig ist oder als ein im Namen des Reisenden handelnder Vertreter auftritt. (23) Die Richtlinie 90/314/EWG überlässt den Mitgliedstaaten die Entscheidung darüber, ob Reiseveranstalter oder Reisevermittler oder sowohl Reiseveranstalter als auch Reisevermittler für die ordnungsgemäße Durchführung einer Pauschalreise haften. Diese Flexibilität hat in manchen Mitgliedstaaten zu Unklarheit darüber geführt, welcher Unternehmer für die Erbringung der betreffenden Reiseleistungen haftet. Daher sollte in dieser Richtlinie klargestellt werden, dass die Reiseveranstalter für die Erbringung der im Pauschalreisevertrag inbegriffenen Reiseleistungen verantwortlich sind, es sei denn, in den nationalen Rechtsvorschriften ist vorgesehen, dass sowohl der Reiseveranstalter als auch der Reisevermittler haftet. (24) Die Vermittler von Pauschalreisen sollten gemeinsam mit dem Reiseveranstalter für die Bereitstellung der vorvertraglichen Informationen verantwortlich sein. Um die Kommunikation, vor allem in grenzüberschreitenden Fällen, zu erleichtern, sollten Reisende den Reiseveranstalter auch über den Reisevermittler kontaktieren können, bei dem sie die Pauschalreise erworben haben. (25) Der Reisende sollte vor dem Erwerb einer Pauschalreise unabhängig davon, ob er die Reise im Wege der Fernkommunikation, in einer physischen Vertriebsstelle oder über andere Vertriebskanäle erwirbt, alle notwendigen Informationen erhalten. Bei der Bereitstellung dieser Informationen sollte der Unternehmer den Bedürfnissen von Reisenden Rechnung tragen, die, soweit für den Unternehmer vernünftigerweise erkennbar, aufgrund ihres Alters oder einer körperlichen Beeinträchtigung eines besonderen Schutzes bedürfen. (26) Basisinformationen beispielsweise zu den wesentlichen Eigenschaften der Reiseleistungen oder zu den Preisen, die in der Werbung, auf der Website des Reiseveranstalters oder in Prospekten als vorvertragliche Informationen enthalten sind, sollten verbindlich sein, es sei denn, der Reiseveranstalter behält sich Änderungen vor und diese Änderungen werden dem Reisenden vor Abschluss des Pauschalreisevertrags klar, verständlich und deutlich mitgeteilt. In Anbetracht der neuen Kommunikationstechniken, die Aktualisierungen problemlos ermöglichen, sind besondere Bestimmungen für Prospekte zwar nicht mehr nötig, es sollte jedoch sichergestellt werden, dass Änderungen der vorvertraglichen Informationen dem Reisenden mitgeteilt werden. Eine Änderung der vorvertraglichen Informationen sollte stets möglich sein, wenn beide Parteien des Pauschalreisevertrags dem ausdrücklich zustimmen. (27) Die Informationspflichten dieser Richtlinie sind erschöpfend, sollten jedoch die in anderen anwendbaren Unionsrechtsakten festgelegten Informationspflichten nicht berühren.5 (28) Reiseveranstalter sollten allgemeine Informationen über die Visumerfordernisse des Bestimmungslandes geben. Die Informationen über die ungefähren Fristen für die Erlan-

5 Vgl.: E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG, in dieser Sammlung Nr.2.3 und Richtlinie 2006/ 123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstlei-

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gung von Visa können in der Form eines Verweises auf amtliche Angaben des Bestimmungslandes gegeben werden. In Anbetracht der Besonderheiten von Pauschalreiseverträgen sollten die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien für die Zeit vor und nach dem Beginn der Pauschalreise festgelegt werden, insbesondere für den Fall, dass der Vertrag nicht ordnungsgemäß erfüllt wird oder dass sich bestimmte Umstände ändern. Da Pauschalreisen häufig lange im Voraus erworben werden, können unvorhergesehene Ereignisse eintreten. Der Reisende sollte daher unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt sein, den Pauschalreisevertrag auf einen anderen Reisenden zu übertragen. In diesen Fällen sollte der Reiseveranstalter die Erstattung seiner Ausgaben verlangen können, beispielsweise wenn ein Unterauftragnehmer für die Änderung des Namens des Reisenden oder für die Stornierung oder Neuausstellung eines Beförderungsausweises eine Gebühr verlangt. Reisende sollten jederzeit vor Beginn der Pauschalreise gegen Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Rücktrittsgebühr — unter Berücksichtigung der erwarteten ersparten Aufwendungen sowie der Einnahmen aus einer anderweitigen Verwendung der Reiseleistungen — von dem Pauschalreisevertrag zurücktreten können. Zudem sollten sie ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurücktreten können, wenn die Durchführung der Reise durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände erheblich beeinträchtigt wird. Dies kann zum Beispiel Kriegshandlungen, andere schwerwiegende Beeinträchtigungen der Sicherheit wie Terrorismus, erhebliche Risiken für die menschliche Gesundheit wie einen Ausbruch einer schweren Krankheit am Reiseziel oder Naturkatastrophen wie Hochwasser oder Erdbeben oder Witterungsverhältnisse, die eine sichere Reise an das im Pauschalreisevertrag vereinbarte Reiseziel unmöglich machen, umfassen. In bestimmten Fällen sollte auch der Reiseveranstalter vor Beginn der Pauschalreise zur entschädigungslosen Beendigung des Pauschalreisevertrags berechtigt sein, beispielswei-

stungen im Binnenmarkt (ABl. L 376 vom 27. 12. 2006, S. 36) sowie die Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2005 über die Erstellung einer gemeinschaftlichen Liste der Luftfahrtunternehmen, gegen die in der Gemeinschaft eine Betriebsuntersagung ergangen ist, sowie über die Unterrichtung von Fluggästen über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens und zur Aufhebung des Artikels 9 der Richtlinie 2004/36/EG (ABl. L 344 vom 27. 12. 2005, S. 15), Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität (ABl. L 204 vom 26. 7. 2006, S. 1), Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. L 315 vom 3. 12. 2007, S. 14), Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. L 293 vom 31. 10. 2008, S. 3), Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. L 334 vom 17. 12. 2010, S. 1), Verordnung (EU) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. L 55 vom 28. 2. 2011, S. 1).

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se wenn die Mindestteilnehmerzahl nicht erreicht ist und diese Möglichkeit im Vertrag vorgesehen ist. In diesem Fall sollte der Reiseveranstalter den Reisenden alle im Zusammenhang mit der Pauschalreise geleisteten Zahlungen erstatten. (33) In bestimmten Fällen sollte der Reiseveranstalter den Pauschalreisevertrag einseitig ändern können. Reisende sollten allerdings vom Pauschalreisevertrag zurücktreten können, wenn durch die Änderungen eine der wesentlichen Eigenschaften der Reiseleistungen erheblich verändert wird. Dies kann beispielsweise bei einer Verringerung der Qualität oder des Werts der Reiseleistungen der Fall sein. Eine Änderung der im Pauschalreisevertrag angegebenen Abreise- oder Ankunftszeiten sollte beispielsweise dann als erheblich gelten, wenn sie dem Reisenden beträchtliche Unannehmlichkeiten oder zusätzliche Kosten verursachen würde, etwa aufgrund einer Umdisponierung der Beförderung oder Unterbringung. Eine Preiserhöhung sollte nur möglich sein, wenn sich eine Änderung bei den Kosten von Treibstoff oder anderer Energiequellen für die Beförderung von Reisenden, bei Steuern oder Abgaben, die von Dritten erhoben werden, die nicht unmittelbar an der Erbringung der im Pauschalreisevertrag enthaltenen Reiseleistungen mitwirken, oder bei den für die Pauschalreise relevanten Wechselkursen ergeben hat, und nur sofern im Vertrag ausdrücklich eine Möglichkeit einer solchen Preiserhöhung vorbehalten ist und der Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass der Reisende ein Recht auf eine Preissenkung hat, die der Senkung dieser Kosten entspricht. Wenn der Reiseveranstalter eine Preiserhöhung um mehr als 8 % des Gesamtpreises vorschlägt, sollte der Reisende berechtigt sein, ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurückzutreten. (34) Es sollten besondere Bestimmungen für Abhilfen im Falle einer Vertragswidrigkeit bei Erfüllung des Pauschalreisevertrags festgelegt werden. Der Reisende sollte im Falle von Problemen Abhilfe verlangen können, und wenn ein erheblicher Teil der Reiseleistungen des Pauschalreisevertrags nicht erbracht werden kann, sollten ihm angemessene andere Vorkehrungen angeboten werden. Schafft der Reiseveranstalter innerhalb einer vom Reisenden festgesetzten angemessenen Frist keine Abhilfe gegen die Vertragswidrigkeit, so sollte der Reisende dies selbst tun können und die Erstattung der notwendigen Aufwendungen verlangen können. In bestimmten Fällen sollte eine Fristsetzung nicht erforderlich sein, insbesondere wenn unverzügliche Abhilfe notwendig ist. Dies würde beispielsweise gelten, wenn der Reisende aufgrund der Verspätung des vom Reiseveranstalter vorgesehenen Busses ein Taxi nehmen muss, um seinen Flug rechtzeitig zu erreichen. Reisende sollten ebenfalls Anspruch auf Preisminderung, Rücktritt vom Pauschalreisevertrag und/oder Schadenersatz haben. Der Schadenersatz sollte auch immaterielle Schäden umfassen, wie beispielsweise entgangene Urlaubsfreuden infolge erheblicher Probleme bei der Erbringung der betreffenden Reiseleistungen. Der Reisende sollte verpflichtet sein, dem Reiseveranstalter unverzüglich — unter Berücksichtigung der Umstände des Falls — jede während der Erbringung der Reiseleistungen des Pauschalreisevertrags bemerkte Vertragswidrigkeit mitzuteilen. Tut er dies nicht, so kann dieses Versäumnis bei der Festlegung der angemessenen Preisminderung oder eines angemessenen Schadenersatzes berücksichtigt werden, wenn eine solche Meldung den Schaden verhindert oder verringert hätte. (35) Im Interesse der Kohärenz sollten die Bestimmungen dieser Richtlinie den internationalen Übereinkünften über Reiseleistungen und den Unionsvorschriften über Passagierrechte angepasst werden. Haftet der Reiseveranstalter für die Nichterbringung oder die mangelhafte Erbringung der Reiseleistungen des Pauschalreisevertrags, so sollte er sich auf die Haftungsbeschränkungen für Leistungserbringer in internationalen Übereinkünften wie dem Übereinkommen von Montreal von 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschrif-

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ten über die Beförderung im internationalen Luftverkehr,6 dem Übereinkommen von 1980 über den Internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF)7 und dem Athener Übereinkommen von 1974 über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See8 berufen können. Ist die Sicherstellung der rechtzeitigen Rückbeförderung des Reisenden an den Ort der Abreise aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände unmöglich, so sollte der Reiseveranstalter die Kosten für die notwendige Unterbringung der Reisenden für einen Zeitraum von höchstens drei Nächten pro Reisendem übernehmen, es sei denn, in geltenden oder künftigen Unionsrechtsvorschriften zum Schutz der Fahrgastrechte werden längere Zeiträume festgelegt. (36) Die Rechte der Reisenden auf Geltendmachung von Ansprüchen auf der Grundlage dieser Richtlinie und anderer einschlägiger Unionsvorschriften oder internationaler Übereinkünfte sollten von dieser Richtlinie unberührt bleiben, sodass die Reisenden weiterhin die Möglichkeit haben, Ansprüche gegen den Veranstalter, das Beförderungsunternehmen oder gegen eine oder gegebenenfalls mehr als eine andere haftende Partei geltend zu machen. Es sollte klargestellt werden, dass die nach dieser Richtlinie gewährte Schadenersatzzahlung oder Preisminderung von der nach Maßgabe anderer einschlägiger Unionsvorschriften oder internationaler Übereinkünfte gewährten Schadenersatzzahlung oder Preisminderung abgezogen werden sollte und umgekehrt, um eine Überkompensation zu vermeiden. Die Haftung des Reiseveranstalters sollte Regressansprüche gegen Dritte einschließlich Leistungserbringer unberührt lassen. (37) Befindet sich der Reisende während seiner Reise in Schwierigkeiten, sollte der Veranstalter verpflichtet sein, unverzüglich angemessenen Beistand zu leisten. Dieser Beistand sollte hauptsächlich — sofern relevant — in der Bereitstellung von Informationen über Aspekte wie Gesundheitsdienste, Behörden vor Ort und konsularischer Beistand sowie von praktischer Hilfe beispielsweise in Bezug auf Fernkommunikationsmittel und Ersatzreisearrangements bestehen. (38) In ihrer Mitteilung vom 18. März 2013 mit dem Titel „Schutz der Fluggäste bei Insolvenz des Luftfahrtunternehmens“ erläutert die Kommission, wie sich der Schutz der Reisenden im Fall der Insolvenz eines Luftfahrtunternehmens verbessern lässt, unter anderem durch eine bessere Durchsetzung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parla-

6 Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 über den Abschluss des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Übereinkommen von Montreal) durch die Europäische Gemeinschaft (ABl. L 194 vom 18. 7. 2001, S. 38). 7 Beschluss 2013/103/EU des Rates vom 16. Juni 2011 über die Unterzeichnung und den Abschluss der Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Zwischenstaatlichen Organisation für den Internationalen Eisenbahnverkehr über den Beitritt der Europäischen Union zum Übereinkommen über den Internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980 in der Fassung des Änderungsprotokolls von Vilnius vom 3. Juni 1999 (ABl. L 51 vom 23. 2. 2013, S. 1). 8 Beschluss 2012/22/EU des Rates vom 12. Dezember 2011 über den Beitritt der Europäischen Union zum Protokoll von 2002 zum Athener Übereinkommen von 1974 über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See, mit Ausnahme der Artikel 10 und 11 (ABl. L 8 vom 12. 1. 2012, S. 1).

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ments und des Rates9 und der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 sowie mithilfe eines stärkeren Engagements der Branche; sollten diese Maßnahmen erfolglos bleiben, könnte eine gesetzgeberische Maßnahme erwogen werden. Diese Mitteilung bezieht sich auf den Erwerb von Einzelleistungen, nämlich von Flugreiseleistungen, und befasst sich daher nicht mit Insolvenzschutz für Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen. (39) Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass Reisende, die eine Pauschalreise erwerben, vor der Insolvenz des Reiseveranstalters in vollem Umfang geschützt sind. Die Mitgliedstaaten, in denen Reiseveranstalter niedergelassen sind, sollten gewährleisten, dass diese Sicherheit für die Erstattung aller im Namen von Reisenden geleisteten Zahlungen und — sofern die Pauschalreise die Beförderung von Personen umfasst — für die Rückbeförderung des Reisenden im Falle der Insolvenz des Reiseveranstalters leisten. Allerdings sollte es möglich sein, dem Reisenden die Fortsetzung der Pauschalreise anzubieten. Es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, wie der Insolvenzschutz auszugestalten ist, sie sollten aber einen wirksamen Schutz gewährleisten. Wirksamkeit bedeutet, dass der Schutz verfügbar ist, sobald infolge der Liquiditätsprobleme des Reiseveranstalters Reiseleistungen nicht durchgeführt werden, nicht oder nur zum Teil durchgeführt werden sollen oder Leistungserbringer von Reisenden deren Bezahlung verlangen. Die Mitgliedstaaten sollten verlangen können, dass Reiseveranstalter den Reisenden eine Bescheinigung ausstellen, mit der ein direkter Anspruch gegen den Anbieter des Insolvenzschutzes dokumentiert wird. (40) Damit der Schutz vor Insolvenz wirksam ist, sollte er die vorhersehbaren Zahlungsbeträge, die von der Insolvenz eines Reiseveranstalters betroffen sind, und gegebenenfalls die vorsehbaren Kosten der Rückbeförderungen abdecken. Dies bedeutet, dass der Schutz ausreichen sollte, um alle vorhersehbaren Zahlungen, die von oder im Namen von Reisenden für Pauschalreisen der Hochsaison geleistet werden, unter Berücksichtigung des Zeitraums zwischen dem Eingang dieser Zahlungen und dem Abschluss der Reise sowie gegebenenfalls die vorhersehbaren Kosten für die Rückbeförderung abzudecken. Das wird in der Regel bedeuten, dass die Absicherung einen ausreichend hohen Prozentsatz des Umsatzes des Veranstalters in Bezug auf Pauschalreisen abdecken muss und von Faktoren wie der Art der verkauften Pauschalreisen einschließlich des Verkehrsmittels, dem Reiseziel und gesetzlichen Beschränkungen oder den Verpflichtungen des Reiseveranstalters im Hinblick auf die zulässigen Anzahlungsbeträge und deren Zeitpunkt vor Beginn der Pauschalreise abhängen kann. Die erforderliche Abdeckung kann zwar anhand der aktuellen Geschäftszahlen wie etwa des Umsatzes im vorhergehenden Geschäftsjahr berechnet werden, doch sollten die Veranstalter verpflichtet werden, den Insolvenzschutz im Falle eines erhöhten Risikos einschließlich eines erheblichen Anstiegs des Verkaufs von Pauschalreisen anzupassen. Ein wirksamer Insolvenzschutz sollte jedoch nicht bedeuten, dass sehr unwahrscheinliche Risiken berücksichtigt werden müssen, wie beispielsweise die gleichzeitige Insolvenz mehrerer der größten Reiseveranstalter, wenn dies unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Kosten des Schutzes haben und somit seine Wirksamkeit beeinträchtigen würde. In solchen Fällen kann die garantierte Erstattung begrenzt sein.

9 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46 vom 17. 2. 2004, S. 1).

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(41) Angesichts der Unterschiede im nationalen Recht und in der nationalen Praxis in Bezug auf die Parteien bei einem Pauschalreisevertrag und den Eingang der von oder im Namen von Reisenden geleisteten Zahlungen sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, auch von Reisevermittlern zu verlangen, einen Insolvenzschutz abzuschließen. (42) Im Einklang mit der Richtlinie 2006/123/EG ist es angebracht, Vorschriften festzulegen, um zu verhindern, dass die Verpflichtungen im Hinblick auf den Insolvenzschutz den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit behindern. Daher sollten die Mitgliedstaaten zur Anerkennung des nach dem Recht des Niederlassungsmitgliedstaats geltenden Insolvenzschutzes verpflichtet sein. Um die Verwaltungszusammenarbeit und die Aufsicht über die in verschiedenen Mitgliedstaaten tätigen Reiseveranstalter und gegebenenfalls Reisevermittler in Bezug auf den Insolvenzschutz zu erleichtern, sollten die Mitgliedstaaten verpflichtet sein, zentrale Kontaktstellen zu bestimmen. (43) Unternehmer, die verbundene Reiseleistungen vermitteln, sollten verpflichtet sein, Reisende darüber zu informieren, dass sie keine Pauschalreise kaufen und dass die jeweiligen Erbringer der Reiseleistungen allein für die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Verträge haften. Unternehmer, die verbundene Reiseleistungen vermitteln, sollten zudem verpflichtet sein, Insolvenzschutz für die Erstattung von Zahlungen, die sie erhalten, und — sofern sie für die Beförderung von Personen verantwortlich sind — für die Rückbeförderung der Reisenden zu bieten, und sollten die Reisenden entsprechend informieren. Unternehmer, die für die Erfüllung der einzelnen Verträge verantwortlich sind, die Teil von verbundenen Reiseleistungen sind, unterliegen den allgemeinen Verbraucherschutzregelungen der Union und den sektorspezifischen Unionsvorschriften. (44) Die Mitgliedstaaten sollten nicht daran gehindert werden, bei der Festlegung von Insolvenzschutzregelungen für Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen die besondere Situation kleinerer Unternehmen zu berücksichtigen, wobei allerdings das gleiche Schutzniveau für Reisende zu gewährleisten ist. (45) Reisende sollten in Fällen geschützt sein, in denen während des Buchungsvorgangs einer Pauschalreise oder verbundener Reiseleistungen Fehler unterlaufen. (46) Es sollte bekräftigt werden, dass Reisende nicht auf ihre Rechte aus dieser Richtlinie verzichten dürfen und dass sich Reiseveranstalter oder Unternehmer, die verbundene Reiseleistungen vermitteln, ihren Pflichten nicht dadurch entziehen dürfen, dass sie geltend machen, lediglich als Erbringer von Reiseleistungen, Vermittler oder in anderer Eigenschaft tätig zu sein. (47) Die Mitgliedstaaten sollten Regeln in Bezug auf Sanktionen für Verstöße gegen nationale Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie festlegen und deren Durchführung gewährleisten. Diese Sanktionen sollten wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. (48) Der Erlass dieser Richtlinie erfordert die Anpassung bestimmter Unionsrechtsakte zum Verbraucherschutz. Es sollte insbesondere klargestellt werden, dass die Verordnung (EG) 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates10 auf Verstöße gegen diese Richtlinie anwendbar ist. Da darüber hinaus die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates11 in ihrer jetzigen Form nicht für Verträge gilt, die von der Richtlinie

10 Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden („Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz“) (ABl. L 364 vom 9. 12. 2004, S. 1). 11 Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83, in dieser Sammlung Nr. 2.1.

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90/314/EWG erfasst sind, ist es notwendig, die Richtlinie 2011/83/EU zu ändern, um sicherzustellen, dass sie weiterhin auf Reiseeinzelleistungen, die Teil verbundener Reiseleistungen sind, Anwendung findet, soweit diese Einzelleistungen anderweitig nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2011/83/EU ausgenommen sind und bestimmte in der Richtlinie niedergelegte Verbraucherrechte auch für Pauschalreisen gelten. (49) Diese Richtlinie lässt die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten, die in der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates12 festgelegt sind, und die Unionsvorschriften im Bereich des internationalen Privatrechts, einschließlich der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates,13 unberührt. (50) Es sollte präzisiert werden, dass die Vorschriften dieser Richtlinie in Bezug auf den Insolvenzschutz und auf Informationen hinsichtlich verbundener Reiseleistungen auch für nicht in einem Mitgliedstaat niedergelassene Unternehmer gelten sollten, die ihre Tätigkeiten im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 und der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates14 in irgendeiner Weise auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten ausrichten. (51) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts und zu einem hohen und möglichst einheitlichen Verbraucherschutzniveau beizutragen, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann, sondern vielmehr wegen seines Umfangs auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (52) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, wie sie mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Diese Richtlinie achtet insbesondere die unternehmerische Freiheit gemäß Artikel 16 der Charta und stellt gleichzeitig ein hohes Verbraucherschutzniveau innerhalb der Union nach Artikel 38 der Charta sicher. (53) Gemäß der Gemeinsamen Politischen Erklärung der Mitgliedstaaten und der Kommission vom 28. September 2011 zu erläuternden Dokumenten15 haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, in begründeten Fällen zusätzlich zur Mitteilung ihrer Umsetzungsmaßnahmen ein oder mehrere Dokumente zu übermitteln, in dem beziehungsweise denen der Zusammenhang zwischen den Bestandteilen einer Richtlinie und den entsprechenden Teilen einzelstaatlicher Umsetzungsinstrumente erläutert wird. In Bezug auf diese Richtlinie hält der Gesetzgeber die Übermittlung derartiger Dokumente für gerechtfertigt. (54) Die Richtlinie 90/314/EWG sollte daher aufgehoben werden — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN: 12 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31). 13 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177 vom 4. 7. 2008, S. 6). 14 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 351 vom 20. 12. 2012, S. 1). 15 ABl. C 369 vom 17. 12. 2011, S. 14.

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KAPITEL I GEGENSTAND, ANWENDUNGSBEREICH, BEGRIFFSBESTIMMUNGEN UND GRAD DER HARMONISIERUNG Artikel 1 Gegenstand Der Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Verträge über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen zwischen Reisenden und Unternehmern, um so zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts und zu einem hohen und möglichst einheitlichen Verbraucherschutzniveau beizutragen. Artikel 2 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt für Pauschalreisen, die Reisenden von Unternehmern zum Verkauf angeboten oder verkauft werden, und für verbundene Reiseleistungen, die Reisenden von Unternehmern vermittelt wurden. (2) Diese Richtlinie gilt nicht für a) Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, die weniger als 24 Stunden dauern, es sei denn, es ist eine Übernachtung inbegriffen; b) Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, die gelegentlich und ohne Gewinnabsicht und nur einer begrenzten Gruppe von Reisenden angeboten oder vermittelt werden; c) Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, die auf der Grundlage einer allgemeinen Vereinbarung für die Organisation von Geschäftsreisen zwischen einem Unternehmer und einer anderen natürlichen oder juristischen Person, die zu Zwecken handelt, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, erworben werden. (3) Diese Richtlinie lässt das allgemeine nationale Vertragsrecht wie die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags, soweit Aspekte des allgemeinen Vertragsrechts in dieser Richtlinie nicht geregelt werden, unberührt. Artikel 3 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. „Reiseleistung“ a) die Beförderung von Personen; b) die Unterbringung, bei der es sich nicht um einen wesensmäßigen Bestandteil der Beförderung von Personen handelt und zu anderen Zwecken als Wohnzwecken; c) die Autovermietung oder die Vermietung anderer Kraftfahrzeuge im Sinne des Artikels 3 Nummer 11 der Richtlinie 2007/46/EG des Europä270

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ischen Parlaments und des Rates16 oder von Krafträdern der Führerscheinklasse A gemäß Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe c der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates17; d) jede andere touristische Leistung, die nicht wesensmäßig Bestandteil einer Reiseleistung im Sinne der Buchstaben a, b oder c ist; „Pauschalreise“ eine Kombination aus mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise, wenn a) diese Leistungen von einem Unternehmer auf Wunsch oder entsprechend einer Auswahl des Reisenden vor Abschluss eines einzigen Vertrags über sämtliche Leistungen zusammengestellt werden oder b) diese Leistungen unabhängig davon, ob separate Verträge mit den jeweiligen Erbringern der Reiseleistungen geschlossen werden, i) in einer einzigen Vertriebsstelle erworben werden und diese Leistungen vor der Zustimmung des Reisenden zur Zahlung ausgewählt wurden, ii) zu einem Pauschal- oder Gesamtpreis angeboten, verkauft oder in Rechnung gestellt werden, iii) unter der Bezeichnung „Pauschalreise“ oder einer ähnlichen Bezeichnung beworben oder verkauft werden, iv) nach Abschluss eines Vertrags, in dem der Unternehmer den Reisenden dazu berechtigt, eine Auswahl unter verschiedenen Arten von Reiseleistungen zu treffen, zusammengestellt werden oder v) von einzelnen Unternehmern über verbundene Online-Buchungsverfahren erworben werden, bei denen der Name des Reisenden, Zahlungsdaten und die E-Mail-Adresse von dem Unternehmer, mit dem der erste Vertrag geschlossen wurde, an einen oder mehrere andere Unternehmer übermittelt werden und ein Vertrag mit Letztgenanntem/n spätestens 24 Stunden nach Bestätigung der Buchung der ersten Reiseleistung abgeschlossen wird. Eine Kombination von Reiseleistungen, bei denen nicht mehr als eine Art der Reiseleistung im Sinne der Nummer 1 Buchstaben a, b oder c mit einer oder mehr als einer touristischen Leistung im Sinne der Nummer 1 Buchstabe d kombiniert wird, ist keine Pauschalreise, wenn die letztgenannten Leistungen

16 Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) (ABl. L 263 vom 9. 10. 2007, S. 1). 17 Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. L 403 vom 30. 12. 2006, S. 18).

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a) keinen erheblichen Anteil am Gesamtwert der Kombination ausmachen und nicht als wesentliches Merkmal der Kombination beworben werden und auch nicht sonst ein wesentliches Merkmal der Kombination darstellen oder b) erst nach Beginn der Erbringung einer Reiseleistung im Sinne der Nummer 1 Buchstaben a, b oder c ausgewählt und erworben werden; 3. „Pauschalreisevertrag“ einen Vertrag über eine Pauschalreise als Ganzes oder, wenn die Reise auf der Grundlage separater Verträge angeboten wird, alle Verträge über die in der Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen; 4. „Beginn der Pauschalreise“ den Zeitpunkt, zu dem die Erbringung der in einer Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen beginnt; 5. „verbundene Reiseleistungen“ mindestens zwei verschiedene Arten von Reiseleistungen, die für den Zweck derselben Reise erworben werden, bei der es sich nicht um eine Pauschalreise handelt, die zu dem Abschluss von separaten Verträgen mit den jeweiligen Erbringern der Reiseleistungen führen, wenn ein Unternehmer Folgendes vermittelt: a) anlässlich eines einzigen Besuchs in seiner Vertriebsstelle oder eines einzigen Kontakts mit seiner Vertriebsstelle die getrennte Auswahl und die getrennte Zahlung jeder Reiseleistung durch die Reisenden oder b) in gezielter Weise den Erwerb mindestens einer weiteren Reiseleistung eines anderen Unternehmers, sofern ein Vertrag mit diesem anderen Unternehmer spätestens 24 Stunden nach Bestätigung der Buchung der ersten Reiseleistung geschlossen wird. Wird nicht mehr als eine Art der Reiseleistung im Sinne der Nummer 1 Buchstaben a, b oder c und eine oder mehr als eine touristische Leistung im Sinne der Nummer 1 Buchstabe d erworben, so handelt es sich dabei nicht um verbundene Reiseleistungen, wenn die letztgenannten Leistungen keinen erheblichen Anteil am Wert der Kombination ausmachen und nicht als wesentliches Merkmal der Kombination beworben werden und auch nicht sonst ein wesentliches Merkmal der Reise darstellen; 6. „Reisender“ jede Person, die auf der Grundlage dieser Richtlinie einen Vertrag schließen möchte oder die zu einer Reise auf der Grundlage eines im Rahmen dieser Richtlinie geschlossenen Vertrags berechtigt ist; 7. „Unternehmer“ jede natürliche oder juristische Person, unabhängig davon, ob Letztere öffentlicher oder privater Natur ist, die bei von dieser Richtlinie erfassten Verträgen selbst oder durch eine andere Person, die in ihrem Namen oder Auftrag handelt, zu Zwecken tätig wird, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, unabhängig davon, ob sie in ihrer Eigenschaft als Reisever272

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anstalter, Reisevermittler, Unternehmer, der verbundene Reiseleistungen vermittelt oder als ein Erbringer von Reiseleistungen handelt; „Reiseveranstalter“ einen Unternehmer, der entweder direkt oder über einen anderen Unternehmer oder gemeinsam mit einem anderen Unternehmer Pauschalreisen zusammenstellt und verkauft oder zum Verkauf anbietet, oder den Unternehmer, der die Daten des Reisenden im Einklang mit Nummer 2 Buchstabe b Ziffer v an einen anderen Unternehmer übermittelt; „Reisevermittler“ einen anderen Unternehmer als den Reiseveranstalter, der von einem Reiseveranstalter zusammengestellte Pauschalreisen verkauft oder zum Verkauf anbietet; „Niederlassung“ eine Niederlassung im Sinne des Artikels 4 Nummer 5 der Richtlinie 2006/123/EG; „dauerhafter Datenträger“ jedes Medium, das es dem Reisenden oder dem Unternehmer gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass er sie in der Folge für eine für die Zwecke der Informationen angemessene Dauer einsehen kann, und das die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht; „unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände“ eine Situation außerhalb der Kontrolle der Partei, die eine solche Situation geltend macht, deren Folgen sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären; „Vertragswidrigkeit“ die Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der in einer Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen; „Minderjähriger“ eine Person unter achtzehn Jahren; „Vertriebsstelle“ alle Gewerberäume, unabhängig davon, ob sie beweglich oder unbeweglich sind, oder Einzelhandels-Webseiten oder ähnliche Online-Verkaufsplattformen, auch wenn die Einzelhandels-Webseiten oder Online-Verkaufsplattformen den Reisenden als einheitliche Plattform präsentiert werden, einschließlich eines Telefondienstes; „Rückbeförderung“ die Rückkehr des Reisenden an den Ausgangsort oder an einen anderen Ort, auf den sich die Vertragsparteien einigen.

Artikel 4 Grad der Harmonisierung Sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt, erhalten die Mitgliedstaaten weder von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichende nationale Rechtsvorschriften aufrecht noch führen sie solche ein; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Rechtsvorschriften zur Gewährleistung eines anderen Schutzniveaus für den Reisenden.

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KAPITEL II INFORMATIONSPFLICHTEN UND INHALT DES PAUSCHALREISEVERTRAGS Artikel 5 Vorvertragliche Informationen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass dem Reisenden, bevor er durch einen Pauschalreisevertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, von dem Reiseveranstalter und, wenn die Pauschalreise über einen Reisevermittler verkauft wird, auch von dem Reisevermittler die jeweiligen Standardinformationen durch das zutreffende Formblatt gemäß Anhang I Teil A oder B bereitgestellt werden und er, sofern diese Informationen für die betreffende Pauschalreise relevant sind, über Folgendes informiert wird: a) die wesentlichen Eigenschaften der Reiseleistungen: i) Bestimmungsort(e), Reiseroute und Aufenthaltsdauer mit den jeweiligen Daten und, sofern eine Unterbringung inbegriffen ist, die Zahl der inbegriffenen Übernachtungen; ii) Transportmittel, ihre Merkmale und Klasse; Ort, Tag und Zeit der Abreise und Rückreise, Dauer und Orte von Zwischenstationen sowie Anschlussverbindungen; wenn eine genaue Zeitangabe noch nicht möglich ist, unterrichten der Reiseveranstalter und, sofern einschlägig, der Reisevermittler den Reisenden über die ungefähre Zeit der Abreise und Rückreise; iii) Lage, Hauptmerkmale und gegebenenfalls touristische Einstufung der Unterbringung nach den Regeln des jeweiligen Bestimmungslandes; iv) Mahlzeiten; v) Besichtigungen, Ausflüge oder sonstige im vereinbarten Gesamtpreis der Pauschalreise inbegriffene Leistungen; vi) sofern dies nicht aus dem Zusammenhang hervorgeht, die Angabe, ob eine der Reiseleistungen für den Reisenden als Teil einer Gruppe erbracht wird und wenn dies der Fall ist, sofern möglich, die ungefähre Gruppengröße; vii) sofern die Nutzung anderer touristischer Leistungen durch den Reisenden von einer wirksamen mündlichen Kommunikation abhängt, die Sprache, in der diese Leistungen erbracht werden, und viii)die Angabe, ob die Reise im Allgemeinen für Personen mit eingeschränkter Mobilität geeignet ist, und auf Verlangen des Reisenden genaue Informationen zur Eignung der Reise unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Reisenden; b) die Firma und geografische Anschrift des Reiseveranstalters und gegebenenfalls des Reiservermittlers mit Angabe der Telefonnummer und gegebenenfalls E-Mail-Adresse; 274

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c) den Gesamtpreis der Pauschalreise einschließlich Steuern und gegebenenfalls aller zusätzlichen Gebühren, Entgelte und sonstigen Kosten oder, wenn sich diese Kosten nicht vor Abschluss des Vertrags bestimmen lassen, die Angabe der Art von Mehrkosten, für die der Reisende unter Umständen noch aufkommen muss; d) die Zahlungsmodalitäten, einschließlich des Betrags oder Prozentsatzes des Preises, der als Anzahlung zu leisten ist, und des Zeitplans für die Zahlung des Restbetrags oder der finanziellen Sicherheiten, die vom Reisenden zu zahlen oder zu leisten sind; e) die für die Durchführung der Pauschalreise erforderliche Mindestteilnehmerzahl mit Angabe der Rücktrittsfrist nach Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a vor Reisebeginn, die eine Beendigung des Vertrags ermöglicht, falls diese Zahl nicht erreicht wird; f) allgemeine Pass- und Visumerfordernisse des Bestimmungslands, einschließlich der ungefähren Fristen für die Erlangung von Visa und gesundheitspolizeilichen Formalitäten; g) Angaben darüber, dass der Reisende den Vertrag jederzeit vor Beginn der Pauschalreise gemäß Artikel 12 Absatz 1 gegen Zahlung einer angemessenen Rücktrittsgebühr, oder gegebenenfalls der pauschalen Rücktrittsgebühren, die der Reiseveranstalter verlangt, beenden kann; h) Angaben über eine fakultative oder obligatorische Reiserücktrittsversicherung des Reisenden oder über eine Versicherung zur Deckung der Kosten einer Unterstützung einschließlich einer Rückbeförderung bei Unfall, Krankheit oder Tod. Wird der Pauschalreisevertrag telefonisch abgeschlossen, so erhält der Reisende von dem Reiseveranstalter und, sofern einschlägig, von dem Reisevermittler, die Standardinformationen gemäß Anhang I Teil B und die gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe a bis h vorgeschriebenen Informationen. (2) Hinsichtlich von Pauschalreisen im Sinne des Artikels 3 Nummer 2 Buchstabe b Ziffer v gewährleisten der Reiseveranstalter und der Unternehmer, dem die Daten übermittelt werden, dass jeder von ihnen die Angaben gemäß Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstaben a bis h des vorliegenden Artikels — soweit diese die von ihnen angebotenen Reiseleistungen betreffen — bereitstellt, bevor der Reisende durch einen Vertrag oder ein entsprechendes Angebot gebunden wird. Der Reiseveranstalter stellt darüber hinaus gleichzeitig die Standardinformationen durch das Formblatt gemäß Anhang I Teil C zur Verfügung. (3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Informationen sind klar, verständlich und deutlich mitzuteilen. Werden diese Informationen schriftlich mitgeteilt, so müssen sie lesbar sein.

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Artikel 6 Bindungswirkung der vorvertraglichen Informationen und Abschluss des Pauschalreisevertrags (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die dem Reisenden gemäß Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstaben a, c, d, e und g bereitgestellten Informationen integraler Bestandteil des Pauschalreisevertrags sind und nicht geändert werden, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes. Der Reiseveranstalter und, sofern einschlägig, der Reisevermittler teilen dem Reisenden vor Abschluss des Pauschalreisevertrags alle Änderungen der vorvertraglichen Informationen klar, verständlich und deutlich mit. (2) Haben der Reiseveranstalter und, sofern einschlägig, der Reisevermittler die Vorschriften über die Informationen über die zusätzlichen Gebühren, Entgelte und sonstigen Kosten nach Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c nicht vor Abschluss des Pauschalreisevertrags eingehalten, so trägt der Reisende die zusätzlichen Gebühren, Entgelte und sonstigen Kosten nicht. Artikel 7 Inhalt des Pauschalreisevertrags und vor Beginn der Pauschalreise bereitzustellende Unterlagen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Pauschalreiseverträge in einfacher und verständlicher Sprache abgefasst und, soweit sie schriftlich geschlossen werden, lesbar sind. Bei Abschluss des Pauschalreisevertrags bzw. unverzüglich danach stellt der Reiseveranstalter oder Reisevermittler dem Reisenden eine Kopie oder eine Bestätigung des Vertrags auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung. Der Reisende hat Anspruch auf eine Papierfassung, wenn der Pauschalreisevertrag in gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien geschlossen wurde. Bei außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen im Sinne von Artikel 2 Nummer 8 der Richtlinie 2011/83/EU wird dem Reisenden eine Kopie oder die Bestätigung des Pauschalreisevertrags auf Papier oder, sofern der Reisende dem zustimmt, auf einem anderen dauerhaften Datenträger bereitgestellt. (2) Der Pauschalreisevertrag oder die Bestätigung des Vertrags gibt den gesamten Inhalt der Vereinbarung wieder, einschließlich aller in Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstaben a bis h genannten Informationen sowie die folgenden Angaben: a) besondere Vorgaben des Reisenden, die der Reiseveranstalter akzeptiert hat; b) den Hinweis, dass der Reiseveranstalter i) gemäß Artikel 13 für die ordnungsgemäße Erbringung aller im Vertrag enthaltenen Reiseleistungen verantwortlich ist und ii) gemäß Artikel 16 zum Beistand verpflichtet ist, wenn sich der Reisende in Schwierigkeiten befindet; 276

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c) den Namen der Einrichtung, die den Insolvenzschutz bietet, und ihre Kontaktdaten einschließlich der geografischen Anschrift, und, sofern einschlägig, den Namen der durch den betreffenden Mitgliedstaat zu diesem Zweck benannten, zuständigen Behörde und ihre Kontaktdaten; d) Name, Anschrift, Telefonnummer, E-Mail-Adresse und gegebenenfalls Faxnummer des Vertreters des Reiseveranstalters vor Ort, einer Kontaktstelle oder eines anderen Dienstes, an die bzw. den sich der Reisende wenden kann, um mit dem Reiseveranstalter rasch in Verbindung zu treten und effizient mit ihm zu kommunizieren, um von ihm Unterstützung zu verlangen, wenn der Reisende in Schwierigkeiten ist, oder um sich wegen während der Durchführung der Pauschalreise bemerkter Vertragswidrigkeit einer Leistung zu beschweren; e) die Information, dass der Reisende jegliche Vertragswidrigkeit, die er während der Durchführung der Pauschalreise bemerkt, im Einklang mit Artikel 13 Absatz 2 mitteilen muss; f) bei Minderjährigen, die ohne Begleitung durch einen Elternteil oder eine andere berechtigte Person auf der Grundlage eines Pauschalreisevertrags, der die Unterbringung umfasst, Angaben darüber, wie eine unmittelbare Verbindung zu dem Minderjährigen oder zu der an dem Aufenthaltsort des Minderjährigen für ihn verantwortlichen Person hergestellt werden kann; g) Informationen zu bestehenden internen Beschwerdeverfahren und zu alternativen Streitbeilegungsverfahren (AS) gemäß der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates,18 und gegebenenfalls zu der ASStelle, der der Unternehmer unterliegt, und zur Online-Streitbeilegungsplattform gemäß der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates19; h) Informationen zu dem Recht des Reisenden, den Vertrag gemäß Artikel 9 auf einen anderen Reisenden zu übertragen. (3) Hinsichtlich von Pauschalreisen im Sinne des Artikels 3 Nummer 2 Buchstabe b Ziffer v unterrichtet der Unternehmer, dem die Daten übermittelt werden, den Reiseveranstalter über den Abschluss des Vertrags, der zum Zustandekom-

18 Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten) (ABl. L 165 vom 18. 6. 2013, S. 63). 19 Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten) (ABl. L 165 vom 18. 6. 2013, S. 1).

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men der Pauschalreise führt. Der Unternehmer stellt dem Reiseveranstalter die Informationen zur Verfügung, die dieser zur Erfüllung seiner Verpflichtungen als Reiseveranstalter benötigt. Sobald der Reiseveranstalter über das Zustandekommen einer Pauschalreise unterrichtet wurde, übermittelt der Reiseveranstalter dem Reisenden die Informationen gemäß Absatz 2 Buchstaben a bis h auf einem dauerhaften Datenträger. (4) Die in den Absätzen 2 und 3 genannten Informationen sind klar, verständlich und deutlich mitzuteilen. (5) Rechtzeitig vor Beginn der Pauschalreise erhält der Reisende vom Reiseveranstalter die notwendigen Buchungsbelege, Gutscheine, Beförderungsausweise und Eintrittskarten, Informationen zu den geplanten Abreisezeiten und gegebenenfalls den Fristen für das Check-in sowie zu den planmäßigen Zwischenstationen, Anschlussverbindungen und Ankunftszeiten. Artikel 8 Beweislast Die Beweislast für die Erfüllung der in diesem Kapitel genannten Informationspflichten obliegt dem Unternehmer.

KAPITEL III ÄNDERUNG DES PAUSCHALREISEVERTRAGS VOR BEGINN DER PAUSCHALREISE Artikel 9 Übertragung des Pauschalreisevertrags auf einen anderen Reisenden (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Reisender den Pauschalreisevertrag auf eine Person, die alle Vertragsbedingungen erfüllt, übertragen kann, nachdem er den Reiseveranstalter auf einem dauerhaften Datenträger innerhalb einer angemessenen Frist vor Beginn der Pauschalreise davon in Kenntnis gesetzt hat. Eine Mitteilung spätestens sieben Tage vor Beginn der Pauschalreise gilt in jedem Fall als angemessen. (2) Der Reisende, der den Pauschalreisevertrag überträgt, und die Person, die in den Vertrag eintritt, haften dem Reiseveranstalter als Gesamtschuldner für den noch ausstehenden Betrag des Reisepreises und die durch die Übertragung entstehenden zusätzlichen Gebühren, Entgelte und sonstigen Kosten. Der Reiseveranstalter unterrichtet den Reisenden, der den Vertrag überträgt, über die tatsächlichen Kosten der Übertragung. Diese Kosten dürfen nicht unangemessen sein und dürfen die tatsächlichen Kosten des Reiseveranstalters infolge der Übertragung des Pauschalreisevertrags nicht übersteigen. (3) Der Reiseveranstalter stellt dem Reisenden, der den Vertrag überträgt, einen Beleg über die sich aus der Übertragung des Pauschalreisevertrags ergebenden zusätzlichen Gebühren, Entgelte und sonstigen Kosten aus. 278

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Artikel 10 Änderung des Preises (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass nach Abschluss des Pauschalreisevertrags Preise nur dann erhöht werden dürfen, wenn diese Möglichkeit im Vertrag ausdrücklich vorbehalten ist und wenn im Vertrag angegeben ist, dass der Reisende Anspruch auf Preissenkung gemäß Absatz 4 hat. In diesem Fall ist im Pauschalreisevertrag anzugeben, wie Preisänderungen zu berechnen sind. Eine Preiserhöhung ist nur dann möglich, wenn sie sich unmittelbar ergibt aus einer Änderung a) des Preises für die Beförderung von Personen infolge der Kosten von Treibstoff oder anderen Energiequellen; b) der Höhe der für Reiseleistungen, die Bestandteil des Vertrags sind, zu entrichtenden Steuern und Abgaben, die von Dritten erhoben werden, die nicht unmittelbar an der Erbringung der Pauschalreise mitwirken, einschließlich Aufenthaltsgebühren, Landegebühren, Ein- oder Ausschiffungsgebühren in Häfen und entsprechender Gebühren auf Flughäfen, oder c) der für die betreffende Pauschalreise relevanten Wechselkurse. (2) Wenn die Preiserhöhung gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels 8 % des Preises der Pauschalreise übersteigt, findet Artikel 11 Absätze 2 bis 5 Anwendung. (3) Eine Preiserhöhung ist unabhängig von ihrer Höhe nur dann möglich, wenn der Reiseveranstalter den Reisenden hiervon klar und verständlich spätestens 20 Tage vor Beginn der Pauschalreise auf einem dauerhaften Datenträger unter Angabe von Gründen für die Preiserhöhung und mit einer Berechnung dafür in Kenntnis gesetzt hat. (4) Ist im Pauschalreisevertrag die Möglichkeit von Preiserhöhungen vorgesehen, so hat der Reisende Anspruch auf eine Preissenkung, die jeglicher Verringerung der in Absatz 1 Buchstaben a, b und c genannten Kosten nach Abschluss des Vertrags vor Beginn der Pauschalreise entspricht. (5) Im Fall einer Preissenkung hat der Reiseveranstalter das Recht, tatsächliche Verwaltungsausgaben von der dem Reisenden geschuldeten Erstattung abzuziehen. Auf Verlangen des Reisenden belegt der Reiseveranstalter diese Verwaltungskosten. Artikel 11 Änderung anderer Bedingungen des Pauschalreisevertrags (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reiseveranstalter vor Beginn der Pauschalreise andere Bedingungen des Pauschalreisevertrags als den Preis (Änderung gemäß Artikel 10) nur dann einseitig ändern kann, wenn a) er sich dieses Recht im Vertrag vorbehalten hat; b) die Änderung unerheblich ist und c) er den Reisenden über die Änderung klar, verständlich und deutlich auf einem dauerhaften Datenträger in Kenntnis setzt. 279

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(2) Ist der Reiseveranstalter vor Beginn der Pauschalreise gezwungen, eine der wesentlichen Eigenschaften der Reiseleistungen im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a erheblich zu ändern oder kann er die besonderen Vorgaben des Reisenden im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 Buchstabe a nicht erfüllen oder schlägt er vor, den Gesamtpreis der Pauschalreise nach Artikel 10 Absatz 2 um mehr als 8 % zu erhöhen, so kann der Reisende innerhalb einer vom Reiseveranstalter festgelegten angemessenen Frist a) der vorgeschlagenen Änderung zustimmen oder b) den Vertrag ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr beenden. Beendet der Reisende den Pauschalreisevertrag, so kann der Reisende eine andere Pauschalreise — sofern möglich in gleichwertiger oder höherwertiger Qualität — als Ersatz akzeptieren, sofern ihm der Veranstalter dies anbietet. (3) Der Reiseveranstalter informiert den Reisenden unverzüglich auf einem dauerhaften Datenträger klar, verständlich und deutlich über a) die vorgeschlagenen Änderungen gemäß Absatz 2 und gegebenenfalls gemäß Absatz 4 deren Auswirkungen auf den Preis der Pauschalreise; b) eine angemessene Frist, innerhalb der der Reisende den Reiseveranstalter über seine Entscheidung gemäß Absatz 2 zu unterrichten hat; c) die Folgen nach geltendem nationalen Recht, sollte der Reisende innerhalb der Frist nach Buchstabe b nicht reagieren, und d) die gegebenenfalls als Ersatz angebotene Pauschalreise und deren Preis. (4) Haben die Änderungen des Pauschalreisevertrags nach Absatz 2 Unterabsatz 1 oder die als Ersatz angebotene Pauschalreise nach Absatz 2 Unterabsatz 2 eine Minderung der Qualität oder Senkung der Kosten der Pauschalreise zur Folge, so hat der Reisende Anspruch auf eine angemessene Preissenkung. (5) Tritt der Reisende gemäß Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe b des vorliegenden Artikels vom Pauschalreisevertrag zurück und akzeptiert keine als Ersatz angebotene Pauschalreise, so erstattet ihm der Reiseveranstalter unverzüglich und in jedem Fall spätestens 14 Tage nach Beendigung des Vertrags alle von dem Reisenden oder in seinem Namen geleisteten Zahlungen. Artikel 14 Absätze 2, 3, 4, 5 und 6 finden entsprechend Anwendung. Artikel 12 Beendigung des Pauschalreisevertrags und Recht zum Widerruf vor Beginn der Pauschalreise (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reisende vor Beginn der Pauschalreise jederzeit vom Pauschalreisevertrag zurücktreten kann. Tritt der Reisende gemäß diesem Absatz vom Pauschalreisevertrag zurück, so kann der Reiseveranstalter die Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Rücktrittsgebühr verlangen. Im Pauschalreisevertrag können angemessene pauschale Rücktrittsgebühren festgelegt werden, die sich nach dem Zeitpunkt des Rücktritts vom Vertrag und der Dauer bis zum Beginn der 280

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Pauschalreise und den erwarteten ersparten Aufwendungen und Einnahmen aus anderweitigen Verwendungen der Reiseleistungen bemessen. In Ermangelung pauschaler Rücktrittsgebühren entspricht die Rücktrittsgebühr dem Preis der Pauschalreise abzüglich der ersparten Aufwendungen und Einnahmen aus anderweitigen Verwendungen der Reiseleistungen. Auf Ersuchen des Reisenden begründet der Reiseveranstalter die Höhe der Rücktrittsgebühren. (2) Ungeachtet des Absatzes 1 hat der Reisende das Recht, vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Im Fall des Rücktritts vom Pauschalreisevertrag gemäß diesem Absatz hat der Reisende Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen, jedoch auf keine zusätzliche Entschädigung. (3) Der Reiseveranstalter kann den Pauschalreisevertrag beenden und dem Reisenden alle für die Pauschalreise getätigten Zahlungen voll erstatten, ohne jedoch eine zusätzliche Entschädigung leisten zu müssen, wenn a) sich für die Pauschalreise weniger Personen als die im Vertrag angegebene Mindestteilnehmerzahl angemeldet haben und der Reiseveranstalter den Reisenden innerhalb der im Vertrag gesetzten Frist vom Rücktritt vom Vertrag in Kenntnis setzt, jedoch spätestens: i) 20 Tage vor Beginn der Pauschalreise bei Reisen von mehr als sechs Tagen, ii) sieben Tage vor Beginn der Pauschalreise bei Reisen zwischen zwei und sechs Tagen, iii) 48 Stunden vor Beginn der Pauschalreise, bei Reisen, die weniger als zwei Tage dauern, oder b) der Reiseveranstalter aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert ist und er den Reisenden unverzüglich vor Beginn der Pauschalreise von der Beendigung des Vertrags in Kenntnis setzt. (4) Der Reiseveranstalter leistet alle Erstattungen gemäß den Absätzen 2 und 3 oder zahlt dem Reisenden gemäß Absatz 1 alle von dem Reisenden oder in seinem Namen für die Pauschalreise geleisteten Beträge abzüglich einer angemessenen Rücktrittsgebühr zurück. Der Reisende erhält diese Erstattungen oder Rückzahlungen unverzüglich und in jedem Fall innerhalb von spätestens 14 Tagen nach Beendigung des Pauschalreisevertrags. (5) In Bezug auf außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge können die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Rechtsvorschriften bestimmen, dass der 281

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Reisende das Recht hat, den Pauschalreisevertrag innerhalb einer Frist von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zu widerrufen.

KAPITEL IV ERBRINGUNG DER VERTRAGLICHEN PAUSCHALREISELEISTUNGEN Artikel 13 Haftung für die Erbringung der vertraglichen Pauschalreiseleistungen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reiseveranstalter für die Erbringung der in dem Pauschalreisevertrag enthaltenen Reiseleistungen haftet, unabhängig davon, ob diese Leistungen vom Reiseveranstalter oder anderen Erbringern von Reiseleistungen zu erbringen sind. Die Mitgliedstaaten können in ihren nationalen Rechtsvorschriften Bestimmungen beibehalten oder einführen, wonach auch der Reisevermittler für die Erbringung der vertraglichen Pauschalreiseleistungen haftet. In diesem Falle gelten alle Bestimmungen des Artikels 7 und des Kapitels III, des vorliegenden Kapitels und des Kapitels V, die für den Reiseveranstalter gelten, auch für den Reisevermittler entsprechend. (2) Der Reisende teilt dem Veranstalter jede während der Erbringung der in dem Pauschalreisevertrag enthaltenen Reiseleistungen bemerkte Vertragswidrigkeit unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände unverzüglich mit. (3) Bei Vertragswidrigkeit einer Reiseleistung hilft der Reiseveranstalter dem Mangel ab, es sei denn, dies ist a) unmöglich oder b) unter Berücksichtigung des Ausmaßes des Mangels und des Werts der betroffenen Reiseleistung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden. Hilft der Reiseveranstalter dem Mangel gemäß Unterabsatz 1 Buchstaben a und b des vorliegenden Absatzes nicht ab, so gilt Artikel 14. (4) Schafft der Reiseveranstalter unbeschadet der Ausnahmen nach Absatz 3 innerhalb einer vom Reisenden festgesetzten angemessenen Frist keine Abhilfe für die Vertragswidrigkeit, so kann dies der Reisende selbst tun und die Rückzahlung der erforderlichen Ausgaben verlangen. Eine Fristsetzung durch den Reisenden ist nicht erforderlich, wenn der Reiseveranstalter sich weigert, Abhilfe für die Vertragswidrigkeit zu schaffen, oder wenn unverzügliche Abhilfe notwendig ist. (5) Kann ein erheblicher Teil der Reiseleistungen nicht dem Pauschalreisevertrag gemäß erbracht werden, so bietet der Reiseveranstalter ohne Mehrkosten für den Reisenden angemessene andere Vorkehrungen zur Fortsetzung der Pauschalreise an, die nach Möglichkeit den vertraglich vereinbarten Leistungen 282

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qualitativ gleichwertig oder höherwertig sind; dies gilt auch dann, wenn der Reisende nicht wie vereinbart an den Ort der Abreise zurückbefördert wird. Haben die vorgeschlagenen anderen Vorkehrungen eine Pauschalreise von geringerer Qualität als die in dem Pauschalreisevertrag vereinbarte Leistung zur Folge, so gewährt der Reiseveranstalter dem Reisenden eine angemessene Preisminderung. Der Reisende kann die vorgeschlagenen anderen Vorkehrungen nur dann ablehnen, wenn diese nicht mit den in dem Pauschalreisevertrag vereinbarten Leistungen vergleichbar sind oder die gewährte Preisminderung nicht angemessen ist. (6) Hat die Vertragswidrigkeit erhebliche Auswirkungen auf die Erbringung der vertraglichen Pauschalreiseleistungen und hat der Reiseveranstalter es versäumt, innerhalb einer vom Reisenden gesetzten angemessenen Frist Abhilfe zu schaffen, so kann der Reisende ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurücktreten und gegebenenfalls gemäß Artikel 14 eine Preisminderung und/oder Schadenersatz verlangen. Können keine anderen Vorkehrungen angeboten werden oder lehnt der Reisende die vorgeschlagenen anderen Vorkehrungen gemäß Absatz 5 Unterabsatz 3 des vorliegenden Artikels ab, so hat der Reisende gegebenenfalls Anspruch auf Preisminderung und/oder Schadenersatz gemäß Artikel 14 auch ohne Beendigung des Pauschalreisevertrags. Ist die Beförderung von Personen Bestandteil der Pauschalreise, so sorgt der Reiseveranstalter in den Fällen gemäß den Unterabsätzen 1 und 2 außerdem für die unverzügliche Rückbeförderung des Reisenden mit einem gleichwertigen Beförderungsdienst ohne Mehrkosten für den Reisenden. (7) Ist die in dem Pauschalreisevertrag vereinbarte Rückbeförderung des Reisenden aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände nicht möglich, so übernimmt der Reiseveranstalter die Kosten für die notwendige Unterbringung, nach Möglichkeit in einer gleichwertigen Kategorie, für einen Zeitraum von höchstens drei Nächten pro Reisendem. Sind in den Unionsvorschriften über Passagierrechte für das die Rückbeförderung des Reisenden betreffende Beförderungsmittel längere Zeiträume vorgesehen, so gelten diese Zeiträume. (8) Die Kostenbeschränkung gemäß Absatz 7 des vorliegenden Artikels gilt nicht für Personen mit eingeschränkter Mobilität im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 und deren Begleitpersonen, Schwangere und unbegleitete Minderjährige sowie Personen, die besondere medizinische Betreuung benötigen, sofern der Reiseveranstalter mindestens 48 Stunden vor Beginn der Pauschalreise von ihren besonderen Bedürfnissen in Kenntnis gesetzt wurde. Zur Beschränkung der Haftung nach Absatz 7 kann der Reiseveranstalter keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände geltend machen, wenn 283

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sich der betreffende Beförderer nach geltendem Unionsrecht nicht auf solche Umstände berufen kann. Artikel 14 Preisminderung und Schadenersatz (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reisende Anspruch auf eine angemessene Preisminderung für jeden Zeitraum hat, in dem eine Vertragswidrigkeit vorlag, es sei denn, der Reiseveranstalter belegt, dass die Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen ist. (2) Der Reisende hat gegen den Reiseveranstalter Anspruch auf angemessenen Ersatz des Schadens, den er infolge der Vertragswidrigkeit erlitten hat. Der Schadenersatz ist unverzüglich zu leisten. (3) Der Reisende hat keinen Anspruch auf Schadenersatz, wenn der Reiseveranstalter nachweist, dass die Vertragswidrigkeit a) dem Reisenden zuzurechnen ist, b) einem Dritten zuzurechnen ist, der an der Erbringung der in dem Pauschalreisevertrag inbegriffenen Reiseleistungen nicht beteiligt ist, und die Vertragswidrigkeit weder vorhersehbar noch vermeidbar war oder c) durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände bedingt war. (4) Soweit der Umfang des Schadenersatzes oder die Bedingungen, unter denen ein Erbringer einer Reiseleistung, die Bestandteil einer Pauschalreise ist, Schadenersatz zu leisten hat, durch für die Union verbindliche völkerrechtliche Übereinkünfte eingeschränkt werden, gelten diese Einschränkungen auch für den Reiseveranstalter. Soweit der von einem Leistungserbringer zu leistende Schadenersatz durch für die Union nicht verbindliche völkerrechtliche Übereinkünfte eingeschränkt wird, können die Mitgliedstaaten den vom Reiseveranstalter zu leistenden Schadenersatz entsprechend einschränken. In anderen Fällen kann der vom Reiseveranstalter zu leistende Schadenersatz im Pauschalreisevertrag eingeschränkt werden, sofern diese Einschränkung nicht für Personenschäden oder vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführte Schäden gilt und nicht weniger beträgt als das Dreifache des Gesamtreisepreises der Pauschalreise. (5) Das Recht auf Schadenersatz oder Preisminderung nach Maßgabe dieser Richtlinie lässt die Rechte von Reisenden nach der Verordnung (EG) Nr. 261/ 2004, der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007, der Verordnung (EG) Nr. 392/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates,20 der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 und der Verordnung (EU) Nr. 181/2011 und nach Maßgabe internationaler Übereinkünfte unberührt. Die Reisenden sind berechtigt, Forderungen nach dieser

20 Verordnung (EG) Nr. 392/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Unfallhaftung von Beförderern von Reisenden auf See (ABl. L 131 vom 28. 5. 2009, S. 24).

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Richtlinie und den genannten Verordnungen und nach internationalen Übereinkünften geltend zu machen. Die nach dieser Richtlinie gewährte Schadenersatzzahlung oder Preisminderung wird von der nach Maßgabe der genannten Verordnungen und nach internationalen Übereinkünften gewährten Schadenersatzzahlung oder Preisminderung abgezogen und umgekehrt, um eine Überkompensation zu verhindern. (6) Die Verjährungsfrist für Ansprüche nach diesem Artikel darf nicht weniger als zwei Jahre betragen. Artikel 15 Möglichkeit zur Kontaktaufnahme über den Reisevermittler Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 1 Unterabsatz 2 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Reisende Nachrichten, Ersuchen oder Beschwerden bezüglich der Erbringung der vertraglichen Pauschalreiseleistungen direkt an den Reisevermittler richten kann, bei dem er die Pauschalreise erworben hat. Der Reisevermittler leitet diese Nachrichten, Ersuchen oder Beschwerden unverzüglich an den Reiseveranstalter weiter. Für die Zwecke der Einhaltung von Fristen und Verjährungsfristen gilt der Eingang von in Unterabsatz 1 genannten Nachrichten, Ersuchen und Beschwerden beim Reisevermittler als Eingang beim Reiseveranstalter. Artikel 16 Beistandspflicht Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reiseveranstalter einem Reisenden in Schwierigkeiten — wozu auch die in Artikel 13 Absatz 7 genannten Umstände zählen — unverzüglich in angemessener Weise Beistand leistet, insbesondere durch a) die Bereitstellung geeigneter Informationen über Gesundheitsdienste, Behörden vor Ort und konsularischen Beistand, und b) Unterstützung des Reisenden bei der Herstellung von Fernkommunikationsverbindungen und bei der Suche nach Ersatzreisearrangements. Der Reiseveranstalter kann für seinen Beistand eine angemessene Vergütung verlangen, wenn der Reisende die Schwierigkeiten vorsätzlich oder fahrlässig selbst herbeigeführt hat. Diese Vergütung überschreitet auf keinen Fall die Kosten, die dem Veranstalter tatsächlich entstanden sind.

KAPITEL V SCHUTZ BEI INSOLVENZ Artikel 17 Wirksamkeit und Umfang des Insolvenzschutzes (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassene Reiseveranstalter Sicherheit für die Erstattung aller von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen leisten, sofern die betreffenden Leistungen infolge der 285

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Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden. Soweit die Beförderung von Personen im Pauschalreisevertrag inbegriffen ist, leisten die Reiseveranstalter auch Sicherheit für die Rückbeförderung der Reisenden. Eine Fortsetzung der Pauschalreise kann angeboten werden. Reiseveranstalter, die nicht in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind und die in einem Mitgliedstaat Pauschalreisen verkaufen oder zum Verkauf anbieten oder in irgendeiner Weise solche Tätigkeiten auf einen Mitgliedstaat ausrichten, sind verpflichtet, nach dem Recht dieses Mitgliedstaats Sicherheit zu leisten. (2) Die Sicherheit gemäß Absatz 1 muss wirksam sein und die nach vernünftigem Ermessen vorhersehbaren Kosten abdecken. Sie muss die Beträge der Zahlungen abdecken, die von Reisenden oder in ihrem Namen in Bezug auf Pauschalreisen geleistet wurden, unter Berücksichtigung der Dauer des Zeitraums zwischen den Anzahlungen und endgültigen Zahlungen und der Beendigung der Pauschalreisen sowie der geschätzten Kosten einer Rückbeförderung im Fall der Insolvenz des Veranstalters. (3) Die Insolvenzabsicherung eines Veranstalters kommt Reisenden ungeachtet ihres Wohnsitzes, des Orts der Abreise oder des Verkaufsorts der Pauschalreise und unabhängig von dem Mitgliedstaat, in dem die Einrichtung, die für die Insolvenzabsicherung zuständig ist, ansässig ist, zugute. (4) Wird die Erbringung der vertraglichen Pauschalreiseleistungen durch die Insolvenz des Veranstalters beeinträchtigt, so steht die Sicherheit kostenlos zur Verfügung, um Rückbeförderungen und, falls erforderlich, die Finanzierung von Unterkünften vor der Rückbeförderung sicherzustellen. (5) Für nicht erbrachte Reiseleistungen wird die Erstattung unverzüglich nach der Beantragung durch den Reisenden vorgenommen. Artikel 18 Gegenseitige Anerkennung des Insolvenzschutzes und Verwaltungszusammenarbeit (1) Die Mitgliedstaaten erkennen jede Insolvenzabsicherung, die ein Reiseveranstalter nach Maßgabe der Maßnahmen seines Niederlassungsmitgliedstaats zur Umsetzung des Artikels 17 leistet, als Erfüllung der Anforderungen ihrer nationalen Maßnahmen an. (2) Die Mitgliedstaaten bestimmen zentrale Kontaktstellen zur Erleichterung der Verwaltungszusammenarbeit und der Aufsicht über die in verschiedenen Mitgliedstaaten tätigen Reiseveranstalter. Sie teilen die Kontaktdaten dieser Stellen allen anderen Mitgliedstaaten und der Kommission mit. (3) Die zentralen Kontaktstellen stellen einander alle notwendigen Informationen über die Anforderungen ihrer nationalen Insolvenzschutzsysteme und die Einrichtung oder Einrichtungen, die für die Insolvenzabsicherung spezifischer Reiseveranstalter in ihrem Hoheitsgebiet zuständig sind, zur Verfügung. Die zentralen Kontaktstellen gewähren einander Zugang zu allen verfügbaren Ver286

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zeichnissen, in denen die Reiseveranstalter aufgeführt sind, die ihrer Pflicht zur Insolvenzabsicherung nachgekommen sind. Alle diese Verzeichnisse sind öffentlich zugänglich, auch online. (4) Hat ein Mitgliedstaat Zweifel an der Insolvenzabsicherung eines Reiseveranstalters, so wendet er sich zwecks Klärung an den Niederlassungsmitgliedstaat des Reiseveranstalters. Die Mitgliedstaaten beantworten Ersuchen aus anderen Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Dringlichkeit und Komplexität der Angelegenheit so rasch wie möglich. In jedem Fall wird eine erste Antwort spätestens innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Eingang des Ersuchens erteilt.

KAPITEL VI VERBUNDENE REISELEISTUNGEN Artikel 19 Insolvenzschutz und Informationspflichten bei verbundenen Reiseleistungen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Unternehmer, die verbundene Reiseleistungen vermitteln, Sicherheit für die Erstattung aller Zahlungen bieten, die sie von Reisenden erhalten, soweit eine Reiseleistung, die Teil von verbundenen Reiseleistungen ist, infolge ihrer Insolvenz nicht erbracht wird. Ist ein solcher Unternehmer für die Beförderung von Personen verantwortlich, so deckt die Sicherheit auch die Rückbeförderung des Reisenden ab. Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 2, Artikel 17 Absätze 2 bis 5 sowie Artikel 18 gelten entsprechend. (2) Bevor der Reisende durch einen Vertrag, der zum Zustandekommen verbundener Reiseleistungen führt, oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert ihn der Unternehmer, der verbundene Reiseleistungen vermittelt, auch wenn er nicht in einem Mitgliedstaat niedergelassen ist, solche Tätigkeiten jedoch auf einen Mitgliedstaat ausrichtet, klar, verständlich und deutlich darüber, dass a) der Reisende keine Rechte in Anspruch nehmen kann, die ausschließlich für Pauschalreisen nach dieser Richtlinie gelten, und dass jeder Leistungserbringer lediglich für die vertragsgemäße Erbringung seiner Leistung haftet und b) dem Reisenden der Insolvenzschutz gemäß Absatz 1 zugutekommt. Um diesem Absatz nachzukommen, erteilt der Unternehmer, der verbundene Reiseleistungen vermittelt, dem Reisenden diese Informationen unter Verwendung des entsprechenden in Anhang II wiedergegebenen standardisierten Formblatts, oder er erteilt, sofern die spezielle Art der verbundenen Reiseleistungen von keinem der in Anhang II enthaltenen Formblätter abgedeckt wird, die darin enthaltenen Informationen. (3) Für den Fall, dass ein Unternehmer, der verbundene Reiseleistungen vermittelt, die in den Absätzen 1 und 2 des vorliegenden Artikels angeführten Anforde287

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rungen nicht erfüllt, gelten die Rechte und Pflichten gemäß den Artikeln 9 und 12 sowie Kapitel IV im Hinblick auf die in verbundenen Reiseleistungen inbegriffenen Reiseleistungen. (4) Wenn verbundene Reiseleistungen das Ergebnis eines Vertragsabschlusses zwischen einem Reisenden und einem Unternehmer sind, der nicht verbundene Reiseleistungen vermittelt, so informiert dieser Unternehmer den Unternehmer, der verbundene Reiseleistungen vermittelt, über den Abschluss des betreffenden Vertrags.

KAPITEL VII ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN Artikel 20 Besondere Pflichten des Reisevermittlers im Falle eines außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums niedergelassenen Reiseveranstalters Hat der Reiseveranstalter seinen Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums, so unterliegt der in einem Mitgliedstaat niedergelassene Reisevermittler unbeschadet des Artikels 13 Absatz 1 Unterabsatz 2 den in den Kapiteln IV und V für Reiseveranstalter geltenden Pflichten, es sei denn, der Reisevermittler weist nach, dass der Veranstalter den Bestimmungen dieser Kapitel nachkommt. Artikel 21 Haftung für Buchungsfehler Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Unternehmer für Fehler aufgrund technischer Mängel im Buchungssystem, die diesem Unternehmer zuzurechnen sind, haftet, und in dem Fall, dass er sich bereit erklärt hat, die Buchung einer Pauschalreise oder von Reiseleistungen, die Teil verbundener Reiseleistungen sind, zu veranlassen, auch für Fehler, die er während des Buchungsvorgangs macht, haftet. Ein Unternehmer haftet nicht für Buchungsfehler, die dem Reisenden zuzurechnen sind oder die durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht werden. Artikel 22 Regressansprüche In Fällen, in denen ein Reiseveranstalter oder gemäß Artikel 13 Absatz 1 Unterabsatz 2 oder Artikel 20 ein Reisevermittler Schadenersatz leistet, eine Preisminderung gewährt oder die sonstigen sich aus dieser Richtlinie ergebenden Pflichten erfüllt, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Reiseveranstalter oder -vermittler das Recht hat, bei Dritten, die zu dem Ereignis beigetragen haben, das den Schadenersatz, die Preisminderung oder sonstige Pflichten begründet, Regress zu nehmen. Artikel 23 Unabdingbarkeit der Richtlinie (1) Die Erklärung eines Veranstalters einer Pauschalreise oder eines Unternehmers, der verbundene Reiseleistun288

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gen vermittelt, dass er ausschließlich als Erbringer einer Reiseleistung, als Vermittler oder in anderer Eigenschaft handelt oder dass eine Pauschalreise oder verbundene Reiseleistungen keine Pauschalreise bzw. keine verbundenen Reiseleistungen darstellt, entbindet diesen Reiseveranstalter oder Unternehmer nicht von den Pflichten, die ihm aus dieser Richtlinie obliegen. (2) Reisende dürfen nicht auf die Rechte verzichten, die ihnen aus den nationalen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie zustehen. (3) Vertragliche Vereinbarungen oder Erklärungen des Reisenden, die einen Verzicht auf die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Rechte oder deren Einschränkung unmittelbar oder mittelbar bewirken oder die darauf gerichtet sind, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen, sind für den Reisenden nicht bindend. Artikel 24 Durchsetzung Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, mit denen die Einhaltung dieser Richtlinie sichergestellt wird. Artikel 25 Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen Sanktionen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Vorschriften fest und treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Anwendung dieser Sanktionen sicherzustellen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Art. 26–31 Berichterstattung durch die Kommission, Änderung von Rechtsakten, Umsetzungspflichten, Aufhebung der Vorgängerrichtlinie, Inkrafttreten, Adressaten — nicht abgedruckt. ANHÄNGE I-III Standardinformationen; Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt.

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2.13 Timesharing-RL 2008/122

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Seit dem Erlass der Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien4 hat sich der Markt für Teilzeitnutzungsrechte weiterentwickelt und neue ähnliche Urlaubsprodukte sind auf den Markt gebracht worden. Diese neuen Urlaubsprodukte sowie bestimmte mit Teilzeitnutzungsrechten zusammenhängende Geschäfte, wie Wiederverkaufsverträge und Tauschverträge, werden von der Richtlinie 94/47/EG nicht erfasst. Ferner hat sich bei der Anwendung der Richtlinie 94/47/EG gezeigt, dass einige ihrer Bestimmungen aktualisiert oder klarer formuliert werden müssen, um zu verhindern, dass Produkte entwickelt werden, mit denen diese Richtlinie umgangen werden soll. (2) Die bestehenden Regelungslücken verursachen beträchtliche Wettbewerbsverzerrungen und ernsthafte Probleme für die Verbraucher und verhindern so das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Die Richtlinie 94/47/EG sollte daher durch eine neue zeitgemäße Richtlinie ersetzt werden. Da der Fremdenverkehr in den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten eine immer größere Rolle spielt, sollten ein stärkeres Wachstum und eine größere Produktivität des Sektors der Teilzeitnutzungsrechte und der langfristigen Urlaubsprodukte gefördert werden, indem bestimmte gemeinsame Regeln angenommen werden. (3) Um die Rechtssicherheit zu verbessern und die Vorteile des Binnenmarkts für Verbraucher und Unternehmen voll zum Tragen zu bringen, ist es erforderlich, die einschlägigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten weiter aneinander anzugleichen. Daher sollten bestimmte Aspekte der Vermarktung, des Verkaufs und des Wiederverkaufs von Teilzeitnutzungsrechten und langfristigen Urlaubsprodukten sowie der Tausch von Rechten, die sich aus Teilzeitnutzungsverträgen ergeben, in vollem Umfang harmonisiert werden. Die Mitgliedstaaten sollten keine von dieser Richtlinie abweichenden nationalen Bestimmungen beibehalten oder erlassen dürfen. In Bereichen, in denen keine harmonisierten Bestim-

* Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Januar 2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen, ABl. 2009 L 33/10. 1 [KOM(2007) 303 endg.] 2 ABl. C 44 vom 16. 2. 2008, S. 27. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 22. Oktober 2008 ([ABl. C 15 E vom 21. 1. 2010, S. 141]) und Beschluss des Rates vom 18. Dezember 2008. 4 ABl. L 280 vom 29. 10. 1994, S. 83. https://doi.org/10.1515/9783110667776-017

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mungen bestehen, sollte es den Mitgliedstaaten weiterhin freistehen, nationale Bestimmungen im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht beizubehalten oder einzuführen. Die Mitgliedstaaten sollten daher z. B. Bestimmungen beibehalten oder einführen dürfen, welche die Auswirkungen der Wahrnehmung des Widerrufsrechts in Rechtsbeziehungen betreffen, die nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst sind, oder nach denen zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden, der ein Teilzeitnutzungsrecht oder ein langfristiges Urlaubsprodukt anbietet, keine Verpflichtung eingegangen werden kann und keine Zahlung erfolgen kann, solange der Verbraucher keinen Kreditvertrag zur Finanzierung des Erwerbs dieser Leistungen unterzeichnet hat. Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts die Bestimmungen dieser Richtlinie auch auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Geltungsbereich fallen. Die Mitgliedstaaten könnten daher nationale Bestimmungen entsprechend den Bestimmungen dieser Richtlinie oder einigen ihrer Bestimmungen für Geschäfte beibehalten oder einführen, die nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst sind. Die verschiedenen Verträge, die von dieser Richtlinie erfasst werden, sollten eindeutig und in einer Weise definiert werden, die eine Umgehung der Bestimmungen der Richtlinie ausschließt. Für die Zwecke dieser Richtlinie sollten Teilzeitnutzungsverträge nicht so verstanden werden, dass Mehrfachreservierungen von Unterkünften, einschließlich Hotelzimmern, umfasst sind, sofern Mehrfachreservierungen nicht zu Rechten und Pflichten führen, die über die Rechte und Pflichten hinausgehen, die sich aus Einzelreservierungen ergeben. Auch sollten Teilzeitnutzungsverträge nicht so verstanden werden, dass gewöhnliche Mietverträge umfasst sind, da letztere sich auf einen einzelnen ununterbrochenen Nutzungszeitraum beziehen und nicht auf mehrere Zeiträume. Für die Zwecke dieser Richtlinie sollten Verträge über langfristige Urlaubsprodukte nicht so verstanden werden, dass herkömmliche Treuesysteme, bei denen Nachlässe auf künftige Aufenthalte in den Häusern einer Hotelkette gewährt werden, erfasst werden, da die Mitgliedschaft in einem solchen System nicht gegen Entgelt erworben wird oder der Verbraucher mit der Entrichtung von Entgelt nicht in erster Linie das Recht auf Preisnachlässe oder sonstige Vergünstigungen in Bezug auf eine Unterkunft erwirbt. Diese Richtlinie sollte die Bestimmungen der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen5 unberührt lassen. Mit der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken)6 werden irreführende, aggressive oder sonstige unlautere Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern untersagt. Aufgrund der Art der Produkte und der Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten, Wiederverkauf und Tausch empfiehlt es sich, detailliertere und spezifischere Bestimmungen über Informationsanforderungen und Verkaufsveranstaltungen anzunehmen. Der Geschäftszweck von Einladungen zu Verkaufsveranstaltungen sollte Verbrauchern deutlich gemacht werden. Die Bestimmungen betreffend die

5 ABl. L 158 vom 23. 6. 1990, S. 59 [Pauschalreise-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.12]. 6 ABl. L 149 vom 11. 6. 2005, S. 22 [Geschäftspraktiken-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.21].

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vorvertraglichen Informationen und den Vertrag sollten klarer formuliert und aktualisiert werden. Damit Verbraucher die Möglichkeit haben, sich vor Vertragsabschluss mit den Informationen vertraut zu machen, sollten die Informationen durch Mittel bereitgestellt werden, die ihnen zu diesem Zeitpunkt leicht zugänglich sind. Verbraucher sollten das Recht haben zu verlangen, dass ihnen vorvertragliche Informationen und der Vertrag in einer Sprache ihrer Wahl, die ihnen geläufig ist, zur Verfügung gestellt werden, wobei Gewerbetreibende dies nicht ablehnen sollten. Darüber hinaus sollten die Mitgliedstaaten vorschreiben können, dass Verbrauchern weitere Sprachfassungen des Vertrags auszuhändigen sind, damit die Erfüllung und die Rechtsdurchsetzung des Vertrags erleichtert werden. Damit Verbraucher die Gelegenheit erhalten, ihre Rechte und Pflichten aus dem Vertrag in vollem Umfang zu verstehen, sollte ihnen eine Frist eingeräumt werden, innerhalb derer sie den Vertrag ohne Angabe von Gründen und ohne jegliche Kosten widerrufen können. Derzeit variiert diese Frist in den verschiedenen Mitgliedstaaten, und die Erfahrung hat gezeigt, dass die in der Richtlinie 94/47/EG vorgeschriebene Frist nicht ausreicht. Die Frist sollte daher verlängert werden, damit ein hohes Verbraucherschutzniveau und größere Klarheit für Verbraucher und Gewerbetreibende erreicht werden. Die Länge der Frist sowie die Modalitäten und Auswirkungen der Ausübung des Widerrufsrechts sollten harmonisiert werden. Verbraucher sollten über wirksame Rechtsbehelfe für den Fall verfügen, dass Gewerbetreibende die Bestimmungen über die vorvertraglichen Informationen oder den Vertrag nicht einhalten, insbesondere jene, denen zufolge der Vertrag alle erforderlichen Informationen enthalten muss und dem Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine Kopie des Vertrags auszuhändigen ist. Neben den Rechtsbehelfen nach nationalem Recht sollten Verbraucher eine erweiterte Widerrufsfrist in Anspruch nehmen können, wenn die Informationen von Gewerbetreibenden nicht zur Verfügung gestellt wurden. Die Wahrnehmung des Widerrufsrechts sollte während dieser erweiterten Frist unabhängig davon, welche Dienste Verbraucher möglicherweise in Anspruch genommen haben, nicht mit Kosten verbunden sein. Der Ablauf der Widerrufsfrist lässt die Möglichkeit der Verbraucher unberührt, nach Maßgabe der nationalen Rechtsvorschriften Rechtsbehelfe wegen der Nichtbeachtung der Informationsvorschriften in Anspruch zu nehmen. Die Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom 3. Juni 1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine7 sollte für die Berechnung der in der vorliegenden Richtlinie vorgesehenen Fristen gelten. Das Gewerbetreibende und sonstige Dritte treffende Verbot, vor Ablauf der Widerrufsfrist Anzahlungen zu fordern oder anzunehmen, sollte klarer formuliert werden, um den Verbraucherschutz zu verbessern. Bei Wiederverkaufsverträgen sollte das Anzahlungsverbot bis zu dem Zeitpunkt gelten, an dem der Verkauf tatsächlich stattgefunden hat oder der Wiederverkaufsvertrag beendet wird; den Mitgliedstaaten sollte es aber weiterhin freistehen, die Möglichkeit und die Modalitäten für endgültige Zahlungen an Vermittler in dem Fall, dass der Wiederverkaufsvertrag beendet wird, zu regeln. Bei Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte könnte für den Preis, der im Rahmen eines Ratenzahlungsplans zu entrichten ist, die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass nach dem ersten Jahr noch offene Beträge angepasst werden können, damit sichergestellt

7 ABl. L 124 vom 8. 6. 1971, S. 1.

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wird, dass der echte Wert solcher Ratenzahlungen beibehalten wird, beispielsweise um der Inflation Rechnung zu tragen. Wenn ein Verbraucher einen Vertrag widerruft, bei dem der Preis ganz oder teilweise durch einen Kredit finanziert wird, der ihm vom Gewerbetreibenden oder von einem Dritten auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen diesem Dritten und dem Gewerbetreibenden gewährt wird, sollte die Kreditvereinbarung für den Verbraucher kostenfrei beendet werden. Gleiches sollte für Verträge über sonstige damit verbundene Leistungen des Gewerbetreibenden oder eines Dritten aufgrund einer Vereinbarung zwischen diesem Dritten und dem Gewerbetreibenden gelten. Verbrauchern sollte der mit dieser Richtlinie gewährte Schutz nicht vorenthalten werden, wenn auf den Vertrag das Recht eines Mitgliedstaats anzuwenden ist. Das auf einen Vertrag anzuwendende Recht sollte gemäß den gemeinschaftlichen Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I),8 bestimmt werden. Nach dieser Verordnung kann das Recht eines Drittlands insbesondere dann anwendbar sein, wenn Verbraucher während eines Urlaubs in einem anderen Land als ihrem Wohnsitzland gezielt von Gewerbetreibenden angesprochen werden. Da solche Geschäftspraktiken in dem von dieser Richtlinie erfassten Bereich üblich sind und die Verträge erhebliche Geldbeträge umfassen, sollte eine zusätzliche Garantie in bestimmten spezifischen Fällen geboten werden, insbesondere wenn die Gerichte eines Mitgliedstaats für den Vertrag zuständig sind, um sicherzustellen, dass dem Verbraucher der durch diese Richtlinie gewährte Schutz nicht vorenthalten wird. Dieses Konzept spiegelt die besonderen Bedürfnisse des Verbraucherschutzes wider, die sich aus der komplexen Art, der Langfristigkeit und der finanziellen Bedeutung der Verträge, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, ergeben. Es sollte nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen9 bestimmt werden, welche Gerichte in Verfahren, die von dieser Richtlinie erfasste Angelegenheiten betreffen, zuständig sind. Um sicherzustellen, dass der Verbrauchern nach Maßgabe dieser Richtlinie gewährte Schutz vor allem in Bezug auf die Erfüllung der Informationsanforderungen durch Gewerbetreibende sowohl im vorvertraglichen Stadium als auch im Vertragsverhältnis umfassend wirksam ist, ist es notwendig, dass die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen diese Richtlinie vorsehen. Es ist notwendig, zu gewährleisten, dass Personen oder Einrichtungen, die nach nationalem Recht ein berechtigtes Interesse an der Sache geltend machen können, bei Verstößen gegen diese Richtlinie vor Gericht klagen können. Es ist notwendig, in den Mitgliedstaaten angemessene und wirksame Rechtsbehelfsverfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Gewerbetreibenden zu entwickeln. Für diesen Zweck sollten die Mitgliedstaaten die Schaffung öffentlicher oder privater außergerichtlicher Schiedsstellen fördern. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass Verbraucher hinreichend über die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie informiert werden; zudem sollten sie

8 ABl. L 177 vom 4. 7. 2008, S. 6 [Rom I-VO, in dieser Sammlung Nr. 5.1]. 9 ABl. L 12 vom 16. 1. 2001, S. 1 [EuGVVO, in dieser Sammlung Nr. 5.3].

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die Gewerbetreibenden und Urheber von Kodizes dazu anhalten, Verbraucher über ihre einschlägigen Verhaltenskodizes zu informieren. Mit dem Ziel, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen, könnten Verbraucherverbände informiert und an der Ausarbeitung von Verhaltenskodizes beteiligt werden. (23) Da die Ziele dieser Richtlinie auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Beseitigung der Handelshemmnisse und die Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Verbraucherschutzniveaus erforderliche Maß hinaus. (24) Die Richtlinie achtet die Grundrechte und Grundsätze, die insbesondere mit der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. (25) Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung10 sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 Zweck und Anwendungsbereich (1) Zweck dieser Richtlinie ist es, durch eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten im Hinblick auf bestimmte Aspekte der Vermarktung, des Verkaufs und des Wiederverkaufs von Teilzeitnutzungsrechten und langfristigen Urlaubsprodukten sowie von Tauschverträgen zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen. (2) Diese Richtlinie findet Anwendung auf Geschäfte zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern. Sie lässt folgende nationale Rechtsvorschriften unberührt: a) Rechtsvorschriften über allgemeine vertragsrechtliche Rechtsbehelfe; b) Rechtsvorschriften über die Eintragung von unbeweglichem oder beweglichem Eigentum und die Übertragung von unbeweglichem Eigentum; c) Rechtsvorschriften zu den Niederlassungsbedingungen oder Genehmigungsverfahren oder Lizenzanforderungen und d) Rechtsvorschriften über die Festlegung der Rechtsnatur der Rechte, die Gegenstand der unter diese Richtlinie fallenden Verträge sind. Art. 2 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

10 ABl. C 321 vom 31. 12. 2003, S. 1.

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a) „Teilzeitnutzungsvertrag“ einen Vertrag mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr, mit dem der Verbraucher gegen Entgelt das Recht erwirbt, eine oder mehrere Übernachtungsunterkünfte für mehr als einen Nutzungszeitraum zu nutzen; b) „Vertrag über ein langfristiges Urlaubsprodukt“ einen Vertrag mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr, mit dem der Verbraucher gegen Entgelt in erster Linie das Recht auf Preisnachlässe oder sonstige Vergünstigungen in Bezug auf eine Unterkunft erwirbt, und zwar unabhängig davon, ob damit Reise- oder sonstige Leistungen verbunden sind; c) „Wiederverkaufsvertrag“ einen Vertrag, mit dem ein Gewerbetreibender gegen Entgelt einen Verbraucher dabei unterstützt, ein Teilzeitnutzungsrecht oder ein langfristiges Urlaubsprodukt zu veräußern oder zu erwerben; d) „Tauschvertrag“ einen Vertrag, mit dem ein Verbraucher gegen Entgelt einem Tauschsystem beitritt, das diesem Verbraucher Zugang zu einer Übernachtungsunterkunft oder anderen Leistungen im Tausch gegen die Gewährung vorübergehenden Zugangs für andere Personen zu den Vergünstigungen aus den Rechten, die sich aus dem Teilzeitnutzungsvertrag des Verbrauchers ergeben, ermöglicht; e) „Gewerbetreibender“ eine natürliche oder juristische Person, die für die Zwecke ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, sowie jede Person, die im Namen oder im Auftrag eines Gewerbetreibenden handelt; f) „Verbraucher“ jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können; g) „akzessorischer Vertrag“ einen Vertrag, mit dem der Verbraucher Leistungen im Zusammenhang mit einem Teilzeitnutzungsvertrag oder einem Vertrag über ein langfristiges Urlaubsprodukt erwirbt, die von dem Gewerbetreibenden oder einem Dritten auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen diesem Dritten und dem Gewerbetreibenden erbracht werden; h) „dauerhafter Datenträger“ jedes Medium, das dem Verbraucher oder dem Gewerbetreibenden gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass er sie in der Folge für eine für die Zwecke der Informationen angemessene Dauer abrufen kann, und das die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht; i) „Verhaltenskodex“ eine Vereinbarung oder einen Vorschriftenkatalog, die bzw. der nicht durch die Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgeschrieben ist und das Verhalten der Gewerbetreibenden definiert, die sich in Bezug auf eine oder mehrere spezielle Geschäftspraktiken oder Wirtschaftszweige auf diesen Kodex verpflichten; 295

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j)

„Urheber eines Kodex“ jede Rechtspersönlichkeit, einschließlich einzelner Gewerbetreibender oder Gruppen von Gewerbetreibenden, die für die Formulierung und Überarbeitung eines Verhaltenskodex und/oder für die Überwachung der Einhaltung dieses Kodex durch alle diejenigen, die sich darauf verpflichtet haben, zuständig ist. (2) Bei der Berechnung der Laufzeit eines Teilzeitnutzungsvertrags oder eines Vertrags über ein langfristiges Urlaubsprodukt, wie in Absatz 1 Buchstaben a und b definiert, werden alle Bestimmungen des Vertrags über stillschweigende oder sonstige Verlängerungen berücksichtigt. Art. 3 Werbung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jegliche Werbung angibt, dass die in Artikel 4 Absatz 1 genannten Informationen erhältlich sind und wo sie angefordert werden können. (2) Soll ein Teilzeitnutzungsvertrag, ein Vertrag über ein langfristiges Urlaubsprodukt, ein Wiederverkaufs- oder ein Tauschvertrag einem Verbraucher auf einer Werbe- oder Verkaufsveranstaltung persönlich angeboten werden, so gibt der Gewerbetreibende in der Einladung in deutlicher Weise den Geschäftszweck und die Art der Veranstaltung an. (3) Die Informationen nach Artikel 4 Absatz 1 stehen dem Verbraucher auf der Veranstaltung jederzeit zur Verfügung. (4) Ein Teilzeitnutzungsrecht oder ein langfristiges Urlaubsprodukt darf nicht als Investition vermarktet oder verkauft werden. Art. 4 Vorvertragliche Informationen (1) Der Gewerbetreibende stellt dem Verbraucher rechtzeitig, bevor der Verbraucher an einen Vertrag oder an ein Angebot gebunden ist, korrekte und ausreichende Informationen auf deutliche und verständliche Weise wie folgt zur Verfügung: a) im Falle eines Teilzeitnutzungsvertrags: gemäß dem Formblatt in Anhang I, und Informationen, wie in Teil 3 dieses Formblatts aufgeführt; b) im Falle eines Vertrags über ein langfristiges Urlaubsprodukt: gemäß dem Formblatt in Anhang II, und Informationen, wie in Teil 3 dieses Formblatts aufgeführt; c) im Falle eines Wiederverkaufsvertrags: gemäß dem Formblatt in Anhang III, und Informationen, wie in Teil 3 dieses Formblatts aufgeführt; d) im Falle eines Tauschvertrags: gemäß dem Formblatt in Anhang IV, und Informationen, wie in Teil 3 dieses Formblatts aufgeführt. (2) Die Informationen nach Absatz 1 werden von dem Gewerbetreibenden kostenfrei in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger, der für den Verbraucher leicht zugänglich ist, zur Verfügung gestellt. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Informationen nach Absatz 1 nach Wahl des Verbrauchers in der Sprache oder in einer der Sprachen des 296

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Mitgliedstaats, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat oder dessen Staatsangehöriger der Verbraucher ist, abgefasst sind, sofern es sich dabei um eine Amtssprache der Gemeinschaft handelt. Art. 5 Teilzeitnutzungsvertrag, Vertrag über ein langfristiges Urlaubsprodukt, Wiederverkaufs- oder Tauschvertrag (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Vertrag schriftlich in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger nach Wahl des Verbrauchers in der Sprache oder in einer der Sprachen des Mitgliedstaats, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat oder dessen Staatsangehöriger der Verbraucher ist, abgefasst ist, sofern es sich dabei um eine Amtssprache der Gemeinschaft handelt. Der Mitgliedstaat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, kann jedoch zusätzlich Folgendes vorschreiben: a) In jedem Fall wird der Vertrag dem Verbraucher in der Sprache oder in einer der Sprachen dieses Mitgliedstaats ausgehändigt, sofern es sich dabei um eine Amtssprache der Gemeinschaft handelt; b) im Falle eines Teilzeitnutzungsvertrags über eine bestimmte Immobilie händigt der Gewerbetreibende dem Verbraucher eine beglaubigte Übersetzung des Vertrags in der Sprache oder in einer der Sprachen des Mitgliedstaats aus, in dem die Immobilie belegen ist, sofern es sich dabei um eine Amtssprache der Gemeinschaft handelt. Der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Gewerbetreibende eine Verkaufstätigkeit ausübt, kann vorschreiben, dass der Vertrag dem Verbraucher in jedem Fall in der Sprache oder in einer der Sprachen dieses Mitgliedstaats ausgehändigt wird, sofern es sich dabei um eine Amtssprache der Gemeinschaft handelt. (2) Die in Artikel 4 Absatz 1 genannten Informationen sind fester Vertragsbestandteil und dürfen nicht geändert werden, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes oder die Änderungen resultieren aus ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen, auf die der Gewerbetreibende keinen Einfluss hat und deren Folgen selbst bei aller gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. Diese Änderungen werden dem Verbraucher vor Abschluss des Vertrags in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger, der für den Verbraucher leicht zugänglich ist, mitgeteilt. Der Vertrag weist ausdrücklich auf diese Änderungen hin. (3) Zusätzlich zu den in Artikel 4 Absatz 1 genannten Informationen enthält der Vertrag Folgendes: a) Identität, Wohnsitz und Unterschrift jeder Partei und b) Datum und Ort des Vertragsschlusses. (4) Vor Vertragsschluss macht der Gewerbetreibende den Verbraucher ausdrücklich auf das Widerrufsrecht, auf die in Artikel 6 genannte Widerrufsfrist sowie 297

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auf das während der Widerrufsfrist geltende Anzahlungsverbot nach Artikel 9 aufmerksam. Die entsprechenden Vertragsbestimmungen werden vom Verbraucher gesondert unterzeichnet. Der Vertrag enthält ein gesondertes Formblatt für den Widerruf, das in Anhang V wiedergegeben ist, damit die Wahrnehmung des Widerrufsrechts nach Artikel 6 erleichtert wird. (5) Der Verbraucher erhält bei Vertragsschluss eine Kopie oder Kopien des Vertrags. Art. 6 Widerrufsrecht (1) Neben den Rechtsbehelfen, die dem Verbraucher nach nationalem Recht im Falle eines Verstoßes gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie zur Verfügung stehen, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Verbraucher den Teilzeitnutzungsvertrag, den Vertrag über ein langfristiges Urlaubsprodukt, den Wiederverkaufs- oder den Tauschvertrag innerhalb von 14 Kalendertagen ohne Angabe von Gründen widerrufen kann. (2) Die Widerrufsfrist wird wie folgt berechnet: a) ab dem Tag des Abschlusses des Vertrags oder verbindlichen Vorvertrags oder b) ab dem Tag, an dem der Verbraucher den Vertrag oder verbindlichen Vorvertrag erhält, sofern dieser nach dem unter Buchstabe a genannten Zeitpunkt liegt. (3) Die Widerrufsfrist endet: a) ein Jahr und 14 Kalendertage nach dem in Absatz 2 dieses Artikels genannten Tag, wenn der Gewerbetreibende kein gesondertes Formblatt für den Widerruf, wie in Artikel 5 Absatz 4 vorgeschrieben, ausgefüllt und dem Verbraucher schriftlich in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger ausgehändigt hat; b) drei Monate und 14 Kalendertage nach dem in Absatz 2 dieses Artikels genannten Tag, wenn dem Verbraucher die in Artikel 4 Absatz 1 genannten Informationen, einschließlich des anwendbaren Formblatts gemäß den Anhängen I bis IV, nicht schriftlich in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt wurden. Darüber hinaus sehen die Mitgliedstaaten geeignete Sanktionen gemäß Artikel 15 insbesondere für den Fall vor, dass der Gewerbetreibende bei Ablauf der Widerrufsfrist die Informationsanforderungen nach dieser Richtlinie nicht erfüllt hat. (4) Wenn der Gewerbetreibende ein gesondertes Formblatt für den Widerruf, wie in Artikel 5 Absatz 4 vorgeschrieben, ausgefüllt und dem Verbraucher schriftlich in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger in298

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nerhalb eines Jahres ab dem in Absatz 2 dieses Artikels genannten Tag ausgehändigt hat, so beginnt die Widerrufsfrist an dem Tag, an dem der Verbraucher das Formblatt erhält. Wenn dem Verbraucher die in Artikel 4 Absatz 1 genannten Informationen, einschließlich des anwendbaren Formblatts gemäß den Anhängen I bis IV, schriftlich in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger innerhalb von drei Monaten ab dem in Absatz 2 dieses Artikels genannten Tag zur Verfügung gestellt wurden, so beginnt die Widerrufsfrist auch in diesem Fall an dem Tag, an dem der Verbraucher diese Informationen erhält. (5) Wird dem Verbraucher der Tauschvertrag zusammen mit dem Teilzeitnutzungsvertrag und zum gleichen Zeitpunkt wie dieser angeboten, so gilt für beide Verträge nur eine einheitliche Widerrufsfrist gemäß Absatz 1. Die Widerrufsfrist für beide Verträge wird gemäß den Bestimmungen des Absatzes 2 berechnet, wie sie für den Teilzeitnutzungsvertrag gelten. Art. 7 Modalitäten der Wahrnehmung des Widerrufsrechts Möchte der Verbraucher von dem Widerrufsrecht Gebrauch machen, so teilt der Verbraucher die Widerrufsentscheidung dem Gewerbetreibenden vor Ablauf der Widerrufsfrist in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger mit. Der Verbraucher kann dazu das Formblatt für den Widerruf gemäß Anhang V verwenden, das der Gewerbetreibende gemäß Artikel 5 Absatz 4 ausgehändigt hat. Die Frist ist gewahrt, wenn die Mitteilung vor Ablauf der Widerrufsfrist abgesandt wird. Art. 8 Auswirkungen der Wahrnehmung des Widerrufsrechts (1) Die Wahrnehmung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher beendet die Verpflichtung der Parteien, den Vertrag zu erfüllen. (2) Macht der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Gebrauch, so hat der Verbraucher keine Kosten zu tragen und muss nicht für den Wert der Leistung aufkommen, die vor dem Widerruf möglicherweise erbracht worden ist. Art. 9 Anzahlung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte und Tauschverträgen Anzahlungen, Sicherheitsleistungen, Sperrbeträge auf Konten, ausdrückliche Schuldanerkenntnisse oder sonstige Gegenleistungen des Verbrauchers an den Gewerbetreibenden oder einen Dritten vor Ende der Widerrufsfrist gemäß Artikel 6 untersagt sind. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jegliche Anzahlungen, Sicherheitsleistungen, Sperrbeträge auf Konten, ausdrückliche Schuldanerkenntnisse oder sonstigen Gegenleistungen des Verbrauchers an den Gewerbetreibenden oder einen Dritten im Zusammenhang mit dem Wiederverkauf untersagt sind, solange der Verkauf nicht tatsächlich stattgefunden hat oder der Wiederverkaufsvertrag nicht anderweitig beendet wird. 299

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Art. 10 Besondere Bestimmungen für Verträge über langfristige Urlaubsprodukte (1) Bei Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte erfolgt die Zahlung nach einem Ratenzahlungsplan. Jede Zahlung des im Vertrag aufgeführten Preises auf andere Weise als nach dem Ratenzahlungsplan ist untersagt. Die Zahlungen, einschließlich Mitgliedsbeiträgen, werden in jährliche Ratenzahlungen aufgeteilt, von denen jede den gleichen Wert hat. Der Gewerbetreibende übersendet mindestens 14 Kalendertage vor jedem Fälligkeitstermin in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger eine schriftliche Zahlungsaufforderung. (2) Ab der zweiten Ratenzahlung kann der Verbraucher den Vertrag ohne Vertragsstrafen beenden, indem er den Gewerbetreibenden binnen 14 Kalendertagen ab Erhalt der Aufforderung zur nächsten Ratenzahlung davon in Kenntnis setzt. Dieses Recht berührt nicht die Rechte zur Vertragsbeendigung aufgrund der geltenden nationalen Rechtsvorschriften. Art. 11 Beendigung akzessorischer Verträge (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Falle der Wahrnehmung des Widerrufsrechts bezüglich eines Teilzeitnutzungsvertrags oder eines Vertrags über ein langfristiges Urlaubsprodukt durch den Verbraucher alle diesen Verträgen untergeordneten Tauschverträge oder sonstigen akzessorischen Verträge ohne Kosten für den Verbraucher automatisch beendet werden. (2) Wird der Preis vollständig oder teilweise durch einen Kredit finanziert, der dem Verbraucher vom Gewerbetreibenden oder einem Dritten aufgrund einer Vereinbarung zwischen diesem Dritten und dem Gewerbetreibenden gewährt wird, so wird unbeschadet von Artikel 15 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge11 die Kreditvereinbarung ohne Kosten für den Verbraucher beendet, wenn der Verbraucher das Recht auf Widerruf eines Teilzeitnutzungsvertrags, eines Vertrags über ein langfristiges Urlaubsprodukt, eines Wiederverkaufs- oder eines Tauschvertrags wahrnimmt. (3) Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten bezüglich der Beendigung dieser Verträge fest. Art. 12 Unabdingbarkeit der Richtlinie und Anwendung in internationalen Fällen (1) Ist auf den Vertrag das Recht eines Mitgliedstaats anzuwenden, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Verbraucher auf die ihnen durch diese Richtlinie übertragenen Rechte nicht verzichten können.

11 Verbraucherkredit-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.17.

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(2) Ist das Recht eines Drittlands anzuwenden, so darf Verbrauchern der Schutz, der durch diese Richtlinie in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form gewährt wird, nicht vorenthalten werden, wenn — eine der betroffenen Immobilien im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegen ist oder — im Falle eines Vertrags, der sich nicht unmittelbar auf eine Immobilie bezieht, der Gewerbetreibende eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausübt oder diese Tätigkeit auf irgendeine Weise auf einen Mitgliedstaat ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Art. 13 Rechtsbehelfe bei Gericht oder Verwaltungsbehörden (1) Die Mitgliedstaaten stellen im Interesse der Verbraucher sicher, dass geeignete und wirksame Mittel vorhanden sind, die die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie durch Gewerbetreibende gewährleisten. (2) Die in Absatz 1 genannten Mittel umfassen unter anderem Bestimmungen, nach denen eine oder mehrere der folgenden nach nationalem Recht bestimmten Einrichtungen gemäß den nationalen Rechtsvorschriften berechtigt sind, die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anzurufen, um sicherzustellen, dass die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie angewandt werden: a) öffentliche Einrichtungen und Behörden oder ihre Vertreter; b) Verbraucherverbände, die ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben; c) Berufsverbände, die ein berechtigtes Interesse an einer solchen Anrufung haben. Art. 14 Verbraucherinformation und außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen, um Verbraucher über die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu informieren und halten Gewerbetreibende und Urheber von Kodizes gegebenenfalls dazu an, den Verbrauchern ihre Verhaltenskodizes mitzuteilen. Die Kommission unterstützt die Ausarbeitung von Verhaltenskodizes auf Gemeinschaftsebene insbesondere durch Standesorganisationen, Berufsverbände und -organisationen im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht, um die Anwendung dieser Richtlinie zu erleichtern. Darüber hinaus hält sie Gewerbetreibende und deren Berufsorganisationen dazu an, die Verbraucher über diese Verhaltenskodizes zu informieren, gegebenenfalls auch durch geeignete Kennzeichnungen. (2) Die Mitgliedstaaten unterstützen die Einrichtung beziehungsweise den Ausbau angemessener und wirksamer Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren für 301

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die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten im Rahmen dieser Richtlinie und halten gegebenenfalls Gewerbetreibende und deren Berufsorganisationen dazu an, die Verbraucher über solche Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten zu informieren. Art. 15 Sanktionen (1) Die Mitgliedstaaten sehen angemessene Sanktionen für den Fall vor, dass ein Gewerbetreibender gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften verstößt. (2) Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Art. 16–20 Umsetzung, Überprüfung, Aufhebung der Richtlinie 94/47/EG, Inkrafttreten und Adressaten — nicht abgedruckt. Anhang I-IV Formblatt für Informationen zu Teilzeitnutzungsverträgen, zu Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte, zu Wiederverkaufsverträgen bzw. zu Tauschverträgen — nicht abgedruckt. Anhang V Gesondertes Formblatt zur Erleichterung der Wahrnehmung des Widerrufsrechts — nicht abgedruckt. Anhang VI Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt.

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2.14 Fluggastrechte-VO 261/2004

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION, gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 80 Absatz 2, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 nach Anhörung des Ausschusses der Regionen gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 aufgrund des vom Vermittlungsausschuss am 1. Dezember 2003 gebilligten gemeinsamen Entwurfs, in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden. (2) Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten. (3) Durch die Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr4 wurde zwar ein grundlegender Schutz für die Fluggäste geschaffen, die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste ist aber immer noch zu hoch; dasselbe gilt für nicht angekündigte Annullierungen und große Verspätungen. (4) Die Gemeinschaft sollte deshalb die mit der genannten Verordnung festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken und um sicherzustellen, dass die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterliegt. (5) Da die Unterscheidung zwischen Linienflugverkehr und Bedarfsflugverkehr an Deutlichkeit verliert, sollte der Schutz sich nicht auf Fluggäste im Linienflugverkehr beschränken, sondern sich auch auf Fluggäste im Bedarfsflugverkehr, einschließlich Flügen im Rahmen von Pauschalreisen, erstrecken.

* Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (Text von Bedeutung für den EWR) — Erklärung der Kommission; ABl. L 046 vom 17/02/2004 S. 0001–0008 1 ABl. C 103 E vom 30. 4. 2002, S. 225, und ABl. C 71 E vom 24. 3. 2003, S. 188. 2 ABl. C 241 vom 7. 10. 2002, S. 29. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 24. Oktober 2002 (ABl. C 300 E vom 11. 12. 2003, S. 443), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 18. März 2003 (ABl. C 125 E vom 27. 5. 2003, S. 63) und Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 3. Juli 2003 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18. Dezember 2003 und Beschluss des Rates vom 26. Januar 2004. 4 ABl. L 36 vom 8. 2. 1991, S. 5. https://doi.org/10.1515/9783110667776-018

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(6) Der Schutz für Fluggäste, die einen Flug von einem Flughafen in einem Mitgliedstaat antreten, sollte bei Flügen, die von einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft durchgeführt werden, auf Fluggäste ausgedehnt werden, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen in einem Mitgliedstaat antreten (7) Damit diese Verordnung wirksam angewandt wird, sollten die durch sie geschaffenen Verpflichtungen dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegen, das einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt, und zwar unabhängig davon, ob der Flug mit einem eigenen Luftfahrzeug oder mit einem mit oder ohne Besatzung gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Form durchgeführt wird.. (8) Diese Verordnung sollte die Ansprüche des ausführenden Luftfahrtunternehmens nicht einschränken, nach geltendem Recht Ausgleichsleistungen von anderen Personen, auch Dritten, zu verlangen. (9) Die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste sollte dadurch verringert werden, dass von den Luftfahrtunternehmen verlangt wird, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchungen zu bewegen, anstatt Fluggästen die Beförderung zu verweigern, und denjenigen, die letztlich nicht befördert werden, eine vollwertige Ausgleichsleistung zu erbringen. (10) Fluggäste, die gegen ihren Willen nicht befördert werden, sollten in der Lage sein, entweder ihre Flüge unter Rückerstattung des Flugpreises zu stornieren oder diese unter zufrieden stellenden Bedingungen fortzusetzen, und sie sollten angemessen betreut werden, während sie auf einen späteren Flug warten. (11) Freiwilligen sollte es ebenfalls möglich sein, ihre Flüge unter Rückerstattung des Flugpreises zu stornieren oder diese unter zufrieden stellenden Bedingungen fortzusetzen, da sie mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert sind wie gegen ihren Willen nicht beförderte Fluggäste. (12) Das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen, sollten ebenfalls verringert werden. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass die Luftfahrtunternehmen veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten und ihnen darüber hinaus eine zumutbare anderweitige Beförderung anzubieten, so dass die Fluggäste umdisponieren können. Andernfalls sollten die Luftfahrtunternehmen den Fluggästen einen Ausgleich leisten und auch eine angemessene Betreuung anbieten, es sei denn, die Annullierung geht auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. (13) Fluggästen, deren Flüge annulliert werden, sollten entweder eine Erstattung des Flugpreises oder eine anderweitige Beförderung unter zufrieden stellenden Bedingungen erhalten können, und sie sollten angemessen betreut werden, während sie auf einen späteren Flug warten. (14) Wie nach dem Übereinkommen von Montreal sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten. (15) Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem be-

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stimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern. (16) Für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird, sollte diese Verordnung nicht gelten. (17) Fluggäste, deren Flüge sich um eine bestimmte Zeit verspäten, sollten angemessen betreut werden, und es sollte ihnen möglich sein, ihre Flüge unter Rückerstattung des Flugpreises zu stornieren oder diese unter zufrieden stellenden Bedingungen fortzusetzen. (18) Die Betreuung von Fluggästen, die auf einen Alternativflug oder einen verspäteten Flug warten, kann eingeschränkt oder abgelehnt werden, wenn die Betreuung ihrerseits zu einer weiteren Verzögerung führen würde. (19) Die ausführenden Luftfahrtunternehmen sollten den besonderen Bedürfnissen von Personen mit eingeschränkter Mobilität und deren Begleitpersonen gerecht werden. (20) Die Fluggäste sollten umfassend über ihre Rechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen informiert werden, damit sie diese Rechte wirksam wahrnehmen können. (21) Die Mitgliedstaaten sollten Regeln für Sanktionen bei Verstößen gegen diese Verordnung festlegen und deren Durchsetzung gewährleisten. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. (22) Die Mitgliedstaaten sollten die generelle Einhaltung dieser Verordnung durch ihre Luftfahrtunternehmen sicherstellen und überwachen und eine geeignete Stelle zur Erfüllung dieser Durchsetzungsaufgaben benennen. Die Überwachung sollte das Recht von Fluggästen und Luftfahrtunternehmen unberührt lassen, ihre Rechte nach den im nationalen Recht vorgesehenen Verfahren gerichtlich geltend zu machen. (23) Die Kommission sollte die Anwendung dieser Verordnung analysieren und insbesondere beurteilen, ob ihr Anwendungsbereich auf alle Fluggäste ausgeweitet werden sollte, die mit einem Reiseunternehmen oder einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft in einer Vertragsbeziehung stehen und von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen in einem Mitgliedstaat antreten. (24) Am 2. Dezember 1987 haben das Königreich Spanien und das Vereinigte Königreich in London in einer gemeinsamen Erklärung ihrer Minister für auswärtige Angelegenheiten eine engere Zusammenarbeit bei der Benutzung des Flughafens Gibraltar vereinbart; diese Vereinbarung ist noch nicht wirksam. HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Art. 1 Gegenstand (1) Durch diese Verordnung werden unter den in ihr genannten Bedingungen Mindestrechte für Fluggäste in folgenden Fällen festgelegt: a) Nichtbeförderung gegen ihren Willen, b) Annullierung des Flugs, c) Verspätung des Flugs. (2) Die Anwendung dieser Verordnung auf den Flughafen Gibraltar erfolgt unbeschadet der Rechtsstandpunkte des Königreichs Spanien und des Vereinigten Königreichs in der strittigen Frage der Souveränität über das Gebiet, auf dem sich der Flugplatz befindet. 305

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(3) Die Anwendung dieser Verordnung auf den Flughafen Gibraltar wird bis zum Wirksamwerden der Regelung ausgesetzt, die in der Gemeinsamen Erklärung der Minister für auswärtige Angelegenheiten des Königreichs Spanien und des Vereinigten Königreichs vom 2. Dezember 1987 enthalten ist. Die Regierungen des Königreichs Spanien und des Vereinigten Königreichs unterrichten den Rat über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens. Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck a) „Luftfahrtunternehmen“ ein Lufttransportunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung; b) „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen — juristischen oder natürlichen — Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt; c) „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ ein Luftfahrtunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung, die von einem Mitgliedstaat gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen5 erteilt wurde; d) „Reiseunternehmen“ einen Veranstalter im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen,6 mit Ausnahme von Luftfahrtunternehmen; e) „Pauschalreise“ die in Artikel 2 Nummer 1 der Richtlinie 90/314/EWG definierten Leistungen; f) „Flugschein“ ein gültiges, einen Anspruch auf Beförderungsleistung begründendes Dokument oder eine gleichwertige papierlose, auch elektronisch ausgestellte Berechtigung, das bzw. die von dem Luftfahrtunternehmen oder dessen zugelassenem Vermittler ausgegeben oder genehmigt wurde; g) „Buchung“ den Umstand, dass der Fluggast über einen Flugschein oder einen anderen Beleg verfügt, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde; h) „Endziel“ den Zielort auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein bzw. bei direkten Anschlussflügen den Zielort des letzten Fluges;

5 ABl. L 240 vom 24. 8. 1992, S. 1. 6 ABl. L 158 vom 23. 6. 1990, S. 59.

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verfügbare alternative Anschlussflüge bleiben unberücksichtigt, wenn die planmäßige Ankunftszeit eingehalten wird; i) „Person mit eingeschränkter Mobilität“ eine Person, deren Mobilität bei der Benutzung von Beförderungsmitteln aufgrund einer körperlichen Behinderung (sensorischer oder motorischer Art, dauerhaft oder vorübergehend), einer geistigen Beeinträchtigung, ihres Alters oder aufgrund anderer Behinderungen eingeschränkt ist und deren Zustand besondere Unterstützung und eine Anpassung der allen Fluggästen bereitgestellten Dienstleistungen an die Bedürfnisse dieser Person erfordert; j) „Nichtbeförderung“ die Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Artikel 3 Absatz 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen; k) „Freiwilliger“ eine Person, die sich unter den in Artikel 3 Absatz 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat und dem Aufruf des Luftfahrtunternehmens nachkommt, gegen eine entsprechende Gegenleistung von ihrer Buchung zurückzutreten; l) „Annullierung“ die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war. Art. 3 Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung gilt a) für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten; b) sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten. (2) Absatz 1 gilt unter der Bedingung, dass die Fluggäste a) über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und — außer im Fall einer Annullierung gemäß Artikel 5 — sich — wie vorgegeben und zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung einfinden oder, falls keine Zeit angegeben wurde, — spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden oder 307

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b) von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besassen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür. (3) Diese Verordnung gilt nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Sie gilt jedoch für Fluggäste mit Flugscheinen, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden. (4) Diese Verordnung gilt nur für Fluggäste, die von Motorluftfahrzeugen mit festen Tragflächen befördert werden. (5) Diese Verordnung gilt für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste im Sinne der Absätze 1 und 2 erbringen. Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht. (6) Diese Verordnung lässt die aufgrund der Richtlinie 90/314/EWG bestehenden Fluggastrechte unberührt. Diese Verordnung gilt nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird. Art. 4 Nichtbeförderung (1) Ist für ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nach vernünftigem Ermessen absehbar, dass Fluggästen die Beförderung zu verweigern ist, so versucht es zunächst, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung unter Bedingungen, die zwischen dem betreffenden Fluggast und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen zu vereinbaren sind, zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchungen zu bewegen. Die Freiwilligen sind gemäß Artikel 8 zu unterstützen, wobei die Unterstützungsleistungen zusätzlich zu dem in diesem Absatz genannten Ausgleich zu gewähren sind. (2) Finden sich nicht genügend Freiwillige, um die Beförderung der verbleibenden Fluggäste mit Buchungen mit dem betreffenden Flug zu ermöglichen, so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigern. (3) Wird Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigert, so erbringt das ausführende Luftfahrtunternehmen diesen unverzüglich die Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 und die Unterstützungsleistungen gemäß den Artikeln 8 und 9. Art. 5 Annullierung (1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen 308

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a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten, b) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten und im Fall einer anderweitigen Beförderung, wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges liegt, Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn, i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. (2) Wenn die Fluggäste über die Annullierung unterrichtet werden, erhalten sie Angaben zu einer möglichen anderweitigen Beförderung. (3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. (4) Die Beweislast dafür, ob und wann der Fluggast über die Annullierung des Fluges unterrichtet wurde, trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen. Art. 6 Verspätung (1) Ist für ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nach vernünftigem Ermessen absehbar, dass sich der Abflug a) bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger um zwei Stunden oder mehr oder b) bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km um drei Stunden oder mehr oder 309

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c) bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen um vier Stunden oder mehr gegenüber der planmäßigen Abflugzeit verzögert, so werden den Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen i) die Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten, ii) wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit erst am Tag nach der zuvor angekündigten Abflugzeit liegt, die Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und, iii) wenn die Verspätung mindestens fünf Stunden beträgt, die Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a) angeboten. (2) Auf jeden Fall müssen die Unterstützungsleistungen innerhalb der vorstehend für die jeweilige Entfernungskategorie vorgesehenen Fristen angeboten werden. Art. 7 Ausgleichsanspruch (1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe: a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger, b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km, c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen. Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt. (2) Wird Fluggästen gemäß Artikel 8 eine anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel mit einem Alternativflug angeboten, dessen Ankunftszeit a) bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger nicht später als zwei Stunden oder b) bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 und 3500 km nicht später als drei Stunden oder c) bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen nicht später als vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt, so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 um 50 % kürzen. (3) Die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 erfolgen durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen. 310

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(4) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Entfernungen werden nach der Methode der Großkreisentfernung ermittelt. Art. 8 Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung (1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen a) — der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit — einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt, b) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder c) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze. (2) Absatz 1 Buchstabe a) gilt auch für Fluggäste, deren Flüge Bestandteil einer Pauschalreise sind, mit Ausnahme des Anspruchs auf Erstattung, sofern dieser sich aus der Richtlinie 90/314/EWG ergibt. (3) Befinden sich an einem Ort, in einer Stadt oder Region mehrere Flughäfen und bietet ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einem Fluggast einen Flug zu einem anderen als dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen an, so trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen die Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem anderen Flughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort. Art. 9 Anspruch auf Betreuungsleistungen (1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so sind Fluggästen folgende Leistungen unentgeltlich anzubieten: a) Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit, b) Hotelunterbringung, falls — ein Aufenthalt von einer Nacht oder mehreren Nächten notwendig ist oder — ein Aufenthalt zusätzlich zu dem vom Fluggast beabsichtigten Aufenthalt notwendig ist, c) Beförderung zwischen dem Flughafen und dem Ort der Unterbringung (Hotel oder Sonstiges). (2) Außerdem wird den Fluggästen angeboten, unentgeltlich zwei Telefongespräche zu führen oder zwei Telexe oder Telefaxe oder E-Mails zu versenden. 311

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(3) Bei der Anwendung dieses Artikels hat das ausführende Luftfahrtunternehmen besonders auf die Bedürfnisse von Personen mit eingeschränkter Mobilität und deren Begleitpersonen sowie auf die Bedürfnisse von Kindern ohne Begleitung zu achten. Art. 10 Höherstufung und Herabstufung (1) Verlegt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einen Fluggast in eine höhere Klasse als die, für die der Flugschein erworben wurde, so darf es dafür keinerlei Aufschlag oder Zuzahlung erheben. (2) Verlegt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einen Fluggast in eine niedrigere Klasse als die, für die der Flugschein erworben wurde, so erstattet es binnen sieben Tagen nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten a) bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger 30 % des Preises des Flugscheins oder b) bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km, mit Ausnahme von Flügen zwischen dem europäischen Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und den französischen überseeischen Departements, und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km 50 % des Preises des Flugscheins oder c) bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen, einschließlich Flügen zwischen dem europäischen Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und den französischen überseeischen Departements, 75 % des Preises des Flugscheins. Art. 11 Personen mit eingeschränkter Mobilität oder mit besonderen Bedürfnissen (1) Die ausführenden Luftfahrtunternehmen geben Personen mit eingeschränkter Mobilität und deren Begleitpersonen oder Begleithunden mit entsprechender Bescheinigung sowie Kindern ohne Begleitung bei der Beförderung Vorrang. (2) Im Fall einer Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung von beliebiger Dauer haben Personen mit eingeschränkter Mobilität und deren Begleitpersonen sowie Kinder ohne Begleitung Anspruch auf baldmögliche Betreuung gemäß Artikel 9. Art. 12 Weiter gehender Schadensersatz (1) Diese Verordnung gilt unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes. Die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden. (2) Unbeschadet der einschlägigen Grundsätze und Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts, einschließlich der Rechtsprechung, gilt Absatz 1 nicht für Fluggäste, die nach Artikel 4 Absatz 1 freiwillig auf eine Buchung verzichtet haben. 312

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Art. 13 Regressansprüche In Fällen, in denen ein ausführendes Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung leistet oder die sonstigen sich aus dieser Verordnung ergebenden Verpflichtungen erfüllt, kann keine Bestimmung dieser Verordnung in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie das Recht des Luftfahrtunternehmens beschränkt, nach geltendem Recht bei anderen Personen, auch Dritten, Regress zu nehmen. Insbesondere beschränkt diese Verordnung in keiner Weise das Recht des ausführenden Luftfahrtunternehmens, Erstattung von einem Reiseunternehmen oder einer anderen Person zu verlangen, mit der es in einer Vertragsbeziehung steht. Gleichfalls kann keine Bestimmung dieser Verordnung in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie das Recht eines Reiseunternehmens oder eines nicht zu den Fluggästen zählenden Dritten, mit dem das ausführende Luftfahrtunternehmen in einer Vertragsbeziehung steht, beschränkt, vom ausführenden Luftfahrtunternehmen gemäß den anwendbaren einschlägigen Rechtsvorschriften eine Erstattung oder Entschädigung zu verlangen. Art. 14 Verpflichtung zur Information der Fluggäste über ihre Rechte (1) Das ausführende Luftfahrtunternehmen stellt sicher, dass bei der Abfertigung ein klar lesbarer Hinweis mit folgendem Wortlaut für die Fluggäste deutlich sichtbar angebracht wird: „Wenn Ihnen die Beförderung verweigert wird oder wenn Ihr Flug annulliert wird oder um mindestens zwei Stunden verspätet ist, verlangen Sie am Abfertigungsschalter oder am Flugsteig schriftliche Auskunft über ihre Rechte, insbesondere über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen.“ (2) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das Fluggästen die Beförderung verweigert oder einen Flug annulliert, händigt jedem betroffenen Fluggast einen schriftlichen Hinweis aus, in dem die Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß dieser Verordnung dargelegt werden. Ferner wird allen von einer Verspätung um mindestens zwei Stunden betroffenen Fluggästen ein entsprechender Hinweis ausgehändigt. Die für die Kontaktaufnahme notwendigen Angaben zu der benannten einzelstaatlichen Stelle nach Artikel 16 werden dem Fluggast ebenfalls in schriftlicher Form ausgehändigt. (3) Bei blinden oder sehbehinderten Personen sind die Bestimmungen dieses Artikels durch den Einsatz geeigneter alternativer Mittel anzuwenden. Art. 15 Ausschluss der Rechtsbeschränkung (1) Die Verpflichtungen gegenüber Fluggästen gemäß dieser Verordnung dürfen — insbesondere durch abweichende oder restriktive Bestimmungen im Beförderungsvertrag — nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. (2) Wird dennoch eine abweichende oder restriktive Bestimmung bei einem Fluggast angewandt oder wird der Fluggast nicht ordnungsgemäß über seine 313

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Rechte unterrichtet und hat er aus diesem Grund einer Ausgleichsleistung zugestimmt, die unter der in dieser Verordnung vorgesehenen Leistung liegt, so ist der Fluggast weiterhin berechtigt, die erforderlichen Schritte bei den zuständigen Gerichten oder Stellen zu unternehmen, um eine zusätzliche Ausgleichsleistung zu erhalten. Art. 16 Verstöße (1) Jeder Mitgliedstaat benennt eine Stelle, die für die Durchsetzung dieser Verordnung in Bezug auf Flüge von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Flughäfen und Flüge von einem Drittland zu diesen Flughäfen zuständig ist. Gegebenenfalls ergreift diese Stelle die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission mit, welche Stelle gemäß diesem Absatz benannt worden ist. (2) Unbeschadet des Artikels 12 kann jeder Fluggast bei einer gemäß Absatz 1 benannten Stelle oder einer sonstigen von einem Mitgliedstaat benannten zuständigen Stelle Beschwerde wegen eines behaupteten Verstoßes gegen diese Verordnung erheben, der auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats begangen wurde oder einen Flug von einem Drittstaat zu einem Flughafen in diesem Gebiet betrifft. (3) Die von den Mitgliedstaaten für Verstöße gegen diese Verordnung festgelegten Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Art. 17 Bericht Die Kommission erstattet dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 1. Januar 2007 über die Anwendung und die Ergebnisse dieser Verordnung Bericht, insbesondere über Folgendes: — die Häufigkeit von Fällen der Nichtbeförderung und der Annullierung von Flügen; — die mögliche Ausweitung des Anwendungsbereichs dieser Verordnung auf Fluggäste, die in Vertragsbeziehung mit einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft stehen oder eine Buchung für einen Flug als Teil einer Pauschalreise besitzen, für die die Richtlinie 90/314/EWG gilt, und die von einem Flughafen in einem Drittland einen Flug zu einem Flughafen in einem Mitgliedstaat antreten, der nicht von einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft durchgeführt wird; — die mögliche Überprüfung der Ausgleichsbeträge nach Artikel 7 Absatz 1. Dem Bericht sind, soweit erforderlich, Legislativvorschläge beizufügen. Art. 18 Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 und Inkrafttreten — nicht abgedruckt.

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2.15 Zahlungsdienste-RL II 2015/2366

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) In den letzten Jahren sind bei der Integration von Massenzahlungen in der Union erhebliche Fortschritte erzielt worden, insbesondere im Zusammenhang mit den Rechtsakten der Union zum Zahlungsverkehr, und hier vor allem durch die Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates,4 die Verordnung (EG) Nr. 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates,5 die Richtlinie 2009/110/EG des Europäischen Parlaments und des Rates6 sowie die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates.7 Mit der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates8 wurde der Rechtsrahmen für Zahlungsdienste weiter ergänzt, indem durch die Festlegung einer bestimmten Obergrenze die Fähigkeit der Einzelhändler, ihren Kunden für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsmittels einen Aufschlag zu berechnen, eingeschränkt wurde. (2) Der überarbeitete Rechtsrahmen der Union für Zahlungsdienste wird durch die Verordnung (EU) 2015/751 des Europäischen Parlaments und des Rates9 ergänzt. Mit jener Verordnung werden insbesondere Vorschriften über das Erheben von Interbankenentgelten für kartengebundene Zahlungsvorgänge eingeführt und es wird bezweckt, die Vollendung eines tatsächlich integrierten Marktes für kartengebundene Zahlungen weiter zu beschleunigen. (3) Die Richtlinie 2007/64/EG wurde im Dezember 2007 auf der Grundlage eines Kommissionsvorschlags vom Dezember 2005 angenommen. Seitdem hat der Markt für Massenzah-

* Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/ 110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG, ABl. 2015 L 337/35. 1 ABl. C 224 vom 15. 7. 2014, S. 1. 2 ABl. C 170 vom 5. 6. 2014, S. 78. 3 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 8. Oktober 2015 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 16. November 2015. 4 ABl. L 319 vom 5. 12. 2007, S. 1. 5 ABl. L 266 vom 9. 10. 2009, S. 11. 6 ABl. L 267 vom 10. 10. 2009, S. 7. 7 ABl. L 94 vom 30. 3. 2012, S. 22. 8 ABl. L 304 vom 22. 11. 2011, S. 64. 9 ABl. L 123 vom 19. 5. 2015, S. 1. https://doi.org/10.1515/9783110667776-019

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lungsverkehr bedeutende technische Innovationen erfahren, die mit einem raschen zahlenmäßigen Wachstum der elektronischen und mobilen Zahlungen und mit dem Aufkommen neuer Arten von Zahlungsdiensten am Markt einhergingen, die eine Herausforderung für den derzeit geltenden Rahmen darstellen. Die Prüfung des Rechtsrahmens der Union für Zahlungsdienste und insbesondere die Analyse der Auswirkungen der Richtlinie 2007/64/EG sowie die Konsultation zum Grünbuch der Kommission vom 11. Januar 2012 „Ein integrierter europäischer Markt für Karten-, Internet- und mobile Zahlungen“ haben gezeigt, dass diese Entwicklungen in regulatorischer Hinsicht erhebliche Herausforderungen zur Folge haben. Wichtige Bereiche des Zahlungsverkehrsmarkts, insbesondere die Märkte für Karten-, Internet- und mobile Zahlungen, sind nach wie vor entlang der nationalen Grenzen aufgeteilt. Viele innovative Zahlungsmittel oder -dienste fallen teilweise oder ganz aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2007/64/EG heraus. Darüber hinaus hat sich der Anwendungsbereich der Richtlinie 2007/64/EG, insbesondere die davon ausgenommenen Elemente wie bestimmte zahlungsbezogene Aktivitäten, in Anbetracht der Marktentwicklung in einigen Fällen als zu wenig eindeutig, zu allgemein oder schlicht überholt erwiesen. Das hat in bestimmten Bereichen zu Rechtsunsicherheit, potenziellen Sicherheitsrisiken in der Zahlungskette und mangelndem Verbraucherschutz geführt. Es hat sich für Zahlungsdienstleister als schwierig erwiesen, innovative, sichere und benutzerfreundliche digitale Zahlungsdienste einzuführen und den Verbrauchern wie auch den Einzelhändlern in der Union wirksame, bequeme und sichere Zahlungsmethoden anzubieten. In diesem Bereich besteht jedoch ein großes positives Potenzial, das konsequenter geprüft werden sollte. Die kontinuierliche Weiterentwicklung eines integrierten Binnenmarktes für sichere elektronische Zahlungen ist entscheidend für die Unterstützung des Wirtschaftswachstums der Union, und um sicherzustellen, dass Verbraucher, Händler und Unternehmen durch Wahlmöglichkeit und Transparenz bei Zahlungsdiensten in den vollen Genuss der Vorteile des Binnenmarkts kommen. Zur Schließung der Regulierungslücken sollten neue Vorschriften vorgesehen werden, und gleichzeitig sollte mehr Rechtsklarheit geschaffen und die unionsweit einheitliche Anwendung des rechtlichen Rahmens sichergestellt werden. Den bestehenden sowie den neuen Marktteilnehmern sollten gleichwertige Bedingungen für ihre Tätigkeit garantiert werden, indem neuen Zahlungsmitteln der Zugang zu einem größeren Markt eröffnet und ein hohes Maß an Verbraucherschutz bei der Nutzung dieser Zahlungsdienstleistungen in der Union als Ganzes gewährleistet wird. Das dürfte zu Effizienzgewinnen im Zahlungssystem insgesamt sowie zu mehr Auswahl und Transparenz bei den Zahlungsdiensten führen und gleichzeitig das Vertrauen der Verbraucher in einen harmonisierten Markt für Zahlungen stärken In den letzten Jahren haben sich die Sicherheitsrisiken für elektronische Zahlungen erhöht. Das ist der größeren technischen Komplexität dieser Zahlungen, ihrem weltweit ständig wachsendem Volumen und den neu aufkommenden Arten von Zahlungsdiensten geschuldet. Zuverlässige und sichere Zahlungsdienste stellen eine entscheidende Bedingung für einen gut funktionierenden Zahlungsverkehrsmarkt dar. Die Nutzer von Zahlungsdiensten sollten daher vor solchen Risiken angemessen geschützt werden. Zahlungsdienste sind eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren zentraler wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Tätigkeiten. Die Vorschriften der vorliegenden Richtlinie über die Transparenz- und Informationspflichten für Zahlungsdienstleister und die Vorschriften über die Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Bereitstellung und Nutzung von Zahlungsdiensten sollten gege-

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benenfalls auch für Zahlungsvorgänge gelten, bei denen einer der Zahlungsdienstleister außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ansässig ist, damit voneinander abweichende Ansätze in den Mitgliedstaaten, die sich nachteilig auf die Verbraucher auswirken könnten, vermieden werden. Gegebenenfalls sollten diese Bestimmungen auf Zahlungsvorgänge in allen amtlichen Währungen zwischen im EWR ansässigen Zahlungsdienstleistern ausgedehnt werden. (9) Ein Finanztransfer ist ein einfacher Zahlungsdienst, der in der Regel auf Bargeld beruht, das der Zahler einem Zahlungsdienstleister übergibt, der den entsprechenden Betrag beispielsweise über ein Kommunikationsnetz an einen Zahlungsempfänger oder an einen anderen, im Namen des Zahlungsempfängers handelnden Zahlungsdienstleister weiterleitet. In einigen Mitgliedstaaten bieten Supermärkte, Groß- und Einzelhändler ihren Kunden eine entsprechende Dienstleistung für die Bezahlung von Rechnungen von Versorgungsunternehmen und anderen regelmäßigen Haushaltsrechnungen. Derartige Bezahldienste sollten als Finanztransfer behandelt werden, sofern die zuständigen Behörden nicht der Auffassung sind, dass diese Tätigkeit von einem anderen Zahlungsdienst erfasst wird. (10) Mit dieser Richtlinie wird eine neutrale Definition der Annahme und Abrechnung („Acquiring“) von Zahlungsvorgängen eingeführt, um nicht nur die herkömmlichen Modelle der Annahme und Abrechnung auf der Grundlage der Nutzung von Zahlungskarten, sondern auch andere Geschäftsmodelle zu erfassen, einschließlich solcher, an denen mehr als ein Acquirer beteiligt ist. So soll sichergestellt werden, dass die Händler unabhängig von dem verwendeten Zahlungsinstrument denselben Schutz genießen, wenn die Tätigkeit der Annahme und Abrechnung von Kartentransaktionen entspricht. Technische Dienstleistungen für Zahlungsdienstleister wie die reine Verarbeitung und Speicherung von Daten oder das Betreiben von Terminals sollten nicht als Annahme und Abrechnung erachtet werden. Zudem sehen manche Modelle der Annahme und Abrechnung keinen tatsächlichen Geldtransfer vom Acquirer an den Zahlungsempfänger vor, da die Parteien unter Umständen andere Verrechnungsarten vereinbart haben. (11) Die Ausnahme für Zahlungsvorgänge, die über einen Handelsagenten im Namen des Zahlers oder des Zahlungsempfängers durchgeführt werden, vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2007/64/EG wird in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich angewandt. Bestimmte Mitgliedstaaten gestatten, dass die Ausnahme von Plattformen des elektronischen Geschäftsverkehrs in Anspruch genommen wird, die als zwischengeschaltete Stelle sowohl im Namen der einzelnen Käufer als auch der einzelnen Verkäufer fungieren, ohne über eine echte Spanne für die Aushandlung oder den Abschluss eines Verkaufs bzw. Kaufs von Waren und Dienstleistungen zu verfügen. Die Anwendung dieser Ausnahme geht über den beabsichtigten Anwendungsbereich gemäß jener Richtlinie hinaus und hat das Potenzial, die Risiken für Verbraucher zu erhöhen, da jene Anbieter außerhalb des durch den Rechtsrahmen gebotenen Schutzes bleiben. Unterschiedliche Anwendungspraktiken verzerren auch den Wettbewerb auf dem Zahlungsverkehrsmarkt. Um diesen Bedenken zu begegnen, sollte die Ausnahme daher dann anwendbar sein, wenn Agenten entweder ausschließlich im Namen des Zahlers oder ausschließlich im Namen des Zahlungsempfängers tätig sind, unabhängig davon, ob sie im Besitz von Kundengeldern sind oder nicht. Sind Agenten im Namen sowohl des Zahlers als auch des Zahlungsempfängers tätig (wie etwa bestimmte Plattformen des elektronischen Geschäftsverkehrs), sollte die Ausnahme für sie nur dann gelten, wenn sie zu keinem Zeitpunkt im Besitz von Kundengeldern sind oder diese kontrollieren.

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(12) Diese Richtlinie sollte nicht für die Tätigkeiten von Geldtransportunternehmen und CashManagement-Unternehmen gelten, wenn sich die betreffenden Tätigkeiten auf den physischen Transport von Banknoten und Münzen beschränken. (13) Aus den Rückmeldungen des Marktes ergibt sich, dass die unter die Ausnahme für begrenzte Netze fallenden Zahlungen häufig beträchtliche Volumen und Werte umfassen und den Verbrauchern Hunderte oder Tausende verschiedener Produkte und Dienstleistungen angeboten werden. Das entspricht nicht dem Zweck der für begrenzte Netze geltenden Ausnahme im Sinne der Richtlinie 2007/64/EG, und es bedeutet, dass für die Nutzer dieser Zahlungsdienste, insbesondere für Verbraucher, größere Risiken bestehen und kein rechtlicher Schutz gewährleistet ist und beaufsichtigten Akteuren am Markt eindeutige Nachteile entstehen. Zur Beschränkung jener Risiken sollte dasselbe Instrument nicht für Zahlungsvorgänge zum Erwerb von Waren und Dienstleistungen in mehr als einem begrenzten Netz oder zum Erwerb eines unbegrenzten Waren- oder Dienstleistungsspektrums verwendet werden können. Als im Rahmen eines begrenzten Netzes verwendbar sollte ein Zahlungsinstrument gelten, wenn es unter den folgenden Umständen verwendet wird: für den Erwerb von Waren und Dienstleistungen bei einem bestimmten Einzelhändler oder einer bestimmten Einzelhandelskette, wenn die beteiligten Stellen unmittelbar durch eine gewerbliche Vereinbarung verbunden sind, in der beispielsweise die Verwendung einer einheitlichen Zahlungsmarke vorgesehen ist, und diese Zahlungsmarke in den Verkaufsstellen verwendet wird und — nach Möglichkeit — auf dem dort verwendbaren Zahlungsinstrument aufgeführt ist; zweitens nur zum Erwerb einer sehr begrenzten Auswahl von Gütern oder Dienstleistungen, sofern beispielsweise der Verwendungszweck unabhängig vom geografischen Ort der Verkaufsstelle wirksam auf eine feste Zahl funktional verbundener Waren oder Dienstleistungen begrenzt ist; oder drittens wenn das Zahlungsinstrument einer Regelung durch eine nationale oder regionale öffentliche Stelle für bestimmte soziale oder steuerliche Zwecke zum Erwerb bestimmter Waren oder Dienstleistungen unterliegt. (14) Zahlungsinstrumente, die unter die Ausnahme für begrenzte Netze fallen, könnten Kundenkarten, Tankkarten, Mitgliedskarten, Fahrkarten des öffentlichen Verkehrs, Parktickets, Essensgutscheine oder Gutscheine für bestimmte Dienstleistungen sein, die manchmal einem bestimmten steuer- oder arbeitsrechtlichen Rahmen unterliegen, der die Verwendung solcher Instrumente zur Erfüllung der Ziele der Sozialgesetzgebung fördert. Entwickelt sich ein solches Instrument mit bestimmtem Verwendungszweck zu einem Instrument zur allgemeinen Verwendung, sollte die Ausnahme vom Geltungsbereich dieser Richtlinie keine Anwendung mehr finden. Instrumente, die für Einkäufe in den Geschäften der teilnehmenden Händler verwendet werden können, sollten nicht vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sein, da sie in der Regel für ein stetig wachsendes Netz von Dienstleistern gedacht sind. Die Ausnahme für begrenzte Netzwerke sollte in Verbindung mit der Pflicht gelten, dass potenzielle Zahlungsdienstleister in den Geltungsbereich der Ausnahme fallende Tätigkeiten melden. (15) Vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2007/64/EG ausgenommen sind bestimmte Zahlungsvorgänge, die über ein Telekommunikations- oder IT-Gerät ausgeführt werden, wobei der Netzbetreiber nicht ausschließlich als zwischengeschaltete Stelle für die Lieferung digitaler Waren und Dienstleistungen über das betreffende Gerät fungiert, sondern diesen Waren und Dienstleistungen auch einen Mehrwert verleiht. Insbesondere sind nach dieser Ausnahme die Abrechnung über den Betreiber bzw. direkte über die Telefonrechnung abgerechnete Käufe zugelassen, was bereits mit Klingeltönen und Premium-SMS-Diensten funktioniert und zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle beiträgt, die sich auf den Ver-

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kauf von digitalen Inhalten und Sprachdiensten im Kleinbetragsbereich stützen. Diese Dienste umfassen Unterhaltung wie Chat und Downloads wie Videos, Musik und Spiele, Informationen wie Wetter, Nachrichten, aktuelle Sportmeldungen und Aktienkurse, Auskunftsdienste sowie die Teilnahme an Fernseh- und Radiosendungen wie Abstimmungen, Wettbewerbe und Live-Feedback. Aus den Rückmeldungen des Marktes ergeben sich keine Belege dafür, dass sich diese bei den Verbrauchern im Falle niedrigschwelliger Zahlungen beliebten Zahlungsvorgänge zu einem allgemeinen Zahlungsvermittlungsdienst entwickelt haben. Aufgrund des zweideutigen Wortlauts der einschlägigen Ausnahme wird diese Vorschrift in den Mitgliedstaaten jedoch unterschiedlich angewandt, was zu einem Mangel an Rechtssicherheit für Betreiber und Verbraucher führt und es gelegentlich Zahlungsvermittlungsdiensten ermöglicht, auf ihre Berechtigung zu pochen, eine uneingeschränkte Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2007/64/EG in Anspruch zu nehmen. Daher sollte der Anwendungsbereich dieser Ausnahme präzisiert und das Recht dieser Zahlungsdienstleister, sie in Anspruch zu nehmen, dadurch eingeengt werden, dass die Arten der Zahlungsvorgänge, für die die Ausnahme gilt, bezeichnet werden. (16) Die Ausnahme für Zahlungsvorgänge, die über ein Telekommunikations- oder IT-Gerät ausgeführt werden, sollte speziell auf Kleinstbetragszahlungen für digitale Inhalte und Sprachdienste ausgerichtet werden. Es sollte ein deutlicher Hinweis auf Zahlungsvorgänge für den Erwerb von elektronischen Tickets eingeführt werden, um der Entwicklung bei den Zahlungen gebührend Rechnung zu tragen, bei denen die Kunden insbesondere von jedem Ort aus und zu jeder Zeit über ihr Mobiltelefon oder ein anderes Gerät elektronische Tickets bestellen, bezahlen, erhalten und validieren können. Elektronische Tickets ermöglichen und erleichtern die Bereitstellung von Diensten, die die Kunden andernfalls in Papierform erwerben würden, und gelten in den Bereichen Beförderung, Unterhaltung, Parken und Eintritt zu Veranstaltungen, jedoch nicht für körperliche Waren. Sie senken also die Produktions- und Vertriebskosten, die für die herkömmliche Ausstellung von Tickets auf Papier anfallen, und steigern die Kundenfreundlichkeit durch die Bereitstellung neuer und einfacher Wege für den Kauf von Tickets. Um die Belastungen für Stellen zu verringern, die Spenden für gemeinnützige Zwecke sammeln, sollten Zahlungsvorgänge im Zusammenhang mit derartigen Spenden ebenfalls ausgenommen werden. Den Mitgliedstaaten sollte es freistehen, die Ausnahme für Spenden auf registrierte gemeinnützige Organisationen nach Maßgabe ihres nationalen Rechts zu begrenzen. Insgesamt sollte die Ausnahme nur gelten, wenn der Wert des Zahlungsvorgangs unter einem bestimmten Schwellenwert liegt, um sie klar auf Zahlungen mit niedrigem Risikoprofil zu beschränken. (17) Der einheitliche Euro-Zahlungsverkehrsraum (Single Euro Payments Area — SEPA) hat die Einrichtung unionsweiter „Zahlungs- und Inkassozentralen“ erleichtert, die die Zentralisierung der Zahlungsvorgänge ein und derselben Gruppe ermöglicht. In diesem Zusammenhang sollten Zahlungsvorgänge zwischen einem Mutterunternehmen und seinem Tochterunternehmen oder zwischen Tochterunternehmen desselben Mutterunternehmens, die von einem Zahlungsdienstleister derselben Gruppe ausgeführt werden, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden. Der Einzug von Zahlungsaufträgen im Namen der Gruppe durch ein Mutterunternehmen oder sein Tochterunternehmen für die Weiterleitung an einen Zahlungsdienstleister sollte nicht als Zahlungsdienst im Sinne dieser Richtlinie gelten. (18) Zahlungsdienste wurden vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2007/64/EG ausgenommen, die von Aufstellern von Geldausgabeautomaten unabhängig von kontoführenden Zahlungsdienstleistern angeboten werden. Diese Ausnahme führte zur Zunahme unab-

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hängiger Geldautomatendienste in vielen Mitgliedstaaten, insbesondere in dünn besiedelten Gebieten. Diesen schnell wachsenden Teil des Geldautomatenmarkts vom Anwendungsbereich der vorliegenden Richtlinie vollständig auszunehmen, würde jedoch Verwirrung bei den Gebühren für Geldabhebungen stiften. In grenzüberschreitenden Situationen könnte das dazu führen, dass die Gebühren für dieselbe Abhebung doppelt in Rechnung gestellt werden — vom kontoführenden Zahlungsdienstleister und vom Geldautomatenbetreiber. Um die Bereitstellung von Geldautomatendiensten aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Klarheit hinsichtlich der Gebühren für Geldabhebungen zu gewährleisten, sollte die Ausnahme daher weiter gelten, Geldautomatenbetreibern jedoch die Einhaltung bestimmter Transparenzvorschriften dieser Richtlinie vorgeschrieben werden. Zudem sollten die Gebühren der Geldautomatenbetreiber unbeschadet der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 gelten. Dienstleister, die von der Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2007/64/EG profitieren wollen, haben häufig nicht bei den Behörden nachgefragt, ob ihre Tätigkeiten von der genannten Richtlinie erfasst seien oder davon ausgenommen seien, sondern verließen sich auf eigene Einschätzungen. Das führte dazu, dass bestimmte Ausnahmen in den Mitgliedstaaten unterschiedlich angewandt werden. Außerdem wurden einige Ausnahmen offenbar von Zahlungsdienstleistern zum Anlass genommen, ihre Geschäftsmodelle so umzugestalten, dass die angebotenen Zahlungstätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich jener Richtlinie fielen. Das kann zu erhöhten Risiken für Zahlungsdienstnutzer und zu unterschiedlichen Bedingungen für Zahlungsdienstleister im Binnenmarkt führen. Die Dienstleister sollten daher verpflichtet sein, den zuständigen Behörden einschlägige Tätigkeiten zu melden, damit diese beurteilen können, ob die Anforderungen der jeweiligen Bestimmungen erfüllt sind und gewährleistet ist, dass die Vorschriften im gesamten Binnenmarkt einheitlich ausgelegt werden. Insbesondere sollte für alle Ausnahmen, die auf der Einhaltung eines Schwellenwerts beruhen, ein Meldeverfahren vorgesehen sein, um die Einhaltung der besonderen Anforderungen sicherzustellen Darüber hinaus ist es wichtig, eine Vorschrift für potenzielle Zahlungsdienstleister aufzunehmen, wonach diese den zuständigen Behörden ihre Tätigkeiten melden müssen, die sie im Rahmen eines begrenzten Netzes auf der Grundlage der Kriterien dieser Richtlinie erbringen, sofern der Wert der entsprechenden Zahlungsvorgänge einen bestimmten Schwellenwert überschreitet. Die zuständigen Behörden sollten prüfen, ob die gemeldeten Tätigkeiten als Tätigkeiten innerhalb eines begrenzten Netzes betrachtet werden können. Die Definition des Begriffs Zahlungsdienste sollte technologieneutral sein, die Entwicklung neuer Arten von Zahlungsdiensten zulassen und gleichzeitig sowohl bestehenden als auch neuen Zahlungsdienstleistern gleichwertige Bedingungen für ihre Tätigkeit gewährleisten. Diese Richtlinie sollte dem Ansatz der Richtlinie 2007/64/EG folgen, der sämtliche Arten elektronischer Zahlungsdienste umfasst. Daher wäre es nicht angemessen, die neuen Vorschriften auf Dienste anzuwenden, bei denen ausschließlich Banknoten und Münzen vom Zahler an den Zahlungsempfänger transferiert oder transportiert werden oder der Transfer mit Hilfe eines Schecks in Papierform, eines Wechsels in Papierform, eines Schuldscheins oder anderen Instruments, eines Gutscheins in Papierform oder einer Karte, die auf einen Zahlungsdienstleister oder eine andere Partei gezogen sind, zwecks Bereitstellung eines Geldbetrags an einen Zahlungsempfänger erfolgt. Diese Richtlinie sollte nicht für Barzahlungen gelten, da es bereits einen Binnenmarkt für Barzahlungen gibt. Ebensowenig sollte diese Richtlinie für Scheckzahlungen gelten, da

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Scheckzahlungen naturgemäß nicht so zügig bearbeitet werden können wie Zahlungen mit anderen Zahlungsmitteln. Allerdings sollte sich die gute Praxis in diesem Bereich an den Prinzipien dieser Richtlinie orientieren. Es sollte festgelegt werden, welche Kategorien von Zahlungsdienstleistern die Erlaubnis zur unionsweiten Erbringung von Zahlungsdiensten erhalten können, nämlich Kreditinstitute, die Einlagen von Nutzern entgegennehmen, die für Zahlungsvorgänge verwendet werden können und die weiterhin den in der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates10 festgelegten aufsichtsrechtlichen Anforderungen unterliegen sollten, E-Geld-Institute, die E-Geld ausgeben, das für Zahlungsvorgänge verwendet werden kann und die weiterhin den in der Richtlinie 2009/110/EG festgelegten aufsichtsrechtlichen Anforderungen genügen sollten, sowie Zahlungsinstitute und Postscheckämter, die nach nationalem Recht zur Erbringung dieser Dienste berechtigt sind. Die Anwendung dieses Rechtsrahmens sollte auf Dienstleister beschränkt sein, die gemäß der vorliegenden Richtlinie Zahlungsdienste hauptberuflich oder gewerblich erbringen. Diese Richtlinie legt Vorschriften für die Ausführung von Zahlungsvorgängen fest, soweit es sich bei den Geldbeträgen um E-Geld im Sinne der Richtlinie 2009/110/EG handelt. Diese Richtlinie regelt jedoch nicht die Ausgabe von E-Geld im Sinne der Richtlinie 2009/ 110/EG. Zahlungsinstitute sollten daher nicht befugt sein, E-Geld auszugeben. Mit der Richtlinie 2007/64/EG wurden aufsichtsrechtliche Bestimmungen festgelegt, mit denen eine einheitliche Zulassung für alle Zahlungsdienstleister, die keine Einlagen entgegennehmen oder kein E-Geld ausgeben, eingeführt wird. Zu diesem Zweck wurde mit der Richtlinie 2007/64/EG eine neue Kategorie von Zahlungsdienstleistern, nämlich „Zahlungsinstitute“, eingeführt, wodurch juristische Personen, die aus den derzeitigen Kategorien herausfallen, unter strengen und umfassenden Auflagen die Zulassung zur unionsweiten Erbringung von Zahlungsdiensten erhalten. Auf diese Weise würden die genannten Dienste unionsweit den gleichen Bedingungen unterliegen. Seit der Verabschiedung der Richtlinie 2007/64/EG sind neue Arten von Zahlungsdiensten entstanden, vor allem im Bereich der Internetzahlungen. Insbesondere sind Zahlungsauslösedienste im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs entstanden. Diese Zahlungsdienste spielen eine Rolle bei Zahlungen im elektronischen Geschäftsverkehr, indem sie eine Softwarebrücke zwischen der Website des Händlers und der Plattform des kontoführenden Zahlungsdienstleisters des Zahlers einrichten, um auf Überweisungen gestützte Zahlungen über das Internet auszulösen.‘ Darüber hinaus sind im Zuge der technischen Entwicklung in den letzten Jahren eine Reihe ergänzender Dienstleistungen entstanden, wie zum Beispiel Kontoinformationsdienste. Diese Dienste bieten dem Zahlungsdienstnutzer aggregierte Online-Informationen zu einem oder mehreren Zahlungskonten bei einem oder mehreren anderen Zahlungsdienstleistern, die über Online-Schnittstellen des kontoführenden Zahlungsdienstleisters zugänglich sind. Der Zahlungsdienstnutzer erhält somit in Echtzeit einen Gesamtüberblick über seine finanzielle Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt. Diese Dienste sollten gleichfalls von dieser Richtlinie erfasst werden, um Verbrauchern adäquaten Schutz ihrer Zahlungs- und Kontendaten zu verschaffen sowie Rechtssicherheit bezüglich des Status der Kontoinformationsdienstleister zu geben. Zahlungsauslösedienste ermöglichen es dem Zahlungsauslösedienstleister, dem Zahlungsempfänger die Gewissheit zu geben, dass die Zahlung ausgelöst wurde, um den Zah-

10 ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 338.

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lungsempfänger zu veranlassen, die Ware unverzüglich freizugeben oder die Dienstleistung unverzüglich zu erbringen. Solche Dienste bieten sowohl Händlern als auch Verbrauchern eine kostengünstige Lösung und ermöglichen es Verbrauchern, auch dann online einzukaufen, wenn sie nicht über Zahlungskarten verfügen. Da Zahlungsauslösedienstleister derzeit nicht der Richtlinie 2007/64/EG unterliegen, werden sie nicht zwangsläufig von einer zuständigen Behörde beaufsichtigt und müssen nicht den Anforderungen der Richtlinie 2007/64/EG entsprechen. Das wirft eine Reihe rechtlicher Fragen auf, zum Beispiel in Bezug auf den Verbraucherschutz, die Sicherheit, die Haftung, den Wettbewerb und den Datenschutz, insbesondere den Schutz der Daten des Zahlungsdienstnutzers nach den Datenschutzvorschriften der Union. Daher sollten die neuen Vorschriften auf diese Aspekte eingehen. (30) Die personalisierten Sicherheitsmerkmale, die für die sichere Kundenauthentifizierung durch den Zahlungsdienstnutzer oder durch den Zahlungsauslösedienstleister verwendet werden, sind in der Regel diejenigen, die vom kontoführenden Zahlungsdienstleister zur Verfügung gestellt werden. Zahlungsauslösedienstleister treten nicht notwendigerweise in ein Vertragsverhältnis mit den kontoführenden Zahlungsdienstleistern ein, und unabhängig vom Geschäftsmodell der Zahlungsauslösedienstleister sollten die kontoführenden Zahlungsdienstleister es ihnen ermöglichen, sich auf die Authentifizierungsverfahren des kontoführenden Zahlungsdienstleisters zur Auslösung einer bestimmten Zahlung im Namen des Zahlers zu verlassen. (31) Erbringt der Zahlungsauslösedienstleister ausschließlich Zahlungsauslösedienste, so ist er zu keinem Zeitpunkt der Zahlungskette im Besitz der Gelder des Nutzers. Beabsichtigt ein Zahlungsauslösedienstleister andere Zahlungsdienste zu erbringen, für die er im Besitz der Gelder des Nutzers ist, sollte er die uneingeschränkte Autorisierung für diese Dienste erlangen. (32) Solche Zahlungsauslösedienste beruhen entweder auf dem unmittelbaren oder dem mittelbaren Zugang des Zahlungsauslösedienstleisters zu den Konten des Zahlers. Ein kontoführender Zahlungsdienstleister, der einen Mechanismus für den mittelbaren Zugang bereitstellt, sollte den Zahlungsauslösedienstleistern auch den unmittelbaren Zugang gestatten. (33) Diese Richtlinie sollte darauf abzielen, die Kontinuität im Markt sicherzustellen und gleichzeitig bestehenden und neuen Dienstleistern unabhängig von ihrem Geschäftsmodell die Möglichkeit zu geben, ihre Dienste in einem klaren und harmonisierten Rechtsrahmen anzubieten. Unbeschadet der Notwendigkeit, die Sicherheit von Zahlungsvorgängen und den Schutz der Verbraucher vor nachweislichen Betrugsrisiken zu gewährleisten, sollten die Mitgliedstaaten, die Kommission, die Europäische Zentralbank (EZB) und die Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde, EBA), errichtet mit der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates Vorschriften)11 bis zur Anwendung dieser Vorschriften den fairen Wettbewerb in diesem Markt sicherstellen und dabei eine ungerechtfertigte Diskriminierung der vorhandenen Marktteilnehmer vermeiden. Jeder Zahlungsdienstleister, auch der kontoführende Zahlungsdienstleister des Zahlungsdienstnutzers, sollte Zahlungsauslösungsdienste anbieten können. (34)–(49) Zum Aufsichtsregime, dessen Wortlaut unten nicht abgedruckt.

11 ABl. L 149 vom 11. 6. 2005, S. 22.

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(50) Es sollte sichergestellt werden, dass es zwischen zugelassenen Zahlungsinstituten und Kreditinstituten zu keinerlei Diskriminierung kommt, sodass alle im Binnenmarkt konkurrierenden Zahlungsdienstleister die technischen Infrastrukturdienste dieser Zahlungsverkehrssysteme zu denselben Bedingungen nutzen können. Es sollte wegen des jeweils unterschiedlichen Aufsichtsrahmens eine unterschiedliche Behandlung zugelassener Zahlungsdienstleister und solcher, die sowohl unter eine Ausnahme nach dieser Richtlinie als auch unter die Ausnahmeregelung nach Artikel 3 der Richtlinie 2009/110/EG fallen, vorgesehen werden. Unterschiedliche Preise sollten jedoch nur dann erlaubt sein, wenn den Zahlungsdienstleistern unterschiedlich hohe Kosten entstehen. Das gilt unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, den Zugang zu den für das Gesamtsystem wesentlichen Systemen im Einklang mit der Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates12 einzuschränken, sowie unbeschadet der Zuständigkeiten der Europäischen Zentralbank und des Europäischen Systems der Zentralbanken hinsichtlich des Zugangs zu Zahlungssystemen. (51) Diese Richtlinie lässt den Anwendungsbereich der Richtlinie 98/26/EG unberührt. Um jedoch einen fairen Wettbewerb zwischen Zahlungsdienstleistern zu gewährleisten, sollte einem Teilnehmer eines unter den Bedingungen der Richtlinie 98/26/EG bezeichneten Zahlungssystems, das für einen zugelassenen oder registrierten Zahlungsdienstleister Dienste im Zusammenhang mit einem solchen System erbringt, der Zugang zu diesen Diensten wie jedem anderen zugelassenen oder registrierten Zahlungsdienstleister auf Antrag in objektiver, verhältnismäßiger und nichtdiskriminierender Weise gewährt werden. Zahlungsdienstleister, denen dieser Zugang gewährt wird, sollten jedoch nicht als Teilnehmer im Sinne der Richtlinie 98/26/EG gelten und daher nicht den aufgrund jener Richtlinie gewährten Schutz genießen. (52) Die Bestimmungen über den Zugang zu den Zahlungssystemen sollten nicht für Systeme gelten, die von einem einzigen Zahlungsdienstleister eingerichtet und betrieben werden. Solche Zahlungssysteme können zwar auch in unmittelbarem Wettbewerb mit anderen Zahlungssystemen stehen, in der Regel aber besetzen sie eine Marktnische, die von diesen nicht ausreichend abgedeckt wird. Zu diesen Systemen zählen Dreiparteiensysteme wie Drei-Parteien-Kartensysteme, solange sie niemals de facto — beispielsweise durch Rückgriff auf Lizenznehmer, Agenten oder Markenpartner („Co-Branding-Partner“) — als VierParteien-Kartensysteme betrieben werden. Zu ihnen zählen in der Regel auch Zahlungsdienste von Telekommunikationsdiensten, bei denen der Betreiber der Zahlungsdienstleister sowohl des Zahlers als auch des Zahlungsempfängers ist, sowie interne Systeme von Bankengruppen. Um den Wettbewerb zwischen diesen geschlossenen Zahlungssystemen und den etablierten gängigen Zahlungssystemen anzuregen, wäre es nicht angebracht, Dritten Zugang zu diesen geschlossenen firmeneigenen Zahlungssystemen zu gewähren. Allerdings sollten auch solche geschlossenen Systeme den Wettbewerbsvorschriften der Union und der Mitgliedstaaten unterliegen, sodass es nötig sein könnte, Zugang zu diesen Zahlungssystemen zu gewähren, um einen wirksamen Wettbewerb in den Zahlungsmärkten aufrechtzuerhalten. (53) Da die Situation von Verbrauchern und Unternehmen nicht dieselbe ist, brauchen sie nicht im selben Umfang geschützt zu werden. Zwar müssen die Verbraucherrechte durch Vorschriften geschützt werden, die nicht vertraglich abbedungen werden können, doch

12 ABl. L 166 vom 11. 6. 1998, S. 45.

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sollte es Unternehmen und Organisationen freistehen, abweichende Vereinbarungen zu schließen, wenn es nicht um vertragliche Beziehungen zu Verbrauchern geht. Gleichwohl sollten die Mitgliedstaaten vorschreiben können, dass Kleinstunternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission13 genauso behandelt werden wie Verbraucher. In jedem Fall sollten bestimmte zentrale Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig vom Status des Nutzers immer gelten. In dieser Richtlinie sollten die Informationspflichten der Zahlungsdienstleister gegenüber den Zahlungsdienstnutzern festgelegt werden, damit Letztere ein gleich hohes Maß an verständlichen Informationen über Zahlungsdienste erhalten und so in voller Kenntnis der Sachlage entscheiden und innerhalb der Union eine freie Wahl treffen können. Im Interesse der Transparenz legt diese Richtlinie die harmonisierten Anforderungen fest, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass der Zahlungsdienstnutzer sowohl zu dem mit dem Zahlungsdienstleister geschlossenen Vertrag als auch zu den Zahlungsvorgängen alle notwendigen, ausreichenden und verständlichen Informationen erhält. Damit der Binnenmarkt für Zahlungsdienste reibungslos funktionieren kann, sollten die Mitgliedstaaten nur solche Informationsvorschriften erlassen, die in dieser Richtlinie vorgesehen sind. Verbraucher sollten gemäß der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates14 sowie gemäß der Richtlinien 2000/31/EG,15 2002/65/EG,16 2008/48/EG, 2011/ 83/EU17 und 2014/92/EU18 vor unlauteren oder irreführenden Praktiken geschützt werden. Die Bestimmungen jener Richtlinien gelten weiterhin. Doch sollte insbesondere präzisiert werden, in welchem Verhältnis die vorvertraglichen Informationspflichten der vorliegenden Richtlinie zu denen der Richtlinie 2002/65/EG stehen. Zwecks größerer Effizienz sollten die Informationen den Bedürfnissen der Nutzer angemessen sein und in standardisierter Form übermittelt werden. Allerdings sollten für Einzelzahlungen andere Informationspflichten gelten als für Rahmenverträge, die mehrere Zahlungsvorgänge betreffen. In der Praxis sind Rahmenverträge und darunter fallende Zahlungsvorgänge weitaus häufiger und fallen wirtschaftlich mehr ins Gewicht als Einzelzahlungen. Bei Zahlungskonten oder bestimmten Zahlungsinstrumenten ist ein Rahmenvertrag erforderlich. Daher sollten die Vorabinformationspflichten bei Rahmenverträgen umfassend sein und die Informationen sollten immer auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger mitgeteilt werden, wie beispielsweise Ausdrucke von Kontoauszugsdruckern, CD-ROMs, DVDs, PCFestplattenlaufwerken, auf denen elektronische Post gespeichert werden kann, sowie Websites, sofern diese Websites es erlauben, die dort gespeicherten Informationen in einem unveränderten Format zu reproduzieren. Allerdings sollten Zahlungsdienstleister und Zahlungsdienstnutzer in dem Rahmenvertrag vereinbaren können, in welcher Weise die nachträgliche Information über die ausgeführten Zahlungsvorgänge erfolgen soll, beispielsweise dadurch, dass beim Internetbanking alle das Zahlungskonto betreffenden Informationen online zugänglich gemacht werden.

ABl. ABl. ABl. ABl. ABl. ABl.

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124 vom 20. 5. 2003, S. 36. 149 vom 11. 6. 2005, S. 22. 178 vom 17. 7. 2000, S. 1. 271 vom 9. 10. 2002, S. 16. 304 vom 22. 11. 2011, S. 64. 257 vom 28. 8. 2014, S. 214.

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(58) Bei Einzelzahlungen sollte der Zahlungsdienstleister stets lediglich die wichtigsten Informationen von sich aus geben müssen. Da der Zahler in der Regel anwesend ist, wenn er den Zahlungsauftrag erteilt, sollte nicht vorgeschrieben werden dass die Informationen in jedem Fall auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger mitgeteilt werden müssen. Der Zahlungsdienstleister sollte entweder mündlich am Schalter Auskunft erteilen können oder die Informationen anderweitig leicht zugänglich machen, indem er beispielsweise eine Tafel mit den Vertragsbedingungen in seinen Geschäftsräumen anbringt. Es sollte darauf hingewiesen werden, wo weitere Informationen erhältlich sind, z. B. auf der Website. Allerdings sollte der Verbraucher auf Verlangen die wichtigsten Informationen auch auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger erhalten können. (59) Diese Richtlinie sollte das Recht der Verbraucher festlegen, einschlägige Informationen kostenlos zu erhalten, bevor er an einen Zahlungsdienstvertrag gebunden ist. Zur Aufrechterhaltung eines hohes Verbraucherschutzniveaus sollte der Verbraucher ebenso während des Vertragsverhältnisses jederzeit verlangen können, dass ihm die vorvertraglichen Informationen und der Rahmenvertrag kostenlos in Papierform übermittelt werden, damit er die Dienste von Zahlungsdienstleistern und ihre Vertragsbedingungen vergleichen und im Streitfall überprüfen kann, welche Rechte und Pflichten sich für ihn aus dem Vertrag ergeben. Diese Bestimmungen sollten mit der Richtlinie 2002/65/EG im Einklang stehen. Die Tatsache, dass diese Richtlinie ausdrücklich die Entgeltfreiheit der Information vorschreibt, sollte nicht zur Folge haben, dass den Verbrauchern für Informationen, die nach anderen geltenden Richtlinien vorgeschrieben sind, Entgelte in Rechnung gestellt werden dürfen. (60) Die Art und Weise, in der der Zahlungsdienstleister den Zahlungsdienstnutzer informieren muss, sollte den Erfordernissen des Letzteren sowie — je nach den im jeweiligen Zahlungsdienstvertrag getroffenen Vereinbarungen — praktischen technischen Aspekten und der Kosteneffizienz Rechnung tragen. Daher sollte in dieser Richtlinie zwischen zwei Arten unterschieden werden, auf denen Informationen vom Zahlungsdienstleister gegeben werden müssen: Entweder sollte die Information mitgeteilt, d. h. vom Zahlungsdienstleister zu dem in dieser Richtlinie geforderten Zeitpunkt von sich aus übermittelt werden, ohne dass der Zahlungsdienstnutzer sie ausdrücklich anfordern muss; oder die Information sollte dem Zahlungsdienstnutzer aufgrund seines Ersuchens um nähere Auskünfte zugänglich gemacht werden. In der zweiten Situation sollte der Zahlungsdienstnutzer selbst aktiv werden, um sich die Informationen zu verschaffen, indem er sie beispielsweise ausdrücklich vom Zahlungsdienstleister anfordert, sich in eine Mailbox des Bankkontos einloggt oder eine Bankkarte in den Drucker für Kontoauszüge einführt. Zu diesem Zweck sollte der Zahlungsdienstleister sicherstellen, dass die Informationen zugänglich sind und der Zahlungsdienstnutzer darauf zugreifen kann. (61) Der Verbraucher sollte für die elementaren Informationen über ausgeführte Zahlungsvorgänge kein zusätzliches Entgelt zu entrichten haben. Bei Einzelzahlungen sollte der Zahlungsdienstleister diese Informationen nicht getrennt in Rechnung stellen. Ebenso sollte die Information über die Zahlungsvorgänge im Rahmen eines Rahmenvertrags monatlich und kostenlos erfolgen. Da die Preisbildung jedoch transparent sein muss und die Kunden unterschiedliche Bedürfnisse haben, sollten die Parteien vereinbaren können, dass für die häufigere Übermittlung von Informationen oder die Übermittlung zusätzlicher Informationen Entgelte erhoben werden. Um den unterschiedlichen nationalen Gepflogenheiten Rechnung zu tragen, sollten die Mitgliedstaaten vorschreiben können, dass monatliche Kontoauszüge in Papierform stets kostenlos erhältlich sein müssen.

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(62) Um Kunden den Wechsel zwischen verschiedenen Zahlungsdienstleistern zu erleichtern, sollten Verbraucher einen Rahmenvertrag kostenlos kündigen können. Wird ein Vertrag weniger als sechs Monate nach Inkrafttreten vom Verbraucher gekündigt, sollte es Zahlungsdienstleistern allerdings gestattet sein, entsprechend den durch die Kündigung des Rahmenvertrags durch den Verbraucher entstandenen Kosten ein Entgelt zu erheben. Die vertraglich festgelegte Kündigungsfrist sollte für den Verbraucher einen Monat nicht überschreiten und für den Zahlungsdienstleister mindestens zwei Monate betragen. Diese Richtlinie sollte nicht die aus anderem einschlägigen Recht der Union oder der Mitgliedstaaten — wie etwa jenem über Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Maßnahmen im Hinblick auf das Einfrieren von Geldern oder mit der Prävention und Aufklärung von Straftaten zusammenhängende Sondermaßnahmen — erwachsende Verpflichtung des Zahlungsdienstleisters berühren, unter besonderen Umständen einen Zahlungsdienstvertrag zu kündigen. (63) Um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, sollten die Mitgliedstaaten im Interesse des Verbrauchers Beschränkungen oder Verbote einseitiger Änderungen der Bedingungen eines Rahmenvertrags aufrechterhalten oder einführen können, beispielsweise wenn eine solche Änderung nicht gerechtfertigt ist. (64) Vertragliche Bestimmungen sollten nicht die Diskriminierung von Verbrauchern mit rechtmäßigem Wohnsitz in der Union aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Wohnsitzes bezwecken oder bewirken. Ist in einem Rahmenvertrag beispielsweise das Recht vorgesehen, das Zahlungsinstrument aus objektiv gerechtfertigten Gründen zu sperren, sollte der Zahlungsdienstleister nicht die Möglichkeit haben, dieses Recht in Anspruch zu nehmen, nur weil der Zahlungsdienstnutzer seinen Wohnsitz innerhalb der Union geändert hat. (65) Eine Aufteilung der Entgelte zwischen Zahler und Zahlungsempfänger ist erfahrungsgemäß der beste Weg, da sie die vollautomatisierte Abwicklung von Zahlungen erleichtert. Aus diesem Grund sollte sichergestellt werden, dass die jeweiligen Zahlungsdienstleister ihre Entgelte im Normalfall direkt beim Zahler und Zahlungsempfänger erheben. Es können auch gar keine Entgelte erhoben werden, denn diese Richtlinie sollte nicht die Praxis berühren, dass Zahlungsdienstleister Kontogutschriften für Verbraucher kostenlos ausführen. Ebenso kann ein Zahlungsdienstleister je nach Vertragsbedingungen lediglich beim Zahlungsempfänger (Händler) Entgelte für die Nutzung des Zahlungsdienstes erheben; in diesem Fall hat der Zahler keine Entgelte zu entrichten. Die Zahlungssysteme erheben möglicherweise Entgelte in Form einer Grundgebühr. Die Bestimmungen über die transferierten Beträge oder Entgelte haben keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Preisbildung zwischen Zahlungsdienstleistern oder sonstigen zwischengeschalteten Stellen. (66) Unterschiedliche Vorgehensweisen in den einzelnen Ländern bei der Entgeltberechnung für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments (nachstehend „zusätzliche Entgelte“) haben zu einer enormen Heterogenität des Zahlungsverkehrsmarkts in der Union geführt und bei den Verbrauchern Verwirrung ausgelöst, insbesondere beim elektronischen Geschäftsverkehr und im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. Händler, die in Mitgliedstaaten ansässig sind, in denen Aufschlagsberechnung zulässig ist, bieten in Mitgliedstaaten, in denen das verboten ist, Produkte und Dienstleistungen an und berechnen dem Verbraucher einen Aufschlag. Viele Händler berechnen Verbrauchern auch einen Aufschlag, der viel höher ist als die Kosten, die ihnen durch die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments entstehen. Deutlich für eine Überprüfung der Praxis der zusätzlichen Entgelte spricht des Weiteren die Tatsache, dass in der Verordnung (EU) 2015/751

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Vorschriften über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge festgelegt werden. Interbankenentgelte sind der wichtigste Bestandteil der Händlerentgelte für Karten und Kartenzahlungen. Die zusätzlichen Entgelte werden von Händlern manchmal als Vorgehensweise zur Kompensierung zusätzlicher Kosten von Kartenzahlungen verwendet. Die Verordnung (EU) 2015/751 begrenzt die Interbankenentgelte. Diese Begrenzungen gelten, bevor das in der vorliegenden Richtlinie bestimmte Verbot greift. Daher sollten die Mitgliedstaaten in Erwägung ziehen, Zahlungsempfänger davon abzuhalten, Entgelte für die Verwendung von Zahlungsinstrumenten zu fordern, für die Kapitel II der Verordnung (EU) 2015/751 Vorschriften für die Interbankenentgelte enthält. (67) In dieser Richtlinie wird zwar die Bedeutung von Zahlungsinstituten anerkannt, doch stellen nach wie vor Kreditinstitute die wichtigste Möglichkeit für Verbraucher dar, um ein Zahlungsinstrument zu erhalten. Das Ausstellen eines kartengebundenen Zahlungsinstruments durch einen Zahlungsdienstleister (unabhängig davon, ob dieser ein Kreditinstitut oder ein Zahlungsinstitut ist), der nicht das Konto des Verbrauchers führt, würde für mehr Wettbewerb am Markt sorgen und somit für mehr Auswahlmöglichkeiten und bessere Angebote für die Verbraucher. Derzeit sind die meisten Zahlungen an einer Verkaufsstelle zwar kartengebunden, doch das aktuelle Ausmaß an Innovation im Zahlungsverkehr könnte dazu führen, dass in den kommenden Jahren rasch neue Zahlungskanäle entstehen. Daher ist es angemessen, dass die Kommission bei ihrer Überprüfung dieser Richtlinie diesen Entwicklungen besondere Aufmerksamkeit widmet, ebenso wie der Frage, ob der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Bestätigung der Verfügbarkeit eines Geldbetrags geändert werden muss. Dem Zahlungsdienstleister, der das kartengebundene Zahlungsinstrument (insbesondere Debitkarten) ausstellt (Emittent), wäre es möglich, sein Kreditrisiko besser zu verwalten und es zu verringern, wenn ihm der kontoführende Zahlungsdienstleister die Deckung durch Gelder auf dem Konto des Verbrauchers bestätigte. Gleichzeitig sollte die Deckungsbestätigung es dem kontoführenden Zahlungsdienstleister nicht gestatten, einen Geldbetrag auf dem Zahlungskonto des Zahlers zu blockieren. (68) Die Verwendung einer Karte oder eines kartengebundenen Zahlungsinstruments für das Ausführen einer Zahlung bewirkt oft das Versenden einer Nachricht zur Bestätigung der Deckung und zwei sich daraus ergebende Zahlungsvorgänge. Der erste Zahlungsvorgang erfolgt zwischen dem Emittenten und dem kontoführenden Zahlungsdienstleister des Händlers, der zweite (gewöhnlich eine Lastschrift) erfolgt zwischen dem kontoführenden Zahlungsdienstleister des Zahlers und dem Emittenten. Beide Vorgänge sollten auf die gleiche Weise behandelt werden wie andere gleichwertige Zahlungsvorgänge. Zahlungsdienstleister, die kartengebundene Zahlungsinstrumente ausstellen, sollten die gleichen Rechte genießen und den gleichen Pflichten unterliegen, die sich aus der Richtlinie ergeben, — unabhängig davon, ob sie der kontoführende Zahlungsdienstleister des Zahlers sind oder nicht — insbesondere im Hinblick auf die Verantwortung (z. B. für die Authentifizierung) und die Haftung gegenüber den verschiedenen Akteuren in der Zahlungskette. Da das Ersuchen des Zahlungsdienstleisters und die Deckungsbestätigung unter Beachtung der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen über bestehende sichere Kommunikationskanäle, technische Verfahren und Infrastrukturen für die Kommunikation zwischen Zahlungsauslösedienstleistern oder Kontoinformationsdienstleistern und kontoführenden Zahlungsdienstleistern erfolgen können, sollten Zahlungsdienstleistern oder Karteninhabern keine zusätzlichen Kosten entstehen. Darüber hinaus sollte der kontoführende Zahlungsdienstleister unabhängig davon, ob der Zahlungsvorgang im Internet (d. h. auf der Website eines Händlers) oder in Räumlichkeiten für Endkunden erfolgt, nur dann ver-

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pflichtet sein, die vom Emittenten verlangte Bestätigung zu geben, wenn die vom kontoführenden Zahlungsdienstleister unterhaltenen Konten für diese Bestätigung zumindest online auf elektronischem Wege zugänglich sind. Angesichts der Besonderheiten von EGeld sollte es nicht möglich sein, diesen Mechanismus auf kartengebundene Zahlungsinstrumente anzuwenden, auf denen E-Geld im Sinne der Richtlinie 2009/110/EG gelagert wird. (69) Die Verpflichtung, personalisierte Sicherheitsmerkmale vor unbefugtem Zugriff zu schützen, ist äußerst wichtig, um die Gelder des Zahlungsdienstnutzers zu schützen und Betrugsrisiken und den unbefugten Zugriff auf das Zahlungskonto zu begrenzen. Die Geschäftsbedingungen oder andere dem Zahlungsdienstnutzer durch Zahlungsdienstleister auferlegte Pflichten zum Schutz personalisierter Sicherheitsmerkmale vor unbefugtem Zugriff sollten jedoch nicht so abgefasst sein, dass Zahlungsdienstnutzer davon abgehalten werden, die Vorteile der durch andere Zahlungsdienstleister angebotenen Dienste, einschließlich Zahlungsauslösedienste und Kontoinformationsdienste, zu nutzen. Ferner sollten solche Geschäftsbedingungen keine Bestimmungen enthalten, die die Nutzung von Zahlungsdiensten anderer gemäß dieser Richtlinie zugelassener oder registrierter Zahlungsdienstleister in irgendeiner Weise erschweren. (70) Um die Risiken oder Folgen nicht autorisierter oder fehlerhaft ausgeführter Zahlungsvorgänge gering zu halten, sollte der Zahlungsdienstnutzer den Zahlungsdienstleister so bald wie möglich über Einwendungen gegen angeblich nicht autorisierte oder fehlerhaft ausgeführte Zahlungsvorgänge informieren, vorausgesetzt, der Zahlungsdienstleister hat seine Informationspflichten gemäß dieser Richtlinie erfüllt. Hält der Zahlungsdienstnutzer die Anzeigefrist ein, so sollte er diese Ansprüche innerhalb der nationalen Einschränkungen geltend machen können. Diese Richtlinie sollte andere Ansprüche zwischen Zahlungsdienstnutzern und Zahlungsdienstleistern nicht berühren. (71) Im Falle eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs sollte der Zahlungsdienstleister dem Zahler unverzüglich den Betrag, der Gegenstand dieses Zahlungsvorgangs war, erstatten. Besteht jedoch ein dringender Verdacht, dass ein nicht autorisierter Zahlungsvorgang Folge eines betrügerischen Verhaltens des Zahlungsdienstnutzers ist, und beruht dieser Verdacht auf objektiven Gründen, die der zuständigen nationalen Behörde mitgeteilt wurden, so sollte der Zahlungsdienstleister innerhalb einer angemessenen Frist eine Untersuchung durchführen können, bevor er dem Zahler den entsprechenden Betrag erstattet. Um den Zahler vor Nachteilen zu schützen, sollte das Wertstellungsdatum der Erstattung nicht nach dem Datum liegen, an dem das Konto mit dem Betrag belastet wurde. Um dem Zahlungsdienstnutzer einen Anreiz zu geben, seinem Zahlungsdienstleister jeden Diebstahl oder Verlust eines Zahlungsinstruments unverzüglich anzuzeigen und so das Risiko nicht autorisierter Zahlungsvorgänge zu verringern, sollte der Nutzer für einen begrenzten Betrag selbst haften, es sei denn, er hat in betrügerischer Absicht oder grob fahrlässig gehandelt. In diesem Zusammenhang erscheint ein Betrag von 50 EUR zur Gewährleistung eines harmonisierten und hochgradigen Schutzes der Nutzer innerhalb der Union angemessen. Ist der Zahler nicht in der Lage, den Verlust, den Diebstahl oder die missbräuchliche Verwendung des Zahlungsinstruments zu bemerken, sollte die Haftung ausgeschlossen sein. Auch sollten Nutzer eines Zahlungsinstruments, sobald sie ihrem Zahlungsdienstleister angezeigt haben, dass ihr Zahlungsinstrument missbraucht worden sein könnte, keine weiteren, durch die nicht autorisierte Nutzung dieses Instruments verursachten Schäden tragen müssen. Diese Richtlinie sollte die Verantwortung der Zahlungsdienstleister für die technische Sicherheit ihrer eigenen Produkte nicht berühren.

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(72) Zur Feststellung einer möglichen Fahrlässigkeit oder einer groben Fahrlässigkeit des Zahlungsdienstnutzers sollten alle Umstände berücksichtigt werden. Ob und in welchem Maße fahrlässig gehandelt wurde, sollte nach nationalem Recht beurteilt werden. Während der Begriff der Fahrlässigkeit einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht beinhaltet, sollte unter grober Fahrlässigkeit mehr als lediglich Fahrlässigkeit verstanden werden, d. h. ein Verhalten, das ein erhebliches Ausmaß an Nachlässigkeit aufweist, beispielsweise die offene und leicht für Dritte einzusehende Aufbewahrung der Sicherheitsmerkmale, die zur Autorisierung eines Zahlungsvorgangs verwendet werden, zusammen mit dem Zahlungsinstrument. Klauseln und Bedingungen in einem Vertrag über die Bereitstellung und Nutzung eines Zahlungsinstruments, die eine Erhöhung der Beweislast für den Verbraucher oder eine Verringerung der Beweislast für die kartenausgebende Stelle zur Folge hätten, sollten nichtig sein. Darüber hinaus ist es angemessen, dass in bestimmten Situationen und insbesondere dann, wenn das Zahlungsinstrument bei der Verkaufsstelle nicht vorliegt, wie im Falle von Online-Zahlungen, die Beweislast für eine angebliche Fahrlässigkeit beim Zahlungsdienstleister liegt, da die entsprechenden Möglichkeiten des Zahlers in solchen Fällen sehr begrenzt sind. (73) Die Aufteilung von Verlusten, die durch nicht autorisierte Zahlungsvorgänge verursacht werden, sollte geregelt werden. Für andere Zahlungsdienstnutzer als Verbraucher können andere Bestimmungen gelten, da diese in der Regel besser in der Lage sein dürften, das Betrugsrisiko einzuschätzen und Gegenmaßnahmen zu treffen. Zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus sollten Zahler stets berechtigt sein, ihren Antrag auf Erstattung an den kontoführenden Zahlungsdienstleister zu richten, auch wenn ein Zahlungsauslösedienstleister am Zahlungsvorgang beteiligt war. Die Haftungsverteilung zwischen den Zahlungsdienstleistern bleibt davon unberührt. (74) Im Fall von Zahlungsauslösediensten sollten die Rechte und Pflichten der Zahlungsdienstnutzer und der beteiligten Zahlungsdienstleister dem erbrachten Dienst angemessen sein. Insbesondere sollten der das Konto führende Zahlungsdienstleister und der in den Zahlungsvorgang eingebundene Zahlungsauslösedienstleister durch Haftungsverteilung gezwungen sein, für den jeweils von ihnen kontrollierten Teil des Zahlungsvorgangs die Verantwortung zu übernehmen. (75) Diese Richtlinie zielt darauf ab, den Verbraucherschutz in Fällen von kartengebundenen Zahlungsvorgängen zu stärken, bei denen der genaue Betrag zum Zeitpunkt, an dem der Zahler seine Zustimmung zur Ausführung des Zahlungsvorgangs erteilt, nicht bekannt ist, beispielsweise an automatischen Tankstellen, bei Mietwagenverträgen oder Hotelbuchungen. Der Zahlungsdienstleister des Zahlers sollte nur dann einen Betrag auf dem Zahlungskonto des Zahlers blockieren können, wenn dieser seine Zustimmung zu der genauen Höhe des zu blockierenden Geldbetrags erteilt hat, und dieser sollte unverzüglich nach Eingang der Information zum genauen Betrag, der Gegenstand des Zahlungsvorgangs ist, spätestens jedoch unmittelbar nach Eingang des Zahlungsauftrags freigegeben werden. (76) Mit SEPA sollen gemeinsame unionsweite Zahlungsdienste weiterentwickelt werden, die die derzeitigen nationalen Zahlungsdienste bei auf Euro lautende Zahlungen ersetzen sollen. Um eine komplette Umstellung auf unionsweite Überweisungen und Lastschriften zu gewährleisten, werden mit der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 technische Vorschriften und Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro festgelegt. Für Lastschriften wird mit der genannten Verordnung beabsichtigt, dass der Zahler sowohl dem Zahlungsempfänger als auch dem Zahlungsdienstleister des Zahlers (direkt oder indirekt über den Zahlungsempfänger) seine Zustimmung erteilt und dass die Mandate zu-

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sammen mit nachfolgenden Änderungen oder Löschungen vom Zahlungsempfänger oder von einem Dritten im Auftrag des Zahlungsempfängers aufbewahrt werden. Das derzeitige und bisher einzige europaweite Lastschriftverfahren für Euro-Zahlungen von Verbrauchern, das vom Europäischen Zahlungsverkehrsausschuss entwickelt wurde, beruht auf dem Grundsatz, dass das Mandat für die Ausführung einer Lastschrift durch den Zahler an den Zahlungsempfänger erteilt wird, und — zusammen mit nachfolgenden Änderungen oder Löschungen — vom Zahlungsempfänger aufbewahrt wird. Das Mandat kann auch im Auftrag des Zahlungsempfängers durch einen Dritten aufbewahrt werden. Um für den SEPA eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit zu gewährleisten und ein hohes Maß an Verbraucherschutz im Rahmen des SEPA sicherzustellen, beinhaltet das bestehende europaweite Lastschriftverfahren ein bedingungsloses Erstattungsrecht für autorisierte Zahlungen. Um diesen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, soll mit der vorliegenden Richtlinie ein bedingungsloses Erstattungsrecht als eine allgemeine Anforderung an alle Euro-Lastschriftverfahren in der Union festgelegt werden. Neben dem SEPA bestehen allerdings in Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, weiterhin herkömmliche Lastschriftverfahren für andere Währungen als den Euro. Diese Verfahren haben sich als effizient erwiesen und gewährleisten dem Zahler das gleiche hohe Schutzniveau durch andere Formen des Schutzes, der nicht immer auf einem bedingungslosen Erstattungsrecht beruht. In diesem Fall sollte der Zahler durch den allgemeinen Grundsatz der Erstattung geschützt werden, wenn der ausgeführte Zahlungsvorgang den Betrag übersteigt, den der Zahler vernünftigerweise hätte erwarten können. Darüber hinaus sollten die Mitgliedstaaten Vorschriften für das Recht auf Erstattung festlegen können, die für den Zahler günstiger sind. Es besteht eine tatsächliche Nachfrage für besondere Produkte des Euro-Lastschriftverfahrens innerhalb des SEPA, was an dem weiteren Bestehen bestimmter herkömmlicher Zahlungsdienste für den Euro in manchen Mitgliedstaaten zu erkennen ist. Es wäre angemessen, zuzulassen, dass der Zahler und sein Zahlungsdienstleister in einem Rahmenvertrag vereinbaren, dass der Zahler in den Fällen keinen Anspruch auf Erstattung hat, in denen er geschützt ist, entweder weil er die Zustimmung zur Ausführung des Zahlungsvorgangs seinem Zahlungsdienstleister direkt erteilt hat — auch wenn der Zahlungsdienstleister im Auftrag des Zahlungsempfängers handelt- oder weil gegebenenfalls die Informationen über den anstehenden Zahlungsvorgang dem Zahler in einer vereinbarten Form mindestens vier Wochen vor dem Fälligkeitstermin vom Zahlungsdienstleister oder vom Zahlungsempfänger mitgeteilt oder zugänglich gemacht wurden. Im Falle eines nicht autorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgangs sollte der Zahler immer durch die allgemeine Erstattungsvorschrift geschützt sein. (77) Für ihre Finanzplanung und die fristgerechte Erfüllung ihrer Zahlungsverpflichtungen müssen Verbraucher und Unternehmen genau wissen, wie lange es dauert, bis ein Zahlungsauftrag ausgeführt ist. Daher sollte in dieser Richtlinie festgelegt werden, ab wann Rechte und Pflichten gelten, nämlich wenn der Zahlungsdienstleister den Zahlungsauftrag erhält — auch wenn der Zahlungsauftrag ihm über die im Zahlungsdienstvertrag vereinbarten Kommunikationsmittel abrufbereit zugegangen ist —, ungeachtet einer etwaigen vorherigen Beteiligung an dem zur Erstellung und Übermittlung des Zahlungsauftrags führenden Prozess, z. B. im Rahmen von Sicherheits- oder Deckungsprüfungen, Information über die Nutzung der persönlichen Identifikationsnummer oder bei der Abgabe eines Zahlungsversprechens. Darüber hinaus sollte als Eingang eines Zahlungsauftrags der Zeitpunkt gelten, zu dem der Zahlungsauftrag, mit dem das Konto des Zahlers belastet werden soll, beim Zahlungsdienstleister des Zahlers eingeht. Der Tag oder Zeitpunkt, an dem ein Zahlungsempfänger seinem Zahlungsdienstleister Zahlungsaufträge z. B. für

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das Inkasso von Kartenzahlungen oder Lastschriften übermittelt oder an dem er von seinem Zahlungsdienstleister eine Vorfinanzierung der entsprechenden Beträge (Gutschrift unter Vorbehalt) erhält, sollte hingegen unerheblich sein. Die Nutzer sollten sich darauf verlassen können, dass ihr vollständig ausgefüllter und gültiger Zahlungsauftrag ordnungsgemäß ausgeführt wird, wenn der Zahlungsdienstleister keinen vertraglichen oder gesetzlichen Grund hat, ihn abzulehnen. Lehnt der Zahlungsdienstleister es ab, einen Zahlungsauftrag auszuführen, sollte der Zahlungsdienstnutzer von der Ablehnung und den Gründen dafür unter Beachtung des Unionsrechts und des nationalen Rechts so rasch wie möglich in Kenntnis gesetzt werden. Bestimmt der Rahmenvertrag, dass der Zahlungsdienstleister ein Entgelt für die Ablehnung erheben kann, sollte ein derartiges Entgelt objektiv begründet und so niedrig wie möglich gehalten werden. Da moderne vollautomatisierte Zahlungssysteme Zahlungen mit hoher Geschwindigkeit abwickeln und Zahlungsaufträge ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht ohne kostspieligen manuellen Eingriff widerrufen werden können, muss eine Widerrufsfrist festgelegt werden. Allerdings sollten die Parteien je nach Art des Zahlungsdienstes und des Zahlungsauftrags unterschiedliche Zeitpunkte vereinbaren können. Der Widerruf sollte dabei nur für die Beziehung zwischen einem Zahlungsdienstnutzer und einem Zahlungsdienstleister gelten und somit nicht die Unwiderruflichkeit und Endgültigkeit der Zahlungsvorgänge in Zahlungssystemen berühren. Diese Unwiderruflichkeit sollte nicht die Rechte oder die Pflichten eines Zahlungsdienstleisters nach dem Recht einiger Mitgliedstaaten — soweit sie sich aus dem Rahmenvertrag des Zahlers, nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder Leitlinien ergeben — berühren, im Falle einer Streitigkeit zwischen dem Zahler und dem Zahlungsempfänger dem Zahler den Betrag, der Gegenstand des ausgeführten Zahlungsvorgangs war, zu erstatten. Eine solche Erstattung sollte als neuer Zahlungsauftrag gelten. In allen anderen Fällen sollten Rechtsstreitigkeiten, die sich aus der dem Zahlungsauftrag zugrunde liegenden Vertragsbeziehung ergeben, ausschließlich zwischen Zahler und Zahlungsempfänger geregelt werden. Im Interesse einer voll integrierten und vollautomatisierten Abwicklung von Zahlungen und im Interesse der Rechtssicherheit im Hinblick auf sämtliche Verpflichtungen der Zahlungsdienstnutzer untereinander sollte der vom Zahler transferierte Betrag dem Konto des Zahlungsempfängers in voller Höhe gutgeschrieben werden. Aus diesem Grund sollte keine der an der Ausführung eines Zahlungsauftrags beteiligten zwischengeschalteten Stellen Abzüge vom transferierten Betrag vornehmen dürfen. Zahlungsempfänger sollten jedoch mit ihrem Zahlungsdienstleister eine ausdrückliche Vereinbarung treffen dürfen, die Letztere zum Abzug ihrer eigenen Entgelte berechtigt. Damit der Zahlungsempfänger jedoch überprüfen kann, ob der geschuldete Betrag ordnungsgemäß bezahlt wurde, sollten in den Informationen über die Ausführung des Zahlungsvorgangs nicht nur die transferierten Beträge in voller Höhe, sondern auch die abgezogenen Entgelte aufgeführt werden. Zahlungsinstrumente für Kleinbetragszahlungen sollten bei Waren und Dienstleistungen des Niedrigpreissegments eine kostengünstige und benutzerfreundliche Alternative darstellen und nicht durch übermäßig hohe Anforderungen überfrachtet werden. Aus diesem Grund sollten die betreffenden Informationspflichten und Ausführungsvorschriften auf die unbedingt notwendigen Informationen beschränkt werden, wobei auch die technischen Möglichkeiten, die von diesen Instrumenten berechtigterweise erwartet werden können, berücksichtigt werden sollten. Trotz einer weniger strengen Regelung sollten die Zahlungsdienstnutzer gegen die mit diesen Zahlungsinstrumenten verbundenen begrenz-

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ten Risiken angemessen geschützt sein, speziell im Hinblick auf Instrumente auf Guthabenbasis. Im Interesse einer zügigeren unionsweiten Abwicklung von Zahlungen sollte für alle Zahlungsaufträge, die vom Zahler in Euro oder einer Währung eines Mitgliedstaats, dessen Währung nicht der Euro ist, ausgelöst werden, einschließlich Überweisungen und Finanztransfers, eine Ausführungsfrist von maximal einem Tag festgelegt werden. Für alle anderen Zahlungen, z. B. solche, die vom oder über den Zahlungsempfänger ausgelöst werden (einschließlich Lastschriften oder Kartenzahlungen), sollte ebenfalls eine Eintagesfrist gelten, sofern Zahlungsdienstleister und Zahler nicht ausdrücklich eine längere Frist vereinbart haben. Diese Fristen sollten um einen zusätzlichen Geschäftstag verlängert werden können, wenn ein Zahlungsauftrag in Papierform erteilt wird, um auch weiterhin Zahlungsdienste für die Verbraucher erbringen zu können, die nur mit Dokumenten in Papierform vertraut sind. Wenn ein Lastschriftverfahren genutzt wird, sollte der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers den Inkassoauftrag so rechtzeitig innerhalb der zwischen ihm und dem Zahlungsempfänger vereinbarten Frist übermitteln, dass eine Verrechnung zu dem vereinbarten Fälligkeitstermin möglich ist. In Anbetracht der in vielen Fällen äußerst effizienten Zahlungsinfrastrukturen sollten die Mitgliedstaaten jedoch gegebenenfalls Vorschriften über Ausführungsfristen von weniger als einem Geschäftstag beibehalten oder erlassen dürfen, um eine Verschlechterung des derzeitigen Leistungsniveaus zu vermeiden. Die Vorschriften über die Gutschrift des vollen Betrags und die Ausführungsfrist sollten eine gute Praxis darstellen, wenn einer der Zahlungsdienstleister nicht in der Union ansässig ist. Um das Vertrauen der Verbraucher in einen harmonisierten Zahlungsmarkt zu stärken, ist es unbedingt notwendig, dass Zahlungsdienstnutzer die tatsächlichen Kosten und Entgeltforderungen der Zahlungsdienste kennen, damit sie ihre Wahl treffen können. Eine intransparente Preisgestaltung sollte deshalb untersagt werden, da diese es den Nutzern anerkanntermaßen extrem erschwert, den tatsächlichen Preis eines Zahlungsdienstes zu ermitteln. Insbesondere sollte eine für den Nutzer ungünstige Wertstellungspraxis unzulässig sein. Ein reibungslos und effizient funktionierendes Zahlungssystem setzt voraus, dass der Nutzer sich auf die ordnungsgemäße und fristgerechte Ausführung seines Zahlungsvorgangs durch den Zahlungsdienstleister verlassen kann. In der Regel ist der Zahlungsdienstleister in der Lage, die mit einem Zahlungsvorgang verbundenen Risiken einzuschätzen. Er ist es, der das Zahlungssystem vorgibt, Vorkehrungen trifft, um fehlgeleitete oder falsch zugewiesene Geldbeträge zurückzurufen, und in den meisten Fällen darüber entscheidet, welche zwischengeschalteten Stellen an der Ausführung eines Zahlungsvorgangs beteiligt werden. Daher ist es außer im Falle ungewöhnlicher und unvorhersehbarer Ereignisse gerechtfertigt, dem Zahlungsdienstleister die Haftung für die Ausführung eines vom Nutzer entgegengenommenen Zahlungsauftrags zu übertragen, außer für Handlungen und Unterlassungen des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers, für dessen Auswahl allein der Zahlungsempfänger verantwortlich ist. Um jedoch den Zahler in der unwahrscheinlichen Situation, in der unklar bleibt, ob der Zahlungsbetrag tatsächlich beim Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers eingegangen ist oder nicht, nicht ungeschützt zu lassen, sollte die entsprechende Beweislast in diesem Fall beim Zahlungsdienstleister des Zahlers liegen. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass das zwischengeschaltete Institut (üblicherweise eine „neutrale“ Stelle wie eine Zentralbank oder eine Clearingstelle), das den Zahlungsbetrag vom sendenden zum empfangen-

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den Zahlungsdienstleister transferiert, die Kontendaten speichert und in der Lage ist, sie erforderlichenfalls mitzuteilen. Ist Zahlungsbetrag dem Konto des empfangenden Zahlungsdienstleisters gutgeschrieben worden, so sollte der Zahlungsempfänger einen unmittelbaren Anspruch gegen seinen Zahlungsdienstleister auf Gutschrift des Betrags auf seinem Konto haben. (86) Der Zahlungsdienstleister des Zahlers, also der kontoführende Zahlungsdienstleister oder, gegebenenfalls, der Zahlungsauslösedienstleister, sollte für die ordnungsgemäße Ausführung des Zahlungsvorgangs haften, insbesondere dafür, dass die Zahlung in voller Höhe und fristgerecht ausgeführt wird, und für Fehler anderer Parteien in der Zahlungskette bis zum Zahlungskonto des Zahlungsempfängers vollverantwortlich sein. Im Zuge dieser Haftung sollte der Zahlungsdienstleister des Zahlers dann, wenn dem Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers der vollständige Betrag nicht oder zu spät gutgeschrieben wird, den Zahlungsvorgang korrigieren oder dem Zahler den betreffenden Betrag des Zahlungsvorgangs unbeschadet etwaiger anderer nach nationalem Recht angemeldeter Ansprüche unverzüglich zurückerstatten. Wegen der Haftung des Zahlungsdienstleisters sollten Zahler oder Zahlungsempfänger im Zusammenhang mit der fehlerhaften Zahlung keine Kosten tragen. Für den Fall der nicht erfolgten, fehlerhaften oder verspäteten Ausführung von Zahlungsvorgängen sollten die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass das Wertstellungsdatum korrigierender Zahlungen durch Zahlungsdienstleister stets dem Datum der Wertstellung bei korrekter Ausführung entspricht. (87) Diese Richtlinie sollte nur die vertraglichen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister zum Gegenstand haben. Allerdings setzt das ordnungsgemäße Funktionieren von Überweisungen und anderen Zahlungsdiensten voraus, dass die Zahlungsdienstleister und ihre zwischengeschalteten Stellen, wie z. B. Verarbeiter, an Verträge gebunden sind, die ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten festlegen. Haftungsfragen bilden einen wesentlichen Teil dieser einheitlichen Verträge. Um sicherzustellen, dass die an einem Zahlungsvorgang beteiligten Zahlungsdienstleister und zwischengeschalteten Stellen sich aufeinander verlassen können, muss Rechtssicherheit dahin gehend geschaffen werden, dass ein Zahlungsdienstleister bei Nichtverschulden für Verluste oder gemäß der Haftungsbestimmungen dieser Richtlinie gezahlte Beträge entschädigt wird. Weitere Ansprüche und Einzelheiten der Ausgestaltung des Regressrechts sowie die Frage der praktischen Handhabung von Ansprüchen gegenüber dem Zahlungsdienstleister oder der zwischengeschalteten Stelle, aufgrund eines fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgang sollten einer vertraglichen Regelung überlassen bleiben. (88) Der Zahlungsdienstleister sollte unmissverständlich angeben können, welche Angaben für die korrekte Ausführung eines Zahlungsauftrags erforderlich sind. Andererseits sollte es den Mitgliedstaaten nicht gestattet sein, für Zahlungsvorgänge einen speziellen Identifikator vorzuschreiben, da das zu einer Fragmentierung führen und die Schaffung integrierter Zahlungssysteme in der Union gefährden würde. Das sollte die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran hindern, vom Zahlungsdienstleister des Zahlers zu verlangen, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten und — soweit technisch und ohne manuelles Eingreifen möglich — zu überprüfen, ob der Kundenidentifikator kohärent ist, und wenn das nicht der Fall ist, den Zahlungsauftrag zurückzuweisen und den Zahler davon zu unterrichten. Die Haftung des Zahlungsdienstleisters sollte auf die korrekte Ausführung eines Zahlungsvorgangs gemäß dem vom Zahlungsdienstnutzer erteilten Auftrag beschränkt werden. Falls der Betrag, der Gegenstand eines Zahlungsvorgangs ist, dem falschen Empfänger gutgeschrieben wird, weil der Zahler einen falschen Kundenidentifika-

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tor angegeben hat, so sollte weder der Zahlungsdienstleister des Zahlers noch der des Zahlungsempfängers haften, doch sollten beide zur Zusammenarbeit verpflichtet sein, bei der sie sich im Rahmen des Zumutbaren — auch durch die Mitteilung sachdienlicher Informationen — darum bemühen, den Betrag wiederzuerlangen. Das Erbringen von Zahlungsdiensten durch den Zahlungsdienstleister kann mit der Verarbeitung personenbezogener Daten einhergehen. Die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates,19 die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der genannten Richtlinie und die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates20 finden Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten für die Zwecke dieser Richtlinie. Insbesondere bei der Verarbeitung personenbezogener Daten für die Zwecke dieser Richtlinie sollte der genaue Zweck angegeben, die entsprechende Rechtsgrundlage genannt und die Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 95/46/EG erfüllt werden; darüber hinaus sollten die Grundsätze der Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit, Beschränkung auf den Zweck und Angemessenheit der Frist für die Speicherung der Daten zu achten sein. Ferner sollte in allen im Rahmen dieser Richtlinie entwickelten und eingesetzten Datenverarbeitungssystemen der Datenschutz durch Technik und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen eingebaut sein. Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und den mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Grundsätzen, einschließlich des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens, des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten, der unternehmerischen Freiheit, des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und des Rechts, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden. Diese Richtlinie muss im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen angewandt werden. Zahlungsdienstleister sind für die Sicherheitsmaßnahmen verantwortlich. Diese Maßnahmen müssen den jeweiligen Sicherheitsrisiken angemessen sein. Die Zahlungsdienstleister sollten einen Rahmen festlegen, um Risiken zu vermindern und wirksame Verfahren für den Umgang mit Vorfällen aufrechtzuerhalten. Es sollte ein Mechanismus zur regelmäßigen Berichterstattung geschaffen werden, damit Zahlungsdienstleister den zuständigen Behörden regelmäßig eine aktualisierte Bewertung ihrer Sicherheitsrisiken und die als Reaktion darauf ergriffenen Maßnahmen übermitteln. Damit sichergestellt ist, dass Schäden für Nutzer, für andere Zahlungsdienstleister oder für Zahlungssysteme, zum Beispiel eine wesentliche Störung eines Zahlungssystems, auf ein Minimum begrenzt werden, ist es des Weiteren von entscheidender Bedeutung, dass Zahlungsdienstleister verpflichtet werden, schwere Sicherheitsvorfälle unverzüglich den zuständigen Behörden zu melden. Die EBA sollte dabei als Koordinatorin tätig werden. Die Pflichten zur Meldung von Sicherheitsvorfällen sollten nicht die in anderen Rechtsakten der Union niedergelegten Pflichten zur Meldung anderer Vorfälle berühren und jede Anforderung nach dieser Richtlinie sollte an die Meldepflichten aufgrund anderer Vorschriften des Unionsrechts angeglichen und diesen angemessen sein. Es ist notwendig, einen eindeutigen Rechtsrahmen festzulegen, der die Bedingungen dafür enthält, unter denen Zahlungsauslösedienstleister und Kontoinformationsdienstleister ihre Dienste mit Zustimmung des Kontoinhabers erbringen können, ohne dass der konto-

19 ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31. 20 ABl. L 8 vom 12. 1. 2001, S. 1.

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führende Zahlungsdienstleister von ihnen verlangt, für diese Arten von Diensten ein besonderes Geschäftsmodell, ob auf der Grundlage eines unmittelbaren oder eines mittelbaren Zugangs, zu verwenden. Die Zahlungsauslösedienstleister und die Kontoinformationsdienstleister einerseits und der kontoführende Zahlungsdienstleister andererseits sollten die erforderlichen Datenschutz- und die Sicherheitsanforderungen beachten, die in dieser Richtlinie festgelegt sind, oder auf die in dieser Richtlinie verwiesen wird, oder die in den Entwürfe für technische Regulierungsstandards enthalten sind. Diese technischen Regulierungsstandards sollten mit den verschiedenen verfügbaren technischen Lösungen vereinbar sein. Um eine sichere Kommunikation zwischen den einschlägigen Akteuren im Kontext dieser Dienste zu gewährleisten, sollte die EBA auch die Anforderungen an gemeinsame und offene Standards für die Kommunikation festlegen, die von allen kontoführenden Zahlungsdienstleistern anzuwenden sind, die Online-Zahlungsdienste zulassen. Das bedeutet, dass diese offenen Standards die Interoperabilität der verschiedenen technischen Kommunikationslösungen gewährleisten sollten. Diese gemeinsamen und offenen Standards sollten außerdem sicherstellen, dass dem kontoführenden Zahlungsdienstleister bewusst ist, dass er von einem Zahlungsauslösedienstleister oder einem Kontoinformationsdienstleister und nicht vom Kunden selbst kontaktiert wird. Die Standards sollten außerdem gewährleisten, dass Zahlungsauslösedienstleister und Kontoinformationsdienstleister mit dem kontoführenden Zahlungsdienstleister und dem betroffenen Verbraucher auf sichere Weise kommunizieren. Bei der Ausarbeitung dieser Anforderungen sollte die EBA besonders beachten, dass die anzuwendenden Standards die Verwendung sämtlicher herkömmlicher Gerätetypen (wie Computer, Tablet-Computer und Mobiltelefone) für die Ausführung verschiedener Zahlungsdienste erlauben. (94) Bei der Ausarbeitung der technischen Regulierungsstandards für die Authentifizierung und die Kommunikation sollte die EBA systematisch den Aspekt des Schutzes der Privatsphäre prüfen und berücksichtigen, um die mit jeder verfügbaren technischen Möglichkeit verbundenen Risiken zu erkennen und Lösungen zu finden, die zur Minimierung der Gefährdung des Datenschutzes vorgesehen werden könnten. (95) Die Sicherheit elektronischer Zahlungen ist von grundlegender Bedeutung für die Gewährleistung des Schutzes der Nutzer und die Entwicklung eines soliden Umfelds für den elektronischen Geschäftsverkehr. Alle elektronisch angebotenen Zahlungsdienste sollten sicher abgewickelt werden, wobei Technologien einzusetzen sind, die eine sichere Authentifizierung des Nutzers gewährleisten und das Betrugsrisiko möglichst weitgehend einschränken können. Es dürfte nicht notwendig sein, für Zahlungsvorgänge, die in anderer Form als unter Nutzung elektronischer Plattformen und Geräte ausgelöst und durchgeführt werden, wie etwa papiergestützte Zahlungsvorgänge oder Bestellungen per Post oder Telefon, dasselbe Schutzniveau zu gewährleisten. Die erhebliche Zunahme von Internetzahlungen und mobilen Zahlungen sollte mit einer allgemeinen Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen einhergehen. Zahlungsdienste, die über das Internet oder über andere Fernkommunikationskanäle angeboten werden und nicht davon abhängig sind, an welchem Ort sich das für die Auslösung des Zahlungsvorgangs verwendete Gerät oder das verwendete Zahlungsinstrument tatsächlich befinden, sollten daher die Authentifizierung von Zahlungsvorgängen durch dynamische Codes enthalten, damit der Nutzer stets Klarheit über den Betrag und über den Empfänger der Zahlung hat, die er veranlasst. (96) Die Sicherheitsmaßnahmen sollten dem Risikoniveau des Zahlungsdienstes angemessen sein. Um die Entwicklung benutzerfreundlicher und leicht zugänglicher Zahlungsmittel für Zahlungen mit einem niedrigen Risiko wie kontaktlose Kleinbetragszahlungen an der Verkaufsstelle, unabhängig davon, ob sie an ein Mobiltelefon gebunden sind, zu ermögli-

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chen, sollten in den technischen Regulierungsstandards die Ausnahmen von der Anwendung der Sicherheitsanforderungen dargelegt sein. Die sichere Nutzung personalisierter Sicherheitsmerkmale ist notwendig, um die Risiken im Zusammenhang mit Phishing und anderen betrügerischen Tätigkeiten einzuschränken. Dabei sollte sich der Nutzer darauf verlassen können, dass Vorkehrungen getroffen werden, die die Vertraulichkeit und Integrität der personalisierten Sicherheitsmerkmale schützen. Diese Vorkehrungen umfassen in der Regel Verschlüsselungssysteme, die auf den persönlichen Geräten des Zahlers — einschließlich Kartenlesegeräten oder Mobiltelefonen — installiert sind oder dem Zahler von seinem kontoführenden Zahlungsdienstleister über verschiedene Kanäle wie SMS oder E-Mails zur Verfügung gestellt werden. Die Maßnahmen, zu denen in der Regel auch Verschlüsselungssysteme gehören, die Authentifizierungscodes wie etwa einmalige Passwörter generieren, können die Sicherheit von Zahlungsvorgängen verbessern. Die Verwendung solcher Authentifizierungscodes durch Zahlungsdienstnutzer sollte auch dann als mit deren Pflichten im Hinblick auf Zahlungsinstrumente und personalisierte Sicherheitsmerkmale vereinbar betrachtet werden, wenn Zahlungsauslösedienstleister oder Kontoinformationsdienstleister daran beteiligt sind. (97) Die Mitgliedstaaten sollten entscheiden, ob die für die Zulassung von Zahlungsinstituten benannten zuständigen Behörden auch als zuständige Behörden für Verfahren zur alternativen Streitbeilegung fungieren können. (98) Unbeschadet des Rechts der Kunden, die Gerichte anzurufen, sollten die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass ein leicht zugängliches, adäquates, unabhängiges, unparteiisches, transparentes und wirksames Verfahren zur alternativen Streitbeilegung zwischen Zahlungsdienstleistern und Zahlungsdienstnutzern über die in dieser Richtlinie festgelegten Rechte und Pflichten besteht. Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates21 sieht vor, dass der Schutz, der einem Verbraucher nach den zwingenden Rechtsvorschriften des Landes gewährt wird, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nicht durch vertragliche Bestimmungen über das auf den Vertrag anzuwendende Recht ausgehöhlt werden darf. Zur Einrichtung eines effizienten und wirksamen Streitbeilegungsverfahrens sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Zahlungsdienstleister ein wirksames Beschwerdeverfahren einführen, das von den Nutzern ihrer Zahlungsdienste befolgt werden kann, bevor auf ein Verfahren zur alternativen Streitbeilegung zurückgegriffen oder der Streitfall an ein Gericht verwiesen wird. In dem Beschwerdeverfahren sollten kurze und klar definierte zeitliche Rahmen vorgegeben sein, innerhalb deren der Zahlungsdienstleister auf eine Beschwerde antworten sollte. Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass die Stellen für alternative Streitbeilegung über ausreichende Kapazitäten für eine angemessene und effiziente grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Streitfällen über aus dieser Richtlinie erwachsende Rechte und Pflichten verfügen. (99) Es muss sichergestellt werden, dass die nach dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften auch tatsächlich durchgesetzt werden. Aus diesem Grund sollten geeignete Verfahren eingeführt werden, mit deren Hilfe gegen Zahlungsdienstleister, die diesen Vorschriften nicht nachkommen, Beschwerde erhoben werden kann, und die gewährleisten, dass gegebenenfalls wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verhängt werden. Um die Einhaltung dieser Richtlinie zu gewährleisten, sollten die

21 ABl. L 177 vom 4. 7. 2008, S. 6.

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Mitgliedstaaten zuständige Behörden benennen, die die Bedingungen der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 erfüllen und unabhängig von den Zahlungsdienstleistern handeln. Aus Gründen der Transparenz sollten die Mitgliedstaaten der Kommission mitteilen, welche Behörden benannt wurden, und eine genaue Beschreibung der ihnen gemäß dieser Richtlinie übertragenen Aufgaben vorlegen. (100) Unbeschadet des Rechts, die Gerichte anzurufen, um die Einhaltung der Richtlinie sicherzustellen, sollten die Mitgliedstaaten ebenfalls gewährleisten, dass den zuständigen Behörden die notwendigen Befugnisse, einschließlich der Befugnis zur Auferlegung von Sanktionen, für den Fall erteilt werden, dass der Zahlungsdienstleister die Rechte und Pflichten gemäß dieser Richtlinie nicht erfüllt, insbesondere wenn die Gefahr eines erneuten Verstoßes oder andere Bedenken im Hinblick auf die kollektiven Verbraucherinteressen bestehen. (101) Es ist wichtig, dass die Verbraucher auf klare und verständliche Weise über ihre Rechte und Pflichten gemäß dieser Richtlinie informiert werden. Die Kommission sollte daher ein Merkblatt zu diesen Rechten und Pflichten erstellen. (102) Nationale Rechtsvorschriften, die die Rechtsfolgen einer Haftung für ungenaue Formulierungen oder eine ungenaue Übermittlung von Angaben betreffen, sollten von dieser Richtlinie unberührt bleiben. (103) Die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates22 über die mehrwertsteuerliche Behandlung von Zahlungsdienstleistungen sollten von dieser Richtlinie unberührt bleiben. (104) Werden in dieser Richtlinie Beträge in Euro genannt, so sind diese Beträge als entsprechender Gegenwert in der nationalen Währung der Mitgliedstaaten zu verstehen, deren Währung nicht der Euro ist. (105)–(113) Zu Durchführungs- und Übergangsregeln, deren Wortlaut unten nicht abgedruckt. — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Titel I – Gegenstand, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Art. 1 Gegenstand (1) In dieser Richtlinie werden die Regeln festgelegt, nach denen die Mitgliedstaaten die folgenden Kategorien von Zahlungsdienstleistern unterscheiden: a) Kreditinstitute im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates,23 einschließlich deren Zweigstellen im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 17 der genannten Verordnung, sofern sich diese Zweigstellen innerhalb der Union befinden, unabhängig davon, ob sich die Hauptverwaltungen dieser Zweigstellen innerhalb der Union befinden oder gemäß Artikel 47 der Richtlinie 2013/36/EU und nationalem Recht außerhalb der Union;

22 ABl. L 347 vom 11. 12. 2006, S. 1. 23 ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 1.

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b) E-Geld-Institute im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Richtlinie 2009/110/ EG, einschließlich deren Zweigniederlassungen gemäß Artikel 8 der genannten Richtlinie und dem nationalen Recht, sofern sich die Zweigniederlassungen innerhalb der Union befinden und die Hauptverwaltung des EGeld-Instituts, dem sie angehören, sich außerhalb der Union befindet und nur insofern, als die von diesen Zweigniederlassungen erbrachten Zahlungsdienste mit der Ausgabe von E-Geld in Zusammenhang stehen; c) Postscheckämter, die nach nationalem Recht zur Erbringung von Zahlungsdiensten berechtigt sind; d) Zahlungsinstitute; e) die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken, wenn sie nicht in ihrer Eigenschaft als Währungsbehörden oder andere Behörden handeln; f) die Mitgliedstaaten oder ihre regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften, wenn sie nicht in ihrer Eigenschaft als Behörden handeln. (2) Darüber hinaus werden in dieser Richtlinie Regelungen festgelegt a) zur Transparenz der Vertragsbedingungen und zu Informationspflichten für Zahlungsdienste sowie b) zu den jeweiligen Rechte und Pflichten von Zahlungsdienstnutzern und Zahlungsdienstleistern bei der hauptberuflichen oder gewerblichen Erbringung von Zahlungsdiensten. Art. 2 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt für Zahlungsdienste, die innerhalb der Union erbracht werden. (2) Die Titel III und IV gelten für Zahlungsvorgänge in der Währung eines Mitgliedstaats, wenn sowohl der Zahlungsdienstleister des Zahlers als auch der des Zahlungsempfängers oder — falls nur ein einziger Zahlungsdienstleister an dem Zahlungsvorgang beteiligt ist — dieser in der Union ansässig ist. (3) Titel III, mit Ausnahme des Artikels 45 Absatz 1 Buchstabe b, des Artikels 52 Nummer 2 Buchstabe e und des Artikels 56 Buchstabe a, sowie Titel IV, mit Ausnahme der Artikel 81 bis 86, gelten für Zahlungsvorgänge in einer Währung, die keine Währung eines Mitgliedstaats ist, wenn sowohl der Zahlungsdienstleister des Zahlers als auch der des Zahlungsempfängers in der Union ansässig sind oder — falls nur ein einziger Zahlungsdienstleister an dem Zahlungsvorgang beteiligt ist — dieser in der Union ansässig ist, für die Bestandteile der Zahlungsvorgänge, die in der Union getätigt werden. (4) Titel III, mit Ausnahme des Artikels 45 Absatz 1 Buchstabe b, des Artikels 52 Nummer 2 Buchstabe e, des Artikels 52 Nummer 5 Buchstabe g und des Artikels 56 Buchstabe a, sowie Titel IV, mit Ausnahme des Artikels 62 Absätze 2 und 4 und der Artikel 76, 77 und 81, des Artikels 83 Absatz 1 und der Artikel 89 und 338

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92, gelten für Zahlungsvorgänge in allen Währungen, bei denen lediglich einer der beteiligten Zahlungsdienstleister in der Union ansässig ist, für die Bestandteile der Zahlungsvorgänge, die in der Union getätigt werden. (5) Die Mitgliedstaaten können die in Artikel 2 Absatz 5 Nummern 4 bis 23 der Richtlinie 2013/36/EU genannten Institute von der Anwendung dieser Richtlinie ganz oder teilweise ausnehmen. Art. 3 Ausnahmen Diese Richtlinie gilt nicht für a) Zahlungsvorgänge, die ohne zwischengeschaltete Stellen ausschließlich als direkte Bargeldzahlung vom Zahler an den Zahlungsempfänger erfolgen; b) Zahlungsvorgänge zwischen Zahler und Zahlungsempfänger über einen Handelsagenten, der aufgrund einer Vereinbarung befugt ist, den Verkauf oder Kauf von Waren oder Dienstleistungen nur im Namen des Zahlers oder nur im Namen des Zahlungsempfängers auszuhandeln oder abzuschließen; c) den gewerbsmäßigen Transport von Banknoten und Münzen einschließlich Entgegennahme, Bearbeitung und Übergabe; d) die nicht gewerbsmäßige Entgegennahme und Übergabe von Bargeld im Rahmen einer gemeinnützigen Tätigkeit oder einer Tätigkeit ohne Erwerbszweck; e) Dienste, bei denen der Zahlungsempfänger dem Zahler Bargeld im Rahmen eines Zahlungsvorgangs aushändigt, nachdem ihn der Zahlungsdienstnutzer kurz vor der Ausführung eines Zahlungsvorgangs zum Erwerb von Waren oder Dienstleistungen ausdrücklich hierum gebeten hat; f) Bargeldwechselgeschäfte, sofern die betreffenden Beträge nicht auf einem Zahlungskonto liegen; g) Zahlungsvorgänge, denen eines der folgenden Dokumente zugrunde liegt, das auf den Zahlungsdienstleister gezogen ist und die Bereitstellung eines Geldbetrags an einen Zahlungsempfänger vorsieht: i) ein Papierscheck im Sinne des Genfer Abkommens vom 19. März 1931 über das Einheitliche Scheckgesetz; ii) ein dem unter Ziffer i genannten Scheck vergleichbarer Papierscheck nach dem Recht der Mitgliedstaaten, die nicht Vertragspartei des Genfer Abkommens vom 19. März 1931 über das Einheitliche Scheckgesetz sind; iii) ein Wechsel in Papierform im Sinne des Genfer Abkommens vom 7. Juni 1930 über das Einheitliche Wechselgesetz; iv) Wechsel in Papierform, die den unter Ziffer iii genannten ähnlich sind und dem Recht von Mitgliedstaaten unterliegen, die nicht Mitglied des Genfer Abkommens vom 7. Juni 1930 über das Einheitliche Wechselgesetz sind; 339

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v) ein Gutschein in Papierform; vi) ein Reisescheck in Papierform; vii) eine Postanweisung in Papierform im Sinne der Definition des Weltpostvereins; h) Zahlungsvorgänge, die innerhalb eines Zahlungs- oder Wertpapierabwicklungssystems zwischen Zahlungsausgleichsagenten, zentralen Gegenparteien, Clearingstellen und/oder Zentralbanken und anderen Teilnehmern des Systems und Zahlungsdienstleistern abgewickelt werden; Artikel 35 bleibt hiervon unberührt; i) Zahlungsvorgänge im Zusammenhang mit der Bedienung von Wertpapieranlagen, wie z. B. Dividenden, Erträge oder sonstige Ausschüttungen oder deren Einlösung oder Veräußerung, die von den unter Buchstabe h genannten Personen oder von Wertpapierdienstleistungen erbringenden Wertpapierfirmen, Kreditinstituten, Organismen für gemeinsame Anlagen oder Vermögensverwaltungsgesellschaften und jeder anderen Stelle, die für die Verwahrung von Finanzinstrumenten zugelassen ist, durchgeführt werden; j) Dienste, die von technischen Dienstleistern erbracht werden, die zwar zur Erbringung der Zahlungsdienste beitragen, jedoch zu keiner Zeit in den Besitz der zu transferierenden Geldbeträge gelangen, wie die Verarbeitung und Speicherung von Daten, vertrauensbildende Maßnahmen und Dienste zum Schutz der Privatsphäre, Nachrichten- und Instanzenauthentisierung, Bereitstellung von Informationstechnologie- (IT-) und Kommunikationsnetzen sowie Bereitstellung und Wartung der für Zahlungsdienste genutzten Endgeräte und Einrichtungen mit Ausnahme von Zahlungsauslösediensten und Kontoinformationsdiensten; k) Dienste, die auf bestimmten nur begrenzt verwendbaren Zahlungsinstrumenten beruhen, die eine der folgenden Bedingungen erfüllen: i) die Instrumente gestatten ihrem Inhaber, Waren oder Dienstleistungen lediglich in den Geschäftsräumen des Emittenten oder innerhalb eines begrenzten Netzes von Dienstleistern im Rahmen einer Geschäftsvereinbarung mit einem professionellen Emittenten zu erwerben; ii) die Instrumente können nur zum Erwerb eines sehr begrenzten Warenoder Dienstleistungsspektrums verwendet werden; iii) die Instrumente sind nur in einem Mitgliedstaat gültig, werden auf Ersuchen eines Unternehmens oder einer öffentlichen Stelle bereitgestellt, unterliegen zu bestimmten sozialen oder steuerlichen Zwecken den Vorschriften einer nationalen oder regionalen öffentlichen Stelle und dienen dem Erwerb bestimmter Waren oder Dienstleistungen von Anbietern, die eine gewerbliche Vereinbarung mit dem Emittenten geschlossen haben. 340

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l)

Zahlungsvorgänge, die von einem Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze oder -dienste zusätzlich zu elektronischen Kommunikationsdiensten für einen Teilnehmer des Netzes oder Dienstes bereitgestellt werden: i) im Zusammenhang mit dem Erwerb von digitalen Inhalten und Sprachdiensten, ungeachtet des für den Erwerb oder Konsum des digitalen Inhalts verwendeten Geräts, und die auf der entsprechenden Rechnung abgerechnet werden, oder ii) die von einem elektronischen Gerät aus oder über dieses ausgeführt und auf der entsprechenden Rechnung im Rahmen einer gemeinnützigen Tätigkeit oder für den Erwerb von Tickets abgerechnet werden; sofern der Wert einer Einzelzahlung nach den Ziffern i und ii 50 EUR nicht überschreitet und — der kumulative Wert der Zahlungsvorgänge eines einzelnen Teilnehmers monatlich 300 EUR nicht überschreitet oder — der kumulative Wert der Zahlungsvorgänge innerhalb pro Monat 300 EUR nicht überschreitet, wenn ein Teilnehmer auf sein Konto bei einem Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze oder -dienste Vorauszahlungen tätigt; m) Zahlungsvorgänge, die zwischen Zahlungsdienstleistern, ihren Agenten oder Zweigniederlassungen auf eigene Rechnung ausgeführt werden; n) Zahlungsvorgänge zwischen einem Mutterunternehmen und seinem Tochterunternehmen oder zwischen Tochterunternehmen desselben Mutterunternehmens und damit verbundene Dienste ohne Mitwirkung eines Zahlungsdienstleisters, es sei denn, es handelt sich bei diesem um ein Unternehmen derselben Gruppe; o) Bargeldabhebungsdienste, die von Dienstleistern über Geldausgabeautomaten für einen oder mehrere Kartenemittenten angeboten werden, die keinen Rahmenvertrag mit dem Geld von einem Zahlungskonto abhebenden Kunden geschlossen haben, vorausgesetzt, dass diese Dienstleister keine anderen der in Anhang I genannten Zahlungsdienste erbringen. Jedoch sind dem Kunden über alle Gebühren für Geldabhebungen nach den Artikeln 45, 48, 49 und 59 sowohl vor der Abhebung als auch auf der Quittung nach dem Erhalt von Bargeld mitzuteilen. Art. 4 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck: 1. „Herkunftsmitgliedstaat“ a) den Mitgliedstaat, in dem sich der Sitz des Zahlungsdienstleisters befindet, oder 341

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b) wenn der Zahlungsdienstleister nach dem für ihn geltenden nationalen Recht keinen Sitz hat, den Mitgliedstaat, in dem sich seine Hauptverwaltung befindet; „Aufnahmemitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem ein Zahlungsdienstleister einen Agenten oder eine Zweigniederlassung hat oder Zahlungsdienste erbringt und der nicht der Herkunftsmitgliedstaat dieses Zahlungsdienstleisters ist; „Zahlungsdienst“ eine oder mehrere der in Anhang I aufgeführten gewerblichen Tätigkeiten; „Zahlungsinstitut“ eine juristische Person, der nach Artikel 11 eine Zulassung für die unionsweite Erbringung und Ausführung von Zahlungsdiensten erteilt wurde; „Zahlungsvorgang“ die bzw. den vom Zahler, im Namen des Zahlers oder vom Zahlungsempfänger ausgelöste(n) Bereitstellung, Transfer oder Abhebung eines Geldbetrags, unabhängig von etwaigen zugrunde liegenden Verpflichtungen im Verhältnis zwischen Zahler und Zahlungsempfänger; „Fernzahlungsvorgang“ einen Zahlungsvorgang, der über das Internet oder mittels eines Geräts, das für die Fernkommunikation verwendet werden kann, ausgelöst wird; „Zahlungssystem“ ein System zum Transfer von Geldbeträgen mit formalen und standardisierten Regeln und einheitlichen Vorschriften für die Verarbeitung, das Clearing und/oder die Verrechnung von Zahlungsvorgängen; „Zahler“ eine natürliche oder juristische Person, die Inhaber eines Zahlungskontos ist und die einen Zahlungsauftrag von diesem Zahlungskonto gestattet oder — falls kein Zahlungskonto vorhanden ist — eine natürliche oder juristische Person, die den Auftrag für einen Zahlungsvorgang erteilt; „Zahlungsempfänger“ eine natürliche oder juristische Person, die den Geldbetrag, der Gegenstand eines Zahlungsvorgangs ist, als Empfänger erhalten soll; „Zahlungsdienstnutzer“ eine natürliche oder juristische Person, die einen Zahlungsdienst als Zahler oder Zahlungsempfänger oder in beiden Eigenschaften in Anspruch nimmt; „Zahlungsdienstleister“ eine Stelle im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 oder eine natürliche oder juristische Personen, für die die Ausnahme gemäß Artikel 32 oder 33 gilt; „Zahlungskonto“ ein auf den Namen eines oder mehrerer Zahlungsdienstnutzer(s) lautendes Konto, das für die Ausführung von Zahlungsvorgängen genutzt wird; „Zahlungsauftrag“ einen Auftrag, den ein Zahler oder Zahlungsempfänger seinem Zahlungsdienstleister zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs erteilt;

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14. „Zahlungsinstrument“ jedes personalisierte Instrument und/oder jeden personalisierten Verfahrensablauf, das bzw. der zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister vereinbart wurde und zur Erteilung eines Zahlungsauftrags verwendet wird; 15. „Zahlungsauslösedienst“ einen Dienst, der auf Antrag des Zahlungsdienstnutzers einen Zahlungsauftrag in Bezug auf ein bei einem anderen Zahlungsdienstleister geführtes Zahlungskonto auslöst; 16. „Kontoinformationsdienst“ einen Online-Dienst zur Mitteilung konsolidierter Informationen über ein Zahlungskonto oder mehrere Zahlungskonten, das/die ein Zahlungsdienstnutzer entweder bei einem anderen Zahlungsdienstleister oder bei mehr als einem Zahlungsdienstleister hält; 17. „kontoführender Zahlungsdienstleister“ einen Zahlungsdienstleister, der für einen Zahler ein Zahlungskonto bereitstellt und führt; 18. „Zahlungsauslösedienstleister“ einen Zahlungsdienstleister, der gewerbliche Tätigkeiten nach Anhang I Nummer 7 ausübt; 19. „Kontoinformationsdienstleister“ einen Zahlungsdienstleister, der gewerbliche Tätigkeiten nach Anhang I Nummer 8 ausübt; 20. „Verbraucher“ eine natürliche Person, die bei den von dieser Richtlinie erfassten Zahlungsdienstverträgen zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können; 21. „Rahmenvertrag“ einen Zahlungsdienstvertrag, der die zukünftige Ausführung einzelner und aufeinander folgender Zahlungsvorgänge regelt und die Verpflichtung zur Einrichtung eines Zahlungskontos und die entsprechenden Bedingungen enthalten kann; 22. „Finanztransfer“ einen Zahlungsdienst, bei dem ohne Einrichtung eines Zahlungskontos auf den Namen des Zahlers oder des Zahlungsempfängers ein Geldbetrag eines Zahlers nur zum Transfer eines entsprechenden Betrags an einen Zahlungsempfänger oder an einen anderen, im Namen des Zahlungsempfängers handelnden Zahlungsdienstleister entgegengenommen wird und/oder bei dem der Geldbetrag im Namen des Zahlungsempfängers entgegengenommen und diesem verfügbar gemacht wird; 23. „Lastschrift“ einen Zahlungsdienst zur Belastung des Zahlungskontos des Zahlers, wenn ein Zahlungsvorgang vom Zahlungsempfänger aufgrund der Zustimmung des Zahlers gegenüber dem Zahlungsempfänger, dessen Zahlungsdienstleister oder seinem eigenen Zahlungsdienstleister ausgelöst wird; 24. „Überweisung“ einen auf Aufforderung des Zahlers ausgelösten Zahlungsdienst zur Erteilung einer Gutschrift auf das Zahlungskonto des Zahlungsempfängers zulasten des Zahlungskontos des Zahlers in Ausführung eines oder mehrerer Zahlungsvorgänge durch den Zahlungsdienstleister, der das Zahlungskonto des Zahlers führt; 343

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25. „Geldbetrag“ Banknoten und Münzen, Giralgeld oder E-Geld im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Richtlinie 2009/110/EG; 26. „Wertstellungsdatum“ den Zeitpunkt, den ein Zahlungsdienstleister für die Berechnung der Zinsen bei Gutschrift oder Belastung eines Betrags auf einem Zahlungskonto zugrunde legt; 27. „Referenzwechselkurs“ den Wechselkurs, der bei jedem Währungsumtausch zugrunde gelegt und vom Zahlungsdienstleister zugänglich gemacht wird oder aus einer öffentlich zugänglichen Quelle stammt; 28. „Referenzzinssatz“ den Zinssatz, der bei der Zinsberechnung zugrunde gelegt wird und aus einer öffentlich zugänglichen und für beide Parteien eines Zahlungsdienstvertrags überprüfbaren Quelle stammt; 29. „Authentifizierung“ ein Verfahren, mit dessen Hilfe der Zahlungsdienstleister die Identität eines Zahlungsdienstnutzers oder die berechtigte Verwendung eines bestimmten Zahlungsinstruments, einschließlich der Verwendung der personalisierten Sicherheitsmerkmale des Nutzers, überprüfen kann; 30. „starke Kundenauthentifizierung“ eine Authentifizierung unter Heranziehung von mindestens zwei Elementen der Kategorien Wissen (etwas, das nur der Nutzer weiß), Besitz (etwas, das nur der Nutzer besitzt) oder Inhärenz (etwas, das der Nutzer ist), die insofern voneinander unabhängig sind, als die Nichterfüllung eines Kriteriums die Zuverlässigkeit der anderen nicht in Frage stellt, und die so konzipiert ist, dass die Vertraulichkeit der Authentifizierungsdaten geschützt ist; 31. „personalisierte Sicherheitsmerkmale“ personalisierte Merkmale, die der Zahlungsdienstleister einem Zahlungsdienstnutzer zum Zwecke der Authentifizierung bereitstellt; 32. „sensible Zahlungsdaten“ Daten, einschließlich personalisierter Sicherheitsmerkmale, die für betrügerische Handlungen verwendet werden können. Für die Tätigkeiten von Zahlungsauslösedienstleistern und Kontoinformationsdienstleistern stellen der Name des Kontoinhabers und die Kontonummer keine sensiblen Zahlungsdaten dar; 33. „Kundenidentifikator“ eine Kombination aus Buchstaben, Zahlen oder Symbolen, die dem Zahlungsdienstnutzer vom Zahlungsdienstleister mitgeteilt wird und die der Zahlungsdienstnutzer angeben muss, damit ein anderer am Zahlungsvorgang beteiligter Zahlungsdienstnutzer und/oder dessen Zahlungskonto bei einem Zahlungsvorgang zweifelsfrei ermittelt werden kann; 34. „Fernkommunikationsmittel“ ein Verfahren, das ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit von Zahlungsdienstleister und Zahlungsdienstnutzer für den Abschluss eines Vertrags über die Erbringung von Zahlungsdiensten eingesetzt werden kann; 344

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35. „dauerhafter Datenträger“ jedes Medium, das es dem Zahlungsdienstnutzer gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass die Information für eine für die Zwecke der Informationen angemessene Dauer zugänglich bleibt, und das die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht; 36. „Kleinstunternehmen“ ein Unternehmen, das zum Zeitpunkt des Abschlusses des Zahlungsdienstvertrags ein Unternehmen im Sinne des Artikels 1 und des Artikels 2 Absätze 1 und 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361/ EG ist; 37. „Geschäftstag“ einen Tag, an dem der an der Ausführung eines Zahlungsvorgangs beteiligte Zahlungsdienstleister des Zahlers bzw. des Zahlungsempfängers den für die Ausführung von Zahlungsvorgängen erforderlichen Geschäftsbetrieb unterhält; 38. „Agent“ eine natürliche oder juristische Person, die im Namen eines Zahlungsinstituts Zahlungsdienste ausführt; 39. „Zweigniederlassung“ eine Geschäftsstelle, die nicht die Hauptverwaltung ist und die einen Teil eines Zahlungsinstituts bildet, keine Rechtspersönlichkeit hat und unmittelbar sämtliche oder einen Teil der Geschäfte betreibt, die mit der Tätigkeit eines Zahlungsinstituts verbunden sind; alle Geschäftsstellen eines Kredit- bzw. Zahlungsinstituts mit Hauptverwaltung in einem anderen Mitgliedstaat, die sich in ein und demselben Mitgliedstaat befinden, gelten als eine einzige Zweigniederlassung; 40. „Gruppe“ eine Gruppe von Unternehmen, die untereinander durch eine in Artikel 22 Absätze 1, 2 oder 7 der Richtlinie 2013/34/EU genannte Beziehung verbunden sind, oder Unternehmen im Sinne der Artikel 4, 5, 6 und 7 der delegierten Verordnung (EU) Nr. 241/2014 der Kommission,24 die untereinander durch eine in Artikel 10 Absatz 1 oder Artikel 113 Absätze 6 oder 7 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 genannte Beziehung verbunden sind; 41. „elektronisches Kommunikationsnetz“ ein Netz im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates25; 42. „elektronische Kommunikationsdienste“ ein Dienst im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c der Richtlinie 2002/21/EG; 43. „digitale Inhalte“ Waren oder Dienstleistungen, die in digitaler Form hergestellt und bereitgestellt werden, deren Nutzung oder Verbrauch auf ein technisches Gerät beschränkt ist und die in keiner Weise die Nutzung oder

24 ABl. L 74 vom 14. 3. 2014, S. 8. 25 ABl. L 108 vom 24. 4. 2002, S. 33.

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den Verbrauch von Waren oder Dienstleistungen in physischer Form einschließen; „Annahme und Abrechnung von Zahlungsvorgängen (Acquiring)“ einen den Transfer von Geldbeträgen zum Zahlungsempfänger bewirkenden Zahlungsdienst eines Zahlungsdienstleisters, der mit einem Zahlungsempfänger eine vertragliche Vereinbarung über die Annahme und die Verarbeitung von Zahlungsvorgängen schließt; „Ausgabe von Zahlungsinstrumenten“ einen Zahlungsdienst, bei dem ein Zahlungsdienstleister eine vertragliche Vereinbarung schließt, um einem Zahler ein Zahlungsinstrument zur Auslösung und Verarbeitung der Zahlungsvorgänge des Zahlers zur Verfügung zu stellen; „Eigenmittel“ Mittel im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 118 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013, wobei mindestens 75 % des Kernkapitals in Form von hartem Kernkapital nach Artikel 50 der genannten Verordnung gehalten werden und das Ergänzungskapital höchstens ein Drittel des harten Kernkapitals beträgt; „Zahlungsmarke“ jeder reale oder digitale Name, jeder reale oder digitale Begriff, jedes reale oder digitale Zeichen, jedes reale oder digitale Symbol oder jede Kombination davon, mittels dem oder der bezeichnet werden kann, unter welchem Zahlungskartensystem kartengebundene Zahlungsvorgänge ausgeführt werden; „Co-badging“ das Aufnehmen von zwei oder mehr Zahlungsmarken oder Zahlungsanwendungen derselben Zahlungsmarke auf dasselbe Zahlungsinstrument.

Titel II – Zahlungsdienstleister Kapitel 1 – Zahlungsinstitute Abschnitt 1 – Allgemeine Vorschriften Art. 5–18 Zulassung, Eigenkapitalausstattung, Sicherungsanforderungen — nicht abgedruckt.

Abschnitt 2 – Sonstige Anforderungen Art. 19 Auslagerung von Tätigkeiten — nicht abgedruckt. Art. 20 Haftung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Zahlungsinstitut, das Dritte mit betrieblichen Aufgaben betraut, angemessene Vorkehrungen 346

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trifft, um zu gewährleisten, dass die Anforderungen dieser Richtlinie erfüllt werden. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Zahlungsinstitute für jede Handlung ihrer Angestellten oder jedes Agenten, jeder Zweigniederlassung oder jeder Stelle, an den bzw. die Tätigkeiten ausgelagert werden, uneingeschränkt haften. Art. 21–34 Aufzeichnungen, Zuständige Behörden und Beaufsichtigung, Zusammenarbeit und Organisationsanforderungen — nicht abgedruckt.

Kapitel 2 – Gemeinsame Bestimmungen Art. 35–37 Zugang zu Zahlungssystemen und Konten — nicht abgedruckt.

Titel III – Transparenz der Vertragsbedingungen und Informationspflichten der Zahlungsdienste Kapitel 1 – Allgemeine Vorschriften Art. 38 Anwendungsbereich (1) Dieser Titel gilt für Einzelzahlungen sowie für Rahmenverträge und die von ihnen erfassten Zahlungsvorgänge. Die Parteien können vereinbaren, dass dieser Titel insgesamt oder teilweise keine Anwendung findet, wenn es sich bei dem Zahlungsdienstnutzer nicht um einen Verbraucher handelt. (2) Die Mitgliedstaaten können die Bestimmungen dieses Titels auf Kleinstunternehmen in gleicher Weise anwenden wie auf Verbraucher. (3) Diese Richtlinie berührt nicht die Richtlinie 2008/48/EG, anderes einschlägiges Unionsrecht oder mit dem Unionsrecht vereinbare nationale Maßnahmen im Zusammenhang mit den durch die vorliegende Richtlinie nicht harmonisierten Bedingungen für die Gewährung von Krediten an Verbraucher,. Art. 39 Andere Bestimmungen des Unionsrechts Dieser Titel lässt sonstiges Unionsrecht, das zusätzliche Anforderungen an die vorvertragliche Unterrichtung enthält, unberührt. Jedoch werden in den Fällen, in denen auch die Richtlinie 2002/65/EG Anwendung findet, die Informationsbestimmungen des Artikels 3 Absatz 1 jener Richtlinie mit Ausnahme von Nummer 2 Buchstaben c bis g, Nummer 3 Buchstaben a, d und e sowie Nummer 4 Buchstabe b jenes Absatzes durch die Artikel 44, 45, 51 und 52 der vorliegenden Richtlinie ersetzt. 347

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Art. 40 Entgelte für Informationen (1) Der Zahlungsdienstleister darf dem Zahlungsdienstnutzer die Bereitstellung von Informationen nach diesem Titel nicht in Rechnung stellen. (2) Der Zahlungsdienstleister und der Zahlungsdienstnutzer können Entgelte für darüber hinausgehende Informationen oder für deren häufigere Bereitstellung oder für ihre Übermittlung über andere als die im Rahmenvertrag vorgesehenen Kommunikationsmittel vereinbaren, sofern die betreffenden Leistungen auf Verlangen des Zahlungsdienstnutzers erbracht werden. (3) Darf ein Zahlungsdienstleister für die Bereitstellung von Informationen nach Absatz 2 ein Entgelt in Rechnung stellen, so muss es angemessen und an den tatsächlichen Kosten des Zahlungsdienstleisters ausgerichtet sein. Art. 41 Beweislast hinsichtlich der Informationsanforderungen Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Zahlungsdienstleister den Nachweis zu erbringen hat, dass er den Informationspflichten dieses Titels nachgekommen ist. Art. 42 Ausnahmen von den Informationsanforderungen für Kleinbetragszahlungsinstrumente und E-Geld (1) Im Falle von Zahlungsinstrumenten, die gemäß dem entsprechenden Rahmenvertrag nur einzelne Zahlungsvorgänge bis höchstens 30 EUR betreffen oder die entweder eine Ausgabenobergrenze von 150 EUR haben oder Geldbeträge speichern, die zu keiner Zeit 150 EUR übersteigen, a) teilt der Zahlungsdienstleister dem Zahler abweichend von den Artikeln 51, 52 und 56 nur die wesentlichen Merkmale des Zahlungsdienstes, einschließlich der Nutzungsmöglichkeiten des Zahlungsinstruments, Haftungshinweise sowie anfallende Entgelte und andere wesentliche Informationen mit, die notwendig sind, um in Kenntnis der Sachlage entscheiden zu können; ferner gibt er an, wo die weiteren nach Artikel 52 vorgeschriebenen Informationen und Vertragsbedingungen in leicht zugänglicher Form verfügbar sind; b) kann vereinbart werden, dass der Zahlungsdienstleister abweichend von Artikel 54 Änderungen der Bedingungen des Rahmenvertrags nicht in der in Artikel 51 Absatz 1 vorgesehenen Weise vorschlagen muss, c) kann abweichend von den Artikeln 57 und 58 vereinbart werden, dass der Zahlungsdienstleister nach Ausführung eines Zahlungsvorgangs i) dem Zahlungsdienstnutzer nur eine Referenz mitteilt oder zugänglich macht, die diesem die Identifizierung des betreffenden Zahlungsvorgangs, des Betrags des Zahlungsvorgangs und der entsprechenden Entgelte ermöglicht und/oder im Falle mehrerer gleichartiger Zahlungsvorgänge an den gleichen Zahlungsempfänger nur Informationen über den 348

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Gesamtbetrag und die entsprechenden Entgelte für diese Zahlungsvorgänge bereitstellt; ii) die unter Ziffer i genannten Informationen nicht mitteilen bzw. zugänglich machen muss, wenn das Zahlungsinstrument anonym genutzt wird oder der Zahlungsdienstleister ansonsten technisch nicht in der Lage ist, diese Informationen mitzuteilen. Der Zahlungsdienstleister bietet dem Zahler jedoch die Möglichkeit zur Überprüfung der gespeicherten Beträge. (2) Für innerstaatliche Zahlungsvorgänge können die Mitgliedstaaten oder ihre zuständigen Behörden die in Absatz 1 genannten Beträge verringern oder verdoppeln. Für Zahlungsinstrumente auf Guthabenbasis können die Mitgliedstaaten diese Beträge auf bis zu 500 EUR erhöhen.

Kapitel 2 – Einzelzahlungen Art. 43 Anwendungsbereich (1) Dieses Kapitel gilt für Einzelzahlungen, die nicht Gegenstand eines Rahmenvertrags sind. (2) Wird ein Zahlungsauftrag für eine Einzelzahlung über ein rahmenvertraglich geregeltes Zahlungsinstrument übermittelt, so ist der Zahlungsdienstleister nicht verpflichtet, Informationen, mitzuteilen oder zugänglich zu machen, die der Zahlungsdienstnutzer aufgrund eines Rahmenvertrags mit einem anderen Zahlungsdienstleister bereits erhalten hat oder noch erhalten wird,. Art. 44 Allgemeine vorvertragliche Unterrichtung (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Zahlungsdienstleister dem Zahlungsdienstnutzer die Informationen und Vertragsbedingungen gemäß Artikel 45 für seine eigenen Dienste in leicht zugänglicher Form verfügbar macht, bevor der Zahlungsdienstnutzer durch einen Vertrag oder ein Angebot über eine Einzelzahlung gebunden ist. Auf Verlangen des Zahlungsdienstnutzers teilt ihm der Zahlungsdienstleister die Informationen und Vertragsbedingungen in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger mit. Die Informationen und Vertragsbedingungen sind in einer Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem der Zahlungsdienst angeboten wird, oder in einer anderen zwischen den Parteien vereinbarten Sprache in leicht verständlichen Worten und in klarer und verständlicher Form abzufassen. (2) Wurde der Vertrag über eine Einzelzahlung auf Verlangen des Zahlungsdienstnutzers mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen, das es dem Zahlungsdienstleister nicht erlaubt, seinen Verpflichtungen nach Absatz 1 nachzukommen, so erfüllt der Zahlungsdienstleister diese Pflichten unverzüglich nach Ausführung des Zahlungsvorgangs. 349

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(3) Die Pflichten gemäß Absatz 1 können auch erfüllt werden, indem eine Kopie des Entwurfs für einen Vertrag über eine Einzelzahlung bzw. des Entwurfs für einen Zahlungsauftrag, der die nach Artikel 45 erforderlichen Informationen und Vertragsbedingungen enthält, zur Verfügung gestellt wird. Art. 45 Informationen und Vertragsbedingungen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass dem Zahlungsdienstnutzer vom Zahlungsdienstleister folgende Informationen und Vertragsbedingungen mitgeteilt oder zugänglich gemacht werden: a) die vom Zahlungsdienstnutzer mitzuteilenden Informationen oder Kundenidentifikatoren, die für die ordnungsgemäße Auslösung oder Ausführung eines Zahlungsauftrags erforderlich sind; b) die maximale Ausführungsfrist für den zu erbringenden Zahlungsdienst; c) alle Entgelte, die der Zahlungsdienstnutzer an den Zahlungsdienstleister zu entrichten hat, und gegebenenfalls eine Aufschlüsselung dieser Entgelte; d) gegebenenfalls der dem Zahlungsvorgang zugrunde zu legende tatsächliche Wechselkurs oder Referenzwechselkurs. (2) Zudem stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Zahlungsauslösedienstleister dem Zahler vor der Auslösung die folgenden klaren und umfassenden Informationen mitteilen oder zugänglich machen: a) den Namen des Zahlungsauslösedienstleisters, die Anschrift seiner Hauptverwaltung und gegebenenfalls die Anschrift seines Agenten oder seiner Zweigniederlassung in dem Mitgliedstaat, in dem der Zahlungsdienst angeboten wird, sowie alle anderen Kontaktdaten einschließlich der E-Mail-Adresse, die für die Kommunikation mit dem Zahlungsauslösedienstleister von Belang sind, und b) die Kontaktdaten der zuständigen Behörde. (3) Die anderen in Artikel 52 genannten einschlägigen Informationen und Vertragsbedingungen sind dem Zahlungsdienstnutzer gegebenenfalls in einer leicht zugänglichen Form zur Verfügung zu stellen. Art. 46 Informationen für Zahler und Zahlungsempfänger nach Auslösung eines Zahlungsauftrags Wird ein Zahlungsauftrag über einen Zahlungsauslösedienstleister ausgelöst, so teilt der Zahlungsauslösedienstleister zusätzlich zu den Informationen und Vertragsbedingungen nach Artikel 45 dem Zahler und gegebenenfalls dem Zahlungsempfänger unmittelbar nach der Auslösung alle nachstehenden Daten mit oder macht sie ihnen zugänglich: a) eine Bestätigung der erfolgreichen Auslösung des Zahlungsauftrags beim kontoführenden Zahlungsdienstleister des Zahlers; b) eine Referenz, die dem Zahler und dem Zahlungsempfänger die Identifizierung des Zahlungsvorgangs und dem Zahlungsempfänger gegebenenfalls 350

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die Identifizierung des Zahlers ermöglicht, sowie jede weitere mit dem Zahlungsvorgang übermittelte Angabe; c) den Betrag des Zahlungsvorgangs; d) gegebenenfalls die Höhe aller an den Zahlungsauslösedienstleister für den Zahlungsvorgang zu entrichtenden Entgelte sowie gegebenenfalls eine Aufschlüsselung der Beträge dieser Entgelte. Art. 47 Informationen für den kontoführenden Zahlungsdienstleister des Zahlers im Falle eines Zahlungsauslösedienstes Erfolgt die Auslösung eines Zahlungsauftrags durch einen Zahlungsauslösedienstleister, so macht dieser dem kontoführenden Zahlungsdienstleister des Zahlers die Referenz des Zahlungsvorgangs zugänglich. Art. 48 Informationen an den Zahler nach Eingang des Zahlungsauftrags Unverzüglich nach Eingang des Zahlungsauftrags teilt der Zahlungsdienstleister des Zahlers dem Zahler nach Maßgabe des Artikels 44 Absatz 1 alle nachstehenden Daten in Bezug auf seine eigenen Dienste mit oder macht sie ihm zugänglich: a) eine Referenz, die dem Zahler die Identifizierung des betreffenden Zahlungsvorgangs ermöglicht, sowie gegebenenfalls Angaben zum Zahlungsempfänger; b) den Betrag des Zahlungsvorgangs in der im Zahlungsauftrag verwendeten Währung; c) die Höhe der vom Zahler für den Zahlungsvorgang zu entrichtenden Entgelte, sowie gegebenenfalls eine Aufschlüsselung der Beträge dieser Entgelte; d) gegebenenfalls den Wechselkurs, den der Zahlungsdienstleister des Zahlers dem Zahlungsvorgang zugrunde gelegt hat, oder einen Verweis darauf, sofern dieser Kurs von dem in Artikel 45 Absatz 1 Buchstabe d genannten Kurs abweicht, und den Betrag des Zahlungsvorgangs nach dieser Währungsumrechnung; e) das Datum des Eingangs des Zahlungsauftrags. Art. 49 Informationen an den Zahler nach Eingang des Zahlungsauftrags Unverzüglich nach Ausführung des Zahlungsvorgangs teilt der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers dem Zahlungsempfänger nach Maßgabe des Artikels 44 Absatz 1 alle nachstehenden Daten in Bezug auf seine eigenen Dienste mit oder macht sie ihm zugänglich: a) eine Referenz, die dem Zahlungsempfänger die Identifizierung des betreffenden Zahlungsvorgangs und gegebenenfalls des Zahlers ermöglicht, sowie jede weitere mit dem Zahlungsvorgang übermittelte Angabe; 351

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b) den Betrag des Zahlungsvorgangs, in der Währung, in der er dem Zahlungsempfänger zur Verfügung steht; c) die Höhe aller vom Zahlungsempfänger für den Zahlungsvorgang zu entrichtenden Entgelte, und gegebenenfalls die Aufschlüsselung der Beträge dieser Entgelte; d) gegebenenfalls den Wechselkurs, den der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers dem Zahlungsvorgang zugrunde gelegt hat, und den Betrag des Zahlungsvorgangs vor dieser Währungsumrechnung; e) das Wertstellungsdatum der Gutschrift.

Kapitel 3 – Rahmenverträge Art. 50 Anwendungsbereich Dieses Kapitel gilt für Zahlungsvorgänge, die von einem Rahmenvertrag erfasst sind. Art. 51 Allgemeine Vorabunterrichtung (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Zahlungsdienstleister dem Zahlungsdienstnutzer die Informationen und Vertragsbedingungen gemäß Artikel 52 in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger rechtzeitig mitteilt, bevor der Zahlungsdienstnutzer durch einen Rahmenvertrag oder ein Vertragsangebot gebunden ist. Die Informationen und Vertragsbedingungen sind in einer Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem der Zahlungsdienst angeboten wird, oder in einer anderen zwischen den Parteien vereinbarten Sprache in leicht verständlichen Worten und in klarer und verständlicher Form abzufassen. (2) Wurde der Rahmenvertrag auf Verlangen des Zahlungsdienstnutzers mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen, das es dem Zahlungsdienstleister nicht erlaubt, seinen Verpflichtungen nach Absatz 1 nachzukommen, so erfüllt der Zahlungsdienstleister diese Pflichten unverzüglich nach Abschluss des Rahmenvertrags. (3) Die Pflichten gemäß Absatz 1 können auch erfüllt werden, indem eine Kopie des Rahmenvertragsentwurfs, der die nach Artikel 52 erforderlichen Informationen und Vertragsbedingungen enthält, übermittelt wird. Art. 52 Informationen und Vertragsbedingungen Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass dem Zahlungsdienstnutzer folgende Informationen und Bedingungen mitgeteilt werden: 1. über den Zahlungsdienstleister: a) der Name des Zahlungsdienstleisters, die Anschrift seiner Hauptverwaltung und gegebenenfalls die Anschrift seines Agenten oder seiner Zweigniederlassung in dem Mitgliedstaat, in dem der Zahlungsdienst 352

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angeboten wird, sowie alle anderen Anschriften einschließlich der EMail-Adresse, die für die Kommunikation mit dem Zahlungsdienstleister von Belang sind; b) die Angaben über die zuständigen Aufsichtsbehörden und das Register nach Artikel 14 oder jedes andere relevante öffentliche Register, in das der Zahlungsdienstleister als zugelassen eingetragen ist, sowie seine Registernummer oder eine gleichwertige in dem betreffenden Register verwendete Kennung; über die Nutzung des Zahlungsdienstes: a) eine Beschreibung der wesentlichen Merkmale des zu erbringenden Zahlungsdienstes; b) die vom Zahlungsdienstnutzer mitzuteilenden Informationen oder Kundenidentifikatoren, die für die ordnungsgemäße Auslösung oder Ausführung eines Zahlungsauftrags erforderlich sind; c) die Form und das Verfahren für die Zustimmung zur Auslösung eines Zahlungsauftrags oder zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs bzw. des Widerrufs dieser Zustimmung gemäß den Artikeln 64 und 80; d) der Zeitpunkt des Eingangs eines Zahlungsauftrags gemäß Artikel 78 und gegebenenfalls der vom Zahlungsdienstleister festgelegte Annahmeschluss; e) die maximale Ausführungsfrist für die zu erbringenden Zahlungsdienste; f) die Angabe, ob die Möglichkeit besteht, gemäß Artikel 68 Absatz 1 Ausgabenobergrenzen für die Nutzung des Zahlungsinstruments zu vereinbaren; g) im Fall von kartengebundenen Zahlungsinstrumenten, die durch CoBadging mehrere Zahlungsmarken tragen, die Rechte des Zahlungsdienstnutzers gemäß Artikel 8 der Verordnung (EU) 2015/751. über Entgelte, Zinsen und Wechselkurse: a) alle Entgelte, die der Zahlungsdienstnutzer an den Zahlungsdienstleister zu entrichten hat, einschließlich derjenigen, die sich danach richten, wie und wie oft die nach dieser Richtlinie geforderten Informationen mitgeteilt oder zugänglich gemacht werden, sowie gegebenenfalls die Aufschlüsselung der Beträge dieser Entgelte; b) gegebenenfalls die zugrunde gelegten Zinssätze und Wechselkurse oder — bei Anwendung von Referenzzinssätzen bzw. -wechselkursen — die Methode für die Berechnung der tatsächlichen Zinsen sowie den maßgeblichen Stichtag und den maßgeblichen Index oder die maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Referenzzinssatzes bzw. -wechselkurses; 353

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c) soweit vereinbart, die unmittelbare Anwendung von Änderungen des Referenzzinssatzes bzw. -wechselkurses und die Informationspflichten in Bezug auf diese Änderungen gemäß Artikel 54 Absatz 2; 4. über die Kommunikation: a) gegebenenfalls die Kommunikationsmittel, die zwischen den Parteien für die Übermittlung von Informationen und Anzeigen nach Maßgabe dieser Richtlinie vereinbart werden, einschließlich der technischen Anforderungen an die Ausstattung und die Software des Zahlungsdienstnutzers; b) Angaben dazu, wie und wie oft die nach dieser Richtlinie geforderten Informationen mitzuteilen oder zugänglich zu machen sind; c) die Sprache oder Sprachen, in der bzw. denen der Rahmenvertrag geschlossen wird und in der bzw. denen die Kommunikation für die Dauer des Vertragsverhältnisses erfolgen soll; d) ein Hinweis auf das Recht des Zahlungsdienstnutzers, Informationen und die Vertragsbedingungen des Rahmenvertrags nach Maßgabe des Artikels 53 zu erhalten; 5. über Schutz- und Abhilfemaßnahmen: a) gegebenenfalls eine Beschreibung der Vorkehrungen, die der Zahlungsdienstnutzer für die sichere Aufbewahrung eines Zahlungsinstruments zu treffen hat, und wie der Anzeigepflicht gegenüber dem Zahlungsdienstleister nach Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe b nachzukommen ist; b) eine Beschreibung des sicheren Verfahrens zur Unterrichtung des Zahlungsdienstnutzers durch den Zahlungsdienstleister im Falle vermuteten oder tatsächlichen Betrugs oder bei Sicherheitsrisiken; c) sofern vereinbart, die Bedingungen, unter denen sich der Zahlungsdienstleister das Recht vorbehält, ein Zahlungsinstrument nach Maßgabe des Artikels 68 zu sperren; d) Informationen zur Haftung des Zahlers nach Artikel 74 einschließlich Angaben zum relevanten Betrag; e) Angaben dazu, wie und innerhalb welcher Frist der Zahlungsdienstnutzer dem Zahlungsdienstleister nicht autorisierte oder fehlerhaft ausgelöste oder ausgeführte Zahlungsvorgänge gemäß Artikel 71 anzeigen muss, sowie Informationen über die Haftung des Zahlungsdienstleisters bei nicht autorisierten Zahlungsvorgängen gemäß Artikel 73; f) Informationen über die Haftung des Zahlungsdienstleisters bei der Auslösung oder Ausführung von Zahlungsvorgängen gemäß Artikel 89 und 90; g) die Bedingungen für Erstattungen nach den Artikeln 76 und 77; 6. über Änderungen und Kündigung des Rahmenvertrags: 354

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a) soweit vereinbart, die Angabe, dass die Zustimmung des Zahlungsdienstnutzers zu einer Änderung der Vertragsbedingungen nach Artikel 54 als erteilt gilt, außer der Zahlungsdienstnutzer zeigt dem Zahlungsdienstleister seine Ablehnung vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bedingungen an; b) die Laufzeit des Rahmenvertrags; c) ein Hinweis auf das Recht des Zahlungsdienstnutzers, den Rahmenvertrag zu kündigen, sowie auf sonstige kündigungsrelevante Vereinbarungen nach Artikel 54 Absatz 1 und Artikel 55; über den Rechtsbehelf: a) die Vertragsklauseln über das auf den Rahmenvertrag anwendbare Recht und/oder die zuständigen Gerichte; b) ein Hinweis auf die dem Zahlungsdienstnutzer gemäß den Artikeln 99 bis 102 offenstehenden außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren.

Art. 53 Zugänglichkeit der Informationen und der Vertragsbedingungen des Rahmenvertrags Der Zahlungsdienstnutzer hat jederzeit während der Vertragslaufzeit Anspruch darauf, auf seine Aufforderung hin die Vertragsbedingungen des Rahmenvertrags sowie die in Artikel 52 genannten Informationen und Vertragsbedingungen in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zu erhalten. Art. 54 Änderungen der Vertragsbedingungen (1) Der Zahlungsdienstleister schlägt Änderungen des Rahmenvertrags oder der in Artikel 52 genannten Informationen und Vertragsbedingungen in der in Artikel 51 Absatz 1 vorgesehenen Weise spätestens zwei Monate vor dem geplanten Tag ihrer Anwendung vor. Der Zahlungsdienstnutzer kann den Änderungen vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt ihres Inkrafttretens entweder zustimmen oder sie ablehnen. Sofern gemäß Artikel 52 Nummer 6 Buchstabe a vereinbart, setzt der Zahlungsdienstleister den Zahlungsdienstnutzer davon in Kenntnis, dass dessen Zustimmung zu den Änderungen als erteilt gilt, wenn er dem Zahlungsdienstleister seine Ablehnung nicht vor dem vorgeschlagenen Tag des Inkrafttretens der geänderten Bedingungen angezeigt hat. Der Zahlungsdienstleister setzt den Zahlungsdienstnutzer ferner davon in Kenntnis, dass der Zahlungsdienstnutzer, wenn er diese Änderungen ablehnt, das Recht hat, den Rahmenvertrag jederzeit bis zum Tag der Anwendung der Änderungen kostenlos zu kündigen. (2) Änderungen der Zinssätze oder der Wechselkurse können unmittelbar und ohne vorherige Benachrichtigung angewandt werden, sofern dieses Recht im Rahmenvertrag vereinbart wurde und die Änderungen der Zinssätze oder Wech355

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selkurse auf den gemäß Artikel 52 Nummer 3 Buchstaben b und c vereinbarten Referenzzinssätzen oder -wechselkursen beruhen. Der Zahlungsdienstnutzer ist so rasch wie möglich in der in Artikel 51 Absatz 1 vorgesehenen Weise von jeder Änderung des Zinssatzes zu unterrichten, es sei denn, die Parteien haben eine besondere Vereinbarung darüber getroffen, wie oft und wie die Informationen mitzuteilen oder zugänglich zu machen sind. Änderungen der Zinssätze oder Wechselkurse, die für den Zahlungsdienstnutzer günstiger sind, können jedoch ohne Benachrichtigung angewandt werden. (3) Die den Zahlungsvorgängen zugrunde gelegten geänderten Zinssätze oder Wechselkurse sind neutral anzuwenden und so zu berechnen, dass Zahlungsdienstnutzer nicht benachteiligt werden. Art. 55 Kündigung (1) Der Zahlungsdienstnutzer kann den Rahmenvertrag jederzeit kündigen, sofern die Parteien nicht eine Kündigungsfrist vereinbart haben. Die Kündigungsfrist darf einen Monat nicht überschreiten. (2) Die Kündigung des Rahmenvertrags muss für den Zahlungsdienstnutzer kostenlos sein, es sei denn, der Vertrag war weniger als sechs Monate in Kraft. Sofern Entgelte für die Kündigung des Rahmenvertrags anfallen, müssen sie angemessen und an den Kosten ausgerichtet sein. (3) Sofern im Rahmenvertrag vereinbart, kann der Zahlungsdienstleister einen auf unbestimmte Zeit geschlossenen Rahmenvertrag unter Einhaltung einer Zweimonatsfrist nach Maßgabe des Artikels 51 Absatz 1 kündigen. (4) Regelmäßig erhobene Zahlungsdienstentgelte sind nur anteilmäßig bis zur Kündigung des Vertrags durch den Zahlungsdienstnutzer zu entrichten. Im Voraus gezahlte Entgelte sind anteilmäßig zu erstatten. (5) Dieser Artikel berührt nicht die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über das Recht der Parteien, den Rahmenvertrag für aufgehoben oder nichtig zu erklären. (6) Die Mitgliedstaaten können Vorschriften erlassen, die für Zahlungsdienstnutzer vorteilhafter sind. Art. 56 Information vor Ausführung einzelner Zahlungsvorgänge Im Fall eines einzelnen Zahlungsvorgangs innerhalb eines Rahmenvertrags, der durch den Zahler ausgelöst wurde, teilt der Zahlungsdienstleister auf Verlangen des Zahlers für diesen bestimmten Zahlungsvorgang genaue Informationen über alles Folgende mit: a) die maximale Ausführungsfrist; b) die dem Zahler in Rechnung gestellten Entgelte; c) gegebenenfalls eine Aufschlüsselung der Beträge aller Entgelte. 356

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Art. 57 Informationen an den Zahler bei einzelnen Zahlungsvorgängen (1) Nach Belastung des Kontos des Zahlers mit dem Betrag eines einzelnen Zahlungsvorgangs oder — falls der Zahler kein Zahlungskonto verwendet — nach Eingang des Zahlungsauftrags teilt der Zahlungsdienstleister des Zahlers dem Zahler unverzüglich und nach Maßgabe des Artikels 51 Absatz 1 alle nachstehenden Informationen mit: a) eine Referenz, die dem Zahler die Identifizierung des betreffenden Zahlungsvorgangs ermöglicht, sowie gegebenenfalls Angaben zum Zahlungsempfänger; b) den Betrag des Zahlungsvorgangs, in der Währung, in der das Zahlungskonto des Zahlers belastet wird, oder in der Währung, die im Zahlungsauftrag verwendet wird; c) die für den Zahlungsvorgang zu entrichtenden Entgelte und gegebenenfalls eine Aufschlüsselung der Beträge dieser Entgelte oder die vom Zahler zu entrichtenden Zinsen; d) gegebenenfalls den Wechselkurs, den der Zahlungsdienstleister des Zahlers dem Zahlungsvorgang zugrunde gelegt hat, und den Betrag des Zahlungsvorgangs nach dieser Währungsumrechnung; e) das Wertstellungsdatum der Belastung oder das Datum des Eingangs des Zahlungsauftrags. (2) Der Rahmenvertrag enthält eine Klausel, der zufolge der Zahler verlangen kann, dass die Informationen nach Absatz 1 mindestens einmal monatlich kostenlos und nach einem vereinbarten Verfahren so mitgeteilt oder zugänglich gemacht werden, dass der Zahler die Informationen unverändert aufbewahren und reproduzieren kann. (3) Die Mitgliedstaaten können Zahlungsdienstleistern jedoch vorschreiben, dass die Informationen in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger mindestens einmal monatlich kostenlos mitgeteilt werden. Art. 58 Informationen an den Zahler bei einzelnen Zahlungsvorgängen (1) Nach Ausführung eines einzelnen Zahlungsvorgangs teilt der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers dem Zahlungsempfänger unverzüglich alle nachstehenden Angaben nach Maßgabe des Artikels 51 Absatz 1 alle folgenden Informationen mit: a) eine Referenz, die dem Zahlungsempfänger die Identifizierung des Zahlungsvorgangs und des Zahlers ermöglicht, sowie alle weiteren mit dem Zahlungsvorgang übermittelten Angaben; b) den Betrag des Zahlungsvorgangs, in der Währung, in der der Betrag dem Zahlungskonto des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wird; 357

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c) die für den Zahlungsvorgang zu entrichtenden Entgelte und gegebenenfalls eine Aufschlüsselung dieser Entgelte oder die vom Zahlungsempfänger zu entrichtenden Zinsen; d) gegebenenfalls den Wechselkurs, den der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers dem Zahlungsvorgang zugrunde gelegt hat, und den Betrag des Zahlungsvorgangsvor dieser Währungsumrechnung; e) das Wertstellungsdatum der Gutschrift. (2) Der Rahmenvertrag kann eine Klausel enthalten, wonach die Informationen nach Absatz 1 mindestens einmal monatlich und nach einem vereinbarten Verfahren so mitgeteilt oder zugänglich gemacht werden, dass der Zahlungsempfänger die Informationen unverändert aufbewahren und reproduzieren kann. (3) Die Mitgliedstaaten können Zahlungsdienstleistern jedoch vorschreiben, dass die Informationen in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger mindestens einmal monatlich kostenlos mitgeteilt werden.

Kapitel 4 – Gemeinsame Bestimmungen Art. 59 Währung und Währungsumrechnung (1) Die Zahlungen erfolgen in der zwischen den Parteien vereinbarten Währung. (2) Wird vor Auslösung eines Zahlungsvorgangs eine Währungsumrechnung angeboten, und zwar an einem Geldautomaten, an der Verkaufsstelle oder vom Zahlungsempfänger, so muss der Anbieter dieser Währungsumrechnung dem Zahler alle damit verbundenen Entgelte sowie den der Währungsumrechnung zugrunde gelegten Wechselkurs offen legen. Der Zahler muss der auf dieser Grundlage angebotenen Währungsumrechnung zustimmen. Art. 60 Informationen über zusätzliche Entgelte oder Ermäßigungen (1) Verlangt der Zahlungsempfänger für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments ein Entgelt oder bietet er eine Ermäßigung an, so teilt er das dem Zahler vor Auslösung des Zahlungsvorgangs mit. (2) Verlangt der Zahlungsdienstleister oder eine andere, an dem Zahlungsvorgang beteiligte Partei für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments ein Entgelt, so teilt der Zahlungsdienstleister oder die andere Partei das dem Zahlungsdienstnutzer vor der Auslösung des Zahlungsvorgangs mit. (3) Der Zahler ist nur dann zur Zahlung der Entgelte nach den Absätzen 1 und 2 verpflichtet, wenn deren volle Höhe vor der Auslösung des Zahlungsvorgangs bekannt gemacht wurde.

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Titel IV – Rechte und Pflichten bei der Erbringung und Nutzung von Zahlungsdiensten Kapitel 1 – Gemeinsame Bestimmungen Art. 61 Anwendungsbereich (1) Handelt es sich bei dem Zahlungsdienstnutzer nicht um einen Verbraucher, können der Zahlungsdienstnutzer und der Zahlungsdienstleister vereinbaren, dass Artikel 62 Absatz 1, Artikel 64 Absatz 3 sowie die Artikel 72, 74, 76, 77, 80, 89 und 90 ganz oder teilweise nicht angewandt werden. Der Zahlungsdienstnutzer und der Zahlungsdienstleister können auch andere als die in Artikel 71 vorgesehenen Fristen vereinbaren. (2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Artikel 102 keine Anwendung findet, wenn es sich bei dem Zahlungsdienstnutzer nicht um einen Verbraucher handelt. (3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Bestimmungen dieses Titels auf Kleinstunternehmen in gleicher Weise angewandt werden wie auf Verbraucher. (4) Diese Richtlinie berührt nicht die Richtlinie 2008/48/EG, anderes einschlägiges Unionsrecht oder mit dem Unionsrecht vereinbare nationale Maßnahmen im Zusammenhang mit den durch die vorliegende Richtlinie nicht harmonisierten Bedingungen für die Gewährung von Krediten an Verbraucher. Art. 62 Entgelte (1) Der Zahlungsdienstleister darf dem Zahlungsdienstnutzer für die Erfüllung seiner Informationspflichten oder für Berichtigungs- und Schutzmaßnahmen nach diesem Titel nur dann Entgelte in Rechnung stellen, wenn das in Artikel 79 Absatz 1, Artikel 80 Absatz 5 und Artikel 88 Absatz 4 ausdrücklich vorgesehen ist. Diese Entgelte müssen zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister vereinbart werden; sie müssen angemessen und an den tatsächlichen Kosten des Zahlungsdienstleisters ausgerichtet sein. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass bei Zahlungsvorgängen innerhalb der Union, bei denen sowohl der Zahlungsdienstleister des Zahlers als auch der des Zahlungsempfängers in der Union ansässig ist oder — falls nur ein einziger Zahlungsdienstleister an dem Zahlungsvorgang beteiligt ist — dieser in der Union ansässig ist, Zahlungsempfänger und Zahler die von ihrem jeweiligen Zahlungsdienstleister erhobenen Entgelte tragen. (3) Der Zahlungsdienstleister darf dem Zahlungsempfänger nicht verwehren, vom Zahler für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments ein Entgelt zu verlangen, ihm eine Ermäßigung anzubieten oder ihm anderweitig einen Anreiz zur Nutzung dieses Instruments zu geben. Entgelte dürfen nicht höher sein 359

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als die direkten Kosten, die dem Zahlungsempfänger für die Nutzung des betreffenden Zahlungsinstruments entstehen. (4) Die Mitgliedstaaten stellen in jedem Fall sicher, dass der Zahlungsempfänger keine Entgelte für die Nutzung von Zahlungsinstrumenten verlangt, für die mit Kapitel II der Verordnung (EU) 2015/751 Interbankenentgelte festgelegt geregelt werden, und für die Zahlungsdienstleistungen, auf die die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 anwendbar ist. (5) Die Mitgliedstaaten können dem Zahlungsempfänger die Erhebung von Entgelten untersagen oder dieses Recht begrenzen; dabei tragen sie der Notwendigkeit Rechnung, den Wettbewerb und die Nutzung effizienter Zahlungsinstrumente zu fördern. Art. 63 Ausnahmeregelung für Kleinbetragszahlungsinstrumente und EGeld (1) Im Falle von Zahlungsinstrumenten, die gemäß dem Rahmenvertrag nur einzelne Zahlungsvorgänge bis höchstens 30 EUR betreffen oder die entweder eine Ausgabenobergrenze von 150 EUR haben oder Geldbeträge speichern, die zu keiner Zeit 150 EUR übersteigen, können die Zahlungsdienstleister mit ihren Zahlungsdienstnutzern vereinbaren, dass a) Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe b, Artikel 70 Absatz 1 Buchstaben c und d sowie Artikel 74 Absatz 3 keine Anwendung finden, wenn das Zahlungsinstrument nicht gesperrt werden oder eine weitere Nutzung nicht verhindert werden kann; b) die Artikel 72 und 73 sowie Artikel 74 Absätze 1 und 3 keine Anwendung finden, wenn das Zahlungsinstrument anonym genutzt wird oder der Zahlungsdienstleister aus anderen Gründen, die dem Zahlungsinstrument immanent sind, nicht nachweisen kann, dass ein Zahlungsvorgang autorisiert war; c) abweichend von Artikel 79 Absatz 1 der Zahlungsdienstleister nicht verpflichtet ist, den Zahlungsdienstnutzer von einer Ablehnung des Zahlungsauftrags zu unterrichten, wenn die Nichtausführung aus dem Zusammenhang hervorgeht; d) abweichend von Artikel 80 der Zahler den Zahlungsauftrag nach dessen Übermittlung bzw. nachdem er dem Zahlungsempfänger seine Zustimmung zum Zahlungsauftrag erteilt hat, nicht widerrufen kann; e) abweichend von den Artikeln 83 und 84 andere Ausführungsfristen gelten. (2) Für innerstaatliche Zahlungsvorgänge können die Mitgliedstaaten oder ihre zuständigen Behörden die in Absatz 1 genannten Beträge verringern oder verdoppeln. Für Zahlungsinstrumente auf Guthabenbasis können diese Beträge auf bis zu 500 EUR erhöht werden (3) Die Artikel 73 und 74 gelten auch für E-Geld im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Richtlinie 2009/110/EG, außer in dem Fall, in dem der Zahlungsdienst360

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leister des Zahlers nicht die Möglichkeit hat, das Zahlungskonto, auf dem das E-Geld gespeichert ist, oder das Zahlungsinstrument zu sperren. Die Mitgliedstaaten können diese Ausnahmeregelung auf Zahlungskonten, auf denen das E-Geld gespeichert ist, oder auf Zahlungsinstrumente mit einem gewissen Wert beschränken.

Kapitel 2 – Autorisierung von Zahlungsvorgängen Art. 64 Zustimmung und Widerruf der Zustimmung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Zahlungsvorgang nur dann als autorisiert gilt, wenn der Zahler der Ausführung des Zahlungsvorgangs zugestimmt hat. Der Zahler kann einen Zahlungsvorgang entweder vor oder — sofern zwischen dem Zahler und dem Zahlungsdienstleister so vereinbart — nach der Ausführung autorisieren. (2) Die Zustimmung zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs oder mehrerer Zahlungsvorgänge wird in der zwischen dem Zahler und dem Zahlungsdienstleister vereinbarten Form erteilt. Die Zustimmung zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs kann auch über den Zahlungsempfänger oder den Zahlungsauslösedienstleister erteilt werden. Fehlt diese Zustimmung, gilt der Zahlungsvorgang als nicht autorisiert. (3) Die Zustimmung kann vom Zahler jederzeit widerrufen werden, jedoch nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem nach Artikel 80 die Unwiderruflichkeit eintritt. Auch die Zustimmung zur Ausführung mehrerer Zahlungsvorgänge kann widerrufen werden; in diesem Fall gilt jeder nachfolgende Zahlungsvorgang als nicht autorisiert. (4) Das Verfahren für die Erteilung der Zustimmung wird zwischen dem Zahler und dem(den) betroffenen Zahlungsdienstleister(n) vereinbart. Art. 65 Bestätigung der Verfügbarkeit eines Geldbetrags (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein kontoführender Zahlungsdienstleister auf Ersuchen eines Zahlungsdienstleisters, der kartengebundene Zahlungsinstrumente ausgibt, unverzüglich bestätigt, ob ein für die Ausführung eines kartengebundenen Zahlungsvorgangs erforderlicher Betrag auf dem Zahlungskonto des Zahlers verfügbar ist, sofern alle nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) das Zahlungskonto des Zahlers ist zum Zeitpunkt des Ersuchens online zugänglich; b) der Zahler hat dem kontoführenden Zahlungsdienstleister seine ausdrückliche Zustimmung erteilt, den Ersuchen eines bestimmten Zahlungsdienstleisters um Bestätigung der Verfügbarkeit des Betrags, der einem bestimmten kartengebundenen Zahlungsvorgang entspricht, auf dem Zahlungskonto des Zahlers nachzukommen; 361

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c) die Zustimmung nach Buchstabe b ist erteilt worden, bevor das erste Ersuchen um Bestätigung ergeht. (2) Der Zahlungsdienstleister kann um die Bestätigung nach Absatz 1 ersuchen, wenn alle nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) der Zahler hat dem Zahlungsdienstleister seine ausdrückliche Zustimmung erteilt, um die Bestätigung nach Absatz 1 zu ersuchen; b) der Zahler hat den kartengebundenen Zahlungsvorgang für den betreffenden Betrag unter Verwendung eines vom Zahlungsdienstleister ausgegebenen kartengebundenen Zahlungsinstruments ausgelöst; c) der Zahlungsdienstleister authentifiziert sich gegenüber dem kontoführenden Zahlungsdienstleister vor jedem einzelnen Ersuchen um Bestätigung und kommuniziert mit dem kontoführenden Zahlungsdienstleister gemäß Artikel 98 Absatz 1 Buchstabe d auf sichere Weise. (3) Die Bestätigung nach Absatz 1 besteht im Einklang mit der Richtlinie 95/ 46/EG ausschließlich aus „Ja“ oder „Nein“, nicht jedoch in der Mitteilung des Kontostands. Diese Antwort darf nicht gespeichert oder für andere Zwecke als für die Ausführung des kartengebundenen Zahlungsvorgangs verwendet werden. (4) Die Bestätigung nach Absatz 1 gestattet dem kontoführenden Zahlungsdienstleister nicht, einen Geldbetrag auf dem Zahlungskonto des Zahlers zu blockieren. (5) Der Zahler kann den kontoführenden Zahlungsdienstleister ersuchen, ihm die Identifizierungsdaten des Zahlungsdienstleisters und die erteilte Antwort mitzuteilen. (6) Dieser Artikel gilt nicht für Zahlungsvorgänge, die durch kartengebundene Zahlungsinstrumente ausgelöst wurden, auf denen E-Geld im Sinne im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Richtlinie 2009/110/EG gespeichert ist. Art. 66 Vorschriften für den Zugang zum Zahlungskonto im Fall von Zahlungsauslösediensten (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Zahler das Recht hat, die in Anhang I Nummer 7 genannten Zahlungsdienste über einen Zahlungsauslösedienstleister zu nutzen. Das Recht, einen Zahlungsauslösedienstleister zu nutzen, besteht nicht, wenn das Zahlungskonto nicht online zugänglich ist. (2) Erteilt der Zahler seine ausdrückliche Zustimmung zur Ausführung einer Zahlung gemäß Artikel 64, so nimmt der kontoführende Zahlungsdienstleister die Handlungen gemäß Absatz 4 des vorliegenden Artikels vor, um das Recht des Zahlers, den Zahlungsauslösedienst zu nutzen, zu gewährleisten. (3) Der Zahlungsauslösedienstleister: a) darf zu keiner Zeit Geldbeträge des Zahlers im Zusammenhang mit der Bereitstellung des Zahlungsauslösedienstes halten; 362

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b) muss sicherstellen, dass die personalisierten Sicherheitsmerkmale des Zahlungsdienstnutzers keiner anderen Partei als dem Nutzer und dem Emittenten der personalisierten Sicherheitsmerkmale zugänglich sind und dass sie vom Zahlungsauslösedienstleister über sichere und effiziente Kanäle übermittelt werden; c) muss sicherstellen, dass alle anderen Informationen über den Zahlungsdienstnutzer, die er bei der Bereitstellung von Zahlungsauslösediensten erlangt hat, nur dem Zahlungsempfänger und nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Zahlungsdienstnutzers mitgeteilt werden; d) muss sich gemäß Artikel 98 Absatz 1 Buchstabe d gegenüber dem kontoführenden Zahlungsdienstleister des Zahlers jedes Mal, wenn eine Zahlung ausgelöst wird, identifizieren und mit dem kontoführenden Zahlungsdienstleister, dem Zahler und dem Zahlungsempfänger auf sichere Weise kommunizieren; e) darf keine sensiblen Zahlungsdaten des Zahlungsdienstnutzers speichern; f) darf vom Zahlungsdienstnutzer keine anderen als die für das Erbringen des Zahlungsauslösedienstes erforderlichen Daten verlangen; g) darf Daten nicht für andere Zwecke als für das Erbringen des vom Zahler ausdrücklich geforderten Zahlungsauslösedienstes verwenden, darauf zugreifen und speichern; h) darf den Betrag, den Zahlungsempfänger oder ein anderes Merkmal des Zahlungsvorgangs nicht ändern. (4) Der kontoführende Zahlungsdienstleister muss a) gemäß Artikel 98 Absatz 1 Buchstabe d mit Zahlungsauslösedienstleistern auf sichere Weise kommunizieren; b) unmittelbar nach Eingang des Zahlungsauftrags von einem Zahlungsauslösedienstleister diesem alle Informationen über die Auslösung des Zahlungsvorgangs und alle ihm selbst zugänglichen Informationen hinsichtlich der Ausführung des Zahlungsvorgangs mitteilen oder zugänglich machen; c) Zahlungsaufträge, die über die Dienste eines Zahlungsauslösedienstleisters übermittelt werden, insbesondere in Bezug auf zeitliche Abwicklung, Prioritäten oder Entgelte, in derselben Weise behandeln wie Zahlungsaufträge, die der Zahler direkt übermittelt hat, es sei denn, es liegen objektive Gründe für eine Andersbehandlung vor. (5) Das Erbringen von Zahlungsauslösediensten ist nicht vom Bestehen einer vertraglichen Beziehung zu diesem Zweck zwischen den Zahlungsauslösedienstleistern und den kontoführenden Zahlungsdienstleistern abhängig. Art. 67 Vorschriften für den Zugang zu Zahlungskontoinformationen und deren Nutzung im Fall von Kontoinformationsdiensten (1) Die Mitgliedstaa363

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ten stellen sicher, dass ein Zahlungsdienstnutzer das Recht hat, Dienste, die den Zugang zu Zahlungskontoinformationen gemäß Anhang I Nummer 8 ermöglichen, zu nutzen. Dieses Recht besteht nicht, wenn das Zahlungskonto nicht online zugänglich ist. (2) Der Kontoinformationsdienstleister: a) darf die Dienstleistungen nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des Zahlungsdienstnutzers erbringen; b) muss sicherstellen, dass die personalisierten Sicherheitsmerkmale des Zahlungsdienstnutzers keiner anderen Partei als dem Nutzer und dem Emittenten der personalisierten Sicherheitsmerkmale zugänglich sind und dass die Übermittlung durch den Kontoinformationsdienstleister über sichere und effiziente Kanäle erfolgt; c) muss sich gemäß Artikel 98 Absatz 1 Buchstabe d gegenüber dem (den) kontoführenden Zahlungsdienstleister(n) des Zahlungsdienstnutzers bei jedem Kommunikationsvorgang identifizieren und mit dem (den) kontoführenden Zahlungsdienstleister(n) und dem Zahlungsdienstnutzer auf sichere Weise kommunizieren; d) darf nur auf Informationen von bezeichneten Zahlungskonten und damit in Zusammenhang stehenden Zahlungsvorgängen zugreifen; e) darf keine sensiblen Zahlungsdaten anfordern, die mit den Zahlungskonten in Zusammenhang stehen; f) darf im Einklang mit den Datenschutzvorschriften Daten nicht für andere Zwecke als für den vom Zahlungsdienstnutzer ausdrücklich geforderten Kontoinformationsdienst verwenden, darauf zugreifen oder speichern. (3) Der kontoführende Zahlungsdienstleister muss in Bezug auf Zahlungskonten a) gemäß Artikel 98 Absatz 1 Buchstabe d mit den Zahlungsauslösedienstleistern auf sichere Weise kommunizieren und b) Datenanfragen, die über die Dienste eines Kontoinformationsdienstleisters übermittelt werden, ohne Diskriminierung behandeln, es sei denn, es liegen objektive Gründe für eine Andersbehandlung vor. (4) Das Erbringen von Kontoinformationsdiensten ist nicht vom Bestehen einer vertraglichen Beziehung zu diesem Zweck zwischen den Kontoinformationsdienstleistern und den kontoführenden Zahlungsdienstleistern abhängig. Art. 68 Begrenzung der Nutzung des Zahlungsinstruments und des Zugangs von Zahlungsdienstleistern zu Zahlungskonten (1) Wenn eine Zustimmung mittels eines bestimmten Zahlungsinstruments erteilt wird, können der Zahler und sein Zahlungsdienstleister Ausgabenobergrenzen für Zahlungsvorgänge, die durch dieses Zahlungsinstrument ausgeführt werden, vereinbaren. (2) Bei einer entsprechenden Vereinbarung im Rahmenvertrag kann der Zahlungsdienstleister sich das Recht vorbehalten, ein Zahlungsinstrument zu sper364

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ren, wenn objektive Gründe im Zusammenhang mit der Sicherheit des Zahlungsinstruments es rechtfertigen, der Verdacht einer nicht autorisierten oder betrügerischen Nutzung des Zahlungsinstruments besteht oder im Fall eines Zahlungsinstruments mit einer Kreditlinie ein beträchtlich erhöhtes Risiko besteht, dass der Zahler seiner Zahlungspflicht nicht nachkommen kann. (3) In diesen Fällen unterrichtet der Zahlungsdienstleister den Zahler möglichst vor, spätestens jedoch unverzüglich nach der Sperrung des Zahlungsinstruments in einer vereinbarten Form von der Sperrung und den Gründen hierfür, es sei denn, das würde objektiv gerechtfertigten Sicherheitserwägungen zuwiderlaufen oder gegen sonstiges einschlägiges Recht der Union oder der Mitgliedstaaten verstoßen. (4) Der Zahlungsdienstleister hebt die Sperrung des Zahlungsinstruments auf oder ersetzt es durch ein neues Zahlungsinstrument, wenn die Gründe für die Sperrung nicht mehr gegeben sind. (5) Ein kontoführender Zahlungsdienstleister kann einem Kontoinformationsdienstleister oder einem Zahlungsauslösedienstleister den Zugang zu einem Zahlungskonto verweigern, wenn objektive und gebührend nachgewiesene Gründe im Zusammenhang mit einem nicht autorisierten oder betrügerischen Zugang des Kontoinformationsdienstleisters oder des Zahlungsauslösedienstleisters zum Zahlungskonto, einschließlich der nicht autorisierten oder betrügerischen Auslösung eines Zahlungsvorgangs, es rechtfertigen. In diesen Fällen unterrichtet der kontoführende Zahlungsdienstleister den Zahler in einer vereinbarten Form über die Verweigerung des Zugangs und die Gründe hierfür. Diese Information wird dem Zahler möglichst vor, spätestens jedoch unverzüglich nach der Verweigerung des Zugangs zum Zahlungskonto gegeben, es sei denn, das würde objektiv begründeten Sicherheitserwägungen zuwiderlaufen oder gegen sonstiges einschlägiges Recht der Union oder der Mitgliedstaaten verstoßen. Der kontoführende Zahlungsdienstleister gewährt Zugang zu dem Zahlungskonto, sobald die Gründe für die Verweigerung des Zugangs nicht mehr bestehen. (6) In den Fällen nach Absatz 5 meldet der kontoführende Zahlungsdienstleister der zuständigen Behörde unverzüglich den Vorfall im Zusammenhang mit dem Kontoinformationsdienstleister oder dem Zahlungsauslösedienstleister. Die gemeldeten Informationen umfassen die einschlägigen Einzelheiten des Vorfalls und die Gründe für das Tätigwerden. Die zuständige Behörde bewertet den Fall und ergreift erforderlichenfalls geeignete Maßnahmen. Art. 69 Pflichten des Zahlungsdienstnutzers in Bezug auf Zahlungsinstrumente und personalisierte Sicherheitsmerkmale (1) Der zur Nutzung eines Zahlungsinstruments berechtigte Zahlungsdienstnutzer 365

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a) hält bei der Nutzung des Zahlungsinstruments die Bedingungen für dessen Ausgabe und Nutzung ein, die objektiv, nichtdiskriminierend und verhältnismäßig sein müssen; b) zeigt dem Zahlungsdienstleister oder der von diesem benannten Stelle den Verlust, den Diebstahl, die missbräuchliche Verwendung oder die nicht autorisierte Nutzung des Zahlungsinstruments unverzüglich an, sobald er davon Kenntnis erhält. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a trifft der Zahlungsdienstnutzer unmittelbar nach Erhalt eines Zahlungsinstruments alle zumutbaren Vorkehrungen, um seine personalisierten Sicherheitsmerkmale vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Art. 70 Pflichten des Zahlungsdienstleisters in Bezug auf Zahlungsinstrumente (1) Der Zahlungsdienstleister, der ein Zahlungsinstrument ausgibt: a) muss unbeschadet der Pflichten des Zahlungsdienstnutzers nach Artikel 69 sicherstellen, dass die personalisierten Sicherheitsmerkmale keiner anderen Person als dem zur Nutzung des Zahlungsinstruments berechtigten Zahlungsdienstnutzer zugänglich sind; b) darf dem Zahlungsdienstnutzer nicht unaufgefordert ein Zahlungsinstrument zusenden, es sei denn, ein bereits an den Zahlungsdienstnutzer ausgegebenes Zahlungsinstrument muss ersetzt werden; c) muss sicherstellen, dass der Zahlungsdienstnutzer durch geeignete Mittel jederzeit die Möglichkeit hat, eine Anzeige gemäß Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe b vorzunehmen oder die Aufhebung der Sperrung des Zahlungsinstruments gemäß Artikel 68 Absatz 4 zu verlangen; er stellt dem Zahlungsdienstnutzer auf Verlangen die Mittel zur Verfügung, mit denen dieser bis zu 18 Monate nach der Anzeige nachweisen kann, dass der Zahlungsdienstnutzer seiner Anzeigepflicht nachgekommen ist; d) bietet dem Zahlungsdienstnutzer die Möglichkeit, eine Anzeige gemäß Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe b kostenlos vorzunehmen, und darf allenfalls, ausschließlich die direkt mit dem Zahlungsinstrument verbundenen Ersatzkosten anrechnen; e) muss jede Nutzung des Zahlungsinstruments verhindern, sobald eine Anzeige nach Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe b erfolgt ist. (2) Der Zahlungsdienstleister trägt das Risiko der Versendung eines Zahlungsinstruments oder personalisierter Sicherheitsmerkmale des Zahlungsinstruments an den Zahlungsdienstnutzer. Art. 71 Anzeige und Korrektur nicht autorisierter oder fehlerhaft ausgeführter Zahlungsvorgänge (1) Der Zahlungsdienstnutzer kann nur dann eine 366

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Korrektur eines nicht autorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgangs durch den Zahlungsdienstleister erwirken, wenn der Zahlungsdienstnutzer unverzüglich nach Feststellung eines solchen Zahlungsvorgangs, der zur Entstehung eines Anspruchs — einschließlich eines solchen nach Artikel 89 — geführt hat, jedoch spätestens 13 Monate nach dem Tag der Belastung seinen Zahlungsdienstleister hiervon unterrichtet. Die in Unterabsatz 1 festgelegten Fristen gelten nicht, wenn der Zahlungsdienstleister die Angaben nach Titel III zu dem betreffenden Zahlungsvorgang nicht mitgeteilt oder nicht zugänglich gemacht hat. (2) Ist ein Zahlungsauslösedienstleister beteiligt, erwirkt der Zahlungsdienstnutzer unbeschadet des Artikels 73 Absatz 2 und des Artikels 89 Absatz 1 eine Korrektur von dem kontoführenden Zahlungsdienstleister gemäß Absatz 1. Art. 72 Nachweis der Authentifizierung und Ausführung von Zahlungsvorgängen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein Zahlungsdienstleister in dem Fall, dass ein Zahlungsdienstnutzer bestreitet, einen ausgeführten Zahlungsvorgang autorisiert zu haben, oder geltend macht, dass der Zahlungsvorgang nicht ordnungsgemäß ausgeführt wurde, nachweisen muss, dass der Zahlungsvorgang authentifiziert war, ordnungsgemäß aufgezeichnet und verbucht und nicht durch eine technische Panne oder einen anderen Mangel des von dem Zahlungsdienstleister erbrachten Dienstes beeinträchtigt wurde. Wird der Zahlungsvorgang über einen Zahlungsauslösedienstleister ausgelöst, so muss der Zahlungsauslösedienstleister nachweisen, dass der Zahlungsvorgang — innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs — authentifiziert, ordnungsgemäß aufgezeichnet und nicht durch eine technische Panne oder einen anderen Mangel im Zusammenhang mit dem von ihm verantworteten Zahlungsdienst beeinträchtigt wurde. (2) Bestreitet ein Zahlungsdienstnutzer, einen ausgeführten Zahlungsvorgang autorisiert zu haben, so reicht die vom Zahlungsdienstleister, gegebenenfalls einschließlich des Zahlungsauslösedienstleisters aufgezeichnete Nutzung eines Zahlungsinstruments für sich gesehen nicht notwendigerweise aus, um nachzuweisen, dass der Zahler entweder den Zahlungsvorgang autorisiert oder aber in betrügerischer Absicht gehandelt oder eine oder mehrere seiner Pflichten nach Artikel 69 vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Der Zahlungsdienstleister, gegebenenfalls einschließlich des Zahlungsauslösedienstleisters, muss unterstützende Beweismittel vorlegen, um Betrug oder grobe Fahrlässigkeit des Zahlungsdienstnutzers nachzuweisen. Art. 73 Haftung des Zahlungsdienstleisters für nicht autorisierte Zahlungsvorgänge (1) Die Mitgliedstaaten stellen unbeschadet des Artikels 71 sicher, 367

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dass im Falle eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs der Zahlungsdienstleister des Zahlers diesem den Betrag des nicht autorisierten Zahlungsvorgangs unverzüglich, auf jeden Fall spätestens bis zum Ende des folgenden Geschäftstags erstattet, nachdem er von dem Zahlungsvorgang Kenntnis erhalten hat oder dieser ihm angezeigt wurde, es sei denn, er hat berechtigte Gründe für den Verdacht, dass Betrug vorliegt, und teilt der zuständigen nationalen Behörde diese Gründe schriftlich mit. Der Zahlungsdienstleister des Zahlers bringt gegebenenfalls das belastete Zahlungskonto wieder auf den Stand, auf dem es sich ohne den nicht autorisierten Zahlungsvorgang befunden hätte. Dabei wird sichergestellt, dass der Betrag auf dem Zahlungskonto des Zahlers spätestens zum Datum der Belastung des Kontos wertgestellt wird. (2) Wird der Zahlungsvorgang über einen Zahlungsauslösedienstleister ausgelöst, so erstattet der kontoführende Zahlungsdienstleister unverzüglich, auf jeden Fall spätestens bis zum Ende des folgenden Geschäftstags den Betrag des nicht autorisierten Zahlungsvorgangs und bringt das belastete Zahlungskonto gegebenenfalls wieder auf den Stand, auf dem es sich ohne den nicht autorisierten Zahlungsvorgang befunden hätte. Haftet der Zahlungsauslösedienstleister für den nicht autorisierten Zahlungsvorgang, so entschädigt er den kontoführenden Zahlungsdienstleister auf dessen Verlangen unverzüglich für die infolge der Erstattung an den Zahler erlittenen Verluste oder gezahlten Beträge, einschließlich des Betrags des nicht autorisierten Zahlungsvorgangs. Im Einklang mit Artikel 72 Absatz 1 muss der Zahlungsauslösedienstleister nachweisen, dass der Zahlungsvorgang — innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs — authentifiziert, ordnungsgemäß aufgezeichnet und nicht durch eine technische Panne oder einen anderen Mangel im Zusammenhang mit dem von ihm verantworteten Zahlungsdienst beeinträchtigt wurde. (3) Eine darüber hinausgehende finanzielle Entschädigung kann nach dem auf den Vertrag zwischen dem Zahler und dem Zahlungsdienstleister oder gegebenenfalls auf den Vertrag zwischen dem Zahler und dem Zahlungsauslösedienstleister anwendbaren Recht festgelegt werden. Art. 74 Haftung des Zahlers für nicht autorisierte Zahlungsvorgänge (1) Abweichend von Artikel 73 kann der Zahler dazu verpflichtet werden, Schäden, die infolge eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs unter Nutzung eines verlorenen oder gestohlenen Zahlungsinstruments oder infolge der missbräuchlichen Verwendung eines Zahlungsinstruments entstehen, bis höchstens 50 EUR zu tragen. Unterabsatz 1 findet keine Anwendung, wenn a) der Verlust, der Diebstahl oder die missbräuchliche Verwendung des Zahlungsinstruments für den Zahler vor einer Zahlung nicht bemerkbar war, es sei denn, der Zahler hat selbst in betrügerischer Absicht gehandelt oder 368

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b) der Verlust durch Handlungen oder Unterlassungen eines Angestellten oder eines Agenten, einer Zweigniederlassung eines Zahlungsdienstleisters oder einer Stelle, an den bzw. die Tätigkeiten ausgelagert werden, verursacht wurde. Der Zahler trägt alle Verluste, die in Verbindung mit nicht autorisierten Zahlungsvorgängen entstanden sind, wenn er sie in betrügerischer Absicht oder durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung einer oder mehrerer der Pflichten nach Artikel 69 herbeigeführt hat. In diesen Fällen findet der Höchstbetrag nach Unterabsatz 1 keine Anwendung. Wenn der Zahler weder in betrügerischer Absicht gehandelt hat noch seinen Pflichten nach Artikel 69 vorsätzlich nicht nachgekommen ist, können die Mitgliedstaaten die Haftung nach dem vorliegenden Absatz einschränken, wobei sie insbesondere der Art der personalisierten Sicherheitsmerkmale sowie den besonderen Umständen Rechnung tragen, unter denen der Verlust, der Diebstahl oder die missbräuchliche Verwendung des Zahlungsinstruments stattgefunden hat. (2) Verlangt der Zahlungsdienstleister des Zahlers keine starke Kundenauthentifizierung, so trägt der Zahler einen finanziellen Verlust nur, wenn der Zahler in betrügerischer Absicht gehandelt hat. Akzeptiert der Zahlungsempfänger oder der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers eine starke Kundenauthentifizierung nicht, muss er dem Zahlungsdienstleister des Zahlers den finanziellen Schaden ersetzen. (3) Nach einer Anzeige gemäß Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe b trägt der Zahler keine finanziellen Folgen der Nutzung des verlorenen, gestohlenen oder missbräuchlich verwendeten Zahlungsinstruments, es sei denn, er hat in betrügerischer Absicht gehandelt. Stellt der Zahlungsdienstleister nicht nach Artikel 70 Absatz 1 Buchstabe c geeignete Mittel bereit, um jederzeit den Verlust, Diebstahl oder die missbräuchliche Verwendung eines Zahlungsinstruments anzeigen zu können, so haftet der Zahler nicht für die finanziellen Folgen der Nutzung dieses Zahlungsinstruments, es sei denn, er hat in betrügerischer Absicht gehandelt. Art. 75 Zahlungsvorgänge, bei denen der Betrag nicht im Voraus bekannt ist (1) Wird ein Zahlungsvorgang im Zusammenhang mit einem kartengebundenen Zahlungsvorgang von dem oder über den Zahlungsempfänger ausgelöst, und ist dabei der genaue Betrag zu dem Zeitpunkt, zu dem der Zahler seine Zustimmung zur Ausführung des Zahlungsvorgangs erteilt, nicht bekannt, so darf der Zahlungsdienstleister des Zahlers einen Geldbetrag auf dem Zahlungskonto des Zahlers nur blockieren, wenn der Zahler der genauen Höhe des zu blockierenden Geldbetrags, zugestimmt hat. 369

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(2) Der Zahlungsdienstleister des Zahlers gibt den Geldbetrag, der gemäß Absatz 1 auf dem Zahlungskonto des Zahlers blockiert ist, unverzüglich nach Eingang der Information über den genauen Betrag des Zahlungsvorgangs, spätestens jedoch unverzüglich nach Eingang des Zahlungsauftrags frei. Art. 76 Erstattung eines von einem oder über einen Zahlungsempfänger ausgelösten Zahlungsvorgangs (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Zahler gegen den Zahlungsdienstleister einen Anspruch auf Erstattung eines autorisierten, von einem oder über einen Zahlungsempfänger ausgelösten und bereits ausgeführten Zahlungsvorgangs hat, wenn beide der folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) Bei der Autorisierung wurde der genaue Betrag des Zahlungsvorgangs nicht angegeben, b) der Betrag des Zahlungsvorgangs, übersteigt den Betrag, den der Zahler entsprechend dem bisherigen Ausgabeverhalten, den Bedingungen des Rahmenvertrags und den jeweiligen Umständen des Einzelfalls vernünftigerweise hätte erwarten können. Auf Verlangen des Zahlungsdienstleisters muss der Zahler nachweisen, dass diese Bedingungen erfüllt sind. Erstattet wird der vollständige Betrag des ausgeführten Zahlungsvorgangs. Der Betrag wird auf dem Zahlungskonto des Zahlers spätestens zum Datum der Belastung des Kontos wertgestellt. Unbeschadet des Absatzes 3 dieses Artikels stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Zahler bei Lastschriften nach Artikel 1 der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zusätzlich zu dem Anspruch nach Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes einen bedingungslosen Anspruch auf Erstattung innerhalb der Fristen des Artikels 77 der vorliegenden Richtlinie hat. (2) Jedoch darf der Zahler für die Zwecke des Absatzes 1 Unterabsatz 1 Buchstabe b keine mit dem Währungsumtausch zusammenhängenden Gründe geltend machen, wenn der mit seinem Zahlungsdienstleister nach Maßgabe des Artikels 45 Absatz 1 Buchstabe d und des Artikels 52 Absatz 3 Buchstabe b vereinbarte Referenzwechselkurs zugrunde gelegt wurde. (3) In einem Rahmenvertrag zwischen dem Zahler und dem Zahlungsdienstleister kann vereinbart werden, dass der Zahler keinen Anspruch auf Erstattung hat, wenn a) er die Zustimmung zur Ausführung des Zahlungsvorgangs dem Zahlungsdienstleister direkt erteilt hat und b) ihm gegebenenfalls die Informationen über den anstehenden Zahlungsvorgang in einer vereinbarten Form mindestens vier Wochen vor dem Fälligkeitstermin vom Zahlungsdienstleister oder vom Zahlungsempfänger mitgeteilt oder zugänglich gemacht wurden. 370

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(4) Für Lastschriften in anderen Währungen als dem Euro können die Mitgliedstaaten ihren Zahlungsdienstleistern vorschreiben, im Rahmen ihrer Lastschriftverfahren günstigere Erstattungsrechte anzubieten, sofern diese für den Zahler vorteilhafter sind. Art. 77 Verlangen der Erstattung eines von einem oder über einen Zahlungsempfänger ausgelösten Zahlungsvorgangs (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Zahler die Erstattung eines autorisierten und von einem oder über einen Zahlungsempfänger ausgelösten Zahlungsvorgangs nach Artikel 76 innerhalb von acht Wochen ab dem Zeitpunkt der Belastung des betreffenden Geldbetrags verlangen kann. (2) Der Zahlungsdienstleister erstattet innerhalb von zehn Geschäftstagen nach Erhalt eines Erstattungsbegehrens entweder den vollständigen Betrag des Zahlungsvorgangs, oder er teilt dem Zahler die Gründe für die Ablehnung der Erstattung unter Angabe der Stellen mit, an die sich der Zahler nach den Artikeln 99 bis 102 wenden kann, wenn er diese Begründung nicht akzeptiert. Das Recht des Zahlungsdienstleisters nach Unterabsatz 1 dieses Absatzes, eine Erstattung abzulehnen, erstreckt sich nicht auf den Fall nach Artikel 76 Absatz 1 Unterabsatz 4.

Kapitel 3 – Ausführung von Zahlungsvorgängen Abschnitt 1 – Zahlungsaufträge und transferierte Beträge Art. 78 Eingang von Zahlungsaufträgen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass als Zeitpunkt des Eingangs der Zeitpunkt gilt, an dem der Zahlungsauftrag beim Zahlungsdienstleister des Zahlers eingeht. Das Konto des Zahlers darf nicht vor dem Eingang des Zahlungsauftrags belastet werden. Fällt der Zeitpunkt des Eingangs nicht auf einen Geschäftstag des Zahlungsdienstleisters des Zahlers, so gilt der Zahlungsauftrag als am darauf folgenden Geschäftstag eingegangen. Der Zahlungsdienstleister kann festlegen, dass Zahlungsaufträge die nach einem bestimmten Zeitpunkt nahe dem Ende des Geschäftstages eingehen, als am darauf folgenden Geschäftstag eingegangen gelten. (2) Vereinbaren der Zahlungsdienstnutzer, der einen Zahlungsauftrag auslöst, und der Zahlungsdienstleister, dass die Ausführung des Zahlungsauftrags zu einem bestimmten Tag oder am Ende eines bestimmten Zeitraums oder an dem Tag, an dem der Zahler dem Zahlungsdienstleister den Geldbetrag zur Verfügung gestellt hat, beginnen soll, so gilt der vereinbarte Termin für die Zwecke 371

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des Artikels 83 als Zeitpunkt des Eingangs. Fällt der vereinbarte Termin nicht auf einen Geschäftstag des Zahlungsdienstleisters, so gilt der eingegangene Zahlungsauftrag als am darauf folgenden Geschäftstag eingegangen. Art. 79 Ablehnung von Zahlungsaufträgen (1) Lehnt der Zahlungsdienstleister es ab, einen Zahlungsauftrag auszuführen oder einen Zahlungsvorgang auszulösen, so zeigt er das dem Zahlungsdienstnutzer, sofern möglich unter Angabe der Gründe, an und teilt ihm mit, nach welchem Verfahren sachliche Fehler, die zur Ablehnung des Auftrags geführt haben, berichtigt werden können, sofern das nicht gegen sonstiges einschlägiges Recht der Union oder der Mitgliedstaaten verstößt. Der Zahlungsdienstleister hat diese Unterrichtung so rasch wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb der Fristen gemäß Artikel 83, vorzunehmen oder in einer vereinbarten Form zugänglich zu machen. Der Rahmenvertrag kann vorsehen, dass der Zahlungsdienstleister für diese Ablehnung ein angemessenes Entgelt in Rechnung stellen darf, sofern die Ablehnung sachlich gerechtfertigt ist. (2) Sind alle im Rahmenvertrag des Zahlers festgelegten Bedingungen erfüllt, so darf der kontoführende Zahlungsdienstleister des Zahlers die Ausführung eines autorisierten Zahlungsauftrages, unabhängig davon, ob der Zahlungsauftrag von einem Zahler, auch durch einen Zahlungsauslösedienstleister, oder von einem Zahlungsempfänger oder über diesen ausgelöst wurde, nicht ablehnen, sofern das nicht gegen sonstiges einschlägiges Recht der Union oder der Mitgliedstaaten verstößt. (3) Für die Zwecke der Artikel 83und 89 gilt ein Zahlungsauftrag, dessen Ausführung abgelehnt wurde, als nicht eingegangen. Art. 80 Unwiderruflichkeit eines Zahlungsauftrags (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Zahlungsdienstnutzer einen Zahlungsauftrag nach dem Eingang beim Zahlungsdienstleister des Zahlers nicht mehr widerrufen kann, sofern dieser Artikel nichts anderes vorsieht. (2) Wurde der Zahlungsvorgang von einem Zahlungsauslösedienstleister oder vom Zahlungsempfänger oder über diesen ausgelöst, darf der Zahler den Zahlungsauftrag nicht mehr widerrufen, nachdem er dem Zahlungsauslösedienstleister die Zustimmung zur Auslösung des Zahlungsvorgangs erteilt oder dem Zahlungsempfänger die Zustimmung zur Ausführung des Zahlungsauftrags erteilt hat. (3) Im Fall einer Lastschrift kann der Zahler den Zahlungsauftrag jedoch unbeschadet etwaiger Erstattungsansprüche spätestens bis zum Ende des Geschäftstages vor dem vereinbarten Belastungstag widerrufen. 372

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(4) In dem Fall von Artikel 78 Absatz 2 kann der Zahlungsdienstnutzer einen Zahlungsauftrag spätestens bis zum Ende des Geschäftstages vor dem vereinbarten Tag widerrufen. (5) Nach Ablauf der Fristen der Absätze 1 bis 4 kann der Zahlungsauftrag nur widerrufen werden, wenn der Zahlungsdienstnutzer und die betreffenden Zahlungsdienstleister es vereinbart haben. In den Fällen der Absätze 2 und 3 ist zudem die Zustimmung des Zahlungsempfängers erforderlich. Wenn das im Rahmenvertrag vereinbart ist, kann der betreffende Zahlungsdienstleister den Widerruf in Rechnung stellen. Art. 81 Transferierte und eingegangene Beträge (1) Die Mitgliedstaaten verpflichten den/die Zahlungsdienstleister des Zahlers, den/die Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers und alle zwischengeschalteten Stellen, den Betrag in voller Höhe zu transferieren und keine Entgelte davon abzuziehen. (2) Der Zahlungsempfänger und der Zahlungsdienstleister können jedoch vereinbaren, dass der betreffende Zahlungsdienstleister seine Entgelte von dem transferierten Betrag abziehen darf, bevor er ihn dem Zahlungsempfänger gutschreibt. In diesem Fall werden der vollständige Betrag des Zahlungsvorgangs und die Entgelte in den Informationen für den Zahlungsempfänger getrennt ausgewiesen. (3) Werden andere Entgelte als die in Absatz 2 genannten von dem transferierten Betrag abgezogen, stellt der Zahlungsdienstleister des Zahlers sicher, dass der Zahlungsempfänger den Betrag des vom Zahler ausgelösten Zahlungsvorgangs in voller Höhe erhält. Wird der Zahlungsvorgang von dem Zahlungsempfänger oder über diesen ausgelöst, stellt der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers sicher, dass der Zahlungsempfänger den Betrag des Zahlungsvorgangs, in voller Höhe erhält.

Abschnitt 2 – Ausführungsfrist und Wertstellungsdatum Art. 82 Anwendungsbereich (1) Dieser Abschnitt gilt für a) Zahlungsvorgänge in Euro, b) innerstaatliche Zahlungsvorgänge in der Währung des Mitgliedstaats, der nicht dem Euro-Währungsgebiet angehört, c) Zahlungsvorgänge, bei denen nur eine Währungsumrechnung zwischen dem Euro und der Währung eines nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaats stattfindet, sofern die erforderliche Währungsumrechnung in dem nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaat durchgeführt wird und — im Falle von grenzüberschreitenden 373

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Zahlungsvorgängen — der grenzüberschreitende Transfer in Euro stattfindet. (2) Dieser Abschnitt findet auf in Absatz 1 nicht genannte Zahlungsvorgänge Anwendung, sofern nicht zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister etwas anderes vereinbart wurde; hiervon ausgenommen ist Artikel 87, den die Parteien nicht vertraglich abbedingen können. Vereinbaren der Zahlungsdienstnutzer und der Zahlungsdienstleister jedoch für Zahlungsvorgänge innerhalb der Union eine längere Frist als die nach Artikel 83, so darf diese längere Frist vier Geschäftstage ab dem in Artikel 78 genannten Zeitpunkt des Eingangs nicht überschreiten. Art. 83 Zahlungsvorgänge mit Übertragung auf ein Zahlungskonto (1) Die Mitgliedstaaten schreiben dem Zahlungsdienstleister des Zahlers vor, sicherzustellen, dass nach Eingang im Sinne des Artikels 78 der Betrag des Zahlungsvorgangs bis Ende des folgenden Geschäftstags dem Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wird. Diese Frist kann für in Papierform ausgelöste Zahlungsvorgänge um einen weiteren Geschäftstag verlängert werden. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers den Betrag des Zahlungsvorgangs dem Zahlungskonto des Zahlungsempfängers gemäß Artikel 87 wertstellt und verfügbar macht, nachdem er seinerseits den Geldbetrag erhalten hat. (3) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers dem Zahlungsdienstleister des Zahlers einen vom Zahlungsempfänger oder über diesen ausgelösten Zahlungsauftrag innerhalb der zwischen dem Zahlungsempfänger und dem Zahlungsdienstleister vereinbarten Fristen übermittelt, um im Falle von Lastschriften die Verrechnung am vereinbarten Fälligkeitstermin zu ermöglichen. Art. 84 Fehlen eines Zahlungskontos des Zahlungsempfängers beim Zahlungsdienstleister Hat der Zahlungsempfänger beim Zahlungsdienstleister kein Zahlungskonto, so macht der Zahlungsdienstleister, bei dem Geldbeträge zugunsten des Zahlungsempfängers eingegangen sind, diese Geldbeträge für den Zahlungsempfänger innerhalb der Frist des Artikels 83 verfügbar. Art. 85 Auf ein Zahlungskonto eingezahltes Bargeld Zahlt ein Verbraucher Bargeld auf ein Zahlungskonto bei einem Zahlungsdienstleister in der Währung des betreffenden Zahlungskontos ein, so stellt dieser Zahlungsdienstleister sicher, dass der Betrag unverzüglich nach der Entgegennahme verfügbar gemacht und wertgestellt wird. Ist der Zahlungsdienstnutzer kein Verbraucher, muss der 374

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Geldbetrag spätestens an dem auf die Entgegennahme folgenden Geschäftstag auf dem Konto des Zahlungsempfängers verfügbar gemacht und wertgestellt sein. Art. 86 Innerstaatliche Zahlungsvorgänge Für innerstaatliche Zahlungsvorgänge können die Mitgliedstaaten kürzere Ausführungsfristen als nach diesem Abschnitt festlegen. Art. 87 Wertstellungsdatum und Verfügbarkeit von Geldbeträgen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Datum der Wertstellung einer Gutschrift auf dem Zahlungskonto des Zahlungsempfängers spätestens der Geschäftstag ist, an dem der Betrag des Zahlungsvorgangs, dem Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wird. (2) Der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers stellt sicher, dass der Betrag des Zahlungsvorgangs dem Zahlungsempfänger unverzüglich zur Verfügung steht, nachdem er dem Konto seines Zahlungsdienstleisters gutgeschrieben wurde, wenn auf Seiten des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers a) keine Währungsumrechnung erfolgt oder b) eine Währungsumrechnung zwischen dem Euro und einer Währung eines Mitgliedstaats oder zwischen den Währungen zweier Mitgliedstaaten erfolgt. Die Verpflichtung nach diesem Absatz gilt auch für Zahlungen innerhalb eines Zahlungsdienstleisters. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Datum der Wertstellung einer Belastung auf dem Zahlungskonto des Zahlers frühestens der Zeitpunkt ist, an dem dieses Zahlungskonto mit dem Betrag des Zahlungsvorgangs belastet wird.

Abschnitt 3 – Haftung Art. 88 Fehlerhafte Kundenidentifikatoren (1) Wird ein Zahlungsauftrag in Übereinstimmung mit dem Kundenidentifikator ausgeführt, gilt der Zahlungsauftrag gegenüber dem durch den Kundenidentifikator bezeichneten Zahlungsempfänger als korrekt ausgeführt. (2) Ist der vom Zahlungsdienstnutzer angegebene Kundenidentifikator fehlerhaft, haftet der Zahlungsdienstleister nicht gemäß Artikel 89 für die nicht erfolgte oder fehlerhafte Ausführung des Zahlungsvorgangs. (3) Der Zahlungsdienstleister des Zahlers bemüht sich jedoch im Rahmen des Zumutbaren, den Geldbetrag, der Gegenstand des Zahlungsvorgangs war, wiederzuerlangen. Der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers beteiligt 375

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sich an diesen Bemühungen auch dadurch, dass er dem Zahlungsdienstleister des Zahlers alle für die Wiedererlangung des Geldbetrags maßgeblichen Informationen mitteilt. Ist die Einziehung des Geldbetrags nach Unterabsatz 1 nicht möglich, so teilt der Zahlungsdienstleister des Zahlers dem Zahler auf schriftlichen Antrag alle Informationen mit, über die der Zahlungsdienstleister des Zahlers verfügt, und die für den Zahler relevant sind, damit dieser seinen Anspruch auf Rückerstattung des Betrags auf dem Rechtsweg geltend machen kann. (4) Der Zahlungsdienstleister kann dem Zahlungsdienstnutzer für die Wiederbeschaffung ein Entgelt in Rechnung stellen, wenn das im Rahmenvertrag vereinbart wurde. (5) Macht der Zahlungsdienstnutzer weitergehende Angaben als die nach Artikel 45 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 52 Nummer 2 Buchstabe b, haftet der Zahlungsdienstleister nur für die Ausführung von Zahlungsvorgängen in Übereinstimmung mit dem vom Zahlungsdienstnutzer angegebenen Kundenidentifikator. Art. 89 Haftung der Zahlungsdienstleister für nicht erfolgte, fehlerhafte oder verspätete Ausführung von Zahlungsvorgängen (1) Wird ein Zahlungsauftrag vom Zahler direkt ausgelöst, so haftet der Zahlungsdienstleister des Zahlers unbeschadet des Artikels 71, des Artikels 88 Absätze 2 und 3 sowie des Artikels 93 gegenüber dem Zahler für die ordnungsgemäße Ausführung des Zahlungsvorgangs, es sei denn, er kann gegenüber dem Zahler und gegebenenfalls dem Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers nachweisen, dass der Betrag des Zahlungsvorgangs gemäß Artikel 83 Absatz 1 beim Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers eingegangen ist. In diesem Fall haftet der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers gegenüber dem Zahlungsempfänger für die ordnungsgemäße Ausführung des Zahlungsvorgangs. Haftet der Zahlungsdienstleister des Zahlers nach Unterabsatz 1, so erstattet er dem Zahler unverzüglich den Betrag des nicht oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgangs und bringt das belastete Zahlungskonto gegebenenfalls wieder auf den Stand, auf dem es sich ohne den fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgang befunden hätte. Der Betrag wird auf dem Zahlungskonto des Zahlers spätestens zu dem Datum der Belastung des Kontos wertgestellt. Haftet der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers nach Unterabsatz 1, so stellt er dem Zahlungsempfänger den Betrag des Zahlungsvorgangs unverzüglich zur Verfügung und schreibt gegebenenfalls dem Zahlungskonto des Zahlungsempfängers den entsprechenden Betrag gut. 376

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Der Betrag wird auf dem Zahlungskonto des Zahlungsempfängers spätestens zu dem Datum wertgestellt, zu dem der Betrag bei korrekter Ausführung gemäß Artikel 87 wertgestellt worden wäre. Wird ein Zahlungsvorgang verspätet ausgeführt, stellt der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers auf Verlangen des für den Zahler auftretenden Zahlungsdienstleisters des Zahlers sicher, dass der Betrag auf dem Zahlungskonto des Zahlungsempfängers spätestens zu dem Datum wertgestellt wird, zu dem der Betrag bei korrekter Ausführung wertgestellt worden wäre. Im Falle eines nicht oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgangs, bei dem der Zahlungsauftrag durch den Zahler ausgelöst wurde, bemüht sich der Zahlungsdienstleister des Zahlers auf Verlangen — ungeachtet der Haftung nach diesem Absatz — unverzüglich darum, den Zahlungsvorgang zurückzuverfolgen und den Zahler über das Ergebnis zu unterrichten. Dem Zahler wird dafür kein Entgelt in Rechnung gestellt. (2) Wird ein Zahlungsauftrag vom Zahlungsempfänger oder über diesen ausgelöst, haftet der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers unbeschadet des Artikels 71, des Artikels 88 Absätze 2 und 3 sowie des Artikels 93 gegenüber dem Zahlungsempfänger für die ordnungsgemäße Übermittlung des Zahlungsauftrags an den Zahlungsdienstleister des Zahlers gemäß Artikel 88 Absatz 3. Haftet der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers nach diesem Unterabsatz, muss er den fraglichen Zahlungsauftrag unverzüglich zurück an den Zahlungsdienstleister des Zahlers übermitteln. Bei verspäteter Übermittlung des Zahlungsauftrags wird der Betrag auf dem Zahlungskonto des Zahlungsempfängers spätestens zu dem Datum wertgestellt, zu dem der Betrag bei korrekter Ausführung wertgestellt worden wäre. Darüber hinaus haftet der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers unbeschadet des Artikels 71, des Artikels 88 Absätze 2 und 3 sowie des Artikels 93 gegenüber dem Zahlungsempfänger für die Bearbeitung des Zahlungsvorgangs entsprechend seinen Pflichten nach Artikel 87. Haftet der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers nach diesem Unterabsatz, stellt er sicher, dass der Betrag des Zahlungsvorgangs dem Zahlungsempfänger unverzüglich zur Verfügung steht, nachdem er dem Zahlungskonto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wurde. Der Betrag wird auf dem Zahlungskonto des Zahlungsempfängers spätestens zu dem Datum wertgestellt, zu dem der Betrag bei korrekter Ausführung wertgestellt worden wäre. Im Fall eines nicht oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgangs, für den der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers nicht nach den Unterabsätzen 1 und 3 haftet, haftet der Zahlungsdienstleister des Zahlers gegenüber dem Zahler. Haftet der Zahlungsdienstleister des Zahlers wie vorgenannt, erstattet er dem Zahler gegebenenfalls unverzüglich den Betrag des nicht oder fehlerhaft 377

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ausgeführten Zahlungsvorgangs und bringt das belastete Zahlungskonto gegebenenfalls wieder auf den Stand, auf dem es sich ohne den fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgang befunden hätte. Der Betrag wird auf dem Zahlungskonto des Zahlers spätestens zu dem Datum der Belastung des Kontos wertgestellt. Die Verpflichtung des Zahlungsdienstleisters des Zahlers gemäß Unterabsatz 4 besteht nicht, wenn der Zahlungsdienstleister des Zahlers nachweist, dass der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers den Betrag des Zahlungsvorgangs, erhalten hat, auch wenn die Zahlung lediglich mit einer geringfügigen Verzögerung ausgeführt wurde. In diesem Fall wird der Betrag vom Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers auf dem Zahlungskonto des Zahlungsempfängers spätestens zu dem Datum wertgestellt, zu dem der Betrag bei korrekter Ausführung wertgestellt worden wäre. Im Fall eines nicht oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgangs, bei dem der Zahlungsauftrag vom Zahlungsempfänger oder über diesen ausgelöst wurde, bemüht sich der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers auf dessen Verlangen — ungeachtet der Haftung nach diesem Absatz — unverzüglich darum, den Zahlungsvorgang zurückzuverfolgen und den Zahlungsempfänger über das Ergebnis zu unterrichten. Dem Zahlungsempfänger wird dafür kein Entgelt in Rechnung gestellt. (3) Zahlungsdienstleister haften darüber hinaus gegenüber ihren jeweiligen Zahlungsdienstnutzern für alle von ihnen zu verantwortenden Entgelte und für Zinsen, die dem Zahlungsdienstnutzer infolge einer nicht erfolgten oder fehlerhaften oder verspäteten Ausführung des Zahlungsvorgangs in Rechnung gestellt werden. Art. 90 Haftung im Fall von Zahlungsauslösediensten für nicht erfolgte, fehlerhafte oder verspätete Ausführung von Zahlungsvorgängen (1) Wird ein Zahlungsauftrag vom Zahler über einen Zahlungsauslösedienstleister ausgelöst, so erstattet der kontoführende Zahlungsdienstleister unbeschadet des Artikels 71 und des Artikels 88 Absätze 2 und 3 dem Zahler den Betrag des nicht oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgangs und bringt das belastete Zahlungskonto gegebenenfalls wieder auf den Stand, auf dem es sich ohne den fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgang befunden hätte. Der Zahlungsauslösedienstleister muss nachweisen, dass der Zahlungsauftrag gemäß Artikel 78 beim kontoführenden Zahlungsdienstleister des Zahlers eingegangen ist und dass der Zahlungsvorgang innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs authentifiziert, ordnungsgemäß aufgezeichnet und nicht durch ein technisches Versagen oder einen anderen Mangel im Zusammenhang mit der nicht erfolgten, fehlerhaften oder verspäteten Ausführung des Vorgangs beeinträchtigt wurde. 378

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(2) Haftet der Zahlungsauslösedienstleister für die nicht erfolgte, fehlerhafte oder verspätete Ausführung des Zahlungsvorgangs, so entschädigt er den kontoführenden Zahlungsdienstleister auf dessen Verlangen unverzüglich für die infolge der Erstattung an den Zahler erlittenen Verluste oder gezahlten Beträge. Art. 91 Zusätzliche Entschädigung Eine etwaige über die Bestimmungen dieses Abschnitts hinausgehende finanzielle Entschädigung kann nach dem auf den Vertrag zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister anwendbaren Recht festgelegt werden. Art. 92 Regressanspruch (1) Kann in Bezug auf die Haftung eines Zahlungsdienstleisters nach den Artikeln 73, 89 und 90 ein anderer Zahlungsdienstleister oder eine zwischengeschaltete Stelle in Regress genommen werden, entschädigt dieser Zahlungsdienstleister oder diese Stelle den erstgenannten Zahlungsdienstleister für alle nach den Artikeln 73, 89 und 90 erlittenen Verluste oder gezahlten Beträge. Das umfasst Entschädigungen in dem Falle, dass einer der Zahlungsdienstleister keine starke Kundenauthentifizierung verlangt. (2) Eine darüber hinausgehende finanzielle Entschädigung kann nach den Vereinbarungen zwischen Zahlungsdienstleistern und/oder zwischengeschalteten Stellen und gemäß dem auf diese Vereinbarungen anwendbaren Recht festgelegt werden. Art. 93 Ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse Die Haftung nach den Kapiteln 2 oder 3 entsteht nicht für ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse, auf die die Partei, die sich darauf beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können, oder auf Fälle, in denen ein Zahlungsdienstleister durch andere rechtliche Verpflichtungen nach dem Recht der Union oder nach nationalem Recht gebunden ist.

Kapitel 4 – Datenschutz Art. 94 Datenschutz (1) Die Mitgliedstaaten gestatten die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Zahlungssysteme und Zahlungsdienstleister, sofern das zur Verhütung, Ermittlung und Feststellung von Betrugsfällen im Zahlungsverkehr notwendig ist. Die Unterrichtung natürlicher Personen über die Verarbeitung personenbezogener Daten sowie die Verarbeitung solcher personenbezogener Daten und jede andere Verarbeitung personenbezogener Daten für die Zwecke dieser Richtlinie erfolgt gemäß der Richtlinie 95/46/EG, den nationalen 379

2.15

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Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 95/46/EG, und gemäß der Verordnung (EG) Nr. 45/2001. (2) Zahlungsdienstleister dürfen die für das Erbringen ihrer Zahlungsdienste notwendigen personenbezogenen Daten nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des Zahlungsdienstnutzers abrufen, verarbeiten und speichern.

Kapitel 5 – Operationelle und sicherheitsrelevante Risiken und Authentifizierung Art. 95–96 Management operationeller und sicherheitsrelevanter Risiken und Meldungen — nicht abgedruckt. Art. 97 Authentifizierung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Zahlungsdienstleister eine starke Kundenauthentifizierung verlangt, wenn der Zahler a) online auf sein Zahlungskonto zugreift, b) einen elektronischen Zahlungsvorgang auslöst, c) über einen Fernzugang eine Handlung vornimmt, die das Risiko eines Betrugs im Zahlungsverkehr oder anderen Missbrauchs birgt. (2) Im Fall der Einleitung elektronischer Fernzahlungsvorgänge nach Absatz 1 Buchstabe b stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Zahlungsdienstleister für elektronische Fernzahlungsvorgänge eine starke Kundenauthentifizierung verlangen, die Elemente umfasst, die den Zahlungsvorgang dynamisch mit einem bestimmten Betrag und einem bestimmten Zahlungsempfänger verknüpfen. (3) Im Fall des Absatzes 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Zahlungsdienstleister über angemessene Sicherheitsvorkehrungen verfügen, um die Vertraulichkeit und die Integrität der personalisierten Sicherheitsmerkmale der Zahlungsdienstnutzer zu schützen. (4) Die Absätze 2 und 3 gelten auch, wenn Zahlungen über einen Zahlungsauslösedienstleister ausgelöst werden. Die Absätze 1 und 3 gelten auch, wenn die Informationen über einen Kontoinformationsdienstleister angefordert werden. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der kontoführende Zahlungsdienstleister dem Zahlungsauslösedienstleister und dem Kontoinformationsdienstleister gestattet, sich auf die Authentifizierungsverfahren zu stützen, die er dem Zahlungsdienstnutzer gemäß den Absätzen 1 und 3 sowie — in Fällen, in denen der Zahlungsauslösedienstleister beteiligt ist — auch gemäß den Absätzen 1, 2 und 3 bereitstellt. Art. 98 Technische Regulierungsstandards — nicht abgedruckt. 380

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Kapitel 6 – Alternative Streitbeilegungsverfahren Art. 99–100 Beschwerden und Zuständigkeit — nicht abgedruckt.

Abschnitt 2 – Alternative Streitbeilegungsverfahren und Sanktionen Art. 101 Streitbeilegung — nicht abgedruckt. Art. 102 Alternative Streitbeilegungsverfahren (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass gemäß der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates26 nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts angemessene, unabhängige, unparteiische, transparente und wirksame alternative Streitbeilegungsverfahren für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Zahlungsdienstnutzern und Zahlungsdienstleistern über aus den Titeln III und IV dieser Richtlinie erwachsende Rechte und Pflichten geschaffen werden, wobei gegebenenfalls auf bestehende zuständige Einrichtungen zurückgegriffen wird. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die alternativen Streitbeilegungsverfahren auf Zahlungsdienstleister anwendbar sind. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Einrichtungen nach Absatz 1 dieses Artikels bei der Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten über aus den Titeln III und IV erwachsende Rechte und Pflichten wirksam zusammenarbeiten. Art. 103 Sanktionen (1) Die Mitgliedstaaten legen Vorschriften über die Sanktionen fest, die bei Zuwiderhandlungen gegen nationales Recht zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Anwendung zu sicherzustellen. Die Sanktionen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein. (2) Die Mitgliedstaaten erlauben ihren zuständigen Behörden, jede Verwaltungssanktion, die bei einem Verstoß gegen die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften verhängt wird, bekanntzumachen, sofern eine solche Bekanntmachung die Stabilität der Finanzmärkte nicht ernstlich gefährdet oder den Beteiligten unverhältnismäßigen Schaden zufügt.

26 ABl. L 165 vom 18. 6. 2013, S. 63.

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Titel V – Delegierte Rechtsakte und technische Regulierungsstandards Art. 104–106 Delegierte Rechtsakte, Befugnisübertragung und Belehrung — nicht abgedruckt.

Titel VI – Schlussbestimmungen Art. 107–113 Harmonisierung, Überprüfung, Übergangsbestimmungen und Änderungen – nicht abgedruckt.

Art. 114 Aufhebung Die Richtlinie 2007/64/EG wird mit Wirkung vom 13. Januar 2018 aufgehoben. Bezugnahmen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang II der vorliegenden Richtlinie zu lesen. Art. 115 Umsetzung (1) Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 13. Januar 2018 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. (2) Sie wenden diese Vorschriften ab dem 13. Januar 2018 an. Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme. (3)–(6) Einzelheiten — nicht abgedruckt. Art. 116–117 Inkrafttreten und Adressaten — nicht abgedruckt.

Anhang I – Zahlungsdienste (gemäß Artikel 4 Nummer 3) (1) Dienste, mit denen Bareinzahlungen auf ein Zahlungskonto ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge (2) Dienste, mit denen Barabhebungen von einem Zahlungskonto ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge 382

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2.15

(3) Ausführung von Zahlungsvorgängen einschließlich des Transfers von Geldbeträgen auf ein Zahlungskonto beim Zahlungsdienstleister des Nutzers oder bei einem anderen Zahlungsdienstleister: a) Ausführung von Lastschriften einschließlich einmaliger Lastschriften; b) Ausführung von Zahlungsvorgängen mittels einer Zahlungskarte oder eines ähnlichen Instruments; c) Ausführung von Überweisungen einschließlich Daueraufträgen. (4) Ausführung von Zahlungsvorgängen, wenn die Beträge durch einen Kreditrahmen für einen Zahlungsdienstnutzer gedeckt sind: a) Ausführung von Lastschriften einschließlich einmaliger Lastschriften; b) Ausführung von Zahlungsvorgängen mittels einer Zahlungskarte oder eines ähnlichen Instruments; c) Ausführung von Überweisungen einschließlich Daueraufträgen. (5) Ausgabe von Zahlungsinstrumenten und/oder Annahme und Abrechnung („Acquiring“) von Zahlungsvorgängen. (6) Finanztransfer. (7) Zahlungsauslösedienste (8) Kontoinformationsdienste Anhang II Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt.

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2.16 Zahlungsentgelte-VO 924/2009

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95 Absatz 1, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank,3 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,4 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Um ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes zu ermöglichen und den grenzüberschreitenden Handel innerhalb der Gemeinschaft zu vereinfachen, muss sichergestellt werden, dass für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro die gleichen Entgelte erhoben werden wie für entsprechende Euro-Zahlungen innerhalb eines Mitgliedstaats. Dieser Grundsatz der Gleichheit der Entgelte wurde in der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro5 festgelegt und gilt für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro bis zu 50 000 EUR bzw. dem entsprechenden Betrag in schwedischen Kronen. (2) Im Bericht der Kommission vom 11. Februar 2008 über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro wurde bestätigt, dass dank der Anwendung der genannten Verordnung die Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungsvorgänge in Euro auf den Stand der Entgelte für Inlandszahlungen abgesunken sind und die europäische Zahlungsverkehrsbranche dazu ermutigt wurde, die erforderlichen Anstrengungen zum Aufbau einer gemeinschaftsweiten Zahlungsinfrastruktur zu unternehmen. (3) Im Bericht der Kommission wurden die praktischen Probleme untersucht, die bei der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 aufgetreten sind. Als Ergebnis wurde eine Reihe von Änderungen der genannten Verordnung vorgeschlagen, um die bei der Überprüfung festgestellten Probleme zu beheben. Diese Probleme betreffen die Beeinträchtigung des Zahlungsverkehrsbinnenmarktes durch uneinheitliche Meldepflichten für zahlungsbilanzstatistische Zwecke, die Durchsetzung der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 angesichts eines Mangels an benannten zuständigen nationalen Behörden, das Fehlen außergerichtlicher Schlichtungsstellen für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Verordnung und die Tatsache, dass Lastschriften nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fallen.

* Verordnung (EG) Nr. 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001, ABl. 2009 L 266/11. 1 [KOM(2008) 640 endg.] 2 ABl. C 228 vom 22. 9. 2009, S. 66. 3 ABl. C 21 vom 28. 1. 2009, S. 1. [Berichtigung in ABl. C 134 vom 13. 6. 2009, S. 44.] 4 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 24. April 2009 ([ABl. C 184E vom 8. 7. 2010, S. 483]) und Beschluss des Rates vom 27. Juli 2009. 5 ABl. L 344 vom 28. 12. 2001, S. 13. https://doi.org/10.1515/9783110667776-020

Zahlungsentgelte-VO 924/2009

2.16

(4) Die Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt 6 bietet eine zeitgemäße Rechtsgrundlage für die Schaffung eines gemeinschaftsweiten Zahlungsverkehrsbinnenmarktes. Aus Gründen der rechtlichen Kohärenz zwischen den beiden Rechtsakten sollten die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001, insbesondere die Begriffsbestimmungen, entsprechend geändert werden. (5) Die Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 erfasst grenzüberschreitende Überweisungen und grenzüberschreitende elektronische Zahlungsvorgänge. Um in Übereinstimmung mit dem Ziel der Richtlinie 2007/64/EG auch grenzüberschreitende Lastschriften zu ermöglichen, sollte der Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 erweitert werden. Für Zahlungsinstrumente wie Schecks, die hauptsächlich oder ausschließlich in Papierform bestehen, empfiehlt es sich derzeit noch nicht, den Grundsatz der Gleichheit der Entgelte anzuwenden, da sie sich naturgemäß nicht so effizient bearbeiten lassen wie elektronische Zahlungen. (6) Der Grundsatz der Gleichheit der Entgelte sollte für Zahlungen gelten, die in Papierform oder in bar ausgelöst oder abgeschlossen und im Zuge der Zahlungsausführungskette elektronisch verarbeitet werden, außer für Schecks; er sollte auch für alle Entgelte gelten, die direkt oder indirekt mit einem Zahlungsvorgang verbunden sind, einschließlich von Entgelten, die mit einem Vertrag in Zusammenhang stehen, mit Ausnahme von Entgelten für Währungsumrechnungen. Indirekte Entgelte sind unter anderem Entgelte für die Einrichtung eines Dauerauftrags oder Entgelte für die Benutzung von Zahlungskarten oder von Debit- oder Kreditkarten, die für innerstaatliche und grenzüberschreitende Zahlungsvorgänge innerhalb der Gemeinschaft identisch sein sollten. (7) Um eine Fragmentierung der Zahlungsverkehrsmärkte zu verhindern, empfiehlt es sich, den Grundsatz der Gleichheit der Entgelte anzuwenden. Deshalb sollte für jede Kategorie grenzüberschreitender Zahlungsvorgänge eine Inlandszahlung bestimmt werden, die die gleichen oder sehr ähnliche Merkmale wie der grenzüberschreitende Zahlungsvorgang aufweist. Für die Bestimmung der Inlandszahlung, die einer grenzüberschreitenden Zahlung entspricht, sollten unter anderem folgende Kriterien herangezogen werden können: die Art und Weise der Auftragserteilung, der Ausführung und des Abschlusses der Zahlung, der Automatisierungsgrad, eine etwaige Zahlungsgarantie, der Status des Kunden und die Beziehung zum Zahlungsdienstleister oder das benutzte Zahlungsinstrument gemäß der Definition in Artikel 4 Nummer 23 der Richtlinie 2007/64/EG. Diese Kriterien sollten nicht als erschöpfend betrachtet werden. (8) Die zuständigen Behörden sollten Leitlinien zur Bestimmung der entsprechenden Zahlungen erstellen, wenn sie dies für erforderlich halten. Die Kommission sollte — gegebenenfalls mit Unterstützung des Zahlungsverkehrsausschusses — angemessene Orientierungen geben und die zuständigen Behörden unterstützen. (9) Die Ausführung grenzüberschreitender Zahlungsvorgänge durch die Zahlungsdienstleister sollte vereinfacht werden. Zu diesem Zweck sollte die Standardisierung vorangetrieben und insbesondere die Verwendung der internationalen Kontonummer (IBAN) und der Bankleitzahl (BIC) gefördert werden. Deshalb sollten den Zahlungsdienstnutzern von den Zahlungsdienstleistern hinreichende Informationen über die IBAN und die BIC des betreffenden Kontos bereitgestellt werden.

6 ABl. L 319 vom 5. 12. 2007, S. 1 [Zahlungsdienste-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.15].

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2.16

Zahlungsentgelte-VO 924/2009

(10) Unterschiedliche Meldepflichten für zahlungsbilanzstatistische Zwecke, von denen ausschließlich grenzüberschreitende Zahlungsvorgänge betroffen sind, behindern die Vollendung eines Zahlungsverkehrsbinnenmarktes, insbesondere im Rahmen des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (SEPA). Vor dem Hintergrund des SEPA wäre es deshalb ratsam, bis zum 31. Oktober 2011 erneut zu bewerten, ob die Abschaffung dieser Pflicht zur Meldung der Zahlungsverkehrsdaten der Banken angemessen ist. Um eine kontinuierliche, zeitnahe und effiziente Bereitstellung der Zahlungsbilanzstatistiken zu gewährleisten, sollte sichergestellt werden, dass frei verfügbare Zahlungsdaten wie IBAN, BIC und die Beträge der Zahlungsvorgänge oder grundlegende, aggregierte Zahlungsdaten für verschiedene Zahlungsinstrumente noch erfasst werden können, sofern die Datenerfassung vollständig automatisiert werden kann und die automatisierte Zahlungsverarbeitung nicht behindert. Diese Verordnung berührt nicht die Meldepflichten für andere Regelungszwecke, wie beispielsweise zur Prävention von Geldwäsche oder von Terrorismusfinanzierung, oder für steuerliche Zwecke. (11) Derzeit werden bei den bestehenden innerstaatlichen Lastschriftverfahren unterschiedliche Geschäftsmodelle zugrunde gelegt. Zur Erleichterung der Einführung des SEPA-Lastschriftverfahrens bedarf es eines gemeinsamen Geschäftsmodells und einer größeren Rechtsklarheit bei den multilateralen Interbankenentgelten. In Bezug auf grenzüberschreitende Lastschriften könnte dies ausnahmsweise dadurch erreicht werden, dass für das multilaterale Interbankenentgelt während eines Übergangszeitraums ein Höchstbetrag pro Zahlungsvorgang festgesetzt wird. Es sollte den Parteien einer multilateralen Vereinbarung jedoch freistehen, einen niedrigeren Betrag festzulegen oder sich auf ein multilaterales Interbankenentgelt von null zu einigen. Für innerstaatliche SEPA-Lastschriften kann das gleiche innerstaatliche Interbankenentgelt oder eine andere zwischen dem Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers und dem Zahlungsdienstleister des Zahlers vereinbarte Vergütung der Banken untereinander, wie sie vor dem Zeitpunkt des Beginns der Anwendung dieser Verordnung bestanden haben, zugrunde gelegt werden. Sollte ein solches innerstaatliches multilaterales Interbankenentgelt oder eine anderweitig vereinbarte innerstaatliche Vergütung während der Übergangszeit gekürzt oder abgeschafft werden, z. B. aufgrund der Anwendung des Wettbewerbsrechts, so sollten die geänderten Modalitäten während der Übergangszeit auf die innerstaatlichen SEPA-Lastschriften angewandt werden. Unterliegt die Lastschrift einer bilateralen Vereinbarung, sollten deren Bestimmungen jedoch Vorrang vor sämtlichen Abkommen über multilaterale Interbankenentgelte oder andere Vergütungen haben. Die Branche kann die während der Übergangszeit gewährte Rechtssicherheit dazu nutzen, ein gemeinsames, langfristiges Geschäftsmodell für die Handhabung der SEPA-Lastschrift zu entwickeln und zu vereinbaren. Nach Ablauf der Übergangszeit sollte es eine langfristige Lösung für das Geschäftsmodell der SEPA-Lastschrift in Übereinstimmung mit dem EG-Wettbewerbsrecht und dem Rechtsrahmen der Gemeinschaft geben. Die Kommission beabsichtigt, im Rahmen eines nachhaltigen Dialogs mit dem Bankensektor und auf der Grundlage von Beiträgen der relevanten Marktteilnehmer so bald wie möglich Leitlinien für objektive und messbare Kriterien zur Beurteilung der Übereinstimmung einer solchen multilateralen Vergütung der Banken untereinander, die multilaterale Interbankenentgelte umfassen könnte, mit dem EG-Wettbewerbsrecht und dem Rechtsrahmen der Gemeinschaft herauszugeben. (12) Damit eine Lastschrift ausgeführt werden kann, muss das Konto des Zahlers erreichbar sein. Zur Förderung der erfolgreichen Einführung der SEPA-Lastschriften ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass alle Zahlerkonten, die bereits für bestehende Inlandslastschriften in Euro erreichbar sind, dies auch für SEPA-Lastschriften sind; andernfalls

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werden Zahler und Zahlungsempfänger die Vorteile des grenzüberschreitenden Lastschrifteinzugs nicht nutzen können. Falls das Konto des Zahlers im Rahmen des SEPALastschriftverfahrens nicht zugänglich ist, können sich der Zahler (Schuldner) und der Zahlungsempfänger (Gläubiger) die Vorteile, die die neuen Möglichkeiten der Zahlung im Wege des Lastschrifteinzugs bieten, nicht zunutze machen. Dies ist besonders in Fällen wichtig, in denen der Zahlungsempfänger Lastschrifteinzüge gesammelt, beispielsweise auf monatlicher oder vierteljährlicher Basis für Stromrechnungen oder Rechnungen für andere Versorgungsleistungen, und nicht für jeden Kunden einzeln einleitet. Wenn die Gläubiger nicht alle ihre Schuldner in einem einzigen Vorgang erreichen können, ist ein zusätzliches manuelles Eingreifen erforderlich, was die Kosten in die Höhe treiben dürfte. Besteht für den Zahlungsdienstleister des Zahlers somit keine Verpflichtung zur Erreichbarkeit, so führt dies zu einer geringeren Effizienz des Lastschrifteinzugs und einer Beschränkung des Wettbewerbs auf gesamteuropäischer Ebene. Angesichts des besonderen Charakters von Lastschriften zwischen Unternehmen sollte dies jedoch nur für die Standardvariante des SEPA-Lastschriftverfahrens und nicht für das SEPA-Lastschriftverfahren für Geschäftskunden gelten. Die Verpflichtung zur Erreichbarkeit schließt das Recht eines Zahlungsdienstleisters ein, in Übereinstimmung mit den für das Lastschriftverfahren geltenden Vorschriften, etwa zur Ablehnung, Verweigerung oder Rückgabe eines Zahlungsvorgangs, eine Lastschriftzahlung nicht auszuführen. Außerdem sollte die Verpflichtung zur Erreichbarkeit nicht für diejenigen Zahlungsdienstleister gelten, die zwar die Erlaubnis besitzen, das Lastschriftgeschäft auszuüben und Lastschriften auszuführen, diese Tätigkeit aber nicht gewerbsmäßig betreiben. (13) Angesichts der technischen Anforderungen, die im Hinblick auf die Erreichbarkeit zu erfüllen sind, muss ein Zahlungsdienstleister außerdem über genügend Zeit verfügen, um die nötigen Vorbereitungen für die Einhaltung der Verpflichtung zur Erreichbarkeit treffen zu können. Die Zahlungsdienstleister sollten daher ab dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung über eine Übergangszeit von höchstens einem Jahr verfügen, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Da Zahlungsdienstleister aus den nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten umfangreichere Vorbereitungsarbeiten durchführen müssten, sollte für sie die Anwendung der Verpflichtung zur Erreichbarkeit um höchstens fünf Jahre ab dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung verschoben werden dürfen. Zahlungsdienstleister, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind, der den Euro innerhalb von vier Jahren nach dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung als seine Währung einführt, sollten jedoch verpflichtet werden, der Verpflichtung zur Erreichbarkeit innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Beitritts des betreffenden Mitgliedstaats zum Euro-Währungsgebiet nachzukommen. (14) Die zuständigen Behörden sollten die erforderlichen Befugnisse erhalten, um ihren Überwachungsaufgaben effizient nachkommen und alle notwendigen Maßnahmen treffen zu können, damit gewährleistet ist, dass die Zahlungsdienstleister diese Verordnung einhalten. (15) Um im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Anwendung dieser Verordnung den Beschwerdeweg zu ermöglichen, sollten die Mitgliedstaaten angemessene und wirksame Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren sowie Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und seinem Zahlungsdienstleister schaffen. Zudem sollten zuständige Behörden und außergerichtliche Schlichtungsstellen benannt werden, indem entweder bestehende Einrichtungen benannt werden, soweit dies angebracht ist, oder neue Einrichtungen geschaffen werden.

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2.16

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(16) Zuständige Behörden und außergerichtliche Schlichtungsstellen müssen in der Gemeinschaft aktiv zusammenarbeiten, damit grenzübergreifende Streitigkeiten im Zusammenhang mit dieser Verordnung reibungslos und zügig beigelegt werden können. Diese Zusammenarbeit sollte in Form einer wechselseitigen Erteilung von Auskünften über das Recht oder die Rechtspraxis innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs oder gegebenenfalls in Form einer Abgabe oder Übernahme von Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren erfolgen können. (17) Die Mitgliedstaaten müssen in ihrem innerstaatlichen Recht wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen diese Verordnung vorsehen. (18) Die Ausweitung des Geltungsbereichs dieser Verordnung auf andere Währungen als den Euro würde insbesondere im Hinblick auf die Anzahl der erfassten Zahlungsvorgänge eindeutige Vorteile bieten. Deshalb sollte ein Anmeldeverfahren geschaffen werden, das es auch Mitgliedstaaten, die den Euro nicht als ihre Währung eingeführt haben, ermöglicht, diese Verordnung auf grenzüberschreitende Zahlungen in ihrer Landeswährung anzuwenden. Länder, die dieses Verfahren bereits anwenden, sollten jedoch keine neue Anmeldung vorlegen müssen. (19) Die Kommission sollte einen Bericht über die Angemessenheit der Abschaffung der zahlungsbilanzstatistisch begründeten innerstaatlichen Meldepflichten erstellen. Die Kommission sollte ferner einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vorlegen, in dem insbesondere die Verwendung von IBAN und BIC zur Vereinfachung von Zahlungen innerhalb der Gemeinschaft und Veränderungen des Marktes im Hinblick auf die Anwendung der Bestimmungen über Lastschriften bewertet werden. Im Rahmen des Ausbaus des SEPA sollte in einem solchen Bericht auch geprüft werden, ob die Obergrenze von 50 000 EUR, für die derzeit der Grundsatz der Gleichheit der Entgelte gilt, angemessen ist. (20) Die Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 sollte aus Gründen der Rechtssicherheit und Klarheit aufgehoben werden. (21) Um insbesondere im Hinblick auf die Transparenz der Bedingungen und Informationsanforderungen für Zahlungsdienste und auf die Rechte und Pflichten bei der Bereitstellung und Nutzung von Zahlungsdiensten rechtliche Kohärenz zwischen dieser Verordnung und der Richtlinie 2007/64/EG zu gewährleisten, sollte diese Verordnung ab dem 1. November 2009 gelten. Den Mitgliedstaaten sollte für den Erlass von Maßnahmen zur Einführung von Sanktionen bei Verstößen gegen diese Verordnung eine Frist bis zum 1. Juni 2010 gewährt werden. (22) Da die Ziele dieser Verordnung auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und daher wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus — HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Art. 1 Gegenstand und Geltungsbereich (1) In dieser Verordnung werden Bestimmungen über grenzüberschreitende Zahlungen innerhalb der Gemeinschaft festgelegt, um sicherzustellen, dass für grenzüberschreitende Zahlungen innerhalb der Gemeinschaft die gleichen Entgelte erhoben werden wie für Zahlungen in der gleichen Währung innerhalb eines Mitgliedstaats. 388

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2.16

(2) Diese Verordnung gilt im Einklang mit der Richtlinie 2007/64/EG7 für grenzüberschreitende Zahlungen, die in Euro oder einer Landeswährung der Mitgliedstaaten getätigt werden, die gemäß Artikel 14 ihren Beschluss, die Anwendung dieser Verordnung auf ihre Landeswährung auszudehnen, mitgeteilt haben. (3) Diese Verordnung gilt nicht für Zahlungen, die Zahlungsdienstleister auf eigene Rechnung oder für Rechnung anderer Zahlungsdienstleister vornehmen. (4) Die Artikel 6, 7 und 8 enthalten Vorschriften für Lastschriften, die zwischen dem Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers und dem Zahlungsdienstleister des Zahlers in Euro getätigt werden. Art. 2 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck 1. „grenzüberschreitende Zahlung“ einen elektronisch verarbeiteten Zahlungsvorgang, der von einem Zahler oder von einem oder über einen Zahlungsempfänger ausgelöst wird und bei dem der Zahlungsdienstleister des Zahlers und der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig sind; 2. „Inlandszahlung“ einen elektronisch verarbeiteten Zahlungsvorgang, der von einem Zahler oder von einem oder über einen Zahlungsempfänger ausgelöst wird und bei dem der Zahlungsdienstleister des Zahlers und der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers in ein und demselben Mitgliedstaat ansässig sind; 3. „Zahler“ eine natürliche oder juristische Person, die Inhaber eines Zahlungskontos ist und die einen Zahlungsauftrag von diesem Zahlungskonto gestattet oder — falls kein Zahlungskonto vorhanden ist — eine natürliche oder juristische Person, die den Auftrag für einen Zahlungsvorgang erteilt; 4. „Zahlungsempfänger“ eine natürliche oder juristische Person, die den bei einem Zahlungsvorgang transferierten Geldbetrag als Empfänger erhalten soll; 5. „Zahlungsdienstleister“ eine der in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2007/ 64/EG genannten Kategorien juristischer Personen oder eine in Artikel 26 dieser Richtlinie genannte natürliche oder juristische Person, jedoch mit Ausnahme der Institute, die in Artikel 2 der Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute8 genannt sind und für die

7 [Zahlungsdienste-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.15.] 8 ABl. L 177 vom 30. 6. 2006, S. 1.

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ein Mitgliedstaat die in Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 2007/64/EG vorgesehene Ausnahme gewährt hat; „Zahlungsdienstnutzer“ eine natürliche oder juristische Person, die einen Zahlungsdienst als Zahler oder Zahlungsempfänger oder in beiden Eigenschaften in Anspruch nimmt; „Zahlungsvorgang“ die Bereitstellung, den Transfer oder die Abhebung eines Geldbetrags, ausgelöst von einem Zahler oder von einem oder über einen Zahlungsempfänger, unabhängig von etwaigen zugrunde liegenden Verpflichtungen im Verhältnis zwischen Zahler und Zahlungsempfänger; „Zahlungsauftrag“ einen Auftrag, den ein Zahler oder Zahlungsempfänger seinem Zahlungsdienstleister zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs erteilt; „Entgelt“ ein Entgelt, das ein Zahlungsdienstleister vom Zahlungsdienstnutzer erhebt und das direkt oder indirekt mit einem Zahlungsvorgang verbunden ist; „Geldbetrag“ Banknoten und Münzen, Giralgeld und elektronisches Geld im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Richtlinie 2009/110/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E-Geld-Instituten9; „Verbraucher“ eine natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können; „Kleinstunternehmen“ ein Unternehmen, das zum Zeitpunkt des Abschlusses des Zahlungsdienstvertrags ein Unternehmen im Sinne von Artikel 1 und Artikel 2 Absätze 1 und 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen10 ist; „Interbankenentgelt“ ein zwischen dem Zahlungsdienstleister des Zahlers und dem Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers für jede Lastschrift gezahltes Entgelt; „Lastschrift“ einen vom Zahlungsempfänger ausgelösten Zahlungsdienst zur Belastung des Zahlungskontos des Zahlers aufgrund einer Zustimmung des Zahlers zu einem Zahlungsvorgang, die der Zahler gegenüber dem Zahlungsempfänger, dessen Zahlungsdienstleister oder seinem eigenen Zahlungsdienstleister erteilt; „Lastschriftverfahren“ gemeinsame Regeln, Verfahren und Normen, die zwischen den Zahlungsdienstleistern für die Ausführung von Lastschriften vereinbart wurden.

9 ABl. L 267 vom 10. 10. 2009, S. 7. 10 ABl. L 124 vom 20. 5. 2003, S. 36.

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Art. 3 Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen und entsprechende Inlandszahlungen (1) Zahlungsdienstleister erheben von einem Zahlungsdienstnutzer für grenzüberschreitende Zahlungen die gleichen Entgelte, wie sie sie von Zahlungsdienstnutzern für entsprechende Inlandszahlungen in gleicher Höhe und in der gleichen Währung erheben. (2) Bei der Berechnung der Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen für die Zwecke von Absatz 1 muss der Zahlungsdienstleister die entsprechende Inlandszahlung bestimmen. Die zuständigen Behörden erstellen Leitlinien zur Bestimmung der entsprechenden Inlandszahlungen, wenn sie dies für erforderlich halten. Die zuständigen Behörden arbeiten im Rahmen des gemäß Artikel 85 Absatz 1 der Richtlinie 2007/64/EG eingesetzten Zahlungsverkehrsausschusses aktiv zusammen, um die Kohärenz der Leitlinien für entsprechende Inlandszahlungen sicherzustellen. (3) Hat ein Mitgliedstaat seinen Beschluss, die Anwendung dieser Verordnung auf seine Landeswährung auszudehnen, gemäß Artikel 14 mitgeteilt, so kann eine Inlandszahlung in der Währung dieses Mitgliedstaats als eine einer grenzüberschreitenden Zahlung in Euro entsprechende Zahlung betrachtet werden. (4) Diese Verordnung gilt nicht für Entgelte für Währungsumrechnungen. Art. 4 Maßnahmen zur Erleichterung der automatischen Zahlungsabwicklung (1) Der Zahlungsdienstleister teilt dem Zahlungsdienstnutzer gegebenenfalls die IBAN des Zahlungsdienstnutzers und die BIC des Zahlungsdienstleisters mit. Der Zahlungsdienstleister gibt zudem gegebenenfalls die IBAN des Zahlungsdienstnutzers und die BIC des Zahlungsdienstleisters auf den Kontoauszügen oder auf einer Anlage dazu an. Der Zahlungsdienstleister stellt dem Zahlungsdienstnutzer für die Bereitstellung von Informationen nach diesem Absatz kein Entgelt in Rechnung. (2) gestrichen (3) Der Zahlungsdienstleister kann dem Zahlungsdienstnutzer über das gemäß Artikel 3 Absatz 1 erhobene Entgelt hinausgehende Entgelte in Rechnung stellen, wenn der Zahlungsdienstnutzer dem Zahlungsdienstleister den Auftrag zur Ausführung der grenzüberschreitenden Zahlung ohne Angabe von IBAN und, sofern gemäß der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/200911 angebracht, entspre-

11 ABl. L 94 vom 30. 3. 2012, S. 22.

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chender BIC für das Zahlungskonto in dem anderen Mitgliedstaat erteilt. Diese Entgelte müssen angemessen und an den anfallenden Kosten ausgerichtet sein. Sie werden zwischen dem Zahlungsdienstleister und dem Zahlungsdienstnutzer vereinbart. Der Zahlungsdienstleister muss dem Zahlungsdienstnutzer die Höhe der zusätzlichen Entgelte rechtzeitig, bevor der Zahlungsdienstnutzer durch eine solche Vereinbarung gebunden ist, mitteilen. (4) Je nach Art des betreffenden Zahlungsvorgangs teilt ein Lieferant von Waren bzw. ein Dienstleister, der unter diese Verordnung fallende Zahlungen akzeptiert, bei der Rechnungsstellung für Waren und Dienstleistungen in der Gemeinschaft seinen Kunden seine IBAN und die BIC seines Zahlungsdienstleisters mit. Art. 5 Zahlungsbilanzstatistisch begründete Meldepflichten (1) Die Mitgliedstaaten heben mit Wirkung vom 1. Februar 2016 zahlungsbilanzstatistisch begründete innerstaatliche Pflichten der Zahlungsdienstleister zur Meldung von Zahlungsverkehrsdaten im Zusammenhang mit Zahlungen ihrer Kunden auf. (2) Unbeschadet von Absatz 1 können die Mitgliedstaaten weiterhin aggregierte Daten oder andere relevante, ohne weiteres verfügbare Informationen erfassen, sofern diese Erfassung keinen Einfluss auf die vollautomatische Zahlungsabwicklung hat und die Zahlungsdienstleister die Daten vollautomatisch erfassen können. Art. 6 Interbankenentgelt für grenzüberschreitende Lastschriften Falls keine bilaterale Vereinbarung zwischen dem Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers und dem Zahlungsdienstleister des Zahlers besteht, findet auf jede grenzüberschreitende Lastschrift, die vor dem 1. November 2012 ausgeführt wird, ein vom Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers an den Zahlungsdienstleister des Zahlers zu entrichtendes multilaterales Interbankenentgelt von 0,088 EUR Anwendung, es sei denn, dass zwischen den betreffenden Zahlungsdienstleistern ein geringeres multilaterales Interbankenentgelt vereinbart worden ist. Art. 7 Interbankenentgelt für Inlandslastschriften (1) Findet zwischen dem Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers und dem Zahlungsdienstleister des Zahlers für Inlandslastschriften, die vor dem 1. Februar 2017 ausgeführt werden, ein multilaterales Interbankenentgelt oder eine anderweitig vereinbarte Vergütung Anwendung, so wird dieses multilaterale Interbankenentgelt oder diese anderweitig vereinbarte Vergütung unbeschadet der Absätze 2 und 3 auf alle vor dem 1. November 2012 ausgeführten Inlandslastschriften angewandt. (2) Wird ein solches multilaterales Interbankenentgelt oder eine solche anderweitig vereinbarte Vergütung vor dem 1. Februar 2017 gekürzt oder abgeschafft, 392

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so gilt diese Kürzung oder Abschaffung für alle Inlandslastschriften, die vor diesem Datum ausgeführt werden. (3) Besteht für Inlandslastschriften eine bilaterale Vereinbarung zwischen dem Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers und dem Zahlungsdienstleister des Zahlers, so werden auf diese Inlandslastschriften, die vor dem 1. Februar 2017 ausgeführt werden, die Absätze 1 und 2 nicht angewandt. Art. 8 gestrichen. Art. 9 Zuständige Behörden Die Mitgliedstaaten benennen die zuständigen Behörden, die für die Sicherstellung der Einhaltung dieser Verordnung verantwortlich sind. Die Mitgliedstaaten notifizieren der Kommission diese zuständigen Behörden bis zum 29. April 2010. Sie teilen der Kommission unverzüglich jede spätere Änderung mit, die diese Behörden betrifft. Die Mitgliedstaten können bestehende Einrichtungen als zuständige Behörden benennen. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die zuständigen Behörden die Einhaltung dieser Verordnung wirksam zu überwachen und alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um diese Einhaltung sicherzustellen. Art. 10 Beschwerdeverfahren für Verstöße gegen diese Verordnung (1) Die Mitgliedstaaten schaffen Verfahren, die es den Zahlungsdienstnutzern und anderen interessierten Parteien ermöglichen, bei den zuständigen Behörden wegen mutmaßlicher Verstöße der Zahlungsdienstleister gegen diese Verordnung Beschwerde einzulegen. Die Mitgliedstaaten können hierzu bestehende Verfahren anwenden oder ausdehnen. (2) Unbeschadet des Rechts, nach dem innerstaatlichen Prozessrecht vor Gericht zu klagen, weist die zuständige Behörde die Partei, die die Beschwerde eingereicht hat, gegebenenfalls auf die nach Artikel 11 eingerichteten außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren hin. Art. 11 Außergerichtliche Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren (1) Die Mitgliedstaaten schaffen angemessene und wirksame außergerichtliche Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Zahlungsdienstnutzern und ihren Zahlungsdienstleistern über aus dieser Verordnung erwachsende Rechte und Pflichten. Für diese Zwecke werden von den Mitgliedstaaten bestehende Einrichtungen benannt, soweit dies angebracht ist, oder neue Einrichtungen geschaffen. 393

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(2) Die Mitgliedstaaten notifizieren der Kommission diese Einrichtungen bis zum 29. April 2010. Sie teilen der Kommission unverzüglich jede spätere Änderung mit, die diese Einrichtungen betrifft. (3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass dieser Artikel nur für Zahlungsdienstnutzer gilt, bei denen es sich um Verbraucher oder Kleinstunternehmen handelt. In diesem Fall unterrichten die Mitgliedstaaten die Kommission entsprechend. Art. 12 Grenzüberschreitende Zusammenarbeit Die in den Artikeln 9 und 11 genannten zuständigen Behörden und außergerichtlichen Schlichtungsstellen der Mitgliedstaaten arbeiten bei der Lösung grenzübergreifender Streitigkeiten aktiv und zügig zusammen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Zusammenarbeit tatsächlich erfolgt. Art. 13 Sanktionen Unbeschadet des Artikels 17 legen die Mitgliedstaaten bis zum 1. Juni 2010 für Verstöße gegen diese Verordnung Sanktionen fest und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass diese Sanktionen angewandt werden. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die Bestimmungen bis zum 29. Oktober 2010 mit und melden ihr unverzüglich spätere Änderungen, die diese betreffen. Art. 14–17 Anwendung auf andere Währungen als den Euro, Überprüfung, Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 und Inkrafttreten — nicht abgedruckt.

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2.17 Verbraucherkredit-RL 2008/48

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit 4 enthält Rechtsvorschriften auf Gemeinschaftsebene für Verbraucherkreditverträge. (2) 1995 legte die Kommission einen Bericht über die Anwendung der Richtlinie 87/102/EWG vor und führte eine breit angelegte Befragung der betroffenen Kreise durch. 1997 legte sie einen zusammenfassenden Bericht über die Reaktionen zu dem Bericht aus dem Jahr 1995 vor. 1996 wurde ein zweiter Bericht über die Anwendung der Richtlinie 87/102/EWG ausgearbeitet. (3) Aus diesen Berichten und Befragungen geht hervor, dass sich die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Vergabe von Krediten an natürliche Personen im Allgemeinen und von Verbraucherkrediten im Besonderen stark unterscheiden. Eine Analyse der innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 87/102/EWG zeigt in der Tat, dass die Mitgliedstaaten aufgrund unterschiedlicher innerstaatlicher Gegebenheiten rechtlicher oder wirtschaftlicher Natur über die Richtlinie 87/102/EWG hinaus eine Reihe von Verbraucherschutzmechanismen anwenden. (4) In einigen Fällen, in denen Mitgliedstaaten verschiedene zwingende Rechtsvorschriften erlassen haben, die strenger sind als die Bestimmungen der Richtlinie 87/102/EWG, führt die sich aus diesen nationalen Unterschieden ergebende Sach- und Rechtslage zum einen zu Verzerrungen im Wettbewerb der Kreditgeber in der Gemeinschaft und behindert den Binnenmarkt. Sie schränkt zum anderen die Möglichkeiten der Verbraucher ein, das stetig zunehmende Angebot an grenzüberschreitenden Verbraucherkrediten unmittelbar zu nutzen. Diese Verzerrungen und Einschränkungen können wiederum Folgen für die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen haben.

* Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. 2008 L 133/66. 1 [KOM(2002) 443 endg.] 2 ABl. C 234 vom 30. 9. 2003, S. 1. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 20. 4. 2004 (ABl. C 104 E vom 30. 4. 2004, S. 233). Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 20. 9. 2007 (ABl. C 270 E vom 13. 11. 2007, S. 1) und Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 16. 1. 2008 ([ABl. C 41 E vom 19. 2. 2009, S. 106]). Beschluss des Rates vom 7. 4. 2008. 4 ABl. L 42 vom 12. 2. 1987, S. 48. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 101 vom 1. 4. 1998, S. 17). https://doi.org/10.1515/9783110667776-021

2.17

Verbraucherkredit-RL 2008/48

(5) In den letzten Jahren hat sich bei den Kreditformen, die Verbrauchern angeboten und von ihnen in Anspruch genommen werden, vieles geändert. Es gibt heute neue Kreditinstrumente, die immer stärkere Verwendung finden. Deshalb ist es zweckmäßig, die geltenden Bestimmungen zu ändern und gegebenenfalls ihren Geltungsbereich auszudehnen. (6) Gemäß dem Vertrag umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen sowie die Niederlassungsfreiheit gewährleistet sind. Die Entwicklung eines transparenteren und effizienteren Kreditmarkts innerhalb dieses Raums ohne Binnengrenzen ist für die Förderung grenzüberschreitender Geschäftstätigkeiten von entscheidender Bedeutung. (7) Um die Entwicklung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts bei Verbraucherkrediten zu erleichtern, muss in einigen Schlüsselbereichen ein harmonisierter gemeinschaftsrechtlicher Rahmen geschaffen werden. Im Hinblick auf die permanente Weiterentwicklung des Marktes für Verbraucherkredite und die zunehmende Mobilität der europäischen Bürger kann ein zukunftsweisendes Gemeinschaftsrecht, das sich künftigen Kreditformen anpassen kann und das den Mitgliedstaaten einen angemessenen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung lässt, zu einem modernen Verbraucherkreditrecht beitragen. (8) Zur Sicherung des Vertrauens der Verbraucher ist es wichtig, dass der Markt ein ausreichendes Verbraucherschutzniveau bietet. Auf diese Weise sollte der freie Verkehr von Kreditangeboten unter den bestmöglichen Bedingungen für Kreditanbieter wie auch für Kreditnehmer unter gebührender Berücksichtigung der Besonderheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten stattfinden können. (9) Eine vollständige Harmonisierung ist notwendig, um allen Verbrauchern in der Gemeinschaft ein hohes und vergleichbares Maß an Schutz ihrer Interessen zu gewährleisten und um einen echten Binnenmarkt zu schaffen. Den Mitgliedstaaten sollte es deshalb nicht erlaubt sein, von dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen. Diese Einschränkung sollte jedoch nur in den Fällen gelten, in denen Vorschriften durch diese Richtlinie harmonisiert werden. Soweit es keine solchen harmonisierten Vorschriften gibt, sollte es den Mitgliedstaaten freigestellt bleiben, innerstaatliche Rechtsvorschriften beizubehalten oder einzuführen. Dementsprechend können die Mitgliedstaaten beispielsweise innerstaatliche Rechtsvorschriften über die gesamtschuldnerische Haftung des Verkäufers oder Dienstleistungserbringers und des Kreditgebers beibehalten oder einführen. Ein weiteres Beispiel für diese Möglichkeit könnte sein, dass die Mitgliedstaaten innerstaatliche Rechtsvorschriften über die Aufhebung eines Kauf- oder Dienstleistungsvertrags für den Fall beibehalten oder einführen, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht von dem Kreditvertrag ausübt. In dieser Hinsicht sollte es den Mitgliedstaaten im Falle von unbefristeten Kreditverträgen gestattet sein, einen Mindestzeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem der Kreditgeber die Rückzahlung verlangt, und dem Termin, zu dem der Kredit zurückgezahlt sein muss, festzulegen. (10) Mit den Begriffsbestimmungen dieser Richtlinie wird der Bereich der Harmonisierung festgelegt. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie sollte sich daher nur auf den durch diese Begriffsbestimmungen festgelegten Bereich erstrecken. Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran hindern, nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts die Bestimmungen dieser Richtlinie auch auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Geltungsbereich fallen. So könnte ein Mitgliedstaat für Kreditverträge, die nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, innerstaatliche Vorschriften beibehalten oder einführen, die den Bestimmungen dieser Richtlinie oder manchen ihrer Bestimmungen außerhalb des Geltungsbereichs dieser Richtlinie ganz

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oder zum Teil entsprechen, beispielsweise für Kreditverträge über einen Betrag von weniger als 200 EUR oder von mehr als 75000 EUR. Ferner könnten die Mitgliedstaaten die Bestimmungen dieser Richtlinie auch auf verbundene Kredite anwenden, die nicht unter die Begriffsbestimmung dieser Richtlinie für verbundene Kreditverträge fallen. Somit könnten die Vorschriften für verbundene Kreditverträge auf Kreditverträge angewendet werden, die nur zum Teil der Finanzierung eines Kauf- oder Dienstleistungsvertrags dienen. Im Falle spezifischer Kreditverträge, für die nur gewisse Bestimmungen dieser Richtlinie gelten, sollte es den Mitgliedstaaten nicht gestattet sein, innerstaatliche Vorschriften zu erlassen, mit denen andere Bestimmungen dieser Richtlinie umgesetzt werden. Es sollte den Mitgliedstaaten jedoch weiterhin freigestellt sein, solche Kreditverträge, soweit sie andere als die von dieser Richtlinie harmonisierten Aspekte betreffen, auch künftig durch innerstaatliche Vorschriften zu regeln. Verträge über die wiederkehrende Erbringung von Dienstleistungen oder über die Lieferung von Waren gleicher Art, bei denen der Verbraucher für die Dauer der Erbringung bzw. Lieferung Teilzahlungen leistet, können sich hinsichtlich der Interessenlage der Vertragspartner und hinsichtlich der Art und Weise und der Durchführung der Geschäfte erheblich von den unter diese Richtlinie fallenden Kreditverträgen unterscheiden. Deshalb sollte klargestellt werden, dass derartige Verträge nicht als Kreditverträge im Sinne der Richtlinie gelten. Zu derartigen Verträgen würde zum Beispiel ein Versicherungsvertrag gehören, bei dem für die Versicherung monatliche Teilzahlungen erbracht werden. Diese Richtlinie sollte nicht gelten für bestimmte Arten von Kreditverträgen, z. B. einen Zahlungsaufschub gewährende Debit-Karten, nach deren Vertragsbedingungen der Kredit innerhalb von drei Monaten zu tilgen ist und lediglich geringfügige Kosten anfallen. Durch Grundpfandrechte gesicherte Kreditverträge sollten vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sein. Es handelt sich hierbei um eine besondere Form des Kredits. Ferner sollten Kreditverträge, die für den Erwerb oder die Erhaltung von Eigentumsrechten an einem Grundstück oder einem bestehenden oder geplanten Gebäude bestimmt sind, vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sein. Kreditverträge sollten jedoch nicht lediglich aus dem Grund vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen werden, dass sie der Renovierung oder der Wertsteigerung eines bestehenden Gebäudes dienen. Die Bestimmungen der Richtlinie gelten unabhängig davon, ob der Kreditgeber eine natürliche oder eine juristische Person ist. Die Richtlinie berührt jedoch nicht das Recht der Mitgliedstaaten, im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht die Bereitstellung von Verbraucherkrediten ausschließlich auf juristische Personen oder bestimmte juristische Personen zu beschränken. Gewisse Bestimmungen der Richtlinie sollten für natürliche und für juristische Personen (Kreditvermittler) gelten, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit gegen ein Entgelt Kreditverträge vorstellen oder Verbrauchern anbieten, Verbrauchern bei den Vorarbeiten zum Abschluss von Kreditverträgen behilflich sind oder für den Kreditgeber Kreditverträge mit Verbrauchern abschließen. Organisationen, die zulassen, dass mit ihrer Identität für Kreditprodukte, beispielsweise Kreditkarten, geworben wird, und die ihren Mitgliedern diese Produkte zudem empfehlen, sollten nicht als Kreditvermittler im Sinne dieser Richtlinie gelten. Diese Richtlinie regelt lediglich bestimmte Pflichten der Kreditvermittler gegenüber dem Verbraucher. Den Mitgliedstaaten sollte es daher freigestellt bleiben, zusätzliche Pflichten für Kreditvermittler beizubehalten oder einzuführen, darunter die Bedingungen, nach de-

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nen Kreditvermittler von Verbrauchern, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, ein Entgelt erheben können. Entsprechend der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken)5 sollten die Verbraucher insbesondere bei der Veröffentlichung von Informationen durch den Kreditgeber vor unlauteren oder irreführenden Geschäftspraktiken geschützt sein. Dennoch ist es angebracht, in dieser Richtlinie besondere Bestimmungen für die Werbung für Kreditverträge und über bestimmte Standardinformationen vorzusehen, die die Verbraucher erhalten sollten, damit sie insbesondere verschiedene Angebote miteinander vergleichen können. Diese Informationen sollten in klarer, prägnant gefasster Form an optisch hervorgehobener Stelle durch ein repräsentatives Beispiel erteilt werden. Es sollte eine Obergrenze angegeben werden, sofern der Gesamtkreditbetrag nicht als Summe der zur Verfügung gestellten Beträge dargestellt werden kann, insbesondere sofern der Kreditvertrag dem Verbraucher die Inanspruchnahme freistellt und mit einer Begrenzung hinsichtlich des Betrages versieht. Die Obergrenze sollte den Kredithöchstbetrag bezeichnen, der dem Verbraucher zur Verfügung gestellt werden kann. Außerdem sollte es den Mitgliedstaaten freigestellt bleiben, in Bezug auf Werbung, die keine Informationen über die Kosten des Kredits enthält, Informationsanforderungen in ihrem innerstaatlichen Recht vorzusehen. Damit der Verbraucher in voller Sachkenntnis entscheiden kann, sollten ihm vor dem Abschluss des Kreditvertrags ausreichende Informationen über die Bedingungen und Kosten des Kredits sowie über die Verpflichtungen, die er mit dem Vertrag eingeht, gegeben werden, die er mitnehmen und prüfen kann. Im Interesse einer größtmöglichen Transparenz und Vergleichbarkeit der Angebote sollten diese Informationen sich insbesondere auf den effektiven Jahreszins beziehen, der innerhalb der gesamten Gemeinschaft auf die gleiche Art zu berechnen ist. Da der effektive Jahreszins in diesem Stadium nur anhand eines Beispiels angegeben werden kann, sollte dieses Beispiel repräsentativ sein. Deshalb sollte es beispielsweise der durchschnittlichen Laufzeit und dem Gesamtbetrag des gewährten Kredits bei der betreffenden Art von Kreditvertrag entsprechen und sich gegebenenfalls auf die gekauften Waren beziehen. Bei der Auswahl des repräsentativen Beispiels sollte auch die Häufigkeit des Abschlusses bestimmter Kreditverträge auf einem speziellen Markt berücksichtigt werden. Was den Sollzinssatz, die Periodizität der Teilzahlungen und die Anrechnung der Zinsen auf das Darlehen anbelangt, so sollten die Kreditgeber bei dem jeweiligen Verbraucherkredit ihre herkömmlichen Berechnungsmethoden anwenden. Die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher sollten sämtliche Kosten umfassen, einschließlich der Zinsen, Provisionen, Steuern, Entgelte für Kreditvermittler und alle sonstigen Entgelte, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat, mit Ausnahme der Notargebühren. Die tatsächliche Kenntnis des Kreditgebers von diesen Kosten sollte objektiv beurteilt werden, wobei die Anforderungen an die berufliche Sorgfalt zu berücksichtigen sind. Kreditverträge, bei denen der Sollzinssatz entsprechend der Veränderung eines im Kreditvertrag genannten Referenzzinssatzes regelmäßig angepasst wird, sollten nicht als Kreditverträge mit festem Sollzinssatz gelten.

5 ABl. L 149 vom 11. 6. 2005, S. 22 [Geschäftspraktiken-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.21].

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(22) Den Mitgliedstaaten sollte es freigestellt bleiben, innerstaatliche Vorschriften beizubehalten oder einzuführen, die dem Kreditgeber untersagen, den Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu verpflichten, ein Bankkonto zu eröffnen oder eine Vereinbarung über eine andere Nebenleistung zu schließen oder für die Kosten oder Gebühren im Zusammenhang mit entsprechenden Bankkonten oder anderen Nebenleistungen aufzukommen. In denjenigen Mitgliedstaaten, in denen solche kombinierten Angebote zulässig sind, sollten die Verbraucher vor Abschluss des Kreditvertrags über Nebenleistungen informiert werden, die Voraussetzung für die Gewährung des Kredits überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen sind. Die Kosten für diese Nebenleistungen sollten in die Berechnung der Gesamtkosten des Kredits mit einbezogen werden; anderenfalls, also wenn der Betrag dieser Kosten nicht im Voraus bestimmt werden kann, sollten die Verbraucher in der Vorvertragsphase angemessen darüber unterrichtet werden, dass solche Kosten anfallen. Es ist davon auszugehen, dass der Kreditgeber von den Kosten für die Nebenleistungen, die er selbst oder für einen Dritten dem Verbraucher anbietet, Kenntnis hat, es sei denn, deren Preis hängt von spezifischen Merkmalen oder der besonderen Situation des Verbrauchers ab. (23) Bei bestimmten Kreditverträgen ist es jedoch zweckmäßig, die Anforderungen dieser Richtlinie in Bezug auf die vorvertragliche Information unter Berücksichtigung des besonderen Charakters dieser Verträge so einzuschränken, dass die Verbraucher zwar angemessen geschützt, die Kreditgeber oder gegebenenfalls die Kreditvermittler aber nicht unverhältnismäßig belastet werden. (24) Der Verbraucher muss vor dem Abschluss des Kreditvertrags umfassend informiert werden, und zwar unabhängig davon, ob ein Kreditvermittler am Absatz des Kredits beteiligt ist. Deshalb sollten die Anforderungen an die vorvertragliche Information generell auch für Kreditvermittler gelten. Wenn jedoch der Warenlieferant und der Dienstleistungserbringer nur in untergeordneter Funktion als Kreditvermittler tätig werden, ist es nicht gerechtfertigt, ihnen die rechtliche Verpflichtung aufzuerlegen, die vorvertraglichen Informationen gemäß dieser Richtlinie zu erteilen. Der Warenlieferant und der Dienstleistungserbringer können beispielsweise als Kreditvermittler in untergeordneter Funktion angesehen werden, wenn ihre Tätigkeit als Kreditvermittler nicht der Hauptzweck ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit ist. In diesen Fällen ist dennoch ein ausreichend hohes Verbraucherschutzniveau erreicht, da der Kreditgeber dafür sorgen muss, dass der Verbraucher alle vorvertraglichen Informationen erhält, und zwar entweder von dem Kreditvermittler, wenn der Kreditgeber und der Kreditvermittler dies so vereinbaren, oder auf eine andere geeignete Weise. (25) Die Frage, ob die Informationen, die dem Verbraucher vor Abschluss des Kreditvertrags zu geben sind, möglicherweise verbindlichen Charakter haben, und die Dauer des Zeitraums, während dessen der Kreditgeber an diese Informationen gebunden sein soll, können von den Mitgliedstaaten geregelt werden. (26) Die Mitgliedstaaten sollten unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale des Kreditmarkts in ihrem jeweiligen Land geeignete Maßnahmen zur Förderung verantwortungsvoller Verfahren in allen Phasen der Kreditvergabe ergreifen. Zu diesen Maßnahmen kann beispielsweise die Unterrichtung und Aufklärung der Verbraucher, einschließlich Warnungen vor dem Risiko des Zahlungsverzugs oder der Überschuldung, gehören. Insbesondere auf dem expandierenden Kreditmarkt ist es wichtig, dass Kreditgeber nicht verantwortungslos in der Kreditvergabe tätig werden oder Kredite ohne vorherige Beurteilung der Kreditwürdigkeit vergeben, und die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Kontrollen durchführen, um derartige Verhaltensweisen zu unterbinden und sie sollten die erfor-

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derlichen Sanktionsmittel für jene Kreditgeber bestimmen, die sich so verhalten. Unbeschadet der Bestimmungen der Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute6 über das Kreditrisiko sollten Kreditgeber dafür verantwortlich sein, in jedem Einzelfall die Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu prüfen. Zu diesem Zweck sollten sie nicht nur die vom Verbraucher im Rahmen der Vorbereitung des betreffenden Kreditvertrags, sondern auch die während einer schon länger bestehenden Geschäftsbeziehung erteilten Auskünfte heranziehen dürfen. Die Behörden der Mitgliedstaaten könnten den Kreditgebern geeignete Anweisungen erteilen und Leitlinien vorgeben. Auch die Verbraucher sollten mit Umsicht vorgehen und ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen. Obgleich der Verbraucher Anspruch auf vorvertragliche Informationen hat, kann es sein, dass er darüber hinaus noch weitere Unterstützung braucht, um entscheiden zu können, welcher der ihm angebotenen Kreditverträge seinen Bedürfnissen und seiner finanziellen Situation am besten entspricht. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass Kreditgeber diese Unterstützung in Bezug auf die Kreditprodukte, die sie dem Verbraucher anbieten, leisten. Gegebenenfalls sollten die entsprechenden vorvertraglichen Informationen sowie die Hauptmerkmale der angebotenen Produkte dem Verbraucher persönlich erläutert werden, so dass er ihre möglichen Auswirkungen auf seine wirtschaftliche Situation einschätzen kann. Diese Verpflichtung, dem Verbraucher Unterstützung zu leisten, sollte gegebenenfalls auch für Kreditvermittler gelten. Die Mitgliedstaaten sollten festlegen können, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang diese Erläuterungen dem Verbraucher zu geben sind, wobei den besonderen Umständen, unter denen der Kredit angeboten wird, dem Bedarf des Verbrauchers an Unterstützung und der Art des jeweiligen Kreditprodukts Rechnung zu tragen ist. Zur Bewertung der Kreditsituation des Verbrauchers sollte der Kreditgeber auch die einschlägigen Datenbanken konsultieren; aufgrund der rechtlichen und sachlichen Umstände kann es erforderlich sein, dass sich derartige Konsultationen im Umfang unterscheiden. Damit der Wettbewerb zwischen Kreditgebern nicht verzerrt wird, sollte Kreditgebern aus anderen Mitgliedstaaten der Zugang zu privaten oder öffentlichen Datenbanken betreffend Verbraucher in einem Mitgliedstaat, in dem sie nicht niedergelassen sind, unter Bedingungen gewährt werden, die keine Diskriminierung gegenüber den Kreditgebern dieses Mitgliedstaats darstellen. Wird eine Entscheidung, mit der ein Kreditantrag abgelehnt wird, auf eine Datenbankabfrage gestützt, so sollte der Kreditgeber den Verbraucher darüber und über die Angaben der konsultierten Datenbank unterrichten. Der Kreditgeber sollte hierzu jedoch nicht verpflichtet sein, wenn eine solche Unterrichtung nach anderen Gemeinschaftsvorschriften, beispielsweise Rechtsvorschriften über Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung, nicht zulässig ist. Außerdem sollten solche Informationen nicht gegeben werden, wenn dies Zielen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit, wie beispielsweise der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten, zuwiderlaufen würde. Diese Richtlinie regelt nicht Aspekte des Vertragsrechts, die die Wirksamkeit von Kreditverträgen betreffen. Daher können die Mitgliedstaaten in diesem Bereich mit dem Gemein-

6 ABl. L 177 vom 30. 6. 2006, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2008/24/EG (ABl. L 81 vom 20. 3. 2008, S. 38).

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schaftsrecht in Einklang stehende innerstaatliche Bestimmungen beibehalten oder einführen. Die Mitgliedstaaten können die Rechtsvorschriften für Angebote über den Abschluss eines Kreditvertrags festlegen, insbesondere den Zeitpunkt, an dem ein solches Angebot abgegeben wird und den Zeitraum, während dessen es für den Kreditgeber bindend sein soll. Wird ein Angebot zum selben Zeitpunkt abgegeben wie die vorvertragliche Information gemäß dieser Richtlinie, so sollte es wie alle weiteren Informationen, die der Kreditgeber dem Verkäufer erteilen möchte, in einem gesonderten Dokument überreicht werden, das dem Formular „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ beigefügt werden kann. Alle notwendigen Informationen über die Rechte und Pflichten, die sich für den Verbraucher aus dem Kreditvertrag ergeben, sollten in klarer, prägnanter Form im Kreditvertrag enthalten sein, damit der Verbraucher diese zur Kenntnis nehmen kann. Damit die Transparenz umfassend gewährleistet ist, sollte der Verbraucher sowohl im vorvertraglichen Stadium als auch beim Abschluss des Kreditvertrags Informationen über den Sollzinssatz erhalten. Während des Vertragsverhältnisses sollte der Verbraucher über Änderungen des variablen Sollzinssatzes und die sich daraus für die Zahlungen ergebenden Änderungen informiert werden. Dies gilt unbeschadet innerstaatlicher Rechtsvorschriften, die sich nicht auf die Information des Verbrauchers beziehen und die die Bedingungen für Änderungen der Sollzinssätze und anderer wirtschaftlicher Umstände des Kredits — sofern sie nicht Zahlungen betreffen — und die Folgen solcher Änderungen regeln, beispielsweise Regelungen, dass der Kreditgeber den Sollzinssatz nur dann ändern darf, wenn ein triftiger Grund dafür vorliegt, oder dass es dem Verbraucher freisteht, im Falle einer Änderung des Sollzinssatzes oder anderer wirtschaftlicher Umstände des Kredits den Kreditvertrag zu beenden. Die Vertragsparteien sollten das Recht haben, einen Kreditvertrag mit unbefristeter Laufzeit ordentlich zu kündigen. Enthält der Kreditvertrag eine entsprechende Vereinbarung, so sollte der Kreditgeber außerdem das Recht haben, aus sachlich gerechtfertigten Gründen das Recht des Verbrauchers auf Inanspruchnahme von Kreditbeträgen aufgrund eines unbefristeten Kreditvertrags auszusetzen. Zu diesen Gründen können beispielsweise der Verdacht auf eine nicht zulässige oder missbräuchliche Verwendung des Kredits oder ein beträchtlich erhöhtes Risiko, dass der Verbraucher seiner Verpflichtung zur Zurückzahlung des Kredits nicht nachkommen kann, gehören. Diese Richtlinie berührt nicht die innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vertragsrechts betreffend die Rechte der Vertragsparteien, den Kreditvertrag aufgrund eines Vertragsbruchs zu beenden. Zur Angleichung der Art und Weise der Ausübung des Widerrufsrechts auf verwandten Sachgebieten ist ein Recht auf Widerruf vom Vertrag vorzusehen, das entsprechend den in der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen für Verbraucher7 vorgesehenen Bedingungen ohne Angabe von Gründen in Anspruch genommen werden kann und keine Vertragsstrafe nach sich zieht. Tritt ein Verbraucher von einem Kreditvertrag, aufgrund dessen er Waren erhalten hat, zurück und handelt es sich dabei insbesondere um einen Ratenkauf oder einen Miet- oder Leasingvertrag, nach dem eine Verpflichtung zum Erwerb besteht, so sollte diese Richtli-

7 ABl. L 271 vom 9. 10. 2002, S. 16 [Finanzdienstleistung-Fernabsatz-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.2]. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/64/EG. (ABl. L 319 vom 5. 12. 2007, S. 1).

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nie unbeschadet anderer Vorschriften der Mitgliedstaaten gelten, die die Rückgabe der Waren oder damit zusammenhängende Fragen regeln. In einigen Fällen sehen innerstaatliche Vorschriften bereits vor, dass die Mittel dem Verbraucher erst nach Ablauf einer bestimmten Frist bereitgestellt werden. In derartigen Fällen möchte der Verbraucher unter Umständen sicherstellen, dass er die erworbenen Waren oder Dienstleistungen vorzeitig erhält. Für verbundene Kreditverträge können die Mitgliedstaaten daher ausnahmsweise vorsehen, dass dann, wenn der Verbraucher den vorzeitigen Empfang ausdrücklich in Anspruch nimmt, die Frist für die Ausübung des Widerrufrechts auf jene Frist verkürzt wird, die für die Bereitstellung der Mittel gilt. Bei verbundenen Kreditverträgen stehen der Erwerb einer Ware oder einer Dienstleistung mit dem zu diesem Zwecke abgeschlossenen Kreditvertrag in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Übt der Verbraucher sein Recht auf Widerruf vom Kaufvertrag nach dem Gemeinschaftsrecht aus, so sollte er auch nicht mehr an den damit verbundenen Kreditvertrag gebunden sein. Dies sollte nicht die innerstaatlichen Rechtsvorschriften für verbundene Kreditverträge in den Fällen berühren, in denen ein Kaufvertrag hinfällig geworden ist oder in denen der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach innerstaatlichem Recht ausgeübt hat. Ferner sollte dies auch nicht die dem Verbraucher im Rahmen der innerstaatlichen Vorschriften eingeräumten Rechte berühren, wonach zwischen dem Verbraucher und einem Warenlieferanten oder Dienstleistungserbringer weder eine Verpflichtung eingegangen noch eine Zahlung geleistet werden darf, solange der Verbraucher den Kreditvertrag, mit dem der Erwerb der betreffenden Waren oder Dienstleistungen finanziert werden soll, nicht unterzeichnet hat. Unter bestimmten Bedingungen sollte der Verbraucher die Möglichkeit haben, bei Problemen im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag Rechte gegenüber dem Kreditgeber geltend zu machen. Die Mitgliedstaaten sollten jedoch festlegen, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen der Verbraucher seine Rechte gegenüber dem Lieferanten geltend machen muss, insbesondere indem er Klage gegen den Lieferanten erhebt, bevor er diese gegenüber dem Kreditgeber geltend machen kann. Diese Richtlinie sollte nicht dazu führen, dass Verbraucher der Rechte verlustig gehen, die ihnen die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die gesamtschuldnerische Haftung des Verkäufers oder Dienstleistungserbringers und des Kreditgebers einräumen. Dem Verbraucher sollte gestattet werden, seine Verbindlichkeiten vor Ablauf der im Kreditvertrag vereinbarten Frist zu erfüllen. Im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung eines Teils oder der gesamten Kreditsumme sollte der Kreditgeber eine Entschädigung für die unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten verlangen können, wobei auch mögliche Einsparungen des Kreditgebers zu berücksichtigen sind. Bei der Festlegung der Berechnungsmethode für die Entschädigung müssen allerdings mehrere Grundsätze eingehalten werden. Die Berechnung der dem Kreditnehmer geschuldeten Entschädigung sollte transparent sein und schon im vorvertraglichen Stadium und in jedem Fall während der Ausführung des Kreditvertrags für den Verbraucher verständlich sein. Darüber hinaus sollte die Berechnungsmethode für den Kreditgeber leicht anzuwenden sein und die Überprüfung der Entschädigung durch die zuständigen Aufsichtsbehörden erleichtert werden. Aus diesen Gründen und da Verbraucherkredite aufgrund ihrer Laufzeit und ihres Umfangs nicht über langfristige Finanzierungsmechanismen finanziert werden, sollte der Höchstbetrag der Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags festgelegt werden. Dieser Ansatz spiegelt die Besonderheit von Verbraucherkrediten wider und greift möglichen anderen Ansätzen für andere, über langfristige Finanzierungs-

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mechanismen finanzierte Kreditprodukte, wie beispielsweise festverzinsliche Hypothekendarlehen nicht vor. Die Mitgliedstaaten sollten das Recht haben, vorzusehen, dass ein Kreditgeber nur dann eine Entschädigung für vorzeitige Rückzahlung verlangen kann, wenn der Rückzahlungsbetrag innerhalb eines Zwölfmonatszeitraums einen von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwert überschreitet. Bei der Festlegung dieses Schwellenwerts, der nicht höher als 10000 EUR sein sollte, sollten die Mitgliedstaaten beispielsweise das Durchschnittsvolumen der Verbraucherkredite in ihrem jeweiligen Markt mitberücksichtigen. Bei Abtretung der Rechte des Kreditgebers aus einem Kreditvertrag sollte die Rechtsstellung des Verbrauchers nicht verschlechtert werden. Der Verbraucher sollte auch angemessen informiert werden, wenn die Rechte aus dem Kreditvertrag an einen Dritten abgetreten werden. Tritt der ursprüngliche Kreditgeber jedoch mit dem Einverständnis des Zessionars dem Verbraucher gegenüber nach wie vor als Kreditgeber auf, so hat der Verbraucher kein wesentliches Interesse daran, über die Abtretung informiert zu werden. Deshalb wäre es übertrieben, in solchen Fällen auf EU-Ebene eine Pflicht zur Unterrichtung des Verbrauchers über die Abtretung vorzusehen. Es sollte den Mitgliedstaaten weiterhin freistehen, innerstaatliche Vorschriften über kollektive Kommunikationswege einzuführen oder beizubehalten, wenn dies für Zwecke erforderlich ist, die mit der Wirksamkeit komplexer Geschäfte, wie der Verbriefung von Krediten oder der Veräußerung von Aktiva im Falle der Zwangsliquidation von Banken im Verwaltungswege, in Zusammenhang stehen. Im Interesse der Förderung der Errichtung und des Funktionierens des Binnenmarkts und zwecks Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus in der gesamten Gemeinschaft ist die Vergleichbarkeit der Angaben zu den effektiven Jahreszinsen in der gesamten Gemeinschaft zu gewährleisten. Obgleich in der Richtlinie 87/102/EWG eine einheitliche mathematische Formel zur Berechnung des effektiven Jahreszinses vorgegeben wurde, ist dieser noch nicht in der gesamten Gemeinschaft in vollem Umfang vergleichbar. In den einzelnen Mitgliedstaaten werden unterschiedliche Kostenfaktoren bei der Berechnung berücksichtigt. In der vorliegenden Richtlinie sollten daher die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher eindeutig und umfassend definiert werden. Zur Gewährleistung der Transparenz und der Stabilität des Marktes sollten die Mitgliedstaaten bis zu einer weiteren Harmonisierung sicherstellen, dass geeignete Maßnahmen im Hinblick auf die Kontrolle oder Überwachung der Tätigkeit von Kreditgebern getroffen werden. Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten sowie den Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Insbesondere soll mit dieser Richtlinie die Einhaltung der Bestimmungen über den Schutz personenbezogener Daten, das Eigentumsrecht, das Diskriminierungsverbot, den Schutz des Familien- und Berufslebens und den Schutz der Verbraucher gemäß der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in vollem Umfang gewährleistet werden. Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Verbraucherkredits, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.

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(47) Die Mitgliedstaaten sollten Regelungen über die Sanktionen festlegen, die bei Verstößen gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Vorschriften zu verhängen sind, und für deren Anwendung sorgen. Die Wahl der Sanktionen bleibt zwar den Mitgliedstaaten überlassen, doch sollten die vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. (48) Die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse8 erlassen werden. (49) Insbesondere sollte die Kommission die Befugnis erhalten, zusätzliche Annahmen festzulegen, die bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses zugrunde gelegt werden. Da es sich hierbei um Maßnahmen von allgemeiner Tragweite handelt, die eine Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie bewirken, sind sie nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle des Artikels 5a des Beschlusses 1999/468/EG zu erlassen. (50) Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung9 sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen. (51) In Anbetracht der zahlreichen Änderungen, die infolge der Weiterentwicklung des Verbraucherkreditsektors an der Richtlinie 87/102/EWG vorzunehmen sind, sollte diese Richtlinie daher im Interesse der Klarheit des Gemeinschaftsrechts aufgehoben und durch die vorliegende Richtlinie ersetzt werden — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I − Gegenstand, Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen Art. 1 Gegenstand Ziel dieser Richtlinie ist die Harmonisierung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Verbraucherkreditverträge. Art. 2 Geltungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt für Kreditverträge. (2) Diese Richtlinie gilt nicht für: a) Kreditverträge, die entweder durch eine Hypothek oder eine vergleichbare Sicherheit, die in einem Mitgliedstaat gewöhnlich für unbewegliches Vermögen genutzt wird, oder durch ein Recht an unbeweglichem Vermögen gesichert sind;

8 ABl. L 184 vom 17. 7. 1999, S. 23. Geändert durch den Beschluss 2006/512/EG (ABl. L 200 vom 22. 7. 2006, S. 11). 9 ABl. C 321 vom 31. 12. 2003, S. 1.

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b) Kreditverträge, die für den Erwerb oder die Erhaltung von Eigentumsrechten an einem Grundstück oder einem bestehenden oder geplanten Gebäude bestimmt sind; c) Kreditverträge, bei denen der Gesamtkreditbetrag weniger als 200 EUR oder mehr als 75000 EUR beträgt; d) Miet- oder Leasingverträge, bei denen weder in dem Vertrag selbst noch in einem gesonderten Vertrag eine Verpflichtung zum Erwerb des Miet- bzw. Leasinggegenstands vorgesehen ist; von einer solchen Verpflichtung ist auszugehen, wenn der Kreditgeber darüber einseitig entscheidet; e) Kreditverträge in Form von Überziehungsmöglichkeiten, bei denen der Kredit binnen eines Monats zurückzuzahlen ist; f) zins- und gebührenfreie Kreditverträge und Kreditverträge, nach denen der Kredit binnen drei Monaten zurückzuzahlen ist und bei denen nur geringe Kosten anfallen; g) Verträge über Kredite, die Arbeitnehmern vom Arbeitgeber als Nebenleistung zinsfrei oder zu einem niedrigeren effektiven Jahreszins als dem marktüblichen gewährt werden und die nicht der breiten Öffentlichkeit angeboten werden; h) Kreditverträge, die mit einer Wertpapierfirma im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente10 oder mit Kreditinstituten im Sinne des Artikels 4 der Richtlinie 2006/48/EG geschlossen werden und die es einem Anleger erlauben sollen, ein Geschäft zu tätigen, das eines oder mehrere der in Anhang I Abschnitt C der Richtlinie 2004/ 39/EG genannten Instrumente betrifft, wenn die Wertpapierfirma oder das Kreditinstitut, die/das den Kredit gewährt, an diesem Geschäft beteiligt ist; i) Kreditverträge, die Ergebnis eines Vergleichs vor einem Richter oder einer anderen gesetzlich befugten Stelle sind; j) Kreditverträge, die die unentgeltliche Stundung einer bestehenden Forderung zum Gegenstand haben; k) Kreditverträge, nach deren Abschluss der Verbraucher zur Hinterlegung eines Gegen-stands als Sicherheit beim Kreditgeber verpflichtet ist und bei denen sich die Haftung des Verbrauchers ausschließlich auf diesen Pfandgegenstand beschränkt; l) Kreditverträge, die Darlehen zum Gegenstand haben, die einem begrenzten Kundenkreis im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen im Gemeinwohlinteresse gewährt werden, sei es zu einem niedrigeren als dem marktüblichen

10 ABl. L 145 vom 30. 4. 2004, S. 1 [Ersetzt durch Finanzmarkt-RL II, in dieser Sammlung Nr. 2.19]. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2008/10/EG (ABl. L 76 vom 19. 3. 2008, S. 33).

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Zinssatz oder zinslos oder zu anderen, für den Verbraucher günstigeren als den marktüblichen Bedingungen und zu Zinssätzen, die nicht über den marktüblichen Zinssätzen liegen. (2a) Ungeachtet des Absatzes 2 Buchstabe c gilt diese Richtlinie für unbesicherte Kreditverträge, die zum Zwecke der Renovierung einer Wohnimmobilie abgeschlossen werden und bei denen der Gesamtkreditbetrag mehr als 75 000 EUR beträgt. (3) Auf Kreditverträge in Form einer Überziehungsmöglichkeit, bei denen der Kredit nach Aufforderung oder binnen drei Monaten zurückzuzahlen ist, finden lediglich die Artikel 1 bis 3, Artikel 4 Absatz 1, Artikel 4 Absatz 2 Buchstaben a bis c, Artikel 4 Absatz 4, die Artikel 6 bis 9, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 4 und Absatz 5, Artikel 12, Artikel 15, Artikel 17 sowie die Artikel 19 bis 32 Anwendung. (4) Auf Kreditverträge in Form von Überschreitung finden lediglich die Artikel 1 bis 3, 18, 20 sowie 22 bis 32 Anwendung. (5) Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass lediglich die Artikel 1 bis 4, 6, 7 und 9, Artikel 10 Absatz 1, Absatz 2 Buchstaben a bis h sowie Buchstabe l, Artikel 10 Absatz 4 sowie die Artikel 11, 13 und 16 bis 32 für Kreditverträge gelten, die von einer Organisation geschlossen werden, die a) zum gegenseitigen Nutzen ihrer Mitglieder eingerichtet wurde, b) Gewinne ausschließlich für ihre Mitglieder erzielt, c) einen nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgeschriebenen sozialen Zweck erfüllt, d) nur von ihren Mitgliedern Ersparnisse erhält und verwaltet und auch nur für ihre Mitglieder Finanzierungsquellen erschließt und e) Kredite auf der Grundlage eines effektiven Jahreszinses gewährt, der unter den marktüblichen Zinssätzen liegt oder durch innerstaatliches Recht nach oben hin begrenzt ist, und deren Mitgliedschaft auf Personen beschränkt ist, die in einem bestimmten Bezirk wohnen oder beschäftigt sind, als Arbeitnehmer oder Rentner bei einem bestimmten Arbeitgeber beschäftigt sind bzw. waren oder auf Personen, die andere Anforderungen erfüllen, die nach innerstaatlichem Recht die Voraussetzung für das Bestehen einer gemeinsamen Verbindung zwischen den Mitgliedern bilden. Die Mitgliedstaaten können Kreditverträge, die von einer solchen Organisation geschlossen werden, vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausnehmen, wenn der Gesamtwert aller bestehenden Kreditverträge der Organisation im Verhältnis zum Gesamtwert aller bestehenden Kreditverträge in dem Mitgliedstaat, in dem die Organisation niedergelassen ist, unbedeutend ist und der Gesamtwert aller bestehenden Kreditverträge aller derartigen Organisationen in dem 406

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betreffenden Mitgliedstaat weniger als 1 % des Gesamtwerts aller bestehenden Kreditverträge in diesem Mitgliedstaat ausmacht. Die Mitgliedstaaten überprüfen jährlich, ob die Voraussetzungen für die Anwendung derartiger Ausnahmen weiterhin erfüllt sind, und ergreifen Maßnahmen, um die Ausnahmen zu widerrufen, wenn sie zu der Auffassung gelangen, dass die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. (6) Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass für Kreditverträge, die vorsehen, dass Kreditgeber und Verbraucher Vereinbarungen über Stundungs- oder Rückzahlungsmodalitäten treffen, wenn der Verbraucher seinen Verpflichtungen aus dem ursprünglichen Kreditvertrag nicht nachgekommen ist, lediglich die Artikel 1 bis 4, 6, 7, 9, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 2 Buchstaben a bis i, l und r, Artikel 10 Absatz 4 sowie die Artikel 11, 13, 16 und 18 bis 32 gelten, sofern a) durch solche Vereinbarungen voraussichtlich ein Gerichtsverfahren wegen Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtungen vermieden werden kann und b) der Verbraucher dadurch im Vergleich zum ursprünglichen Kreditvertrag nicht schlechter gestellt wird. Fällt der Kreditvertrag jedoch unter Absatz 3, so gelten nur die Bestimmungen jenes Absatzes. Art. 3 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) „Verbraucher“ eine natürliche Person, die bei den von dieser Richtlinie erfassten Geschäften zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann; b) „Kreditgeber“ eine natürliche oder juristische Person, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit einen Kredit gewährt oder zu gewähren verspricht; c) „Kreditvertrag“ einen Vertrag, bei dem ein Kreditgeber einem Verbraucher einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs, eines Darlehens oder einer sonstigen ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht; ausgenommen sind Verträge über die wiederkehrende Erbringung von Dienstleistungen oder über die Lieferung von Waren gleicher Art, bei denen der Verbraucher für die Dauer der Erbringung oder Lieferung Teilzahlungen für diese Dienstleistungen oder Waren leistet; d) „Überziehungsmöglichkeit“ einen ausdrücklichen Kreditvertrag, bei dem der Kreditgeber dem Verbraucher Beträge zur Verfügung stellt, die das aktuelle Guthaben auf dem laufenden Konto des Verbrauchers überschreiten; e) „Überschreitung“ eine stillschweigend akzeptierte Überziehung, bei der der Kreditgeber dem Verbraucher Beträge zur Verfügung stellt, die das aktuelle Guthaben auf dem laufenden Konto des Verbrauchers oder die vereinbarte Überziehungsmöglichkeit überschreiten; 407

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„Kreditvermittler“ eine natürliche oder juristische Person, die nicht als Kreditgeber handelt und die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit gegen ein Entgelt, das aus einer Geldzahlung oder einem sonstigen vereinbarten wirtschaftlichen Vorteil bestehen kann, i) Verbrauchern Kreditverträge vorstellt oder anbietet, ii) Verbrauchern bei anderen als den in Ziffer i genannten Vorarbeiten zum Abschluss von Kreditverträgen behilflich ist oder iii) für den Kreditgeber Kreditverträge mit den Verbrauchern abschließt; „Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ sämtliche Kosten, einschließlich der Zinsen, Provisionen, Steuern und Kosten jeder Art — ausgenommen Notargebühren –, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind; Kosten für Nebenleistungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, insbesondere Versicherungsprämien, sind ebenfalls enthalten, wenn der Abschluss des Vertrags über diese Nebenleistung eine zusätzliche zwingende Voraussetzung dafür ist, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird; „vom Verbraucher zu zahlender Gesamtbetrag“ die Summe des Gesamtkreditbetrags und der Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher; „effektiver Jahreszins“ die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, die als jährlicher Prozentsatz des Gesamtkreditbetrags ausgedrückt sind, soweit zutreffend einschließlich der Kosten gemäß Artikel 19 Absatz 2; „Sollzinssatz“ den als festen oder variablen periodischen Prozentsatz ausgedrückten Zinssatz, der auf jährlicher Basis auf die in Anspruch genommenen Kredit-Auszahlungsbeträge angewandt wird; „fester Sollzinssatz“ wenn der Kreditgeber und der Verbraucher im Kreditvertrag einen einzigen Sollzinssatz für die gesamte Laufzeit des Kreditvertrags oder mehrere Sollzinssätze für verschiedene Teilzeiträume der Gesamtlaufzeit vereinbaren, wobei ausschließlich ein bestimmter fester Prozentsatz zugrunde gelegt wird. Sind in dem Kreditvertrag nicht alle Sollzinssätze festgelegt, so gilt der Sollzinssatz nur für diejenigen Teilzeiträume der Gesamtlaufzeit als vereinbart, für die die Sollzinssätze ausschließlich durch einen bei Abschluss des Kreditvertrags vereinbarten bestimmten festen Prozentsatz festgelegt wurden; „Gesamtkreditbetrag“ die Obergrenze oder die Summe aller Beträge, die aufgrund eines Kreditvertrags zur Verfügung gestellt werden; „dauerhafter Datenträger“ jedes Medium, das es dem Verbraucher gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass er sie in der Folge für eine den Zwecken der Informationen angemessene Dauer einsehen kann, und das die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht;

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n) „verbundener Kreditvertrag“ einen Kreditvertrag, bei dem i) der betreffende Kredit ausschließlich der Finanzierung eines Vertrags über Lieferung bestimmter Waren oder die Erbringung einer bestimmten Dienstleistung dient und ii) diese beiden Verträge objektiv betrachtet eine wirtschaftliche Einheit bilden; von einer wirtschaftlichen Einheit ist auszugehen, wenn der Warenlieferant oder der Dienstleistungserbringer den Kredit zugunsten des Verbrauchers finanziert oder wenn sich der Kreditgeber im Falle der Finanzierung durch einen Dritten bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Kreditvertrags der Mitwirkung des Warenlieferanten oder des Dienstleistungserbringers bedient oder wenn im Kreditvertrag ausdrücklich die spezifischen Waren oder die Erbringung einer spezifischen Dienstleistung angegeben sind.

Kapitel II − Informationen und vorvertragliche Pflichten Art. 4 Standardinformationen, die in die Werbung aufzunehmen sind (1) Werden in der Werbung für Kreditverträge Zinssätze oder sonstige, auf die Kosten eines Kredits für den Verbraucher bezogene Zahlen genannt, so muss die Werbung die in diesem Artikel angegebenen Standardinformationen enthalten. Diese Verpflichtung gilt nicht, wenn innerstaatliche Vorschriften verlangen, dass bei der Werbung für Kreditverträge, die keine Angaben über den Zinssatz oder Zahlenangaben über dem Verbraucher entstehende Kosten des Kredits im Sinne von Unterabsatz 1 enthält, der effektive Jahreszins anzugeben ist. (2) Die Standardinformationen nennen folgende Elemente in klarer, prägnanter und auffallender Art und Weise anhand eines repräsentativen Beispiels: a) fester oder variabler Sollzinssatz oder fester und variabler Sollzinssatz, zusammen mit Einzelheiten aller für den Verbraucher anfallenden, in die Gesamtkreditkosten einbezogenen Kosten; b) Gesamtkreditbetrag; c) effektiver Jahreszins; die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass bei Kreditverträgen im Sinne des Artikels 2 Absatz 3 kein effektiver Jahreszins angegeben werden muss; d) falls zutreffend, Laufzeit des Kreditvertrags; e) im Falle eines Kredits in Form eines Zahlungsaufschubs für eine bestimmte Ware oder Dienstleistung, Barzahlungspreis und Betrag etwaiger Anzahlungen und f) gegebenenfalls vom Verbraucher zu zahlender Gesamtbetrag sowie der Betrag der Teilzahlungen. 409

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(3) Ist der Abschluss eines Vertrags über die Inanspruchnahme einer Nebenleistung, insbesondere eines Versicherungsvertrags, im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zwingende Voraussetzung dafür, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird, und können die Kosten der Nebenleistung nicht im Voraus bestimmt werden, so ist auf die Verpflichtung zum Abschluss jenes Vertrags ebenfalls in klarer, prägnanter Form an optisch hervorgehobener Stelle zusammen mit dem effektiven Jahreszinssatz hinzuweisen. (4) Dieser Artikel gilt unbeschadet der Richtlinie 2005/29/EG.11 Art. 5 Vorvertragliche Informationen (1) Rechtzeitig bevor der Verbraucher durch einen Kreditvertrag oder ein Angebot gebunden ist, gibt der Kreditgeber und gegebenenfalls der Kreditvermittler dem Verbraucher auf der Grundlage der vom Kreditgeber angebotenen Kreditbedingungen und gegebenenfalls der vom Verbraucher geäußerten Präferenzen und vorgelegten Auskünfte die Information, die der Verbraucher benötigt, um verschiedene Angebote zu vergleichen und eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob er einen Kreditvertrag schließen will. Diese Informationen werden auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger mittels des Formulars „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ in Anhang II mitgeteilt. Die Informationspflichten des Kreditgebers nach diesem Absatz und nach Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 2002/65/EG12 gelten als erfüllt, wenn er das Formular „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ vorgelegt hat. Diese Informationen müssen Folgendes erläutern: a) die Art des Kredits; b) die Identität und die Anschrift des Kreditgebers sowie gegebenenfalls die Identität und die Anschrift des beteiligten Kreditvermittlers; c) den Gesamtkreditbetrag und die Bedingungen für die Inanspruchnahme; d) die Laufzeit des Kreditvertrags; e) bei Krediten in Form eines Zahlungsaufschubs für eine bestimmte Ware oder Dienstleistung und bei verbundenen Kreditverträgen die Ware oder die Dienstleistung und den Barzahlungspreis; f) den Sollzinssatz, die Bedingungen für die Anwendung des Sollzinssatzes und, soweit vorhanden, Indizes oder Referenzzinssätze, die auf den anfänglichen Sollzinssatz Anwendung finden, ferner die Zeiträume, Bedingungen und die Art und Weise der Anpassung des Sollzinssatzes. Gelten unter be-

11 [Geschäftspraktiken-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.21] 12 [Finanzdienstleistung-Fernabsatz-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.2]

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stimmten Umständen unterschiedliche Sollzinssätze, so sind die oben genannten Informationen für alle anzuwendenden Sollzinssätze zu erteilen; den effektiven Jahreszins und den vom Verbraucher zu zahlenden Gesamtbetrag, erläutert durch ein repräsentatives Beispiel unter Angabe sämtlicher in die Berechnung des Jahreszinses einfließenden Annahmen; hat der Verbraucher dem Kreditgeber seine Wünsche in Bezug auf eines oder mehrere Elemente seines Kredits mitgeteilt, beispielsweise in Bezug auf die Laufzeit des Kreditvertrags oder den Gesamtkreditbetrag, so muss der Kreditgeber diese Elemente berücksichtigen; sofern ein Kreditvertrag unterschiedliche Verfahren der Inanspruchnahme mit jeweils unterschiedlichen Entgelten oder Sollzinssätzen vorsieht, und der Kreditgeber die Vermutung nach Anhang I Teil II Buchstabe b trifft, so weist er darauf hin, dass andere Mechanismen der Inanspruchnahme bei der Art des Kreditvertrags zu einem höheren effektiven Jahreszins führen können; den Betrag, die Anzahl und die Periodizität der vom Verbraucher zu leistenden Zahlungen und gegebenenfalls die Reihenfolge, in der die Zahlungen auf verschiedene ausstehende Restbeträge, für die unterschiedliche Sollzinssätze gelten, zum Zwecke der Rückzahlung angerechnet werden; gegebenenfalls die Entgelte für die Führung eines oder mehrerer Konten für die Buchung der Zahlungsvorgänge und der in Anspruch genommenen Kreditbeträge, es sei denn, die Eröffnung eines entsprechenden Kontos ist fakultativ, zusammen mit den Entgelten für die Verwendung eines Zahlungsmittels, mit dem sowohl Zahlungsvorgänge als auch Abhebungen getätigt werden können, sonstige Entgelte aufgrund des Kreditvertrags und die Bedingungen, unter denen diese Entgelte geändert werden können; falls zutreffend, den Hinweis auf vom Verbraucher bei Abschluss des Kreditvertrags zu zahlende Notargebühren; gegebenenfalls die Verpflichtung, einen mit dem Kreditvertrag zusammenhängenden Vertrag, insbesondere über eine Versicherung, abzuschließen, wenn der Abschluss eines solchen Vertrags Voraussetzung dafür ist, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird; den anwendbaren Satz der Verzugszinsen und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung sowie gegebenenfalls anfallende Verzugskosten; einen Warnhinweis zu den Folgen ausbleibender Zahlungen; die gegebenenfalls verlangten Sicherheiten; das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts; das Recht auf vorzeitige Rückzahlung und gegebenenfalls die Informationen zum Anspruch des Kreditgebers auf Entschädigung sowie zur Art der Berechnung dieser Entschädigung gemäß Artikel 16; 411

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q) das Recht des Verbrauchers auf unverzügliche und unentgeltliche Unterrichtung gemäß Artikel 9 Absatz 2 über das Ergebnis einer Datenbankabfrage zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit; r) das Recht des Verbrauchers, auf Verlangen unentgeltlich eine Kopie des Kreditvertragsentwurfs zu erhalten. Diese Bestimmung gilt nicht, wenn der Kreditgeber zum Zeitpunkt der Beantragung nicht zum Abschluss eines Kreditvertrags mit dem Verbraucher bereit ist und s) gegebenenfalls den Zeitraum, während dessen der Kreditgeber an die vorvertraglichen Informationen gebunden ist. Wird in dem Kreditvertrag auf einen Referenzwert im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Nummer 3 der Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates13 Bezug genommen, teilt der Kreditgeber oder gegebenenfalls der Kreditvermittler dem Verbraucher in einem eigenen Dokument, das dem Formular „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ beigefügt werden kann, den Namen des Referenzwerts und seines Administrators sowie dessen mögliche Auswirkungen auf den Verbraucher mit. Etwaige zusätzliche Informationen des Kreditgebers für den Verbraucher sind in einem gesonderten Dokument zu erteilen, das dem betreffenden Formular „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ beigefügt werden kann. (2) Bei fernmündlicher Kommunikation im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 2002/65/EG muss die nach Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich der genannten Richtlinie zu liefernde Beschreibung der Hauptmerkmale der Finanzdienstleistung jedoch zumindest die in Absatz 1 Buchstaben c, d, e, f und h des vorliegenden Artikels vorgesehenen Angaben und den anhand eines repräsentativen Beispiels erläuterten effektiven Jahreszins sowie den vom Verbraucher zu zahlenden Gesamtbetrag enthalten. (3) Wurde der Vertrag auf Ersuchen des Verbrauchers mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen, das die Erteilung der Informationen gemäß Absatz 1 nicht gestattet, insbesondere in dem in Absatz 2 genannten Fall, teilt der Kreditgeber dem Verbraucher unverzüglich nach Abschluss des Kreditvertrags die vollständigen vorvertraglichen Informationen mittels des Formulars für Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite mit.

13 Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (ABl. L 171 vom 29. 6. 2016, S. 1).

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(4) Auf Verlangen erhält der Verbraucher zusätzlich zu dem Formular „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ unentgeltlich eine Kopie des Kreditvertragsentwurfs. Diese Bestimmung gilt nicht, wenn der Kreditgeber zum Zeitpunkt der Beantragung nicht zum Abschluss eines Kreditvertrags mit dem Verbraucher bereit ist. (5) Dienen bei einem Kreditvertrag vom Verbraucher geleistete Zahlungen nicht der unmittelbaren Tilgung seiner Schuld im Verhältnis zum Gesamtkreditbetrag, sondern der Bildung von Kapital innerhalb der Zeiträume und zu den Bedingungen, die im Kreditvertrag oder in einem Zusatzvertrag zum Kreditvertrag vorgesehen sind, so muss aus den nach Absatz 1 bereitgestellten vorvertraglichen Informationen klar und prägnant hervorgehen, dass der Kreditvertrag oder der Zusatzvertrag keine Garantie für die Rückzahlung des aufgrund des Kreditvertrags in Anspruch genommenen Gesamtbetrags vorsieht, es sei denn, eine solche Garantie wird gegeben. (6) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditgeber und gegebenenfalls Kreditvermittler dem Verbraucher angemessene Erläuterungen geben, gegebenenfalls durch Erläuterung der vorvertraglichen Informationen gemäß Absatz 1, der Hauptmerkmale der angebotenen Produkte und der möglichen spezifischen Auswirkungen der Produkte auf den Verbraucher, einschließlich der Konsequenzen bei Zahlungsverzug des Verbrauchers, damit der Verbraucher in die Lage versetzt wird, zu beurteilen, ob der Vertrag seinen Bedürfnissen und seiner finanziellen Situation gerecht wird. Die Mitgliedstaaten können die Art und Weise dieser Unterstützung sowie deren Umfang und die Frage, durch wen sie zu geben ist, den besonderen Umständen der Situation, in der der Kreditvertrag angeboten wird, der Person, der er angeboten wird, und der Art des angebotenen Kredits anpassen. Art. 6 Vorvertragliche Informationspflichten bei bestimmen Kreditverträgen in Form von Überziehungsmöglichkeiten und bei bestimmten, speziellen Kreditverträgen (1) Rechtzeitig bevor der Verbraucher durch einen Kreditvertrag oder ein Angebot für einen Kreditvertrag im Sinne von Artikel 2 Absätze 3, 5 oder 6 gebunden ist, erteilt der Kreditgeber und gegebenenfalls der Kreditvermittler dem Verbraucher auf der Grundlage der vom Kreditgeber angebotenen Kreditbedingungen und gegebenenfalls der vom Verbraucher geäußerten Präferenzen und vorgelegten Auskünfte die Informationen, die der Verbraucher benötigt, um verschiedene Angebote zu vergleichen und eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob er einen Kreditvertrag schließen will. Diese Informationen müssen folgende Angaben enthalten: a) die Art des Kredits; b) die Identität und die Anschrift des Kreditgebers sowie gegebenenfalls die Identität und die Anschrift des beteiligten Kreditvermittlers; 413

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c) den Gesamtkreditbetrag; d) die Laufzeit des Kreditvertrags; e) den Sollzinssatz, die Bedingungen für die Anwendung des Sollzinssatzes sowie Indizes oder Referenzzinssätze, die auf den anfänglichen Sollzinssatz Anwendung finden; die vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses des Kreditvertrags an zu zahlenden Entgelte und gegebenenfalls die Bedingungen, unter denen diese Entgelte geändert werden können; f) den effektiven Jahreszins, erläutert anhand repräsentativer Beispiele unter Angabe sämtlicher in die Berechnung des Jahreszinses einfließenden Annahmen; g) die Bedingungen und das Verfahren zur Beendigung des Kreditvertrags; h) bei Kreditverträgen nach Artikel 2 Absatz 3 gegebenenfalls den Hinweis, dass der Verbraucher jederzeit zur Rückzahlung des gesamten Kreditbetrags aufgefordert werden kann; i) den Zinssatz, der im Verzugsfall Anwendung findet, und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung sowie gegebenenfalls anfallende Verzugskosten; j) das Recht des Verbrauchers auf unverzügliche und unentgeltliche Unterrichtung gemäß Artikel 9 Absatz 2 über das Ergebnis einer Datenbankabfrage zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit; k) bei Kreditverträgen nach Artikel 2 Absatz 3 Angaben zu den ab Abschluss des Kreditvertrags einschlägigen Kosten und, sofern zutreffend die Bedingungen, nach denen diese Kosten geändert werden können; l) gegebenenfalls den Zeitraum, während dessen der Kreditgeber an die vorvertraglichen Informationen gebunden ist. Diese Informationen werden auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger mitgeteilt und alle in gleicher Weise optisch hervorgehoben. Dies kann mittels des Formulars „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ in Anhang III geschehen. Die Informationspflichten des Kreditgebers nach dem vorliegenden Absatz und nach Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 2002/65/EG gelten als erfüllt, wenn er das Formular „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ vorgelegt hat. (2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass bei Kreditverträgen im Sinne des Artikels 2 Absatz 3 kein effektiver Jahreszins angegeben werden muss. (3) Bei Kreditverträgen im Sinne des Artikels 2 Absätze 5 und 6 ist der Verbraucher gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels auch über Folgendes zu informieren: a) den Betrag, die Anzahl und die Periodizität der vom Verbraucher zu leistenden Zahlungen und gegebenenfalls die Reihenfolge, in der die Zahlungen auf verschiedene ausstehende Restbeträge, für die unterschiedliche Sollzinssätze gelten, zum Zwecke der Rückzahlung angerechnet werden, und 414

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b) das Recht auf vorzeitige Rückzahlung und gegebenenfalls die Informationen zum Anspruch des Kreditgebers auf Entschädigung sowie zur Art der Festlegung dieser Entschädigung. Fällt der Kreditvertrag jedoch unter Artikel 2 Absatz 3, so gelten nur die in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Bestimmungen. (4) Bei fernmündlicher Kommunikation oder falls der Verbraucher verlangt, dass die Überziehungsmöglichkeit sofort zur Verfügung steht, muss die Beschreibung der Hauptmerkmale der Finanzdienstleistung zumindest die in Absatz 1 Buchstaben c, e, f und h vorgesehenen Angaben enthalten. Im Falle von Kreditverträgen im Sinne von Absatz 3 muss die Beschreibung der Hauptmerkmale außerdem eine Bestimmung der Laufzeit des Kreditvertrags enthalten. (5) Ungeachtet der Ausnahmeregelung des Artikels 2 Absatz 2 Buchstabe e sehen die Mitgliedstaaten für Kreditverträge in Form einer Überziehungsmöglichkeit, bei denen der Kredit innerhalb eines Monats zurückzuzahlen ist, zumindest die Anforderungen des Absatzes 4 Satz 1 des vorliegenden Artikels vor. (6) Auf Verlangen erhält der Verbraucher zusätzlich zu den in den Absätzen 1 bis 4 genannten Informationen unentgeltlich eine Kopie des Kreditvertragsentwurfs mit den vertraglichen Informationen gemäß Artikel 10, sofern dieser Anwendung findet. Diese Bestimmung gilt nicht, wenn der Kreditgeber zum Zeitpunkt der Beantragung nicht zum Abschluss eines Kreditvertrags mit dem Verbraucher bereit ist. (7) In dem Fall, dass der Vertrag auf Ersuchen des Verbrauchers mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wurde, das die Erteilung der Informationen gemäß den Absätzen 1 und 3, einschließlich der in Absatz 4 genannten Fälle, nicht gestattet, kommt der Kreditgeber unverzüglich nach Abschluss des Kreditvertrags seinen Verpflichtungen gemäß den Absätzen 1 und 3 nach, indem er dem Verbraucher die vertraglichen Informationen gemäß Artikel 10, sofern dieser Anwendung findet, vorlegt. Art. 7 Ausnahmen von den vorvertraglichen Informationspflichten Die Artikel 5 und 6 gelten nicht für Warenlieferanten oder Dienstleistungserbringer, die nur in untergeordneter Funktion als Kreditvermittler beteiligt sind. Die Verpflichtung des Kreditgebers, dem Verbraucher die in diesen Artikeln genannten vorvertraglichen Informationen mitzuteilen, wird hiervon nicht berührt. Art. 8 Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass vor Abschluss des Kreditvertrages der Kreditgeber die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers anhand ausreichender Informationen bewertet, die er gegebenenfalls beim Verbraucher einholt und erforderlichenfalls anhand von Auskünften aus der in Frage kommenden Daten415

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bank. Diejenigen Mitgliedstaaten, die die Kreditgeber gesetzlich dazu verpflichten, die Kreditwürdigkeit aufgrund der Abfrage einer entsprechenden Datenbank zu beurteilen, können diese Anforderung beibehalten. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass, sofern die Parteien übereinkommen, den Gesamtkreditbetrag nach Abschluss des Kreditvertrages zu ändern, der Kreditgeber die ihm zur Verfügung stehenden Finanzinformationen über den Verbraucher auf den neuen Stand bringt und die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers vor jeder deutlichen Erhöhung des Gesamtkreditbetrags bewertet.

Kapitel III − Zugang zu Datenbanken Art. 9 Zugang zu Datenbanken (1) Jeder Mitgliedstaat stellt bei grenzüberschreitenden Krediten sicher, dass Kreditgeber aus anderen Mitgliedstaaten Zugang zu den in seinem Hoheitsgebiet zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers verwendeten Datenbanken haben. Der Zugang ist ohne Diskriminierung zu gewähren. (2) Wird ein Kreditantrag aufgrund einer Datenbankabfrage abgelehnt, so unterrichtet der Kreditgeber den Verbraucher unverzüglich und unentgeltlich über das Ergebnis dieser Abfrage und über die Angaben der betreffenden Datenbank. (3) Die Unterrichtung erfolgt, es sei denn, sie ist nach anderen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften nicht zulässig oder läuft Zielen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit zuwider. (4) Dieser Artikel gilt unbeschadet der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr.14

Kapitel IV − Information und Rechte aus Kreditverträgen Art. 10 Zwingende Angaben in Kreditverträgen (1) Kreditverträge werden auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger erstellt. Alle Vertragsparteien erhalten eine Ausfertigung des Kreditvertrags. Innerstaatliche Vorschriften über die Gültigkeit des Abschlusses von Kreditverträgen, die mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehen, bleiben unberührt.

14 ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31. Geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 (ABl. L 284 vom 31. 10. 2003, S. 1).

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(2) Im Kreditvertrag ist in klarer, prägnanter Form Folgendes anzugeben: a) die Art des Kredits; b) die Identität und Anschriften der Vertragsparteien sowie gegebenenfalls die Identität und die Anschrift des beteiligten Kreditvermittlers; c) die Laufzeit des Kreditvertrags; d) der Gesamtkreditbetrag und die Bedingungen für die Inanspruchnahme; e) bei Krediten in Form eines Zahlungsaufschubs für eine bestimmte Ware oder Dienstleistung oder bei verbundenen Kreditverträgen die Ware oder die Dienstleistung und der Barzahlungspreis; f) der Sollzinssatz, die Bedingungen für die Anwendung des Sollzinssatzes und, soweit vorhanden, Indizes oder Referenzzinssätze, die sich auf den anfänglichen Sollzinssatz beziehen, ferner die Zeiträume, Bedingungen und die Art und Weise der Anpassung des Sollzinssatzes; gelten unter verschiedenen Umständen unterschiedliche Sollzinssätze, so sind die genannten Informationen für alle anzuwendenden Sollzinssätze zu erteilen; g) der effektive Jahreszins und der vom Verbraucher zu zahlende Gesamtbetrag, berechnet zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrages; anzugeben sind alle in die Berechnung dieses Zinses einfließenden Annahmen. h) der Betrag, die Anzahl und die Periodizität der vom Verbraucher zu leistenden Zahlungen und gegebenenfalls die Reihenfolge, in der die Zahlungen auf verschiedene ausstehende Restbeträge, für die unterschiedliche Sollzinssätze gelten, zum Zwecke der Rückzahlung angerechnet werden; i) im Falle der Darlehenstilgung bei einem Kreditvertrag mit fester Laufzeit das Recht des Verbrauchers auf Antrag kostenlos und zu jedem beliebigen Zeitpunkt während der Gesamtlaufzeit des Kreditvertrags eine Aufstellung in Form eines Tilgungsplans zu erhalten. Aus dem Tilgungsplan geht hervor, welche Zahlungen in welchen Zeitabständen zu leisten sind und welche Bedingungen für diese Zahlungen gelten; in dem Plan sind die einzelnen periodischen Rückzahlungen nach der Darlehenstilgung, den nach dem Sollzinssatz berechneten Zinsen und gegebenenfalls allen zusätzlichen Kosten aufzuschlüsseln; im Falle eines Kreditvertrags, bei dem kein fester Zinssatz vereinbart wurde oder die zusätzlichen Kosten geändert werden können, ist in dem Tilgungsplan in klarer und prägnanter Form anzugeben, dass die Daten im Tilgungsplan nur bis zur nächsten Änderung des Sollzinssatzes oder der zusätzlichen Kosten gemäß dem Kreditvertrag Gültigkeit haben; j) ist die Zahlung von Entgelten und Zinsen ohne Kapitaltilgung vorgesehen, so ist eine Aufstellung der Zeiträume und Bedingungen für die Zahlung der Sollzinsen und der damit verbundenen wiederkehrenden und nicht wiederkehrenden Entgelte zu erstellen; 417

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k) gegebenenfalls die Entgelte für die Führung eines oder mehrerer Konten für die Buchung der Zahlungsvorgänge und der in Anspruch genommenen Kreditbeträge, es sei denn, die Eröffnung eines Kontos ist fakultativ, zusammen mit den Entgelten für die Verwendung eines Zahlungsmittels, mit dem sowohl Zahlungsvorgänge als auch Abhebungen getätigt werden können, sonstige Entgelte aufgrund des Kreditvertrags und die Bedingungen, unter denen diese Entgelte geändert werden können; l) der Satz der Verzugszinsen gemäß der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags geltenden Regelung und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung sowie gegebenenfalls anfallende Verzugskosten; m) einen Warnhinweis zu den Folgen ausbleibender Zahlungen; n) soweit zutreffend, ein Hinweis dass Notargebühren anfallen; o) gegebenenfalls die verlangten Sicherheiten und Versicherungen; p) das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts, einschließlich der Angaben zu der Verpflichtung des Verbrauchers, das in Anspruch genommene Kapital zurückzuzahlen, den Zinsen gemäß Artikel 14 Absatz 3 Buchstabe b und der Höhe der Zinsen pro Tag; q) Informationen über die aus Artikel 15 erwachsenden Rechte und über die Bedingungen für die Ausübung dieser Rechte; r) das Recht auf vorzeitige Rückzahlung, das Verfahren bei vorzeitiger Rückzahlung und gegebenenfalls Informationen zum Anspruch des Kreditgebers auf Entschädigung sowie zur Art der Berechnung dieser Entschädigung; s) die einzuhaltenden Modalitäten bei der Ausübung des Rechts auf Kündigung des Kreditvertrags; t) die Angabe, ob der Verbraucher Zugang zu einem außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren hat, und gegebenenfalls die Voraussetzungen für diesen Zugang; u) gegebenenfalls weitere Vertragsbedingungen; v) gegebenenfalls der Name und die Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehörde. (3) Sofern Absatz 2 Buchstabe i Anwendung findet, stellt der Kreditgeber dem Verbraucher kostenlos und zu jedem beliebigen Zeitpunkt während der Gesamtlaufzeit des Kreditvertrages eine Aufstellung in Form eines Tilgungsplans zur Verfügung. (4) Dienen bei einem Kreditvertrag vom Verbraucher geleistete Zahlungen nicht der unmittelbaren Tilgung seiner Schuld im Verhältnis zum Gesamtkreditbetrag, sondern der Bildung von Kapital innerhalb der Zeiträume und zu den Bedingungen, die im Kreditvertrag oder in einem Zusatzvertrag zum Kreditvertrag vorgesehen sind, so muss aus den nach Absatz 2 bereitgestellten Informationen 418

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klar und prägnant hervorgehen, dass der Kreditvertrag oder der Zusatzvertrag keine Garantie für die Rückzahlung des aufgrund des Kreditvertrags in Anspruch genommenen Gesamtkreditbetrags vorsieht, es sei denn, eine solche Garantie wird gegeben. (5) Bei Kreditverträgen in Form von Überziehungsmöglichkeiten nach Artikel 2 Absatz 3 ist in klarer, prägnanter Form Folgendes anzugeben: a) die Art des Kredits; b) die Identität und Anschriften der Vertragsparteien sowie gegebenenfalls die Identität und die Anschrift des beteiligten Kreditvermittlers; c) die Laufzeit des Kreditvertrags; d) der Gesamtbetrag des Kredits und die Bedingungen für die Inanspruchnahme; e) der Sollzinssatz, die Bedingungen für die Anwendung des Sollzinssatzes und, soweit vorhanden, Indizes oder Referenzzinssätze, die sich auf den anfänglichen Sollzinssatz beziehen, ferner die Zeiträume, Bedingungen und die Art und Weise der Anpassung des Sollzinssatzes und sofern unter verschiedenen Umständen unterschiedliche Sollzinssätze gelten, so sind die genannten Informationen für alle anzuwendenden Sollzinssätze zu erteilen; f) der effektive Jahreszins und die Gesamtkosten des Kredites für den Verbraucher, berechnet zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags; anzugeben sind alle in die Berechnung dieses Zinses einfließenden Annahmen gemäß Artikel 19 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 3 Buchstaben g und i. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass bei Kreditverträgen im Sinne des Artikels 2 Absatz 3 der effektive Jahreszins nicht angegeben werden muss; g) der Hinweis, dass der Verbraucher jederzeit zur Rückzahlung des gesamten Kreditbetrags aufgefordert werden kann; h) die einzuhaltenden Modalitäten bei der Ausübung des Rechts auf Kündigung des Kreditvertrags und i) Angaben über die vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses des Kreditvertrags an einschlägigen Entgelte und soweit zutreffend die Bedingungen, unter denen diese Entgelte geändert werden können. Art. 11 Angaben zum Sollzinssatz (1) Gegebenenfalls ist der Verbraucher über eine Änderung des Sollzinssatzes auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger zu informieren, bevor die Änderung wirksam wird. Dabei ist der Betrag der nach dem Wirksamwerden des neuen Sollzinssatzes zu leistenden Zahlungen anzugeben; ändern sich die Anzahl oder die Periodizität der zu leistenden Zahlungen, so sind auch hierzu Einzelheiten anzugeben. (2) Die Vertragsparteien können jedoch in dem Kreditvertrag vereinbaren, dass die Information nach Absatz 1 dem Verbraucher in regelmäßigen Abständen 419

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erteilt wird, wenn die Änderung des Sollzinssatzes auf eine Änderung eines Referenzzinssatzes zurückgeht, der neue Referenzzinssatz auf geeigneten Wegen öffentlich zugänglich gemacht wird und die Information über den neuen Referenzzinssatz außerdem in den Geschäftsräumen des Kreditgebers eingesehen werden kann. Art. 12 Verpflichtungen bei Kreditverträgen in Form einer Überziehungsmöglichkeit (1) Wird einem Verbraucher ein Kredit in Form einer Überziehungsmöglichkeit eingeräumt, so wird er regelmäßig mittels eines Kontoauszugs auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger informiert, der folgende Einzelheiten enthält: a) den genauen Zeitraum, auf den sich der Kontoauszug bezieht; b) die in Anspruch genommenen Beträge und das Datum der Inanspruchnahme; c) den Saldo sowie das Datum des letzten Kontoauszugs; d) den neuen Saldo; e) das jeweilige Datum und den jeweiligen Betrag der Zahlungen des Verbrauchers; f) den angewandten Sollzinssatz; g) etwaige erhobene Entgelte; h) den gegebenenfalls zu zahlenden Mindestbetrag. (2) Darüber hinaus ist der Verbraucher auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger über Erhöhungen des Sollzinssatzes oder der erhobenen Entgelte zu unterrichten bevor die Änderung wirksam wird. Die Vertragsparteien können jedoch in dem Kreditvertrag vereinbaren, dass die Information über die Änderung des Sollzinssatzes nach Maßgabe des Absatzes 1 zu erteilen ist, wenn diese Änderung auf eine Änderung eines Referenzzinssatzes zurückgeht, der neue Referenzzinssatz auf geeigneten Wegen öffentlich zugänglich gemacht wird und die Information über den neuen Referenzzinssatz außerdem in den Geschäftsräumen des Kreditgebers eingesehen werden kann. Art. 13 Unbefristete Kreditverträge (1) Der Verbraucher kann einen unbefristeten Kreditvertrag jederzeit unentgeltlich ordentlich kündigen, es sei denn, die Parteien haben eine Kündigungsfrist vereinbart. Die Kündigungsfrist darf einen Monat nicht überschreiten. Enthält der Kreditvertrag eine entsprechende Vereinbarung, so kann der Kreditgeber einen unbefristeten Kreditvertrag unter Einhaltung einer mindestens zweimonatigen Kündigungsfrist ordentlich kündigen; die Kündigung ist dem Verbraucher auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger mitzuteilen. 420

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(2) Enthält der Kreditvertrag eine entsprechende Vereinbarung, so kann der Kreditgeber aus sachlich gerechtfertigten Gründen dem Verbraucher das Recht auf Inanspruchnahme von Kreditbeträgen aufgrund eines unbefristeten Kreditvertrags entziehen. Der Kreditgeber hat den Verbraucher über die Entziehung und die Gründe hierfür möglichst vor, spätestens jedoch unverzüglich nach der Entziehung auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger zu informieren, es sei denn, eine solche Unterrichtung ist nach anderen Gemeinschaftsvorschriften nicht zulässig oder läuft Zielen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit zuwider. Artikel 14 Widerrufsrecht (1) Der Verbraucher kann innerhalb von vierzehn Kalendertagen ohne Angabe von Gründen den Kreditvertrag widerrufen. Diese Widerrufsfrist beginnt a) entweder am Tag des Abschlusses des Kreditvertrags oder b) an dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und die Informationen gemäß Artikel 10 erhält, sofern dieser nach dem in Buchstabe a des vorliegenden Unterabsatzes genannten Datum liegt. (2) Sofern bei verbundenen Kreditverträgen nach der Begriffsbestimmung in Artikel 3 Buchstabe n das bei Inkrafttreten der Richtlinie geltende innerstaatliche Recht bereits vorsieht, dass die Mittel dem Verbraucher nicht vor Ablauf einer speziellen Frist bereitgestellt werden dürfen, können die Mitgliedstaaten ausnahmsweise vorsehen, dass die in Absatz 1 genannte Frist auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers auf diese spezielle Frist verkürzt werden kann. (3) Übt der Verbraucher sein Widerrufsrecht aus, so a) erklärt er den Widerruf, um diesen vor Ablauf der in Absatz 1 genannten Frist wirksam werden zu lassen, gegenüber dem Kreditgeber entsprechend den Informationen, die der Kreditgeber ihm gemäß Artikel 10 Absatz 2 Buchstabe p gegeben hat, in einer Weise, die einen Nachweis nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ermöglicht. Die Widerrufsfrist gilt als gewahrt, wenn diese Mitteilung, sofern sie auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger erfolgt, der dem Kreditgeber zur Verfügung steht und zu dem er Zugang hat, vor Fristablauf abgesandt wird, und b) zahlt er dem Kreditgeber unverzüglich, spätestens jedoch binnen 30 Kalendertagen nach Absendung der Widerrufserklärung an den Kreditgeber das Darlehen einschließlich der ab dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Kredits bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung des Darlehens aufgelaufenen Zinsen zurück. Die Zinsen sind auf der Grundlage des vereinbarten Sollzinssatzes zu berechnen. Der Kreditgeber hat im Falle des Widerrufs keinen Anspruch auf weitere vom Verbraucher zu leistende Entschädigungen, mit Ausnahme von Entschädigungen für Entgelte, die der Kreditgeber an Behörden entrichtet hat und nicht zurückverlangen kann. 421

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(4) Wird eine Nebenleistung im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag vom Kreditgeber oder von einem Dritten aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Kreditgeber erbracht, so ist der Verbraucher nicht mehr an die Vereinbarung über die Nebenleistung gebunden, wenn er sein Recht auf Widerruf vom Kreditvertrag gemäß diesem Artikel ausübt. (5) Verfügt der Verbraucher über ein Widerrufsrecht gemäß den Absätzen 1, 3 und 4, so finden Artikel 6 und 7 der Richtlinie 2002/65/EG und Artikel 5 der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen15 keine Anwendung. (6) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Absätze 1 bis 4 nicht für Kreditverträge gelten, die nach geltenden Rechtsvorschriften unter Mitwirkung eines Notars geschlossen werden müssen, sofern der Notar bestätigt, dass die Rechte des Verbrauchers gemäß den Artikeln 5 und 10 gewahrt sind. (7) Dieser Artikel berührt nicht innerstaatliche Rechtsvorschriften, die eine Frist vorsehen, innerhalb deren die Ausführung des Vertrags nicht beginnen kann. Art. 15 Verbundene Kreditverträge (1) Hat der Verbraucher ein Recht auf Widerruf von einem Vertrag über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen ausgeübt, das auf Gemeinschaftsrecht beruht, so ist er an einen damit verbundenen Kreditvertrag nicht mehr gebunden. (2) Werden die unter einen verbundenen Kreditvertrag fallenden Waren oder Dienstleistungen nicht oder nur teilweise geliefert oder entsprechen sie nicht dem Warenlieferungs- oder Dienstleistungsvertrag, so kann der Verbraucher Rechte gegen den Kreditgeber geltend machen, wenn er nach den geltenden Rechtsvorschriften oder den Bestimmungen des Warenlieferungs- oder Dienstleistungsvertrags seine Rechte gegen den Lieferanten oder den Dienstleistungserbringer geltend gemacht hat, diese aber nicht durchsetzen konnte. Die Mitgliedstaaten bestimmen, in welchem Maße und unter welchen Bedingungen diese Rechtsmittel ausgeübt werden können. (3) Dieser Artikel gilt unbeschadet innerstaatlicher Rechtsvorschriften, nach denen ein Kreditgeber gegenüber jeglichen Ansprüchen, die der Verbraucher gegen den Lieferanten bzw. Dienstleistungserbringer haben könnte, als Gesamtschuldner verpflichtet ist, wenn der Erwerb von Waren oder Dienstleistungen vom Lieferanten über einen Kreditvertrag finanziert wird. Art. 16 Vorzeitige Rückzahlung (1) Der Verbraucher ist berechtigt, seine Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag jederzeit ganz oder teilweise zu erfüllen. 15 ABl. L 372 vom 31. 12. 1985, S. 31. [Ersetzt durch Verbraucherrechte-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.1.]

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In solchen Fällen hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet. (2) Der Kreditgeber kann im Falle der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits eine angemessene und objektiv gerechtfertigte Entschädigung für die möglicherweise entstandenen, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten verlangen, wenn die vorzeitige Rückzahlung in einen Zeitraum fällt, für den ein fester Sollzinssatz vereinbart wurde. Die Entschädigung darf 1 % des vorzeitig zurückgezahlten Kreditbetrags nicht überschreiten, wenn der Zeitraum zwischen der vorzeitigen Rückzahlung und dem Zeitpunkt des vereinbarten Ablaufs des Kreditvertrags ein Jahr überschreitet. Überschreitet der Zeitraum nicht ein Jahr, darf die Entschädigung 0,5 % des vorzeitig zurückgezahlten Kreditbetrags nicht überschreiten. (3) Eine Entschädigung für vorzeitige Rückzahlung darf nicht verlangt werden, a) wenn die Rückzahlung aufgrund eines Versicherungsvertrags erfolgt, der vereinbarungsgemäß die Rückzahlung des Kredits gewährleisten soll, b) im Falle von Überziehungsmöglichkeiten oder c) wenn die Rückzahlung in einen Zeitraum fällt, für den kein fester Sollzinssatz vereinbart wurde. (4) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, a) dass der Kreditgeber diese Entschädigung nur dann verlangen darf, wenn der Betrag der vorzeitigen Rückzahlung den im jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehenen Schwellenwert überschreitet. Der Schwellenwert darf nicht höher sein als 10000 EUR innerhalb eines Zwölfmonatszeitraums; b) dass der Kreditgeber ausnahmsweise eine höhere Entschädigung verlangen kann, wenn er nachweist, dass der aus der vorzeitigen Rückzahlung entstandene Verlust den nach Absatz 2 bestimmten Betrag übersteigt. Übersteigt die vom Kreditgeber beanspruchte Entschädigung den tatsächlich erlittenen Verlust, so kann der Verbraucher eine entsprechende Verminderung fordern. In diesem Fall besteht der Verlust in der Differenz zwischen dem ursprünglich vereinbarten Zinssatz und dem Zinssatz, zu dem der Kreditgeber den vorzeitig zurückgezahlten Betrag auf dem Markt zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung als Kredit ausreichen kann und zwar unter Berücksichtigung der Auswirkung der vorzeitigen Rückzahlung auf die Verwaltungskosten. (5) Keinesfalls darf die Entschädigung den Zinsbetrag übersteigen, den der Verbraucher in der Zeit zwischen der vorzeitigen Rückzahlung und dem vereinbarten Ende der Laufzeit des Kreditvertrags bezahlt hätte. Art. 17 Forderungsabtretung (1) Werden die Ansprüche des Kreditgebers aus einem Kreditvertrag oder der Kreditvertrag selbst an einen Dritten abgetreten, 423

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so kann der Verbraucher dem neuen Gläubiger gegenüber die Einreden geltend machen, die ihm gegen den ursprünglichen Kreditgeber zustanden, und zwar einschließlich der Aufrechnung von Gegenforderungen, soweit dies in dem betreffenden Mitgliedstaat zulässig ist. (2) Der Verbraucher ist über die Abtretung gemäß Absatz 1 zu unterrichten, es sei denn, der ursprüngliche Kreditgeber tritt mit dem Einverständnis des Zessionars dem Verbraucher gegenüber nach wie vor als Kreditgeber auf. Art. 18 Überschreitung (1) Ein Vertrag über die Eröffnung eines laufenden Kontos, der dem Verbraucher die Möglichkeit der Überschreitung einräumt, muss zusätzlich die Informationen gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe e enthalten. Der Kreditgeber muss auf jeden Fall diese Informationen regelmäßig auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger mitteilen. (2) Im Falle einer erheblichen Überschreitung für die Dauer von mehr als einem Monat teilt der Kreditgeber dem Verbraucher unverzüglich auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger Folgendes mit: a) das Vorliegen einer Überschreitung; b) den betreffenden Betrag; c) den Sollzinssatz; d) etwaige Vertragsstrafen, Entgelte oder Verzugszinsen. (3) Dieser Artikel gilt unbeschadet innerstaatlicher Rechtsvorschriften, wonach der Kreditgeber ein anderes Kreditprodukt anbieten muss, wenn die Dauer der Überschreitung beträchtlich ist.

Kapitel V − Effektiver Jahreszins Art. 19 Berechnung des effektiven Jahreszinses (1) Der effektive Jahreszins, der auf Jahresbasis die Gleichheit zwischen den Gegenwartswerten der gesamten gegenwärtigen oder künftigen Verpflichtungen (in Anspruch genommene Kreditbeträge, Tilgungszahlungen und Entgelte) des Kreditgebers und des Verbrauchers herstellt, wird anhand der mathematischen Formel in Teil I des Anhangs I berechnet. (2) Für die Berechnung des effektiven Jahreszinses sind die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher maßgebend, mit Ausnahme der Kosten, die er bei Nichterfüllung einer seiner Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag zu tragen hat, sowie der Kosten mit Ausnahme des Kaufpreises, die er beim Erwerb von Waren oder Dienstleistungen unabhängig davon zu tragen hat, ob es sich um ein Bar- oder ein Kreditgeschäft handelt. Die Kosten für die Führung eines Kontos, auf dem sowohl Zahlungen als auch in Anspruch genommene Kreditbeträge verbucht werden, die Kosten für 424

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die Verwendung eines Zahlungsmittels, mit dem sowohl Zahlungen getätigt als auch Kreditbeträge in Anspruch genommen werden können, sowie sonstige Kosten für Zahlungsgeschäfte werden als Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher berücksichtigt, es sei denn, die Eröffnung des Kontos ist fakultativ und die mit dem Konto verbundenen Kosten sind im Kreditvertrag oder in einem anderen mit dem Verbraucher geschlossenen Vertrag klar und getrennt ausgewiesen. (3) Bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses wird von der Annahme ausgegangen, dass der Kreditvertrag für den vereinbarten Zeitraum gilt und dass Kreditgeber und Verbraucher ihren Verpflichtungen unter den im Kreditvertrag niedergelegten Bedingungen und zu den dort niedergelegten Terminen nachkommen. (4) In Kreditverträgen mit Klauseln, nach denen der Sollzinssatz und gegebenenfalls die Entgelte, die im effektiven Jahreszins enthalten sind, deren Quantifizierung zum Zeitpunkt seiner Berechnung aber nicht möglich ist, geändert werden können, wird bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses von der Annahme ausgegangen, dass der Sollzinssatz und die sonstigen Kosten gemessen an der ursprünglichen Höhe fest bleiben und bis zum Ende des Kreditvertrags gelten. (5) Erforderlichenfalls kann für die Berechnung des effektiven Jahreszinses von den in Anhang I genannten zusätzlichen Annahmen ausgegangen werden. Reichen die in diesem Artikel und in Teil II des Anhangs I genannten Annahmen für eine einheitliche Berechnung des effektiven Jahreszinses nicht aus oder sind sie nicht auf die wirtschaftliche Marktlage abgestimmt, so kann die Kommission die zur Berechnung des effektiven Jahreszinses erforderlichen zusätzlichen Annahmen festlegen oder die bestehenden Annahmen ändern. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie werden nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle gemäß Artikel 25 Absatz 2 erlassen.

Kapitel VI − Kreditgeber und Kreditvermittler Art. 20 Regulierung von Kreditgebern Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditgeber von einer Einrichtung oder Behörde beaufsichtigt werden, die unabhängig von Finanzeinrichtungen ist, oder einer Regulierung unterliegen. Dies berührt nicht die Richtlinie 2006/48/EG. Art. 21 Bestimmte Pflichten des Kreditvermittlers gegenüber den Verbrauchern Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass a) ein Kreditvermittler sowohl in seiner Werbung als auch in den für die Verbraucher bestimmten Unterlagen auf den Umfang seiner Befugnisse hin425

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weist und insbesondere deutlich macht, ob er ausschließlich mit einem oder mehreren Kreditgebern oder als unabhängiger Kreditmakler arbeitet; b) das gegebenenfalls vom Verbraucher an den Kreditvermittler für dessen Dienste zu zahlende Entgelt dem Verbraucher bekannt gegeben und vor Abschluss des Kreditvertrages zwischen Verbraucher und Kreditvermittler auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger vereinbart wird; c) das gegebenenfalls vom Verbraucher an den Kreditvermittler für dessen Dienste zu zahlende Entgelt dem Kreditgeber vom Kreditvermittler zur Berechnung des effektiven Jahreszinses mitgeteilt wird.

Kapitel VII − Durchführungsmaßnahmen Art. 22 Harmonisierung und Unabdingbarkeit dieser Richtlinie (1) Soweit diese Richtlinie harmonisierte Vorschriften enthält, dürfen die Mitgliedstaaten keine Bestimmungen in ihrem innerstaatlichen Recht aufrechterhalten oder einführen, die von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verbraucher auf die Rechte, die ihnen mit den innerstaatlichen Vorschriften eingeräumt werden, die zur Anwendung dieser Richtlinie erlassen wurden oder dieser Richtlinie entsprechen, nicht verzichten können. (3) Die Mitgliedstaaten stellen ferner sicher, dass die Vorschriften, die sie gemäß dieser Richtlinie verabschieden, nicht durch eine besondere Gestaltung der Verträge umgangen werden können, insbesondere durch die Einbeziehung der Inanspruchnahme von Kreditbeträgen oder von Kreditverträgen, die in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, in Kreditverträge, deren Eigenart oder Zweck es erlauben würde, sie ihrer Anwendung zu entziehen. (4) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Verbrauchern der durch diese Richtlinie gewährte Schutz nicht dadurch entzogen wird, dass das Recht eines Drittstaats als das auf den Kreditvertrag anzuwendende Recht gewählt wird, wenn dieser Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten aufweist. Art. 23 Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Vorschriften Sanktionen fest und treffen die zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Art. 24 Außergerichtliche Streitbeilegung (1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass angemessene und wirksame außergerichtliche Verfahren zur Beile426

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gung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, die Kreditverträge betreffen, vorhanden sind; dabei sind gegebenenfalls die bestehenden Einrichtungen zu nutzen. (2) Die Mitgliedstaaten ermutigen diese Einrichtungen zur Zusammenarbeit, damit auch grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten über Kreditverträge beigelegt werden können. Art. 25 Ausschussverfahren (1) Die Kommission wird von einem Ausschuss unterstützt. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten Artikel 5a Absätze 1 bis 4 und Artikel 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. Art. 26–28 Unterrichtung der EG-Kommission, Prüfauftrag an die Kommission, Umsetzungsfrist (11. Juni 2010), Umrechnung der Landeswährungen — nicht abgedruckt.

Kapitel VIII − Übergangs- und Schlussbestimmungen Art. 29–32 Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG, Übergangsmaßnahmen, Inkrafttreten und Adressaten — nicht abgedruckt.

ANHANG I I. Grundgleichung zur Darstellung der Gleichheit zwischen KreditAuszahlungsbeträgen einerseits und Rückzahlungen (Tilgung und Kreditkosten) andererseits Die nachstehende Gleichung zur Ermittlung des effektiven Jahreszinses drückt auf jährlicher Basis die rechnerische Gleichheit zwischen der Summe der Gegenwartswerte der in Anspruch genommenen Kredit-Auszahlungsbeträge einerseits und der Summe der Gegenwartswerte der Rückzahlungen (Tilgung und Kosten) andererseits aus:

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Hierbei ist — X der effektive Jahreszins; — m die laufende Nummer des letzten Kredit-Auszahlungsbetrags; — k die laufende Nummer eines Kredit-Auszahlungsbetrags, wobei 1 ≤ k ≤ m; — Ck die Höhe des Kredit-Auszahlungsbetrags mit der Nummer k; — tk der in Jahren oder Jahresbruchteilen ausgedrückte Zeitraum zwischen der ersten Darlehensgabe und dem Zeitpunkt der einzelnen nachfolgenden in Anspruch genommenen Kredit-Auszahlungsbeträge, wobei t1 = 0; — m‘ die laufende Nummer der letzten Tilgungs- oder Kostenzahlung; — l die laufende Nummer einer Tilgungs- oder Kostenzahlung; — Dl der Betrag einer Tilgungs- oder Kostenzahlung; — sl der in Jahren oder Jahresbruchteilen ausgedrückte Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme des ersten Kredit-Auszahlungsbetrags und dem Zeitpunkt jeder einzelnen Tilgungs- oder Kostenzahlung. Anmerkungen: a) Die von beiden Seiten zu unterschiedlichen Zeitpunkten gezahlten Beträge sind nicht notwendigerweise gleich groß und werden nicht notwendigerweise in gleichen Zeitabständen entrichtet. b) Anfangszeitpunkt ist der Tag der Auszahlung des ersten Kreditbetrags. c) Der Zeitraum zwischen diesen Zeitpunkten wird in Jahren oder Jahresbruchteilen ausgedrückt. Zugrunde gelegt werden für 1 Jahr 365 Tage (bzw. für 1 Schaltjahr 366 Tage), 52 Wochen oder zwölf Standardmonate. Ein Standardmonat hat 30,41666 Tage (d. h. 365/12), unabhängig davon, ob es sich um ein Schaltjahr handelt oder nicht. d) Das Rechenergebnis wird auf mindestens eine Dezimalstelle genau angegeben. Ist die Ziffer der darauf folgenden Dezimalstelle größer als oder gleich 5, so erhöht sich die Ziffer der ersten Dezimalstelle um den Wert 1. e) Mathematisch darstellen lässt sich diese Gleichung durch eine einzige Summation unter Verwendung des Faktors „Ströme“ (Ak), die entweder positiv oder negativ sind, je nachdem, ob sie für Auszahlungen oder für Rückzahlungen innerhalb der Perioden 1 bis k, ausgedrückt in Jahren, stehen:

dabei ist S der Saldo der Gegenwartswerte aller „Ströme“, deren Wert gleich Null sein muss, damit die Gleichheit zwischen den „Strömen“ gewahrt bleibt.

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II. Es gelten die folgenden zusätzlichen Annahmen für die Berechnung des effektiven Jahreszinses: a) Ist es dem Verbraucher nach dem Kreditvertrag freigestellt, wann er den Kredit in Anspruch nehmen will, so gilt der gesamte Kredit als sofort in voller Höhe in Anspruch genommen. b) Ist dem Verbraucher nach dem Kreditvertrag generell freigestellt, wann er den Kredit in Anspruch nehmen will, sind jedoch je nach Art der Inanspruchnahme Beschränkungen in Bezug auf Kreditbetrag und Zeitraum vorgesehen, so gilt der gesamte Kredit als zu dem im Kreditvertrag vorgesehenen frühestmöglichen Zeitpunkt mit den entsprechenden Beschränkungen in Anspruch genommen. c) Sieht der Kreditvertrag verschiedene Arten der Inanspruchnahme mit unterschiedlichen Kosten oder Sollzinssätzen vor, so gilt der gesamte Kredit als zu den höchsten Kosten und zum höchsten Sollzinssatz in Anspruch genommen, wie sie für die Kategorie von Geschäften gelten, die bei dieser Kreditvertragsart am häufigsten vorkommt. d) Bei einer Überziehungsmöglichkeit gilt der gesamte Kreditbetrag als in voller Höhe und für die gesamte Laufzeit des Kreditvertrags in Anspruch genommen. Ist die Dauer der Überziehungsmöglichkeit nicht bekannt, so wird bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses von der Annahme ausgegangen, dass die Laufzeit des Kreditvertrags drei Monate beträgt. e) Bei unbefristeten Kreditverträgen, die keine Überziehungsmöglichkeiten sind, wird angenommen, dass i) der Kredit ab der ersten Inanspruchnahme für einen Zeitraum von einem Jahr gewährt wird und dass mit der letzten Zahlung des Verbrauchers der Saldo, die Zinsen und etwaige sonstige Kosten ausgeglichen sind; ii) der Kreditbetrag in gleich hohen monatlichen Zahlungen, beginnend einen Monat nach dem Zeitpunkt der ersten Inanspruchnahme zurückgezahlt wird. Muss der Kreditbetrag jedoch vollständig, in Form einer einmaligen Zahlung, innerhalb jedes Zahlungszeitraums zurückgezahlt werden, so wird angenommen, dass spätere Inanspruchnahmen und Rückzahlungen des gesamten Kreditbetrags durch den Verbraucher innerhalb eines Jahres stattfinden. Zinsen und sonstige Kosten werden entsprechend diesen Inanspruchnahmen und Tilgungszahlungen und nach den Bestimmungen des Kreditvertrags festgelegt. Als unbefristete Kreditverträge gelten für die Zwecke dieses Punkts Kreditverträge ohne feste Laufzeit, einschließlich solcher Kredite, bei denen der Kreditbetrag innerhalb oder nach Ablauf eines Zeitraums vollständig zurückgezahlt werden muss, dann aber erneut in Anspruch genommen werden kann. 429

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f)

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Bei anderen Kreditverträgen, die weder Überziehungsmöglichkeiten noch unbefristete Kredite sind (siehe die Annahmen unter d und e), gilt Folgendes: i) Lassen sich der Zeitpunkt oder die Höhe einer vom Verbraucher zu leistenden Tilgungszahlung nicht feststellen, so wird angenommen, dass die Rückzahlung zu dem im Kreditvertrag genannten frühestmöglichen Zeitpunkt und in der darin festgelegten geringsten Höhe erfolgt. ii) Ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags nicht bekannt, so wird angenommen, dass der Kredit erstmals zu dem Zeitpunkt in Anspruch genommen wurde, der sich aus dem kürzesten zeitlichen Abstand zwischen diesem Zeitpunkt und der Fälligkeit der ersten vom Verbraucher zu leistenden Zahlung ergibt. g) Lassen sich der Zeitpunkt oder die Höhe einer vom Verbraucher zu leistenden Tilgungszahlung nicht anhand des Kreditvertrags oder der Annahmen nach den Buchstaben d, e oder f feststellen, so wird angenommen, dass die Zahlung in Übereinstimmung mit den vom Kreditgeber bestimmten Fristen und Bedingungen erfolgt, und dass, falls diese nicht bekannt sind, i) die Zinszahlungen zusammen mit den Tilgungszahlungen erfolgen, ii) Zahlungen für Kosten, die keine Zinsen sind und die als Einmalbetrag ausgedrückt sind, bei Abschluss des Kreditvertrags erfolgen, iii) Zahlungen für Kosten, die keine Zinsen sind und die als Mehrfachzahlungen ausgedrückt sind, beginnend mit der ersten Tilgungszahlung in regelmäßigen Abständen erfolgen, und es sich, falls die Höhe dieser Zahlungen nicht bekannt ist, um jeweils gleich hohe Beträge handelt, iv) mit der letzten Zahlung der Saldo, die Zinsen und etwaige sonstige Kosten ausgeglichen sind. h) Wurde noch keine Kreditobergrenze vereinbart, so wird eine Obergrenze in Höhe von 1 500 EUR angenommen. i) Werden für einen begrenzten Zeitraum oder Betrag verschiedene Sollzinssätze und Kosten angeboten, so werden als Sollzinssatz oder als Kosten während der gesamten Laufzeit des Kreditvertrags der höchste Zinssatz bzw. die höchsten Kosten angenommen. j) Bei Verbraucherkreditverträgen, bei denen für den Anfangszeitraum ein fester Sollzinssatz vereinbart wurde, nach dessen Ablauf ein neuer Sollzinssatz festgelegt wird, der anschließend in regelmäßigen Abständen nach einem vereinbarten Indikator angepasst wird, wird bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses von der Annahme ausgegangen, dass der Sollzinssatz ab dem Ende der Festzinsperiode dem Sollzinssatz entspricht, der sich aus dem Wert des vereinbarten Indikators im Zeitpunkt der Berechnung des effektiven Jahreszinses ergibt. 430

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Anhang II Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite; Anhang III Europäische Verbraucherkreditinformationen bei speziellen Krediten — nicht abgedruckt.

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Kommission hat im März 2003 einen Prozess eingeleitet, um zu ermitteln, welche Hindernisse dem Binnenmarkt für Wohnimmobilienkreditverträge entgegenstehen und welche Auswirkungen diese haben. Am 18. Dezember 2007 hat sie ein Weißbuch über die Integration der EU-Hypothekarkreditmärkte vorgelegt. In diesem Weißbuch kündigte die Kommission ihre Absicht an, Folgenabschätzungen u. a. zu den politischen Optionen bezüglich vorvertraglicher Information, Kreditregistern, Kreditwürdigkeitsprüfung, effektivem Jahreszins und Beratungsstandards in Bezug auf Kreditverträge vorzunehmen. Um die Kommission bei der Ausarbeitung von Maßnahmen zur Verbesserung der Zugänglichkeit, Vergleichbarkeit und Vollständigkeit von Kreditdaten zu unterstützen, wurde eine Expertengruppe für Kredithistorien eingesetzt. Ferner wurden Studien zur Rolle und zur Geschäftstätigkeit von Kreditvermittlern und Nichtkreditinstituten eingeleitet, die Wohnimmobilienkreditverträge anbieten. (2) Gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen sowie die Niederlassungsfreiheit gewährleistet sind. Die Entwicklung eines transparenteren und effizienteren Kreditmarkts innerhalb dieses Raums ist für die Förderung grenzüberschreitender Geschäftstätigkeiten und die Errichtung eines Binnenmarkts für Wohnimmobilienkredite von entscheidender Bedeutung. In Bezug auf das Geschäftsgebaren beim Abschluss von Wohnimmo-bilienkreditverträgen sowie die Regulierung und Beaufsichtigung von Kreditvermittlern und Nichtkreditinstituten, die Wohnimmobilienkreditverträge anbieten, bestehen im Recht der einzelnen Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede. Diese Unterschiede schaffen Hemmnisse, die das grenzübergreifende Geschäft auf der Angebots- wie der Nachfrageseite beeinträchtigen und so den Wettbewerb und die Auswahl auf dem Markt einschränken, was den Anbietern höhere Kreditkosten verursacht und sie sogar an der Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit hindert.

* Richtlinie 2014/17/ЕU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010, ABl. L 60 vom 28. 2. 2014, S. 34–85. 1 ABl. C 240 vom 18. 8. 2011, S. 3. 2 ABl. C 318 vom 29. 10. 2011, S. 133. 3 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 10. Dezember 2013 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 28. Januar 2014. https://doi.org/10.1515/9783110667776-022

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(3) Die Finanzkrise hat gezeigt, dass unverantwortliches Handeln von Marktteilnehmern die Grundlagen des Finanzsystems untergraben und zu mangelndem Vertrauen bei sämtlichen Beteiligten, insbesondere den Verbrauchern, sowie potenziell schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen führen kann. Viele Verbraucher haben das Vertrauen in den Finanzsektor verloren, und Kreditnehmer haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Kredite zu bedienen, was zu einem Anstieg von Zahlungsausfällen und Zwangsvollstreckungen führt. Als Reaktion darauf haben die G20 den Rat für Finanzstabilität mit der Aufgabe betraut, Grundsätze für verlässliche Kreditvergabestandards im Zusammenhang mit Wohnimmobilien festzulegen. Wenngleich einige der größten Probleme im Zusammenhang mit der Finanzkrise außerhalb der Union aufgetreten sind, ist bei den Verbrauchern in der Union ein erhebliches Ausmaß an Verschuldung zu verzeichnen, die sich zum großen Teil in Wohnimmobilienkrediten konzentriert. Deshalb muss für einen soliden Regelungsrahmen der Union in diesem Bereich gesorgt werden, der mit internationalen Grundsätzen vereinbar ist und die verfügbaren Instrumente angemessen nutzt; dies kann die Verwendung von Obergrenzen für das Verhältnis zwischen Kredithöhe und Objektwert, Kredithöhe und Einkommen oder Schulden und Einkommen oder ähnlichen Kennziffern, Untergrenzen, unter denen keine Kreditvergabe als annehmbar gewertet werden dürfte oder anderen Ausgleichsmaßnahmen für Situationen umfassen, in denen die zugrunde liegenden Risiken für die Verbraucher höher sind oder dies für die Vermeidung einer Überschuldung privater Haushalte erforderlich ist. Angesichts der durch die Finanzkrise zutage getretenen Probleme und zur Gewährleistung eines effizienten und wettbewerbsfähigen Binnenmarkts, der zur Finanzstabilität beiträgt, hat die Kommission in ihrer Mitteilung vom 4. März 2009„Impulse für den Aufschwung in Europa“ Maßnahmen in Bezug auf Wohnimmobilienkreditverträge vorgeschlagen, darunter einen verlässlichen Rahmen für die Kreditvermittlung, um für die Zukunft verantwortungsvolle und zuverlässige Märkte zu schaffen und das Verbrauchervertrauen wiederherzustellen. Die Kommission hat ihr Bestreben nach einem effizienten und wettbewerbsfähigen Binnenmarkt in ihrer Mitteilung vom 13. April 2011 „Binnenmarktakte — Zwölf Hebel zur Förderung von Wachstum und Vertrauen“ bekräftigt. (4) Auf den Hypothekenmärkten in der Union wurde im Zusammenhang mit der unverantwortlichen Kreditvergabe und -aufnahme und dem potenziellen Umfang unverantwortlichen Handelns durch Marktteilnehmer, einschließlich Kreditvermittler und Nichtkreditinstitute, eine Reihe von Problemen ermittelt. Die Probleme betrafen unter anderem Fremdwährungskredite, die Verbraucher in der betreffenden Währung aufgenommen hatten, um in den Genuss des angebotenen Zinssatzes zu kommen, ohne sich jedoch über das damit verbundene Wechselkursrisiko angemessen informiert zu haben oder sich des Risikos ausreichend bewusst gewesen zu sein. Ursächlich für diese Probleme sind neben Markt- und Regulierungsversagen weitere Faktoren wie das allgemeine wirtschaftliche Klima und ein niedriger Wissensstand in Finanzfragen. Weitere Probleme sind u. a. die Ineffizienz, die Widersprüchlichkeit oder das Fehlen von Regelungen für Kreditvermittler und Nichtkreditinstitute, die Kredite für Wohnimmobilien bereitstellen. Die ermittelten Probleme haben potenziell erhebliche makroökonomische Ausstrahlungseffekte, sie können den Verbrauchern Nachteile verursachen, wirtschaftliche oder rechtliche Hindernisse für die grenzübergreifende Wirtschaftstätigkeit darstellen und die Wettbewerbsbedingungen zwischen den beteiligten Akteuren verzerren. (5) Um die Entwicklung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts mit einem hohen Verbraucherschutzniveau in Bezug auf Immobilienkreditverträge zu erleichtern und um zu gewährleisten, dass Verbraucher, die sich um solche Verträge bemühen, dies in der

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Gewissheit tun können, dass die Institutionen, mit denen sie zu tun haben, professionell und verantwortungsvoll agieren, muss in einigen Bereichen ein ausreichend harmonisierter Rechtsrahmen der Union geschaffen werden, unter Berücksichtigung der Unterschiede bei Kreditverträgen, die sich insbesondere aufgrund von Unterschieden in den nationalen und regionalen Immobilienmärkten ergeben. Diese Richtlinie sollte deshalb durch kohärente, flexible und gerechte Immobilienkreditverträge zur Entwicklung eines transparenteren, effizienteren und wettbewerbsfähigeren Binnenmarkts und gleichzeitig zur Förderung einer nachhaltigen Kreditvergabe und -aufnahme sowie finanziellen Teilhabe beitragen und damit ein hohes Verbraucherschutzniveau schaffen. Um einen echten Binnenmarkt mit einem hohen und vergleichbaren Maß an Verbraucherschutz zu schaffen, enthält diese Richtlinie Bestimmungen, die einer größtmöglichen Harmonisierung in Bezug auf die Bereitstellung vorvertraglicher Informationen mittels des „Europäischen standardisierten Merkblatts“ (European Standardised Information Sheet, ESIS-Merkblatt) und der Berechnung des effektiven Jahreszinses unterliegen. Aufgrund der Besonderheit von Immobilienkreditverträgen und der Unterschiede bei den Marktentwicklungen und den Bedingungen in den Mitgliedstaaten, insbesondere hinsichtlich der Marktstruktur und der Marktteilnehmer, der Kategorien der verfügbaren Produkte und der Verfahren für die Kreditgewährung, sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, in den Bereichen, die nicht eindeutig als der größtmöglichen Harmonisierung unterliegend gekennzeichnet sind, strengere als die in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen. Eine solche gezielte Vorgehensweise ist erforderlich, um nachteilige Auswirkungen auf das Niveau des Verbraucherschutzes bei den in den Anwendungsbereich der vorliegenden Richtlinie fallenden Immobilienkreditverträgen zu vermeiden. Die Mitgliedstaaten sollten beispielsweise die Möglichkeit haben, strengere Bestimmungen in Bezug auf die Anforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten des Personals sowie auf die Hinweise zum Ausfüllen des ESIS-Merkblatts beizubehalten oder einzuführen. Die Richtlinie sollte die Bedingungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts durch die Annäherung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten und die Festlegung von Qualitätsstandards für bestimmte Dienste, insbesondere im Hinblick auf den Vertrieb und die Bereitstellung von Krediten durch Kreditgeber und Kreditvermittler, und die Förderung bewährter Verfahren verbessern. Die Festlegung von Qualitätsstandards für mit der Bereitstellung von Krediten verbundene Dienste umfasst notwendigerweise die Einführung bestimmter Zulassungs-, Kontroll- und Aufsichtsvorschriften. Auf den von dieser Richtlinie nicht erfassten Gebieten ist es den Mitgliedstaaten freigestellt, nationales Recht beizubehalten oder einzuführen. Insbesondere können die Mitgliedstaaten in Bereichen wie dem Vertragsrecht zur Gültigkeit von Kreditverträgen, dem Sachenrecht, Grundbucheintragungen, vertraglichen Informationen und nachvertraglichen Fragen, sofern sie nicht in dieser Richtlinie geregelt sind, nationale Bestimmungen beibehalten oder einführen. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass der Gutachter oder das Sachverständigenbüro oder die Notare im gegenseitigen Einverständnis der Parteien gewählt werden können. In Anbetracht der unterschiedlichen Verfahren für den Erwerb oder Verkauf von Wohnimmobilien in den Mitgliedstaaten gibt es Spielraum dafür, dass Kreditgeber oder Kreditvermittler sich um Anzahlungen von Kunden bemühen, wobei davon ausgegangen wird, dass solche Zahlungen dazu beitragen könnten, den Abschlusses eines Kreditvertrags oder den Erwerb bzw. Verkauf einer Immobilie sicherzustellen, und besteht ferner die Möglichkeit, dass diese Verfahren missbraucht werden,

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insbesondere wenn die Verbraucher mit den Vorschriften und der üblichen Praxis in diesem Mitgliedstaat nicht vertraut sind. Den Mitgliedstaaten sollte daher erlaubt sein, Beschränkungen für solche Zahlungen einzuführen. Diese Richtlinie sollte unabhängig davon gelten, ob der Kreditgeber oder Kreditvermittler eine natürliche oder eine juristische Person ist. Sie sollte jedoch nicht das Recht der Mitgliedstaaten berühren, im Einklang mit dem Unionsrecht die Rolle des Kreditgebers oder des Kreditvermittlers im Sinne dieser Richtlinie ausschließlich auf juristische Personen oder bestimmte Arten von juristischen Personen zu beschränken. Da die Situation von Verbrauchern und Unternehmen nicht dieselbe ist, brauchen sie nicht im selben Umfang geschützt zu werden. Zwar müssen die Verbraucherrechte durch Vorschriften geschützt werden, von denen vertraglich nicht abgewichen werden darf, aber es sollte Unternehmen und Organisationen freistehen, andere Vereinbarungen einzugehen. Die Begriffsbestimmung des Verbrauchers sollte natürliche Personen, die außerhalb ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handeln, umfassen. Wird der Vertrag im Falle von Verträgen mit doppeltem Zweck jedoch teilweise für gewerbliche oder berufliche Tätigkeit und teilweise für nichtgewerbliche oder nichtberufliche Zwecke geschlossen und ist der gewerbliche oder berufliche Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht von überwiegender Bedeutung, so sollte diese Person auch als Verbraucher betrachtet werden. Diese Richtlinie regelt Kreditverträge, die sich ausschließlich oder hauptsächlich auf Wohnimmobilien beziehen; dies hindert die Mitgliedstaaten aber nicht daran, die in dieser Richtlinie festgelegten Maßnahmen auch zum Schutz der Verbraucher bei Kreditverträgen anzuwenden, die andere Immobilienformen betreffen, oder solche Kreditverträge auf andere Weise zu regeln. Mit den Begriffsbestimmungen dieser Richtlinie wird der Bereich der Harmonisierung festgelegt. Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie sollten sich daher nur auf den durch diese Begriffsbestimmungen festgelegten Bereich erstrecken. So sind die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie auf Kreditverträge beschränkt, die mit Verbrauchern geschlossen werden, d. h. mit natürlichen Personen, die in Bezug auf die unter diese Richtlinie fallenden Geschäfte außerhalb ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handeln. Gleichermaßen sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Bestimmungen dieser Richtlinie zur Regulierung der Tätigkeit von Personen, die als Kreditvermittler im Sinne der Richtlinie handeln, umzusetzen. Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran hindern, diese Richtlinie nach Maßgabe des Unionsrechts auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Geltungsbereich fallen. Daneben sollte diese Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, nach ihrem nationalen Recht für bestimmte Zwecke untergeordnete Begriffsbestimmungen zu den in dieser Richtlinie enthaltenen Begriffsbestimmungen einzuführen, sofern sie im Einklang mit den in dieser Richtlinie enthaltenen Begriffsbestimmungen stehen. So sollten die Mitgliedstaaten beispielsweise die Möglichkeit haben, nach ihrem nationalen Recht Unterkategorien von Kreditvermittlern festzulegen, die nicht in dieser Richtlinie bestimmt sind, wenn solche Unterkategorien auf nationaler Ebene, z. B. zur Unterscheidung der von verschiedenen Kreditvermittlern zu erfüllenden Anforderungen an ihre Fähigkeiten und Kenntnisse, erforderlich sind. Durch diese Richtlinie soll gewährleistet werden, dass Immobilienkreditverträge, die mit Verbrauchern geschlossen werden, ein hohes Maß an Schutz genießen. Sie sollte daher für grundpfandrechtlich besicherte Kredite, ungeachtet des Zwecks des Kredits, für Refi-

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nanzierungsverträge oder andere Kreditverträge, die es einem Eigentümer oder Miteigentümer ermöglichen, Rechte an einer Immobilie oder einem Grundstück zu behalten, und für Kredite zum Erwerb einer Immobilie in einigen Mitgliedstaaten, einschließlich tilgungsloser Kredite und — sofern die Mitgliedstaaten keine angemessene alternative Regelung eingeführt haben — für Kredite zur Überbrückung des Zeitraums zwischen dem Kauf einer Immobilie und dem Verkauf einer anderen, sowie für besicherte Kredite zur Renovierung von Wohnimmobilien gelten. (16) Diese Richtlinie sollte nicht für bestimmte Kreditverträge gelten, bei denen der Kreditgeber pauschale oder regelmäßige Zahlungen oder andere Formen der Kredittilgung im Gegenzug für einen Betrag aus dem Verkaufserlös einer Immobilie leistet, und deren Zweck vorwiegend in der Konsumerleichterung besteht, wie Immobilienverzehrprodukte oder vergleichbare Spezialprodukte. Derartige Kreditverträge weisen spezifische Besonderheiten auf, die außerhalb des Geltungsbereichs dieser Richtlinie liegen. So ist beispielsweise eine Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers irrelevant, da die Zahlungen vom Kreditgeber an den Verbraucher, und nicht umgekehrt, geleistet werden. Für ein solches Geschäft wären unter anderem grundlegend unterschiedliche vorvertragliche Informationen erforderlich. Außerdem gehen andere Produkte im Bereich der Immobilienverrentung wie z. B. „Home Reversion“, die vergleichbaren Zwecken dienen wie Umkehrhypotheken oder Leibrenten, nicht mit der Bereitstellung eines Kredits einher und würden daher außerhalb des Geltungsbereichs der Richtlinie liegen. (17) Diese Richtlinie sollte nicht für folgende Kredite gelten: ausdrücklich genannte Arten von Nischenkreditverträgen, die in ihrem Wesen und den damit verbundenen Risiken von üblichen grundpfandrechtlich besicherten Krediten abweichen und daher ein maßgeschneidertes Vorgehen erfordern, insbesondere Kreditverträge, die das Ergebnis eines Vergleichs vor einem Richter oder einer anderen gesetzlich befugten Stelle sind; bestimmte Arten von Kreditverträgen, bei denen, wie es in der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge4 bereits geregelt ist, Arbeitgeber ihren Beschäftigten unter bestimmten Umständen Kredite gewähren. Es sollte den Mitgliedstaaten erlaubt sein, bestimmte Kreditverträge auszuschließen, wie solche, die einem begrenzten Kundenkreis zu günstigen Bedingungen gewährt werden oder von Kreditgenossenschaften bereitgestellt werden, sofern angemessene alternative Regelungen vorhanden sind, mit denen sichergestellt wird, dass die politischen Ziele im Hinblick auf die Finanzstabilität und den Binnenmarkt erreicht werden können, ohne dass dadurch die finanzielle Teilhabe und der Zugang zu Krediten behindert wird. Für Kreditverträge, bei denen die Immobilie nicht durch den Verbraucher oder ein Familienmitglied des Verbrauchers als Haus, Wohnung oder sonstige Wohnstätte genutzt werden soll, sondern auf der Grundlage eines Mietvertrags als Haus, Wohnung oder sonstige Wohnstätte genutzt wird, gelten andere Risiken und Merkmale als für Standard-Kreditverträge und ist daher eventuell ein stärker angepasster Rahmen erforderlich. Die Mitgliedstaaten sollten deshalb die Möglichkeit haben, solche Kreditverträge aus dem Geltungsbereich der Richtlinie auszuklammern, wenn dafür ein angemessener nationaler Regelungsrahmen vorhanden ist. (18) Unbesicherte Kreditverträge mit dem Zweck der Renovierung einer Wohnimmobilie mit einem Gesamtkreditbetrag von mehr als 75 000 EUR sollten in den Geltungsbereich der

4 ABl. L 133 vom 22. 5. 2008, S. 66.

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Richtlinie 2008/48/EG fallen, um diesen Verbrauchern ein vergleichbares Maß an Schutz zu gewähren und Regelungslücken zwischen jener und dieser Richtlinie zu vermeiden. Die Richtlinie 2008/48/EG sollte daher entsprechend geändert werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte der Rechtsrahmen der Union für Wohnimmobilienkreditverträge mit anderen Rechtsvorschriften der Union, insbesondere in den Bereichen Verbraucherschutz und Aufsichtsrecht, im Einklang stehen und diese ergänzen. Bestimmte grundlegende Begriffsbestimmungen, darunter „Verbraucher“ und „dauerhafter Datenträger“, sowie die in den Standardinformationen zur Bezeichnung der finanziellen Merkmale des Kredits verwendeten Schlüsselbegriffe, darunter „vom Verbraucher zu zahlender Gesamtbetrag“ sowie „Sollzinssatz“, sollten mit jenen der Richtlinie 2008/48/EG übereinstimmen, damit die Terminologie sich unabhängig davon, ob es sich bei dem Kredit um einen Verbraucherkredit oder einen Wohnimmobilienkredit handelt, auf die gleichen Sachverhalte bezieht. Die Mitgliedstaaten sollten daher bei der Umsetzung dieser Richtlinie für eine schlüssige Anwendung und Auslegung dieser grundlegenden Begriffsbestimmungen und Schlüsselbegriffe Sorge tragen. Um auf dem Gebiet der Kredite einen kohärenten Rahmen für die Verbraucher zu gewährleisten und den Verwaltungsaufwand für Kreditgeber und Kreditvermittler möglichst gering zu halten, sollte das Kerngerüst dieser Richtlinie der Struktur der Richtlinie 2008/48/ EG so weit wie möglich folgen, insbesondere der Vorstellung, dass die in Werbematerial bezüglich Wohnimmobilienkreditverträgen enthaltenen Informationen den Verbrauchern in Form eines repräsentativen Beispiels bereitgestellt werden, dass die Verbraucher detaillierte vorvertragliche Informationen mittels eines standardisierten Merkblatts erhalten, dass die Verbraucher vor Abschluss des Kreditvertrags angemessene Erläuterungen erhalten, dass eine gemeinsame Grundlage für die Berechnung des effektiven Jahreszinses ausschließlich der Notargebühren geschaffen wird und dass die Kreditgeber die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers vor der Vergabe eines Kredits prüfen. Analog dazu sollte für Kreditgeber auch ein diskriminierungsfreier Zugang zu einschlägigen Kreditdatenbanken gewährleistet werden, um die gleichen Bedingungen zu erreichen wie in der Richtlinie 2008/48/EG. Diese Richtlinie sollte ähnlich wie die Richtlinie 2008/48/EG die ordnungsgemäße Zulassung und Beaufsichtigung aller Kreditgeber gewährleisten, die Immobilienkreditverträge anbieten, und sie sollte Anforderungen an die Einrichtung außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren sowie an den Zugang zu diesen enthalten. Diese Richtlinie sollte die Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher5 ergänzen, wonach die Verbraucher bei Fernverkäufen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts informiert werden müssen, und die ein Widerrufsrecht vorsieht. Während jedoch die Richtlinie 2002/65/EG für den Anbieter die Möglichkeit vorsieht, vorvertragliche Informationen nach Vertragsschluss bereitzustellen, wäre dies für Wohnimmobilienkreditverträge angesichts der Bedeutung der finanziellen Verpflichtungen, die der Verbraucher eingeht, unangemessen. Die vorliegende Richtlinie sollte das allgemeine innerstaatliche Vertragsrecht wie die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags, soweit Aspekte des allgemeinen Vertragsrechts in dieser Richtlinie nicht geregelt werden, unberührt lassen. Gleichzeitig muss den Besonderheiten von Wohnimmobilienkreditverträgen Rechnung getragen werden, die einen differenzierten Ansatz rechtfertigen. Angesichts der Art von

5 ABl. L 271 vom 9. 10. 2002, S. 16.

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Wohnimmobilienkreditverträgen und ihrer möglichen Konsequenzen für den Verbraucher sollten Werbematerial und individuelle vorvertragliche Informationen geeignete spezielle Warnhinweise beinhalten, zum Beispiel in Bezug auf die potenziellen Auswirkungen von Wechselkursschwankungen auf den Rückzahlungsbetrag des Verbrauchers — sofern es von den Mitgliedstaaten als angemessen bewertet wird — auf das Wesen von Sicherheiten und die möglichen Auswirkungen einer Sicherheitsleistung. In Anlehnung an ein bereits bestehendes freiwilliges Konzept der Branche für wohnungswirtschaftliche Kredite sollten zusätzlich zu den individuellen vorvertraglichen Informationen stets auch allgemeine vorvertragliche Informationen verfügbar gemacht werden. Daneben ist ein differenziertes Konzept gerechtfertigt, um den aus der Finanzkrise gewonnenen Erkenntnissen Rechnung zu tragen und um die Solidität der Kreditgewährung zu gewährleisten. Diesbezüglich sollten die Bestimmungen zur Kreditwürdigkeitsprüfung im Vergleich zum Verbraucherkredit verschärft werden, die Kreditvermittler sollten genauere Informationen zu ihrem Status und ihren Beziehungen zu den Kreditgebern bereitstellen, um potenzielle Interessenkonflikte transparent zu machen, und alle am Zustandekommen von Immobilienkreditverträgen beteiligten Akteure sollten in angemessener Weise zugelassen und beaufsichtigt werden. (23) Eine Regulierung ist in einigen zusätzlichen Bereichen erforderlich, um dem besonderen Charakter von Wohnimmobilienkrediten Rechnung zu tragen. Angesichts der Bedeutung dieses Geschäfts ist es erforderlich, den Verbrauchern ausreichend Zeit von mindestens sieben Tagen einzuräumen, damit sie die Auswirkungen prüfen können. Die Mitgliedstaaten sollten die Flexibilität haben, diesen ausreichenden Zeitraum entweder in Form einer Bedenkzeit vor Abschluss des Kreditvertrags oder einer Widerrufsfrist nach Abschluss des Kreditvertrags bzw. einer Kombination dieser beiden Formen festzulegen. Die Mitgliedstaaten sollten ferner die Flexibilität haben, eine verbindliche Bedenkzeit von bis zu zehn Tagen für Verbraucher einzuführen, aber in anderen Fällen Verbrauchern, die dies wünschen, die Möglichkeit einzuräumen, während der Bedenkzeit mit der Transaktion fortzufahren; und im Interesse der Rechtssicherheit im Zusammenhang mit Immobilientransaktionen sollten die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass die Bedenkzeit oder das Recht auf Widerruf in Fällen endet, in denen der Verbraucher Schritte unternimmt, die gemäß nationalem Recht die Begründung oder Übertragung eines Rechts an einer Immobilie im Zusammenhang mit oder unter Verwendung von Finanzmitteln, die er im Rahmen des Kreditvertrags erhalten hat, zur Folge haben, oder in denen er gegebenenfalls die Finanzmittel an eine dritte Partei überträgt. (24) Angesichts der besonderen Merkmale von Wohnimmobilienkreditverträgen ist es für Kreditgeber gängige Praxis, Verbrauchern eine Zusammenstellung von Produkten oder Dienstleistungen anzubieten, die sie gemeinsam mit dem Kreditvertrag erwerben können. Angesichts der Bedeutung solcher Verträge für die Verbraucher sollten daher spezifische Regeln für Kopplungsgeschäfte festgelegt werden. Die Kombination eines Kreditvertrags mit einer oder mehreren Finanzdienstleistungen oder einem oder mehreren Finanzprodukten in Form von Paketen stellt ein Instrument für Kreditgeber dar, um — sofern die Bestandteile des Pakets auch einzeln gekauft werden können — ihr Angebot zu diversifizieren und miteinander zu konkurrieren. Die Kombination von Kreditverträgen mit einer oder mehreren Finanzdienstleistungen oder mit einem oder mehreren Finanzprodukten in Form von Paketen kann zwar für die Verbraucher vorteilhaft sein, sich aber nachteilig auf die Mobilität der Verbraucher und ihre Fähigkeit auswirken, sachkundige Entscheidungen zu treffen, es sei denn, die Bestandteile des Paktes können einzeln gekauft werden. Praktiken, wie die Kopplung bestimmter Produkte, durch die die Verbraucher mögli-

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cherweise zu Kreditabschlüssen veranlasst werden, die nicht in ihrem besten Interesse sind, sind zu vermeiden, ohne jedoch die Bündelung von Produkten zu beschränken, die für die Verbraucher vorteilhaft sein kann. Die Mitgliedstaaten sollten jedoch den Markt für Finanzdienstleistungen für Privatkunden weiterhin genau beobachten, um sicherzustellen, dass die Wahl der Verbraucher und der Wettbewerb auf dem Markt nicht durch Bündelungsgeschäfte verzerrt werden. (25) In der Regel sollten Kopplungsgeschäfte nicht zulässig sein, es sei denn, die gemeinsam mit dem Kreditvertrag angebotene Finanzdienstleistung oder das gemeinsam mit dem Kreditvertrag angebotene Finanzprodukt könnte nicht einzeln angeboten werden, da sie bzw. es fester Bestandteil des Kredits ist, z. B. im Fall eines besicherten Überziehungskredits. In anderen Fällen kann es jedoch gerechtfertigt sein, dass Kreditgeber einen Kreditvertrag in einem Paket mit einem Zahlungskonto, Sparkonto, Anlageprodukt oder Altersvorsorgeprodukt anbieten oder verkaufen, beispielsweise wenn das Kapital auf dem Konto zur Rückzahlung des Kredits verwendet wird oder eine Voraussetzung dafür ist, dass Ressourcen zusammengelegt werden, damit der Kredit gewährt wird, oder in Situationen, in denen beispielsweise ein Anlageprodukt oder ein privates Altersvorsorgeprodukt als zusätzliche Sicherheit für den Kredit dient. Zwar ist es gerechtfertigt, dass Kreditgeber vom Verbraucher verlangen können, eine einschlägige Versicherung abzuschließen, damit die Rückzahlung des Kredits garantiert oder der Wert der Sicherheit besichert wird, aber der Verbraucher sollte die Möglichkeit haben, seinen eigenen Versicherungsanbieter auszuwählen, sofern seine Versicherungspolice ein gleichwertiges Maß an Sicherheit wie die vom Kreditgeber angebotene Versicherungspolice bietet. Außerdem können Mitgliedstaaten den von den Versicherungsverträgen gebotenen Schutz vollständig oder teilweise vereinheitlichen, um denjenigen Verbrauchern, die verschiedene Angebote vergleichen möchten, solche Vergleiche zu erleichtern. (26) Es ist wichtig, dass die Wohnimmobilie vor Abschluss des Kreditvertrags und, insbesondere wenn die Bewertung die Restverpflichtung des Verbrauchers betrifft, bei Zahlungsausfall angemessen bewertet wird. Die Mitgliedstaaten sollten deshalb sicherstellen, dass zuverlässige Bewertungsstandards vorhanden sind. Damit die Bewertungsstandards als zuverlässig betrachtet werden können, sollten sie den international anerkannten Bewertungsstandards Rechnung tragen, insbesondere denen, die vom „International Valuation Standards Committee“, der „European Group of Valuers Associations“ oder dem „Royal Institution of Chartered Surveyors“ entwickelt wurden. Diese international anerkannten Bewertungsstandards enthalten wesentliche Grundsätze, die von Kreditgebern unter anderem verlangen, dass sie angemessene Verfahren für das interne Risikomanagement und für die Verwaltung von Sicherheiten festlegen und einhalten, in denen verlässliche Bewertungsverfahren enthalten sind, und dass sie Bewertungsstandards und -methoden festlegen, die zu realistischen und begründeten Immobilienbewertungen führen, wodurch sichergestellt wird, dass alle Bewertungsberichte mit angemessener beruflicher Sachkenntnis und Sorgfalt ausgearbeitet werden und dass die Gutachter bestimmten Qualifikationsanforderungen genügen und angemessene Bewertungsunterlagen für Sicherheiten aufbewahren, die umfassend und plausibel sind. Diesbezüglich ist es auch wünschenswert, dass eine angemessene Überwachung der Märkte für Wohnimmobilien sichergestellt wird und dass die Mechanismen in solchen Bestimmungen im Einklang mit der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen6 stehen. Den Bestimmungen dieser Richtlinie in Bezug auf Immobilien6 ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 338.

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bewertungsstandards kann beispielsweise durch Rechtsvorschriften oder Selbstregulierung nachgekommen werden. (27) Angesichts der erheblichen Konsequenzen einer Zwangsvollstreckung für Kreditgeber, Verbraucher und möglicherweise die Finanzstabilität sollten die Kreditgeber ermutigt werden, ein entstehendes Kreditrisiko proaktiv in einem frühen Stadium anzugehen, und es sollte durch entsprechende Maßnahmen sichergestellt werden, dass Kreditgeber angemessene Nachsicht walten lassen und sich bemühen, eine Verhandlungslösung zu finden, bevor sie Zwangsvollstreckungsverfahren einleiten. Soweit möglich sollten Lösungen gefunden werden, welche die praktischen Lebensumstände des Verbrauchers und seinen Bedarf für eine angemessene Lebenshaltung berücksichtigen. Bestehen nach Abschluss des Zwangsvollstreckungsverfahrens immer noch Schulden, so sollten die Mitgliedstaaten den Schutz von Mindestlebensstandards gewährleisten und Maßnahmen ergreifen, durch die eine Rückzahlung erleichtert und gleichzeitig eine langfristige Überschuldung vermieden wird. Zumindest in dem Fall, in dem der für die Immobilie erzielte Preis sich auf den vom Verbraucher geschuldeten Betrag auswirkt, sollten die Mitgliedstaaten die Kreditgeber ermutigen, geeignete Schritte zu unternehmen, um für die Immobilie, die Gegenstand der Zwangsvollstreckung ist, im Kontext der Marktbedingungen den bestmöglichen Preis zu erzielen. Die Mitgliedstaaten sollten die Parteien eines Kreditvertrags nicht davon abhalten, sich ausdrücklich darauf zu einigen, dass die Übertragung der Sicherheit auf den Kreditgeber als für die Tilgung des Kredits ausreichend angesehen wird. (28) Vermittler gehen oft auch anderen Geschäftstätigkeiten als nur der Kreditvermittlung nach, insbesondere der Vermittlung von Versicherungen oder der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen. Deshalb sollte diese Richtlinie auch ein gewisses Maß an Kohärenz mit der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember 2002 über Versicherungsvermittlung7 und der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente8 sicherstellen. Insbesondere sollten Kreditinstitute, die nach der Richtlinie 2013/36/EU zugelassen sind, und andere Finanzinstitute, die nach nationalem Recht einer ähnlichen Zulassungsregelung unterliegen, keiner gesonderten Genehmigung für die Tätigkeit als Kreditvermittler bedürfen, um den Prozess der Niederlassung als Kreditvermittler und eine grenzübergreifende Geschäftstätigkeit zu erleichtern. Die unbeschränkte und vorbehaltlose Haftung, die Kreditgeber und Kreditvermittler für die Tätigkeiten gebundener Kreditvermittler oder benannter Vertreter übernehmen müssen, sollte nur für Tätigkeiten gelten, die in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, es sei denn, die Mitgliedstaaten beschließen, diese Haftung auf andere Bereiche auszuweiten. (29) Um die Verbraucher noch besser in die Lage zu versetzen, auf fundierter Grundlage über eine Kreditaufnahme zu entscheiden und verantwortungsvoll mit Schulden umzugehen, sollten die Mitgliedstaaten Maßnahmen unterstützen, durch die die Aufklärung der Verbraucher über eine verantwortungsvolle Kreditaufnahme und ein verantwortungsvolles Schuldenmanagement, speziell im Hinblick auf Kreditverträge, gefördert wird. Es ist ganz besonders wichtig, dass Verbrauchern, die zum ersten Mal einen grundpfandrechtlich besicherten Kredit aufnehmen, Leitlinien zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang sollte die Kommission Beispiele für bewährte Verfahren ermitteln, um die weitere Ent-

7 ABl. L 9 vom 15. 1. 2003, S. 3. 8 ABl. L 145 vom 30. 4. 2004, S. 1.

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wicklung von Maßnahmen zur Erweiterung des Finanzwissens der Verbraucher zu erleichtern. Aufgrund der erheblichen Risiken, die mit Fremdwährungskrediten verbunden sind, ist es erforderlich, Maßnahmen vorzusehen, mit denen sichergestellt wird, dass den Verbrauchern das von ihnen eingegangene Risiko bewusst ist und dass der Verbraucher die Möglichkeit hat, das Wechselkursrisiko während der Laufzeit des Kredits zu begrenzen. Das Risiko könnte dadurch, dass dem Verbraucher das Recht auf Umwandlung der Währung des Kredits eingeräumt wird, oder durch andere Vorkehrungen begrenzt werden, wie z. B. durch Obergrenzen oder — soweit dies zur Begrenzung des Wechselkursrisikos ausreichend ist — durch Warnungen. Der geltende Rechtsrahmen sollte den Verbrauchern die Gewissheit geben, dass Kreditgeber, Kreditvermittler und benannte Vertreter den Verbraucherinteressen Rechnung tragen, wobei die dem Kreditgeber, Kreditvermittler und benannten Vertreter zum betreffenden Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen und realistische Annahmen über die mit der Situation des Verbrauchers während der Laufzeit des angebotenen Kreditvertrags verbundenen Risiken zugrunde gelegt werden. Das könnte unter anderem bedeuten, dass Kreditgeber den Kredit nicht in einer Weise vermarkten sollten, dass die Vermarktung die Fähigkeit des Verbrauchers, die Aufnahme des Kredits sorgfältig abzuwägen, erheblich beeinträchtigt oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird, oder dass der Kreditgeber die Gewährung des Kredits nicht als Hauptvermarktungsmethode bei der Vermarktung von Waren, Dienstleistungen oder Immobilien an Verbraucher einsetzen sollte. Ein für die Gewährleistung dieses Verbrauchervertrauens zentraler Aspekt ist die Anforderung, ein hohes Maß an Fairness, Ehrlichkeit und Professionalität in der Branche, geeignete Verfahren für die Beilegung von Interessenkonflikten, einschließlich Konflikten im Zusammenhang mit Vergütungen, und eine Beratung im besten Interesse der Verbraucher zu gewährleisten. Es ist angezeigt, sicherzustellen, dass das jeweilige Personal von Kreditgebern, Kreditvermittlern und benannten Vertretern über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um ein hohes Maß an Professionalität zu gewährleisten. Diese Richtlinie sollte daher vorschreiben, dass einschlägige Kenntnisse und Fähigkeiten auf Ebene des Unternehmens auf der Grundlage der in dieser Richtlinie dargelegten Mindestanforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten nachzuweisen sind. Es sollte den Mitgliedstaaten freistehen, entsprechende Anforderungen an einzelne natürliche Personen einzuführen oder aufrechtzuerhalten. Die Mitgliedstaaten sollten zulassen können, dass Kreditgeber, Kreditvermittler und benannte Vertreter je nach dem Grad der Einbeziehung des Personals in die Ausführung bestimmter Dienstleistungen oder Verfahren unterschiedliche Anforderungen an das Mindestmaß an Kenntnissen festlegen. In diesem Zusammenhang schließt der Begriff Personal ausgelagerte Mitarbeiter, die für den Kreditgeber, den Kreditvermittler oder den benannten Vertreter und innerhalb deren Organisation arbeiten, und deren Angestellte ein. Für die Zwecke dieser Richtlinie sollte das Personal, das unter diese Richtlinie fallende Tätigkeiten unmittelbar ausübt, Mitarbeiter im kundenbezogenen und nichtkundenbezogenen Bereich, einschließlich Personen in leitenden Positionen, umfassen, die eine wichtige Rolle im Kreditverfahren spielen. Personen, die unterstützende Aufgaben ausführen, welche mit dem Kreditverfahren nicht zusammenhängen (z. B. Personalabteilung, Personal im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien), sollten nicht als Personal im Sinne dieser Richtlinie betrachtet werden. Erbringt ein Kreditgeber oder Kreditvermittler seine Dienstleistungen im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, so sollte der Her-

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kunftsmitgliedstaat dafür zuständig sein, die für das Personal geltenden Mindestanforderungen an die Kenntnisse und Fähigkeiten festzulegen. Aufnahmemitgliedstaaten, die dies für notwendig halten, sollten jedoch in bestimmten spezifischen Bereichen ihre eigenen Anforderungen an die Fähigkeiten der Kreditgeber und Kreditvermittler festlegen können, die im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit Dienstleistungen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats erbringen. Da es wichtig ist, sicherzustellen, dass die Anforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten angewandt und in der Praxis eingehalten werden, sollten die Mitgliedstaaten den zuständigen Behörden vorschreiben, die Kreditgeber, Kreditvermittler und benannten Vertreter zu überwachen, und sie dazu ermächtigen, dass sie alle erforderlichen Nachweise einholen, um die Einhaltung verlässlich zu beurteilen. Die Art und Weise der Vergütung des Personals von Kreditgebern, Kreditvermittlern und benannten Vertretern sollte bei der Gewährleistung des Verbrauchervertrauens in den Finanzsektor einen zentralen Aspekt darstellen. Diese Richtlinie beinhaltet Vorschriften für die Vergütung des Personals, mit denen unlautere Verkaufspraktiken eingeschränkt werden sollen und gewährleistet werden soll, dass die Art der Vergütung des Personals kein Hindernis für die Einhaltung der Verpflichtung, die Interessen des Verbrauchers zu berücksichtigen, darstellt. Insbesondere sollten die Kreditgeber, Kreditvermittler und benannten Vertreter ihre Vergütungspolitik nicht in der Weise gestalten, dass Anreize für das Personal geschaffen würden, eine bestimmte Zahl oder Art von Kreditverträgen abzuschließen oder den Verbrauchern besondere Nebendienstleistungen ohne ausdrückliche Berücksichtigung ihrer Interessen und Bedürfnisse anzubieten. In diesem Zusammenhang können die Mitgliedstaaten es für notwendig halten zu entscheiden, dass bestimmte Praktiken, z. B. die Erhebung von Entgelten durch gebundene Vermittler, den Interessen des Verbrauchers zuwiderlaufen. Die Mitgliedstaaten sollten ferner bestimmen können, dass die Vergütung des Personals nicht vom Zinssatz oder von der Art des mit dem Verbraucher geschlossenen Kreditvertrags abhängt. Diese Richtlinie sieht harmonisierte Vorschriften hinsichtlich der Bereiche von Kenntnissen und Fähigkeiten vor, die das Personal der Kreditgeber, Kreditvermittler und benannten Vertreter in Bezug auf die Gestaltung, das Anbieten, die Gewährung und die Vermittlung von Kreditverträgen besitzen sollte. Sie sieht keine spezifischen Regelungen vor, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Anerkennung von Berufsqualifikationen, die eine Person in einem Mitgliedstaat erworben hat, stehen, um den Anforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu entsprechen. Die Richtlinie 2005/ 36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen9 sollte daher weiterhin auf die Bedingungen der Anerkennung und die Ausgleichsmaßnahmen Anwendung finden, die ein Aufnahmemitgliedstaat von einer Person verlangen kann, deren Qualifikation nicht in seinem Zuständigkeitsbereich ausgestellt wurde. Kreditgeber und Kreditvermittler nutzen häufig Werbung, oftmals in Verbindung mit Sonderkonditionen, um das Interesse der Verbraucher auf ein bestimmtes Produkt zu lenken. Die Verbraucher sollten deshalb vor unlauterer oder irreführender Werbung geschützt werden und Werbung vergleichen können. Um den Verbrauchern den Vergleich unterschiedlicher Angebote zu ermöglichen, sind spezielle Bestimmungen bezüglich der Wer-

9 ABl. L 255 vom 30. 9. 2005, S. 22.

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bung für Kreditverträge sowie eine Liste der Punkte notwendig, die in Werbe- und Marketingmaterial für die Verbraucher enthalten sein müssen, soweit in diesem Werbematerial Zinssätze oder sonstige auf die Kosten eines Kredits bezogene Zahlen genannt werden. Es sollte den Mitgliedstaaten freigestellt bleiben, in ihrem innerstaatlichen Recht Offenlegungspflichten in Bezug auf Werbung, die keine Zinssätze oder sonstige auf die Kosten eines Kredits bezogene Zahlen enthält, einzuführen oder beizubehalten. Solche Anforderungen müssen den Besonderheiten von Wohnimmobilienkreditverträgen Rechnung tragen. Auf jeden Fall sollte im Einklang mit der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt 10 sichergestellt werden, dass die Werbung für Kreditverträge kein irreführendes Bild des Produkts schafft. (38) In der Werbung wird tendenziell der Schwerpunkt auf ein Produkt oder einige Produkte im Besonderen gelegt, die Verbraucher sollten ihre Entscheidungen aber in umfassender Kenntnis der gesamten Palette angebotener Kreditprodukte treffen können. Diesbezüglich spielen allgemeine Informationen eine wichtige Rolle bei der Aufklärung der Verbraucher in Bezug auf das breite Spektrum der angebotenen Produkte und Dienstleistungen sowie deren wichtigste Merkmale. Daher sollten die Verbraucher stets Zugang zu allgemeinen Informationen über verfügbare Kreditprodukte haben. Sofern diese Anforderung nicht für nicht gebundene Kreditvermittler gilt, so entbindet sie dies in keiner Weise von ihrer Verpflichtung, den Verbrauchern individuelle vorvertragliche Informationen zu erteilen. (39) Um sicherzustellen, dass einheitliche Rahmenbedingungen bestehen und dass die Eigenschaften der angebotenen Kreditprodukte und nicht die Vertriebswege, durch die sie bezogen werden, für die Verbraucherentscheidungen ausschlaggebend sind, sollten die Verbraucher Informationen zum Kredit unabhängig davon erhalten, ob sie unmittelbar mit dem Kreditgeber zu tun haben oder ein Kreditvermittler eingeschaltet ist. (40) Daneben sollten die Verbraucher rechtzeitig vor Abschluss des Kreditvertrags weitere individuell zugeschnittene Informationen erhalten, damit sie die Merkmale von Kreditprodukten vergleichen und abwägen können. Gemäß der Empfehlung 2001/193/EG der Kommission vom 1. März 2001 über vorvertragliche Informationen, die Darlehensgeber, die wohnungswirtschaftliche Darlehen anbieten, den Verbrauchern zur Verfügung stellen müssen,11 hat sich die Kommission verpflichtet, die Einhaltung des Freiwilligen Verhaltenskodex über vorvertragliche Informationen für wohnungswirtschaftliche Kredite zu überwachen, der das ESIS-Merkblatt enthält, mit dem der Verbraucher individuell zugeschnittene Informationen zum bereitgestellten Kreditvertrag erhält. Die von der Kommission eingeholten Informationen belegen die Notwendigkeit, das ESIS-Merkblatt inhaltlich und formal zu überarbeiten, um zu gewährleisten, dass es klar und verständlich ist und sämtliche Informationen enthält, die als für die Verbraucher relevant betrachtet werden. Die im Rahmen von Tests mit Verbrauchern in allen Mitgliedstaaten als notwendig ermittelten Verbesserungen sollten in den Inhalt und die Gestaltung des ESIS-Merkblatts einfließen. Die Gliederung des ESIS-Merkblatts, insbesondere die Reihenfolge der Informationen, sollte überarbeitet werden, die Formulierungen sollten benutzerfreundlicher sein, Abschnitte wie „Nominalzinssatz“ und „Effektiver Jahreszins“ sollten zusammengefasst werden, und es sollten neue Abschnitte wie „flexible Merkmale“ hinzugefügt werden. Als

10 ABl. L 149 vom 11. 6. 2005, S. 22. 11 ABl. L 69 vom 10. 3. 2001, S. 25.

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Teil des ESIS-Merkblatts sollte dem Verbraucher ein Beispiel eines Tilgungsplans geboten werden, wenn es sich bei dem Kredit um einen Kredit mit abgegrenztem Zins handelt, bei dem die Tilgung der Verbindlichkeiten für einen anfänglichen Zeitraum gestundet wird oder der Sollzinssatz für die Laufzeit des Kreditvertrags festgelegt ist; die Mitgliedstaaten sollten jedoch vorsehen können, dass die Darstellung eines solchen Beispiels eines Tilgungsplans im ESIS-Merkblatt für andere Kreditverträge nicht zwingend vorgeschrieben ist. Aus der Verbraucherforschung geht deutlich hervor, wie wichtig eine einfache und verständliche Sprache für Informationen an die Verbraucher ist. Daher werden im ESIS-Merkblatt nicht unbedingt die in dieser Richtlinie definierten Rechtsbegriffe verwendet, sie haben jedoch die gleiche Bedeutung. Die im ESIS-Merkblatt enthaltenen Informationspflichten bei Kreditverträgen für sonstige Produkte oder Dienstleistungen, wie Feuer- oder Lebensversicherung oder Anlageprodukte, die möglicherweise mit dem Kreditvertrag als Bedingungen für die Gewährung des Immobilienkredits angeboten werden, oder die angeboten werden, um den Kredit zu einem niedrigeren Sollzinssatz zu erhalten, sollten unbeschadet der Informationspflichten nach dem Unionsrecht oder den nationalen Rechtsvorschriften gelten. Soweit es keine harmonisierten Vorschriften gibt, sollte es den Mitgliedstaaten freigestellt sein, nationales Recht beizubehalten oder einzuführen, z. B. Informationspflichten über die Höhe von Wucherzinsen in der vorvertraglichen Phase oder Informationen, die für die Zwecke der finanziellen Aufklärung oder der außergerichtlichen Streitbeilegungen nützlich sein könnten. Jegliche zusätzlichen Informationen sollten jedoch in einem separaten Dokument erteilt werden, das dem ESIS-Merkblatt beigefügt werden kann. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, im ESIS-Merkblatt in ihren nationalen Sprachen ein anderes Vokabular zu verwenden, ohne dabei seinen Inhalt oder die Reihenfolge der Informationen zu ändern, wenn dies im Hinblick auf die Verwendung einer Sprache, die für den Verbraucher leichter verständlich sein könnte, erforderlich ist. Damit sichergestellt ist, dass das ESIS-Merkblatt dem Verbraucher alle einschlägigen Informationen bietet, die er für eine fundierte Entscheidung benötigt, sollte der Kreditgeber beim Ausfüllen des ESIS-Merkblatts die in dieser Richtlinie dargelegten Hinweise beachten. Die Mitgliedstaaten sollten die Hinweise zum Ausfüllen des ESIS-Merkblatts auf der Grundlage der in dieser Richtlinie dargelegten Hinweise erweitern oder näher erläutern können. Zum Beispiel sollten die Mitgliedstaaten die Informationen näher erläutern können, die zur Beschreibung der „Art des Sollzinssatzes“ gegeben werden müssen, um den Besonderheiten der nationalen Produkte und Märkte Rechnung zu tragen. Diese näheren Erläuterungen dürfen jedoch weder im Widerspruch zu den in dieser Richtlinie enthaltenen Hinweisen stehen noch eine Änderung des Wortlauts des Musters für das ESIS-Merkblatt bewirken, das der Kreditgeber unverändert verwenden sollte. Die Mitgliedstaaten sollten ferner zusätzliche Warnungen zu Kreditverträgen angeben können, die an ihre nationalen Märkte und Verfahren angepasst sind, sofern diese Warnungen nicht bereits ausdrücklich im ESIS-Merkblatt enthalten sind. Die Mitgliedstaaten sollten vorsehen können, dass der Kreditgeber durch die im ESIS-Merkblatt bereitgestellten Informationen gebunden ist, sofern er beschließt, den Kredit zu gewähren. Der Verbraucher sollte das ESIS-Merkblatt mit den einschlägigen Informationen unverzüglich erhalten, nachdem er die erforderlichen Angaben zu seinen Bedürfnissen, seiner finanziellen Situation und seinen Präferenzen gemacht hat, und rechtzeitig, bevor er durch einen Kreditvertrag oder ein Angebot gebunden ist, damit er die Merkmale von Kreditprodukten vergleichen und abwägen sowie erforderlichenfalls den Rat Dritter ein-

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holen kann. Insbesondere sollte ein ESIS-Merkblatt beigefügt werden, wenn dem Verbraucher ein verbindliches Angebot gemacht wird, es sei denn, das Merkblatt wurde ihm bereits früher ausgehändigt und die Merkmale des Angebots stimmen mit den zuvor übermittelten Informationen überein. Die Mitgliedstaaten sollten jedoch vorsehen können, dass das ESIS-Merkblatt sowohl vor einem verbindlichen Angebot als auch zusammen mit dem verbindlichen Angebot bereitgestellt werden muss, sofern zuvor kein ESISMerkblatt mit denselben Informationen vorgelegt wurde. Das ESIS-Merkblatt sollte zwar individuell auf den Verbraucher zugeschnitten sein und seinen Präferenzen Rechnung tragen, die Bereitstellung solcher individuellen Informationen sollte jedoch keine Pflicht zur Beratung beinhalten. Kreditverträge sollten nur abgeschlossen werden, wenn der Verbraucher ausreichend Zeit hatte, um die Angebote zu vergleichen, ihre Auswirkungen zu bewerten, erforderlichenfalls den Rat Dritter einzuholen und auf fundierter Grundlage eine Entscheidung über die Annahme des Angebots zu treffen. Hat der Verbraucher einen besicherten Kreditvertrag für den Erwerb einer Immobilie oder eines Grundstücks und ist die Laufzeit der Sicherheit länger als die des Kreditvertrags, und kann der Verbraucher entscheiden, das zurückgezahlte Kapital nach Unterzeichnung eines neuen Kreditvertrags wieder zu entnehmen, so sollte dem Verbraucher vor der Unterzeichnung des neuen Kreditvertrags ein neues, auf die spezifischen Merkmale des neuen Kreditvertrags gestütztes ESIS-Merkblatt mit Angabe des neuen effektiven Jahreszinses bereitgestellt werden. Zumindest in den Fällen, in denen kein Widerrufsrecht besteht, sollte der Kreditgeber oder gegebenenfalls der Kreditvermittler oder ein benannter Vertreter dem Verbraucher zum Zeitpunkt der Unterbreitung eines für den Kreditgeber verbindlichen Angebots ein Exemplar des Entwurfs des Kreditvertrags zur Verfügung stellen. In allen anderen Fällen sollte dem Verbraucher zumindest zum Zeitpunkt eines verbindlichen Angebots ein Exemplar des Entwurfs des Kreditvertrags angeboten werden. Zur Gewährleistung größtmöglicher Transparenz und zur Verhinderung von Missbrauch infolge möglicher Interessenkonflikte bei der Inanspruchnahme der Dienste von Kreditvermittlern durch Verbraucher sollten Kreditvermittler der Pflicht unterliegen, vor der Erbringung ihrer Dienstleistungen bestimmte Informationen offenzulegen. Diese Offenlegungspflicht sollte sich auch auf Angaben zu ihrer Identität und ihren Verbindungen zu Kreditgebern erstrecken, z. B. dazu, ob sie Produkte eines breiten Spektrums von Kreditgebern oder lediglich einer begrenzten Anzahl von Kreditgebern in Betracht ziehen. Bestehen Provisionen oder sonstige Anreize, die der Kreditgeber oder dritte Parteien dem Kreditvermittler im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zahlen bzw. gewähren, so sollte dies den Verbrauchern vor der Ausübung jeglicher Kreditvermittlungstätigkeiten offengelegt werden und die Verbraucher sollten in diesem Stadium entweder — soweit bekannt — über die Höhe dieser Zahlungen oder darüber, dass die Höhe im ESIS-Merkblatt in einem späteren vorvertraglichen Stadium bekanntgegeben wird, sowie über ihr Recht, Informationen über die Höhe solcher Zahlungen in diesem Stadium zu erhalten, informiert werden. Die Verbraucher sollten über sämtliche Entgelte unterrichtet werden, die sie an den Kreditvermittler für dessen Dienstleistungen zu leisten haben. Unbeschadet des Wettbewerbsrechts sollte es den Mitgliedstaaten freigestellt sein, Bestimmungen einzuführen oder beizubehalten, die die Zahlung von Entgelten durch Verbraucher an einige oder alle Kategorien von Kreditvermittlern untersagen. Ein Verbraucher benötigt möglicherweise darüber hinaus noch weitere Unterstützung, um entscheiden zu können, welcher der ihm angebotenen Kreditverträge seinen Bedürfnissen und seiner finanziellen Situation am besten entspricht. Kreditgeber und gegebenenfalls

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Kreditvermittler sollten diese Unterstützung in Bezug auf die Kreditprodukte, die sie dem Verbraucher anbieten, leisten, indem die entsprechenden Informationen, darunter insbesondere die Hauptmerkmale der angebotenen Produkte, dem Verbraucher persönlich erläutert werden, so dass er ihre möglichen Auswirkungen auf seine wirtschaftliche Situation einschätzen kann. Die Kreditgeber und gegebenenfalls die Kreditvermittler sollten die Art und Weise, wie diese Erläuterungen zu geben sind, an die Umstände, unter denen der Kredit angeboten wird, und den Bedarf des Verbrauchers an Unterstützung anpassen, wobei dem Kenntnisstand und den Erfahrungen des Verbrauchers in Bezug auf Kredite und der Art des jeweiligen Kreditprodukts Rechnung zu tragen ist. Derartige Erläuterungen sollten nicht zwangsläufig eine persönliche Empfehlung darstellen. (49) Im Interesse der Förderung der Errichtung und des Funktionierens des Binnenmarkts und zwecks Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus in der gesamten Union ist die Vergleichbarkeit der Angaben zum effektiven Jahreszins in der gesamten Union einheitlich zu gewährleisten. (50) Die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher sollten sämtliche Kosten umfassen, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind. Sie sollten daher Zinsen, Provisionen, Steuern, Entgelte für Kreditvermittler, Kosten für die Immobilienbewertung für eine Hypothek und alle sonstigen Entgelte mit Ausnahme von Notargebühren beinhalten, die Voraussetzung dafür sind, dass der Kredit gewährt wird (z. B. Lebensversicherung) oder dass der Kredit zu den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird (z. B. Feuerversicherung). Die Bestimmungen dieser Richtlinie über Nebenprodukte und -leistungen (z. B. über die Kosten für die Eröffnung und Führung eines Bankkontos) sollten unbeschadet der Richtlinie 2005/29/ EG und der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen12 gelten. Die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher sollten nicht die Kosten umfassen, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Erwerb der Immobilie oder des Grundstücks zahlen muss, wie damit verbundene Steuern und Notargebühren oder Kosten für die Grundbucheintragung. Die tatsächliche Kenntnis des Kreditgebers von diesen Kosten sollte objektiv beurteilt werden, wobei die Anforderungen an die berufliche Sorgfalt zu berücksichtigen sind. Diesbezüglich sollte davon ausgegangen werden, dass der Kreditgeber von den Kosten für die Nebenleistungen, die er selbst oder für einen Dritten dem Verbraucher anbietet, Kenntnis hat, es sei denn, deren Preis hängt von spezifischen Merkmalen oder der besonderen Situation des Verbrauchers ab. (51) Beruhen die erteilten Informationen auf Schätzungen, so sollte der Verbraucher darüber unterrichtet werden sowie darüber, dass die Informationen repräsentativ für die Art des betreffenden Vertrags oder der betreffenden Praktiken sein dürften. Mit den zusätzlichen Annahmen für die Berechnung des effektiven Jahreszinses soll gewährleistet werden, dass der effektive Jahreszins auf einheitliche Weise berechnet wird und vergleichbar ist. Zusätzliche Annahmen sind für spezifische Arten von Kreditverträgen erforderlich, z. B. wenn der Betrag, die Laufzeit oder die Kosten des Kredits nicht sicher sind oder je nach Ausführung des Vertrags variieren. Reichen die betreffenden Vorgaben an sich nicht aus, um den effektiven Jahreszins zu berechnen, so sollte der Kreditgeber die in Anhang I enthaltenen zusätzlichen Annahmen heranziehen. Da die Berechnung des effektiven Jah-

12 ABl. L 95 vom 21. 4. 1993, S. 29.

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reszinses von den Bedingungen des jeweiligen Kreditvertrags abhängt, sollten jedoch nur die Annahmen verwendet werden, die notwendig und für den jeweiligen Kredit relevant sind. (52) Um auch in weiterer Hinsicht ein hohes Maß an Vergleichbarkeit des effektiven Jahreszinses bei Angeboten von verschiedenen Kreditgebern zu gewährleisten, sollten die Zeiträume zwischen den in der Berechnung verwendeten Zeitpunkten nicht in Tagen ausgedrückt werden, wenn sie als ganze Zahl von Jahren, Monaten oder Wochen ausgedrückt werden können. Dabei gilt implizit: Wenn in der Formel für den effektiven Jahreszins bestimmte Zeiträume verwendet werden, sollten diese Zeiträume zur Bestimmung der in der Formel verwendeten Beträge von Zinsen und anderen Kosten herangezogen werden. Aus diesem Grund sollten die Kreditgeber die in Anhang I beschriebene Methode zur Messung der Zeiträume verwenden, um das Zahlenmaterial für die Begleichung von Kosten zu erhalten. Dies gilt jedoch nur für die Berechnung des effektiven Jahreszinses und hat keinen Einfluss auf die tatsächlich vom Kreditgeber im Rahmen des Kreditvertrags in Rechnung gestellten Beträge. Weichen diese Zahlen voneinander ab, so kann es erforderlich sein, dem Verbraucher entsprechende Erläuterungen zu erteilen, um eine Irreführung des Verbrauchers zu vermeiden. Dies bedeutet, dass der effektive Jahreszins identisch mit dem effektiven Sollzinssatz des Kredits ist, wenn keine Zahlungen für Kosten, die keine Zinsen sind, anfallen und eine identische Berechnungsmethode verwendet wird. (53) Da der effektive Jahreszins in der Werbephase nur anhand eines Beispiels angegeben werden kann, sollte dieses Beispiel repräsentativ sein. Deshalb sollte es beispielsweise der durchschnittlichen Laufzeit und dem Gesamtbetrag des gewährten Kredits für die Art des betreffenden Kreditvertrags entsprechen. Bei der Auswahl des repräsentativen Beispiels sollte die Verbreitung bestimmter Kreditverträge auf einem speziellen Markt berücksichtigt werden. Für den einzelnen Kreditgeber kann es wünschenswert sein, das repräsentative Beispiel auf einen Kreditbetrag zu stützen, der für die Produktpalette und erwartete Zielgruppe dieses Kreditgebers repräsentativ ist, da es hierbei große Unterschiede zwischen Kreditgebern geben kann. Was den im ESIS-Merkblatt angegebenen effektiven Jahreszins betrifft, so sollten die vom Verbraucher mitgeteilten Präferenzen und Informationen soweit möglich berücksichtigt werden und der Kreditgeber oder Kreditvermittler sollte deutlich machen, ob die angegebenen Informationen lediglich Beispielcharakter haben oder den mitgeteilten Präferenzen und Informationen Rechnung tragen. Auf jeden Fall sollten die repräsentativen Beispiele nicht den Anforderungen der Richtlinie 2005/29/ EG zuwiderlaufen. Außerdem ist es wichtig, dass für den Verbraucher im ESIS-Merkblatt gegebenenfalls deutlich gemacht wird, dass der effektive Jahreszins auf Annahmen beruht und sich ändern kann, damit er dies beim Vergleich von Produkten berücksichtigen kann. Es ist wichtig, dass der effektive Jahreszins allen im Rahmen des Kreditvertrags in Anspruch genommenen Kreditbeträgen Rechnung trägt, unabhängig davon, ob sie direkt an den Verbraucher oder im Namen des Verbrauchers an eine dritte Partei ausgezahlt werden. (54) Zur Gewährleistung der Kohärenz bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses für verschiedene Arten von Krediten sollten die für die Berechnung ähnlicher Formen von Kreditverträgen herangezogenen Annahmen allgemein übereinstimmen. Diesbezüglich sollten die Annahmen aus der Richtlinie 2011/90/EU der Kommission vom 14. November 2011 zur Änderung von Anhang I Teil II der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates13 mit zusätzlichen Annahmen für die Berechnung des effektiven

13 ABl. L 296 vom 15. 11. 2011, S. 35.

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Jahreszinses, mit der die Annahmen für die Berechnung des effektiven Jahreszinses geändert werden, einbezogen werden. Während nicht alle Annahmen notwendigerweise auf derzeit verfügbare Kreditverträge zutreffen, gibt es in diesem Sektor aktive Produktinnovationen, und es ist daher notwendig, über entsprechende Annahmen zu verfügen. Darüber hinaus sollte — für die Zwecke der Berechnung des effektiven Jahreszinses — die Ermittlung des am häufigsten vorkommenden Mechanismus der Inanspruchnahme auf begründeten Erwartungen hinsichtlich des Mechanismus der Inanspruchnahme fußen, der von den Verbrauchern für die von dem bestimmten Kreditgeber angebotene Art von Produkt am häufigsten verwendet wird. Für bestehende Produkte sollte die Annahme auf die vorhergehenden 12 Monate gestützt sein. (55) Vor Abschluss eines Kreditvertrags ist es unerlässlich, die Fähigkeit und Neigung des Verbrauchers zur Rückzahlung des Kredits zu bewerten und zu überprüfen. Bei dieser Kreditwürdigkeitsprüfung sollten sämtliche erforderlichen und relevanten Faktoren berücksichtigt werden, die die Fähigkeit eines Verbrauchers, über die Laufzeit des Kredits fällige Rückzahlungen zu leisten, beeinflussen könnten. Insbesondere sollte die Beurteilung der Fähigkeit des Verbrauchers zur Bedienung und vollständigen Rückzahlung des Kredits Überlegungen zu künftig erforderlichen Zahlungen oder Zahlungserhöhungen infolge einer negativen Amortisation oder aufgeschobener Tilgungs- oder Zinszahlungen einschließen; und es sollten weitere regelmäßige Ausgaben, Schulden und sonstige finanzielle Verbindlichkeiten wie auch Einkommen, Ersparnisse und Vermögenswerte berücksichtigt werden. Zukünftige Ereignisse während der Laufzeit des vorgeschlagenen Kreditvertrags, wie ein verringertes Einkommen für den Fall, dass die Kreditlaufzeit in die Zeit des Ruhestands hineinreicht, oder gegebenenfalls ein Anstieg des Sollzinssatzes oder eine negative Entwicklung des Wechselkurses, sollten ausreichend berücksichtigt werden. Der Wert der Immobilie ist zwar ein wichtiges Element für die Festlegung der Summe des Kredits, die einem Verbraucher im Rahmen eines besicherten Kreditvertrags gewährt werden kann, der Schwerpunkt bei der Prüfung der Kreditwürdigkeit sollte aber auf die Fähigkeit des Verbrauchers gelegt werden, seinen Verpflichtungen gemäß dem Kreditvertrag nachzukommen. Folglich sollte die Möglichkeit, dass der Wert der Immobilie die Kreditsumme übersteigen könnte oder in Zukunft steigen könnte, in der Regel nicht als ausreichende Bedingung für die Gewährung des betreffenden Kredits gelten. Gleichwohl sollte der Kreditgeber diese Möglichkeit berücksichtigen können, wenn der Zweck des Kreditvertrags der Ausbau oder die Renovierung einer bestehenden Immobilie ist. Die Mitgliedstaaten sollten zusätzliche Leitlinien zu diesen oder zusätzlichen Kriterien und zu den bei der Prüfung der Kreditwürdigkeit eines Verbrauchers angewandten Methoden herausgeben können, indem beispielsweise Obergrenzen für das Verhältnis zwischen Kredithöhe und Objektwert oder Kredithöhe und Einkommen festgelegt werden, und sollten ermutigt werden, die Grundsätze des Rates für Finanzstabilität für bewährte Praktiken zur Kreditsicherung mittels Hypotheken auf Wohnimmobilien anzuwenden. (56) Für die unterschiedlichen Elemente, denen bei einer Kreditwürdigkeitsprüfung für bestimmte Arten von Kreditverträgen Rechnung getragen werden kann, können spezifische Bestimmungen erforderlich sein. Zum Beispiel sollten die Mitgliedstaaten in Bezug auf Kreditverträge bezüglich einer Immobilie, bei denen ausdrücklich angegeben wird, dass die Immobilie nicht als Haus, Wohnung oder sonstige Wohnstätte durch den Verbraucher oder ein Familienmitglied des Verbrauchers genutzt werden soll (Verträge über den Kauf zur Weitervermietung), festlegen können, dass die künftigen Mieteinnahmen bei der Prüfung der Fähigkeit des Verbrauchers zur Rückzahlung des Kredits berücksichtigt werden. In Mitgliedstaaten, in deren nationalen Rechtsvorschriften keine derartige Bestimmung

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enthalten ist, können die Kreditgeber entscheiden, eine vorsichtige Einschätzung der künftigen Mieteinnahmen einzubeziehen. Die Prüfung der Kreditwürdigkeit sollte nicht bedeuten, dass die Haftung für eine nachträgliche Nichteinhaltung der Verpflichtungen gemäß dem Kreditvertrag durch den Verbraucher auf den Kreditgeber übertragen wird. (57) Der Beschluss des Kreditgebers über die Kreditgewährung sollte im Einklang mit dem Ergebnis der Kreditwürdigkeitsprüfung stehen. Zum Beispiel sollte die Möglichkeit für den Kreditgeber, Dritten einen Teil des Kreditrisikos zu übertragen, nicht dazu führen, die Ergebnisse der Kreditwürdigkeitsprüfung zu missachten und mit einem Kreditnehmer einen Kreditvertrag zu schließen, der wahrscheinlich nicht in der Lage ist, den Kredit zurückzuzahlen. Die Mitgliedstaaten sollten dieses Prinzip umsetzen können, indem sie von den zuständigen Behörden verlangen, im Rahmen ihrer Aufsichts- und Kontrolltätigkeiten entsprechende Maßnahmen einzuleiten und die Verfahren der Kreditgeber bei der Kreditwürdigkeitsprüfung zu überwachen. Ein positiver Ausgang der Kreditwürdigkeitsprüfung sollte für den Kreditgeber jedoch keine Verpflichtung zur Gewährung des Kredits darstellen. (58) Im Einklang mit den vom Rat für Finanzstabilität aufgestellten Empfehlungen sollte die Prüfung der Kreditwürdigkeit auf Informationen über die finanzielle und wirtschaftliche Situation des Verbrauchers, einschließlich Einkommen und Ausgaben, beruhen. Diese Informationen können aus verschiedenen Quellen, unter anderem beim Verbraucher, eingeholt werden, und der Kreditgeber sollte diese Informationen ausreichend überprüfen, bevor er den Kredit gewährt. Diesbezüglich sollten die Verbraucher zur Erleichterung der Kreditwürdigkeitsprüfung Informationen verfügbar machen, weil ihnen ansonsten der gewünschte Kredit möglicherweise nicht gewährt wird, es sei denn, die Informationen können anderweitig eingeholt werden. Unbeschadet des privaten Vertragsrechts sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Kreditgeber einen Kreditvertrag nicht kündigen können, weil sie nach Unterzeichnung des Kreditvertrags erkannt haben, dass die Prüfung der Kreditwürdigkeit nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde, weil die zum Zeitpunkt der Kreditwürdigkeitsprüfung vorliegenden Informationen unvollständig waren. Dies hindert die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran, es Kreditgebern zu erlauben, den Kreditvertrag zu kündigen, wenn festgestellt werden kann, dass der Verbraucher zum Zeitpunkt der Kreditwürdigkeitsprüfung vorsätzlich fehlerhafte oder gefälschte Informationen bereitgestellt hat oder Informationen, die zu einer negativen Kreditwürdigkeitsbeurteilung geführt hätten, absichtlich nicht bereitgestellt hat oder wenn andere mit dem Unionsrecht vereinbare triftige Gründe vorliegen. Es wäre nicht angemessen, Sanktionen gegen Verbraucher zu verhängen, die nicht in der Lage sind, bestimmte Informationen oder Beurteilungen bereitzustellen, oder entschieden haben, den Antrag auf Gewährung des Kredits nicht weiterzuverfolgen; die Mitgliedstaaten sollten jedoch Sanktionen vorsehen können, wenn Verbraucher zur Erlangung einer positiven Beurteilung ihrer Kreditwürdigkeit bewusst unvollständige oder unrichtige Informationen bereitstellen, insbesondere weil eine vollständige und wahrheitsgemäße Auskunft eine negative Beurteilung ihrer Kreditwürdigkeit zur Folge hätte, und sie anschließend nicht in der Lage sind, die Vertragsbedingungen zu erfüllen. (59) Die Abfrage einer Kreditdatenbank ist ein nützliches Element bei der Kreditwürdigkeitsprüfung. Einige Mitgliedstaaten verpflichten die Kreditgeber gesetzlich dazu, die Kreditwürdigkeit aufgrund der Abfrage einer entsprechenden Datenbank zu beurteilen. Die Kreditgeber sollten die Kreditdatenbank während der Laufzeit des Kredits nur abfragen können, um das Ausfallrisiko ermitteln und einschätzen zu können. Eine solche Abfrage der entsprechenden Kreditdatenbank sollte geeigneten Sicherheitsvorkehrungen unterlie-

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gen, um sicherzustellen, dass er für die Früherkennung und Bewältigung von Kreditrisiken im Interesse des Verbrauchers erfolgt und die Informationen nicht für die Zwecke von Geschäftsverhandlungen abgefragt werden. Im Einklang mit der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr14 sollte der Verbraucher vom Kreditgeber vor Abfrage einer Kreditdatenbank darüber informiert werden, dass eine Abfrage vorgenommen wird, und ein Recht auf Zugang zu den in einer solchen Kreditdatenbank über ihn abgespeicherten Informationen haben, damit er die ihn betreffenden verarbeiteten personenbezogenen Daten gegebenenfalls berichtigen, löschen oder sperren kann, sofern diese unrichtig sind oder unrechtmäßig verarbeitet wurden. Um jegliche Wettbewerbsverzerrung zwischen Kreditgebern zu vermeiden, sollte gewährleistet werden, dass alle Kreditgeber, einschließlich Kreditinstitute oder Nichtkreditinstitute, die Wohnimmobilienkreditverträge anbieten, zu nichtdiskriminierenden Bedingungen Zugang zu sämtlichen öffentlichen und privaten Kreditdatenbanken mit Verbraucherdaten haben. Diese Bedingungen sollten daher nicht die Niederlassung des Kreditgebers als Kreditinstitut vorschreiben. Die Zugangsbedingungen, z. B. die Kosten des Zugangs zur Datenbank oder die Vorschrift, dass der Datenbank Informationen nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit bereitgestellt werden müssen, sollten weiterhin gelten. Es sollte den Mitgliedstaaten freistehen, festzulegen, ob in ihrem Hoheitsgebiet Kreditvermittler Zugang zu diesen Datenbanken erhalten können. Beruht eine Entscheidung zur Ablehnung eines Kreditantrags auf Daten, die durch die Abfrage einer Datenbank erlangt wurden, oder auf dem Fehlen von Daten in derselben, so sollte der Kreditgeber dem Verbraucher diesen Umstand mitteilen und ihm die Bezeichnung der konsultierten Datenbank sowie sämtliche anderen gemäß Richtlinie 95/46/EG erforderlichen Informationen bereitstellen, damit der Verbraucher sein Recht auf Zugang zu den ihn betreffenden verarbeiteten personenbezogenen Daten ausüben und diese, soweit gerechtfertigt, berichtigen, löschen oder sperren kann. Beruht eine Entscheidung zur Ablehnung eines Kreditantrags auf einer negativen Beurteilung der Kreditwürdigkeit, so sollte der Kreditgeber den Verbraucher unverzüglich über die Ablehnung unterrichten. Es sollte den Mitgliedstaaten freigestellt sein, zu entscheiden, ob sie den Kreditgeber dazu verpflichten, weitere Erläuterungen zu den Gründen für die Ablehnung bereitzustellen. Der Kreditgeber sollte zu einer solchen Unterrichtung jedoch nicht verpflichtet sein, wenn diese nach anderem Unionsrecht, beispielsweise Bestimmungen über Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung, nicht zulässig wäre. Solche Informationen sollten nicht gegeben werden, wenn dies den Zielen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit, wie der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten, zuwiderlaufen würde. Die Nutzung personenbezogener Daten im Rahmen der Prüfung der Kreditwürdigkeit eines Verbrauchers ist Gegenstand dieser Richtlinie. Zur Gewährleistung des Schutzes personenbezogener Daten sollte die Verarbeitung von Daten im Zusammenhang mit Kreditwürdigkeitsprüfungen den Bestimmungen der Richtlinie 95/46/EG unterliegen. Das Anbieten von Beratung in Form einer individuellen Empfehlung ist eine gesonderte Tätigkeit, die mit anderen Aspekten der Gewährung oder Vermittlung von Krediten kom-

14 ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31.

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biniert werden kann, aber nicht muss. Um die Art der ihnen erbrachten Dienstleistungen verstehen zu können, sollten die Verbraucher deshalb darüber unterrichtet werden, ob Beratungsdienstleistungen erbracht werden bzw. erbracht werden können oder nicht erbracht werden und woraus diese Beratungsdienstleistungen bestehen. In Anbetracht der Bedeutung, die Verbraucher den Begriffen „Beratung“ und „Berater“ beimessen, sollten die Mitgliedstaaten die Verwendung dieser oder ähnlicher Begriffe untersagen können, wenn Beratungsdienstleistungen für Verbraucher erbracht werden. Es sollte dafür gesorgt werden, dass die Mitgliedstaaten Sicherheitsvorkehrungen festlegen, wenn eine Beratung als unabhängig beschrieben wird, um sicherzustellen, dass das Spektrum der jeweiligen Produkte und die Vergütungsregelungen den Erwartungen der Verbraucher an eine solche Beratung entsprechen. (64) Um sicherzustellen, dass dem Verbraucher Produkte vorgestellt werden, die seinen Bedürfnissen und persönlichen Umständen entsprechen, sollten Personen, die Beratungsdienstleistungen erbringen, bestimmte Standards einhalten. Beratungsdienstleistungen sollten auf einer fairen und hinreichend umfassenden Analyse der angebotenen Produkte (bei Erbringung durch Kreditgeber und gebundene Kreditvermittler) bzw. der auf dem Markt verfügbaren Produkte (bei Erbringung durch nicht gebundene Kreditvermittler) beruhen. Personen, die Beratungsdienstleistungen erbringen, sollten die Möglichkeit haben, sich auf bestimmte „Nischenprodukte“ wie Überbrückungskredite zu spezialisieren, sofern sie ein Spektrum von Produkten innerhalb dieser bestimmten „Nische“ in Betracht ziehen und ihre Spezialisierung auf diese „Nischenprodukte“ dem Verbraucher gegenüber deutlich gemacht wird. Auf jeden Fall sollten Kreditgeber und Kreditvermittler den Verbraucher darüber informieren, ob sich ihre Beratungstätigkeit nur auf die eigene Produktpalette oder auf ein weites Spektrum von Produkten auf dem Markt erstreckt, um sicherzustellen, dass der Verbraucher die Grundlage für eine Empfehlung versteht. (65) Beratungsdienstleistungen sollten auf einem ordnungsgemäßen Verständnis der finanziellen Situation, Präferenzen und Ziele des Verbrauchers beruhen und sich auf die erforderlichen aktuellen Informationen und realistischen Annahmen bezüglich der Risiken für die Lebensumstände des Verbrauchers während der Laufzeit des Kreditvertrags stützen. Die Mitgliedstaaten sollten klarstellen können, wie die Eignung eines bestimmten Produkts im Rahmen der Beratungsdienstleistungen zu beurteilen ist. (66) Die Fähigkeit eines Verbrauchers, den Kredit vor Ablauf des Kreditvertrags zurückzuzahlen, kann eine wichtige Rolle bei der Förderung des Wettbewerbs im Binnenmarkt und der Freizügigkeit der Unionsbürger spielen sowie dazu beitragen, die erforderliche Flexibilität während der Laufzeit des Kreditvertrags zu gewähren, um die Finanzstabilität im Einklang mit den Empfehlungen des Rates für Finanzstabilität zu fördern. Allerdings bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den nationalen Grundsätzen und Bedingungen, unter denen Verbraucher ihren Kredit zurückzahlen können, und den Bedingungen, unter denen solche vorzeitigen Rückzahlungen erfolgen können. Bestimmte Standards in Bezug auf die vorzeitige Kreditrückzahlung sind — unter Berücksichtigung der Vielfalt der Hypothekarkreditmechanismen und des Spektrums an verfügbaren Produkten — auf Unionsebene von wesentlicher Bedeutung, um zu gewährleisten, dass die Verbraucher die Möglichkeit haben, sich ihrer Verpflichtungen vor dem im Kreditvertrag vereinbarten Zeitpunkt zu entledigen, und vertrauensvoll Angebote vergleichen können, um das Produkt zu finden, das ihren Erfordernissen am besten entspricht. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten entweder durch Rechtsvorschriften oder auf andere Weise, z. B. mittels Vertragsbestimmungen, gewährleisten, dass die Verbraucher ein Recht auf vorzeitige Rückzahlung haben. Gleichwohl sollten die Mitgliedstaaten die Bedingungen für die Aus-

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übung dieses Rechts festlegen können. Diese Bedingungen können die zeitliche Begrenzung der Ausübung dieses Rechts, eine je nach Art des Sollzinssatzes unterschiedliche Behandlung oder Beschränkungen hinsichtlich der Umstände, unter denen dieses Recht ausgeübt werden kann, betreffen. Fällt die vorzeitige Rückzahlung in einen Zeitraum, für den ein fester Sollzinssatz vereinbart wurde, kann die Möglichkeit der Ausübung des Rechts auf vorzeitige Rückzahlung in jedem Fall an die Voraussetzung geknüpft werden, dass aufseiten des Verbrauchers ein berechtigtes Interesse vorliegt, das von dem jeweiligen Mitgliedstaat zu spezifizieren ist. Ein solches berechtigtes Interesse kann beispielsweise bei Scheidung oder Arbeitslosigkeit gegeben sein. In den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen kann vorgesehen werden, dass der Kreditgeber Anspruch auf eine faire und objektiv gerechtfertigte Entschädigung für etwaige Kosten hat, die ihm in unmittelbarem Zusammenhang mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits entstehen. In den Fällen, in denen die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Kreditgeber Anspruch auf eine Entschädigung hat, sollte es eine faire und objektiv gerechtfertigte Entschädigung für etwaige Kosten in unmittelbarem Zusammenhang mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits im Einklang mit den nationalen Entschädigungsvorschriften sein. Die Entschädigung darf den finanziellen Verlust des Kreditgebers nicht übersteigen. (67) Es ist sicherzustellen, dass ausreichende Transparenz gegeben ist, um für Verbraucher Klarheit bezüglich der Art der Verpflichtungen, die im Interesse der Wahrung der Finanzstabilität eingegangen werden, und bezüglich der Bereiche herzustellen, in denen während der Laufzeit des Kreditvertrags Flexibilität besteht. Verbraucher sollten sowohl während des Vertragsverhältnisses als auch im vorvertraglichen Stadium Informationen über den Sollzinssatz erhalten. Die Mitgliedstaaten sollten Beschränkungen oder Verbote einseitiger Änderungen des Sollzinssatzes durch den Kreditgeber aufrechterhalten oder einführen können. Die Mitgliedstaaten sollten vorsehen können, dass der Verbraucher im Fall einer Änderung des Sollzinssatzes Anspruch darauf hat, einen aktualisierten Tilgungsplan zu erhalten. (68)–(75) Zum Aufsichtsregime über Kreditvermittler und Nicht-Kreditinstitute, dessen Wortlaut unten nicht abgedruckt. (76) Die Mitgliedstaaten sollten für den Fall des Verstoßes gegen die nach Maßgabe dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften Sanktionen vorsehen und sicherstellen, dass diese angewandt werden. Die Wahl der Sanktionen bleibt zwar den Mitgliedstaaten überlassen, doch sollten die vorgesehenen Sanktionen wirksam, angemessen und abschreckend sein. (77) Die Verbraucher sollten zur Beilegung der aus den Rechten und Pflichten gemäß dieser Richtlinie zwischen Kreditgebern und Verbrauchern sowie zwischen Kreditvermittlern und Verbrauchern möglicherweise erwachsenden Streitigkeiten Zugang zu außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren haben. Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass die Teilnahme an solchen alternativen Streitbeilegungsverfahren für die Kreditgeber und Kreditvermittler nicht fakultativ ist. Um ein reibungsloses Funktionieren der alternativen Streitbeilegungsverfahren in Fällen von grenzüberschreitender Tätigkeit sicherzustellen, sollten die Mitgliedstaaten die für außergerichtliche Beschwerdeund Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Behörden zur Zusammenarbeit verpflichten und ermutigen. In diesem Zusammenhang sollten die für außergerichtliche Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ermutigt werden, am FIN-NET teilzunehmen, einem Netz für die außergerichtliche Streitbeilegung im Bereich Finanzdienstleistungen für Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Finanzdienstleistungserbringern.

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(78)–(85) Zu Durchführungs- und Übergangsbestimmungen, deren Wortlaut unten nicht abgedruckt. — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel 1 – Gegenstand, Geltungsbereich, Begriffsbestimmungen und zuständige Behörden Art. 1 Gegenstand Mit dieser Richtlinie wird ein gemeinsamer Rahmen zur Regelung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für mit Verbrauchern geschlossene grundpfandrechtlich besicherte Kreditverträge oder andere Wohnimmobilienkreditverträge festgelegt, wozu auch eine Verpflichtung gehört, vor der Gewährung eines Kredits eine Kreditwürdigkeitsprüfung durchzuführen; dieser Rahmen soll als Grundlage für die Ausarbeitung wirksamer Kreditvergabestandards im Zusammenhang mit Wohnimmobilien in den Mitgliedstaaten und für bestimmte aufsichtsrechtliche Anforderungen, einschließlich für die Niederlassung und Beaufsichtigung von Kreditvermittlern, benannten Vertretern und Nichtkreditinstituten, dienen. Art. 2 Maß der Harmonisierung (1) Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Bestimmungen zum Zweck des Verbraucherschutzes beizubehalten oder einzuführen, sofern diese Bestimmungen mit ihren Pflichten nach dem Unionsrecht übereinstimmen. (2) Ungeachtet des Absatzes 1 dürfen die Mitgliedstaaten keine Bestimmungen in ihrem nationalen Recht beibehalten oder einführen, die von den Bestimmungen des Artikels 14 Absatz 2, des Anhangs II Teil A in Bezug auf einheitliche vorvertragliche Informationen durch ein „Europäisches standardisiertes Merkblatt“ (European Standardised Information Sheet, ESIS-Merkblatt) sowie des Artikels 17 Absätze 1 bis 5, Absatz 7 und Absatz 8 sowie des Anhangs I in Bezug auf einen gemeinsamen, konsistenten unionsweiten Standard für die Berechnung des effektiven Jahreszinses abweichen. Art. 3 Geltungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt für a) Kreditverträge, die entweder durch eine Hypothek oder eine vergleichbare Sicherheit, die in einem Mitgliedstaat gewöhnlich für Wohnimmobilien genutzt wird, oder durch ein Recht an Wohnimmobilien besichert sind und b) Kreditverträge, die für den Erwerb oder die Erhaltung von Eigentumsrechten an einem Grundstück oder einem bestehenden oder geplanten Gebäude bestimmt sind. (2) Diese Richtlinie gilt nicht für 453

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a) Immobilienverzehrkreditverträge, bei denen der Kreditgeber i) pauschale oder regelmäßige Zahlungen leistet oder andere Formen der Kredittilgung vornimmt und damit im Gegenzug einen Betrag aus dem künftigen Erlös des Verkaufs einer Wohnimmobilie erhält oder ein Recht an einer Wohnimmobilie erwirbt, und ii) erst dann eine Rückzahlung fordert, wenn im Leben des Verbrauchers ein oder mehrere von den Mitgliedstaaten festgelegte Ereignisse eintreten, außer der Verbraucher verstößt gegen die Vertragsbestimmungen, was dem Kreditgeber erlaubt, den Kreditvertrag zu kündigen; b) Kreditverträge, die Arbeitnehmern vom Arbeitgeber als Nebenleistung zinsfrei oder zu einem niedrigeren effektiven Jahreszins als dem marktüblichen gewährt werden und die nicht der breiten Öffentlichkeit angeboten werden; c) Kreditverträge ohne Zinsen und sonstige Gebühren außer denen, die unmittelbar auf den mit der Besicherung des Kredits verbundenen Kosten beruhen; d) Kreditverträge in Form von Überziehungsmöglichkeiten, bei denen der Kredit binnen eines Monats zurückzuzahlen ist; e) Kreditverträge, die Ergebnis eines Vergleichs vor einem Richter oder einer anderen gesetzlich befugten Stelle sind; f) Kreditverträge, die die unentgeltliche Stundung einer bestehenden Forderung zum Gegenstand haben und nicht unter den Geltungsbereich von Absatz 1 Buchstabe a fallen. (3) Die Mitgliedstaaten können beschließen, die folgenden Bestimmungen nicht anzuwenden: a) bei Verbraucherkreditverträgen, die durch eine Hypothek oder eine vergleichbare Sicherheit, die in einem Mitgliedstaat gewöhnlich für Wohnimmobilien genutzt wird, oder durch ein Recht an Wohnimmobilien besichert sind und die nicht für den Erwerb oder die Erhaltung des Rechts an Wohnimmobilien bestimmt sind, die Artikel 11 und 14 und Anhang II, sofern die Mitgliedstaaten für diese Kreditverträge die Artikel 4 und 5 und die Anhänge II und III der Richtlinie 2008/48/EG anwenden; b) bei Kreditverträgen für den Erwerb einer Immobilie, in denen festgehalten ist, dass die Immobilie zu keinem Zeitpunkt als Haus, Wohnung oder sonstige Wohnstätte durch den Verbraucher oder ein Familienmitglied des Verbrauchers genutzt werden kann und dass sie auf der Grundlage eines Mietvertrags als Haus, Wohnung oder sonstige Wohnstätte genutzt werden soll, die vorliegende Richtlinie; c) bei Kreditverträgen, die Kredite zum Gegenstand haben, die einem begrenzten Kundenkreis im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen im Gemeinwohlinteresse gewährt werden, sei es zinslos oder zu einem niedrigeren als dem 454

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marktüblichen Sollzinssatz oder zu anderen, für den Verbraucher günstigeren als den marktüblichen Bedingungen und zu Zinssätzen, die nicht über den marktüblichen Sollzinssätzen liegen, die vorliegende Richtlinie; d) bei Überbrückungsdarlehen die vorliegende Richtlinie; e) bei Kreditverträgen, bei denen es sich beim Kreditgeber um eine Organisation innerhalb des Geltungsbereichs von Artikel 2 Absatz 5 der Richtlinie 2008/48/EG handelt, die vorliegende Richtlinie. (4) Die Mitgliedstaaten, die die Möglichkeit gemäß Absatz 3 Buchstaben b in Anspruch nehmen stellen sicher, dass für diese Art von Kredit auf nationaler Ebene ein angemessener Rahmen angewandt wird. (5) Die Mitgliedstaaten, die die Möglichkeit gemäß Absatz 3 Buchstaben c oder e in Anspruch nehmen, stellen sicher, dass eine angemessene alternative Regelung angewandt wird, mit der sichergestellt wird, dass die Verbraucher in der vorvertraglichen Phase rechtzeitig über die Hauptmerkmale, Risiken und Kosten solcher Kreditverträge informiert werden und dass die Werbung für solche Kreditverträge den Kriterien der Redlichkeit und Eindeutigkeit genügt und nicht irreführend ist. Art. 4 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. „Verbraucher“ einen Verbraucher im Sinne von Artikel 3 Buchstabe a der Richtlinie 2008/48/EG; 2. „Kreditgeber“ eine natürliche oder juristische Person, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit einen in den Geltungsbereich gemäß Artikel 3 fallenden Kredit gewährt oder zu gewähren verspricht; 3. „Kreditvertrag“ einen Vertrag, bei dem ein Kreditgeber einem Verbraucher einen in den Geltungsbereich gemäß Artikel 3 fallenden Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs, eines Darlehens oder einer sonstigen ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht; 4. „Nebenleistung“ eine Dienstleistung, die dem Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag angeboten wird; 5. „Kreditvermittler“ eine natürliche oder juristische Person, die nicht als Kreditgeber oder Notar handelt und die nicht lediglich einen Verbraucher direkt oder indirekt mit einem Kreditgeber oder Kreditvermittler in Kontakt bringt, und die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit gegen eine Vergütung, die aus einer Geldzahlung oder einem sonstigen vereinbarten wirtschaftlichen Vorteil bestehen kann, a) Verbrauchern Kreditverträge vorstellt oder anbietet, b) Verbrauchern bei anderen als den unter Buchstabe a genannten Vorarbeiten oder anderen vorvertraglichen administrativen Tätigkeiten zum Abschluss von Kreditverträgen behilflich ist oder 455

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c) für den Kreditgeber mit Verbrauchern Kreditverträge abschließt; 6. „Gruppe“ eine Gruppe von Kreditgebern, die zum Zweck der Erstellung eines konsolidierten Abschlusses im Sinne der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen15 zu konsolidieren sind; 7. „gebundener Kreditvermittler“ einen Kreditvermittler, der im Namen und unter der unbeschränkten und vorbehaltlosen Verantwortung a) nur eines Kreditgebers, b) nur einer Gruppe oder c) einer Zahl von Kreditgebern oder Gruppen, die auf dem Markt keine Mehrheit darstellt, handelt; 8. „benannter Vertreter“ eine natürliche oder juristische Person, die die unter Nummer 5 genannten Tätigkeiten ausübt und die im Namen und unter der unbeschränkten und vorbehaltlosen Verantwortung nur eines einzigen Kreditvermittlers handelt; 9. „Kreditinstitut“ Kreditinstitute im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013; 10. „Nichtkreditinstitut“ alle Kreditgeber, bei denen es sich nicht um ein Kreditinstitut handelt; 11. „Personal“ a) alle natürlichen Personen, die für den Kreditgeber oder den Kreditvermittler arbeiten und direkt an den unter diese Richtlinie fallenden Tätigkeiten mitwirken oder im Zuge der Ausübung der unter diese Richtlinie fallenden Tätigkeiten Kontakte zu Verbrauchern haben, b) alle natürlichen Personen, die für einen bestellten Vertreter arbeiten und im Zuge der Ausübung der unter diese Richtlinie fallenden Tätigkeiten Kontakte zu Verbrauchern haben, c) alle natürlichen Personen, die den unter den Buchstaben a und b genannten natürlichen Personen unmittelbar vorstehen oder diese beaufsichtigen; 12. „Gesamtkreditbetrag“ den Gesamtkreditbetrag im Sinne von Artikel 3 Buchstabe l der Richtlinie 2008/48/EG; 13. „Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher im Sinne von Artikel 3 Buchstabe g der Richtlinie 2008/48/EG einschließlich der Kosten für die Immobilienbewertung — sofern eine solche Bewertung für die Gewährung des Kredits erforderlich ist —,

15 ABl. L 182 vom 29. 6. 2013, S. 19.

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jedoch ausschließlich der Gebühren für die Eintragung der Eigentumsübertragung in das Grundbuch. Ausgenommen davon sind alle Entgelte, die der Verbraucher für die Nichteinhaltung der im Kreditvertrag festgelegten Verpflichtungen zahlen muss; „vom Verbraucher zu zahlender Gesamtbetrag“ den vom Verbraucher zu zahlenden Gesamtbetrag im Sinne von Artikel 3 Buchstabe h der Richtlinie 2008/48/EG; „effektiver Jahreszins“ die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, ausgedrückt als jährlicher Prozentsatz des Gesamtkreditbetrags, soweit zutreffend einschließlich der Kosten gemäß Artikel 17 Absatz 2, die auf Jahresbasis die Gleichheit zwischen den Gegenwartswerten der gesamten gegenwärtigen oder künftigen Verpflichtungen (in Anspruch genommene Kreditbeträge, Tilgungszahlungen und Entgelte) des Kreditgebers und des Verbrauchers herstellen; „Sollzinssatz“ den Sollzinssatz im Sinne von Artikel 3 Buchstabe j der Richtlinie 2008/48/EG; „Kreditwürdigkeitsprüfung“ die Bewertung der Aussicht, dass den Schuldverpflichtungen aus dem Kreditvertrag nachgekommen wird; „dauerhafter Datenträger“ einen dauerhaften Datenträger im Sinne von Artikel 3 Buchstabe m der Richtlinie 2008/48/EG; „Herkunftsmitgliedstaat“, a) wenn der Kreditgeber oder Kreditvermittler eine natürliche Person ist, den Mitgliedstaat, in dem ihre Hauptniederlassung liegt, b) wenn der Kreditgeber oder Kreditvermittler eine juristische Person ist, den Mitgliedstaat, in dem diese Person ihren satzungsmäßigen Sitz hat, oder, wenn sie gemäß dem für sie geltenden nationalen Recht keinen satzungsmäßigen Sitz hat, den Mitgliedstaat, in dem ihr Hauptverwaltungssitz liegt; „Aufnahmemitgliedstaat“ den anderen Mitgliedstaat als den Herkunftsmitgliedstaat, in dem der Kreditgeber oder Kreditvermittler eine Zweigniederlassung hat oder Dienstleistungen erbringt; „Beratungsdienstleistungen“ die Erteilung individueller Empfehlungen an einen Verbraucher in Bezug auf ein oder mehrere Geschäfte im Zusammenhang mit Kreditverträgen, die eine von der Gewährung eines Kredits und von der in Nummer 5 genannten Kreditvermittlungstätigkeit getrennte Tätigkeit darstellt; „zuständige Behörde“ eine Behörde, die von einem Mitgliedstaat gemäß Artikel 5 als zuständig benannt wurde; „Überbrückungsdarlehen“ einen Kreditvertrag, der entweder keine feste Laufzeit hat oder innerhalb von zwölf Monaten zurückzuzahlen ist und der 457

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vom Verbraucher zur Überbrückung des Zeitraums während des Übergangs zu einer anderen finanziellen Vereinbarung für die Immobilie genutzt wird; „Eventualverpflichtung oder Garantie“ einen Kreditvertrag, der als Garantie für ein anderes getrenntes, aber im Zusammenhang stehendes Geschäft dient und bei dem das mit einer Immobilie besicherte Kapital nur in Anspruch genommen wird, wenn ein oder mehrere im Vertrag angegebene Fälle eintreten; „Kreditvertrag mit Wertbeteiligung“ einen Kreditvertrag, bei dem das zurückzuzahlende Kapital auf einem vertraglich festgelegten Prozentsatz des Werts der Immobilie zum Zeitpunkt der Rückzahlung oder Rückzahlungen des Kapitals beruht; „Kopplungsgeschäft“ das Angebot oder den Abschluss eines Kreditvertrags in einem Paket gemeinsam mit anderen gesonderten Finanzprodukten oder -dienstleistungen, bei dem der Kreditvertrag nicht separat von dem Verbraucher abgeschlossen werden kann; „Bündelungsgeschäft“ das Angebot oder den Abschluss eines Kreditvertrags in einem Paket gemeinsam mit anderen gesonderten Finanzprodukten oder -dienstleistungen, bei dem der Kreditvertrag separat von dem Verbraucher abgeschlossen werden kann, jedoch nicht zwangsläufig zu den gleichen Bedingungen, zu denen er mit den Nebenleistungen gebündelt angeboten wird; „Fremdwährungskredit“ einen Kreditvertrag, bei dem der Kredit a) auf eine andere Währung lautet als die, in der der Verbraucher sein Einkommen bezieht oder die Vermögenswerte hält, aus denen der Kredit zurückgezahlt werden soll, oder b) auf eine andere Währung als die Währung des Mitgliedstaats lautet, in welchem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.

Art. 5 Zuständige Behörden — nicht abgedruckt.

Kapitel 2 – Finanzbildung Art. 6 Finanzbildung der Verbraucher — nicht abgedruckt.

Kapitel 3 – Anforderungen an Kreditgeber, Kreditvermittler und benannte Vertreter Art. 7 Wohlverhaltensregeln in Bezug auf die Vergabe von Verbraucherkrediten (1) Die Mitgliedstaaten verlangen, dass der Kreditgeber, der Kreditvermitt458

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ler oder der benannte Vertreter bei der Gestaltung von Kreditprodukten oder der Gewährung oder der Vermittlung von Krediten oder der Erbringung von Beratungsdienstleistungen zu Krediten oder gegebenenfalls von Nebenleistungen für Verbraucher oder bei der Ausführung eines Kreditvertrags unter Berücksichtigung der Rechte und Interessen der Verbraucher ehrlich, redlich, transparent und professionell handelt. Im Zusammenhang mit der Gewährung, Vermittlung oder Erbringung von Beratungsdienstleistungen zu Krediten oder gegebenenfalls von Nebenleistungen sind Informationen über die Umstände des Verbrauchers, von ihm angegebene konkrete Bedürfnisse und realistische Annahmen bezüglich der Risiken für die Situation des Verbrauchers während der Laufzeit des Kreditvertrags zugrunde zu legen. Im Zusammenhang mit einer solchen Erbringung von Beratungsdienstleistungen sind dabei zusätzlich die nach Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe a erforderlichen Informationen zugrunde zu legen. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Art und Weise, wie Kreditgeber ihr Personal und die Kreditvermittler vergüten, und die Art und Weise, wie Kreditvermittler ihr Personal und ihre benannten Vertreter vergüten, nicht der Einhaltung der in Absatz 1 vorgesehenen Verpflichtung entgegensteht. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditgeber bei der Gestaltung und Anwendung der Vergütungspolitik für das für die Prüfung der Kreditwürdigkeit zuständige Personal nach den folgenden Grundsätzen in einer Weise und einem Ausmaß handeln, das ihrer Größe, ihrer internen Organisation und der Art, dem Umfang und der Komplexität ihrer Tätigkeiten entspricht: a) Die Vergütungspolitik ist mit einem soliden und wirksamen Risikomanagement vereinbar und diesem förderlich und ermutigt nicht zur Übernahme von Risiken, die über das von dem Kreditgeber tolerierte Maß hinausgehen; b) die Vergütungspolitik ist an der Geschäftsstrategie, den Zielen, Werten und langfristigen Interessen des Kreditgebers ausgerichtet und beinhaltet Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten, wobei insbesondere vorzusehen ist, dass die Vergütung nicht von der Zahl oder dem Anteil der genehmigten Anträge abhängt. (4) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass bei Kreditgebern, Kreditvermittlern oder benannten Vertretern, die Beratungsdienstleistungen erbringen, die Struktur der Vergütung des damit betrauten Personals dessen Fähigkeit nicht beeinträchtigt, im besten Interesse des Verbrauchers zu handeln, und dass sie insbesondere nicht an Absatzziele gekoppelt ist. Um dieses Ziel zu erreichen, können die Mitgliedstaaten zusätzlich die Zahlung von Provisionen des Kreditgebers an den Kreditvermittler untersagen. (5) Die Mitgliedstaaten können Zahlungen eines Verbrauchers an einen Kreditgeber oder Kreditvermittler vor Abschluss eines Kreditvertrags untersagen oder einschränken. 459

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Art. 8 Verpflichtung zur unentgeltlichen Bereitstellung von Informationen für die Verbraucher Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Bereitstellung von Informationen für die Verbraucher gemäß den Anforderungen dieser Richtlinie für den Verbraucher unentgeltlich erfolgt. Art. 9 Anforderungen an die Kenntnisse und Fähigkeiten des Personals (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditgeber, Kreditvermittler und benannte Vertreter von ihrem Personal verlangen, dass es über angemessene Kenntnisse und Fähigkeiten in Bezug auf die Gestaltung, das Anbieten und Abschließen von Kreditverträgen, die Kreditvermittlungstätigkeit im Sinne von Artikel 4 Nummer 5 oder das Erbringen von Beratungsdienstleistungen verfügt und auf dem aktuellen Stand hält. Beinhaltet der Abschluss eines Kreditvertrags damit verbundene Nebenleistungen, sind angemessene Kenntnisse und Fähigkeiten für die Erbringung dieser Nebenleistungen erforderlich. (2) Außer unter den in Absatz 3 genannten Umständen legen die Herkunftsmitgliedstaaten die Mindestanforderungen an die Kenntnisse und Fähigkeiten des Personals von Kreditgebern, Kreditvermittlern und benannten Vertretern im Einklang mit den in Anhang III dargelegten Grundsätzen fest. (3) Erbringt ein Kreditgeber oder Kreditvermittler seine Dienstleistungen im Hoheitsgebiet eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten i) über eine Zweigniederlassung, so ist es Aufgabe des Aufnahmemitgliedstaats, die Mindestanforderungen an die Kenntnisse und Fähigkeiten des Personals der Zweigniederlassung festzulegen; ii) nach dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs, so ist es Aufgabe des Herkunftsmitgliedstaats, die Mindestanforderungen an die Kenntnisse und Fähigkeiten des Personals gemäß Anhang III festzulegen; die Aufnahmemitgliedstaaten können jedoch die Mindestanforderungen an die Kenntnisse und Fähigkeiten in Bezug auf die in Anhang III Absatz 1 Buchstaben b, c, e und f genannten Anforderungen festlegen. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Erfüllung der Anforderungen nach Absatz 1 von den zuständigen Behörden überwacht wird und dass diese befugt sind, von den Kreditgebern, Kreditvermittlern und ernannten Vertretern die Vorlage aller Nachweise zu verlangen, die sie für eine solche Überwachung für erforderlich erachten. (5) Hinsichtlich einer wirksamen Beaufsichtigung von Kreditgebern und Kreditvermittlern, die ihre Dienstleistungen im Gebiet anderer Mitgliedstaaten gemäß dem freien Dienstleistungsverkehr erbringen, arbeiten die zuständigen Behörden des Aufnahme- und des Herkunftsmitgliedstaats eng zusammen, damit eine wirksame Beaufsichtigung und Durchsetzung der Mindestanforderungen des Aufnahmemitgliedstaats an die Kenntnisse und Fähigkeiten gewährleistet wird. 460

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Zu diesem Zweck können sie einander gegenseitig Aufgaben und Zuständigkeiten übertragen.

Kapitel 4 – Informationspflichten und vorvertragliche Pflichten Art. 10 Allgemeine Bestimmungen zu Werbung und Marketing Unbeschadet der Richtlinie 2005/29/EG schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass jegliche Kreditverträge betreffende Kommunikation für Werbe- und Marketingzwecke den Kriterien der Redlichkeit und Eindeutigkeit genügt und nicht irreführend ist. Insbesondere werden Formulierungen untersagt, die beim Verbraucher falsche Erwartungen in Bezug auf die Zugänglichkeit oder die Kosten eines Kredits wecken. Art. 11 Standardinformationen, die in die Werbung aufzunehmen sind (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Werbung für Kreditverträge, in der Zinssätze oder sonstige auf die Kosten eines Kredits für den Verbraucher bezogene Zahlen genannt werden, die in diesem Artikel angegebenen Standardinformationen enthält. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Unterabsatz 1 nicht gilt, wenn nationales Recht verlangt, dass bei der Werbung für Kreditverträge, die keine Angaben über den Zinssatz oder Zahlenangaben über dem Verbraucher entstehende Kosten des Kredits im Sinne von Unterabsatz 1 enthält, der effektive Jahreszins anzugeben ist. (2) Die Standardinformationen nennen folgende Elemente in klarer, prägnanter und auffallender Art und Weise: a) die Identität des Kreditgebers oder gegebenenfalls des Kreditvermittlers oder des benannten Vertreters, b) gegebenenfalls den Hinweis, dass der Kreditvertrag durch eine Hypothek oder eine vergleichbare Sicherheit, die in einem Mitgliedstaat gewöhnlich für Wohnimmobilien genutzt wird, oder durch ein Recht an Wohnimmobilien gesichert wird, c) Sollzinssatz und Angabe, ob es sich um einen festen oder einen variablen Zinssatz oder eine Kombination aus beiden handelt, sowie Einzelheiten aller für den Verbraucher anfallenden, in die Gesamtkreditkosten einbezogenen Kosten, d) den Gesamtkreditbetrag, e) den effektiven Jahreszins, der in der Werbung mindestens genauso hervorzuheben ist wie jeder Zinssatz, 461

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f) g) h) i) j)

gegebenenfalls die Laufzeit des Kreditvertrags, gegebenenfalls die Höhe der Raten, gegebenenfalls den vom Verbraucher zu zahlenden Gesamtbetrag, gegebenenfalls die Anzahl der Raten, gegebenenfalls einen Warnhinweis, dass sich mögliche Wechselkursschwankungen auf die Höhe des vom Verbraucher zu zahlenden Betrags auswirken könnten. (3) Die in Absatz 2 aufgeführten Informationen mit Ausnahme der Angaben nach den Buchstaben a, b und j sind durch ein repräsentatives Beispiel zu veranschaulichen und richten sich durchweg nach diesem repräsentativen Beispiel. Die Mitgliedstaaten erlassen Kriterien für die Festlegung eines repräsentativen Beispiels. (4) Ist der Abschluss eines Vertrags über die Inanspruchnahme einer Nebenleistung, insbesondere eines Versicherungsvertrags, zwingende Voraussetzung dafür, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird, und können die Kosten der Nebenleistung nicht im Voraus bestimmt werden, so ist auf die Verpflichtung zum Abschluss jenes Vertrags in klarer, prägnanter und auffallender Art und Weise zusammen mit dem effektiven Jahreszins hinzuweisen. (5) Die Informationen nach den Absätzen 2 und 4 müssen gut lesbar bzw. akustisch gut verständlich sein — je nachdem, welches Medium für die Werbung verwendet wird (6) Die Mitgliedstaaten können die Aufnahme eines präzisen und verhältnismäßigen Warnhinweises hinsichtlich der mit Kreditverträgen verbundenen spezifischen Risiken vorschreiben. Sie teilen diese Anforderungen der Kommission unverzüglich mit. (7) Dieser Artikel gilt unbeschadet der Richtlinie 2005/29/EG. Art. 12 Kopplungs- und Bündelungsgeschäfte (1) Die Mitgliedstaaten erlauben Bündelungsgeschäfte, untersagen jedoch Kopplungsgeschäfte. (2) Ungeachtet des Absatzes 1 können Mitgliedstaaten vorsehen, dass Kreditgeber vom Verbraucher oder einem Familienangehörigen oder einem nahen Verwandten des Verbrauchers verlangen kann, a) ein Zahlungs- oder ein Sparkonto zu eröffnen, dessen einziger Zweck die Ansammlung von Kapital ist, um den Kredit zurückzuzahlen oder zu bedienen, Mittel zusammenzulegen, um den Kredit zu erhalten, oder eine zusätzliche Sicherheit für den Kreditgeber für den Fall eines Zahlungsausfalls zu leisten; b) ein Anlageprodukt oder ein privates Rentenprodukt zu erwerben oder zu behalten, wenn dieses Produkt, das dem Investor in erster Linie ein Ruhe462

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standseinkommen bietet, auch als zusätzliche Sicherheit für den Kreditgeber im Falle eines Zahlungsausfalls oder zur Ansammlung von Kapital dient, um den Kredit zurückzuzahlen oder zu bedienen oder Mittel zusammenzulegen, um den Kredit zu erhalten; c) einen gesonderten Kreditvertrag in Verbindung mit einem Kreditvertrag mit Wertbeteiligung abzuschließen, um den Kredit zu erhalten. (3) Ungeachtet des Absatzes 1 können die Mitgliedstaaten Kopplungsgeschäfte erlauben, wenn der Kreditgeber gegenüber den für ihn zuständigen Behörden nachweisen kann, dass die zu ähnlichen Vertragsbedingungen angebotenen gekoppelten Produkte oder Produktkategorien, die nicht separat erhältlich sind, unter gebührender Berücksichtigung der Verfügbarkeit und der Preise der einschlägigen auf dem Markt angebotenen Produkte einen klaren Nutzen für die Verbraucher bieten. Dieser Absatz gilt nur für Produkte, die nach dem 20. März 2014 vertrieben werden. (4) Die Mitgliedstaaten können es den Kreditgebern erlauben, vom Verbraucher zu verlangen, eine einschlägige Versicherung im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag abzuschließen. In diesen Fällen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Kreditgeber die Versicherungspolice eines anderen als seines bevorzugten Anbieters akzeptiert, wenn diese eine gleichwertige Garantieleistung wie die vom Kreditgeber angebotene Versicherungspolice bietet. Art. 13 Allgemeine Informationen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditgeber und gegebenenfalls gebundene Kreditvermittler oder deren benannte Vertreter jederzeit klare und verständliche allgemeine Informationen über Kreditverträge auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger oder in elektronischer Form bereitstellen. Zusätzlich können die Mitgliedstaaten vorschreiben, dass nicht gebundene Kreditvermittler allgemeine Informationen bereitstellen. Diese allgemeinen Informationen umfassen zumindest: a) die Identität und Anschrift des Urhebers der Informationen; b) die Zwecke, für die der Kredit verwendet werden kann; c) die Formen von Sicherheiten einschließlich gegebenenfalls der Möglichkeit, dass diese in einem anderen Mitgliedstaat belegen sein dürfen; d) die mögliche Laufzeit der Kreditverträge; e) Arten von angebotenen Sollzinssätzen mit Angabe, ob es sich um einen festen oder einen variablen Zinssatz oder beide handelt, mit einer kurzen Darstellung der Merkmale eines festen und eines variablen Zinssatzes, einschließlich der sich hieraus ergebenden Konsequenzen für den Verbraucher; ea) falls Verträge verfügbar sind, in denen auf einen Referenzwert im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Nummer 3 der Verordnung (EU) 2016/1011 des Europä463

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ischen Parlaments und des Rates16 Bezug genommen wird, die Namen der Referenzwerte und ihrer Administratoren sowie die möglichen Auswirkungen auf den Verbraucher; f) falls Fremdwährungskredite verfügbar sind, eine Angabe der ausländischen Währungen, einschließlich einer Erläuterung der Konsequenzen für den Verbraucher in Fällen, in denen der Kredit auf eine ausländische Währung lautet; g) ein repräsentatives Beispiel des Gesamtkreditbetrags, der Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, des vom Verbraucher zu zahlenden Gesamtbetrags und des effektiven Jahreszinses; h) einen Hinweis auf mögliche weitere im Zusammenhang mit einem Kreditvertrag anfallende Kosten, die nicht in den Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher enthalten sind; i) das Spektrum der verschiedenen möglichen Optionen zur Rückzahlung des Kredits an den Kreditgeber einschließlich Anzahl, Häufigkeit und Höhe der regelmäßigen Rückzahlungsraten; j) gegebenenfalls einen klaren und prägnanten Hinweis darauf, dass die Einhaltung der Bedingungen des Kreditvertrags die Rückzahlung des aufgrund des Kreditvertrags in Anspruch genommenen Gesamtkreditbetrags nicht garantiert; k) eine Beschreibung der für eine vorzeitige Rückzahlung unmittelbar geltenden Bedingungen; l) Angabe, ob eine Bewertung des Werts der Immobilie erforderlich ist und, falls ja, wer verantwortlich dafür ist, dass die Bewertung durchgeführt wird, sowie Angaben dazu, ob dem Verbraucher hierdurch Kosten entstehen; m) Angaben zu den Nebenleistungen, die der Verbraucher als Voraussetzung dafür erwerben muss, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird, und gegebenenfalls eine Präzisierung, dass die Nebenleistungen von einem anderen Anbieter als dem Kreditgeber erworben werden können, und n) einen allgemeinen Warnhinweis bezüglich möglicher Konsequenzen der Nichteinhaltung der mit dem Kreditvertrag eingegangenen Verpflichtungen. (2) Die Mitgliedstaaten können den Kreditgebern vorschreiben, andere Arten von Warnhinweisen aufzunehmen, die in dem jeweiligen Mitgliedstaat von Belang sind. Sie teilen diese Anforderungen der Kommission unverzüglich mit. 16 Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (ABl. L 171 vom 29. 6. 2016, S. 1).

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Art. 14 Vorvertragliche Informationen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Kreditgeber und gegebenenfalls der Kreditvermittler oder der benannte Vertreter dem Verbraucher auf ihn zugeschnittene Informationen erteilt, die er benötigt, um die auf dem Markt verfügbaren Kreditprodukte zu vergleichen, ihre jeweiligen Auswirkungen zu prüfen und eine fundierte Entscheidung über den Abschluss eines Kreditvertrags zu treffen; die Erteilung dieser Informationen erfolgt a) unverzüglich, nachdem der Verbraucher die erforderlichen Angaben zu seinen Bedürfnissen, seiner finanziellen Situation und seinen Präferenzen gemäß Artikel 20 gemacht hat, und b) rechtzeitig, bevor der Verbraucher durch einen Kreditvertrag oder ein Angebot gebunden ist. (2) Die auf die Person zugeschnittenen Informationen gemäß Absatz 1 werden auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger mittels des ESIS-Merkblatts in Anhang II erteilt. (3) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass verbindliche Angebote, die der Kreditgeber dem Verbraucher vorlegt, auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger übermittelt werden und dass ihnen ein ESIS-Merkblatt beigefügt wird, wenn a) dem Verbraucher zuvor noch kein ESIS-Merkblatt vorgelegt wurde oder b) die Merkmale des Angebots von den Informationen abweichen, die im zuvor vorgelegten ESIS-Merkblatt enthalten sind. (4) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass das ESIS-Merkblatt vor der Vorlage eines für den Kreditgeber verbindlichen Angebots bereitgestellt werden muss. Wenn ein Mitgliedstaat dies vorsieht, so ist vorzuschreiben, dass das ESIS-Merkblatt nur unter der in Absatz 3 Buchstabe b genannten Voraussetzung erneut vorgelegt werden muss. (5) Die Mitgliedstaaten, die vor 20. März 2014 ein Informationsblatt eingeführt haben, das vergleichbaren Informationsanforderungen genügt wie den in Anhang II aufgeführten, können dieses für die Zwecke dieses Artikels weiterhin bis 21. März 2019 benutzen. (6) Die Mitgliedstaaten legen eine Frist von mindestens sieben Tagen fest, die dem Verbraucher ausreichend Zeit gibt, um die Angebote zu vergleichen, ihre Auswirkungen zu bewerten und eine fundierte Entscheidung zu treffen. Die Mitgliedstaaten legen fest, dass es sich bei der Frist nach Unterabsatz 1 entweder um eine Bedenkzeit vor Abschluss des Kreditvertrags oder um einen Zeitraum handelt, in dem nach Abschluss des Kreditvertrags ein Widerrufsrecht besteht, oder beides. Legt ein Mitgliedstaat eine Bedenkzeit vor dem Abschluss eines Kreditvertrags fest, 465

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a) so bleibt das Angebot während dieses Zeitraums für den Kreditgeber verbindlich und b) kann der Verbraucher das Angebot während dieses Zeitraums jederzeit annehmen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Verbraucher das Angebot während eines Zeitraums nicht annehmen können, der die ersten zehn Tage der Bedenkzeit nicht überschreiten darf. Werden der Sollzinssatz oder andere für das Angebot maßgebliche Kosten auf Basis des Verkaufs zugrunde liegender Anleihen oder anderer langfristiger Finanzierungsinstrumente festgelegt, so können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Sollzinssatz oder die anderen Kosten entsprechend dem Wert des zugrunde liegenden Wertpapiers oder des langfristigen Finanzierungsinstruments von den Angaben des Angebots abweichen können. Hat der Verbraucher ein Recht auf Widerruf gemäß Unterabsatz 2 des vorliegenden Absatzes, so kommt Artikel 6 der Richtlinie 2002/65/EG nicht zur Anwendung. (7) Mit der Vorlage des ESIS-Merkblatts gelten die Anforderungen in Bezug auf die Unterrichtung des Verbrauchers vor Abschluss eines Fernabsatzvertrags gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 2002/65/EG seitens des Kreditgebers und gegebenenfalls des Kreditvermittlers oder des benannten Vertreters als erfüllt; die Anforderungen des Artikels 5 Absatz 1 jener Richtlinie gelten nur dann als erfüllt, wenn das ESIS-Merkblatt zumindest vor Abschluss des Vertrags vorgelegt worden ist. (8) Die Mitgliedstaaten nehmen keine Änderungen des Musters für das ESISMerkblatt vor, sofern dies nicht in Anhang II vorgesehen ist. Etwaige zusätzliche Informationen, die der Kreditgeber oder gegebenenfalls der Kreditvermittler oder der benannte Vertreter dem Verbraucher erteilt oder zu deren Erteilung er nach Maßgabe der nationalen Rechtsvorschriften verpflichtet ist, werden in einem gesonderten Dokument, das dem ESIS-Merkblatt beigefügt werden kann, mitgeteilt. (9) Die Kommission wird ermächtigt, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 40 zur Änderung des Standardwortlauts in Teil A oder der Hinweise in Teil B des Anhangs II zu erlassen, um der Notwendigkeit von Informationen oder Warnhinweisen im Zusammenhang mit neuen Produkten, die vor dem 20. März 2014 noch nicht auf dem Markt waren, Rechnung zu tragen. Diese delegierten Rechtsakte dürfen Struktur und Format des ESIS-Merkblatts jedoch nicht verändern. (10) Bei fernmündlicher Kommunikation gemäß Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 2002/65/EG muss die nach Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich der genannten Richtlinie zu liefernde Beschreibung der Hauptmerkmale 466

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der Finanzdienstleistung zumindest die in Anhang II Teil A Abschnitte 3 bis 6 dieser Richtlinie vorgesehenen Angaben enthalten. (11) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zumindest in Fällen, in denen kein Widerrufsrecht besteht, der Kreditgeber oder gegebenenfalls der Kreditvermittler oder der benannte Vertreter dem Verbraucher zum Zeitpunkt der Vorlage eines für den Kreditgeber verbindlichen Angebots eine Ausfertigung des Kreditvertragsentwurfs aushändigt. Besteht ein Widerrufsrecht, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Kreditgeber oder gegebenenfalls der Kreditvermittler oder der benannte Vertreter anbietet, dem Verbraucher zum Zeitpunkt der Vorlage eines für den Kreditgeber verbindlichen Angebots eine Ausfertigung des Kreditvertragsentwurfs auszuhändigen. Art. 15 Informationspflichten für Kreditvermittler und benannte Vertreter (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass rechtzeitig vor Ausübung jeglicher Kreditvermittlungstätigkeiten gemäß Artikel 4 Nummer 5 der Kreditvermittler oder benannte Vertreter dem Verbraucher auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger zumindest folgende Informationen erteilt: a) die Identität und Anschrift des Kreditvermittlers, b) in welches Register er eingetragen wurde, gegebenenfalls die Registrierungsnummer, und auf welche Weise sich die Eintragung überprüfen lässt, c) ob der Kreditvermittler an einen oder mehrere Kreditgeber gebunden ist oder ausschließlich für einen oder mehrere Kreditgeber arbeitet. Falls der Kreditvermittler an einen oder mehrere Kreditgeber gebunden ist oder ausschließlich für einen oder mehrere Kreditgeber arbeitet, muss er die Namen der Kreditgeber, für die er tätig ist, angeben. Der Kreditvermittler kann angeben, dass er unabhängig ist, wenn er die gemäß Artikel 22 Absatz 4 festgelegten Voraussetzungen erfüllt, d) ob der Kreditvermittler Beratungsdienstleistungen anbietet, e) gegebenenfalls das Entgelt, das der Verbraucher dem Kreditvermittler für die Erbringung seiner Dienstleistung zu zahlen hat, oder, wenn dies nicht möglich ist, die Methode, nach der das Entgelt berechnet wird, f) Verfahren für interne Beschwerden von Verbrauchern oder anderen interessierten Parteien über Kreditvermittler sowie gegebenenfalls Möglichkeiten der Inanspruchnahme außergerichtlicher Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren, g) gegebenenfalls ob und, falls bekannt, in welcher Höhe der Kreditgeber oder ein Dritter dem Kreditvermittler für seine Dienstleistung im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag Provisionen zu zahlen oder sonstige Anreize zu gewähren hat. Ist der Betrag zum Zeitpunkt der Offenlegung nicht bekannt, so teilt der Kreditvermittler dem Verbraucher mit, dass der tatsächliche Betrag zu einem späteren Zeitpunkt im ESIS-Merkblatt angegeben wird. 467

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(2) Nicht gebundene Kreditvermittler, die jedoch Provisionen von einem oder mehreren Kreditgebern erhalten, erteilen auf Verlangen des Verbrauchers Auskunft über die jeweilige Höhe der Provisionen, die ihnen von den verschiedenen Kreditgebern gezahlt werden, in deren Namen sie dem Verbraucher Kreditverträge anbieten. Der Verbraucher wird darüber unterrichtet, dass er entsprechende Auskünfte verlangen kann. (3) Verlangt der Kreditvermittler vom Verbraucher ein Entgelt und erhält er zusätzlich eine Provision vom Kreditgeber oder einem Dritten, so erläutert er dem Verbraucher, ob die Provision — ganz oder teilweise — auf das Entgelt angerechnet wird. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das gegebenenfalls vom Verbraucher an den Kreditvermittler für dessen Dienste zu zahlende Entgelt dem Kreditgeber vom Kreditvermittler zur Berechnung des effektiven Jahreszinses mitgeteilt wird. (5) Die Mitgliedstaaten verlangen, dass die Kreditvermittler dafür sorgen, dass ein von ihnen benannter Vertreter, wenn er Kontakt mit Verbrauchern aufnimmt oder bevor er mit diesen Geschäfte abschließt, zusätzlich zu den durch diesen Artikel vorgeschriebenen Offenlegungen mitteilt, in welcher Eigenschaft er handelt und welchen Kreditvermittler er vertritt. Art. 16 Angemessene Erläuterungen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditgeber und gegebenenfalls Kreditvermittler oder benannte Vertreter dem Verbraucher angemessene Erläuterungen zu den angebotenen Kreditverträgen und etwaigen Nebenleistungen geben, damit der Verbraucher in die Lage versetzt wird, zu beurteilen, ob die vorgeschlagenen Kreditverträge und die Nebenleistungen seinen Bedürfnissen und seiner finanziellen Situation gerecht werden. Die Erläuterungen beinhalten gegebenenfalls insbesondere Folgendes: a) die vorvertraglichen Informationen gemäß i) Artikel 14 bei Kreditgebern, ii) den Artikeln 14 und 15 bei Kreditvermittlern oder benannten Vertretern, b) die Hauptmerkmale der angebotenen Produkte, c) die möglichen spezifischen Auswirkungen der angebotenen Produkte auf den Verbraucher, einschließlich der Konsequenzen bei Zahlungsverzug des Verbrauchers, und d) wenn Nebenleistungen mit einem Kreditvertrag gebündelt werden, ob jeder einzelne Bestandteil des Pakets einzeln beendet werden kann, und welche Folgen dies für den Verbraucher hätte. (2) Die Mitgliedstaaten können die Art und Weise der Erläuterungen nach Absatz 1 sowie deren Umfang und die Frage, durch wen sie zu geben ist, den 468

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Umständen der Situation, in der der Kreditvertrag angeboten wird, der Person, der er angeboten wird, und der Art des angebotenen Kredits anpassen.

Kapitel 5 – Effektiver Jahreszins Art. 17 Berechnung des effektiven Jahreszinses (1) Der effektive Jahreszins wird anhand der mathematischen Formel in Anhang I berechnet. (2) Die Kosten für die Eröffnung und Führung eines spezifischen Kontos, die Kosten für die Verwendung eines Zahlungsmittels, mit dem sowohl Geschäfte auf diesem Konto getätigt als auch Kreditbeträge in Anspruch genommen werden können, sowie sonstige Kosten für Zahlungsgeschäfte werden im Rahmen der Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher berücksichtigt, wenn die Eröffnung oder Führung eines Kontos Voraussetzung dafür ist, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird. (3) Bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses wird von der Annahme ausgegangen, dass der Kreditvertrag für den vereinbarten Zeitraum gilt und dass Kreditgeber und Verbraucher ihren Verpflichtungen zu den im Kreditvertrag niedergelegten Bedingungen und Terminen nachkommen. (4) In Kreditverträgen mit Klauseln, nach denen der Sollzinssatz und gegebenenfalls die Entgelte, die im effektiven Jahreszins enthalten sind, deren Quantifizierung zum Zeitpunkt seiner Berechnung aber nicht möglich ist, geändert werden können, wird bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses von der Annahme ausgegangen, dass der Sollzinssatz und die sonstigen Kosten gemessen an der bei Abschluss des Vertrags festgesetzten Höhe unverändert bleiben werden. (5) Bei Kreditverträgen, bei denen ein fester Sollzinssatz für einen Anfangszeitraum von mindestens fünf Jahren vereinbart wurde, nach dessen Ablauf ein neuer fester Sollzinssatz für einen weiteren Zeitraum von mehreren Jahren ausgehandelt wird, bezieht sich die Berechnung des zusätzlichen, als Beispiel dienenden effektiven Jahreszinses, der im ESIS-Merkblatt angegeben wird, nur auf die anfänglichen Festzinsperiode, wobei von der Annahme ausgegangen wird, dass das Restkapital am Ende des Zinsfestschreibungszeitraums zurückgezahlt wird. (6) Sieht der Kreditvertrag die Möglichkeit von Änderungen des Zinssatzes vor, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Verbraucher zumindest mittels des ESIS-Merkblatts über die möglichen Auswirkungen der Änderungen auf die zu zahlenden Beträge und den effektiven Jahreszins informiert wird. Dem Verbraucher werden zu diesem Zweck mittels eines zusätzlichen effektiven Jahreszinses die möglichen Risiken veranschaulicht, die mit einer signifikanten Erhö469

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hung des Zinssatzes verbunden sind. Ist der Zinssatz nicht gedeckelt, so wird dieser Information ein Warnhinweis beigefügt, mit dem darauf hingewiesen wird, dass sich die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, die aus dem effektiven Jahreszins deutlich werden, ändern können. Diese Bestimmung gilt nicht für Kreditverträge, bei denen der Zinssatz für einen Anfangszeitraum von mindestens fünf Jahren festgeschrieben wird, nach dessen Ablauf ein neuer fester Sollzinssatz für einen weiteren Zeitraum von mehreren Jahren ausgehandelt wird, für den ein zusätzlicher, als Beispiel dienender effektiver Jahreszins im ESIS-Merkblatt angegeben wird. (7) Falls zutreffend wird für die Berechnung des effektiven Jahreszinses von den in Anhang I genannten zusätzlichen Annahmen ausgegangen. (8) Die Kommission wird ermächtigt, im Einklang mit Artikel 40 delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die Anmerkungen zu ändern und die Annahmen zu aktualisieren, die zur Berechnung des effektiven Jahreszinses nach Anhang I herangezogen werden, insbesondere wenn die in diesem Artikel und in Anhang I genannten Anmerkungen oder Annahmen für eine einheitliche Berechnung des effektiven Jahreszinses nicht ausreichen oder nicht mehr auf die wirtschaftliche Marktlage abgestimmt sind.

Kapitel 6 – Kreditwürdigkeitsprüfung Art. 18 Verpflichtung zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Kreditgeber vor Abschluss eines Kreditvertrags eine eingehende Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers vornimmt. Bei der Kreditwürdigkeitsprüfung werden die Faktoren, die für die Prüfung der Aussichten relevant sind, dass der Verbraucher seinen Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag nachkommt, in angemessener Form berücksichtigt. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verfahren und Angaben, auf die sich die Bewertung stützt, festgelegt, dokumentiert und aufbewahrt werden. (3) Die Kreditwürdigkeitsprüfung darf sich nicht hauptsächlich darauf stützen, dass der Wert der Wohnimmobilie den Kreditbetrag übersteigt, oder auf die Annahme, dass der Wert der Wohnimmobilie zunimmt, es sei denn, der Kreditvertrag dient zum Bau oder zur Renovierung der Wohnimmobilie. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein von einem Kreditgeber mit einem Verbraucher abgeschlossener Kreditvertrag vom Kreditgeber nicht nachträglich mit der Begründung widerrufen oder zum Nachteil des Verbrauchers geändert werden kann, dass die Prüfung der Kreditwürdigkeit nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Dieser Absatz findet keine Anwendung, wenn nachgewie470

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sen ist, dass der Verbraucher Informationen im Sinne des Artikels 20 wissentlich vorenthalten oder gefälscht hat. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass a) der Kreditgeber dem Verbraucher den Kredit nur bereitstellt, wenn aus der Kreditwürdigkeitsprüfung hervorgeht, dass es wahrscheinlich ist, dass die Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag in der gemäß diesem Vertrag vorgeschriebenen Weise erfüllt werden; b) der Kreditgeber den Verbraucher im Einklang mit Artikel 10 der Richtlinie 95/46/EG vorab darüber informiert, dass eine Datenbankabfrage vorgenommen wird; c) der Kreditgeber, wenn der Kreditantrag abgelehnt wird, den Verbraucher unverzüglich über die Ablehnung unterrichtet und gegebenenfalls darüber, dass die Entscheidung auf einer automatisierten Verarbeitung von Daten beruht. Beruht die Ablehnung auf dem Ergebnis einer Datenbankabfrage, so unterrichtet der Kreditgeber den Verbraucher über das Ergebnis dieser Abfrage und über die Einzelheiten der betreffenden Datenbank. (6) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass vor einer deutlichen Erhöhung des Gesamtkreditbetrags nach dem Abschluss des Kreditvertrags die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers auf der Grundlage von aktualisierten Angaben erneut geprüft wird, es sei denn ein derartiger zusätzlicher Kredit war bereits im Rahmen der ursprünglichen Kreditwürdigkeitsprüfung vorgesehen und enthalten. (7) Dieser Artikel gilt unbeschadet der Richtlinie 95/46/EG. Art. 19 Immobilienbewertung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die Zwecke von grundpfandrechtlich besicherten Krediten in ihrem Gebiet zuverlässige Standards für die Bewertung von Wohnimmobilien ausgearbeitet werden. Die Mitgliedstaaten verlangen von den Kreditgebern, dass sie dafür Sorge tragen, dass diese Standards angewandt werden, wenn sie selbst eine Immobilienbewertung vornehmen, oder dass sie geeignete Schritte unternehmen, um zu gewährleisten, dass diese Standards angewandt werden, wenn eine Bewertung von einer dritten Partei vorgenommen wird. Sind die nationalen Behörden für die Regelung der Tätigkeiten unabhängiger Gutachter, die Immobilienbewertungen vornehmen, verantwortlich, so stellen sie sicher, dass diese Gutachter die bestehenden nationalen Vorschriften einhalten. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass interne und externe Gutachter, die Immobilienbewertungen vornehmen, über fachliche Kompetenz und ausreichende Unabhängigkeit von dem Kreditvergabeprozess verfügen, um eine unparteiische und objektive Bewertung vorzunehmen, die auf einem dauerhaften Datenträger zu dokumentieren ist und von der der Kreditgeber eine Aufzeichnung aufzubewahren hat. 471

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Art. 20 Offenlegung und Prüfung der Angaben über Verbraucher (1) Die in Artikel 18 genannte Kreditwürdigkeitsprüfung wird auf der Grundlage notwendiger, ausreichender und angemessener Informationen zu Einkommen, Ausgaben sowie anderen finanziellen und wirtschaftlichen Umständen des Verbrauchers vorgenommen. Der Kreditgeber ermittelt die Informationen aus einschlägigen internen oder externen Quellen, einschließlich des Verbrauchers, und die Informationen schließen auch die Auskünfte ein, die dem Kreditvermittler oder benannten Vertreter im Zuge des Kreditantragsverfahrens erteilt wurden. Die Informationen werden in angemessener Weise überprüft, erforderlichenfalls auch durch Einsichtnahme in unabhängig nachprüfbare Unterlagen. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditvermittler oder benannte Vertreter dem jeweiligen Kreditgeber die vom Verbraucher erhaltenen erforderlichen Angaben korrekt vorlegen, damit die Kreditwürdigkeitsprüfung durchgeführt werden kann. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditgeber in der vorvertraglichen Phase klare und einfache Angaben dazu machen, welche erforderlichen Informationen und unabhängig nachprüfbaren Nachweise der Verbraucher beizubringen hat, und den Zeitrahmen angeben, innerhalb dessen die Verbraucher die Informationen zu liefern haben. Dieses Auskunftsersuchen muss verhältnismäßig und auf die Auskünfte beschränkt sein, die erforderlich sind, um eine ordnungsgemäße Kreditwürdigkeitsprüfung durchzuführen. Die Mitgliedstaaten erlauben es den Kreditgebern, um Klärung der als Antwort auf dieses Auskunftsersuchen erhaltenen Informationen nachzusuchen, wo dies erforderlich ist, um eine Kreditwürdigkeitsprüfung zu ermöglichen. Die Mitgliedstaaten erlauben es einem Kreditgeber nicht, einen Kreditvertrag mit der Begründung zu beenden, dass die vor Abschluss des Kreditvertrags vom Verbraucher erhaltenen Angaben unvollständig waren. Unterabsatz 2 hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, es dem Kreditgeber zu erlauben, einen Kreditvertrag zu kündigen, wenn nachgewiesen ist, dass der Verbraucher Informationen wissentlich vorenthalten oder gefälscht hat. (4) Die Mitgliedstaaten legen Maßnahmen fest, um sicherzustellen, dass den Verbrauchern bewusst ist, dass sie auf Auskunftsersuchen nach Absatz 3 Unterabsatz 1 korrekte Angaben vorlegen müssen und dass diese Angaben so vollständig sein müssen wie dies für eine ordnungsgemäße Kreditwürdigkeitsprüfung erforderlich ist. Der Kreditgeber, der Kreditvermittler oder der benannte Vertreter warnt den Verbraucher, dass der Kredit nicht gewährt werden kann, wenn der Kreditgeber nicht imstande ist, eine Kreditwürdigkeitsprüfung vorzunehmen, weil sich der Verbraucher weigert, die für die Prüfung seiner Kreditwürdigkeit erforderlichen Informationen oder Nachweise vorzulegen. Die Warnung kann in standardisierter Form erfolgen. 472

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(5) Dieser Artikel gilt unbeschadet der Richtlinie 95/46/EG, insbesondere deren Artikel 6.

Kapitel 7 – Zugang zu Datenbanken Art. 21 Zugang zu Datenbanken (1) Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass alle Kreditgeber aus allen Mitgliedstaaten Zugang zu den in seinem Hoheitsgebiet zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers verwendeten Datenbanken haben, mit deren Verwendung ausschließlich überwacht werden soll, inwieweit Verbraucher während der Laufzeit eines Kreditvertrags ihre Kreditverpflichtungen erfüllen. Der Zugang ist ohne Diskriminierung zu gewähren. (2) Absatz 1 gilt sowohl für von privaten Kreditbüros und Kreditauskunfteien betriebene Datenbanken als auch für öffentliche Register. (3) Dieser Artikel gilt unbeschadet der Richtlinie 95/46/EG.

Kapitel 8 – Beratungsdienstleistungen Art. 22 Standards für Beratungsdienstleistungen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Kreditgeber, der Kreditvermittler oder der benannte Vertreter den Verbraucher im Zusammenhang mit einem entsprechenden Geschäft ausdrücklich darüber informiert, ob Beratungsdienstleistungen für den Verbraucher erbracht werden oder erbracht werden können. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Kreditgeber, der Kreditvermittler oder der benannte Vertreter dem Verbraucher vor der Erbringung von Beratungsdienstleistungen oder gegebenenfalls vor dem Abschluss eines Vertrags über die Erbringung von Beratungsdienstleistungen folgende Informationen auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger erteilt: a) ob die Empfehlung sich nur auf ihre eigene Produktpalette im Einklang mit Absatz 3 Buchstabe b oder eine größere Auswahl von Produkten auf dem Markt gemäß Absatz 3 Buchstabe c bezieht, damit der Verbraucher verstehen kann, auf welcher Grundlage die Empfehlung ergeht; b) gegebenenfalls das vom Verbraucher für die Beratungsdienstleistungen zu zahlende Entgelt bzw. — wenn sich der Betrag zum Zeitpunkt der Offenlegung nicht feststellen lässt — die für seine Berechnung verwendete Methode. Die in den Buchstaben a und b von Unterabsatz 1 genannten Informationen können dem Verbraucher in Form von zusätzlichen vorvertraglichen Informationen erteilt werden. 473

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(3) Werden Beratungsdienstleistungen für die Verbraucher erbracht, so stellen die Mitgliedstaaten zusätzlich zu den Anforderungen gemäß den Artikeln 7 und 9 sicher, dass a) die Kreditgeber, Kreditvermittler und benannten Vertreter die erforderlichen Informationen über die persönliche und finanzielle Situation, Präferenzen und Ziele des Verbrauchers erhalten, damit sie geeignete Kreditverträge empfehlen können. Die entsprechende Bewertung muss sich auf zum betreffenden Zeitpunkt aktuelle Informationen stützen und muss realistische Annahmen bezüglich der Risiken für die Situation des Verbrauchers während der Laufzeit des angebotenen Kreditvertrags zugrunde legen; b) die Kreditgeber, die gebundenen Kreditvermittler oder die benannten Vertreter gebundener Kreditvermittler eine ausreichende Zahl von Kreditverträgen aus ihrer Produktpalette einbeziehen und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse, der finanziellen Situation und der persönlichen Umstände des Verbrauchers einen geeigneten Kreditvertrag oder mehrere geeignete Kreditverträge aus ihrer Produktpalette empfehlen; c) die nicht gebundenen Kreditvermittler oder die benannten Vertreter nicht gebundener Kreditvermittler eine ausreichende Zahl von auf dem Markt verfügbaren Kreditverträgen einbeziehen und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse, der finanziellen Situation und der persönlichen Umstände des Verbrauchers einen auf dem Markt verfügbaren geeigneten Kreditvertrag oder mehrere auf dem Markt verfügbare geeignete Kreditverträge empfehlen; d) die Kreditgeber, die Kreditvermittler oder die benannten Vertreter im besten Interesse der Verbraucher handeln, indem sie i) sich über die Bedürfnisse und Umstände des Verbrauchers informieren und ii) geeignete Kreditverträge im Einklang mit den Buchstaben a, b und c empfehlen und e) die Kreditgeber, die Kreditvermittler oder die benannten Vertreter, dem Verbraucher eine Aufzeichnung der abgegebenen Empfehlung auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung stellen. (4) Die Mitgliedstaaten können die Verwendung der Begriffe „Beratung“ und „Berater“ oder ähnlicher Begriffe untersagen, wenn die Beratungsdienstleistungen von Kreditgebern, gebundenen Kreditvermittlern oder benannten Vertretern gebundener Kreditvermittler erbracht werden. Wenn Mitgliedstaaten die Verwendung der Begriffe „Beratung“ und „Berater“ nicht untersagen, so knüpfen sie die Verwendung der Begriffe „unabhängige Beratung“ oder „unabhängiger Berater“ durch Kreditgeber, Kreditvermittler oder benannte Vertreter, die Beratungsdienstleistungen erbringen, an die nachstehenden Bedingungen: 474

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a) Kreditgeber, Kreditvermittler oder benannte Vertreter beziehen eine ausreichende Zahl von auf dem Markt verfügbaren Kreditverträgen ein und b) Kreditgeber, Kreditvermittler oder benannte Vertreter erhalten keinerlei Vergütung von einem oder mehreren Kreditgebern für diese Beratungsdienstleistungen. Unterabsatz 2 Buchstabe b gilt nur, wenn die Zahl der einbezogenen Kreditgeber auf dem Markt keine Mehrheit darstellt. Die Mitgliedstaaten können hinsichtlich der Verwendung der Begriffe „unabhängige Beratung“ oder „unabhängiger Berater“ durch Kreditgeber, Kreditvermittler oder benannte Vertreter strengere Anforderungen festlegen, einschließlich eines Verbots der Vergütung durch einen Kreditgeber. (5) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Kreditgeber, Kreditvermittler und benannte Vertreter den Verbraucher warnen müssen, wenn ein Kreditvertrag unter Berücksichtigung der finanziellen Situation des Verbrauchers möglicherweise ein spezifisches Risiko für ihn birgt. (6) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Beratungsdienstleistungen nur von Kreditgebern, Kreditvermittlern oder benannten Vertretern erbracht werden. Die Mitgliedstaaten können beschließen, Unterabsatz 1 auf folgende Personen nicht anzuwenden: a) Personen, die Kreditvermittlungstätigkeiten gemäß Artikel 4 Nummer 5 oder Beratungsdienstleistungen erbringen, wenn die Ausübung der Tätigkeiten oder die Erbringung der Dienstleistungen nur gelegentlich im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit erfolgt und diese Tätigkeit durch Rechtsoder Verwaltungsvorschriften oder Standesregeln geregelt ist, die die Ausübung dieser Tätigkeiten oder die Erbringung dieser Dienstleistungen nicht ausschließen; b) Personen, die Beratungsdienstleistungen im Rahmen der Verwaltung bestehender Verbindlichkeiten als Insolvenzverwalter — wenn diese Tätigkeit durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt ist — oder im Rahmen öffentlicher oder ehrenamtlicher Schuldenberatungsdienste erbringen, die nicht zu gewerblichen Zwecken betrieben werden, oder c) Personen, die Beratungsdienstleistungen erbringen und bei denen es sich nicht um Kreditgeber, Kreditvermittler oder benannte Vertreter handelt, sofern sie durch zuständige Behörden gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Anforderungen für Kreditvermittler zugelassen und überwacht werden. Personen, die unter die Ausnahmeregelung nach Unterabsatz 2 fallen, können nicht das Recht nach Artikel 32 Absatz 1 in Anspruch nehmen, Dienstleistungen im gesamten Gebiet der Union zu erbringen. (7) Dieser Artikel lässt Artikel 16 und die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unberührt sicherzustellen, dass Dienste für Verbraucher bereitgestellt werden, um 475

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sie bei ihren Überlegungen über ihre finanziellen Bedürfnisse und die Art der Produkte, mit denen diesen entsprochen werden kann, zu unterstützen.

Kapitel 9 – Fremdwährungskredite und Kreditverträge mit variablem Zinssatz Art. 23 Fremdwährungskredite (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für den Fall, dass sich ein Kreditvertrag auf einen Fremdwährungskredit bezieht, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags ein geeigneter Regelungsrahmen existiert, mit dem zumindest gewährleistet wird, a) dass der Verbraucher unter festgelegten Bedingungen das Recht hat, den Kreditvertrag auf eine alternative Währung umzustellen, oder b) dass andere Vorkehrungen getroffen wurden, um das für den Verbraucher im Rahmen des Kreditvertrags bestehende Wechselkursrisiko zu begrenzen. (2) Die in Absatz 1 Buchstabe a genannte alternative Währung ist entweder a) die Währung, in der der Verbraucher überwiegend sein Einkommen bezieht oder Vermögenswerte hält, aus denen der Kredit zurückgezahlt werden soll, wie zum Zeitpunkt der jüngsten Kreditwürdigkeitsprüfung, die im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag durchgeführt wurde, angegeben, oder b) die Währung des Mitgliedstaats, in welchem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat oder in welchem er bei Abschluss des Kreditvertrags seinen Wohnsitz hatte. Die Mitgliedstaaten können festlegen, ob dem Verbraucher die beiden in Unterabsatz 1 Buchstaben a und b genannten Wahlmöglichkeiten oder nur eine zur Verfügung stehen, oder sie können den Kreditgebern die Festlegung überlassen, ob dem Verbraucher beide der in Unterabsatz 1 Buchstaben a und b genannten Wahlmöglichkeiten oder nur eine von diesen zur Verfügung steht. (3) Hat der Verbraucher das Recht, den Kreditvertrag gemäß Absatz 1 Buchstabe a auf eine alternative Währung umzustellen, so stellt der Mitgliedstaat sicher, dass der für die Umstellung verwendete Wechselkurs dem am Tag des Antrags auf Umstellung geltenden Marktwechselkurs entspricht, sofern im Kreditvertrag nichts anderes festgelegt ist. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Kreditgeber einen Verbraucher, der einen Fremdwährungskredit aufgenommen hat, auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger regelmäßig zumindest dann warnt, wenn der Wert des vom Verbraucher noch zu zahlenden Gesamtbetrags oder der regelmäßigen Raten um mehr als 20 % von dem Wert abweicht, der gegeben wäre, wenn der Wechselkurs zwischen der Währung des Kreditvertrags und der Währung des Mitgliedstaats zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags ange476

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wandt würde. Mit dieser Warnung wird der Verbraucher über einen Anstieg des vom Verbraucher zu zahlenden Gesamtbetrags sowie gegebenenfalls über sein Recht auf Umstellung in eine andere Währung und die hierfür geltenden Bedingungen informiert, und es werden andere anwendbare Mechanismen erläutert, um das Wechselkursrisiko für den Verbraucher zu begrenzen. (5) Die Mitgliedstaaten können weitere Regelungen für Fremdwährungskredite festlegen, sofern diese keine rückwirkende Geltung haben (6) Der Verbraucher wird im ESIS-Merkblatt und im Kreditvertrag über die nach diesem Artikel geltenden Regelungen unterrichtet. Ist im Kreditvertrag keine Bestimmung vorgesehen, wonach das Wechselkursrisiko für den Verbraucher auf eine Wechselkursschwankung von weniger als 20 % begrenzt wird, so ist im ESIS-Merkblatt ein Beispiel anzugeben, das die Auswirkungen einer Wechselkursschwankung von 20 % deutlich macht. Art. 24 Kreditverträge mit variablem Zinssatz Handelt es sich bei dem Kreditvertrag um einen Kreditvertrag mit variablem Zinssatz, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass: a) etwaige Indizes oder Referenzzinssätze, die zur Berechnung des Sollzinssatzes herangezogen werden, klar, verfügbar, objektiv und von den Vertragsparteien des Kreditvertrages und den zuständigen Behörden überprüfbar sind, und b) frühere Aufzeichnungen der Indizes zur Berechnung des Sollzinssatzes entweder von den Stellen, die diese Indizes zur Verfügung stellen, oder von den Kreditgebern aufbewahrt werden.

Kapitel 10 – Ordnungsgemäße Erfüllung der Kreditverträge und einschlägige Rechte Art. 25 Vorzeitige Rückzahlung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verbraucher das Recht haben, ihre Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag vollständig oder teilweise vor Ablauf des Vertrags zu erfüllen. In solchen Fällen hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet. (2) Die Mitgliedstaaten können die Ausübung des in Absatz 1 genannten Rechts an bestimmte Bedingungen knüpfen. Solche Bedingungen können die zeitliche Begrenzung der Ausübung dieses Rechts, eine je nach Art des Sollzinssatzes oder je nach Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher das Recht ausübt, unterschied477

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liche Behandlung oder Beschränkungen hinsichtlich der Umstände, unter denen dieses Recht ausgeübt werden kann, beinhalten. (3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Kreditgeber, sofern gerechtfertigt, eine angemessene und objektive Entschädigung für die möglicherweise entstandenen, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten verlangen kann; sie verhängen jedoch keine Vertragsstrafen gegen den Verbraucher. Hierbei darf die Entschädigung den finanziellen Verlust des Kreditgebers nicht überschreiten. Vorbehaltlich dieser Voraussetzungen können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Entschädigung einen bestimmten Umfang nicht überschreiten darf oder nur für eine bestimmte Zeitspanne zulässig ist. (4) Beabsichtigt ein Verbraucher, seine Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag vor Ablauf des Vertrags zu erfüllen, so erteilt der Kreditgeber dem Verbraucher unverzüglich nach Eingang des Antrags die für die Prüfung dieser Möglichkeit erforderlichen Informationen auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger. Diese Informationen müssen mindestens eine Quantifizierung der Auswirkungen der Erfüllung der Verbindlichkeiten vor Ablauf des Kreditvertrags für den Verbraucher enthalten sowie etwaige herangezogene Annahmen klar angeben. Alle herangezogenen Annahmen müssen vernünftig und zu rechtfertigen sein. (5) Fällt die vorzeitige Rückzahlung in einen Zeitraum, für den ein fester Sollzinssatz vereinbart wurde, können die Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Ausübung des Rechts nach Absatz 1 an die Voraussetzung knüpfen, dass aufseiten des Verbrauchers ein berechtigtes Interesse vorliegt. Art. 26 Flexible und zuverlässige Märkte (1) Die Mitgliedstaaten stellen mit geeigneten Mechanismen sicher, dass der Anspruch auf die Sicherheit durch die Kreditgeber oder in ihrem Namen durchsetzbar ist. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Kreditgeber geeignete Aufzeichnungen über die Arten der als Sicherheit akzeptierten Vermögenswerte sowie die einschlägigen angewandten Grundsätze für die Vergabe von grundpfandrechtlich gesicherten Krediten führen. (2) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um eine angemessene statistische Erfassung des Wohnimmobilienmarkts, unter anderem zum Zweck der Marktüberwachung, zu gewährleisten, gegebenenfalls indem die Entwicklung und Anwendung spezifischer Preisindizes, die öffentlich oder privat oder beides sein können, gefördert wird. Art. 27 Angaben zu Änderungen des Sollzinssatzes (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Kreditgeber den Verbraucher über eine Änderung des 478

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Sollzinssatzes auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger informiert, bevor die Änderung wirksam wird. Dabei ist mindestens der Betrag der nach dem Wirksamwerden des neuen Sollzinssatzes zu leistenden Zahlungen anzugeben; ändern sich die Anzahl oder die Periodizität der zu leistenden Zahlungen, so sind auch hierzu Einzelheiten anzugeben. (2) Die Mitgliedstaaten können den Vertragsparteien jedoch erlauben, in dem Kreditvertrag zu vereinbaren, dass die Information nach Absatz 1 dem Verbraucher in regelmäßigen Abständen erteilt wird, wenn die Änderung des Sollzinssatzes mit einer Änderung eines Referenzzinssatzes zusammenhängt, der neue Referenzzinssatz auf geeigneten Wegen öffentlich zugänglich gemacht wird und die Information über den neuen Referenzzinssatz in den Geschäftsräumen des Kreditgebers eingesehen werden kann und dem betroffenen Verbraucher zusammen mit dem Betrag der neuen regelmäßigen Raten mitgeteilt wird. (3) Der Kreditgeber kann die Verbraucher — soweit dies nach nationalem Recht vor dem 20. März 2014 zulässig war — weiterhin in regelmäßigen Abständen informieren, wenn die Änderung des Sollzinssatzes nicht mit einer Änderung eines Referenzzinssatzes zusammenhängt. (4) Werden Änderungen des Sollzinssatzes im Wege der Versteigerung auf den Kapitalmärkten festgelegt und ist es dem Kreditgeber daher nicht möglich, den Verbraucher vor dem Wirksamwerden einer Änderung von dieser in Kenntnis zu setzen, informiert er den Verbraucher rechtzeitig vor der Versteigerung auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger über das bevorstehende Verfahren und weist darauf hin, wie sich dieses auf den Sollzinssatz auswirken könnte. Art. 28 Zahlungsrückstände und Zwangsvollstreckung (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen Maßnahmen, um Kreditgeber darin zu bestärken, angemessene Nachsicht walten zu lassen, bevor Zwangsvollstreckungsverfahren eingeleitet werden. (2) Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass Gebühren, die der Kreditgeber im Zusammenhang mit dem Zahlungsausfall gegebenenfalls festlegen und dem Verbraucher in Rechnung stellen darf, nicht höher sein dürfen als erforderlich, um den Kreditgeber für die Kosten zu entschädigen, die ihm aufgrund des Zahlungsausfalls entstanden sind. (3) Die Mitgliedstaaten können den Kreditgebern gestatten, dem Verbraucher bei Zahlungsausfall zusätzliche Gebühren in Rechnung zu stellen. In diesem Fall sehen die Mitgliedstaaten eine Deckelung dieser Gebühren vor. (4) Die Mitgliedstaaten hindern die Parteien eines Kreditvertrags nicht daran, sich ausdrücklich darauf zu einigen, dass die Rückgabe oder Übertragung der Sicherheit oder des Erlöses aus der Verwertung der Sicherheit als für die Tilgung des Kredits ausreichend angesehen wird. 479

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(5) Beeinflusst der für die Immobilie erhaltene Preis den vom Verbraucher geschuldeten Betrag, so verfügen die Mitgliedstaaten über Verfahren und Maßnahmen, um zu ermöglichen, dass für die Immobilie, die Gegenstand der Zwangsvollstreckung ist, der bestmögliche Preis erzielt wird. Verbleiben nach Abschluss des Zwangsvollstreckungsverfahrens offene Verbindlichkeiten, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Maßnahmen ergriffen werden, um zum Schutz der Verbraucher die Rückzahlung zu erleichtern.

Kapitel 11 – Anforderungen für die Niederlassung und Beaufsichtigung von Kreditvermittlern und benannten Vertretern Art. 29–34 nicht abgedruckt.

Kapitel 12 – Zulassung und Beaufsichtigung von Nichtkreditinstituten Art. 35 nicht abgedruckt.

Kapitel 13 – Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden verschiedener Mitgliedstaaten Art. 36–37 nicht abgedruckt.

Kapitel 14 – Schlussbestimmungen Art. 38 Sanktionen (1) Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften zu verhängen sind, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. (2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständige Behörde jede im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktion, die bei einem Verstoß gegen die nach dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften verhängt wird, bekannt machen kann, sofern eine solche Bekanntgabe die Stabilität der Finanzmärkte nicht ernstlich 480

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gefährdet und den Beteiligten keinen unverhältnismäßig hohen Schaden zufügt. Art. 39–40 Streitbeilegungsmechanismen und Ausübung der Befugnisübertragung — nicht abgedruckt. Art. 41 Unabdingbarkeit dieser Richtlinie Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass a) Verbraucher auf die Rechte, die ihnen mit den nationalen Vorschriften eingeräumt werden, die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassen wurden, nicht verzichten können; b) die Vorschriften, die sie zur Umsetzung dieser Richtlinie verabschieden, nicht durch eine besondere Gestaltung der Verträge in einer Weise umgangen werden können, durch die Verbrauchern der durch diese Richtlinie gewährte Schutz entzogen wird, insbesondere durch die Einbeziehung von Kreditverträgen, die in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, in Kreditverträge, deren Eigenart oder Zweck es erlauben würde, sie der Anwendung dieser Vorschriften zu entziehen. Art. 42 Umsetzung (1) Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis spätestens 21. März 2016 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit. (2) Die Mitgliedstaaten wenden die in Absatz 1 genannten Vorschriften ab dem 21. März 2016 an. Bis zum 1. Juli 2018 beschließen und veröffentlichen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorschriften zur Erfüllung von Artikel 13 Absatz 1 Unterabsatz 2 Buchstabe ea und teilen sie der Kommission mit. Sie wenden diese Vorschriften ab dem 1. Juli 2018 an. Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten einzelstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen. Art. 43–50 Übergangsbestimmungen, Überprüfung, Bericht der Kommission, Änderungen diverser Richtlinien, Inkrafttreten und Adressaten — nicht abgedruckt. 481

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Anhang I – Berechnung des effektiven Jahreszinses I. Grundgleichung zur Darstellung der Gleichheit zwischen KreditAuszahlungsbeträgen einerseits und Rückzahlungen (Tilgung und Kreditkosten) andererseits Die nachstehende Gleichung zur Ermittlung des effektiven Jahreszinses drückt auf jährlicher Basis die rechnerische Gleichheit zwischen der Summe der Gegenwartswerte der in Anspruch genommenen Kredit-Auszahlungsbeträge einerseits und der Summe der Gegenwartswerte der Rückzahlungen (Tilgung und Kreditkosten) andererseits aus:

Hierbei ist — X der effektive Jahreszins; — m die laufende Nummer des letzten Kredit-Auszahlungsbetrags; — k die laufende Nummer eines Kredit-Auszahlungsbetrags, wobei l ≤ k ≤ m; — Ck die Höhe des Kredit-Auszahlungsbetrags mit der Nummer k; — tk der in Jahren oder Jahresbruchteilen ausgedrückte Zeitraum zwischen der ersten Darlehensvergabe und dem Zeitpunkt der einzelnen nachfolgenden in Anspruch genommenen Kredit-Auszahlungsbeträge, wobei t1 = 0; — m’ die laufende Nummer der letzten Tilgungs- oder Kostenzahlung; — l die laufende Nummer einer Tilgungs- oder Kostenzahlung; — Dl der Betrag einer Tilgungs- oder Kostenzahlung; — Sl der in Jahren oder Jahresbruchteilen ausgedrückte Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme des ersten Kredit-Auszahlungsbetrags und dem Zeitpunkt jeder einzelnen Tilgungs- oder Kostenzahlung. Anmerkungen: a) Die von beiden Seiten zu unterschiedlichen Zeitpunkten gezahlten Beträge sind nicht notwendigerweise gleich groß und werden nicht notwendigerweise in gleichen Zeitabständen entrichtet. b) Anfangszeitpunkt ist der Tag der Auszahlung des ersten Kreditbetrags. c) Der Zeitraum zwischen diesen Zeitpunkten wird in Jahren oder Jahresbruchteilen ausgedrückt. Zugrunde gelegt werden für ein Jahr 365 Tage (bzw. für ein Schaltjahr 366 Tage), 52 Wochen oder 12 Standardmonate. Ein Standard482

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monat hat 30,41666 Tage (d. h. 365/12), unabhängig davon, ob es sich um ein Schaltjahr handelt oder nicht. Können die Zeiträume zwischen den in den Berechnungen verwendeten Zeitpunkten nicht als ganze Zahl von Wochen, Monaten oder Jahren ausgedrückt werden, so sind sie als ganze Zahl eines dieser Zeitabschnitte in Kombination mit einer Anzahl von Tagen auszudrücken. Bei der Verwendung von Tagen i) werden alle Tage einschließlich Wochenenden und Feiertagen gezählt; ii) werden gleich lange Zeitabschnitte und dann Tage bis zur Inanspruchnahme des ersten Kreditbetrags zurückgezählt; iii) wird die Länge des in Tagen bemessenen Zeitabschnitts ohne den ersten und einschließlich des letzten Tages berechnet und in Jahren ausgedrückt, indem dieser Zeitabschnitt durch die Anzahl von Tagen des gesamten Jahres (365 oder 366 Tage), zurückgezählt ab dem letzten Tag bis zum gleichen Tag des Vorjahres, geteilt wird. d) Das Rechenergebnis wird auf mindestens eine Dezimalstelle genau angegeben. Ist die Ziffer der darauf folgenden Dezimalstelle größer als oder gleich 5, so erhöht sich die Ziffer der vorangehenden Dezimalstelle um den Wert 1. e) Mathematisch darstellen lässt sich diese Gleichung durch eine einzige Summation unter Verwendung des Faktors „Ströme“ (Ak), die entweder positiv oder negativ sind, je nachdem, ob sie für Auszahlungen oder für Rückzahlungen innerhalb der Perioden 1 bis n, ausgedrückt in Jahren, stehen:

dabei ist S der Saldo der Gegenwartswerte aller „Ströme“, deren Wert gleich Null sein muss, damit die Gleichheit zwischen den „Strömen“ gewahrt bleibt.

II. Zusätzliche Annahmen für die Berechnung des effektiven Jahreszinses a) Ist es dem Verbraucher nach dem Kreditvertrag freigestellt, wann er den Kredit in Anspruch nehmen will, so gilt der gesamte Kredit als sofort in voller Höhe in Anspruch genommen. b) Sieht der Kreditvertrag verschiedene Arten der Inanspruchnahme mit unterschiedlichen Kosten oder Sollzinssätzen vor, so gilt der gesamte Kredit als 483

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c)

d)

e)

f)

g)

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zu den höchsten Kosten und zum höchsten Sollzinssatz in Anspruch genommen, wie sie für die Kategorie von Geschäften gelten, die bei dieser Kreditvertragsart am häufigsten vorkommt. Ist es dem Verbraucher nach dem Kreditvertrag generell freigestellt, wann er den Kredit in Anspruch nehmen will, sind jedoch je nach Art der Inanspruchnahme Beschränkungen in Bezug auf Kreditbetrag und Zeitraum vorgesehen, so gilt der gesamte Kredit als zu dem im Kreditvertrag vorgesehenen frühestmöglichen Zeitpunkt mit den entsprechenden Beschränkungen in Anspruch genommen. Werden für einen begrenzten Zeitraum oder Betrag verschiedene Sollzinssätze und Kosten angeboten, so werden als Sollzinssatz oder als Kosten während der gesamten Laufzeit des Kreditvertrags der höchste Sollzinssatz bzw. die höchsten Kosten angenommen. Bei Kreditverträgen, bei denen für den Anfangszeitraum ein fester Sollzinssatz vereinbart wurde, nach dessen Ablauf ein neuer Sollzinssatz festgelegt wird, der anschließend in regelmäßigen Abständen nach einem vereinbarten Indikator oder einem internen Referenzzinssatz angepasst wird, wird bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses von der Annahme ausgegangen, dass der Sollzinssatz ab dem Ende der Festzinsperiode dem Sollzinssatz entspricht, der sich aus dem Wert des vereinbarten Indikators oder des internen Referenzzinssatzes zum Zeitpunkt der Berechnung des effektiven Jahreszinses ergibt, die Höhe des festen Sollzinssatzes jedoch nicht unterschreitet. Wurde noch keine Kreditobergrenze vereinbart, so wird eine Obergrenze in Höhe von 170 000 EUR angenommen. Bei Kreditverträgen, die weder Eventualverpflichtungen noch Garantien sind und die nicht für den Erwerb oder die Erhaltung eines Rechts an Wohnimmobilien oder Grundstücken bestimmt sind, bei Überziehungsmöglichkeiten, Debit-Karten mit Zahlungsaufschub oder Kreditkarten wird eine Obergrenze von 1 500 EUR angenommen. Bei Kreditverträgen, die weder Überziehungsmöglichkeiten noch Überbrückungsdarlehen, Kreditverträge mit Wertbeteiligung, Eventualverpflichtungen oder Garantien sind, und bei unbefristeten Kreditverträgen (siehe die Annahmen unter den Buchstaben i, j, k, l und m) gilt Folgendes: i) Lassen sich der Zeitpunkt oder die Höhe einer vom Verbraucher zu leistenden Tilgungszahlung nicht feststellen, so wird angenommen, dass die Rückzahlung zu dem im Kreditvertrag genannten frühestmöglichen Zeitpunkt und in der darin festgelegten geringsten Höhe erfolgt. ii) Lässt sich der Zeitraum zwischen der ersten Inanspruchnahme und der ersten vom Verbraucher zu leistenden Zahlung nicht feststellen, so wird der kürzestmögliche Zeitraum angenommen.

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h) Lassen sich der Zeitpunkt oder die Höhe einer vom Verbraucher zu leistenden Zahlung nicht anhand des Kreditvertrags oder der Annahmen nach den Buchstaben g, i, j, k, l und m feststellen, so wird angenommen, dass die Zahlung in Übereinstimmung mit den vom Kreditgeber bestimmten Fristen und Bedingungen erfolgt, und dass, falls diese nicht bekannt sind, i) die Zinszahlungen zusammen mit den Tilgungszahlungen erfolgen, ii) Zahlungen für Kosten, die keine Zinsen sind und die als Einmalbetrag ausgedrückt sind, bei Abschluss des Kreditvertrags erfolgen, iii) Zahlungen für Kosten, die keine Zinsen sind und die als Mehrfachzahlungen ausgedrückt sind, beginnend mit der ersten Tilgungszahlung in regelmäßigen Abständen erfolgen, und es sich, falls die Höhe dieser Zahlungen nicht bekannt ist, um jeweils gleich hohe Beträge handelt, iv) mit der letzten Zahlung der Saldo, die Zinsen und etwaige sonstige Kosten ausgeglichen sind. i) Bei einer Überziehungsmöglichkeit gilt der gesamte Kredit als in voller Höhe und für die gesamte Laufzeit des Kreditvertrags in Anspruch genommen. Ist die Dauer der Überziehungsmöglichkeit nicht bekannt, so wird bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses von der Annahme ausgegangen, dass die Laufzeit des Kreditvertrags drei Monate beträgt. j) Bei einem Überbrückungsdarlehen gilt der gesamte Kredit als in voller Höhe und für die gesamte Laufzeit des Kreditvertrags in Anspruch genommen. Ist die Laufzeit des Kreditvertrags nicht bekannt, so wird bei der Berechnung des effektiven Jahreszinses von der Annahme ausgegangen, dass sie 12 Monate beträgt. k) Bei einem unbefristeten Kreditvertrag, der weder eine Überziehungsmöglichkeit noch ein Überbrückungsdarlehen ist, wird angenommen, dass i) bei Kreditverträgen, die für den Erwerb oder die Erhaltung von Rechten an Immobilien bestimmt sind, der Kredit für einen Zeitraum von 20 Jahren ab der ersten Inanspruchnahme gewährt wird und dass mit der letzten Zahlung des Verbrauchers der Saldo, die Zinsen und etwaige sonstige Kosten ausgeglichen sind; bei Kreditverträgen, die nicht für den Erwerb oder die Erhaltung von Rechten an Immobilien bestimmt sind oder bei denen der Kredit im Rahmen von Debit-Karten mit Zahlungsaufschub oder Kreditkarten in Anspruch genommen wird, beträgt dieser Zeitraum ein Jahr; ii) der Kreditbetrag in gleich hohen monatlichen Zahlungen, beginnend einen Monat nach dem Zeitpunkt der ersten Inanspruchnahme, zurückgezahlt wird. Muss der Kreditbetrag jedoch vollständig, in Form einer einmaligen Zahlung, innerhalb jedes Zahlungszeitraums zurückgezahlt werden, so wird angenommen, dass spätere Inanspruchnahmen und 485

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Rückzahlungen des gesamten Kreditbetrags durch den Verbraucher innerhalb eines Jahres stattfinden. Zinsen und sonstige Kosten werden entsprechend diesen Inanspruchnahmen und Tilgungszahlungen und nach den Bestimmungen des Kreditvertrags festgelegt. Als unbefristete Kreditverträge gelten für die Zwecke dieses Punkts Kreditverträge ohne feste Laufzeit, einschließlich solcher Kredite, bei denen der Kreditbetrag innerhalb oder nach Ablauf eines Zeitraums vollständig zurückgezahlt werden muss, dann aber erneut in Anspruch genommen werden kann. l) Bei Eventualverpflichtungen oder Garantien wird angenommen, dass der gesamte Kredit zum früheren der beiden folgenden Zeitpunkte als einmaliger Betrag vollständig in Anspruch genommen wird: a) dem letztzulässigen Zeitpunkt nach dem Kreditvertrag, welcher die potenzielle Quelle der Eventualverbindlichkeit oder Garantie ist; oder b) bei einem Roll-over-Kreditvertrag am Ende der ersten Zinsperiode vor der Erneuerung der Vereinbarung. m) Bei Kreditverträgen mit Wertbeteiligung wird angenommen, dass i) die Zahlungen der Verbraucher zu den letzten nach dem Kreditvertrag möglichen Zeitpunkten geleistet werden; ii) die prozentuale Wertsteigerung der Immobilie, die die Sicherheit für den Vertrag darstellt, und ein in dem Vertrag genannter Inflationsindex ein Prozentsatz ist, der — je nachdem, welcher Satz höher ist — dem aktuellen Inflationsziel der Zentralbank oder der Höhe der Inflation in dem Mitgliedstaat, in dem die Immobilie belegen ist, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags oder dem Wert 0 %, falls diese Prozentsätze negativ sind, entspricht. Anhang II ESIS-Merkblatt; Anhang III Mindestanforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten — nicht abgedruckt.

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2.19 Finanzmarkt-RL II 2014/65

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 53 Absatz 1, auf Vorschlag der Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates4 wurde mehrfach wesentlich geändert.5 Aus Gründen der Klarheit empfiehlt es sich, im Rahmen der jetzt anstehenden Änderungen eine Neufassung dieser Richtlinie vorzunehmen. (2) Die Richtlinie 93/22/EWG des Rates6 zielte darauf ab, die Bedingungen festzulegen, unter denen zugelassene Wertpapierfirmen und Banken in anderen Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Zulassung und der Aufsicht durch den Herkunftsstaat spezifische Dienstleistungen erbringen oder Zweigniederlassungen errichten konnten. Zu diesem Zweck wurden mit jener Richtlinie die Erstzulassung und die Tätigkeitsbedingungen von Wertpapierfirmen, einschließlich der Wohlverhaltensregeln, harmonisiert. Mit jener Richtlinie wurden auch einige Bedingungen für den Betrieb geregelter Märkte harmonisiert. (3) In den letzten Jahren wurden immer mehr Anleger auf den Finanzmärkten aktiv; ihnen wird ein immer komplexeres und umfangreicheres Spektrum an Dienstleistungen und Finanzinstrumenten angeboten. Angesichts dieser Entwicklungen sollte der Rechtsrahmen der Union das volle Angebot der anlegerorientierten Tätigkeiten abdecken. Folglich ist es erforderlich, eine Harmonisierung in dem Umfang vorzunehmen, der notwendig ist, um Anlegern ein hohes Schutzniveau zu bieten und Wertpapierfirmen das Erbringen von Dienstleistungen in der gesamten Union im Rahmen des Binnenmarkts auf der Grundlage der Herkunftslandaufsicht zu gestatten. Die Richtlinie 93/22/EWG wurde daher durch die Richtlinie 2004/39/EG ersetzt. (4) Die Finanzkrise hat Schwächen in der Funktionsweise und bei der Transparenz der Finanzmärkte zutage treten lassen. Die Entwicklung der Finanzmärkte hat gezeigt, dass der Rahmen für die Regulierung der Märkte für Finanzinstrumente — auch in Bezug auf den außerbörslichen Handel (OTC) — gestärkt werden muss, um die Transparenz zu erhöhen,

* Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/ EU, ABl. 2014 L 173/349. 1 ABl. C 161 vom 7. 6. 2012, S. 3. 2 ABl. C 191 vom 29. 6. 2012, S. 80. 3 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 15. April 2014 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 13. Mai 2014. 4 ABL. L 145 vom 30. 4. 2004, S. 1. 5 Siehe Anhang III, Teil A. 6 ABl. L 141 vom 11. 6. 1993, S. 27. https://doi.org/10.1515/9783110667776-023

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Anleger besser zu schützen, das Vertrauen wiederherzustellen, sich mit nichtregulierten Bereichen zu befassen und sicherzustellen, dass Aufsichtsstellen angemessene Befugnisse zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten. Unter Regulierungsstellen auf internationaler Ebene besteht Einigkeit darüber, dass Schwächen in der Unternehmensführung und -kontrolle von mehreren Finanzinstituten, darunter das Fehlen wirksamer institutsinterner Kontrollen, einer der Faktoren waren, die zur Finanzkrise beigetragen haben. Die übermäßige und unvorsichtige Übernahme von Risiken kann auf mitgliedstaatlicher und globaler Ebene zum Ausfall einzelner Finanzinstitute und zu Systemproblemen führen. Das Fehlverhalten von Firmen, die Dienstleistungen für Kunden erbringen, kann zu Nachteilen für die Anleger und einem Vertrauensverlust führen. Um der potenziell schädigenden Wirkung dieser Schwächen bei den Unternehmensführungsregelungen entgegenzuwirken, sollte die Richtlinie 2004/39/EG um detailliertere Grundsätze und Mindeststandards ergänzt werden. Diese Grundsätze und Standards sollten der Art, dem Umfang und der Komplexität von Wertpapierfirmen Rechnung tragen. Die Hochrangige Gruppe zu Fragen der EU-Finanzaufsicht hat die Union ersucht, stärker harmonisierte Vorschriften der Finanzregulierung auszuarbeiten. Im Kontext der künftigen europäischen Aufsichtsarchitektur hat auch der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 18./19. Juni 2009 die Notwendigkeit unterstrichen, ein einheitliches, für alle Finanzinstitute im Binnenmarkt geltendes europäisches Regelwerk zu schaffen. Die Richtlinie 2004/39/EG sollte daher zum Teil mit der vorliegenden neuen Richtlinie neu gefasst und zum Teil durch die Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates7 ersetzt. Zusammen sollten diese beiden Rechtsinstrumente den Rechtsrahmen für die Anforderungen bilden, die an Wertpapierfirmen, geregelte Märkte, Datenbereitstellungsdienste und Drittlandfirmen, die Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten in der Union erbringen bzw. ausüben, gestellt werden. Die vorliegende Richtlinie sollte daher in Zusammenhang mit jener Verordnung gesehen werden. Diese Richtlinie sollte die Bestimmungen enthalten über die Zulassung der Geschäftstätigkeit, den Erwerb von qualifizierten Beteiligungen, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, die Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen im Hinblick auf den Anlegerschutz, die Befugnisse der Aufsichtsbehörden von Aufnahme- und Herkunftsmitgliedstaaten sowie die Auferlegung von Sanktionen. Da Ziel und Gegenstand dieser Richtlinie in erster Linie die Harmonisierung nationaler Vorschriften in den genannten Bereichen ist, sollte sie auf Artikel 53 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gestützt werden. Die Form einer Richtlinie bietet sich an, damit die Durchführungsbestimmungen in den von dieser Richtlinie erfassten Bereichen bei Bedarf den Besonderheiten der jeweiligen Märkte und Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten angepasst werden können. Es ist zweckmäßig, in die Liste der Finanzinstrumente Waren- und sonstige Derivate aufzunehmen, die so konzipiert sind und gehandelt werden, dass sie unter aufsichtsrechtlichen Aspekten traditionellen Finanzinstrumenten vergleichbar sind. Zu den Finanzinstrumenten werden Energiekontrakte gehören, bei denen eine effektive Lieferung vorgesehen ist und die über ein organisiertes Handelssystem (OTF) gehandelt werden, mit Ausnahme derjenigen, die bereits nach der Verordnung (EU) Nr. 1227/2011 des

7 Nr. 648/2012 (siehe Seite 84 dieses Amtsblatts).

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Europäischen Parlaments und des Rates8 reguliert sind. Es wurden mehrere Maßnahmen ergriffen, um die Auswirkungen einer solchen Einbeziehung auf Firmen abzumildern, die Handel mit diesen Produkten treiben. Diese Firmen sind derzeit von den Pflichten in Bezug auf Eigenmittel gemäß der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates9 freigestellt, und diese Ausnahme wird vor ihrem Auslaufen spätestens Ende 2017 Gegenstand einer Überprüfung gemäß Artikel 493 Absatz 1 jener Verordnung sein. Da diese Kontrakte Finanzinstrumente sind, wären von Anfang an die Anforderungen des Finanzmarktrechts anwendbar, weswegen die Anforderungen hinsichtlich Positionslimits, der Meldung von Geschäften und Marktmissbrauch von dem Datum an, zu dem diese Richtlinie und die Verordnung (EU) Nr. 600/2014 anwendbar sind, gelten würden. Allerdings ist eine Zeitspanne von 42 Monaten zur stufenweisen Einführung der Anwendung der Clearingpflicht und der Anforderung des „Einschussverfahren“ (Margining) gemäß der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates10 vorgesehen. (10) Die Beschränkung des Anwendungsbereichs hinsichtlich Warenderivate, die über ein OTF gehandelt werden und bei denen eine effektive Lieferung vorgesehen ist, sollte begrenzt sein, um ein Schlupfloch zu vermeiden, das zu Aufsichtsarbitrage führen könnte. Deshalb ist es notwendig, einen delegierten Rechtsakt vorzusehen um festzulegen, was unter dem Ausdruck „muss effektiv geliefert werden“ zu verstehen ist, wobei zumindest die Begründung einer durchsetzbaren und rechtlich verbindlichen Pflicht zur effektiven Lieferung berücksichtigt werden muss, die nicht aufgehoben werden kann und bei der es kein Recht auf Barausgleich oder Kompensationsgeschäfte gibt, es sei denn, es liegt ein Fall höherer Gewalt, ein Ausfall oder eine andere nicht zurechenbare Unfähigkeit zur Leistungserbringung vor. (11) An den Spot-Sekundärmärkten für Emissionszertifikate (EUA) sind zunehmend verschiedene betrügerische Praktiken zu beobachten, die das Vertrauen in das mit der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates11 eingerichtete Emissionshandelssystem untergraben könnten; derzeit werden Maßnahmen zur Verbesserung des Systems der EUA-Registrierungen und der Bedingungen für die Eröffnung eines Kontos für den EUA-Handel ergriffen. Zur Förderung der Integrität dieser Märkte und zur Gewährleistung ihres effizienten Funktionierens, einschließlich der umfassenden Beaufsichtigung der Handelstätigkeit, ist es angezeigt, die im Rahmen der Richtlinie 2003/87/EG getroffenen Maßnahmen zu ergänzen, indem Emissionszertifikate in vollem Umfang in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie und der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates12 einbezogen werden. (12) Ziel dieser Richtlinie ist, Wertpapierfirmen zu erfassen, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit Wertpapierdienstleistungen erbringen und/oder

8 ABl. L 326 vom 8. 12. 2011, S. 1. 9 ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 1. 10 ABl. L 201 vom 27. 7. 2012, S. 1. 11 ABl. L 275 vom 25. 10. 2003, S. 32. 12 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (siehe Seite 1 dieses Amtsblatts).

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Anlagetätigkeiten ausüben. Ihr Anwendungsbereich sollte deshalb keine Personen erfassen, die eine andere berufliche Tätigkeit ausüben. Es ist erforderlich, die Ausführung von Geschäften mit Finanzinstrumenten — unabhängig von den für den Abschluss dieser Geschäfte verwendeten Handelsmethoden — umfassend zu regeln, damit bei der Ausführung der entsprechenden Anlegeraufträge eine hohe Qualität gewährleistet ist und die Integrität und Gesamteffizienz des Finanzsystems gewahrt werden. Es sollte ein kohärenter und risikosensibler Rahmen zur Regelung der wichtigsten Arten der derzeit auf dem europäischen Finanzmarkt vertretenen Auftragsausführungssysteme geschaffen werden. Es ist erforderlich, einer aufkommenden neuen Generation von Systemen des organisierten Handels neben den geregelten Märkten Rechnung zu tragen, die Pflichten unterworfen werden sollten, die auch weiterhin ein wirksames und ordnungsgemäßes Funktionieren der Finanzmärkte gewährleisten. Außerdem muss sichergestellt werden, dass solche Systeme des organisierten Handels nicht von Regelungslücken profitieren. Alle Handelsplätze, d. h. geregelte Märkte, multilaterale Handelssysteme (MTF) und OTF, sollten transparente und nichtdiskriminierende Regeln festlegen, die den Zugang zu dem System regeln. Während an geregelte Märkte und MTF weiterhin ähnliche Anforderungen gestellt werden sollten, was die Frage angeht, wen sie als Mitglieder oder Teilnehmer zulassen dürfen, sollten OTF in der Lage sein, unter Berücksichtigung unter anderem der Rolle und der Verpflichtungen, die sie hinsichtlich ihrer Kunden haben, den Zugang zu bestimmen und einzuschränken. Hierfür sollten die Handelsplätze Parameter festlegen können, die für das System gelten, wie etwa minimale Latenzzeiten, vorausgesetzt, dies erfolgt in offener und transparenter Weise und enthält keine Diskriminierung durch den Betreiber der Plattform. Eine zentrale Gegenpartei ist in der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 als eine juristische Person definiert, die zwischen die Partner der auf einem oder mehreren Finanzmärkten gehandelten Verträge tritt, so dass sie gegenüber jedem Verkäufer als Käufer und gegenüber jedem Käufer als Verkäufer auftritt. Zentrale Gegenparteien fallen nicht unter den Begriff „OTF“ im Sinne dieser Richtlinie. Personen, die Zugang zu geregelten Märkten oder MTF haben, werden als Mitglieder oder Teilnehmer bezeichnet. Diese beiden Begriffe können synonym verwendet werden. Diese Begriffe schließen keine Nutzer ein, die lediglich direkten elektronischen Zugang zu den Handelsplätzen haben. Systematische Internalisierer sollten definiert werden als Wertpapierfirmen, die in organisierter und systematischer Weise häufig in erheblichem Umfang Handel für eigene Rechnung treiben, wenn sie Kundenaufträge außerhalb eines geregelten Marktes, eines MTF oder eines OTF ausführen. Um die objektive und effektive Anwendung dieser Begriffsbestimmung auf Wertpapierfirmen zu gewährleisten, sollten mit Kunden durchgeführte bilaterale Handelstätigkeiten relevant sein; zudem sollten Kriterien für die Bestimmung der Wertpapierfirmen, die sich als systematische Internalisierer registrieren müssen, entwickelt werden. Während Handelsplätze Einrichtungen sind, in denen die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf innerhalb des Systems zusammengeführt werden, sollte es einem systematischen Internalisierer nicht gestattet sein, in funktional gleicher Weise wie die Handelsplätze Kauf- und Verkaufsinteressen Dritter zusammenzuführen. Personen, die ihr eigenes Vermögen verwalten, und Unternehmen, die keine anderen Wertpapierdienstleistungen erbringen oder Anlagetätigkeiten vornehmen als den Handel für eigene Rechnung mit Finanzinstrumenten, bei denen es sich nicht um Warenderivate, Emissionszertifikate oder Derivate davon handelt, sollten nicht in den Anwendungsbe-

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reich dieser Richtlinie fallen, es sei denn, sie sind Market-Maker, Mitglieder oder Teilnehmer eines geregelten Marktes oder eines MTF oder haben einen direkten elektronischen Zugang zu einem Handelsplatz, wenden eine hochfrequente algorithmische Handelstechnik an oder treiben durch die Ausführung von Kundenaufträgen Handel für eigene Rechnung. In der Erklärung der Finanzminister und Zentralbankgouverneure der G20 vom 15. April 2011 heißt es, dass Teilnehmer an Märkten für Warenderivate einer angemessenen Regulierung und Aufsicht unterliegen sollten, weswegen bestimmte Ausnahmen von der Richtlinie 2004/39/EG zu ändern sind. Personen, die für eigene Rechnung mit Warenderivaten, Emissionszertifikaten und Derivaten davon handeln oder für Kunden oder Zulieferer ihrer Haupttätigkeit Wertpapierdienstleistungen in Bezug auf Warenderivate oder Emissionszertifikate oder Derivate davon erbringen, einschließlich Market-Maker und unter Ausschluss von Personen, die Handel für eigene Rechnung treiben, wenn sie Kundenaufträge ausführen, sollten unter der Voraussetzung nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, dass diese Tätigkeit eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit auf der Ebene der Unternehmensgruppe ist, und das die Haupttätigkeit weder in der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen im Sinne der vorliegenden Richtlinie noch in der Erbringung von Bankgeschäften im Sinne der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates13 oder im Betreiben des Market-Makings in Bezug auf Warenderivate besteht, und diese Personen keine hochfrequente algorithmische Handelstechnik anwenden. Die technischen Kriterien zur Bestimmung, wann eine Tätigkeit eine Nebentätigkeit zu einer solchen Haupttätigkeit darstellt, sollten in technischen Regulierungsstandards klargestellt werden, die den in dieser Richtlinie festgelegten Kriterien Rechnung tragen. Durch diese Kriterien sollte sichergestellt werden, dass Nichtfinanzunternehmen, die mit Finanzinstrumenten in einer Weise Handel treiben, die im Vergleich zu dem Umfang der Anlagen in der Haupttätigkeit unverhältnismäßig ist, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen. Dabei sollte bei diesen Kriterien zumindest berücksichtigt werden, dass Nebentätigkeiten den kleineren Teil der Tätigkeiten auf Gruppenebene darstellen müssen, und welchen Umfang die Handelstätigkeit im Vergleich zu der gesamten Markthandelstätigkeit in dieser Anlageklasse hat. Wenn durch Regulierungsbehörden im Einklang mit Unionsrecht oder nationalem Recht oder Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder wenn Handelsplätze die Versorgung eines Handelsplatzes mit Liquidität verpflichtend verlangen, sollten die zur Erfüllung dieser Pflicht abgeschlossenen Geschäfte bei der Bewertung, ob die Tätigkeit eine Nebentätigkeit ist, unberücksichtigt bleiben. Für die Zwecke dieser Richtlinie und der Verordnung (EU) Nr. 600/2014, durch die sowohl OTC als auch börsengehandelte Derivate im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 geregelt werden, sollten Tätigkeiten, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie objektiv messbar die direkt mit der Geschäftstätigkeit oder dem Liquiditäts- und Finanzmanagement verbundenen Risiken verringern, und gruppeninterne Geschäfte in einer Weise berücksichtigt werden, die mit der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 im Einklang steht. Personen, die mit Warenderivaten, Emissionszertifikaten und Derivaten davon handeln, können als Teil ihres mit der Geschäftstätigkeit oder dem Liquiditäts- und Finanzmanagement verbundenen Risikomanagements auch mit anderen Finanzinstrumenten Handel

13 ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 338.

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treiben, um sich gegen Risiken, wie zum Beispiel Wechselkursrisiken, abzusichern. Daher ist es wichtig klarzustellen, dass Ausnahmen kumulativ anwendbar sind. Die Ausnahme nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe j kann beispielsweise in Verbindung mit der Ausnahme nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe d angewandt werden. Um einen potenziellen Missbrauch von Ausnahmen zu vermeiden, sollten Market-Maker in Finanzinstrumenten in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen und von keinen Ausnahmen profitieren, es sei denn, es handelt sich um Market-Maker in Warenderivaten, Emissionszertifikaten oder Derivaten davon und ihre Market-Making-Tätigkeit stellt auf der Ebene der Unternehmensgruppe betrachtet eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit dar und sie wenden keine hochfrequente algorithmische Handelstechnik an. Personen, die Handel für eigene Rechnung treiben oder eine hochfrequente algorithmische Handelstechnik anwenden, sollten ebenfalls in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen und nicht von Ausnahmen profitieren. Zu den Personen, die bei Ausführung von Kundenaufträgen für eigene Rechnung Handel treiben, sollten auch Firmen zählen, die Aufträge verschiedener Kunden ausführen, indem sie sich deckende Kundenaufträge zusammenführen (Back-to-Back-Trading); sie sollten als Auftraggeber angesehen werden und den Bestimmungen dieser Richtlinie sowohl über die Auftragsausführung im Namen von Kunden als auch über den Handel für eigene Rechnung unterliegen. Die Ausführung von Aufträgen in Bezug auf Finanzinstrumente als eine Nebentätigkeit zwischen zwei Personen, deren Haupttätigkeit auf Ebene der Unternehmensgruppe weder in der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie noch in der Erbringung von Bankgeschäften im Sinne der Richtlinie 2013/36/EU besteht, sollte nicht als Handel für eigene Rechnung gelten, wenn Kundenaufträge ausgeführt werden. Verweise auf „Personen“ im Text sollten so verstanden werden, dass damit sowohl natürliche als auch juristische Personen gemeint sind. Versicherungsunternehmen, deren Tätigkeit von den zuständigen Aufsichtsbehörden in geeigneter Weise überwacht wird und die der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates14 unterliegen, sollten vom Anwendungsbereich der vorliegenden Richtlinie ausgeschlossen sein, wenn sie die in der zuerst genannten Richtlinie genannten Tätigkeiten ausüben. Personen, die keine Dienstleistungen für Dritte erbringen, sondern deren Tätigkeit darin besteht, Wertpapierdienstleistungen ausschließlich für ihre Mutterunternehmen, ihre Tochterunternehmen oder andere Tochterunternehmen ihrer Mutterunternehmen zu erbringen, sollten nicht von dieser Richtlinie erfasst werden. Einige lokale Energieversorgungsunternehmen und einige Betreiber industrieller Anlagen, die unter das Emissionshandelssystem der EU fallen, bündeln ihre Handelstätigkeiten und lagern sie an nichtkonsolidierte Tochtergesellschaften aus, um geschäftliche Risiken abzusichern. Diese Gemeinschaftsunternehmen erbringen keine anderen Dienstleistungen und erfüllen genau dieselbe Aufgabe wie die in Erwägungsgrund 28 genannten Personen. Damit gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden, sollte es möglich sein, Gemeinschaftsunternehmen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen, wenn sie von lokalen Energieversorgungsunternehmen oder Betreibern, die unter Artikel 3 Buchstabe f der Richtlinie 2003/87/EG fallen, gehalten werden, die keine

14 ABl. L 335 vom 17. 12. 2009, S. 1.

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anderen Dienstleistungen als Wertpapierdienstleistungen für lokale Energieversorgungsunternehmen oder Betreiber, die unter Artikel 3 Buchstabe f der Richtlinie 2003/87/EG fallen, erbringen, und unter der Bedingung, dass diese lokalen Energieversorgungsunternehmen oder Betreiber gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe j ausgenommen sind, falls sie diese Wertpapierdienstleistungen selbst erbringen. Allerdings sollten diejenigen Mitgliedstaaten, die sich für eine Freistellung solcher Gemeinschaftsunternehmen entscheiden, Anforderungen für diese Unternehmen vorschreiben, die zumindest zu denen dieser Richtlinie analog sind, insbesondere in der Zulassungsphase, bei der Bewertung ihrer Reputation und ihrer Erfahrung sowie der Eignung von Gesellschaftern, bei der Überprüfung der Voraussetzungen für die Erteilung der Erstzulassung und bei der laufenden Überwachung sowie hinsichtlich der Wohlverhaltensregeln, um sicherzustellen, dass es geeignete Schutzmechanismen gibt und dass die Anleger ausreichend geschützt sind. Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Wertpapierdienstleistungen nur gelegentlich erbringen, sollten ebenfalls vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden, sofern diese Tätigkeit geregelt ist und die betreffende Regelung die gelegentliche Erbringung von Wertpapierdienstleistungen nicht ausschließt. Personen, deren Wertpapierdienstleistungen ausschließlich in der Verwaltung eines Systems der Arbeitnehmerbeteiligung bestehen und deshalb keine Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringen, sollten nicht von dieser Richtlinie erfasst werden. Es ist erforderlich, Zentralbanken und andere Stellen mit ähnlichen Aufgaben sowie die staatlichen Stellen, die für die staatliche Schuldenverwaltung — einschließlich der Platzierung staatlicher Schuldtitel — zuständig oder daran beteiligt sind, aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen; Stellen mit öffentlicher Kapitalbeteiligung, deren Aufgabe gewerblicher Art ist oder mit der Übernahme von Beteiligungen zusammenhängt, sind nicht auszunehmen. Damit die Ausnahmeregelung für das Europäische System der Zentralbanken (ESZB), andere nationale Stellen mit ähnlichen Aufgaben sowie Stellen, die an der staatlichen Schuldenverwaltung beteiligt sind, eindeutig ist, ist es zweckmäßig, solche Ausnahmen auf die Stellen und Einrichtungen zu begrenzen, die ihre Aufgaben gemäß dem Recht eines Mitgliedstaats oder gemäß dem Recht der Union ausüben, sowie auf internationale Einrichtungen, denen zwei oder mehr Mitgliedstaaten angehören und die dem Zweck dienen, Finanzmittel zu mobilisieren und Finanzhilfen zugunsten ihrer Mitglieder zu geben, die von schwerwiegenden Finanzierungsproblemen betroffen oder bedroht sind, wie etwa den Europäischer Stabilitätsmechanismus. Es ist erforderlich, Organismen für gemeinsame Anlagen und Pensionsfonds, unabhängig davon, ob sie auf der Ebene der Union koordiniert worden sind, sowie die Verwahr- und Verwaltungsgesellschaften derartiger Organismen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, da für sie besondere, unmittelbar auf ihre Tätigkeit zugeschnittene Regeln gelten. Es ist notwendig, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie Übertragungsnetzbetreiber im Sinne des Artikels 2 Absatz 4 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates15 oder Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates16 auszunehmen, wenn sie die Aufgaben nach diesen Richtlinien,

15 ABl. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 55. 16 ABl. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 94.

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nach der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates,17 nach der Verordnung (EG) zu Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates18 bzw. nach den aufgrund der genannten Gesetzgebungsakte erlassenen Netzcodes oder Leitlinien wahrnehmen. Im Einklang mit diesen Gesetzgebungsakten haben Übertragungsnetzbetreiber spezifische Pflichten und Verantwortlichkeiten, unterliegen einer spezifischen Zertifizierung und werden von sektorspezifischen zuständigen Behörden beaufsichtigt. Übertragungsnetzbetreiber sollten eine solche Ausnahme auch in den Fällen in Anspruch nehmen können, wenn andere Personen in ihrem Namen als Dienstleister handeln, um die Aufgaben eines Übertragungsnetzbetreibers gemäß jener Gesetzgebungsakte bzw. den nach diesen Verordnungen erlassenen Netzcodes oder Leitlinien wahrzunehmen. Übertragungsnetzbetreiber sollten eine solche Ausnahme nicht in Anspruch nehmen können, wenn sie Wertpapierdienstleistungen erbringen oder Tätigkeiten mit Finanzinstrumenten ausüben, darunter den Betrieb einer Plattform für den Sekundärhandel mit finanziellen Übertragungsrechten. Die Ausnahmen gemäß dieser Richtlinie können nur die Personen in Anspruch nehmen, die die Voraussetzungen für diese Ausnahmen auf Dauer erfüllen. Insbesondere sollte für Personen, deren Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind, weil es sich dabei auf Ebene der Unternehmensgruppe um Nebentätigkeiten zu ihrer Haupttätigkeit handelt, die Ausnahmeregelung für Nebentätigkeiten nicht mehr gelten, wenn die betreffenden Dienstleistungen oder Tätigkeiten nicht mehr nur eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit darstellen. Aus Gründen des Anlegerschutzes und der Stabilität des Finanzsystems sollten Personen, die die unter diese Richtlinie fallenden Wertpapierdienstleistungen erbringen und/oder Anlagetätigkeiten ausüben, der Zulassung durch ihren Herkunftsmitgliedstaat unterliegen. Gemäß der Richtlinie 2013/36/EU zugelassene Kreditinstitute sollten keine weitere Zulassung gemäß dieser Richtlinie benötigen, um Wertpapierdienstleistungen erbringen oder Anlagetätigkeiten ausüben zu dürfen. Beschließt ein Kreditinstitut, Wertpapierdienstleistungen zu erbringen oder Anlagetätigkeiten auszuüben, überprüfen die zuständigen Behörden vor der Erteilung der Zulassung nach Richtlinie 2013/36, dass es die einschlägigen Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie einhält. Als eine neue Form von Anlageprodukt sind strukturierte Einlagen entstanden; sie fallen aber im Gegensatz zu anderen strukturierten Anlagen unter keinen Rechtsakt für den Anlegerschutz auf Ebene der Union. Es ist daher sinnvoll, das Vertrauen der Anleger zu stärken und die rechtliche Behandlung des Vertriebs verschiedener Standardprodukte für Privatanleger einheitlicher zu gestalten, damit ein angemessenes Maß an Anlegerschutz in der ganzen Union besteht. Aus diesem Grund ist es zweckmäßig, strukturierte Einlagen in den Anwendungsbereich der vorliegenden Richtlinie aufzunehmen. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass, da es sich bei strukturierten Einlagen um eine Form von Anlageprodukt handelt, diese keine Einlagen beinhalten, die ausschließlich an Zinssätze — wie Euribor oder Libor — gebunden sind, unabhängig davon, ob die Zinssätze im Voraus bestimmt, fest oder variabel sind. Solche Einlagen sollten deshalb vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden.

17 ABl. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 15. 18 ABl. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 36.

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(40) Wenn Wertpapierfirmen strukturierte Einlagen an Kunden verkaufen oder sie zu diesen beraten, sollte diese Richtlinie in derselben Weise für sie gelten, wie wenn sie als Vermittler für diese Produkte aufträten, die von Kreditinstituten begeben werden, die gemäß der Richtlinie 2006/48/EG Einlagen entgegennehmen können. (41) Zentralverwahrer sind für die Finanzmärkte systemrelevante Einrichtungen, die für die erstmalige Erfassung von Wertpapieren, die Führung der Konten, in denen die begebenen Wertpapiere verbucht sind, und die Abwicklung praktisch aller Wertpapiergeschäfte sorgen. Zentralverwahrer sind durch das Unionsrecht konkret zu regulieren und unterliegen insbesondere der Zulassung und bestimmten Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit. Gleichwohl können Zentralverwahrer neben den im Unionsrecht genannten Hauptdienstleistungen Wertpapierdienstleistungen erbringen und Anlagetätigkeiten ausüben, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen. Um dafür zu sorgen, dass alle Einrichtungen, die Wertpapierdienstleistungen erbringen und Anlagetätigkeiten ausüben, demselben Rechtsrahmen unterliegen, sollte sichergestellt werden, dass solche Zentralverwahrer den Vorschriften dieser Richtlinie über die Zulassung und bestimmte Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit nicht unterliegen, sondern das Unionsrecht zur Regulierung der Zentralverwahrer sollte als solches gewährleisten, dass sie den Bestimmungen dieser Richtlinie unterliegen, wenn sie neben den in jenem Unionsrecht aufgeführten Dienstleistungen Wertpapierdienstleistungen erbringen und Anlagetätigkeiten ausüben. (42) Um den Anlegerschutz in der Union zu stärken, ist es sinnvoll, die Bedingungen zu beschränken, unter denen Mitgliedstaaten Personen, die Wertpapierdienstleistungen für Kunden erbringen, von der Anwendung dieser Richtlinie ausnehmen können, da diese Kunden demzufolge nicht durch diese Richtlinie geschützt sind. Insbesondere ist es zweckmäßig, von den Mitgliedstaaten zu verlangen, Anforderungen an diese Personen zu stellen, die zumindest zu denen dieser Richtlinie analog sind, insbesondere in der Zulassungsphase, bei der Bewertung ihres Leumunds und ihrer Erfahrung sowie der Eignung von Gesellschaftern, bei der Überprüfung der Voraussetzungen für die Erteilung der Erstzulassung und bei der laufenden Überwachung sowie hinsichtlich der Wohlverhaltensregeln. Zudem sollten die von der Anwendung dieser Richtlinie ausgenommenen Personen einem Anlegerentschädigungssystem in Einklang mit der Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates19 angeschlossen sein oder über eine Berufshaftpflichtversicherung verfügen, die ihren Kunden in den unter jene Richtlinie fallenden Situationen einen gleichwertigen Schutz bietet. (43) Eine Wertpapierfirma, die eine oder mehrere von ihrer Zulassung nicht abgedeckte Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten erbringt, sollte keine zusätzliche Zulassung gemäß dieser Richtlinie benötigen, wenn sie diese nicht regelmäßig erbringt bzw. ausübt. (44) Für die Zwecke dieser Richtlinie sollte die Tätigkeit der Annahme und Übermittlung von Aufträgen auch die Zusammenführung von zwei oder mehr Anlegern umfassen, durch die ein Geschäftsabschluss zwischen diesen Anlegern ermöglicht wird. (45) Wertpapierfirmen und Kreditinstitute, die Finanzinstrumente vertreiben, die sie selbst ausgeben, sollten von dieser Richtlinie erfasst werden, wenn sie Anlageberatung für ihre

19 ABl. L 84 vom 26. 3. 1997, S. 22.

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Kunden leisten. Um Unklarheiten zu beseitigen und den Anlegerschutz zu stärken, ist es zweckmäßig, die Anwendung dieser Richtlinie vorzusehen, wenn auf dem Primärmarkt Wertpapierfirmen und Kreditinstitute von ihnen selbst ausgegebene Finanzinstrumente vertreiben, ohne dabei Beratung zu leisten. Zu diesem Zweck sollte die Begriffsbestimmung für die Dienstleistung der „Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden“ ausgedehnt werden. (46) Die Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung und der Kontrolle durch den Herkunftsmitgliedstaat erfordern, dass die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats die Zulassung entweder nicht erteilen oder entziehen sollten, wenn aus Umständen wie dem Inhalt des Geschäftsplans, der geografischen Ansiedlung oder der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit unzweifelhaft hervorgeht, dass eine Wertpapierfirma die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats in der Absicht gewählt hat, sich den strengeren Normen eines anderen Mitgliedstaats zu entziehen, in dessen Hoheitsgebiet sie den überwiegenden Teil ihrer Tätigkeit ausübt oder auszuüben beabsichtigt. Eine Wertpapierfirma, die eine juristische Person ist, sollte in dem Mitgliedstaat zugelassen werden, in dem sie ihren Sitz hat. Eine Wertpapierfirma, die keine juristische Person ist, sollte in dem Mitgliedstaat zugelassen werden, in dem sich ihre Hauptverwaltung befindet. Im Übrigen sollten die Mitgliedstaaten verlangen, dass die Hauptverwaltung einer Wertpapierfirma sich stets in ihrem Herkunftsmitgliedstaat befindet und dort tatsächlich tätig ist. (47) Mit der Richtlinie 2007/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates20 wurden detaillierte Kriterien für die aufsichtsrechtliche Beurteilung eines beabsichtigten Erwerbs einer Wertpapierfirma und ein Verfahren für ihre Anwendung festgelegt. Um Rechtssicherheit, Klarheit und Vorhersehbarkeit in Bezug auf den Beurteilungsprozess und das entsprechende Ergebnis zu schaffen, sollten die Kriterien und der Prozess der aufsichtsrechtlichen Beurteilung, wie sie in jener Richtlinie festgelegt sind, bestätigt werden. Insbesondere sollten die zuständigen Behörden die Eignung des interessierten Erwerbers und die finanzielle Solidität des beabsichtigten Erwerbs im Hinblick auf sämtliche folgende Kriterien prüfen: die Zuverlässigkeit des interessierten Erwerbers, die Zuverlässigkeit und die Erfahrung einer jeden Person, die die Geschäfte der Wertpapierfirma infolge des beabsichtigten Erwerbs leiten wird; die finanzielle Solidität des interessierten Erwerbers; die Fähigkeit der Wertpapierfirma, den Aufsichtsanforderungen aufgrund dieser Richtlinie und aufgrund anderer Richtlinien, insbesondere der Richtlinien 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates21 und 2013/36/EU, zu genügen; die Tatsache, ob ein hinreichender Verdacht besteht, dass Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates22 stattfinden, stattgefunden haben oder ob diese Straftaten versucht wurden bzw. ob der beabsichtigte Erwerb das Risiko eines solchen Verhaltens erhöhen könnte. (48) Eine in ihrem Herkunftsmitgliedstaat zugelassene Wertpapierfirma sollte berechtigt sein, in der gesamten Union Wertpapierdienstleistungen zu erbringen oder Anlagetätigkeiten auszuüben, ohne eine gesonderte Zulassung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem sie diese Leistungen zu erbringen oder Tätigkeiten auszuüben wünscht, einholen zu müssen.

20 ABl. L 247 vom 21. 9. 2007, S. 1. 21 ABl. L 35 vom 11. 02. 2003, S. 1. 22 ABl. L 309 vom 25. 11. 2005, S. 15.

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(49) Da bestimmte Wertpapierfirmen von bestimmten Verpflichtungen gemäß der Richtlinie 2013/36/EU ausgenommen sind, sollten sie zu einer Mindestkapitalausstattung oder zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung oder einer Kombination von beiden verpflichtet sein. Bei den Anpassungen der Beträge dieser Versicherung sollte den Anpassungen Rechnung getragen werden, die im Rahmen der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates23 vorgenommen werden. Diese besondere Behandlung für die Zwecke der angemessenen Eigenkapitalausstattung sollte von Beschlüssen in Bezug auf die zweckmäßige Behandlung dieser Firmen im Rahmen der künftigen Änderungen des Rechts der Union über die angemessene Eigenkapitalausstattung nicht berührt werden. (50) Da der Anwendungsbereich der Aufsichtsvorschriften auf jene Rechtspersönlichkeiten beschränkt werden sollte, die aufgrund der Tatsache, dass sie ein professionelles Handelsbuch führen, Quelle eines Gegenparteirisikos für andere Marktteilnehmer sind, sollten Rechtspersönlichkeiten vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden, die für eigene Rechnung mit anderen Finanzinstrumenten als Warenderivaten, Emissionszertifikaten oder Derivaten davon handeln, unter der Voraussetzung, dass es sich bei ihnen nicht um Market-Maker handelt, sie bei der Ausführung von Kundenaufträgen nicht für eigene Rechnung Handel treiben, sie keine Mitglieder oder Teilnehmer eines geregelten Markts oder MTF sind, sie keinen direkten elektronischen Zugang zu einem Handelsplatz haben und keine hochfrequente algorithmische Handelstechnik anwenden. (51) Um die Eigentumsrechte des Anlegers an Wertpapieren und andere eigentumsähnliche Rechte sowie die Rechte des Anlegers an den der Wertpapierfirma anvertrauten Geldern zu schützen, sollten diese Rechte insbesondere von den Rechten der Wertpapierfirma abgegrenzt werden. Dieser Grundsatz sollte eine Wertpapierfirma jedoch nicht hindern, im eigenen Namen, aber im Interesse des Anlegers zu handeln, wenn dies aufgrund der besonderen Natur des Geschäfts erforderlich ist und der Anleger dazu seine Zustimmung erteilt hat, z. B. bei Wertpapierleihgeschäften. (52) Die Anforderungen an den Schutz der Vermögenswerte von Kunden sind ein entscheidendes Instrument, um Kunden bei der Erbringung von Dienstleistungen und der Ausübung von Tätigkeiten zu schützen. Eine Befreiung von diesen Anforderungen ist möglich, wenn zur Deckung bestehender oder künftiger, tatsächlicher, möglicher oder voraussichtlicher Verbindlichkeiten das uneingeschränkte Eigentum an Geldern und Finanzinstrumenten oder Geldern auf eine Wertpapierfirma übertragen wird. Diese weit gefasste Möglichkeit kann zu Unsicherheiten führen und die Effektivität der Anforderungen hinsichtlich der Sicherung von Kundenvermögen gefährden. Zumindest wenn es um die Vermögenswerte von Kleinanlegern geht, sollte daher die Möglichkeit von Wertpapierfirmen begrenzt werden, Finanzsicherheiten in Form der Vollrechtsübertragung im Sinne der Richtlinie 2002/ 47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates24 zum Zwecke der Besicherung oder anderweitigen Deckung von Verbindlichkeiten abzuschließen. (53) Um eine solide und umsichtige Führung von Wertpapierfirmen zu gewährleisten und die Marktintegrität und das Interesse der Anleger zu fördern, ist es notwendig, die Rolle der Leitungsorgane von Wertpapierfirmen, geregelten Märkten und Datenbereitstellungsdiensten zu stärken. Das Leitungsorgan von Wertpapierfirmen, geregelten Märkten und

23 ABl. L 9 vom 15. 1. 2003, S. 3. 24 ABl. L 168 vom 27. 6. 2002, S. 43.

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Datenbereitstellungsdiensten sollte stets genügend Zeit aufwenden und kollektiv ausreichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzen, die zum Verständnis der Tätigkeiten der Wertpapierfirma samt ihrer Hauptrisiken erforderlich sind. Um Gruppendenken zu vermeiden und den Mitgliedern der Leitungsorgane eine unabhängige Meinungsbildung und kritisches Hinterfragen von Management-Entscheidungen zu erleichtern, sollten diese Organe in Bezug auf Alter, Geschlecht, geografische Herkunft sowie Ausbildungs- und Berufshintergrund deshalb so zusammengesetzt sein, dass vielfältige Auffassungen und Erfahrungen vertreten sind. Die Arbeitnehmervertretung in Leitungsorganen könnte ebenfalls als positive Möglichkeit zur Verbesserung der Diversität gesehen werden, da hiermit zusätzlich eine wichtige Perspektive und echtes Wissen über die interne Arbeitsweise der Firmen geboten werden. Aus diesem Grund sollte eines der Kriterien für die Zusammensetzung von Leitungsorganen die Diversität sein. Firmen sollten auch bei ihrer allgemeineren Einstellungspolitik auf Diversität achten. Eine solche Politik sollte beispielsweise Firmen ermutigen, Kandidaten von Vorschlagslisten auszuwählen, die Bewerber beider Geschlechter enthalten. Im Interesse eines kohärenten Ansatzes zur Corporate Governance ist es wünschenswert, die Anforderungen an Wertpapierfirmen so weit wie möglich an die in der Richtlinie 2013/36/EU enthaltenen Anforderungen anzugleichen. (54)–(58) Zu Aufsichtsregeln, deren Wortlaut unten nicht abgedruckt. (59) Der Einsatz von Technologie für den Handel hat sich in den letzten zehn Jahren erheblich weiterentwickelt und ist mittlerweile unter den Marktteilnehmern weit verbreitet. Viele Markteilnehmer nutzen inzwischen den algorithmischen Handel, bei dem ein Computeralgorithmus einzelne Aspekte eines Auftrags mit minimalem oder völlig ohne Eingreifen des Menschen automatisch bestimmt. Die sich aus dem algorithmischen Handel ergebenden Risiken sollten reguliert werden. Allerdings stellt die Benutzung von Algorithmen bei der Nachhandelsbearbeitung ausgeführter Geschäfte keinen algorithmischen Handel dar. Eine Wertpapierfirma, die in Verfolgung einer Market-Making-Strategie algorithmischen Handel betreibt, sollte dieses Market-Making kontinuierlich während eines festgelegten Teils der Handelszeiten des Handelsplatzes durchführen. In technischen Regulierungsstandards sollte präzisiert werden, was unter einem festgelegten Teil der Handelszeiten des Handelsplatzes zu verstehen ist, wobei sichergestellt werden sollte, dass dieser festgelegte Teil gemessen an der Gesamthandelszeit erheblich ist. Dabei sollten auch die Liquidität, der Umfang und die Art des konkreten Markts und die Merkmale des gehandelten Finanzinstruments berücksichtigt werden. (60) Wertpapierfirmen, die eine Market-Making-Strategie unter Einsatz von algorithmischem Handel verfolgen, sollten über geeignete Systeme und Kontrollen für diese Tätigkeit verfügen. Eine solche Tätigkeit sollte in ihrem spezifischen Kontext und Zweck verstanden werden. Die Definition einer solchen Tätigkeit erfolgt daher unabhängig von Definition wie jener von „Market-Making-Tätigkeiten“ in der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates.25 (61) Eine Sonderform des algorithmischen Handels ist der algorithmische Hochfrequenzhandel, bei dem ein Handelssystem Daten oder Signale des Marktes in hoher Geschwindigkeit analysiert und anschließend innerhalb einer sehr kurzen Zeit als Reaktion auf diese Analyse Aufträge in großer Anzahl sendet oder aktualisiert. Insbesondere kann der algorith-

25 ABl. L 86 vom 24. 3. 2012, S. 1.

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mische Hochfrequenzhandel Merkmale aufweisen wie die Einleitung, Erstellung, Weiterleitung und Ausführung von Aufträgen, die für jedes einzelne Geschäft oder jeden einzelnen Auftrag von einem System ohne menschliche Beteiligung bestimmt werden, eine kurze Frist für das Eingehen und Auflösen von Positionen, einen hohen täglichen Portfolioumsatz, einen sehr hohen taggleichen Anteil an Aufträgen im Verhältnis zu Geschäftsabschlüssen und den Schluss des Börsentags mit einer weitgehend ausgeglichenen Position. Der algorithmische Hochfrequenzhandel ist unter anderem durch eine hohe Anzahl von Vorgängen (Aufträge, Kursofferten oder Stornierungen) innerhalb eines Tages gekennzeichnet. Bei der Festlegung, was als hohe Anzahl von Vorgängen innerhalb eines Tages zu betrachten ist, sollten die Identität des letztlich hinter den Vorgängen stehenden Kunden, die Dauer des Beobachtungszeitraums, das Verhältnis zum gesamten Marktgeschehen während dieses Zeitraums und die relative Konzentration oder Fragmentierung des Handelsgeschehens berücksichtigt werden. Der algorithmische Hochfrequenzhandel wird in der Regel von Händlern betrieben, die ihr eigenes Kapital für den Handel einsetzen, und ist keine Strategie an sich, sondern vielmehr der Einsatz ausgefeilter Technologie zur Umsetzung traditionellerer Handelsstrategien wie Market-Making oder Arbitrage. (62) Technische Fortschritte haben den Hochfrequenzhandel und die Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen ermöglicht. Der Hochfrequenzhandel wird dadurch erleichtert, dass Marktteilnehmer ihre Systeme gemeinsam in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einer Matching-Maschine eines Handelsplatzes unterbringen („Co-Location“). Um ordnungsgemäße und faire Handelsbedingungen zu gewährleisten, sollten die Handelsplätze verpflichtet werden, solche Co-Location-Dienste auf einer nichtdiskriminierenden, fairen und transparenten Grundlage anzubieten. Der Einsatz von Technologie für den Handel hat die Geschwindigkeit, Kapazität und Komplexität erhöht, mit der Anleger Handel betreiben. Außerdem wurde es den Marktteilnehmern möglich, ihren Kunden durch die Nutzung ihrer Handelssysteme, durch direkten Marktzugang oder geförderten Zugang leichter einen direkten elektronischen Zugang zu den Märkten zu gewähren. Die Handelstechnologie hat Vorteile für den Markt und die Marktteilnehmer im Allgemeinen gebracht, etwa eine größere Beteiligung an den Märkten, erhöhte Liquidität, engere Spreads, verringerte kurzfristige Volatilität und die Mittel, mit denen die Ausführung von Kundenaufträgen verbessert wird. Doch diese Handelstechnologie birgt auch eine Reihe potenzieller Risiken, wie die erhöhte Gefahr der Überlastung der Systeme von Handelsplätzen infolge großer Mengen an Aufträgen oder das Risiko, dass der algorithmische Handel zu doppelten oder irrtümlichen Aufträgen oder sonstigen Fehlleistungen führt, so dass es zu Störungen auf dem Markt kommen kann. Daneben besteht das Risiko, dass algorithmische Handelssysteme auf andere Marktereignisse überreagieren, was die Volatilität verschärfen kann, wenn es schon vorher ein Marktproblem gegeben hat. Schließlich können durch den algorithmischen Handel oder die hochfrequenten algorithmischen Handelstechniken selbst — wie bei jeder anderen Form des Handels — bestimmte Verhaltensformen entstehen, die nach der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 verboten sind. Der Hochfrequenzhandel könnte auch wegen des Informationsvorteils, über den Hochfrequenzhändler verfügen, dazu führen, dass sich Anleger dafür entscheiden, Handelsgeschäfte an Handelsplätzen auszuführen, an denen sie eine Interaktion mit Hochfrequenzhändlern vermeiden können. Es ist sachgerecht, Methoden des algorithmischen Hochfrequenzhandels, die sich bestimmter spezifischer Merkmale bedienen, einer besonderen aufsichtlichen Überwachung zu unterwerfen. Wenn es sich hierbei auch überwiegend um Methoden handelt, bei denen es um Handel für eigene Rechnung geht, sollte eine solche Überwachung auch dann gelten, wenn die Ausführung

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der Methode in einer Weise strukturiert ist, dass vermieden wird, dass die Ausführung für eigene Rechnung erfolgt. (63) Diese potenziellen Risiken aus dem verstärkten Einsatz von Technologie werden am besten dadurch eingedämmt, dass Maßnahmen und spezielle Risikokontrollen, die auf Firmen ausgerichtet sind, die algorithmischen oder hochfrequente algorithmische Handelstechniken anwenden und solche, die einen direkten elektronischen Zugang bereitstellen, kombiniert werden mit anderen Maßnahmen, die Betreibern von Handelsplätzen gelten, an denen solche Firmen aktiv sind. Um die Widerstandsfähigkeit von Märkten angesichts technologischer Entwicklungen zu stärken, sollten sich diese Maßnahmen an den im Februar 2012 von der durch die Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates26 errichteten Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde) (ESMA) herausgegebenen technischen Leitlinien mit dem Titel „Guidelines on systems and controls in an automated trading environment for trading platforms, investment firms and competent authorities“ (ESMA/2012/122 (EN)) orientieren und darauf aufbauen. Es ist erstrebenswert, dass alle Firmen, die algorithmischen Hochfrequenzhandel betreiben, zugelassen sein müssen. Eine derartige Zulassung sollte gewährleisten, dass die Firmen den organisatorischen Anforderungen der Richtlinie unterliegen und ordnungsgemäß beaufsichtigt werden. Allerdings sollten nach dem Unionsrecht für den Finanzsektor zugelassene und beaufsichtigte Unternehmen, die vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind, aber dennoch algorithmische oder hochfrequente algorithmische Handelstechniken anwenden, nicht verpflichtet sein, eine Zulassung nach dieser Richtlinie zu erlangen, und nur den Maßnahmen und Kontrollen unterliegen, die darauf ausgerichtet sind, das sich aus diesen Handelsarten ergebende spezifische Risiko zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang sollte die ESMA eine wichtige Rolle bei der Koordinierung spielen und angemessene Tick-Größen festlegen, damit geordnet funktionierende Märkte auf Unionsebene sichergestellt werden können. (64) Sowohl Wertpapierfirmen als auch Handelsplätze sollten dafür sorgen, dass mit soliden Vorkehrungen verhindert wird, dass algorithmische oder hochfrequente algorithmische Handelstechniken zu Störungen auf den Märkten führen und zu missbräuchlichen Zwecken genutzt werden können. Handelsplätze sollten außerdem sicherstellen, dass ihre Handelssysteme widerstandsfähig und korrekt getestet sind, um erhöhtem Auftragsaufkommen oder Marktbelastungen standzuhalten, und dass es Notfallsicherungen an Handelsplätzen gibt, um den Handel vorübergehend anzuhalten oder einzuschränken, wenn es zu plötzlichen, unerwarteten Preisschwankungen kommt. (65) Ferner muss sichergestellt werden, dass die Gebührenstrukturen der Handelsplätze transparent, nichtdiskriminierend und fair sind und dass sie nicht so konzipiert sind, dass sie Marktstörungen begünstigen. Deshalb ist es zweckmäßig, Handelsplätzen die Möglichkeit zu geben, ihre Gebühren für stornierte Aufträge an die Zeitspanne anzupassen, in der der Auftrag aufrechterhalten wurde, und austarierte Gebühren für jedes Finanzinstrument festzulegen, für das sie gelten. Die Mitgliedstaaten sollten außerdem Handelsplätzen erlauben können, höhere Gebühren für die Erteilung von Aufträgen, die später storniert werden, oder Teilnehmern, bei denen der Anteil stornierter Aufträge hoch ist, oder solchen Teilnehmern zu berechnen, die eine hochfrequente algorithmische Handelstechnik anwenden, um der zusätzlichen Belastung der Systemkapazität, ohne dass andere Marktteilnehmer notwendigerweise davon profitieren, Rechnung zu tragen.

26 ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 84.

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(66) Neben den Maßnahmen zu algorithmischen oder hochfrequenten algorithmischen Handelstechniken ist es sinnvoll, die Bereitstellung eines direkten elektronischen Zugangs zu Märkten durch Wertpapierfirmen für ihre Kunden zu verbieten, wenn dieser Zugang nicht ordnungsgemäßen Systemen und Kontrollen unterliegt. Unabhängig von der Form des bereitgestellten direkten elektronischen Zugangs sollten Firmen, die einen solchen Zugang bereitstellen, die Eignung von Kunden, die diesen Dienst in Anspruch nehmen, beurteilen und überprüfen und dafür sorgen, dass die Nutzung des Dienstes Risikokontrollen unterliegt; zudem sollten diese Firmen weiterhin die Verantwortung für Handelsaufträge tragen, die ihre Kunden unter Nutzung ihrer Systeme oder ihrer Handelscodes erteilen. Die organisatorischen Anforderungen an diese neuen Formen des Handels sollten ausführlicher in technischen Regulierungsstandards vorgeschrieben werden. Dadurch sollte sichergestellt sein, dass die Anforderungen geändert werden können, falls dies infolge weiterer Innovationen und Entwicklungen in diesem Bereich erforderlich ist. (67) Damit wirksame Beaufsichtigung gewährleistet ist und die zuständigen Behörden rechtzeitig geeignete Maßnahmen gegen fehlerhafte oder betrügerische algorithmische Strategien ergreifen können, sollten alle durch algorithmischen Handel generierten Aufträge gekennzeichnet werden. Anhand der Kennzeichnung werden die zuständigen Behörden Aufträge, die durch verschiedene Algorithmen generiert wurden, ermitteln und voneinander unterscheiden und die von algorithmischen Händlern angewandten Strategien effizient rekonstruieren und evaluieren können. Dadurch sollte sich das Risiko verringern, dass Aufträge in nicht unzweideutiger Weise einer bestimmten algorithmischen Strategie oder einem Händler zugeordnet werden. Werden die Aufträge gekennzeichnet, können die zuständigen Behörden effizient und wirksam gegen algorithmische Handelsstrategien vorgehen, die zu missbräuchlichen Zwecken angewendet werden oder das geordnete Funktionieren des Markts gefährden. (68) Um sicherzustellen, dass die Marktintegrität angesichts der technologischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten gewahrt wird, sollte die ESMA regelmäßig das Fachwissen nationaler Sachverständiger im Bereich von Entwicklungen im Zusammenhang mit Handelstechnologien in Anspruch nehmen, einschließlich Hochfrequenzhandel und neuer Praktiken, die einen Marktmissbrauch darstellen könnten, damit wirksame Strategien für die Verhinderung und die Bekämpfung eines solchen Missbrauchs ermittelt und gefördert werden können. (69) In der Union sind derzeit eine Vielzahl von Handelsplätzen tätig; an einigen davon werden dieselben Finanzinstrumente gehandelt. Mit Blick auf die potenziellen Risiken für die Anlegerinteressen ist es notwendig, die Schritte zu formalisieren und weiter zu koordinieren, die im Zusammenhang mit den Folgen für den Handel an anderen Handelsplätzen ergriffen werden, wenn eine Wertpapierfirma oder ein Marktbetreiber, die bzw. der einen Handelsplatz betreibt, beschließt, ein Finanzinstrument vorübergehend oder endgültig vom Handel auszuschließen. Im Interesse der Rechtssicherheit und im Hinblick auf einen angemessenen Umgang mit Interessenkonflikten bei der Entscheidung, Finanzinstrumente vom Handel auszuschließen oder den Handel damit auszusetzen, sollte sichergestellt werden, dass wenn eine Wertpapierfirma oder ein Marktbetreiber, die bzw. der einen Handelsplatz betreibt, den Handel anhält, weil ihre bzw. seine Vorschriften nicht eingehalten werden, die anderen dieser Entscheidung folgen, wenn ihre zuständigen Behörden dies beschließen, es sei denn, dass außergewöhnliche Umstände die Fortsetzung des Handels rechtfertigen. Darüber hinaus ist es notwendig, den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden zu formalisieren und zu verbessern, wenn es darum geht, Finanzinstrumente vorübergehend oder endgültig vom Handel an

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einem Handelsplatz auszuschließen. An den Finanzmärkten ist die Zahl der Anleger mittlerweile größer geworden. Diese Vorkehrungen sollten so angewandt werden, dass die Handelsplätze daran gehindert werden, Informationen, die im Zusammenhang mit der Aussetzung des Handels mit einem Finanzinstrument oder mit dessen Ausschluss vom Handel übermittelt werden, für kommerzielle Zwecke zu nutzen. (70) Auf den Finanzmärkten ist die Zahl der Anleger mittlerweile größer geworden; ihnen wird eine immer komplexere, weit reichende Palette von Dienstleistungen und Instrumenten angeboten; angesichts dieser Entwicklungen ist es notwendig, für eine gewisse Harmonisierung zu sorgen, damit den Anlegern in der gesamten Union ein hohes Schutzniveau geboten wird. Als die Richtlinie 2004/39/EG verabschiedet wurde, war es infolge der wachsenden Abhängigkeit der Anleger von persönlichen Empfehlungen erforderlich, die Anlageberatung als eine Wertpapierdienstleistung aufzunehmen, die einer Zulassung bedarf und die speziellen Wohlverhaltensregeln unterliegt. Da persönliche Empfehlungen für Kunden weiterhin relevant sind und die Komplexität der Dienstleistungen und Instrumente zunimmt, ist es notwendig, die Wohlverhaltensregeln zu verschärfen, um den Anlegerschutz zu stärken. (71) Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass Wertpapierfirmen im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden tätig und in der Lage sind, ihre Pflichten nach dieser Richtlinie zu erfüllen. Wertpapierfirmen sollten deshalb die Merkmale angebotener oder empfohlener Finanzinstrumente verstehen und wirksame Maßnahmen und Vorkehrungen treffen und überprüfen, um die Kundengattung zu bestimmen, der Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden sollen. Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass Wertpapierfirmen, die Finanzinstrumente konzipieren, sicherstellen, dass diese Produkte so beschaffen sind, dass sie den Bedürfnissen des bestimmten Zielmarktes von Endkunden innerhalb der jeweiligen Kundengattung entsprechen, dass sie zumutbare Schritte unternehmen um zu gewährleisten, dass die Finanzinstrumente an den bestimmten Zielmarkt vertrieben werden und dass sie die Bestimmung des Zielmarktes und die Wertentwicklung der von ihnen angebotenen Produkte regelmäßig überprüfen. Wertpapierfirmen, die Kunden Finanzinstrumente anbieten oder empfehlen, die nicht von ihnen hergestellt wurden, sollten über geeignete Vorkehrungen verfügen, um die entsprechenden Informationen bezüglich des Produktgenehmigungsverfahrens einzuholen und zu verstehen, einschließlich des bestimmten Zielmarkts und der Merkmale des von ihnen angebotenen oder empfohlenen Produkts. Diese Pflicht sollte unbeschadet einer etwaigen Beurteilung der Angemessenheit oder Eignung gelten, die später durch die Wertpapierfirma bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen für die einzelnen Kunden auf der Grundlage ihres persönlichen Bedarfs sowie ihrer persönlichen Merkmale und Ziele durchgeführt wird. Um sicherzustellen, dass Finanzinstrumente nur angeboten oder empfohlen werden, wenn dies im Interesse des Kunden liegt, sollten Wertpapierfirmen, die das Produkt anbieten oder empfehlen, das durch Firmen, die nicht den Anforderungen an die Produktüberwachung nach dieser Richtlinie unterliegen, oder durch Firmen aus einem Drittland konzipiert wurde, ebenfalls über geeignete Vorkehrungen verfügen, um ausreichende Informationen über die Finanzinstrumente zu erhalten. (72) Um Anlegern sämtliche relevanten Informationen an die Hand zu geben, sollte von Wertpapierfirmen, die Anlageberatung leisten, verlangt werden, dass sie die Kosten der Beratung offen legen und klarstellen, auf welcher Grundlage sie die Beratung leisten, insbesondere die Palette an Produkten, die sie bei der Abgabe von persönlichen Empfehlungen für den Kunden in Betracht ziehen, ob die Beratung unabhängig geleistet wird und ob sie

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dem Kunden eine regelmäßige Beurteilung über die Eignung der Finanzinstrumente bieten, die den Kunden empfohlen werden. Zudem sollte von Wertpapierfirmen verlangt werden, dass sie ihren Kunden die Gründe für die Empfehlung erläutern, die sie ihnen geben. (73) Um den Rechtsrahmen für die Leistung von Anlageberatung weiter auszugestalten und dabei gleichzeitig Wertpapierfirmen und Kunden Wahlmöglichkeiten zu lassen, ist es zweckmäßig, die Bedingungen für die Erbringung dieser Dienstleistung festzulegen, wenn Wertpapierfirmen ihre Kunden darüber informieren, dass die Dienstleistung unabhängig erbracht wird. Wird die Beratung unabhängig geleistet, sollte eine ausreichend breite Palette an Produkten unterschiedlicher Produktanbieter bewertet werden, bevor eine persönliche Empfehlung abgegeben wird. Es ist nicht notwendig, dass der Berater die auf dem Markt verfügbaren Anlageprodukte aller Produktanbieter oder Emittenten prüft, jedoch sollte die Palette an Finanzinstrumenten nicht auf Finanzinstrumente beschränkt sein, die von Einrichtungen emittiert oder angeboten wurden, die in enger Verbindung zu der Wertpapierfirma stehen oder andere rechtliche oder wirtschaftliche Verbindungen, wie etwa Vertragsbeziehungen, zu dieser unterhalten, die so eng sind, dass sie die Unabhängigkeit der Beratung gefährden. (74) Um den Anlegerschutz zu stärken und um zu erreichen, dass Kunden hinsichtlich der für sie erbrachten Dienstleistung besser aufgeklärt sind, sollte auch die Möglichkeit für Wertpapierfirmen, die unabhängige Anlageberatung und Portfolioverwaltung anbieten, eingeschränkt werden, Gebühren, Provisionen oder andere monetäre und nichtmonetäre Vorteile von Dritten oder für Dritte, insbesondere von Emittenten oder Produktanbietern, anzunehmen und einzubehalten. Dies bedeutet, dass alle Gebühren, Provisionen oder anderen monetären Vorteile, die durch einen Dritten gezahlt oder gewährt werden, durch die Firma in vollem Umfang an die Kunden sobald wie möglich nach Eingang dieser Zahlungen erstattet werden müssen, und der Firma sollte nicht gestattet sein, etwaige Zahlungen von Dritten von den Gebühren, die der Kunde der Firma schuldet, abzuziehen. Der Kunde sollte zutreffend und gegebenenfalls regelmäßig über alle Gebühren, Provisionen und Vorteile unterrichtet werden, die die Firma im Zusammenhang mit der Anlageberatung, die sie dem Kunden geleistet hat, erhalten und auf ihn übertragen hat. Firmen, die Anlageberatung leisten und Portfolioverwaltung zur Verfügung stellen, sollten als Teil ihrer organisatorischen Anforderungen Verfahrensgrundsätze aufzustellen, durch die sichergestellt wird, dass eingegangene Zahlungen Dritter den Kunden zugewiesen und auf sie übertragen werden. Lediglich geringfügige nichtmonetäre Vorteile sollten unter der Voraussetzung erlaubt sein, dass sie dem Kunden unmissverständlich offengelegt werden, die Qualität der Dienstleistungserbringung verbessern können und sie nicht vermuten lassen, dass die Fähigkeit von Wertpapierfirmen, im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln, hiervon beeinträchtigt wird. (75) Bei der unabhängigen Anlageberatung und der Portfolioverwaltung sollten Gebühren, Provisionen und nicht monetäre Vorteile, die von einer Person im Namen des Kunden gezahlt oder gewährt werden, nur insofern zulässig sein, als sich die Person darüber bewusst ist, dass solche Zahlungen im Namen der Person getätigt wurden, und dass der Betrag und die Häufigkeit etwaiger Zahlungen zwischen dem Kunden und der Wertpapierfirma vereinbart und nicht durch einen Dritten bestimmt wurden. Zu den Fällen, die diese Anforderung erfüllen würden, gehört der Fall, dass ein Kunde die Rechnung einer Firma direkt bezahlt oder dass sie von einem unabhängigen Dritten bezahlt wird, der keine Verbindung zu der Wertpapierfirma hinsichtlich der dem Kunden erbrachten Wertpapierdienstleistung aufweist und nur auf Anweisungen des Kunden hin tätig wird, sowie Fälle, in denen der Kunde die Gebühr für eine durch die Wertpapierfirma erbrachte Dienstleis-

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tung aushandelt und diese Gebühr bezahlt. Dies wäre in der Regel der Fall bei Wirtschaftsprüfern oder Rechtsanwälten, die nach einer eindeutigen Zahlungsanweisung des Kunden tätig werden, oder wenn eine Person als reine zwischengeschaltete Stelle für die Zahlung tätig wird. Diese Richtlinie legt die Bedingungen und Verfahren fest, die die Mitgliedstaaten einhalten müssen, wenn sie zusätzliche Anforderungen vorschreiben wollen. Zu diesen Anforderungen kann gehören, dass das Anbieten oder Annehmen von Gebühren, Provisionen oder anderen monetären oder nichtmonetären Vorteilen einer dritten Partei oder einer Person, die im Namen einer dritten Partei handelt, für die Erbringung von Dienstleistungen an Kunden verboten oder weiter eingeschränkt wird. Um die Verbraucher zusätzlich zu schützen, sollte auch dafür gesorgt werden, dass Wertpapierfirmen die Leistung ihrer Mitarbeiter nicht in einer Weise vergüten oder bewerten, die mit ihrer Pflicht, im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln, kollidiert, beispielsweise durch Vergütung, Verkaufsziele oder in anderer Weise, wodurch Anreize geschaffen werden, ein bestimmtes Finanzinstrument zu empfehlen oder zu verkaufen, obwohl ein anderes Produkt den Bedürfnissen des Kunden besser entspräche. Werden ausreichende Informationen über die Kosten und Nebenkosten oder die Risiken bezüglich des Finanzinstruments im Einklang mit anderem Unionsrecht erteilt, sollten diese Informationen für die Zwecke der Erteilung von Informationen an Kunden nach dieser Richtlinie als angemessen betrachtet werden. Allerdings sollten Wertpapierfirmen oder Kreditinstitute, die dieses Finanzinstrument vertreiben, zusätzlich ihre Kunden über alle sonstigen Kosten und Nebenkosten im Zusammenhang mit ihrer Erbringung von Wertpapierdienstleistungen im Zusammenhang mit diesem Finanzinstrument unterrichten. Da es sich bei Anlageprodukten um hochkomplexe Produkte handelt und ihre Ausgestaltung kontinuierlicher Innovation unterliegt, ist es auch wichtig, dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter, die Anlageprodukte Kleinanlegern verkaufen, ein angemessenes Kenntnisund Kompetenzniveau in Bezug auf die angebotenen Produkte haben. Wertpapierfirmen sollten ihren Mitarbeitern ausreichend Zeit und Ressourcen zur Verfügung stellen, um diese Kenntnis und Kompetenz zu erlangen und sie anzuwenden, wenn sie Kundendienstleistungen erbringen. Wertpapierfirmen ist es gestattet, Wertpapierdienstleistungen, die lediglich in der Ausführung von Kundenaufträgen und/oder der Annahme und Übermittlung von Kundenaufträgen bestehen, zu erbringen, ohne Angaben über die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden einholen zu müssen, um die Eignung der Dienstleistung oder des Finanzinstruments für den Kunden zu bewerten. Da diese Dienstleistungen eine erhebliche Einschränkung des Schutzes des Kunden zur Folge haben, sollten die Bedingungen für die Erbringung verschärft werden. Insbesondere sollte die Möglichkeit ausgeschlossen werden, diese Dienstleistungen in Verbindung mit der Nebendienstleistung der Gewährung von Krediten oder Darlehen an Anleger für die Durchführung von Geschäften, an denen die Wertpapierfirma beteiligt ist, zu erbringen, da dies die Komplexität des Geschäfts erhöht und es schwieriger macht, das damit verbundene Risiko zu verstehen. Ferner sollten die Kriterien für die Auswahl der Finanzinstrumente, auf die sich diese Dienstleistungen beziehen sollten, besser definiert werden, damit bestimmte Finanzinstrumente ausgeschlossen werden, einschließlich solcher Finanzinstrumente, in die ein Derivat eingebettet ist oder die eine Struktur enthalten, die es dem Kunde erschwert, die damit einhergehenden Risiken zu verstehen, Aktien von Organismen, bei denen es sich nicht um Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) handelt (Nicht-OGAW) und strukturierter

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OGAW im Sinne von Artikel 36 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 583/2010 der Kommission.27 Durch die Behandlung bestimmter OGAW als komplexe Produkte sollte künftiges Unionsrecht, durch die der Geltungsbereich solcher Produkte und die auf sie anwendbaren Regelungen festgelegt werden, nicht berührt werden. Querverkäufe sind in der gesamten Union eine übliche Strategie für Anbieter von Finanzdienstleitungen für Privatkunden. Sie können Vorteile für Kleinanleger bringen, aber auch Praktiken darstellen, bei denen das Interesse der Kunden nicht angemessen berücksichtigt wird. Zum Beispiel können bestimmte Formen von Querverkäufen, insbesondere Kopplungsgeschäfte, bei denen zwei oder mehr Finanzdienstleistungen zusammen in einem Paket verkauft werden und zumindest eine dieser Dienstleistungen nicht getrennt erhältlich ist, den Wettbewerb verzerren und die Mobilität sowie die Fähigkeit der Kunden, Entscheidungen in voller Sachkenntnis zu treffen, negativ beeinträchtigen. Ein Beispiel für ein Kopplungsgeschäft ist die Verpflichtung zur Eröffnung von Transaktionskonten, wenn eine Wertpapierdienstleistung für einen Kleinanleger erbracht wird. Während Bündelungspraktiken, bei denen zwei oder mehr Finanzdienstleistungen zusammen in einem Paket verkauft werden, die aber auch einzeln erworben werden können, den Wettbewerb zwar auch verzerren und die Mobilität sowie die Fähigkeit der Kunden, Entscheidungen in voller Sachkenntnis zu treffen, negativ beeinträchtigen können, lassen sie dem Kunden doch zumindest Wahlmöglichkeiten, so dass die Gefahr möglicherweise geringer ist, dass Wertpapierfirmen ihre Verpflichtungen aus dieser Richtlinie nicht einhalten. Der Einsatz solcher Praktiken sollte sorgfältig geprüft werden, damit der Wettbewerb gefördert und die Wahlmöglichkeiten für die Verbraucher erhöht werden. Leistet die Wertpapierfirma Anlageberatung, sollte sie in einer schriftlichen Erklärung zur Geeignetheit darlegen, wie die Empfehlung den Präferenzen, Bedürfnissen und sonstigen Merkmalen des Kleinanlegers entspricht. Die Erklärung sollte mittels eines dauerhaften Datenträgers, einschließlich in elektronischer Form, erfolgen. Die Wertpapierfirma ist dafür verantwortlich, die Geeignetheitsprüfung durchzuführen und die schriftliche Erklärung zur Geeignetheit zur Verfügung zu stellen, und es sollte angemessene Schutzmechanismen geben um sicherzustellen, dass dem Kunden keine Verluste daraus entstehen, dass in der Erklärung die persönliche Empfehlung unzutreffend oder unfair dargestellt wird, einschließlich der Frage, wie sich die abgegebene Empfehlung für den Kunden eignet sowie der Nachteile der empfohlenen Vorgehensweise. Um festzustellen, wann eine Information als rechtzeitig vor einem in dieser Richtlinie genannten Zeitpunkt erteilt gilt, sollte eine Wertpapierfirma unter Berücksichtigung der Dringlichkeit dem Umstand Rechnung tragen, dass der Kunde vor seiner Anlageentscheidung genügend Zeit benötigt, um die Information zu lesen und zu verstehen. Wahrscheinlich wird ein Kunde für die Überprüfung einer Information über ein komplexes oder ihm nicht vertrautes Produkt bzw. eine entsprechende Dienstleistung oder ein Produkt bzw. eine Dienstleistung, mit dem bzw. der er noch keine Erfahrungen gesammelt hat, mehr Zeit benötigen als ein Kunde, der ein einfacheres oder vertrauteres Produkt oder eine entsprechende Dienstleistung prüft, oder ein Kunde, der bereits über einschlägige Erfahrungen verfügt. Diese Richtlinie sollte Wertpapierfirmen in keiner Weise verpflichten, alle vorgeschriebenen Angaben über die Wertpapierfirma, Finanzinstrumente, Kosten und Nebenkosten

27 ABl. L 176 vom 10. 7. 2010, S. 1.

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oder über den Schutz der Kundenfinanzinstrumente oder Kundengelder unverzüglich und gleichzeitig zur Verfügung zu stellen, wenn sie der allgemeinen Verpflichtung genügen, die einschlägigen Informationen rechtzeitig vor dem in dieser Richtlinie festgelegten Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen. Solange diese Informationen dem Kunden rechtzeitig vor der Erbringung der Dienstleistung übermittelt werden, verpflichtet diese Richtlinie Wertpapierfirmen in keiner Weise, die Informationen entweder gesondert oder durch Aufnahme in den Vertrag mit dem Kunden zu übermitteln. (85) Eine Wertpapierdienstleistung sollte als auf Veranlassung eines Kunden erbracht angesehen werden, es sei denn, der Kunde fordert diese Leistung als Reaktion auf eine an ihn persönlich gerichtete Mitteilung der Wertpapierfirma oder im Namen dieser Firma an, mit der er zum Kauf eines bestimmten Finanzinstruments oder zum Abschluss eines bestimmten Geschäfts aufgefordert wird oder bewogen werden soll. Eine Wertpapierdienstleistung kann auch dann als auf Veranlassung des Kunden erbracht betrachtet werden, wenn der Kunde auf der Grundlage einer beliebigen Mitteilung, die Werbung oder ein Kaufangebot gleich welcher Art für Finanzinstrumente enthält und sich an das Publikum generell oder eine größere Gruppe oder Gattung von Kunden oder potenziellen Kunden richtet, diese Dienstleistung anfordert. (86) Ein Ziel dieser Richtlinie ist der Anlegerschutz. Die Vorkehrungen zum Schutz der Anleger sollten den Eigenheiten jeder Anlegerkategorie (Kleinanleger, professionelle Kunden, Gegenparteien) angepasst sein. Damit der Rechtsrahmen für die Erbringung von Dienstleistungen unabhängig von der Kategorie des betreffenden Kunden gestärkt wird, sollte allerdings deutlich herausgestellt werden, dass der Grundsatz, ehrlich, redlich und professionell zu handeln, und die Verpflichtung, fair und klar zu sein und den Anleger nicht in die Irre zu führen, in der Beziehung zu jedem Kunden gelten sollten. (87) Anlagen, die Versicherungsverträge enthalten, werden oft als Alternative zu Finanzinstrumenten, die unter diese Richtlinie fallen, oder als Ersatz dafür Kunden angeboten. Um allen Kleinanlegern den gleichen Schutz zu bieten und für ähnliche Produkte gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten, müssen Anlageprodukte aufgrund von Versicherungen angemessenen Anforderungen unterliegen. Zwar sollten die Anforderungen dieser Richtlinie in Bezug auf Anlegerschutz daher auch für Anlagen aufgrund von Versicherungsverträgen gelten, wegen ihrer unterschiedlichen Marktstrukturen und Produktmerkmale ist es aber sachgerechter, detaillierte Anforderungen lieber im Rahmen der laufenden Überarbeitung der Richtlinie 2002/92/EG als in dieser Richtlinie festzulegen. Künftiges Unionsrecht zur Regelung der Tätigkeiten von Versicherungsvermittlern und Versicherungsunternehmen sollten deshalb in geeigneter Weise für einen kohärenten Regelungsansatz beim Vertrieb der verschiedenen Finanzprodukte sicherstellen, die einen ähnlichen Anlegerbedarf decken und deshalb vergleichbare Probleme beim Anlegerschutz aufwerfen. Die durch die Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates28 errichteten Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) (EIOPA) und die ESMA sollten zusammenarbeiten, um eine möglichst weit gehende Kohärenz bei den Wohlverhaltensregeln für diese Anlageprodukte zu erreichen. Die neuen Anforderungen für Anlageprodukte aufgrund von Versicherungen sollten in der Richtlinie 2002/92/ EG festgelegt werden.

28 ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 48.

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(88) Um die Regelungen in Bezug auf Interessenkonflikte, allgemeine Grundsätze und Kundeninformationen sowie die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die Vergütung von Versicherungsvermittlern Beschränkungen zu unterwerfen, anzugleichen, sollte die Richtlinie 2002/92/EG entsprechend geändert werden. (89) Anlageprodukte aufgrund von Versicherungen, die keine Investitionsmöglichkeiten bieten, und Einlagen, die ausschließlich Zinssätzen unterliegen, sollten vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden. Individuelle und betriebliche Altersvorsorgeprodukte, deren Zweck in erster Linie darin besteht, dem Anleger im Ruhestand ein Einkommen zu gewähren, sollte angesichts ihrer Besonderheiten und Zielsetzungen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden. (90) Abweichend vom Grundsatz der Zulassung, Überwachung und Durchsetzung der Verpflichtungen in Bezug auf den Betrieb von Zweigniederlassungen durch den Herkunftsmitgliedstaat ist es zweckmäßig, dass die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats für die Einhaltung bestimmter Verpflichtungen dieser Richtlinie in Bezug auf Geschäfte, die über eine Zweigniederlassung in dem Hoheitsgebiet, in dem sich die Niederlassung befindet, getätigt werden, verantwortlich ist, da diese Behörde aufgrund der größeren Nähe zu der Zweigniederlassung besser in der Lage ist, Verstöße gegen die Vorschriften für den Geschäftsbetrieb der Zweigniederlassung aufzudecken und zu ahnden. (91) Um zu gewährleisten, dass Kundenaufträge zu den für den Kunden günstigsten Konditionen ausgeführt werden, müssen die Wertpapierfirmen wirksam zur „bestmöglichen Ausführung“ verpflichtet werden. Diese Verpflichtung gelten, wenn eine Firma dem Kunden gegenüber vertraglich oder im Rahmen eines Vermittlungsgeschäfts verpflichtet sind. (92) Angesichts des inzwischen in der Union gegebenen größeren Angebots an Ausführungsplätzen ist es sachgerecht, den Rahmen der bestmöglichen Ausführung für Kleinanleger zu stärken. Bei der Anwendung der Regeln über die bestmögliche Ausführung sollten Fortschritte in den für die Überwachung der bestmöglichen Ausführung verfügbaren Technologien gemäß Artikel 27 Absatz 1 Unterabsätze 2 und 3 berücksichtigt werden. (93) Um bei der Ausführung von Kleinanlegeraufträgen zu bestimmen, welche Ausführung als bestmögliche anzusehen ist, sollten in Fällen, in denen die Grundsätze der Auftragsausführung der Wertpapierfirma mehrere Ausführungsplätze vorsehen, die mit der Ausführung verbundenen Kosten auch die eigenen Provisionen der Wertpapierfirma und die dem Kunden für bestimmte Zwecke in Rechnung gestellten Gebühren einschließen. In einem solchen Fall sollte anhand der eigenen Provisionen der Wertpapierfirma und der Kosten der Auftragsausführung an jedem der möglichen Ausführungsplätze beurteilt werden, wo das für den Kunden günstigste Ergebnis erzielt werden kann. Doch sollen die Wertpapierfirmen keineswegs dazu verpflichtet werden, die Ergebnisse, die aufgrund ihrer eigenen Grundsätze der Auftragsausführung und ihrer eigenen Provisionen und Gebühren für den Kunden erzielt würden, mit den Ergebnissen zu vergleichen, die eine andere Wertpapierfirma mit anderen Grundsätzen der Auftragsausführung und einer anderen Provisionsund Gebührenstruktur für den gleichen Kunden erzielen könnte. Ebenso wenig sollen die Firmen zum Vergleich ihrer eigenen Provisionen verpflichtet werden, deren Höhe aufgrund unterschiedlich gearteter Dienstleistungen variieren kann. (94) Die Bestimmungen dieser Richtlinie, wonach die Ausführungskosten die eigenen Provisionen oder Gebühren einschließen müssen, die die Wertpapierfirma dem Kunden für eine Wertpapierdienstleistung in Rechnung stellt, sollten keine Anwendung finden, wenn für die Zwecke des Artikels 27 Absatz 5 dieser Richtlinie bestimmt wird, welche Ausführungsplätze in die Grundsätze der Auftragsausführung der Wertpapierfirma aufgenommen werden sollten.

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Es sollte als unredliche Diskriminierung zwischen Ausführungsplätzen angesehen werden, wenn eine Wertpapierfirma ihre Provisionen derart strukturiert oder in Rechnung stellt, dass sie Kunden für die Ausführung von Aufträgen je nach Ausführungsplatz unterschiedliche Provisionen oder Spreads in Rechnung stellt, ohne dass diese Unterschiede die tatsächlichen Unterschiede bei den Kosten widerspiegeln, die der Wertpapierfirma aus der Auftragsausführung an den betreffenden Ausführungsplätzen entstehen. Um die Bedingungen zu verschärfen, unter denen Wertpapierfirmen ihre Verpflichtung erfüllen, im Einklang mit dieser Richtlinie Aufträge zu den für den Kunden günstigsten Konditionen auszuführen, ist es zweckmäßig, für Finanzinstrumente, die der Handlungspflicht nach den Artikeln 23 und 28 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 von jedem Handelsplatz und systematischen Internalisierer und für andere Finanzinstrumente von jedem Ausführungsplatz zu verlangen, der Öffentlichkeit Daten über die Qualität der Geschäftsausführung an den einzelnen Ausführungsplätzen zur Verfügung zu stellen. Die Informationen, die Wertpapierfirmen Kunden zu ihrer Ausführungspolitik geben, sind häufig allgemeingültiger Art und ermöglichen es den Kunden nicht, zu verstehen, wie ein Auftrag ausgeführt werden wird, und nachzuprüfen, ob die Firmen ihre Verpflichtung, Aufträge zu den für den Kunden günstigsten Konditionen auszuführen, einhalten. Im Hinblick auf einen besseren Anlegerschutz ist es sinnvoll, die Grundsätze für die Informationen festzulegen, die Wertpapierfirmen ihren Kunden zu ihrer Ausführungspolitik geben, und von Firmen zu verlangen, jährlich für jede Kategorie von Finanzinstrumenten die fünf wichtigsten Handelsplätze, an denen sie Kundenaufträge im Vorjahr ausgeführt haben, zu veröffentlichen und diesen Informationen sowie den Informationen zur Ausführungsqualität, die von den Ausführungsplätzen in den Strategien zur besten Auftragsausführung veröffentlicht werden, Rechnung zu tragen. Bei Aufnahme der Geschäftsbeziehung mit dem Kunden könnte die Wertpapierfirma den Kunden oder potenziellen Kunden auffordern, zugleich den Grundsätzen der Auftragsausführung und der Möglichkeit zuzustimmen, dass seine Aufträge außerhalb eines Handelsplatzes ausgeführt werden dürfen. Personen, die für mehr als eine Wertpapierfirma Wertpapierdienstleistungen erbringen, sollten nicht als vertraglich gebundener Vermittler, sondern als Wertpapierfirma gelten, wenn sie der Begriffsbestimmung dieser Richtlinie entsprechen; dies gilt nicht für bestimmte Personen, die ausgenommen werden können. Von dieser Richtlinie unberührt bleiben sollte das Recht von vertraglich gebundenen Vermittlern, unter andere Richtlinien fallende Tätigkeiten und verbundene Tätigkeiten in Bezug auf Finanzdienstleistungen oder -produkte, die nicht unter diese Richtlinie fallen, auszuüben, selbst wenn dies im Namen von Teilen derselben Finanzgruppe geschieht. Die Bedingungen für die Ausübung von Tätigkeiten außerhalb der Geschäftsräume der Wertpapierfirma (Haustürgeschäfte) sollten nicht von dieser Richtlinie erfasst werden. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sollten von einer Registrierung absehen oder die Registrierung entziehen, wenn aus der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit unzweifelhaft hervorgeht, dass ein vertraglich gebundener Vermittler die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats in der Absicht gewählt hat, sich den strengeren Normen eines anderen Mitgliedstaats zu entziehen, in dem er den überwiegenden Teil seiner Tätigkeit auszuüben beabsichtigt oder ausübt. Für die Zwecke dieser Richtlinie sollten geeignete Gegenparteien als Kunden angesehen werden.

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(104) Die Finanzkrise hat gezeigt, dass auch andere Anleger als Kleinanleger nur begrenzt in der Lage sind, das Risiko ihrer Investitionen einzuschätzen. Zwar sollte bestätigt werden, dass die Wohlverhaltensregeln in Bezug auf Anleger, die diesen Schutz am dringendsten benötigen, anzuwenden ist; jedoch ist es sinnvoll, die Anforderungen besser an die einzelnen Kategorien von Kunden anzupassen. In dieser Hinsicht sollten einige der Informations- und Meldepflichten auf die Beziehung zu geeigneten Gegenparteien ausgedehnt werden. Insbesondere sollten sich die entsprechenden Anforderungen auf die Sicherung von Finanzinstrumenten und Geldern von Kunden sowie auf Informations- und Meldepflichten im Zusammenhang mit komplexeren Finanzinstrumenten und Geschäften beziehen. Damit die Einstufung von Gebietskörperschaften und kommunalen Behörden besser eingegrenzt werden kann, sollten sie eindeutig aus der Liste der geeigneten Gegenparteien und der Kunden ausgeschlossen werden, die als professionelle Kunden gelten, wobei diesen Kunden immer noch die Möglichkeit einzuräumen ist, eine Behandlung als professionelle Kunden zu beantragen. (105) Bei Geschäften mit geeigneten Gegenparteien sollte die Pflicht zur Veröffentlichung von Kunden-Limitaufträgen nur gelten, wenn die betreffende Gegenpartei einen Limitauftrag zur Ausführung ausdrücklich an eine Wertpapierfirma schickt. (106) Die Mitgliedstaaten sollten die Achtung des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten im Einklang mit der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates29 und der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates30 gewährleisten, die die in Anwendung dieser Richtlinie erfolgende Verarbeitung personenbezogener Daten regeln. Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die ESMA in Anwendung dieser Richtlinie unterliegt der Verordnung (EU) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates.31 (107) Alle Wertpapierfirmen sollten in der gesamten Union gleichermaßen die Möglichkeit haben, Mitglied eines geregelten Markts zu werden oder Zugang zu diesem Markt zu erhalten. Unabhängig von den in den Mitgliedstaaten bestehenden Formen der organisatorischen Abwicklung von Geschäften ist es wichtig, alle technischen und rechtlichen Beschränkungen für den Zugang zu geregelten Märkten aufzuheben. (108) Um den Abschluss grenzüberschreitender Geschäfte zu erleichtern, sollte Wertpapierfirmen in der gesamten Union Zugang zu Clearing- und Abrechnungssystemen verschafft werden, unabhängig davon, ob die Geschäfte über geregelte Märkte in den betreffenden Mitgliedstaaten geschlossen wurden. Wertpapierfirmen, die unmittelbar an Abrechnungssystemen in anderen Mitgliedstaaten teilnehmen möchten, sollten die für eine Mitgliedschaft erforderlichen betrieblichen und gewerblichen Anforderungen sowie die zur Aufrechterhaltung eines reibungslosen und ordnungsgemäßen Funktionierens der Finanzmärkte erlassenen Aufsichtsmaßnahmen erfüllen. (109)–(111) Zu Aufsichtsregeln im Verhältnis zu Drittländern, deren Wortlaut unten nicht abgedruckt. (112) Die Zulassung zum Betrieb eines geregelten Markts sollte sich auf alle Tätigkeiten erstrecken, die direkt mit der Anzeige, der Abwicklung, der Ausführung, der Bestätigung und der Meldung von Aufträgen ab dem Auftragseingang beim geregelten Markt bis zur Wei-

29 ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31. 30 ABl. L 201 vom 31. 7. 2002, S. 37. 31 ABl. L 8 vom 12. 1. 2001, S. 1.

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terleitung zwecks anschließendem Abschluss zusammenhängen, sowie auf Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel. Dies sollte auch Geschäfte einschließen, die über bestimmte, von dem geregelten Markt benannte Market-Maker innerhalb des Systems eines geregelten Markts nach den für dieses System geltenden Regeln abgeschlossen werden. Nicht alle von Mitgliedern oder Teilnehmern eines geregelten Marktes, des MTF oder des OTF abgeschlossenen Geschäfte sind als innerhalb des Systems des geregelten Marktes, des MTF oder des OTF abgeschlossen anzusehen. Geschäfte, die Mitglieder oder Teilnehmer auf bilateraler Basis abschließen und die nicht allen Anforderungen dieser Richtlinie an einen geregelten Markt, ein MTF oder ein OTF genügen, sollten im Sinne der Begriffsbestimmung des systematischen Internalisierers als außerhalb eines geregelten Marktes, eines MTF oder eines OTF abgeschlossen gelten. In diesem Fall sollte die Pflicht der Wertpapierfirmen zur Veröffentlichung verbindlicher Kursofferten Anwendung finden, sofern die Bedingungen dieser Richtlinie und der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 erfüllt sind. Angesichts der Bedeutung von Liquiditätszufuhr für das ordnungsgemäße und effiziente Funktionieren von Märkten sollten Wertpapierfirmen, die in Verfolgung einer MarketMaking-Strategie algorithmischen Handel betreiben, über schriftliche Vereinbarungen mit Handelsplätzen verfügen, in denen ihre Pflichten, den Markt mit Liquidität zu versorgen, klargestellt werden. Diese Richtlinie sollte in keiner Weise verlangen, dass die zuständigen Behörden den Inhalt der schriftlichen Vereinbarung zwischen dem geregelten Markt und der Wertpapierfirma, die aufgrund der Teilnahme an einem Market-Making System erforderlich ist, genehmigen oder prüfen müssen. Sie steht dem aber auch nicht entgegen, wenn sich eine solche Genehmigung oder Prüfung nur darauf bezieht, dass die geregelten Märkte ihren Pflichten gemäß Artikel 48 nachkommen müssen. Dienstleistungen zur Übermittlung zentraler Marktdaten, die für Nutzer von entscheidender Bedeutung sind, um den gewünschten Überblick über die Handelstätigkeit auf den Finanzmärkten der Union zu bekommen, und für zuständige Behörden, um zutreffende, umfassende Informationen über einschlägige Geschäfte zu erhalten, sollten einer Zulassung und Regulierung unterliegen, damit das notwendige Qualitätsniveau gesichert ist. Die Einführung genehmigter Veröffentlichungssysteme (APA) sollte die Qualität der im außerbörslichen Bereich veröffentlichten Handelstransparenzdaten verbessern und entscheidend dazu beitragen, dass solche Daten auf eine Weise veröffentlicht werden, die ihre Konsolidierung mit Daten, die von Handelsplätzen veröffentlicht werden, erleichtert. Da es nunmehr eine Marktstruktur gibt, die den Wettbewerb zwischen mehreren Handelsplätzen ermöglicht, sollte so bald wie möglich ein umfassender konsolidierter Datenticker (Consolidated Tape) in Betrieb genommen werden. Die Einführung einer gewerblichen Lösung für konsolidierte Datenticker für Eigenkapitalinstrumente und eigenkapitalähnliche Finanzinstrumente sollte dazu beitragen, einen stärker integrierten europäischen Markt zu schaffen, und es Marktteilnehmen einfacher machen, Zugang zu einer konsolidierten Übersicht über die verfügbaren Handelstransparenzdaten zu erhalten. Vorgesehen ist eine Zulassung von Anbietern, die anhand von im Voraus festgelegten und überwachten Parametern tätig sind und miteinander im Wettbewerb stehen, um technisch sehr ausgereifte, innovative Lösungen zu erzielen und damit dem Markt den größtmöglichen Nutzen bringen und um sicherzustellen, dass schlüssige und zutreffende Marktdaten zur Verfügung gestellt werden. Indem alle Anbieter konsolidier-

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ter Datenticker (Consolidated Tape Providers, im Folgenden „CTP“) verpflichtet werden, sämtliche Daten von allen APA und Handelsplätzen zu konsolidieren, wird dafür gesorgt, dass auf der Grundlage der Qualität von Kundendienstleistungen und nicht des Datenumfangs Wettbewerb stattfindet. Dennoch ist es sachgerecht, jetzt einen konsolidierten Datenticker vorzusehen, der im Wege eines öffentlichen Auftragsverfahrens einzurichten wäre, wenn der geplante Mechanismus nicht zu einer baldigen Bereitstellung eines wirksamen und umfassenden konsolidierten Datentickers für Eigenkapitalinstrumente und eigenkapitalähnliche Finanzinstrumente führt. Die Errichtung eines konsolidierten Datentickers für Nichteigenkapitalfinanzinstrumente dürfte schwieriger sein als die Errichtung eines konsolidierten Datentickers für Eigenkapitalfinanzinstrumente; potenzielle Anbieter sollten deshalb zunächst mit letzterem Erfahrungen sammeln können. Um die ordnungsgemäße Errichtung eines konsolidierten Datentickers für Nichteigenkapitalfinanzinstrumente zu erleichtern, ist es daher zweckmäßig, einen späteren Geltungsbeginn für die einzelstaatlichen Maßnahmen vorzusehen, mit denen die entsprechende Bestimmung umgesetzt wird. Dennoch ist es sachgerecht, jetzt einen konsolidierten Datenticker vorzusehen, der im Wege eines öffentlichen Auftragsverfahrens einzurichten wäre, wenn der geplante Mechanismus nicht zu einer baldigen Bereitstellung eines wirksamen und umfassenden konsolidierten Datentickers für Nichteigenkapitalfinanzinstrumente führt. Bei der Bestimmung der Handelsplätze und APA, die in den von den CTP verbreiteten nachbörslichen Informationen aufgenommen werden müssen, sollte die ESMA sicherstellen, dass der Zweck der Schaffung eines integrierten Unionsmarkts für Nichteigenkapitalfinanzinstrumente erreicht wird und sollte eine nichtdiskriminierende Behandlung von APA und Handelsplätzen gewährleisten. Unionsrecht zu Eigenmittelanforderungen sollte Mindestanforderungen für die Eigenkapitalausstattung festlegen, denen geregelte Märkte genügen müssen, um zugelassen zu werden; dabei sollte die besondere Beschaffenheit der mit solchen Märkten verbundenen Risiken berücksichtigt werden. Die Betreiber geregelter Märkte sollten im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie auch ein MTF oder OTF betreiben können. Die Bestimmungen dieser Richtlinie in Bezug auf die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel nach den vom geregelten Markt erlassenen Regeln sollten die Anwendung der Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates32 und der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates33 unberührt lassen. Es sollte einem geregelten Markt nicht verwehrt sein, die Emittenten von Finanzinstrumenten, deren Zulassung zum Handel er in Betracht zieht, strengeren Anforderungen als denen dieser Richtlinie zu unterwerfen. Die Mitgliedstaaten sollten für die Durchsetzung der vielfältigen Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie mehrere zuständige Behörden benennen können. Um die Unabhängigkeit von der Wirtschaft zu garantieren und Interessenkonflikte zu vermeiden, sollte es sich dabei um staatliche Stellen handeln. Die Mitgliedstaaten sollten im Einklang mit ihrem nationalen Recht die angemessene finanzielle Ausstattung der zuständigen Behörde gewährleisten. Die Benennung staatlicher Behörden sollte die Möglichkeit einer

32 ABl. L 184 vom 6. 7. 2001, S. 1. 33 ABl. L 345 vom 31. 12. 2003, S. 64.

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Übertragung von Aufgaben, bei der die Verantwortung bei der zuständigen Behörde verbleibt, nicht ausschließen. (124) Damit eine effiziente und rechtzeitige Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden in Bezug auf Aussetzungen, Ausschlüsse, Störungen, marktstörende Handelsbedingungen und Umstände, die auf Marktmissbrauch hindeuten können, gewährleistet werden kann, bedarf es eines wirksamen Kommunikations- und Koordinationsprozesses zwischen den zuständigen nationalen Behörden; dies wird durch Vereinbarungen erreicht, die von der ESMA ausgearbeitet werden. (125)–(170) Regeln zu Positionslimits, Datenbereitstellungsaufsicht, Aufsichtsbefugnissen sowie Schlussbestimmungen, deren Wortlaut unten nicht abgedruckt. — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Titel I – Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Art. 1 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt für Wertpapierfirmen, Marktbetreiber, Datenbereitstellungsdienste und Drittlandfirmen, die in der Union durch die Einrichtung einer Zweigniederlassung Wertpapierdienstleistungen erbringen oder Anlagetätigkeiten ausüben. (2) Diese Richtlinie legt Anforderungen in den folgenden Bereichen fest: a) Bedingungen für die Zulassung und Tätigkeit von Wertpapierfirmen, b) Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder Ausübung von Anlagetätigkeiten durch Drittlandfirmen durch die Errichtung einer Zweigniederlassung, c) Zulassung und Betrieb geregelter Märkte, d) Zulassung und Betrieb von Datenbereitstellungsdiensten und e) Überwachung, Zusammenarbeit und Durchsetzung durch die zuständigen Behörden. (3) Folgende Bestimmungen gelten auch für Kreditinstitute, die gemäß der Richtlinie 2006/48/EG zugelassen sind, wenn sie eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen erbringen und/oder Anlagetätigkeiten ausüben: a) Artikel 2 Absatz 2, Artikel 9 Absatz 3, Artikel 14, Artikel 16 bis Artikel 20 b) Titel II Kapitel II, ausgenommen Artikel 29 Absatz 2 Unterabsatz 2 c) Titel II Kapitel III, ausgenommen Artikel 34 Absätze 2 und 3 sowie Artikel 35 Absätze 2 bis 6 und 9 d) die Artikel 67 bis 75 und die Artikel 80, 85 und 86. (4) Folgende Bestimmungen gelten auch für Wertpapierfirmen und Kreditinstitute, die gemäß der Richtlinie 2006/48/EG zugelassen sind, wenn sie strukturierte Einlagen an Kunden verkaufen oder sie über diese beraten: a) Artikel 9 Absatz 3, Artikel 14 und Artikel 16 Absätze 2, 3 und 6; b) Artikel 23 bis Artikel 26, Artikel 28 und Artikel 29, ausgenommen Artikel 29 Absatz 2 Unterabsatz 2 und Artikel 30 und c) Artikel 67 bis 75. 512

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(5) Artikels 17 Absätze 1 bis 6 gelten auch für Mitglieder oder Teilnehmer von geregelten Märkten und MTF, die gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a, e, i und j keine Zulassung gemäß dieser Richtlinie benötigen. (6) Artikel 57 und 58 gelten auch für Personen, die gemäß Artikel 2 dieser Richtlinie vom Anwendungsbereich ausgenommen sind. (7) Alle multilateralen Systeme für Finanzinstrumente sind entweder im Einklang mit den Bestimmungen des Titels II für MTF bzw. OTF oder gemäß den Bestimmungen des Titels III für geregelte Märkte zu betreiben. Jede Wertpapierfirma, die in organisierter und systematischer Weise häufig Handel für eigene Rechnung treibt, wenn sie Kundenaufträge außerhalb eines geregelten Marktes, eines MTF oder eines OTF ausführt, ist gemäß Titel III der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 zu betreiben. Unbeschadet der Artikel 23 und 28 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 haben alle in den Unterabsätzen 1 und 2 genannten Geschäfte mit Finanzinstrumenten, die nicht über multilaterale Systeme oder systematische Internalisierer abgeschlossen werden, den einschlägigen Bestimmungen des Titels III der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 zu genügen. Art. 2 Ausnahmen (1) Diese Richtlinie gilt nicht für a) Versicherungsunternehmen sowie Unternehmen, die die in der Richtlinie 2009/138/EG genannten Rückversicherungs- und Retrozessionstätigkeiten ausüben, wenn sie die in jener Richtlinie genannten Tätigkeiten ausüben; b) Personen, die Wertpapierdienstleistungen ausschließlich für ihr Mutterunternehmen, ihre Tochterunternehmen oder andere Tochterunternehmen ihres Mutterunternehmens erbringen; c) Personen, die nur gelegentlich Wertpapierdienstleistungen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erbringen, wenn diese Tätigkeit durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder Standesregeln geregelt ist, die die Erbringung dieser Dienstleistung nicht ausschließen; d) Personen, die für eigene Rechnung Handel mit Finanzinstrumenten treiben, bei denen es sich nicht um Warenderivate oder Emissionszertifikate oder Derivate davon handelt, und die keine anderen Wertpapierdienstleistungen erbringen oder anderen Anlagetätigkeiten in Finanzinstrumenten vornehmen, bei denen es sich nicht um Warenderivate oder Emissionszertifikate oder Derivate davon handelt, außer diese Personen i) sind Market-Maker oder ii) sind zum einen Mitglied oder Teilnehmer eines geregelten Marktes oder MTF oder haben zum anderen einen direkten elektronischen Zugang zu einem Handelsplatz, mit Ausnahme nichtfinanzieller Stellen, die an einem Handelsplatz Geschäfte tätigen, die in objektiv messbarer Weise 513

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die direkt mit der Geschäftstätigkeit oder dem Liquiditäts- und Finanzmanagement verbundenen Risiken dieser nichtfinanziellen Stellen oder ihrer Gruppen verringern iii) wenden eine hochfrequente algorithmische Handelstechnik an oder iv) treiben für eigene Rechnung bei der Ausführung von Kundenaufträgen Handel; Personen, die gemäß den Buchstaben a, i oder j von der Anwendung ausgenommen sind, müssen die in diesem Buchstaben genannten Bedingungen nicht erfüllen, um von der Anwendung ausgenommen zu werden. e) Anlagenbetreiber mit Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen der Richtlinie 2003/87/EG, die beim Handel mit Emissionszertifikaten keine Kundenaufträge ausführen und die keine anderen Wertpapierdienstleistungen erbringen oder Anlagetätigkeiten ausüben als den Handel für eigene Rechnung unter der Voraussetzung, dass diese Personen keine hochfrequente algorithmische Handelstechnik anwenden; f) Personen, deren Wertpapierdienstleistungen ausschließlich in der Verwaltung von Systemen der Arbeitnehmerbeteiligung bestehen; g) Personen, die als einzige Wertpapierdienstleistungen sowohl die Verwaltung von Systemen der Arbeitnehmerbeteiligung als auch Wertpapierdienstleistungen ausschließlich für ihre Mutterunternehmen, ihre Tochterunternehmen oder andere Tochterunternehmen ihrer Mutterunternehmen erbringen; h) die Mitglieder des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und andere nationale Stellen mit ähnlichen Aufgaben in der Union, andere staatliche Stellen, die für die staatliche Schuldenverwaltung in der Union zuständig oder daran beteiligt sind, und internationale Finanzinstitute, die von zwei oder mehr Staaten gegründet wurden und dem Zweck dienen, Finanzmittel zu mobilisieren und Finanzhilfen zugunsten ihrer Mitglieder zu geben, die von schwerwiegenden Finanzierungsproblemen betroffen oder bedroht sind; i) Organismen für gemeinsame Anlagen und Pensionsfonds, unabhängig davon, ob sie auf der Ebene der Union koordiniert werden, sowie die Verwahrer und Verwalter solcher Organismen; j) Personen, i) die für eigene Rechnung mit Warenderivaten oder Emissionszertifikaten oder Derivaten davon handeln, einschließlich Market-Maker, aber mit Ausnahme der Personen, die Handel für eigene Rechnung treiben, wenn sie Kundenaufträge ausführen, oder ii) die in Bezug auf Warenderivate oder Emissionszertifikate oder Derivate davon andere Wertpapierdienstleistungen als den Handel für eigene 514

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Rechnung für die Kunden oder Zulieferer ihrer Haupttätigkeit erbringen, sofern: — dies in jedem dieser Fälle auf individueller und aggregierter Basis auf der Ebene der Unternehmensgruppe eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit darstellt und diese Haupttätigkeit weder in der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen im Sinne der vorliegenden Richtlinie noch in der Erbringung von Bankgeschäften im Sinne der Richtlinie 2013/36/EU oder in der Tätigkeit als MarketMaker in Bezug auf Warenderivate besteht — diese Personen keine hochfrequente algorithmische Handelstechnik anwenden, und — diese Personen in allen Fällen der maßgeblichen zuständigen Behörde jährlich melden, dass sie von dieser Ausnahme Gebrauch machen, und auf Anforderung der zuständigen Behörde die Grundlage mitteilen, auf der sie zu der Auffassung gelangen, dass ihre Tätigkeit nach Ziffern i und ii eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit darstellt; k) Personen, die im Rahmen einer anderen, nicht unter diese Richtlinie fallenden beruflichen Tätigkeit Anlageberatung betreiben, sofern eine solche Beratung nicht besonders vergütet wird; l) Vereinigungen, die von dänischen und finnischen Pensionsfonds mit dem ausschließlichen Ziel gegründet wurden, die Vermögenswerte von Pensionsfonds zu verwalten, die Mitglieder dieser Vereinigungen sind; m) „agenti di cambio“, deren Tätigkeiten und Aufgaben in Artikel 201 des italienischen Gesetzesdekrets Nr. 58 vom 24. Februar 1998 geregelt sind; n) Übertragungsnetzbetreiber im Sinne von Artikel 2 Nummer 4 der Richtlinie 2009/72/EG oder Artikel 2 Nummer 4 der Richtlinie 2009/73/EG, wenn sie ihre Aufgaben gemäß diesen Richtlinien, der Verordnung (EG) Nr. 714/2009, der Verordnung (EG) Nr. 715/2009 bzw. den nach diesen Verordnungen erlassenen Netzcodes oder Leitlinien wahrnehmen, Personen, die in ihrem Namen als Dienstleister handeln, um die Aufgaben eines Übertragungsnetzbetreibers gemäß diesen Gesetzgebungsakten bzw. den nach diesen Verordnungen erlassenen Netzcodes oder Leitlinien wahrzunehmen, sowie Betreiber oder Verwalter eines Energieausgleichssystems, eines Rohrleitungsnetzes oder eines Systems zum Ausgleich von Energieangebot und -verbrauch bei der Wahrnehmung solcher Aufgaben. Diese Ausnahme gilt für Personen, die in diesem Buchstaben genannte Tätigkeiten ausüben nur, wenn sie in Bezug auf Warenderivate Anlagetätigkeiten ausüben oder Wertpapierdienstleistungen erbringen, die mit den 515

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obengenannten Tätigkeiten im Zusammenhang stehen. Diese Ausnahme gilt nicht für den Betrieb eines Sekundärmarktes, einschließlich einer Plattform für den Sekundärhandel mit finanziellen Übertragungsrechten; o) Zentralverwahrer mit den in Artikel 73 der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates34 vorgesehenen Ausnahmen. (2) Die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte erfassen nicht die Erbringung von Dienstleistungen als Gegenpartei bei Geschäften, die von staatlichen Stellen der staatlichen Schuldenverwaltung oder von Mitgliedern des ESZB in Wahrnehmung ihrer Aufgaben gemäß dem AEUV und Protokoll Nr. 4 über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank oder in Wahrnehmung vergleichbarer Aufgaben gemäß nationalen Vorschriften abgeschlossen werden. (3) Die Kommission erlässt gemäß Artikel 89 delegierte Rechtsakte um für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe c zu klären, wann eine Tätigkeit als nur gelegentlich erbracht gilt. (4) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards hinsichtlich der Ausnahmen nach Absatz 1 Buchstabe j aus, um die Kriterien festzulegen, nach denen eine Tätigkeit auf der Ebene der Unternehmensgruppe als Nebentätigkeit zur Haupttätigkeit gilt. Diese Kriterien berücksichtigen zumindest die folgenden Punkte: a) die Notwendigkeit, dass Nebentätigkeiten den kleineren Teil der Tätigkeiten auf Gruppenebene darstellen müssen; b) den Umfang der Handelstätigkeit verglichen mit der gesamten Markthandelstätigkeit innerhalb der betreffenden Anlageklasse. Bei der Bestimmung der Frage, inwieweit Nebentätigkeiten den kleineren Teil der Tätigkeiten auf Gruppenebene darstellen, kann die ESMA festlegen, dass das für die Ausübung der Nebentätigkeit eingesetzte Kapital im Verhältnis zu dem für die Haupttätigkeit eingesetzten Kapital zu berücksichtigen ist. Allerdings darf dieser Faktor in keinem Fall ausreichen um darzulegen, dass die Tätigkeit gegenüber der Haupttätigkeit der Gruppe eine Nebentätigkeit darstellt. Die in diesem Absatz genannten Tätigkeiten werden auf Gruppenebene betrachtet. Von den in Unterabsatz 2 genannten Punkten sind auszunehmen: a) gruppeninterne Geschäfte nach Artikel 3 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, die dem gruppenweiten Liquiditäts- oder Risikomanagement dienen;

34 Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/ EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 (ABl. L 257 vom 28. 8. 2014, S. 1).

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b) Derivatgeschäfte, die die mit der Geschäftstätigkeit oder dem Liquiditätsund Finanzmanagement direkt verbundenen Risiken objektiv messbar verringern; c) Geschäfte mit Warenderivaten und Emissionszertifikaten, die abgeschlossen werden, um der Verpflichtung, einen Handelsplatz mit Liquidität zu versorgen, nachzukommen, wenn solche Verpflichtungen von Regulierungsbehörden im Einklang mit dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften oder von Handelsplätzen verlangt werden. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 3 Fakultative Ausnahmen (1) Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass diese Richtlinie nicht für Personen gilt, für die sie Herkunftsmitgliedstaat sind, sofern die Tätigkeiten dieser Personen auf nationaler Ebene zugelassen und geregelt sind und diese Personen a) nicht berechtigt sind, Gelder oder Wertpapiere von Kunden zu halten und die sich aus diesem Grund zu keinem Zeitpunkt gegenüber ihren Kunden in einer Debet-Position befinden dürfen, und b) nicht zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen berechtigt sind, außer zur Annahme und Übermittlung von Aufträgen in Bezug auf übertragbare Wertpapiere und Anteile von Organismen für gemeinsame Anlagen und/oder zur Anlageberatung in Bezug auf solche Finanzinstrumente und c) bei der Erbringung dieser Dienstleistung Aufträge nur übermitteln dürfen an i) gemäß dieser Richtlinie zugelassene Wertpapierfirmen, ii) gemäß der Richtlinie 2013/36/EU zugelassene Kreditinstitute, iii) in einem Drittland zugelassene Zweigniederlassungen von Wertpapierfirmen oder Kreditinstituten, die Aufsichtsbestimmungen unterliegen und einhalten, die nach Auffassung der zuständigen Behörden mindestens genauso streng sind wie diejenigen der vorliegenden Richtlinie, der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 oder der Richtlinie 2013/36/EU, iv) Organismen für gemeinsame Anlagen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats ihre Anteile öffentlich vertreiben dürfen, sowie die Leiter solcher Organismen oder v) Investmentgesellschaften mit festem Kapital im Sinne von Artikel 17 Absatz 7 der Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und 517

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des Rates,35 deren Wertpapiere auf einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat notiert bzw. gehandelt werden oder d) Wertpapierdienstleistungen ausschließlich in Bezug auf Warenderivate, Emissionszertifikate und/oder Derivate davon mit dem alleinigen Ziel der Absicherung der Geschäftsrisiken ihrer Kunden erbringen, sofern diese Kunden ausschließlich lokale Elektrizitätsunternehmen im Sinne des Artikels 2 Nummer 35 der Richtlinie 2009/72/EG oder Erdgasunternehmen im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Richtlinie 2009/73/EG sind und sofern sie zusammen 100 % des Kapitals oder der Stimmrechte der betreffenden Personen halten und diese gemeinsam kontrollieren und nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe j der vorliegenden Richtlinie ausgenommen wären, wenn sie die betreffenden Wertpapierdienstleistungen selbst erbrächten oder e) Wertpapierdienstleistungen ausschließlich im Zusammenhang mit Emissionszertifikaten und/oder Derivaten davon mit dem alleinigen Ziel der Absicherung der Geschäftsrisiken ihrer Kunden erbringen, sofern diese Kunden ausschließlich Betreiber im Sinne des Artikels 3 Buchstabe f der Richtlinie 2003/87/EG sind und sofern sie zusammen 100 % des Kapitals oder der Stimmrechte der betreffenden Personen halten und diese gemeinsam kontrollieren und nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe j der vorliegenden Richtlinie ausgenommen wären, wenn sie die betreffenden Wertpapierdienstleistungen selbst erbrächten. (2) Die in Absatz 1 genannten Personen müssen gemäß den Bestimmungen der Mitgliedstaaten Anforderungen unterliegen, die zumindest den folgenden Anforderungen der vorliegenden Richtlinie entsprechen: a) den Bedingungen und Verfahren für die Zulassung und die laufende Überwachung gemäß Artikel 5 Absätze 1 und 3 sowie den Artikeln 7, bis 10, 21, 22 und 23 und den entsprechenden von der Kommission gemäß Artikel 89 erlassenen delegierten Rechtsakten; b) den Wohlverhaltensregeln gemäß Artikel 24 Absätze 1, 3, 4, 5, 7 und 10, Artikel 25 Absätze 2, 5 und 6 sowie — wenn die nationale Regelung diesen Personen die Heranziehung von vertraglich gebundenen Vermittlern gestattet — Artikel 29 wie auch den entsprechenden Durchführungsmaßnahmen. c) den organisatorischen Anforderungen nach Artikel 16 Absatz 3 Unterabsätze 1, 6 und 7 sowie Artikel 16 Absätze 6 und 7 und den von der Kommission gemäß Artikel 89 erlassenen delegierten Rechtakten.

35 Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für

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2.19

Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Personen, die gemäß Absatz 1 dieses Artikels von dieser Richtlinie ausgenommen sind, über ein System für die Entschädigung der Anleger in Einklang mit der Richtlinie 97/9/EG verfügen. Die Mitgliedstaaten können zulassen, dass Wertpapierfirmen nicht über ein solches System verfügen, sofern sie eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen haben, wenn im Hinblick auf den Umfang und das Risikoprofil sowie die Rechtsform der von dieser Richtlinie gemäß Absatz 1 dieses Artikels ausgenommenen Personen ihren Kunden ein gleichwertiger Schutz geboten wird. Abweichend von Unterabsatz 2 dieses Absatzes können die Mitgliedstaaten, die bereits dem 2. Juli 2014 über solche Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften verfügen, bis zum 3. Juli 2019 vorschreiben, dass die von dieser Richtlinie gemäß Absatz 1 dieses Artikels ausgenommenen Personen — sofern sie Wertpapierdienstleistungen zur Annahme und Übermittlung von Aufträgen erbringen und/oder Anlageberatung in Organismen für gemeinsame Anlagen leisten und als Vermittler in Verwaltungsgesellschaften im Sinne der Richtlinie 2009/65 tätig sind — gegenüber dem Kunden für sämtliche Schäden, die diesem in Bezug auf diese Dienste entstanden sind, mit der Verwaltungsgesellschaft gesamtschuldnerisch haften. (3) Personen, die gemäß Absatz 1 von dieser Richtlinie ausgenommen sind, dürfen die Freiheit der Erbringung von Wertpapierdienstleistung oder der Ausübung von Anlagetätigkeit oder die Freiheit der Errichtung von Zweigniederlassungen gemäß Artikel 34 bzw. 35 nicht in Anspruch nehmen. (4) Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission und die ESMA davon, dass sie von der Option dieses Artikels Gebrauch machen, und stellen sicher, dass in jeder in Einklang mit Absatz 1 erteilten Zulassung angegeben ist, dass sie in Einklang mit diesem Artikel erteilt wurde. (5) Die Mitgliedstaaten teilen der ESMA die Bestimmungen der nationalen Rechtsvorschriften mit, die den Anforderungen von Absatz 2 der vorliegenden Richtlinie entsprechen. Art. 4 Begriffsbestimmungen (1) Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck: 1. „Wertpapierfirma“ jede juristische Person, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gewerbsmäßig eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt und/oder eine oder mehrere Anlagetätigkeiten ausübt.

die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 315 vom 14. 11. 2012, S. 74).

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2.19

2.

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Die Mitgliedstaaten können als Wertpapierfirma auch Unternehmen, die keine juristischen Personen sind, definieren, sofern a) ihre Rechtsform Dritten ein Schutzniveau bietet, das dem von juristischen Personen gebotenen Schutz gleichwertig ist, und b) sie einer gleichwertigen und ihrer Rechtsform angemessenen Aufsicht unterliegen. Erbringt eine natürliche Person jedoch Dienstleistungen, die das Halten von Geldern oder übertragbaren Wertpapieren Dritter umfassen, so kann diese Person nur dann als Wertpapierfirma im Sinne dieser Richtlinie und der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 gelten, wenn sie unbeschadet der sonstigen Anforderungen dieser Richtlinie, der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 und der Richtlinie 2013/36/EU folgende Bedingungen erfüllt: a) Die Eigentumsrechte Dritter an Wertpapieren und Geldern müssen insbesondere im Falle der Insolvenz der Firma oder ihrer Eigentümer, einer Pfändung, einer Aufrechnung oder anderer von den Gläubigern der Firma oder ihrer Eigentümer geltend gemachter Ansprüche gewahrt werden; b) die Firma muss Vorschriften zur Überwachung ihrer Solvenz einschließlich der ihrer Eigentümer unterworfen sein; c) der Jahresabschluss der Firma muss von einer oder mehreren nach nationalem Recht zur Rechnungsprüfung befugten Personen geprüft werden; d) hat eine Firma nur einen Eigentümer, so muss diese Person entsprechende Vorkehrungen zum Schutz der Anleger für den Fall treffen, dass die Firma ihre Geschäftstätigkeit aufgrund seines Ablebens, seiner Geschäftsunfähigkeit oder einer vergleichbaren Gegebenheit einstellt; „Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten“ jede in Anhang I Abschnitt A genannte Dienstleistung und Tätigkeit, die sich auf eines der Instrumente in Anhang I Abschnitt C bezieht. Die Kommission erlässt delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zur Festlegung der a) in Anhang I Abschnitt C Nummer 6 genannten Derivatkontrakte, die Merkmale von Energiegroßhandelsprodukten, die effektiv geliefert werden müssen, aufweisen, und der C.6-Energiederivatkontrakte; b) in Anhang I Abschnitt C Nummer 7 genannten Derivatkontrakte, die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen; c) in Anhang I Abschnitt C Nummer 10 genannten Derivatkontrakte, die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen, wobei unter anderem berücksichtigt wird, ob sie an einem geregelten Markt, einem MTF oder einem OTF gehandelt werden;

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3. 4.

5.

6.

7.

8.

9. 10. 11. 12. 13.

14.

15. 16.

2.19

„Nebendienstleistung“ jede in Anhang I Abschnitt B genannte Dienstleistung; „Anlageberatung“ die Abgabe persönlicher Empfehlungen an einen Kunden entweder auf dessen Aufforderung oder auf Initiative der Wertpapierfirma, die sich auf ein oder mehrere Geschäfte mit Finanzinstrumenten beziehen; „Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden“ die Tätigkeit zum Abschluss von Vereinbarungen, ein oder mehrere Finanzinstrumente im Namen von Kunden zu kaufen oder zu verkaufen, und umfasst den Abschluss von Vereinbarungen über den Verkauf von Finanzinstrumenten, die von einer Wertpapierfirma oder einem Kreditinstitut zum Zeitpunkt ihrer Emission ausgegeben werden; „Handel für eigene Rechnung“ den Handel unter Einsatz des eigenen Kapitals, der zum Abschluss von Geschäften mit einem oder mehreren Finanzinstrumenten führt; „Market-Maker“ eine Person, die an den Finanzmärkten auf kontinuierlicher Basis ihre Bereitschaft anzeigt, durch den An- und Verkauf von Finanzinstrumenten unter Einsatz des eigenen Kapitals Handel für eigene Rechnung zu von ihr gestellten Kursen zu betreiben; „Portfolioverwaltung“ die Verwaltung von Portfolios auf Einzelkundenbasis mit einem Ermessensspielraum im Rahmen eines Mandats des Kunden, sofern diese Portfolios ein oder mehrere Finanzinstrumente enthalten; „Kunde“ jede natürliche oder juristische Person, für die eine Wertpapierfirma Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen erbringt; „professioneller Kunde“ einen Kunden, der die in Anhang II genannten Kriterien erfüllt; „Kleinanleger“ einen Kunden, der kein professioneller Kunde ist; „KMU-Wachstumsmarkt“ ein in Einklang mit Artikel 33 als KMU-Wachstumsmarkt registriertes MTF; „kleine und mittlere Unternehmen“ für die Zwecke dieser Richtlinie Unternehmen, deren durchschnittliche Marktkapitalisierung auf der Grundlage der Notierungen zum Jahresende in den letzten drei Kalenderjahren weniger als 200 000 000 EUR betrug; „Limitauftrag“ einen Auftrag zum Kauf oder Verkauf eines Finanzinstruments innerhalb eines festgelegten Kurslimits oder besser und in einem festgelegten Umfang; „Finanzinstrument“ die in Anhang I Abschnitt C genannten Instrumente; „C.6-Energiederivatkontrakte“ Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps oder andere in Anhang I Abschnitt C Nummer 6 genannte Derivatkontrakte in Bezug auf Kohle oder Öl, die an einem OTF gehandelt werden und effektiv geliefert werden müssen; 521

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17. „Geldmarktinstrumente“ die üblicherweise auf dem Geldmarkt gehandelten Gattungen von Instrumenten, wie Schatzanweisungen, Einlagenzertifikate und Commercial Papers, mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten; 18. „Marktbetreiber“ eine Person oder Personen, die das Geschäft eines geregelten Marktes verwaltet bzw. verwalten und/oder betreibt bzw. betreiben und die der geregelte Markt selbst sein kann. 19. „multilaterales System“ ein System oder Mechanismus, der die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems zusammenführt. 20. „systematischer Internalisierer“ eine Wertpapierfirma, die in organisierter und systematischer Weise häufig in erheblichem Umfang Handel für eigene Rechnung treibt, wenn sie Kundenaufträge außerhalb eines geregelten Marktes oder eines MTF bzw. OTF ausführt, ohne ein multilaterales System zu betreiben; Ob „in systematischer Weise häufig“ gehandelt wird, bemisst sich nach der Zahl der OTC-Geschäfte mit einem Finanzinstrument, die von der Wertpapierfirma für eigene Rechnung durchgeführt werden, wenn sie Kundenaufträge ausführt. Ob „in erheblichem Umfang“ gehandelt wird, bemisst sich entweder nach dem Anteil, den der OTC-Handel am Gesamthandelsvolumen der Wertpapierfirma in einem bestimmten Finanzinstrument hat, oder nach dem Umfang des OTC-Handels der Wertpapierfirma, bezogen auf das Gesamthandelsvolumen in der Union in einem bestimmten Finanzinstrument. Die Definition eines systematischen Internalisierers findet nur Anwendung, wenn die beiden festgesetzten Obergrenzen, nämlich die für den in systematischer Weise und häufig erfolgenden Handel und die für den Handel in erheblichem Umfang, überschritten werden oder wenn eine Wertpapierfirma sich dafür entscheidet, sich den für die systematische Internalisierung geltenden Regeln zu unterwerfen; 21. „geregelter Markt“ ein von einem Marktbetreiber betriebenes und/oder verwaltetes multilaterales System, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach seinen nichtdiskretionären Regeln in einer Weise zusammenführt oder das Zusammenführen fördert, die zu einem Vertrag in Bezug auf Finanzinstrumente führt, die gemäß den Regeln und/oder den Systemen des Marktes zum Handel zugelassen wurden, und das eine Zulassung erhalten hat und ordnungsgemäß und gemäß Titel III dieser Richtlinie funktioniert; 22. „multilaterales Handelssystem“ (MTF) ein von einer Wertpapierfirma oder einem Marktbetreiber betriebenes multilaterales System, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach nichtdiskretionären Regeln in einer Weise zusammenführt, die zu einem Vertrag gemäß Titel II dieser Richtlinie führt; 522

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23. „organisiertes Handelssystem (OTF)“ ein multilaterales System, bei dem es sich nicht um einen geregelten Markt oder ein MTF handelt und das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Schuldverschreibungen, strukturierten Finanzprodukten, Emissionszertifikaten oder Derivaten innerhalb des Systems in einer Weise zusammenführt, die zu einem Vertrag gemäß Titel II dieser Richtlinie führt; 24. „Handelsplatz“: einen geregelten Markt, ein MTF oder ein OTF; 25. „liquider Markt“: einen Markt für ein Finanzinstrument oder eine Kategorie von Finanzinstrumenten, auf dem kontinuierlich kauf- oder verkaufsbereite vertragswillige Käufer oder Verkäufer verfügbar sind und der nach den folgenden Kriterien unter Berücksichtigung der speziellen Marktstrukturen des betreffenden Finanzinstruments oder der betreffenden Kategorie von Finanzinstrumenten bewertet wird: a) Durchschnittsfrequenz und -volumen der Geschäfte bei einer bestimmten Bandbreite von Marktbedingungen unter Berücksichtigung der Art und des Lebenszyklus von Produkten innerhalb der Kategorie von Finanzinstrumenten; b) Zahl und Art der Marktteilnehmer, einschließlich des Verhältnisses Marktteilnehmer zu gehandelten Instrumenten in Bezug auf ein bestimmtes Produkt; c) durchschnittlicher Spread, sofern verfügbar; 26. „zuständige Behörde“ die Behörde, die von jedem Mitgliedstaat gemäß Artikel 67 benannt wird, sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt; 27. „Kreditinstitut“ ein Kreditinstitut im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013; 28. „OGAW-Verwaltungsgesellschaft“ eine Verwaltungsgesellschaft im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates36; 29. „vertraglich gebundener Vermittler“ eine natürliche oder juristische Person, die unter unbeschränkter und vorbehaltsloser Haftung einer einzigen Wertpapierfirma, für die sie tätig ist, Wertpapier- und/oder Nebendienstleistungen für Kunden oder potenzielle Kunden erbringt, Weisungen oder Aufträge des Kunden in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen oder Finanzinstrumente annimmt und weiterleitet, Finanzinstrumente platziert und/oder Kunden oder potenzielle Kunden bezüglich dieser Finanzinstrumente oder Dienstleistungen berät;

36 Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. L 302 vom 17. 11. 2009, S 32).

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2.19

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30. „Zweigniederlassung“ eine Betriebsstelle, die nicht die Hauptverwaltung ist, die einen rechtlich unselbstständigen Teil einer Wertpapierfirma bildet und Wertpapierdienstleistungen, gegebenenfalls auch Nebendienstleistungen, erbringt und/oder Anlagetätigkeiten ausübt, für die der Wertpapierfirma eine Zulassung erteilt wurde; alle Geschäftsstellen einer Wertpapierfirma mit Hauptverwaltung in einem anderen Mitgliedstaat, die sich in ein und demselben Mitgliedstaat befinden, gelten als eine einzige Zweigniederlassung; 31. „qualifizierte Beteiligung“ direktes oder indirektes Halten einer Beteiligung an einer Wertpapierfirma von mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte gemäß den Artikeln 9 und 10 der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates37 unter Berücksichtigung der Voraussetzungen für das Zusammenrechnen der Beteiligungen nach Artikel 12 Absätze 4 und 5 jener Richtlinie oder die Möglichkeit der Ausübung eines maßgeblichen Einflusses auf die Geschäftsführung einer Wertpapierfirma, an der eine direkte oder indirekte Beteiligung gehalten wird; 32. „Mutterunternehmen“ ein Mutterunternehmen im Sinne des Artikels 2 Nummer 9 und Artikel 22 der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates38; 33. „Tochterunternehmen“ ein Tochterunternehmen im Sinne des Artikels 2 Nummer 10 und des Artikels 22 der Richtlinie 2013/34/EU, einschließlich aller Tochterunternehmen eines Tochterunternehmens des an der Spitze stehenden Mutterunternehmens; 34. „Gruppe“ eine Gruppe im Sinne des Artikels 2 Nummer 11 der Richtlinie 2013/34/EU; 35. „enge Verbindungen“ eine Situation, in der zwei oder mehr natürliche oder juristische Personen auf eine der folgenden Weisen miteinander verbunden sind: a) über eine Beteiligung in Form des direkten Haltens oder des Haltens im Wege der Kontrolle von mindestens 20 % der Stimmrechte oder des Kapitals an einem Unternehmen;

37 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38. 38 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/ EWG des Rates (ABl. L 182 vom 29. 6. 2013, S. 19).

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36.

37.

38.

39.

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b) durch Kontrolle, d. h. das Verhältnis zwischen einem Mutter- und einem Tochterunternehmen in allen Fällen des Artikels 22 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 2013/34/EU oder ein ähnliches Verhältnis zwischen einer natürlichen oder juristischen Person und einem Unternehmen; Tochterunternehmen von Tochterunternehmen gelten ebenfalls als Tochterunternehmen des Mutterunternehmens, das an der Spitze dieser Unternehmen steht; c) über ein dauerhaftes Kontrollverhältnis beider oder aller mit ein und derselben dritten Person; „Leitungsorgan“ das Organ oder die Organe einer Wertpapierfirma, eines Marktbetreibers oder eines Datenbereitstellungsdienstes, das bzw. die nach nationalem Recht bestellt wurde bzw. wurden und befugt ist bzw. sind, Strategie, Ziele und Gesamtpolitik des Unternehmens festzulegen und die Entscheidungen der Geschäftsleitung zu kontrollieren und zu überwachen und dem die Personen angehören, die die Geschäfte des Unternehmens tatsächlich führen. Wird in dieser Richtlinie auf das Leitungsorgan Bezug genommen und ist nach nationalem Recht vorgesehen, dass die Geschäftsleitungs- und die Aufsichtsfunktion des Leitungsorgans verschiedenen Organen oder verschiedenen Mitgliedern innerhalb eines Organs zugewiesen ist, bezeichnet der Mitgliedstaat die gemäß seinem nationalen Recht jeweils verantwortlichen Organe oder Mitglieder des Leitungsorgans, soweit in dieser Richtlinie nichts anderes angegeben ist; „Geschäftsleitung“ die natürlichen Personen, die in einer Wertpapierfirma, einem Marktbetreiber oder einem Datenbereitstellungsdienst Geschäftsführungsaufgaben wahrnehmen und für das Tagesgeschäft des Unternehmens verantwortlich und gegenüber dem Leitungsorgan rechenschaftspflichtig sind, einschließlich der Umsetzung der Firmenstrategie hinsichtlich des Vertriebs von Produkten und Dienstleistungen durch die Firma und ihr Personal an die Kunden; „Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge“ ein Geschäft, bei dem zwischen Käufer und Verkäufer einer Transaktion ein Vermittler zwischengeschaltet ist, der während der gesamten Ausführung der Transaktion zu keiner Zeit einem Marktrisiko ausgesetzt ist, vorausgesetzt, dass sowohl Kaufgeschäft als auch Verkaufsgeschäft gleichzeitig ausgeführt werden und die Transaktion zu einem Preis abgeschlossen wird, bei dem der Vermittler abgesehen von einer vorab offengelegten Provision, Gebühr oder sonstigen Vergütung weder Gewinn noch Verlust macht; „algorithmischer Handel“ der Handel mit einem Finanzinstrument, bei dem ein Computeralgorithmus die einzelnen Auftragsparameter automatisch be525

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40.

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stimmt, z. B. ob der Auftrag eingeleitet werden soll, Zeitpunkt, Preis bzw. Quantität des Auftrags oder wie der Auftrag nach seiner Einreichung mit eingeschränkter oder gar keiner menschlichen Beteiligung bearbeitet werden soll, unter Ausschluss von Systemen, die nur zur Weiterleitung von Aufträgen zu einem oder mehreren Handelsplätzen, zur Bearbeitung von Aufträgen ohne Bestimmung von Auftragsparametern, zur Bestätigung von Aufträgen oder zur Nachhandelsbearbeitung ausgeführter Aufträge verwendet werden; „hochfrequente algorithmische Handelstechnik“ eine algorithmische Handelstechnik, die gekennzeichnet ist durch a) eine Infrastruktur zur Minimierung von Netzwerklatenzen und anderen Verzögerungen bei der Orderübertragung (Latenzen), die mindestens eine der folgenden Vorrichtungen für die Eingabe algorithmischer Aufträge aufweist: Kollokation, Proximity Hosting oder direkter elektronischer Hochgeschwindigkeitszugang, b) die Entscheidung des Systems über die Einleitung, das Erzeugen, das Weiterleiten oder die Ausführung eines Auftrags ohne menschliche Intervention, und c) ein hohes untertägiges Mitteilungsaufkommen in Form von Aufträgen, Quotes oder Stornierungen; „direkter elektronischer Zugang“ eine Regelung, in deren Rahmen ein Mitglied, ein Teilnehmer oder ein Kunde eines Handelsplatzes einer anderen Person die Nutzung seines Handelscodes gestattet, damit diese Person Aufträge in Bezug auf Finanzinstrumente elektronisch direkt an den Handelsplatz übermitteln kann, einschließlich Vereinbarungen, die die Nutzung der Infrastruktur des Mitglieds, des Teilnehmers oder des Kunden bzw. irgendeines Verbindungssystems des Mitglieds, des Teilnehmers oder des Kunden durch diese Person zur Übermittlung von Aufträgen (direkter Marktzugang) sowie diejenigen Vereinbarungen, bei denen eine solche Infrastruktur nicht durch diese Person genutzt wird (geförderter Zugang); „Querverkäufe“ das Angebot einer Wertpapierdienstleistung zusammen mit einer anderen Dienstleistung oder einem anderen Produkt als Teil eines Pakets oder als Bedingung für dieselbe Vereinbarung bzw. dasselbe Paket; „strukturierte Einlage“ eine Einlage im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Nummer 3 der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates,39 die bei Fälligkeit in voller Höhe zurückzuzahlen ist, wobei sich die

39 Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme (siehe Seite 149 dieses Amtsblatts).

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44.

45.

46.

47. 48. 49.

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Zahlung von Zinsen oder einer Prämie bzw. das Zins- oder Prämienrisiko aus einer Formel ergibt, die von Faktoren abhängig ist, wie etwa a) einem Index oder einer Indexkombination, ausgenommen variabel verzinsliche Einlagen, deren Ertrag unmittelbar an einen Zinsindex wie Euribor oder Libor gebunden ist, b) einem Finanzinstrument oder einer Kombination von Finanzinstrumenten, c) einer Ware oder einer Kombination von Waren oder anderen körperlichen oder nicht körperlichen nicht übertragbaren Vermögenswerten oder d) einem Wechselkurs oder einer Kombination von Wechselkursen; „übertragbare Wertpapiere“ die Kategorien von Wertpapieren, die auf dem Kapitalmarkt gehandelt werden können, mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten, wie a) Aktien und andere, Aktien oder Anteilen an Gesellschaften, Personengesellschaften oder anderen Rechtspersönlichkeiten gleichzustellende Wertpapiere sowie Aktienzertifikate; b) Schuldverschreibungen oder andere verbriefte Schuldtitel, einschließlich Zertifikaten (Hinterlegungsscheinen) für solche Wertpapiere; c) alle sonstigen Wertpapiere, die zum Kauf oder Verkauf solcher Wertpapiere berechtigen oder zu einer Barzahlung führen, die anhand von übertragbaren Wertpapieren, Währungen, Zinssätzen oder -erträgen, Waren oder anderen Indizes oder Messgrößen bestimmt wird; „Aktienzertifikate“ (Hinterlegungsscheine) jene Wertpapiere, die auf dem Kapitalmarkt handelbar sind und ein Eigentumsrecht an Wertpapieren gebietsfremder Emittenten darstellen, wobei sie aber gleichzeitig zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen und unabhängig von den Wertpapieren gebietsfremder Emittenten gehandelt werden können; „börsengehandelter Fonds“ einen Fonds, bei dem mindestens eine Anteilsoder Aktiengattung ganztätig an mindestens einem Handelsplatz und mit mindestens einem Market-Maker, der tätig wird, um sicherzustellen, dass der Preis seiner Anteile oder Aktien an diesem Handelsplatz nicht wesentlich von ihrem Nettovermögenswert und gegebenenfalls von ihrem indikativen Nettovermögenswert abweicht, gehandelt wird; „Zertifikate“ jene Wertpapiere im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 27 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014; „strukturierte Finanzprodukte“ Wertpapiere, im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 28 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014; „Derivate“ Finanzinstrumente, die in Artikel 2 Absatz 1 Nummer 29 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 definiert sind; 527

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50. „Warenderivate“ Finanzinstrumente, die in Artikel 2 Absatz 1 Nummer 30 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 definiert sind; 51. „zentrale Gegenpartei“ eine CCP im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012; 52. „genehmigtes Veröffentlichungssystem“ oder „APA“ eine Person, die gemäß dieser Richtlinie die Dienstleistung der Veröffentlichung von Handelsauskünften im Namen von Wertpapierfirmen im Sinne von Artikel 20 und 21 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 erbringt; 53. „Bereitsteller konsolidierter Datenträger“ oder „CTP“ eine Person, die gemäß dieser Richtlinie zur Einholung von Handelsauskünften über in den Artikeln 6, 7, 10, 12, 13, 20 und 21 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 genannte Finanzinstrumente auf geregelten Märkten, MTF, OTF und APS berechtigt ist und sie in einem kontinuierlichen elektronischen Live-Datenstrom konsolidiert, über den Preis- und Handelsvolumendaten pro Finanzinstrument abrufbar sind; 54. „genehmigter Meldemechanismus“ oder „ARM“ eine Person, die gemäß dieser Richtlinie zur Meldung der Einzelheiten zu Geschäften an die zuständigen Behörden oder die ESMA im Namen der Wertpapierfirmen berechtigt ist; 55. „Herkunftsmitgliedstaat“ a) im Falle von Wertpapierfirmen i) den Mitgliedstaat, in dem sich ihre Hauptverwaltung befindet, wenn die Wertpapierfirma eine natürliche Person ist; ii) den Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, wenn die Wertpapierfirma eine juristische Person ist; iii) den Mitgliedstaat, in dem sich ihre Hauptverwaltung befindet, wenn die Wertpapierfirma gemäß dem für sie maßgebenden nationalen Recht keinen Sitz hat; b) im Falle eines geregelten Marktes den Mitgliedstaat, in dem der geregelte Markt registriert ist, oder — sofern er gemäß dem Recht dieses Mitgliedstaats keinen Sitz hat — den Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung des geregelten Marktes befindet; c) im Falle eines APA, eines CTP oder eines ARM i) den Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung des APA, CTP oder ARM befindet, wenn es sich um eine natürliche Person handelt; ii) den Mitgliedstaat, in dem das APA, der CTP oder der ARM seinen Sitz hat, wenn es sich um eine juristische Person handelt; iii) den Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung des APA, CTP oder ARM befindet, wenn er nach dem jeweils geltenden einzelstaatlichen Recht keinen Sitz hat; 528

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56. „Aufnahmemitgliedstaat“ einen Mitgliedstaat, der nicht der Herkunftsmitgliedstaat ist und in dem eine Wertpapierfirma eine Zweigniederlassung hat oder Wertpapierdienstleistungen erbringt und/oder Anlagetätigkeiten ausübt, oder einen Mitgliedstaat, in dem ein geregelter Markt geeignete Vorkehrungen bietet, um in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Fernmitgliedern oder -teilnehmern den Zugang zum Handel über das System dieses Mitgliedstaats zu erleichtern; 57. „Drittlandfirma“ eine Firma, die ein Kreditinstitut, das Wertpapierdienstleistungen erbringt oder Anlagetätigkeiten ausführt, oder eine Wertpapierfirma wäre, wenn sie ihre Hauptverwaltung oder ihren Sitz in der Union hätte; 58. „Energiegroßhandelsprodukt“ Energiegroßhandelsprodukt im Sinne von Artikel 2 Nummer 4 der Verordnung (EU) Nr. 1227/2011; 59. „Derivate auf landwirtschaftliche Grunderzeugnisse“ Derivatkontrakte in Bezug auf die Erzeugnisse, die in Artikel 1 und Anhang I Teile I bis XX und XXIV/1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates40 aufgeführt sind; 60. „öffentlicher Emittent“ folgende Emittenten von Schuldtiteln: i) die Union; ii) einen Mitgliedstaat einschließlich eines Ministeriums, einer Behörde oder einer Zweckgesellschaft dieses Mitgliedstaats; iii) im Falle eines bundesstaatlich organisierten Mitgliedstaats einen Gliedstaat des Bundes; iv) eine für mehrere Mitgliedstaaten tätige Zweckgesellschaft; v) ein von zwei oder mehr Mitgliedstaaten gegründetes internationales Finanzinstitut, das dem Zweck dient, Finanzmittel zu mobilisieren und seinen Mitgliedern Finanzhilfen zu gewähren, die von schwerwiegenden Finanzierungsproblemen betroffen oder bedroht sind; vi) die Europäische Investitionsbank; 61. „öffentlicher Schuldtitel“ ein Schuldinstrument, das von einem öffentlichen Emittenten begeben wird; 62. „dauerhafter Datenträger“ jedes Medium, das a) es dem Kunden gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass er sie in der Folge für eine für die Zwecke der Informationen angemessene Dauer einsehen kann, und

40 Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 (ABl. L 347 vom 20. 12. 2013, S. 671).

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b) die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht; 63. „Datenbereitstellungsdienste“ ein APA, ein CTP oder ein ARM; 64. „Zentralverwahrer“ Zentralverwahrer im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung (EU) Nr. 909/2014. (2) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zu erlassen, um einige technische Elemente der Begriffsbestimmungen in Absatz 1 zu bestimmen, mit dem Ziel, sie an die Marktentwicklungen, die technologischen Entwicklungen und die Erfahrungen mit nach der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 verbotenen Tätigkeiten anzupassen und die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie sicherzustellen.

Titel II – Zulassung von Wertpapierfirmen und Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit Kapitel 1 – Zulassungsbedingungen und -Verfahren Art. 5–16 Zulassung, Zuverlässigkeit, Beteiligungstransparenz, Eigenkapitalausstattung, Anlegerentschädigung und Sicherheitsanforderungen — nicht abgedruckt. Art. 17 Algorithmischer Handel (1) Eine Wertpapierfirma, die algorithmischen Handel betreibt, verfügt über wirksame Systeme und Risikokontrollen, die für das von ihr betriebe-ne Geschäft geeignet sind, um sicherzustellen, dass ihre Handelssysteme belastbar sind und über ausreichende Kapazitäten verfügen, angemessenen Handelsschwellen und Handelsobergrenzen unterliegen sowie die Übermittlung von fehlerhaften Aufträgen oder eine Funktionsweise der Systeme vermieden wird, durch die Störungen auf dem Markt verursacht werden könnten bzw. ein Beitrag zu diesen geleistet werden könnte. Eine solche Wertpapierfirma verfügt außerdem über wirksame Systeme und Risikokontrollen, um sicherzu-stellen, dass die Handelssysteme nicht für einen Zweck verwendet werden können, der gegen die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 oder die Vorschriften des Handelsplatzes verstößt, mit dem sie verbunden ist. Die Wertpapierfirma verfügt über wirksame Notfallvorkehrungen, um mit jeglichen Störungen in ihrem Handelssystemen umzugehen, und stellt sicher, dass ihre Systeme vollständig geprüft sind und ordnungsgemäß überwacht werden, damit die in diesem Absatz festgelegten Anforderungen erfüllt werden. (2) Eine Wertpapierfirma, die in einem Mitgliedstaat algorithmischen Handel betreibt, teilt dies den zuständigen Behörden ihres Herkunftsmitgliedstaats und 530

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des Handelsplatzes mit, als dessen Mitglied oder Teilnehmer sie algorithmischen Handel betreibt. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats der Wertpapierfirma kann dieser vorschreiben, regelmäßig oder ad hoc eine Beschreibung ihrer algorithmischen Handelsstrategien, die Einzelheiten zu den Handelsparametern oder Handelsobergrenzen, denen das System unterliegt, die wichtigsten Kontrollen für Einhaltung und Risiken, die sie zur Erfüllung der in Absatz 1 festgelegten Bedingungen eingerichtet hat, sowie die Einzelheiten über ihre Systemprüfung vorzulegen. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats der Wertpapierfirma kann von dieser jederzeit weitere Informationen über ihren algorithmischen Handel und die für diesen Handel eingesetzten Systeme anfordern. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats der Wertpapierfirma leitet auf Verlangen einer zuständigen Behörde des Handelsplatzes, als dessen Mitglied oder Teilnehmer eine Firma algorithmischen Handel betreibt, unverzüglich die in Unterabsatz 2 genannten Informationen weiter, die sie von der algorithmischen Handel betreibenden Firma erhält. Die Wertpapierfirma sorgt dafür, dass Aufzeichnungen zu den in diesem Absatz genannten Angelegenheiten aufbewahrt werden, und stellt sicher, dass diese ausreichend sind, um der zuständigen Behörde zu ermöglichen, die Einhaltung der Anforderungen dieser Richtlinie zu überprüfen. Eine Wertpapierfirma, die eine Hochfrequente algorithmische Handelstechnik anwendet, muss von allen von ihr platzierten Aufträgen, einschließlich Auftragsstornierungen, ausgeführter Aufträge und Kursnotierungen an Handelsplätzen, in einer genehmigten Form zutreffende und chronologisch geordnete Aufzeichnungen aufbewahren und muss diese der zuständigen Behörde auf deren Anfrage hin zur Verfügung stellen. (3) Eine Wertpapierfirma, die in Verfolgung einer Market-Making-Strategie algorithmischen Handel betreibt, muss, unter Berücksichtigung der Liquidität, des Umfangs und der Art des konkreten Markts und der Merkmale des gehandelten Instruments, a) dieses Market-Making während eines festgelegten Teils der Handelszeiten des Handelsplatzes — abgesehen von außergewöhnlichen Umständen — kontinuierlich betreiben, wodurch der Handelsplatz regelmäßig und verlässlich mit Liquidität versorgt wird, b) eine rechtlich bindende schriftliche Vereinbarung mit dem Handelsplatz schließen, in der zumindest die Verpflichtungen der Wertpapierfirma im Einklang mit Buchstabe a festgelegt werden, und c) über wirksame Systeme und Kontrollen verfügten, durch die gewährleistet wird, dass sie jederzeit ihre Verpflichtungen nach der in Buchstabe b genannten Vereinbarung erfüllt. 531

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(4) Für die Zwecke dieses Artikels und des Artikels 48 dieser Richtlinie wird angenommen, dass eine Wertpapierfirma, die algorithmischen Handel betreibt, eine Market-Making-Strategie verfolgt, wenn sie Mitglied oder Teilnehmer eines oder mehrerer Handelsplätze ist und ihre Strategie beim Handel auf eigene Rechnung beinhaltet, dass sie in Bezug auf ein oder mehrere Finanzinstrumente an einem einzelnen Handelsplatz oder an verschiedenen Handelsplätzen feste, zeitgleiche Geld- und Briefkurse vergleichbarer Höhe zu wettbewerbsfähigen Preisen stellt, so dass der Gesamtmarkt regelmäßig und kontinuierlich mit Liquidität versorgt wird. (5) Eine Wertpapierfirma, die einen direkten elektronischen Zugang zu einem Handelsplatz bietet, verfügt über wirksame Systeme und Kontrollen, durch die eine ordnungsgemäße Beurteilung und Überprüfung der Eignung der Kunden gewährleistet wird, die diesen Dienst nutzen, und sichergestellt wird, dass diese Kunden die angemessenen voreingestellten Handels- und Kreditschwellen nicht überschreiten können, der Handel dieser Kunden ordnungsgemäß überwacht wird und ein Handel, durch den Risiken für die Wertpapierfirma selbst entstehen oder durch den Störungen am Markt auftreten könnten oder dazu beigetragen werden könnte oder der gegen die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 bzw. die Vorschriften des Handelsplatzes verstoßen könnte, durch angemessene Risikokontrollen verhindert wird. Direkter elektronischer Zugang ohne solche Kontrollen ist verboten. Eine Wertpapierfirma, die einen direkten elektronischen Zugang bietet, hat sicherzustellen, dass Kunden, die diesen Dienst nutzen, die Anforderungen dieser Richtlinie erfüllen und die Vorschriften des Handelsplatzes einhalten. Die Wertpapierfirma überwacht die Geschäfte, um Verstöße gegen diese Regeln, marktstörende Handelsbedingungen oder auf Marktmissbrauch hindeutende Verhaltensweisen, welche der zuständigen Behörde zu melden sind, zu erkennen. Die Wertpapierfirma sorgt dafür, dass eine rechtlich bindende schriftliche Vereinbarung zwischen ihr und dem jeweiligen Kunden im Hinblick auf die wesentlichen Rechte und Pflichten, die durch diesen Dienst entstehen, besteht und die Verantwortung im Rahmen dieser Richtlinie nach dieser Vereinbarung bei der Wertpapierfirma verbleibt. Eine Wertpapierfirma, die einen direkten elektronischen Zugang zu einem Handelsplatz bietet, macht den zuständigen Behörden ihres Herkunftsmitgliedstaats und des Handelsplatzes, an dem sie den direkten elektronischen Zugang bietet, eine entsprechende Meldung. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats der Wertpapierfirma kann dieser vorschreiben, regelmäßig oder ad hoc eine Beschreibung der in Unterabsatz 1 genannten Systeme und Kontrollen sowie Nachweise für ihre Anwendung vorzulegen. 532

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Auf Ersuchen einer zuständigen Behörde des Handelsplatzes, zu dem eine Firma direkten elektronischen Zugang bietet, leitet die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats der Wertpapierfirma die in Unterabsatz 4 genannten Informationen, die sie von der Firma erhält, unverzüglich weiter. Die Wertpapierfirma sorgt dafür, dass Aufzeichnungen zu den in diesem Absatz genannten Angelegenheiten aufbewahrt werden, und stellt sicher, dass diese ausreichend sind, um der zuständigen Behörde zu ermöglichen, die Einhaltung der Anforderungen dieser Richtlinie zu überprüfen. (6) Eine Wertpapierfirma, die als allgemeines Clearing-Mitglied für andere Personen handelt, verfügt über wirksame Systeme und Kontrollen, um sicherzustellen, dass Clearing-Dienste nur für Personen angewandt werden, die dafür geeignet sind und die eindeutigen Kriterien erfüllen, und diesen Personen geeignete Anforderungen auferlegt werden, damit sie die Risiken für die Wertpapierfirma und den Markt verringern. Die Wertpapierfirma sorgt dafür, dass eine rechtlich bindende schriftliche Vereinbarung zwischen der Wertpapierfirma und der jeweiligen Person im Hinblick auf die wesentlichen Rechte und Pflichten besteht, die durch diesen Dienst entstehen. (7) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, in denen Folgendes präzisiert wird: a) die Einzelheiten der in den Absätzen 1 bis 6 festgelegten konkreten organisatorischen Anforderungen, die Wertpapierfirmen vorzuschreiben sind, die verschiedene Wertpapierdienstleistungen und/oder Anlagetätigkeiten und Nebendienstleistungen oder entsprechende Kombinationen erbringen bzw. ausüben; in den Präzisierungen zu den organisatorischen Anforderungen gemäß Absatz 5 werden besondere Anforderungen für den direkten Marktzugang und für den geförderten Zugang in einer Weise festgelegt, dass sichergestellt ist, dass die beim geförderten Zugang durchgeführten Kontrollen denjenigen, die beim direkten Marktzugang durchgeführt werden, zumindest gleichwertig sind; b) die Umstände, unter denen eine Wertpapierfirma verpflichtet wäre, eine Market-Making-Vereinbarung im Sinne von Absatz 3 Buchstabe b zu schließen, und der Inhalt einer solchen Vereinbarung, einschließlich des Teils der Handelszeiten des Handelsplatzes gemäß Absatz 3; c) die Situationen, die außergewöhnliche Umstände im Sinne von Absatz 3 darstellen, darunter Zustände extremer Volatilität, politische und makroökonomische Gegebenheiten, systembedingte und operationelle Sachverhalte sowie Umstände, die verhindern, dass die Wertpapierfirma solide Risikomanagementverfahren nach Absatz 1 verfolgen kann; d) der Inhalt und das Format der in Absatz 2 Unterabsatz 5 genannten genehmigten Form und die Zeitspanne, während der solche Aufzeichnungen von der Wertpapierfirma aufbewahrt werden müssen. 533

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Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 18 Handel und Abschluss von Geschäften über MTF und OTF (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF oder ein OTF betreiben, neben der Einhaltung der organisatorischen Anforderungen des Artikels 16 transparente Regeln und Verfahren für einen fairen und ordnungsgemäßen Handel sowie objektive Kriterien für die wirksame Ausführung von Aufträgen festlegen. Sie verfügen über Vorkehrungen für eine solide Verwaltung der technischen Abläufe des Systems, einschließlich wirksamer Notfallvorkehrungen für den Fall einer Systemstörung. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF oder ein OTF betreiben, transparente Regeln für die Kriterien aufstellen, nach denen sich bestimmt, welche Finanzinstrumente innerhalb ihrer Systeme gehandelt werden können. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF oder ein OTF betreiben, gegebenenfalls ausreichende öffentlich zugängliche Informationen bereitstellen oder sich vergewissern, dass Zugang zu solchen Informationen besteht, damit seine Nutzer sich ein Urteil über die Anlagemöglichkeiten bilden können, wobei sowohl die Art der Nutzer als auch die Art der gehandelten Instrumente zu berücksichtigen ist. (3) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF oder ein OTF betreiben, transparente und nichtdiskriminierende, auf objektiven Kriterien beruhende Regeln festlegen, veröffentlichen, beibehalten und umsetzen, die den Zugang zu dem System regeln. (4) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF oder ein OTF betreiben, Vorkehrungen treffen, mit denen sich mögliche nachteilige Auswirkungen von Interessenkonflikten zwischen dem MTF, dem OTF, ihren Eigentümern oder der Wertpapierfirma bzw. dem Marktbetreiber, die/der das MTF oder OTF betreibt, und dem einwandfreien Funktionieren des MTF bzw. OTF auf den Betrieb des MTF bzw. OTF oder auf seine Mitglieder bzw. Teilnehmer und Nutzer klar erkennen und regeln lassen. (5) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF oder ein OTF betreiben, mit den Artikeln 48 und 49 im Einklang stehen und hierfür über wirksame Systeme, Verfahren und Vorkehrungen verfügen. (6) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF oder ein OTF betreiben, ihre Mitglieder oder Teilnehmer klar 534

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über ihre jeweilige Verantwortung für die Abrechnung der über das System abgewickelten Geschäfte informieren. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF oder ein OTF betreiben, die erforderlichen Vorkehrungen getroffen haben müssen, um die wirksame Abrechnung der innerhalb der Systeme dieses MTF oder OTF abgeschlossenen Geschäfte zu erleichtern. (7) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass MTF und OTF mindestens drei aktive Mitglieder oder Nutzer haben, die über die Möglichkeit verfügen, mit allen übrigen zum Zwecke der Preisbildung in Verbindung zu treten. (8) Wird ein übertragbares Wertpapier, das zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen wurde, ohne Zustimmung des Emittenten auch über ein MTF oder ein OTF gehandelt, entstehen dem Emittenten dadurch keine Verpflichtungen in Bezug auf die erstmalige, laufende oder punktuelle Veröffentlichung von Finanzinformationen für das MTF oder das OTF. (9) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF oder ein OTF betreiben, unverzüglich jeder Anweisung ihrer zuständigen Behörde aufgrund von Artikel 69 Absatz 2 nachkommen, ein Finanzinstrument vom Handel auszuschließen oder den Handel damit auszusetzen. (10) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF oder ein OTF betreiben, der zuständigen Behörde eine ausführliche Beschreibung über die Funktionsweise des MTF oder OTF übermitteln, einschließlich — unbeschadet des Artikels 20 Absätze 1, 4 und 5 — etwaiger Verbindungen zu einem geregelten Markt, einem MTF, einem OTF oder einem systematischen Internalisierer im Eigentum derselben Wertpapierfirma oder desselben Marktbetreibers, sowie eine Liste ihrer Mitglieder, Teilnehmer und/ oder Nutzer. Die zuständigen Behörden stellen der ESMA diese Informationen auf Anfrage zur Verfügung. Jede Zulassung einer Wertpapierfirma oder eines Marktbetreibers als MTF und OTF wird der ESMA mitgeteilt. Die ESMA erstellt ein Verzeichnis sämtlicher MTF und OTF in der Union. Das Verzeichnis enthält Informationen über die Dienste, die ein MTF oder ein OTF bietet, und den einheitlichen Code, der das MTF oder OTF in den Meldungen gemäß Artikel 23 dieser Richtlinie und den Artikeln 6 und 10 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 kennzeichnet. Es wird regelmäßig aktualisiert. Die ESMA veröffentlicht dieses Verzeichnis auf ihrer Website und aktualisiert es regelmäßig. (11) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Durchführungsstandards aus, um den Inhalt und das Format der in Absatz 10 genannten Beschreibung und Meldung zu bestimmen. Die ESMA legt der Kommission bis zum 3. Januar 2016 diese Entwürfe technischer Durchführungsstandards vor. 535

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Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 19 Besondere Anforderungen für MTF (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, zusätzlich zur Einhaltung der Anforderungen der Artikel 16 und 18, nichtdiskretionäre Regeln für die Ausführung der Aufträge im System festlegen und umsetzen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die in Artikel 18 Absatz 3 genannten Vorschriften, die den Zugang zu einem MTF regeln, in Einklang mit den Bestimmungen von Artikel 53 Absatz 3 stehen. (3) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, Vorkehrungen treffen, a) um angemessen für die Steuerung ihrer Risiken gerüstet zu sein, angemessene Vorkehrungen und Systeme zur Ermittlung aller für ihren Betrieb wesentlichen Risiken zu schaffen und wirksame Maßnahmen zur Begrenzung dieser Risiken zu treffen, b) um über wirksame Vorkehrungen zu verfügen, die einen reibungslosen und rechtzeitigen Abschluss der innerhalb ihrer Systeme ausgeführten Geschäfte erleichtern, und c) um bei der Zulassung und fortlaufend über ausreichende Finanzmittel zu verfügen, um ihr ordnungsgemäßes Funktionieren zu erleichtern, wobei der Art und dem Umfang der an dem geregelten Markt abgeschlossenen Geschäfte sowie dem Spektrum und der Höhe der Risiken, denen sie ausgesetzt sind, Rechnung zu tragen ist. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Artikel 24, 25, Artikel 27 Absätze 1, 2, und 4 bis 10 und Artikel 28 nicht für Geschäfte gelten, die nach den für ein MTF geltenden Regeln zwischen dessen Mitgliedern oder Teilnehmern oder zwischen dem MTF und seinen Mitgliedern oder Teilnehmern in Bezug auf die Nutzung des MTF abgeschlossen werden. Die Mitglieder oder Teilnehmer des MTF müssen allerdings den Verpflichtungen der Artikel 24, 25, 27 und 28 in Bezug auf ihre Kunden nachkommen, wenn sie im Namen ihrer Kunden deren Aufträge im Rahmen eines MTF ausführen. (5) Die Mitgliedstaaten gestatten Wertpapierfirmen und Marktbetreibern, die ein MTF betreiben, nicht, Kundenaufträge unter Einsatz des Eigenkapitals auszuführen oder auf die Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge zurückzugreifen. Art. 20 Besondere Anforderungen für OTF (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein OTF betreiben, Vorkeh536

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rungen treffen, durch die die Ausführung von Kundenaufträgen in einem OTF unter Einsatz des Eigenkapitals der Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die das OTF betreiben, oder einer Einrichtung derselben Gruppe oder juristischen Person wie die Wertpapierfirma oder der Marktbetreiber verhindert wird. (2) Die Mitgliedstaaten gestatten Wertpapierfirmen oder Marktbetreibern, die ein OTF betreiben, auf die Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge für Schuldverschreibungen, strukturierte Finanzprodukte, Emissionszertifikate und bestimmte Derivate zurückzugreifen nur, wenn der Kunde dem Vorgang zugestimmt hat. Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein OTF betreiben, greifen nicht auf die Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge zurück, um Kundenaufträge in einem OTF auszuführen, wenn diese Derivate betreffen, die zu einer Derivatekategorie gehören, die der Verpflichtung zum Clearing nach Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 unterliegt. Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein OTF betreiben, treffen Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass die Definition der „Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge“ in Artikel 4 Absatz 1 Nummer 38 erfüllt wird. (3) Die Mitgliedstaaten gestatten Wertpapierfirmen oder Marktbetreibern, die ein OTF betreiben, den Handel für eigene Rechnung, bei dem es sich nicht um die Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge handelt, nur in Bezug auf öffentliche Schuldtitel, für die kein liquider Markt besteht. (4) Die Mitgliedstaaten untersagen den Betrieb eines OTF und die systematische Internalisierung innerhalb derselben rechtlichen Einheit. Ein OTF darf keine Verbindung zu einem systematischen Internalisierer in einer Weise herstellen, dass die Interaktion von Aufträgen in einem OTF und Aufträgen oder Offerten in einem systematischen Internalisierer ermöglicht wird. Ein OTF wird nicht mit einem anderen OTF verbunden, wenn dadurch die Interaktion von Aufträgen in unterschiedlichen OTF ermöglicht wird. (5) Die Mitgliedstaaten hindern Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein OTF betreiben, nicht daran, eine andere Wertpapierfirma zu beauftragen, unabhängig in einem OTF Market-Making zu betreiben. Für die Zwecke dieses Artikels betreibt eine Wertpapierfirma nicht unabhängig in einem OTF Market-Making, wenn sie in enger Verbindung zu der Wertpapierfirma oder dem Marktbetreiber steht, die bzw. der das OTF betreibt. (6) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Aufträge in einem OTF nach Ermessen ausgeführt werden. Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein OTF betreiben, üben ihr Ermessen nur bei Vorliegen eines oder beider der folgenden Umstände aus: a) wenn sie darüber entscheiden, einen Auftrag über das von ihnen betriebene OTF zu platzieren oder zurückzunehmen; 537

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b) wenn sie darüber entscheiden, einen bestimmten Kundenauftrag nicht mit anderen zu einem bestimmten Zeitpunkt im System vorhandenen Aufträgen zusammenzuführen, sofern dies gemäß den spezifischen Anweisungen eines Kunden und ihren Verpflichtungen nach Artikel 27 erfolgt. Bei dem System, bei dem gegenläufige Kundenaufträge eingehen, kann die Wertpapierfirma oder der Marktbetreiber, die bzw. der das OTF betreiben, entscheiden, ob, wann und in welchem Umfang er zwei oder mehr Aufträge innerhalb des Systems zusammenzuführen wünscht. Im Einklang mit den Absätzen 1, 2, 4 und 5 und unbeschadet des Absatzes 3 kann die Wertpapierfirma oder der Marktbetreiber, die bzw. der das OTF betreibt, bei einem System, über das Geschäfte mit Nichteigenkapitalinstrumenten in die Wege geleitet werden, die Verhandlungen zwischen den Kunden erleichtern, um so zwei oder mehr möglicherweise kompatible Handelsinteressen in einem Geschäft zusammenzuführen. Diese Verpflichtung gilt unbeschadet der Artikel 18 und 27. (7) Die zuständige Behörde kann entweder beim Antrag einer Wertpapierfirma oder eines Marktbetreibers auf Zulassung für den Betrieb eines OTF oder ad hoc ausführliche Erklärung darüber, warum das System keinem geregelten Markt, MTF oder systematischen Internalisierer entspricht und nicht als solcher bzw. solches betrieben werden kann, und eine ausführliche Beschreibung dazu verlangen, wie der Ermessensspielraum genutzt wird, insbesondere wann ein Auftrag im OTF zurückgezogen werden kann und wann und wie zwei oder mehr sich deckende Kundenaufträge innerhalb des OTF zusammengeführt werden. Außerdem stellen Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber eines OTF der zuständigen Behörde Informationen zur Verfügung, mit denen ihr Rückgriff auf die Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge erklärt wird. Die zuständige Behörde überwacht den Handel durch Zusammenführung sich deckender Aufträge, den Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber betreiben, damit sichergestellt ist, dass er weiterhin mit der Definition eines solchen Handels in Einklang steht, und dass der von ihnen betriebene Handel durch Zusammenführung sich deckender Aufträge nicht zu Interessenkonflikten zwischen den Wertpapierfirmen bzw. Marktbetreibern und ihren Kunden führt. (8) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Artikel 24, 25, 27 und 28 für Geschäfte gelten, die über ein OTF abgeschlossen wurden.

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Kapitel II – Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen Abschnitt 1 – Allgemeine Bestimmungen Art. 21–22 Überprüfung und Überwachungspflicht — nicht abgedruckt. Art. 23 Interessenkonflikte (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen alle geeigneten Vorkehrungen treffen, um Interessenkonflikte zwischen ihnen selbst, einschließlich ihrer Geschäftsleitung, ihren Beschäftigten und vertraglich gebundenen Vermittlern oder anderen Personen, die mit ihnen direkt oder indirekt durch Kontrolle verbunden sind, und ihren Kunden oder zwischen ihren Kunden untereinander zu erkennen und zu vermeiden oder zu regeln, die bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen oder einer Kombination davon entstehen, einschließlich derjenigen, die auf den Erhalt von Anreizen von Dritten oder durch die eigene Vergütungsstruktur oder sonstige eigene Anreizstrukturen der Wertpapierfirma zurückgehen. (2) Reichen die organisatorischen oder verwaltungsmäßigen Vorkehrungen, die die Wertpapierfirma gemäß Artikel 16 Absatz 3 getroffen hat um zu verhindern, dass Interessenkonflikte den Kundeninteressen schaden, nicht aus, um nach vernünftigem Ermessen zu gewährleisten, dass das Risiko der Beeinträchtigung von Kundeninteressen vermieden wird, legt die Wertpapierfirma dem Kunden die allgemeine Art und/oder die Quellen von Interessenkonflikten sowie die zur Begrenzung dieser Risiken ergriffenen Maßnahmen eindeutig dar, bevor sie Geschäfte in seinem Namen tätigt. (3) Diese in Absatz 2 genannte Offenlegung hat a) mittels eines dauerhaften Datenträgers zu erfolgen und b) je nach Status des Kunden so ausführlich zu sein, dass dieser seine Entscheidung über die Dienstleistung, in deren Zusammenhang der Interessenkonflikt auftritt, in Kenntnis der Sachlage treffen kann. (4) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zu erlassen, um a) die Maßnahmen zu bestimmen, die von Wertpapierfirmen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden können, um Interessenkonflikte zu erkennen, zu vermeiden, zu regeln und offenzulegen, wenn sie verschiedene Arten von Wertpapierdienstleistungen und Nebendienstleistungen oder Kombinationen davon erbringen; b) geeignete Kriterien festzulegen, anhand derer die Typen von Interessenkonflikten bestimmt werden können, die den Interessen der Kunden oder potenziellen Kunden der Wertpapierfirma schaden könnten. 539

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Abschnitt 2 – Bestimmungen zum Anlegerschutz Art. 24 Allgemeine Grundsätze und Kundeninformation (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass eine Wertpapierfirma bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder gegebenenfalls Nebendienstleistungen für ihre Kunden ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden handelt und insbesondere den Grundsätzen dieses Artikels und des Artikels 25 genügt. (2) Wertpapierfirmen, die Finanzinstrumente zum Verkauf an Kunden konzipieren, sorgen dafür, dass diese Finanzinstrumente so ausgestaltet sind, dass sie den Bedürfnissen eines bestimmten Zielmarktes von Endkunden innerhalb der jeweiligen Kundengattung entsprechen, dass die Strategie für den Vertrieb der Finanzinstrumente mit dem bestimmten Zielmarkt vereinbar ist und dass die Wertpapierfirma zumutbare Schritte unternimmt um zu gewährleisten, dass das Finanzinstrument an den bestimmten Zielmarkt vertrieben wird. Eine Wertpapierfirma muss die von ihr angebotenen oder empfohlenen Finanzinstrumente verstehen, die Vereinbarkeit der Finanzinstrumente mit den Bedürfnissen der Kunden, denen sie Wertpapierdienstleistungen erbringt, beurteilen und auch den in Artikel 16 Absatz 3 genannten Zielmarkt von Endkunden berücksichtigen sowie sicherstellen, dass Finanzinstrumente nur angeboten oder empfohlen werden, wenn dies im Interesse des Kunden liegt. (3) Alle Informationen, einschließlich Marketing-Mitteilungen, die die Wertpapierfirma an Kunden oder potenzielle Kunden richtet, müssen redlich, eindeutig und nicht irreführend sein. Marketing-Mitteilungen müssen eindeutig als solche erkennbar sein. (4) Kunden und potenziellen Kunden sind angemessene Informationen über die Wertpapierfirma und ihre Dienstleistungen, die Finanzinstrumente und die vorgeschlagenen Anlagestrategien, Ausführungsorte und sämtliche Kosten und verbundenen Gebühren rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen enthalten das Folgende: a) wird eine Anlageberatung erbracht, informiert die Wertpapierfirma den Kunden rechtzeitig vor dieser Beratung darüber, i) ob die Beratung unabhängig erbracht wird oder nicht; ii) ob die Beratung sich auf eine umfangreiche oder eine eher beschränkte Analyse verschiedener Arten von Finanzinstrumenten stützt und insbesondere ob die Palette an Finanzinstrumenten auf Finanzinstrumente beschränkt ist, die von Einrichtungen emittiert oder angeboten wurden, die in enger Verbindung zu der Wertpapierfirma stehen oder andere rechtliche oder wirtschaftliche Verbindungen, wie etwa Vertragsbeziehungen, zu dieser unterhalten, die so eng sind, dass das Risiko besteht, dass die Unabhängigkeit der Beratung beeinträchtigt wird; 540

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iii) ob die Wertpapierfirma dem Kunden eine regelmäßige Beurteilung der Eignung der Finanzinstrumente bietet, die diesem Kunden empfohlen wurden; b) die Information zu Finanzinstrumenten und vorgeschlagenen Anlagestrategien muss geeignete Leitlinien und Warnhinweise zu den mit einer Anlage in diese Finanzinstrumente oder mit diesen Anlagestrategien verbundenen Risiken und zu der Frage umfassen, ob die Finanzinstrumente für Kleinanleger oder professionelle Kunden bestimmt sind, wobei der bestimmte Zielmarkt im Einklang mit Absatz 2 zu berücksichtigen ist; c) die Information zu sämtlichen Kosten und Nebenkosten muss Informationen sowohl in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen als auch auf Nebendienstleistungen, einschließlich gegebenenfalls der Beratungskosten, der Kosten des dem Kunden empfohlenen oder an ihn vermarkteten Finanzinstruments und der diesbezüglichen Zahlungsmöglichkeiten des Kunden sowie etwaiger Zahlungen durch Dritte, umfassen. Die Informationen über Kosten und Nebenkosten, einschließlich Kosten und Nebenkosten im Zusammenhang mit der Wertpapierdienstleistung und dem Finanzinstrument, die nicht durch das zugrundeliegende Marktrisiko verursacht werden, sind zusammenzufassen, um es den Kunden zu ermöglichen, die Gesamtkosten sowie die kumulative Wirkung auf die Rendite der Anlage verstehen kann, und — falls der Kunde dies verlangt — ist eine Aufstellung nach Posten zur Verfügung zu stellen. Gegebenenfalls werden solche Informationen dem Kunden regelmäßig, mindestens aber jährlich, während Laufzeit der Anlage zur Verfügung gestellt. (5) Die in den Absätzen 4 und 9 genannten Informationen werden auf verständliche und eine solche Weise zur Verfügung gestellt, dass die Kunden bzw. potenziellen Kunden nach vernünftigem Ermessen die genaue Art und die Risiken der Wertpapierdienstleistungen und des speziellen Typs von Finanzinstrument, der ihnen angeboten wird, verstehen können und somit auf informierter Grundlage Anlageentscheidungen treffen können. Die Mitgliedstaaten können zulassen, dass diese Informationen in standardisierter Form zur Verfügung gestellt werden. (6) Wird eine Wertpapierdienstleistung als Teil eines Finanzprodukts angeboten, das in Bezug auf die Informationspflichten bereits anderen Bestimmungen des Unionsrechts in den Bereichen Kreditinstitute und Verbraucherkredite unterliegt, unterliegt diese Dienstleistung nicht zusätzlich den Anforderungen der Absätze 3, 4 und 5. (7) Informiert eine Wertpapierfirma den Kunden darüber, dass die Anlageberatung unabhängig erbracht wird, dann a) bewertet diese Wertpapierfirma eine ausreichende Palette von auf dem Markt angebotenen Finanzinstrumenten, die hinsichtlich ihrer Art und 541

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Emittenten oder Produktanbieter hinreichend gestreut sein müssen, um zu gewährleisten, dass die Anlageziele des Kunden in geeigneter Form erreicht werden können, und sie dürfen nicht auf Finanzinstrumente beschränkt sein, die i) von der Wertpapierfirma selbst oder von Einrichtungen emittiert oder angeboten werden, die in enger Verbindung zur Wertpapierfirma stehen, ii) von anderen Einrichtungen emittiert oder angeboten werden, zu denen die Wertpapierfirma so enge rechtliche oder wirtschaftliche Beziehungen, wie etwa Vertragsbeziehungen, unterhält, dass das Risiko besteht, dass die Unabhängigkeit der Beratung beeinträchtigt wird, b) ist es dieser Wertpapierfirma nicht gestattet, für die Erbringung der Dienstleistung an die Kunden Gebühren, Provisionen oder andere monetäre und nichtmonetäre Vorteile einer dritten Partei oder einer Person, die im Namen einer dritten Partei handelt, anzunehmen und zu behalten. Kleinere nichtmonetäre Vorteile, die die Servicequalität für den Kunden verbessern können und die von ihrem Umfang und ihrer Art her nicht vermuten lassen, dass sie die Einhaltung der Pflicht der Wertpapierfirma, im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln, beeinträchtigen, sind unmissverständlich offenzulegen und fallen nicht unter diesen Buchstaben. (8) Bietet die Wertpapierfirma ein Portfolio-Management an, ist es ihr nicht gestattet, für die Erbringung der Dienstleistung an die Kunden Gebühren, Provisionen oder andere monetäre oder nichtmonetäre Vorteile einer dritten Partei oder einer Person, die im Namen einer dritten Partei handelt, anzunehmen und zu behalten. Kleinere nichtmonetäre Vorteile, die die Servicequalität für den Kunden verbessern können und die von ihrem Umfang und ihrer Art her nicht vermuten lassen, dass sie die Einhaltung der Pflicht der Wertpapierfirma, im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln, beeinträchtigen, sind unmissverständlich offenzulegen und fallen nicht unter diesen Absatz. (9) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass nicht davon ausgegangen wird, dass Wertpapierfirmen ihre Verpflichtungen nach Artikel 23 oder Absatz 1 dieses Artikel erfüllen, wenn sie eine Gebühr oder Provision zahlen oder eine Gebühr oder Provision erhalten oder einen nicht-monetären Vorteil im Zusammenhang mit der Erbringung einer Wertpapierdienstleistung oder einer Nebendienstleistung einer Partei gewähren oder von einer Partei erhalten, sofern es sich bei dieser Partei nicht um den Kunden oder eine Person handelt, die im Auftrag des Kunden tätig wird, es sei denn, die Provision oder der Vorteil a) ist dazu bestimmt, die Qualität der jeweiligen Dienstleistung für den Kunden zu verbessern, und b) beeinträchtigt nicht die Erfüllung der Pflicht der Wertpapierfirma, im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln. 542

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Die Existenz, die Art und der Betrag der in Unterabsatz 1 genannten Gebühr oder Provision oder — wenn der Betrag nicht feststellbar ist — die Art und Weise der Berechnung dieses Betrages müssen dem Kunden vor Erbringung der betreffenden Wertpapier- oder Nebendienstleistung in umfassender, zutreffender und verständlicher Weise unmissverständlich offen gelegt werden. Gegebenenfalls hat die Wertpapierfirma den Kunden über den Mechanismus für die Weitergabe der Gebühren, Provisionen und monetären oder nicht-monetären Vorteile an den Kunden zu unterrichten, die sie im Zusammenhang mit der Erbringung der Wertpapierdienstleistung und Nebenleistung eingenommen hat. Die Zahlung oder der Vorteil, die bzw. der die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen — wie Verwahrungsgebühren, Abwicklungs- und Handelsplatzgebühren, Verwaltungsabgaben oder gesetzliche Gebühren — ermöglicht oder für sie notwendig ist und wesensbedingt keine Konflikte mit der Verpflichtung der Wertpapierfirma hervorrufen kann, im besten Interesse ihrer Kunden ehrlich, redlich und professionell zu handeln, unterliegt nicht der Anforderung nach Unterabsatz 1. (10) Eine Wertpapierfirma, die Wertpapierdienstleistungen für Kunden erbringt, stellt sicher, dass sie die Leistung ihrer Mitarbeiter nicht in einer Weise vergütet oder bewertet, die mit ihrer Pflicht, im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln, kollidiert. Insbesondere trifft sie keine Vereinbarung im Wege der Vergütung, Verkaufsziele oder auf sonstigem Wege, die ihre Mitarbeiter verleiten könnte, einem Kleinanleger ein bestimmtes Finanzinstrument zu empfehlen, obwohl die Wertpapierfirma ein anderes, den Bedürfnissen des Kunden besser entsprechendes Finanzinstrument anbieten könnte. (11) Wird eine Wertpapierdienstleistung zusammen mit einer anderen Dienstleistung oder einem Produkt als Teil eines Pakets oder als Bedingung für dieselbe Vereinbarung bzw. dasselbe Paket angeboten, informiert die Wertpapierfirma den Kunden darüber, ob die verschiedenen Bestandteile getrennt voneinander gekauft werden können, und erbringt für jeden Bestandteil einen getrennten Nachweis über Kosten und Gebühren. Besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sich die mit solchen einem Kleinanleger angebotenen Vereinbarungen bzw. Paketen verbundenen Risiken von den mit den einzelnen Bestandteilen verknüpften Risiken unterscheiden, legt die Wertpapierfirma eine angemessene Beschreibung der verschiedenen Bestandteile der Vereinbarung bzw. des Pakets vor, in der auch dargelegt wird, inwiefern deren Wechselwirkung die Risiken verändert. Die ESMA arbeitet gemeinsam mit der EBA und der EIOPA spätestens bis zum 3. Januar 2016 Leitlinien für die Bewertung und die Beaufsichtigung von Querverkäufen aus, in denen insbesondere Situationen beschrieben werden, in denen Querverkäufe die Verpflichtungen von Absatz 1 nicht erfüllen, und aktualisiert diese in regelmäßigen Abständen. 543

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(12) Die Mitgliedstaaten können den Wertpapierfirmen in Ausnahmefällen zusätzliche Anforderungen vorschreiben, die Sachverhalte betreffen, die durch diesen Artikel geregelt werden. Diese Anforderungen müssen sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein und der Steuerung spezifischer Risiken für den Anlegerschutz oder die Marktintegrität, die angesichts der Umstände der Marktstruktur dieses Mitgliedstaats besonders bedeutsam sind, dienen. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission unverzüglich und mindestens zwei Monate vor Inkrafttreten der betreffenden Anforderung etwaige Anforderungen mit, die sie gemäß diesem Absatz vorzuschreiben beabsichtigen. Die Mitteilung enthält eine Begründung für diese Anforderung. Durch solche zusätzlichen Anforderungen werden die Rechte von Wertpapierfirmen nach den Artikeln 34 und 35 dieser Richtlinie nicht eingeschränkt oder in sonstiger Weise berührt. Die Kommission nimmt innerhalb von zwei Monaten ab der Mitteilung gemäß Unterabsatz 2 zu der Verhältnismäßigkeit und der Begründung der zusätzlichen Anforderungen Stellung. Die Kommission unterrichtet die Mitgliedstaaten über die zusätzlichen Anforderungen, die sie gemäß diesem Absatz vorschreibt, und veröffentlicht sie auf ihrer Website. Die Mitgliedstaaten dürfen zusätzliche Anforderungen beibehalten, die der Kommission im Einklang mit Artikel 4 der Richtlinie 2006/73/EG vor dem 2. Juli 2014 gemeldet wurden, sofern die in dieser Bestimmung festgelegten Bedingungen erfüllt sind. (13) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zu erlassen, um sicherzustellen, dass die Wertpapierfirmen bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen für ihre Kunden die in diesem Artikel vorgeschriebenen Grundsätze einhalten; hierzu zählen: a) die Bedingungen, die Informationen erfüllen müssen, um redlich, eindeutig und nicht irreführend zu sein, b) Einzelheiten zu Inhalt und Form der Kundeninformationen im Hinblick auf die Kundeneinstufung, die Wertpapierfirmen und ihre Dienstleistungen, die Finanzinstrumente und die Kosten und Gebühren, c) die Kriterien für die Bewertung einer Auswahl von auf dem Markt angebotenen Finanzinstrumenten, d) die Kriterien, anhand derer beurteilt wird, ob Firmen, die Anreize erhalten, die Pflicht erfüllen, ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln. Bei der Aufstellung der Anforderungen für Informationen zu Finanzinstrumenten in Bezug auf Absatz 4 Buchstabe b sind gegebenenfalls Informationen über 544

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die Struktur des Produkts unter Berücksichtigung der entsprechenden nach Unionsrecht vorgeschriebenen standardisierten Informationen einbezogen werden. (14) Bei den in Absatz 13 genannten delegierten Rechtsakten sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: a) die Art der den Kunden oder potenziellen Kunden angebotenen oder für diese erbrachten Dienstleistung(en) unter Berücksichtigung von Typ, Gegenstand, Umfang und Häufigkeit der Geschäfte; b) die Art und die Palette der angebotenen oder in Betracht gezogenen Produkte, einschließlich der unterschiedlichen Arten von Finanzinstrumenten; c) ob es sich bei den Kunden oder potenziellen Kunden um Kleinanleger oder professionelle Anleger handelt oder im Fall von Absatz 4 und Absatz 5 deren Einstufung als geeignete Gegenpartei. Art. 25 Beurteilung der Eignung und Zweckmäßigkeit sowie Berichtspflicht gegenüber Kunden (1) Die Mitgliedstaaten verlangen von Wertpapierfirmen, dafür zu sorgen und der zuständigen Behörde auf Anfrage nachzuweisen, dass natürliche Personen, die gegenüber Kunden im Namen der Wertpapierfirma eine Anlageberatung erbringen oder Kunden Informationen über Anlageprodukte, Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen erteilen, über die Kenntnisse und Kompetenzen verfügen, die für die Erfüllung der Verpflichtungen nach Artikel 24 und diesem Artikel notwendig sind. Die Mitgliedstaaten veröffentlichen die Kriterien, die für die Beurteilung der Kenntnisse und Kompetenzen angelegt werden. (2) Erbringt die Wertpapierfirma Anlageberatung- oder Portfolio-Management, holt sie die notwendigen Informationen über die Kenntnisse und Erfahrung des Kunden oder potenziellen Kunden im Anlagebereich in Bezug auf den speziellen Produkttyp oder den speziellen Typ der Dienstleistung, seine finanziellen Verhältnisse, einschließlich seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen, und seine Anlageziele, einschließlich seiner Risikotoleranz, ein, um ihr zu ermöglichen, dem Kunden oder potenziellen Kunden Wertpapierdienstleistungen und Finanzinstrumente zu empfehlen, die für ihn geeignet sind und insbesondere seiner Risikotoleranz und seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen, entsprechen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in dem Fall, dass eine Wertpapierfirma eine Anlageberatung erbringt, bei der ein Paket von Dienstleistungen oder Produkten empfohlen wird, die gemäß Artikel 24 Absatz 11 gebündelt sind, das gesamte gebündelte Paket für den Kunden geeignet ist. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Wertpapierfirmen bei anderen als den in Absatz 2 genannten Finanzdienstleistungen Kunden oder potenzielle Kunden um Angaben zu ihren Kenntnissen und Erfahrungen im Anlagebereich 545

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in Bezug auf den speziellen Typ der angebotenen oder angeforderten Produkte oder Dienstleistungen bitten, um beurteilen zu können, ob die in Betracht gezogenen Wertpapierdienstleistungen oder Produkte für den Kunden angemessen sind. Wird ein Bündel von Dienstleistungen oder Produkten gemäß Artikel 24 Absatz 11 in Betracht gezogen, wird bei der Beurteilung berücksichtigt, ob das gesamte gebündelte Paket angemessen ist. Ist die Wertpapierfirma aufgrund der gemäß Unterabsatz 1 erhaltenen Informationen der Auffassung, dass das Produkt oder die Dienstleistung für den Kunden oder potenziellen Kunden nicht angemessen ist, warnt sie den Kunden oder potenziellen Kunden. Dieser Hinweis kann in standardisierter Form erfolgen. Machen die Kunden oder potenziellen Kunden die in Unterabsatz 1 genannten Angaben nicht oder machen sie unzureichende Angaben zu ihren Kenntnissen und Erfahrungen, warnt sie die Wertpapierfirma, dass sie nicht in der Lage ist zu beurteilen, ob die in Betracht gezogene Wertpapierdienstleistung oder das in Betracht gezogene Produkt für sie angemessen ist. Dieser Hinweis kann in standardisierter Form erfolgen. (4) Die Mitgliedstaaten gestatten Wertpapierfirmen, deren Wertpapierdienstleistungen lediglich in der Ausführung von Kundenaufträgen oder der Annahme und Übermittlung von Kundenaufträgen mit oder ohne Nebendienstleistungen bestehen, mit Ausnahme der in Anhang 1 Abschnitt B Nummer 1 genannten Gewährung von Krediten oder Darlehen, die keine bestehenden Kreditobergrenzen von Darlehen, Girokonten und Überziehungsmöglichkeiten von Kunden beinhalten, solche Wertpapierdienstleistungen für ihre Kunden zu erbringen, ohne zuvor die Angaben gemäß Absatz 3 einholen oder bewerten zu müssen, wenn alle der nachstehenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) die Dienstleistungen beziehen sich auf eines der folgenden Finanzinstrumente: i) Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt oder einem gleichwertigen Markt eines Drittlandes oder in einem MTF zugelassen sind, sofern es sich um Aktien von Unternehmen handelt, mit Ausnahme von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen, die keine OGAW sind, und Aktien, in die ein Derivat eingebettet ist; ii) Schuldverschreibungen oder sonstige verbriefte Schuldtitel, die zum Handel an einem geregelten Markt oder einem gleichwertigen Markt eines Drittlandes oder in einem MTF zugelassen sind, mit Ausnahme der Schuldverschreibungen oder verbrieften Schuldtitel, in die ein Derivat eingebettet ist oder die eine Struktur enthalten, die es dem Kunden erschwert, die damit einhergehenden Risiken zu verstehen;

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iii) Geldmarktinstrumente, mit Ausnahme der Instrumente, in die ein Derivat eingebettet ist oder die eine Struktur enthalten, die es dem Kunde erschwert, die damit einhergehenden Risiken zu verstehen; iv) Aktien oder Anteile an OGAW, mit Ausnahme der in Artikel 36 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 583/2010 genannten strukturierten OGAW; v) strukturierte Einlagen mit Ausnahme der Einlagen, die eine Struktur enthalten, die es dem Kunden erschwert, das Ertragsrisiko oder die Kosten eines Verkaufs des Produkts vor Fälligkeit zu verstehen; vi) andere nicht komplexe Finanzinstrumente im Sinne dieses Absatzes. Für die Zwecke dieses Buchstabens gilt ein Markt eines Drittlandes als einem geregelten Markt gleichwertig, wenn die Anforderungen und das Verfahren der Unterabsätze 3 und 4 erfüllt sind. Auf Antrag der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats erlässt die Kommission gemäß dem in Artikel 89a Absatz 2 genannten Prüfungsverfahren Beschlüsse über die Gleichwertigkeit, durch die festgestellt wird, ob der Rechts- und Aufsichtsrahmen eines Drittlands gewährleistet, dass ein in diesem Drittland zugelassener geregelter Markt rechtlich bindende Anforderungen erfüllt, die zum Zweck der Anwendung des vorliegenden Buchstabens den Anforderungen, die sich aus der Verordnung (EU) Nr. 596/2014, aus Titel III der vorliegenden Richtlinie, aus Titel II der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 sowie aus der Richtlinie 2004/109/EG ergeben, gleichwertig sind und in diesem Drittland einer wirksamen Beaufsichtigung und Durchsetzung unterliegen. Die zuständige Behörde legt dar, weshalb sie der Ansicht ist, dass der Rechts- und Aufsichtsrahmen des betreffenden Drittlands als gleichwertig anzusehen ist, und legt hierfür einschlägige Informationen vor. Ein solcher Rechts- und Aufsichtsrahmen eines Drittlands kann als gleichwertig betrachtet werden, wenn dieser Rahmen mindestens die folgenden Bedingungen erfüllt: i) Die Märkte unterliegen der Zulassung und kontinuierlichen wirksamen Beaufsichtigung und Durchsetzung; ii) die Märkte verfügen über klare und transparente Vorschriften für die Zulassung von Wertpapieren zum Handel, sodass diese Wertpapiere fair, ordnungsgemäß und effizient gehandelt werden können und frei handelbar sind; iii) die Wertpapieremittenten unterliegen regelmäßig und kontinuierlich Informationspflichten, die ein hohes Maß an Anlegerschutz gewährleisten; und

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iv) Markttransparenz und -integrität sind gewährleistet, indem Marktmissbrauch in Form von Insider-Geschäften und Marktmanipulation verhindert wird. b) die Dienstleistung wird auf Veranlassung des Kunden oder potenziellen Kunden erbracht; c) der Kunde oder potenzielle Kunde wurde eindeutig darüber informiert, dass die Wertpapierfirma bei der Erbringung dieser Dienstleistung die Angemessenheit der Finanzinstrumente oder Dienstleistungen, die erbracht oder angeboten werden, nicht prüfen muss und der Kunde daher nicht in den Genuss des Schutzes der einschlägigen Wohlverhaltensregeln kommt. Eine derartige Warnung kann in standardisierter Form erfolgen; d) die Wertpapierfirma kommt ihren Pflichten gemäß Artikel 23 nach. (5) Die Wertpapierfirma erstellt eine Aufzeichnung, die das Dokument oder die Dokumente mit den Vereinbarungen zwischen der Wertpapierfirma und dem Kunden enthält, die die Rechte und Pflichten der Parteien sowie die sonstigen Bedingungen, zu denen die Wertpapierfirma Dienstleistungen für den Kunden erbringt, festlegt. Die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien können durch einen Verweis auf andere Dokumente oder Rechtstexte aufgenommen werden. (6) Die Wertpapierfirma stellt dem Kunden geeignete Berichte über die erbrachten Dienstleistungen mittels eines dauerhaften Datenträgers zur Verfügung. Diese Berichte enthalten regelmäßige Mitteilungen an die Kunden, in denen der Art und der Komplexität der jeweiligen Finanzinstrumente sowie der Art der für den Kunden erbrachten Dienstleistung Rechnung getragen wird, und gegebenenfalls die Kosten, die mit den im Namen des Kunden durchgeführten Geschäften und den erbrachten Dienstleistungen verbunden sind. Leistet die Wertpapierfirma Anlageberatung, erhält der Kunde vor Durchführung des Geschäfts von ihr eine Erklärung zur Geeignetheit auf einem dauerhaften Datenträger, in der sie die erbrachte Beratung nennt und erläutert, wie die Beratung auf die Präferenzen, Ziele und sonstigen Merkmale des Kleinanlegers abgestimmt wurde. Wenn die Vereinbarung, ein Finanzinstrument zu kaufen oder zu verkaufen, unter Verwendung eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wird und die vorherige Aushändigung der Geeignetheitserklärung somit nicht möglich ist, kann die Wertpapierfirma dem Kunden die schriftliche Erklärung zur Geeignetheit auf einem dauerhaften Datenträger übermitteln, unmittelbar nachdem dieser sich vertraglich gebunden hat, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) Der Kunde hat der Übermittlung der Geeignetheitserklärung unverzüglich nach Geschäftsabschluss zugestimmt, und b) die Wertpapierfirma hat den Kunden die Option eingeräumt, das Geschäft zu verschieben, um die Geeignetheitserklärung vorher zu erhalten. 548

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Wenn eine Wertpapierfirma eine Portfolioverwaltung erbringt oder dem Kunden mitgeteilt hat, dass sie eine regelmäßige Beurteilung der Geeignetheit vornehmen werde, muss der regelmäßige Bericht eine aktualisierte Erklärung dazu enthalten, wie die Anlage auf die Präferenzen, Ziele und sonstigen Merkmale des Kleinanlegers abgestimmt wurde. (7) Ist ein Wohnimmobilienkreditvertrag, der den Bestimmungen zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit von Verbrauchern der Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates41 unterliegt, an die Vorbedingung geknüpft, dass demselben Verbraucher eine Wertpapierdienstleistung in Bezug auf speziell zur Besicherung der Finanzierung des Kredits begebene Pfandbriefe mit denselben Konditionen wie der Wohnimmobilienkreditvertrag erbracht wird, damit der Kredit ausgezahlt, refinanziert oder abgelöst werden kann, unterliegt diese Dienstleistung nicht den in diesem Artikel genannten Verpflichtungen. (8) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zu erlassen um zu gewährleisten, dass Wertpapierfirmen bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen für ihre Kunden den in den Absätzen 2 bis 6 dieses Artikels festgelegten Grundsätzen genügen; hierzu zählen die zur Beurteilung der Eignung oder Zweckmäßigkeit der Dienstleistungen und der Finanzinstrumente für ihre Kunden einzuholenden Informationen, die Kriterien zur Beurteilung nicht komplexer Finanzinstrumente für die Zwecke des Absatzes 4 Buchstabe a Ziffer vi dieses Artikels, der Inhalt und das Format der Aufzeichnungen und Vereinbarungen für die Erbringung von Dienstleistungen für Kunden und der regelmäßigen Berichte an die Kunden über die erbrachten Leistungen. In diesen delegierten Rechtsakten sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: a) die Art der den Kunden oder potenziellen Kunden angebotenen oder für diese erbrachten Dienstleistung(en) unter Berücksichtigung von Typ, Gegenstand, Umfang und Häufigkeit der Geschäfte; b) die Art der angebotenen oder in Betracht gezogenen Produkte, einschließlich der unterschiedlichen Arten von Finanzinstrumenten; c) ob es sich bei den Kunden oder potenziellen Kunden um Kleinanleger oder professionelle Anleger handelt oder im Fall von Absatz 6 deren Einstufung als geeignete Gegenpartei. (9) Die ESMA nimmt bis zum 3. Januar 2016 Leitlinien an, in denen die Kriterien für die Beurteilung der Kenntnisse und Kompetenzen, die nach Absatz 1 erforderlich sind, angegeben werden. 41 Richtlinie 2014/17/ЕU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/ 48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 Text von Bedeutung für den EWR (ABl. L 60 vom 28. 2. 2014, S. 34).

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(10) Die ESMA arbeitet bis zum 3. Januar 2016 Leitlinien für die Bewertung von Folgendem aus: a) Finanzinstrumente, die gemäß Absatz 4 Buchstabe a Ziffern ii und iii eine Struktur enthalten, die es dem Kunden erschwert, die damit einhergehenden Risiken zu verstehen; b) strukturierte Einlagen, die gemäß Absatz 4 Buchstabe a Ziffer v eine Struktur enthalten, die es dem Kunden erschwert, das Ertragsrisiko oder die Kosten eines Verkaufs des Produkts vor der Fälligkeit zu verstehen. (11) Die ESMA kann Leitlinien für die Bewertung von Finanzinstrumenten, die als nicht komplex für die Zwecke des Absatzes 4 Buchstabe a Ziffer vi eingestuft werden, unter Berücksichtigung der nach Absatz 8 erlassenen delegierten Rechtsakte ausarbeiten und sie regelmäßig aktualisieren. Art. 26 Erbringung von Dienstleistungen über eine andere Wertpapierfirma Die Mitgliedstaaten gestatten einer Wertpapierfirma, die über eine andere Wertpapierfirma eine Anweisung erhält, Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen im Namen eines Kunden zu erbringen, sich auf Kundeninformationen zu stützen, die von der zuletzt genannten Wertpapierfirma weitergeleitet werden. Die Verantwortung für die Vollständigkeit und Richtigkeit der weitergeleiteten Anweisungen verbleibt bei der Wertpapierfirma, die die Anweisungen übermittelt. Die Wertpapierfirma, die eine Anweisung erhält, auf diese Art Dienstleistungen im Namen eines Kunden zu erbringen, darf sich auch auf Empfehlungen in Bezug auf die Dienstleistung oder das Geschäft verlassen, die dem Kunden von einer anderen Wertpapierfirma gegeben wurden. Die Verantwortung für die Eignung der Empfehlungen oder der Beratung für den Kunden verbleibt bei der Wertpapierfirma, welche die Anweisungen übermittelt. Die Verantwortung für die Erbringung der Dienstleistung oder den Abschluss des Geschäfts auf der Grundlage solcher Angaben oder Empfehlungen im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen dieses Titels verbleibt bei der Wertpapierfirma, die die Kundenanweisungen oder -aufträge über eine andere Wertpapierfirma erhält. Art. 27 Verpflichtung zur kundengünstigsten Ausführung von Aufträgen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen bei der Ausführung von Aufträgen unter Berücksichtigung des Kurses, der Kosten, der Schnelligkeit, der Wahrscheinlichkeit der Ausführung und Abwicklung des Umfangs, der Art und aller sonstigen, für die Auftragsausführung relevanten Aspekte alle hinreichenden Maßnahmen ergreifen, um das bestmögliche Ergebnis für ihre Kunden zu erreichen. Liegt jedoch eine ausdrückliche Weisung des Kunden vor, 550

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führt die Wertpapierfirma den Auftrag gemäß dieser ausdrücklichen Weisung aus. Führt eine Wertpapierfirma einen Auftrag im Namen eines Kleinanlegers aus, bestimmt sich das bestmögliche Ergebnis nach der Gesamtbewertung, die den Preis des Finanzinstruments und die Kosten im Zusammenhang mit der Ausführung darstellt und alle dem Kunden entstandenen Kosten umfasst, die in direktem Zusammenhang mit der Ausführung des Auftrags stehen, einschließlich der Gebühren des Ausführungsplatzes, Clearing- und Abwicklungsgebühren und sonstigen Gebühren, die Dritten gezahlt wurden, die an der Ausführung des Auftrags beteiligt sind. Kann ein Auftrag über ein Finanzinstrument an mehreren konkurrierenden Plätzen ausgeführt werden, müssen — um die in den Grundsätzen der Auftragsausführung der Wertpapierfirma aufgeführten und zur Ausführung des Auftrags fähigen Ausführungsplätze für den Kunden miteinander zu vergleichen und zu bewerten — die Provisionen der Wertpapierfirma und die Kosten der Ausführung an den einzelnen in Frage kommenden Plätzen im Interesse der Erzielung des bestmöglichen Ergebnisses in Einklang mit Unterabsatz 1 in diese Bewertung einfließen. (2) Eine Wertpapierfirma erhält keine Vergütung und keinen Rabatt oder nichtmonetären Vorteil für die Weiterleitung von Kundenaufträgen zu einem bestimmten Handelsplatz oder Ausführungsplatz, die einen Verstoß gegen die Anforderungen zu Interessenkonflikten oder Anreizen nach Absatz 1 dieses Artikels, nach Artikel 16 Absatz 3 sowie den Artikeln 23 bis 24 darstellen würde. (3) Die Mitgliedsaaten schreiben vor, dass für Finanzinstrumente, die der Handelspflicht nach den Artikeln 23 und 28 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 unterliegen, jeder Handelsplatz und systematische Internalisierer und für andere Finanzinstrumente jeder Ausführungsplatz der Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich gebührenfrei Informationen über die Qualität der Ausführung von Aufträgen auf diesem Handelsplatz zur Verfügung stellt und dass eine Wertpapierfirma nach Ausführung eines Geschäfts dem Kunden mitteilt, wo der Auftrag ausgeführt wurde. Diese regelmäßigen Berichte enthalten ausführliche Angaben zu den Kursen, den Kosten sowie der Schnelligkeit und Wahrscheinlichkeit der Ausführung einzelner Finanzinstrumente. (4) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen wirksame Vorkehrungen für die Einhaltung von Absatz 1 treffen und anwenden. Die Mitgliedstaaten schreiben insbesondere vor, dass Wertpapierfirmen Grundsätze der Auftragsausführung festlegen und anwenden, die es ihnen erlauben, für die Aufträge ihrer Kunden das bestmögliche Ergebnis in Einklang mit Absatz 1 zu erzielen. (5) Die Grundsätze der Auftragsausführung enthalten für jede Gattung von Finanzinstrumenten Angaben zu den verschiedenen Handelsplätzen, an denen 551

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die Wertpapierfirma Aufträge ihrer Kunden ausführt, und die Faktoren, die für die Wahl des Ausführungsplatzes ausschlaggebend sind. Es werden zumindest die Handelsplätze genannt, an denen die Wertpapierfirma gleich bleibend die bestmöglichen Ergebnisse bei der Ausführung von Kundenaufträgen erzielen kann. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen ihre Kunden über ihre Grundsätze der Auftragsausführung in geeigneter Form informieren. In diesen Informationen wird klar, ausführlich und auf eine für Kunden verständliche Weise erläutert, wie die Kundenaufträge von der Wertpapierfirma ausgeführt werden. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen die vorherige Zustimmung ihrer Kunden zu ihrer Ausführungspolitik für Aufträge einholen. Für den Fall, dass die Grundsätze der Auftragsausführung vorsehen, dass Aufträge außerhalb eines Handelsplatzes ausgeführt werden dürfen, schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass die Wertpapierfirma ihre Kunden oder potenziellen Kunden insbesondere auf diese Möglichkeit hinweisen muss. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen die vorherige ausdrückliche Zustimmung der Kunden einholen, bevor sie Kundenaufträge außerhalb eines Handelsplatzes ausführen. Wertpapierfirmen können eine solche Zustimmung entweder in Form einer allgemeinen Vereinbarung oder zu jedem Geschäft einzeln einholen. (6) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen, die Kundenaufträge ausführen, einmal jährlich für jede Klasse von Finanzinstrumenten die fünf Ausführungsplätze, die ausgehend vom Handelsvolumen am wichtigsten sind, auf denen sie Kundenaufträge im Vorjahr ausgeführt haben, und Informationen über die erreichte Ausführungsqualität zusammenfassen und veröffentlichen. (7) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen, die Kundenaufträge ausführen, die Effizienz ihrer Vorkehrungen zur Auftragsausführung und ihre Ausführungspolitik überwachen, um Mängel festzustellen und gegebenenfalls zu beheben. Insbesondere prüfen sie regelmäßig, ob die in der Ausführungspolitik genannten Handelsplätze das bestmögliche Ergebnis für die Kunden erbringen oder ob die Vorkehrungen zur Auftragsausführung geändert werden müssen. Dabei berücksichtigen sie unter anderem die gemäß den Absätzen 3 und 6 veröffentlichten Informationen. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen ihren Kunden, mit denen sie eine laufende Geschäftsbeziehung unterhalten, wesentliche Änderungen ihrer Vorkehrungen zur Auftragsausführung oder ihrer Ausführungspolitik mitteilen. (8) Die Mitgliedstaaten schreiben Wertpapierfirmen vor, ihren Kunden gegenüber auf deren Anfragen nachzuweisen, dass sie deren Aufträge im Einklang mit der Ausführungspolitik der Wertpapierfirma ausgeführt haben, und der zu552

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ständigen Behörde auf deren Anfrage nachzuweisen, dass sie diesen Artikel eingehalten haben. (9) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 89 delegierte Rechtsakte zu erlassen in Bezug auf a) die Kriterien, nach denen die relative Bedeutung der verschiedenen Faktoren bestimmt wird, die gemäß Absatz 1 herangezogen werden können, um das bestmögliche Ergebnis unter Berücksichtigung des Umfangs und der Art des Auftrags und des Kundentyps — Kleinanleger oder professioneller Kunde — zu ermitteln; b) Faktoren, die eine Wertpapierfirma heranziehen kann, um ihre Ausführungsvorkehrungen zu überprüfen und um zu prüfen, unter welchen Umständen eine Änderung dieser Vorkehrungen angezeigt wäre. Insbesondere die Faktoren zur Bestimmung, welche Handelsplätze Wertpapierfirmen ermöglichen, bei der Ausführung von Kundenaufträgen auf Dauer die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen; c) Art und Umfang der Informationen über die Ausführungspolitik, die den Kunden gemäß Absatz 5 zur Verfügung zu stellen. (10) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, um Folgendes festzulegen: a) den genauen Inhalt, das Format und die Periodizität der in Einklang mit Absatz 3 zu veröffentlichenden Daten in Bezug auf die Qualität der Ausführung, wobei der Art des Ausführungsplatzes sowie der Art des Finanzinstruments Rechnung getragen wird; b) den Inhalt und das Format der von den Wertpapierfirmen in Einklang mit Absatz 6 zu veröffentlichenden Informationen. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 28 Vorschriften für die Bearbeitung von Kundenaufträgen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen, die zur Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden berechtigt sind, Verfahren und Systeme einrichten, die die unverzügliche, redliche und rasche Ausführung von Kundenaufträgen im Verhältnis zu anderen Kundenaufträgen oder den Handelsinteressen der Wertpapierfirma gewährleisten. Diese Verfahren oder Systeme ermöglichen es, dass ansonsten vergleichbare Kundenaufträge gemäß dem Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Wertpapierfirma ausgeführt werden. 553

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(2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen bei Kundenlimitaufträgen in Bezug auf Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind oder an einem Handelsplatz gehandelt werden, die zu den vorherrschenden Marktbedingungen nicht unverzüglich ausgeführt werden, Maßnahmen ergreifen, um die schnellstmögliche Ausführung dieser Aufträge dadurch zu erleichtern, dass sie sie unverzüglich und auf eine Art und Weise bekannt machen, die für andere Marktteilnehmer leicht zugänglich ist, sofern der Kunde nicht ausdrücklich eine anders lautende Anweisung gibt. Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass eine Wertpapierfirma dieser Pflicht genügt, wenn sie die Kundenlimitaufträge an einen Handelsplatz weiterleitet. Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständigen Behörden von dieser Verpflichtung zur Bekanntmachung eines Limitauftrags im Sinne von Artikel 4 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 absehen können, wenn dieser im Vergleich zum marktüblichen Geschäftsumfang sehr groß ist. (3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zu erlassen, um Folgendes festzulegen: a) die Bedingungen und die Art der Verfahren und Systeme für die unverzügliche, redliche und rasche Ausführung von Kundenaufträgen, sowie die Situationen oder Geschäftsarten, in denen bzw. bei denen Wertpapierfirmen sinnvollerweise von der unverzüglichen Ausführung abweichen können, um günstigere Bedingungen für Kunden zu erwirken; b) die verschiedenen Methoden, die eine Wertpapierfirma anwenden kann, um ihrer Verpflichtung nachzukommen, dem Markt Kundenlimitaufträge, die nicht unverzüglich ausgeführt werden können, bekannt zu machen. Art. 29 Verpflichtungen von Wertpapierfirmen bei der Bestellung vertraglich gebundener Vermittler (1) Die Mitgliedstaaten gestatten einer Wertpapierfirma, vertraglich gebundene Vermittler für die Förderung des Dienstleistungsgeschäfts der Wertpapierfirma, das Hereinholen neuer Geschäfte oder die Entgegennahme der Aufträge von Kunden oder potenziellen Kunden sowie die Übermittlung dieser Aufträge, das Platzieren von Finanzinstrumenten sowie für Beratungen in Bezug auf die von der Wertpapierfirma angebotenen Finanzinstrumente und Dienstleistungen zu bestellen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass eine Wertpapierfirma, die beschließt, einen vertraglich gebundenen Vermittler zu bestellen, für jedes Handeln oder Unterlassen des vertraglich gebundenen Vermittlers uneingeschränkt haftet, wenn er im Namen der Wertpapierfirma tätig ist. Die Mitgliedstaaten schreiben der Wertpapierfirma vor sicherzustellen, dass ein vertraglich gebundener Vermittler mitteilt, in welcher Eigenschaft er handelt und welche Wertpapierfirma er vertritt, wenn er mit Kunden oder potenziellen Kunden Kontakt aufnimmt oder bevor er mit diesen Geschäfte abschließt. 554

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Die Mitgliedstaaten können gemäß Artikel 16 Absätze 6, 8 und 9 vertraglich gebundenen Vermittlern, die in ihrem Hoheitsgebiet registriert sind, gestatten, für die Wertpapierfirma, für die sie tätig sind, und unter deren uneingeschränkter Verantwortung in ihrem Hoheitsgebiet oder — bei grenzüberschreitenden Geschäften — im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, der vertraglich gebundenen Vermittlern die Verwaltung von Kundengeldern gestattet, Gelder und/oder Finanzinstrumente von Kunden zu verwalten. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Wertpapierfirmen die Tätigkeiten ihrer vertraglich gebundenen Vermittler überwachen, um zu gewährleisten, dass sie diese Richtlinie auf Dauer einhalten, wenn sie über vertraglich gebundene Vermittler tätig werden. (3) Vertraglich gebundene Vermittler werden in das öffentliche Register des Mitgliedstaats eingetragen, in dem sie niedergelassen sind. Die ESMA veröffentlicht auf ihrer Website Verweise oder Hyperlinks zu den öffentlichen Registern, die nach diesem Artikel von den Mitgliedstaaten eingerichtet worden sind, die es Wertpapierfirmen gestatten, vertraglich gebundene Vermittler heranzuziehen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass vertraglich gebundene Vermittler nur dann in das öffentliche Register eingetragen werden, wenn feststeht, dass sie ausreichend gut beleumdet sind und über die angemessenen allgemeinen, kaufmännischen und beruflichen Kenntnisse verfügen, um die Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen erbringen und alle einschlägigen Informationen über die angebotene Dienstleistung korrekt an den Kunden oder den potenziellen Kunden weiterleiten zu können. Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass Wertpapierfirmen — vorbehaltlich einer angemessenen Kontrolle — überprüfen dürfen, ob die von ihnen herangezogenen vertraglich gebundenen Vermittler ausreichend gut beleumdet sind und über die Kenntnisse und Kompetenzen gemäß Unterabsatz 2 verfügen. Das Register wird regelmäßig aktualisiert. Es steht der Öffentlichkeit zur Einsichtnahme offen. (4) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen, die vertraglich gebundene Vermittler heranziehen, durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Tätigkeiten des vertraglich gebundenen Vermittlers keine nachteiligen Auswirkungen auf die Tätigkeiten haben, die der vertraglich gebundene Vermittler im Namen der Wertpapierfirma ausübt. Die Mitgliedstaaten können den zuständigen Behörden gestatten, mit Wertpapierfirmen und Kreditinstituten, deren Verbänden und sonstigen Rechtspersönlichkeiten bei der Registrierung von vertraglich gebundenen Vermittlern und der Überwachung der Einhaltung der Anforderungen nach Absatz 3 durch die vertraglich gebundenen Vermittler zusammenzuarbeiten. Insbesondere kön555

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nen vertraglich gebundene Vermittler durch Wertpapierfirmen, Kreditinstitute oder deren Verbände und sonstige Rechtspersönlichkeiten unter der Aufsicht der zuständigen Behörde registriert werden. (5) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen nur vertraglich gebundene Vermittler heranziehen dürfen, die in den öffentlichen Registern gemäß Absatz 3 geführt werden. (6) Die Mitgliedstaaten können für in ihrem Hoheitsgebiet registrierte vertraglich gebundene Vermittler strengere Bestimmungen als die dieses Artikels oder zusätzliche Anforderungen erlassen oder beibehalten. Art. 30 Geschäfte mit geeigneten Gegenparteien (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Wertpapierfirmen, die zur Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden und/oder zum Handel für eigene Rechnung und/oder zur Entgegennahme und Weiterleitung von Aufträgen berechtigt sind, Geschäfte mit geeigneten Gegenparteien anbahnen oder abschließen können, ohne in Bezug auf diese Geschäfte oder auf Nebendienstleistungen in direktem Zusammenhang mit diesen Geschäften den Auflagen des Artikels 24 mit Ausnahme der Absätze 4 und 5, des Artikels 25 mit Ausnahme von Absatz 6, des Artikels 27 und des Artikels 28 Absatz 1 genügen zu müssen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Wertpapierfirmen in ihrer Beziehung mit den geeigneten Gegenparteien ehrlich, redlich und professionell handeln sowie auf redliche, eindeutige und nicht irreführende Weise mit ihnen kommunizieren, und dabei der Form der geeigneten Gegenpartei und deren Geschäftstätigkeit Rechnung tragen. (2) Die Mitgliedstaaten erkennen für die Zwecke dieses Artikels Wertpapierfirmen, Kreditinstitute, Versicherungsgesellschaften, OGAW und ihre Verwaltungsgesellschaften, Pensionsfonds und ihre Verwaltungsgesellschaften, sonstige zugelassene oder nach dem Unionsrecht oder den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einer Aufsicht unterliegende Finanzinstitute, nationale Regierungen und deren Einrichtungen, einschließlich öffentlicher Stellen der staatlichen Schuldenverwaltung auf nationaler Ebene, Zentralbanken und supranationale Organisationen als geeignete Gegenparteien an. Die Einstufung als geeignete Gegenpartei gemäß Unterabsatz 1 berührt nicht das Recht solcher Rechtspersönlichkeiten, entweder generell oder für jedes einzelne Geschäft eine Behandlung als Kunde zu beantragen, für dessen Geschäfte mit der Wertpapierfirma die Artikel 24, 25, 27 und 28 gelten. (3) Die Mitgliedstaaten können auch andere Unternehmen als geeignete Gegenparteien anerkennen, die im Voraus festgelegte proportionale Anforderungen einschließlich quantitativer Schwellenwerte erfüllen. Im Falle eines Geschäfts mit potenziellen Gegenparteien, die verschiedenen Rechtsordnungen angehö556

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ren, trägt die Wertpapierfirma dem Status des anderen Unternehmens Rechnung, der sich nach den Rechtsvorschriften oder Maßnahmen des Mitgliedstaats bestimmt, in dem das Unternehmen ansässig ist. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Wertpapierfirma, die Geschäfte gemäß Absatz 1 mit solchen Unternehmen abschließt, die ausdrückliche Zustimmung der potenziellen Gegenpartei einholt, als geeignete Gegenpartei behandelt zu werden. Die Mitgliedstaaten gestatten der Wertpapierfirma, diese Zustimmung entweder in Form einer allgemeinen Vereinbarung oder für jedes einzelne Geschäft einzuholen. (4) Die Mitgliedstaaten können Rechtspersönlichkeiten von Drittländern, die den in Absatz 2 genannten Kategorien von Rechtspersönlichkeiten gleichwertig sind, als zulässige Gegenparteien anerkennen. Die Mitgliedstaaten können auch Unternehmen von Drittländern, wie die nach Absatz 3, unter denselben Voraussetzungen und bei Erfüllung derselben Anforderungen wie denen des Absatzes 3 als zulässige Gegenparteien anerkennen. (5) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zu erlassen, die Folgendes festlegen: a) die Verfahren zur Beantragung einer Behandlung als Kunde gemäß Absatz 2; b) die Verfahren zur Einholung der ausdrücklichen Zustimmung potenzieller Gegenparteien gemäß Absatz 3; c) die im Voraus festgelegten proportionalen Anforderungen einschließlich der quantitativen Schwellenwerte, nach denen ein Unternehmen als geeignete Gegenpartei gemäß Absatz 3 anerkannt werden kann. Art. 31–33 Markttransparenz und -integrität sowie KMU-Wachstumsmärkte — nicht abgedruckt.

Kapitel III – Rechte von Wertpapierfirmen Art. 34–38 Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit sowie Zugang zu zentralen Gegenparteien, Clearing- und Abrechnungssystemen — nicht abgedruckt.

Kapitel IV – Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten durch Drittlandfirmen Art. 39–43 Zulassungs- und Zugangsfragen von Drittlandfirmen — nicht abgedruckt. 557

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Titel III – Geregelte Märkte Art. 44 Zulassung und anwendbares Recht (1) Die Mitgliedstaaten lassen nur diejenigen Systeme als geregelten Markt zu, die diesem Titel genügen. Die Zulassung als geregelter Markt wird nur erteilt, wenn die zuständige Behörde sich davon überzeugt hat, dass sowohl der Marktbetreiber als auch die Systeme des geregelten Marktes zumindest den Anforderungen dieses Titels genügen. Handelt es sich bei einem geregelten Markt um eine juristische Person, die von einem anderen Marktbetreiber als dem geregelten Markt selbst verwaltet oder betrieben wird, legen die Mitgliedstaaten fest, welche der verschiedenen Verpflichtungen des Marktbetreibers nach dieser Richtlinie von dem geregelten Markt und welche vom Marktbetreiber zu erfüllen sind. Der Marktbetreiber stellt alle Angaben, einschließlich eines Geschäftsplans, aus dem unter anderem die Arten der in Betracht gezogenen Geschäfte und die Organisationsstruktur hervorgehen, zur Verfügung, damit die zuständige Behörde prüfen kann, ob der geregelte Markt bei der Erstzulassung alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen hat, um seinen Verpflichtungen gemäß diesem Titel nachzukommen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Marktbetreiber die mit der Organisation und dem Betrieb des geregelten Marktes zusammenhängenden Aufgaben unter der Aufsicht der zuständigen Behörde wahrnimmt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden die geregelten Märkte regelmäßig auf die Einhaltung dieses Titels hin überprüfen. Sie stellen ferner sicher, dass die zuständigen Behörden überwachen, ob die geregelten Märkte jederzeit die Voraussetzungen für die Erstzulassung nach diesem Titel erfüllen. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Marktbetreiber dafür verantwortlich ist, zu gewährleisten, dass der geregelte Markt, den er verwaltet, den in diesem Titel festgelegten Anforderungen genügt. Die Mitgliedstaaten stellen ferner sicher, dass der Marktbetreiber die Rechte wahrnehmen darf, die dem von ihm verwalteten geregelten Markt durch diese Richtlinie zustehen. (4) Unbeschadet etwaiger einschlägiger Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 oder der Richtlinie 2014/57/EU unterliegt der nach den Systemen des geregelten Marktes betriebene Handel dem öffentlichen Recht des Herkunftsmitgliedstaats des geregelten Marktes. (5) Die zuständige Behörde kann einem geregelten Markt die Zulassung entziehen, wenn dieser a) nicht binnen zwölf Monaten von der Zulassung Gebrauch macht, ausdrücklich auf die Zulassung verzichtet oder in den sechs vorhergehenden Mona558

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ten nicht tätig gewesen ist, es sei denn, der betreffende Mitgliedstaat sieht in diesen Fällen das Erlöschen der Zulassung vor; b) die Zulassung aufgrund falscher Angaben oder auf sonstige rechtswidrige Weise erhalten hat, c) die Voraussetzungen, auf denen die Zulassung beruhte, nicht mehr erfüllt; d) in schwerwiegender Weise systematisch gegen die Bestimmungen zur Durchführung dieser Richtlinie oder der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 verstoßen hat; e) einen der Fälle erfüllt, in denen das nationale Recht den Entzug vorsieht. (6) Jeder Entzug der Zulassung wird der ESMA mitgeteilt. Art. 45 Anforderungen an das Leitungsorgan eines Marktbetreibers (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass sämtliche Mitglieder des Leitungsorgans eines Marktbetreibers zu jeder Zeit ausreichend gut beleumundet sind und ausreichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzen, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können. Die Zusammensetzung des Leitungsorgans spiegelt ferner insgesamt ein angemessen breites Spektrum an Erfahrung wider. (2) Die Mitglieder des Leitungsorgans erfüllen insbesondere die folgenden Anforderungen: a) Alle Mitglieder des Leitungsorgans widmen der Wahrnehmung ihrer Funktionen für den Marktbetreiber ausreichend Zeit. Die Zahl der Leitungsfunktionen, die ein Mitglied des Leitungsorgans in einer rechtlichen Einheit gleichzeitig wahrnehmen kann, richtet sich nach den einzelnen Umständen sowie nach Art, Umfang und Komplexität der Tätigkeiten des Marktbetreibers. Sofern sie nicht den Mitgliedstaat vertreten, beschränken die Mitglieder des Leitungsorgans von Marktbetreibern, die aufgrund ihrer Größe, ihrer internen Organisation und der Art, des Umfangs und der Komplexität ihrer Geschäfte von erheblicher Bedeutung sind, die Kumulierung auf eine der folgenden Kombinationen: i) eine Leitungsfunktion mit zwei Aufsichtsfunktionen, ii) vier Aufsichtsfunktionen. Leitungs- oder Aufsichtsfunktionen innerhalb derselben Gruppe oder innerhalb von Unternehmen, an denen der Marktbetreiber über eine qualifizierte Beteiligung verfügt, werden als eine einzige Funktion betrachtet. Die zuständigen Behörden können Mitgliedern des Leitungsorgans genehmigen, eine weitere Aufsichtsfunktion auszuüben. Die zuständigen Behörden unterrichten die EBA regelmäßig über derartige Genehmigungen. Die Leitungs- oder Aufsichtsfunktionen in Organisationen, die nicht vorwiegend kommerzielle Ziele verfolgen, sind von den Beschränkungen der Zahl der Leitungs- und Aufsichtsfunktionen, die ein Mitglied des Leitungsorgans wahrnehmen kann, ausgenommen. 559

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b) Das Leitungsorgan verfügt kollektiv über die zum Verständnis der Tätigkeiten des Marktbetreibers samt seinen Hauptrisiken notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen. c) Jedes Mitglied des Leitungsorgans handelt aufrichtig, integer und unvoreingenommen, um die Entscheidungen der Geschäftsleitung wirksam zu beurteilen und erforderlichenfalls in Frage zu stellen und die Entscheidungsfindung wirksam zu kontrollieren und zu überwachen. (3) Die Marktbetreiber setzen für die Einführung der Mitglieder des Leitungsorgans in ihr Amt und deren Schulung Personal und Finanzressourcen in angemessenem Umfang ein. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Marktbetreiber, die aufgrund ihrer Größe, ihrer internen Organisation und der Art, des Umfangs und der Komplexität ihrer Geschäfte von erheblicher Bedeutung sind, einen Nominierungsausschuss einsetzen, der sich aus Mitgliedern des Leitungsorgans zusammensetzt, die bei dem betreffenden Marktbetreiber keine Geschäftsführungsaufgaben wahrnehmen. Der Nominierungsausschuss hat folgende Aufgaben: a) Ist im Leitungsorgan eine Stelle zu besetzen, ermittelt er Bewerber und empfiehlt diese dem Leitungsorgan oder der Hauptversammlung zur Zustimmung. Dabei bewertet der Nominierungsausschuss die Ausgewogenheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, der Diversität und der Erfahrungen des Leitungsorgans. Darüber hinaus erstellt der Ausschuss eine Aufgabenbeschreibung mit Bewerberprofil und beurteilt den mit der Aufgabe verbundenen Zeitaufwand. Ferner entscheidet der Nominierungsausschuss über eine Zielvorgabe für die Vertretung des unterrepräsentierten Geschlechts im Leitungsorgan, und erstellt eine Strategie für die Anhebung des Anteils des unterrepräsentierten Geschlechts im Leitungsorgan, um diese Zielvorgabe zu erreichen. b) Er bewertet regelmäßig und zumindest einmal jährlich die Struktur, Größe, Zusammensetzung und Leistung des Leitungsorgans und empfiehlt diesem etwaige Änderungen. c) Er bewertet regelmäßig und zumindest einmal jährlich die Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung sowohl der einzelnen Mitglieder des Leitungsorgans in seiner geschäftsführenden Funktion als auch des Leitungsorgans insgesamt und informiert das Leitungsorgan entsprechend. d) Er überprüft den Kurs des Leitungsorgans bei der Auswahl und Bestellung der Geschäftsleitung und richtet Empfehlungen an das Leitungsorgan. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben berücksichtigt der Nominierungsausschuss soweit wie möglich und kontinuierlich, die Notwendigkeit, sicherzustellen, dass die Entscheidungen des Leitungsorgans nicht von einer einzigen Per560

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son oder einer kleinen Gruppe von Personen in einer Weise beherrscht werden, die für die Interessen des Marktbetreibers als Ganzem von Nachteil ist. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben kann der Nominierungsausschuss auf alle Ressourcen zurückgreifen, die er für angemessen hält, einschließlich externer Berater. Ist das Leitungsorgan nach nationalem Recht in keiner Weise an der Auswahl und Bestellung seiner Mitglieder beteiligt, findet dieser Absatz keine Anwendung. (5) Die Mitgliedstaaten oder die zuständigen Behörden verlangen von Marktbetreibern und deren Nominierungsausschüssen, dass sie bei der Berufung von Mitgliedern in das Leitungsorgan auf eine große Bandbreite von Eigenschaften und Fähigkeiten achten und zu diesem Zweck eine Politik der Förderung von Diversität innerhalb des Leitungsorgans verfolgen. (6) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Leitungsorgan eines Marktbetreibers die Umsetzung der Unternehmensführungsregelungen, die die wirksame und umsichtige Führung einer Organisation sicherstellen und unter anderem eine Aufgabentrennung in der Organisation und die Vorbeugung von Interessenkonflikten vorsehen, auf eine Weise festlegt und überwacht, durch die die Integrität des Markts gefördert wird. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass das Leitungsorgan die Wirksamkeit der Unternehmensführungsregelungen des Marktbetreibers überwacht und regelmäßig bewertet und angemessene Schritte zur Behebung etwaiger Defizite einleitet. Die Mitglieder des Leitungsorgans haben einen angemessenen Zugang zu den Informationen und Dokumenten, die für die Beaufsichtigung und Überwachung der Entscheidungsfindung der Geschäftsleitung erforderlich sind. (7) Die zuständige Behörde verweigert die Zulassung, wenn sie nicht davon überzeugt ist, dass die Mitglieder des Leitungsorgans des Marktbetreibers gut beleumdet sind, über ausreichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzen und der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ausreichend Zeit widmen, oder wenn objektive und nachweisbare Gründe für die Vermutung vorliegen, dass die Geschäftsleitung des Marktbetreibers dessen wirksame, solide und umsichtige Führung sowie die angemessene Berücksichtigung der Marktintegrität gefährden könnte. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei der Zulassung eines geregelten Markts davon ausgegangen wird, dass die Personen, die die Geschäfte und den Betrieb eines bereits in Einklang mit dieser Richtlinie zugelassenen geregelten Markts tatsächlich leiten, die Anforderungen von Absatz 1 erfüllen. (8) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Marktbetreiber der zuständigen Behörde die Namen aller Mitglieder seines Leitungsorgans und jede Änderung 561

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in dessen Zusammensetzung sowie alle Informationen übermittelt, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob der Marktbetreiber die Bestimmungen der Absätze 1 bis 5 erfüllt. (9) Die ESMA gibt Leitlinien heraus zu a) dem Konzept des ausreichenden Zeitaufwands, d. h. der Zeit, die ein Mitglied des Leitungsorgans für die Wahrnehmung seiner Aufgaben aufwenden muss, damit dies im Verhältnis zu den Umständen im Einzelfall und zu Art, Umfang und Komplexität der Geschäfte des Marktbetreibers als ausreichend anzusehen ist, b) notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen, über die das Leitungsorgan nach Absatz 2 Buchstabe b kollektiv verfügen muss; c) Aufrichtigkeit, Integrität und Unvoreingenommenheit eines Mitglieds des Leitungsorgans im Sinne des Absatzes 2 Buchstabe c; d) dem Konzept des angemessenem Umfangs von Personal und Finanzressourcen für die Einführung der Mitglieder des Leitungsorgans in ihr Amt und deren Schulung im Sinne des Absatzes 3; e) dem Konzept der Diversität als einem gemäß Absatz 5 bei der Auswahl der Mitglieder des Leitungsorgans heranzuziehenden Kriterium. Die ESMA gibt diese Leitlinien bis zum 3. Januar 2016 heraus. Art. 46 Anforderungen an das Leitungsorgan eines Marktbetreibers (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Personen, die direkt oder indirekt tatsächlich wesentlichen Einfluss auf die Verwaltung des geregelten Marktes nehmen können, die zu diesem Zweck erforderliche Eignung besitzen müssen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Marktbetreiber des geregelten Marktes a) der zuständigen Behörde Angaben zu den Eigentumsverhältnissen des geregelten Marktes und/oder des Marktbetreibers, insbesondere die Namen aller Parteien, die wesentlichen Einfluss auf seine Geschäftsführung nehmen können, und die Höhe ihrer Beteiligung vorlegt und diese Informationen veröffentlicht; b) die zuständige Behörde über jede Eigentumsübertragung, die den Kreis derjenigen verändert, die wesentlichen Einfluss auf die Führung des geregelten Marktes nehmen, unterrichtet und diese Übertragung veröffentlicht. (3) Die zuständige Behörde verweigert die Genehmigung vorgeschlagener Änderungen der Mehrheitsbeteiligung des geregelten Marktes und/oder des Marktbetreibers, wenn objektive und nachweisbare Gründe für die Vermutung vorliegen, dass sie die solide und umsichtige Verwaltung des geregelten Marktes gefährden würden. 562

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Art. 47 Organisatorische Anforderungen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der geregelte Markt a) Vorkehrungen trifft, mit denen sich etwaige nachteilige Auswirkungen von Interessenkonflikten zwischen dem geregelten Markt, seinen Eigentümern oder seinem Marktbetreiber und dem einwandfreien Funktionieren des geregelten Marktes auf den Betrieb des geregelten Marktes oder seine Mitglieder oder Teilnehmer klar erkennen und regeln lassen, und zwar insbesondere dann, wenn solche Interessenkonflikte die Erfüllung von Aufgaben, die dem geregelten Markt von der zuständigen Behörde übertragen wurden, behindern könnten; b) um angemessen für die Steuerung ihrer Risiken ausgestattet zu sein, angemessene Vorkehrungen und Systeme zur Ermittlung aller für ihren Betrieb wesentlichen Risiken zu schaffen und wirksame Maßnahmen zur Begrenzung dieser Risiken zu treffen, c) Vorkehrungen für eine solide Verwaltung der technischen Abläufe des Systems, einschließlich wirksamer Notmaßnahmen für den Fall eines Systemzusammenbruchs, trifft; d) transparente und nichtdiskretionäre Regeln und Verfahren für einen fairen und ordnungsgemäßen Handel sowie objektive Kriterien für eine effiziente Auftragsausführung festlegt; e) um über wirksame Vorkehrungen zu verfügen, die einen reibungslosen und rechtzeitigen Abschluss der innerhalb seiner Systeme ausgeführten Geschäfte erleichtern, f) um bei der Zulassung und fortlaufend über ausreichende Finanzmittel zu verfügen, um ihr ordnungsgemäßes Funktionieren zu erleichtern, wobei der Art und dem Umfang der an dem geregelten Markt abgeschlossenen Geschäfte sowie dem Spektrum und der Höhe der Risiken, denen sie ausgesetzt sind, Rechnung zu tragen ist. (2) Die Mitgliedstaaten gestatten Marktbetreibern nicht, an einem von ihnen betriebenen geregelten Markt Kundenaufträge unter Einsatz des Eigenkapitals auszuführen oder auf die Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge zurückzugreifen. Art. 48 Belastbarkeit der Systeme, Notfallsicherungen („circuit breakers“) und elektronischer Handel (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein geregelter Markt über wirksame Systeme, Verfahren und Vorkehrungen verfügt, um sicherzustellen, dass seine Handelssysteme belastbar sind und über ausreichende Kapazitäten für Spitzenvolumina an Aufträgen und Mitteilungen verfügen, in der Lage sind, unter extremen Stressbedingungen auf den Märkten einen ordnungsgemäßen Handel zu gewährleisten, vollständig geprüft sind um 563

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zu gewährleisten, dass diese Bedingungen erfüllt sind, und wirksamen Notfallvorkehrungen unterliegen, um im Fall von Störungen in seinen Handelssystemen die Kontinuität seines Geschäftsbetriebs zu gewährleisten. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein geregelter Markt über a) schriftliche Vereinbarungen mit allen Wertpapierfirmen, die eine MarketMaking-Strategie an dem geregelten Markt verfolgen, und b) Systeme, durch die sichergestellt wird, dass an diesen Vereinbarungen eine ausreichende Zahl an Wertpapierfirmen teilnimmt, die feste Kurse zu wettbewerbsfähigen Preisen abgeben, wodurch dem Markt regelmäßig und vorhersehbar Liquidität zugeführt wird, wenn eine solche Anforderung der Art und dem Umfang der Handelstätigkeit an diesem geregelten Markt angemessen ist, verfügt. (3) In der im Absatz 2 genannten schriftlichen Vereinbarung ist mindestens Folgendes festgelegt: a) die Verpflichtungen der Wertpapierfirma im Zusammenhang mit der Zuführung von Liquidität und gegebenenfalls sonstige Verpflichtungen, die sich aus der Teilnahme an dem in Absatz 2 genannten System ergeben; b) etwaige Anreize in Form von Rabatten oder sonstigem, die vom geregelten Markt einer Wertpapierfirma dafür angeboten werden, dass sie dem Markt regelmäßig und vorhersehbar Liquidität zuführt, und gegebenenfalls sonstige Rechte, die die Wertpapierfirma aufgrund ihrer Teilnahme an dem in Absatz 2 genannten System erwirbt. Es obliegt dem geregelten Markt, zu überwachen und dafür zu sorgen, dass die Wertpapierfirmen den Anforderungen dieser rechtlich bindenden schriftlichen Vereinbarungen nachkommen. Der geregelte Markt teilt der zuständigen Behörde den Inhalt der rechtlich bindenden Vereinbarung mit und legt der zuständigen Behörde auf Anfrage alle weiteren Informationen vor, die erforderlich sind, damit die zuständige Behörde prüfen kann, ob der geregelte Markt diesen Absatz einhält. (4) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein geregelter Markt über wirksame Systeme, Verfahren und Vorkehrungen verfügt, um Aufträge abzulehnen, die die im Voraus festgelegten Grenzen für Volumina und Kurse überschreiten oder eindeutig irrtümlich zustande kamen. (5) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein geregelter Markt in der Lage zu sein hat, den Handel vorübergehend einzustellen oder einzuschränken, wenn es kurzfristig zu einer erheblichen Preisbewegung bei einem Finanzinstrument auf diesem Markt oder einem benachbarten Markt kommt, und dass er in Ausnahmefällen in der Lage zu sein hat, jedes Geschäft zu stornieren, zu ändern oder zu berichtigen. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein geregelter Markt sicherzustellen hat, dass die Parameter für die Einstellung des Handels 564

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so in geeigneter Weise austariert werden, dass der Liquidität bei den einzelnen Kategorien und Teilkategorien von Vermögenswerten, der Art des Marktmodells und der Art der Nutzer Rechnung getragen wird und die Möglichkeit besteht, wesentliche Störungen eines ordnungsgemäßen Handels zu unterbinden. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ein geregelter Markt die Parameter für die Einstellung des Handels und wesentliche Änderungen an ihnen der zuständigen Behörde auf kohärente und vergleichbare Weise meldet und dass die zuständige Behörde sie ihrerseits der ESMA meldet. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass bei Einstellung des Handels in einem Mitgliedstaat durch einen geregelten Markt, der für die Liquidität in Bezug auf dieses Finanzinstrument maßgeblich ist, dieser Handelsplatz über die Systeme und Verfahren verfügt, die notwendig sind um sicherzustellen, dass er die zuständigen Behörden benachrichtigt, damit diese eine marktweite Reaktion koordinieren und entscheiden können, ob es angemessen ist, den Handel an anderen Handelsplätzen, an denen das Finanzinstrument gehandelt wird, einzustellen, bis der Handel am ursprünglichen Markt wieder aufgenommen wird. (6) Die Mitgliedstaaten setzen voraus, dass ein geregelter Markt über wirksame Systeme, Verfahren und Vorkehrungen verfügt, einschließlich der Anforderung, dass Mitglieder oder Teilnehmer angemessene Tests von Algorithmen durchführen und ein Umfeld schaffen, um solche Tests zu vereinfachen, um sicherzustellen, dass algorithmischen Handelssysteme keine marktstörenden Handelsbedingungen auf dem Markt schaffen oder zu solchen beitragen, und um etwaige marktstörende Handelsbedingungen, die sich aus algorithmischen Handelssystemen ergeben, zu kontrollieren, einschließlich Systeme zur Begrenzung des Verhältnisses nicht ausgeführter Handelsaufträge zu Geschäften, die von einem Mitglied oder Teilnehmer in das System eingegeben werden können, mit dem Ziel das Auftragsaufkommen zu verlangsamen, wenn das Risiko besteht, dass seine Systemkapazität erreicht wird, und die kleinstmögliche Tick-Größe zu begrenzen und durchzusetzen, die auf dem Markt ausgeführt werden kann. (7) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein geregelter Markt, der einen direkten elektronischen Zugang gestattet, über wirksame Systeme, Verfahren und Vorkehrungen verfügt um sicherzustellen, dass die Mitglieder oder Teilnehmer eine solche Dienstleistung nur erbringen dürfen, wenn es sich dabei um in Einklang mit dieser Richtlinie zugelassene Wertpapierfirmen oder im Einklang mit der Richtlinie 2006/48/EG zugelassene Kreditinstitute handelt, dass angemessene Kriterien in Bezug auf die Eignung der Personen festgelegt sind und angewandt werden, die einen solchen Zugang erhalten können, und dass die Verantwortung für Aufträge und Geschäfte, die über diesen Dienst abgeschlossen werden, in Bezug auf die Anforderungen dieser Richtlinie bei dem Mitglied oder Teilnehmer verbleibt. 565

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Die Mitgliedstaaten schreiben auch vor, dass der geregelte Markt angemessene Standards in Bezug auf Risikokontrollen und Schwellen für den Handel über einen solchen Zugang festlegt und in der Lage ist, zwischen Aufträgen und Geschäften zu unterscheiden, die von einer Person über einen direkten elektronischen Zugang abgeschlossen werden und sonstigen Aufträgen und Geschäften, die von Mitgliedern oder Teilnehmern ausgeführt werden, und diese Aufträge und Geschäfte gegebenenfalls einzustellen. Der geregelte Markt muss über Vorkehrungen verfügen, um die Bereitstellung des direkten elektronischen Zugangs durch ein Mitglied oder einen Teilnehmer für einen Kunden im Falle der Nichteinhaltung dieses Absatzes auszusetzen oder einzustellen. (8) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein geregelter Markt gewährleistet, dass seine Bestimmungen über Kollokationsdienste transparent, gerecht und nichtdiskriminierend sind. (9) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein geregelter Markt sicherstellt, dass seine Gebührenstrukturen, einschließlich Ausführungsgebühren, Nebengebühren und möglichen Rabatten, transparent, gerecht und diskriminierungsfrei sind und keine Anreize schaffen, Aufträge so zu platzieren, zu ändern oder zu stornieren bzw. Geschäfte so zu tätigen, dass dies zu marktstörenden Handelsbedingungen oder Marktmissbrauch beiträgt. Insbesondere verlangen die Mitgliedstaaten von einem geregelten Markt, im Austausch für gewährte Rabatte Market-Making-Pflichten in Bezug auf einzelne Aktien oder Aktienportfolios aufzuerlegen. Die Mitgliedstaaten geben einem geregelten Markt die Möglichkeit, seine Gebühren für stornierte Aufträge an die Zeitspanne anzupassen, in der der Auftrag aufrechterhalten wurde, und austarierte Gebühren für jedes Finanzinstrument festzulegen, für das sie gelten. Die Mitgliedstaaten können einem geregelten Markt erlauben, höhere Gebühren für die Erteilung von Aufträgen, die später storniert werden, oder Teilnehmern, bei denen der Anteil stornierter Aufträge hoch ist, oder solchen Teilnehmern zu berechnen, die eine Methode des algorithmischen Hochfrequenzhandels anwenden, um der zusätzlichen Belastung der Systemkapazität Rechnung zu tragen. (10) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein geregelter Markt in der Lage sein muss, mittels Kennzeichnung durch die Mitglieder oder Teilnehmer die durch algorithmischen Handel erzeugten Aufträge, die verschiedenen für die Auftragserstellung verwendeten Algorithmen sowie die Personen, die diese Aufträge initiiert haben, kenntlich zu machen. Diese Informationen werden den zuständigen Behörden auf deren Ersuchen hin zugänglich gemacht. (11) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der geregelte Markt den zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats auf deren Anfrage Daten in Bezug 566

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auf das Auftragsbuch zur Verfügung stellt bzw. den zuständigen Behörden Zugang zu dem Auftragsbuch gibt, so dass diese in der Lage sind, die Geschäfte zu überwachen. (12) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, a) um die Anforderungen festzulegen, die sicherstellen, dass die Handelssysteme eines geregelten Markts belastbar sind und über ausreichende Kapazität verfügen; b) um das in Absatz 6 genannte Verhältnis unter Berücksichtigung von Faktoren festzulegen, wie etwa des Wertes nicht ausgeführter Aufträge im Verhältnis zum Wert ausgeführter Geschäfte; c) um Kontrollen für einen direkten elektronischen Zugang so festzulegen, dass sichergestellt ist, dass auf geförderten Zugang angewandte Kontrollen denjenigen, die auf direkten Marktzugang angewandt werden, zumindest gleichwertig sind; d) um die Anforderungen festzulegen, die sicherstellen, dass Kollokationsdienste und Gebührenstrukturen gerecht und nichtdiskriminierend sind und dass die Gebührenstrukturen keine Anreize für marktstörende Handelsbedingungen oder Marktmissbrauch schaffen; e) um zu bestimmen, wann ein geregelter Markt für die Liquidität in Bezug auf dieses Finanzinstrument maßgeblich ist; f) um die Anforderungen festzulegen, die sicherstellen, dass Market-MakingSysteme fair und nichtdiskriminierend sind, und die Mindestanforderungen festzulegen, die geregelte Märkte bei der Entwicklung eines Market-MakingSystems vorsehen müssen, sowie um festzulegen, unter welchen Bedingungen es je nach der Art und dem Umfang des Handels auf diesem geregelten Markt nicht angemessen ist, die Einrichtung eines solchen Systems vorzuschreiben, wobei auch zu berücksichtigen ist, ob der geregelte Markt algorithmischen Handel über seine Systeme erlaubt oder ermöglicht; g) um dafür zu sorgen, dass angemessene Tests durchgeführt werden um sicherzustellen, dass die algorithmischen Handelssysteme, einschließlich hochfrequenter algorithmischer Handelssysteme, keine marktstörenden Handelsbedingungen auf dem Markt schaffen können. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (13) Die ESMA arbeitet bis zum 3. Januar 2016 Leitlinien zur geeigneten Kalibrierung von Handelseinstellungen nach Absatz 5 unter Berücksichtigung der in jenem Absatz genannten Faktoren aus. 567

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Art. 49 Tick-Größen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass geregelte Märkte Regelungen für die Tick-Größen bei Aktien, Aktienzertifikaten, börsengehandelten Fonds, Zertifikaten und anderen vergleichbaren Finanzinstrumenten sowie anderen Finanzinstrumenten erlassen, für die technische Regulierungsstandards gemäß Absatz 4 ausgearbeitet werden. (2) Die in Absatz 1 genannten Systeme für die Tick-Größe a) werden so austariert, dass sie das Liquiditätsprofil des Finanzinstruments auf verschiedenen Märkten widerspiegeln sowie der durchschnittliche GeldBrief-Spread, wobei berücksichtigt wird, dass es wünschenswert ist, angemessen stabile Preise zu ermöglichen, ohne die weitere Einengung der Spreads übermäßig zu beschränken, b) passen die Tick-Größe für jedes Finanzinstrument in geeigneter Weise an. (3) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, um die kleinstmögliche Tick-Größe oder Tick-Größen-Systeme für spezifische Aktien, Aktienzertifikate, börsengehandelte Fonds, Zertifikate und andere vergleichbare Finanzinstrumente festzulegen, sofern dies notwendig ist, um das reibungslose Funktionieren der Märkte im Einklang mit den in Absatz 2 genannten Faktoren sowie dem Preis, den Spreads und der Tiefe der Liquidität der Finanzinstrumente sicherzustellen. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (4) Die ESMA kann Entwürfe technischer Regulierungsstandards ausarbeiten, um die kleinstmögliche Tick-Größe oder Tick-Größen-Systeme für spezifische Finanzinstrumente festzulegen, die nicht in Absatz 3 aufgeführt sind, sofern dies notwendig ist, um das reibungslose Funktionieren der Märkte im Einklang mit den in Absatz 2 genannten Faktoren sowie dem Preis, den Spreads und der Tiefe der Liquidität der Finanzinstrumente sicherzustellen. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Januar 2016 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 50 Synchronisierung von im Geschäftsverkehr verwendeten Uhren (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass alle Handelsplätze und ihre Mitglieder oder Teilnehmer die im Geschäftsverkehr verwendeten Uhren synchronisieren, die sie benutzen, um das Datum und die Uhrzeit von Ereignisse aufzuzeichnen, die gemeldet werden müssen. 568

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(2) Die ESMA erarbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards, um den Grad an Genauigkeit festzulegen, zu dem die Uhren im Einklang mit internationalen Standards synchronisiert werden. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 51 Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass geregelte Märkte über klare und transparente Regeln für die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel verfügen müssen. Diese Regeln gewährleisten, dass alle zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Finanzinstrumente fair, ordnungsgemäß und effizient gehandelt werden können und, im Falle übertragbarer Wertpapiere, frei handelbar sind. (2) Bei Derivaten stellen die Regeln nach Absatz 1 insbesondere sicher, dass die Ausgestaltung des Derivatgeschäfts eine ordnungsgemäße Kursbildung sowie eine wirksame Abrechnung ermöglicht. (3) Zusätzlich zu den Verpflichtungen der Absätze 1 und 2 schreiben die Mitgliedstaaten dem geregelten Markt vor, auf Dauer wirksame Vorkehrungen zur Prüfung zu treffen, ob die Emittenten von übertragbaren Wertpapieren, die zum Handel an dem geregelten Markt zugelassen sind, ihren Verpflichtungen nach dem Recht der Union bezüglich erstmaliger, laufender oder punktueller Veröffentlichungsverpflichtungen nachkommen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der geregelte Markt Vorkehrungen trifft, die seinen Mitgliedern oder Teilnehmern den Zugang zu den nach dem Recht der Union veröffentlichten Informationen erleichtern. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass geregelte Märkte die notwendigen Vorkehrungen treffen, um die von ihnen zum Handel zugelassenen Finanzinstrumente regelmäßig auf Erfüllung der Zulassungsanforderungen hin zu überprüfen. (5) Ein zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenes übertragbares Wertpapier kann in der Folge auch ohne Zustimmung des Emittenten und im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2003/71/EG zum Handel an anderen geregelten Märkten zugelassen werden. Der geregelte Markt unterrichtet den Emittenten darüber, dass seine Wertpapiere an dem betreffenden geregelten Markt gehandelt werden. Der Emittent ist nicht verpflichtet, die Angaben gemäß Absatz 3 dem geregelten Markt, der seine Wertpapiere ohne seine Zustimmung zum Handel zugelassen hat, direkt zu übermitteln. 569

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(6) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, in denen a) die Eigenschaften verschiedener Kategorien von Finanzinstrumenten festgelegt werden, die vom geregelten Markt bei der Prüfung der Frage zu berücksichtigen sind, ob ein Finanzinstrument in einer Art und Weise ausgegeben wurde, die den Bedingungen des Absatzes 1 Unterabsatz 2 für die Zulassung zum Handel in den von ihm betriebenen Marktsegmenten entspricht; b) die Vorkehrungen präzisiert werden, die der geregelte Markt durchführen muss, damit davon ausgegangen wird, dass er seiner Verpflichtung zur Prüfung, ob der Emittent eines übertragbaren Wertpapiers seine Verpflichtungen nach dem Recht der Union bezüglich erstmaliger, laufender oder punktueller Veröffentlichungsverpflichtungen erfüllt; c) die Vorkehrungen präzisiert werden, die der geregelte Markt gemäß Absatz 3 zu treffen hat, um seinen Mitgliedern oder Teilnehmern den Zugang zu Informationen zu erleichtern, die gemäß den Auflagen des Rechts der Union veröffentlicht wurden. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 52 Aussetzung des Handels und Ausschluss von Finanzinstrumenten vom Handel an einem geregelten Markt (1) Unbeschadet des Rechts der zuständigen Behörde gemäß Artikel 69 Absatz 2, die Aussetzung des Handels mit einem Finanzinstrument oder dessen Ausschluss vom Handel zu verlangen, kann ein Marktbetreiber den Handel mit einem Finanzinstrument, das den Regeln des geregelten Marktes nicht mehr entspricht, aussetzen oder dieses Instrument vom Handel ausschließen, sofern die Anlegerinteressen oder das ordnungsgemäße Funktionieren des Marktes durch eine solche Aussetzung oder einen solchen Ausschluss nicht erheblich geschädigt werden könnte. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein Marktbetreiber, der den Handel mit einem Finanzinstrument aussetzt oder dieses vom Handel ausschließt, ebenfalls den Handel mit Derivaten gemäß Anhang I Abschnitt C Nummern 4 bis 10, die mit diesem Finanzinstrument verbunden sind oder sich darauf beziehen, aussetzt oder sie vom Handel ausschließt, wenn dies zur Verwirklichung der Ziele der Aussetzung des Handels mit dem zugrundeliegenden Finanzinstrument oder dessen Ausschlusses vom Handel erforderlich ist. Der Marktbetreiber veröffentlicht seine Entscheidung über die Aussetzung des Handels mit dem 570

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Finanzinstrument oder mit entsprechenden Derivaten oder deren Ausschluss vom Handel und übermittelt die einschlägigen Entscheidungen der für ihn zuständigen Behörde. Die zuständige Behörde, in deren Zuständigkeitsbereich die Aussetzung oder der Ausschluss veranlasst wurde, schreibt vor, dass andere geregelte Märkte, MTF, OTF und systematische Internalisierer in ihrem Zuständigkeitsbereich, die mit demselben Finanzinstrument oder mit Derivaten gemäß Anhang I Abschnitt C Nummern 4 bis 10 dieser Richtlinie handeln, die mit dem betreffenden Finanzinstrument verbunden sind oder sich darauf beziehen, den Handel mit diesem Finanzinstrument oder diesen Derivaten ebenfalls aussetzen oder sie vom Handel ausschließen, sofern die Aussetzung oder der Ausschluss durch einen mutmaßlichen Marktmissbrauch, ein Übernahmeangebot oder die Nichtveröffentlichung von Insider-Informationen über den Emittenten oder das Finanzinstrument unter Verstoß gegen die Artikel 7 und 17 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 bedingt ist, außer in den Fällen, in denen durch eine solche Aussetzung oder einen solchen Ausschluss die Anlegerinteressen oder das ordnungsgemäße Funktionieren des Marktes erheblich geschädigt werden könnten. Jede zuständige Behörde, die eine entsprechende Meldung erhalten hat, teilt ihre Entscheidung der ESMA und den anderen zuständigen Behörden mit; falls sie entscheidet, den Handel mit dem Finanzinstrument oder den Derivaten gemäß Anhang I Abschnitt C Nummern 4 bis 10, die mit diesem Finanzinstrument verbunden sind oder sich darauf beziehen, nicht auszusetzen bzw. diese nicht vom Handel auszuschließen, erläutert sie ihre Entscheidung. Die zuständige Behörde veröffentlicht ihre Entscheidung unverzüglich und teilt diese der ESMA und den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten mit. Die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten, die eine entsprechende Mitteilung erhalten haben, schreiben vor, dass geregelte Märkte, andere MTF, andere OTF und systematische Internalisierer in ihrem Zuständigkeitsbereich, die mit demselben Finanzinstrument oder mit Derivaten gemäß Anhang I Abschnitt C Nummern 4 bis 10 dieser Richtlinie handeln, die mit dem betreffenden Finanzinstrument verbunden sind oder sich darauf beziehen, den Handel mit diesem Finanzinstrument oder diesen Derivaten ebenfalls aussetzen oder diese vom Handel ausschließen, sofern die Aussetzung oder der Ausschluss durch einen mutmaßlichen Marktmissbrauch, ein Übernahmeangebot oder die Nichtveröffentlichung von Insider-Informationen über den Emittenten oder das Finanzinstrument unter Verstoß gegen die Artikel 7 und 17 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 bedingt ist, außer in den Fällen, in denen durch eine solche Aussetzung oder einen solchen Ausschluss die Anlegerinteressen oder das ord571

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nungsgemäße Funktionieren des Marktes erheblich geschädigt werden könnten. Dieser Absatz gilt auch, wenn die Aussetzung des Handels mit einem Finanzinstrument oder mit Derivaten gemäß Anhang I Abschnitt C Nummern 4 bis 10, die mit diesem Finanzinstrument verbunden sind oder sich darauf beziehen, aufgehoben wird. Das Meldeverfahren nach diesem Absatz gilt auch für den Fall, dass die Entscheidung über die Aussetzung des Handels mit einem Finanzinstrument oder mit Derivaten gemäß Anhang I Abschnitt C Nummern 4 bis 10, die mit dem betreffenden Finanzinstrument verbunden sind oder sich darauf beziehen, oder über deren Ausschluss vom Handel von der zuständigen Behörde gemäß Artikel 69 Absatz 2 Buchstaben m und n getroffen wird. Um sicherzustellen, dass die Verpflichtung zur Aussetzung oder zum Ausschluss des Handels mit solchen Derivaten verhältnismäßig angewandt wird, erarbeitet die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards zur Bestimmung von Fällen, in denen die Verbindung zwischen einem Derivat, das mit einem vom Handel ausgesetzten oder ausgeschlossenen Finanzinstrument verbunden ist oder sich darauf bezieht, und dem ursprünglichen Finanzinstrument es erfordert, dass der Handel mit dem Derivat ebenfalls ausgesetzt oder es vom Handel ausgeschlossen werden muss, um die Ziele der Aussetzung oder des Ausschlusses des zugrunde liegenden Finanzinstruments zu verwirklichen. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die technischen Regulierungsstandards im Sinne von Unterabsatz 1 gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (3) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Durchführungsstandards aus, um das Format und den Zeitpunkt der in Absatz 2 genannten Mitteilung und Veröffentlichung zu bestimmen. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Durchführungsstandards bis zum 3. Januar 2016 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (4) Die Kommission wird ermächtigt, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zu erlassen, um die Situationen aufzulisten, in denen gemäß den Absätzen 1 und 2 die Anlegerinteressen oder das ordnungsgemäße Funktionieren des Marktes erheblich geschädigt würden. Art. 53 Zugang zum geregelten Markt (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der geregelte Markt auf Dauer transparente, diskriminierungsfreie und auf 572

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objektiven Kriterien beruhende Regeln für den Zugang zu dem geregelten Markt oder die Mitgliedschaft darin festlegt und umsetzt. (2) In den Regeln nach Absatz 1 wird festgelegt, welche Pflichten den Mitgliedern oder Teilnehmern erwachsen aus a) der Einrichtung und Verwaltung des geregelten Marktes, b) den Regeln für die am Markt getätigten Geschäfte, c) den Standesregeln, zu deren Einhaltung die Mitarbeiter der am Markt tätigen Wertpapierfirmen oder Kreditinstitute verpflichtet sind, d) den für andere Mitglieder oder Teilnehmer als Wertpapierfirmen und Kreditinstitute gemäß Absatz 3 festgelegten Bedingungen, e) den Regeln und Verfahren für das Clearing und die Abrechnung der am geregelten Markt getätigten Geschäfte. (3) Geregelte Märkte können als Mitglieder oder Teilnehmer Wertpapierfirmen, nach der Richtlinie 2013/36/EU zugelassene Kreditinstitute sowie andere Personen zulassen, die a) ausreichend gut beleumundet sind, b) über ausreichende Fähigkeiten, Kompetenzen und Erfahrung in Bezug auf den Handel verfügen, c) über die gegebenenfalls erforderlichen organisatorischen Grundlagen verfügen, d) über ausreichende Mittel verfügen, um ihre Funktion auszuführen, wobei den etwaigen finanziellen Vorkehrungen Rechnung zu tragen ist, die der geregelte Markt gegebenenfalls getroffen hat, um die angemessene Abrechnung der Geschäfte zu gewährleisten. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Mitglieder und Teilnehmer in Bezug auf Geschäfte, die an einem geregelten Markt geschlossen werden, den Verpflichtungen der Artikel 24, 25, 27 und 28 nicht nachkommen müssen. Allerdings müssen die Mitglieder und Teilnehmer des geregelten Marktes die Verpflichtungen gemäß den Artikeln 24, 25, 27 und 28 in Bezug auf ihre Kunden einhalten, wenn sie für diese Aufträge an einem geregelten Markt ausführen. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Regeln für den Zugang zu dem geregelten Markt oder die Mitgliedschaft oder Teilnahme darin die direkte Teilnahme oder die Fernteilnahme von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten vorsehen. (6) Die Mitgliedstaaten gestatten geregelten Märkten aus anderen Mitgliedstaaten ohne weitere rechtliche oder verwaltungstechnische Auflagen, in ihrem Hoheitsgebiet angemessene Systeme bereitzustellen, um Fernmitgliedern oder -teilnehmern in ihrem Hoheitsgebiet den Zugang zu diesen Märkten und den Handel an ihnen zu erleichtern. Der geregelte Markt teilt der zuständigen Behörde seines Herkunftsmitgliedstaats mit, in welchem Mitgliedstaat er derartige Systeme bereitzustellen beab573

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sichtigt. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats übermittelt diese Angaben innerhalb eines Monats dem Mitgliedstaat, in dem der geregelte Markt derartige Systeme bereitstellen will. Die ESMA kann nach dem Verfahren und unter den Bedingungen in Artikel 35 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 den Zugang zu diesen Informationen beantragen. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats des geregelten Marktes übermittelt der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats auf deren Ersuchen unverzüglich die Namen der Mitglieder oder Teilnehmer des im Herkunftsmitgliedstaat niedergelassenen geregelten Marktes. (7) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Marktbetreiber der zuständigen Behörde des geregelten Marktes regelmäßig das Verzeichnis der Mitglieder bzw. Teilnehmer des geregelten Marktes übermittelt. Art. 54 Überwachung der Einhaltung der Regeln des geregeltes Marktes und anderer rechtlicher Verpflichtungen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass geregelte Märkte auf Dauer wirksame Vorkehrungen und Verfahren zur regelmäßigen Überwachung der Einhaltung ihrer Regeln durch ihre Mitglieder und Teilnehmer sowie die dafür notwendigen Mittel festlegen. Geregelte Märkte überwachen die von ihren Mitgliedern oder Teilnehmern innerhalb ihrer Systeme übermittelten Aufträge, Stornierungen und abgeschlossenen Geschäfte, um Verstöße gegen diese Regeln, marktstörende Handelsbedingungen, Verhaltensweisen, die auf nach der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 verbotene Tätigkeiten hindeuten könnten, oder Systemstörungen in Bezug auf ein Finanzinstrument zu erkennen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben den Betreibern geregelter Märkte vor, ihrer zuständigen Behörde schwerwiegende Verstöße gegen ihre Regeln, marktstörende Handelsbedingungen, Verhaltensweisen, die auf nach der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 verbotene Tätigkeiten hindeuten könnten, oder Systemstörungen in Bezug auf ein Finanzinstrument umgehend zu melden. Die zuständigen Behörden der geregelten Märkte übermitteln der ESMA und den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten die Informationen nach Unterabsatz 1. Was Verhaltensweisen angeht, die auf nach der Verordnung (EU) Nr. 596/ 2014 verbotene Tätigkeiten hindeuten könnten, muss die zuständige Behörde davon überzeugt sein, dass ein solches Verhalten vorliegt, bevor sie die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten und die ESMA in Kenntnis setzt. (3) Die Mitgliedstaaten schreiben dem Marktbetreiber vor, der Behörde, die für die Ermittlung und Verfolgung von Marktmissbrauch zuständig ist, die einschlägigen Informationen unverzüglich zu übermitteln und sie bei Ermittlungen wegen Marktmissbrauchs innerhalb oder über die Systeme des geregelten Marktes und dessen Verfolgung in vollem Umfang zu unterstützen. 574

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(4) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zu erlassen, um die Umstände festzulegen, durch die eine Informationspflicht nach Absatz 2 dieses Artikels bewirkt wird. Art. 55 Vereinbarungen mit einer zentralen Gegenpartei und über Clearing und Abrechnung (1) Unbeschadet der Titel III, IV und V der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 hindern die Mitgliedstaaten geregelte Märkte nicht daran, mit einer zentralen Gegenpartei oder Clearingstelle und einem Abrechnungssystem eines anderen Mitgliedstaats zweckmäßige Vereinbarungen über Clearing und/ oder Abrechnung einiger oder aller Geschäfte, die von Marktteilnehmern innerhalb ihrer Systeme getätigt werden, zu schließen. (2) Unbeschadet der Titel III, IV und V der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 darf die für einen geregelten Markt zuständige Behörde die Nutzung einer zentralen Gegenpartei, einer Clearingstelle und/oder eines Abwicklungssystems in einem anderen Mitgliedstaat nicht untersagen, es sei denn, dies ist für die Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Funktionierens dieses geregelten Markts nachgewiesenermaßen unumgänglich; die Bedingungen des Artikels 39 Absatz 2 dieser Richtlinie für den Rückgriff auf Abwicklungssysteme sind zu berücksichtigen. Zur Vermeidung unnötiger Doppelkontrollen berücksichtigt die zuständige Behörde die von den Zentralbanken als Aufsichtsorgane von Clearing- und Abwicklungssystemen oder anderen für diese Systeme zuständigen Aufsichtsbehörden ausgeübte Aufsicht über das Clearing- und Abwicklungssystem. Art. 56 Verzeichnis geregelter Märkte Jeder Mitgliedstaat erstellt ein Verzeichnis der geregelten Märkte, für die er der Herkunftsmitgliedstaat ist, und übermittelt dieses Verzeichnis den übrigen Mitgliedstaaten und der ESMA. Die gleiche Mitteilung erfolgt bei jeder Änderung dieses Verzeichnisses. Die ESMA veröffentlicht ein Verzeichnis aller geregelten Märkte auf ihrer Website und aktualisiert es regelmäßig. Dieses Verzeichnis enthält den von der ESMA im Einklang mit Artikel 65 Absatz 6 festgelegten einheitlichen Code zur Kennzeichnung der geregelten Märkte, der gemäß Artikel 65 Absatz 1 Buchstabe g und Artikel 65 Absatz 2 Buchstabe g dieser Richtlinie sowie gemäß den Artikeln 6, 10 und 26 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 in den Meldungen zu verwenden ist.

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Titel IV – Positionslimits und Positionsmanagementkontrollen bei Warenderivaten und Positionsmeldungen Art. 57–58 Positionslimits und Positionsmeldungen — nicht abgedruckt.

Titel V – Datenbereitstellungsdienstleistungen Art. 59–66 Zulassung und Aufsichtsverfahren für Datenbereitstellungsdienste — einschließlich APA und konsolidierte Datenticker und genehmigte Meldemechanismen — nicht abgedruckt.

Titel VI – Zuständige Behörden Kapitel I – Benennung, Befugnisse und Rechtsbehelfe Art. 67–78 Zuständige Behörden und Aufsichtsbefugnisse sowie Rechtsbehelfe — nicht abgedruckt.

Kapitel II – Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und der ESMA Art. 79–87 Zusammenarbeit — nicht abgedruckt.

Kapitel III – Zusammenarbeit mit Drittländern Art. 88 Informationsaustausch mit Drittländern — nicht abgedruckt.

Titel VII – Delegierte Rechtsakte Art. 89 nicht abgedruckt.

Schlussbestimmungen Art. 90–92 nicht abgedruckt. 576

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Art. 93 Umsetzung (1) Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum M3 3. Juli 2017 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Maßnahmen mit. Die Mitgliedstaaten wenden diese Maßnahmen ab dem 3. Januar 2018 an, mit Ausnahme der Bestimmungen zur Umsetzung des Artikels 65 Absatz 2, die ab dem 3. September 2019 angewandt werden. Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme. In diese Vorschriften fügen sie die Erklärung ein, dass Bezugnahmen in den geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf die durch die vorliegende Richtlinie geänderten Richtlinien als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie gelten. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme und die Formulierung dieser Erklärung. (2) Die Mitgliedstaaten wenden die Maßnahmen nach Artikel 92 ab dem 3. Juli 2015 an. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission und der ESMA den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen. Art. 94 Aufhebung Die Richtlinie 2004/39/EG in der Fassung der in Anhang III Teil A der vorliegenden Richtlinie aufgeführten Rechtsakte wird unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Einhaltung der in dessen Anhang III Teil B der vorliegenden Richtlinie aufgeführten Fristen für die Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht mit Wirkung vom 3. Januar 2018 aufgehoben. Bezugnahmen auf die Richtlinie 2004/39/EG oder die Richtlinie 93/22/EWG gelten als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie oder die Verordnung (EU) Nr. 600/2014 und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabellen in Anhang IV der vorliegenden Richtlinie zu lesen. Bezugnahmen auf Begriffsbestimmungen oder Artikel der Richtlinie 2004/ 39/EG oder der Richtlinie 93/22/EWG gelten als Bezugnahmen auf die entsprechenden Begriffsbestimmungen oder Artikel der vorliegenden Richtlinie. Art. 95–97 Übergangsbestimmungen, Inkrafttreten und Adressaten — nicht abgedruckt.

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Anhang I – Liste der Dienstleistungen und Tätigkeiten und Finanzinstrumente Abschnitt A Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten (1) Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben; (2) Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden; (3) Handel für eigene Rechnung; (4) Portfolio-Verwaltung; (5) Anlageberatung; (6) Übernahme der Emission von Finanzinstrumenten und/oder Platzierung von Finanzinstrumenten mit fester Übernahmeverpflichtung; (7) Platzierung von Finanzinstrumenten ohne feste Übernahmeverpflichtung; (8) Betrieb eines MTF; (9) Betrieb eines OTF.

Abschnitt B Nebendienstleistungen (1) Verwahrung und Verwaltung von Finanzinstrumenten für Rechnung von Kunden, einschließlich Depotverwahrung und verbundener Dienstleistungen wie Cash-Management oder Sicherheitenverwaltung und mit Ausnahme der Bereitstellung und Führung von Wertpapierkonten auf oberster Ebene („zentrale Kontenführung“) gemäß Abschnitt A Nummer 2 des Anhangs zur Verordnung (EU) Nr. 909/2014; (2) Gewährung von Krediten oder Darlehen an Anleger für die Durchführung von Geschäften mit einem oder mehreren Finanzinstrumenten, sofern die kredit- oder darlehensgewährende Unternehmen an diesen Geschäften beteiligt ist; (3) Beratung von Unternehmen hinsichtlich der Kapitalstrukturierung, der branchenspezifischen Strategie und damit zusammenhängender Fragen sowie Beratung und Dienstleistungen bei Unternehmensfusionen und -aufkäufen; (4) Devisengeschäfte, wenn diese im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen stehen; (5) Wertpapier- und Finanzanalyse oder sonstige Formen allgemeiner Empfehlungen, die Geschäfte mit Finanzinstrumenten betreffen; 578

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(6) Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Übernahme von Emissionen; (7) Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten sowie Nebendienstleistungen des in Anhang I Abschnitt A oder B enthaltenen Typs 1 betreffend den Basiswert der in Abschnitt C Nummern 5, 6, 7 und 10 enthaltenen Derivate, wenn diese mit der Erbringung der Wertpapier- oder der Nebendienstleistung in Zusammenhang stehen.

Abschnitt C Finanzinstrumente (1) Übertragbare Wertpapiere; (2) Geldmarktinstrumente; (3) Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen (4) Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, außerbörsliche Zinstermingeschäfte (Forward Rate Agreements) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Wertpapiere, Währungen, Zinssätze oder -erträge, Emissionszertifikate oder andere Derivat-Instrumente, finanzielle Indizes oder finanzielle Messgrößen, die effektiv geliefert oder bar abgerechnet werden können; (5) Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, Termingeschäfte (Forwards) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die bar abgerechnet werden müssen oder auf Wunsch einer der Parteien bar abgerechnet werden können, ohne dass ein Ausfall oder ein anderes Beendigungsereignis vorliegt; (6) Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die effektiv geliefert werden können, vorausgesetzt, sie werden an einem geregelten Markt, über ein MTF oder über ein OTF gehandelt; ausgenommen davon sind über ein OTF gehandelte Energiegroßhandelsprodukte, die effektiv geliefert werden müssen; (7) Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, Termingeschäfte (Forwards) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die effektiv geliefert werden können, die sonst nicht in Nummer 6 dieses Abschnitts genannt sind und nicht kommerziellen Zwecken dienen, die die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen; (8) Derivative Instrumente für den Transfer von Kreditrisiken; (9) Finanzielle Differenzgeschäfte; (10) Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, außerbörsliche Zinstermingeschäfte (Forward Rate Agreements) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Klimavariablen, Frachtsätze, Inflationsraten oder andere offizielle Wirtschaftsstatistiken, die bar abgerechnet werden müssen oder auf 579

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Wunsch einer der Parteien bar abgerechnet werden können, ohne dass ein Ausfall oder ein anderes Beendigungsereignis vorliegt, sowie alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Vermögenswerte, Rechte, Obligationen, Indizes und Messgrößen, die sonst nicht im vorliegenden Abschnitt C genannt sind und die die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen, wobei unter anderem berücksichtigt wird, ob sie auf einem geregelten Markt, einem OTF oder einem MTF gehandelt werden; (11) Emissionszertifikate, die aus Anteilen bestehen, deren Übereinstimmung mit den Anforderungen der Richtlinie 2003/87/EG (Emissionshandelssystem) anerkannt ist.

Abschnitt D Datenbereitstellungsdienstleistungen (1) Betrieb eines APA; (2) Betrieb CTP; (3) Betrieb eines ARM.

Anhang II Professionelle Kunden im Sinne dieser Richtlinie Ein professioneller Kunde ist ein Kunde, der über ausreichende Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügt, um seine Anlageentscheidungen selbst treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen beurteilen zu können. Um als professioneller Kunde angesehen zu werden, muss ein Kunde den folgenden Kriterien genügen:

I. Kategorien von Kunden, die als professionelle Kunden angesehen werden Folgende Rechtssubjekte werden in Bezug auf alle Wertpapierdienstleistungen und Finanzinstrumente als professionelle Kunden im Sinne der Richtlinie angesehen: (1) Rechtssubjekte, die zugelassen sein oder unter Aufsicht stehen müssen, um an den Finanzmärkten tätig werden zu können. Die nachstehende Liste ist so zu verstehen, dass sie alle zugelassenen Rechtssubjekte umfasst, die Tätigkeiten erbringen, die für die genannten Rechtssubjekte kennzeichnend sind: Rechtssubjekte, die von einem Mitgliedstaat im Rahmen einer Richtlinie zugelassen werden, Rechtssubjekte, die von einem Mitgliedstaat ohne Bezugnahme auf eine Richtlinie zugelassen oder beaufsichtigt werden, 580

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Rechtssubjekte, die von einem Drittland zugelassen oder beaufsichtigt werden: a) Kreditinstitute; b) Wertpapierfirmen; c) sonstige zugelassene oder beaufsichtigte Finanzinstitute; d) Versicherungsgesellschaften; e) Organismen für gemeinsame Anlagen und ihre Verwaltungsgesellschaften; f) Pensionsfonds und ihre Verwaltungsgesellschaften; g) Warenhändler und Warenderivate-Händler; h) örtliche Anleger; i) sonstige institutionelle Anleger. (2) Große Unternehmen, die auf Unternehmensebene zwei der nachfolgenden Anforderungen erfüllen: — Bilanzsumme : 20 000 000 EUR — Nettoumsatz : 40 000 000 EUR — Eigenmittel : 2 000 000 EUR (3) Nationale und regionale Regierungen, einschließlich Stellen der staatlichen Schuldenverwaltung auf nationaler oder regionaler Ebene, Zentralbanken, internationale und supranationale Einrichtungen wie die Weltbank, der IWF, die EZB, die EIB und andere vergleichbare internationale Organisationen. (4) Andere institutionelle Anleger, deren Haupttätigkeit in der Anlage in Finanzinstrumenten besteht, einschließlich Einrichtungen, die die wertpapiermäßige Verbriefung von Verbindlichkeiten und andere Finanzierungsgeschäfte betreiben. Die oben genannten Rechtspersönlichkeiten werden als professionelle Kunden angesehen. Es muss ihnen allerdings möglich sein, eine Behandlung als nichtprofessioneller Kunde zu beantragen, bei der Wertpapierfirmen bereit sind, ein höheres Schutzniveau zu gewähren. Handelt es sich bei dem Kunden einer Wertpapierfirma um eines der obengenannten Unternehmen, muss die Wertpapierfirma ihn vor Erbringung jeglicher Dienstleistungen darauf hinweisen, dass er aufgrund der ihr vorliegenden Informationen als professioneller Kunde eingestuft und behandelt wird, es sei denn, die Wertpapierfirma und der Kunde vereinbaren etwas anderes. Die Wertpapierfirma muss den Kunden auch darüber informieren, dass er eine Änderung der vereinbarten Bedingungen beantragen kann, um sich ein höheres Schutzniveau zu verschaffen. Es obliegt dem als professioneller Kunde eingestuften Kunden, das höhere Schutzniveau zu beantragen, wenn er glaubt, die mit der Anlage verbundenen Risiken nicht korrekt beurteilen oder steuern zu können. 581

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Das höhere Schutzniveau wird dann gewährt, wenn ein als professioneller Kunde eingestufter Kunde eine schriftliche Übereinkunft mit der Wertpapierfirma dahingehend trifft, ihn im Sinne der geltenden Wohlverhaltensregeln nicht als professionellen Kunden zu behandeln. In dieser Übereinkunft wird festgelegt, ob dies für eine oder mehrere Dienstleistung(en) oder Geschäfte oder für eine oder mehrere Art(en) von Produkten oder Geschäften gilt. II. Kunden, die auf Antrag als professionelle Kunden behandelt werden können II.1. Einstufungskriterien Anderen Kunden als den in Abschnitt I genannten, einschließlich öffentlichrechtlicher Körperschaften, kommunaler Behörden und Gebietskörperschaften und individueller privater Anleger, kann es ebenfalls gestattet werden, auf das Schutzniveau zu verzichten, das von den Wohlverhaltensregeln geboten wird. Wertpapierfirmen wird folglich gestattet, diese Kunden als professionelle Kunden zu behandeln, sofern die nachstehend genannten einschlägigen Kriterien und Verfahren eingehalten werden. Bei diesen Kunden wird allerdings nicht davon ausgegangen, dass sie über Marktkenntnisse und -erfahrungen verfügen, die denen der Kunden nach Abschnitt I vergleichbar sind. Eine Senkung des normalerweise von den Wohlverhaltensregeln gebotenen Schutzniveaus ist nur dann zulässig, wenn die Wertpapierfirma sich durch eine angemessene Beurteilung des Sachverstands, der Erfahrungen und der Kenntnisse des Kunden davon vergewissert hat, dass dieser in Anbetracht der Art der geplanten Geschäfte oder Dienstleistungen nach vernünftigem Ermessen in der Lage ist, Anlageentscheidungen zu treffen und die damit einhergehenden Risiken versteht. Der Eignungstest, der auf Manager und Führungskräfte von Unternehmen angewandt wird, die aufgrund von Finanzrichtlinien zugelassen sind, könnte als ein Beispiel für die Beurteilung des Sachverstands und der Kenntnisse angesehen werden. Im Falle kleiner Unternehmen wird die Person, die befugt ist, Geschäfte im Namen des Unternehmens zu tätigen, der dieser Beurteilung unterzogen. Diese Beurteilung muss ergeben, dass mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt werden: — Der Kunde hat an dem relevanten Markt während der vier vorhergehenden Quartale durchschnittlich pro Quartal 10 Geschäfte von erheblichem Umfang abgeschlossen. — Das Finanzinstrument-Portfolio des Kunden, das definitionsgemäß Bardepots und Finanzinstrumente umfasst, übersteigt 500 000 EUR. 582

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2.19

— Der Kunde ist oder war mindestens ein Jahr lang in einer beruflichen Position im Finanzsektor tätig, die Kenntnisse über die geplanten Geschäfte oder Dienstleistungen voraussetzt. Die Mitgliedstaaten können spezifische Kriterien für die Beurteilung des Sachverstands und der Kenntnisse von Gebietskörperschaften und kommunalen Behörden festlegen, die eine Einstufung als professionelle Kunden beantragen. Diese Kriterien können alternativ oder zusätzlich zu den in Absatz 5 aufgeführten Kriterien herangezogen werden. II.2. Verfahren Diese Kunden können nur dann auf den Schutz durch die Wohlverhaltensregeln verzichten, wenn folgendes Verfahren eingehalten wird: — Sie müssen der Wertpapierfirma schriftlich mitteilen, dass sie generell oder in Bezug auf eine bestimmte Wertpapierdienstleistung oder ein bestimmtes Wertpapiergeschäft oder in Bezug auf eine bestimmte Art von Geschäft oder Produkt als professioneller Kunde behandelt werden möchten. — Die Wertpapierfirma muss sie schriftlich klar darauf hinweisen, welches Schutzniveau und welche Anlegerentschädigungsrechte sie gegebenenfalls verlieren. — Die Kunden müssen schriftlich in einem vom jeweiligen Vertrag getrennten Dokument bestätigen, dass sie sich der Folgen des Verlustes dieses Schutzniveaus bewusst sind. Wertpapierfirmen müssen verpflichtet sein, durch angemessene Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein Kunde, der als professioneller Kunde behandelt werden möchte, die einschlägigen Kriterien gemäß Abschnitt II.1 erfüllt, bevor sie einem Antrag auf Verzicht auf den Schutz stattgeben. Wurden Kunden hingegen aufgrund von Parametern und Verfahren, die den obengenannten vergleichbar sind, bereits als professionelle Kunden eingestuft, ändert sich ihr Verhältnis zu den Wertpapierfirmen durch neue, aufgrund dieses Anhangs angenommene Regeln nicht. Die Firmen müssen zweckmäßige schriftliche interne Strategien und Verfahren einführen, anhand deren die Kunden eingestuft werden können. Die professionellen Kunden sind dafür verantwortlich, die Wertpapierfirma über alle Änderungen zu informieren, die ihre Einstufung beeinflussen könnten. Gelangt die Wertpapierfirma zu der Erkenntnis, dass der Kunde die Bedingungen nicht mehr erfüllt, die ihn anfänglich für eine Behandlung als professioneller Kunde in Frage kommen ließen, so muss sie entsprechende Schritte in die Wege leiten. Anhang III Aufgehobene Richtlinie und Fristen der Umsetzung; Anhang IV Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt. 583

2.20 Werbe-RL 2006/114

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 über irreführende und vergleichende Werbung4 ist mehrfach und in wesentlichen Punkten geändert worden.5 Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Klarheit empfiehlt es sich, sie zu kodifizieren. (2) Die in den Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften gegen irreführende Werbung weichen stark voneinander ab. Da die Werbung über die Grenzen der einzelnen Mitgliedstaaten hinausreicht, wirkt sie sich unmittelbar auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes aus. (3) Irreführende und unzulässige vergleichende Werbung ist geeignet, zur Verfälschung des Wettbewerbs im Binnenmarkt zu führen. (4) Die Werbung berührt unabhängig davon, ob sie zum Abschluss eines Vertrags führt, die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher und der Gewerbetreibenden. (5) Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über Werbung, die für Unternehmen irreführend ist, behindern die Durchführung von Werbekampagnen, die die Grenzen eines Staates überschreiten, und beeinflussen so den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen. (6) Mit der Vollendung des Binnenmarktes ist das Angebot vielfältig. Da die Verbraucher und Gewerbetreibenden aus dem Binnenmarkt den größtmöglichen Vorteil ziehen können und sollen, und da die Werbung ein sehr wichtiges Instrument ist, mit dem überall in der Gemeinschaft wirksam Märkte für Erzeugnisse und Dienstleistungen erschlossen werden können, sollten die wesentlichen Vorschriften für Form und Inhalt der Werbung einheitlich sein und die Bedingungen für vergleichende Werbung in den Mitgliedstaaten harmonisiert werden. Unter diesen Umständen sollte dies dazu beitragen, die Vorteile der verschiedenen vergleichbaren Erzeugnisse objektiv herauszustellen. Vergleichende Werbung kann ferner den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen im Interesse der Verbraucher fördern.

* Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung, ABl. 2006 L 376/21. 1 [KOM(2006) 222 endg.] 2 [ABl. C 324 vom 30. 12. 2006, S. 10.] 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 12. Oktober 2006 [ABl. C 308E vom 16. 12. 2006, S. 85] und Beschluss des Rates vom 30. November 2006. 4 ABl. L 250 vom 19. 9. 1984, S. 17. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 149 vom 11. 6. 2005, S. 22). 5 Siehe Anhang I Teil A [nicht abgedruckt]. https://doi.org/10.1515/9783110667776-024

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2.20

(7) Es sollten objektive Mindestkriterien aufgestellt werden, nach denen beurteilt werden kann, ob eine Werbung irreführend ist. (8) Vergleichende Werbung kann, wenn sie wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften vergleicht und nicht irreführend ist, ein zulässiges Mittel zur Unterrichtung der Verbraucher über ihre Vorteile darstellen. Der Begriff „vergleichende Werbung“ sollte breit gefasst werden, so dass alle Arten der vergleichenden Werbung abgedeckt werden. (9) Es sollten Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung vorgesehen werden, soweit der vergleichende Aspekt betroffen ist, mit denen festgelegt wird, welche Praktiken der vergleichenden Werbung den Wettbewerb verzerren, die Mitbewerber schädigen und die Entscheidung der Verbraucher negativ beeinflussen können. Diese Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung sollten Kriterien beinhalten, die einen objektiven Vergleich der Eigenschaften von Waren und Dienstleistungen ermöglichen. (10) Werden in der vergleichenden Werbung die Ergebnisse der von Dritten durchgeführten vergleichenden Tests angeführt oder wiedergegeben, so sollten die internationalen Vereinbarungen zum Urheberrecht und die innerstaatlichen Bestimmungen über vertragliche und außervertragliche Haftung gelten. (11) Die Bedingungen für vergleichende Werbung sollten kumulativ sein und uneingeschränkt eingehalten werden. Die Wahl der Form und der Mittel für die Umsetzung dieser Bedingungen sollte gemäß dem Vertrag den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, sofern Form und Mittel noch nicht durch diese Richtlinie festgelegt sind. (12) Zu diesen Bedingungen sollte insbesondere die Einhaltung der Vorschriften gehören, die sich aus der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 des Rates vom 20. März 2006 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel,6 insbesondere aus Artikel 13 dieser Verordnung, und den übrigen Gemeinschaftsvorschriften im Bereich der Landwirtschaft ergeben. (13) Gemäß Artikel 5 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken7 steht dem Inhaber einer eingetragenen Marke ein Ausschließlichkeitsrecht zu, das insbesondere das Recht einschließt, Dritten im geschäftlichen Verkehr die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens für identische Produkte oder Dienstleistungen, gegebenenfalls sogar für andere Produkte, zu untersagen. (14) Indessen kann es für eine wirksame vergleichende Werbung unerlässlich sein, Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers dadurch erkennbar zu machen, dass auf eine ihm gehörende Marke oder auf seinen Handelsnamen Bezug genommen wird. (15) Eine solche Benutzung von Marken, Handelsnamen oder anderen Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers verletzt nicht das Ausschließlichkeitsrecht Dritter, wenn sie unter Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Bedingungen erfolgt und nur eine Unterscheidung bezweckt, durch die Unterschiede objektiv herausgestellt werden sollen. (16) Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse an der Angelegenheit haben, sollten die Möglichkeit besitzen, vor Gericht oder bei einer Verwaltungsbehörde, die über Beschwerden entscheiden oder geeignete gerichtliche

6 ABl. L 93 vom 31. 3. 2006, S. 12. 7 ABl. L 40 vom 11. 2. 1989, S. 1. Geändert durch den Beschluss 92/10/EWG (ABl. L 6 vom 11. 1. 1992, S. 35).

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Schritte einleiten kann, gegen irreführende und unzulässige vergleichende Werbung vorzugehen. (17) Die Gerichte oder Verwaltungsbehörden sollten die Befugnis haben, die Einstellung einer irreführenden oder einer unzulässigen vergleichenden Werbung anzuordnen oder zu erwirken. In bestimmten Fällen kann es zweckmäßig sein, irreführende und unzulässige vergleichende Werbung zu untersagen, noch ehe sie veröffentlicht worden ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, eine Regelung einzuführen, die eine systematische Vorabkontrolle der Werbung vorsieht. (18) Freiwillige Kontrollen, die durch Einrichtungen der Selbstverwaltung zur Unterbindung irreführender und unzulässiger vergleichender Werbung durchgeführt werden, können die Einleitung eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens entbehrlich machen und sollten deshalb gefördert werden. (19) Zwar wird die Beweislast vom nationalen Recht bestimmt, die Gerichte und Verwaltungsbehörden sollten aber in die Lage versetzt werden, von Gewerbetreibenden zu verlangen, den Beweis für die Richtigkeit der von ihnen behaupteten Tatsachen zu erbringen. (20) Die Regelung der vergleichenden Werbung ist für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich, und eine Aktion auf Gemeinschaftsebene ist daher notwendig. Eine Richtlinie ist das geeignete Instrument, da sie einheitliche allgemeine Prinzipien festlegt, es aber den Mitgliedstaaten überlässt, die Form und die geeignete Methode zu wählen, um diese Ziele zu erreichen. Sie entspricht dem Subsidiaritätsprinzip. (21) Die vorliegende Richtlinie sollte die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang I Teil B genannten Fristen für die Umsetzung der dort genannten Richtlinien in innerstaatliches Recht und für die Anwendung dieser Richtlinien unberührt lassen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 [Zweck] Zweck dieser Richtlinie ist der Schutz von Gewerbetreibenden vor irreführender Werbung und deren unlauteren Auswirkungen sowie die Festlegung der Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung. Art. 2 [Definitionen] Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet a) „Werbung“ jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern; b) „irreführende Werbung“ jede Werbung, die in irgendeiner Weise — einschließlich ihrer Aufmachung — die Personen, an die sie sich richtet oder die von ihr erreicht werden, täuscht oder zu täuschen geeignet ist und die infolge der ihr innewohnenden Täuschung ihr wirtschaftliches Verhalten beeinflussen kann oder aus diesen Gründen einen Mitbewerber schädigt oder zu schädigen geeignet ist; c) „vergleichende Werbung“ jede Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar macht; d) „Gewerbetreibender“ jede natürliche oder juristische Person, die im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit han586

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2.20

delt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handelt; e) „Urheber eines Kodex“ jede Rechtspersönlichkeit, einschließlich einzelner Gewerbetreibender oder Gruppen von Gewerbetreibenden, die für die Formulierung und Überarbeitung eines Verhaltenskodex und/oder für die Überwachung der Einhaltung dieses Kodex durch alle diejenigen, die sich darauf verpflichtet haben, zuständig ist. Art. 3 [Irreführende Werbung] Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Werbung irreführend ist, sind alle ihre Bestandteile zu berücksichtigen, insbesondere in ihr enthaltene Angaben über: a) die Merkmale der Waren oder Dienstleistungen wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Zusammensetzung, Verfahren und Zeitpunkt der Herstellung oder Erbringung, die Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, Menge, Beschaffenheit, die geographische oder kommerzielle Herkunft oder die von der Verwendung zu erwartenden Ergebnisse oder die Ergebnisse und wesentlichen Bestandteile von Tests der Waren oder Dienstleistungen; b) den Preis oder die Art und Weise, in der er berechnet wird, und die Bedingungen unter denen die Waren geliefert oder die Dienstleistungen erbracht werden; c) die Art, die Eigenschaften und die Rechte des Werbenden, wie seine Identität und sein Vermögen, seine Befähigungen und seine gewerblichen, kommerziellen oder geistigen Eigentumsrechte oder seine Auszeichnungen oder Ehrungen. Art. 4 [Vergleichende Werbung] Vergleichende Werbung gilt, was den Vergleich anbelangt, als zulässig, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Sie ist nicht irreführend im Sinne der Artikel 2 Buchstabe b, Artikel 3 und Artikel 8 Absatz 1 der vorliegenden Richtlinie oder im Sinne der Artikel 6 und 7 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken)8; b) sie vergleicht Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung; c) sie vergleicht objektiv eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften dieser Waren und Dienstleistungen, zu denen auch der Preis gehören kann;

8 ABl. L 149 vom 11. 6. 2005, S. 22 [Geschäftspraktiken-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.21].

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d) durch sie werden weder die Marken, die Handelsnamen oder andere Unterscheidungszeichen noch die Waren, die Dienstleistungen, die Tätigkeiten oder die Verhältnisse eines Mitbewerbers herabgesetzt oder verunglimpft; e) bei Waren mit Ursprungsbezeichnung bezieht sie sich in jedem Fall auf Waren mit der gleichen Bezeichnung; f) sie nutzt den Ruf einer Marke, eines Handelsnamens oder anderer Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers oder der Ursprungsbezeichnung von Konkurrenzerzeugnissen nicht in unlauterer Weise aus; g) sie stellt nicht eine Ware oder eine Dienstleistung als Imitation oder Nachahmung einer Ware oder Dienstleistung mit geschützter Marke oder geschütztem Handelsnamen dar; h) sie begründet keine Verwechslungsgefahr bei den Gewerbetreibenden, zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber oder zwischen den Warenzeichen, Warennamen, sonstigen Kennzeichen, Waren oder Dienstleistungen des Werbenden und denen eines Mitbewerbers. Art. 5 [Bekämpfung irreführender Werbung] (1) Die Mitgliedstaaten stellen im Interesse der Gewerbetreibenden und ihrer Mitbewerber sicher, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung der irreführenden Werbung vorhanden sind, und gewährleisten die Einhaltung der Bestimmungen über vergleichende Werbung. Diese Mittel umfassen Rechtsvorschriften, die es den Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse am Verbot irreführender Werbung oder an der Regelung vergleichender Werbung haben, gestatten, a) gerichtlich gegen eine solche Werbung vorzugehen oder b) eine solche Werbung vor eine Verwaltungsbehörde zu bringen, die zuständig ist, über Beschwerden zu entscheiden oder geeignete gerichtliche Schritte einzuleiten. (2) Es obliegt jedem Mitgliedstaat zu entscheiden, welches der in Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Mittel gegeben sein soll und ob das Gericht oder die Verwaltungsbehörden ermächtigt werden sollen, vorab die Durchführung eines Verfahrens vor anderen bestehenden Einrichtungen zur Regelung von Beschwerden, einschließlich der in Artikel 6 genannten Einrichtungen, zu verlangen. Es obliegt jedem Mitgliedstaat zu entscheiden, a) ob sich diese Rechtsbehelfe getrennt oder gemeinsam gegen mehrere Gewerbetreibende desselben Wirtschaftssektors richten können und b) ob sich diese Rechtsbehelfe gegen den Urheber eines Verhaltenskodex richten können, wenn der betreffende Kodex der Nichteinhaltung rechtlicher Vorschriften Vorschub leistet. 588

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(3) Im Rahmen der in den Absätzen 1 und 2 genannten Vorschriften übertragen die Mitgliedstaaten den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse, die sie ermächtigen, in Fällen, in denen sie diese Maßnahmen unter Berücksichtigung aller betroffenen Interessen und insbesondere des Allgemeininteresses für erforderlich halten, a) die Einstellung einer irreführenden oder unzulässigen vergleichenden Werbung anzuordnen oder geeignete gerichtliche Schritte zur Veranlassung der Einstellung dieser Werbung einzuleiten, oder b) sofern eine irreführende oder unzulässige vergleichende Werbung noch nicht veröffentlicht ist, die Veröffentlichung aber bevorsteht, die Veröffentlichung zu verbieten oder geeignete gerichtliche Schritte einzuleiten, um das Verbot dieser Veröffentlichung anzuordnen. Unterabsatz 1 soll auch angewandt werden, wenn kein Beweis eines tatsächlichen Verlustes oder Schadens oder der Absicht oder Fahrlässigkeit seitens des Werbenden erbracht wird. Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die in Unterabsatz 1 bezeichneten Maßnahmen nach ihrem Ermessen im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens entweder mit vorläufiger oder mit endgültiger Wirkung getroffen werden. (4) Die Mitgliedstaaten können den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse übertragen, die es diesen gestatten, zur Ausräumung der fortdauernden Wirkung einer irreführenden oder unzulässigen vergleichenden Werbung, deren Einstellung durch eine rechtskräftige Entscheidung angeordnet worden ist, a) die Veröffentlichung dieser Entscheidung ganz oder auszugsweise und in der von ihnen für angemessen erachteten Form zu verlangen; b) außerdem die Veröffentlichung einer berichtigenden Erklärung zu verlangen. (5) Die in Absatz 1 Unterabsatz 2 Buchstabe b genannten Verwaltungsbehörden müssen a) so zusammengesetzt sein, dass ihre Unparteilichkeit nicht in Zweifel gezogen werden kann; b) ausreichende Befugnisse haben, die Einhaltung ihrer Entscheidungen wirksam zu überwachen und durchzusetzen, sofern sie über die Beschwerden entscheiden; c) in der Regel ihre Entscheidungen begründen. (6) Werden die in den Absätzen 3 und 4 genannten Befugnisse ausschließlich von einer Verwaltungsbehörde ausgeübt, sind die Entscheidungen stets zu begründen. In diesem Fall sind Verfahren vorzusehen, in denen eine fehlerhafte oder unsachgemäße Ausübung der Befugnisse durch die Verwaltungsbehörde oder eine ungerechtfertigte oder unsachgemäße Unterlassung, diese Befugnisse auszuüben, von den Gerichten überprüft werden kann. 589

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Art. 6 [Freiwillige Selbstkontrolle] Diese Richtlinie schließt die freiwillige Kontrolle irreführender oder vergleichender Werbung durch Einrichtungen der Selbstverwaltung oder die Inanspruchnahme dieser Einrichtungen durch die in Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Personen oder Organisationen nicht aus, unter der Bedingung, dass entsprechende Verfahren vor solchen Einrichtungen zusätzlich zu den in Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zur Verfügung stehen. Die Mitgliedstaaten können diese freiwillige Kontrolle fördern. Art. 7 [Beweislast] Die Mitgliedstaaten übertragen den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse, die sie ermächtigen, in den in Artikel 5 genannten Verfahren vor den Zivilgerichten oder Verwaltungsbehörden a) vom Werbenden Beweise für die Richtigkeit von in der Werbung enthaltenen Tatsachenbehauptungen zu verlangen, wenn ein solches Verlangen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden und anderer Verfahrensbeteiligter im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls angemessen erscheint, und bei vergleichender Werbung vom Werbenden zu verlangen, die entsprechenden Beweise kurzfristig vorzulegen, sowie b) Tatsachenbehauptungen als unrichtig anzusehen, wenn der gemäß Buchstabe a) verlangte Beweis nicht angetreten wird oder wenn er von dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde für unzureichend erachtet wird. Art. 8 [Mindeststandard] (1) Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die bei irreführender Werbung einen weiterreichenden Schutz der Gewerbetreibenden und Mitbewerber vorsehen. Unterabsatz 1 gilt nicht für vergleichende Werbung, soweit es sich um den Vergleich handelt. (2) Diese Richtlinie gilt unbeschadet der Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die auf die Werbung für bestimmte Waren und/oder Dienstleistungen anwendbar sind, sowie unbeschadet der Beschränkungen oder Verbote für die Werbung in bestimmten Medien. (3) Aus den die vergleichende Werbung betreffenden Bestimmungen dieser Richtlinie ergibt sich keine Verpflichtung für diejenigen Mitgliedstaaten, die unter Einhaltung der Vorschriften des Vertrags ein Werbeverbot für bestimmte Waren oder Dienstleistungen aufrechterhalten oder einführen, vergleichende Werbung für diese Waren oder Dienstleistungen zuzulassen; dies gilt sowohl für unmittelbar ausgesprochene Verbote als auch für Verbote durch eine Einrichtung oder Organisation, die gemäß den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats für die Regelung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs zu590

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ständig ist. Sind diese Verbote auf bestimmte Medien beschränkt, so gilt diese Richtlinie für diejenigen Medien, die nicht unter diese Verbote fallen. (4) Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, unter Einhaltung der Bestimmungen des Vertrags Verbote oder Beschränkungen für die Verwendung von Vergleichen in der Werbung für Dienstleistungen freier Berufe aufrechtzuerhalten oder einzuführen, und zwar unabhängig davon, ob diese Verbote oder Beschränkungen unmittelbar auferlegt oder von einer Einrichtung oder Organisation verfügt werden, die nach dem Recht der Mitgliedstaaten für die Regelung der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit zuständig ist. Art. 8–12 Mitteilungspflicht der Mitgliedstaaten, Aufhebung der Richtlinie 84/ 450/EWG, Inkrafttreten, Adressaten — nicht abgedruckt. Anhang I Teil A — Aufgehobene Richtlinie mit ihren nachfolgenden Änderungen, Teil B — Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht und Anwendungsfristen; Anhang II Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt.

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2.21 Geschäftspraktiken-RL 2005/29

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Nach Artikel 153 Absatz 1 und Absatz 3 Buchstabe a des Vertrags hat die Gemeinschaft durch Maßnahmen, die sie nach Artikel 95 erlässt, einen Beitrag zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus zu leisten. (2) Gemäß Artikel 14 Absatz 2 des Vertrags umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen sowie die Niederlassungsfreiheit gewährleistet sind. Die Entwicklung der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs innerhalb dieses Raums ohne Binnengrenzen ist für die Förderung grenzüberschreitender Geschäftstätigkeiten wesentlich. (3) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf unlautere Geschäftspraktiken unterscheiden sich deutlich voneinander, wodurch erhebliche Verzerrungen des Wettbewerbs und Hemmnisse für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes entstehen können. Im Bereich der Werbung legt die Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 über irreführende und vergleichende Werbung4 Mindestkriterien für die Angleichung der Rechtsvorschriften im Bereich der irreführenden Werbung fest, hindert die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran, Vorschriften aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die einen weiterreichenden Schutz der Verbraucher vorsehen. Deshalb unterscheiden sich die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der irreführenden Werbung erheblich. (4) Diese Unterschiede führen zu Unsicherheit darüber, welche nationalen Regeln für unlautere Geschäftspraktiken gelten, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher schä-

* Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/ 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), ABl. 2005 L 149/22. 1 [KOM(2003) 356 endg.] 2 ABl. C 108 vom 30. 4. 2004, S. 81. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 20. 4. 2004 (ABl. C 104 E vom 30. 4. 2004, S. 260), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 15. 11. 2004 (ABl. C 38 E vom 15. 2. 2005, S. 1) und Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 24. 2. 2005 ([ABl. C 304 E vom 1. 12. 2005, S. 351]). Beschluss des Rates vom 12. 5. 2005. 4 ABl. L 250 vom 19. 9. 1984, S. 17. Richtlinie geändert durch die Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 290 vom 23. 10. 1997, S. 18). [Ersetzt durch neue Werbe-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.20] https://doi.org/10.1515/9783110667776-025

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digen, und schaffen viele Hemmnisse für Unternehmen wie Verbraucher. Diese Hemmnisse verteuern für die Unternehmen die Ausübung der Freiheiten des Binnenmarkts, insbesondere, wenn Unternehmen grenzüberschreitend Marketing-, Werbe- oder Verkaufskampagnen betreiben wollen. Auch für Verbraucher schaffen solche Hemmnisse Unsicherheit hinsichtlich ihrer Rechte und untergraben ihr Vertrauen in den Binnenmarkt. (5) In Ermangelung einheitlicher Regeln auf Gemeinschaftsebene könnten Hemmnisse für den grenzüberschreitenden Dienstleistungs- und Warenverkehr oder die Niederlassungsfreiheit im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften gerechtfertigt sein, sofern sie dem Schutz anerkannter Ziele des öffentlichen Interesses dienen und diesen Zielen angemessen sind. Angesichts der Ziele der Gemeinschaft, wie sie in den Bestimmungen des Vertrags und im sekundären Gemeinschaftsrecht über die Freizügigkeit niedergelegt sind, und in Übereinstimmung mit der in der Mitteilung der Kommission „Folgedokument zum Grünbuch über kommerzielle Kommunikationen im Binnenmarkt“ genannten Politik der Kommission auf dem Gebiet der kommerziellen Kommunikation sollten solche Hemmnisse beseitigt werden. Diese Hemmnisse können nur beseitigt werden, indem in dem Maße, wie es für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes und im Hinblick auf das Erfordernis der Rechtssicherheit notwendig ist, auf Gemeinschaftsebene einheitliche Regeln, die ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleisten, festgelegt und bestimmte Rechtskonzepte geklärt werden. (6) Die vorliegende Richtlinie gleicht deshalb die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken einschließlich der unlauteren Werbung an, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher unmittelbar und dadurch die wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber mittelbar schädigen. Im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip schützt diese Richtlinie die Verbraucher vor den Auswirkungen solcher unlauteren Geschäftspraktiken, soweit sie als wesentlich anzusehen sind, berücksichtigt jedoch, dass die Auswirkungen für den Verbraucher in manchen Fällen unerheblich sein können. Sie erfasst und berührt nicht die nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf unlautere Geschäftspraktiken, die lediglich die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern schädigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen; die Mitgliedstaaten können solche Praktiken, falls sie es wünschen, unter uneingeschränkter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht weiterhin regeln. Diese Richtlinie erfasst und berührt auch nicht die Bestimmungen der Richtlinie 84/450/EWG über Werbung, die für Unternehmen, nicht aber für Verbraucher irreführend ist, noch die Bestimmungen über vergleichende Werbung. Darüber hinaus berührt diese Richtlinie auch nicht die anerkannten Werbe- und Marketingmethoden wie rechtmäßige Produktplatzierung, Markendifferenzierung oder Anreize, die auf rechtmäßige Weise die Wahrnehmung von Produkten durch den Verbraucher und sein Verhalten beeinflussen können, die jedoch seine Fähigkeit, eine informierte Entscheidung zu treffen, nicht beeinträchtigen. (7) Diese Richtlinie bezieht sich auf Geschäftspraktiken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers in Bezug auf Produkte stehen. Sie bezieht sich nicht auf Geschäftspraktiken, die vorrangig anderen Zielen dienen, wie etwa bei kommerziellen, für Investoren gedachten Mitteilungen, wie Jahresberichten und Unternehmensprospekten. Sie bezieht sich nicht auf die gesetzlichen Anforderungen in Fragen der guten Sitten und des Anstands, die in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind. Geschäftspraktiken wie beispielsweise das Ansprechen von Personen auf der Straße zu Verkaufszwecken können in manchen Mitgliedstaaten aus kulturellen Gründen unerwünscht sein. Die Mitgliedstaaten sollten daher im Einklang mit

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dem Gemeinschaftsrecht in ihrem Hoheitsgebiet weiterhin Geschäftspraktiken aus Gründen der guten Sitten und des Anstands verbieten können, auch wenn diese Praktiken die Wahlfreiheit des Verbrauchers nicht beeinträchtigen. Bei der Anwendung dieser Richtlinie, insbesondere der Generalklauseln, sollten die Umstände des Einzelfalles umfassend gewürdigt werden. (8) Diese Richtlinie schützt unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern. Sie schützt somit auch mittelbar rechtmäßig handelnde Unternehmen vor Mitbewerbern, die sich nicht an die Regeln dieser Richtlinie halten, und gewährleistet damit einen lauteren Wettbewerb in dem durch sie koordinierten Bereich. Selbstverständlich gibt es andere Geschäftspraktiken, die zwar nicht den Verbraucher schädigen, sich jedoch nachteilig für die Mitbewerber und gewerblichen Kunden auswirken können. Die Kommission sollte sorgfältig prüfen, ob auf dem Gebiet des unlauteren Wettbewerbs über den Regelungsbereich dieser Richtlinie hinausgehende gemeinschaftliche Maßnahmen erforderlich sind, und sollte gegebenenfalls einen Gesetzgebungsvorschlag zur Erfassung dieser anderen Aspekte des unlauteren Wettbewerbs vorlegen. (9) Diese Richtlinie berührt nicht individuelle Klagen von Personen, die durch eine unlautere Geschäftspraxis geschädigt wurden. Sie berührt ferner nicht die gemeinschaftlichen und nationalen Vorschriften in den Bereichen Vertragsrecht, Schutz des geistigen Eigentums, Sicherheit und Gesundheitsschutz im Zusammenhang mit Produkten, Niederlassungsbedingungen und Genehmigungsregelungen, einschließlich solcher Vorschriften, die sich im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht auf Glücksspiele beziehen, sowie die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft und die nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung derselben. Die Mitgliedstaaten können somit unabhängig davon, wo der Gewerbetreibende niedergelassen ist, unter Berufung auf den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucher in ihrem Hoheitsgebiet für Geschäftspraktiken Beschränkungen aufrechterhalten oder einführen oder diese Praktiken verbieten, beispielsweise im Zusammenhang mit Spirituosen, Tabakwaren und Arzneimitteln. Für Finanzdienstleistungen und Immobilien sind aufgrund ihrer Komplexität und der ihnen inhärenten ernsten Risiken detaillierte Anforderungen erforderlich, einschließlich positiver Verpflichtungen für die betreffenden Gewerbetreibenden. Deshalb lässt diese Richtlinie im Bereich der Finanzdienstleistungen und Immobilien das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher über ihre Bestimmungen hinauszugehen. Es ist nicht angezeigt, in dieser Richtlinie die Zertifizierung und Angabe des Feingehalts von Artikel aus Edelmetall zu regeln. (10) Es muss sichergestellt werden, dass diese Richtlinie insbesondere in Fällen, in denen Einzelvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken in speziellen Sektoren anwendbar sind auf das geltende Gemeinschaftsrecht abgestimmt ist. Diese Richtlinie ändert daher die Richtlinie 84/450/EWG, die Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz,5 die Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen6 und die Richtlinie

5 ABl. L 144 vom 4. 6. 1997, S. 19. Richtlinie geändert durch die Richtlinie 2002/65/EG (ABl. L 271 vom 9. 10. 2002, S. 16). 6 ABl. L 166 vom 11. 6. 1998, S. 51. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2002/65/EG.

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2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher.7 Diese Richtlinie gilt dementsprechend nur insoweit, als keine spezifischen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts vorliegen, die spezielle Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, wie etwa Informationsanforderungen oder Regeln darüber, wie dem Verbraucher Informationen zu vermitteln sind. Sie bietet den Verbrauchern in den Fällen Schutz, in denen es keine spezifischen sektoralen Vorschriften auf Gemeinschaftsebene gibt, und untersagt es Gewerbetreibenden, eine Fehlvorstellung von der Art ihrer Produkte zu wecken. Dies ist besonders wichtig bei komplexen Produkten mit einem hohen Risikograd für die Verbraucher, wie etwa bestimmten Finanzdienstleistungen. Diese Richtlinie ergänzt somit den gemeinschaftlichen Besitzstand in Bezug auf Geschäftspraktiken, die den wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher schaden. Das hohe Maß an Konvergenz, das die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften durch diese Richtlinie hervorbringt, schafft ein hohes allgemeines Verbraucherschutzniveau. Diese Richtlinie stellt ein einziges generelles Verbot jener unlauteren Geschäftspraktiken auf, die das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers beeinträchtigen. Sie stellt außerdem Regeln über aggressive Geschäftspraktiken auf, die gegenwärtig auf Gemeinschaftsebene nicht geregelt sind. Durch die Angleichung wird die Rechtssicherheit sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen beträchtlich erhöht. Sowohl die Verbraucher als auch die Unternehmen werden in die Lage versetzt, sich an einem einzigen Rechtsrahmen zu orientieren, der auf einem klar definierten Rechtskonzept beruht, das alle Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken in der EU regelt. Dies wird zur Folge haben, dass die durch die Fragmentierung der Vorschriften über unlautere, die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher schädigende Geschäftspraktiken verursachten Handelshemmnisse beseitigt werden und die Verwirklichung des Binnenmarktes in diesem Bereich ermöglicht wird. Zur Erreichung der Ziele der Gemeinschaft durch die Beseitigung von Hemmnissen für den Binnenmarkt ist es notwendig, die in den Mitgliedstaaten existierenden unterschiedlichen Generalklauseln und Rechtsgrundsätze zu ersetzen. Das durch diese Richtlinie eingeführte einzige, gemeinsame generelle Verbot umfasst daher unlautere Geschäftspraktiken, die das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher beeinträchtigen. Zur Förderung des Verbrauchervertrauens sollte das generelle Verbot für unlautere Geschäftspraktiken sowohl außerhalb einer vertraglichen Beziehung zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern als auch nach Abschluss eines Vertrags und während dessen Ausführung gelten. Das generelle Verbot wird durch Regeln über die beiden bei weitem am meisten verbreiteten Arten von Geschäftspraktiken konkretisiert, nämlich die irreführenden und die aggressiven Geschäftspraktiken. Es ist wünschenswert, dass der Begriff der irreführenden Praktiken auch Praktiken, einschließlich irreführender Werbung, umfasst, die den Verbraucher durch Täuschung davon abhalten, eine informierte und deshalb effektive Wahl zu treffen. In Übereinstimmung mit dem Recht und den Praktiken der Mitgliedstaaten zur irreführenden Werbung unterteilt diese Richtlinie irreführende Praktiken in irreführende Handlungen und irreführende Unterlassungen. Im Hinblick auf Unterlassungen legt diese Richtlinie eine be-

7 ABl. L 271 vom 9. 10. 2002, S. 16 [Finanzdienstleistung-Fernabsatz-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.2].

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stimmte Anzahl von Basisinformationen fest, die der Verbraucher benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung treffen zu können. Solche Informationen müssen nicht notwendigerweise in jeder Werbung enthalten sein, sondern nur dann, wenn der Gewerbetreibende zum Kauf auffordert; dieses Konzept wird in dieser Richtlinie klar definiert. Die in dieser Richtlinie vorgesehene vollständige Angleichung hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, in ihren nationalen Rechtsvorschriften für bestimmte Produkte, zum Beispiel Sammlungsstücke oder elektrische Geräte, die wesentlichen Kennzeichen festzulegen, deren Weglassen bei einer Aufforderung zum Kauf rechtserheblich wäre. Mit dieser Richtlinie wird nicht beabsichtigt, die Wahl für die Verbraucher einzuschränken, indem die Werbung für Produkte, die anderen Produkten ähneln, untersagt wird, es sei denn, dass diese Ähnlichkeit eine Verwechslungsgefahr für die Verbraucher hinsichtlich der kommerziellen Herkunft des Produkts begründet und daher irreführend ist. Diese Richtlinie sollte das bestehende Gemeinschaftsrecht unberührt lassen, das den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Wahl zwischen mehreren Regelungsoptionen für den Verbraucherschutz auf dem Gebiet der Geschäftspraktiken lässt. Die vorliegende Richtlinie sollte insbesondere Artikel 13 Absatz 3 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation8 unberührt lassen. (15) Legt das Gemeinschaftsrecht Informationsanforderungen in Bezug auf Werbung, kommerzielle Kommunikation oder Marketing fest, so werden die betreffenden Informationen im Rahmen dieser Richtlinie als wesentlich angesehen. Die Mitgliedstaaten können die Informationsanforderungen in Bezug auf das Vertragsrecht oder mit vertragsrechtlichen Auswirkungen aufrechterhalten oder erweitern, wenn dies aufgrund der Mindestklauseln in den bestehenden gemeinschaftlichen Rechtsakten zulässig ist. Eine nicht erschöpfende Auflistung solcher im Besitzstand vorgesehenen Informationsanforderungen ist in Anhang II enthalten. Aufgrund der durch diese Richtlinie eingeführten vollständigen Angleichung werden nur die nach dem Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenen Informationen als wesentlich für die Zwecke des Artikels 7 Absatz 5 dieser Richtlinie betrachtet. Haben die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Mindestklauseln Informationsanforderungen eingeführt, die über das hinausgehen, was im Gemeinschaftsrecht geregelt ist, so kommt das Vorenthalten dieser Informationen einem irreführenden Unterlassen nach dieser Richtlinie nicht gleich. Die Mitgliedstaaten können demgegenüber, sofern dies nach den gemeinschaftsrechtlichen Mindestklauseln zulässig ist, im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht strengere Bestimmungen aufrechterhalten oder einführen, um ein höheres Schutzniveau für die individuellen vertraglichen Rechte der Verbraucher zu gewährleisten. (16) Die Bestimmungen über aggressive Handelspraktiken sollten solche Praktiken einschließen, die die Wahlfreiheit des Verbrauchers wesentlich beeinträchtigen. Dabei handelt es sich um Praktiken, die sich der Belästigung, der Nötigung, einschließlich der Anwendung von Gewalt, und der unzulässigen Beeinflussung bedienen. (17) Es ist wünschenswert, dass diejenigen Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen unlauter sind, identifiziert werden, um größere Rechtssicherheit zu schaffen. Anhang I enthält daher eine umfassende Liste solcher Praktiken. Hierbei handelt es sich um die einzigen Geschäftspraktiken, die ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Be-

8 ABl. L 201 vom 31. 7. 2002, S. 37.

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stimmungen der Artikel 5 bis 9 als unlauter gelten können. Die Liste kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden. Es ist angezeigt, alle Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken zu schützen; der Gerichtshof hat es allerdings bei seiner Rechtsprechung im Zusammenhang mit Werbung seit dem Erlass der Richtlinie 84/450/EWG für erforderlich gehalten, die Auswirkungen auf einen fiktiven typischen Verbraucher zu prüfen. Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechend und um die wirksame Anwendung der vorgesehenen Schutzmaßnahmen zu ermöglichen, nimmt diese Richtlinie den Durchschnittsverbraucher, der angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren in der Auslegung des Gerichtshofs als Maßstab, enthält aber auch Bestimmungen zur Vermeidung der Ausnutzung von Verbrauchern, deren Eigenschaften sie für unlautere Geschäftspraktiken besonders anfällig machen. Richtet sich eine Geschäftspraxis speziell an eine besondere Verbrauchergruppe wie z. B. Kinder, so sollte die Auswirkung der Geschäftspraxis aus der Sicht eines Durchschnittsmitglieds dieser Gruppe beurteilt werden. Es ist deshalb angezeigt, in die Liste der Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen unlauter sind, eine Bestimmung aufzunehmen, mit der an Kinder gerichtete Werbung zwar nicht völlig untersagt wird, mit der Kinder aber vor unmittelbaren Kaufaufforderungen geschützt werden. Der Begriff des Durchschnittsverbrauchers beruht dabei nicht auf einer statistischen Grundlage. Die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden müssen sich bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher in einem gegebenen Fall typischerweise reagieren würde, auf ihre eigene Urteilsfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlassen. Sind Verbraucher aufgrund bestimmter Eigenschaften wie Alter, geistige oder körperliche Gebrechen oder Leichtgläubigkeit besonders für eine Geschäftspraxis oder das ihr zugrunde liegende Produkt anfällig und wird durch diese Praxis voraussichtlich das wirtschaftliche Verhalten nur dieser Verbraucher in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise wesentlich beeinflusst, muss sichergestellt werden, dass diese entsprechend geschützt werden, indem die Praxis aus der Sicht eines Durchschnittsmitglieds dieser Gruppe beurteilt wird. Es ist zweckmäßig, die Möglichkeit von Verhaltenskodizes vorzusehen, die es Gewerbetreibenden ermöglichen, die Grundsätze dieser Richtlinie in spezifischen Wirtschaftsbranchen wirksam anzuwenden. In Branchen, in denen es spezifische zwingende Vorschriften gibt, die das Verhalten von Gewerbetreibenden regeln, ist es zweckmäßig, dass aus diesen auch die Anforderungen an die berufliche Sorgfalt in dieser Branche ersichtlich sind. Die von den Urhebern der Kodizes auf nationaler oder auf Gemeinschaftsebene ausgeübte Kontrolle hinsichtlich der Beseitigung unlauterer Geschäftspraktiken könnte die Inanspruchnahme der Verwaltungsbehörden oder Gerichte unnötig machen und sollte daher gefördert werden. Mit dem Ziel, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen, könnten Verbraucherverbände informiert und an der Ausarbeitung von Verhaltenskodizes beteiligt werden. Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse geltend machen können, müssen über Rechtsbehelfe verfügen, die es ihnen erlauben, vor Gericht oder bei einer Verwaltungsbehörde, die über Beschwerden entscheiden oder geeignete gerichtliche Schritte einleiten kann, gegen unlautere Geschäftspraktiken vorzugehen. Zwar wird die Beweislast vom nationalen Recht bestimmt, die Gerichte und Verwaltungsbehörden sollten aber in die Lage versetzt werden, von Gewerbetreibenden zu

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verlangen, dass sie den Beweis für die Richtigkeit der von ihnen behaupteten Tatsachen erbringen. (22) Es ist notwendig, dass die Mitgliedstaaten Sanktionen für Verstöße gegen diese Richtlinie festlegen und für deren Durchsetzung sorgen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. (23) Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken die durch derartige Vorschriften verursachten Handelshemmnisse zu beseitigen und ein hohes gemeinsames Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das für die Beseitigung der Handelshemmnisse und die Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Verbraucherschutzniveaus erforderliche Maß hinaus. (24) Zur Prüfpflicht der Kommission — nicht abgedruckt. (25) Diese Richtlinie achtet die insbesondere in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Grundrechte und Grundsätze — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel 1 − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Zweck der Richtlinie Zweck dieser Richtlinie ist es, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen. Art. 2 Definitionen Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) „Verbraucher“ jede natürliche Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können; b) „Gewerbetreibender“ jede natürliche oder juristische Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handelt; c) „Produkt“ jede Ware oder Dienstleistung, einschließlich Immobilien, Rechte und Verpflichtungen; d) „Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern“ (nachstehend auch „Geschäftspraktiken“ genannt) jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der 598

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e)

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g)

h)

i)

j)

k)

l)

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Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt; „wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers“ die Anwendung einer Geschäftspraxis, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte; „Verhaltenskodex“ eine Vereinbarung oder ein Vorschriftenkatalog, die bzw. der nicht durch die Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschrieben ist und das Verhalten der Gewerbetreibenden definiert, die sich in Bezug auf eine oder mehrere spezielle Geschäftspraktiken oder Wirtschaftszweige auf diesen Kodex verpflichten; „Urheber eines Kodex“ jede Rechtspersönlichkeit, einschließlich einzelner Gewerbetreibender oder Gruppen von Gewerbetreibenden, die für die Formulierung und Überarbeitung eines Verhaltenskodex und/oder für die Überwachung der Einhaltung dieses Kodex durch alle diejenigen, die sich darauf verpflichtet haben, zuständig ist; „berufliche Sorgfalt“ der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, bei denen billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Gewerbetreibende sie gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet; „Aufforderung zum Kauf“ jede kommerzielle Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen; „unzulässige Beeinflussung“ die Ausnutzung einer Machtposition gegenüber dem Verbraucher zur Ausübung von Druck, auch ohne die Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise, die die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt; „geschäftliche Entscheidung“ jede Entscheidung eines Verbraucher darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen, eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen; „reglementierter Beruf“ eine berufliche Tätigkeit oder eine Reihe beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder Ausübung oder eine der Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften an das Vorhandensein bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist. 599

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Art. 3 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts. (2) Diese Richtlinie lässt das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags unberührt. (3) Diese Richtlinie lässt die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt. (4) Kollidieren die Bestimmungen dieser Richtlinie mit anderen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, so gehen die Letzteren vor und sind für diese besonderen Aspekte maßgebend. (5) Die Mitgliedstaaten können für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 2007 in dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beibehalten, die restriktiver oder strenger sind als diese Richtlinie und zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden und die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten. Diese Maßnahmen müssen unbedingt erforderlich sein, um sicherzustellen, dass die Verbraucher auf geeignete Weise vor unlauteren Geschäftspraktiken geschützt werden und müssen zur Erreichung dieses Ziels verhältnismäßig sein. Im Rahmen der nach Artikel 18 vorgesehenen Überprüfung kann gegebenenfalls vorgeschlagen werden, die Geltungsdauer dieser Ausnahmeregelung um einen weiteren begrenzten Zeitraum zu verlängern. (6) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission unverzüglich die auf der Grundlage von Absatz 5 angewandten nationalen Vorschriften mit. (7) Diese Richtlinie lässt die Bestimmungen über die Zuständigkeit der Gerichte unberührt. (8) Diese Richtlinie lässt alle Niederlassungs- oder Genehmigungsbedingungen, berufsständischen Verhaltenskodizes oder andere spezifische Regeln für reglementierte Berufe unberührt, damit die strengen Integritätsstandards, die die Mitgliedstaaten den in dem Beruf tätigen Personen nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts auferlegen können, gewährleistet bleiben. (9) Im Zusammenhang mit „Finanzdienstleistungen“ im Sinne der Richtlinie 2002/65/EG und Immobilien können die Mitgliedstaaten Anforderungen stellen, die im Vergleich zu dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich restriktiver und strenger sind. (10) Diese Richtlinie gilt nicht für die Anwendung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Zertifizierung und Angabe des Feingehalts von Artikel aus Edelmetall. 600

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Art. 4 Binnenmarkt Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken.

Kapitel 2 − Unlautere Geschäftspraktiken Art. 5 Verbot unlauterer Geschäftspraktiken (1) Unlautere Geschäftspraktiken sind verboten. (2) Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn a) sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht und b) sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen. (3) Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrunde liegenden Produkte besonders schutzbedürftig sind, werden aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe beurteilt. Die übliche und rechtmäßige Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen, bleibt davon unberührt. (4) Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die a) irreführend im Sinne der Artikel 6 und 7 oder b) aggressiv im Sinne der Artikel 8 und 9 sind. (5) Anhang I enthält eine Liste jener Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.

Abschnitt 1 − Irreführende Geschäftspraktiken Art. 6 Irreführende Handlungen (1) Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in ir601

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gendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte: a) das Vorhandensein oder die Art des Produkts; b) die wesentlichen Merkmale des Produkts wie Verfügbarkeit, Vorteile, Risiken, Ausführung, Zusammensetzung, Zubehör, Kundendienst und Beschwerdeverfahren, Verfahren und Zeitpunkt der Herstellung oder Erbringung, Lieferung, Zwecktauglichkeit, Verwendung, Menge, Beschaffenheit, geografische oder kommerzielle Herkunft oder die von der Verwendung zu erwartenden Ergebnisse oder die Ergebnisse und wesentlichen Merkmale von Tests oder Untersuchungen, denen das Produkt unterzogen wurde; c) den Umfang der Verpflichtungen des Gewerbetreibenden, die Beweggründe für die Geschäftspraxis und die Art des Vertriebsverfahrens, die Aussagen oder Symbole jeder Art, die im Zusammenhang mit direktem oder indirektem Sponsoring stehen oder sich auf eine Zulassung des Gewerbetreibenden oder des Produkts beziehen; d) der Preis, die Art der Preisberechnung oder das Vorhandensein eines besonderer Preisvorteils; e) die Notwendigkeit einer Leistung, eines Ersatzteils, eines Austauschs oder einer Reparatur; f) die Person, die Eigenschaften oder die Rechte des Gewerbetreibenden oder seines Vertreters, wie Identität und Vermögen, seine Befähigungen, seinen Status, seine Zulassung, Mitgliedschaften oder Beziehungen sowie gewerbliche oder kommerzielle Eigentumsrechte oder Rechte an geistigem Eigentum oder seine Auszeichnungen und Ehrungen; g) die Rechte des Verbrauchers einschließlich des Rechts auf Ersatzlieferung oder Erstattung gemäß der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter9 oder die Risiken, denen er sich möglicherweise aussetzt. (2) Eine Geschäftspraxis gilt ferner als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte, und Folgendes beinhaltet:

9 ABl. L 171 vom 7. 7. 1999, S. 12 [Kaufgewährleistungs-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.8a].

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a) jegliche Art der Vermarktung eines Produkts, einschließlich vergleichender Werbung, die eine Verwechslungsgefahr mit einem anderen Produkt, Warenzeichen, Warennamen oder anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers begründet; b) die Nichteinhaltung von Verpflichtungen, die der Gewerbetreibende im Rahmen von Verhaltenskodizes, auf die er sich verpflichtet hat, eingegangen ist, sofern i) es sich nicht um eine Absichtserklärung, sondern um eine eindeutige Verpflichtung handelt, deren Einhaltung nachprüfbar ist, und ii) der Gewerbetreibende im Rahmen einer Geschäftspraxis darauf hinweist, dass er durch den Kodex gebunden ist. Art. 7 Irreführende Unterlassungen (1) Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte. (2) Als irreführende Unterlassung gilt es auch, wenn ein Gewerbetreibender wesentliche Informationen gemäß Absatz 1 unter Berücksichtigung der darin beschriebenen Einzelheiten verheimlicht oder auf unklare, unverständliche, zweideutige Weise oder nicht rechtzeitig bereitstellt oder wenn er den kommerziellen Zweck der Geschäftspraxis nicht kenntlich macht, sofern er sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und dies jeweils einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte. (3) Werden durch das für die Geschäftspraxis verwendete Kommunikationsmedium räumliche oder zeitliche Beschränkungen auferlegt, so werden diese Beschränkungen und alle Maßnahmen, die der Gewerbetreibende getroffen hat, um den Verbrauchern die Informationen anderweitig zur Verfügung zu stellen, bei der Entscheidung darüber, ob Informationen vorenthalten wurden, berücksichtigt. (4) Im Falle der Aufforderung zum Kauf gelten folgende Informationen als wesentlich, sofern sie sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergeben: a) die wesentlichen Merkmale des Produkts in dem für das Medium und das Produkt angemessenen Umfang; b) Anschrift und Identität des Gewerbetreibenden, wie sein Handelsname und gegebenenfalls Anschrift und Identität des Gewerbetreibenden, für den er handelt; 603

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c) der Preis einschließlich aller Steuern und Abgaben oder in den Fällen, in denen der Preis aufgrund der Beschaffenheit des Produkts vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden kann, die Art der Preisberechnung sowie gegebenenfalls alle zusätzlichen Fracht-, Liefer- oder Zustellkosten oder in den Fällen, in denen diese Kosten vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden können, die Tatsache, dass solche zusätzliche Kosten anfallen können; d) die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie das Verfahren zum Umgang mit Beschwerden, falls sie von den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt abweichen; e) für Produkte und Rechtsgeschäfte, die ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht beinhalten, das Bestehen eines solchen Rechts. (5) Die im Gemeinschaftsrecht festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung oder Marketing, auf die in der nicht erschöpfenden Liste des Anhangs II verwiesen wird, gelten als wesentlich.

Abschnitt 2 − Aggressive Geschäftspraktiken Art. 8 Aggressive Geschäftspraktiken Eine Geschäftspraxis gilt als aggressiv, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Durchschnittsverbrauchers in Bezug auf das Produkt durch Belästigung, Nötigung, einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt, oder durch unzulässige Beeinflussung tatsächlich oder voraussichtlich erheblich beeinträchtigt und dieser dadurch tatsächlich oder voraussichtlich dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Art. 9 Belästigung, Nötigung und unzulässige Beeinflussung Bei der Feststellung, ob im Rahmen einer Geschäftspraxis die Mittel der Belästigung, der Nötigung, einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt, oder der unzulässigen Beeinflussung eingesetzt werden, ist abzustellen auf: a) Zeitpunkt, Ort, Art oder Dauer des Einsatzes; b) die Verwendung drohender oder beleidigender Formulierungen oder Verhaltensweisen; c) die Ausnutzung durch den Gewerbetreibenden von konkreten Unglückssituationen oder Umständen von solcher Schwere, dass sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigen, worüber sich der Gewerbetreibende bewusst ist, um die Entscheidung des Verbrauchers in Bezug auf das Produkt zu beeinflussen; 604

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d) belastende oder unverhältnismäßige Hindernisse nichtvertraglicher Art, mit denen der Gewerbetreibende den Verbraucher an der Ausübung seiner vertraglichen Rechte zu hindern versucht, wozu auch das Recht gehört, den Vertrag zu kündigen oder zu einem anderen Produkt oder einem anderen Gewerbetreibenden zu wechseln; e) Drohungen mit rechtlich unzulässigen Handlungen.

Kapitel 3 − Verhaltenskodizes Art. 10 Verhaltenskodizes Diese Richtlinie schließt die Kontrolle — die von den Mitgliedstaaten gefördert werden kann — unlauterer Geschäftspraktiken durch die Urheber von Kodizes und die Inanspruchnahme solcher Einrichtungen durch die in Artikel 11 genannten Personen oder Organisationen nicht aus, wenn entsprechende Verfahren vor solchen Einrichtungen zusätzlich zu den Gerichts- oder Verwaltungsverfahren gemäß dem genannten Artikel zur Verfügung stehen. Die Inanspruchnahme derartiger Kontrolleinrichtungen bedeutet keineswegs einen Verzicht auf einen Rechtsbehelf vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde gemäß Artikel 11.

Kapitel 4 − Schlussbestimmungen Art. 11 Durchsetzung (1) Die Mitgliedstaaten stellen im Interesse der Verbraucher sicher, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung dieser Richtlinie durchzusetzen. Diese Mittel umfassen Rechtsvorschriften, die es Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, einschließlich Mitbewerbern, gestatten, a) gerichtlich gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken vorzugehen und/ oder b) gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken ein Verfahren bei einer Verwaltungsbehörde einzuleiten, die für die Entscheidung über Beschwerden oder für die Einleitung eines geeigneten gerichtlichen Verfahrens zuständig ist. Jedem Mitgliedstaat bleibt es vorbehalten zu entscheiden, welcher dieser Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen wird und ob das Gericht oder die Verwaltungsbehörde ermächtigt werden soll, vorab die Durchführung eines Verfahrens 605

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vor anderen bestehenden Einrichtungen zur Regelung von Beschwerden, einschließlich der in Artikel 10 genannten Einrichtungen, zu verlangen. Diese Rechtsbehelfe stehen unabhängig davon zur Verfügung, ob die Verbraucher sich im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, oder in einem anderen Mitgliedstaat befinden. Jedem Mitgliedstaat bleibt vorbehalten zu entscheiden, a) ob sich diese Rechtsbehelfe getrennt oder gemeinsam gegen mehrere Gewerbetreibende desselben Wirtschaftssektors richten können und b) ob sich diese Rechtsbehelfe gegen den Urheber eines Verhaltenskodex richten können, wenn der betreffende Kodex der Nichteinhaltung rechtlicher Vorschriften Vorschub leistet. (2) Im Rahmen der in Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften übertragen die Mitgliedstaaten den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse, die sie ermächtigen, in Fällen, in denen sie diese Maßnahmen unter Berücksichtigung aller betroffenen Interessen und insbesondere des öffentlichen Interesses für erforderlich halten, a) die Einstellung der unlauteren Geschäftspraktiken anzuordnen oder ein geeignetes gerichtliches Verfahren zur Anordnung der Einstellung der betreffenden unlauteren Geschäftspraxis einzuleiten, oder b) falls die unlautere Geschäftspraxis noch nicht angewandt wurde, ihre Anwendung jedoch bevorsteht, diese Praxis zu verbieten oder ein geeignetes gerichtliches Verfahren zur Anordnung des Verbots dieser Praxis einzuleiten, auch wenn kein tatsächlicher Verlust oder Schaden bzw. Vorsatz oder Fahrlässigkeit seitens des Gewerbetreibenden nachweisbar ist. Die Mitgliedstaaten sehen ferner vor, dass die in Unterabsatz 1 genannten Maßnahmen im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens mit vorläufiger Wirkung oder endgültiger Wirkung getroffen werden können, wobei jedem Mitgliedstaat vorbehalten bleibt zu entscheiden, welche dieser beiden Möglichkeiten gewählt wird. Außerdem können die Mitgliedstaaten den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse übertragen, die sie ermächtigen, zur Beseitigung der fortdauernden Wirkung unlauterer Geschäftspraktiken, deren Einstellung durch eine rechtskräftige Entscheidung angeordnet worden ist, a) die Veröffentlichung dieser Entscheidung ganz oder auszugsweise und in der von ihnen für angemessen erachteten Form zu verlangen; b) außerdem die Veröffentlichung einer berichtigenden Erklärung zu verlangen. (3) Die in Absatz 1 genannten Verwaltungsbehörden müssen 606

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a) so zusammengesetzt sein, dass ihre Unparteilichkeit nicht in Zweifel gezogen werden kann; b) über ausreichende Befugnisse verfügen, um die Einhaltung ihrer Entscheidungen über Beschwerden wirksam überwachen und durchsetzen zu können; c) in der Regel ihre Entscheidungen begründen. Werden die in Absatz 2 genannten Befugnisse ausschließlich von einer Verwaltungsbehörde ausgeübt, so sind die Entscheidungen stets zu begründen. In diesem Fall sind ferner Verfahren vorzusehen, in denen eine fehlerhafte oder unsachgemäße Ausübung der Befugnisse durch die Verwaltungsbehörde oder eine fehlerhafte oder unsachgemäße Nichtausübung dieser Befugnisse von den Gerichten überprüft werden kann. Art. 12 Gerichte und Verwaltungsbehörden: Begründung von Behauptungen Die Mitgliedstaaten übertragen den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse, die sie ermächtigen, in den in Artikel 11 vorgesehenen Verfahren vor den Zivilgerichten oder Verwaltungsbehörden a) vom Gewerbetreibenden den Beweis der Richtigkeit von Tatsachenbehauptungen im Zusammenhang mit einer Geschäftspraxis zu verlangen, wenn ein solches Verlangen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Gewerbetreibenden und anderer Verfahrensbeteiligter im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls angemessen erscheint, und b) Tatsachenbehauptungen als unrichtig anzusehen, wenn der gemäß Buchstabe a verlangte Beweis nicht angetreten wird oder wenn er von dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde für unzureichend erachtet wird. Art. 13 Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie anzuwenden sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um ihre Durchsetzung sicherzustellen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Art. 14–16 Änderungen anderer Rechtsakte (dort berücksichtigt) — nicht abgedruckt. Art. 17 Information Die Mitgliedstaaten treffen angemessene Maßnahmen, um die Verbraucher über die nationalen Bestimmungen zur Umsetzung dieser Richtlinie zu informieren, und regen gegebenenfalls Gewerbetreibende und Urheber von Kodizes dazu an, die Verbraucher über ihre Verhaltenskodizes zu informieren. 607

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Art. 18–21 Umsetzungsfrist, Adressaten, Berichtspflicht der Kommission — nicht abgedruckt.

Anhang I − Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter gelten Irreführende Geschäftspraktiken 1.

Die Behauptung eines Gewerbetreibenden, zu den Unterzeichnern eines Verhaltenskodex zu gehören, obgleich dies nicht der Fall ist. 2. Die Verwendung von Gütezeichen, Qualitätskennzeichen oder Ähnlichem ohne die erforderliche Genehmigung. 3. Die Behauptung, ein Verhaltenskodex sei von einer öffentlichen oder anderen Stelle gebilligt, obgleich dies nicht der Fall ist. 4. Die Behauptung, dass ein Gewerbetreibender (einschließlich seiner Geschäftspraktiken) oder ein Produkt von einer öffentlichen oder privaten Stelle bestätigt, gebilligt oder genehmigt worden sei, obwohl dies nicht der Fall ist, oder die Aufstellung einer solchen Behauptung, ohne dass den Bedingungen für die Bestätigung, Billigung oder Genehmigung entsprochen wird. 5. Aufforderung zum Kauf von Produkten zu einem bestimmten Preis, ohne dass darüber aufgeklärt wird, dass der Gewerbetreibende hinreichende Gründe für die Annahme hat, dass er nicht in der Lage sein wird, dieses oder ein gleichwertiges Produkt zu dem genannten Preis für einen Zeitraum und in einer Menge zur Lieferung bereitzustellen oder durch einen anderen Gewerbetreibenden bereitstellen zu lassen, wie es in Bezug auf das Produkt, den Umfang der für das Produkt eingesetzten Werbung und den Angebotspreis angemessen wäre (Lockangebote). 6. Aufforderung zum Kauf von Produkten zu einem bestimmten Preis und dann a) Weigerung, dem Verbraucher den beworbenen Artikel zu zeigen, oder b) Weigerung, Bestellungen dafür anzunehmen oder innerhalb einer vertretbaren Zeit zu liefern, oder c) Vorführung eines fehlerhaften Exemplars in der Absicht, stattdessen ein anderes Produkt abzusetzen („bait-andswitch“-Technik). 7. Falsche Behauptung, dass das Produkt nur eine sehr begrenzte Zeit oder nur eine sehr begrenzte Zeit zu bestimmten Bedingungen verfügbar sein werde, um so den Verbraucher zu einer sofortigen Entscheidung zu verlei608

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ten, so dass er weder Zeit noch Gelegenheit hat, eine informierte Entscheidung zu treffen. Verbrauchern, mit denen der Gewerbetreibende vor Abschluss des Geschäfts in einer Sprache kommuniziert hat, bei der es sich nicht um eine Amtssprache des Mitgliedstaats handelt, in dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, wird eine nach Abschluss des Geschäfts zu erbringende Leistung zugesichert, diese Leistung wird anschließend aber nur in einer anderen Sprache erbracht, ohne dass der Verbraucher eindeutig hierüber aufgeklärt wird, bevor er das Geschäft tätigt. Behauptung oder anderweitige Herbeiführung des Eindrucks, ein Produkt könne rechtmäßig verkauft werden, obgleich dies nicht der Fall ist. Den Verbrauchern gesetzlich zugestandene Rechte werden als Besonderheit des Angebots des Gewerbetreibenden präsentiert. Es werden redaktionelle Inhalte in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt und der Gewerbetreibende hat diese Verkaufsförderung bezahlt, ohne dass dies aus dem Inhalt oder aus für den Verbraucher klar erkennbaren Bildern und Tönen eindeutig hervorgehen würde (als Information getarnte Werbung). Die Richtlinie 89/552/EWG10 bleibt davon unberührt. Aufstellen einer sachlich falschen Behauptung über die Art und das Ausmaß der Gefahr für die persönliche Sicherheit des Verbrauchers oder seiner Familie für den Fall, dass er das Produkt nicht kauft. Werbung für ein Produkt, das einem Produkt eines bestimmten Herstellers ähnlich ist, in einer Weise, die den Verbraucher absichtlich dazu verleitet, zu glauben, das Produkt sei von jenem Hersteller hergestellt worden, obwohl dies nicht der Fall ist. Einführung, Betrieb oder Förderung eines Schneeballsystems zur Verkaufsförderung, bei dem der Verbraucher die Möglichkeit vor Augen hat, eine Vergütung zu erzielen, die hauptsächlich durch die Einführung neuer Verbraucher in ein solches System und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Produkten zu erzielen ist. Behauptung, der Gewerbetreibende werde demnächst sein Geschäft aufgeben oder seine Geschäftsräume verlegen, obwohl er dies keineswegs beabsichtigt. Behauptung, Produkte könnten die Gewinnchancen bei Glücksspielen erhöhen.

10 Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. L 298 vom 17. 10. 1989, S. 23). Geändert durch die Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 202 vom 30. 7. 1997, S. 60).

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17. Falsche Behauptung, ein Produkt könne Krankheiten, Funktionsstörungen oder Missbildungen heilen. 18. Erteilung sachlich falscher Informationen über die Marktbedingungen oder die Möglichkeit, das Produkt zu finden, mit dem Ziel, den Verbraucher dazu zu bewegen, das Produkt zu weniger günstigen Bedingungen als den normalen Marktbedingungen zu kaufen. 19. Es werden Wettbewerbe und Preisausschreiben angeboten, ohne dass die beschriebenen Preise oder ein angemessenes Äquivalent vergeben werden. 20. Ein Produkt wird als „gratis“, „umsonst“, „kostenfrei“ oder Ähnliches beschrieben, obwohl der Verbraucher weitere Kosten als die Kosten zu tragen hat, die im Rahmen des Eingehens auf die Geschäftspraktik und für die Abholung oder Lieferung der Ware unvermeidbar sind. 21. Werbematerialien wird eine Rechnung oder ein ähnliches Dokument mit einer Zahlungsaufforderung beigefügt, die dem Verbraucher den Eindruck vermitteln, dass er das beworbene Produkt bereits bestellt hat, obwohl dies nicht der Fall ist. 22. Fälschliche Behauptung oder Erweckung des Eindrucks, dass der Händler nicht für die Zwecke seines Handels, Geschäfts, Gewerbes oder Berufs handelt, oder fälschliches Auftreten als Verbraucher. 23. Erwecken des fälschlichen Eindrucks, dass der Kundendienst im Zusammenhang mit einem Produkt in einem anderen Mitgliedstaat verfügbar sei als demjenigen, in dem das Produkt verkauft wird.

Aggressive Geschäftspraktiken 24. Erwecken des Eindrucks, der Verbraucher könne die Räumlichkeiten ohne Vertragsabschluss nicht verlassen. 25. Nichtbeachtung der Aufforderung des Verbrauchers bei persönlichen Besuchen in dessen Wohnung, diese zu verlassen bzw. nicht zurückzukehren, außer in Fällen und in den Grenzen, in denen dies nach dem nationalen Recht gerechtfertigt ist, um eine vertragliche Verpflichtung durchzusetzen. 26. Kunden werden durch hartnäckiges und unerwünschtes Ansprechen über Telefon, Fax, E-Mail oder sonstige für den Fernabsatz geeignete Medien geworben, außer in Fällen und in den Grenzen, in denen ein solches Verhalten nach den nationalen Rechtsvorschriften gerechtfertigt ist, um eine vertragliche Verpflichtung durchzusetzen. Dies gilt unbeschadet des Artikels 10 der Richtlinie 97/7/EG sowie der Richtlinien 95/46/EG11 und 2002/58/ EG. 11 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 10. 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien

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27. Aufforderung eines Verbrauchers, der eine Versicherungspolice in Anspruch nehmen möchte, Dokumente vorzulegen, die vernünftigerweise nicht als relevant für die Gültigkeit des Anspruchs anzusehen sind, oder systematische Nichtbeantwortung einschlägiger Schreiben, um so den Verbraucher von der Ausübung seiner vertraglichen Rechte abzuhalten. 28. Einbeziehung einer direkten Aufforderung an Kinder in eine Werbung, die beworbenen Produkte zu kaufen oder ihre Eltern oder andere Erwachsene zu überreden, die beworbenen Produkte für sie zu kaufen. Diese Bestimmung gilt unbeschadet des Artikels 16 der Richtlinie 89/552/EWG über die Ausübung der Fernsehtätigkeit. 29. Aufforderung des Verbrauchers zur sofortigen oder späteren Bezahlung oder zur Rücksendung oder Verwahrung von Produkten, die der Gewebetreibende geliefert, der Verbraucher aber nicht bestellt hat (unbestellte Waren oder Dienstleistungen); ausgenommen hiervon sind Produkte, bei denen es sich um Ersatzlieferungen gemäß Artikel 7 Absatz 3 der Richtlinie 97/7/EG handelt. 30. Ausdrücklicher Hinweis gegenüber dem Verbraucher, dass Arbeitsplatz oder Lebensunterhalt des Gewerbetreibenden gefährdet sind, falls der Verbraucher das Produkt oder die Dienstleistung nicht erwirbt. 31. Erwecken des fälschlichen Eindrucks, der Verbraucher habe bereits einen Preis gewonnen, werde einen Preis gewinnen oder werde durch eine bestimmte Handlung einen Preis oder einen sonstigen Vorteil gewinnen, obwohl: — es in Wirklichkeit keinen Preis oder sonstigen Vorteil gibt, oder — die Möglichkeit des Verbrauchers, Handlungen in Bezug auf die Inanspruchnahme des Preises oder eines sonstigen Vorteils vorzunehmen, in Wirklichkeit von der Zahlung eines Betrags oder der Übernahme von Kosten durch den Verbraucher abhängig gemacht wird.

Anhang II – Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zur Regelung der Bereiche Werbung und kommerzielle Kommunikation — Artikel 4 und 5 der Richtlinie 97/7/EG — Artikel 3 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen12 Datenverkehr (ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31). Geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/ 2003 (ABl. L 284 vom 31. 10. 2003, S. 1). 12 ABl. L 158 vom 23. 6. 1990, S. 59 [Pauschalreise-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.12].

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— Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien13 — Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse14 — Artikel 86 bis 100 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel 15 — Artikel 5 und 6 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“)16 — Artikel 1 Buchstabe d der Richtlinie 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Änderung der Richtlinie 87/102/ EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit 17 — Artikel 3 und 4 der Richtlinie 2002/65/EG — Artikel 1 Nummer 9 der Richtlinie 2001/107/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Januar 2002 zur Änderung der Richtlinie 85/ 611/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) zwecks Festlegung von Bestimmungen für Verwaltungsgesellschaften und vereinfache Prospekte18 — Artikel 12 und 13 der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember 2002 über Versicherungsvermittlung19 — Artikel 36 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen20 13 ABl. L 280 vom 29. 10. 1994, S. 83. [Ersetzt durch neue Timesharing-RL, in dieser Sammlung, Nr. 2.13]. 14 ABl. L 80 vom 18. 3. 1998, S. 27. 15 ABl. L 311 vom 28. 11. 2001, S. 67. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/27/ EG (ABl. L 136 vom 30. 4. 2004, S. 34). 16 ABl. L 178 vom 17. 7. 2000, S. 1 [E-Commerce-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.3]. 17 ABl. L 101 vom 1. 4. 1998, S. 17 [Ersetzt durch Verbraucherkredit-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.17]. 18 ABl. L 41 vom 13. 2. 2002, S. 20. 19 ABl. L 9 vom 15. 1. 2003, S. 3. 20 ABl. L 345 vom 19. 12. 2002, S. 1. Richtlinie geändert durch die Richtlinie 2004/66/EG des Rates (ABl. L 168 vom 1. 5. 2004, S. 35).

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Geschäftspraktiken-RL 2005/29

2.21

— Artikel 19 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente21 — Artikel 31 und 43 der Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung)22 (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) — Artikel 5, 7 und 8 der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG23

21 ABl. L 145 vom 30. 4. 2004, S. 1 [Ersetzt durch Finanzmarkt-RL II, in dieser Sammlung Nr. 2.19]. 22 ABl. L 228 vom 11. 8. 1992, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 35 vom 11. 2. 2003, S. 1). 23 ABl. L 345 vom 31. 12. 2003, S. 64.

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2.22 Geschäftsgeheimnis-RL 2016/943

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Unternehmen und nicht kommerzielle Forschungseinrichtungen investieren in den Erwerb, die Entwicklung und die Anwendung von Know-how und Informationen — die Währung der wissensbasierten Wirtschaft, die einen Wettbewerbsvorteil schafft. Diese Investition in die Schaffung und Anwendung intellektuellen Kapitals ist ein bestimmender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit und den Markterfolg der Unternehmen durch Innovation und damit ihre Rendite, die letztlich die Motivation für ihre Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten darstellt. Unternehmen wenden unterschiedliche Mittel an, um sich die Ergebnisse ihrer Tätigkeiten im Innovationsbereich anzueignen, wenn eine freie Zugänglichkeit nicht die volle Nutzung ihrer Investitionen in Forschung und Innovation erlaubt. Eines dieser Mittel ist die Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums in Form von Patenten, Geschmacksmusterrechten oder Urheberrechten. Ein weiteres Mittel, um sich die Ergebnisse der Innovation anzueignen, ist der Schutz des Zugangs zu Wissen und die Verwertung von Wissen, das für das betreffende Unternehmen von Wert und nicht allgemein bekannt ist. Solch wertvolles Know-how und solche wertvollen Geschäftsinformationen, die nicht offengelegt werden und vertraulich zu behandeln sind, werden als Geschäftsgeheimnis bezeichnet. (2) Unternehmen schätzen — unabhängig von ihrer Größe — Geschäftsgeheimnisse als genauso wichtig wie Patente und andere Formen von Rechten des geistigen Eigentums ein. Sie nutzen Vertraulichkeit als Managementinstrument für unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit und Forschungsinnovationen; dabei geht es um ein breites Spektrum von Informationen, das über das technologische Wissen hinausgeht und auch Geschäftsdaten wie Informationen über Kunden und Lieferanten, Businesspläne sowie Marktforschung und -strategien einschließt. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) schätzen Geschäftsgeheimnisse in besonderem Maße und sind stärker auf sie angewiesen. Durch den Schutz eines derart breiten Spektrums von Know-how und Geschäftsinformationen, die eine Ergänzung von oder auch eine Alternative zu Rechten des geistigen Eigentums darstellen können, ermöglichen Geschäftsgeheimnisse den Urhebern und Innovatoren, einen Nut-

* Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABl. 2016 L 157/1. 1 ABl. C 226 vom 16. 7. 2014, S. 48. 2 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 14. April 2016 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 27. Mai 2016. https://doi.org/10.1515/9783110667776-026

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zen aus ihrer schöpferischen Tätigkeit oder ihren Innovationen zu ziehen; sie sind daher von außerordentlicher Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie für Forschung und Entwicklung und für die Leistung durch Innovation. (3) Offene Innovation ist ein Katalysator für neue Ideen, mit denen die Verbraucherbedürfnisse befriedigt und gesellschaftliche Herausforderungen bewältigt werden, der dafür sorgt, dass diese Ideen auf den Markt gelangen. Eine solche Innovation ist ein wichtiger Hebel für die Schaffung neuen Wissens und fördert die Entstehung neuer und innovativer Geschäftsmodelle, die sich auf die Nutzung gemeinsam geschaffenen Wissens stützen. Kooperative Forschung, einschließlich einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, ist insbesondere wichtig, um den Umfang von Forschung und Entwicklung der Unternehmen im Binnenmarkt zu erhöhen. Die Weitergabe von Wissen und Informationen sollte als grundlegend für die Sicherstellung von dynamischen, positiven und gleichen Geschäftsentwicklungsmöglichkeiten, insbesondere für KMU, angesehen werden. In einem Binnenmarkt, in dem Hindernisse für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf ein Minimum reduziert werden und in dem die Zusammenarbeit nicht beeinträchtigt wird, sollten geistige Schöpfungen und Innovationen, Investitionen in innovative Prozesse, Dienstleistungen und Produkte fördern. Ein derartiges Umfeld, das geistige Schöpfungen und Innovationen begünstigt, und in dem die Mobilität der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigt wird, ist auch für das Beschäftigungswachstum und für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der Union wichtig. Geschäftsgeheimnisse spielen eine wichtige Rolle für den Schutz des Wissensaustauschs zwischen Unternehmen — insbesondere KMU — und Forschungseinrichtungen sowohl innerhalb des Binnenmarkts als auch über dessen Grenzen hinaus im Forschungs- und Entwicklungskontext und in der Innovation. Geschäftsgeheimnisse sind eine der gebräuchlichsten Formen des Schutzes geistiger Schöpfungen und innovativen Know-hows durch Unternehmen, doch werden sie gleichzeitig durch den bestehenden Rechtsrahmen der Union am wenigsten vor rechtswidrigem Erwerb oder rechtswidriger Nutzung oder Offenlegung durch andere Parteien geschützt. (4) Innovative Unternehmen sind zunehmend unlauteren Praktiken ausgesetzt, die auf eine rechtswidrige Aneignung von Geschäftsgeheimnissen abzielen, wie Diebstahl, unbefugtes Kopieren, Wirtschaftsspionage oder Verletzung von Geheimhaltungspflichten, und ihren Ursprung innerhalb oder außerhalb der Union haben können. Neuere Entwicklungen, wie die Globalisierung, das zunehmende Outsourcing, längere Lieferketten und der verstärkte Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien, tragen zu einer Erhöhung des von derartigen Praktiken ausgehenden Risikos bei. Der rechtswidrige Erwerb und die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses beeinträchtigen die Fähigkeit der rechtmäßigen Inhaber von Geschäftsgeheimnissen, Vorreiterrenditen aus ihren Innovationsanstrengungen zu erzielen. Ohne wirksame und vergleichbare rechtliche Mittel zum unionsweiten Schutz von Geschäftsgeheimnissen werden Anreize zur Aufnahme grenzüberschreitender Innovationstätigkeiten im Binnenmarkt zunichtegemacht und kann das Potenzial von Geschäftsgeheimnissen als Triebkräfte für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung nicht ausgeschöpft werden. Auf diese Weise werden Innovation und Kreativität behindert und gehen die Investitionen zurück, wobei der Binnenmarkt nicht mehr reibungslos funktioniert und sein wachstumsförderndes Potenzial ausgehöhlt wird. (5) Die auf internationaler Ebene im Rahmen der Welthandelsorganisation unternommenen Anstrengungen zur Lösung dieses Problems haben zum Abschluss des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (im Folgenden „TRIPS-Abkommen“) geführt. Das TRIPS-Abkommen enthält unter anderem Bestimmungen zum Schutz

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von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb und rechtswidriger Nutzung oder Offenlegung durch Dritte; dabei handelt es sich um gemeinsame internationale Standards. Alle Mitgliedstaaten wie auch die Union als Ganzes sind an dieses durch den Beschluss 94/800/EG des Rates3 gebilligte Übereinkommen gebunden. (6) Ungeachtet des TRIPS-Abkommens bestehen zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb und rechtswidriger Nutzung oder Offenlegung durch andere Personen. Beispielsweise haben nicht alle Mitgliedstaaten nationale Definitionen der Begriffe „Geschäftsgeheimnis“ oder „rechtswidriger Erwerb“, „rechtswidrige Nutzung“ oder „rechtswidrige Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses“ eingeführt, so dass sich der Umfang des Schutzes nicht ohne weiteres erschließt und von einem Mitgliedstaat zum anderen variiert. Außerdem fehlt es an Kohärenz hinsichtlich der zivilrechtlichen Rechtsbehelfe, die im Falle eines rechtswidrigen Erwerbs oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen zur Verfügung stehen, da nicht in allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer Unterlassungsverfügung gegen Dritte besteht, die nicht Wettbewerber des rechtmäßigen Inhabers des Geschäftsgeheimnisses sind. Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten existieren auch bei der Behandlung von Dritten, die das Geschäftsgeheimnis in gutem Glauben erworben haben, aber später — bei der erstmaligen Nutzung — erfahren, dass das betreffende Geschäftsgeheimnis zuvor von einer anderen Partei unrechtmäßig erworben wurde. (7) Zudem unterscheiden sich die nationalen Vorschriften auch danach, ob die rechtmäßigen Inhaber von Geschäftsgeheimnissen die Vernichtung von Produkten, die von Dritten unter rechtswidriger Nutzung von Geschäftsgeheimnissen hergestellt wurden, oder die Rückgabe oder Vernichtung aller Dokumente, Dateien oder Materialien verlangen können, die das rechtswidrig erworbene oder genutzte Geschäftsgeheimnis enthalten oder verkörpern. Darüber hinaus tragen die anwendbaren nationalen Vorschriften zur Schadensersatzberechnung nicht immer dem immateriellen Charakter von Geschäftsgeheimnissen Rechnung, was es schwierig macht, den tatsächlich entgangenen Gewinn oder die unlautere Bereicherung des Rechtsverletzers zu belegen, wenn kein Marktwert für die fraglichen Informationen bestimmt werden kann. Nur wenige Mitgliedstaaten gestatten die Anwendung abstrakter Regeln zur Schadensberechnung auf der Grundlage einer angemessenen Lizenzgebühr, die im Falle einer Lizenzerteilung für die Nutzung des Geschäftsgeheimnisses zu entrichten gewesen wäre. Hinzu kommt, dass viele nationale Vorschriften keinen angemessenen Schutz der Vertraulichkeit eines Geschäftsgeheimnisses für den Fall vorsehen, dass der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses eine Klage wegen angeblichen rechtswidrigen Erwerbs oder angeblicher rechtswidriger Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses durch einen Dritten erhebt, wodurch die Attraktivität der bestehenden Maßnahmen und Rechtsbehelfe gemindert und der gebotene Schutz geschwächt wird. (8) Die Unterschiede bei dem von den Mitgliedstaaten vorgesehenen rechtlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen zeigen, dass Geschäftsgeheimnisse nicht überall in der Union gleichermaßen geschützt sind, was eine Fragmentierung des Binnenmarkts in diesem Bereich und eine Schwächung des allgemeinen Abschreckungseffekts der einschlägigen Vorschriften zur Folge hat. Der Binnenmarkt wird insofern in Mitleidenschaft gezogen, als

3 ABl. L 336 vom 23. 12. 1994, S. 1.

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durch solche Unterschiede die Anreize für Unternehmen reduziert werden, innovationsbezogenen grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeiten, einschließlich Forschungsoder Herstellungskooperationen mit Partnern, Outsourcing oder Investitionen in anderen Mitgliedstaaten, nachzugehen, bei denen man auf die Nutzung der als Geschäftsgeheimnis geschützten Informationen angewiesen ist. Grenzüberschreitende, vernetzte Forschung und Entwicklung sowie innovationsbezogene Tätigkeiten, einschließlich des damit zusammenhängenden Herstellungsprozesses und des sich anschließenden grenzüberschreitenden Handels, verlieren in der Union an Attraktivität und werden erschwert, was auch unionsweit zu Innovationsineffizienzen führt. (9) Darüber hinaus besteht in Mitgliedstaaten mit einem vergleichsweise geringen Schutzniveau ein höheres Geschäftsrisiko, da es leichter ist, Geschäftsgeheimnisse zu stehlen oder auf andere unrechtmäßige Weise zu erwerben. Das führt zu einer ineffizienten Kapitalallokation für wachstumsfördernde Innovationen im Binnenmarkt aufgrund der höheren Ausgaben für Schutzmaßnahmen zur Kompensation des unzureichenden rechtlichen Schutzes in einigen Mitgliedstaaten. Auch leistet es Aktivitäten unfairer Wettbewerber Vorschub, die nach dem rechtswidrigen Erwerb von Geschäftsgeheimnissen die aus diesem Erwerb gewonnenen Produkte im gesamten Binnenmarkt verbreiten könnten. Die Unterschiede zwischen den gesetzlichen Regelungen erleichtern auch die Einfuhr von Produkten aus Drittländern in die Union über Einfuhrstellen mit geringerem Schutzniveau in Fällen, in denen Konzeption, Herstellung oder Vermarktung der Produkte auf gestohlenen oder anderen unrechtmäßig erworbenen Geschäftsgeheimnissen beruhen. Insgesamt sind derartige Unterschiede dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts abträglich. (10) Es ist angezeigt, auf Unionsebene Vorschriften zur Annäherung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorzusehen, damit im gesamten Binnenmarkt ein ausreichender und kohärenter zivilrechtlicher Schutz für den Fall des rechtswidrigen Erwerbs oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses besteht. Diese Regeln sollten die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, einen weitergehenden Schutz vor rechtswidrigem Erwerb oder vor rechtswidriger Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen vorzuschreiben, sofern die in dieser Richtlinie ausdrücklich festgelegten Regelungen zum Schutz der Interessen anderer Parteien eingehalten werden. (11) Diese Richtlinie sollte die Anwendung unionsweiter oder nationaler Rechtsvorschriften, nach denen Informationen, darunter Geschäftsgeheimnisse, gegenüber der Öffentlichkeit oder staatlichen Stellen offengelegt werden müssen, unberührt lassen. Ebenso sollte sie die Anwendung der Rechtsvorschriften unberührt lassen, nach denen es staatlichen Stellen gestattet ist, zur Erledigung ihrer Aufgaben Informationen zu erheben, oder der Rechtsvorschriften, nach denen diese staatlichen Stellen einschlägige Informationen an die Öffentlichkeit weitergeben dürfen oder müssen. Dazu gehören insbesondere Rechtsvorschriften über die Offenlegung geschäftsbezogener Informationen durch Organe und Einrichtungen der Union oder nationale Behörden, über die diese gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates,4 der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates5 sowie der Richtlinie 2003/4/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates6oder gemäß anderen Bestimmungen über

4 ABl. L 145 vom 31. 5. 2001, S. 43. 5 ABl. L 264 vom 25. 9. 2006, S. 13. 6 ABl. L 41 vom 14. 2. 2003, S. 26.

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den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten oder über Transparenzverpflichtungen der nationalen Behörden verfügen. Diese Richtlinie sollte das Recht der Sozialpartner, — falls nach dem Arbeitsrecht vorgesehen — Kollektivverträge einzugehen, hinsichtlich der Verpflichtung zur Nichtoffenlegung von Geschäftsgeheimnissen oder zur Beschränkung ihrer Nutzung und hinsichtlich der Konsequenzen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung durch die Partei, die ihnen unterworfen ist, nicht berühren. Dies sollte an die Bedingung geknüpft sein, dass ein derartiger Kollektivvertrag nicht die in dieser Richtlinie enthaltenen Ausnahmen einschränkt, wenn ein Antrag auf in dieser Richtlinie vorgesehene Maßnahmen, Verfahren oder Rechtsbehelfe wegen des angeblichen Erwerbs oder der angeblichen Nutzung und Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen zurückzuweisen ist. Diese Richtlinie sollte nicht als Einschränkung der Niederlassungsfreiheit, der Freizügigkeit der Arbeitnehmer oder der Mobilität der Arbeitnehmer, wie sie im Unionsrecht niedergelegt sind, verstanden werden. Außerdem soll sie die Möglichkeit des Abschlusses von Vereinbarungen über ein Wettbewerbsverbot zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemäß dem geltenden Recht unberührt lassen. Es ist wichtig, eine homogene Definition des Begriffs „Geschäftsgeheimnis“ festzulegen, ohne den vor widerrechtlicher Aneignung zu schützenden Bereich einzuengen. Eine solche Definition sollte daher so beschaffen sein, dass sie Know-how, Geschäftsinformationen und technologische Informationen abdeckt, bei denen sowohl ein legitimes Interesse an ihrer Geheimhaltung besteht als auch die legitime Erwartung, dass diese Vertraulichkeit gewahrt wird. Darüber hinaus sollten solches Know-how oder solche Informationen einen — realen oder potenziellen — Handelswert verkörpern. Solches Know-how oder solche Informationen sollten so verstanden werden, dass sie einen Handelswert verkörpern, zum Beispiel wenn ihr unbefugter Erwerb oder ihre unbefugte Nutzung oder Offenlegung die Interessen der Person, die rechtmäßig die Kontrolle über sie ausübt, aller Voraussicht nach dadurch schädigt, dass das wissenschaftliche oder technische Potenzial, die geschäftlichen oder finanziellen Interessen, die strategische Position oder die Wettbewerbsfähigkeit dieser Person untergraben werden. Die Definition eines Geschäftsgeheimnisses schließt belanglose Informationen und die Erfahrungen und Qualifikationen, die Beschäftigte im Zuge der Ausübung ihrer üblichen Tätigkeiten erwerben, sowie Informationen aus, die den Personenkreisen, die üblicherweise mit derartigen Informationen umgehen, generell bekannt sind bzw. für sie leicht zugänglich sind. Auch ist es wichtig, die Umstände festzulegen, unter denen ein rechtlicher Schutz von Geschäftsgeheimnissen gerechtfertigt ist. Aus diesem Grund muss definiert werden, welches Verhalten und welche Praktiken als rechtswidriger Erwerb oder rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zu betrachten sind. Im Interesse von Innovation und Wettbewerbsförderung sollten die Bestimmungen dieser Richtlinie keine Exklusivrechte an als Geschäftsgeheimnis geschütztem Know-how oder als solchem geschützten Informationen begründen. Auf diese Weise sollte die unabhängige Entdeckung desselben Know-hows oder derselben Informationen möglich bleiben. Das „Reverse Engineering“ bei einem rechtmäßig erworbenen Produkt sollte als ein rechtlich zulässiges Mittel zum Erwerb von Informationen angesehen werden, es sei denn, dass vertraglich etwas anderes vereinbart wurde. Die Freiheit zum Abschluss derartiger vertraglicher Vereinbarungen kann jedoch rechtlich beschränkt werden. In einigen Industriezweigen, in denen Urheber und Innovatoren keine Exklusivrechte genießen und in denen sich Innovationen traditionell auf Geschäftsgeheimnisse stützen, ist es mittlerweile ein Leichtes, in Verkehr gebrachte Erzeugnisse mithilfe von „Reverse

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Engineering“ nachzukonstruieren. In diesen Fällen können die genannten Urheber und Innovatoren von Praktiken wie Produktpiraterie oder sklavischen Nachahmungen betroffen sein, die von ihrem Ansehen und ihre Innovationsanstrengungen profitieren. In einigen nationalen Rechtsvorschriften über unlauteren Wettbewerb wird auf diese Praktiken eingegangen. Diese Richtlinie hat zwar nicht zum Ziel, das Recht des unlauteren Wettbewerbs insgesamt zu reformieren oder zu harmonisieren, jedoch sollte die Kommission sorgfältig prüfen, ob in diesem Bereich auf Unionsebene Handlungsbedarf besteht. (18) Ferner sollten Erwerb, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen immer dann, wenn sie rechtlich vorgeschrieben oder zulässig sind, als rechtmäßig im Sinne dieser Richtlinie gelten. Das betrifft insbesondere den Erwerb und die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Rahmen der Inanspruchnahme des Rechts der Arbeitnehmervertreter auf Information, Anhörung und Mitwirkung gemäß dem Unionsrecht und dem Recht oder den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten sowie im Rahmen der kollektiven Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber einschließlich der Mitbestimmung und den Erwerb oder die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Rahmen von Pflichtprüfungen, die gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht durchgeführt werden. Allerdings sollte diese Einstufung des Erwerbs eines Geschäftsgeheimnisses als rechtmäßig die Geheimhaltungspflicht in Bezug auf das Geschäftsgeheimnis oder jegliche Beschränkung der Nutzung des Geschäftsgeheimnisses, die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten dem Empfänger der Information auferlegen, unberührt lassen. Insbesondere sollte diese Richtlinie die Behörden nicht von ihrer Pflicht zur Geheimhaltung von Informationen, die ihnen von Inhabern von Geschäftsgeheimnissen übermittelt werden, entbinden, und zwar unabhängig davon, ob diese Pflichten in Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten festgelegt sind. Diese Geheimhaltungspflicht umfasst unter anderem die Pflichten im Zusammenhang mit Informationen, die öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge übermittelt werden, wie sie beispielsweise in der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates,7 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates8 und der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates9 festgelegt sind. (19) Diese Richtlinie sieht zwar Maßnahmen und Rechtsbehelfe vor, die darin bestehen können, dass die Offenlegung von Informationen verhindert wird, um Geschäftsgeheimnisse zu schützen, doch darf die Ausübung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, das sich gemäß Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden „Charta“) auch auf die Freiheit der Medien und ihre Pluralität erstreckt, keinesfalls eingeschränkt werden, insbesondere was den investigativen Journalismus und den Schutz der journalistischen Quellen anbelangt. (20) Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollten nicht dazu dienen, Whistleblowing-Aktivitäten einzuschränken. Daher sollte sich der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht auf Fälle erstrecken, in denen die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses insoweit dem öffentlichen Interesse dient, als ein regelwidriges Verhalten, ein Fehlverhalten oder eine illegale Tätigkeit von unmittelbarer Relevanz

7 ABl. L 94 vom 28. 3. 2014, S. 1. 8 ABl. L 94 vom 28. 3. 2014, S. 65. 9 ABl. L 94 vom 28. 3. 2014, S. 243.

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aufgedeckt wird. Das sollte nicht so verstanden werden, dass die zuständigen Gerichte daran gehindert seien, Ausnahmen von der Anwendung der Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe in den Fällen zuzulassen, in denen der Antragsgegner allen Grund hatte, in gutem Glauben davon auszugehen, dass sein Verhalten den in dieser Richtlinie festgelegten angemessenen Kriterien entspricht. Im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sollten die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen darauf zugeschnitten sein, das Ziel eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts für Forschung und Innovation zu erreichen, indem sie insbesondere vor dem rechtswidrigen Erwerb und der rechtswidrigen Nutzung und Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses abschrecken. Eine solche Zuschneidung dieser Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollte die Grundrechte und Grundfreiheiten oder das Gemeinwohl, etwa die öffentliche Sicherheit, den Verbraucherschutz, die öffentliche Gesundheit und den Umweltschutz, nicht gefährden oder untergraben und die Mobilität der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigen. Deshalb bezwecken die in dieser Richtlinie festgelegten Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zu gewährleisten, dass die zuständigen Gerichte Faktoren wie dem Wert eines Geschäftsgeheimnisses, der Schwere des Verhaltens, das zum rechtswidrigen Erwerb oder zur rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung geführt hat, sowie den Auswirkungen dieses Verhaltens Rechnung tragen. Auch sollte sichergestellt sein, dass die zuständigen Gerichte über das Ermessen verfügen, die Interessen der an einem Rechtsstreit beteiligten Parteien und die Interessen Dritter, gegebenenfalls auch der Verbraucher, gegeneinander abzuwägen. Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts würde unterminiert, wenn die vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe dazu genutzt würden, nicht legitime, mit den Zielen dieser Richtlinie unvereinbare Absichten zu verfolgen. Daher ist es wichtig, dass den Gerichten die Befugnis erteilt wird, angemessene Maßnahmen gegenüber Antragstellern zu treffen, die missbräuchlich oder unredlich handeln und offensichtlich unbegründete Anträge stellen, beispielsweise zu dem Zweck, den Marktzugang des Antragsgegners in unbilliger Weise zu verzögern oder zu beschränken oder ihn auf andere Weise einzuschüchtern oder ihm Schwierigkeiten zu bereiten. Im Interesse der Rechtssicherheit und angesichts der Tatsache, dass von rechtmäßigen Inhabern von Geschäftsgeheimnissen erwartet wird, dass sie in Bezug auf die Wahrung der Vertraulichkeit ihrer wertvollen Geschäftsgeheimnisse und auf die Überwachung von deren Nutzung eine Sorgfaltspflicht wahrnehmen, ist es angemessen, materielle Ansprüche oder die Möglichkeit einer Klageerhebung zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen auf einen bestimmten Zeitraum zu beschränken. In den nationalen Rechtsvorschriften sollte zudem klar und unmissverständlich festgelegt werden, wann dieser Zeitraum beginnen und unter welchen Umständen er unterbrochen oder ausgesetzt werden soll. Angesichts der Möglichkeit, dass die Vertraulichkeit eines Geschäftsgeheimnisses im Verlauf von Gerichtsverfahren nicht gewahrt bleibt, schrecken die rechtmäßigen Inhaber von Geschäftsgeheimnissen häufig davor zurück, zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse ein Gerichtsverfahren einzuleiten; dies stellt die Wirksamkeit der vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe infrage. Daher bedarf es — vorbehaltlich geeigneter Schutzmaßnahmen, die das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren garantieren — spezifischer Anforderungen, die darauf abstellen, die Vertraulichkeit eines Geschäftsgeheimnisses, das Gegenstand eines Gerichtsverfahrens ist, im Verlauf des Verfahrens zu wahren. Der entsprechende Schutz sollte auch nach Abschluss des Gerichtsverfahrens und so lange weiterbestehen, wie die Informationen, die Gegenstand des Geschäftsgeheimnisses sind, nicht öffentlich verfügbar sind.

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(25) Diese Anforderungen sollten zumindest die Möglichkeit vorsehen, den zum Zugang zu Beweismitteln oder Anhörungen berechtigten Personenkreis zu beschränken — wobei zu bedenken ist, dass alle diese Personen den Geheimhaltungsvorschriften dieser Richtlinie unterliegen sollten — und ausschließlich die nicht vertraulichen Teile von Gerichtsentscheidungen zu veröffentlichen. In Anbetracht der Tatsache, dass Gerichtsverfahren unter anderem hauptsächlich dazu dienen, die Art der Informationen zu bewerten, die Gegenstand eines Rechtsstreits sind, muss dabei sichergestellt werden, dass die Geschäftsgeheimnisse wirksam geschützt werden und gleichzeitig das Recht der Verfahrensparteien auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren gewahrt bleibt. Der beschränkte Personenkreis sollte daher aus mindestens einer natürlichen Person jeder Partei sowie den jeweiligen Rechtsanwälten der Parteien und gegebenenfalls sonstigen Vertretern bestehen, die nach dem nationalen Recht ausreichend qualifiziert sind, um eine Partei in einem unter diese Richtlinie fallenden Gerichtsverfahren zu verteidigen, zu vertreten oder ihre Interessen wahrzunehmen; all diese Personen sollten Zugang zu den betreffenden Beweismitteln oder Anhörungen haben. Ist eine der Parteien eine juristische Person, so sollte sie eine oder mehrere natürliche Personen, die diesem Personenkreis angehören sollen, vorschlagen können, damit sichergestellt ist, dass sie angemessen vertreten wird, wobei allerdings durch eine ausreichende gerichtliche Kontrolle verhindert werden muss, dass das Ziel, den Zugang zu Beweismitteln und Anhörungen zu beschränken, unterlaufen wird. Diese Schutzklauseln sollten nicht so verstanden werden, dass sich die Parteien im Verlauf des Gerichtsverfahrens von einem Rechtsanwalt oder einem anderen Vertreter vertreten lassen müssen, wenn das nach nationalem Recht nicht erforderlich ist. Auch sollten sie nicht so verstanden werden, dass die Zuständigkeit der Gerichte, gemäß den geltenden Vorschriften und Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die zuständigen Gerichtsbediensteten zur Erfüllung ihrer Aufgaben ebenfalls uneingeschränkt Zugang zu den Beweismitteln und Anhörungen erhalten, beschnitten wird. (26) Der rechtswidrige Erwerb, die rechtswidrige Nutzung oder die rechtswidrige Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses durch einen Dritten könnte verheerende Folgen für den rechtmäßigen Inhaber des Geschäftsgeheimnisses haben, da dieser nach der Offenlegung den Zustand vor dem Verlust des Geschäftsgeheimnisses nicht wiederherstellen kann. Folglich kommt es entscheidend darauf an, rasche, wirksame und zugängliche vorläufige Maßnahmen zur unverzüglichen Beendigung des rechtswidrigen Erwerbs oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zu treffen, auch in dem Fall, dass es zur Erbringung von Dienstleistungen genutzt wird. Es kommt entscheidend darauf an, dass eine solche Abhilfe zur Verfügung steht, ohne dass eine Sachentscheidung abgewartet werden muss, wobei das Recht auf Verteidigung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden müssen und die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. In bestimmten Fällen sollte es zulässig sein, es dem mutmaßlichen Rechtsverletzer vorbehaltlich der Hinterlegung einer oder mehrerer Sicherheiten zu gestatten, das Geschäftsgeheimnis insbesondere dann weiterhin zu nutzen, wenn nur geringe Gefahr besteht, dass es in die Öffentlichkeit gelangt. Es sollte außerdem möglich sein, Sicherheiten in ausreichender Höhe zu verlangen, um die dem Antragsgegner durch einen unbegründeten Antrag entstehenden Kosten und Schäden zu decken, insbesondere dann, wenn dem rechtmäßigen Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses durch eine zeitliche Verzögerung ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstünde. (27) Aus dem gleichen Grund ist es wichtig, endgültige Maßnahmen vorzusehen, die eine rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses auch in dem Fall

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verhindern, dass das Geschäftsgeheimnis zur Erbringung von Dienstleistungen genutzt wird. Damit solche Maßnahmen wirksam und verhältnismäßig sind, sollten sie — sofern die Umstände eine Befristung erforderlich machen — lange genug gelten, um etwaige geschäftliche Vorteile zu beseitigen, die der betreffende Dritte möglicherweise aus dem rechtswidrigen Erwerb oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses gezogen hat. Maßnahmen dieser Art sollten in keinem Fall vollstreckbar werden, wenn die ursprünglich dem Geschäftsgeheimnis unterliegenden Informationen aus Gründen, die nicht der Antragsgegner zu vertreten hat, allgemein zugänglich geworden sind. (28) Es besteht die Möglichkeit, dass ein Geschäftsgeheimnis auf rechtswidrige Weise für die Entwicklung, Herstellung oder Vermarktung von Produkten oder deren Bestandteilen genutzt werden könnte, die dann im Binnenmarkt Verbreitung finden könnten; dadurch würde den geschäftlichen Interessen des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses und dem Funktionieren des Binnenmarkts geschadet. In diesen Fällen ebenso wie in Fällen, in denen das Geschäftsgeheimnis sich erheblich auf die Qualität, den Wert oder den Preis der aus dieser rechtswidrigen Nutzung gewonnenen Endprodukte auswirkt oder die Kosten der Prozesse für ihre Herstellung oder Vermarktung senkt oder diese Prozesse erleichtert oder beschleunigt, ist es wichtig, die Gerichte zu ermächtigen, effektive und geeignete Maßnahmen anzuordnen, um sicherzustellen, dass die betreffenden Produkte nicht auf den Markt gebracht bzw. vom Markt genommen werden. In Anbetracht der globalen Natur des Handels ist es auch erforderlich, dass diese Maßnahmen ein Verbot der Einfuhr dieser Produkte in die Union oder ihrer Lagerung zum Zwecke einer Vermarktung beinhalten. Entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sollten Abhilfemaßnahmen nicht unbedingt die Vernichtung der Produkte zur Folge haben, wenn andere gangbare Möglichkeiten bestehen, wie etwa die Beseitigung der rechtsverletzenden Eigenschaft des Produkts oder eine Verwertung der Produkte außerhalb des Marktes, beispielsweise in Form von Spenden an wohltätige Organisationen. (29) Eine Person könnte ein Geschäftsgeheimnis ursprünglich in gutem Glauben erworben haben, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt — zum Beispiel aufgrund einer entsprechenden Mitteilung des ursprünglichen Inhabers des Geschäftsgeheimnisses — erfahren, dass ihre Kenntnis des betreffenden Geschäftsgeheimnisses auf Quellen zurückgeht, die dieses Geschäftsgeheimnis auf unrechtmäßige Weise genutzt oder offengelegt haben. Damit in solchen Fällen die vorgesehenen gerichtlichen Abhilfemaßnahmen oder Anordnungen der betreffenden Person keinen unverhältnismäßig großen Schaden zufügen, sollten die Mitgliedstaaten für entsprechende Fälle als alternative Maßnahme die Möglichkeit einer finanziellen Entschädigung für die geschädigte Partei vorsehen. Diese Entschädigung sollte jedoch nicht den Betrag der Lizenzgebühren übersteigen, die bei einer genehmigten Nutzung des betreffenden Geschäftsgeheimnisses für den Zeitraum angefallen wären, für den der ursprüngliche Inhaber des Geschäftsgeheimnisses dessen Nutzung hätte verhindern können. Würde die rechtswidrige Nutzung des Geschäftsgeheimnisses jedoch einen Verstoß gegen andere Rechtsvorschriften als die in dieser Richtlinie enthaltenen darstellen oder zu einer Gefahr für die Verbraucher werden, sollte eine solche rechtswidrige Nutzung nicht gestattet werden. (30) Damit eine Person, die wusste oder begründeterweise hätte wissen müssen, dass sie ein Geschäftsgeheimnis auf unrechtmäßige Weise erwirbt, nutzt oder offenlegt, aus einem solchen Verhalten keinen Vorteil ziehen kann und gewährleistet ist, dass für den geschädigten Inhaber des Geschäftsgeheimnisses so weit wie möglich die Situation wiederhergestellt wird, in der er sich befunden hätte, wenn es nicht zu einem solchen Verhalten ge-

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kommen wäre, ist eine angemessene Entschädigung für den infolge des rechtswidrigen Verhaltens erlittenen Schaden vorzusehen. Die Höhe des dem geschädigten Inhaber des Geschäftsgeheimnisses zuerkannten Schadensersatzes sollte allen relevanten Faktoren Rechnung tragen, so einem Einkommensverlust des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses oder einem unlauteren Gewinn des Rechtsverletzers und gegebenenfalls etwaigen dem Inhaber des Geschäftsgeheimnisses entstandenen immateriellen Schäden. In Fällen, in denen es beispielsweise angesichts des immateriellen Charakters von Geschäftsgeheimnissen schwierig wäre, die Höhe des tatsächlich erlittenen Schadens zu bestimmen, käme als Alternative in Betracht, die Schadenshöhe aus Größen herzuleiten wie etwa den Lizenzgebühren, die angefallen wären, wenn der Rechtsverletzter um eine Genehmigung zur Nutzung des betreffenden Geschäftsgeheimnisses ersucht hätte. Bezweckt wird mit dieser alternativen Methode nicht die Einführung einer Verpflichtung zu einem als Strafe angelegten Schadensersatz, sondern die Gewährleistung einer Entschädigung für den Inhaber des Geschäftsgeheimnisses auf objektiver Grundlage unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten, z. B. im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechtsverletzung und den Nachforschungen. Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran hindern, in ihrem nationalen Recht vorzusehen, dass die Schadenshaftung von Arbeitnehmern bei nicht vorsätzlichem Handeln beschränkt wird. Zur zusätzlichen Abschreckung für potenzielle Rechtsverletzer und zur Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit ist es zweckmäßig, Entscheidungen in Fällen, bei denen es um den rechtswidrigen Erwerb oder die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen geht, gegebenenfalls durch öffentlichkeitswirksame Anzeigen zu veröffentlichen, sofern die Veröffentlichung weder mit einer Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses verbunden ist noch der Privatsphäre und der Reputation natürlicher Personen auf unverhältnismäßige Weise abträglich ist. Die Wirksamkeit der Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die den Inhabern von Geschäftsgeheimnissen zur Verfügung stehen, könnte im Falle einer Nichtbefolgung der von den zuständigen Gerichten getroffenen Entscheidungen unterminiert werden. Daher ist sicherzustellen, dass die betreffenden Behörden über geeignete Sanktionsbefugnisse verfügen. Zur Erleichterung der einheitlichen Anwendung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe ist es angezeigt, Mechanismen für eine Zusammenarbeit und einen Informationsaustauch zwischen den Mitgliedstaaten einerseits und zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission andererseits vorzusehen, insbesondere durch die Schaffung eines Netzes von Korrespondenzstellen, die von den Mitgliedstaaten benannt werden. Um zu prüfen, ob die Maßnahmen ihren Zweck erfüllen, sollte die Kommission darüber hinaus — gegebenenfalls mit Unterstützung des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum — die Anwendung dieser Richtlinie und die Wirksamkeit der nationalen Maßnahmen überprüfen. Diese Richtlinie wahrt die Grundrechte und die Grundsätze, die insbesondere in der Charta anerkannt wurden, namentlich das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das Recht auf Schutz personenbezogener Daten, das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, die Berufsfreiheit und das Recht zu arbeiten, die unternehmerische Freiheit, das Eigentumsrecht, das Recht auf eine gute Verwaltung, und insbesondere das Recht auf Zugang zu Dokumenten bei gleichzeitiger Wahrung des Geschäftsgeheimnisses, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren und die Verteidigungsrechte.

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(35) Wichtig ist, dass das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und den Schutz der personenbezogenen Daten aller Personen gewahrt bleibt, deren personenbezogene Daten vom Inhaber des Geschäftsgeheimnisses bei Maßnahmen zum Schutz eines Geschäftsgeheimnisses eventuell verarbeitet werden oder die an einem Rechtsstreit über den rechtswidrigen Erwerb bzw. die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen gemäß dieser Richtlinie beteiligt sind und deren personenbezogene Daten verarbeitet werden. Für die im Rahmen dieser Richtlinie unter Aufsicht der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und insbesondere der von ihnen bezeichneten unabhängigen öffentlichen Stellen durchgeführte Verarbeitung personenbezogener Daten gilt die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.10 Daher sollte diese Richtlinie die in der Richtlinie 95/46/EG niedergelegten Rechte und Pflichten — insbesondere das Recht der betroffenen Person auf Zugang zu ihren personenbezogenen Daten, die verarbeitet werden, sowie auf Berichtigung, Löschung oder Sperrung unvollständiger oder unrichtiger Daten sowie gegebenenfalls die Pflicht zur Verarbeitung sensibler Daten gemäß Artikel 8 Absatz 5 der Richtlinie 95/46/EG — nicht berühren (36) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts durch die Schaffung eines ausreichenden und vergleichbaren Rechtsschutzes im Binnenmarkt in Fällen des rechtswidrigen Erwerbs oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann, sondern vielmehr wegen seines Umfangs und seiner Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Verwirklichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (37) Diese Richtlinie zielt nicht darauf ab, die Vorschriften im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit, der gerichtlichen Zuständigkeit oder der Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen zu harmonisieren oder darauf, Fragen des anwendbaren Rechts zu behandeln. Andere Unionsinstrumente, durch die derartige Angelegenheiten ganz allgemein geregelt werden, sollten grundsätzlich weiterhin für den von dieser Richtlinie abgedeckten Bereich gelten. (38) Diese Richtlinie sollte die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften, insbesondere der Artikel 101 und 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), unberührt lassen. Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollten nicht dazu verwendet werden, den Wettbewerb entgegen den Vorschriften des AEUV in unzulässiger Weise einzuschränken. (39) Diese Richtlinie sollte die Anwendung etwaiger sonstiger relevanter Rechtsvorschriften in anderen Bereichen, einschließlich der Rechte des geistigen Eigentums und des Vertragsrechts, unberührt lassen. Im Falle einer Überschneidung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlament und des Rates11 mit dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie geht diese Richtlinie als Lex specialis der anderen Richtlinie vor.

10 ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31. 11 ABl. L 157 vom 30. 4. 2004, S. 45.

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(40) Der Europäische Datenschutzbeauftragte wurde gemäß Artikel 28 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates12 angehört und hat seine Stellungnahme am 12. März 2014 abgegeben — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I – Gegenstand und Anwendungsbereich Art. 1 Gegenstand und Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie legt Vorschriften für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb, rechtswidriger Nutzung und rechtswidriger Offenlegung fest. Die Mitgliedstaaten können unter Beachtung der Bestimmungen des AEUV einen weitergehenden als den durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb, rechtswidriger Nutzung und rechtswidriger Offenlegung vorsehen, sofern gewährleistet ist, dass Artikel 3, Artikel 5, Artikel 6, Artikel 7 Absatz 1, Artikel 8, Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 2, Artikel 9 Absätze 3 und 4, Artikel 10 Absatz 2, Artikel 11, Artikel 13 und Artikel 15 Absatz 3 eingehalten werden. (2) Diese Richtlinie berührt nicht a) die Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit gemäß der Charta, einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien, b) die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen die Inhaber von Geschäftsgeheimnissen verpflichtet sind, aus Gründen des öffentlichen Interesses Informationen, auch Geschäftsgeheimnisse, gegenüber der Öffentlichkeit oder den Verwaltungsbehörden oder den Gerichten offenzulegen, damit diese ihre Aufgaben wahrnehmen können, c) die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen es den Organen und Einrichtungen der Union oder den nationalen Behörden vorgeschrieben oder gestattet ist, von Unternehmen vorgelegte Informationen offenzulegen, die diese Organe, Einrichtungen oder Behörden in Einhaltung der Pflichten und gemäß den Rechten, die im Unionsrecht oder im nationalen Recht niedergelegt sind, besitzen, d) die Autonomie der Sozialpartner und ihr Recht, Kollektivverträge gemäß dem Unionsrecht sowie gemäß den Gepflogenheiten und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einzugehen. (3) Keine Bestimmung dieser Richtlinie darf so ausgelegt werden, dass sie eine Grundlage dafür bietet, die Mobilität der Arbeitnehmer zu beschränken. Was die

12 ABl. L 8 vom 12. 1. 2001, S. 1.

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Ausübung dieser Mobilität anbelangt, so bietet diese Richtlinie insbesondere keinerlei Grund für a) die Beschränkung der Nutzung von Informationen, die kein Geschäftsgeheimnis im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 darstellen, durch die Arbeitnehmer; b) die Beschränkung der Nutzung von Erfahrungen und Fähigkeiten, die Arbeitnehmer im normalen Verlauf ihrer Tätigkeit ehrlich erworben haben; c) die Auferlegung zusätzlicher Beschränkungen für Arbeitnehmer in ihren Arbeitsverträgen, die nicht gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht auferlegt werden. Art. 2 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. „Geschäftsgeheimnis“ Informationen, die alle nachstehenden Kriterien erfüllen: a) Sie sind in dem Sinne geheim, dass sie weder in ihrer Gesamtheit noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich sind; b) sie sind von kommerziellem Wert, weil sie geheim sind; c) sie sind Gegenstand von den Umständen entsprechenden angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch die Person, die die rechtmäßige Kontrolle über die Informationen besitzt; 2. „Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses“ jede natürliche oder juristische Person, die die rechtmäßige Kontrolle über ein Geschäftsgeheimnis besitzt; 3. „Rechtsverletzer“ jede natürliche oder juristische Person, die auf rechtswidrige Weise Geschäftsgeheimnisse erworben, genutzt oder offengelegt hat; 4. „rechtsverletzende Produkte“ Produkte, deren Konzeption, Merkmale, Funktionsweise, Herstellungsprozess oder Marketing in erheblichem Umfang auf rechtswidrig erworbenen, genutzten oder offengelegten Geschäftsgeheimnissen beruhen.

Kapitel II – Erwerb, Nutzung und Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen Art. 3 Rechtmäßiger Erwerb, rechtmäßige Nutzung und rechtmäßige Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen (1) Der Erwerb eines Geschäftsge626

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heimnisses gilt als rechtmäßig, wenn das Geschäftsgeheimnis auf eine der folgenden Weisen erlangt wird: a) unabhängige Entdeckung oder Schöpfung; b) Beobachtung, Untersuchung, Rückbau oder Testen eines Produkts oder Gegenstands, das bzw. der öffentlich verfügbar gemacht wurde oder sich im rechtmäßigen Besitz des Erwerbers der Information befindet, der keiner rechtsgültigen Pflicht zur Beschränkung des Erwerbs des Geschäftsgeheimnisses unterliegt; c) Inanspruchnahme des Rechts der Arbeitnehmer oder Arbeitnehmervertreter auf Information und Anhörung gemäß dem Unionsrecht sowie gemäß den Rechtsvorschriften und den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten, d) jede andere Vorgehensweise, die unter den gegebenen Umständen mit einer seriösen Geschäftspraxis vereinbar ist. (2) Der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses gilt insofern als rechtmäßig, als der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung durch Unionsrecht oder nationales Recht vorgeschrieben oder erlaubt ist. Art. 4 Rechtswidriger Erwerb, rechtswidrige Nutzung und rechtswidrige Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Inhaber von Geschäftsgeheimnissen berechtigt sind, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zu beantragen, um einen rechtswidrigen Erwerb, eine rechtswidrige Nutzung oder eine rechtswidrige Offenlegung ihres Geschäftsgeheimnisses zu verhindern oder eine Entschädigung zu erlangen. (2) Der Erwerb eines Geschäftsgeheimnisses ohne Zustimmung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses gilt als rechtswidrig, wenn er erfolgt durch a) unbefugten Zugang zu, unbefugte Aneignung oder unbefugtes Kopieren von Dokumenten, Gegenständen, Materialien, Stoffen oder elektronischen Dateien, die der rechtmäßigen Kontrolle durch den Inhaber des Geschäftsgeheimnisses unterliegen und die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt; b) jedes sonstige Verhalten, das unter den jeweiligen Umständen als mit einer seriösen Geschäftspraxis nicht vereinbar gilt. (3) Die Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses gilt als rechtswidrig, wenn sie ohne Zustimmung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses durch eine Person erfolgt, von der sich erweist, dass auf sie eine der folgenden Bedingungen zutrifft: a) Sie hat das Geschäftsgeheimnis auf rechtswidrige Weise erworben. b) Sie verstößt gegen eine Vertraulichkeitsvereinbarung oder eine sonstige Verpflichtung, das Geschäftsgeheimnis nicht offenzulegen. 627

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c) Sie verstößt gegen eine vertragliche oder sonstige Verpflichtung zur Beschränkung der Nutzung des Geschäftsgeheimnisses. (4) Ebenfalls als rechtswidrig gilt der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses, wenn eine Person zum Zeitpunkt des Erwerbs, der Nutzung oder der Offenlegung wusste oder unter den gegebenen Umständen hätte wissen müssen, dass sie unmittelbar oder mittelbar über eine andere Person in den Besitz des Geschäftsgeheimnisses gelangt war, die dieses rechtswidrig im Sinne des Absatzes 3 genutzt oder offengelegt hat. (5) Das Herstellen, Anbieten oder Inverkehrbringen von rechtsverletzenden Produkten oder die Einfuhr, Ausfuhr oder Lagerung von rechtsverletzenden Produkten für diese Zwecke stellt ebenfalls eine rechtswidrige Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses dar, wenn die Person, die diese Tätigkeiten durchführt, wusste oder unter den gegebenen Umständen hätte wissen müssen, dass das Geschäftsgeheimnis rechtswidrig im Sinne des Absatzes 3 genutzt wurde. Art. 5 Ausnahmen Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Antrag auf die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe abgelehnt wird, wenn der angebliche Erwerb oder die angebliche Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses in einem der folgenden Fälle erfolgt ist: a) zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit gemäß der Charta, einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien; b) zur Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit, sofern der Antragsgegner in der Absicht gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen; c) Offenlegung durch Arbeitnehmer gegenüber ihren Vertretern im Rahmen der rechtmäßigen Erfüllung der Aufgaben dieser Vertreter gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht, sofern die Offenlegung zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlich war; d) zum Schutz eines durch das Unionsrecht oder das nationale Recht anerkannten legitimen Interesses.

Kapitel III — Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe Abschnitt 1 – Allgemeine Bestimmungen Art. 6 Verhältnismäßigkeit und missbräuchliche Klagen (1) Die Mitgliedstaaten sehen die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vor, die erforderlich sind, um einen zivilrechtlichen Schutz vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechts628

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widriger Nutzung und Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen zu gewährleisten. (2) Die in Absatz 1 genannten Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe: a) müssen fair und gerecht sein; b) dürfen nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen und c) sie müssen wirksam und abschreckend sein. Art. 7 Allgemeine Verpflichtung (1) Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sind in einer Art und Weise anzuwenden, die a) verhältnismäßig ist, b) die Errichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel im Binnenmarkt vermeidet und c) Gewähr gegen ihren Missbrauch bietet. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte — auf Antrag des Antragsgegners — im nationalen Recht vorgesehene angemessene Maßnahmen anwenden können, falls eine Klage wegen rechtswidrigen Erwerbs oder rechtswidriger Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses offensichtlich unbegründet ist und der Antragsteller das Gerichtsverfahren missbräuchlich oder in unredlicher Absicht eingeleitet hat. Diese Maßnahmen können soweit erforderlich die Gewährung von Schadensersatz für den Antragsgegner, die Verhängung von Sanktionen gegen den Antragsteller oder die Anordnung der Veröffentlichung von Informationen über die getroffene Entscheidung nach Artikel 15 umfassen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die in Unterabsatz 1 genannten Maßnahmen Gegenstand getrennter Gerichtsverfahren sind. Art. 8 Verjährungsfristen (1) Die Mitgliedstaaten legen gemäß diesem Artikel Vorschriften über die Verjährungsfristen für materielle Ansprüche und Klagen auf Anwendung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe fest. Die in Unterabsatz 1 genannten Vorschriften legen fest, wann die Verjährungsfrist beginnt, wie lang sie dauert und unter welchen Umständen sie unterbrochen oder ausgesetzt wird. (2) Die Verjährungsfrist beträgt höchstens sechs Jahre. Art. 9 Wahrung der Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen im Verlauf von Gerichtsverfahren (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Parteien, 629

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ihre Rechtsanwälte oder sonstigen Vertreter, Gerichtsbedienstete, Zeugen, Sachverständige und alle sonstigen Personen, die an einem Gerichtsverfahren beteiligt sind, das den rechtswidrigen Erwerb oder die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zum Gegenstand hat, oder die Zugang zu Dokumenten haben, die Teil eines solchen Gerichtsverfahrens sind, nicht befugt sind, ein Geschäftsgeheimnis oder ein angebliches Geschäftsgeheimnis zu nutzen oder offenzulegen, das von den zuständigen Gerichten aufgrund eines ordnungsgemäß begründeten Antrags einer interessierten Partei als vertraulich eingestuft worden ist und von dem sie aufgrund der Teilnahme an dem Verfahren oder des Zugangs zu den Dokumenten Kenntnis erlangt haben. Die Mitgliedstaaten können ferner die zuständigen Gerichte ermächtigen, solche Maßnahmen von Amts wegen zu ergreifen. Die in Unterabsatz 1 genannte Verpflichtung besteht auch nach Abschluss des Gerichtsverfahrens weiter fort. Die Verpflichtung endet jedoch, wenn eine der folgenden Situationen eintritt: a) Im Rahmen einer rechtskräftigen Entscheidung wird festgestellt, dass das angebliche Geschäftsgeheimnis nicht die in Artikel 2 Nummer 1 genannten Kriterien erfüllt, oder b) im Laufe der Zeit werden die in Frage stehenden Informationen für Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit der betreffenden Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich. (2) Die Mitgliedstaaten stellen des Weiteren sicher, dass die zuständigen Gerichte auf ordnungsgemäß begründeten Antrag einer Partei spezifische Maßnahmen treffen können, die erforderlich sind, um die Vertraulichkeit eines Geschäftsgeheimnisses oder eines angeblichen Geschäftsgeheimnisses zu wahren, das im Laufe eines Gerichtsverfahrens im Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Erwerb oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses genutzt oder auf das in diesem Rahmen Bezug genommen wird. Die Mitgliedstaaten können ferner die zuständigen Gerichte ermächtigen, solche Maßnahmen von Amts wegen zu ergreifen. Die in Unterabsatz 1 genannten Maßnahmen sehen mindestens die Möglichkeit vor, a) den Zugang zu von den Parteien oder Dritten vorgelegten Dokumenten, die Geschäftsgeheimnisse oder angebliche Geschäftsgeheimnisse enthalten, ganz oder teilweise auf eine begrenzte Anzahl von Personen zu beschränken; b) den Zugang zu Anhörungen, bei denen unter Umständen Geschäftsgeheimnisse oder angebliche Geschäftsgeheimnisse offengelegt werden, und zu der entsprechenden Aufzeichnung oder Mitschrift dieser Anhörungen auf eine begrenzte Anzahl von Personen zu beschränken; 630

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c) Personen, die nicht der begrenzten Anzahl von Personen nach den Buchstaben a und b angehören, eine nicht vertrauliche Fassung einer gerichtlichen Entscheidung bereitzustellen, in der die Geschäftsgeheimnisse enthaltenden Passagen gelöscht oder geschwärzt wurden. Die Anzahl der Personen nach Unterabsatz 2 Buchstaben a und b darf nicht größer sein, als zur Wahrung des Rechts der Verfahrensparteien auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren erforderlich ist, und muss mindestens eine natürliche Person jeder Partei und ihre jeweiligen Rechtsanwälte oder sonstigen Vertreter dieser Gerichtsverfahrensparteien umfassen. (3) Bei der Entscheidung über die Maßnahmen gemäß Absatz 2 und der Beurteilung ihrer Verhältnismäßigkeit berücksichtigen die zuständigen Gerichte die Notwendigkeit, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren zu gewährleisten, die legitimen Interessen der Parteien und gegebenenfalls etwaiger Dritter sowie den möglichen Schaden, der einer der Parteien und gegebenenfalls etwaigen Dritten durch die Gewährung oder Ablehnung dieser Maßnahmen entstehen kann. (4) Jede Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß den Absätzen 1, 2 oder 3 erfolgt gemäß der Richtlinie 95/46/EG.

Abschnitt 2 – Vorläufige und vorbeugende Maßnahmen Art. 10 Vorläufige und vorbeugende Maßnahmen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses eine der folgenden vorläufigen und vorbeugenden Maßnahmen gegen den angeblichen Rechtsverletzer anordnen können: a) vorläufige Einstellung oder gegebenenfalls vorläufiges Verbot der Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses; b) Verbot des Herstellens, Anbietens, Vermarktens oder der Nutzung rechtsverletzender Produkte oder der Einfuhr, Ausfuhr oder Lagerung rechtsverletzender Produkte für diese Zwecke; c) Beschlagnahme oder Herausgabe der mutmaßlich rechtsverletzenden Produkte, einschließlich eingeführter Produkte, um deren Inverkehrbringen oder ihren Umlauf im Markt zu verhindern. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Gerichte als Alternative zu den in Absatz 1 genannten Maßnahmen die Fortsetzung der angeblich rechtswidrigen Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses an die Stellung einer oder mehrerer Sicherheiten knüpfen können, die die Entschädigung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses sicherstellen sollen. Die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses gegen die Stellung von Sicherheiten darf nicht erlaubt werden. 631

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Art. 11 Anwendungsbedingungen und Schutzmaßnahmen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte im Zusammenhang mit den in Artikel 10 genannten Maßnahmen befugt sind, dem Antragsteller aufzuerlegen, alle vernünftigerweise verfügbaren Beweise vorzulegen, um sich mit ausreichender Sicherheit davon überzeugen zu können, dass a) tatsächlich ein Geschäftsgeheimnis vorliegt, b) der Antragsteller der Inhaber dieses Geschäftsgeheimnisses ist und c) das Geschäftsgeheimnis auf rechtswidrige Weise erworben wurde, auf rechtswidrige Weise genutzt oder offengelegt wird oder ein rechtswidriger Erwerb oder eine rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses droht. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte bei der Entscheidung über die Gewährung oder Ablehnung eines Antrags und der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit den besonderen Umständen des Falls Rechnung tragen müssen, gegebenenfalls einschließlich: a) des Wertes und anderer spezifischer Merkmale des Geschäftsgeheimnisses, b) zum Schutz des Geschäftsgeheimnisses getroffene Maßnahmen, c) des Verhaltens des Antragsgegners bei Erwerb, Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses, d) der Folgen der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses, e) der legitimen Interessen der Parteien und Auswirkungen, die die Gewährung oder Ablehnung der Maßnahmen für die Parteien haben könnte, f) der legitimen Interessen Dritter, g) des öffentlichen Interesses und h) des Schutzes der Grundrechte. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in Artikel 10 genannten Maßnahmen auf Antrag des Antragsgegners aufgehoben oder auf andere Weise außer Kraft gesetzt werden, wenn a) der Antragsteller nicht innerhalb einer angemessenen Frist, die entweder von dem die Maßnahmen anordnenden Gericht festgelegt wird, sofern dies nach dem Recht des Mitgliedstaats zulässig ist, oder, wenn es nicht zu einer solchen Festlegung kommt, 20 Arbeitstage oder 31 Kalendertage, wobei der längere der beiden Zeiträume gilt, nicht überschreitet, bei dem zuständigen Gericht das Verfahren einleitet, das zu einer Sachentscheidung führt oder b) die in Frage stehenden Informationen aus Gründen, die dem Antragsgegner nicht zuzurechnen sind, nicht mehr die in Artikel 2 Nummer 1 genannten Kriterien erfüllen. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte die in Artikel 10 genannten Maßnahmen an die Stellung einer angemessenen Kaution 632

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oder die Leistung einer entsprechenden Sicherheit durch den Antragsteller knüpfen können, um eine etwaige Entschädigung des Antragsgegners oder einer etwaigen anderen von den Maßnahmen betroffenen Person sicherzustellen. (5) Werden die in Artikel 10 genannten Maßnahmen auf der Grundlage von Absatz 3 Buchstabe a des vorliegenden Artikels aufgehoben oder werden sie aufgrund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig, oder wird in der Folge festgestellt, dass kein rechtswidriger Erwerb oder keine rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses vorlag und auch nicht drohte, so sind die zuständigen Gerichte befugt, auf Antrag des Antragsgegners oder eines geschädigten Dritten anzuordnen, dass der Antragsteller dem Antragsgegner oder dem geschädigten Dritten angemessenen Ersatz für den durch diese Maßnahmen entstandenen Schaden zu leisten hat. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der in Unterabsatz 1 genannte Antrag auf Schadensersatz Gegenstand eines getrennten Gerichtsverfahrens ist.

Abschnitt 3 – Maßnahmen aufgrund einer Sachentscheidung Art. 12 Gerichtliche Anordnungen und Abhilfemaßnahmen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte in dem Fall, dass in einer gerichtlichen Sachentscheidung ein rechtswidriger Erwerb, eine rechtswidrige Nutzung oder eine rechtswidrige Offenlegung festgestellt wird, auf Antrag des Antragstellers eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen gegen den Rechtsverletzer erlassen können: a) Einstellung oder gegebenenfalls Verbot der Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses; b) Verbot des Herstellens, Anbietens, Vermarktens oder der Nutzung rechtsverletzender Produkte oder der Einfuhr, Ausfuhr oder Lagerung rechtsverletzender Produkte für diese Zwecke; c) geeignete Abhilfemaßnahmen hinsichtlich der rechtsverletzenden Produkte; d) die Vernichtung der Gesamtheit oder eines Teils der Dokumente, Gegenstände, Materialien, Stoffe oder elektronischen Dateien, die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder verkörpern oder gegebenenfalls die Herausgabe der Gesamtheit oder eines Teils dieser Dokumente, Gegenstände, Materialien, Stoffe oder elektronischen Dateien an den Antragsteller. (2) Zu den in Absatz 1 Buchstabe c genannten Abhilfemaßnahmen zählen a) der Rückruf der rechtsverletzenden Produkte vom Markt; b) die Beseitigung der rechtsverletzenden Qualität der rechtsverletzenden Produkte; 633

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c) die Vernichtung der rechtsverletzenden Produkte oder gegebenenfalls ihre Marktrücknahme unter der Voraussetzung, dass der Schutz des in Frage stehenden Geschäftsgeheimnisses durch diese Marktrücknahme nicht beeinträchtigt wird. (3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass ihre zuständigen Gerichte — bei Anordnung einer Entfernung der rechtsverletzenden Produkte aus dem Markt — auf Antrag des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses anordnen können, dass die Produkte dem Inhaber des Geschäftsgeheimnisses oder wohltätigen Organisationen übergeben werden. (4) Die zuständigen Gerichte ordnen an, dass die in Absatz 1 Buchstaben c und d genannten Maßnahmen auf Kosten des Rechtsverletzers durchgeführt werden, es sei denn, es liegen besondere Gründe dafür vor, hiervon abzusehen. Diese Maßnahmen ergehen unbeschadet des etwaigen Schadensersatzes, der dem Inhaber des Geschäftsgeheimnisses möglicherweise aufgrund des rechtswidrigen Erwerbs oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses zu zahlen ist. Art. 13 Gerichtliche Anordnungen und Abhilfemaßnahmen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte bei der Prüfung eines Antrags auf Erlass gerichtlicher Anordnungen und von Abhilfemaßnahmen nach Artikel 12 und bei der Beurteilung von deren Verhältnismäßigkeit den besonderen Umständen des Falls Rechnung tragen müssen, einschließlich gegebenenfalls: a) des Wertes oder anderer spezifischer Merkmale des Geschäftsgeheimnisses, b) Maßnahmen, die zum Schutz des Geschäftsgeheimnisses getroffen werden, c) des Verhaltens des Antragsgegners bei Erwerb, Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses, d) der Folgen der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses, e) der legitimen Interessen der Parteien und Auswirkungen, die die Genehmigung oder Ablehnung der Maßnahmen für die Parteien haben könnte, f) der legitimen Interessen Dritter, g) des öffentlichen Interesses und h) des Schutzes der Grundrechte. Falls die zuständigen Gerichte die Dauer der in Artikel 12 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Maßnahmen begrenzen, muss die Dauer ausreichen, um sämtliche kommerziellen oder wirtschaftlichen Vorteile zu beseitigen, die der Rechtsverletzer aus dem rechtswidrigen Erwerb oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses gezogen haben könnte. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in Artikel 12 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Maßnahmen auf Antrag des Antragsgegners zurückge634

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nommen oder ihre Wirkung auf andere Weise entfällt, wenn die fraglichen Informationen aus Gründen, die der Antragsgegner weder unmittelbar noch mittelbar zu vertreten hat, nicht mehr die in Artikel 2 Nummer 1 genannten Voraussetzungen erfüllen. (3) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der Person, der die in Artikel 12 vorgesehenen Maßnahmen auferlegt werden können, anordnen können, dass anstelle der Anwendung dieser Maßnahmen eine Abfindung an den Geschädigten zu zahlen ist, sofern alle folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) Zum Zeitpunkt der Nutzung oder Offenlegung wusste die betreffende Person nicht und hätte unter den gegebenen Umständen nicht wissen müssen, dass sie über eine andere Person in den Besitz des Geschäftsgeheimnisses gelangt ist, die dieses Geschäftsgeheimnis rechtswidrig genutzt oder offengelegt hat; b) bei Durchführung der betreffenden Maßnahmen würde der betreffenden Person ein unverhältnismäßig großer Schaden entstehen und c) die Zahlung einer Abfindung an die geschädigte Partei erscheint als angemessene Entschädigung. Wird anstelle einer Maßnahme gemäß Artikel 12 Absatz 1 Buchstaben a und b ein finanzieller Ausgleich angeordnet, so darf dieser nicht die Höhe der Lizenzgebühren übersteigen, die zu zahlen gewesen wären, wenn die betreffende Person um die Genehmigung ersucht hätte, das in Frage stehende Geschäftsgeheimnis für den Zeitraum zu nutzen, für den die Nutzung des Geschäftsgeheimnisses hätte untersagt werden können. Art. 14 Schadensersatz (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag des Geschädigten anordnen, dass ein Rechtsverletzer, der wusste oder hätte wissen müssen, dass er einen rechtswidrigen Erwerb oder eine rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses vornahm, dem Inhaber des Geschäftsgeheimnisses einen Schadensersatz leistet, der dem infolge des rechtswidrigen Erwerbs oder der rechtswidrigen Offenlegung oder Nutzung tatsächlich erlittenen Schaden angemessen ist. Die Mitgliedstaaten können die Haftung von Arbeitnehmern für Schäden begrenzen, die ihren Arbeitgebern durch den rechtswidrigen Erwerb oder die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses entstanden sind, sofern sie nicht vorsätzlich handeln. (2) Bei der Festsetzung der Höhe des Schadensersatzes gemäß Absatz 1 berücksichtigen die zuständigen Gerichte alle relevanten Faktoren, wie negative wirtschaftliche Folgen, einschließlich entgangener Gewinne des Geschädigten, etwaige durch den Rechtsverletzer erzielte unlautere Gewinne und gegebenen635

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falls andere als wirtschaftliche Faktoren wie den immateriellen Schaden, der dem Inhaber des Geschäftsgeheimnisses durch den rechtswidrigen Erwerb oder die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses entstanden ist. Alternativ können die zuständigen Gerichte in geeigneten Fällen den Schadensersatz jedoch als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Lizenzgebühren, die der Rechtsverletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Genehmigung zur Nutzung des betreffenden Geschäftsgeheimnisses eingeholt hätte. Art. 15 Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte bei Verfahren wegen des rechtswidrigen Erwerbs oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen auf Antrag des Antragstellers und auf Kosten des Rechtsverletzers geeignete Maßnahmen zur Verbreitung von Informationen über die betreffende Entscheidung, einschließlich der vollständigen oder teilweisen Veröffentlichung, anordnen können. (2) Bei jeder Maßnahme gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels wird die Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen gemäß Artikel 9 gewährleistet. (3) Bei der Entscheidung darüber, ob eine Maßnahme gemäß Absatz 1 angeordnet wird, und bei der Bewertung ihrer Verhältnismäßigkeit berücksichtigen die zuständigen Gerichte gegebenenfalls den Wert des Geschäftsgeheimnisses, das Verhalten des Rechtsverletzers bei Erwerb, Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses, die Folgen der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses und die Wahrscheinlichkeit einer weiteren rechtwidrigen Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses durch den Rechtsverletzer. Die zuständigen Gerichte berücksichtigen auch, ob die Informationen über den Rechtsverletzer die Identifizierung einer natürlichen Person ermöglichen würden und, falls ja, ob die Veröffentlichung dieser Informationen gerechtfertigt wäre, insbesondere im Lichte des etwaigen Schadens, den eine solche Maßnahme der Privatsphäre und dem Ruf des Rechtsverletzers zufügen kann.

Kapitel IV – Sanktionen, Berichterstattung und Schlussbestimmungen Art. 16 Sanktionen bei Nichteinhaltung dieser Richtlinie Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte allen Personen, die es versäumen 636

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2.22

oder ablehnen, einer der gemäß den Artikeln 9, 10 und 12 erlassenen Maßnahme nachzukommen, Sanktionen auferlegen können. Im Rahmen der Sanktionen wird unter anderem die Möglichkeit vorgesehen, im Falle einer Nichtbefolgung einer der gemäß den Artikeln 10 und 12 erlassenen Maßnahme wiederholt zu zahlende Zwangsgelder zu verhängen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Art. 17 Informationsaustausch und Korrespondenzstellen Zur Förderung der Zusammenarbeit, einschließlich des Informationsaustauschs, der Mitgliedstaaten untereinander sowie zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission benennt jeder Mitgliedstaat eine oder mehrere nationale Korrespondenzstellen für alle Fragen nach der Durchführung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen. Jeder Mitgliedstaat teilt die Kontaktadressen seiner Korrespondenzstelle(n) den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission mit. Art. 18 Berichte (1) Bis zum 9. Juni 2021 erstellt das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum im Rahmen der Tätigkeiten der Europäischen Beobachtungsstelle für Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums einen ersten Bericht über die Entwicklungen bei dem rechtswidrigen Erwerb, der rechtswidrigen Nutzung und der rechtswidrigen Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Zuge der Anwendung dieser Richtlinie. (2) Bis zum 9. Juni 2022 erstellt die Kommission einen Zwischenbericht über die Anwendung dieser Richtlinie und legt diesen dem Europäischen Parlament und dem Rat vor. Dieser Bericht trägt dem in Absatz 1 genannten Bericht in angemessener Weise Rechnung. In dem Zwischenbericht werden insbesondere die etwaigen Auswirkungen der Anwendung dieser Richtlinie auf Forschung und Entwicklung, die Mobilität der Arbeitnehmer und die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und auf Informationsfreiheit untersucht. (3) Bis zum 9. Juni 2026 bewertet die Kommission die Auswirkungen dieser Richtlinie und legt dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht vor. Art. 19 Umsetzung (1) Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 9. Juni 2018 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Rechtsvorschriften mit. Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme. 637

2.22

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(2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen. Art. 20 Inkrafttreten Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Art. 21 Adressaten Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

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2.23 Gruppenfreistellungs-VO Vertikalabreden * 330/2010 DIE EURPOÄISCHE KOMMISSION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, gestützt auf die Verordnung Nr. 19/65/EWG des Rates vom 2. März 1965 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen,1 insbesondere auf Artikel 1, nach Veröffentlichung des Entwurfs dieser Verordnung, nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen, in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Nach der Verordnung Nr. 19/65/EWG ist die Kommission ermächtigt, Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union2 durch Verordnung auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und entsprechenden abgestimmten Verhaltensweisen anzuwenden, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen. (2) Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen3 definiert eine Gruppe von vertikalen Vereinbarungen, die nach Auffassung der Kommission in der Regel die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Angesichts der insgesamt positiven Erfahrungen mit der Anwendung der genannten Verordnung, die am 31. Mai 2010 außer Kraft tritt und angesichts der seit ihrem Erlass gesammelten Erfahrungen sollte eine neue Gruppenfreistellungsverordnung erlassen werden. (3) Die Gruppe von Vereinbarungen, die in der Regel die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen, umfasst vertikale Vereinbarungen über den Bezug oder Verkauf von Waren oder Dienstleistungen, die zwischen nicht miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen, zwischen bestimmten Wettbewerbern sowie von bestimmten Vereinigungen des Wareneinzelhandels geschlossen werden; diese Gruppe umfasst ferner vertikale Vereinbarungen, die Nebenabreden über die Übertragung oder Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums enthalten. Der Begriff „vertikale Vereinbarungen“ sollte entsprechende abgestimmte Verhaltensweisen umfassen. (4) Für die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV durch Verordnung ist es nicht erforderlich, die vertikalen Vereinbarungen zu definieren, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV

* Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. 2010 L 102/1. 1 ABl. 36 vom 6. 3. 1965, S. 533. 2 Mit Wirkung vom 1. Dezember 2009 ist an die Stelle des Artikels 81 EG-Vertrag der Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) [in dieser Sammlung Nr. 1.2] getreten. Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 101 AEUV sind im Wesentlichen identisch. Im Rahmen dieser Verordnung sind Bezugnahmen auf Artikel 101 AEUV als Bezugnahmen auf Artikel 81 EG-Vertrag zu verstehen, wo dies angebracht ist. 3 ABl. L 336 vom 29. 12. 1999, S. 21. https://doi.org/10.1515/9783110667776-027

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fallen können. Bei der Prüfung einzelner Vereinbarungen nach Artikel 101 Absatz 1 AEUV sind mehrere Faktoren, insbesondere die Marktstruktur auf der Angebots- und Nachfrageseite, zu berücksichtigen. Die durch diese Verordnung bewirkte Gruppenfreistellung sollte nur vertikalen Vereinbarungen zugute kommen, von denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, dass sie die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Bestimmte Arten von vertikalen Vereinbarungen können die wirtschaftliche Effizienz innerhalb einer Produktions- oder Vertriebskette erhöhen, weil sie eine bessere Koordinierung zwischen den beteiligten Unternehmen ermöglichen. Insbesondere können sie dazu beitragen, die Transaktions- und Vertriebskosten der beteiligten Unternehmen zu verringern und deren Umsätze und Investitionen zu optimieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass derartige effizienzsteigernde Auswirkungen stärker ins Gewicht fallen als etwaige von Beschränkungen in vertikalen Vereinbarungen ausgehende wettbewerbswidrige Auswirkungen, hängt von der Marktmacht der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen ab und somit von dem Ausmaß, in dem diese Unternehmen dem Wettbewerb anderer Anbieter von Waren oder Dienstleistungen ausgesetzt sind, die von ihren Kunden aufgrund ihrer Produkteigenschaften, ihrer Preise und ihres Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden. Solange der auf jedes an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen entfallende Anteil am relevanten Markt jeweils 30 % nicht überschreitet, kann davon ausgegangen werden, dass vertikale Vereinbarungen, die nicht bestimmte Arten schwerwiegender Wettbewerbsbeschränkungen enthalten, im Allgemeinen zu einer Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs und zu einer angemessenen Beteiligung der Verbraucher an dem daraus entstehenden Gewinn führen. Oberhalb dieser Marktanteilsschwelle von 30 % kann nicht davon ausgegangen werden, dass vertikale Vereinbarungen, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen, immer objektive Vorteile mit sich bringen, die in Art und Umfang ausreichen, um die Nachteile auszugleichen, die sie für den Wettbewerb mit sich bringen. Es kann allerdings auch nicht davon ausgegangen werden, dass diese vertikalen Vereinbarungen entweder unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen oder die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllen. Diese Verordnung sollte keine vertikalen Vereinbarungen freistellen, die Beschränkungen enthalten, die wahrscheinlich den Wettbewerb beschränken und den Verbrauchern schaden oder die für die Herbeiführung der effizienzsteigernden Auswirkungen nicht unerlässlich sind; insbesondere vertikale Vereinbarungen, die bestimmte Arten schwerwiegender Wettbewerbsbeschränkungen enthalten, wie die Festsetzung von Mindest- oder Festpreisen für den Weiterverkauf oder bestimmte Arten des Gebietsschutzes, sollten daher ohne Rücksicht auf den Marktanteil der beteiligten Unternehmen von dem mit dieser Verordnung gewährten Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung ausgeschlossen werden. Die Gruppenfreistellung sollte an bestimmte Bedingungen geknüpft werden, die den Zugang zum relevanten Markt gewährleisten und Kollusion auf diesem Markt vorbeugen. Zu diesem Zweck sollte die Freistellung von Wettbewerbsverboten auf Verbote mit einer bestimmten Höchstdauer beschränkt werden. Aus demselben Grund sollten alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, die die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems veranlassen, die Marken bestimmter konkurrierender Anbieter nicht zu führen, vom Rechtsvorteil dieser Verordnung ausgeschlossen werden. Durch die Begrenzung des Marktanteils, den Ausschluss bestimmter vertikaler Vereinbarungen von der Gruppenfreistellung und die nach dieser Verordnung zu erfüllenden Vo-

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2.23

raussetzungen ist in der Regel sichergestellt, dass Vereinbarungen, auf die die Gruppenfreistellung Anwendung findet, den beteiligten Unternehmen keine Möglichkeiten eröffnen, den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Produkte auszuschalten. (13) Nach Artikel 29 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln4 kann die Kommission den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung entziehen, wenn sie in einem bestimmten Fall feststellt, dass eine Vereinbarung, für die die Gruppenfreistellung nach dieser Verordnung gilt, dennoch Wirkungen hat, die mit Artikel 101 Absatz 3 AEUV unvereinbar sind. (14) Die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden können, nach Artikel 29 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 den aus dieser Verordnung erwachsenden Rechtsvorteil für das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats oder einen Teil dieses Hoheitsgebiets entziehen, wenn in einem bestimmten Fall eine Vereinbarung, für die die Gruppenfreistellung nach dieser Verordnung gilt, dennoch im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats oder in einem Teil dieses Hoheitsgebiets, das alle Merkmale eines gesonderten räumlichen Marktes aufweist, Wirkungen hat, die mit Artikel 101 Absatz 3 AEUV unvereinbar sind. (15) Bei der Entscheidung, ob der aus dieser Verordnung erwachsende Rechtsvorteil nach Artikel 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 entzogen werden sollte, sind die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen, die sich daraus ergeben, dass der Zugang zu einem relevanten Markt oder der Wettbewerb auf diesem Markt durch gleichartige Auswirkungen paralleler Netze vertikaler Vereinbarungen erheblich eingeschränkt werden, von besonderer Bedeutung. Derartige kumulative Wirkungen können sich etwa aus selektiven Vertriebssystemen oder aus Wettbewerbsverboten ergeben. (16) Um die Überwachung paralleler Netze vertikaler Vereinbarungen zu verstärken, die gleichartige wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben und mehr als 50 % eines Marktes abdecken, kann die Kommission durch Verordnung erklären, dass diese Verordnung auf vertikale Vereinbarungen, die bestimmte auf den betroffenen Markt bezogene Beschränkungen enthalten, keine Anwendung findet, und dadurch die volle Anwendbarkeit von Artikel 101 AEUV auf diese Vereinbarungen wiederherstellen — HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Art. 1 Begriffsbestimmungen (1) Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) „vertikale Vereinbarung“ ist eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise, die zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise auf einer anderen Ebene der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist, geschlossen wird und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen;

4 ABl. L 1 vom 4. 1. 2003, S. 1.

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b) „vertikale Beschränkung“ ist eine Wettbewerbsbeschränkung in einer vertikalen Vereinbarung, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt; c) „Wettbewerber“ ist ein tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerber; ein „tatsächlicher Wettbewerber“ ist ein Unternehmen, das auf demselben relevanten Markt tätig ist; ein „potenzieller Wettbewerber“ ist ein Unternehmen, bei dem realistisch und nicht nur hypothetisch davon ausgegangen werden kann, dass es ohne die vertikale Vereinbarung als Reaktion auf einen geringen, aber anhaltenden Anstieg der relativen Preise wahrscheinlich innerhalb kurzer Zeit die zusätzlichen Investitionen tätigen oder sonstigen Umstellungskosten auf sich nehmen würde, die erforderlich wären, um in den relevanten Markt einzutreten; d) „Wettbewerbsverbot“ ist eine unmittelbare oder mittelbare Verpflichtung, die den Abnehmer veranlasst, keine Waren oder Dienstleistungen herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen, die mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen im Wettbewerb stehen, oder eine unmittelbare oder mittelbare Verpflichtung des Abnehmers, auf dem relevanten Markt mehr als 80 % seines Gesamtbezugs an Vertragswaren oder -dienstleistungen und ihren Substituten, der anhand des Werts des Bezugs oder, falls in der Branche üblich, anhand des bezogenen Volumens im vorangehenden Kalenderjahr berechnet wird, vom Anbieter oder von einem anderen vom Anbieter benannten Unternehmen zu beziehen; e) „selektive Vertriebssysteme“ sind Vertriebssysteme, in denen sich der Anbieter verpflichtet, die Vertragswaren oder -dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar nur an Händler zu verkaufen, die anhand festgelegter Merkmale ausgewählt werden, und in denen sich diese Händler verpflichten, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler zu verkaufen, die innerhalb des vom Anbieter für den Betrieb dieses Systems festgelegten Gebiets nicht zum Vertrieb zugelassen sind; f) „Rechte des geistigen Eigentums“ umfassen unter anderem gewerbliche Schutzrechte, Know-how, Urheberrechte und verwandte Schutzrechte; g) „Know-how“ ist eine Gesamtheit nicht patentgeschützter praktischer Kenntnisse, die der Anbieter durch Erfahrung und Erprobung gewonnen hat und die geheim, wesentlich und identifiziert sind; in diesem Zusammenhang bedeutet „geheim“, dass das Know-how nicht allgemein bekannt oder leicht zugänglich ist; „wesentlich“ bedeutet, dass das Know-how für den Abnehmer bei der Verwendung, dem Verkauf oder dem Weiterverkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen bedeutsam und nützlich ist; „identifiziert“ bedeutet, dass das Know-how so umfassend beschrieben ist, dass überprüft werden kann, ob es die Merkmale „geheim“ und „wesentlich“ erfüllt; 642

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2.23

h) „Abnehmer“ ist auch ein Unternehmen, das auf der Grundlage einer unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallenden Vereinbarung Waren oder Dienstleistungen für Rechnung eines anderen Unternehmens verkauft; i) „Kunde des Abnehmers“ ist ein nicht an der Vereinbarung beteiligtes Unternehmen, das die Vertragswaren oder -dienstleistungen von einem an der Vereinbarung beteiligten Abnehmer bezieht. (2) Für die Zwecke dieser Verordnung schließen die Begriffe „Unternehmen“, „Anbieter“ und „Abnehmer“ die jeweils mit diesen verbundenen Unternehmen ein. „Verbundene Unternehmen“ sind: a) Unternehmen, in denen ein an der Vereinbarung beteiligtes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar i) die Befugnis hat, mehr als die Hälfte der Stimmrechte auszuüben, oder ii) die Befugnis hat, mehr als die Hälfte der Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans oder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe zu bestellen, oder iii) das Recht hat, die Geschäfte des Unternehmens zu führen; b) Unternehmen, die in einem an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen unmittelbar oder mittelbar die unter Buchstabe a aufgeführten Rechte oder Befugnisse haben; DE 23. 4. 2010 Amtsblatt der Europäischen Union L 102/ 3 c) Unternehmen, in denen ein unter Buchstabe b genanntes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar die unter Buchstabe a aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat; d) Unternehmen, in denen ein an der Vereinbarung beteiligtes Unternehmen gemeinsam mit einem oder mehreren der unter den Buchstaben a, b und c genannten Unternehmen oder in denen zwei oder mehr der zuletzt genannten Unternehmen gemeinsam die unter Buchstabe a aufgeführten Rechte oder Befugnisse haben; e) Unternehmen, in denen die folgenden Unternehmen gemeinsam die unter Buchstabe a aufgeführten Rechte oder Befugnisse haben: i) an der Vereinbarung beteiligte Unternehmen oder mit ihnen jeweils verbundene Unternehmen im Sinne der Buchstaben a bis d, oder ii) eines oder mehrere der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen oder eines oder mehrere der mit ihnen verbundenen Unternehmen im Sinne der Buchstaben a bis d und ein oder mehrere dritte Unternehmen. Art. 2 Freistellung (1) Nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV und nach Maßgabe dieser Verordnung gilt Artikel 101 Absatz 1 AEUV nicht für vertikale Vereinbarungen. 643

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Diese Freistellung gilt, soweit solche Vereinbarungen vertikale Beschränkungen enthalten. (2) Die Freistellung nach Absatz 1 gilt nur dann für vertikale Vereinbarungen zwischen einer Unternehmensvereinigung und ihren Mitgliedern oder zwischen einer solchen Vereinigung und ihren Anbietern, wenn alle Mitglieder der Vereinigung Wareneinzelhändler sind und wenn keines ihrer Mitglieder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen einen jährlichen Gesamtumsatz von mehr als 50 Mio. EUR erwirtschaftet. Vertikale Vereinbarungen solcher Vereinigungen werden von dieser Verordnung unbeschadet der Anwendbarkeit von Artikel 101 AEUV auf horizontale Vereinbarungen zwischen den Mitgliedern einer solchen Vereinigung sowie auf Beschlüsse der Vereinigung erfasst. (3) Die Freistellung nach Absatz 1 gilt für vertikale Vereinbarungen, die Bestimmungen enthalten, die die Übertragung von Rechten des geistigen Eigentums auf den Abnehmer oder die Nutzung solcher Rechte durch den Abnehmer betreffen, sofern diese Bestimmungen nicht Hauptgegenstand der Vereinbarung sind und sofern sie sich unmittelbar auf die Nutzung, den Verkauf oder den Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen durch den Abnehmer oder seine Kunden beziehen. Die Freistellung gilt unter der Voraussetzung, dass diese Bestimmungen für die Vertragswaren oder -dienstleistungen keine Wettbewerbsbeschränkungen enthalten, die denselben Zweck verfolgen wie vertikale Beschränkungen, die durch diese Verordnung nicht freigestellt sind. (4) Die Freistellung nach Absatz 1 gilt nicht für vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern. Sie findet jedoch Anwendung, wenn Wettbewerber eine nicht gegenseitige vertikale Vereinbarung treffen und a) der Anbieter zugleich Hersteller und Händler von Waren ist, der Abnehmer dagegen Händler, jedoch kein Wettbewerber auf der Herstellungsebene; oder b) der Anbieter ein auf mehreren Handelsstufen tätiger Dienstleister ist, der Abnehmer dagegen Waren oder Dienstleistungen auf der Einzelhandelsstufe anbietet und auf der Handelsstufe, auf der er die Vertragsdienstleistungen bezieht, kein Wettbewerber ist. (5) Diese Verordnung gilt nicht für vertikale Vereinbarungen, deren Gegenstand in den Geltungsbereich einer anderen Gruppenfreistellungsverordnung fällt, es sei denn, dies ist in einer solchen Verordnung vorgesehen. Art. 3 Marktanteilsschwelle (1) Die Freistellung nach Artikel 2 gilt nur, wenn der Anteil des Anbieters an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen anbietet, und der Anteil des Abnehmers an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen bezieht, jeweils nicht mehr als 30 % beträgt. 644

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2.23

(2) Bezieht ein Unternehmen im Rahmen einer Mehrparteienvereinbarung die Vertragswaren oder -dienstleistungen von einer Vertragspartei und verkauft es sie anschließend an eine andere Vertragspartei, so gilt die Freistellung nach Artikel 2 nur, wenn es die Voraussetzungen des Absatzes 1 als Abnehmer wie auch als Anbieter erfüllt. Art. 4 Beschränkungen, die zum Ausschluss des Rechtsvorteils der Gruppenfreistellung führen — Kernbeschränkungen Die Freistellung nach Artikel 2 gilt nicht für vertikale Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der Vertragsparteien Folgendes bezwecken: a) Die Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, seinen Verkaufspreis selbst festzusetzen; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit des Anbieters, Höchstverkaufspreise festzusetzen oder Preisempfehlungen auszusprechen, sofern sich diese nicht infolge der Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen durch eines der beteiligten Unternehmen tatsächlich wie Fest- oder Mindestverkaufspreise auswirken; b) die Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe, in das oder an die ein an der Vereinbarung beteiligter Abnehmer, vorbehaltlich einer etwaigen Beschränkung in Bezug auf den Ort seiner Niederlassung, Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen darf, mit Ausnahme i) der Beschränkung des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Kundengruppen, die der Anbieter sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Abnehmer zugewiesen hat, sofern dadurch der Verkauf durch die Kunden des Abnehmers nicht beschränkt wird, ii) der Beschränkung des Verkaufs an Endverbraucher durch Abnehmer, die auf der Großhandelsstufe tätig sind, iii) der Beschränkung des Verkaufs an nicht zugelassene Händler durch die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems innerhalb des vom Anbieter für den Betrieb dieses Systems festgelegten Gebiets, iv) der Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, Teile, die zur Weiterverwendung geliefert werden, an Kunden zu verkaufen, die diese Teile für die Herstellung derselben Art von Waren verwenden würden, wie sie der Anbieter herstellt; c) die Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher durch auf der Einzelhandelsstufe tätige Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit, Mitgliedern des Systems zu untersagen, Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben; 645

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d) die Beschränkung von Querlieferungen zwischen Händlern innerhalb eines selektiven Vertriebssystems, auch wenn diese auf verschiedenen Handelsstufen tätig sind; e) die zwischen einem Anbieter von Teilen und einem Abnehmer, der diese Teile weiterverwendet, vereinbarte Beschränkung der Möglichkeit des Anbieters, die Teile als Ersatzteile an Endverbraucher oder an Reparaturbetriebe oder andere Dienstleister zu verkaufen, die der Abnehmer nicht mit der Reparatur oder Wartung seiner Waren betraut hat. Art. 5 Nicht freigestellte Beschränkungen (1) Die Freistellung nach Artikel 2 gilt nicht für die folgenden, in vertikalen Vereinbarungen enthaltenen Verpflichtungen: a) unmittelbare oder mittelbare Wettbewerbsverbote, die für eine unbestimmte Dauer oder für eine Dauer von mehr als fünf Jahren vereinbart werden; b) unmittelbare oder mittelbare Verpflichtungen, die den Abnehmer veranlassen, Waren oder Dienstleistungen nach Beendigung der Vereinbarung nicht herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen; c) unmittelbare oder mittelbare Verpflichtungen, die die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems veranlassen, Marken bestimmter konkurrierender Anbieter nicht zu verkaufen. Für die Zwecke des Unterabsatz 1 Buchstabe a gelten Wettbewerbsverbote, deren Dauer sich über den Zeitraum von fünf Jahren hinaus stillschweigend verlängert, als für eine unbestimmte Dauer vereinbart. (2) Abweichend von Absatz 1 Buchstabe a gilt die Begrenzung auf fünf Jahre nicht, wenn die Vertragswaren oder -dienstleistungen vom Abnehmer in Räumlichkeiten und auf Grundstücken verkauft werden, die im Eigentum des Anbieters stehen oder von diesem von nicht mit dem Abnehmer verbundenen Dritten gemietet oder gepachtet worden sind und das Wettbewerbsverbot nicht über den Zeitraum hinausreicht, in dem der Abnehmer diese Räumlichkeiten und Grundstücke nutzt. (3) In Abweichung von Absatz 1 Buchstabe b gilt die Freistellung nach Artikel 2 für unmittelbare oder mittelbare Verpflichtungen, die den Abnehmer veranlassen, Waren oder Dienstleistungen nach Beendigung der Vereinbarung nicht herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) die Verpflichtungen beziehen sich auf Waren oder Dienstleistungen, die mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen im Wettbewerb stehen; b) die Verpflichtungen beschränken sich auf Räumlichkeiten und Grundstücke, von denen aus der Abnehmer während der Vertragslaufzeit seine Geschäfte betrieben hat; 646

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c) die Verpflichtungen sind unerlässlich, um dem Abnehmer vom Anbieter übertragenes Know-how zu schützen; d) die Dauer der Verpflichtungen ist auf höchstens ein Jahr nach Beendigung der Vereinbarung begrenzt. Absatz 1 Buchstabe b gilt unbeschadet der Möglichkeit, Nutzung und Offenlegung von nicht allgemein zugänglichem Know-how unbefristeten Beschränkungen zu unterwerfen. Art. 6 Nichtanwendung dieser Verordnung Nach Artikel 1a der Verordnung Nr. 19/65/EWG kann die Kommission durch Verordnung erklären, dass in Fällen, in denen mehr als 50 % des relevanten Marktes von parallelen Netzen gleichartiger vertikaler Beschränkungen abgedeckt werden, die vorliegende Verordnung auf vertikale Vereinbarungen, die bestimmte Beschränkungen des Wettbewerbs auf diesem Markt enthalten, keine Anwendung findet. Art. 7 Anwendung der Marktanteilsschwelle Für die Anwendung der Marktanteilsschwellen im Sinne des Artikels 3 gelten folgende Vorschriften: a) Der Marktanteil des Anbieters wird anhand des Absatzwerts und der Marktanteil des Abnehmers anhand des Bezugswerts berechnet. Liegen keine Angaben über den Absatz- bzw. Bezugswert vor, so können zur Ermittlung des Marktanteils des betreffenden Unternehmens Schätzungen vorgenommen werden, die auf anderen verlässlichen Marktdaten unter Einschluss der Absatz- und Bezugsmengen beruhen; b) Die Marktanteile werden anhand der Angaben für das vorangegangene Kalenderjahr ermittelt; c) Der Marktanteil des Anbieters schließt Waren oder Dienstleistungen ein, die zum Zweck des Verkaufs an vertikal integrierte Händler geliefert werden; d) Beträgt ein Marktanteil ursprünglich nicht mehr als 30 % und überschreitet er anschließend diese Schwelle, jedoch nicht 35 %, so gilt die Freistellung nach Artikel 2 im Anschluss an das Jahr, in dem die Schwelle von 30 % erstmals überschritten wurde, noch für zwei weitere Kalenderjahre; e) Beträgt ein Marktanteil ursprünglich nicht mehr als 30 % und überschreitet er anschließend 35 %, so gilt die Freistellung nach Artikel 2 im Anschluss an das Jahr, in dem die Schwelle von 35 % erstmals überschritten wurde, noch für ein weiteres Kalenderjahr; f) Die unter den Buchstaben d und e genannten Rechtsvorteile dürfen nicht in der Weise miteinander verbunden werden, dass ein Zeitraum von zwei Kalenderjahren überschritten wird; g) Der Marktanteil der in Artikel 1 Absatz 2 Unterabsatz 2 Buchstabe e genannten Unternehmen wird zu gleichen Teilen jedem Unternehmen zugerechnet, 647

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das die in Artikel 1 Absatz 2 Unterabsatz 2 Buchstabe a aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat. Art. 8 Anwendung der Umsatzschwelle (1) Für die Berechnung des jährlichen Gesamtumsatzes im Sinne des Artikels 2 Absatz 2 sind die Umsätze zu addieren, die das jeweilige an der vertikalen Vereinbarung beteiligte Unternehmen und die mit ihm verbundenen Unternehmen im letzten Geschäftsjahr mit allen Waren und Dienstleistungen ohne Steuern und sonstige Abgaben erzielt haben. Dabei werden Umsätze zwischen dem an der vertikalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen und den mit ihm verbundenen Unternehmen oder zwischen den mit ihm verbundenen Unternehmen nicht mitgerechnet. (2) Die Freistellung nach Artikel 2 bleibt bestehen, wenn der jährliche Gesamtumsatz im Zeitraum von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren die Schwelle um nicht mehr als 10 % überschreitet. Art. 9 Übergangszeitraum Das Verbot nach Artikel 101 Absatz 1 AEUV gilt in der Zeit vom 1. Juni 2010 bis zum 31. Mai 2011 nicht für bereits am 31. Mai 2010 in Kraft befindliche Vereinbarungen, die zwar die Freistellungskriterien dieser Verordnung nicht erfüllen, aber am 31. Mai 2010 die Freistellungskriterien der Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 erfüllt haben. Art. 10 Geltungsdauer Diese Verordnung tritt am 1. Juni 2010 in Kraft. Sie gilt bis zum 31. Mai 2022.

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2.24 Datenschutz-Grundverordnung 2016/679

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 16, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen,2 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ist ein Grundrecht. Gemäß Artikel 8 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden „Charta“) sowie Artikel 16 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. (2) Die Grundsätze und Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten sollten gewährleisten, dass ihre Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere ihr Recht auf Schutz personenbezogener Daten ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Aufenthaltsorts gewahrt bleiben. Diese Verordnung soll zur Vollendung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und einer Wirtschaftsunion, zum wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, zur Stärkung und zum Zusammenwachsen der Volkswirtschaften innerhalb des Binnenmarkts sowie zum Wohlergehen natürlicher Personen beitragen. (3) Zweck der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates4 ist die Harmonisierung der Vorschriften zum Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen bei der Datenverarbeitung sowie die Gewährleistung des freien Verkehrs personenbezogener Daten zwischen den Mitgliedstaaten. (4) Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte im Dienste der Menschheit stehen. Das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten ist kein uneingeschränktes Recht; es muss im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden. Diese Verordnung steht im Einklang mit allen Grundrechten und achtet alle Freiheiten und Grundsätze, die mit der Charta anerkannt wurden und in den Europäischen Verträgen verankert

* Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. 2016 L 119/1. 1 ABl. C 229 vom 31. 7. 2012, S. 90. 2 ABl. C 391 vom 18. 12. 2012, S. 127. 3 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Standpunkt des Rates in erster Lesung vom 8. April 2016 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 14. April 2016. 4 ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31. https://doi.org/10.1515/9783110667776-028

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sind, insbesondere Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Kommunikation, Schutz personenbezogener Daten, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, unternehmerische Freiheit, Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren und Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen. Die wirtschaftliche und soziale Integration als Folge eines funktionierenden Binnenmarkts hat zu einem deutlichen Anstieg des grenzüberschreitenden Verkehrs personenbezogener Daten geführt. Der unionsweite Austausch personenbezogener Daten zwischen öffentlichen und privaten Akteuren einschließlich natürlichen Personen, Vereinigungen und Unternehmen hat zugenommen. Das Unionsrecht verpflichtet die Verwaltungen der Mitgliedstaaten, zusammenzuarbeiten und personenbezogene Daten auszutauschen, damit sie ihren Pflichten nachkommen oder für eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats Aufgaben durchführen können. Rasche technologische Entwicklungen und die Globalisierung haben den Datenschutz vor neue Herausforderungen gestellt. Das Ausmaß der Erhebung und des Austauschs personenbezogener Daten hat eindrucksvoll zugenommen. Die Technik macht es möglich, dass private Unternehmen und Behörden im Rahmen ihrer Tätigkeiten in einem noch nie dagewesenen Umfang auf personenbezogene Daten zurückgreifen. Zunehmend machen auch natürliche Personen Informationen öffentlich weltweit zugänglich. Die Technik hat das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben verändert und dürfte den Verkehr personenbezogener Daten innerhalb der Union sowie die Datenübermittlung an Drittländer und internationale Organisationen noch weiter erleichtern, wobei ein hohes Datenschutzniveau zu gewährleisten ist. Diese Entwicklungen erfordern einen soliden, kohärenteren und klar durchsetzbaren Rechtsrahmen im Bereich des Datenschutzes in der Union, da es von großer Wichtigkeit ist, eine Vertrauensbasis zu schaffen, die die digitale Wirtschaft dringend benötigt, um im Binnenmarkt weiter wachsen zu können. Natürliche Personen sollten die Kontrolle über ihre eigenen Daten besitzen. Natürliche Personen, Wirtschaft und Staat sollten in rechtlicher und praktischer Hinsicht über mehr Sicherheit verfügen. Wenn in dieser Verordnung Präzisierungen oder Einschränkungen ihrer Vorschriften durch das Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen sind, können die Mitgliedstaaten Teile dieser Verordnung in ihr nationales Recht aufnehmen, soweit dies erforderlich ist, um die Kohärenz zu wahren und die nationalen Rechtsvorschriften für die Personen, für die sie gelten, verständlicher zu machen. Die Ziele und Grundsätze der Richtlinie 95/46/EG besitzen nach wie vor Gültigkeit, doch hat die Richtlinie nicht verhindern können, dass der Datenschutz in der Union unterschiedlich gehandhabt wird, Rechtsunsicherheit besteht oder in der Öffentlichkeit die Meinung weit verbreitet ist, dass erhebliche Risiken für den Schutz natürlicher Personen bestehen, insbesondere im Zusammenhang mit der Benutzung des Internets. Unterschiede beim Schutzniveau für die Rechte und Freiheiten von natürlichen Personen im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten in den Mitgliedstaaten, vor allem beim Recht auf Schutz dieser Daten, können den unionsweiten freien Verkehr solcher Daten behindern. Diese Unterschiede im Schutzniveau können daher ein Hemmnis für die unionsweite Ausübung von Wirtschaftstätigkeiten darstellen, den Wettbewerb verzerren und die Behörden an der Erfüllung der ihnen nach dem Unionsrecht obliegenden Pflichten hindern. Sie erklären sich aus den Unterschieden bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinie 95/46/EG.

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(10) Um ein gleichmäßiges und hohes Datenschutzniveau für natürliche Personen zu gewährleisten und die Hemmnisse für den Verkehr personenbezogener Daten in der Union zu beseitigen, sollte das Schutzniveau für die Rechte und Freiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung dieser Daten in allen Mitgliedstaaten gleichwertig sein. Die Vorschriften zum Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sollten unionsweit gleichmäßig und einheitlich angewandt werden. Hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, nationale Bestimmungen, mit denen die Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung genauer festgelegt wird, beizubehalten oder einzuführen. In Verbindung mit den allgemeinen und horizontalen Rechtsvorschriften über den Datenschutz zur Umsetzung der Richtlinie 95/ 46/EG gibt es in den Mitgliedstaaten mehrere sektorspezifische Rechtsvorschriften in Bereichen, die spezifischere Bestimmungen erfordern. Diese Verordnung bietet den Mitgliedstaaten zudem einen Spielraum für die Spezifizierung ihrer Vorschriften, auch für die Verarbeitung besonderer Kategorien von personenbezogenen Daten (im Folgenden „sensible Daten“). Diesbezüglich schließt diese Verordnung nicht Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten aus, in denen die Umstände besonderer Verarbeitungssituationen festgelegt werden, einschließlich einer genaueren Bestimmung der Voraussetzungen, unter denen die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist. (11) Ein unionsweiter wirksamer Schutz personenbezogener Daten erfordert die Stärkung und präzise Festlegung der Rechte der betroffenen Personen sowie eine Verschärfung der Verpflichtungen für diejenigen, die personenbezogene Daten verarbeiten und darüber entscheiden, ebenso wie — in den Mitgliedstaaten — gleiche Befugnisse bei der Überwachung und Gewährleistung der Einhaltung der Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten sowie gleiche Sanktionen im Falle ihrer Verletzung. (12) Artikel 16 Absatz 2 AEUV ermächtigt das Europäische Parlament und den Rat, Vorschriften über den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Verkehr solcher Daten zu erlassen. (13) Damit in der Union ein gleichmäßiges Datenschutzniveau für natürliche Personen gewährleistet ist und Unterschiede, die den freien Verkehr personenbezogener Daten im Binnenmarkt behindern könnten, beseitigt werden, ist eine Verordnung erforderlich, die für die Wirtschaftsteilnehmer einschließlich Kleinstunternehmen sowie kleiner und mittlerer Unternehmen Rechtssicherheit und Transparenz schafft, natürliche Personen in allen Mitgliedstaaten mit demselben Niveau an durchsetzbaren Rechten ausstattet, dieselben Pflichten und Zuständigkeiten für die Verantwortlichen und Auftragsverarbeiter vorsieht und eine gleichmäßige Kontrolle der Verarbeitung personenbezogener Daten und gleichwertige Sanktionen in allen Mitgliedstaaten sowie eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten gewährleistet. Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erfordert, dass der freie Verkehr personenbezogener Daten in der Union nicht aus Gründen des Schutzes natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten eingeschränkt oder verboten wird. Um der besonderen Situation der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen Rechnung zu tragen, enthält diese Verordnung eine abweichende Regelung hinsichtlich des Führens eines Verzeichnisses für Einrichtungen, die weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen. Außerdem werden die Organe und Einrichtungen der Union sowie die Mitgliedstaaten und deren Aufsichtsbehörden dazu angehalten, bei der Anwendung dieser

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Verordnung die besonderen Bedürfnisse von Kleinstunternehmen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen zu berücksichtigen. Für die Definition des Begriffs „Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen“ sollte Artikel 2 des Anhangs zur Empfehlung 2003/361/EG der Kommission5 maßgebend sein. Der durch diese Verordnung gewährte Schutz sollte für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten natürlicher Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Aufenthaltsorts gelten. Diese Verordnung gilt nicht für die Verarbeitung personenbezogener Daten juristischer Personen und insbesondere als juristische Person gegründeter Unternehmen, einschließlich Name, Rechtsform oder Kontaktdaten der juristischen Person. Um ein ernsthaftes Risiko einer Umgehung der Vorschriften zu vermeiden, sollte der Schutz natürlicher Personen technologieneutral sein und nicht von den verwendeten Techniken abhängen. Der Schutz natürlicher Personen sollte für die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten ebenso gelten wie für die manuelle Verarbeitung von personenbezogenen Daten, wenn die personenbezogenen Daten in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Akten oder Aktensammlungen sowie ihre Deckblätter, die nicht nach bestimmten Kriterien geordnet sind, sollten nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen. Diese Verordnung gilt nicht für Fragen des Schutzes von Grundrechten und Grundfreiheiten und des freien Verkehrs personenbezogener Daten im Zusammenhang mit Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, wie etwa die nationale Sicherheit betreffende Tätigkeiten. Diese Verordnung gilt nicht für die von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Union durchgeführte Verarbeitung personenbezogener Daten. Die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates6 gilt für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union. Die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und sonstige Rechtsakte der Union, die diese Verarbeitung personenbezogener Daten regeln, sollten an die Grundsätze und Vorschriften der vorliegenden Verordnung angepasst und im Lichte der vorliegenden Verordnung angewandt werden. Um einen soliden und kohärenten Rechtsrahmen im Bereich des Datenschutzes in der Union zu gewährleisten, sollten die erforderlichen Anpassungen der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 im Anschluss an den Erlass der vorliegenden Verordnung vorgenommen werden, damit sie gleichzeitig mit der vorliegenden Verordnung angewandt werden können. Die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates (6) gilt für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union. Die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und sonstige Rechtsakte der Union, die diese Verarbeitung personenbezogener Daten regeln, sollten an die Grundsätze und Vorschriften der vorliegenden Verordnung angepasst und im Lichte der vorliegenden Verordnung angewandt werden. Um einen soliden und kohärenten Rechtsrahmen im Bereich des Datenschutzes in der Union zu gewährleisten, sollten die erforderlichen Anpassungen der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 im Anschluss an den Erlass der vorliegenden Verordnung vorgenommen werden, damit sie gleichzeitig mit der vorliegenden Verordnung angewandt werden können.

5 ABl. L 124 vom 20. 5. 2003, S. 36. 6 ABl. L 8 vom 12. 1. 2001, S. 1.

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(19) Der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, sowie der freie Verkehr dieser Daten sind in einem eigenen Unionsrechtsakt geregelt. Deshalb sollte diese Verordnung auf Verarbeitungstätigkeiten dieser Art keine Anwendung finden. Personenbezogene Daten, die von Behörden nach dieser Verordnung verarbeitet werden, sollten jedoch, wenn sie zu den vorstehenden Zwecken verwendet werden, einem spezifischeren Unionsrechtsakt, nämlich der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates7 unterliegen. Die Mitgliedstaaten können die zuständigen Behörden im Sinne der Richtlinie (EU) 2016/680 mit Aufgaben betrauen, die nicht zwangsläufig für die Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, ausgeführt werden, so dass die Verarbeitung von personenbezogenen Daten für diese anderen Zwecke insoweit in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, als sie in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. In Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch diese Behörden für Zwecke, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, sollten die Mitgliedstaaten spezifischere Bestimmungen beibehalten oder einführen können, um die Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung anzupassen. In den betreffenden Bestimmungen können die Auflagen für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch diese zuständigen Behörden für jene anderen Zwecke präziser festgelegt werden, wobei der verfassungsmäßigen, organisatorischen und administrativen Struktur des betreffenden Mitgliedstaats Rechnung zu tragen ist. Soweit diese Verordnung für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch private Stellen gilt, sollte sie vorsehen, dass die Mitgliedstaaten einige Pflichten und Rechte unter bestimmten Voraussetzungen mittels Rechtsvorschriften beschränken können, wenn diese Beschränkung in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz bestimmter wichtiger Interessen darstellt, wozu auch die öffentliche Sicherheit und die Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten oder die Strafvollstreckung zählen, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit. Dies ist beispielsweise im Rahmen der Bekämpfung der Geldwäsche oder der Arbeit kriminaltechnischer Labors von Bedeutung. (20) Diese Verordnung gilt zwar unter anderem für die Tätigkeiten der Gerichte und anderer Justizbehörden, doch könnte im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten festgelegt werden, wie die Verarbeitungsvorgänge und Verarbeitungsverfahren bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch Gerichte und andere Justizbehörden im Einzelnen auszusehen haben. Damit die Unabhängigkeit der Justiz bei der Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben einschließlich ihrer Beschlussfassung unangetastet bleibt, sollten die Aufsichtsbehörden nicht für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit zuständig sein. Mit der Aufsicht über diese Datenverar-

7 Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2000/383/JI des Rates (siehe Seite 89 dieses Amtsblatts).

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beitungsvorgänge sollten besondere Stellen im Justizsystem des Mitgliedstaats betraut werden können, die insbesondere die Einhaltung der Vorschriften dieser Verordnung sicherstellen, Richter und Staatsanwälte besser für ihre Pflichten aus dieser Verordnung sensibilisieren und Beschwerden in Bezug auf derartige Datenverarbeitungsvorgänge bearbeiten sollten. Die vorliegende Verordnung berührt nicht die Anwendung der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates8 und insbesondere die der Vorschriften der Artikel 12 bis 15 jener Richtlinie zur Verantwortlichkeit von Anbietern reiner Vermittlungsdienste. Die genannte Richtlinie soll dazu beitragen, dass der Binnenmarkt einwandfrei funktioniert, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt. Jede Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung eines Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters in der Union sollte gemäß dieser Verordnung erfolgen, gleich, ob die Verarbeitung in oder außerhalb der Union stattfindet. Eine Niederlassung setzt die effektive und tatsächliche Ausübung einer Tätigkeit durch eine feste Einrichtung voraus. Die Rechtsform einer solchen Einrichtung, gleich, ob es sich um eine Zweigstelle oder eine Tochtergesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit handelt, ist dabei nicht ausschlaggebend. Damit einer natürlichen Person der gemäß dieser Verordnung gewährleistete Schutz nicht vorenthalten wird, sollte die Verarbeitung personenbezogener Daten von betroffenen Personen, die sich in der Union befinden, durch einen nicht in der Union niedergelassenen Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter dieser Verordnung unterliegen, wenn die Verarbeitung dazu dient, diesen betroffenen Personen gegen Entgelt oder unentgeltlich Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Um festzustellen, ob dieser Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter betroffenen Personen, die sich in der Union befinden, Waren oder Dienstleistungen anbietet, sollte festgestellt werden, ob der Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter offensichtlich beabsichtigt, betroffenen Personen in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Union Dienstleistungen anzubieten. Während die bloße Zugänglichkeit der Website des Verantwortlichen, des Auftragsverarbeiters oder eines Vermittlers in der Union, einer E-Mail-Adresse oder anderer Kontaktdaten oder die Verwendung einer Sprache, die in dem Drittland, in dem der Verantwortliche niedergelassen ist, allgemein gebräuchlich ist, hierfür kein ausreichender Anhaltspunkt ist, können andere Faktoren wie die Verwendung einer Sprache oder Währung, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten gebräuchlich ist, in Verbindung mit der Möglichkeit, Waren und Dienstleistungen in dieser anderen Sprache zu bestellen, oder die Erwähnung von Kunden oder Nutzern, die sich in der Union befinden, darauf hindeuten, dass der Verantwortliche beabsichtigt, den Personen in der Union Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Die Verarbeitung personenbezogener Daten von betroffenen Personen, die sich in der Union befinden, durch einen nicht in der Union niedergelassenen Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter sollte auch dann dieser Verordnung unterliegen, wenn sie dazu dient, das Verhalten dieser betroffenen Personen zu beobachten, soweit ihr Verhalten in der Union erfolgt. Ob eine Verarbeitungstätigkeit der Beobachtung des Verhaltens von betroffenen Personen gilt, sollte daran festgemacht werden, ob ihre Internetaktivitäten nachvollzogen werden, einschließlich der möglichen nachfolgenden Verwendung von Techni-

8 [ABl. L 178 vom 17. 7. 2000, S. 1.]

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ken zur Verarbeitung personenbezogener Daten, durch die von einer natürlichen Person ein Profil erstellt wird, das insbesondere die Grundlage für sie betreffende Entscheidungen bildet oder anhand dessen ihre persönlichen Vorlieben, Verhaltensweisen oder Gepflogenheiten analysiert oder vorausgesagt werden sollen. Ist nach Völkerrecht das Recht eines Mitgliedstaats anwendbar, z. B. in einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung eines Mitgliedstaats, so sollte die Verordnung auch auf einen nicht in der Union niedergelassenen Verantwortlichen Anwendung finden. Die Grundsätze des Datenschutzes sollten für alle Informationen gelten, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Einer Pseudonymisierung unterzogene personenbezogene Daten, die durch Heranziehung zusätzlicher Informationen einer natürlichen Person zugeordnet werden könnten, sollten als Informationen über eine identifizierbare natürliche Person betrachtet werden. Um festzustellen, ob eine natürliche Person identifizierbar ist, sollten alle Mittel berücksichtigt werden, die von dem Verantwortlichen oder einer anderen Person nach allgemeinem Ermessen wahrscheinlich genutzt werden, um die natürliche Person direkt oder indirekt zu identifizieren, wie beispielsweise das Aussondern. Bei der Feststellung, ob Mittel nach allgemeinem Ermessen wahrscheinlich zur Identifizierung der natürlichen Person genutzt werden, sollten alle objektiven Faktoren, wie die Kosten der Identifizierung und der dafür erforderliche Zeitaufwand, herangezogen werden, wobei die zum Zeitpunkt der Verarbeitung verfügbare Technologie und technologische Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Die Grundsätze des Datenschutzes sollten daher nicht für anonyme Informationen gelten, d. h. für Informationen, die sich nicht auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen, oder personenbezogene Daten, die in einer Weise anonymisiert worden sind, dass die betroffene Person nicht oder nicht mehr identifiziert werden kann. Diese Verordnung betrifft somit nicht die Verarbeitung solcher anonymer Daten, auch für statistische oder für Forschungszwecke. Diese Verordnung gilt nicht für die personenbezogenen Daten Verstorbener. Die Mitgliedstaaten können Vorschriften für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten Verstorbener vorsehen. Die Anwendung der Pseudonymisierung auf personenbezogene Daten kann die Risiken für die betroffenen Personen senken und die Verantwortlichen und die Auftragsverarbeiter bei der Einhaltung ihrer Datenschutzpflichten unterstützen. Durch die ausdrückliche Einführung der „Pseudonymisierung“ in dieser Verordnung ist nicht beabsichtigt, andere Datenschutzmaßnahmen auszuschließen. Um Anreize für die Anwendung der Pseudonymisierung bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu schaffen, sollten Pseudonymisierungsmaßnahmen, die jedoch eine allgemeine Analyse zulassen, bei demselben Verantwortlichen möglich sein, wenn dieser die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen getroffen hat, um — für die jeweilige Verarbeitung — die Umsetzung dieser Verordnung zu gewährleisten, wobei sicherzustellen ist, dass zusätzliche Informationen, mit denen die personenbezogenen Daten einer speziellen betroffenen Person zugeordnet werden können, gesondert aufbewahrt werden. Der für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten Verantwortliche, sollte die befugten Personen bei diesem Verantwortlichen angeben. Natürlichen Personen werden unter Umständen Online-Kennungen wie IP-Adressen und Cookie-Kennungen, die sein Gerät oder Software-Anwendungen und -Tools oder Protokolle liefern, oder sonstige Kennungen wie Funkfrequenzkennzeichnungen zugeordnet. Dies kann Spuren hinterlassen, die insbesondere in Kombination mit eindeutigen Kennungen

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und anderen beim Server eingehenden Informationen dazu benutzt werden können, um Profile der natürlichen Personen zu erstellen und sie zu identifizieren. Behörden, gegenüber denen personenbezogene Daten aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung für die Ausübung ihres offiziellen Auftrags offengelegt werden, wie Steuerund Zollbehörden, Finanzermittlungsstellen, unabhängige Verwaltungsbehörden oder Finanzmarktbehörden, die für die Regulierung und Aufsicht von Wertpapiermärkten zuständig sind, sollten nicht als Empfänger gelten, wenn sie personenbezogene Daten erhalten, die für die Durchführung — gemäß dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten — eines einzelnen Untersuchungsauftrags im Interesse der Allgemeinheit erforderlich sind. Anträge auf Offenlegung, die von Behörden ausgehen, sollten immer schriftlich erfolgen, mit Gründen versehen sein und gelegentlichen Charakter haben, und sie sollten nicht vollständige Dateisysteme betreffen oder zur Verknüpfung von Dateisystemen führen. Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die genannten Behörden sollte den für die Zwecke der Verarbeitung geltenden Datenschutzvorschriften entsprechen. Die Einwilligung sollte durch eine eindeutige bestätigende Handlung erfolgen, mit der freiwillig, für den konkreten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich bekundet wird, dass die betroffene Person mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist, etwa in Form einer schriftlichen Erklärung, die auch elektronisch erfolgen kann, oder einer mündlichen Erklärung. Dies könnte etwa durch Anklicken eines Kästchens beim Besuch einer Internetseite, durch die Auswahl technischer Einstellungen für Dienste der Informationsgesellschaft oder durch eine andere Erklärung oder Verhaltensweise geschehen, mit der die betroffene Person in dem jeweiligen Kontext eindeutig ihr Einverständnis mit der beabsichtigten Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten signalisiert. Stillschweigen, bereits angekreuzte Kästchen oder Untätigkeit der betroffenen Person sollten daher keine Einwilligung darstellen. Die Einwilligung sollte sich auf alle zu demselben Zweck oder denselben Zwecken vorgenommenen Verarbeitungsvorgänge beziehen. Wenn die Verarbeitung mehreren Zwecken dient, sollte für alle diese Verarbeitungszwecke eine Einwilligung gegeben werden. Wird die betroffene Person auf elektronischem Weg zur Einwilligung aufgefordert, so muss die Aufforderung in klarer und knapper Form und ohne unnötige Unterbrechung des Dienstes, für den die Einwilligung gegeben wird, erfolgen. Oftmals kann der Zweck der Verarbeitung personenbezogener Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten nicht vollständig angegeben werden. Daher sollte es betroffenen Personen erlaubt sein, ihre Einwilligung für bestimmte Bereiche wissenschaftlicher Forschung zu geben, wenn dies unter Einhaltung der anerkannten ethischen Standards der wissenschaftlichen Forschung geschieht. Die betroffenen Personen sollten Gelegenheit erhalten, ihre Einwilligung nur für bestimme Forschungsbereiche oder Teile von Forschungsprojekten in dem vom verfolgten Zweck zugelassenen Maße zu erteilen. Genetische Daten sollten als personenbezogene Daten über die ererbten oder erworbenen genetischen Eigenschaften einer natürlichen Person definiert werden, die aus der Analyse einer biologischen Probe der betreffenden natürlichen Person, insbesondere durch eine Chromosomen, Desoxyribonukleinsäure (DNS)- oder Ribonukleinsäure (RNS)-Analyse oder der Analyse eines anderen Elements, durch die gleichwertige Informationen erlangt werden können, gewonnen werden. Zu den personenbezogenen Gesundheitsdaten sollten alle Daten zählen, die sich auf den Gesundheitszustand einer betroffenen Person beziehen und aus denen Informationen

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über den früheren, gegenwärtigen und künftigen körperlichen oder geistigen Gesundheitszustand der betroffenen Person hervorgehen. Dazu gehören auch Informationen über die natürliche Person, die im Zuge der Anmeldung für sowie der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen im Sinne der Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates9 für die natürliche Person erhoben werden, Nummern, Symbole oder Kennzeichen, die einer natürlichen Person zugeteilt wurden, um diese natürliche Person für gesundheitliche Zwecke eindeutig zu identifizieren, Informationen, die von der Prüfung oder Untersuchung eines Körperteils oder einer körpereigenen Substanz, auch aus genetischen Daten und biologischen Proben, abgeleitet wurden, und Informationen etwa über Krankheiten, Behinderungen, Krankheitsrisiken, Vorerkrankungen, klinische Behandlungen oder den physiologischen oder biomedizinischen Zustand der betroffenen Person unabhängig von der Herkunft der Daten, ob sie nun von einem Arzt oder sonstigem Angehörigen eines Gesundheitsberufes, einem Krankenhaus, einem Medizinprodukt oder einem In-Vitro-Diagnostikum stammen. (36) Die Hauptniederlassung des Verantwortlichen in der Union sollte der Ort seiner Hauptverwaltung in der Union sein, es sei denn, dass Entscheidungen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten in einer anderen Niederlassung des Verantwortlichen in der Union getroffen werden; in diesem Fall sollte die letztgenannte als Hauptniederlassung gelten. Zur Bestimmung der Hauptniederlassung eines Verantwortlichen in der Union sollten objektive Kriterien herangezogen werden; ein Kriterium sollte dabei die effektive und tatsächliche Ausübung von Managementtätigkeiten durch eine feste Einrichtung sein, in deren Rahmen die Grundsatzentscheidungen zur Festlegung der Zwecke und Mittel der Verarbeitung getroffen werden. Dabei sollte nicht ausschlaggebend sein, ob die Verarbeitung der personenbezogenen Daten tatsächlich an diesem Ort ausgeführt wird. Das Vorhandensein und die Verwendung technischer Mittel und Verfahren zur Verarbeitung personenbezogener Daten oder Verarbeitungstätigkeiten begründen an sich noch keine Hauptniederlassung und sind daher kein ausschlaggebender Faktor für das Bestehen einer Hauptniederlassung. Die Hauptniederlassung des Auftragsverarbeiters sollte der Ort sein, an dem der Auftragsverarbeiter seine Hauptverwaltung in der Union hat, oder — wenn er keine Hauptverwaltung in der Union hat — der Ort, an dem die wesentlichen Verarbeitungstätigkeiten in der Union stattfinden. Sind sowohl der Verantwortliche als auch der Auftragsverarbeiter betroffen, so sollte die Aufsichtsbehörde des Mitgliedstaats, in dem der Verantwortliche seine Hauptniederlassung hat, die zuständige federführende Aufsichtsbehörde bleiben, doch sollte die Aufsichtsbehörde des Auftragsverarbeiters als betroffene Aufsichtsbehörde betrachtet werden und diese Aufsichtsbehörde sollte sich an dem in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren der Zusammenarbeit beteiligen. Auf jeden Fall sollten die Aufsichtsbehörden des Mitgliedstaats oder der Mitgliedstaaten, in dem bzw. denen der Auftragsverarbeiter eine oder mehrere Niederlassungen hat, nicht als betroffene Aufsichtsbehörden betrachtet werden, wenn sich der Beschlussentwurf nur auf den Verantwortlichen bezieht. Wird die Verarbeitung durch eine Unternehmensgruppe vorgenommen, so sollte die Hauptniederlassung des herrschenden Unternehmens als Hauptniederlassung der Unternehmensgruppe gelten, es sei denn, die Zwecke und Mittel der Verarbeitung werden von einem anderen Unternehmen festgelegt. (37) Eine Unternehmensgruppe sollte aus einem herrschenden Unternehmen und den von diesem abhängigen Unternehmen bestehen, wobei das herrschende Unternehmen dasjenige

9 ABl. L 88 vom 4. 4. 2011, S. 45.

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sein sollte, das zum Beispiel aufgrund der Eigentumsverhältnisse, der finanziellen Beteiligung oder der für das Unternehmen geltenden Vorschriften oder der Befugnis, Datenschutzvorschriften umsetzen zu lassen, einen beherrschenden Einfluss auf die übrigen Unternehmen ausüben kann. Ein Unternehmen, das die Verarbeitung personenbezogener Daten in ihm angeschlossenen Unternehmen kontrolliert, sollte zusammen mit diesen als eine „Unternehmensgruppe“ betrachtet werden. (38) Kinder verdienen bei ihren personenbezogenen Daten besonderen Schutz, da Kinder sich der betreffenden Risiken, Folgen und Garantien und ihrer Rechte bei der Verarbeitung personenbezogener Daten möglicherweise weniger bewusst sind. Ein solcher besonderer Schutz sollte insbesondere die Verwendung personenbezogener Daten von Kindern für Werbezwecke oder für die Erstellung von Persönlichkeits- oder Nutzerprofilen und die Erhebung von personenbezogenen Daten von Kindern bei der Nutzung von Diensten, die Kindern direkt angeboten werden, betreffen. Die Einwilligung des Trägers der elterlichen Verantwortung sollte im Zusammenhang mit Präventions- oder Beratungsdiensten, die unmittelbar einem Kind angeboten werden, nicht erforderlich sein. (39) Jede Verarbeitung personenbezogener Daten sollte rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgen. Für natürliche Personen sollte Transparenz dahingehend bestehen, dass sie betreffende personenbezogene Daten erhoben, verwendet, eingesehen oder anderweitig verarbeitet werden und in welchem Umfang die personenbezogenen Daten verarbeitet werden und künftig noch verarbeitet werden. Der Grundsatz der Transparenz setzt voraus, dass alle Informationen und Mitteilungen zur Verarbeitung dieser personenbezogenen Daten leicht zugänglich und verständlich und in klarer und einfacher Sprache abgefasst sind. Dieser Grundsatz betrifft insbesondere die Informationen über die Identität des Verantwortlichen und die Zwecke der Verarbeitung und sonstige Informationen, die eine faire und transparente Verarbeitung im Hinblick auf die betroffenen natürlichen Personen gewährleisten, sowie deren Recht, eine Bestätigung und Auskunft darüber zu erhalten, welche sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. Natürliche Personen sollten über die Risiken, Vorschriften, Garantien und Rechte im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten informiert und darüber aufgeklärt werden, wie sie ihre diesbezüglichen Rechte geltend machen können. Insbesondere sollten die bestimmten Zwecke, zu denen die personenbezogenen Daten verarbeitet werden, eindeutig und rechtmäßig sein und zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten feststehen. Die personenbezogenen Daten sollten für die Zwecke, zu denen sie verarbeitet werden, angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke ihrer Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein. Dies erfordert insbesondere, dass die Speicherfrist für personenbezogene Daten auf das unbedingt erforderliche Mindestmaß beschränkt bleibt. Personenbezogene Daten sollten nur verarbeitet werden dürfen, wenn der Zweck der Verarbeitung nicht in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann. Um sicherzustellen, dass die personenbezogenen Daten nicht länger als nötig gespeichert werden, sollte der Verantwortliche Fristen für ihre Löschung oder regelmäßige Überprüfung vorsehen. Es sollten alle vertretbaren Schritte unternommen werden, damit unrichtige personenbezogene Daten gelöscht oder berichtigt werden. Personenbezogene Daten sollten so verarbeitet werden, dass ihre Sicherheit und Vertraulichkeit hinreichend gewährleistet ist, wozu auch gehört, dass Unbefugte keinen Zugang zu den Daten haben und weder die Daten noch die Geräte, mit denen diese verarbeitet werden, benutzen können. (40) Damit die Verarbeitung rechtmäßig ist, müssen personenbezogene Daten mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen zulässigen Rechtsgrundlage verarbeitet werden, die sich aus dieser Verordnung oder — wann immer in dieser Verordnung darauf

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Bezug genommen wird — aus dem sonstigen Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten ergibt, so unter anderem auf der Grundlage, dass sie zur Erfüllung der rechtlichen Verpflichtung, der der Verantwortliche unterliegt, oder zur Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder für die Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen, erforderlich ist. Wenn in dieser Verordnung auf eine Rechtsgrundlage oder eine Gesetzgebungsmaßnahme Bezug genommen wird, erfordert dies nicht notwendigerweise einen von einem Parlament angenommenen Gesetzgebungsakt; davon unberührt bleiben Anforderungen gemäß der Verfassungsordnung des betreffenden Mitgliedstaats. Die entsprechende Rechtsgrundlage oder Gesetzgebungsmaßnahme sollte jedoch klar und präzise sein und ihre Anwendung sollte für die Rechtsunterworfenen gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden „Gerichtshof“) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorhersehbar sein. Erfolgt die Verarbeitung mit Einwilligung der betroffenen Person, sollte der Verantwortliche nachweisen können, dass die betroffene Person ihre Einwilligung zu dem Verarbeitungsvorgang gegeben hat. Insbesondere bei Abgabe einer schriftlichen Erklärung in anderer Sache sollten Garantien sicherstellen, dass die betroffene Person weiß, dass und in welchem Umfang sie ihre Einwilligung erteilt. Gemäß der Richtlinie 93/13/EWG des Rates10 sollte eine vom Verantwortlichen vorformulierte Einwilligungserklärung in verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zur Verfügung gestellt werden, und sie sollte keine missbräuchlichen Klauseln beinhalten. Damit sie in Kenntnis der Sachlage ihre Einwilligung geben kann, sollte die betroffene Person mindestens wissen, wer der Verantwortliche ist und für welche Zwecke ihre personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen. Es sollte nur dann davon ausgegangen werden, dass sie ihre Einwilligung freiwillig gegeben hat, wenn sie eine echte oder freie Wahl hat und somit in der Lage ist, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne Nachteile zu erleiden. Um sicherzustellen, dass die Einwilligung freiwillig erfolgt ist, sollte diese in besonderen Fällen, wenn zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen ein klares Ungleichgewicht besteht, insbesondere wenn es sich bei dem Verantwortlichen um eine Behörde handelt, und es deshalb in Anbetracht aller Umstände in dem speziellen Fall unwahrscheinlich ist, dass die Einwilligung freiwillig gegeben wurde, keine gültige Rechtsgrundlage liefern. Die Einwilligung gilt nicht als freiwillig erteilt, wenn zu verschiedenen Verarbeitungsvorgängen von personenbezogenen Daten nicht gesondert eine Einwilligung erteilt werden kann, obwohl dies im Einzelfall angebracht ist, oder wenn die Erfüllung eines Vertrags, einschließlich der Erbringung einer Dienstleistung, von der Einwilligung abhängig ist, obwohl diese Einwilligung für die Erfüllung nicht erforderlich ist. Die Verarbeitung von Daten sollte als rechtmäßig gelten, wenn sie für die Erfüllung oder den geplanten Abschluss eines Vertrags erforderlich ist. Erfolgt die Verarbeitung durch den Verantwortlichen aufgrund einer ihm obliegenden rechtlichen Verpflichtung oder ist die Verarbeitung zur Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erforderlich, muss hierfür eine Grundlage im Unionsrecht oder im Recht eines Mitgliedstaats bestehen. Mit dieser Verordnung wird nicht für jede einzelne Verarbeitung ein spezifisches Gesetz verlangt.

10 ABl. L 95 vom 21. 4. 1993, S. 29.

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Ein Gesetz als Grundlage für mehrere Verarbeitungsvorgänge kann ausreichend sein, wenn die Verarbeitung aufgrund einer dem Verantwortlichen obliegenden rechtlichen Verpflichtung erfolgt oder wenn die Verarbeitung zur Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erforderlich ist. Desgleichen sollte im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten geregelt werden, für welche Zwecke die Daten verarbeitet werden dürfen. Ferner könnten in diesem Recht die allgemeinen Bedingungen dieser Verordnung zur Regelung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten präzisiert und es könnte darin festgelegt werden, wie der Verantwortliche zu bestimmen ist, welche Art von personenbezogenen Daten verarbeitet werden, welche Personen betroffen sind, welchen Einrichtungen die personenbezogenen Daten offengelegt, für welche Zwecke und wie lange sie gespeichert werden dürfen und welche anderen Maßnahmen ergriffen werden, um zu gewährleisten, dass die Verarbeitung rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgt. Desgleichen sollte im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten geregelt werden, ob es sich bei dem Verantwortlichen, der eine Aufgabe wahrnimmt, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, um eine Behörde oder um eine andere unter das öffentliche Recht fallende natürliche oder juristische Person oder, sofern dies durch das öffentliche Interesse einschließlich gesundheitlicher Zwecke, wie die öffentliche Gesundheit oder die soziale Sicherheit oder die Verwaltung von Leistungen der Gesundheitsfürsorge, gerechtfertigt ist, eine natürliche oder juristische Person des Privatrechts, wie beispielsweise eine Berufsvereinigung, handeln sollte. (46) Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte ebenfalls als rechtmäßig angesehen werden, wenn sie erforderlich ist, um ein lebenswichtiges Interesse der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen. Personenbezogene Daten sollten grundsätzlich nur dann aufgrund eines lebenswichtigen Interesses einer anderen natürlichen Person verarbeitet werden, wenn die Verarbeitung offensichtlich nicht auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt werden kann. Einige Arten der Verarbeitung können sowohl wichtigen Gründen des öffentlichen Interesses als auch lebenswichtigen Interessen der betroffenen Person dienen; so kann beispielsweise die Verarbeitung für humanitäre Zwecke einschließlich der Überwachung von Epidemien und deren Ausbreitung oder in humanitären Notfällen insbesondere bei Naturkatastrophen oder vom Menschen verursachten Katastrophen erforderlich sein. (47) Die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung kann durch die berechtigten Interessen eines Verantwortlichen, auch eines Verantwortlichen, dem die personenbezogenen Daten offengelegt werden dürfen, oder eines Dritten begründet sein, sofern die Interessen oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen; dabei sind die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Personen, die auf ihrer Beziehung zu dem Verantwortlichen beruhen, zu berücksichtigen. Ein berechtigtes Interesse könnte beispielsweise vorliegen, wenn eine maßgebliche und angemessene Beziehung zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen besteht, z. B. wenn die betroffene Person ein Kunde des Verantwortlichen ist oder in seinen Diensten steht. Auf jeden Fall wäre das Bestehen eines berechtigten Interesses besonders sorgfältig abzuwägen, wobei auch zu prüfen ist, ob eine betroffene Person zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten und angesichts der Umstände, unter denen sie erfolgt, vernünftigerweise absehen kann, dass möglicherweise eine Verarbeitung für diesen Zweck erfolgen wird. Insbesondere dann, wenn personenbezogene Daten in Situationen verarbeitet werden, in denen eine betroffene Person vernünftigerweise nicht mit einer weiteren Verarbeitung rechnen muss, könnten die Interessen und Grundrechte der betroffenen Person das Interesse des Verant-

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wortlichen überwiegen. Da es dem Gesetzgeber obliegt, per Rechtsvorschrift die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Behörden zu schaffen, sollte diese Rechtsgrundlage nicht für Verarbeitungen durch Behörden gelten, die diese in Erfüllung ihrer Aufgaben vornehmen. Die Verarbeitung personenbezogener Daten im für die Verhinderung von Betrug unbedingt erforderlichen Umfang stellt ebenfalls ein berechtigtes Interesse des jeweiligen Verantwortlichen dar. Die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke der Direktwerbung kann als eine einem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung betrachtet werden. (48) Verantwortliche, die Teil einer Unternehmensgruppe oder einer Gruppe von Einrichtungen sind, die einer zentralen Stelle zugeordnet sind können ein berechtigtes Interesse haben, personenbezogene Daten innerhalb der Unternehmensgruppe für interne Verwaltungszwecke, einschließlich der Verarbeitung personenbezogener Daten von Kunden und Beschäftigten, zu übermitteln. Die Grundprinzipien für die Übermittlung personenbezogener Daten innerhalb von Unternehmensgruppen an ein Unternehmen in einem Drittland bleiben unberührt. (49) Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Behörden, Computer-Notdienste (Computer Emergency Response Teams — CERT, beziehungsweise Computer Security Incident Response Teams — CSIRT), Betreiber von elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie durch Anbieter von Sicherheitstechnologien und -diensten stellt in dem Maße ein berechtigtes Interesse des jeweiligen Verantwortlichen dar, wie dies für die Gewährleistung der Netz- und Informationssicherheit unbedingt notwendig und verhältnismäßig ist, d. h. soweit dadurch die Fähigkeit eines Netzes oder Informationssystems gewährleistet wird, mit einem vorgegebenen Grad der Zuverlässigkeit Störungen oder widerrechtliche oder mutwillige Eingriffe abzuwehren, die die Verfügbarkeit, Authentizität, Vollständigkeit und Vertraulichkeit von gespeicherten oder übermittelten personenbezogenen Daten sowie die Sicherheit damit zusammenhängender Dienste, die über diese Netze oder Informationssysteme angeboten werden bzw. zugänglich sind, beeinträchtigen. Ein solches berechtigtes Interesse könnte beispielsweise darin bestehen, den Zugang Unbefugter zu elektronischen Kommunikationsnetzen und die Verbreitung schädlicher Programmcodes zu verhindern sowie Angriffe in Form der gezielten Überlastung von Servern („Denial of service“-Angriffe) und Schädigungen von Computer- und elektronischen Kommunikationssystemen abzuwehren. (50) Die Verarbeitung personenbezogener Daten für andere Zwecke als die, für die die personenbezogenen Daten ursprünglich erhoben wurden, sollte nur zulässig sein, wenn die Verarbeitung mit den Zwecken, für die die personenbezogenen Daten ursprünglich erhoben wurden, vereinbar ist. In diesem Fall ist keine andere gesonderte Rechtsgrundlage erforderlich als diejenige für die Erhebung der personenbezogenen Daten. Ist die Verarbeitung für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, so können im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten die Aufgaben und Zwecke bestimmt und konkretisiert werden, für die eine Weiterverarbeitung als vereinbar und rechtmäßig erachtet wird. Die Weiterverarbeitung für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke sollte als vereinbarer und rechtmäßiger Verarbeitungsvorgang gelten. Die im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehene Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten kann auch als Rechtsgrundlage für eine Weiterverarbeitung dienen. Um festzustellen, ob ein Zweck der Weiterverarbeitung mit dem Zweck, für den die personenbezogenen Daten ursprünglich erhoben wurden, vereinbar

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ist, sollte der Verantwortliche nach Einhaltung aller Anforderungen für die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Verarbeitung unter anderem prüfen, ob ein Zusammenhang zwischen den Zwecken, für die die personenbezogenen Daten erhoben wurden, und den Zwecken der beabsichtigten Weiterverarbeitung besteht, in welchem Kontext die Daten erhoben wurden, insbesondere die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Personen, die auf ihrer Beziehung zu dem Verantwortlichen beruhen, in Bezug auf die weitere Verwendung dieser Daten, um welche Art von personenbezogenen Daten es sich handelt, welche Folgen die beabsichtigte Weiterverarbeitung für die betroffenen Personen hat und ob sowohl beim ursprünglichen als auch beim beabsichtigten Weiterverarbeitungsvorgang geeignete Garantien bestehen. Hat die betroffene Person ihre Einwilligung erteilt oder beruht die Verarbeitung auf Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten, was in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz insbesondere wichtiger Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses darstellt, so sollte der Verantwortliche die personenbezogenen Daten ungeachtet der Vereinbarkeit der Zwecke weiterverarbeiten dürfen. In jedem Fall sollte gewährleistet sein, dass die in dieser Verordnung niedergelegten Grundsätze angewandt werden und insbesondere die betroffene Person über diese anderen Zwecke und über ihre Rechte einschließlich des Widerspruchsrechts unterrichtet wird. Der Hinweis des Verantwortlichen auf mögliche Straftaten oder Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit und die Übermittlung der maßgeblichen personenbezogenen Daten in Einzelfällen oder in mehreren Fällen, die im Zusammenhang mit derselben Straftat oder derselben Bedrohung der öffentlichen Sicherheit stehen, an eine zuständige Behörde sollten als berechtigtes Interesse des Verantwortlichen gelten. Eine derartige Übermittlung personenbezogener Daten im berechtigten Interesse des Verantwortlichen oder deren Weiterverarbeitung sollte jedoch unzulässig sein, wenn die Verarbeitung mit einer rechtlichen, beruflichen oder sonstigen verbindlichen Pflicht zur Geheimhaltung unvereinbar ist. (51) Personenbezogene Daten, die ihrem Wesen nach hinsichtlich der Grundrechte und Grundfreiheiten besonders sensibel sind, verdienen einen besonderen Schutz, da im Zusammenhang mit ihrer Verarbeitung erhebliche Risiken für die Grundrechte und Grundfreiheiten auftreten können. Diese personenbezogenen Daten sollten personenbezogene Daten umfassen, aus denen die rassische oder ethnische Herkunft hervorgeht, wobei die Verwendung des Begriffs „rassische Herkunft“ in dieser Verordnung nicht bedeutet, dass die Union Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, gutheißt. Die Verarbeitung von Lichtbildern sollte nicht grundsätzlich als Verarbeitung besonderer Kategorien von personenbezogenen Daten angesehen werden, da Lichtbilder nur dann von der Definition des Begriffs „biometrische Daten“ erfasst werden, wenn sie mit speziellen technischen Mitteln verarbeitet werden, die die eindeutige Identifizierung oder Authentifizierung einer natürlichen Person ermöglichen. Derartige personenbezogene Daten sollten nicht verarbeitet werden, es sei denn, die Verarbeitung ist in den in dieser Verordnung dargelegten besonderen Fällen zulässig, wobei zu berücksichtigen ist, dass im Recht der Mitgliedstaaten besondere Datenschutzbestimmungen festgelegt sein können, um die Anwendung der Bestimmungen dieser Verordnung anzupassen, damit die Einhaltung einer rechtlichen Verpflichtung oder die Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse oder die Ausübung öffentlicher Gewalt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, möglich ist. Zusätzlich zu den speziellen Anforderungen an eine derartige Verarbeitung sollten die allgemeinen Grundsätze und andere Bestimmungen dieser Verordnung, insbesondere hinsichtlich der Bedingungen für eine rechtmäßige Verarbeitung, gelten. Ausnahmen von dem allgemeinen Verbot der Verarbei-

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tung dieser besonderen Kategorien personenbezogener Daten sollten ausdrücklich vorgesehen werden, unter anderem bei ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Person oder bei bestimmten Notwendigkeiten, insbesondere wenn die Verarbeitung im Rahmen rechtmäßiger Tätigkeiten bestimmter Vereinigungen oder Stiftungen vorgenommen wird, die sich für die Ausübung von Grundfreiheiten einsetzen. (52) Ausnahmen vom Verbot der Verarbeitung besonderer Kategorien von personenbezogenen Daten sollten auch erlaubt sein, wenn sie im Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen sind, und — vorbehaltlich angemessener Garantien zum Schutz der personenbezogenen Daten und anderer Grundrechte — wenn dies durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt ist, insbesondere für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und des Rechts der sozialen Sicherheit einschließlich Renten und zwecks Sicherstellung und Überwachung der Gesundheit und Gesundheitswarnungen, Prävention oder Kontrolle ansteckender Krankheiten und anderer schwerwiegender Gesundheitsgefahren. Eine solche Ausnahme kann zu gesundheitlichen Zwecken gemacht werden, wie der Gewährleistung der öffentlichen Gesundheit und der Verwaltung von Leistungen der Gesundheitsversorgung, insbesondere wenn dadurch die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Verfahren zur Abrechnung von Leistungen in den sozialen Krankenversicherungssystemen sichergestellt werden soll, oder wenn die Verarbeitung im öffentlichen Interesse liegenden Archivzwecken, wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder statistischen Zwecken dient. Die Verarbeitung solcher personenbezogener Daten sollte zudem ausnahmsweise erlaubt sein, wenn sie erforderlich ist, um rechtliche Ansprüche, sei es in einem Gerichtsverfahren oder in einem Verwaltungsverfahren oder einem außergerichtlichen Verfahren, geltend zu machen, auszuüben oder zu verteidigen. (53) Besondere Kategorien personenbezogener Daten, die eines höheren Schutzes verdienen, sollten nur dann für gesundheitsbezogene Zwecke verarbeitet werden, wenn dies für das Erreichen dieser Zwecke im Interesse einzelner natürlicher Personen und der Gesellschaft insgesamt erforderlich ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Verwaltung der Dienste und Systeme des Gesundheits- oder Sozialbereichs, einschließlich der Verarbeitung dieser Daten durch die Verwaltung und die zentralen nationalen Gesundheitsbehörden zwecks Qualitätskontrolle, Verwaltungsinformationen und der allgemeinen nationalen und lokalen Überwachung des Gesundheitssystems oder des Sozialsystems und zwecks Gewährleistung der Kontinuität der Gesundheits- und Sozialfürsorge und der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung oder Sicherstellung und Überwachung der Gesundheit und Gesundheitswarnungen oder für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder statistischen Zwecken, die auf Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten beruhen, die einem im öffentlichen Interesse liegenden Ziel dienen müssen, sowie für Studien, die im öffentlichen Interesse im Bereich der öffentlichen Gesundheit durchgeführt werden. Diese Verordnung sollte daher harmonisierte Bedingungen für die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Gesundheitsdaten im Hinblick auf bestimmte Erfordernisse harmonisieren, insbesondere wenn die Verarbeitung dieser Daten für gesundheitsbezogene Zwecke von Personen durchgeführt wird, die gemäß einer rechtlichen Verpflichtung dem Berufsgeheimnis unterliegen. Im Recht der Union oder der Mitgliedstaaten sollten besondere und angemessene Maßnahmen zum Schutz der Grundrechte und der personenbezogenen Daten natürlicher Personen vorgesehen werden. Den Mitgliedstaaten sollte gestattet werden, weitere Bedingungen — einschließlich Beschränkungen — in Bezug auf die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten oder

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Gesundheitsdaten beizubehalten oder einzuführen. Dies sollte jedoch den freien Verkehr personenbezogener Daten innerhalb der Union nicht beeinträchtigen, falls die betreffenden Bedingungen für die grenzüberschreitende Verarbeitung solcher Daten gelten. Aus Gründen des öffentlichen Interesses in Bereichen der öffentlichen Gesundheit kann es notwendig sein, besondere Kategorien personenbezogener Daten auch ohne Einwilligung der betroffenen Person zu verarbeiten. Diese Verarbeitung sollte angemessenen und besonderen Maßnahmen zum Schutz der Rechte und Freiheiten natürlicher Personen unterliegen. In diesem Zusammenhang sollte der Begriff „öffentliche Gesundheit“ im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1338/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates11 ausgelegt werden und alle Elemente im Zusammenhang mit der Gesundheit wie den Gesundheitszustand einschließlich Morbidität und Behinderung, die sich auf diesen Gesundheitszustand auswirkenden Determinanten, den Bedarf an Gesundheitsversorgung, die der Gesundheitsversorgung zugewiesenen Mittel, die Bereitstellung von Gesundheitsversorgungsleistungen und den allgemeinen Zugang zu diesen Leistungen sowie die entsprechenden Ausgaben und die Finanzierung und schließlich die Ursachen der Mortalität einschließen. Eine solche Verarbeitung von Gesundheitsdaten aus Gründen des öffentlichen Interesses darf nicht dazu führen, dass Dritte, unter anderem Arbeitgeber oder Versicherungs- und Finanzunternehmen, solche personenbezogene Daten zu anderen Zwecken verarbeiten. Auch die Verarbeitung personenbezogener Daten durch staatliche Stellen zu verfassungsrechtlich oder völkerrechtlich verankerten Zielen von staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften erfolgt aus Gründen des öffentlichen Interesses. Wenn es in einem Mitgliedstaat das Funktionieren des demokratischen Systems erfordert, dass die politischen Parteien im Zusammenhang mit Wahlen personenbezogene Daten über die politische Einstellung von Personen sammeln, kann die Verarbeitung derartiger Daten aus Gründen des öffentlichen Interesses zugelassen werden, sofern geeignete Garantien vorgesehen werden. Kann der Verantwortliche anhand der von ihm verarbeiteten personenbezogenen Daten eine natürliche Person nicht identifizieren, so sollte er nicht verpflichtet sein, zur bloßen Einhaltung einer Vorschrift dieser Verordnung zusätzliche Daten einzuholen, um die betroffene Person zu identifizieren. Allerdings sollte er sich nicht weigern, zusätzliche Informationen entgegenzunehmen, die von der betroffenen Person beigebracht werden, um ihre Rechte geltend zu machen. Die Identifizierung sollte die digitale Identifizierung einer betroffenen Person — beispielsweise durch Authentifizierungsverfahren etwa mit denselben Berechtigungsnachweisen, wie sie die betroffene Person verwendet, um sich bei dem von dem Verantwortlichen bereitgestellten Online-Dienst anzumelden — einschließen. Der Grundsatz der Transparenz setzt voraus, dass eine für die Öffentlichkeit oder die betroffene Person bestimmte Information präzise, leicht zugänglich und verständlich sowie in klarer und einfacher Sprache abgefasst ist und gegebenenfalls zusätzlich visuelle Elemente verwendet werden. Diese Information könnte in elektronischer Form bereitgestellt werden, beispielsweise auf einer Website, wenn sie für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Dies gilt insbesondere für Situationen, wo die große Zahl der Beteiligten und die Komplexität der dazu benötigten Technik es der betroffenen Person schwer machen, zu erkennen und nachzuvollziehen, ob, von wem und zu welchem Zweck sie betreffende personenbe-

11 ABl. L 354 vom 31. 12. 2008, S. 70.

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zogene Daten erfasst werden, wie etwa bei der Werbung im Internet. Wenn sich die Verarbeitung an Kinder richtet, sollten aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit von Kindern Informationen und Hinweise in einer dergestalt klaren und einfachen Sprache erfolgen, dass ein Kind sie verstehen kann. Es sollten Modalitäten festgelegt werden, die einer betroffenen Person die Ausübung der Rechte, die ihr nach dieser Verordnung zustehen, erleichtern, darunter auch Mechanismen, die dafür sorgen, dass sie unentgeltlich insbesondere Zugang zu personenbezogenen Daten und deren Berichtigung oder Löschung beantragen und gegebenenfalls erhalten oder von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen kann. So sollte der Verantwortliche auch dafür sorgen, dass Anträge elektronisch gestellt werden können, insbesondere wenn die personenbezogenen Daten elektronisch verarbeitet werden. Der Verantwortliche sollte verpflichtet werden, den Antrag der betroffenen Person unverzüglich, spätestens aber innerhalb eines Monats zu beantworten und gegebenenfalls zu begründen, warum er den Antrag ablehnt. Die Grundsätze einer fairen und transparenten Verarbeitung machen es erforderlich, dass die betroffene Person über die Existenz des Verarbeitungsvorgangs und seine Zwecke unterrichtet wird. Der Verantwortliche sollte der betroffenen Person alle weiteren Informationen zur Verfügung stellen, die unter Berücksichtigung der besonderen Umstände und Rahmenbedingungen, unter denen die personenbezogenen Daten verarbeitet werden, notwendig sind, um eine faire und transparente Verarbeitung zu gewährleisten. Darüber hinaus sollte er die betroffene Person darauf hinweisen, dass Profiling stattfindet und welche Folgen dies hat. Werden die personenbezogenen Daten bei der betroffenen Person erhoben, so sollte dieser darüber hinaus mitgeteilt werden, ob sie verpflichtet ist, die personenbezogenen Daten bereitzustellen, und welche Folgen eine Zurückhaltung der Daten nach sich ziehen würde. Die betreffenden Informationen können in Kombination mit standardisierten Bildsymbolen bereitgestellt werden, um in leicht wahrnehmbarer, verständlicher und klar nachvollziehbarer Form einen aussagekräftigen Überblick über die beabsichtigte Verarbeitung zu vermitteln. Werden die Bildsymbole in elektronischer Form dargestellt, so sollten sie maschinenlesbar sein. Dass sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden, sollte der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung mitgeteilt werden oder, falls die Daten nicht von ihr, sondern aus einer anderen Quelle erlangt werden, innerhalb einer angemessenen Frist, die sich nach dem konkreten Einzelfall richtet. Wenn die personenbezogenen Daten rechtmäßig einem anderen Empfänger offengelegt werden dürfen, sollte die betroffene Person bei der erstmaligen Offenlegung der personenbezogenen Daten für diesen Empfänger darüber aufgeklärt werden. Beabsichtigt der Verantwortliche, die personenbezogenen Daten für einen anderen Zweck zu verarbeiten als den, für den die Daten erhoben wurden, so sollte er der betroffenen Person vor dieser Weiterverarbeitung Informationen über diesen anderen Zweck und andere erforderliche Informationen zur Verfügung stellen. Konnte der betroffenen Person nicht mitgeteilt werden, woher die personenbezogenen Daten stammen, weil verschiedene Quellen benutzt wurden, so sollte die Unterrichtung allgemein gehalten werden. Die Pflicht, Informationen zur Verfügung zu stellen, erübrigt sich jedoch, wenn die betroffene Person die Information bereits hat, wenn die Speicherung oder Offenlegung der personenbezogenen Daten ausdrücklich durch Rechtsvorschriften geregelt ist oder wenn sich die Unterrichtung der betroffenen Person als unmöglich erweist oder mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden ist. Letzteres könnte insbesondere bei Verarbeitungen für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, zu wissenschaftlichen oder historischen

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Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken der Fall sein. Als Anhaltspunkte sollten dabei die Zahl der betroffenen Personen, das Alter der Daten oder etwaige geeignete Garantien in Betracht gezogen werden. (63) Eine betroffene Person sollte ein Auskunftsrecht hinsichtlich der sie betreffenden personenbezogenen Daten, die erhoben worden sind, besitzen und dieses Recht problemlos und in angemessenen Abständen wahrnehmen können, um sich der Verarbeitung bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können. Dies schließt das Recht betroffene Personen auf Auskunft über ihre eigenen gesundheitsbezogenen Daten ein, etwa Daten in ihren Patientenakten, die Informationen wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten. Jede betroffene Person sollte daher ein Anrecht darauf haben zu wissen und zu erfahren, insbesondere zu welchen Zwecken die personenbezogenen Daten verarbeitet werden und, wenn möglich, wie lange sie gespeichert werden, wer die Empfänger der personenbezogenen Daten sind, nach welcher Logik die automatische Verarbeitung personenbezogener Daten erfolgt und welche Folgen eine solche Verarbeitung haben kann, zumindest in Fällen, in denen die Verarbeitung auf Profiling beruht. Nach Möglichkeit sollte der Verantwortliche den Fernzugang zu einem sicheren System bereitstellen können, der der betroffenen Person direkten Zugang zu ihren personenbezogenen Daten ermöglichen würde. Dieses Recht sollte die Rechte und Freiheiten anderer Personen, etwa Geschäftsgeheimnisse oder Rechte des geistigen Eigentums und insbesondere das Urheberrecht an Software, nicht beeinträchtigen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass der betroffenen Person jegliche Auskunft verweigert wird. Verarbeitet der Verantwortliche eine große Menge von Informationen über die betroffene Person, so sollte er verlangen können, dass die betroffene Person präzisiert, auf welche Information oder welche Verarbeitungsvorgänge sich ihr Auskunftsersuchen bezieht, bevor er ihr Auskunft erteilt. (64) Der Verantwortliche sollte alle vertretbaren Mittel nutzen, um die Identität einer Auskunft suchenden betroffenen Person zu überprüfen, insbesondere im Rahmen von OnlineDiensten und im Fall von Online-Kennungen. Ein Verantwortlicher sollte personenbezogene Daten nicht allein zu dem Zweck speichern, auf mögliche Auskunftsersuchen reagieren zu können. (65) Eine betroffene Person sollte ein Recht auf Berichtigung der sie betreffenden personenbezogenen Daten besitzen sowie ein „Recht auf Vergessenwerden“, wenn die Speicherung ihrer Daten gegen diese Verordnung oder gegen das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, verstößt. Insbesondere sollten betroffene Personen Anspruch darauf haben, dass ihre personenbezogenen Daten gelöscht und nicht mehr verarbeitet werden, wenn die personenbezogenen Daten hinsichtlich der Zwecke, für die sie erhoben bzw. anderweitig verarbeitet wurden, nicht mehr benötigt werden, wenn die betroffenen Personen ihre Einwilligung in die Verarbeitung widerrufen oder Widerspruch gegen die Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten eingelegt haben oder wenn die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten aus anderen Gründen gegen diese Verordnung verstößt. Dieses Recht ist insbesondere wichtig in Fällen, in denen die betroffene Person ihre Einwilligung noch im Kindesalter gegeben hat und insofern die mit der Verarbeitung verbundenen Gefahren nicht in vollem Umfang absehen konnte und die personenbezogenen Daten — insbesondere die im Internet gespeicherten — später löschen möchte. Die betroffene Person sollte dieses Recht auch dann ausüben können, wenn sie kein Kind mehr ist. Die weitere Speicherung der personenbezogenen Daten sollte jedoch rechtmäßig sein, wenn dies für die Ausübung des Rechts auf

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freie Meinungsäußerung und Information, zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, für die Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit, für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich ist. (66) Um dem „Recht auf Vergessenwerden“ im Netz mehr Geltung zu verschaffen, sollte das Recht auf Löschung ausgeweitet werden, indem ein Verantwortlicher, der die personenbezogenen Daten öffentlich gemacht hat, verpflichtet wird, den Verantwortlichen, die diese personenbezogenen Daten verarbeiten, mitzuteilen, alle Links zu diesen personenbezogenen Daten oder Kopien oder Replikationen der personenbezogenen Daten zu löschen. Dabei sollte der Verantwortliche, unter Berücksichtigung der verfügbaren Technologien und der ihm zur Verfügung stehenden Mittel, angemessene Maßnahmen — auch technischer Art — treffen, um die Verantwortlichen, die diese personenbezogenen Daten verarbeiten, über den Antrag der betroffenen Person zu informieren. (67) Methoden zur Beschränkung der Verarbeitung personenbezogener Daten könnten unter anderem darin bestehen, dass ausgewählte personenbezogenen Daten vorübergehend auf ein anderes Verarbeitungssystem übertragen werden, dass sie für Nutzer gesperrt werden oder dass veröffentliche Daten vorübergehend von einer Website entfernt werden. In automatisierten Dateisystemen sollte die Einschränkung der Verarbeitung grundsätzlich durch technische Mittel so erfolgen, dass die personenbezogenen Daten in keiner Weise weiterverarbeitet werden und nicht verändert werden können. Auf die Tatsache, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten beschränkt wurde, sollte in dem System unmissverständlich hingewiesen werden. (68) Um im Fall der Verarbeitung personenbezogener Daten mit automatischen Mitteln eine bessere Kontrolle über die eigenen Daten zu haben, sollte die betroffene Person außerdem berechtigt sein, die sie betreffenden personenbezogenen Daten, die sie einem Verantwortlichen bereitgestellt hat, in einem strukturierten, gängigen, maschinenlesbaren und interoperablen Format zu erhalten und sie einem anderen Verantwortlichen zu übermitteln. Die Verantwortlichen sollten dazu aufgefordert werden, interoperable Formate zu entwickeln, die die Datenübertragbarkeit ermöglichen. Dieses Recht sollte dann gelten, wenn die betroffene Person die personenbezogenen Daten mit ihrer Einwilligung zur Verfügung gestellt hat oder die Verarbeitung zur Erfüllung eines Vertrags erforderlich ist. Es sollte nicht gelten, wenn die Verarbeitung auf einer anderen Rechtsgrundlage als ihrer Einwilligung oder eines Vertrags erfolgt. Dieses Recht sollte naturgemäß nicht gegen Verantwortliche ausgeübt werden, die personenbezogenen Daten in Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben verarbeiten. Es sollte daher nicht gelten, wenn die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, der der Verantwortliche unterliegt, oder für die Wahrnehmung einer ihm übertragenen Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung einer ihm übertragenen öffentlichen Gewalt erfolgt, erforderlich ist. Das Recht der betroffenen Person, sie betreffende personenbezogene Daten zu übermitteln oder zu empfangen, sollte für den Verantwortlichen nicht die Pflicht begründen, technisch kompatible Datenverarbeitungssysteme zu übernehmen oder beizubehalten. Ist im Fall eines bestimmten Satzes personenbezogener Daten mehr als eine betroffene Person tangiert, so sollte das Recht auf Empfang der Daten die Grundrechte und Grundfreiheiten anderer betroffener Personen nach dieser Verordnung unberührt lassen. Dieses Recht sollte zudem das Recht der betroffenen Person auf Löschung ihrer per-

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sonenbezogenen Daten und die Beschränkungen dieses Rechts gemäß dieser Verordnung nicht berühren und insbesondere nicht bedeuten, dass die Daten, die sich auf die betroffene Person beziehen und von ihr zur Erfüllung eines Vertrags zur Verfügung gestellt worden sind, gelöscht werden, soweit und solange diese personenbezogenen Daten für die Erfüllung des Vertrags notwendig sind. Soweit technisch machbar, sollte die betroffene Person das Recht haben, zu erwirken, dass die personenbezogenen Daten direkt von einem Verantwortlichen einem anderen Verantwortlichen übermittelt werden. (69) Dürfen die personenbezogenen Daten möglicherweise rechtmäßig verarbeitet werden, weil die Verarbeitung für die Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt — die dem Verantwortlichen übertragen wurde, — oder aufgrund des berechtigten Interesses des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sollte jede betroffene Person trotzdem das Recht haben, Widerspruch gegen die Verarbeitung der sich aus ihrer besonderen Situation ergebenden personenbezogenen Daten einzulegen. Der für die Verarbeitung Verantwortliche sollte darlegen müssen, dass seine zwingenden berechtigten Interessen Vorrang vor den Interessen oder Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Person haben. (70) Werden personenbezogene Daten verarbeitet, um Direktwerbung zu betreiben, so sollte die betroffene Person jederzeit unentgeltlich insoweit Widerspruch gegen eine solche — ursprüngliche oder spätere — Verarbeitung einschließlich des Profilings einlegen können, als sie mit dieser Direktwerbung zusammenhängt. Die betroffene Person sollte ausdrücklich auf dieses Recht hingewiesen werden; dieser Hinweis sollte in einer verständlichen und von anderen Informationen getrennten Form erfolgen. (71) Die betroffene Person sollte das Recht haben, keiner Entscheidung — was eine Maßnahme einschließen kann — zur Bewertung von sie betreffenden persönlichen Aspekten unterworfen zu werden, die ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruht und die rechtliche Wirkung für die betroffene Person entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt, wie die automatische Ablehnung eines Online-Kreditantrags oder Online-Einstellungsverfahren ohne jegliches menschliche Eingreifen. Zu einer derartigen Verarbeitung zählt auch das „Profiling“, das in jeglicher Form automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten unter Bewertung der persönlichen Aspekte in Bezug auf eine natürliche Person besteht, insbesondere zur Analyse oder Prognose von Aspekten bezüglich Arbeitsleistung, wirtschaftliche Lage, Gesundheit, persönliche Vorlieben oder Interessen, Zuverlässigkeit oder Verhalten, Aufenthaltsort oder Ortswechsel der betroffenen Person, soweit dies rechtliche Wirkung für die betroffene Person entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt. Eine auf einer derartigen Verarbeitung, einschließlich des Profilings, beruhende Entscheidungsfindung sollte allerdings erlaubt sein, wenn dies nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten, dem der für die Verarbeitung Verantwortliche unterliegt, ausdrücklich zulässig ist, auch um im Einklang mit den Vorschriften, Standards und Empfehlungen der Institutionen der Union oder der nationalen Aufsichtsgremien Betrug und Steuerhinterziehung zu überwachen und zu verhindern und die Sicherheit und Zuverlässigkeit eines von dem Verantwortlichen bereitgestellten Dienstes zu gewährleisten, oder wenn dies für den Abschluss oder die Erfüllung eines Vertrags zwischen der betroffenen Person und einem Verantwortlichen erforderlich ist oder wenn die betroffene Person ihre ausdrückliche Einwilligung hierzu erteilt hat. In jedem Fall sollte eine solche Verarbeitung mit angemessenen Garantien verbunden sein, einschließlich der spezifischen Unterrichtung der betroffenen Person und des Anspruchs auf direktes Eingreifen einer Person, auf Darlegung des eigenen Standpunkts, auf Erläuterung der nach einer entsprechenden Bewertung getroffenen Ent-

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scheidung sowie des Rechts auf Anfechtung der Entscheidung. Diese Maßnahme sollte kein Kind betreffen. Um unter Berücksichtigung der besonderen Umstände und Rahmenbedingungen, unter denen die personenbezogenen Daten verarbeitet werden, der betroffenen Person gegenüber eine faire und transparente Verarbeitung zu gewährleisten, sollte der für die Verarbeitung Verantwortliche geeignete mathematische oder statistische Verfahren für das Profiling verwenden, technische und organisatorische Maßnahmen treffen, mit denen in geeigneter Weise insbesondere sichergestellt wird, dass Faktoren, die zu unrichtigen personenbezogenen Daten führen, korrigiert werden und das Risiko von Fehlern minimiert wird, und personenbezogene Daten in einer Weise sichern, dass den potenziellen Bedrohungen für die Interessen und Rechte der betroffenen Person Rechnung getragen wird und unter anderem verhindern, dass es gegenüber natürlichen Personen aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft, politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung, Gewerkschaftszugehörigkeit, genetischer Anlagen oder Gesundheitszustand sowie sexueller Orientierung zu diskriminierenden Wirkungen oder zu einer Verarbeitung kommt, die eine solche Wirkung hat. Automatisierte Entscheidungsfindung und Profiling auf der Grundlage besonderer Kategorien von personenbezogenen Daten sollten nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt sein. (72) Das Profiling unterliegt den Vorschriften dieser Verordnung für die Verarbeitung personenbezogener Daten, wie etwa die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung oder die Datenschutzgrundsätze. Der durch diese Verordnung eingerichtete Europäische Datenschutzausschuss (im Folgenden „Ausschuss“) sollte, diesbezüglich Leitlinien herausgeben können. (73) Im Recht der Union oder der Mitgliedstaaten können Beschränkungen hinsichtlich bestimmter Grundsätze und hinsichtlich des Rechts auf Unterrichtung, Auskunft zu und Berichtigung oder Löschung personenbezogener Daten, des Rechts auf Datenübertragbarkeit und Widerspruch, Entscheidungen, die auf der Erstellung von Profilen beruhen, sowie Mitteilungen über eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten an eine betroffene Person und bestimmten damit zusammenhängenden Pflichten der Verantwortlichen vorgesehen werden, soweit dies in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und verhältnismäßig ist, um die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten, wozu unter anderem der Schutz von Menschenleben insbesondere bei Naturkatastrophen oder vom Menschen verursachten Katastrophen, die Verhütung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten oder die Strafvollstreckung — was auch den Schutz vor und die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit einschließt — oder die Verhütung, Aufdeckung und Verfolgung von Verstößen gegen Berufsstandsregeln bei reglementierten Berufen, das Führen öffentlicher Register aus Gründen des allgemeinen öffentlichen Interesses sowie die Weiterverarbeitung von archivierten personenbezogenen Daten zur Bereitstellung spezifischer Informationen im Zusammenhang mit dem politischen Verhalten unter ehemaligen totalitären Regimen gehört, und zum Schutz sonstiger wichtiger Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats, etwa wichtige wirtschaftliche oder finanzielle Interessen, oder die betroffene Person und die Rechte und Freiheiten anderer Personen, einschließlich in den Bereichen soziale Sicherheit, öffentliche Gesundheit und humanitäre Hilfe, zu schützen. Diese Beschränkungen sollten mit der Charta und mit der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Einklang stehen. (74) Die Verantwortung und Haftung des Verantwortlichen für jedwede Verarbeitung personenbezogener Daten, die durch ihn oder in seinem Namen erfolgt, sollte geregelt werden. Insbesondere sollte der Verantwortliche geeignete und wirksame Maßnahmen treffen

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müssen und nachweisen können, dass die Verarbeitungstätigkeiten im Einklang mit dieser Verordnung stehen und die Maßnahmen auch wirksam sind. Dabei sollte er die Art, den Umfang, die Umstände und die Zwecke der Verarbeitung und das Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen berücksichtigen. Die Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen — mit unterschiedlicher Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere — können aus einer Verarbeitung personenbezogener Daten hervorgehen, die zu einem physischen, materiellen oder immateriellen Schaden führen könnte, insbesondere wenn die Verarbeitung zu einer Diskriminierung, einem Identitätsdiebstahl oder -betrug, einem finanziellen Verlust, einer Rufschädigung, einem Verlust der Vertraulichkeit von dem Berufsgeheimnis unterliegenden personenbezogenen Daten, der unbefugten Aufhebung der Pseudonymisierung oder anderen erheblichen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Nachteilen führen kann, wenn die betroffenen Personen um ihre Rechte und Freiheiten gebracht oder daran gehindert werden, die sie betreffenden personenbezogenen Daten zu kontrollieren, wenn personenbezogene Daten, aus denen die rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft hervorgehen, und genetische Daten, Gesundheitsdaten oder das Sexualleben oder strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten oder damit zusammenhängende Sicherungsmaßregeln betreffende Daten verarbeitet werden, wenn persönliche Aspekte bewertet werden, insbesondere wenn Aspekte, die die Arbeitsleistung, wirtschaftliche Lage, Gesundheit, persönliche Vorlieben oder Interessen, die Zuverlässigkeit oder das Verhalten, den Aufenthaltsort oder Ortswechsel betreffen, analysiert oder prognostiziert werden, um persönliche Profile zu erstellen oder zu nutzen, wenn personenbezogene Daten schutzbedürftiger natürlicher Personen, insbesondere Daten von Kindern, verarbeitet werden oder wenn die Verarbeitung eine große Menge personenbezogener Daten und eine große Anzahl von betroffenen Personen betrifft. Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere des Risikos für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person sollten in Bezug auf die Art, den Umfang, die Umstände und die Zwecke der Verarbeitung bestimmt werden. Das Risiko sollte anhand einer objektiven Bewertung beurteilt werden, bei der festgestellt wird, ob die Datenverarbeitung ein Risiko oder ein hohes Risiko birgt. Anleitungen, wie der Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter geeignete Maßnahmen durchzuführen hat und wie die Einhaltung der Anforderungen nachzuweisen ist, insbesondere was die Ermittlung des mit der Verarbeitung verbundenen Risikos, dessen Abschätzung in Bezug auf Ursache, Art, Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere und die Festlegung bewährter Verfahren für dessen Eindämmung betrifft, könnten insbesondere in Form von genehmigten Verhaltensregeln, genehmigten Zertifizierungsverfahren, Leitlinien des Ausschusses oder Hinweisen eines Datenschutzbeauftragten gegeben werden. Der Ausschuss kann ferner Leitlinien für Verarbeitungsvorgänge ausgeben, bei denen davon auszugehen ist, dass sie kein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen mit sich bringen, und angeben, welche Abhilfemaßnahmen in diesen Fällen ausreichend sein können. Zum Schutz der in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten bestehenden Rechte und Freiheiten natürlicher Personen ist es erforderlich, dass geeignete technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden, damit die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt werden. Um die Einhaltung dieser Verordnung nachweisen zu können, sollte der Verantwortliche interne Strategien festlegen und Maßnahmen ergreifen, die insbesondere den Grundsätzen des Datenschutzes durch Technik (data protection by design)

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und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen (data protection by default) Genüge tun. Solche Maßnahmen könnten unter anderem darin bestehen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten minimiert wird, personenbezogene Daten so schnell wie möglich pseudonymisiert werden, Transparenz in Bezug auf die Funktionen und die Verarbeitung personenbezogener Daten hergestellt wird, der betroffenen Person ermöglicht wird, die Verarbeitung personenbezogener Daten zu überwachen, und der Verantwortliche in die Lage versetzt wird, Sicherheitsfunktionen zu schaffen und zu verbessern. In Bezug auf Entwicklung, Gestaltung, Auswahl und Nutzung von Anwendungen, Diensten und Produkten, die entweder auf der Verarbeitung von personenbezogenen Daten beruhen oder zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten verarbeiten, sollten die Hersteller der Produkte, Dienste und Anwendungen ermutigt werden, das Recht auf Datenschutz bei der Entwicklung und Gestaltung der Produkte, Dienste und Anwendungen zu berücksichtigen und unter gebührender Berücksichtigung des Stands der Technik sicherzustellen, dass die Verantwortlichen und die Verarbeiter in der Lage sind, ihren Datenschutzpflichten nachzukommen. Den Grundsätzen des Datenschutzes durch Technik und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen sollte auch bei öffentlichen Ausschreibungen Rechnung getragen werden. (79) Zum Schutz der Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen sowie bezüglich der Verantwortung und Haftung der Verantwortlichen und der Auftragsverarbeiter bedarf es — auch mit Blick auf die Überwachungs- und sonstigen Maßnahmen von Aufsichtsbehörden — einer klaren Zuteilung der Verantwortlichkeiten durch diese Verordnung, einschließlich der Fälle, in denen ein Verantwortlicher die Verarbeitungszwecke und -mittel gemeinsam mit anderen Verantwortlichen festlegt oder ein Verarbeitungsvorgang im Auftrag eines Verantwortlichen durchgeführt wird. (80) Jeder Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter ohne Niederlassung in der Union, dessen Verarbeitungstätigkeiten sich auf betroffene Personen beziehen, die sich in der Union aufhalten, und dazu dienen, diesen Personen in der Union Waren oder Dienstleistungen anzubieten — unabhängig davon, ob von der betroffenen Person eine Zahlung verlangt wird — oder deren Verhalten, soweit dieses innerhalb der Union erfolgt, zu beobachten, sollte einen Vertreter benennen müssen, es sei denn, die Verarbeitung erfolgt gelegentlich, schließt nicht die umfangreiche Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten oder die Verarbeitung von personenbezogenen Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten ein und bringt unter Berücksichtigung ihrer Art, ihrer Umstände, ihres Umfangs und ihrer Zwecke wahrscheinlich kein Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen mit sich oder bei dem Verantwortlichen handelt es sich um eine Behörde oder öffentliche Stelle. Der Vertreter sollte im Namen des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters tätig werden und den Aufsichtsbehörden als Anlaufstelle dienen. Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter sollte den Vertreter ausdrücklich bestellen und schriftlich beauftragen, in Bezug auf die ihm nach dieser Verordnung obliegenden Verpflichtungen an seiner Stelle zu handeln. Die Benennung eines solchen Vertreters berührt nicht die Verantwortung oder Haftung des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters nach Maßgabe dieser Verordnung. Ein solcher Vertreter sollte seine Aufgaben entsprechend dem Mandat des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters ausführen und insbesondere mit den zuständigen Aufsichtsbehörden in Bezug auf Maßnahmen, die die Einhaltung dieser Verordnung sicherstellen sollen, zusammenarbeiten. Bei Verstößen des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters sollte der bestellte Vertreter Durchsetzungsverfahren unterworfen werden.

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(81) Damit die Anforderungen dieser Verordnung in Bezug auf die vom Auftragsverarbeiter im Namen des Verantwortlichen vorzunehmende Verarbeitung eingehalten werden, sollte ein Verantwortlicher, der einen Auftragsverarbeiter mit Verarbeitungstätigkeiten betrauen will, nur Auftragsverarbeiter heranziehen, die — insbesondere im Hinblick auf Fachwissen, Zuverlässigkeit und Ressourcen — hinreichende Garantien dafür bieten, dass technische und organisatorische Maßnahmen — auch für die Sicherheit der Verarbeitung — getroffen werden, die den Anforderungen dieser Verordnung genügen. Die Einhaltung genehmigter Verhaltensregeln oder eines genehmigten Zertifizierungsverfahrens durch einen Auftragsverarbeiter kann als Faktor herangezogen werden, um die Erfüllung der Pflichten des Verantwortlichen nachzuweisen. Die Durchführung einer Verarbeitung durch einen Auftragsverarbeiter sollte auf Grundlage eines Vertrags oder eines anderen Rechtsinstruments nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten erfolgen, der bzw. das den Auftragsverarbeiter an den Verantwortlichen bindet und in dem Gegenstand und Dauer der Verarbeitung, Art und Zwecke der Verarbeitung, die Art der personenbezogenen Daten und die Kategorien von betroffenen Personen festgelegt sind, wobei die besonderen Aufgaben und Pflichten des Auftragsverarbeiters bei der geplanten Verarbeitung und das Risiko für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person zu berücksichtigen sind. Der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter können entscheiden, ob sie einen individuellen Vertrag oder Standardvertragsklauseln verwenden, die entweder unmittelbar von der Kommission erlassen oder aber nach dem Kohärenzverfahren von einer Aufsichtsbehörde angenommen und dann von der Kommission erlassen wurden. Nach Beendigung der Verarbeitung im Namen des Verantwortlichen sollte der Auftragsverarbeiter die personenbezogenen Daten nach Wahl des Verantwortlichen entweder zurückgeben oder löschen, sofern nicht nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Auftragsverarbeiter unterliegt, eine Verpflichtung zur Speicherung der personenbezogenen Daten besteht. (82) Zum Nachweis der Einhaltung dieser Verordnung sollte der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter ein Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten, die seiner Zuständigkeit unterliegen, führen. Jeder Verantwortliche und jeder Auftragsverarbeiter sollte verpflichtet sein, mit der Aufsichtsbehörde zusammenzuarbeiten und dieser auf Anfrage das entsprechende Verzeichnis vorzulegen, damit die betreffenden Verarbeitungsvorgänge anhand dieser Verzeichnisse kontrolliert werden können. (83) Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und zur Vorbeugung gegen eine gegen diese Verordnung verstoßende Verarbeitung sollte der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter die mit der Verarbeitung verbundenen Risiken ermitteln und Maßnahmen zu ihrer Eindämmung, wie etwa eine Verschlüsselung, treffen. Diese Maßnahmen sollten unter Berücksichtigung des Stands der Technik und der Implementierungskosten ein Schutzniveau — auch hinsichtlich der Vertraulichkeit — gewährleisten, das den von der Verarbeitung ausgehenden Risiken und der Art der zu schützenden personenbezogenen Daten angemessen ist. Bei der Bewertung der Datensicherheitsrisiken sollten die mit der Verarbeitung personenbezogener Daten verbundenen Risiken berücksichtigt werden, wie etwa — ob unbeabsichtigt oder unrechtmäßig — Vernichtung, Verlust, Veränderung oder unbefugte Offenlegung von oder unbefugter Zugang zu personenbezogenen Daten, die übermittelt, gespeichert oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, insbesondere wenn dies zu einem physischen, materiellen oder immateriellen Schaden führen könnte. (84) Damit diese Verordnung in Fällen, in denen die Verarbeitungsvorgänge wahrscheinlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen mit sich bringen, besser eingehalten wird, sollte der Verantwortliche für die Durchführung einer Daten-

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schutz-Folgenabschätzung, mit der insbesondere die Ursache, Art, Besonderheit und Schwere dieses Risikos evaluiert werden, verantwortlich sein. Die Ergebnisse der Abschätzung sollten berücksichtigt werden, wenn darüber entschieden wird, welche geeigneten Maßnahmen ergriffen werden müssen, um nachzuweisen, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten mit dieser Verordnung in Einklang steht. Geht aus einer Datenschutz-Folgenabschätzung hervor, dass Verarbeitungsvorgänge ein hohes Risiko bergen, das der Verantwortliche nicht durch geeignete Maßnahmen in Bezug auf verfügbare Technik und Implementierungskosten eindämmen kann, so sollte die Aufsichtsbehörde vor der Verarbeitung konsultiert werden. (85) Eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten kann — wenn nicht rechtzeitig und angemessen reagiert wird — einen physischen, materiellen oder immateriellen Schaden für natürliche Personen nach sich ziehen, wie etwa Verlust der Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten oder Einschränkung ihrer Rechte, Diskriminierung, Identitätsdiebstahl oder -betrug, finanzielle Verluste, unbefugte Aufhebung der Pseudonymisierung, Rufschädigung, Verlust der Vertraulichkeit von dem Berufsgeheimnis unterliegenden Daten oder andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile für die betroffene natürliche Person. Deshalb sollte der Verantwortliche, sobald ihm eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten bekannt wird, die Aufsichtsbehörde von der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten unverzüglich und, falls möglich, binnen höchstens 72 Stunden, nachdem ihm die Verletzung bekannt wurde, unterrichten, es sei denn, der Verantwortliche kann im Einklang mit dem Grundsatz der Rechenschaftspflicht nachweisen, dass die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten voraussichtlich nicht zu einem Risiko für die persönlichen Rechte und Freiheiten natürlicher Personen führt. Falls diese Benachrichtigung nicht binnen 72 Stunden erfolgen kann, sollten in ihr die Gründe für die Verzögerung angegeben werden müssen, und die Informationen können schrittweise ohne unangemessene weitere Verzögerung bereitgestellt werden. (86) Der für die Verarbeitung Verantwortliche sollte die betroffene Person unverzüglich von der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten benachrichtigen, wenn diese Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten voraussichtlich zu einem hohen Risiko für die persönlichen Rechte und Freiheiten natürlicher Personen führt, damit diese die erforderlichen Vorkehrungen treffen können. Die Benachrichtigung sollte eine Beschreibung der Art der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten sowie an die betroffene natürliche Person gerichtete Empfehlungen zur Minderung etwaiger nachteiliger Auswirkungen dieser Verletzung enthalten. Solche Benachrichtigungen der betroffenen Person sollten stets so rasch wie nach allgemeinem Ermessen möglich, in enger Absprache mit der Aufsichtsbehörde und nach Maßgabe der von dieser oder von anderen zuständigen Behörden wie beispielsweise Strafverfolgungsbehörden erteilten Weisungen erfolgen. Um beispielsweise das Risiko eines unmittelbaren Schadens mindern zu können, müssten betroffene Personen sofort benachrichtigt werden, wohingegen eine längere Benachrichtigungsfrist gerechtfertigt sein kann, wenn es darum geht, geeignete Maßnahmen gegen fortlaufende oder vergleichbare Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten zu treffen. (87) Es sollte festgestellt werden, ob alle geeigneten technischen Schutz- sowie organisatorischen Maßnahmen getroffen wurden, um sofort feststellen zu können, ob eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten aufgetreten ist, und um die Aufsichtsbehörde und die betroffene Person umgehend unterrichten zu können. Bei der Feststellung, ob die Meldung unverzüglich erfolgt ist, sollten die Art und Schwere der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten sowie deren Folgen und nachteilige Auswirkungen für die be-

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troffene Person berücksichtigt werden. Die entsprechende Meldung kann zu einem Tätigwerden der Aufsichtsbehörde im Einklang mit ihren in dieser Verordnung festgelegten Aufgaben und Befugnissen führen. Bei der detaillierten Regelung des Formats und der Verfahren für die Meldung von Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten sollten die Umstände der Verletzung hinreichend berücksichtigt werden, beispielsweise ob personenbezogene Daten durch geeignete technische Sicherheitsvorkehrungen geschützt waren, die die Wahrscheinlichkeit eines Identitätsbetrugs oder anderer Formen des Datenmissbrauchs wirksam verringern. Überdies sollten solche Regeln und Verfahren den berechtigten Interessen der Strafverfolgungsbehörden in Fällen Rechnung tragen, in denen die Untersuchung der Umstände einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten durch eine frühzeitige Offenlegung in unnötiger Weise behindert würde. Gemäß der Richtlinie 95/46/EG waren Verarbeitungen personenbezogener Daten bei den Aufsichtsbehörden generell meldepflichtig. Diese Meldepflicht ist mit einem bürokratischen und finanziellen Aufwand verbunden und hat dennoch nicht in allen Fällen zu einem besseren Schutz personenbezogener Daten geführt. Diese unterschiedslosen allgemeinen Meldepflichten sollten daher abgeschafft und durch wirksame Verfahren und Mechanismen ersetzt werden, die sich stattdessen vorrangig mit denjenigen Arten von Verarbeitungsvorgängen befassen, die aufgrund ihrer Art, ihres Umfangs, ihrer Umstände und ihrer Zwecke wahrscheinlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen mit sich bringen. Zu solchen Arten von Verarbeitungsvorgängen gehören insbesondere solche, bei denen neue Technologien eingesetzt werden oder die neuartig sind und bei denen der Verantwortliche noch keine Datenschutz-Folgenabschätzung durchgeführt hat bzw. bei denen aufgrund der seit der ursprünglichen Verarbeitung vergangenen Zeit eine Datenschutz-Folgenabschätzung notwendig geworden ist. In derartigen Fällen sollte der Verantwortliche vor der Verarbeitung eine DatenschutzFolgenabschätzung durchführen, mit der die spezifische Eintrittswahrscheinlichkeit und die Schwere dieses hohen Risikos unter Berücksichtigung der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung und der Ursachen des Risikos bewertet werden. Diese Folgenabschätzung sollte sich insbesondere mit den Maßnahmen, Garantien und Verfahren befassen, durch die dieses Risiko eingedämmt, der Schutz personenbezogener Daten sichergestellt und die Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung nachgewiesen werden soll. Dies sollte insbesondere für umfangreiche Verarbeitungsvorgänge gelten, die dazu dienen, große Mengen personenbezogener Daten auf regionaler, nationaler oder supranationaler Ebene zu verarbeiten, eine große Zahl von Personen betreffen könnten und — beispielsweise aufgrund ihrer Sensibilität — wahrscheinlich ein hohes Risiko mit sich bringen und bei denen entsprechend dem jeweils aktuellen Stand der Technik in großem Umfang eine neue Technologie eingesetzt wird, sowie für andere Verarbeitungsvorgänge, die ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen mit sich bringen, insbesondere dann, wenn diese Verarbeitungsvorgänge den betroffenen Personen die Ausübung ihrer Rechte erschweren. Eine Datenschutz-Folgenabschätzung sollte auch durchgeführt werden, wenn die personenbezogenen Daten für das Treffen von Entscheidungen in Bezug auf bestimmte natürliche Personen im Anschluss an eine systematische und eingehende Bewertung persönlicher Aspekte natürlicher Personen auf der Grundlage eines Profilings dieser Daten oder im Anschluss an die Verarbeitung besonderer Kategorien von personenbezogenen Daten, biometrischen Daten oder von Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten sowie damit zusammenhängende Siche-

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rungsmaßregeln verarbeitet werden. Gleichermaßen erforderlich ist eine Datenschutz-Folgenabschätzung für die weiträumige Überwachung öffentlich zugänglicher Bereiche, insbesondere mittels optoelektronischer Vorrichtungen, oder für alle anderen Vorgänge, bei denen nach Auffassung der zuständigen Aufsichtsbehörde die Verarbeitung wahrscheinlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen mit sich bringt, insbesondere weil sie die betroffenen Personen an der Ausübung eines Rechts oder der Nutzung einer Dienstleistung bzw. Durchführung eines Vertrags hindern oder weil sie systematisch in großem Umfang erfolgen. Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte nicht als umfangreich gelten, wenn die Verarbeitung personenbezogene Daten von Patienten oder von Mandanten betrifft und durch einen einzelnen Arzt, sonstigen Angehörigen eines Gesundheitsberufes oder Rechtsanwalt erfolgt. In diesen Fällen sollte eine Datenschutz-Folgenabschätzung nicht zwingend vorgeschrieben sein. Unter bestimmten Umständen kann es vernünftig und unter ökonomischen Gesichtspunkten zweckmäßig sein, eine Datenschutz-Folgenabschätzung nicht lediglich auf ein bestimmtes Projekt zu beziehen, sondern sie thematisch breiter anzulegen — beispielsweise wenn Behörden oder öffentliche Stellen eine gemeinsame Anwendung oder Verarbeitungsplattform schaffen möchten oder wenn mehrere Verantwortliche eine gemeinsame Anwendung oder Verarbeitungsumgebung für einen gesamten Wirtschaftssektor, für ein bestimmtes Marktsegment oder für eine weit verbreitete horizontale Tätigkeit einführen möchten. Anlässlich des Erlasses des Gesetzes des Mitgliedstaats, auf dessen Grundlage die Behörde oder öffentliche Stelle ihre Aufgaben wahrnimmt und das den fraglichen Verarbeitungsvorgang oder die fraglichen Arten von Verarbeitungsvorgängen regelt, können die Mitgliedstaaten es für erforderlich erachten, solche Folgeabschätzungen vor den Verarbeitungsvorgängen durchzuführen. Geht aus einer Datenschutz-Folgenabschätzung hervor, dass die Verarbeitung bei Fehlen von Garantien, Sicherheitsvorkehrungen und Mechanismen zur Minderung des Risikos ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen mit sich bringen würde, und ist der Verantwortliche der Auffassung, dass das Risiko nicht durch in Bezug auf verfügbare Technologien und Implementierungskosten vertretbare Mittel eingedämmt werden kann, so sollte die Aufsichtsbehörde vor Beginn der Verarbeitungstätigkeiten konsultiert werden. Ein solches hohes Risiko ist wahrscheinlich mit bestimmten Arten der Verarbeitung und dem Umfang und der Häufigkeit der Verarbeitung verbunden, die für natürliche Personen auch eine Schädigung oder eine Beeinträchtigung der persönlichen Rechte und Freiheiten mit sich bringen können. Die Aufsichtsbehörde sollte das Beratungsersuchen innerhalb einer bestimmten Frist beantworten. Allerdings kann sie, auch wenn sie nicht innerhalb dieser Frist reagiert hat, entsprechend ihren in dieser Verordnung festgelegten Aufgaben und Befugnissen eingreifen, was die Befugnis einschließt, Verarbeitungsvorgänge zu untersagen. Im Rahmen dieses Konsultationsprozesses kann das Ergebnis einer im Hinblick auf die betreffende Verarbeitung personenbezogener Daten durchgeführten Datenschutz-Folgenabschätzung der Aufsichtsbehörde unterbreitet werden; dies gilt insbesondere für die zur Eindämmung des Risikos für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen geplanten Maßnahmen. Der Auftragsverarbeiter sollte erforderlichenfalls den Verantwortlichen auf Anfrage bei der Gewährleistung der Einhaltung der sich aus der Durchführung der Datenschutz-Folgenabschätzung und der vorherigen Konsultation der Aufsichtsbehörde ergebenden Auflagen unterstützen.

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Eine Konsultation der Aufsichtsbehörde sollte auch während der Ausarbeitung von Gesetzes- oder Regelungsvorschriften, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten vorgesehen ist, erfolgen, um die Vereinbarkeit der geplanten Verarbeitung mit dieser Verordnung sicherzustellen und insbesondere das mit ihr für die betroffene Person verbundene Risiko einzudämmen. (97) In Fällen, in denen die Verarbeitung durch eine Behörde — mit Ausnahmen von Gerichten oder unabhängigen Justizbehörden, die im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit handeln –, im privaten Sektor durch einen Verantwortlichen erfolgt, dessen Kerntätigkeit in Verarbeitungsvorgängen besteht, die eine regelmäßige und systematische Überwachung der betroffenen Personen in großem Umfang erfordern, oder wenn die Kerntätigkeit des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters in der umfangreichen Verarbeitung besonderer Kategorien von personenbezogenen Daten oder von Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten besteht, sollte der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter bei der Überwachung der internen Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung von einer weiteren Person, die über Fachwissen auf dem Gebiet des Datenschutzrechts und der Datenschutzverfahren verfügt, unterstützt werden Im privaten Sektor bezieht sich die Kerntätigkeit eines Verantwortlichen auf seine Haupttätigkeiten und nicht auf die Verarbeitung personenbezogener Daten als Nebentätigkeit. Das erforderliche Niveau des Fachwissens sollte sich insbesondere nach den durchgeführten Datenverarbeitungsvorgängen und dem erforderlichen Schutz für die von dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter verarbeiteten personenbezogenen Daten richten. Derartige Datenschutzbeauftragte sollten unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um Beschäftigte des Verantwortlichen handelt oder nicht, ihre Pflichten und Aufgaben in vollständiger Unabhängigkeit ausüben können. (98) Verbände oder andere Vereinigungen, die bestimmte Kategorien von Verantwortlichen oder Auftragsverarbeitern vertreten, sollten ermutigt werden, in den Grenzen dieser Verordnung Verhaltensregeln auszuarbeiten, um eine wirksame Anwendung dieser Verordnung zu erleichtern, wobei den Besonderheiten der in bestimmten Sektoren erfolgenden Verarbeitungen und den besonderen Bedürfnissen der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen Rechnung zu tragen ist. Insbesondere könnten in diesen Verhaltensregeln — unter Berücksichtigung des mit der Verarbeitung wahrscheinlich einhergehenden Risikos für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen — die Pflichten der Verantwortlichen und der Auftragsverarbeiter bestimmt werden. (99) Bei der Ausarbeitung oder bei der Änderung oder Erweiterung solcher Verhaltensregeln sollten Verbände und oder andere Vereinigungen, die bestimmte Kategorien von Verantwortlichen oder Auftragsverarbeitern vertreten, die maßgeblichen Interessenträger, möglichst auch die betroffenen Personen, konsultieren und die Eingaben und Stellungnahmen, die sie dabei erhalten, berücksichtigen. (100) Um die Transparenz zu erhöhen und die Einhaltung dieser Verordnung zu verbessern, sollte angeregt werden, dass Zertifizierungsverfahren sowie Datenschutzsiegel und -prüfzeichen eingeführt werden, die den betroffenen Personen einen raschen Überblick über das Datenschutzniveau einschlägiger Produkte und Dienstleistungen ermöglichen. (101) Der Fluss personenbezogener Daten aus Drittländern und internationalen Organisationen und in Drittländer und internationale Organisationen ist für die Ausweitung des internationalen Handels und der internationalen Zusammenarbeit notwendig. Durch die Zunahme dieser Datenströme sind neue Herausforderungen und Anforderungen in Bezug auf den Schutz personenbezogener Daten entstanden. Das durch diese Verordnung unionsweit gewährleistete Schutzniveau für natürliche Personen sollte jedoch bei der

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Übermittlung personenbezogener Daten aus der Union an Verantwortliche, Auftragsverarbeiter oder andere Empfänger in Drittländern oder an internationale Organisationen nicht untergraben werden, und zwar auch dann nicht, wenn aus einem Drittland oder von einer internationalen Organisation personenbezogene Daten an Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter in demselben oder einem anderen Drittland oder an dieselbe oder eine andere internationale Organisation weiterübermittelt werden. In jedem Fall sind derartige Datenübermittlungen an Drittländer und internationale Organisationen nur unter strikter Einhaltung dieser Verordnung zulässig. Eine Datenübermittlung könnte nur stattfinden, wenn die in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen zur Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder internationale Organisationen vorbehaltlich der übrigen Bestimmungen dieser Verordnung von dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter erfüllt werden. (102) Internationale Abkommen zwischen der Union und Drittländern über die Übermittlung von personenbezogenen Daten einschließlich geeigneter Garantien für die betroffenen Personen werden von dieser Verordnung nicht berührt. Die Mitgliedstaaten können völkerrechtliche Übereinkünfte schließen, die die Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder internationale Organisationen beinhalten, sofern sich diese Übereinkünfte weder auf diese Verordnung noch auf andere Bestimmungen des Unionsrechts auswirken und ein angemessenes Schutzniveau für die Grundrechte der betroffenen Personen umfassen. (103) Die Kommission darf mit Wirkung für die gesamte Union beschließen, dass ein bestimmtes Drittland, ein Gebiet oder ein bestimmter Sektor eines Drittlands oder eine internationale Organisation ein angemessenes Datenschutzniveau bietet, und auf diese Weise in Bezug auf das Drittland oder die internationale Organisation, das bzw. die für fähig gehalten wird, ein solches Schutzniveau zu bieten, in der gesamten Union Rechtssicherheit schaffen und eine einheitliche Rechtsanwendung sicherstellen. In derartigen Fällen dürfen personenbezogene Daten ohne weitere Genehmigung an dieses Land oder diese internationale Organisation übermittelt werden. Die Kommission kann, nach Abgabe einer ausführlichen Erklärung, in der dem Drittland oder der internationalen Organisation eine Begründung gegeben wird, auch entscheiden, eine solche Feststellung zu widerrufen. (104) In Übereinstimmung mit den Grundwerten der Union, zu denen insbesondere der Schutz der Menschenrechte zählt, sollte die Kommission bei der Bewertung des Drittlands oder eines Gebiets oder eines bestimmten Sektors eines Drittlands berücksichtigen, inwieweit dort die Rechtsstaatlichkeit gewahrt ist, der Rechtsweg gewährleistet ist und die internationalen Menschenrechtsnormen und -standards eingehalten werden und welche allgemeinen und sektorspezifischen Vorschriften, wozu auch die Vorschriften über die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung und die nationale Sicherheit sowie die öffentliche Ordnung und das Strafrecht zählen, dort gelten. Die Annahme eines Angemessenheitsbeschlusses in Bezug auf ein Gebiet oder einen bestimmten Sektor eines Drittlands sollte unter Berücksichtigung eindeutiger und objektiver Kriterien wie bestimmter Verarbeitungsvorgänge und des Anwendungsbereichs anwendbarer Rechtsnormen und geltender Rechtsvorschriften in dem Drittland erfolgen. Das Drittland sollte Garantien für ein angemessenes Schutzniveau bieten, das dem innerhalb der Union gewährleisteten Schutzniveau der Sache nach gleichwertig ist, insbesondere in Fällen, in denen personenbezogene Daten in einem oder mehreren spezifischen Sektoren verarbeitet werden. Das Drittland sollte insbesondere eine wirksame unabhängige Überwachung des Datenschutzes gewährleisten und Mechanismen für eine Zusammen-

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arbeit mit den Datenschutzbehörden der Mitgliedstaaten vorsehen, und den betroffenen Personen sollten wirksame und durchsetzbare Rechte sowie wirksame verwaltungsrechtliche und gerichtliche Rechtsbehelfe eingeräumt werden. Die Kommission sollte neben den internationalen Verpflichtungen, die das Drittland oder die internationale Organisation eingegangen ist, die Verpflichtungen, die sich aus der Teilnahme des Drittlands oder der internationalen Organisation an multilateralen oder regionalen Systemen insbesondere im Hinblick auf den Schutz personenbezogener Daten ergeben, sowie die Umsetzung dieser Verpflichtungen berücksichtigen. Insbesondere sollte der Beitritt des Drittlands zum Übereinkommen des Europarates vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten und dem dazugehörigen Zusatzprotokoll berücksichtigt werden. Die Kommission sollte den Ausschuss konsultieren, wenn sie das Schutzniveau in Drittländern oder internationalen Organisationen bewertet. Die Kommission sollte die Wirkungsweise von Feststellungen zum Schutzniveau in einem Drittland, einem Gebiet oder einem bestimmten Sektor eines Drittlands oder einer internationalen Organisation überwachen; sie sollte auch die Wirkungsweise der Feststellungen, die auf der Grundlage des Artikels 25 Absatz 6 oder des Artikels 26 Absatz 4 der Richtlinie 95/46/EG erlassen werden, überwachen. In ihren Angemessenheitsbeschlüssen sollte die Kommission einen Mechanismus für die regelmäßige Überprüfung von deren Wirkungsweise vorsehen. Diese regelmäßige Überprüfung sollte in Konsultation mit dem betreffenden Drittland oder der betreffenden internationalen Organisation erfolgen und allen maßgeblichen Entwicklungen in dem Drittland oder der internationalen Organisation Rechnung tragen. Für die Zwecke der Überwachung und der Durchführung der regelmäßigen Überprüfungen sollte die Kommission die Standpunkte und Feststellungen des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der anderen einschlägigen Stellen und Quellen berücksichtigen. Die Kommission sollte innerhalb einer angemessenen Frist die Wirkungsweise der letztgenannten Beschlüsse bewerten und dem durch diese Verordnung eingesetzten Ausschuss im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 182/ 2011 des Europäischen Parlaments und des Rates12 sowie dem Europäischen Parlament und dem Rat über alle maßgeblichen Feststellungen Bericht erstatten. Die Kommission kann feststellen, dass ein Drittland, ein Gebiet oder ein bestimmter Sektor eines Drittlands oder eine internationale Organisation kein angemessenes Datenschutzniveau mehr bietet. Die Übermittlung personenbezogener Daten an dieses Drittland oder an diese internationale Organisation sollte daraufhin verboten werden, es sei denn, die Anforderungen dieser Verordnung in Bezug auf die Datenübermittlung vorbehaltlich geeigneter Garantien, einschließlich verbindlicher interner Datenschutzvorschriften und auf Ausnahmen für bestimmte Fälle werden erfüllt. In diesem Falle sollten Konsultationen zwischen der Kommission und den betreffenden Drittländern oder internationalen Organisationen vorgesehen werden. Die Kommission sollte dem Drittland oder der internationalen Organisation frühzeitig die Gründe mitteilen und Konsultationen aufnehmen, um Abhilfe für die Situation zu schaffen. Bei Fehlen eines Angemessenheitsbeschlusses sollte der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter als Ausgleich für den in einem Drittland bestehenden Mangel an Datenschutz geeignete Garantien für den Schutz der betroffenen Person vorsehen. Die-

12 ABl. L 55 vom 28. 2. 2011, S. 13.

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se geeigneten Garantien können darin bestehen, dass auf verbindliche interne Datenschutzvorschriften, von der Kommission oder von einer Aufsichtsbehörde angenommene Standarddatenschutzklauseln oder von einer Aufsichtsbehörde genehmigte Vertragsklauseln zurückgegriffen wird. Diese Garantien sollten sicherstellen, dass die Datenschutzvorschriften und die Rechte der betroffenen Personen auf eine der Verarbeitung innerhalb der Union angemessene Art und Weise beachtet werden; dies gilt auch hinsichtlich der Verfügbarkeit von durchsetzbaren Rechten der betroffenen Person und von wirksamen Rechtsbehelfen einschließlich des Rechts auf wirksame verwaltungsrechtliche oder gerichtliche Rechtsbehelfe sowie des Rechts auf Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen in der Union oder in einem Drittland. Sie sollten sich insbesondere auf die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten, die Grundsätze des Datenschutzes durch Technik und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen beziehen. Datenübermittlungen dürfen auch von Behörden oder öffentlichen Stellen an Behörden oder öffentliche Stellen in Drittländern oder an internationale Organisationen mit entsprechenden Pflichten oder Aufgaben vorgenommen werden, auch auf der Grundlage von Bestimmungen, die in Verwaltungsvereinbarungen — wie beispielsweise einer gemeinsamen Absichtserklärung –, mit denen den betroffenen Personen durchsetzbare und wirksame Rechte eingeräumt werden, aufzunehmen sind. Die Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde sollte erlangt werden, wenn die Garantien in nicht rechtsverbindlichen Verwaltungsvereinbarungen vorgesehen sind. (109) Die dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter offenstehende Möglichkeit, auf die von der Kommission oder einer Aufsichtsbehörde festgelegten Standard-Datenschutzklauseln zurückzugreifen, sollte den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter weder daran hindern, die Standard-Datenschutzklauseln auch in umfangreicheren Verträgen, wie zum Beispiel Verträgen zwischen dem Auftragsverarbeiter und einem anderen Auftragsverarbeiter, zu verwenden, noch ihn daran hindern, ihnen weitere Klauseln oder zusätzliche Garantien hinzuzufügen, solange diese weder mittelbar noch unmittelbar im Widerspruch zu den von der Kommission oder einer Aufsichtsbehörde erlassenen Standard-Datenschutzklauseln stehen oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen beschneiden. Die Verantwortlichen und die Auftragsverarbeiter sollten ermutigt werden, mit vertraglichen Verpflichtungen, die die Standard-Schutzklauseln ergänzen, zusätzliche Garantien zu bieten. (110) Jede Unternehmensgruppe oder jede Gruppe von Unternehmen, die eine gemeinsame Wirtschaftstätigkeit ausüben, sollte für ihre internationalen Datenübermittlungen aus der Union an Organisationen derselben Unternehmensgruppe oder derselben Gruppe von Unternehmen, die eine gemeinsame Wirtschaftstätigkeit ausüben, genehmigte verbindliche interne Datenschutzvorschriften anwenden dürfen, sofern diese sämtliche Grundprinzipien und durchsetzbaren Rechte enthalten, die geeignete Garantien für die Übermittlungen beziehungsweise Kategorien von Übermittlungen personenbezogener Daten bieten. (111) Datenübermittlungen sollten unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein, nämlich wenn die betroffene Person ihre ausdrückliche Einwilligung erteilt hat, wenn die Übermittlung gelegentlich erfolgt und im Rahmen eines Vertrags oder zur Geltendmachung von Rechtsansprüchen, sei es vor Gericht oder auf dem Verwaltungswege oder in außergerichtlichen Verfahren, wozu auch Verfahren vor Regulierungsbehörden zählen, erforderlich ist. Die Übermittlung sollte zudem möglich sein, wenn sie zur Wahrung eines im Unionsrecht oder im Recht eines Mitgliedstaats festgelegten wichtigen öffentlichen

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Interesses erforderlich ist oder wenn sie aus einem durch Rechtsvorschriften vorgesehenen Register erfolgt, das von der Öffentlichkeit oder Personen mit berechtigtem Interesse eingesehen werden kann. In letzterem Fall sollte sich eine solche Übermittlung nicht auf die Gesamtheit oder ganze Kategorien der im Register enthaltenen personenbezogenen Daten erstrecken dürfen. Ist das betreffende Register zur Einsichtnahme durch Personen mit berechtigtem Interesse bestimmt, sollte die Übermittlung nur auf Anfrage dieser Personen oder nur dann erfolgen, wenn diese Personen die Adressaten der Übermittlung sind, wobei den Interessen und Grundrechten der betroffenen Person in vollem Umfang Rechnung zu tragen ist. (112) Diese Ausnahmen sollten insbesondere für Datenübermittlungen gelten, die aus wichtigen Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich sind, beispielsweise für den internationalen Datenaustausch zwischen Wettbewerbs-, Steuer- oder Zollbehörden, zwischen Finanzaufsichtsbehörden oder zwischen für Angelegenheiten der sozialen Sicherheit oder für die öffentliche Gesundheit zuständigen Diensten, beispielsweise im Falle der Umgebungsuntersuchung bei ansteckenden Krankheiten oder zur Verringerung und/oder Beseitigung des Dopings im Sport. Die Übermittlung personenbezogener Daten sollte ebenfalls als rechtmäßig angesehen werden, wenn sie erforderlich ist, um ein Interesse, das für die lebenswichtigen Interessen — einschließlich der körperlichen Unversehrtheit oder des Lebens — der betroffenen Person oder einer anderen Person wesentlich ist, zu schützen und die betroffene Person außerstande ist, ihre Einwilligung zu geben. Liegt kein Angemessenheitsbeschluss vor, so können im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten aus wichtigen Gründen des öffentlichen Interesses ausdrücklich Beschränkungen der Übermittlung bestimmter Kategorien von Daten an Drittländer oder internationale Organisationen vorgesehen werden. Die Mitgliedstaaten sollten solche Bestimmungen der Kommission mitteilen. Jede Übermittlung personenbezogener Daten einer betroffenen Person, die aus physischen oder rechtlichen Gründen außerstande ist, ihre Einwilligung zu erteilen, an eine internationale humanitäre Organisation, die erfolgt, um eine nach den Genfer Konventionen obliegende Aufgabe auszuführen oder um dem in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrecht nachzukommen, könnte als aus einem wichtigen Grund im öffentlichen Interesse notwendig oder als im lebenswichtigen Interesse der betroffenen Person liegend erachtet werden. (113) Übermittlungen, die als nicht wiederholt erfolgend gelten können und nur eine begrenzte Zahl von betroffenen Personen betreffen, könnten auch zur Wahrung der zwingenden berechtigten Interessen des Verantwortlichen möglich sein, sofern die Interessen oder Rechte und Freiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen und der Verantwortliche sämtliche Umstände der Datenübermittlung geprüft hat. Der Verantwortliche sollte insbesondere die Art der personenbezogenen Daten, den Zweck und die Dauer der vorgesehenen Verarbeitung, die Situation im Herkunftsland, in dem betreffenden Drittland und im Endbestimmungsland berücksichtigen und angemessene Garantien zum Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen in Bezug auf die Verarbeitung ihrer personenbezogener Daten vorsehen. Diese Übermittlungen sollten nur in den verbleibenden Fällen möglich sein, in denen keiner der anderen Gründe für die Übermittlung anwendbar ist. Bei wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder bei statistischen Zwecken sollten die legitimen gesellschaftlichen Erwartungen in Bezug auf einen Wissenszuwachs berücksichtigt werden. Der Verantwortliche sollte die Aufsichtsbehörde und die betroffene Person von der Übermittlung in Kenntnis setzen.

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(114) In allen Fällen, in denen kein Kommissionsbeschluss zur Angemessenheit des in einem Drittland bestehenden Datenschutzniveaus vorliegt, sollte der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter auf Lösungen zurückgreifen, mit denen den betroffenen Personen durchsetzbare und wirksame Rechte in Bezug auf die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten in der Union nach der Übermittlung dieser Daten eingeräumt werden, damit sie weiterhin die Grundrechte und Garantien genießen können. (115) Manche Drittländer erlassen Gesetze, Vorschriften und sonstige Rechtsakte, die vorgeben, die Verarbeitungstätigkeiten natürlicher und juristischer Personen, die der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten unterliegen, unmittelbar zu regeln. Dies kann Urteile von Gerichten und Entscheidungen von Verwaltungsbehörden in Drittländern umfassen, mit denen von einem Verantwortlichen oder einem Auftragsverarbeiter die Übermittlung oder Offenlegung personenbezogener Daten verlangt wird und die nicht auf eine in Kraft befindliche internationale Übereinkunft wie etwa ein Rechtshilfeabkommen zwischen dem ersuchenden Drittland und der Union oder einem Mitgliedstaat gestützt sind. Die Anwendung dieser Gesetze, Verordnungen und sonstigen Rechtsakte außerhalb des Hoheitsgebiets der betreffenden Drittländer kann gegen internationales Recht verstoßen und dem durch diese Verordnung in der Union gewährleisteten Schutz natürlicher Personen zuwiderlaufen. Datenübermittlungen sollten daher nur zulässig sein, wenn die Bedingungen dieser Verordnung für Datenübermittlungen an Drittländer eingehalten werden. Dies kann unter anderem der Fall sein, wenn die Offenlegung aus einem wichtigen öffentlichen Interesse erforderlich ist, das im Unionsrecht oder im Recht des Mitgliedstaats, dem der Verantwortliche unterliegt, anerkannt ist. (116) Wenn personenbezogene Daten in ein anderes Land außerhalb der Union übermittelt werden, besteht eine erhöhte Gefahr, dass natürliche Personen ihre Datenschutzrechte nicht wahrnehmen können und sich insbesondere gegen die unrechtmäßige Nutzung oder Offenlegung dieser Informationen zu schützen. Ebenso kann es vorkommen, dass Aufsichtsbehörden Beschwerden nicht nachgehen oder Untersuchungen nicht durchführen können, die einen Bezug zu Tätigkeiten außerhalb der Grenzen ihres Mitgliedstaats haben. Ihre Bemühungen um grenzüberschreitende Zusammenarbeit können auch durch unzureichende Präventiv- und Abhilfebefugnisse, widersprüchliche Rechtsordnungen und praktische Hindernisse wie Ressourcenknappheit behindert werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Datenschutzaufsichtsbehörden muss daher gefördert werden, damit sie Informationen austauschen und mit den Aufsichtsbehörden in anderen Ländern Untersuchungen durchführen können. Um Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit zu entwickeln, die die internationale Amtshilfe bei der Durchsetzung von Rechtsvorschriften zum Schutz personenbezogener Daten erleichtern und sicherstellen, sollten die Kommission und die Aufsichtsbehörden Informationen austauschen und bei Tätigkeiten, die mit der Ausübung ihrer Befugnisse in Zusammenhang stehen, mit den zuständigen Behörden der Drittländer nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit und gemäß dieser Verordnung zusammenarbeiten. (117) Die Errichtung von Aufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten, die befugt sind, ihre Aufgaben und Befugnisse völlig unabhängig wahrzunehmen, ist ein wesentlicher Bestandteil des Schutzes natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Die Mitgliedstaaten sollten mehr als eine Aufsichtsbehörde errichten können, wenn dies ihrer verfassungsmäßigen, organisatorischen und administrativen Struktur entspricht. (118) Die Tatsache, dass die Aufsichtsbehörden unabhängig sind, sollte nicht bedeuten, dass sie hinsichtlich ihrer Ausgaben keinem Kontroll- oder Überwachungsmechanismus un-

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terworfen werden bzw. sie keiner gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden können. Errichtet ein Mitgliedstaat mehrere Aufsichtsbehörden, so sollte er mittels Rechtsvorschriften sicherstellen, dass diese Aufsichtsbehörden am Kohärenzverfahren wirksam beteiligt werden. Insbesondere sollte dieser Mitgliedstaat eine Aufsichtsbehörde bestimmen, die als zentrale Anlaufstelle für eine wirksame Beteiligung dieser Behörden an dem Verfahren fungiert und eine rasche und reibungslose Zusammenarbeit mit anderen Aufsichtsbehörden, dem Ausschuss und der Kommission gewährleistet. Jede Aufsichtsbehörde sollte mit Finanzmitteln, Personal, Räumlichkeiten und einer Infrastruktur ausgestattet werden, wie sie für die wirksame Wahrnehmung ihrer Aufgaben, einschließlich derer im Zusammenhang mit der Amtshilfe und Zusammenarbeit mit anderen Aufsichtsbehörden in der gesamten Union, notwendig sind. Jede Aufsichtsbehörde sollte über einen eigenen, öffentlichen, jährlichen Haushaltsplan verfügen, der Teil des gesamten Staatshaushalts oder nationalen Haushalts sein kann. Die allgemeinen Anforderungen an das Mitglied oder die Mitglieder der Aufsichtsbehörde sollten durch Rechtsvorschriften von jedem Mitgliedstaat geregelt werden und insbesondere vorsehen, dass diese Mitglieder im Wege eines transparenten Verfahrens entweder — auf Vorschlag der Regierung, eines Mitglieds der Regierung, des Parlaments oder einer Parlamentskammer — vom Parlament, der Regierung oder dem Staatsoberhaupt des Mitgliedstaats oder von einer unabhängigen Stelle ernannt werden, die nach dem Recht des Mitgliedstaats mit der Ernennung betraut wird. Um die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde zu gewährleisten, sollten ihre Mitglieder ihr Amt integer ausüben, von allen mit den Aufgaben ihres Amts nicht zu vereinbarenden Handlungen absehen und während ihrer Amtszeit keine andere mit ihrem Amt nicht zu vereinbarende entgeltliche oder unentgeltliche Tätigkeit ausüben. Die Aufsichtsbehörde sollte über eigenes Personal verfügen, das sie selbst oder eine nach dem Recht des Mitgliedstaats eingerichtete unabhängige Stelle auswählt und das ausschließlich der Leitung des Mitglieds oder der Mitglieder der Aufsichtsbehörde unterstehen sollte. Jede Aufsichtsbehörde sollte dafür zuständig sein, im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats die Befugnisse auszuüben und die Aufgaben zu erfüllen, die ihr mit dieser Verordnung übertragen wurden. Dies sollte insbesondere für Folgendes gelten: die Verarbeitung im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats, die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Behörden oder private Stellen, die im öffentlichen Interesse handeln, Verarbeitungstätigkeiten, die Auswirkungen auf betroffene Personen in ihrem Hoheitsgebiet haben, oder Verarbeitungstätigkeiten eines Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters ohne Niederlassung in der Union, sofern sie auf betroffene Personen mit Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet ausgerichtet sind. Dies sollte auch die Bearbeitung von Beschwerden einer betroffenen Person, die Durchführung von Untersuchungen über die Anwendung dieser Verordnung sowie die Förderung der Information der Öffentlichkeit über Risiken, Vorschriften, Garantien und Rechte im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten einschließen. Die Aufsichtsbehörden sollten die Anwendung der Bestimmungen dieser Verordnung überwachen und zu ihrer einheitlichen Anwendung in der gesamten Union beitragen, um natürliche Personen im Hinblick auf die Verarbeitung ihrer Daten zu schützen und den freien Verkehr personenbezogener Daten im Binnenmarkt zu erleichtern. Zu diesem Zweck sollten die Aufsichtsbehörden untereinander und mit der Kommission zusam-

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menarbeiten, ohne dass eine Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten über die Leistung von Amtshilfe oder über eine derartige Zusammenarbeit erforderlich wäre. Findet die Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit der Tätigkeit einer Niederlassung eines Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters in der Union statt und hat der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter Niederlassungen in mehr als einem Mitgliedstaat oder hat die Verarbeitungstätigkeit im Zusammenhang mit der Tätigkeit einer einzigen Niederlassung eines Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters in der Union erhebliche Auswirkungen auf betroffene Personen in mehr als einem Mitgliedstaat bzw. wird sie voraussichtlich solche Auswirkungen haben, so sollte die Aufsichtsbehörde für die Hauptniederlassung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters oder für die einzige Niederlassung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters als federführende Behörde fungieren. Sie sollte mit den anderen Behörden zusammenarbeiten, die betroffen sind, weil der Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter eine Niederlassung im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats hat, weil die Verarbeitung erhebliche Auswirkungen auf betroffene Personen mit Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet hat oder weil bei ihnen eine Beschwerde eingelegt wurde. Auch wenn eine betroffene Person ohne Wohnsitz in dem betreffenden Mitgliedstaat eine Beschwerde eingelegt hat, sollte die Aufsichtsbehörde, bei der Beschwerde eingelegt wurde, auch eine betroffene Aufsichtsbehörde sein. Der Ausschuss sollte — im Rahmen seiner Aufgaben in Bezug auf die Herausgabe von Leitlinien zu allen Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung dieser Verordnung — insbesondere Leitlinien zu den Kriterien ausgeben können, die bei der Feststellung zu berücksichtigen sind, ob die fragliche Verarbeitung erhebliche Auswirkungen auf betroffene Personen in mehr als einem Mitgliedstaat hat und was einen maßgeblichen und begründeten Einspruch darstellt. Die federführende Behörde sollte berechtigt sein, verbindliche Beschlüsse über Maßnahmen zu erlassen, mit denen die ihr gemäß dieser Verordnung übertragenen Befugnisse ausgeübt werden. In ihrer Eigenschaft als federführende Behörde sollte diese Aufsichtsbehörde für die enge Einbindung und Koordinierung der betroffenen Aufsichtsbehörden im Entscheidungsprozess sorgen. Wird beschlossen, die Beschwerde der betroffenen Person vollständig oder teilweise abzuweisen, so sollte dieser Beschluss von der Aufsichtsbehörde angenommen werden, bei der die Beschwerde eingelegt wurde. Der Beschluss sollte von der federführenden Aufsichtsbehörde und den betroffenen Aufsichtsbehörden gemeinsam vereinbart werden und an die Hauptniederlassung oder die einzige Niederlassung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters gerichtet sein und für den Verantwortlichen und den Auftragsverarbeiter verbindlich sein. Der Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter sollte die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Einhaltung dieser Verordnung und die Umsetzung des Beschlusses zu gewährleisten, der der Hauptniederlassung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters im Hinblick auf die Verarbeitungstätigkeiten in der Union von der federführenden Aufsichtsbehörde mitgeteilt wurde. Jede Aufsichtsbehörde, die nicht als federführende Aufsichtsbehörde fungiert, sollte in örtlichen Fällen zuständig sein, wenn der Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter Niederlassungen in mehr als einem Mitgliedstaat hat, der Gegenstand der spezifischen Verarbeitung aber nur die Verarbeitungstätigkeiten in einem einzigen Mitgliedstaat und nur betroffene Personen in diesem einen Mitgliedstaat betrifft, beispielsweise wenn es um die Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Arbeitnehmern im spezifischen Beschäftigungskontext eines Mitgliedstaats geht. In solchen Fällen sollte die Aufsichtsbehörde unverzüglich die federführende Aufsichtsbehörde über diese Angelegenheit un-

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terrichten. Nach ihrer Unterrichtung sollte die federführende Aufsichtsbehörde entscheiden, ob sie den Fall nach den Bestimmungen zur Zusammenarbeit zwischen der federführenden Aufsichtsbehörde und anderen betroffenen Aufsichtsbehörden gemäß der Vorschrift zur Zusammenarbeit zwischen der federführenden Aufsichtsbehörde und anderen betroffenen Aufsichtsbehörden (im Folgenden „Verfahren der Zusammenarbeit und Kohärenz“) regelt oder ob die Aufsichtsbehörde, die sie unterrichtet hat, den Fall auf örtlicher Ebene regeln sollte. Dabei sollte die federführende Aufsichtsbehörde berücksichtigen, ob der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter in dem Mitgliedstaat, dessen Aufsichtsbehörde sie unterrichtet hat, eine Niederlassung hat, damit Beschlüsse gegenüber dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter wirksam durchgesetzt werden. Entscheidet die federführende Aufsichtsbehörde, den Fall selbst zu regeln, sollte die Aufsichtsbehörde, die sie unterrichtet hat, die Möglichkeit haben, einen Beschlussentwurf vorzulegen, dem die federführende Aufsichtsbehörde bei der Ausarbeitung ihres Beschlussentwurfs im Rahmen dieses Verfahrens der Zusammenarbeit und Kohärenz weitestgehend Rechnung tragen sollte. (128) Die Vorschriften über die federführende Behörde und das Verfahren der Zusammenarbeit und Kohärenz sollten keine Anwendung finden, wenn die Verarbeitung durch Behörden oder private Stellen im öffentlichen Interesse erfolgt. In diesen Fällen sollte die Aufsichtsbehörde des Mitgliedstaats, in dem die Behörde oder private Einrichtung ihren Sitz hat, die einzige Aufsichtsbehörde sein, die dafür zuständig ist, die Befugnisse auszuüben, die ihr mit dieser Verordnung übertragen wurden. (129) Um die einheitliche Überwachung und Durchsetzung dieser Verordnung in der gesamten Union sicherzustellen, sollten die Aufsichtsbehörden in jedem Mitgliedstaat dieselben Aufgaben und wirksamen Befugnisse haben, darunter, insbesondere im Fall von Beschwerden natürlicher Personen, Untersuchungsbefugnisse, Abhilfebefugnisse und Sanktionsbefugnisse und Genehmigungsbefugnisse und beratende Befugnisse, sowie — unbeschadet der Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden nach dem Recht der Mitgliedstaaten — die Befugnis, Verstöße gegen diese Verordnung den Justizbehörden zur Kenntnis zu bringen und Gerichtsverfahren anzustrengen. Dazu sollte auch die Befugnis zählen, eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, zu verhängen. Die Mitgliedstaaten können andere Aufgaben im Zusammenhang mit dem Schutz personenbezogener Daten im Rahmen dieser Verordnung festlegen. Die Befugnisse der Aufsichtsbehörden sollten in Übereinstimmung mit den geeigneten Verfahrensgarantien nach dem Unionsrecht und dem Recht der Mitgliedstaaten unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist ausgeübt werden. Insbesondere sollte jede Maßnahme im Hinblick auf die Gewährleistung der Einhaltung dieser Verordnung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein, wobei die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen sind, das Recht einer jeden Person, gehört zu werden, bevor eine individuelle Maßnahme getroffen wird, die nachteilige Auswirkungen auf diese Person hätte, zu achten ist und überflüssige Kosten und übermäßige Unannehmlichkeiten für die Betroffenen zu vermeiden sind. Untersuchungsbefugnisse im Hinblick auf den Zugang zu Räumlichkeiten sollten im Einklang mit besonderen Anforderungen im Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten ausgeübt werden, wie etwa dem Erfordernis einer vorherigen richterlichen Genehmigung. Jede rechtsverbindliche Maßnahme der Aufsichtsbehörde sollte schriftlich erlassen werden und sie sollte klar und eindeutig sein; die Aufsichtsbehörde, die die Maßnahme erlassen hat, und das Datum, an dem die Maßnahme erlassen wurde, sollten angegeben werden und die Maßnahme sollte vom Leiter oder von einem von ihm bevollmächtigen Mitglied der Aufsichtsbehör-

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de unterschrieben sein und eine Begründung für die Maßnahme sowie einen Hinweis auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf enthalten. Dies sollte zusätzliche Anforderungen nach dem Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten nicht ausschließen. Der Erlass eines rechtsverbindlichen Beschlusses setzt voraus, dass er in dem Mitgliedstaat der Aufsichtsbehörde, die den Beschluss erlassen hat, gerichtlich überprüft werden kann. Ist die Aufsichtsbehörde, bei der die Beschwerde eingereicht wurde, nicht die federführende Aufsichtsbehörde, so sollte die federführende Aufsichtsbehörde gemäß den Bestimmungen dieser Verordnung über Zusammenarbeit und Kohärenz eng mit der Aufsichtsbehörde zusammenarbeiten, bei der die Beschwerde eingereicht wurde. In solchen Fällen sollte die federführende Aufsichtsbehörde bei Maßnahmen, die rechtliche Wirkungen entfalten sollen, unter anderem bei der Verhängung von Geldbußen, den Standpunkt der Aufsichtsbehörde, bei der die Beschwerde eingereicht wurde und die weiterhin befugt sein sollte, in Abstimmung mit der zuständigen Aufsichtsbehörde Untersuchungen im Hoheitsgebiet ihres eigenen Mitgliedstaats durchzuführen, weitestgehend berücksichtigen. Wenn eine andere Aufsichtsbehörde als federführende Aufsichtsbehörde für die Verarbeitungstätigkeiten des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters fungieren sollte, der konkrete Gegenstand einer Beschwerde oder der mögliche Verstoß jedoch nur die Verarbeitungstätigkeiten des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters in dem Mitgliedstaat betrifft, in dem die Beschwerde eingereicht wurde oder der mögliche Verstoß aufgedeckt wurde, und die Angelegenheit keine erheblichen Auswirkungen auf betroffene Personen in anderen Mitgliedstaaten hat oder haben dürfte, sollte die Aufsichtsbehörde, bei der eine Beschwerde eingereicht wurde oder die Situationen, die mögliche Verstöße gegen diese Verordnung darstellen, aufgedeckt hat bzw. auf andere Weise darüber informiert wurde, versuchen, eine gütliche Einigung mit dem Verantwortlichen zu erzielen; falls sich dies als nicht erfolgreich erweist, sollte sie die gesamte Bandbreite ihrer Befugnisse wahrnehmen. Dies sollte auch Folgendes umfassen: die spezifische Verarbeitung im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Aufsichtsbehörde oder im Hinblick auf betroffene Personen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats; die Verarbeitung im Rahmen eines Angebots von Waren oder Dienstleistungen, das speziell auf betroffene Personen im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Aufsichtsbehörde ausgerichtet ist; oder eine Verarbeitung, die unter Berücksichtigung der einschlägigen rechtlichen Verpflichtungen nach dem Recht der Mitgliedstaaten bewertet werden muss. Auf die Öffentlichkeit ausgerichtete Sensibilisierungsmaßnahmen der Aufsichtsbehörden sollten spezifische Maßnahmen einschließen, die sich an die Verantwortlichen und die Auftragsverarbeiter, einschließlich Kleinstunternehmen sowie kleiner und mittlerer Unternehmen, und an natürliche Personen, insbesondere im Bildungsbereich, richten. Die Aufsichtsbehörden sollten sich gegenseitig bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen und Amtshilfe leisten, damit eine einheitliche Anwendung und Durchsetzung dieser Verordnung im Binnenmarkt gewährleistet ist. Eine Aufsichtsbehörde, die um Amtshilfe ersucht hat, kann eine einstweilige Maßnahme erlassen, wenn sie nicht binnen eines Monats nach Eingang des Amtshilfeersuchens bei der ersuchten Aufsichtsbehörde eine Antwort von dieser erhalten hat. Jede Aufsichtsbehörde sollte gegebenenfalls an gemeinsamen Maßnahmen von anderen Aufsichtsbehörden teilnehmen. Die ersuchte Aufsichtsbehörde sollte auf das Ersuchen binnen einer bestimmten Frist antworten müssen. Um die einheitliche Anwendung dieser Verordnung in der gesamten Union sicherzustellen, sollte ein Verfahren zur Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsanwendung (Ko-

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härenzverfahren) für die Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden eingeführt werden. Dieses Verfahren sollte insbesondere dann angewendet werden, wenn eine Aufsichtsbehörde beabsichtigt, eine Maßnahme zu erlassen, die rechtliche Wirkungen in Bezug auf Verarbeitungsvorgänge entfalten soll, die für eine bedeutende Zahl betroffener Personen in mehreren Mitgliedstaaten erhebliche Auswirkungen haben. Ferner sollte es zur Anwendung kommen, wenn eine betroffene Aufsichtsbehörde oder die Kommission beantragt, dass die Angelegenheit im Rahmen des Kohärenzverfahrens behandelt wird. Dieses Verfahren sollte andere Maßnahmen, die die Kommission möglicherweise in Ausübung ihrer Befugnisse nach den Verträgen trifft, unberührt lassen. Bei Anwendung des Kohärenzverfahrens sollte der Ausschuss, falls von der Mehrheit seiner Mitglieder so entschieden wird oder falls eine andere betroffene Aufsichtsbehörde oder die Kommission darum ersuchen, binnen einer festgelegten Frist eine Stellungnahme abgeben. Dem Ausschuss sollte auch die Befugnis übertragen werden, bei Streitigkeiten zwischen Aufsichtsbehörden rechtsverbindliche Beschlüsse zu erlassen. Zu diesem Zweck sollte er in klar bestimmten Fällen, in denen die Aufsichtsbehörden insbesondere im Rahmen des Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen der federführenden Aufsichtsbehörde und den betroffenen Aufsichtsbehörden widersprüchliche Standpunkte zu dem Sachverhalt, vor allem in der Frage, ob ein Verstoß gegen diese Verordnung vorliegt, vertreten, grundsätzlich mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder rechtsverbindliche Beschlüsse erlassen. Es kann dringender Handlungsbedarf zum Schutz der Rechte und Freiheiten von betroffenen Personen bestehen, insbesondere wenn eine erhebliche Behinderung der Durchsetzung des Rechts einer betroffenen Person droht. Eine Aufsichtsbehörde sollte daher hinreichend begründete einstweilige Maßnahmen in ihrem Hoheitsgebiet mit einer festgelegten Geltungsdauer von höchstens drei Monaten erlassen können. Die Anwendung dieses Verfahrens sollte in den Fällen, in denen sie verbindlich vorgeschrieben ist, eine Bedingung für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme einer Aufsichtsbehörde sein, die rechtliche Wirkungen entfalten soll. In anderen Fällen von grenzüberschreitender Relevanz sollte das Verfahren der Zusammenarbeit zwischen der federführenden Aufsichtsbehörde und den betroffenen Aufsichtsbehörden zur Anwendung gelangen, und die betroffenen Aufsichtsbehörden können auf bilateraler oder multilateraler Ebene Amtshilfe leisten und gemeinsame Maßnahmen durchführen, ohne auf das Kohärenzverfahren zurückzugreifen. Zur Förderung der einheitlichen Anwendung dieser Verordnung sollte der Ausschuss als unabhängige Einrichtung der Union eingesetzt werden. Damit der Ausschuss seine Ziele erreichen kann, sollte er Rechtspersönlichkeit besitzen. Der Ausschuss sollte von seinem Vorsitz vertreten werden. Er sollte die mit der Richtlinie 95/46/EG eingesetzte Arbeitsgruppe für den Schutz der Rechte von Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ersetzen. Er sollte aus dem Leiter einer Aufsichtsbehörde jedes Mitgliedstaats und dem Europäischen Datenschutzbeauftragten oder deren jeweiligen Vertretern gebildet werden. An den Beratungen des Ausschusses sollte die Kommission ohne Stimmrecht teilnehmen und der Europäische Datenschutzbeauftragte sollte spezifische Stimmrechte haben. Der Ausschuss sollte zur einheitlichen Anwendung der Verordnung in der gesamten Union beitragen, die Kommission insbesondere im Hinblick auf das Schutzniveau in Drittländern oder internationalen Organisationen beraten und die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden in der Union fördern. Der Ausschuss sollte bei der Erfüllung seiner Aufgaben unabhängig handeln.

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(140) Der Ausschuss sollte von einem Sekretariat unterstützt werden, das von dem Europäischen Datenschutzbeauftragten bereitgestellt wird. Das Personal des Europäischen Datenschutzbeauftragten, das an der Wahrnehmung der dem Ausschuss gemäß dieser Verordnung übertragenen Aufgaben beteiligt ist, sollte diese Aufgaben ausschließlich gemäß den Anweisungen des Vorsitzes des Ausschusses durchführen und diesem Bericht erstatten. (141) Jede betroffene Person sollte das Recht haben, bei einer einzigen Aufsichtsbehörde insbesondere in dem Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthalts eine Beschwerde einzureichen und gemäß Artikel 47 der Charta einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen, wenn sie sich in ihren Rechten gemäß dieser Verordnung verletzt sieht oder wenn die Aufsichtsbehörde auf eine Beschwerde hin nicht tätig wird, eine Beschwerde teilweise oder ganz abweist oder ablehnt oder nicht tätig wird, obwohl dies zum Schutz der Rechte der betroffenen Person notwendig ist. Die auf eine Beschwerde folgende Untersuchung sollte vorbehaltlich gerichtlicher Überprüfung so weit gehen, wie dies im Einzelfall angemessen ist. Die Aufsichtsbehörde sollte die betroffene Person innerhalb eines angemessenen Zeitraums über den Fortgang und die Ergebnisse der Beschwerde unterrichten. Sollten weitere Untersuchungen oder die Abstimmung mit einer anderen Aufsichtsbehörde erforderlich sein, sollte die betroffene Person über den Zwischenstand informiert werden. Jede Aufsichtsbehörde sollte Maßnahmen zur Erleichterung der Einreichung von Beschwerden treffen, wie etwa die Bereitstellung eines Beschwerdeformulars, das auch elektronisch ausgefüllt werden kann, ohne dass andere Kommunikationsmittel ausgeschlossen werden. (142) Betroffene Personen, die sich in ihren Rechten gemäß dieser Verordnung verletzt sehen, sollten das Recht haben, nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Einrichtungen, Organisationen oder Verbände ohne Gewinnerzielungsabsicht, deren satzungsmäßige Ziele im öffentlichem Interesse liegen und die im Bereich des Schutzes personenbezogener Daten tätig sind, zu beauftragen, in ihrem Namen Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde oder einen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen oder das Recht auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, sofern dieses im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen ist. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diese Einrichtungen, Organisationen oder Verbände das Recht haben, unabhängig vom Auftrag einer betroffenen Person in dem betreffenden Mitgliedstaat eine eigene Beschwerde einzulegen, und das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf haben sollten, wenn sie Grund zu der Annahme haben, dass die Rechte der betroffenen Person infolge einer nicht im Einklang mit dieser Verordnung stehenden Verarbeitung verletzt worden sind. Diesen Einrichtungen, Organisationen oder Verbänden kann unabhängig vom Auftrag einer betroffenen Person nicht gestattet werden, im Namen einer betroffenen Person Schadenersatz zu verlangen. (143) Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht, unter den in Artikel 263 AEUV genannten Voraussetzungen beim Gerichtshof eine Klage auf Nichtigerklärung eines Beschlusses des Ausschusses zu erheben. Als Adressaten solcher Beschlüsse müssen die betroffenen Aufsichtsbehörden, die diese Beschlüsse anfechten möchten, binnen zwei Monaten nach deren Übermittlung gemäß Artikel 263 AEUV Klage erheben. Sofern Beschlüsse des Ausschusses einen Verantwortlichen, einen Auftragsverarbeiter oder den Beschwerdeführer unmittelbar und individuell betreffen, so können diese Personen binnen zwei Monaten nach Veröffentlichung der betreffenden Beschlüsse auf der Website des Ausschusses im Einklang mit Artikel 263 AEUV eine Klage auf Nichtigerklärung erheben. Unbeschadet dieses Rechts nach Artikel 263 AEUV sollte jede natürliche oder

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juristische Person das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf bei dem zuständigen einzelstaatlichen Gericht gegen einen Beschluss einer Aufsichtsbehörde haben, der gegenüber dieser Person Rechtswirkungen entfaltet. Ein derartiger Beschluss betrifft insbesondere die Ausübung von Untersuchungs-, Abhilfe- und Genehmigungsbefugnissen durch die Aufsichtsbehörde oder die Ablehnung oder Abweisung von Beschwerden. Das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf umfasst jedoch nicht rechtlich nicht bindende Maßnahmen der Aufsichtsbehörden wie von ihr abgegebene Stellungnahmen oder Empfehlungen. Verfahren gegen eine Aufsichtsbehörde sollten bei den Gerichten des Mitgliedstaats angestrengt werden, in dem die Aufsichtsbehörde ihren Sitz hat, und sollten im Einklang mit dem Verfahrensrecht dieses Mitgliedstaats durchgeführt werden. Diese Gerichte sollten eine uneingeschränkte Zuständigkeit besitzen, was die Zuständigkeit, sämtliche für den bei ihnen anhängigen Rechtsstreit maßgebliche Sach- und Rechtsfragen zu prüfen, einschließt. Wurde eine Beschwerde von einer Aufsichtsbehörde abgelehnt oder abgewiesen, kann der Beschwerdeführer Klage bei den Gerichten desselben Mitgliedstaats erheben. Im Zusammenhang mit gerichtlichen Rechtsbehelfen in Bezug auf die Anwendung dieser Verordnung können einzelstaatliche Gerichte, die eine Entscheidung über diese Frage für erforderlich halten, um ihr Urteil erlassen zu können, bzw. müssen einzelstaatliche Gerichte in den Fällen nach Artikel 267 AEUV den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zur Auslegung des Unionsrechts — das auch diese Verordnung einschließt — ersuchen. Wird darüber hinaus der Beschluss einer Aufsichtsbehörde zur Umsetzung eines Beschlusses des Ausschusses vor einem einzelstaatlichen Gericht angefochten und wird die Gültigkeit des Beschlusses des Ausschusses in Frage gestellt, so hat dieses einzelstaatliche Gericht nicht die Befugnis, den Beschluss des Ausschusses für nichtig zu erklären, sondern es muss im Einklang mit Artikel 267 AEUV in der Auslegung des Gerichtshofs den Gerichtshof mit der Frage der Gültigkeit befassen, wenn es den Beschluss für nichtig hält. Allerdings darf ein einzelstaatliches Gericht den Gerichtshof nicht auf Anfrage einer natürlichen oder juristischen Person mit Fragen der Gültigkeit des Beschlusses des Ausschusses befassen, wenn diese Person Gelegenheit hatte, eine Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses zu erheben — insbesondere wenn sie unmittelbar und individuell von dem Beschluss betroffen war –, diese Gelegenheit jedoch nicht innerhalb der Frist gemäß Artikel 263 AEUV genutzt hat. (144) Hat ein mit einem Verfahren gegen die Entscheidung einer Aufsichtsbehörde befasstes Gericht Anlass zu der Vermutung, dass ein dieselbe Verarbeitung betreffendes Verfahren — etwa zu demselben Gegenstand in Bezug auf die Verarbeitung durch denselben Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter oder wegen desselben Anspruchs — vor einem zuständigen Gericht in einem anderen Mitgliedstaat anhängig ist, so sollte es mit diesem Gericht Kontakt aufnehmen, um sich zu vergewissern, dass ein solches verwandtes Verfahren existiert. Sind verwandte Verfahren vor einem Gericht in einem anderen Mitgliedstaat anhängig, so kann jedes später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen oder sich auf Anfrage einer Partei auch zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig erklären, wenn dieses später angerufene Gericht für die betreffenden Verfahren zuständig ist und die Verbindung von solchen verwandten Verfahren nach seinem Recht zulässig ist. Verfahren gelten als miteinander verwandt, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren einander widersprechende Entscheidungen ergehen.

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(145) Bei Verfahren gegen Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter sollte es dem Kläger überlassen bleiben, ob er die Gerichte des Mitgliedstaats anruft, in dem der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter eine Niederlassung hat, oder des Mitgliedstaats, in dem die betroffene Person wohnt; dies gilt nicht, wenn es sich bei dem Verantwortlichen um eine Behörde eines Mitgliedstaats handelt, die in Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse tätig geworden ist. (146) Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter sollte Schäden, die einer Person aufgrund einer Verarbeitung entstehen, die mit dieser Verordnung nicht im Einklang steht, ersetzen. Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter sollte von seiner Haftung befreit werden, wenn er nachweist, dass er in keiner Weise für den Schaden verantwortlich ist. Der Begriff des Schadens sollte im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden, die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht. Dies gilt unbeschadet von Schadenersatzforderungen aufgrund von Verstößen gegen andere Vorschriften des Unionsrechts oder des Rechts der Mitgliedstaaten. Zu einer Verarbeitung, die mit der vorliegenden Verordnung nicht im Einklang steht, zählt auch eine Verarbeitung, die nicht mit den nach Maßgabe der vorliegenden Verordnung erlassenen delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Präzisierung von Bestimmungen der vorliegenden Verordnung im Einklang steht. Die betroffenen Personen sollten einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten. Sind Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter an derselben Verarbeitung beteiligt, so sollte jeder Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter für den gesamten Schaden haftbar gemacht werden. Werden sie jedoch nach Maßgabe des Rechts der Mitgliedstaaten zu demselben Verfahren hinzugezogen, so können sie im Verhältnis zu der Verantwortung anteilmäßig haftbar gemacht werden, die jeder Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter für den durch die Verarbeitung entstandenen Schaden zu tragen hat, sofern sichergestellt ist, dass die betroffene Person einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhält. Jeder Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter, der den vollen Schadenersatz geleistet hat, kann anschließend ein Rückgriffsverfahren gegen andere an derselben Verarbeitung beteiligte Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter anstrengen. (147) Soweit in dieser Verordnung spezifische Vorschriften über die Gerichtsbarkeit — insbesondere in Bezug auf Verfahren im Hinblick auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf einschließlich Schadenersatz gegen einen Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter — enthalten sind, sollten die allgemeinen Vorschriften über die Gerichtsbarkeit, wie sie etwa in der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates13 enthalten sind, der Anwendung dieser spezifischen Vorschriften nicht entgegenstehen. (148) Im Interesse einer konsequenteren Durchsetzung der Vorschriften dieser Verordnung sollten bei Verstößen gegen diese Verordnung zusätzlich zu den geeigneten Maßnahmen, die die Aufsichtsbehörde gemäß dieser Verordnung verhängt, oder an Stelle solcher Maßnahmen Sanktionen einschließlich Geldbußen verhängt werden. Im Falle eines geringfügigeren Verstoßes oder falls voraussichtlich zu verhängende Geldbuße eine unverhältnismäßige Belastung für eine natürliche Person bewirken würde, kann anstelle

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einer Geldbuße eine Verwarnung erteilt werden. Folgendem sollte jedoch gebührend Rechnung getragen werden: der Art, Schwere und Dauer des Verstoßes, dem vorsätzlichen Charakter des Verstoßes, den Maßnahmen zur Minderung des entstandenen Schadens, dem Grad der Verantwortlichkeit oder jeglichem früheren Verstoß, der Art und Weise, wie der Verstoß der Aufsichtsbehörde bekannt wurde, der Einhaltung der gegen den Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter angeordneten Maßnahmen, der Einhaltung von Verhaltensregeln und jedem anderen erschwerenden oder mildernden Umstand. Für die Verhängung von Sanktionen einschließlich Geldbußen sollte es angemessene Verfahrensgarantien geben, die den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts und der Charta, einschließlich des Rechts auf wirksamen Rechtsschutz und ein faires Verfahren, entsprechen. (149) Die Mitgliedstaaten sollten die strafrechtlichen Sanktionen für Verstöße gegen diese Verordnung, auch für Verstöße gegen auf der Grundlage und in den Grenzen dieser Verordnung erlassene nationale Vorschriften, festlegen können. Diese strafrechtlichen Sanktionen können auch die Einziehung der durch die Verstöße gegen diese Verordnung erzielten Gewinne ermöglichen. Die Verhängung von strafrechtlichen Sanktionen für Verstöße gegen solche nationalen Vorschriften und von verwaltungsrechtlichen Sanktionen sollte jedoch nicht zu einer Verletzung des Grundsatzes „ne bis in idem“, wie er vom Gerichtshof ausgelegt worden ist, führen. (150) Um die verwaltungsrechtlichen Sanktionen bei Verstößen gegen diese Verordnung zu vereinheitlichen und ihnen mehr Wirkung zu verleihen, sollte jede Aufsichtsbehörde befugt sein, Geldbußen zu verhängen. In dieser Verordnung sollten die Verstöße sowie die Obergrenze der entsprechenden Geldbußen und die Kriterien für ihre Festsetzung genannt werden, wobei diese Geldbußen von der zuständigen Aufsichtsbehörde in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller besonderen Umstände und insbesondere der Art, Schwere und Dauer des Verstoßes und seiner Folgen sowie der Maßnahmen, die ergriffen worden sind, um die Einhaltung der aus dieser Verordnung erwachsenden Verpflichtungen zu gewährleisten und die Folgen des Verstoßes abzuwenden oder abzumildern, festzusetzen sind. Werden Geldbußen Unternehmen auferlegt, sollte zu diesem Zweck der Begriff „Unternehmen“ im Sinne der Artikel 101 und 102 AEUV verstanden werden. Werden Geldbußen Personen auferlegt, bei denen es sich nicht um Unternehmen handelt, so sollte die Aufsichtsbehörde bei der Erwägung des angemessenen Betrags für die Geldbuße dem allgemeinen Einkommensniveau in dem betreffenden Mitgliedstaat und der wirtschaftlichen Lage der Personen Rechnung tragen. Das Kohärenzverfahren kann auch genutzt werden, um eine kohärente Anwendung von Geldbußen zu fördern. Die Mitgliedstaaten sollten bestimmen können, ob und inwieweit gegen Behörden Geldbußen verhängt werden können. Auch wenn die Aufsichtsbehörden bereits Geldbußen verhängt oder eine Verwarnung erteilt haben, können sie ihre anderen Befugnisse ausüben oder andere Sanktionen nach Maßgabe dieser Verordnung verhängen. (151) Nach den Rechtsordnungen Dänemarks und Estlands sind die in dieser Verordnung vorgesehenen Geldbußen nicht zulässig. Die Vorschriften über die Geldbußen können so angewandt werden, dass die Geldbuße in Dänemark durch die zuständigen nationalen Gerichte als Strafe und in Estland durch die Aufsichtsbehörde im Rahmen eines Verfahrens bei Vergehen verhängt wird, sofern eine solche Anwendung der Vorschriften in diesen Mitgliedstaaten die gleiche Wirkung wie die von den Aufsichtsbehörden verhängten Geldbußen hat. Daher sollten die zuständigen nationalen Gerichte die Empfehlung der Aufsichtsbehörde, die die Geldbuße in die Wege geleitet hat, berücksichtigen. In

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jeden Fall sollten die verhängten Geldbußen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. (152) Soweit diese Verordnung verwaltungsrechtliche Sanktionen nicht harmonisiert oder wenn es in anderen Fällen — beispielsweise bei schweren Verstößen gegen diese Verordnung — erforderlich ist, sollten die Mitgliedstaaten eine Regelung anwenden, die wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorsieht. Es sollte im Recht der Mitgliedstaaten geregelt werden, ob diese Sanktionen strafrechtlicher oder verwaltungsrechtlicher Art sind. (153) Im Recht der Mitgliedstaaten sollten die Vorschriften über die freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, auch von Journalisten, Wissenschaftlern, Künstlern und/oder Schriftstellern, mit dem Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten gemäß dieser Verordnung in Einklang gebracht werden. Für die Verarbeitung personenbezogener Daten ausschließlich zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken sollten Abweichungen und Ausnahmen von bestimmten Vorschriften dieser Verordnung gelten, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit dem Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, wie es in Artikel 11 der Charta garantiert ist, in Einklang zu bringen. Dies sollte insbesondere für die Verarbeitung personenbezogener Daten im audiovisuellen Bereich sowie in Nachrichten- und Pressearchiven gelten. Die Mitgliedstaaten sollten daher Gesetzgebungsmaßnahmen zur Regelung der Abweichungen und Ausnahmen erlassen, die zum Zwecke der Abwägung zwischen diesen Grundrechten notwendig sind. Die Mitgliedstaaten sollten solche Abweichungen und Ausnahmen in Bezug auf die allgemeinen Grundsätze, die Rechte der betroffenen Person, den Verantwortlichen und den Auftragsverarbeiter, die Übermittlung von personenbezogenen Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen, die unabhängigen Aufsichtsbehörden, die Zusammenarbeit und Kohärenz und besondere Datenverarbeitungssituationen erlassen. Sollten diese Abweichungen oder Ausnahmen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sein, sollte das Recht des Mitgliedstaats angewendet werden, dem der Verantwortliche unterliegt. Um der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung zu tragen, müssen Begriffe wie Journalismus, die sich auf diese Freiheit beziehen, weit ausgelegt werden. (154) Diese Verordnung ermöglicht es, dass bei ihrer Anwendung der Grundsatz des Zugangs der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten berücksichtigt wird. Der Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten kann als öffentliches Interesse betrachtet werden. Personenbezogene Daten in Dokumenten, die sich im Besitz einer Behörde oder einer öffentlichen Stelle befinden, sollten von dieser Behörde oder Stelle öffentlich offengelegt werden können, sofern dies im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten, denen sie unterliegt, vorgesehen ist. Diese Rechtsvorschriften sollten den Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors mit dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten in Einklang bringen und können daher die notwendige Übereinstimmung mit dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung regeln. Die Bezugnahme auf Behörden und öffentliche Stellen sollte in diesem Kontext sämtliche Behörden oder sonstigen Stellen beinhalten, die vom Recht des jeweiligen Mitgliedstaats über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten erfasst werden. Die Richtlinie 2003/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates14 lässt das Schutzniveau für natürliche Perso-

14 ABl. L 345 vom 31. 12. 2003, S. 90.

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nen in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß den Bestimmungen des Unionsrechts und des Rechts der Mitgliedstaaten unberührt und beeinträchtigt diesen in keiner Weise, und sie bewirkt insbesondere keine Änderung der in dieser Verordnung dargelegten Rechte und Pflichten. Insbesondere sollte die genannte Richtlinie nicht für Dokumente gelten, die nach den Zugangsregelungen der Mitgliedstaaten aus Gründen des Schutzes personenbezogener Daten nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind, oder für Teile von Dokumenten, die nach diesen Regelungen zugänglich sind, wenn sie personenbezogene Daten enthalten, bei denen Rechtsvorschriften vorsehen, dass ihre Weiterverwendung nicht mit dem Recht über den Schutz natürlicher Personen in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten vereinbar ist. (155)–(173) Zu Regeln besonderer Verarbeitungsformen und Schlussbestimmungen, deren Wortlaut unten nicht abgedruckt. — HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

KAPITEL I – Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Gegenstand und Ziele (1) Diese Verordnung enthält Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Verkehr solcher Daten. (2) Diese Verordnung schützt die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen und insbesondere deren Recht auf Schutz personenbezogener Daten. (3) Der freie Verkehr personenbezogener Daten in der Union darf aus Gründen des Schutzes natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten weder eingeschränkt noch verboten werden. Art. 2 Sachlicher Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. (2) Diese Verordnung findet keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten a) im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, b) durch die Mitgliedstaaten im Rahmen von Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich von Titel V Kapitel 2 EUV fallen, c) durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten, d) durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit. 692

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(3) Für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union gilt die Verordnung (EG) Nr. 45/2001. Die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und sonstige Rechtsakte der Union, die diese Verarbeitung personenbezogener Daten regeln, werden im Einklang mit Artikel 98 an die Grundsätze und Vorschriften der vorliegenden Verordnung angepasst. (4) Die vorliegende Verordnung lässt die Anwendung der Richtlinie 2000/31/EG und speziell die Vorschriften der Artikel 12 bis 15 dieser Richtlinie zur Verantwortlichkeit der Vermittler unberührt. Art. 3 Räumlicher Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung findet Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, soweit diese im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung eines Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters in der Union erfolgt, unabhängig davon, ob die Verarbeitung in der Union stattfindet. (2) Diese Verordnung findet Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten von betroffenen Personen, die sich in der Union befinden, durch einen nicht in der Union niedergelassenen Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter, wenn die Datenverarbeitung im Zusammenhang damit steht a) betroffenen Personen in der Union Waren oder Dienstleistungen anzubieten, unabhängig davon, ob von diesen betroffenen Personen eine Zahlung zu leisten ist; b) das Verhalten betroffener Personen zu beobachten, soweit ihr Verhalten in der Union erfolgt. (3) Diese Verordnung findet Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch einen nicht in der Union niedergelassenen Verantwortlichen an einem Ort, der aufgrund Völkerrechts dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt. Art. 4 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck: 1. „personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann; 2. „Verarbeitung“ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit 693

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personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung; 3. „Einschränkung der Verarbeitung“ die Markierung gespeicherter personenbezogener Daten mit dem Ziel, ihre künftige Verarbeitung einzuschränken; 4. „Profiling“ jede Art der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten, die darin besteht, dass diese personenbezogenen Daten verwendet werden, um bestimmte persönliche Aspekte, die sich auf eine natürliche Person beziehen, zu bewerten, insbesondere um Aspekte bezüglich Arbeitsleistung, wirtschaftliche Lage, Gesundheit, persönliche Vorlieben, Interessen, Zuverlässigkeit, Verhalten, Aufenthaltsort oder Ortswechsel dieser natürlichen Person zu analysieren oder vorherzusagen; 5. „Pseudonymisierung“ die Verarbeitung personenbezogener Daten in einer Weise, dass die personenbezogenen Daten ohne Hinzuziehung zusätzlicher Informationen nicht mehr einer spezifischen betroffenen Person zugeordnet werden können, sofern diese zusätzlichen Informationen gesondert aufbewahrt werden und technischen und organisatorischen Maßnahmen unterliegen, die gewährleisten, dass die personenbezogenen Daten nicht einer identifizierten oder identifizierbaren natürlichen Person zugewiesen werden; 6. „Dateisystem“ jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird; 7. „Verantwortlicher“ die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet; sind die Zwecke und Mittel dieser Verarbeitung durch das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten vorgegeben, so kann der Verantwortliche beziehungsweise können die bestimmten Kriterien seiner Benennung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen werden; 8. „Auftragsverarbeiter“ eine natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die personenbezogene Daten im Auftrag des Verantwortlichen verarbeitet; 9. „Empfänger“ eine natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, der personenbezogene Daten offengelegt werden, unabhängig davon, ob es sich bei ihr um einen Dritten handelt oder nicht. Behör694

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den, die im Rahmen eines bestimmten Untersuchungsauftrags nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten möglicherweise personenbezogene Daten erhalten, gelten jedoch nicht als Empfänger; die Verarbeitung dieser Daten durch die genannten Behörden erfolgt im Einklang mit den geltenden Datenschutzvorschriften gemäß den Zwecken der Verarbeitung; „Dritter“ eine natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, außer der betroffenen Person, dem Verantwortlichen, dem Auftragsverarbeiter und den Personen, die unter der unmittelbaren Verantwortung des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters befugt sind, die personenbezogenen Daten zu verarbeiten; „Einwilligung“ der betroffenen Person jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist; „Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten“ eine Verletzung der Sicherheit, die, ob unbeabsichtigt oder unrechtmäßig, zur Vernichtung, zum Verlust, zur Veränderung, oder zur unbefugten Offenlegung von beziehungsweise zum unbefugten Zugang zu personenbezogenen Daten führt, die übermittelt, gespeichert oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden; „genetische Daten“ personenbezogene Daten zu den ererbten oder erworbenen genetischen Eigenschaften einer natürlichen Person, die eindeutige Informationen über die Physiologie oder die Gesundheit dieser natürlichen Person liefern und insbesondere aus der Analyse einer biologischen Probe der betreffenden natürlichen Person gewonnen wurden; „biometrische Daten“ mit speziellen technischen Verfahren gewonnene personenbezogene Daten zu den physischen, physiologischen oder verhaltenstypischen Merkmalen einer natürlichen Person, die die eindeutige Identifizierung dieser natürlichen Person ermöglichen oder bestätigen, wie Gesichtsbilder oder daktyloskopische Daten; „Gesundheitsdaten“ personenbezogene Daten, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person, einschließlich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand hervorgehen; „Hauptniederlassung“ a) im Falle eines Verantwortlichen mit Niederlassungen in mehr als einem Mitgliedstaat den Ort seiner Hauptverwaltung in der Union, es sei denn, die Entscheidungen hinsichtlich der Zwecke und Mittel der Verarbei695

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tung personenbezogener Daten werden in einer anderen Niederlassung des Verantwortlichen in der Union getroffen und diese Niederlassung ist befugt, diese Entscheidungen umsetzen zu lassen; in diesem Fall gilt die Niederlassung, die derartige Entscheidungen trifft, als Hauptniederlassung; b) im Falle eines Auftragsverarbeiters mit Niederlassungen in mehr als einem Mitgliedstaat den Ort seiner Hauptverwaltung in der Union oder, sofern der Auftragsverarbeiter keine Hauptverwaltung in der Union hat, die Niederlassung des Auftragsverarbeiters in der Union, in der die Verarbeitungstätigkeiten im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung eines Auftragsverarbeiters hauptsächlich stattfinden, soweit der Auftragsverarbeiter spezifischen Pflichten aus dieser Verordnung unterliegt; „Vertreter“ eine in der Union niedergelassene natürliche oder juristische Person, die von dem Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter schriftlich gemäß Artikel 27 bestellt wurde und den Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter in Bezug auf die ihnen jeweils nach dieser Verordnung obliegenden Pflichten vertritt; „Unternehmen“ eine natürliche oder juristische Person, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, unabhängig von ihrer Rechtsform, einschließlich Personengesellschaften oder Vereinigungen, die regelmäßig einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen; „Unternehmensgruppe“ eine Gruppe, die aus einem herrschenden Unternehmen und den von diesem abhängigen Unternehmen besteht; „verbindliche interne Datenschutzvorschriften“ Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten, zu deren Einhaltung sich ein im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats niedergelassener Verantwortlicher oder Auftragsverarbeiter verpflichtet im Hinblick auf Datenübermittlungen oder eine Kategorie von Datenübermittlungen personenbezogener Daten an einen Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter derselben Unternehmensgruppe oder derselben Gruppe von Unternehmen, die eine gemeinsame Wirtschaftstätigkeit ausüben, in einem oder mehreren Drittländern; „Aufsichtsbehörde“ eine von einem Mitgliedstaat gemäß Artikel 51 eingerichtete unabhängige staatliche Stelle; „betroffene Aufsichtsbehörde“ eine Aufsichtsbehörde, die von der Verarbeitung personenbezogener Daten betroffen ist, weil a) der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats dieser Aufsichtsbehörde niedergelassen ist, b) diese Verarbeitung erhebliche Auswirkungen auf betroffene Personen mit Wohnsitz im Mitgliedstaat dieser Aufsichtsbehörde hat oder haben kann oder c) eine Beschwerde bei dieser Aufsichtsbehörde eingereicht wurde;

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23. „grenzüberschreitende Verarbeitung“ entweder a) eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die im Rahmen der Tätigkeiten von Niederlassungen eines Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters in der Union in mehr als einem Mitgliedstaat erfolgt, wenn der Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter in mehr als einem Mitgliedstaat niedergelassen ist, oder b) eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die im Rahmen der Tätigkeiten einer einzelnen Niederlassung eines Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters in der Union erfolgt, die jedoch erhebliche Auswirkungen auf betroffene Personen in mehr als einem Mitgliedstaat hat oder haben kann; 24. „maßgeblicher und begründeter Einspruch“ einen Einspruch gegen einen Beschlussentwurf im Hinblick darauf, ob ein Verstoß gegen diese Verordnung vorliegt oder ob beabsichtigte Maßnahmen gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter im Einklang mit dieser Verordnung steht, wobei aus diesem Einspruch die Tragweite der Risiken klar hervorgeht, die von dem Beschlussentwurf in Bezug auf die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen und gegebenenfalls den freien Verkehr personenbezogener Daten in der Union ausgehen; 25. „Dienst der Informationsgesellschaft“ eine Dienstleistung im Sinne des Artikels 1 Nummer 1 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates15; 26. „internationale Organisation“ eine völkerrechtliche Organisation und ihre nachgeordneten Stellen oder jede sonstige Einrichtung, die durch eine zwischen zwei oder mehr Ländern geschlossene Übereinkunft oder auf der Grundlage einer solchen Übereinkunft geschaffen wurde.

Kapitel II – Grundsätze Art. 5 Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten (1) Personenbezogene Daten müssen a) auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden („Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz“); b) für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterver-

15 ABl. L 241 vom 17. 9. 2015, S. 1.

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arbeitet werden; eine Weiterverarbeitung für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gilt gemäß Artikel 89 Absatz 1 nicht als unvereinbar mit den ursprünglichen Zwecken („Zweckbindung“); c) dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein („Datenminimierung“); d) sachlich richtig und erforderlichenfalls auf dem neuesten Stand sein; es sind alle angemessenen Maßnahmen zu treffen, damit personenbezogene Daten, die im Hinblick auf die Zwecke ihrer Verarbeitung unrichtig sind, unverzüglich gelöscht oder berichtigt werden („Richtigkeit“); e) in einer Form gespeichert werden, die die Identifizierung der betroffenen Personen nur so lange ermöglicht, wie es für die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, erforderlich ist; personenbezogene Daten dürfen länger gespeichert werden, soweit die personenbezogenen Daten vorbehaltlich der Durchführung geeigneter technischer und organisatorischer Maßnahmen, die von dieser Verordnung zum Schutz der Rechte und Freiheiten der betroffenen Person gefordert werden, ausschließlich für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke oder für wissenschaftliche und historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1 verarbeitet werden („Speicherbegrenzung“); f) in einer Weise verarbeitet werden, die eine angemessene Sicherheit der personenbezogenen Daten gewährleistet, einschließlich Schutz vor unbefugter oder unrechtmäßiger Verarbeitung und vor unbeabsichtigtem Verlust, unbeabsichtigter Zerstörung oder unbeabsichtigter Schädigung durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen („Integrität und Vertraulichkeit“); (2) Der Verantwortliche ist für die Einhaltung des Absatzes 1 verantwortlich und muss dessen Einhaltung nachweisen können („Rechenschaftspflicht“). Art. 6 Rechtmäßigkeit der Verarbeitung (1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist: a) Die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben; b) die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen; c) die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt; d) die Verarbeitung ist erforderlich, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen; 698

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e) die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde; f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt. Unterabsatz 1 Buchstabe f gilt nicht für die von Behörden in Erfüllung ihrer Aufgaben vorgenommene Verarbeitung. (2) Die Mitgliedstaaten können spezifischere Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung in Bezug auf die Verarbeitung zur Erfüllung von Absatz 1 Buchstaben c und e beibehalten oder einführen, indem sie spezifische Anforderungen für die Verarbeitung sowie sonstige Maßnahmen präziser bestimmen, um eine rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgende Verarbeitung zu gewährleisten, einschließlich für andere besondere Verarbeitungssituationen gemäß Kapitel IX. (3) Die Rechtsgrundlage für die Verarbeitungen gemäß Absatz 1 Buchstaben c und e wird festgelegt durch a) Unionsrecht oder b) das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt. Der Zweck der Verarbeitung muss in dieser Rechtsgrundlage festgelegt oder hinsichtlich der Verarbeitung gemäß Absatz 1 Buchstabe e für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich sein, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Diese Rechtsgrundlage kann spezifische Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung enthalten, unter anderem Bestimmungen darüber, welche allgemeinen Bedingungen für die Regelung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung durch den Verantwortlichen gelten, welche Arten von Daten verarbeitet werden, welche Personen betroffen sind, an welche Einrichtungen und für welche Zwecke die personenbezogenen Daten offengelegt werden dürfen, welcher Zweckbindung sie unterliegen, wie lange sie gespeichert werden dürfen und welche Verarbeitungsvorgänge und -verfahren angewandt werden dürfen, einschließlich Maßnahmen zur Gewährleistung einer rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgenden Verarbeitung, wie solche für sonstige besondere Verarbeitungssituationen gemäß Kapitel IX. Das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten müssen ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen. (4) Beruht die Verarbeitung zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, nicht auf der Einwilligung der 699

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betroffenen Person oder auf einer Rechtsvorschrift der Union oder der Mitgliedstaaten, die in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der in Artikel 23 Absatz 1 genannten Ziele darstellt, so berücksichtigt der Verantwortliche — um festzustellen, ob die Verarbeitung zu einem anderen Zweck mit demjenigen, zu dem die personenbezogenen Daten ursprünglich erhoben wurden, vereinbar ist — unter anderem a) jede Verbindung zwischen den Zwecken, für die die personenbezogenen Daten erhoben wurden, und den Zwecken der beabsichtigten Weiterverarbeitung, b) den Zusammenhang, in dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den betroffenen Personen und dem Verantwortlichen, c) die Art der personenbezogenen Daten, insbesondere ob besondere Kategorien personenbezogener Daten gemäß Artikel 9 verarbeitet werden oder ob personenbezogene Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten gemäß Artikel 10 verarbeitet werden, d) die möglichen Folgen der beabsichtigten Weiterverarbeitung für die betroffenen Personen, e) das Vorhandensein geeigneter Garantien, wozu Verschlüsselung oder Pseudonymisierung gehören kann. Art. 7 Bedingungen für die Einwilligung (1) Beruht die Verarbeitung auf einer Einwilligung, muss der Verantwortliche nachweisen können, dass die betroffene Person in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten eingewilligt hat. (2) Erfolgt die Einwilligung der betroffenen Person durch eine schriftliche Erklärung, die noch andere Sachverhalte betrifft, so muss das Ersuchen um Einwilligung in verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache so erfolgen, dass es von den anderen Sachverhalten klar zu unterscheiden ist. Teile der Erklärung sind dann nicht verbindlich, wenn sie einen Verstoß gegen diese Verordnung darstellen. (3) Die betroffene Person hat das Recht, ihre Einwilligung jederzeit zu widerrufen. Durch den Widerruf der Einwilligung wird die Rechtmäßigkeit der aufgrund der Einwilligung bis zum Widerruf erfolgten Verarbeitung nicht berührt. Die betroffene Person wird vor Abgabe der Einwilligung hiervon in Kenntnis gesetzt. Der Widerruf der Einwilligung muss so einfach wie die Erteilung der Einwilligung sein. (4) Bei der Beurteilung, ob die Einwilligung freiwillig erteilt wurde, muss dem Umstand in größtmöglichem Umfang Rechnung getragen werden, ob unter anderem die Erfüllung eines Vertrags, einschließlich der Erbringung einer Dienstleistung, von der Einwilligung zu einer Verarbeitung von personenbezogenen Daten abhängig ist, die für die Erfüllung des Vertrags nicht erforderlich sind. 700

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Art. 8 Bedingungen für die Einwilligung eines Kindes in Bezug auf Dienste der Informationsgesellschaft (1) Gilt Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a bei einem Angebot von Diensten der Informationsgesellschaft, das einem Kind direkt gemacht wird, so ist die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Kindes rechtmäßig, wenn das Kind das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat. Hat das Kind noch nicht das sechzehnte Lebensjahr vollendet, so ist diese Verarbeitung nur rechtmäßig, sofern und soweit diese Einwilligung durch den Träger der elterlichen Verantwortung für das Kind oder mit dessen Zustimmung erteilt wird. Die Mitgliedstaaten können durch Rechtsvorschriften zu diesen Zwecken eine niedrigere Altersgrenze vorsehen, die jedoch nicht unter dem vollendeten dreizehnten Lebensjahr liegen darf. (2) Der Verantwortliche unternimmt unter Berücksichtigung der verfügbaren Technik angemessene Anstrengungen, um sich in solchen Fällen zu vergewissern, dass die Einwilligung durch den Träger der elterlichen Verantwortung für das Kind oder mit dessen Zustimmung erteilt wurde. (3) Absatz 1 lässt das allgemeine Vertragsrecht der Mitgliedstaaten, wie etwa die Vorschriften zur Gültigkeit, zum Zustandekommen oder zu den Rechtsfolgen eines Vertrags in Bezug auf ein Kind, unberührt. Art. 9 Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten (1) Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt. (2) Absatz 1 gilt nicht in folgenden Fällen: a) Die betroffene Person hat in die Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten für einen oder mehrere festgelegte Zwecke ausdrücklich eingewilligt, es sei denn, nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten kann das Verbot nach Absatz 1 durch die Einwilligung der betroffenen Person nicht aufgehoben werden, b) die Verarbeitung ist erforderlich, damit der Verantwortliche oder die betroffene Person die ihm bzw. ihr aus dem Arbeitsrecht und dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erwachsenden Rechte ausüben und seinen bzw. ihren diesbezüglichen Pflichten nachkommen kann, soweit dies nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten oder einer Kollektivvereinbarung nach dem Recht der Mitgliedstaaten, das geeignete Garantien für die Grundrechte und die Interessen der betroffenen Person vorsieht, zulässig ist, 701

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c) die Verarbeitung ist zum Schutz lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person erforderlich und die betroffene Person ist aus körperlichen oder rechtlichen Gründen außerstande, ihre Einwilligung zu geben, d) die Verarbeitung erfolgt auf der Grundlage geeigneter Garantien durch eine politisch, weltanschaulich, religiös oder gewerkschaftlich ausgerichtete Stiftung, Vereinigung oder sonstige Organisation ohne Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen ihrer rechtmäßigen Tätigkeiten und unter der Voraussetzung, dass sich die Verarbeitung ausschließlich auf die Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der Organisation oder auf Personen, die im Zusammenhang mit deren Tätigkeitszweck regelmäßige Kontakte mit ihr unterhalten, bezieht und die personenbezogenen Daten nicht ohne Einwilligung der betroffenen Personen nach außen offengelegt werden, e) die Verarbeitung bezieht sich auf personenbezogene Daten, die die betroffene Person offensichtlich öffentlich gemacht hat, f) die Verarbeitung ist zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich, g) die Verarbeitung ist auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich, h) die Verarbeitung ist für Zwecke der Gesundheitsvorsorge oder der Arbeitsmedizin, für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Beschäftigten, für die medizinische Diagnostik, die Versorgung oder Behandlung im Gesundheitsoder Sozialbereich oder für die Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheits- oder Sozialbereich auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats oder aufgrund eines Vertrags mit einem Angehörigen eines Gesundheitsberufs und vorbehaltlich der in Absatz 3 genannten Bedingungen und Garantien erforderlich, i) die Verarbeitung ist aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie dem Schutz vor schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren oder zur Gewährleistung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei der Gesundheitsversorgung und bei Arzneimitteln und Medizinprodukten, auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Rechte und Freiheiten der betroffenen Person, insbesondere des Berufsgeheimnisses, vorsieht, erforderlich, oder 702

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j)

die Verarbeitung ist auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1 erforderlich. (3) Die in Absatz 1 genannten personenbezogenen Daten dürfen zu den in Absatz 2 Buchstabe h genannten Zwecken verarbeitet werden, wenn diese Daten von Fachpersonal oder unter dessen Verantwortung verarbeitet werden und dieses Fachpersonal nach dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaats oder den Vorschriften nationaler zuständiger Stellen dem Berufsgeheimnis unterliegt, oder wenn die Verarbeitung durch eine andere Person erfolgt, die ebenfalls nach dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaats oder den Vorschriften nationaler zuständiger Stellen einer Geheimhaltungspflicht unterliegt. (4) Die Mitgliedstaaten können zusätzliche Bedingungen, einschließlich Beschränkungen, einführen oder aufrechterhalten, soweit die Verarbeitung von genetischen, biometrischen oder Gesundheitsdaten betroffen ist. Art. 10 Verarbeitung von personenbezogenen Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten Die Verarbeitung personenbezogener Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten oder damit zusammenhängende Sicherungsmaßregeln aufgrund von Artikel 6 Absatz 1 darf nur unter behördlicher Aufsicht vorgenommen werden oder wenn dies nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten, das geeignete Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen vorsieht, zulässig ist. Ein umfassendes Register der strafrechtlichen Verurteilungen darf nur unter behördlicher Aufsicht geführt werden. Art. 11 Verarbeitung, für die eine Identifizierung der betroffenen Person nicht erforderlich ist (1) Ist für die Zwecke, für die ein Verantwortlicher personenbezogene Daten verarbeitet, die Identifizierung der betroffenen Person durch den Verantwortlichen nicht oder nicht mehr erforderlich, so ist dieser nicht verpflichtet, zur bloßen Einhaltung dieser Verordnung zusätzliche Informationen aufzubewahren, einzuholen oder zu verarbeiten, um die betroffene Person zu identifizieren. (2) Kann der Verantwortliche in Fällen gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels nachweisen, dass er nicht in der Lage ist, die betroffene Person zu identifizieren, so unterrichtet er die betroffene Person hierüber, sofern möglich. In diesen Fällen finden die Artikel 15 bis 20 keine Anwendung, es sei denn, die 703

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betroffene Person stellt zur Ausübung ihrer in diesen Artikeln niedergelegten Rechte zusätzliche Informationen bereit, die ihre Identifizierung ermöglichen.

Kapitel III – Rechte der betroffenen Person Abschnitt 1 – Transparenz und Modalitäten Art. 12 Transparente Information, Kommunikation und Modalitäten für die Ausübung der Rechte der betroffenen Person (1) Der Verantwortliche trifft geeignete Maßnahmen, um der betroffenen Person alle Informationen gemäß den Artikeln 13 und 14 und alle Mitteilungen gemäß den Artikeln 15 bis 22 und Artikel 34, die sich auf die Verarbeitung beziehen, in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu übermitteln; dies gilt insbesondere für Informationen, die sich speziell an Kinder richten. Die Übermittlung der Informationen erfolgt schriftlich oder in anderer Form, gegebenenfalls auch elektronisch. Falls von der betroffenen Person verlangt, kann die Information mündlich erteilt werden, sofern die Identität der betroffenen Person in anderer Form nachgewiesen wurde. (2) Der Verantwortliche erleichtert der betroffenen Person die Ausübung ihrer Rechte gemäß den Artikeln 15 bis 22. In den in Artikel 11 Absatz 2 genannten Fällen darf sich der Verantwortliche nur dann weigern, aufgrund des Antrags der betroffenen Person auf Wahrnehmung ihrer Rechte gemäß den Artikeln 15 bis 22 tätig zu werden, wenn er glaubhaft macht, dass er nicht in der Lage ist, die betroffene Person zu identifizieren. (3) Der Verantwortliche stellt der betroffenen Person Informationen über die auf Antrag gemäß den Artikeln 15 bis 22 ergriffenen Maßnahmen unverzüglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zur Verfügung. Diese Frist kann um weitere zwei Monate verlängert werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Komplexität und der Anzahl von Anträgen erforderlich ist. Der Verantwortliche unterrichtet die betroffene Person innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags über eine Fristverlängerung, zusammen mit den Gründen für die Verzögerung. Stellt die betroffene Person den Antrag elektronisch, so ist sie nach Möglichkeit auf elektronischem Weg zu unterrichten, sofern sie nichts anderes angibt. (4) Wird der Verantwortliche auf den Antrag der betroffenen Person hin nicht tätig, so unterrichtet er die betroffene Person ohne Verzögerung, spätestens aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags über die Gründe hierfür und über die Möglichkeit, bei einer Aufsichtsbehörde Beschwerde einzulegen oder einen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen. 704

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(5) Informationen gemäß den Artikeln 13 und 14 sowie alle Mitteilungen und Maßnahmen gemäß den Artikeln 15 bis 22 und Artikel 34 werden unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Bei offenkundig unbegründeten oder — insbesondere im Fall von häufiger Wiederholung — exzessiven Anträgen einer betroffenen Person kann der Verantwortliche entweder a) ein angemessenes Entgelt verlangen, bei dem die Verwaltungskosten für die Unterrichtung oder die Mitteilung oder die Durchführung der beantragten Maßnahme berücksichtigt werden, oder b) sich weigern, aufgrund des Antrags tätig zu werden. Der Verantwortliche hat den Nachweis für den offenkundig unbegründeten oder exzessiven Charakter des Antrags zu erbringen. (6) Hat der Verantwortliche begründete Zweifel an der Identität der natürlichen Person, die den Antrag gemäß den Artikeln 15 bis 21 stellt, so kann er unbeschadet des Artikels 11 zusätzliche Informationen anfordern, die zur Bestätigung der Identität der betroffenen Person erforderlich sind. (7) Die Informationen, die den betroffenen Personen gemäß den Artikeln 13 und 14 bereitzustellen sind, können in Kombination mit standardisierten Bildsymbolen bereitgestellt werden, um in leicht wahrnehmbarer, verständlicher und klar nachvollziehbarer Form einen aussagekräftigen Überblick über die beabsichtigte Verarbeitung zu vermitteln. Werden die Bildsymbole in elektronischer Form dargestellt, müssen sie maschinenlesbar sein. (8) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 92 delegierte Rechtsakte zur Bestimmung der Informationen, die durch Bildsymbole darzustellen sind, und der Verfahren für die Bereitstellung standardisierter Bildsymbole zu erlassen.

Abschnitt 2 – Informationspflicht und Recht auf Auskunft zu personenbezogenen Daten Art. 13 Informationspflicht bei Erhebung von personenbezogenen Daten bei der betroffenen Person (1) Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person erhoben, so teilt der Verantwortliche der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten Folgendes mit: a) den Namen und die Kontaktdaten des Verantwortlichen sowie gegebenenfalls seines Vertreters; b) gegebenenfalls die Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten; c) die Zwecke, für die die personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen, sowie die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung; d) wenn die Verarbeitung auf Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f beruht, die berechtigten Interessen, die von dem Verantwortlichen oder einem Dritten verfolgt werden; 705

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e) gegebenenfalls die Empfänger oder Kategorien von Empfängern der personenbezogenen Daten und f) gegebenenfalls die Absicht des Verantwortlichen, die personenbezogenen Daten an ein Drittland oder eine internationale Organisation zu übermitteln, sowie das Vorhandensein oder das Fehlen eines Angemessenheitsbeschlusses der Kommission oder im Falle von Übermittlungen gemäß Artikel 46 oder Artikel 47 oder Artikel 49 Absatz 1 Unterabsatz 2 einen Verweis auf die geeigneten oder angemessenen Garantien und die Möglichkeit, wie eine Kopie von ihnen zu erhalten ist, oder wo sie verfügbar sind. (2) Zusätzlich zu den Informationen gemäß Absatz 1 stellt der Verantwortliche der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten folgende weitere Informationen zur Verfügung, die notwendig sind, um eine faire und transparente Verarbeitung zu gewährleisten: a) die Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer; b) das Bestehen eines Rechts auf Auskunft seitens des Verantwortlichen über die betreffenden personenbezogenen Daten sowie auf Berichtigung oder Löschung oder auf Einschränkung der Verarbeitung oder eines Widerspruchsrechts gegen die Verarbeitung sowie des Rechts auf Datenübertragbarkeit; c) wenn die Verarbeitung auf Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a beruht, das Bestehen eines Rechts, die Einwilligung jederzeit zu widerrufen, ohne dass die Rechtmäßigkeit der aufgrund der Einwilligung bis zum Widerruf erfolgten Verarbeitung berührt wird; d) das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde; e) ob die Bereitstellung der personenbezogenen Daten gesetzlich oder vertraglich vorgeschrieben oder für einen Vertragsabschluss erforderlich ist, ob die betroffene Person verpflichtet ist, die personenbezogenen Daten bereitzustellen, und welche mögliche Folgen die Nichtbereitstellung hätte und f) das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 4 und — zumindest in diesen Fällen — aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person. (3) Beabsichtigt der Verantwortliche, die personenbezogenen Daten für einen anderen Zweck weiterzuverarbeiten als den, für den die personenbezogenen Daten erhoben wurden, so stellt er der betroffenen Person vor dieser Weiterverarbeitung Informationen über diesen anderen Zweck und alle anderen maßgeblichen Informationen gemäß Absatz 2 zur Verfügung. (4) Die Absätze 1, 2 und 3 finden keine Anwendung, wenn und soweit die betroffene Person bereits über die Informationen verfügt. 706

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Art. 14 Informationspflicht, wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden (1) Werden personenbezogene Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben, so teilt der Verantwortliche der betroffenen Person Folgendes mit: a) den Namen und die Kontaktdaten des Verantwortlichen sowie gegebenenfalls seines Vertreters; b) zusätzlich die Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten; c) die Zwecke, für die die personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen, sowie die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung; d) die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden; e) gegebenenfalls die Empfänger oder Kategorien von Empfängern der personenbezogenen Daten; f) gegebenenfalls die Absicht des Verantwortlichen, die personenbezogenen Daten an einen Empfänger in einem Drittland oder einer internationalen Organisation zu übermitteln, sowie das Vorhandensein oder das Fehlen eines Angemessenheitsbeschlusses der Kommission oder im Falle von Übermittlungen gemäß Artikel 46 oder Artikel 47 oder Artikel 49 Absatz 1 Unterabsatz 2 einen Verweis auf die geeigneten oder angemessenen Garantien und die Möglichkeit, eine Kopie von ihnen zu erhalten, oder wo sie verfügbar sind. (2) Zusätzlich zu den Informationen gemäß Absatz 1 stellt der Verantwortliche der betroffenen Person die folgenden Informationen zur Verfügung, die erforderlich sind, um der betroffenen Person gegenüber eine faire und transparente Verarbeitung zu gewährleisten: a) die Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer; b) wenn die Verarbeitung auf Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f beruht, die berechtigten Interessen, die von dem Verantwortlichen oder einem Dritten verfolgt werden; c) das Bestehen eines Rechts auf Auskunft seitens des Verantwortlichen über die betreffenden personenbezogenen Daten sowie auf Berichtigung oder Löschung oder auf Einschränkung der Verarbeitung und eines Widerspruchsrechts gegen die Verarbeitung sowie des Rechts auf Datenübertragbarkeit; d) wenn die Verarbeitung auf Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a beruht, das Bestehen eines Rechts, die Einwilligung jederzeit zu widerrufen, ohne dass die Rechtmäßigkeit der aufgrund der Einwilligung bis zum Widerruf erfolgten Verarbeitung berührt wird; e) das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde; f) aus welcher Quelle die personenbezogenen Daten stammen und gegebenenfalls ob sie aus öffentlich zugänglichen Quellen stammen; 707

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g) das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 4 und — zumindest in diesen Fällen — aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person. (3) Der Verantwortliche erteilt die Informationen gemäß den Absätzen 1 und 2 a) unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände der Verarbeitung der personenbezogenen Daten innerhalb einer angemessenen Frist nach Erlangung der personenbezogenen Daten, längstens jedoch innerhalb eines Monats, b) falls die personenbezogenen Daten zur Kommunikation mit der betroffenen Person verwendet werden sollen, spätestens zum Zeitpunkt der ersten Mitteilung an sie, oder, c) falls die Offenlegung an einen anderen Empfänger beabsichtigt ist, spätestens zum Zeitpunkt der ersten Offenlegung. (4) Beabsichtigt der Verantwortliche, die personenbezogenen Daten für einen anderen Zweck weiterzuverarbeiten als den, für den die personenbezogenen Daten erlangt wurden, so stellt er der betroffenen Person vor dieser Weiterverarbeitung Informationen über diesen anderen Zweck und alle anderen maßgeblichen Informationen gemäß Absatz 2 zur Verfügung. (5) Die Absätze 1 bis 4 finden keine Anwendung, wenn und soweit a) die betroffene Person bereits über die Informationen verfügt, b) die Erteilung dieser Informationen sich als unmöglich erweist oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde; dies gilt insbesondere für die Verarbeitung für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke vorbehaltlich der in Artikel 89 Absatz 1 genannten Bedingungen und Garantien oder soweit die in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannte Pflicht voraussichtlich die Verwirklichung der Ziele dieser Verarbeitung unmöglich macht oder ernsthaft beeinträchtigt In diesen Fällen ergreift der Verantwortliche geeignete Maßnahmen zum Schutz der Rechte und Freiheiten sowie der berechtigten Interessen der betroffenen Person, einschließlich der Bereitstellung dieser Informationen für die Öffentlichkeit, c) die Erlangung oder Offenlegung durch Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, denen der Verantwortliche unterliegt und die geeignete Maßnahmen zum Schutz der berechtigten Interessen der betroffenen Person vorsehen, ausdrücklich geregelt ist oder d) die personenbezogenen Daten gemäß dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten dem Berufsgeheimnis, einschließlich einer satzungsmäßi708

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gen Geheimhaltungspflicht, unterliegen und daher vertraulich behandelt werden müssen. Art. 15 Auskunftsrecht der betroffenen Person (1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen: a) die Verarbeitungszwecke; b) die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden; c) die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere bei Empfängern in Drittländern oder bei internationalen Organisationen; d) falls möglich die geplante Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer; e) das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten oder auf Einschränkung der Verarbeitung durch den Verantwortlichen oder eines Widerspruchsrechts gegen diese Verarbeitung; f) das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde; g) wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben werden, alle verfügbaren Informationen über die Herkunft der Daten; h) das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 4 und — zumindest in diesen Fällen — aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person. (2) Werden personenbezogene Daten an ein Drittland oder an eine internationale Organisation übermittelt, so hat die betroffene Person das Recht, über die geeigneten Garantien gemäß Artikel 46 im Zusammenhang mit der Übermittlung unterrichtet zu werden. (3) Der Verantwortliche stellt eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung. Für alle weiteren Kopien, die die betroffene Person beantragt, kann der Verantwortliche ein angemessenes Entgelt auf der Grundlage der Verwaltungskosten verlangen. Stellt die betroffene Person den Antrag elektronisch, so sind die Informationen in einem gängigen elektronischen Format zur Verfügung zu stellen, sofern sie nichts anderes angibt. 709

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(4) Das Recht auf Erhalt einer Kopie gemäß Absatz 3 darf die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen.

Abschnitt 3 – Berichtigung und Löschung Art. 16 Recht auf Berichtigung Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen unverzüglich die Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten zu verlangen. Unter Berücksichtigung der Zwecke der Verarbeitung hat die betroffene Person das Recht, die Vervollständigung unvollständiger personenbezogener Daten — auch mittels einer ergänzenden Erklärung — zu verlangen. Art. 17 Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“) (1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft: a) Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig. b) Die betroffene Person widerruft ihre Einwilligung, auf die sich die Verarbeitung gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a stützte, und es fehlt an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung. c) Die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 1 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein und es liegen keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vor, oder die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 2 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein. d) Die personenbezogenen Daten wurden unrechtmäßig verarbeitet. e) Die Löschung der personenbezogenen Daten ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten erforderlich, dem der Verantwortliche unterliegt. f) Die personenbezogenen Daten wurden in Bezug auf angebotene Dienste der Informationsgesellschaft gemäß Artikel 8 Absatz 1 erhoben. (2) Hat der Verantwortliche die personenbezogenen Daten öffentlich gemacht und ist er gemäß Absatz 1 zu deren Löschung verpflichtet, so trifft er unter Berücksichtigung der verfügbaren Technologie und der Implementierungskosten angemessene Maßnahmen, auch technischer Art, um für die Datenverarbeitung Verantwortliche, die die personenbezogenen Daten verarbeiten, darüber zu informieren, dass eine betroffene Person von ihnen die Löschung aller Links 710

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zu diesen personenbezogenen Daten oder von Kopien oder Replikationen dieser personenbezogenen Daten verlangt hat. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, soweit die Verarbeitung erforderlich ist a) zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information; b) zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, die die Verarbeitung nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, erfordert, oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde; c) aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit gemäß Artikel 9 Absatz 2 Buchstaben h und i sowie Artikel 9 Absatz 3; d) für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1, soweit das in Absatz 1 genannte Recht voraussichtlich die Verwirklichung der Ziele dieser Verarbeitung unmöglich macht oder ernsthaft beeinträchtigt, oder e) zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen. Art. 18 Recht auf Einschränkung der Verarbeitung (1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen die Einschränkung der Verarbeitung zu verlangen, wenn eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist: a) die Richtigkeit der personenbezogenen Daten von der betroffenen Person bestritten wird, und zwar für eine Dauer, die es dem Verantwortlichen ermöglicht, die Richtigkeit der personenbezogenen Daten zu überprüfen, b) die Verarbeitung unrechtmäßig ist und die betroffene Person die Löschung der personenbezogenen Daten ablehnt und stattdessen die Einschränkung der Nutzung der personenbezogenen Daten verlangt; c) der Verantwortliche die personenbezogenen Daten für die Zwecke der Verarbeitung nicht länger benötigt, die betroffene Person sie jedoch zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen benötigt, oder d) die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung gemäß Artikel 21 Absatz 1 eingelegt hat, solange noch nicht feststeht, ob die berechtigten Gründe des Verantwortlichen gegenüber denen der betroffenen Person überwiegen. (2) Wurde die Verarbeitung gemäß Absatz 1 eingeschränkt, so dürfen diese personenbezogenen Daten — von ihrer Speicherung abgesehen — nur mit Einwilligung der betroffenen Person oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder zum Schutz der Rechte einer anderen 711

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natürlichen oder juristischen Person oder aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats verarbeitet werden. (3) Eine betroffene Person, die eine Einschränkung der Verarbeitung gemäß Absatz 1 erwirkt hat, wird von dem Verantwortlichen unterrichtet, bevor die Einschränkung aufgehoben wird. Art. 19 Mitteilungspflicht im Zusammenhang mit der Berichtigung oder Löschung personenbezogener Daten oder der Einschränkung der Verarbeitung Der Verantwortliche teilt allen Empfängern, denen personenbezogenen Daten offengelegt wurden, jede Berichtigung oder Löschung der personenbezogenen Daten oder eine Einschränkung der Verarbeitung nach Artikel 16, Artikel 17 Absatz 1 und Artikel 18 mit, es sei denn, dies erweist sich als unmöglich oder ist mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. Der Verantwortliche unterrichtet die betroffene Person über diese Empfänger, wenn die betroffene Person dies verlangt. Art. 20 Recht auf Datenübertragbarkeit (1) Die betroffene Person hat das Recht, die sie betreffenden personenbezogenen Daten, die sie einem Verantwortlichen bereitgestellt hat, in einem strukturierten, gängigen und maschinenlesbaren Format zu erhalten, und sie hat das Recht, diese Daten einem anderen Verantwortlichen ohne Behinderung durch den Verantwortlichen, dem die personenbezogenen Daten bereitgestellt wurden, zu übermitteln, sofern a) die Verarbeitung auf einer Einwilligung gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a oder auf einem Vertrag gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b beruht und b) die Verarbeitung mithilfe automatisierter Verfahren erfolgt. (2) Bei der Ausübung ihres Rechts auf Datenübertragbarkeit gemäß Absatz 1 hat die betroffene Person das Recht, zu erwirken, dass die personenbezogenen Daten direkt von einem Verantwortlichen einem anderen Verantwortlichen übermittelt werden, soweit dies technisch machbar ist. (3) Die Ausübung des Rechts nach Absatz 1 des vorliegenden Artikels lässt Artikel 17 unberührt. Dieses Recht gilt nicht für eine Verarbeitung, die für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. (4) Das Recht gemäß Absatz 1 darf die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen.

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Abschnitt 4 – Widerspruchsrecht und automatisierte Entscheidungsfindung im Einzelfall Art. 21 Widerspruchsrecht (1) Die betroffene Person hat das Recht, aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, jederzeit gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten, die aufgrund von Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben e oder f erfolgt, Widerspruch einzulegen; dies gilt auch für ein auf diese Bestimmungen gestütztes Profiling. Der Verantwortliche verarbeitet die personenbezogenen Daten nicht mehr, es sei denn, er kann zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen, die die Interessen, Rechte und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen, oder die Verarbeitung dient der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen. (2) Werden personenbezogene Daten verarbeitet, um Direktwerbung zu betreiben, so hat die betroffene Person das Recht, jederzeit Widerspruch gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten zum Zwecke derartiger Werbung einzulegen; dies gilt auch für das Profiling, soweit es mit solcher Direktwerbung in Verbindung steht. (3) Widerspricht die betroffene Person der Verarbeitung für Zwecke der Direktwerbung, so werden die personenbezogenen Daten nicht mehr für diese Zwecke verarbeitet. (4) Die betroffene Person muss spätestens zum Zeitpunkt der ersten Kommunikation mit ihr ausdrücklich auf das in den Absätzen 1 und 2 genannte Recht hingewiesen werden; dieser Hinweis hat in einer verständlichen und von anderen Informationen getrennten Form zu erfolgen. (5) Im Zusammenhang mit der Nutzung von Diensten der Informationsgesellschaft kann die betroffene Person ungeachtet der Richtlinie 2002/58/EG ihr Widerspruchsrecht mittels automatisierter Verfahren ausüben, bei denen technische Spezifikationen verwendet werden. (6) Die betroffene Person hat das Recht, aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, gegen die sie betreffende Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten, die zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken gemäß Artikel 89 Absatz 1 erfolgt, Widerspruch einzulegen, es sei denn, die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich. Art. 22 Automatisierte Entscheidungen im Einzelfall einschließlich Profiling (1) Die betroffene Person hat das Recht, nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung — einschließlich Profiling — beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden, die ihr gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt. 713

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(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Entscheidung a) für den Abschluss oder die Erfüllung eines Vertrags zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen erforderlich ist, b) aufgrund von Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, denen der Verantwortliche unterliegt, zulässig ist und diese Rechtsvorschriften angemessene Maßnahmen zur Wahrung der Rechte und Freiheiten sowie der berechtigten Interessen der betroffenen Person enthalten oder c) mit ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Person erfolgt. (3) In den in Absatz 2 Buchstaben a und c genannten Fällen trifft der Verantwortliche angemessene Maßnahmen, um die Rechte und Freiheiten sowie die berechtigten Interessen der betroffenen Person zu wahren, wozu mindestens das Recht auf Erwirkung des Eingreifens einer Person seitens des Verantwortlichen, auf Darlegung des eigenen Standpunkts und auf Anfechtung der Entscheidung gehört. (4) Entscheidungen nach Absatz 2 dürfen nicht auf besonderen Kategorien personenbezogener Daten nach Artikel 9 Absatz 1 beruhen, sofern nicht Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a oder g gilt und angemessene Maßnahmen zum Schutz der Rechte und Freiheiten sowie der berechtigten Interessen der betroffenen Person getroffen wurden.

Abschnitt 5 – Beschränkungen Art. 23 Beschränkungen (1) Durch Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, denen der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter unterliegt, können die Pflichten und Rechte gemäß den Artikeln 12 bis 22 und Artikel 34 sowie Artikel 5, insofern dessen Bestimmungen den in den Artikeln 12 bis 22 vorgesehenen Rechten und Pflichten entsprechen, im Wege von Gesetzgebungsmaßnahmen beschränkt werden, sofern eine solche Beschränkung den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achtet und in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme darstellt, die Folgendes sicherstellt: a) die nationale Sicherheit; b) die Landesverteidigung; c) die öffentliche Sicherheit; d) die Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder die Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit; e) den Schutz sonstiger wichtiger Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats, insbesondere eines wichtigen wirtschaftlichen oder finanziellen Interesses der Union oder eines Mitglied714

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staats, etwa im Währungs-, Haushalts- und Steuerbereich sowie im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der sozialen Sicherheit; f) den Schutz der Unabhängigkeit der Justiz und den Schutz von Gerichtsverfahren; g) die Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von Verstößen gegen die berufsständischen Regeln reglementierter Berufe; h) Kontroll-, Überwachungs- und Ordnungsfunktionen, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt für die unter den Buchstaben a bis e und g genannten Zwecke verbunden sind; i) den Schutz der betroffenen Person oder der Rechte und Freiheiten anderer Personen; j) die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche. (2) Jede Gesetzgebungsmaßnahme im Sinne des Absatzes 1 muss insbesondere gegebenenfalls spezifische Vorschriften enthalten zumindest in Bezug auf a) die Zwecke der Verarbeitung oder die Verarbeitungskategorien, b) die Kategorien personenbezogener Daten, c) den Umfang der vorgenommenen Beschränkungen, d) die Garantien gegen Missbrauch oder unrechtmäßigen Zugang oder unrechtmäßige Übermittlung; e) die Angaben zu dem Verantwortlichen oder den Kategorien von Verantwortlichen, f) die jeweiligen Speicherfristen sowie die geltenden Garantien unter Berücksichtigung von Art, Umfang und Zwecken der Verarbeitung oder der Verarbeitungskategorien, g) die Risiken für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen und h) das Recht der betroffenen Personen auf Unterrichtung über die Beschränkung, sofern dies nicht dem Zweck der Beschränkung abträglich ist.

Kapitel IV – Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter Abschnitt 1 – Allgemeine Pflichten Art. 24 Verantwortung des für die Verarbeitung Verantwortlichen (1) Der Verantwortliche setzt unter Berücksichtigung der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen geeignete technische und organisatorische Maßnahmen um, um sicherzustellen und den Nachweis dafür erbringen zu können, dass die Verarbeitung gemäß dieser Verordnung erfolgt. Diese Maßnahmen werden erforderlichenfalls überprüft und aktualisiert. 715

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(2) Sofern dies in einem angemessenen Verhältnis zu den Verarbeitungstätigkeiten steht, müssen die Maßnahmen gemäß Absatz 1 die Anwendung geeigneter Datenschutzvorkehrungen durch den Verantwortlichen umfassen. (3) Die Einhaltung der genehmigten Verhaltensregeln gemäß Artikel 40 oder eines genehmigten Zertifizierungsverfahrens gemäß Artikel 42 kann als Gesichtspunkt herangezogen werden, um die Erfüllung der Pflichten des Verantwortlichen nachzuweisen. Art. 25 Datenschutz durch Technikgestaltung und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen (1) Unter Berücksichtigung des Stands der Technik, der Implementierungskosten und der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der mit der Verarbeitung verbundenen Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen trifft der Verantwortliche sowohl zum Zeitpunkt der Festlegung der Mittel für die Verarbeitung als auch zum Zeitpunkt der eigentlichen Verarbeitung geeignete technische und organisatorische Maßnahmen — wie z. B. Pseudonymisierung —, die dafür ausgelegt sind, die Datenschutzgrundsätze wie etwa Datenminimierung wirksam umzusetzen und die notwendigen Garantien in die Verarbeitung aufzunehmen, um den Anforderungen dieser Verordnung zu genügen und die Rechte der betroffenen Personen zu schützen. (2) Der Verantwortliche trifft geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, die sicherstellen, dass durch Voreinstellung nur personenbezogene Daten, deren Verarbeitung für den jeweiligen bestimmten Verarbeitungszweck erforderlich ist, verarbeitet werden. Diese Verpflichtung gilt für die Menge der erhobenen personenbezogenen Daten, den Umfang ihrer Verarbeitung, ihre Speicherfrist und ihre Zugänglichkeit. Solche Maßnahmen müssen insbesondere sicherstellen, dass personenbezogene Daten durch Voreinstellungen nicht ohne Eingreifen der Person einer unbestimmten Zahl von natürlichen Personen zugänglich gemacht werden. (3) Ein genehmigtes Zertifizierungsverfahren gemäß Artikel 42 kann als Faktor herangezogen werden, um die Erfüllung der in den Absätzen 1 und 2 des vorliegenden Artikels genannten Anforderungen nachzuweisen. Art. 26 Gemeinsam Verantwortliche (1) Legen zwei oder mehr Verantwortliche gemeinsam die Zwecke der und die Mittel zur Verarbeitung fest, so sind sie gemeinsam Verantwortliche. Sie legen in einer Vereinbarung in transparenter Form fest, wer von ihnen welche Verpflichtung gemäß dieser Verordnung erfüllt, insbesondere was die Wahrnehmung der Rechte der betroffenen Person angeht, und wer welchen Informationspflichten gemäß den Artikeln 13 und 14 716

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nachkommt, sofern und soweit die jeweiligen Aufgaben der Verantwortlichen nicht durch Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, denen die Verantwortlichen unterliegen, festgelegt sind. In der Vereinbarung kann eine Anlaufstelle für die betroffenen Personen angegeben werden. (2) Die Vereinbarung gemäß Absatz 1 muss die jeweiligen tatsächlichen Funktionen und Beziehungen der gemeinsam Verantwortlichen gegenüber betroffenen Personen gebührend widerspiegeln. Das wesentliche der Vereinbarung wird der betroffenen Person zur Verfügung gestellt. (3) Ungeachtet der Einzelheiten der Vereinbarung gemäß Absatz 1 kann die betroffene Person ihre Rechte im Rahmen dieser Verordnung bei und gegenüber jedem einzelnen der Verantwortlichen geltend machen. Art. 27 Vertreter von nicht in der Union niedergelassenen Verantwortlichen oder Auftragsverarbeitern (1) In den Fällen gemäß Artikel 3 Absatz 2 benennt der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter schriftlich einen Vertreter in der Union. (2) Die Pflicht gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels gilt nicht für a) eine Verarbeitung, die gelegentlich erfolgt, nicht die umfangreiche Verarbeitung besonderer Datenkategorien im Sinne des Artikels 9 Absatz 1 oder die umfangreiche Verarbeitung von personenbezogenen Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten im Sinne des Artikels 10 einschließt und unter Berücksichtigung der Art, der Umstände, des Umfangs und der Zwecke der Verarbeitung voraussichtlich nicht zu einem Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen führt, oder b) Behörden oder öffentliche Stellen. (3) Der Vertreter muss in einem der Mitgliedstaaten niedergelassen sein, in denen die betroffenen Personen, deren personenbezogene Daten im Zusammenhang mit den ihnen angebotenen Waren oder Dienstleistungen verarbeitet werden oder deren Verhalten beobachtet wird, sich befinden. (4) Der Vertreter wird durch den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter beauftragt, zusätzlich zu diesem oder an seiner Stelle insbesondere für Aufsichtsbehörden und betroffene Personen bei sämtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Verarbeitung zur Gewährleistung der Einhaltung dieser Verordnung als Anlaufstelle zu dienen. (5) Die Benennung eines Vertreters durch den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter erfolgt unbeschadet etwaiger rechtlicher Schritte gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter selbst. Art. 28 Auftragsverarbeiter (1) Erfolgt eine Verarbeitung im Auftrag eines Verantwortlichen, so arbeitet dieser nur mit Auftragsverarbeitern, die hinreichend 717

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Garantien dafür bieten, dass geeignete technische und organisatorische Maßnahmen so durchgeführt werden, dass die Verarbeitung im Einklang mit den Anforderungen dieser Verordnung erfolgt und den Schutz der Rechte der betroffenen Person gewährleistet. (2) Der Auftragsverarbeiter nimmt keinen weiteren Auftragsverarbeiter ohne vorherige gesonderte oder allgemeine schriftliche Genehmigung des Verantwortlichen in Anspruch. Im Fall einer allgemeinen schriftlichen Genehmigung informiert der Auftragsverarbeiter den Verantwortlichen immer über jede beabsichtigte Änderung in Bezug auf die Hinzuziehung oder die Ersetzung anderer Auftragsverarbeiter, wodurch der Verantwortliche die Möglichkeit erhält, gegen derartige Änderungen Einspruch zu erheben. (3) Die Verarbeitung durch einen Auftragsverarbeiter erfolgt auf der Grundlage eines Vertrags oder eines anderen Rechtsinstruments nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten, der bzw. das den Auftragsverarbeiter in Bezug auf den Verantwortlichen bindet und in dem Gegenstand und Dauer der Verarbeitung, Art und Zweck der Verarbeitung, die Art der personenbezogenen Daten, die Kategorien betroffener Personen und die Pflichten und Rechte des Verantwortlichen festgelegt sind. Dieser Vertrag bzw. dieses andere Rechtsinstrument sieht insbesondere vor, dass der Auftragsverarbeiter a) die personenbezogenen Daten nur auf dokumentierte Weisung des Verantwortlichen — auch in Bezug auf die Übermittlung personenbezogener Daten an ein Drittland oder eine internationale Organisation — verarbeitet, sofern er nicht durch das Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Auftragsverarbeiter unterliegt, hierzu verpflichtet ist; in einem solchen Fall teilt der Auftragsverarbeiter dem Verantwortlichen diese rechtlichen Anforderungen vor der Verarbeitung mit, sofern das betreffende Recht eine solche Mitteilung nicht wegen eines wichtigen öffentlichen Interesses verbietet; b) gewährleistet, dass sich die zur Verarbeitung der personenbezogenen Daten befugten Personen zur Vertraulichkeit verpflichtet haben oder einer angemessenen gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen; c) alle gemäß Artikel 32 erforderlichen Maßnahmen ergreift; d) die in den Absätzen 2 und 4 genannten Bedingungen für die Inanspruchnahme der Dienste eines weiteren Auftragsverarbeiters einhält; e) angesichts der Art der Verarbeitung den Verantwortlichen nach Möglichkeit mit geeigneten technischen und organisatorischen Maßnahmen dabei unterstützt, seiner Pflicht zur Beantwortung von Anträgen auf Wahrnehmung der in Kapitel III genannten Rechte der betroffenen Person nachzukommen; f) unter Berücksichtigung der Art der Verarbeitung und der ihm zur Verfügung stehenden Informationen den Verantwortlichen bei der Einhaltung der in den Artikeln 32 bis 36 genannten Pflichten unterstützt; 718

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g) nach Abschluss der Erbringung der Verarbeitungsleistungen alle personenbezogenen Daten nach Wahl des Verantwortlichen entweder löscht oder zurückgibt und die vorhandenen Kopien löscht, sofern nicht nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten eine Verpflichtung zur Speicherung der personenbezogenen Daten besteht; h) dem Verantwortlichen alle erforderlichen Informationen zum Nachweis der Einhaltung der in diesem Artikel niedergelegten Pflichten zur Verfügung stellt und Überprüfungen — einschließlich Inspektionen –, die vom Verantwortlichen oder einem anderen von diesem beauftragten Prüfer durchgeführt werden, ermöglicht und dazu beiträgt. Mit Blick auf Unterabsatz 1 Buchstabe h informiert der Auftragsverarbeiter den Verantwortlichen unverzüglich, falls er der Auffassung ist, dass eine Weisung gegen diese Verordnung oder gegen andere Datenschutzbestimmungen der Union oder der Mitgliedstaaten verstößt. (4) Nimmt der Auftragsverarbeiter die Dienste eines weiteren Auftragsverarbeiters in Anspruch, um bestimmte Verarbeitungstätigkeiten im Namen des Verantwortlichen auszuführen, so werden diesem weiteren Auftragsverarbeiter im Wege eines Vertrags oder eines anderen Rechtsinstruments nach dem Unionsrecht oder dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats dieselben Datenschutzpflichten auferlegt, die in dem Vertrag oder anderen Rechtsinstrument zwischen dem Verantwortlichen und dem Auftragsverarbeiter gemäß Absatz 3 festgelegt sind, wobei insbesondere hinreichende Garantien dafür geboten werden muss, dass die geeigneten technischen und organisatorischen Maßnahmen so durchgeführt werden, dass die Verarbeitung entsprechend den Anforderungen dieser Verordnung erfolgt. Kommt der weitere Auftragsverarbeiter seinen Datenschutzpflichten nicht nach, so haftet der erste Auftragsverarbeiter gegenüber dem Verantwortlichen für die Einhaltung der Pflichten jenes anderen Auftragsverarbeiters. (5) Die Einhaltung genehmigter Verhaltensregeln gemäß Artikel 40 oder eines genehmigten Zertifizierungsverfahrens gemäß Artikel 42 durch einen Auftragsverarbeiter kann als Faktor herangezogen werden, um hinreichende Garantien im Sinne der Absätze 1 und 4 des vorliegenden Artikels nachzuweisen. (6) Unbeschadet eines individuellen Vertrags zwischen dem Verantwortlichen und dem Auftragsverarbeiter kann der Vertrag oder das andere Rechtsinstrument im Sinne der Absätze 3 und 4 des vorliegenden Artikels ganz oder teilweise auf den in den Absätzen 7 und 8 des vorliegenden Artikels genannten Standardvertragsklauseln beruhen, auch wenn diese Bestandteil einer dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter gemäß den Artikeln 42 und 43 erteilten Zertifizierung sind. (7) Die Kommission kann im Einklang mit dem Prüfverfahren gemäß Artikel 93 Absatz 2 Standardvertragsklauseln zur Regelung der in den Absätzen 3 und 4 des vorliegenden Artikels genannten Fragen festlegen. 719

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(8) Eine Aufsichtsbehörde kann im Einklang mit dem Kohärenzverfahren gemäß Artikel 63 Standardvertragsklauseln zur Regelung der in den Absätzen 3 und 4 des vorliegenden Artikels genannten Fragen festlegen. (9) Der Vertrag oder das andere Rechtsinstrument im Sinne der Absätze 3 und 4 ist schriftlich abzufassen, was auch in einem elektronischen Format erfolgen kann. (10) Unbeschadet der Artikel 82, 83 und 84 gilt ein Auftragsverarbeiter, der unter Verstoß gegen diese Verordnung die Zwecke und Mittel der Verarbeitung bestimmt, in Bezug auf diese Verarbeitung als Verantwortlicher. Art. 29 Verarbeitung unter der Aufsicht des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters Der Auftragsverarbeiter und jede dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter unterstellte Person, die Zugang zu personenbezogenen Daten hat, dürfen diese Daten ausschließlich auf Weisung des Verantwortlichen verarbeiten, es sei denn, dass sie nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten zur Verarbeitung verpflichtet sind. Art. 30 Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten (1) Jeder Verantwortliche und gegebenenfalls sein Vertreter führen ein Verzeichnis aller Verarbeitungstätigkeiten, die ihrer Zuständigkeit unterliegen. Dieses Verzeichnis enthält sämtliche folgenden Angaben: a) den Namen und die Kontaktdaten des Verantwortlichen und gegebenenfalls des gemeinsam mit ihm Verantwortlichen, des Vertreters des Verantwortlichen sowie eines etwaigen Datenschutzbeauftragten; b) die Zwecke der Verarbeitung; c) eine Beschreibung der Kategorien betroffener Personen und der Kategorien personenbezogener Daten; d) die Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, einschließlich Empfänger in Drittländern oder internationalen Organisationen; e) gegebenenfalls Übermittlungen von personenbezogenen Daten an ein Drittland oder an eine internationale Organisation, einschließlich der Angabe des betreffenden Drittlands oder der betreffenden internationalen Organisation, sowie bei den in Artikel 49 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Datenübermittlungen die Dokumentierung geeigneter Garantien; f) wenn möglich, die vorgesehenen Fristen für die Löschung der verschiedenen Datenkategorien; g) wenn möglich, eine allgemeine Beschreibung der technischen und organisatorischen Maßnahmen gemäß Artikel 32 Absatz 1. 720

Datenschutz-Grundverordnung 2016/679

2.24

(2) Jeder Auftragsverarbeiter und gegebenenfalls sein Vertreter führen ein Verzeichnis zu allen Kategorien von im Auftrag eines Verantwortlichen durchgeführten Tätigkeiten der Verarbeitung, die Folgendes enthält: a) den Namen und die Kontaktdaten des Auftragsverarbeiters oder der Auftragsverarbeiter und jedes Verantwortlichen, in dessen Auftrag der Auftragsverarbeiter tätig ist, sowie gegebenenfalls des Vertreters des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters und eines etwaigen Datenschutzbeauftragten; b) die Kategorien von Verarbeitungen, die im Auftrag jedes Verantwortlichen durchgeführt werden; c) gegebenenfalls Übermittlungen von personenbezogenen Daten an ein Drittland oder an eine internationale Organisation, einschließlich der Angabe des betreffenden Drittlands oder der betreffenden internationalen Organisation, sowie bei den in Artikel 49 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Datenübermittlungen die Dokumentierung geeigneter Garantien; d) wenn möglich, eine allgemeine Beschreibung der technischen und organisatorischen Maßnahmen gemäß Artikel 32 Absatz 1. (3) Das in den Absätzen 1 und 2 genannte Verzeichnis ist schriftlich zu führen, was auch in einem elektronischen Format erfolgen kann. (4) Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter sowie gegebenenfalls der Vertreter des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters stellen der Aufsichtsbehörde das Verzeichnis auf Anfrage zur Verfügung. (5) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Pflichten gelten nicht für Unternehmen oder Einrichtungen, die weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen, es sei denn, die von ihnen vorgenommene Verarbeitung birgt ein Risiko für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen, die Verarbeitung erfolgt nicht nur gelegentlich oder es erfolgt eine Verarbeitung besonderer Datenkategorien gemäß Artikel 9 Absatz 1 bzw. die Verarbeitung von personenbezogenen Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten im Sinne des Artikels 10. Art. 31 Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde Der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter und gegebenenfalls deren Vertreter arbeiten auf Anfrage mit der Aufsichtsbehörde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zusammen.

Abschnitt 2 – Sicherheit personenbezogener Daten Art. 32 Sicherheit der Verarbeitung (1) Unter Berücksichtigung des Stands der Technik, der Implementierungskosten und der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere des Risikos für die Rechte und Freiheiten natürlicher 721

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Personen treffen der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten; diese Maßnahmen schließen gegebenenfalls unter anderem Folgendes ein: a) die Pseudonymisierung und Verschlüsselung personenbezogener Daten; b) die Fähigkeit, die Vertraulichkeit, Integrität, Verfügbarkeit und Belastbarkeit der Systeme und Dienste im Zusammenhang mit der Verarbeitung auf Dauer sicherzustellen; c) die Fähigkeit, die Verfügbarkeit der personenbezogenen Daten und den Zugang zu ihnen bei einem physischen oder technischen Zwischenfall rasch wiederherzustellen; d) ein Verfahren zur regelmäßigen Überprüfung, Bewertung und Evaluierung der Wirksamkeit der technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Verarbeitung. (2) Bei der Beurteilung des angemessenen Schutzniveaus sind insbesondere die Risiken zu berücksichtigen, die mit der Verarbeitung verbunden sind, insbesondere durch — ob unbeabsichtigt oder unrechtmäßig — Vernichtung, Verlust, Veränderung oder unbefugte Offenlegung von beziehungsweise unbefugten Zugang zu personenbezogenen Daten, die übermittelt, gespeichert oder auf andere Weise verarbeitet wurden. (3) Die Einhaltung genehmigter Verhaltensregeln gemäß Artikel 40 oder eines genehmigten Zertifizierungsverfahrens gemäß Artikel 42 kann als Faktor herangezogen werden, um die Erfüllung der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Anforderungen nachzuweisen. (4) Der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter unternehmen Schritte, um sicherzustellen, dass ihnen unterstellte natürliche Personen, die Zugang zu personenbezogenen Daten haben, diese nur auf Anweisung des Verantwortlichen verarbeiten, es sei denn, sie sind nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten zur Verarbeitung verpflichtet. Art. 33 Meldung von Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten an die Aufsichtsbehörde (1) Im Falle einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten meldet der Verantwortliche unverzüglich und möglichst binnen 72 Stunden, nachdem ihm die Verletzung bekannt wurde, diese der gemäß Artikel 55 zuständigen Aufsichtsbehörde, es sei denn, dass die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten voraussichtlich nicht zu einem Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen führt. Erfolgt die Meldung an die Aufsichtsbehörde nicht binnen 72 Stunden, so ist ihr eine Begründung für die Verzögerung beizufügen. (2) Wenn dem Auftragsverarbeiter eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten bekannt wird, meldet er diese dem Verantwortlichen unverzüglich. 722

Datenschutz-Grundverordnung 2016/679

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(3) Die Meldung gemäß Absatz 1 enthält zumindest folgende Informationen: a) eine Beschreibung der Art der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten, soweit möglich mit Angabe der Kategorien und der ungefähren Zahl der betroffenen Personen, der betroffenen Kategorien und der ungefähren Zahl der betroffenen personenbezogenen Datensätze; b) den Namen und die Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten oder einer sonstigen Anlaufstelle für weitere Informationen; c) eine Beschreibung der wahrscheinlichen Folgen der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten; d) eine Beschreibung der von dem Verantwortlichen ergriffenen oder vorgeschlagenen Maßnahmen zur Behebung der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten und gegebenenfalls Maßnahmen zur Abmilderung ihrer möglichen nachteiligen Auswirkungen. (4) Wenn und soweit die Informationen nicht zur gleichen Zeit bereitgestellt werden können, kann der Verantwortliche diese Informationen ohne unangemessene weitere Verzögerung schrittweise zur Verfügung stellen. (5) Der Verantwortliche dokumentiert Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten einschließlich aller im Zusammenhang mit der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten stehenden Fakten, von deren Auswirkungen und der ergriffenen Abhilfemaßnahmen. Diese Dokumentation muss der Aufsichtsbehörde die Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Artikels ermöglichen. Art. 34 Benachrichtigung der von einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten betroffenen Person (1) Hat die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten voraussichtlich ein hohes Risiko für die persönlichen Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge, so benachrichtigt der Verantwortliche die betroffene Person unverzüglich von der Verletzung. (2) Die in Absatz 1 genannte Benachrichtigung der betroffenen Person beschreibt in klarer und einfacher Sprache die Art der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten und enthält zumindest die in Artikel 33 Absatz 3 Buchstaben b, c und d genannten Informationen und Maßnahmen. (3) Die Benachrichtigung der betroffenen Person gemäß Absatz 1 ist nicht erforderlich, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist: a) der Verantwortliche geeignete technische und organisatorische Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat und diese Vorkehrungen auf die von der Verletzung betroffenen personenbezogenen Daten angewandt wurden, insbesondere solche, durch die die personenbezogenen Daten für alle Personen, die nicht zum Zugang zu den personenbezogenen Daten befugt sind, unzugänglich gemacht werden, etwa durch Verschlüsselung; 723

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b) der Verantwortliche durch nachfolgende Maßnahmen sichergestellt hat, dass das hohe Risiko für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen gemäß Absatz 1 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr besteht; c) dies mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre. In diesem Fall hat stattdessen eine öffentliche Bekanntmachung oder eine ähnliche Maßnahme zu erfolgen, durch die die betroffenen Personen vergleichbar wirksam informiert werden. (4) Wenn der Verantwortliche die betroffene Person nicht bereits über die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten benachrichtigt hat, kann die Aufsichtsbehörde unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit, mit der die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten zu einem hohen Risiko führt, von dem Verantwortlichen verlangen, dies nachzuholen, oder sie kann mit einem Beschluss feststellen, dass bestimmte der in Absatz 3 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Art. 35–43 Datenschutz-Folgenabschätzung und vorherige Konsultation, Datenschutzbeauftragter, Verhaltensregeln und Zertifizierung — nicht abgedruckt.

Kapitel V – Übermittlungen personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen Art. 44 Allgemeine Grundsätze der Datenübermittlung Jedwede Übermittlung personenbezogener Daten, die bereits verarbeitet werden oder nach ihrer Übermittlung an ein Drittland oder eine internationale Organisation verarbeitet werden sollen, ist nur zulässig, wenn der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter die in diesem Kapitel niedergelegten Bedingungen einhalten und auch die sonstigen Bestimmungen dieser Verordnung eingehalten werden; dies gilt auch für die etwaige Weiterübermittlung personenbezogener Daten aus dem betreffenden Drittland oder der betreffenden internationalen Organisation an ein anderes Drittland oder eine andere internationale Organisation. Alle Bestimmungen dieses Kapitels sind anzuwenden, um sicherzustellen, dass das durch diese Verordnung gewährleistete Schutzniveau für natürliche Personen nicht untergraben wird. Art. 45 Datenschutz-Folgenabschätzung (1) Hat eine Form der Verarbeitung, insbesondere bei Verwendung neuer Technologien, aufgrund der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge, so führt der Verantwortliche vorab eine Abschätzung der Folgen der vorgesehenen 724

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Verarbeitungsvorgänge für den Schutz personenbezogener Daten durch. Für die Untersuchung mehrerer ähnlicher Verarbeitungsvorgänge mit ähnlich hohen Risiken kann eine einzige Abschätzung vorgenommen werden. (2)–(9) Einzelheiten – nicht abgedruckt. Art. 46–50 Einzelheiten zur Datenübermittlung und internationale Zusammenarbeit — nicht abgedruckt.

Kapitel VI – Unabhängige Aufsichtsbehörden Art. 51–59 Unabhängigkeit, Zuständigkeit, Aufgaben und Befugnisse — nicht abgedruckt.

Kapitel VII – Zusammenarbeit und Kohärenz Art. 60–76 Zusammenarbeit, Aufsichtsbehörden und Kohärenz sowie europäischer Datenschutzausschuss — nicht abgedruckt.

Kapitel VIII – Rechtsbehelfe, Haftung und Sanktionen Art. 77 Recht auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde (1) Jede betroffene Person hat unbeschadet eines anderweitigen verwaltungsrechtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs das Recht auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde, insbesondere in dem Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts, ihres Arbeitsplatzes oder des Orts des mutmaßlichen Verstoßes, wenn die betroffene Person der Ansicht ist, dass die Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten gegen diese Verordnung verstößt. (2) Die Aufsichtsbehörde, bei der die Beschwerde eingereicht wurde, unterrichtet den Beschwerdeführer über den Stand und die Ergebnisse der Beschwerde einschließlich der Möglichkeit eines gerichtlichen Rechtsbehelfs nach Artikel 78. Art. 78 Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen eine Aufsichtsbehörde (1) Jede natürliche oder juristische Person hat unbeschadet eines anderweitigen verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen einen sie betreffenden rechtsverbindlichen Beschluss einer Aufsichtsbehörde. 725

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(2) Jede betroffene Person hat unbeschadet eines anderweitigen verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtbehelfs das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf, wenn die nach den Artikeln 55 und 56 zuständige Aufsichtsbehörde sich nicht mit einer Beschwerde befasst oder die betroffene Person nicht innerhalb von drei Monaten über den Stand oder das Ergebnis der gemäß Artikel 77 erhobenen Beschwerde in Kenntnis gesetzt hat. (3) Für Verfahren gegen eine Aufsichtsbehörde sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem die Aufsichtsbehörde ihren Sitz hat. (4) Kommt es zu einem Verfahren gegen den Beschluss einer Aufsichtsbehörde, dem eine Stellungnahme oder ein Beschluss des Ausschusses im Rahmen des Kohärenzverfahrens vorangegangen ist, so leitet die Aufsichtsbehörde diese Stellungnahme oder diesen Beschluss dem Gericht zu. Art. 79 Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter (1) Jede betroffene Person hat unbeschadet eines verfügbaren verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs einschließlich des Rechts auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde gemäß Artikel 77 das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf, wenn sie der Ansicht ist, dass die ihr aufgrund dieser Verordnung zustehenden Rechte infolge einer nicht im Einklang mit dieser Verordnung stehenden Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten verletzt wurden. (2) Für Klagen gegen einen Verantwortlichen oder gegen einen Auftragsverarbeiter sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter eine Niederlassung hat. Wahlweise können solche Klagen auch bei den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dem die betroffene Person ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, es sei denn, es handelt sich bei dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter um eine Behörde eines Mitgliedstaats, die in Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse tätig geworden ist. Art. 80 Vertretung von betroffenen Personen (1) Die betroffene Person hat das Recht, eine Einrichtung, Organisationen oder Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die ordnungsgemäß nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist, deren satzungsmäßige Ziele im öffentlichem Interesse liegen und die im Bereich des Schutzes der Rechte und Freiheiten von betroffenen Personen in Bezug auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten tätig ist, zu beauftragen, in ihrem Namen eine Beschwerde einzureichen, in ihrem Namen die in den Artikeln 77, 78 und 79 genannten Rechte wahrzunehmen und das Recht auf Schadensersatz gemäß Artikel 82 in Anspruch zu nehmen, sofern dieses im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen ist. 726

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(2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass jede der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Einrichtungen, Organisationen oder Vereinigungen unabhängig von einem Auftrag der betroffenen Person in diesem Mitgliedstaat das Recht hat, bei der gemäß Artikel 77 zuständigen Aufsichtsbehörde eine Beschwerde einzulegen und die in den Artikeln 78 und 79 aufgeführten Rechte in Anspruch zu nehmen, wenn ihres Erachtens die Rechte einer betroffenen Person gemäß dieser Verordnung infolge einer Verarbeitung verletzt worden sind. Art. 81 Aussetzung des Verfahrens (1) Erhält ein zuständiges Gericht in einem Mitgliedstaat Kenntnis von einem Verfahren zu demselben Gegenstand in Bezug auf die Verarbeitung durch denselben Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter, das vor einem Gericht in einem anderen Mitgliedstaat anhängig ist, so nimmt es mit diesem Gericht Kontakt auf, um sich zu vergewissern, dass ein solches Verfahren existiert. (2) Ist ein Verfahren zu demselben Gegenstand in Bezug auf die Verarbeitung durch denselben Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter vor einem Gericht in einem anderen Mitgliedstaat anhängig, so kann jedes später angerufene zuständige Gericht das bei ihm anhängige Verfahren aussetzen. (3) Sind diese Verfahren in erster Instanz anhängig, so kann sich jedes später angerufene Gericht auf Antrag einer Partei auch für unzuständig erklären, wenn das zuerst angerufene Gericht für die betreffenden Klagen zuständig ist und die Verbindung der Klagen nach seinem Recht zulässig ist. Art. 82 Haftung und Recht auf Schadenersatz (1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. (2) Jeder an einer Verarbeitung beteiligte Verantwortliche haftet für den Schaden, der durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung verursacht wurde. Ein Auftragsverarbeiter haftet für den durch eine Verarbeitung verursachten Schaden nur dann, wenn er seinen speziell den Auftragsverarbeitern auferlegten Pflichten aus dieser Verordnung nicht nachgekommen ist oder unter Nichtbeachtung der rechtmäßig erteilten Anweisungen des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen oder gegen diese Anweisungen gehandelt hat. (3) Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter wird von der Haftung gemäß Absatz 2 befreit, wenn er nachweist, dass er in keinerlei Hinsicht für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, verantwortlich ist. (4) Ist mehr als ein Verantwortlicher oder mehr als ein Auftragsverarbeiter bzw. sowohl ein Verantwortlicher als auch ein Auftragsverarbeiter an derselben Verarbeitung beteiligt und sind sie gemäß den Absätzen 2 und 3 für einen durch 727

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die Verarbeitung verursachten Schaden verantwortlich, so haftet jeder Verantwortliche oder jeder Auftragsverarbeiter für den gesamten Schaden, damit ein wirksamer Schadensersatz für die betroffene Person sichergestellt ist. (5) Hat ein Verantwortlicher oder Auftragsverarbeiter gemäß Absatz 4 vollständigen Schadenersatz für den erlittenen Schaden gezahlt, so ist dieser Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter berechtigt, von den übrigen an derselben Verarbeitung beteiligten für die Datenverarbeitung Verantwortlichen oder Auftragsverarbeitern den Teil des Schadenersatzes zurückzufordern, der unter den in Absatz 2 festgelegten Bedingungen ihrem Anteil an der Verantwortung für den Schaden entspricht. (6) Mit Gerichtsverfahren zur Inanspruchnahme des Rechts auf Schadenersatz sind die Gerichte zu befassen, die nach den in Artikel 79 Absatz 2 genannten Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats zuständig sind. Art. 83 Allgemeine Bedingungen für die Verhängung von Geldbußen (1) Jede Aufsichtsbehörde stellt sicher, dass die Verhängung von Geldbußen gemäß diesem Artikel für Verstöße gegen diese Verordnung gemäß den Absätzen 4, 5 und 6 in jedem Einzelfall wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ist. (2) Geldbußen werden je nach den Umständen des Einzelfalls zusätzlich zu oder anstelle von Maßnahmen nach Artikel 58 Absatz 2 Buchstaben a bis h und j verhängt. Bei der Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße und über deren Betrag wird in jedem Einzelfall Folgendes gebührend berücksichtigt: a) Art, Schwere und Dauer des Verstoßes unter Berücksichtigung der Art, des Umfangs oder des Zwecks der betreffenden Verarbeitung sowie der Zahl der von der Verarbeitung betroffenen Personen und des Ausmaßes des von ihnen erlittenen Schadens; b) Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit des Verstoßes; c) jegliche von dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter getroffenen Maßnahmen zur Minderung des den betroffenen Personen entstandenen Schadens; d) Grad der Verantwortung des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters unter Berücksichtigung der von ihnen gemäß den Artikeln 25 und 32 getroffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen; e) etwaige einschlägige frühere Verstöße des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters; f) Umfang der Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde, um dem Verstoß abzuhelfen und seine möglichen nachteiligen Auswirkungen zu mindern; g) Kategorien personenbezogener Daten, die von dem Verstoß betroffen sind; h) Art und Weise, wie der Verstoß der Aufsichtsbehörde bekannt wurde, insbesondere ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter den Verstoß mitgeteilt hat; 728

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i)

Einhaltung der nach Artikel 58 Absatz 2 früher gegen den für den betreffenden Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter in Bezug auf denselben Gegenstand angeordneten Maßnahmen, wenn solche Maßnahmen angeordnet wurden; j) Einhaltung von genehmigten Verhaltensregeln nach Artikel 40 oder genehmigten Zertifizierungsverfahren nach Artikel 42 und k) jegliche anderen erschwerenden oder mildernden Umstände im jeweiligen Fall, wie unmittelbar oder mittelbar durch den Verstoß erlangte finanzielle Vorteile oder vermiedene Verluste. (3) Verstößt ein Verantwortlicher oder ein Auftragsverarbeiter bei gleichen oder miteinander verbundenen Verarbeitungsvorgängen vorsätzlich oder fahrlässig gegen mehrere Bestimmungen dieser Verordnung, so übersteigt der Gesamtbetrag der Geldbuße nicht den Betrag für den schwerwiegendsten Verstoß. (4) Bei Verstößen gegen die folgenden Bestimmungen werden im Einklang mit Absatz 2 Geldbußen von bis zu 10 000 000 EUR oder im Fall eines Unternehmens von bis zu 2 % seines gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs verhängt, je nachdem, welcher der Beträge höher ist: a) die Pflichten der Verantwortlichen und der Auftragsverarbeiter gemäß den Artikeln 8, 11, 25 bis 39, 42 und 43; b) die Pflichten der Zertifizierungsstelle gemäß den Artikeln 42 und 43; c) die Pflichten der Überwachungsstelle gemäß Artikel 41 Absatz 4. (5) Bei Verstößen gegen die folgenden Bestimmungen werden im Einklang mit Absatz 2 Geldbußen von bis zu 20 000 000 EUR oder im Fall eines Unternehmens von bis zu 4 % seines gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs verhängt, je nachdem, welcher der Beträge höher ist: a) die Grundsätze für die Verarbeitung, einschließlich der Bedingungen für die Einwilligung, gemäß den Artikeln 5, 6, 7 und 9; b) die Rechte der betroffenen Person gemäß den Artikeln 12 bis 22; c) die Übermittlung personenbezogener Daten an einen Empfänger in einem Drittland oder an eine internationale Organisation gemäß den Artikeln 44 bis 49; d) alle Pflichten gemäß den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die im Rahmen des Kapitels IX erlassen wurden; e) Nichtbefolgung einer Anweisung oder einer vorübergehenden oder endgültigen Beschränkung oder Aussetzung der Datenübermittlung durch die Aufsichtsbehörde gemäß Artikel 58 Absatz 2 oder Nichtgewährung des Zugangs unter Verstoß gegen Artikel 58 Absatz 1. (6) Bei Nichtbefolgung einer Anweisung der Aufsichtsbehörde gemäß Artikel 58 Absatz 2 werden im Einklang mit Absatz 2 des vorliegenden Artikels Geldbußen 729

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von bis zu 20 000 000 EUR oder im Fall eines Unternehmens von bis zu 4 % seines gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs verhängt, je nachdem, welcher der Beträge höher ist. (7) Unbeschadet der Abhilfebefugnisse der Aufsichtsbehörden gemäß Artikel 58 Absatz 2 kann jeder Mitgliedstaat Vorschriften dafür festlegen, ob und in welchem Umfang gegen Behörden und öffentliche Stellen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat niedergelassen sind, Geldbußen verhängt werden können. (8) Die Ausübung der eigenen Befugnisse durch eine Aufsichtsbehörde gemäß diesem Artikel muss angemessenen Verfahrensgarantien gemäß dem Unionsrecht und dem Recht der Mitgliedstaaten, einschließlich wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelfe und ordnungsgemäßer Verfahren, unterliegen. (9) Sieht die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats keine Geldbußen vor, kann dieser Artikel so angewandt werden, dass die Geldbuße von der zuständigen Aufsichtsbehörde in die Wege geleitet und von den zuständigen nationalen Gerichten verhängt wird, wobei sicherzustellen ist, dass diese Rechtsbehelfe wirksam sind und die gleiche Wirkung wie die von Aufsichtsbehörden verhängten Geldbußen haben. In jeden Fall müssen die verhängten Geldbußen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die betreffenden Mitgliedstaaten teilen der Kommission bis zum 25. Mai 2018 die Rechtsvorschriften mit, die sie aufgrund dieses Absatzes erlassen, sowie unverzüglich alle späteren Änderungsgesetze oder Änderungen dieser Vorschriften. Art. 84 Sanktionen (1) Die Mitgliedstaaten legen die Vorschriften über andere Sanktionen für Verstöße gegen diese Verordnung — insbesondere für Verstöße, die keiner Geldbuße gemäß Artikel 83 unterliegen — fest und treffen alle zu deren Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (2) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission bis zum 25. Mai 2018 die Rechtsvorschriften, die er aufgrund von Absatz 1 erlässt, sowie unverzüglich alle späteren Änderungen dieser Vorschriften mit.

Kapitel IX – Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen Art. 85 Verarbeitung und Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (1) Die Mitgliedstaaten bringen durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der 730

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Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang. (2) Für die Verarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, sehen die Mitgliedstaaten Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen. (3) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission die Rechtsvorschriften, die er aufgrund von Absatz 2 erlassen hat, sowie unverzüglich alle späteren Änderungsgesetze oder Änderungen dieser Vorschriften mit. Artikel 86 Verarbeitung und Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten Personenbezogene Daten in amtlichen Dokumenten, die sich im Besitz einer Behörde oder einer öffentlichen Einrichtung oder einer privaten Einrichtung zur Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe befinden, können von der Behörde oder der Einrichtung gemäß dem Unionsrecht oder dem Recht des Mitgliedstaats, dem die Behörde oder Einrichtung unterliegt, offengelegt werden, um den Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten mit dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung in Einklang zu bringen. Artikel 87 Verarbeitung der nationalen Kennziffer Die Mitgliedstaaten können näher bestimmen, unter welchen spezifischen Bedingungen eine nationale Kennziffer oder andere Kennzeichen von allgemeiner Bedeutung Gegenstand einer Verarbeitung sein dürfen. In diesem Fall darf die nationale Kennziffer oder das andere Kennzeichen von allgemeiner Bedeutung nur unter Wahrung geeigneter Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person gemäß dieser Verordnung verwendet werden. Artikel 88 Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext (1) Die Mitgliedstaaten können durch Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext, insbesondere für Zwecke der Einstellung, der Erfüllung des Arbeitsvertrags einschließlich der Erfüllung von durch Rechtsvor731

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schriften oder durch Kollektivvereinbarung en festgelegten Pflichten, des Managements, der Planung und der Organisation der Arbeit, der Gleichheit und Diversität am Arbeitsplatz, der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, des Schutzes des Eigentums der Arbeitgeber oder der Kunden sowie für Zwecke der Inanspruchnahme der mit der Beschäftigung zusammenhängenden individuellen oder kollektiven Rechte und Leistungen und für Zwecke der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vorsehen. (2) Diese Vorschriften umfassen angemessene und besondere Maßnahmen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person, insbesondere im Hinblick auf die Transparenz der Verarbeitung, die Übermittlung personenbezogener Daten innerhalb einer Unternehmensgruppe oder einer Gruppe von Unternehmen, die eine gemeinsame Wirtschaftstätigkeit ausüben, und die Überwachungssysteme am Arbeitsplatz. (3) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission bis zum 25. Mai 2018 die Rechtsvorschriften, die er aufgrund von Absatz 1 erlässt, sowie unverzüglich alle späteren Änderungen dieser Vorschriften mit. Artikel 89 Garantien und Ausnahmen in Bezug auf die Verarbeitung zu im öffentlichen Interesse liegenden Archivzwecken, zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken und zu statistischen Zwecken (1) Die Verarbeitung zu im öffentlichen Interesse liegenden Archivzwecken, zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken unterliegt geeigneten Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person gemäß dieser Verordnung. Mit diesen Garantien wird sichergestellt, dass technische und organisatorische Maßnahmen bestehen, mit denen insbesondere die Achtung des Grundsatzes der Datenminimierung gewährleistet wird. Zu diesen Maßnahmen kann die Pseudonymisierung gehören, sofern es möglich ist, diese Zwecke auf diese Weise zu erfüllen. In allen Fällen, in denen diese Zwecke durch die Weiterverarbeitung, bei der die Identifizierung von betroffenen Personen nicht oder nicht mehr möglich ist, erfüllt werden können, werden diese Zwecke auf diese Weise erfüllt. (2) Werden personenbezogene Daten zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken verarbeitet, können vorbehaltlich der Bedingungen und Garantien gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten insoweit Ausnahmen von den Rechten gemäß der Artikel 15, 16, 18 und 21 vorgesehen werden, als diese Rechte voraussichtlich die Verwirklichung der spezifischen Zwecke unmöglich machen oder ernsthaft beeinträchtigen und solche Ausnahmen für die Erfüllung dieser Zwecke notwendig sind. 732

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(3) Werden personenbezogene Daten für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke verarbeitet, können vorbehaltlich der Bedingungen und Garantien gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten insoweit Ausnahmen von den Rechten gemäß der Artikel 15, 16, 18, 19, 20 und 21 vorgesehen werden, als diese Rechte voraussichtlich die Verwirklichung der spezifischen Zwecke unmöglich machen oder ernsthaft beeinträchtigen und solche Ausnahmen für die Erfüllung dieser Zwecke notwendig sind. (4) Dient die in den Absätzen 2 und 3 genannte Verarbeitung gleichzeitig einem anderen Zweck, gelten die Ausnahmen nur für die Verarbeitung zu den in diesen Absätzen genannten Zwecken. Artikel 90 Geheimhaltungspflichten (1) Die Mitgliedstaaten können die Befugnisse der Aufsichtsbehörden im Sinne des Artikels 58 Absatz 1 Buchstaben e und f gegenüber den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeitern, die nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten oder nach einer von den zuständigen nationalen Stellen erlassenen Verpflichtung dem Berufsgeheimnis oder einer gleichwertigen Geheimhaltungspflicht unterliegen, regeln, soweit dies notwendig und verhältnismäßig ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Pflicht zur Geheimhaltung in Einklang zu bringen. Diese Vorschriften gelten nur in Bezug auf personenbezogene Daten, die der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter bei einer Tätigkeit erlangt oder erhoben hat, die einer solchen Geheimhaltungspflicht unterliegt. (2) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission bis zum 25. Mai 2018 die Vorschriften mit, die er aufgrund von Absatz 1 erlässt, und setzt sie unverzüglich von allen weiteren Änderungen dieser Vorschriften in Kenntnis. Artikel 91 Bestehende Datenschutzvorschriften von Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften (1) Wendet eine Kirche oder eine religiöse Vereinigung oder Gemeinschaft in einem Mitgliedstaat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung umfassende Regeln zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung an, so dürfen diese Regeln weiter angewandt werden, sofern sie mit dieser Verordnung in Einklang gebracht werden. (2) Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften, die gemäß Absatz 1 umfassende Datenschutzregeln anwenden, unterliegen der Aufsicht durch eine unabhängige Aufsichtsbehörde, die spezifischer Art sein kann, sofern sie die in Kapitel VI niedergelegten Bedingungen erfüllt.

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Kapitel X – Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte Art. 92–93 Befugnisübertragung und Ausschussverfahren — nicht abgedruckt.

Kapitel XI – Schlussbestimmungen Art. 94–98 Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG, Verhältnis zur Richtlinie 2002/58/ EG und bereits geschlossenen Übereinkünften sowie Berichte der Kommission und Überprüfung anderer Rechtsakte der Union zum Datenschutz — nicht abgedruckt. Art. 99 Inkrafttreten und Anwendung (1) Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. (2) Sie gilt ab dem 25. Mai 2018. Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

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3.1 Entsende-Richtlinie 96/71

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 66, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 189b des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gehört gemäß Artikel 3 Buchstabe c) des Vertrages zu den Zielen der Gemeinschaft. (2) Für die Erbringung von Dienstleistungen sind nach dem Vertrag seit Ende der Übergangszeit Einschränkungen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder einer Wohnsitzvoraussetzung unzulässig. (3) Die Verwirklichung des Binnenmarktes bietet einen dynamischen Rahmen für die länderübergreifende Erbringung von Dienstleistungen. Das veranlasst eine wachsende Zahl von Unternehmen, Arbeitnehmer für eine zeitlich begrenzte Arbeitsleistung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu entsenden, der nicht der Staat ist, in dem sie normalerweise beschäftigt werden. (4) Die Erbringung von Dienstleistungen kann entweder als Ausführung eines Auftrags durch ein Unternehmen, in seinem Namen und unter seiner Leitung im Rahmen eines Vertrags zwischen diesem Unternehmen und dem Leistungsempfänger oder in Form des Zurverfügungstellens von Arbeitnehmern für ein Unternehmen im Rahmen eines öffentlichen oder privaten Auftrags erfolgen. (5) Voraussetzung für eine solche Förderung des länderübergreifenden Dienstleistungsverkehrs sind ein fairer Wettbewerb sowie Maßnahmen, die die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer garantieren. (6) Mit der Transnationalisierung der Arbeitsverhältnisse entstehen Probleme hinsichtlich des auf ein Arbeitsverhältnis anwendbaren Rechts. Es liegt im Interesse der betroffenen

* Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. 1997 L 18/1 i.d.F. der Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. 2018 L 173/16. Vom Abdruck der Begründungserwägungen sowie der Art. 2–5 [Überprüfung, Umsetzung, Inkrafttreten, Adressaten] der Änderungsrichtlinie wurde abgesehen. 1 ABl. Nr. C 225 vom 30. 8. 1991, S. 6, und ABl. Nr. C 187 vom 9. 7. 1993, S. 5. 2 ABl. Nr. C 49 vom 24. 2. 1992, S. 41. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 10. 2. 1993 (ABl. Nr. C 72 vom 13. 3. 1993, S. 78), gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 3. 6. 1996 (ABl. Nr. C 220 vom 29. 7. 1996, S. 1) und Beschluss des Europäischen Parlaments vom 18. 9. 1996 (ABl. Nr. C 320 vom 28. 10. 1996, S. 73). Beschluss des Rates vom 24. 9. 1996. https://doi.org/10.1515/9783110667776-029

3.1

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Parteien, die für das geplante Arbeitsverhältnis geltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festzulegen. Das Übereinkommen von Rom vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht,4 das von zwölf Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde, ist am 1. April 1991 in der Mehrheit der Mitgliedstaaten in Kraft getreten. In Artikel 3 dieses Übereinkommens wird als allgemeine Regel die freie Rechtswahl der Parteien festgelegt. Mangels einer Rechtswahl ist nach Artikel 6 Absatz 2 auf den Arbeitsvertrag das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt ist, oder das Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, sofern dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet, es sei denn, dass sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Arbeitsvertrag engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist; in diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden. Nach Artikel 6 Absatz 1 dieses Übereinkommens darf die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das nach Absatz 2 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre. Nach Artikel 7 dieses Übereinkommens kann − zusammen mit dem für anwendbar erklärten Recht − den zwingenden Bestimmungen des Rechts eines anderen Staates, insbesondere des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer vorübergehend entsandt wird, Wirkung verliehen werden. Nach dem in Artikel 20 dieses Übereinkommens anerkannten Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts berührt das Übereinkommen nicht die Anwendung der Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse auf besonderen Gebieten, die in Rechtsakten der Organe der Europäischen Gemeinschaften oder in dem in Ausführung dieser Akte harmonisierten innerstaatlichen Recht enthalten sind oder enthalten sein werden. Das Gemeinschaftsrecht hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, ihre Gesetze oder die von den Sozialpartnern abgeschlossenen Tarifverträge auf sämtliche Personen anzuwenden, die − auch nur vorübergehend − in ihrem Hoheitsgebiet beschäftigt werden, selbst wenn ihr Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Das Gemeinschaftsrecht verbietet es den Mitgliedstaaten nicht, die Einhaltung dieser Bestimmungen mit angemessenen Mitteln sicherzustellen. Die Gesetze der Mitgliedstaaten müssen koordiniert werden, um einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz festzulegen, das im Gastland von Arbeitgebern zu gewährleisten ist, die Arbeitnehmer für eine zeitlich begrenzte Arbeitsleistung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, in dem eine Dienstleistung zu erbringen ist. Eine solche Koordinierung kann nur durch Rechtsvorschriften der Gemeinschaft erfolgen. Ein „harter Kern“ klar definierter Schutzbestimmungen ist vom Dienstleistungserbringer unabhängig von der Dauer der Entsendung des Arbeitnehmers einzuhalten. In bestimmten Einzelfällen von Montage- und/oder Einbauarbeiten sind die Bestimmungen über die Mindestlohnsätze und den bezahlten Mindestjahresurlaub nicht anzuwenden.

4 ABl. Nr. L 266 vom 9. 10. 1980, S. 1.

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3.1

(16) Die Anwendung der Bestimmungen über die Mindestlohnsätze und den bezahlten Mindestjahresurlaub bedarf außerdem einer gewissen Flexibilität. Beträgt die Dauer der Entsendung nicht mehr als einen Monat, so können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen von den Bestimmungen über die Mindestlohnsätze abweichen oder die Möglichkeit von Abweichungen im Rahmen von Tarifverträgen vorsehen. Ist der Umfang der zu verrichtenden Arbeiten gering, so können die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen über die Mindestlohnsätze und den bezahlten Mindestjahresurlaub abweichen. (17) Die im Gastland geltenden zwingenden Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz dürfen jedoch nicht der Anwendung von Arbeitsbedingungen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind, entgegenstehen. (18) Es sollte der Grundsatz eingehalten werden, dass außerhalb der Gemeinschaft ansässige Unternehmen nicht besser gestellt werden dürfen als Unternehmen, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind. (19) Unbeschadet anderer Gemeinschaftsbestimmungen beinhaltet diese Richtlinie weder die Verpflichtung zur rechtlichen Anerkennung der Existenz von Leiharbeitsunternehmen, noch hindert sie die Mitgliedstaaten, ihre Rechtsvorschriften über das Zurverfügungstellen von Arbeitskräften und über Leiharbeitsunternehmen auf Unternehmen anzuwenden, die nicht in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassen, dort aber im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen tätig sind. (20) Diese Richtlinie berührt weder die von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Übereinkünfte noch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die den Zugang von Dienstleistungserbringern aus Drittländern zu ihrem Hoheitsgebiet betreffen. Ebenso bleiben die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, die die Einreise und den Aufenthalt von Arbeitnehmern aus Drittländern sowie deren Zugang zur Beschäftigung regeln, von dieser Richtlinie unberührt. (21) Welche Bestimmungen im Bereich der Sozialversicherungsleistungen und -beiträge anzuwenden sind, ist in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern,5 geregelt. (22) Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten über kollektive Maßnahmen zur Verteidigung beruflicher Interessen. (23) Die zuständigen Stellen in den Mitgliedstaaten müssen bei der Anwendung dieser Richtlinie zusammenarbeiten. Die Mitgliedstaaten haben geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie vorzusehen. (24) Es muss sichergestellt werden, dass diese Richtlinie ordnungsgemäß angewandt wird. Hierzu ist eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten vorzusehen. (25) Spätestens fünf Jahre nach Annahme dieser Richtlinie hat die Kommission die Anwendung dieser Richtlinie zu überprüfen und, falls erforderlich, Änderungsvorschläge zu unterbreiten — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 Gegenstand und Anwendungsbereich (–1) Mit dieser Richtlinie wird der Schutz entsandter Arbeitnehmer während ihrer Entsendung im Verhältnis zur 5 ABl. Nr. L 149 vom 5. 7. 1971, S. 2. Verordnung zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 3096/95 (ABl. Nr. L 335 vom 30. 12. 1995, S. 10).

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Dienstleistungsfreiheit sichergestellt, indem zwingende Vorschriften in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer festgelegt werden, die eingehalten werden müssen. (–1a) Diese Richtlinie berührt in keiner Weise die Ausübung der in den Mitgliedstaaten und auf Unionsebene anerkannten Grundrechte, einschließlich des Rechts oder der Freiheit zum Streik oder zur Durchführung anderer Maßnahmen, die im Rahmen der jeweiligen Systeme der Mitgliedstaaten im Bereich der Arbeitsbeziehungen nach ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder ihren nationalen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Sie berührt auch nicht das Recht, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten Tarifverträge auszuhandeln, abzuschließen und durchzusetzen oder kollektive Maßnahmen zu ergreifen. (1) Diese Richtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer gemäß Absatz 3 in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden. (2) Diese Richtlinie gilt nicht für Schiffsbesatzungen von Unternehmen der Handelsmarine. (3) Diese Richtlinie findet Anwendung, soweit die in Absatz 1 genannten Unternehmen eine der folgenden länderübergreifenden Maßnahmen treffen: a) einen Arbeitnehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags entsenden, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder b) einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder c) als Leiharbeitsunternehmen oder als einen Arbeitnehmer überlassendes Unternehmen einen Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen überlassen, das seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat oder dort seine Tätigkeit ausübt, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitsunternehmen oder dem einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht. Muss ein Arbeitnehmer, der von einem Leiharbeitsunternehmen oder einem Arbeitnehmer überlassenden Unternehmen einem entleihenden Unternehmen gemäß Buchstabe c überlassen wird, Arbeit im Rahmen der länder738

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3.1

übergreifenden Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von Buchstabe a, b oder c im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen verrichten, in dem der Arbeitnehmer normalerweise entweder für das Leiharbeitsunternehmen oder das Arbeitnehmer zur Verfügung stellende Unternehmen oder das entleihende Unternehmen arbeitet, so gilt der Arbeitnehmer als von dem Leiharbeitsunternehmen oder dem Arbeitnehmer zur Verfügung stellenden Unternehmen, mit dem der Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis steht, in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats entsandt. Das Leiharbeitsunternehmen oder das einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellende Unternehmen ist als ein Unternehmen im Sinne von Absatz 1 zu betrachten und hält die entsprechenden Bestimmungen dieser Richtlinie und der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates(*1) uneingeschränkt ein. Das entleihende Unternehmen unterrichtet das Leiharbeitsunternehmen oder das einen Arbeitnehmer überlassende Unternehmen, das den Arbeitnehmer überlassen hat, rechtzeitig vor Beginn der Arbeit nach Unterabsatz 2. (4) Unternehmen mit Sitz in einem Nichtmitgliedstaat darf keine günstigere Behandlung zuteil werden als Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat. Art. 2 Begriffsbestimmung (1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet. (2) Für die Zwecke dieser Richtlinie wird der Begriff des Arbeitnehmers in dem Sinne verwendet, in dem er im Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird, gebraucht wird. Art. 3 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte auf der Grundlage der Gleichbehandlung die Arbeits- und Beschäftigungsbedin-

(*1) Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMIVerordnung“) (ABl. L 159 vom 28. 5. 2014, S. 11).

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gungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind, — durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder — durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die anderweitig nach Absatz 8 Anwendung finden: a) Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten; b) bezahlter Mindestjahresurlaub; c) Entlohnung, einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme; d) Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen; e) Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz; f) Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen; g) Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen; h) Bedingungen für die Unterkünfte von Arbeitnehmern, wenn sie vom Arbeitgeber für Arbeitnehmer, die von ihrem regelmäßigen Arbeitsplatz entfernt sind, zur Verfügung gestellt werden; i) Zulagen oder Kostenerstattungen zur Deckung von Reise-, Unterbringungsund Verpflegungskosten für Arbeitnehmer, die aus beruflichen Gründen nicht zu Hause wohnen. Buchstabe i gilt ausschließlich für die Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten, die entsandten Arbeitnehmern entstehen, wenn sie zu und von ihrem regelmäßigen Arbeitsplatz in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sie entsandt wurden, reisen müssen oder von ihrem Arbeitgeber vorübergehend von diesem regelmäßigen Arbeitsplatz an einen anderen Arbeitsplatz gesandt werden. Für die Zwecke dieser Richtlinie bestimmt sich der Begriff „Entlohnung“ nach den nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist, und umfasst alle die Entlohnung ausmachenden Bestandteile, die gemäß nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder durch in diesem Mitgliedstaat für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die nach Absatz 8 anderweitig Anwendung finden, zwingend verbindlich gemacht worden sind. Unbeschadet des Artikels 5 der Richtlinie 2014/67/EU veröffentlichen die Mitgliedstaaten die Informationen über die Arbeits- und Beschäftigungsbedin740

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3.1

gungen nach den nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten unverzüglich und in transparenter Weise auf der einzigen offiziellen nationalen Website nach dem genannten Artikel, einschließlich der die Entlohnung ausmachenden Bestandteile gemäß Unterabsatz 3 des vorliegenden Absatzes und alle Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Absatz 1a des vorliegenden Artikels. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die auf der einzigen offiziellen nationalen Website bereitgestellten Informationen korrekt und aktuell sind. Die Kommission veröffentlicht auf ihrer Website die Adressen der einzigen offiziellen nationalen Websites. Ist den Informationen auf der einzigen offiziellen nationalen Website entgegen den Bestimmungen des Artikels 5 der Richtlinie 2014/67/EU nicht zu entnehmen, welche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen anzuwenden sind, so wird dieser Umstand gemäß den nationalen Rechtsvorschriften und/oder den nationalen Gepflogenheiten bei der Festlegung der Sanktionen im Falle von Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften so weit berücksichtigt, wie es für die Gewährleistung ihrer Verhältnismäßigkeit erforderlich ist. (1a) In Fällen, in denen die tatsächliche Entsendungsdauer mehr als 12 Monate beträgt, sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern auf der Grundlage der Gleichbehandlung zusätzlich zu den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels sämtliche anwendbaren Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind — durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder — durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche, oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die anderweitig nach Absatz 8 anderweitig Anwendung finden. Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes findet keine Anwendung auf folgende Aspekte: a) Verfahren, Formalitäten und Bedingungen für den Abschluss und die Beendigung des Arbeitsvertrags, einschließlich Wettbewerbsverboten; b) zusätzliche betriebliche Altersversorgungssysteme. Legt der Dienstleistungserbringer eine mit einer Begründung versehene Mitteilung vor, so verlängert der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, den in Unterabsatz 1 genannten Zeitraum auf 18 Monate. Ersetzt ein in Artikel 1 Absatz 1 genanntes Unternehmen einen entsandten Arbeitnehmer durch einen anderen entsandten Arbeitnehmer, der die gleiche 741

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Tätigkeit am gleichen Ort ausführt, so gilt als Entsendungsdauer für die Zwecke dieses Absatzes die Gesamtdauer der Entsendezeiten der betreffenden einzelnen entsandten Arbeitnehmer. Der in Unterabsatz 4 dieses Absatzes genannte Begriff „gleiche Tätigkeit am gleichen Ort“ wird unter anderem unter Berücksichtigung der Art der zu erbringenden Dienstleistung oder der durchzuführenden Arbeit und der Anschrift(en) des Arbeitsplatzes bestimmt. (1b) Die Mitgliedstaaten bestimmen, dass die in Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe c genannten Unternehmen den entsandten Arbeitnehmern die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die nach Artikel 5 der Richtlinie 2008/ 104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates(*2) für Leiharbeitnehmer gelten, die von im Mitgliedstaat der Leistungserbringung niedergelassenen Leiharbeitsunternehmen zur Verfügung gestellt werden. Das entleihende Unternehmen unterrichtet die in Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe c genannten Unternehmen über die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die in diesem Unternehmen für die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung gelten, soweit sie von Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes erfasst sind. (2) Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstaben b) und c) gilt nicht für Erstmontage- und/ oder Einbauarbeiten, die Bestandteil eines Liefervertrags sind, für die Inbetriebnahme der gelieferten Güter unerlässlich sind und von Facharbeitern und/oder angelernten Arbeitern des Lieferunternehmens ausgeführt werden, wenn die Dauer der Entsendung acht Tage nicht übersteigt. Dies gilt nicht für die im Anhang aufgeführten Bauarbeiten. (3) Die Mitgliedstaaten können gemäß ihren üblichen Verfahren und Praktiken nach Konsultation der Sozialpartner beschließen, Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c) in den in Artikel 1 Absatz 3 Buchstaben a) und b) genannten Fällen nicht anzuwenden, wenn die Dauer der Entsendung einen Monat nicht übersteigt. (4) Die Mitgliedstaaten können gemäß ihren Rechtsvorschriften und/oder Praktiken vorsehen, dass durch Tarifverträge im Sinne des Absatzes 8 für einen oder mehrere Tätigkeitsbereiche in den in Artikel 1 Absatz 3 Buchstaben a) und b) genannten Fällen von Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c) sowie von dem Beschluss eines Mitgliedstaats nach Absatz 3 abgewichen werden kann, wenn die Dauer der Entsendung einen Monat nicht übersteigt. (5) Die Mitgliedstaaten können in den in Artikel 1 Absatz 3 Buchstaben a) und b) genannten Fällen eine Ausnahme von Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstaben b) und c) vorsehen, wenn der Umfang der zu verrichtenden Arbeiten gering ist.

(*2) Leiharbeits-Richtlinie 2008/104, in dieser Sammlung Nr. 3.10.

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3.1

Die Mitgliedstaaten, die von der in Unterabsatz 1 gebotenen Möglichkeit Gebrauch machen, legen die Modalitäten fest, denen die zu verrichtenden Arbeiten entsprechen müssen, um als Arbeiten von geringem Umfang zu gelten. (6) Die Dauer der Entsendung berechnet sich unter Zugrundelegung eines Bezugszeitraums von einem Jahr ab Beginn der Entsendung. Bei der Berechnung der Entsendungsdauer wird die Dauer einer gegebenenfalls im Rahmen einer Entsendung von einem zu ersetzenden Arbeitnehmer bereits zurückgelegten Entsendungsdauer berücksichtigt. (7) Die Absätze 1 bis 6 stehen der Anwendung von für die Arbeitnehmer günstigeren Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht entgegen. Die Entsendungszulagen gelten als Bestandteil der Entlohnung, sofern sie nicht als Erstattung von infolge der Entsendung tatsächlich entstandenen Kosten wie z. B. Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten gezahlt werden. Der Arbeitgeber erstattet dem entsandten Arbeitnehmer unbeschadet des Absatzes 1 Unterabsatz 1 Buchstabe h diese Kosten im Einklang mit den auf das Arbeitsverhältnis des entsandten Arbeitnehmers anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten. Legen die für das Arbeitsverhältnis geltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nicht fest, ob und wenn ja welche Bestandteile einer Entsendungszulage als Erstattung von infolge der Entsendung tatsächlich entstandenen Kosten gezahlt werden oder welche Teil der Entlohnung sind, so ist davon auszugehen, dass die gesamte Zulage als Erstattung von infolge der Entsendung entstandenen Kosten gezahlt wird. (8) Unter „für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträgen oder Schiedssprüchen“ sind Tarifverträge oder Schiedssprüche zu verstehen, die von allen in den jeweiligen geographischen Bereich fallenden und die betreffende Tätigkeit oder das betreffende Gewerbe ausübenden Unternehmen einzuhalten sind. Mangels eines Systems zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen oder Schiedssprüchen im Sinne des Unterabsatzes 1 oder zusätzlich zu einem solchen System können die Mitgliedstaaten auch beschließen, Folgendes zugrunde zu legen: — die Tarifverträge oder Schiedssprüche, die für alle in den jeweiligen geographischen Bereich fallenden und die betreffende Tätigkeit oder das betreffende Gewerbe ausübenden gleichartigen Unternehmen allgemein wirksam sind, und/oder — die Tarifverträge, die von den auf nationaler Ebene repräsentativsten Organisationen der Tarifvertragsparteien geschlossen werden und innerhalb des gesamten nationalen Hoheitsgebiets zur Anwendung kommen, sofern deren Anwendung auf in Artikel 1 Absatz 1 genannte Unternehmen eine Gleichbehandlung dieser Unternehmen in Bezug auf die in Absatz 1 Unterab743

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satz 1 des vorliegenden Artikels genannten Aspekte und gegebenenfalls bezüglich der den entsandten Arbeitnehmern nach Absatz 1a des vorliegenden Artikels zu garantierenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mit den im vorliegenden Unterabsatz genannten anderen Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, gewährleistet. Gleichbehandlung im Sinne dieses Artikels liegt vor, wenn nationale Unternehmen in einer vergleichbaren Lage: — am betreffenden Ort oder in der betreffenden Sparte hinsichtlich der Aspekte des Absatzes 1 Unterabsatz 1 des vorliegenden Artikels denselben Anforderungen unterworfen sind, wie die Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 Absatz 1 und gegebenenfalls den entsandten Arbeitnehmern zu garantierenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nach Absatz 1a des vorliegenden Artikels, und — wenn sie dieselben Anforderungen mit derselben Wirkung erfüllen müssen. (9) Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den Arbeitnehmern im Sinne von Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe c zusätzlich zu den in Absatz 1b des vorliegenden Artikels genannten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen andere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die für Leiharbeitnehmer in dem Mitgliedstaat gelten, in dem die Arbeitsleistung erbracht wird. (10) Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, unter Einhaltung der Verträge auf inländische Unternehmen und Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten in gleicher Weise Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für andere als die in Absatz 1 Unterabsatz 1 aufgeführten Aspekte, soweit es sich um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt, anzuwenden. Art. 4 Zusammenarbeit im Informationsbereich (1) Zur Durchführung dieser Richtlinie benennen die Mitgliedstaaten gemäß ihren Rechtsvorschriften und/ oder Praktiken ein oder mehrere Verbindungsbüros oder eine oder mehrere zuständige einzelstaatliche Stellen. (2) Die Mitgliedstaaten sehen die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden oder Stellen, einschließlich der öffentlichen Behörden, vor, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften für die Überwachung der in Artikel 3 aufgeführten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, auch auf Unionsebene, zuständig sind. Diese Zusammenarbeit besteht insbesondere darin, begründete Anfragen dieser Behörden oder Stellen zu beantworten, die das länderübergreifende Zurverfügungstellen von Arbeitnehmern betreffen, und gegen offenkundige Verstöße oder mögliche Fälle unzulässiger Tätigkeiten, wie länderübergreifende Fälle von nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit und Scheinselbstständigkeit im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern, vorzugehen. Verfügt die 744

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3.1

zuständige Behörde oder Stelle in dem Mitgliedstaat, aus dem der Arbeitnehmer entsandt wird, nicht über die Informationen, um die die zuständige Behörde oder Stelle des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird, ersucht hat, so bemüht sie sich, diese Informationen von anderen Behörden oder Stellen in diesem Mitgliedstaat zu erlangen. Bei anhaltenden Verzögerungen bei der Bereitstellung dieser Informationen an den Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird, wird die Kommission unterrichtet, die geeignete Maßnahmen ergreift. Die Kommission und die in Unterabsatz 1 bezeichneten Behörden arbeiten eng zusammen, um etwaige Schwierigkeiten bei der Anwendung des Artikels 3 Absatz 10 zu prüfen. Die gegenseitige Amtshilfe erfolgt unentgeltlich. (3) Jeder Mitgliedstaat ergreift die geeigneten Maßnahmen, damit die Informationen über die nach Artikel 3 maßgeblichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen allgemein zugänglich sind. (4) Jeder Mitgliedstaat nennt den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission die in Absatz 1 bezeichneten Verbindungsbüros und/oder zuständigen Stellen. Art. 5 Überwachung, Kontrolle und Durchsetzung Der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird, und der Mitgliedstaat, aus dem der Arbeitnehmer entsandt wird, sind für die Überwachung, Kontrolle und Durchsetzung der in dieser Richtlinie und der Richtlinie 2014/67/EU festgelegten Verpflichtungen verantwortlich und ergreifen geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie. Die Mitgliedstaaten erlassen Vorschriften über Sanktionen, die bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften zu verhängen sind, und treffen alle für die Anwendung der Sanktionen erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten stellen insbesondere sicher, dass den Arbeitnehmern und/oder den Arbeitnehmervertretern für die Durchsetzung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen geeignete Verfahren zur Verfügung stehen. In dem Fall, dass nach einer von einem Mitgliedstaat gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2014/67/EU durchgeführten Gesamtbeurteilung festgestellt wird, dass ein Unternehmen fälschlicherweise oder in betrügerischer Absicht den Eindruck erweckt hat, dass die Situation eines Arbeitnehmers in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Arbeitnehmer in den Genuss des entsprechenden Rechts und der entsprechenden Gepflogenheiten kommt. 745

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Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass dieser Artikel nicht dazu führt, dass für den betreffenden Arbeitnehmer ungünstigere Bedingungen gelten als für entsandte Arbeitnehmer. Art. 6 Gerichtliche Zuständigkeit Zur Durchsetzung des Rechts auf die in Artikel 3 gewährleisteten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen kann eine Klage in dem Mitgliedstaat erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist oder war; dies berührt nicht die Möglichkeit, gegebenenfalls gemäß den geltenden internationalen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit in einem anderen Staat Klage zu erheben. Art. 7–9 Umsetzungsfristen, Überprüfungspflicht der Kommission, Adressaten − nicht abgedruckt. Anhang Die in Artikel 3 Absatz 2 genannten Tätigkeiten umfassen alle Bauarbeiten, die der Errichtung, der Instandsetzung, der Instandhaltung, dem Umbau oder dem Abriss von Bauwerken dienen, insbesondere 1. Aushub; 2. Erdarbeiten; 3. Bauarbeiten im engeren Sinne; 4. Errichtung und Abbau von Fertigbauelementen; 5. Einrichtung oder Ausstattung; 6. Umbau; 7. Renovierung; 8. Reparatur; 9. Abbauarbeiten; 10. Abbrucharbeiten; 11. Wartung; 12. Instandhaltung (Maler- und Reinigungsarbeiten); 13. Sanierung.

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3.2 Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Arbeit) * 2006/54 DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 141 Absatz 3, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen3 und die Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit 4 wurden erheblich geändert.5 Die Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen6 und die Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts7 enthalten ebenfalls Bestimmungen, deren Ziel die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen ist. Anlässlich neuerlicher Änderungen der genannten Richtlinien empfiehlt sich aus Gründen der Klarheit eine Neufassung sowie die Zusammenfassung der wichtigsten Bestimmungen auf diesem Gebiet mit verschiedenen Entwicklungen aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden „Gerichtshof“) in einem einzigen Text.

* Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung), ABl. 2006 L 204/23. 1 ABl. C 157 vom 28. 6. 2005, S. 83. 2 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 6. 7. 2005 (ABl. C 157 E vom 6. 7. 2006, S. 350), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 10. 3. 2006 (ABl. C 126 E vom 30. 5. 2006, S. 33) und Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 1. 6. 2006 ([ABl. C 298 E vom 8. 12. 2006, S. 203]). 3 ABl. L 39 vom 14. 2. 1976, S. 40. Geändert durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 269 vom 5. 10. 2002, S. 15). 4 ABl. L 225 vom 12. 8. 1986, S. 40. Geändert durch die Richtlinie 96/97/EG (ABl. L 46 vom 17. 2. 1997, S. 20). 5 Siehe Anhang I Teil A [nicht abgedruckt]. 6 ABl. L 45 vom 19. 2. 1975, S. 19. 7 ABl. L 14 vom 20. 1. 1998, S. 6. Geändert durch die Richtlinie 98/52/EG (ABl. L 205 vom 22. 7. 1998, S. 66). https://doi.org/10.1515/9783110667776-030

3.2

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(2)

Die Gleichstellung von Männern und Frauen stellt nach Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 2 des Vertrags sowie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein grundlegendes Prinzip dar. In diesen Vertragsbestimmungen wird die Gleichstellung von Männern und Frauen als Aufgabe und Ziel der Gemeinschaft bezeichnet, und es wird eine positive Verpflichtung begründet, sie bei allen Tätigkeiten der Gemeinschaft zu fördern. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Tragweite des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen nicht auf das Verbot der Diskriminierung aufgrund des natürlichen Geschlechts einer Person beschränkt werden kann. Angesichts seiner Zielsetzung und der Art der Rechte, die damit geschützt werden sollen, gilt er auch für Diskriminierungen aufgrund einer Geschlechtsumwandlung. Artikel 141 Absatz 3 des Vertrags bietet nunmehr eine spezifische Rechtsgrundlage für den Erlass von Gemeinschaftsmaßnahmen zur Sicherstellung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Die Artikel 21 und 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbieten ebenfalls jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und verankern das Recht auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen in allen Bereichen, einschließlich Beschäftigung, Arbeit und Entgelt. Die Belästigung einer Person und die sexuelle Belästigung stellen einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen dar und sind somit als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne dieser Richtlinie anzusehen. Diese Formen der Diskriminierung kommen nicht nur am Arbeitsplatz vor, sondern auch im Zusammenhang mit dem Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg. Diese Formen der Diskriminierung sollten daher verboten werden, und es sollten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorgesehen werden. In diesem Zusammenhang sollten die Arbeitgeber und die für Berufsbildung zuständigen Personen ersucht werden, Maßnahmen zu ergreifen, um im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten gegen alle Formen der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorzugehen und insbesondere präventive Maßnahmen zur Bekämpfung der Belästigung und der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ebenso wie beim Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg zu treffen. Der Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit, gemäß Artikel 141 des Vertrags, der vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung bestätigt wurde, ist ein wichtiger Aspekt des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen und ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil sowohl des gemeinschaftlichen Besitzstands als auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Daher sollten weitere Bestimmungen zu seiner Verwirklichung festgelegt werden. Um festzustellen, ob Arbeitnehmer eine gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, sollte gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs geprüft werden, ob sich diese Arbeitnehmer in Bezug auf verschiedene Faktoren, zu denen unter anderem die Art der Arbeit und der Ausbildung und die Arbeitsbedingungen gehören, in einer vergleichbaren Lage befinden. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass der Grundsatz des gleichen Entgelts unter bestimmten Umständen nicht nur für Situationen gilt, in denen Männer und Frauen für denselben Arbeitgeber arbeiten.

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(11) Die Mitgliedstaaten sollten weiterhin gemeinsam mit den Sozialpartnern dem Problem des anhaltenden geschlechtsspezifischen Lohngefälles und der nach wie vor ausgeprägten Geschlechtertrennung auf dem Arbeitsmarkt beispielsweise durch flexible Arbeitszeitregelungen entgegenwirken, die es sowohl Männern als auch Frauen ermöglichen, Familie und Beruf besser miteinander in Einklang zu bringen. Dies könnte auch angemessene Regelungen für den Elternurlaub, die von beiden Elternteilen in Anspruch genommen werden könnten, sowie die Bereitstellung zugänglicher und erschwinglicher Einrichtungen für die Kinderbetreuung und die Betreuung pflegebedürftiger Personen einschließen. (12) Es sollten spezifische Maßnahmen erlassen werden, um die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit zu gewährleisten und seinen Geltungsbereich klarer zu definieren. (13) Mit seinem Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/888 befand der Gerichtshof, dass alle Formen von Betriebsrenten Bestandteil des Entgelts im Sinne von Artikel 141 des Vertrags sind. (14) Auch wenn sich der Begriff des Entgelts im Sinne des Artikels 141 des Vertrags nicht auf Sozialversicherungsleistungen erstreckt, steht nunmehr fest, dass ein Rentensystem für Beschäftigte im öffentlichen Dienst unter den Grundsatz des gleichen Entgelts fällt, wenn die aus einem solchen System zu zahlenden Leistungen dem Arbeitnehmer aufgrund seines Beschäftigungsverhältnisses mit dem öffentlichen Arbeitgeber gezahlt werden, ungeachtet der Tatsache, dass ein solches System Teil eines allgemeinen, durch Gesetz geregelten Systems ist. Nach den Urteilen des Gerichtshofs vom 28. August 1984 in der Rechtssache C-7/939 und vom 12. August in der Rechtssache C‐351/0010 ist diese Bedingung erfüllt, wenn das Rentensystem eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern betrifft und die Leistungen unmittelbar von der abgeleisteten Dienstzeit abhängig sind und ihre Höhe aufgrund der letzten Bezüge des Beamten berechnet wird. Um der Klarheit willen ist es daher angebracht, entsprechende spezifische Bestimmungen zu erlassen. (15) Der Gerichtshof hat bestätigt, dass, auch wenn die Beiträge männlicher und weiblicher Arbeitnehmer zu einem Rentensystem mit Leistungszusage unter Artikel 141 des Vertrags fallen, Ungleichheiten bei den im Rahmen von durch Kapitalansammlung finanzierten Systemen mit Leistungszusage gezahlten Arbeitgeberbeiträgen, die sich aus der Verwendung je nach Geschlecht unterschiedlicher versicherungsmathematischer Faktoren ergeben, nicht im Lichte dieser Bestimmung beurteilt werden können. (16) Beispielsweise ist bei durch Kapitalansammlung finanzierten Systemen mit Leistungszusage hinsichtlich einiger Punkte, wie der Umwandlung eines Teils der regelmäßigen Rentenzahlungen in Kapital, der Übertragung der Rentenansprüche, der Hinterbliebenenrente, die an einen Anspruchsberechtigten auszuzahlen ist, der im Gegenzug auf einen Teil der jährlichen Rentenbezüge verzichtet oder einer gekürzten Rente, wenn der Arbeitnehmer sich für den vorgezogenen Ruhestand entscheidet, eine Ungleichbehandlung gestattet, wenn die Ungleichheit der Beträge darauf zurückzuführen ist, dass bei der Durchführung der Finanzierung des Systems je nach Geschlecht unterschiedliche versicherungstechnische Berechnungsfaktoren angewendet worden sind.

8 Rechtssache C-262/88: Barber gegen Guardian Royal Exchange Assurance Group, Slg. 1990, I-1889. 9 Rechtssache C-7/93: Bestuur van het Algemeen Burgerlijk Pensioensfonds gegen G. A. Beune, Slg. 1994, I-4471. 10 Rechtssache C-351/00: Pirkko Niemi, Slg. 2002, I-7007.

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(17) Es steht fest, dass Leistungen, die aufgrund eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit zu zahlen sind, nicht als Entgelt gelten, insofern sie auf Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 zurückgeführt werden können, außer im Fall von Arbeitnehmern oder ihren anspruchsberechtigten Angehörigen, die vor diesem Zeitpunkt eine Klage bei Gericht oder ein gleichwertiges Verfahren nach geltendem einzelstaatlichen Recht angestrengt haben. Es ist daher notwendig, die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung entsprechend einzuschränken. (18) Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hat das Barber-Protokoll 11 keine Auswirkung auf den Anspruch auf Anschluss an ein Betriebsrentensystem, und die zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Urteils in der Rechtssache C-262/88 gilt nicht für den Anspruch auf Anschluss an ein Betriebsrentensystem. Der Gerichtshof hat auch für Recht erkannt, dass Arbeitnehmern, die ihren Anspruch auf Anschluss an ein Betriebsrentensystem geltend machen, die einzelstaatlichen Vorschriften über die Fristen für die Rechtsverfolgung entgegengehalten werden können, sofern sie für derartige Klagen nicht ungünstiger sind als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen, und sofern sie die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht gewährten Rechte nicht praktisch unmöglich machen. Der Gerichtshof hat zudem dargelegt, dass ein Arbeitnehmer, der Anspruch auf den rückwirkenden Anschluss an ein Betriebsrentensystem hat, sich der Zahlung der Beiträge für den betreffenden Anschlusszeitraum nicht entziehen kann. (19) Die Sicherstellung des gleichen Zugangs zur Beschäftigung und zur entsprechenden Berufsbildung ist grundlegend für die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Jede Einschränkung dieses Grundsatzes sollte daher auf diejenigen beruflichen Tätigkeiten beschränkt bleiben, die aufgrund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung die Beschäftigung einer Person eines bestimmten Geschlechts erfordern, sofern damit ein legitimes Ziel verfolgt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird. (20) Diese Richtlinie berührt nicht die Vereinigungsfreiheit, einschließlich des Rechts jeder Person, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. Maßnahmen im Sinne von Artikel 141 Absatz 4 des Vertrags können die Mitgliedschaft in oder die Fortsetzung der Tätigkeit von Organisationen oder Gewerkschaften einschließen, deren Hauptziel es ist, dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Praxis Geltung zu verschaffen. (21) Das Diskriminierungsverbot sollte nicht der Beibehaltung oder dem Erlass von Maßnahmen entgegenstehen, mit denen bezweckt wird, Benachteiligungen von Personen eines Geschlechts zu verhindern oder auszugleichen. Diese Maßnahmen lassen die Einrichtung und Beibehaltung von Organisationen von Personen desselben Geschlechts zu, wenn deren Hauptzweck darin besteht, die besonderen Bedürfnisse dieser Personen zu berücksichtigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. (22) In Übereinstimmung mit Artikel 141 Absatz 4 des Vertrags hindert der Grundsatz der Gleichbehandlung die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben nicht daran, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Ver-

11 Protokoll Nr. 17 zu Artikel 141 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (1992).

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günstigungen beizubehalten oder zu beschließen. Angesichts der derzeitigen Lage und in Kenntnis der Erklärung Nr. 28 zum Vertrag von Amsterdam sollten die Mitgliedstaaten in erster Linie darauf hinwirken, die Lage der Frauen im Arbeitsleben zu verbessern. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich klar, dass die Schlechterstellung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaft eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt. Eine solche Behandlung sollte daher von der vorliegenden Richtlinie ausdrücklich erfasst werden. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass der Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach einer Schwangerschaft sowie Maßnahmen zum Mutterschutz legitime Mittel zur Erreichung einer nennenswerten Gleichstellung sind. Diese Richtlinie sollte somit die Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz12 unberührt lassen. Sie sollte ferner die Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub13 unberührt lassen. Aus Gründen der Klarheit ist es außerdem angebracht, ausdrücklich Bestimmungen zum Schutz der Rechte der Frauen im Bereich der Beschäftigung im Falle des Mutterschaftsurlaubs aufzunehmen, insbesondere den Anspruch auf Rückkehr an ihren früheren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz ohne Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aufgrund dieses Mutterschaftsurlaubs sowie darauf, dass ihnen auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zugute kommen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten. In der Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Minister für Beschäftigung und Sozialpolitik vom 29. Juni 2000 über eine ausgewogene Teilhabe von Frauen und Männern am Berufs- und Familienleben14 wurden die Mitgliedstaaten ermutigt, die Möglichkeit zu prüfen, in ihren jeweiligen Rechtsordnungen männlichen Arbeitnehmern unter Wahrung ihrer bestehenden arbeitsbezogenen Rechte ein individuelles, nicht übertragbares Recht auf Vaterschaftsurlaub zuzuerkennen. Ähnliche Bedingungen gelten für die Zuerkennung — durch die Mitgliedstaaten — eines individuellen, nicht übertragbaren Rechts auf Urlaub nach Adoption eines Kindes an Männer und Frauen. Es ist Sache der Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob sie ein solches Recht auf Vaterschaftsurlaub und/oder Adoptionsurlaub zuerkennen oder nicht, sowie alle außerhalb des Geltungsbereichs dieser Richtlinie liegenden Bedingungen, mit Ausnahme derjenigen, die die Entlassung und die Rückkehr an den Arbeitsplatz betreffen, festzulegen. Die wirksame Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung erfordert die Schaffung angemessener Verfahren durch die Mitgliedstaaten. Die Schaffung angemessener rechtlicher und administrativer Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen aufgrund der vorliegenden Richtlinie ist wesentlich für die tatsächliche Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung.

12 Mutterschutz-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.11. 13 ABl. L 145 vom 19. 6. 1996, S. 4. Geändert durch die Richtlinie 97/ 75/EG (ABl. L 10 vom 16. 1. 1998, S. 24). 14 ABl. C 218 vom 31. 7. 2000, S. 5.

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(30) Der Erlass von Bestimmungen zur Beweislast ist wesentlich, um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung wirksam durchgesetzt werden kann. Wie der Gerichtshof entschieden hat, sollten daher Bestimmungen vorgesehen werden, die sicherstellen, dass die Beweislast — außer im Zusammenhang mit Verfahren, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder der zuständigen nationalen Stelle obliegt — auf die beklagte Partei verlagert wird, wenn der Anschein einer Diskriminierung besteht. Es ist jedoch klarzustellen, dass die Bewertung der Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, weiterhin der einschlägigen einzelstaatlichen Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten obliegt. Außerdem bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, auf jeder Stufe des Verfahrens eine für die klagende Partei günstigere Beweislastregelung vorzusehen. (31) Um den durch diese Richtlinie gewährleisteten Schutz weiter zu verbessern, sollte auch die Möglichkeit bestehen, dass sich Verbände, Organisationen und andere juristische Personen unbeschadet der nationalen Verfahrensregeln bezüglich der Vertretung und Verteidigung bei einem entsprechenden Beschluss der Mitgliedstaaten im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung an einem Verfahren beteiligen. (32) In Anbetracht des grundlegenden Charakters des Anspruchs auf einen effektiven Rechtsschutz ist es angebracht, dass Arbeitnehmer diesen Schutz selbst noch nach Beendigung des Verhältnisses genießen, aus dem sich der behauptete Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung ergibt. Ein Arbeitnehmer, der eine Person, die nach dieser Richtlinie Schutz genießt, verteidigt oder für sie als Zeuge aussagt, sollte den gleichen Schutz genießen. (33) Der Gerichtshof hat eindeutig festgestellt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nur dann als tatsächlich verwirklicht angesehen werden kann, wenn bei allen Verstößen eine dem erlittenen Schaden angemessene Entschädigung zuerkannt wird. Es ist daher angebracht, die Vorabfestlegung irgendeiner Höchstgrenze für eine solche Entschädigung auszuschließen, außer in den Fällen, in denen der Arbeitgeber nachweisen kann, dass der einem Bewerber infolge einer Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinie entstandene Schaden allein darin besteht, dass die Berücksichtigung seiner Bewerbung verweigert wurde. (34) Um die wirksame Umsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung zu verstärken, sollten die Mitgliedstaaten den Dialog zwischen den Sozialpartnern und — im Rahmen der einzelstaatlichen Praxis — mit den Nichtregierungsorganisationen fördern. (35) Die Mitgliedstaaten sollten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festlegen, die bei einer Verletzung der aus dieser Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen zu verhängen sind. (36) Da die Ziele dieser Richtlinie auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. (37) Zum besseren Verständnis der Ursachen der unterschiedlichen Behandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sollten vergleichbare, nach Geschlechtern aufgeschlüsselte Statistiken weiterhin erstellt, ausgewertet und auf den geeigneten Ebenen zur Verfügung gestellt werden. (38) Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen kann sich nicht auf gesetzgeberische Maßnahmen beschränken. Die Europäische Union

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und die Mitgliedstaaten sind vielmehr aufgefordert, den Prozess der Bewusstseinsbildung für das Problem der Lohndiskriminierung und ein Umdenken verstärkt zu fördern und dabei alle betroffenen Kräfte auf öffentlicher wie privater Ebene so weit wie möglich einzubinden. Dabei kann der Dialog zwischen den Sozialpartnern einen wichtigen Beitrag leisten. (39) Die Verpflichtung zur Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht sollte auf diejenigen Bestimmungen beschränkt werden, die eine inhaltliche Veränderung gegenüber den früheren Richtlinien darstellen. Die Verpflichtung zur Umsetzung derjenigen Bestimmungen, die inhaltlich unverändert bleiben, ergibt sich aus den früheren Richtlinien. (40) Diese Richtlinie sollte unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Fristen zur Umsetzung der in Anhang I Teil B aufgeführten Richtlinien in einzelstaatliches Recht und zu ihrer Anwendung gelten. (41) Entsprechend Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung15 sollten die Mitgliedstaaten für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft eigene Tabellen aufstellen, denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese veröffentlichen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Titel I − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Gegenstand Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen. Zu diesem Zweck enthält sie Bestimmungen zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Bezug auf a) den Zugang zur Beschäftigung einschließlich des beruflichen Aufstiegs und zur Berufsbildung, b) Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts, c) betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit. Weiter enthält sie Bestimmungen, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Verwirklichung durch die Schaffung angemessener Verfahren wirksamer gestaltet wird. Art. 2 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) „unmittelbare Diskriminierung“ eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine ande-

15 ABl. C 321 vom 31. 12. 2003, S. 1.

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re Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde; b) „mittelbare Diskriminierung“ eine Situation, in der dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen des einen Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich; c) „Belästigung“ unerwünschte auf das Geschlecht einer Person bezogene Verhaltensweisen, die bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird; d) „sexuelle Belästigung“ jede Form von unerwünschtem Verhalten sexueller Natur, das sich in unerwünschter verbaler, nicht-verbaler oder physischer Form äußert und das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen und Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird; e) „Entgelt“ die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar als Geld- oder Sachleistung zahlt; f) „betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit“ Systeme, die nicht durch die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit 16 geregelt werden und deren Zweck darin besteht, den abhängig Beschäftigten und den Selbständigen in einem Unternehmen oder einer Unternehmensgruppe, in einem Wirtschaftszweig oder den Angehörigen eines Berufes oder einer Berufsgruppe Leistungen zu gewähren, die als Zusatzleistungen oder Ersatzleistungen die gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit ergänzen oder an ihre Stelle treten, unabhängig davon, ob der Beitritt zu diesen Systemen Pflicht ist oder nicht. (2) Im Sinne dieser Richtlinie gelten als Diskriminierung

16 ABl. L 6 vom 10. 1. 1979, S. 24.

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a) Belästigung und sexuelle Belästigung sowie jede nachteilige Behandlung aufgrund der Zurückweisung oder Duldung solcher Verhaltensweisen durch die betreffende Person; b) die Anweisung zur Diskriminierung einer Person aufgrund des Geschlechts; c) jegliche ungünstigere Behandlung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub im Sinne der Richtlinie 92/85/ EWG. Art. 3 Positive Maßnahmen Die Mitgliedstaaten können im Hinblick auf die Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben Maßnahmen im Sinne von Artikel 141 Absatz 4 des Vertrags beibehalten oder beschließen.

Titel II − Besondere Bestimmungen Kapitel 1 − Gleiches Entgelt Art. 4 Diskriminierungsverbot Bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, wird mittelbare und unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und -bedingungen beseitigt. Insbesondere wenn zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet wird, muss dieses System auf für männliche und weibliche Arbeitnehmer gemeinsamen Kriterien beruhen und so beschaffen sein, dass Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen werden.

Kapitel 2 − Gleichbehandlung in betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit Art. 5 Diskriminierungsverbot Unbeschadet des Artikels 4 darf es in betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben, insbesondere hinsichtlich a) des Anwendungsbereichs solcher Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu ihnen, b) der Beitragspflicht und der Berechnung der Beiträge, c) der Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie der Bedingungen be755

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treffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs. Art. 6 Persönlicher Anwendungsbereich Dieses Kapitel findet entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten Anwendung auf die Erwerbsbevölkerung einschließlich der Selbständigen, der Arbeitnehmer, deren Erwerbstätigkeit durch Krankheit, Mutterschaft, Unfall oder unverschuldete Arbeitslosigkeit unterbrochen ist, und der Arbeitssuchenden sowie auf die sich im Ruhestand befindlichen oder arbeitsunfähigen Arbeitnehmer und auf ihre anspruchsberechtigten Angehörigen. Art. 7 Sachlicher Anwendungsbereich (1) Dieses Kapitel findet Anwendung a) auf betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit, die Schutz gegen folgende Risiken bieten: i) Krankheit, ii) Invalidität, iii) Alter, einschließlich vorzeitige Versetzung in den Ruhestand, iv) Arbeitsunfall und Berufskrankheit, v) Arbeitslosigkeit; b) auf betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit, die sonstige Sozialleistungen in Form von Geld- oder Sachleistungen vorsehen, insbesondere Leistungen an Hinterbliebene und Familienleistungen, wenn diese Leistungen als vom Arbeitgeber aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses an den Arbeitnehmer gezahlte Vergütungen gelten. (2) Dieses Kapitel findet auch Anwendung auf Rentensysteme für eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern wie beispielsweise Beamte, wenn die aus dem System zu zahlenden Leistungen aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses mit dem öffentlichen Arbeitgeber gezahlt werden. Die Tatsache, dass ein solches System Teil eines allgemeinen durch Gesetz geregelten Systems ist, steht dem nicht entgegen. Art. 8 Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich (1) Dieses Kapitel gilt nicht a) für Einzelverträge Selbständiger, b) für Systeme Selbständiger mit nur einem Mitglied, c) im Fall von abhängig Beschäftigten für Versicherungsverträge, bei denen der Arbeitgeber nicht Vertragspartei ist, d) für fakultative Bestimmungen betrieblicher Systeme der sozialen Sicherheit, die einzelnen Mitgliedern eingeräumt werden, um ihnen i) entweder zusätzliche Leistungen 756

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ii) oder die Wahl des Zeitpunkts, zu dem die regulären Leistungen für Selbständige einsetzen, oder die Wahl zwischen mehreren Leistungen zu garantieren, e) für betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit, sofern die Leistungen durch freiwillige Beiträge der Arbeitnehmer finanziert werden. (2) Diesem Kapitel steht nicht entgegen, dass ein Arbeitgeber Personen, welche die Altersgrenze für die Gewährung einer Rente aus einem betrieblichen System der sozialen Sicherheit, jedoch noch nicht die Altersgrenze für die Gewährung einer gesetzlichen Rente erreicht haben, eine Zusatzrente gewährt, damit der Betrag der gesamten Leistungen dem Betrag entspricht oder nahe kommt, der Personen des anderen Geschlechts in derselben Lage, die bereits das gesetzliche Rentenalter erreicht haben, gewährt wird, bis die Bezieher der Zusatzrente das gesetzliche Rentenalter erreicht haben. Art. 9 Beispiele für Diskriminierung (1) Dem Grundsatz der Gleichbehandlung entgegenstehende Bestimmungen sind solche, die sich unmittelbar oder mittelbar auf das Geschlecht stützen und Folgendes bewirken: a) Festlegung der Personen, die zur Mitgliedschaft in einem betrieblichen System der sozialen Sicherheit zugelassen sind; b) Regelung der Zwangsmitgliedschaft oder der freiwilligen Mitgliedschaft in einem betrieblichen System der sozialen Sicherheit; c) unterschiedliche Regeln für das Beitrittsalter zum System oder für die Mindestdauer der Beschäftigung oder Zugehörigkeit zum System, die einen Leistungsanspruch begründen; d) Festlegung — außer in den unter den Buchstaben h und j genannten Fällen — unterschiedlicher Regeln für die Erstattung der Beiträge, wenn der Arbeitnehmer aus dem System ausscheidet, ohne die Bedingungen erfüllt zu haben, die ihm einen aufgeschobenen Anspruch auf die langfristigen Leistungen garantieren; e) Festlegung unterschiedlicher Bedingungen für die Gewährung der Leistungen oder die Beschränkung dieser Leistungen auf eines der beiden Geschlechter; f) Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand; g) Unterbrechung der Aufrechterhaltung oder des Erwerbs von Ansprüchen während eines gesetzlich oder tarifvertraglich festgelegten Mutterschaftsurlaubs oder Urlaubs aus familiären Gründen, der vom Arbeitgeber bezahlt wird; h) Gewährung unterschiedlicher Leistungsniveaus, es sei denn, dass dies notwendig ist, um versicherungstechnischen Berechnungsfaktoren Rechnung 757

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zu tragen, die im Fall von Festbeitragssystemen je nach Geschlecht unterschiedlich sind; bei durch Kapitalansammlung finanzierten Festleistungssystemen ist hinsichtlich einiger Punkte eine Ungleichbehandlung gestattet, wenn die Ungleichheit der Beträge darauf zurückzuführen ist, dass bei der Durchführung der Finanzierung des Systems je nach Geschlecht unterschiedliche versicherungstechnische Berechnungsfaktoren angewendet worden sind; i) Festlegung unterschiedlicher Höhen für die Beiträge der Arbeitnehmer; j) Festlegung unterschiedlicher Höhen für die Beiträge der Arbeitgeber, außer i) im Fall von Festbeitragssystemen, sofern beabsichtigt wird, die Höhe der auf diesen Beiträgen beruhenden Rentenleistungen für Männer und Frauen auszugleichen oder anzunähern; ii) im Fall von durch Kapitalansammlung finanzierten Festleistungssystemen, sofern die Arbeitgeberbeiträge dazu bestimmt sind, die zur Deckung der Aufwendungen für die zugesagten Leistungen unerlässliche Finanzierungsgrundlage zu ergänzen; k) Festlegung unterschiedlicher oder nur für Arbeitnehmer eines der Geschlechter geltender Regelungen — außer in den unter den Buchstaben h und j vorgesehenen Fällen — hinsichtlich der Garantie oder der Aufrechterhaltung des Anspruchs auf spätere Leistungen, wenn der Arbeitnehmer aus dem System ausscheidet. (2) Steht die Gewährung von unter dieses Kapitel fallenden Leistungen im Ermessen der für das System zuständigen Verwaltungsstellen, so beachten diese den Grundsatz der Gleichbehandlung. Art. 10 Durchführung in Bezug auf Selbständige (1) Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Bestimmungen betrieblicher Systeme der sozialen Sicherheit selbständig Erwerbstätiger, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung entgegenstehen, spätestens mit Wirkung vom 1. Januar 1993 oder — für Mitgliedstaaten, die nach diesem Datum beigetreten sind — ab dem Datum, zu dem die Richtlinie 86/378/EG in ihrem Hoheitsgebiet anwendbar wurde, geändert werden. (2) Dieses Kapitel steht dem nicht entgegen, dass für die Rechte und Pflichten, die sich aus einer vor dem Zeitpunkt der Änderung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit Selbständiger liegenden Zeit der Mitgliedschaft in dem betreffenden System ergeben, weiterhin die Bestimmungen des Systems gelten, die während dieses Versicherungszeitraums galten. Art. 11 Möglichkeit des Aufschubs in Bezug auf Selbständige Was die betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit Selbständiger betrifft, können die 758

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3.2

Mitgliedstaaten die obligatorische Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung aufschieben a) für die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung von Altersrenten oder Ruhestandsrenten sowie die Folgen, die sich daraus für andere Leistungen ergeben können, und zwar i) entweder bis zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Gleichbehandlung in den gesetzlichen Systemen verwirklicht ist, ii) oder längstens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Richtlinie diese Gleichbehandlung vorschreibt; b) für Hinterbliebenenrenten bis zu dem Zeitpunkt, zu dem für diese der Grundsatz der Gleichbehandlung in den gesetzlichen Systemen der sozialen Sicherheit durch das Gemeinschaftsrecht vorgeschrieben ist; c) für die Anwendung des Artikels 9 Absatz 1 Buchstabe i in Bezug auf die Anwendung von versicherungstechnischen Berechnungsfaktoren bis zum 1. Januar 1999 oder — für Mitgliedstaaten, die nach diesem Datum beigetreten sind — bis zu dem Datum, zu dem die Richtlinie 86/378/EG in ihrem Hoheitsgebiet anwendbar wurde. Art. 12 Rückwirkung (1) Jede Maßnahme zur Umsetzung dieses Kapitels in Bezug auf die Arbeitnehmer deckt alle Leistungen der betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit ab, die für Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 gewährt werden, und gilt rückwirkend bis zu diesem Datum, außer im Fall von Arbeitnehmern oder ihren anspruchsberechtigten Angehörigen, die vor diesem Zeitpunkt Klage bei Gericht oder ein gleichwertiges Verfahren nach dem geltenden einzelstaatlichen Recht angestrengt haben. In diesem Fall werden die Umsetzungsmaßnahmen rückwirkend bis zum 8. April 1976 angewandt und decken alle Leistungen ab, die für Beschäftigungszeiten nach diesem Zeitpunkt gewährt werden. Für Mitgliedstaaten, die der Gemeinschaft nach dem 8. April 1976 und vor dem 17. Mai 1990 beigetreten sind, gilt anstelle dieses Datums das Datum, an dem Artikel 141 des Vertrags auf ihrem Hoheitsgebiet anwendbar wurde. (2) Absatz 1 Satz 2 steht dem nicht entgegen, dass den Arbeitnehmern oder ihren Anspruchsberechtigten, die vor dem 17. Mai 1990 Klage erhoben haben, einzelstaatliche Vorschriften über die Fristen für die Rechtsverfolgung nach innerstaatlichem Recht entgegengehalten werden können, sofern sie für derartige Klagen nicht ungünstiger sind als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen, und sofern sie die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht gewährten Rechte nicht praktisch unmöglich machen. (3) Für Mitgliedstaaten, die nach dem 17. Mai 1990 der Gemeinschaft beigetreten sind und zum 1. Januar 1994 Vertragsparteien des Abkommens über den Euro759

3.2

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päischen Wirtschaftsraum waren, wird das Datum „17. Mai 1990“ in Absatz 1 Satz 1 durch „1. Januar 1994“ ersetzt. (4) Für andere Mitgliedstaaten, die nach dem 17. Mai 1990 beigetreten sind, wird das Datum „17. Mai 1990“ in den Absätzen 1 und 2 durch das Datum ersetzt, zu dem Artikel 141 des Vertrags in ihrem Hoheitsgebiet anwendbar wurde. Art. 13 Flexibles Rentenalter Haben Frauen und Männer zu gleichen Bedingungen An-spruch auf ein flexibles Rentenalter, so ist dies nicht als mit diesem Kapitel unvereinbar anzusehen.

Kapitel 3 − Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen Art. 14 Diskriminierungsverbot (1) Im öffentlichen und privaten Sektor einschließlich öffentlicher Stellen darf es in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben: a) die Bedingungen — einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen — für den Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position einschließlich des beruflichen Aufstiegs; b) den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung einschließlich der praktischen Berufserfahrung; c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe von Artikel 141 des Vertrags; d) die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation oder einer Organisation, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Organisationen. (2) Die Mitgliedstaaten können im Hinblick auf den Zugang zur Beschäftigung einschließlich der zu diesem Zweck erfolgenden Berufsbildung vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines geschlechtsbezogenen Merkmals keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. 760

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3.2

Art. 15 Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub Frauen im Mutterschaftsurlaub haben nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs Anspruch darauf, an ihren früheren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen, die für sie nicht weniger günstig sind, zurückzukehren, und darauf, dass ihnen auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten, zugute kommen. Art. 16 Vaterschaftsurlaub und Adoptionsurlaub Diese Richtlinie lässt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, eigene Rechte auf Vaterschaftsurlaub und/oder Adoptionsurlaub anzuerkennen. Die Mitgliedstaaten, die derartige Rechte anerkennen, treffen die erforderlichen Maßnahmen, um männliche und weibliche Arbeitnehmer vor Entlassung infolge der Inanspruchnahme dieser Rechte zu schützen, und gewährleisten, dass sie nach Ablauf des Urlaubs Anspruch darauf haben, an ihren früheren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen, die für sie nicht weniger günstig sind, zurückzukehren, und darauf, dass ihnen auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten, zugute kommen.

Titel III − Horizontale Bestimmungen Kapitel 1 − Rechtsmittel und Rechtsdurchsetzung Abschnitt 1 − Rechtsmittel Art. 17 Rechtsschutz (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche aus dieser Richtlinie gegebenenfalls nach Inanspruchnahme anderer zuständiger Behörden oder, wenn die Mitgliedstaaten es für angezeigt halten, nach einem Schlichtungsverfahren auf dem Gerichtsweg geltend machen können, selbst wenn das Verhältnis, während dessen die Diskriminierung vorgekommen sein soll, bereits beendet ist. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die gemäß den in ihrem einzelstaatlichen Recht festgelegten Kriterien ein rechtmäßiges Interesse daran haben, für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu sorgen, sich entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung mit deren Einwilligung an den in dieser Richtlinie zur Durchsetzung der Ansprüche vorgesehenen Gerichtsund/oder Verwaltungsverfahren beteiligen können. 761

3.2

Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Arbeit) 2006/54

(3) Die Absätze 1 und 2 lassen einzelstaatliche Regelungen über Fristen für die Rechtsverfolgung betreffend den Grundsatz der Gleichbehandlung unberührt. Art. 18 Schadenersatz oder Entschädigung Die Mitgliedstaaten treffen im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnungen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der einer Person durch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts entstandene Schaden — je nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten — tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschehen muss. Dabei darf ein solcher Ausgleich oder eine solche Entschädigung nur in den Fällen durch eine im Voraus festgelegte Höchstgrenze begrenzt werden, in denen der Arbeitgeber nachweisen kann, dass der einem Bewerber durch die Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinie entstandene Schaden allein darin besteht, dass die Berücksichtigung seiner Bewerbung verweigert wurde.

Abschnitt 2 − Beweislast Art. 19 Beweislast (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit dem System ihrer nationalen Gerichtsbarkeit die erforderlichen Maßnahmen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. (2) Absatz 1 lässt das Recht der Mitgliedstaaten, eine für die klagende Partei günstigere Beweislastregelung vorzusehen, unberührt. (3) Die Mitgliedstaaten können davon absehen, Absatz 1 auf Verfahren anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle obliegt. (4) Die Absätze 1, 2 und 3 finden ebenfalls Anwendung auf a) die Situationen, die von Artikel 141 des Vertrags und — sofern die Frage einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angesprochen ist — von den Richtlinien 92/85/EWG und 96/34/EG erfasst werden; b) zivil- und verwaltungsrechtliche Verfahren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor, die Rechtsbehelfe nach innerstaatlichem Recht bei der Anwendung der Vorschriften gemäß Buchstabe a vorsehen, mit Ausnahme der freiwilligen oder in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen außergerichtlichen Verfahren. 762

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3.2

(5) Soweit von den Mitgliedstaaten nicht anders geregelt, gilt dieser Artikel nicht für Strafverfahren.

Kapitel 2 − Förderung der Gleichbehandlung — Dialog Art. 20 Stellen zur Förderung der Gleichbehandlung (1) Jeder Mitgliedstaat bezeichnet eine oder mehrere Stellen, deren Aufgabe darin besteht, die Verwirklichung der Gleichbehandlung aller Personen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu fördern, zu analysieren, zu beobachten und zu unterstützen. Diese Stellen können Teil von Einrichtungen sein, die auf nationaler Ebene für den Schutz der Menschenrechte oder der Rechte des Einzelnen verantwortlich sind. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es zu den Befugnissen dieser Stellen gehört, a) unbeschadet der Rechte der Opfer und der Verbände, Organisationen oder anderer juristischer Personen nach Artikel 17 Absatz 2 die Opfer von Diskriminierungen auf unabhängige Weise dabei zu unterstützen, ihre Beschwerde wegen Diskriminierung zu verfolgen; b) unabhängige Untersuchungen zum Thema der Diskriminierung durchzuführen; c) unabhängige Berichte zu veröffentlichen und Empfehlungen zu allen Aspekten vorzulegen, die mit diesen Diskriminierungen in Zusammenhang stehen; d) auf geeigneter Ebene mit entsprechenden europäischen Einrichtungen, wie beispielsweise einem künftigen Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen verfügbare Informationen auszutauschen. Art. 21 Sozialer Dialog (1) Die Mitgliedstaaten treffen im Einklang mit den nationalen Gepflogenheiten und Verfahren geeignete Maßnahmen zur Förderung des sozialen Dialogs zwischen den Sozialpartnern mit dem Ziel, die Verwirklichung der Gleichbehandlung voranzubringen, beispielsweise durch Beobachtung der Praktiken am Arbeitsplatz und beim Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie durch Beobachtung der Tarifverträge und durch Verhaltenskodizes, Forschungsarbeiten oder den Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren. (2) Soweit mit den nationalen Gepflogenheiten und Verfahren vereinbar, ersuchen die Mitgliedstaaten die Sozialpartner ohne Eingriff in deren Autonomie, die Gleichstellung von Männern und Frauen durch flexible Arbeitsbedingungen zur besseren Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf zu fördern und auf geeigneter Ebene Antidiskriminierungsvereinbarungen zu schließen, die die in Arti763

3.2

Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Arbeit) 2006/54

kel 1 genannten Bereiche betreffen, soweit diese in den Verantwortungsbereich der Tarifparteien fallen. Die Vereinbarungen müssen den Bestimmungen dieser Richtlinie sowie den einschlägigen nationalen Durchführungsbestimmungen entsprechen. (3) Die Mitgliedstaaten ersuchen in Übereinstimmung mit den nationalen Gesetzen, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten die Arbeitgeber, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz sowie beim Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg in geplanter und systematischer Weise zu fördern. (4) Zu diesem Zweck werden die Arbeitgeber ersucht, den Arbeitnehmern und/ oder den Arbeitnehmervertretern in regelmäßigen angemessenen Abständen Informationen über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in ihrem Betrieb zu geben. Diese Informationen können Übersichten über den Anteil von Männern und Frauen auf den unterschiedlichen Ebenen des Betriebs, ihr Entgelt sowie Unterschiede beim Entgelt und mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern enthalten. Art. 22 Dialog mit Nichtregierungsorganisationen Die Mitgliedstaaten fördern den Dialog mit den jeweiligen Nichtregierungsorganisationen, die gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ein rechtmäßiges Interesse daran haben, sich an der Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu beteiligen, um die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung zu fördern.

Kapitel 3 − Allgemeine horizontale Bestimmungen Art. 23 Einhaltung Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass a) die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden; b) mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarende Bestimmungen in Arbeits- und Tarifverträgen, Betriebsordnungen und Statuten der freien Berufe und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen und allen sonstigen Vereinbarungen und Regelungen nichtig sind, für nichtig erklärt werden können oder geändert werden; c) betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit, die solche Bestimmungen enthalten, nicht durch Verwaltungsmaßnahmen genehmigt oder für allgemeinverbindlich erklärt werden können. 764

Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Arbeit) 2006/54

3.2

Art. 24 Viktimisierung Die Mitgliedstaaten treffen im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnungen die erforderlichen Maßnahmen, um die Arbeitnehmer sowie die aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten vorgesehenen Arbeitnehmervertreter vor Entlassung oder anderen Benachteiligungen durch den Arbeitgeber zu schützen, die als Reaktion auf eine Beschwerde innerhalb des betreffenden Unternehmens oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfolgen. Art. 25 Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen die Regeln für die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Anwendung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen diese Vorschriften der Kommission spätestens bis zum 5. Oktober 2005 mit und unterrichten sie unverzüglich über alle späteren Änderungen dieser Vorschriften. Art. 26 Vorbeugung von Diskriminierung Die Mitgliedstaaten ersuchen in Einklang mit ihren nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten die Arbeitgeber und die für Berufsbildung zuständigen Personen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um allen Formen der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und insbesondere Belästigung und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sowie beim Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg vorzubeugen. Art. 27 Mindestanforderungen (1) Die Mitgliedstaaten können Vorschriften erlassen oder beibehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vorschriften sind. (2) Die Durchführung dieser Richtlinie rechtfertigt in keinem Fall eine Beeinträchtigung des Schutzniveaus der Arbeitnehmer in dem von ihr abgedeckten Bereich; das Recht der Mitgliedstaaten, als Reaktion auf eine veränderte Situation Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die sich von denen unterscheiden, die zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie in Kraft waren, bleibt unberührt, solange die Bestimmungen dieser Richtlinie eingehalten werden. Art. 28 Verhältnis zu gemeinschaftlichen und einzelstaatlichen Vorschriften (1) Diese Richtlinie steht Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegen. 765

3.2

Geschlechtsdiskriminierungs-RL (Arbeit) 2006/54

(2) Diese Richtlinie berührt nicht die Bestimmungen der Richtlinien 96/34/EG und 92/85/EWG. Art. 29 Durchgängige Berücksichtigung des Gleichstellungsaspekts Die Mitgliedstaaten berücksichtigen aktiv das Ziel der Gleichstellung von Männern und Frauen bei der Formulierung und Durchführung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Politiken und Tätigkeiten in den in dieser Richtlinie genannten Bereichen. Art. 30 Verbreitung von Informationen Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die in Anwendung dieser Richtlinie ergehenden Maßnahmen sowie die bereits geltenden einschlägigen Vorschriften allen Betroffenen in geeigneter Form und gegebenenfalls in den Betrieben bekannt gemacht werden. Art. 31–36 Berichte, Überprüfung, Umsetzungspflichten, Aufhebung von Rechtsakten, Inkrafttreten und Adressaten − nicht abgedruckt. Anhang I und II Aufgehobene Richtlinien und Änderungsrichtlinien, Umsetzungsfristen und Entsprechungstabelle − nicht abgedruckt.

766

3.3 Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78

*

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 13, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments,2 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,3 nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen,4 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Nach Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union beruht die Europäische Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. (2) Der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen wurde in zahlreichen Rechtsakten der Gemeinschaft fest verankert, insbesondere in der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen.5 (3) Bei der Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ist die Gemeinschaft gemäß Artikel 3 Absatz 2 des EG-Vertrags bemüht, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern, zumal Frauen häufig Opfer mehrfacher Diskriminierung sind. (4) Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und der Schutz vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht; dieses Recht wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im VN-Übereinkommen zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, im Internationalen Pakt der VN über bürgerliche und politische Rechte, im Internationalen Pakt der VN über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkannt, die von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet wurden. Das Übereinkommen 111 der Internationalen Arbeitsorganisation untersagt Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf.

* Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000 L 303/16. 1 ABl. C 177 E vom 27. 6. 2000, S. 42. 2 Stellungnahme vom 5. Oktober 2000 ([ABl. C 178 vom 22. 6. 2001, S. 270]). 3 ABl. C 204 vom 18. 7. 2000, S. 82. 4 ABl. C 226 vom 8. 8. 2000, S. 1. 5 ABl. L 39 vom 14. 2. 1976, S. 40. https://doi.org/10.1515/9783110667776-031

3.3

Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78

(5) Es ist wichtig, dass diese Grundrechte und Grundfreiheiten geachtet werden. Diese Richtlinie berührt nicht die Vereinigungsfreiheit, was das Recht jeder Person umfasst, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. (6) In der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer wird anerkannt, wie wichtig die Bekämpfung jeder Art von Diskriminierung und geeignete Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Eingliederung älterer Menschen und von Menschen mit Behinderung sind. (7) Der EG-Vertrag nennt als eines der Ziele der Gemeinschaft die Förderung der Koordinierung der Beschäftigungspolitiken der Mitgliedstaaten. Zu diesem Zweck wurde in den EGVertrag ein neues Beschäftigungskapitel eingefügt, das die Grundlage bildet für die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie und für die Förderung der Qualifizierung, Ausbildung und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer. (8) In den vom Europäischen Rat auf seiner Tagung am 10. und 11. Dezember 1999 in Helsinki vereinbarten beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2000 wird die Notwendigkeit unterstrichen, einen Arbeitsmarkt zu schaffen, der die soziale Eingliederung fördert, indem ein ganzes Bündel aufeinander abgestimmter Maßnahmen getroffen wird, die darauf abstellen, die Diskriminierung von benachteiligten Gruppen, wie den Menschen mit Behinderung, zu bekämpfen. Ferner wird betont, dass der Unterstützung älterer Arbeitnehmer mit dem Ziel der Erhöhung ihres Anteils an der Erwerbsbevölkerung besondere Aufmerksamkeit gebührt. (9) Beschäftigung und Beruf sind Bereiche, die für die Gewährleistung gleicher Chancen für alle und für eine volle Teilhabe der Bürger am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben sowie für die individuelle Entfaltung von entscheidender Bedeutung sind. (10) Der Rat hat am 29. Juni 2000 die Richtlinie 2000/43/EG6 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft angenommen, die bereits einen Schutz vor solchen Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf gewährleistet. (11) Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung können die Verwirklichung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität sowie die Freizügigkeit. (12) Daher sollte jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen gemeinschaftsweit untersagt werden. Dieses Diskriminierungsverbot sollte auch für Staatsangehörige dritter Länder gelten, betrifft jedoch nicht die Ungleichbehandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit und lässt die Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen dritter Länder und ihren Zugang zu Beschäftigung und Beruf unberührt. (13) Diese Richtlinie findet weder Anwendung auf die Sozialversicherungs- und Sozialschutzsysteme, deren Leistungen nicht einem Arbeitsentgelt in dem Sinne gleichgestellt werden, der diesem Begriff für die Anwendung des Artikels 141 des EG-Vertrags gegeben wurde, noch auf Vergütungen jeder Art seitens des Staates, die den Zugang zu einer Beschäftigung oder die Aufrechterhaltung eines Beschäftigungsverhältnisses zum Ziel haben.

6 ABl. L 180 vom 19. 7. 2000, S. 22 [Rassendiskriminierungs-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.5].

768

Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78

3.3

(14) Diese Richtlinie berührt nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand. (15) Die Beurteilung von Tatbeständen, die auf eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung schließen lassen, obliegt den einzelstaatlichen gerichtlichen Instanzen oder anderen zuständigen Stellen nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten; in diesen einzelstaatlichen Vorschriften kann insbesondere vorgesehen sein, dass mittelbare Diskriminierung mit allen Mitteln, einschließlich statistischer Beweise, festzustellen ist. (16) Maßnahmen, die darauf abstellen, den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz Rechnung zu tragen, spielen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Diskriminierungen wegen einer Behinderung. (17) Mit dieser Richtlinie wird unbeschadet der Verpflichtung, für Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen, nicht die Einstellung, der berufliche Aufstieg, die Weiterbeschäftigung oder die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen einer Person vorgeschrieben, wenn diese Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes oder zur Absolvierung einer bestimmten Ausbildung nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist. (18) Insbesondere darf mit dieser Richtlinie den Streitkräften sowie der Polizei, den Haftanstalten oder den Notfalldiensten unter Berücksichtigung des rechtmäßigen Ziels, die Einsatzbereitschaft dieser Dienste zu wahren, nicht zur Auflage gemacht werden, Personen einzustellen oder weiter zu beschäftigen, die nicht den jeweiligen Anforderungen entsprechen, um sämtliche Aufgaben zu erfüllen, die ihnen übertragen werden können. (19) Ferner können die Mitgliedstaaten zur Sicherung der Schlagkraft ihrer Streitkräfte sich dafür entscheiden, dass die eine Behinderung und das Alter betreffenden Bestimmungen dieser Richtlinie auf alle Streitkräfte oder einen Teil ihrer Streitkräfte keine Anwendung finden. Die Mitgliedstaaten, die eine derartige Entscheidung treffen, müssen den Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung festlegen. (20) Es sollten geeignete Maßnahmen vorgesehen werden, d. h. wirksame und praktikable Maßnahmen, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten, z. B. durch eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen. (21) Bei der Prüfung der Frage, ob diese Maßnahmen zu übermäßigen Belastungen führen, sollten insbesondere der mit ihnen verbundene finanzielle und sonstige Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz der Organisation oder des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt werden. (22) Diese Richtlinie lässt die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über den Familienstand und davon abhängige Leistungen unberührt. (23) Unter sehr begrenzten Bedingungen kann eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt sein, wenn ein Merkmal, das mit der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, dem Alter oder der sexuellen Ausrichtung zusammenhängt, eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Diese Bedingungen sollten in die Informationen aufgenommen werden, die die Mitgliedstaaten der Kommission übermitteln. (24) Die Europäische Union hat in ihrer der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam beigefügten Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften ausdrücklich anerkannt, dass sie den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder

769

3.3

(25)

(26)

(27)

(28)

(29)

(30)

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Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und ihn nicht beeinträchtigt und dass dies in gleicher Weise für den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften gilt. Die Mitgliedstaaten können in dieser Hinsicht spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehalten oder vorsehen, die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können. Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters stellt ein wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung dar. Ungleichbehandlungen wegen des Alters können unter bestimmten Umständen jedoch gerechtfertigt sein und erfordern daher besondere Bestimmungen, die je nach der Situation der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können. Es ist daher unbedingt zu unterscheiden zwischen einer Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer Diskriminierung, die zu verbieten ist. Das Diskriminierungsverbot sollte nicht der Beibehaltung oder dem Erlass von Maßnahmen entgegenstehen, mit denen bezweckt wird, Benachteiligungen von Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, einem bestimmten Alter oder einer bestimmten sexuellen Ausrichtung zu verhindern oder auszugleichen, und diese Maßnahmen können die Einrichtung und Beibehaltung von Organisationen von Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, einem bestimmten Alter oder einer bestimmten sexuellen Ausrichtung zulassen, wenn deren Zweck hauptsächlich darin besteht, die besonderen Bedürfnisse dieser Personen zu fördern. Der Rat hat in seiner Empfehlung 86/379/EWG vom 24. Juli 19867 zur Beschäftigung von Behinderten in der Gemeinschaft einen Orientierungsrahmen festgelegt, der Beispiele für positive Aktionen für die Beschäftigung und Berufsbildung von Menschen mit Behinderung anführt; in seiner Entschließung vom 17. Juni 1999 betreffend gleiche Beschäftigungschancen für behinderte Menschen8 hat er bekräftigt, dass es wichtig ist, insbesondere der Einstellung, der Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses sowie der beruflichen Bildung und dem lebensbegleitenden Lernen von Menschen mit Behinderung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. In dieser Richtlinie werden Mindestanforderungen festgelegt; es steht den Mitgliedstaaten somit frei, günstigere Vorschriften einzuführen oder beizubehalten. Die Umsetzung dieser Richtlinie darf nicht eine Absenkung des in den Mitgliedstaaten bereits bestehenden Schutzniveaus rechtfertigen. Opfer von Diskriminierungen wegen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sollten über einen angemessenen Rechtsschutz verfügen. Um einen effektiveren Schutz zu gewährleisten, sollte auch die Möglichkeit bestehen, dass sich Verbände oder andere juristische Personen unbeschadet der nationalen Verfahrensordnung bezüglich der Vertretung und Verteidigung vor Gericht bei einem entsprechenden Beschluss der Mitgliedstaaten im Namen eines Opfers oder zu seiner Unterstützung an einem Verfahren beteiligen. Die effektive Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes erfordert einen angemessenen Schutz vor Viktimisierung.

7 ABl. L 225 vom 12. 8. 1986, S. 43. 8 ABl. C 186 vom 2. 7. 1999, S. 3.

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3.3

(31) Eine Änderung der Regeln für die Beweislast ist geboten, wenn ein glaubhafter Anschein einer Diskriminierung besteht. Zur wirksamen Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist eine Verlagerung der Beweislast auf die beklagte Partei erforderlich, wenn eine solche Diskriminierung nachgewiesen ist. Allerdings obliegt es dem Beklagten nicht, nachzuweisen, dass der Kläger einer bestimmten Religion angehört, eine bestimmte Weltanschauung hat, eine bestimmte Behinderung aufweist, ein bestimmtes Alter oder eine bestimmte sexuelle Ausrichtung hat. (32) Die Mitgliedstaaten können davon absehen, die Regeln für die Beweislastverteilung auf Verfahren anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder der zuständigen Stelle obliegt. Dies betrifft Verfahren, in denen die klagende Partei den Beweis des Sachverhalts, dessen Ermittlung dem Gericht oder der zuständigen Stelle obliegt, nicht anzutreten braucht. (33) Die Mitgliedstaaten sollten den Dialog zwischen den Sozialpartnern und im Rahmen der einzelstaatlichen Gepflogenheiten mit Nichtregierungsorganisationen mit dem Ziel fördern, gegen die verschiedenen Formen von Diskriminierung am Arbeitsplatz anzugehen und diese zu bekämpfen. (34) In Anbetracht der Notwendigkeit, den Frieden und die Aussöhnung zwischen den wichtigsten Gemeinschaften in Nordirland zu fördern, sollten in diese Richtlinie besondere Bestimmungen aufgenommen werden. (35) Die Mitgliedstaaten sollten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für den Fall vorsehen, dass gegen die aus dieser Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen verstoßen wird. (36) Die Mitgliedstaaten können den Sozialpartnern auf deren gemeinsamen Antrag die Durchführung der Bestimmungen dieser Richtlinie übertragen, die in den Anwendungsbereich von Tarifverträgen fallen, sofern sie alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden. (37) Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip nach Artikel 5 des EG-Vertrags kann das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen in der Gemeinschaft bezüglich der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden und kann daher wegen des Umfangs und der Wirkung der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden. Im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nach jenem Artikel geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Zweck Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten. 771

3.3

Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78

Art. 2 Der Begriff „Diskriminierung“ (1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet „Gleichbehandlungsgrundsatz“, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf. (2) Im Sinne des Absatzes 1 a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde; b) liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn: i) diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, oder ii) der Arbeitgeber oder jede Person oder Organisation, auf die diese Richtlinie Anwendung findet, ist im Falle von Personen mit einer bestimmten Behinderung aufgrund des einzelstaatlichen Rechts verpflichtet, geeignete Maßnahmen entsprechend den in Artikel 5 enthaltenen Grundsätzen vorzusehen, um die sich durch diese Vorschrift, dieses Kriterium oder dieses Verfahren ergebenden Nachteile zu beseitigen. (3) Unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem der Gründe nach Artikel 1 in Zusammenhang stehen und bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird, sind Belästigungen, die als Diskriminierung im Sinne von Absatz 1 gelten. In diesem Zusammenhang können die Mitgliedstaaten den Begriff „Belästigung“ im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten definieren. (4) Die Anweisung zur Diskriminierung einer Person wegen eines der Gründe nach Artikel 1 gilt als Diskriminierung im Sinne des Absatzes 1. (5) Diese Richtlinie berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

772

Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78

3.3

Art. 3 Geltungsbereich (1) Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf a) die Bedingungen − einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen − für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, einschließlich des beruflichen Aufstiegs; b) den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung, einschließlich der praktischen Berufserfahrung; c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts; d) die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation oder einer Organisation, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Organisationen. (2) Diese Richtlinie betrifft nicht unterschiedliche Behandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit und berührt nicht die Vorschriften und Bedingungen für die Einreise von Staatsangehörigen dritter Länder oder staatenlosen Personen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder deren Aufenthalt in diesem Hoheitsgebiet sowie eine Behandlung, die sich aus der Rechtsstellung von Staatsangehörigen dritter Länder oder staatenlosen Personen ergibt. (3) Diese Richtlinie gilt nicht für Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme oder der damit gleichgestellten Systeme einschließlich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes. (4) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diese Richtlinie hinsichtlich von Diskriminierungen wegen einer Behinderung und des Alters nicht für die Streitkräfte gilt. Art. 4 Berufliche Anforderungen (1) Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. (2) Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmun773

3.3

Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78

gen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund. Sofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im übrigen eingehalten werden, können die Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten. Art. 5 Angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, sind angemessene Vorkehrungen zu treffen. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Diese Belastung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik des Mitgliedstaates ausreichend kompensiert wird. Art. 6 Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters (1) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen: 774

Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78

3.3

a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen; b) die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile; c) die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand. (2) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen bzw. Kategorien von Beschäftigten und die Verwendung im Rahmen dieser Systeme von Alterskriterien für versicherungsmathematische Berechnungen keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt. Art. 7 Positive und spezifische Maßnahmen (1) Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgrunds verhindert oder ausgeglichen werden. (2) Im Falle von Menschen mit Behinderung steht der Gleichbehandlungsgrundsatz weder dem Recht der Mitgliedstaaten entgegen, Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz beizubehalten oder zu erlassen, noch steht er Maßnahmen entgegen, mit denen Bestimmungen oder Vorkehrungen eingeführt oder beibehalten werden sollen, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese Eingliederung fördern. Art. 8 Mindestanforderungen (1) Die Mitgliedstaaten können Vorschriften einführen oder beibehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vorschriften sind. 775

3.3

Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78

(2) Die Umsetzung dieser Richtlinie darf keinesfalls als Rechtfertigung für eine Absenkung des von den Mitgliedstaaten bereits garantierten allgemeinen Schutzniveaus in Bezug auf Diskriminierungen in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen benutzt werden. Kapitel II − Rechtsbehelfe und Rechtsdurchsetzung Art. 9 Rechtsschutz (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche aus dieser Richtlinie auf dem Gerichts- und/oder Verwaltungsweg sowie, wenn die Mitgliedstaaten es für angezeigt halten, in Schlichtungsverfahren geltend machen können, selbst wenn das Verhältnis, während dessen die Diskriminierung vorgekommen sein soll, bereits beendet ist. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die gemäß den in ihrem einzelstaatlichen Recht festgelegten Kriterien ein rechtmäßiges Interesse daran haben, für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu sorgen, sich entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung und mit deren Einwilligung an den in dieser Richtlinie zur Durchsetzung der Ansprüche vorgesehenen Gerichts- und/oder Verwaltungsverfahren beteiligen können. (3) Die Absätze 1 und 2 lassen einzelstaatliche Regelungen über Fristen für die Rechtsverfolgung betreffend den Gleichbehandlungsgrundsatz unberührt. Art. 10 Beweislast (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit ihrem nationalen Gerichtswesen die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass immer dann, wenn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. (2) Absatz 1 lässt das Recht der Mitgliedstaaten, eine für den Kläger günstigere Beweislastregelung vorzusehen, unberührt. (3) Absatz 1 gilt nicht für Strafverfahren. (4) Die Absätze 1, 2 und 3 gelten auch für Verfahren gemäß Artikel 9 Absatz 2. (5) Die Mitgliedstaaten können davon absehen, Absatz 1 auf Verfahren anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder der zuständigen Stelle obliegt. 776

Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78

3.3

Art. 11 Viktimisierung Die Mitgliedstaaten treffen im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung die erforderlichen Maßnahmen, um die Arbeitnehmer vor Entlassung oder anderen Benachteiligungen durch den Arbeitgeber zu schützen, die als Reaktion auf eine Beschwerde innerhalb des betreffenden Unternehmens oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfolgen. Art. 12 Unterrichtung Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die gemäß dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen sowie die bereits geltenden einschlägigen Vorschriften allen Betroffenen in geeigneter Form, zum Beispiel am Arbeitsplatz, in ihrem Hoheitsgebiet bekannt gemacht werden. Art. 13 Sozialer Dialog (1) Die Mitgliedstaaten treffen im Einklang mit den einzelstaatlichen Gepflogenheiten und Verfahren geeignete Maßnahmen zur Förderung des sozialen Dialogs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit dem Ziel, die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch Überwachung der betrieblichen Praxis, durch Tarifverträge, Verhaltenskodizes, Forschungsarbeiten oder durch einen Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren, voranzubringen. (2) Soweit vereinbar mit den einzelstaatlichen Gepflogenheiten und Verfahren, fordern die Mitgliedstaaten Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne Eingriff in deren Autonomie auf, auf geeigneter Ebene Antidiskriminierungsvereinbarungen zu schließen, die die in Artikel 3 genannten Bereiche betreffen, soweit diese in den Verantwortungsbereich der Tarifparteien fallen. Die Vereinbarungen müssen den in dieser Richtlinie sowie den in den einschlägigen nationalen Durchführungsbestimmungen festgelegten Mindestanforderungen entsprechen. Art. 14 Dialog mit Nichtregierungsorganisationen Die Mitgliedstaaten fördern den Dialog mit den jeweiligen Nichtregierungsorganisationen, die gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ein rechtmäßiges Interesse daran haben, sich an der Bekämpfung von Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe zu beteiligen, um die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung zu fördern.

Kapitel III − Besondere Bestimmungen Art. 15 Sondervorschriften für Polizei- und Lehrerdienst in Nordirland — nicht abgedruckt. 777

3.3

Diskriminierungsrahmen-RL 2000/78

Kapitel IV − Schlussbestimmungen Art. 16 Einhaltung Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass a) die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden; b) die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmungen in Arbeits- und Tarifverträgen, Betriebsordnungen und Statuten der freien Berufe und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen für nichtig erklärt werden oder erklärt werden können oder geändert werden. Art. 17 Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen diese Bestimmungen der Kommission spätestens am 2. Dezember 2003 mit und melden alle sie betreffenden späteren Änderungen unverzüglich. Art. 18–21 Umsetzungsfrist, Umsetzungspflichten, Berichtspflicht der Kommission, Inkrafttreten und Adressaten − nicht abgedruckt.

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3.4 Transparenz-Richtlinie 2019/1152

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 153 Absatz 2 Buchstabe b in Verbindung mit Artikel 153 Absatz 1 Buchstabe b, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen,2 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Artikel 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union legt fest, dass jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen, auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub hat. (2) In Grundsatz Nr. 5 der europäischen Säule sozialer Rechte, die am 17. November 2017 in Göteborg proklamiert wurde, ist festgelegt, dass Arbeitnehmer ungeachtet der Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses das Recht auf faire und gleiche Behandlung im Hinblick auf Arbeitsbedingungen sowie den Zugang zu sozialem Schutz und Fortbildung haben und dass der Übergang in eine unbefristete Arbeitsform zu fördern ist; dass im Einklang mit der Gesetzgebung und Kollektiv- bzw. Tarifverträgen die notwendige Flexibilität für Arbeitgeber zu gewährleisten ist, damit sie sich schnell an sich verändernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen anpassen können; dass innovative Arbeitsformen, die gute Arbeitsbedingungen sicherstellen, zu fördern sind; dass Unternehmertum und Selbstständigkeit zu unterstützen sind und dass berufliche Mobilität zu erleichtern ist und dass Arbeitsverhältnisse, die zu prekären Arbeitsbedingungen führen, zu unterbinden sind, unter anderem durch das Verbot des Missbrauchs atypischer Verträge, und dass Probezeiten eine angemessene Dauer nicht zu überschreiten haben. (3) In Grundsatz Nr. 7 der europäischen Säule sozialer Rechte ist festgelegt, dass Arbeitnehmer das Recht haben, am Beginn ihrer Beschäftigung schriftlich über ihre Rechte und Pflichten informiert zu werden, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, auch in der Probezeit; dass sie bei jeder Kündigung das Recht haben, zuvor die Gründe zu erfahren und das Recht auf eine angemessene Kündigungsfrist haben und dass sie das Recht auf Zugang zu wirkungsvoller und unparteiischer Streitbeilegung und bei einer ungerechtfertigten Kündigung Anspruch auf Rechtsbehelfe einschließlich einer angemessenen Entschädigung haben.

* Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union, ABl. 2019 L 186/105. 1 ABl. C 283 vom 10. 8. 2018, S. 39. 2 ABl. C 387 vom 25. 10. 2018, S. 53. 3 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 16. April 2019 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 13. Juni 2019. https://doi.org/10.1515/9783110667776-032

3.4

Transparenz-Richtlinie 2019/1152

(4) Seit dem Erlass der Richtlinie 91/533/EWG des Rates4 hat es auf den Arbeitsmärkten aufgrund der demografischen Entwicklung und der Digitalisierung, die zur Entstehung neuer Formen der Beschäftigung geführt haben, tief greifende Veränderungen gegeben, die Innovationen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Belebung des Arbeitsmarktes gefördert haben. Einige neue Arbeitsformen unterscheiden sich erheblich von herkömmlichen Arbeitsverhältnissen im Hinblick auf ihre Vorhersehbarkeit und führen so aufseiten der Arbeitnehmer zu Ungewissheit bezüglich der geltenden Rechte und des sozialen Schutzes. In dieser sich wandelnden Arbeitswelt besteht daher eine größere Notwendigkeit für Arbeitnehmer, umfassend über ihre wesentlichen Arbeitsbedingungen unterrichtet zu sein, was zeitnah und schriftlich in einer für Arbeitnehmer leicht zugänglichen Form erfolgen sollte. Angesichts der Entwicklung neuer Arbeitsformen erscheint es angemessen, Arbeitnehmern in der Union außerdem eine Reihe neuer Mindestrechte zu gewähren, die darauf abzielen, die Sicherheit und die Vorhersehbarkeit in Arbeitsverhältnissen zu verbessern und dabei gleichzeitig eine Aufwärtskonvergenz in den Mitgliedstaaten herbeizuführen und die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes zu erhalten. (5) Gemäß der Richtlinie 91/533/EWG haben die meisten Arbeitnehmer in der Union Anspruch darauf, schriftliche Informationen über ihre Arbeitsbedingungen zu erhalten. Die Richtlinie 91/533/EWG gilt jedoch nicht für alle Arbeitnehmer in der Union. Darüber hinaus gibt es bei neuen Arbeitsformen, die seit 1991 aufgrund von Arbeitsmarktentwicklungen entstanden sind, Schutzlücken. (6) Es sollten daher auf Unionsebene Mindestanforderungen für die Unterrichtung über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses und für die Arbeitsbedingungen festgelegt werden, die für alle Arbeitnehmer gelten und ihnen ein angemessenes Maß an Transparenz und Vorhersehbarkeit ihrer Arbeitsbedingungen garantieren sollen, wobei gleichzeitig ein angemessenes Maß an Flexibilität atypischer Arbeitsverhältnisse beizubehalten ist, damit die Vorteile für Arbeitnehmer und für Arbeitgeber gewahrt werden. (7) (…) (8) In seiner Rechtsprechung hat der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden „Gerichtshof“) Kriterien für die Feststellung des Status eines Arbeitnehmers aufgestellt.5 Die Auslegung dieser Kriterien durch den Gerichtshof sollte bei der Umsetzung der Richtlinie berücksichtigt werden. Falls sie die genannten Kriterien erfüllen, könnten Hausangestellte, Arbeitnehmer, die auf Abruf, intermittierend, auf der Grundlage von Gutscheinen und auf Online-Plattformen beschäftigt sind, sowie Praktikanten und Auszubildende in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen. Personen, die tatsächlich selbstständig sind, sollten nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, da sie die Kriterien nicht

4 Richtlinie 91/533/EWG des Rates vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen (ABl. L 288 vom 18. 10. 1991, S. 32). 5 Urteile des Gerichtshofs vom 3. Juli 1986, Deborah Lawrie-Blum/Land Baden-Württemberg, C-66/85, ECLI:EU:C:1986:284, vom 14. Oktober 2010, Union syndicale Solidaires Isère/Premier ministre und andere, C-428/09, ECLI:EU:C:2010:612, vom 9. Juli 2015, Ender Balkaya/Kiesel Abbruch- und Recycling Technik GmbH, C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455, vom 4. Dezember 2014, FNV Kunsten Informatie en Media/Staat der Nederlanden, C-413/13, ECLI:EU:C:2014:2411, und vom 17. November 2016, Betriebsrat der Ruhrlandklinik gGmbH/Ruhrlandklinik gGmbH, C-216/ 15, ECLI:EU:C:2016:883.

780

Transparenz-Richtlinie 2019/1152

3.4

erfüllen. Der Missbrauch des Status der selbstständigen Erwerbstätigkeit, wie er im nationalen Recht definiert ist — sei es auf nationaler Ebene oder in grenzüberschreitenden Situationen —, stellt eine Form der falsch deklarierten Erwerbstätigkeit dar, die häufig mit nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit in Verbindung steht. Wenn eine Person die typischen Kriterien für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses erfüllt, aber als selbstständig erwerbstätig bezeichnet wird, um bestimmte rechtliche und steuerliche Verpflichtungen zu umgehen, liegt Scheinselbstständigkeit vor. Diese Personen sollten in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen. Die Ermittlung des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses sollte sich an den Fakten orientieren, die sich auf die tatsächliche Arbeitsleistung beziehen, und nicht an der Beschreibung des Verhältnisses seitens der Parteien. (9) Es sollte den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, festzulegen, dass gewisse Bestimmungen dieser Richtlinie, wenn dies aus objektiven Gründen aufgrund des besonderen Charakters der Aufgaben, die sie zu erfüllen haben, oder ihrer Beschäftigungsbedingungen, gerechtfertigt ist, nicht für bestimmte Kategorien von Beamten, Katastrophenschutzorganisationen, Streitkräfte, Polizeibehörden, Richter, Staatsanwälte, Ermittler und andere Strafverfolgungsbehörden gelten. (10) Die in dieser Richtlinie festgelegten Anforderungen in Bezug auf die folgenden Sachverhalte sollten aufgrund der Besonderheiten ihrer Arbeitsbedingungen nicht für Seeleute oder Seefischer gelten: Mehrfachbeschäftigung, sofern sie mit der Arbeit auf Schiffen oder Fischereifahrzeugen unvereinbar sind, Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit, Entsendung von Arbeitnehmern in einen anderen Mitgliedstaat oder in ein Drittland, Übergang zu einer anderen Arbeitsform und Informationen über die Identität der Sozialversicherungsträger, die die Sozialbeiträge erhalten. Für die Zwecke der vorliegenden Richtlinie sollten Seeleute und Seefischer im Sinne der Begriffsbestimmungen in den Richtlinien 2009/13/ EG6 bzw. (EU) 2017/159 des Rates7 als innerhalb der Union arbeitend gelten, wenn sie an Bord von Schiffen oder Fischereifahrzeugen arbeiten, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind oder unter der Fahne eines Mitgliedstaats fahren. (11) Angesichts der wachsenden Zahl von Arbeitnehmern, die aufgrund von Ausnahmeregelungen, welche die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 1 der Richtlinie 91/533/EWG treffen, vom Anwendungsbereich der genannten Richtlinie ausgeschlossen sind, ist es notwendig, diese Ausnahmeregelungen durch eine Möglichkeit für die Mitgliedstaaten zu ersetzen, die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht auf Arbeitsverhältnisse anzuwenden, deren im Voraus festgelegte und tatsächlich geleistete Arbeitsstunden in einem Referenzzeitraum von vier aufeinanderfolgenden Woche im Durchschnitt drei Stunden wöchentlich oder

6 Richtlinie 2009/13/EG des Rates vom 16. Februar 2009 zur Durchführung der Vereinbarung zwischen dem Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (ECSA) und der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) über das Seearbeitsübereinkommen 2006 und zur Änderung der Richtlinie 1999/63/EG (ABl. L 124 vom 20. 5. 2009, S. 30). 7 Richtlinie (EU) 2017/159 des Rates vom 19. Dezember 2016 zur Durchführung der Vereinbarung über die Durchführung des Übereinkommens über die Arbeit im Fischereisektor von 2007 der Internationalen Arbeitsorganisation, die am 21. Mai 2012 zwischen dem Allgemeinen Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften der Europäischen Union (COGECA), der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) und der Vereinigung der nationalen Verbände von Fischereiunternehmen in der Europäischen Union (Europêche) geschlossen wurde (ABl. L 25 vom 31. 1. 2017, S. 12).

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(13)

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(19)

Transparenz-Richtlinie 2019/1152

weniger beträgt. Bei der Berechnung dieser Stunden sollten alle tatsächlich für einen Arbeitgeber geleisteten Stunden einbezogen werden, z. B. Überstunden oder zusätzliche Arbeit zu der in einem Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis garantierten oder vorgesehenen Arbeit. Ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Arbeitnehmer diesen Grenzwert überschritten hat, gelten die Bestimmungen dieser Richtlinie für ihn, unabhängig von den darauffolgend geleisteten Stunden oder den im Arbeitsvertrag angegebenen Arbeitsstunden. Arbeitnehmer ohne garantierte Arbeitszeit, etwa diejenigen mit Null-Stunden-Verträgen oder bestimmten Abrufverträgen, sind besonders gefährdet. Daher sollten die Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig von der Anzahl der Stunden, die sie tatsächlich arbeiten, für sie gelten. Mehrere verschiedene natürliche oder juristische Personen oder andere Organisationen können in der Praxis die Aufgaben und Zuständigkeiten eines Arbeitgebers wahrnehmen. Die Mitgliedstaaten sollten frei sein, die Personen näher zu bestimmen, die als ganz oder teilweise verantwortlich für die Erfüllung der den Arbeitgebern durch diese Richtlinie auferlegten Verpflichtungen gelten, solange alle diese Verpflichtungen erfüllt werden. Die Mitgliedstaaten sollten auch entscheiden können, dass diese Verpflichtungen teilweise oder ganz an eine natürliche oder juristische Person zu übertragen sind, die keine Partei des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses ist. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, besondere Regeln aufzustellen: um Einzelpersonen, die als Arbeitgeber für Hausangestellte im Haushalt fungieren, von den in dieser Richtlinie festgelegten Anforderungen in Bezug auf die folgenden Sachverhalte auszunehmen: um Anträge auf andere Arbeitsformen zu prüfen und darauf zu reagieren sowie kostenlose Pflichtfortbildung anzubieten, und Rechtsbehelfsregelungen sollten Anwendung finden, wonach bei Informationen, die in den Dokumenten, die dem Arbeitnehmer nach dieser Richtlinie bereitzustellen sind, fehlen, von günstigen Vermutungen ausgegangen wird. Die Richtlinie 91/533/EWG enthielt erstmals eine Liste der wesentlichen Aspekte des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, über die Arbeitnehmer schriftlich zu unterrichten sind. Es ist erforderlich, diese Liste anzupassen, die die Mitgliedstaaten erweitern können, um den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und insbesondere der Zunahme der atypischen Arbeitsformen Rechnung zu tragen. Hat ein Arbeitnehmer keinen festen oder vorherrschenden Arbeitsort, sollte er über die gegebenenfalls geltenden Vorkehrungen für Fahrten zwischen den Arbeitsorten informiert werden. Es sollte möglich sein, dass die Unterrichtung über den Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung in der Form einer Information erfolgt, welche die Anzahl der Fortbildungstage, auf die der Arbeitnehmer gegebenenfalls pro Jahr Anspruch hat, und Angaben über die allgemeine Fortbildungsstrategie des Arbeitgebers enthält. Es sollte möglich sein, dass die Angaben zu dem bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltenden Verfahren die Frist für die Einreichung einer Klage gegen die Kündigung enthalten. Die Unterrichtung über die Arbeitszeit sollte im Einklang mit der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates8 erfolgen und sollte Informationen über Ruhepausen, tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie über den Umfang des bezahlten

8 Arbeitszeit-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.7.

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Transparenz-Richtlinie 2019/1152

(20)

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3.4

Urlaubs umfassen, sodass der Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer sichergestellt wird. Die Unterrichtung über die Vergütung sollte Informationen zu allen Bestandteilen der getrennt angegebenen Vergütung umfassen, einschließlich — falls zutreffend — der Beiträge in Form von Geld- oder Sachleistungen, Zahlungen für Überstunden, Boni und anderer Ansprüche, die der Arbeitnehmer im Hinblick auf ihre bzw. seine Arbeit direkt oder indirekt erhält. Unbeschadet der Erteilung solcher Informationen sollte es den Arbeitgebern unbenommen bleiben, zusätzliche Vergütungsbestandteile, etwa Einmal-Zahlungen, vorzusehen. Der Umstand, dass über Vergütungsbestandteile, die gesetzlich oder kollektiv — bzw. tarifvertraglich vorgesehen sind, nicht unterrichtet worden ist, sollte kein Grund sein, diese dem Arbeitnehmer nicht zu gewähren. Falls es wegen der Art der Beschäftigung — etwa bei einem Abrufvertrag — nicht möglich ist, einen festen Arbeitsplan anzugeben, sollten die Arbeitgeber die Arbeitnehmer darüber informieren, wie ihre Arbeitszeiten festzulegen sind, einschließlich der Zeitfenster, in denen sie aufgefordert werden können zu arbeiten, und der Mindestankündigungsfrist, die sie vor Beginn eines Arbeitsauftrags zu erhalten haben. Die Unterrichtung über Sozialversicherungssysteme sollte Informationen über die Identität der Sozialversicherungsträger, die die Sozialbeiträge erhalten, gegebenenfalls Informationen zu Leistungen bei Krankheit, zu Leistungen bei Mutterschaft, Vaterschaft und Elternschaft, zu Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie zu Leistungen bei Alter, bei Invalidität, für Hinterbliebene, bei Arbeitslosigkeit, bei Vorruhestand und für Familien umfassen. Wählt. der Arbeitnehmer den Sozialversicherungsträger selbst, sollten Arbeitgeber diese Informationen nicht bereitstellen müssen. Die Unterrichtung über den Sozialversicherungsschutz durch den Arbeitgeber sollte gegebenenfalls Informationen über das Bestehen von Zusatzrentensystemen im Sinne der Richtlinie 2014/ 50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates9 und ergänzender Rentenregelungen im Sinne der Richtlinie 98/49/EG des Rates10 umfassen. Arbeitnehmer sollten einen Anspruch darauf haben, bei Beschäftigungsbeginn schriftlich über ihre Rechte und Pflichten informiert zu werden, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben. Die grundlegenden Informationen sollten ihnen daher möglichst umgehend, spätestens innerhalb einer Kalenderwoche ab ihrem ersten Arbeitstag, zugehen. Die übrigen Informationen sollten ihnen innerhalb eines Monats ab ihrem ersten Arbeitstag zugehen. Der erste Arbeitstag sollte als tatsächlicher Beginn der Ausübung von Arbeiten durch den Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitsverhältnisses verstanden werden. Die Mitgliedstaaten sollten darauf hinwirken, dass Arbeitgeber vor dem Ende der ursprünglich vereinbarten Laufzeit des Arbeitsvertrags die einschlägigen Informationen über das Arbeitsverhältnis bereitstellen.

9 Richtlinie 2014/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern zwischen den Mitgliedstaaten durch Verbesserung des Erwerbs und der Wahrung von Zusatzrentenansprüchen (ABl. L 128 vom 30. 4. 2014, S. 1). 10 Richtlinie 98/49/EG des Rates vom 29. Juni 1998 zur Wahrung ergänzender Rentenansprüche von Arbeitnehmern und Selbstständigen, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 209 vom 25. 7. 1998, S. 46).

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3.4

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(24) Im Hinblick auf den verstärkten Einsatz von digitalen Kommunikationsmitteln können die Informationen, die nach dieser Richtlinie schriftlich zur Verfügung zu stellen sind, auf elektronischem Wege übermittelt werden. (25) Um den Arbeitgebern zu helfen, die Informationen zeitnah zu erteilen, sollten die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene Vorlagen bereitstellen können, einschließlich gezielter und ausreichend umfangreicher Informationen über den geltenden Rechtsrahmen. Diese Vorlagen könnten von nationalen Behörden und Sozialpartnern auf sektoraler oder lokaler Ebene weiterentwickelt werden. Die Kommission unterstützt die Mitgliedstaaten bei der Erarbeitung von Vorlagen und Modellen und macht sie gegebenenfalls umfassend zugänglich. (26) Arbeitnehmer, die ins Ausland geschickt werden, sollten zusätzliche Informationen betreffend ihre Situation erhalten. Bei aufeinanderfolgenden Arbeitsaufträgen in mehreren Mitgliedstaaten oder Drittländern sollte es ermöglicht werden, die Informationen für mehrere Arbeitsaufträge vor der ersten Abfahrt zu gruppieren und bei etwaigen Veränderungen später zu ändern. Arbeitnehmer, die entsandte Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates11 sind, sollten außerdem über die einzige offizielle nationale Website des Aufnahmemitgliedstaats unterrichtet werden, wo sie die für ihre Situation geltenden Arbeitsbedingungen finden können. Sofern von den Mitgliedstaaten nicht anders geregelt, gelangen diese Verpflichtungen zur Anwendung, wenn die Dauer des Arbeitszeitraums im Ausland mehr als vier aufeinanderfolgende Wochen beträgt. (27) Die Probezeit gestattet es den Parteien des Arbeitsverhältnisses zu überprüfen, ob der Arbeitnehmer und die Stelle, für die er eingestellt worden ist, miteinander vereinbar sind, und dem Arbeitnehmer zugleich begleitende Hilfe anzubieten. Der Eintritt in den Arbeitsmarkt oder der Übergang auf eine neue Stelle sollte nicht mit einer längeren Ungewissheit einhergehen. Wie in der europäischen Säule sozialer Rechte festgelegt, sollten Probezeiten daher eine angemessene Dauer haben. (28) Zahlreiche Mitgliedstaaten haben eine generelle Höchstdauer der Probezeit zwischen drei und sechs Monaten festgesetzt, die als angemessen gelten sollte. Es sollte möglich sein, dass Probezeiten in Ausnahmefällen länger als sechs Monate dauern, wenn dies durch die Art der Tätigkeit gerechtfertigt ist, etwa bei Leitungs- oder Führungsfunktionen oder Stellen des öffentlichen Dienstes, oder wenn dies im Interesse des Arbeitnehmers ist, etwa im Zusammenhang mit spezifischen Maßnahmen zur Förderung dauerhafter Beschäftigung, insbesondere für junge Arbeitnehmer. Probezeiten sollten außerdem in Fällen entsprechend verlängert werden können, in denen der Arbeitnehmer während der Probezeit von der Arbeit fernblieb, beispielsweise aufgrund einer Krankheit oder aufgrund von Urlaub, damit der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, die Eignung der Person für die betreffende Aufgabe zu beurteilen. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen mit einer Dauer von weniger als zwölf Monaten sollten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Probezeitdauer angemessen ist und im Verhältnis zur erwarteten Dauer des Vertrags und der Art der Tätigkeit steht. Falls nach nationalem Recht oder gemäß den nationalen Gepflogenheiten vorgesehen, sollte es Arbeitnehmern ermöglicht werden, während der Probezeit Arbeitnehmerrechte zu erwerben. (29) Ein Arbeitgeber sollte Arbeitnehmern weder verbieten dürfen, außerhalb des mit ihm festgelegten Arbeitsplans eine Beschäftigung bei anderen Arbeitgebern aufzunehmen, noch

11 Entsende-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.1.

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sie benachteiligen, falls sie dies tun. Es sollte den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, Bedingungen für die Anwendung von Unvereinbarkeitsbestimmungen im Sinne von Auflagen, wonach ein Arbeitnehmer nicht für andere Arbeitgeber arbeiten darf, aus objektiven Gründen festzulegen, etwa zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer auch durch eine Begrenzung der Arbeitszeit, zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, der Integrität des öffentlichen Dienstes oder zur Vermeidung von Interessenkonflikten. Arbeitnehmer mit einem völlig oder größtenteils unvorhersehbaren Arbeitsmuster sollten über ein Mindestmaß an Vorhersehbarkeit verfügen, wenn der Arbeitsplan hauptsächlich vom Arbeitgeber festgelegt wird, entweder direkt, etwa durch die Zuweisung von Arbeitsaufträgen, oder indirekt, etwa durch die Aufforderung an den Arbeitnehmer, auf Kundenwünsche zu reagieren. Zu Beginn des Arbeitsverhältnisses sollten schriftlich Referenzstunden und Referenztage im Sinne von Zeitfenstern festgelegt werden, in denen auf Aufforderung des Arbeitgebers gearbeitet werden darf. Eine angemessene Mindestankündigungsfrist — die als der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem ein Arbeitnehmer über einen neuen Arbeitsauftrag informiert wird, und dem Beginn dieses Auftrags zu verstehen ist — stellt bei Arbeitsverhältnissen mit Arbeitsmustern, die völlig oder größtenteils unvorhersehbar sind, ein weiteres notwendiges Element der Vorhersehbarkeit bezüglich der Arbeit dar. Die Länge der Ankündigungsfrist darf je nach den Erfordernissen des betreffenden Sektors unterschiedlich sein, doch muss ein angemessener Schutz der Arbeitnehmer sichergestellt sein. Die Mindestankündigungsfrist gilt unbeschadet der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.12 Die Arbeitnehmer sollten die Möglichkeit haben, einen Arbeitsauftrag abzulehnen, wenn er außerhalb der Referenzstunden und Referenztage fällt oder, wenn der Arbeitnehmer nicht innerhalb der Mindestankündigungsfrist über den Arbeitsauftrag unterrichtet worden ist, ohne Nachteile für diese Ablehnung zu erleiden. Die Arbeitnehmer sollten auch die Möglichkeit haben, den Arbeitsauftrag anzunehmen, wenn sie dies wünschen. Hat ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsmuster völlig oder größtenteils unvorhersehbar ist, mit dem Arbeitgeber vereinbart, einen bestimmten Arbeitsauftrag zu übernehmen, der Arbeitnehmer in der Lage sein, entsprechend zu planen. Der Arbeitnehmer sollte durch eine angemessene Entschädigung vor Einkommenseinbußen aufgrund eines verspäteten Widerrufs eines vereinbarten Arbeitsauftrags geschützt sein. Abrufverträge oder ähnliche Arbeitsverträge wie Null-Stunden-Verträge, in deren Rahmen der Arbeitgeber über die Flexibilität verfügt, die Arbeitnehmer nach Bedarf zur Arbeit aufzufordern, sind für die Arbeitnehmer besonders unvorhersehbar. Mitgliedstaaten, in denen solche Verträge zulässig sind, sollten sicherstellen, dass es wirksame Maßnahmen zur Verhinderung eines Missbrauchs dieser Verträge gibt. Bei diesen Maßnahmen könnte es sich um Beschränkungen der Anwendung und Dauer dieser Verträge, eine widerlegbare Vermutung, dass ein Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis mit einem garantierten Umfang bezahlter Stunden ausgehend von den in einem vorherigen Referenzzeitraum geleisteten Stunden vorliegt, oder andere gleichwertige Maßnahmen handeln, mit denen missbräuchliche Praktiken wirksam verhindert werden.

12 Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben (ABl. L 80 vom 23. 3. 2002, S. 35).

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(36) Wenn Arbeitgeber die Möglichkeit haben, Arbeitnehmern in atypischen Arbeitsverhältnissen Vollzeitarbeitsverträge oder unbefristete Arbeitsverträge anzubieten, sollte im Einklang mit den Grundsätzen im Sinne der europäischen Säule sozialer Rechte ein Übergang zu sichereren Arbeitsformen gefördert werden. Arbeitnehmer sollten das Recht haben, den Arbeitgeber um eine vorhersehbarere und sicherere Arbeitsformen zu ersuchen und eine begründete schriftliche Antwort des Arbeitgebers zu erhalten, in der auf die Bedürfnisse des Arbeitsgebers und die des Arbeitnehmers eingegangen wird. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, die Häufigkeit solcher Ersuchen zu begrenzen. Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten nicht davon abhalten, festzulegen, dass es dem Arbeitnehmer im Fall von Stellen des öffentlichen Dienstes, die im Zuge eines Auswahlverfahrens besetzt werden, nicht möglich ist, einfach um diese Stellen zu ersuchen, und dass für diese daher nicht das Recht gilt, um eine Arbeitsform mit vorhersehbareren und sichereren Arbeitsbedingungen zu ersuchen. (37) Wenn Arbeitgeber gemäß den Rechtsvorschriften der Union oder nationalen Rechtsvorschriften oder Kollektiv- bzw. Tarifverträgen verpflichtet sind, Arbeitnehmern Fortbildung anzubieten, damit diese die Arbeit durchführen können, für die sie beschäftigt werden, sollte sichergestellt sein, dass diese Fortbildung allen Arbeitnehmern angeboten wird, auch denjenigen in atypischen Arbeitsverhältnissen. Die Kosten für diese Fortbildung sollten dem Arbeitnehmer weder in Rechnung gestellt noch von ihrer bzw. seiner Vergütung einbehalten oder abgezogen werden. Die Fortbildung sollte als Arbeitszeit angerechnet und möglichst während der Arbeitszeit besucht werden. Diese Verpflichtung betrifft nicht die Berufsausbildung oder Fortbildung, die erforderlich ist, um eine Berufsqualifikation zu erlangen, aufrechtzuerhalten oder zu erneuern, solange der Arbeitgeber nicht gemäß den Rechtsvorschriften der Union oder nationalen Rechtsvorschriften oder Kollektivbzw. Tarifverträgen verpflichtet wird, sie dem Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Die Mitgliedstaaten sollten die Maßnahmen ergreifen, die erforderlich sind, um Arbeitnehmer vor missbräuchlichen Praktiken im Zusammenhang mit Fortbildung zu schützen. (38) Die Autonomie der Sozialpartner und ihre Funktion als Vertretung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten gewahrt bleiben. Es sollte den Sozialpartnern daher offenstehen, übereinzukommen, dass in bestimmten Branchen oder Situationen andere Bestimmungen als die Mindeststandards gemäß dieser Richtlinie geeigneter sind, die Ziele dieser Richtlinie zu erreichen. Die Mitgliedstaaten sollten daher die Möglichkeit haben, den Sozialpartnern zu erlauben, kollektiv- oder Tarifverträge beizubehalten, auszuhandeln, zu schließen und durchzusetzen, die von bestimmten Bestimmungen in dieser Richtlinie abweichen, solange dabei das generelle Schutzniveau für die Arbeitnehmer nicht abgesenkt wird. (39) Die öffentliche Konsultation zur europäischen Säule sozialer Rechte hat gezeigt, dass es notwendig ist, die Durchsetzung des Arbeitsrechts der Union zu stärken, um dessen Wirksamkeit sicherzustellen. Die Evaluierung der Richtlinie 91/533/EWG im Rahmen des Programms der Kommission zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung hat bestätigt, dass strengere Durchsetzungsmechanismen die Wirksamkeit des Arbeitsrechts der Union verbessern könnten. Die Konsultation hat außerdem ergeben, dass Rechtsbehelfssysteme, die einzig auf Schadenersatzforderungen beruhen, weniger effektiv sind als Systeme, die auch Sanktionen (etwa pauschale Strafgelder oder den Entzug der Zulassung) für Arbeitgeber vorsehen, welche versäumen, schriftliche Erklärungen abzugeben. Sie hat ferner gezeigt, dass Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses nur selten Rechtsbehelfe einlegen, womit das Ziel der schriftlichen Erklärung, nämlich sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer über die wesentlichen Merkmale des Arbeitsverhältnisses zu unterrichte werden, gefährdet ist. Es ist daher erforderlich, Durchsetzungs-

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bestimmungen vorzusehen, mit denen sichergestellt wird, dass, wenn Informationen über das Arbeitsverhältnis nicht erteilt werden, günstige Vermutungen oder ein Verfahren angewandt wird, bei dem der Arbeitgeber zur Erteilung der fehlenden Informationen aufgefordert und, wenn er dieser Aufforderung nicht nachkommt, sanktioniert werden kann, oder beides. Es sollte möglich sein, dass diese günstigen Vermutungen die Vermutung enthalten, dass der Arbeitnehmer ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hat, dass es keine Probezeit gibt oder dass der Arbeitnehmer eine Vollzeitstelle innehat, wenn die entsprechenden Informationen fehlen. Rechtsbehelfe könnten von der Durchführung eines Verfahrens abhängig gemacht werden, bei dem der Arbeitgeber von dem Arbeitnehmer oder Dritten, etwa einem Vertreter des Arbeitnehmers oder einer anderen zuständigen Behörde oder Stelle, auf das Fehlen der Informationen hingewiesen wird und rechtzeitig vollständige und korrekte Informationen bereitzustellen hat. Seit dem Erlass der Richtlinie 91/533/EWG ist ein umfangreiches System an Vorschriften für die Durchsetzung des sozialen Besitzstands in der Union angenommen worden, insbesondere im Bereich Gleichbehandlung, die zum Teil auf diese Richtlinie angewandt werden sollten, damit sichergestellt ist, dass Arbeitnehmer im Einklang mit Grundsatz Nr. 7 der europäischen Säule sozialer Rechte Zugang zu wirkungsvoller und unparteiischer Streitbeilegung, etwa einem Zivil- oder Arbeitsgericht, sowie Anspruch auf Rechtsbehelfe haben, was auch eine angemessene Entschädigung umfassen kann. Insbesondere sollten Arbeitnehmer angesichts des grundlegenden Anspruchs auf wirksamen Rechtsschutz auch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses, in dessen Verlauf es zu einem vermuteten Verstoß gegen ihre in dieser Richtlinie verankerten Rechte gekommen ist, in den Genuss dieses Schutzes kommen. Die wirksame Durchführung dieser Richtlinie erfordert einen angemessenen gerichtlichen und administrativen Schutz vor Benachteiligungen infolge eines Versuchs, ein in dieser Richtlinie vorgesehenes Recht wahrzunehmen, infolge einer Beschwerde beim Arbeitgeber oder infolge der Einleitung von Rechts- oder Verwaltungsverfahren zur Durchsetzung der Einhaltung dieser Richtlinie. Arbeitnehmer, die in dieser Richtlinie vorgesehene Rechte wahrnehmen, sollten vor Kündigung oder vergleichbarer Benachteiligung — indem zum Beispiel ein auf Abruf tätiger Arbeitnehmer keine Arbeit mehr zugewiesen bekommt — oder vor jeglicher Vorbereitung auf eine mögliche Kündigung, weil sie versucht haben, diese Rechte wahrzunehmen, geschützt sein. Ist ein Arbeitnehmer der Ansicht, ihm sei aus den genannten Gründen gekündigt worden oder habe vergleichbare Nachteile erlitten, sollte er und die zuständigen Behörden oder Stellen die Möglichkeit haben, den Arbeitgeber aufzufordern, hinreichend genau bezeichnete Gründe für die Kündigung oder die Maßnahme mit gleicher Wirkung zu nennen. Die Beweislast dafür, dass die Kündigung oder die gleichwertige Benachteiligung nicht erfolgt ist, weil der Arbeitnehmer seine ihm aufgrund dieser Richtlinie zustehenden Rechte wahrgenommen hat, sollte beim Arbeitgeber liegen, wenn der Arbeitnehmer vor einem Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde oder Stelle Tatsachen anführt, die darauf schließen lassen, dass ihm aus solchen Gründen gekündigt oder er einer gleichwertigen Benachteiligung ausgesetzt worden ist. Es sollte den Mitgliedstaaten offenstehen, diese Regel in Verfahren nicht anzuwenden, in denen ein Gericht oder eine andere zuständige Behörde oder Stelle den Sachverhalt untersuchen müsste, insbesondere in Systemen, wo eine Kündigung zuvor bereits von einer derartigen Behörde oder Stelle genehmigt werden muss.

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(45) Die Mitgliedstaaten sollten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für die Verletzung der aus dieser Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen festlegen. Sanktionen können administrative und finanzielle Sanktionen, wie Geldbußen oder Entschädigungszahlungen, sowie andere Arten von Sanktionen umfassen. (46) Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch die Förderung transparenterer und vorhersehbarere Beschäftigung bei gleichzeitiger Gewährleistung der Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen der Notwendigkeit, gemeinsame Mindestanforderungen festzulegen, auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Verwirklichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. (47) Mit dieser Richtlinie werden Mindestanforderungen festgelegt, sodass das Recht der Mitgliedstaaten unberührt bleibt, günstigere Bestimmungen einzuführen oder beizubehalten. Gemäß dem derzeitigen Rechtsrahmen erworbene Ansprüche sollten weiterhin gelten, es sei denn, durch diese Richtlinie werden günstigere Bestimmungen eingeführt. Die Umsetzung dieser Richtlinie darf weder dazu genutzt werden, bestehende Rechte abzubauen, die in vorhandenem Unionsrecht oder nationalem Recht festgelegt sind, noch darf sie als Rechtfertigung dienen, das allgemeine Schutzniveau für Arbeitnehmer in dem von der Richtlinie erfassten Bereich zu senken. Insbesondere sollte sie nicht als Grundlage für die Einführung von Null-Stunden-Verträgen oder ähnlichen Arbeitsverträgen dienen. (48) Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten administrative, finanzielle oder rechtliche Auflagen vermeiden, die der Gründung und dem Ausbau von Kleinstunternehmen, kleinen und mittleren Unternehmen entgegenstehen. Die Mitgliedstaaten sind daher aufgefordert, die Auswirkungen ihres Umsetzungsrechtsakts auf kleine und mittlere Unternehmen zu prüfen, um sicherzustellen, dass sie nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden — wobei ein besonderes Augenmerk auf Kleinstunternehmen und auf dem Verwaltungsaufwand liegen sollte —, und das Ergebnis dieser Prüfung zu veröffentlichen. (49) Die Mitgliedstaaten können den Sozialpartnern die Umsetzung dieser Richtlinie übertragen, wenn die Sozialpartner dies gemeinsam beantragen und sofern die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die mit dieser Richtlinie angestrebten Ergebnisse erzielt werden. Außerdem sollten sie im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten angemessene Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Sozialpartner wirksam einbezogen werden, und um den sozialen Dialog zu fördern und zu verbessern, damit die Bestimmungen dieser Richtlinie umgesetzt werden. (50) Die Mitgliedstaaten sollten jedwede angemessenen Maßnahmen ergreifen, um die Erfüllung der Verpflichtungen aus dieser Richtlinie sicherzustellen, indem beispielsweise gegebenenfalls Prüfungen vorgenommen werden. (51) Angesichts der erheblichen Änderungen, die diese Richtlinie hinsichtlich des Zwecks, des Anwendungsbereichs und des Inhalts der Richtlinie 91/533/EWG mit sich bringt, ist es nicht angezeigt, die genannte Richtlinie zu ändern. Die Richtlinie 91/533/EWG sollte daher aufgehoben werden. (52) Gemäß der Gemeinsamen Politischen Erklärung vom 28. September 2011 der Mitgliedstaaten und der Kommission zu Erläuternde Dokumente13 haben sich die Mitgliedstaaten ver13 ABl. C 369 vom 17. 12. 2011, S. 14.

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3.4

pflichtet, in begründeten Fällen zusätzlich zur Mitteilung ihrer Umsetzungsmaßnahmen ein oder mehrere Dokumente zu übermitteln, in denen der Zusammenhang zwischen den Bestandteilen einer Richtlinie und den entsprechenden Teilen nationaler Umsetzungsinstrumente erläutert wird. In Bezug auf diese Richtlinie hält der Gesetzgeber die Übermittlung derartiger Dokumente für gerechtfertigt — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I –Allgemeine Bestimmungen Artikel 1 Zweck, Gegenstand und Anwendungsbereich. (1) Zweck dieser Richtlinie ist es, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, indem eine transparentere und vorhersehbarere Beschäftigung gefördert und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes gewährleistet wird. (2) In dieser Richtlinie werden die Mindestrechte festgelegt, die für jeden Arbeitnehmer in der Union gelten, der nach den Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag hat oder in einem Arbeitsverhältnis steht, wobei die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen ist. (3) Die Mitgliedstaaten können entscheiden, dass die Verpflichtungen aus dieser Richtlinie nicht für Arbeitnehmer mit einem Arbeitsverhältnis gelten, dessen im Voraus festgelegte und tatsächlich geleistete Arbeitszeit in einem Referenzzeitraum von vier aufeinanderfolgenden Wochen im Durchschnitt nicht mehr als drei Stunden wöchentlich beträgt. Alle Zeiten, die bei Arbeitgebern gearbeitet werden, welche ein Unternehmen, eine Gruppe oder eine Organisation bilden oder einem Unternehmen, einer Gruppe oder einer Organisation angehören, werden diesem Dreistunden-Durchschnitt zugerechnet. (4) Absatz 3 ist nicht anwendbar auf Arbeitsverhältnisse, bei denen vor dem Beschäftigungsbeginn kein garantierter Umfang bezahlter Arbeit festgelegt ist. (5) Die Mitgliedstaaten können bestimmen, welche Personen für die Erfüllung der den Arbeitgebern durch diese Richtlinie auferlegten Verpflichtungen verantwortlich sind, solange alle diese Verpflichtungen erfüllt werden. Sie können auch entscheiden, dass diese Verpflichtungen ganz oder teilweise einer natürlichen oder juristischen Person übertragen werden müssen, die keine Partei des Arbeitsverhältnisses ist. Dieser Absatz lässt die Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates14 unberührt.

14 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. L 327 vom 5. 12. 2008, S. 9).

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(6) Die Mitgliedstaaten können aus objektiven Gründen festlegen, dass die Bestimmungen des Kapitels III nicht für Beamte, Katastrophenschutzorganisationen, die Streitkräfte, die Polizeibehörden, Richter, Staatsanwälte, Ermittler oder andere Strafverfolgungsbehörden gelten. (7) Die Mitgliedstaaten können entscheiden, die Verpflichtungen aus den Artikeln 12 und 13 sowie aus Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a nicht auf natürliche Personen anzuwenden, die als Arbeitgeber in Haushalten fungieren, in denen Arbeit für diese Haushalte erbracht wird. (8) Unbeschadet der Richtlinien 2009/13/EG und (EU) 2017/159 des Rates ist Kapitel II dieser Richtlinie auf Seeleute bzw. Seefischer anwendbar. Die Verpflichtungen nach Artikel 4 Absatz 2 Buchstaben m und o sowie nach den Artikeln 7, 9, 10 und 12 gelten nicht für Seeleute oder Seefischer. Artikel 2 Begriffsbestimmungen. Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) „Arbeitsplan“ einen Plan, in dem die Uhrzeiten und die Tage festgelegt sind, zu bzw. an denen die Arbeit beginnt und endet; b) „Referenzstunden und Referenztage“ Zeitfenster an festgelegten Tagen, in denen auf Aufforderung des Arbeitgebers Arbeit stattfinden kann; c) „Arbeitsmuster“ die Organisationsform der Arbeitszeit nach einem bestimmten Schema, das vom Arbeitgeber festgelegt wird. Artikel 3 Bereitstellung von Informationen. Der Arbeitgeber stellt jedem Arbeitnehmer die gemäß dieser Richtlinie erforderlichen Informationen schriftlich zur Verfügung. Die Informationen sind in Papierform oder — sofern die Informationen für den Arbeitnehmer zugänglich sind, gespeichert und ausgedruckt werden können und der Arbeitgeber einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis erhält — in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen und zu übermitteln.

Kapitel II – Unterrichtung über das Arbeitsverhältnis Artikel 4 Pflicht zur Unterrichtung. (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Arbeitgebern vorgeschrieben wird, die Arbeitnehmer über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses zu unterrichten. (2) Die in Absatz 1 genannte Unterrichtung umfasst mindestens folgende Informationen: a) die Personalien der Parteien des Arbeitsverhältnisses; b) den Arbeitsort; falls es sich nicht um einen festen oder vorherrschenden Arbeitsort handelt: den Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer grundsätz790

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c)

d) e) f) g) h) i)

j)

k)

l)

m)

3.4

lich an verschiedenen Orten tätig wird oder ihren bzw. seinen Arbeitsort frei wählen kann, sowie den Sitz des Unternehmens oder gegebenenfalls den Wohnsitz des Arbeitgebers; entweder i) die Funktionsbezeichnung, den Grad sowie die Art oder Kategorie der Arbeit, die dem Arbeitnehmer bei der Einstellung zugewiesen wurden, oder ii) eine kurze Charakterisierung oder Beschreibung der Arbeit; den Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses; bei befristeten Arbeitsverhältnissen: das Enddatum oder die erwartete Dauer des Arbeitsverhältnisses; bei Leiharbeitnehmern: die Identität der entleihenden Unternehmen, wenn und sobald bekannt; gegebenenfalls die Dauer und die Bedingungen der Probezeit; gegebenenfalls den Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung; die Dauer des bezahlten Urlaubs, auf den der Arbeitnehmer Anspruch hat, oder, falls dies zum Zeitpunkt der Unterrichtung nicht angegeben werden kann, die Modalitäten der Gewährung und der Festlegung dieses Urlaubs; das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, einschließlich der formellen Anforderungen und der Länge der Kündigungsfristen, oder, falls die Kündigungsfristen zum Zeitpunkt der Unterrichtung nicht angegeben werden können, die Modalitäten der Festsetzung der Kündigungsfristen; die Vergütung, einschließlich des anfänglichen Grundbetrags, sofern vorhanden anderer Bestandteile, die getrennt anzugeben sind, und der Periodizität und der Art der Auszahlung der Vergütung, auf die der Arbeitnehmer Anspruch hat; falls die Arbeitsmuster völlig oder größtenteils vorhersehbar sind: die Länge des Standardarbeitstages oder der Standardarbeitswoche des Arbeitnehmers sowie gegebenenfalls die Modalitäten und die Vergütung von Überstunden und, sofern zutreffend, etwaige Modalitäten von Schichtänderungen; falls die Arbeitsmuster völlig oder größtenteils unvorhersehbar sind, teilt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Folgendes mit: i) den Grundsatz, dass der Arbeitsplan variabel ist, die Anzahl der garantierten bezahlten Stunden und die Vergütung für zusätzlich zu diesen garantierten Stunden erbrachte Arbeiten; ii) die Referenzstunden und die Referenztage, innerhalb derer der Arbeitnehmer aufgefordert werden kann zu arbeiten; 791

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iii) die Mindestankündigungsfrist, auf die der Arbeitnehmer vor Beginn eines Arbeitsauftrags Anspruch hat, und, falls zutreffend, die Frist für einen Widerruf nach Artikel 10 Absatz 3; n) gegebenenfalls die Angabe der Kollektiv- bzw. Tarifverträge, in denen die Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers geregelt sind, oder bei außerhalb des Unternehmens durch einzelne paritätische Stellen oder Institutionen abgeschlossenen Kollektiv- bzw. Tarifverträgen: Angabe solcher Stellen oder paritätischen Institutionen, in deren Rahmen sie abgeschlossen wurden; o) falls der Arbeitgeber dafür zuständig ist: die Identität der Sozialversicherungsträger, die die Sozialbeiträge im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und einem gegebenenfalls vom Arbeitgeber gewährten Sozialversicherungsschutz erhalten. (3) Die Informationen gemäß Absatz 2 Buchstaben g bis l und o können gegebenenfalls durch einen Hinweis auf die Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. die Satzungsbestimmungen oder Kollektiv- bzw. Tarifverträge erteilt werden, die für die entsprechenden Bereiche gelten. Artikel 5 Zeitpunkt und Form der Unterrichtung. (1) Sofern sie nicht früher bereitgestellt wurden, werden die Informationen gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstaben a bis e, g, k, l und m dem Arbeitnehmer individuell zwischen dem ersten Arbeitstag und spätestens dem siebten Kalendertag in Form eines oder mehrerer Dokumente zur Verfügung gestellt. Die übrigen Informationen gemäß Artikel 4 Absatz 2 werden dem Arbeitnehmer individuell innerhalb eines Monats ab dem ersten Arbeitstag in Form eines Dokuments bereitgestellt. (2) Die Mitgliedstaaten können Vorlagen und Modelle für die in Absatz 1 genannten Dokumente entwickeln, die sie dem Arbeitnehmer sowie dem Arbeitgeber unter anderem auf einer einzigen offiziellen nationalen Website oder im Rahmen anderer angemessener Maßnahmen zugänglich machen. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Informationen über die Rechtsund Verwaltungsvorschriften bzw. die Satzungsbestimmungen oder allgemeinverbindlichen Kollektiv- bzw. Tarifverträge, die den anwendbaren Rechtsrahmen regeln und von Arbeitgebern kommuniziert werden müssen, allgemein und kostenlos sowie in klarer, transparenter, umfassender und leicht zugänglicher Art und Weise durch Fernkommunikationsmittel und auf elektronischem Wege zur Verfügung gestellt werden, darunter auf bestehenden Online-Portalen. Artikel 6 Änderungen des Arbeitsverhältnisses. (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Informationen über Ände792

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rungen von in Artikel 4 Absatz 2 genannten Aspekten des Arbeitsverhältnisses oder über Änderungen der zusätzlichen Informationen für in einen anderen Mitgliedstaat oder in ein Drittland geschickte Arbeitnehmer gemäß Artikel 7 bei erster Gelegenheit, spätestens aber an dem Tag, an dem diese Änderungen wirksam werden, in Form eines Dokuments zur Verfügung stellt. (2) Das Dokument nach Absatz 1 ist nicht erforderlich im Fall von Änderungen, mit denen lediglich einer Änderung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. der Satzungsbestimmungen oder Kollektiv- bzw. Tarifverträge, auf die die Dokumente nach Artikel 5 Absatz 1 und gegebenenfalls nach Artikel 7 Bezug nehmen, Rechnung getragen wird. Artikel 7 Zusätzliche Informationen für in einen anderen Mitgliedstaat oder in ein Drittland geschickte Arbeitnehmer. (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer der in einem Mitgliedstaat, der nicht der Mitgliedstaat ist, in dem er für gewöhnlich arbeitet, oder in einem Drittland arbeiten soll, vor seiner Abreise die in Artikel 5 Absatz 1 genannten Dokumente bereitstellt und dass in den Dokumenten zusätzlich zumindest Folgendes angegeben ist: a) das Land oder die Länder, in dem bzw. in denen die Arbeit im Ausland geleistet werden soll, und die geplante Dauer der Arbeit; b) die Währung, in der die Vergütung erfolgt; c) falls anwendbar: die mit den Arbeitsaufträgen verbundenen Geld- oder Sachleistungen; d) Angaben dazu, ob eine Rückführung vorgesehen ist, und falls ja, die Bedingungen für die Rückführung des Arbeitnehmers. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die entsandten Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 96/71/EG zusätzlich über Folgendes unterrichtet werden: a) die Vergütung, auf die sie im Einklang mit dem geltenden Recht des Aufnahmemitgliedstaats Anspruch haben; b) falls anwendbar: Entsendezulagen und Regelungen für die Erstattung von Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten; c) den Link zu der einzigen offiziellen nationalen Website, die der Aufnahmemitgliedstaat gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates15 eingerichtet hat.

15 Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMIVerordnung“) (ABl. L 159 vom 28. 5. 2014, S. 11).

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(3) Die Informationen gemäß Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 2 Buchstabe a können gegebenenfalls durch einen Hinweis auf konkrete Bestimmungen der Rechts- und Verwaltungsvorschriften und Satzungen oder Kollektiv- bzw. Tarifverträge erteilt werden, die für diese Informationen gelten. (4) Sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes bestimmen, finden die Absätze 1 und 2 keine Anwendung, wenn die Dauer jedes einzelnen Arbeitszeitraums außerhalb des Mitgliedstaats, in dem der Arbeitnehmer für gewöhnlich arbeitet, nicht mehr als vier aufeinanderfolgende Wochen beträgt.

Kapitel III – Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen Artikel 8 Höchstdauer einer Probezeit. (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Probezeit, falls das Arbeitsverhältnis nach Maßgabe des nationalen Rechts oder der nationalen Gepflogenheiten eine solche umfasst, nicht länger als sechs Monate dauert. (2) Bei befristeten Arbeitsverhältnissen tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Probezeitdauer im Verhältnis zur erwarteten Dauer des Vertrags und der Art der Tätigkeit steht. Bei einer Vertragsverlängerung für dieselbe Funktion und dieselben Aufgaben gilt für das Arbeitsverhältnis keine neue Probezeit. (3) Die Mitgliedstaaten können in Ausnahmefällen längere Probezeiten festsetzen, wenn dies durch die Art der Tätigkeit gerechtfertigt oder im Interesse des Arbeitnehmers ist. Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass die Probezeit in Fällen, in denen der Arbeitnehmer während der Probezeit der Arbeit ferngeblieben war, entsprechend verlängert werden kann. Artikel 9 Mehrfachbeschäftigung. (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer weder verbieten darf, außerhalb des mit ihm festgelegten Arbeitsplans ein Arbeitsverhältnis mit anderen Arbeitgebern aufzunehmen, noch ihn benachteiligen darf, falls er dies tut. (2) Die Mitgliedstaaten dürfen Bedingungen festlegen, bei deren Vorliegen die Arbeitgeber aus objektiven Gründen Unvereinbarkeitsbestimmungen anwenden dürfen, etwa aus Gründen der Gesundheit und der Sicherheit, zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, der Integrität des öffentlichen Dienstes oder zur Vermeidung von Interessenkonflikten. Artikel 10 Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit. (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsmuster völlig oder größtenteils 794

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unvorhersehbar sind, nicht vom Arbeitgeber verpflichtet werden kann zu arbeiten, es sei denn, die beiden folgenden Voraussetzungen sind erfüllt: a) Die Arbeit findet innerhalb der vorab bestimmten Referenzstunden und Referenztage im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe m Ziffer ii statt, und b) der Arbeitgeber unterrichtet den Arbeitnehmer innerhalb einer angemessenen Ankündigungsfrist gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten nach Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe m Ziffer iii über einen Arbeitsauftrag. (2) Wenn eine oder beide der in Absatz 1 festgelegten Bedingungen nicht erfüllt werden, ist. der Arbeitnehmer berechtigt, einen Arbeitsauftrag abzulehnen, ohne dass ihm daraus Nachteile entstehen. (3) Erlauben die Mitgliedstaaten dem Arbeitgeber, einen Arbeitsauftrag ohne Entschädigung zu widerrufen, so ergreifen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten, damit sichergestellt ist, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf Entschädigung hat, falls der Arbeitgeber den zuvor mit dem Arbeitnehmer vereinbarten Arbeitsauftrag nach einer konkreten angemessenen Fristwiderruft. (4) Die Mitgliedstaaten können Modalitäten im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten zur Anwendung dieses Artikels erlassen. Artikel 11 Zusatzmaßnahmen bei Abrufverträgen. Erlauben die Mitgliedstaaten Abrufverträge oder ähnliche Arbeitsverträge, so ergreifen sie mindestens eine der folgenden Maßnahmen, um missbräuchliche Praktiken zu unterbinden: a) Beschränkungen der Anwendung und Dauer von Abrufverträgen und ähnlichen Arbeitsverträgen; b) eine widerlegbare Vermutung, dass ein Arbeitsvertrag mit einem garantierten Mindestumfang bezahlter Stunden ausgehend von den in einem bestimmten Zeitraum durchschnittlich geleisteten Stunden vorliegt; c) andere gleichwertige Maßnahmen, mit denen missbräuchliche Praktiken wirksam verhindert werden. Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission über diese Maßnahmen. Artikel 12 Übergang zu einer anderen Arbeitsform. (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Arbeitnehmer, die — falls zutreffend — ihre Probezeit abgeschlossen haben und seit mindestens sechs Monaten bei demselben Arbeitgeber tätig sind, ihren Arbeitgeber um eine Arbeitsform mit vorhersehbaren und sichereren Arbeitsbedingungen, falls verfügbar, ersuchen dürfen und eine be795

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gründete schriftliche Antwort erhalten. Die Mitgliedstaaten können die Häufigkeit der Ersuchen begrenzen, in deren Folge die Verpflichtung nach Maßgabe dieses Artikels gilt. (2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass der Arbeitgeber innerhalb eines Monats nach dem Ersuchen die in Absatz 1 genannte begründete schriftliche Antwort erteilt. Bei natürlichen Personen, die als Arbeitgeber fungieren und bei Kleinstunternehmen sowie bei kleinen und mittleren Unternehmen können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die genannte Frist auf höchstens drei Monate verlängert wird, und erlauben, dass die Antwort mündlich erfolgt, wenn derselbe Arbeitnehmer bereits ein ähnliches Ersuchen vorgebracht hat und die Begründung für die Antwort bezüglich der Situation des Arbeitnehmers gleich geblieben ist. Artikel 13 Pflichtfortbildungen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Arbeitnehmern Fortbildung kostenlos angeboten wird, als Arbeitszeit angerechnet wird und möglichst während der Arbeitszeiten stattfindet, wenn der Arbeitgeber aufgrund von Rechtsvorschriften der Union oder nationalen Rechtsvorschriften oder Kollektiv- bzw. Tarifverträgen verpflichtet ist, den Arbeitnehmern Fortbildung im Hinblick auf die Arbeit anzubieten, die sie ausüben. Artikel 14 Kollektiv- bzw. Tarifverträge. Die Mitgliedstaaten können den Sozialpartnern erlauben, im Einklang mit dem nationalen Recht oder den nationalen Gepflogenheiten Kollektiv- bzw. Tarifverträge beizubehalten, auszuhandeln, zu schließen und durchzusetzen, bei denen Regelungen bezüglich der Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern getroffen werden, die von den in den Artikeln 8 bis 13 beschriebenen Regelungen abweichen, sofern der Schutz der Arbeitnehmer insgesamt gewahrt bleibt.

Kapitel IV – Horizontale Bestimmungen Artikel 15 Rechtsvermutungen und Verfahren für eine frühzeitige Streitbeilegung. (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb der Frist nicht alle oder nur Teile der Dokumente gemäß Artikel 5 Absatz 1 oder Artikel 6 erhält, eine oder beide der folgenden Regelungen angewandt wird: a) Der Arbeitnehmer kommt in den Genuss von für ihn günstigen Vermutungen, die vom Mitgliedstaat festgelegt werden und die vom Arbeitgeber widerlegt werden können; 796

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3.4

b) der Arbeitnehmer erhält die Möglichkeit, bei einer zuständigen Behörde oder Stelle eine Beschwerde einzureichen zeitnah und wirksam und angemessene Abhilfe zu erhalten. (2) Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass die die in Absatz 1 genannten Vermutungen und Mechanismen erst angewandt werden, wenn dem Arbeitgeber eine entsprechende Aufforderung übermittelt wurde und dieser es versäumt hat, die fehlenden Informationen rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Artikel 16 Anspruch auf Abhilfe. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Arbeitnehmer, einschließlich solcher, deren Arbeitsverhältnis beendet ist, Zugang zu wirkungsvoller und unparteiischer Streitbeilegung und einen Anspruch auf Abhilfe haben, wenn die ihnen aufgrund dieser Richtlinie zustehenden Rechte verletzt werden. Artikel 17 Schutz vor Benachteiligung oder negativen Konsequenzen. Die Mitgliedstaaten führen die notwendigen Maßnahmen ein, um Arbeitnehmer, darunter auch Arbeitnehmervertreter, vor jedweder Benachteiligung durch den Arbeitgeber und vor jedweden negativen Konsequenzen zu schützen, denen sie ausgesetzt sind, weil sie Beschwerde beim Arbeitgeber eingereicht oder ein Verfahren angestrengt haben mit dem Ziel, die Einhaltung der im Rahmen dieser Richtlinie gewährten Rechte durchzusetzen. Artikel 18 Kündigungsschutz und Beweislast. (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um eine Kündigung oder Maßnahmen mit gleicher Wirkung sowie jegliche Vorbereitung auf eine Kündigung von Arbeitnehmer zu untersagen, wenn diese Maßnahmen damit begründet werden, dass die Arbeitnehmer die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte in Anspruch genommen haben. (2) Arbeitnehmer, die der Ansicht sind, dass ihnen aufgrund der Inanspruchnahme der in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte gekündigt worden ist oder dass sie deshalb Maßnahmen mit gleicher Wirkung ausgesetzt sind, können vom Arbeitgeber verlangen, dass er hinreichend genau bezeichnete Gründe für die Kündigung oder die Maßnahme mit gleicher Wirkung anführt. Der Arbeitgeber legt diese Gründe schriftlich dar. (3) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass in Fällen, in denen die in Absatz 2 genannten Arbeitnehmer vor einem Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde oder Stelle Tatsachen anführen, die darauf schließen lassen, dass eine solche Kündigung oder Maßnahme mit gleicher Wirkung erfolgt ist, der Arbeitgeber nachzuweisen hat, dass die Kündigung aus anderen als den in Absatz 1 angeführten Gründen erfolgt ist. 797

3.4

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(4) Absatz 3 lässt das Recht der Mitgliedstaaten, eine für die Arbeitnehmer günstigere Beweislastregelung vorzusehen, unberührt. (5) Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, Absatz 3 auf Verfahren anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde oder Stelle obliegt. (6) Sofern von den Mitgliedstaaten nicht anders geregelt, findet Artikel 3 in Strafverfahren keine Anwendung. Artikel 19 Sanktionen. Die Mitgliedstaaten legen Regeln für Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen nationale Rechtsvorschriften, welche gemäß dieser Richtlinie erlassen wurden, oder gegen bereits geltende einschlägige Vorschriften zu Rechten, die unter diese Richtlinie fallen, anwendbar sind. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein.

Kapitel V – Schlussbestimmungen Artikel 20 Regressionsverbot und günstigere Bestimmungen. (1) Diese Richtlinie rechtfertigt nicht eine Verringerung des den Arbeitnehmern in den Mitgliedstaaten bereits jetzt gewährten allgemeinen Schutzniveaus. (2) Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder die Anwendung von für die Arbeitnehmer günstigeren Kollektivbzw. Tarifverträgen zu fördern oder zuzulassen. (3) Diese Richtlinie lässt andere Rechte unberührt, die Arbeitnehmern durch andere Rechtsakte der Union erteilt worden sind. Artikel 21 Umsetzung und Durchführung. (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen die Maßnahmen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens am 1. August 2022 nachzukommen. Sie setzen die Kommission hiervon unverzüglich in Kenntnis. (2) Bei Erlass der Maßnahmen nach Absatz 1 nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten nationalen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen. (4) Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit ihren nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten angemessene Maßnahmen, um sicherzustellen, 798

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3.4

dass die Sozialpartner wirksam einbezogen werden, und um den sozialen Dialog zu fördern und zu verbessern, damit diese Richtlinie tatsächlich durchgeführt wird. (5) Die Mitgliedstaaten können den Sozialpartnern die Durchführung dieser Richtlinie übertragen, wenn die Sozialpartner dies gemeinsam beantragen und sofern die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die mit dieser Richtlinie angestrebten Ergebnisse erzielt werden. Artikel 22 Übergangsbestimmungen. Die in dieser Richtlinie festgelegten Rechte und Pflichten gelten spätestens am 1. August 2022 für alle Arbeitsverhältnisse. Ein Arbeitgeber muss jedoch die in Artikel 5 Absatz 1 und in Artikel 6 und 7 genannten Dokumente nur auf Aufforderung eines Arbeitsnehmers, der an diesem Tag bereits beschäftigt ist, bereitstellen oder ergänzen. Das Ausbleiben einer solchen Aufforderung darf nicht zur Folge haben, dass Arbeitnehmer von den mit den Artikeln 8 bis 13 eingeführten Mindestrechten ausgeschlossen werden. Art. 23–26 Überprüfung durch die Kommission, Aufhebung der NachweisRL 91/533, Inkrafttrete, Adressaten – nicht abgedruckt.

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3.5 Whistleblower-Richtlinie (EP)

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION; gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 16, 43 Absatz 2, 50, 53 Absatz 1, 91, 100, 114, 168 Absatz 4, 169, 192 Absatz 1 und 325 Absatz 4 und auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 31, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen,2 nach Stellungnahme des Rechnungshofs,3 nach Stellungnahme einer Gruppe von Persönlichkeiten, die der Ausschuss für Wissenschaft und Technik aus wissenschaftlichen Sachverständigen der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 31 des Vertrags ernannt hat, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren4 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Personen, die für eine öffentliche oder private Organisation arbeiten oder im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeiten mit ihr in Kontakt stehen, nehmen eine in diesem Zusammenhang auftretende Gefährdung oder Schädigung des öffentlichen Interesses häufig als Erste wahr. Indem sie ihre Beobachtungen melden, tragen sie entscheidend dazu bei, Gesetzesverstöße, die das öffentliche Interesse beeinträchtigen, aufzudecken und zu unterbinden und das Gemeinwohl zu schützen. Allerdings schrecken potenzielle Hinweisgeber (sogenannte „Whistleblower“) aus Angst vor Repressalien häufig davor zurück, ihre Bedenken oder ihren Verdacht zu melden. In diesem Zusammenhang wird sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene zunehmend anerkannt, dass es eines ausgewogenen und effizienten Hinweisgeberschutzes bedarf. (2) Auf Unionsebene sind Meldungen und Offenlegungen durch Hinweisgeber eine Möglichkeit, dem Unionsrecht und der Unionspolitik Geltung zu verschaffen: Ihre Informationen fließen in die auf nationaler und Unionsebene bestehenden Rechtsdurchsetzungssysteme ein und tragen so dazu bei, dass Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam aufgedeckt, untersucht und verfolgt werden, sodass Transparenz und Rechenschaftspflicht gestärkt werden. (3) In bestimmten Politikbereichen können Verstöße gegen das Unionsrecht — ungeachtet ihrer nationalem Recht entsprechenden Einstufung als Ordnungswidrigkeit, Straftat oder andere Art rechtswidriger Handlung — erhebliche Risiken für das Gemeinwohl bergen und damit das öffentliche Interesse ernsthaft schädigen. Werden in solchen Bereichen Schwächen bei der Rechtsdurchsetzung festgestellt und sind Hinweisgeber gewöhnlich in

* Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 16. April 2019 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie (EU) 2019/... des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (noch nicht verabschiedet). 1 Noch nicht veröffentlicht. 2 Noch nicht veröffentlicht. 3 Noch nicht veröffentlicht. 4 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 16. April 2019. https://doi.org/10.1515/9783110667776-033

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einer privilegierten Position, um Verstöße ans Licht zu bringen, so muss die Rechtsdurchsetzung verbessert werden, indem effektive, vertrauliche und sichere Meldekanäle eingerichtet und Hinweisgeber wirksam vor Repressalien geschützt werden. Derzeit ist der Schutz, den Hinweisgeber in der Europäischen Union erhalten, in den Mitgliedstaaten und Politikbereichen uneinheitlich gestaltet. Die Folgen der von Hinweisgebern aufgedeckten Verstöße gegen das Unionsrecht, die eine grenzüberschreitende Dimension aufweisen, zeigen deutlich, dass ein unzureichender Schutz in einem Mitgliedstaat nicht nur die Funktionsweise der EU-Vorschriften in diesem Land beeinträchtigt, sondern auch für andere Mitgliedstaaten und die Union als Ganzes Konsequenzen nach sich ziehen kann. Dementsprechend sollten in den Rechtsakten und Politikbereichen, in denen 1) die Rechtsdurchsetzung verbessert werden muss, 2) eine unzureichende Meldung von Verstößen die Rechtsdurchsetzung wesentlich beeinträchtigt und 3) Verstöße gegen das Unionsrecht das Allgemeininteresse ernsthaft gefährden, gemeinsame Mindeststandards zur Gewährleistung eines wirksamen Hinweisgeberschutzes gelten. Die Mitgliedstaaten können den Anwendungsbereich der nationalen Bestimmungen auf andere Bereiche ausdehnen, um auf nationaler Ebene für einen umfassenden und kohärenten Rahmen zu sorgen. Hinweisgeber müssen geschützt werden, um die Durchsetzung des Unionsrechts im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe zu verbessern. Es gilt, Betrug und Korruption im Zusammenhang mit der Ausführung des EU-Haushalts, einschließlich bei der Auftragsvergabe, aufzudecken und zu verhindern und auch die unzureichende Durchsetzung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge durch nationale Behörden und bestimmte öffentliche Versorgungsbetriebe bei der Beschaffung von Waren, Bau- und Dienstleistungen anzugehen. Verstöße gegen diese Vorschriften verursachen Wettbewerbsverzerrungen, erhöhen die Geschäftskosten, verletzen die Interessen von Anlegern und Aktionären, verringern insgesamt die Anreize für Investitionen und schaffen ungleiche Bedingungen für Unternehmen in ganz Europa, wodurch das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigt wird. Im Bereich der Finanzdienstleistungen hat der Unionsgesetzgeber den Mehrwert des Hinweisgeberschutzes bereits anerkannt. Nach der Finanzkrise, die schwerwiegende Mängel bei der Durchsetzung der geltenden Vorschriften ans Licht gebracht hat, wurden in einer Vielzahl von einschlägigen Rechtsinstrumenten Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern eingeführt, darunter interne und externe Meldekanäle sowie ein ausdrückliches Verbot von Repressalien.5 Innerhalb des für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen geltenden Aufsichtsrahmens sorgt insbesondere die Richtlinie 2013/36/EU für den Schutz von Hinweisgebern, und auch die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen enthält entsprechende Bestimmungen. Was die Sicherheit der auf dem Binnenmarkt angebotenen Produkte anbelangt, so lassen sich Beweise in erster Linie in den an der Herstellung und am Vertrieb beteiligten Unternehmen sammeln; Meldungen von Hinweisgebern aus solchen Unternehmen haben einen

5 Mitteilung vom 8. 12. 2010 „Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor“.

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hohen Mehrwert, da sie sehr viel näher an mögliche unlautere oder illegale Herstellungs-, Einfuhr- oder Vertriebspraktiken im Zusammenhang mit unsicheren Produkten herankommen. Daher ist es gerechtfertigt, im Zusammenhang mit den Sicherheitsanforderungen für „harmonisierte Produkte“ 6 und „nicht harmonisierte Produkte“ 7 einen Hinweisgeberschutz einzuführen. Darüber hinaus trägt der Schutz von Hinweisgebern entscheidend dazu bei, die Umlenkung von Feuerwaffen, Teilen von Feuerwaffen und Munition sowie von Verteidigungsgütern zu verhindern, wenn nämlich dazu angehalten wird, Verstöße zu melden, etwa in Bezug auf Dokumentenbetrug, veränderte Kennzeichnungen und betrügerischen Erwerb von Feuerwaffen innerhalb der Union, wodurch es häufig zu einer Umlenkung vom legalen auf den illegalen Markt kommt. Der Hinweisgeberschutz wird außerdem dazu beitragen, dass die Beschränkungen und Kontrollen in Bezug auf Ausgangsstoffe für Explosivstoff korrekt angewendet werden und so die unerlaubte Herstellung von Explosivstoffen erschweren. (9) Der wesentliche Beitrag des Hinweisgeberschutzes zur Vermeidung von Verstößen gegen Unionsvorschriften auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit, die das Leben von Menschen gefährden können, wurde bereits in den sektoralen Unionsinstrumenten für die Sicherheit im Luft 8 und im Seeverkehr9 anerkannt‚ die spezifische Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern sowie eigene Meldekanäle vorsehen. Zu diesen Instrumenten gehört auch der Schutz der Arbeitnehmer, die eigene unbeabsichtigte Fehler melden, vor Repressalien (sogenannte „Redlichkeitskultur“). Die Reihe der bestehenden Elemente des Hinweisgeberschutzes in diesen beiden Sektoren muss ergänzt und erweitert werden, und der Schutz muss auch auf andere Verkehrsbereiche, insbesondere den Binnenschifffahrtsverkehr, den Straßen- und Schienenverkehr, ausgedehnt werden, um die Durchsetzung der Sicherheitsstandards zu verbessern. (10) Wie die Kommission in ihrer Mitteilung „Aktionsplan der EU für einen besseren Vollzug des Umweltrechts und eine bessere Umweltordnungspolitik“ vom 18. Januar 201810 anerkannt hat, gestaltet sich die Beweiserhebung bei Umweltstraftaten und rechtswidrigen Handlungen oder Unterlassungen sowie potenziellen Verstößen im Bereich des Umweltschutzes sowie deren Verhütung, Aufdeckung und Bekämpfung nach wie vor problematisch und muss gestärkt werden. Da gegenwärtig nur ein einziger Rechtsakt im Bereich

6 Die einschlägigen Harmonisierungsvorschriften der Union sind in der Verordnung [XXX] zur Festlegung von Vorschriften und Verfahren für die Konformität mit und die Durchsetzung von Harmonisierungsvorschriften der Union, 2017/0353 (COD) aufgeführt. 7 Geregelt durch die Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit (ABl. L 11 vom 15. 1. 2002, S. 4) 8 Verordnung (EU) Nr. 376/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Meldung, Analyse und Weiterverfolgung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt (ABl. L 122 vom 24. 4. 2014, S. 18). 9 Richtlinie 2013/54/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 über bestimmte Verantwortlichkeiten der Flaggenstaaten für die Einhaltung und Durchsetzung des Seearbeitsübereinkommens (ABl. L 329 vom 10. 12. 2013, S. 1) und Richtlinie 2009/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Hafenstaatkontrolle (ABl. L 131 vom 28. 5. 2009, S. 57). 10 COM(2018) 10 final.

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Umweltschutz Bestimmungen zum Schutz von Hinweisgebern11 enthält‚ ist die Einführung eines solchen Schutzes notwendig, um eine wirksame Durchsetzung des Umweltrechts der Union zu gewährleisten, zumal Verstöße in diesem Bereich das öffentliche Interesse gefährden und sich über nationale Grenzen hinweg negativ auswirken können. Dies gilt auch in Fällen, in denen unsichere Produkte Umweltschäden verursachen können. (11) Ein verbesserter Hinweisgeberschutz würde auch einen Beitrag zur Prävention und Abschreckung von Verstößen gegen Euratom-Vorschriften für die nukleare Sicherheit, den Strahlenschutz und die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle leisten. Er würde auch die Durchsetzung der bestehenden Bestimmungen der überarbeiteten Richtlinie über die nukleare Sicherheit 12 in Bezug auf die effektive Sicherheitskultur im Nuklearbereich und insbesondere des Artikels 8b Absatz 2 Buchstabe a fördern, der unter anderem verlangt, dass die zuständige Regulierungsbehörde Managementsysteme einführt, die der nuklearen Sicherheit gebührenden Vorrang einräumen; er würde zudem auf allen Ebenen des Personals und der Verwaltung die Fähigkeit fördern, zu hinterfragen, ob die einschlägigen Sicherheitsgrundsätze und -praktiken ihrer Funktion effektiv gerecht werden, und Sicherheitsprobleme rechtzeitig zu melden. (12) Aus ähnlichen Erwägungen ist auch die Einführung eines Hinweisgeberschutzes im Bereich der Lebensmittelkette gerechtfertigt, der auf bestehenden Bestimmungen aufbaut und Verstöße gegen die EU-Vorschriften insbesondere in Bezug auf die Lebens- und Futtermittelsicherheit sowie die Gesundheit, den Schutz und das Wohlergehen von Tieren verhindert. Die in diesen Bereichen geschaffenen Unionsvorschriften sind eng miteinander verknüpft. Die Verordnung (EG) Nr. 178/200213 legt die allgemeinen Grundsätze und Anforderungen fest, die allen Maßnahmen der Union und der Mitgliedstaaten in Bezug auf Lebensmittel und Futtermittel zugrunde liegen, mit besonderem Schwerpunkt auf der Lebensmittelsicherheit, um ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Verbraucherinteressen im Lebensmittelbereich sowie das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten. Mit der Verordnung werden unter anderem Lebensund Futtermittelunternehmer daran gehindert, ihr Personal und andere Personen davon abzuhalten, mit zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten, um einem mit einem Lebensmittel verbundenen Risiko vorzubeugen, es zu begrenzen oder auszuschalten. Im Bereich Tiergesundheitsrecht verfolgt der Unionsgesetzgeber mit der Verordnung (EU) 2016/429, die Vorschriften zur Verhütung und Bekämpfung von auf Tiere oder Menschen übertragbaren Tierseuchen enthält,14 einen ähnlichen Ansatz. Durch die Richtlinie 98/ 58/EG des Rates und die Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des

11 Richtlinie 2013/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten (ABl. L 178 vom 28. 6. 2013, S. 66). 12 Richtlinie 2014/87/Euratom des Rates vom 8. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/ 71/Euratom über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen (ABl. L 219 vom 25. 7. 2014, S. 42). 13 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 1. 2. 2002, S. 1). 14 ABl. L 84 vom 28. 5. 2002, S. 1.

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Rates sowie die Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates und die Verordnung (EG) Nr. 1099/ 2009 des Rates werden Vorschriften für den Schutz und das Wohlergehen landwirtschaftlicher Nutztiere während des Transports und zum Zeitpunkt der Tötung festgelegt. (13) In gleicher Weise können Meldungen von Hinweisgebern entscheidend dazu beitragen, Risiken für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz, die aus andernfalls womöglich unbemerkten Verstößen gegen Unionsvorschriften erwachsen, aufzudecken, zu verhindern, einzudämmen oder zu beseitigen. Vor allem im Bereich Verbraucherschutz kann es zu Fällen kommen, in denen Verbraucher durch unsichere Produkte erheblich geschädigt werden können. (14) Der in den Artikeln 7 und 8 der Charta der Grundrechte verankerte Schutz der Privatsphäre und der personenbezogenen Daten ist ein weiterer Bereich, in dem Hinweisgeber dazu beitragen können, Verstöße gegen das Unionsrecht, die das öffentliche Interesse gefährden können, ans Licht zu bringen. Ähnliche Erwägungen gelten für Verstöße gegen die Richtlinie über die Sicherheit von Netz- und Informationssystemen15‚ die Meldungen von Sicherheitsvorfällen (auch solche, die personenbezogene Daten nicht beeinträchtigen) und Sicherheitsanforderungen für Einrichtungen, die grundlegende Dienste in vielen Bereichen erbringen (z. B. Energie, Gesundheit, Verkehr, Bankwesen usw.), für Anbieter zentraler digitaler Dienste (z. B. Cloud-Computing-Dienste) und für Lieferanten grundlegender Versorgungsgüter, wie Wasser, Strom und Gas, vorsieht. Meldungen von Hinweisgebern sind in diesem Bereich besonders nützlich, um Sicherheitsvorfälle zu verhindern, die wichtige wirtschaftliche und soziale Tätigkeiten und weitverbreitete digitale Dienste beeinträchtigen würden, und um Verstöße gegen die Datenschutzvorschriften der Union zu verhindern. Sie tragen zur Kontinuität von Diensten bei, die für das Funktionieren des Binnenmarkts und das Wohlergehen der Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung sind. (15) Zudem ist der Schutz der finanziellen Interessen der Union, der die Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen rechtswidrigen Handlungen im Zusammenhang mit den Ausgaben der Union, der Erhebung von Einnahmen und Geldern der Union oder Vermögenswerten der Union betrifft, ein Kernbereich, in dem die Durchsetzung des Unionsrechts gestärkt werden muss. Auch der Ausführung des Haushaltsplans der Union im Zusammenhang mit Ausgaben, die auf der Grundlage des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft getätigt werden, kommt bei der Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Union Bedeutung zu. Aufgrund mangelnder wirksamer Durchsetzungsmaßnahmen im Bereich der finanziellen Interessen der Union sowie in Bezug auf Betrug und Korruption auf nationaler Ebene kommt es zu einem Rückgang der Unionseinnahmen und einem Missbrauch von EU-Geldern, wodurch die öffentlichen Investitionen und das Wachstum verzerrt werden und das Vertrauen der Bürger in EUMaßnahmen sinkt. Nach Artikel 325 AEUV sind die Union und die Mitgliedstaaten verpflichtet, gegen solche Aktivitäten vorzugehen. Zu den einschlägigen Maßnahmen der Union in diesem Bereich gehört insbesondere die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates, die bezüglich der schwersten Formen betrugsähnlichen Verhaltens durch die Richtlinie (EU) 2017/1371 und das Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaf-

15 Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union.

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ten vom 26. Juli 1995, einschließlich der dazugehörigen Protokolle vom 27. September 1996,16 29. November 199617 und 19. Juni 1997 (Übereinkommen und Protokolle, die weiterhin für die Mitgliedstaaten gelten, die nicht durch die Richtlinie (EU) 2017/1372 gebunden sind), sowie durch die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 (OLAF) ergänzt wird. Gemeinsame Mindeststandards für den Schutz von Hinweisgebern sollten auch für Verstöße gegen die Binnenmarktvorschriften im Sinne von Artikel 26 Absatz 2 AEUV festgelegt werden. Darüber hinaus sollen Maßnahmen der Union zur Verwirklichung des Binnenmarkts oder zur Gewährleistung eines funktionierenden Binnenmarkts nach der Rechtsprechung des Gerichthofs zur Beseitigung bestehender oder sich abzeichnenden Hemmnisse für den freien Waren- oder Dienstleistungsverkehr oder aber von Wettbewerbsverzerrungen beitragen. Der Schutz von Hinweisgebern im Interesse einer besseren Durchsetzung des EUWettbewerbsrechts, einschließlich staatlicher Beihilfen, würde insbesondere dazu beitragen, das effiziente Funktionieren der Märkte in der Union zu gewährleisten, gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen zu ermöglichen und Vorteile für Verbraucher zu erzielen. Was die Wettbewerbsregeln für Unternehmen anbelangt, so wird die Bedeutung von Insiderinformationen bei der Aufdeckung von Wettbewerbsverstößen bereits in der EU-Kronzeugenregelung sowie in dem kürzlich von der Europäischen Kommission eingeführten Instrument für anonyme Hinweise anerkannt. Verstöße gegen die für Wettbewerb und staatliche Beihilfen geltenden Bestimmungen betreffen die Artikel 101, 102, 106, 107 und 108 AEUV sowie die sekundärrechtlicher Bestimmungen zu ihrer Umsetzung. Handlungen, die gegen die Körperschaftsteuer-Vorschriften verstoßen, und Vereinbarungen, deren Zweck darin besteht, einen Steuervorteil zu erlangen und rechtliche Verpflichtungen zu umgehen, und die dem Ziel oder Zweck der geltenden KörperschaftsteuerVorschriften zuwiderlaufen, beeinträchtigen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Sie können zu unlauterem Steuerwettbewerb und umfassender Steuerflucht führen, die Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen verzerren und Steuereinbußen für die Mitgliedstaaten und den Unionshaushalt insgesamt nach sich ziehen. In der Richtlinie sind Maßnahmen vorgesehen, um Personen vor Repressalien zu schützen, die über steuervermeidende und/oder missbräuchliche Vereinbarungen berichten, die ansonsten unbemerkt bleiben könnten, damit die zuständigen Behörden besser in der Lage sind, einen ordnungsgemäß funktionierenden Binnenmarkt zu gewährleisten und Verzerrungen und Handelshemmnisse zu beseitigen, die sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Binnenmarkt auswirken, in direktem Bezug zu den Freizügigkeitsbestimmungen stehen und auch für die Anwendung der Vorschriften für staatliche Beihilfen von Bedeutung sind. Der Hinweisgeberschutz ergänzt die jüngsten Initiativen der Kommission zur Verbesserung der Transparenz und des Informationsaustauschs im Steuerbereich und zur Schaffung eines gerechteren Steuerumfelds innerhalb der Union‚ um die Effizienz der Mitgliedstaaten bei der Ermittlung steuervermeidender und/oder missbräuchlicher Vereinbarungen zu erhöhen, die ansonsten unbemerkt bleiben könnten, und um solchen Vereinbarungen entgegenzuwirken, obwohl durch die vorliegende Richtlinie weder materielle noch verfahrensrechtliche Steuerbestimmungen harmonisiert werden. In Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a wird durch Bezugnahme auf eine Reihe von Unionsrechtsakten im Anhang (Teil I und II) der sachliche Anwendungsbereich dieser Richtlinie

16 ABl. C 313 vom 23. 10. 1996, S. 1. 17 ABl. C 151 vom 20. 5. 1997, S. 1.

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festgelegt. Wenn der sachliche Anwendungsbereich dieser Unionsrechtsakte durch Bezugnahme auf in ihren Anhängen aufgeführte Unionsrechtsakte definiert wird, bedeutet das, dass diese in den Anhängen aufgeführten Unionsrechtsakte ebenfalls Teil des sachlichen Anwendungsbereichs dieser Richtlinie sind. Die Bezugnahme auf die Rechtsakte im Anhang sollte außerdem dahingehend ausgelegt werden, dass sie auch alle nach diesen Rechtsakten erlassenen Durchführungs- oder delegierten Maßnahmen der Staaten und der Union umfasst. Darüber hinaus ist die Bezugnahme auf die Unionsrechtsakte im Anhang dieser Richtlinie als dynamische Bezugnahme zu verstehen, das heißt, wenn der Unionsrechtsakt im Anhang geändert wurde oder wird, bezieht sich die Bezugnahme auf die geänderte Fassung des Rechtsakts, und wenn der Unionsrechtsakt im Anhang ersetzt wurde oder wird, bezieht sich die Bezugnahme auf den neuen Rechtsakt. (20) Insbesondere im Bereich der Finanzdienstleistungen enthalten einige Rechtsakte der Union, wie die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 über Marktmissbrauch18 und die zugehörige Durchführungsrichtlinie 2015/2392 der Kommission,19 schon jetzt detaillierte Vorschriften zum Schutz von Hinweisgebern. Solche bestehenden Unionsvorschriften, einschließlich der in Teil II des Anhangs aufgeführten Rechtsakte, sollten weiterhin die darin für die jeweiligen Sektoren vorgesehenen Besonderheiten enthalten. Dies ist besonders wichtig, um festzulegen, welche juristischen Personen auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen, der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung derzeit verpflichtet sind, interne Meldekanäle einzurichten. Damit in allen Mitgliedstaaten für Kohärenz und Rechtssicherheit gesorgt ist, sollte diese Richtlinie für alle Angelegenheiten gelten, die nicht durch sektorspezifische Instrumente geregelt werden, wobei Letztere — insoweit die Angelegenheiten nicht durch sie geregelt werden — durch die vorliegende Richtlinie ergänzt werden sollten, sodass sie in vollem Umfang den Mindeststandards entsprechen. Insbesondere sollte diese Richtlinie genauere Festlegungen zur Gestaltung der internen und externen Kanäle, zu den Verpflichtungen der zuständigen Behörden sowie dazu enthalten, in welcher konkreten Form auf nationaler Ebene für den Schutz vor Repressalien gesorgt wird. Diesbezüglich bietet Artikel 28 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, in dem von dieser Verordnung geregelten Bereich einen internen Meldekanal vorzusehen. Aus Gründen der Kohärenz mit den in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Mindeststandards sollte die Verpflichtung zur Einrichtung interner Meldekanäle gemäß Artikel 4 Absatz 1 der vorliegenden Richtlinie auch in Bezug auf die Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 gelten. (21) Diese Richtlinie sollte den Arbeitnehmerschutz bei der Meldung von Verstößen gegen das EU-Arbeitsrecht unberührt lassen. Im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz verpflichtet Artikel 11 der Rahmenrichtlinie 89/391/EWG die Mitgliedstaaten schon jetzt, dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmern oder Arbeitnehmervertretern keine Nachteile entstehen, wenn sie den Arbeitgeber um geeignete Maßnahmen ersuchen und ihm Vorschläge unterbreiten, um Gefahren für die Arbeitnehmer vorzubeugen und/oder Gefahrenquellen auszuschalten. Die Arbeitnehmer und ihre Vertreter sind berechtigt, die

18 ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 1. 19 Durchführungsrichtlinie (EU) 2015/2392 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Meldung tatsächlicher oder möglicher Verstöße gegen diese Verordnung (ABl. L 332 vom 18. 12. 2015, S. 126).

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zuständigen nationalen Behörden auf Probleme hinzuweisen, wenn sie der Auffassung sind, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und eingesetzten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Meldungen von ausschließlich den Hinweisgeber beeinträchtigenden interpersonellen Beschwerden, das heißt Beschwerden über interpersonelle Konflikte zwischen dem Hinweisgeber und einem anderen Angestellten, zwecks Bearbeitung im Rahmen anderer verfügbarer Verfahren weitergeleitet werden können. Der Schutz, der durch die Verfahren für Meldung von mutmaßlich rechtswidrigen Tätigkeiten, einschließlich Betrug oder Korruption, zum Nachteil der Interessen der Union, oder von Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der Ausübung dienstlicher Pflichten, die eine schwerwiegende Verletzung der Dienstpflichten der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Union gemäß Artikel 22a, 22b und 22c des Statuts der Beamten der Europäischen Union und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Union (Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates20) darstellen, gewährt wird, bleibt von der vorliegenden Richtlinie unberührt. Die Richtlinie gilt für Meldungen durch EU-Beamte in einem beruflichen Kontext außerhalb ihres Beschäftigungsverhältnisses mit den EU-Organen. Die nationale Sicherheit fällt weiterhin in die ausschließliche Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten. Diese Richtlinie sollte im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht für Meldungen zu Verstößen im Zusammenhang mit der Vergabe von Aufträgen gelten, die unter Artikel 346 AEUV fallende Verteidigungsoder Sicherheitsaspekte beinhalten. Wenn Mitgliedstaaten beschließen, den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schutz auf weitere Bereiche oder Handlungen auszuweiten, die nicht in den Anwendungsbereich fallen, können diese Mitgliedstaaten diesbezüglich besondere Bestimmungen zum Schutz grundlegender Interessen der nationalen Sicherheit erlassen. Diese Richtlinie sollte zudem den Schutz von Verschlusssachen, deren Schutz vor unbefugtem Zugriff im Unionsrecht oder in den geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats aus Sicherheitsgründen vorgesehen ist, unberührt lassen. Darüber hinaus sollten die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht die Verpflichtungen berühren, die sich aus dem Beschluss (EU, Euratom) 2015/444 der Kommission vom 13. März 2015 über die Sicherheitsvorschriften für den Schutz von EU-Verschlusssachen und dem Beschluss des Rates vom 23. September 2013 über die Sicherheitsvorschriften für den Schutz von EUVerschlusssachen ergeben. Diese Richtlinie sollte sich nicht auf den im nationalen Recht und gegebenenfalls — im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union — im Unionsrecht vorgesehenen Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant („anwaltliche Verschwiegenheitspflicht“) auswirken. Darüber hinaus sollte sich die Richtlinie nicht auf die im nationalen Recht und im Unionsrecht vorgesehene Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit der Kommunikation von Erbringern von Gesundheitsleistungen, einschließlich Therapeuten, mit ihren Patienten und von Patientenakten („ärztliche Verschwiegenheitspflicht“) auswirken. Angehörige anderer Berufe haben Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie, wenn sie durch geltende Berufsregeln geschützte Informationen melden, sofern die Mel-

20 ABl. L 56 vom 4. 3. 1968, S. 1.

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dung dieser Informationen für die Aufdeckung eines Verstoßes im Anwendungsbereich dieser Richtlinie notwendig ist. Nach dieser Richtlinie gilt zwar unter bestimmten Bedingungen bei Verletzung der Geheimhaltungspflicht ein begrenzter Ausschluss von der Haftung, auch von der strafrechtlichen Verantwortung, aber dieser Ausschluss wirkt sich nicht auf die Bestimmungen des nationalen Strafverfahrensrechts und insbesondere nicht auf jene Bestimmungen aus, die dem Schutz der Integrität von Ermittlungen und Verfahren oder Verteidigungsrechte der betroffenen Personen dienen. Die Aufnahme von Schutzmaßnahmen in andere Arten des nationalen Verfahrensrechts, insbesondere der Umkehr der Beweislast in nationalen verwaltungs-, zivil- oder arbeitsrechtlichen Verfahren, bleibt davon unberührt. Diese Richtlinie sollte sich nicht auf nationale Bestimmungen über die Inanspruchnahme des Rechts der Arbeitnehmervertreter auf Information, Konsultation und Teilnahme an Tarifverhandlungen und die Verteidigung der Arbeitnehmerrechte durch Arbeitnehmervertreter auswirken. Das durch die Richtlinie gewährte Maß an Schutz sollte davon nicht unberührt bleiben. Die Richtlinie sollte nicht in Fällen gelten, in denen Personen, die aufgrund ihrer in Kenntnis der Sachlage erteilten Einwilligung auf nationaler Ebene als Informanten identifiziert oder als solche in von benannten Behörden wie Zollbehörden verwalteten Datenbanken erfasst wurden, den Strafverfolgungsbehörden gegen Vergütung oder Entschädigung Verstöße melden. Solche Meldungen erfolgen nach bestimmten Verfahren, die darauf ausgerichtet sind, zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Informanten deren Anonymität zu garantieren, und die sich von den gemäß diese Richtlinie vorgesehenen Meldekanälen unterscheiden. Personen, die Informationen über eine Gefährdung oder Schädigung des öffentlichen Interesses im Zusammenhang mit ihren beruflichen Tätigkeiten melden, machen von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, das in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union („Charta“) und in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert ist, umfasst sowohl das Recht, Informationen zu empfangen und weiterzugeben, als auch die Freiheit und die Pluralität der Medien. Dementsprechend stützt sich diese Richtlinie auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Recht auf freie Meinungsäußerung und auf die auf dieser Grundlage vom Europarat in seiner Empfehlung zum Schutz von Whistleblowern aus dem Jahr 201421 entwickelten Grundsätze. Hinweisgeber sollten nur dann geschützt sein, wenn sie zum Zeitpunkt der Meldung angesichts der Umstände und der verfügbaren Informationen hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass die von ihnen gemeldeten Sachverhalte der Wahrheit entsprechen. Dies ist eine wichtige Schutzvorkehrung gegen böswillige oder missbräuchliche Meldungen, die gewährleistet, dass Personen keinen Schutz erhalten, wenn sie zum Zeitpunkt der Meldung wissentlich falsche oder irreführende Informationen gemeldet haben. Gleichzeitig wird damit gewährleistet, dass der Schutz auch dann gilt, wenn ein Hinweisgeber in gutem Glauben ungenaue Informationen meldet. In ähnlicher Weise sollten Hinweisgeber Schutz im Rahmen dieser Richtlinie erhalten, wenn sie hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass die gemeldeten Informationen in den Anwendungsbereich

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der Richtlinie fallen. Aus welchen Gründen der Hinweisgeber Informationen meldet, sollte bei der Entscheidung, ob die Person Schutz erhalten sollte, keine Rolle spielen. Hinweisgeber fühlen sich in der Regel wohler, wenn sie Informationen intern melden können, es sei denn, sie haben Grund dazu, Informationen extern zu melden. Empirische Studien belegen, dass Hinweisgeber mehrheitlich zu internen Meldungen innerhalb der Organisationen, für die sie arbeiten, neigen. Interne Meldungen sind auch der beste Weg, um Informationen an die Personen heranzutragen, die zu einer frühzeitigen und wirksamen Abwendung von Gefahren für das öffentliche Interesse beitragen können. Zugleich sollte der Hinweisgeber den Meldekanal wählen können, der sich angesichts der fallspezifischen Umstände am besten eignet. Zudem ist es erforderlich, im Einklang mit den von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgestellten Kriterien die Offenlegung von Informationen unter Berücksichtigung demokratischer Grundsätze wie Transparenz und Rechenschaftspflicht und Grundrechte wie Freiheit der Meinungsäußerung und Medienfreiheit zu schützen und gleichzeitig das Interesse der Arbeitgeber an der Verwaltung ihrer Unternehmen und dem Schutz ihrer Interessen mit dem Interesse der Öffentlichkeit am Schutz vor Schaden abzuwägen. Unbeschadet der nach dem Unionsrecht geltenden Verpflichtung, anonyme Meldungen zu ermöglichen, liegt es im Ermessen der Mitgliedstaaten, ob private und öffentliche Organisationen und zuständige Behörden anonyme Meldungen zu Verstößen, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, annehmen und Folgemaßnahmen ergreifen. Personen, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Offenlegungen anonym gemeldet oder veröffentlicht haben und die Bedingungen der Richtlinie erfüllen, sollten, wenn sie anschließend identifiziert werden und Repressalien ausgesetzt sind, nach Maßgabe dieser Richtlinie Schutz genießen. Schutz ist zu gewähren, wenn Personen im Einklang mit den Rechtsvorschriften der Union Organen, Einrichtungen, Stellen und Dienststellen der Union beispielsweise im Zusammenhang mit gegen den Unionshaushalt gerichtetem Betrug Meldung erstatten. Personen benötigen besonderen Rechtsschutz, wenn sie Informationen melden, die sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erhalten, und sich damit dem Risiko von Repressalien am Arbeitsplatz aussetzen (z. B. aufgrund einer Verletzung der Vertraulichkeits- oder Loyalitätspflicht). Einen solchen Schutz benötigen sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Person, auf die sie de facto beruflich angewiesen sind. Liegt jedoch kein beruflich bedingtes Machtungleichgewicht vor (z. B. im Fall gewöhnlicher Beschwerden oder unbeteiligter Dritter), so ist kein Schutz vor Repressalien erforderlich. Eine wirksame Durchsetzung des Unionsrechts setzt voraus, dass ein möglichst breites Spektrum von Personengruppen — seien es EU-Bürger oder Drittstaatsangehörige — geschützt wird, die aufgrund ihrer (bezahlten oder unbezahlten) beruflichen Tätigkeit privilegierten Zugang zu Informationen über etwaige Verstöße, deren Meldung im öffentlichen Interesse liegt, haben und die im Falle einer solchen Meldung Repressalien erleiden könnten. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass der Schutzbedarf unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände und nicht nur unter Bezugnahme auf die Art der Arbeitsbeziehung bestimmt wird, sodass alle Personen erfasst werden, die im weiteren Sinne mit der Organisation verbunden sind, in der der Verstoß vorgefallen ist. Schutz sollte zuallererst für „Arbeitnehmer“ im Sinne des Artikels 45 Absatz 1 AEUV in der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union gelten, d. h. für Personen, die während eines bestimmten Zeitraums Dienstleistungen für und unter der Leitung einer anderen Person erbringen, für die sie eine Vergütung erhalten. Dieser Begriff schließt auch Beamte ein. Schutz sollte daher auch Arbeitnehmern in atypischen Beschäftigungs-

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verhältnissen, einschließlich Teilzeitbeschäftigten und befristet Beschäftigten, sowie Personen gewährt werden, die einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis mit einem Leiharbeitsunternehmen geschlossen haben; bei prekären Arbeitsbeziehungen ist es häufig schwierig, Standardschutzbestimmungen gegen unfaire Behandlung anzuwenden. Schutz sollte zuallererst für „Arbeitnehmer“ im Sinne des Artikels 45 Absatz 1 AEUV in der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union gelten, d. h. für Personen, die während eines bestimmten Zeitraums Dienstleistungen für und unter der Leitung einer anderen Person erbringen, für die sie eine Vergütung erhalten. So sind etwa im Bereich der Produktsicherheit Lieferanten sehr viel näher an der Quelle möglicher unlauterer und illegaler Herstellungs-, Einfuhr- oder Vertriebspraktiken für unsichere Produkte und bei der Verwendung von Unionsmitteln sind Berater, die Dienstleistungen erbringen, in einer privilegierten Position, um auf Verstöße aufmerksam zu machen. Diese Kategorien von Personen, darunter Selbstständige, die Dienstleistungen erbringen, Freiberufler, Auftragnehmer, Unterauftragnehmer und Lieferanten, erfahren häufig Repressalien, die beispielsweise in der Form zutage treten können, dass Dienstleistungsverträge, Lizenzen oder Bewilligungen vorzeitig beendet oder gekündigt werden, sie Auftrags- oder Einkommensverluste erleiden, Opfer von Nötigung, Einschüchterung oder Mobbing werden, auf schwarze Listen gesetzt bzw. geschäftlich boykottiert werden oder ihr Ruf geschädigt wird. Anteilseigner und Personen in Leitungsgremien können ebenfalls von Repressalien betroffen sein, etwa in finanzieller Hinsicht oder in Form von Einschüchterung oder Mobbing, Eintragung in schwarze Listen oder Rufschädigung. Schutz sollte auch Personen mit beendetem Arbeitsverhältnis und Bewerbern für eine Stelle oder für die Erbringung von Dienstleistungen bei einer Organisation gewährt werden, wenn sie während des Einstellungsverfahrens oder einer anderen vorvertraglichen Verhandlungsstufe Informationen über Gesetzesverstöße erhalten haben und unter Umständen Repressalien erleiden, etwa in Form negativer Empfehlungen oder indem sie auf schwarze Listen gesetzt bzw. geschäftlich boykottiert werden. Ein wirksamer Hinweisgeberschutz umfasst auch Gruppen von Personen, die zwar auf ihre berufliche Tätigkeit nicht wirtschaftlich angewiesen sind, aber infolge einer Meldung von Verstößen dennoch Repressalien erleiden können. Gegenüber Freiwilligen und bezahlten oder unbezahlten Praktikanten könnten Repressalien etwa in der Form ausgeübt werden, dass ihre Dienste nicht mehr in Anspruch genommen werden, negative Arbeitszeugnisse ausgestellt werden oder ihr Ruf bzw. ihre beruflichen Perspektiven auf andere Weise geschädigt werden. Um eine ernsthafte Schädigung des öffentlichen Interesses wirksam aufdecken und verhindern zu können, muss der Begriff „Verstoß“ auch auf missbräuchliche Praktiken im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfassen, also Handlungen oder Unterlassungen, die in formaler Hinsicht nicht als rechtswidrig erscheinen, die jedoch mit dem Ziel oder Zweck der einschlägigen Rechtsvorschriften unvereinbar sind. Um Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam zu unterbinden, sollten auch Personen geschützt werden, die Informationen melden, die notwendig sind zur Aufdeckung von bereits eingetretenen Verstößen, von Verstößen, die zwar noch nicht eingetreten sind, aber mit deren Eintreten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, von Handlungen oder Unterlassungen, die der Hinweisgeber aus hinreichendem Grund als Verstöße gegen das Unionsrecht erachtet, sowie von Versuchen zur Verschleierung von Verstößen notwendig sind. Aus denselben Gründen ist der Schutz auch für Personen gerechtfertigt, die zwar keine eindeutigen Beweise beibringen, aber begründete Bedenken oder einen begründeten Verdacht äußern. Demgegenüber sollte bei der Meldung von Informationen, die be-

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reits öffentlich in vollem Umfang verfügbar sind oder bei denen es sich um unbegründete Spekulationen oder Gerüchte handelt, kein Schutz gewährt werden. Damit der Hinweisgeber Rechtsschutz erhalten kann, muss ein enger (kausaler) Zusammenhang zwischen der Meldung und der unmittelbar oder mittelbar von dem Hinweisgeber erlittenen Benachteiligung (Repressalie) bestehen. Ein wirksamer Schutz von Hinweisgebern als Mittel zur besseren Durchsetzung des Unionsrechts erfordert eine weit gefasste Definition des Begriffs Repressalien, die jede benachteiligende Handlung oder Unterlassung im beruflichen Kontext einschließt. Arbeitgeber werden durch diese Richtlinie nicht daran gehindert, beschäftigungsbezogene Entscheidungen zu treffen, die nicht auf die Meldung oder Offenlegung zurückzuführen sind. Schutz vor Repressalien als Mittel zum Schutz der Freiheit der Meinungsäußerung und der Medienfreiheit sollte Personen gewährt werden, die Informationen über Handlungen oder Unterlassungen innerhalb einer Organisation melden (interne Meldungen) oder einer externen Behörde zukommen lassen (externe Meldungen), sowie Personen, die diese Informationen publik machen (etwa direkt über Web-Plattformen und soziale Medien oder indirekt über die Medien, gewählte Amtsträger, zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften oder Berufsverbände). Hinweisgeber sind besonders wichtige Informationsquellen für investigative Journalisten. Ein wirksamer Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien erhöht die Rechtssicherheit (potenzieller) Hinweisgeber und erleichtert damit die Weitergabe von Hinweisen auch an die Medien. In dieser Hinsicht trägt der Schutz von Hinweisgebern als journalistische Quellen wesentlich zur Wahrung der Überwachungsfunktion investigativer Journalisten in demokratischen Gesellschaften bei. Damit Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam aufgedeckt und unterbunden werden können, müssen die einschlägigen Informationen rasch zu denjenigen gelangen, die der Ursache des Problems am nächsten sind, der Meldung am ehesten nachgehen können und über entsprechende Befugnisse verfügen, um dem Problem, soweit möglich, abzuhelfen. Aus diesem Grund sollten Hinweisgeber grundsätzlich darin bestärkt werden, zunächst die internen Kanäle zu nutzen und ihrem Arbeitgeber Meldung zu erstatten, sofern ihnen derartige Kanäle zur Verfügung stehen und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie funktionieren. Dies gilt insbesondere, wenn die Hinweisgeber der Meinung sind, dass der Verstoß in der betreffenden Organisation wirksam angegangen werden kann und keine Repressalien drohen. Dies setzt auch voraus, dass juristische Personen im privaten und im öffentlichen Sektor geeignete interne Verfahren für die Entgegennahme von Meldungen und entsprechende Folgemaßnahmen einrichten. In dieser Weise bestärkt werden sollten Hinweisgeber auch, wenn diese Kanäle eingerichtet wurden, ohne dass dazu nach dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht eine Verpflichtung bestand. Dieser Grundsatz sollte bei Organisationen zur Förderung einer Kultur der guten Kommunikation und der sozialen Verantwortung von Unternehmen beitragen, in deren Rahmen Hinweisgeber als Personen gelten, die wesentlich zu Selbstverbesserung und Exzellenz beitragen. Bei juristischen Personen des Privatrechts steht die Verpflichtung zur Einrichtung interner Kanäle in einem angemessenen Verhältnis zu ihrer Größe und der Höhe des Risikos ihrer Tätigkeiten für das öffentliche Interesse. Diese Verpflichtung sollte unabhängig von der Art ihrer Tätigkeiten für alle Unternehmen mit 50 oder mehr Beschäftigten gelten, die Mehrwertsteuer erheben müssen. Die Mitgliedstaaten können nach einer geeigneten Risikobewertung auch anderen Unternehmen in bestimmten Fällen vorschreiben, interne

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Meldekanäle einzurichten (etwa aufgrund erheblicher Risiken, die sich aus ihrer Tätigkeit ergeben). Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, private Organisationen mit weniger als 50 Beschäftigten darin zu bestärken, interne Kanäle für Meldungen und Folgemaßnahmen einzurichten, indem sie unter anderem für diese Kanäle weniger strenge Anforderungen als gemäß Artikel 5 festlegen, sofern durch diese Anforderungen die Vertraulichkeit der Meldung und ordnungsgemäße Folgemaßnahmen garantiert sind, bleibt von der Richtlinie unberührt. Die Ausnahme für Klein- und Kleinstunternehmen von der Verpflichtung, interne Meldekanäle einzurichten, sollte nicht für Privatunternehmen gelten, die zurzeit gemäß den in Teil I Abschnitt B und Teil II des Anhangs genannten Rechtsakten der Union zur Einrichtung interner Meldekanäle verpflichtet sind. Sehen juristische Personen des Privatrechts keine internen Meldekanäle vor, sollten Hinweisgeber externe Meldungen direkt an die zuständigen Behörden richten können und nach Maßgabe dieser Richtlinie vor Repressalien geschützt sein. (52) Um insbesondere die Einhaltung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge im öffentlichen Sektor zu gewährleisten, sollten alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene entsprechend ihrer Größe zur Einrichtung interner Meldekanäle verpflichtet sein. Solange die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers gewahrt bleibt, kann jede juristische Person des privaten und des öffentlichen Rechts selbst festlegen, welche Art von Meldekanälen einzurichten sind. Konkret sollten sie schriftliche Meldungen auf dem Postweg, über einen Beschwerde-Briefkasten oder über eine Online-Plattform (Intranet oder Internet) und/oder mündliche Meldungen über eine Telefon-Hotline oder ein anderes System für gesprochene Nachrichten ermöglichen. Im Rahmen dieser Kanäle sollten innerhalb eines angemessenen Zeitraums auf Anfrage des Hinweisgebers auch physische Zusammenkünfte stattfinden können. Auch Dritte können ermächtigt werden, Meldungen im Namen von privaten und öffentlichen Stellen entgegenzunehmen, sofern sie entsprechende Garantien für die Wahrung der Unabhängigkeit und Vertraulichkeit, des Datenschutzes und der Geheimhaltung bieten. Dabei kann es sich um externe Anbieter von Meldeplattformen, externe Berater, Prüfer, Gewerkschaftsvertreter oder Arbeitnehmervertreter handeln. Unbeschadet des Schutzes, den Gewerkschaftsvertreter oder Arbeitnehmervertreter nach den Unionsbestimmungen und den nationalen Bestimmungen in ihrer Eigenschaft als Interessenvertreter genießen, sollten sie sowohl im Fall von Meldungen, die sie in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer erstatten, als auch im Fall der Beratung und Unterstützung des Hinweisgebers den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schutz genießen. Interne Meldeverfahren sollten juristische Personen des Privatrechts in die Lage versetzen, nicht nur den Meldungen ihrer Mitarbeiter bzw. der Mitarbeiter ihrer Tochterunternehmen oder verbundenen Unternehmen (d. h. der Gruppe) unter vollständiger Wahrung der Vertraulichkeit nachzugehen, sondern soweit möglich auch den Meldungen der Mitarbeiter von Vertretern und Lieferanten der Gruppe sowie von Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mit dem Unternehmen und der Gruppe Informationen erhalten. Welche Personen oder Dienststellen innerhalb einer juristischen Person des Privatrechts am besten geeignet sind, Meldungen entgegenzunehmen und Folgemaßnahmen zu ergreifen, hängt von der Struktur des Unternehmens ab; ihre Funktion sollte jedenfalls ihre Unabhängigkeit gewährleisten und Interessenkonflikte ausschließen. In kleineren Unter-

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nehmen könnte diese Aufgabe durch einen Mitarbeiter in Doppelfunktion erfüllt werden, der direkt der Unternehmensleitung berichten kann, etwa ein Leiter der Compliance- oder Personalabteilung, ein Integritätsbeauftragter, ein Rechts- oder Datenschutzbeauftragter, ein Finanzvorstand, ein Auditverantwortlicher oder ein Vorstandsmitglied. Bei internen Meldungen trägt eine möglichst umfassende Information des Hinweisgebers, soweit diese rechtlich möglich ist, über die Folgemaßnahmen zu einer Meldung wesentlich dazu bei, Vertrauen in die Wirksamkeit des allgemeinen Hinweisgeberschutzes aufzubauen und die Wahrscheinlichkeit weiterer unnötiger Meldungen oder einer Offenlegung zu senken Der Hinweisgeber sollte innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens über die geplanten oder ergriffenen Folgemaßnahmen zu der Meldung und die Gründe für diese Folgemaßnahmen informiert werden (z. B. Verweise auf andere Kanäle oder Verfahren bei Meldungen, die ausschließlich die individuellen Rechte des Hinweisgebers betreffen, Verfahrensabschluss aufgrund mangelnder Beweise oder anderer Gründe, Einleitung interner Nachforschungen, eventuell unter Angabe der Ergebnisse und/oder Maßnahmen zur Behebung des Problems, Befassung einer zuständigen Behörde zwecks weiterer Untersuchung), soweit diese Informationen die Nachforschungen oder Untersuchungen nicht berühren und die Rechte der von der Meldung betroffenen Person nicht beeinträchtigen. Der Hinweisgeber sollte stets über die Fortschritte und Ergebnisse der Untersuchung informiert werden. Er kann während der Untersuchung um weitere Informationen gebeten werden, ist zu deren Erteilung jedoch nicht verpflichtet. Ein solcher angemessener Zeitrahmen sollte drei Monate nicht überschreiten. Werden die geeigneten Folgemaßnahmen erst noch festgelegt, so sollte der Hinweisgeber auch darüber informiert werden; zudem sollte ihm mitgeteilt werden, welche weiteren Rückmeldungen er erwarten kann. Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden wollen, sollten eine fundierte Entscheidung darüber treffen können, ob, wann und auf welche Weise sie Meldung erstatten. Private und öffentliche Stellen, die über interne Meldeverfahren verfügen, stellen Informationen zu diesen Verfahren sowie über Verfahren für externe Meldungen an die jeweils zuständigen Behörden bereit. Diese Informationen müssen leicht verständlich und leicht zugänglich sein, und zwar — soweit möglich — auch für nicht bei dem Unternehmen beschäftigte Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit mit dem Unternehmen in Kontakt treten, beispielsweise Dienstleistungsunternehmen, Vertriebsunternehmen, Lieferanten und andere Geschäftspartner. Die Informationen können etwa an einer sichtbaren, für den gesamten Personenkreis zugänglichen Stelle sowie auf der Unternehmenswebsite veröffentlicht werden und auch in Kursen und Schulungen zum Thema Ethik und Integrität behandelt werden. Eine wirksame Aufdeckung und Verhütung von Verstößen gegen das Unionsrecht setzt voraus, dass potenzielle Hinweisgeber die Informationen in ihrem Besitz einfach und unter vollständiger Wahrung der Vertraulichkeit an die zuständigen Behörden weitergeben können, die in der Lage sind, das Problem zu untersuchen und soweit wie möglich zu beheben. Allerdings kann es vorkommen, dass keine internen Kanäle bestehen oder dass sie zwar verwendet werden, aber nicht ordnungsgemäß funktionieren (etwa weil die Meldung nicht gewissenhaft oder innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens bearbeitet wurde oder trotz positiver Untersuchungsergebnisse keine Maßnahmen ergriffen wurden, um den Verstoß zu beheben). In anderen Fällen war davon auszugehen, dass die internen Kanäle nicht angemessen funktionieren. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Hinweisgeber hinreichenden Grund

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zu der Annahme haben, i) dass sie im Zusammenhang mit der Meldung auch infolge der Verletzung ihrer Vertraulichkeitspflicht Repressalien erleiden würden, und ii) dass die zuständigen Behörden besser in der Lage wären, den Verstoß zu beheben, da beispielsweise der letztlich verantwortliche Mitarbeiter an dem Verstoß beteiligt ist, oder die Gefahr besteht, dass der Verstoß oder diesbezügliche Beweise verschleiert bzw. vernichtet werden könnten, oder allgemeiner, weil die Wirksamkeit von Untersuchungsmaßnahmen durch die zuständigen Behörden auf andere Weise gefährdet werden könnte (entsprechende Beispiele wären Meldungen über Kartellvereinbarungen und andere Verstöße gegen die Wettbewerbsvorschriften) oder bei dem Verstoß dringender Handlungsbedarf etwa zum Schutz des Lebens, der Gesundheit oder der Sicherheit von Menschen oder zum Schutz der Umwelt besteht. In allen Fällen sollen Hinweisgeber, die ihre Meldung extern an die zuständigen Behörden oder gegebenenfalls an die zuständigen Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union übermitteln, geschützt werden. Durch diese Richtlinie soll auch Schutz gewährt werden, wenn der Hinweisgeber nach dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht gehalten ist, den zuständigen nationalen Behörden Meldung zu erstatten, beispielsweise im Rahmen seiner mit der Stelle verbundenen Aufgaben und Zuständigkeiten oder weil der Verstoß eine Straftat darstellt. (64) Mangelndes Vertrauen in die Wirksamkeit von Meldungen ist ein wesentlicher Faktor, der potenzielle Hinweisgeber abschreckt. Daher ist es gerechtfertigt, die zuständigen Behörden zu verpflichten, geeignete externe Meldekanäle zu schaffen, eingegangene Meldungen sorgfältig nachzuverfolgen und dem Hinweisgeber innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens Rückmeldung zu geben. (65) Es ist Sache der Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden zu benennen, die befugt sind, unter diese Richtlinie fallende Meldungen entgegenzunehmen und geeignete Folgemaßnahmen zu ergreifen. Dabei kann es sich um Justizbehörden, in den betreffenden Einzelbereichen zuständige Regulierungs- oder Aufsichtsstellen oder Behörden mit allgemeinerer Zuständigkeit auf zentraler staatlicher Ebene, Strafverfolgungsbehörden, Korruptionsbekämpfungsstellen oder Ombudsleute handeln. (66) Als Empfänger dieser Meldungen sollten die zuständigen Behörden über die erforderlichen Kapazitäten und Befugnisse verfügen, um im Einklang mit ihrem Mandat für angemessene Folgemaßnahmen Sorge zu tragen, wozu auch die Beurteilung der Stichhaltigkeit der in der Meldung erhobenen Vorwürfe und die Behebung der gemeldeten Verstöße durch Einleitung interner Nachforschungen, Untersuchung, Strafverfolgung oder Einziehung von Mitteln oder durch sonstige geeignete Abhilfemaßnahmen gehören, oder sollten die erforderlichen Befugnisse besitzen, um mit der Meldung eine andere Behörde zu befassen, die den gemeldeten Verstoß untersuchen sollte, wobei sie dafür Sorge tragen sollte, dass diese Behörde angemessene Folgemaßnahmen trifft. Insbesondere wenn die Mitgliedstaaten z. B. im Bereich der staatlichen Beihilfen externe Kanäle auf ihrer zentralen staatlichen Ebene schaffen wollen, sollten sie angemessene Garantien einführen, damit die in der Richtlinie niedergelegten Auflagen der Unabhängigkeit und Autonomie eingehalten werden. Die Aufsichtsbefugnisse der Mitgliedstaaten oder der Kommission im Bereich der staatlichen Beihilfen werden durch die Schaffung derartiger externer Kanäle nicht berührt; ebenso wenig werden durch diese Richtlinie die ausschließlichen Befugnisse der Kommission hinsichtlich der Erklärung der Vereinbarkeit staatlicher Beihilfemaßnahmen insbesondere gemäß Artikel 107 Absatz 3 AEUV berührt. In Bezug auf Verstöße gegen die Artikel 101 und 102 des AEUV sollten die Mitgliedstaaten unbeschadet der Befugnisse der Kommission in diesem Bereich als zuständige Behörden diejenigen benennen, auf die in Artikel 35 der Verordnung (EG) 1/2003 Bezug genommen wird.

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(67) Ferner sollten die zuständigen Behörden dem Hinweisgeber Rückmeldung zu den geplanten oder ergriffenen Folgemaßnahmen geben (z. B. Befassung einer anderen Behörde, Verfahrensabschluss aufgrund mangelnder Beweise oder anderer Gründe oder Einleitung einer Untersuchung, eventuell unter Angabe der Ergebnisse und/oder Maßnahmen zur Behebung des Problems sowie die Gründe, die die Folgemaßnahmen rechtfertigen). Das Unionsrecht, in dem mögliche Einschränkungen für die Veröffentlichung von Beschlüssen im Bereich der Vorschriften für den Finanzsektor vorgesehen sind, sollte durch Mitteilungen über die abschließenden Ergebnisse der Untersuchung nicht berührt werden. Dies sollte entsprechend im Bereich der Unternehmensbesteuerung gelten, wenn im geltenden nationalen Recht ähnliche Beschränkungen vorgesehen sind. (68) Folgemaßnahmen und Rückmeldungen sollten innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens erfolgen, da eventuelle in der Meldung genannte Probleme unverzüglich angegangen werden müssen und eine unnötige Offenlegung vermieden werden muss. Der Zeitrahmen sollte nicht mehr als drei Monate umfassen, kann jedoch auf sechs Monate ausgedehnt werden, wenn die besonderen Umstände des Falls dies erfordern, insbesondere wenn die Art und die Komplexität des Gegenstands der Meldung eine langwierige Untersuchung nach sich zieht. (69) In bestimmten Bereichen wie Marktmissbrauch22‚ Zivilluftfahrt 23 und Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten24 sieht das Unionsrecht schon jetzt die Einrichtung interner und externer Meldekanäle vor. Die nach dieser Richtlinie verpflichtend einzurichtenden Kanäle sollten so weit wie möglich auf den bestehenden Kanälen aufbauen, die in einschlägigen Unionsrechtsakten vorgesehen sind. (70) Die Europäische Kommission sowie einige Einrichtungen und sonstige Stellen der Union, darunter das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA), die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA), die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) und die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), verfügen über externe Kanäle und Verfahren für den Empfang von Meldungen über Verstöße, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, wobei in erster Linie die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers gewährleistet wird. Diese Richtlinie lässt solche eventuell vorhandenen externen Meldekanäle und -verfahren unberührt, gewährleistet jedoch, dass Personen, die bei diesen Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union Verstöße melden, in der gesamten Union von gemeinsamen Mindestschutzstandards profitieren. (71) Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Verfahren für die Folgemaßnahmen zu Meldungen und das Vorgehen gegen Verstöße gegen das betreffende Unionsrecht sollten die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen können, um die zuständigen Behörden bei Meldungen geringfügiger, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Rechtsverletzungen, wiederholten Meldungen oder Meldungen von Verstößen gegen Nebenbestimmungen (z. B. Bestimmungen über die Dokumentations- oder Mitteilungspflichten) zu entlasten.

22 A. a. O. 23 Verordnung (EU) Nr. 376/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Meldung, Analyse und Weiterverfolgung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt (ABl. L 122, S. 18). 24 Richtlinie 2013/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten und zur Änderung der Richtlinie 2004/35/EG (ABl. L 178 vom 28. 6. 2013, S. 66).

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Diese Maßnahmen könnten darin bestehen, dass den zuständigen Behörden gestattet wird, nach einer gebührenden Prüfung der Angelegenheit zu beschließen, dass der gemeldete Verstoß eindeutig geringfügig ist und keine weiteren Folgemaßnahmen gemäß dieser Richtlinie erforderlich macht. Die Mitgliedstaaten können den zuständigen Behörden auch gestatten, das Verfahren über wiederholte Meldungen einzustellen, die keine neuen bedeutsamen Informationen beinhalten und zu einer Meldung in der Vergangenheit gehören, die bereits abgeschlossen wurde, es sei denn, neue rechtliche Gegebenheiten oder Fakten rechtfertigen eine andere Folgemaßnahme. Außerdem können die Mitgliedstaaten den zuständigen Behörden gestatten, beim Eingang zahlreicher Meldungen der Bearbeitung von Meldungen über schwerwiegende Verstöße oder Verstöße gegen wesentliche Bestimmungen, die in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, Vorrang einzuräumen. Soweit dies nach nationalem Recht oder Unionsrecht vorgesehen ist, sollten die zuständigen Behörden Fälle oder relevante Informationen an die zuständigen Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union übermitteln, einschließlich — für die Zwecke dieser Richtlinie — an das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) und die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA); dies gilt unbeschadet der Möglichkeit des Hinweisgebers, sich direkt an diese Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zu wenden. In zahlreichen Politikbereichen, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, gibt es Kooperationsmechanismen, über die die zuständigen nationalen Behörden Informationen austauschen und bei Verstößen gegen das Unionsrecht, die eine grenzüberschreitende Dimension aufweisen, Folgemaßnahmen ergreifen. Die Beispiele reichen von Amtshilfe- und Kooperationsmechanismen in Fällen grenzüberschreitender Verstöße gegen die Unionsvorschriften für die Lebensmittelkette über das Lebensmittelbetrug-Netz, das Schnellwarnsystem für gefährliche Non-Food-Produkte, das Netzwerk für die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz, bis hin zum Environmental Compliance Network, zum Europäischen Netzwerk der Wettbewerbsbehörden und zur Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sollten diese bestehenden Kooperationsmechanismen im Rahmen ihrer Verpflichtung, bei Meldungen über in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Verstöße Folgemaßnahmen zu ergreifen, gegebenenfalls in vollem Umfang nutzen. Überdies können die Behörden der Mitgliedstaaten bei Verstößen mit grenzüberschreitender Dimension in Bereichen, in denen es solche Kooperationsmechanismen nicht gibt, auch außerhalb der bestehenden Kooperationsmechanismen zusammenarbeiten. Um eine wirksame Kommunikation mit ihren für die Bearbeitung von Meldungen zuständigen Mitarbeitern zu gewährleisten, sollten die zuständigen Behörden nutzerfreundliche, sichere Meldekanäle für die Entgegennahme und Bearbeitung der von Hinweisgebern übermittelten Informationen einrichten und nutzen, die die Speicherung dauerhafter Informationen im Hinblick auf weitere Untersuchungen ermöglichen. Hierfür kann es erforderlich sein, dass diese Kanäle von den allgemeinen Kanälen, über die die zuständigen Behörden mit der Öffentlichkeit kommunizieren, etwa von ihren normalen Systemen für Beschwerden der Öffentlichkeit, oder von den Kanälen, über die sie in ihren allgemeinen Arbeitsabläufen intern und mit Dritten kommunizieren, getrennt sind. Die für die Bearbeitung der Meldungen zuständigen Mitarbeiter der zuständigen Behörden sollten speziell geschult und auch mit den geltenden Datenschutzvorschriften vertraut sein, damit sie die Meldungen bearbeiten und die Kommunikation mit dem Hinweisgeber sowie geeignete Folgemaßnahmen sicherstellen können.

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(76) Personen, die Verstöße melden wollen, sollten eine fundierte Entscheidung darüber treffen können, ob, wann und auf welche Weise sie Meldung erstatten. Daher sollten die zuständigen Behörden in öffentlicher und leicht zugänglicher Weise Informationen zu ihren verfügbaren Meldekanälen, den anwendbaren Verfahren und den innerhalb der Behörden für die Bearbeitung der Meldungen zuständigenspezialisierten Mitarbeitern bereitstellen. Um Meldungen zu fördern und Hinweisgeber nicht abzuschrecken, sollten sämtliche Informationen zu Meldungen transparent, leicht verständlich und zuverlässig sein. (77) Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass die zuständigen Behörden angemessene Schutzverfahren für die Bearbeitung der Verstoßmeldungen und den Schutz der personenbezogenen Daten der in der Meldung genannten Personen eingerichtet haben. Diese Verfahren sollen gewährleisten, dass die Identität aller Hinweisgeber, betroffenen Personen und in der Meldung genannten Dritten (z. B. Zeugen oder Kollegen) in allen Verfahrensstufen geschützt ist. (78) Die für die Bearbeitung der Meldungen zuständigen Mitarbeiter wie auch andere Mitarbeiter der zuständigen Behörde, die das Recht haben, auf von einer Person gemeldete Informationen zuzugreifen, unterliegen bei der Übermittlung von Daten innerhalb und außerhalb der zuständigen Behörde ihrer beruflichen Schweigepflicht sowie der Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit, und zwar auch dann, wenn eine zuständige Behörde im Zusammenhang mit der Meldung von Verstößen eine Untersuchung oder ein Ermittlungsverfahren einleitet oder Durchsetzungsmaßnahmen ergreift. (79) Die Angemessenheit und Zweckdienlichkeit dieser Verfahren der zuständigen Behörden sollte anhand regelmäßiger Überprüfungen und anhand eines Austauschs der Behörden über bewährte Verfahren gewährleistet werden. (80) Personen, die Informationen offenlegen, sollten in Fällen geschützt sein, in denen nicht gegen einen Verstoß vorgegangen wird, obwohl er intern und/oder extern gemeldet wurde, beispielsweise wenn die betreffenden Personen berechtigten Grund zu der Annahme hat, dass der Verstoß nicht angemessen bewertet oder untersucht wurde oder dass keine geeigneten Abhilfemaßnahmen getroffen wurden. Die Angemessenheit der Folgemaßnahmen sollte nach objektiven Kriterien bewertet werden, die mit der Pflicht der zuständigen Behörden, die Stichhaltigkeit der in der Meldung erhobenen Vorwürfe zu beurteilen und etwaige Verstöße gegen das Unionsrecht abzustellen, im Zusammenhang stehen. Sie ist somit abhängig von den fallspezifischen Umständen und von der Art der Vorschriften, gegen die verstoßen wurde. Insbesondere kann eine Entscheidung der Behörden, dass ein Verstoß eindeutig geringfügig war und keine weiteren Maßnahmen erfordert, eine angemessene Folgemaßnahme gemäß dieser Richtlinie darstellen. (81) Personen, die Informationen unmittelbar offenlegen, sollten ebenfalls geschützt werden, wenn sie hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass eine unmittelbare und offenkundige Gefahr für das öffentliche Interesse oder die Gefahr einer irreversiblen Schädigung etwa der körperlichen Unversehrtheit besteht. (82) Ebenso sollten diese Personen geschützt sein, wenn sie hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder aufgrund der besonderen Umstände des Falls geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird, weil beispielsweise Beweismittel unterschlagen oder vernichtet werden könnten oder weil zwischen einer Behörde und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen oder die Behörde an dem Verstoß beteiligt ist. (83) Die Wahrung der Vertraulichkeit der Identität der Hinweisgeber während des Meldeverfahrens und der anschließenden Folgemaßnahmen ist eine wesentliche Vorsorgemaßnahme gegen Repressalien. Die Identität des Hinweisgebers darf nur dann offengelegt wer-

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den, wenn dies nach Unionsrecht oder nationalem Recht eine notwendige und verhältnismäßige Pflicht im Rahmen von behördlichen Untersuchungen oder von Gerichtsverfahren darstellt, insbesondere im Hinblick auf die Wahrung der Verteidigungsrechte der betreffenden Personen. Eine solche Pflicht kann sich insbesondere aus der Richtlinie 2012/13 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren ergeben. Die Vertraulichkeit braucht nicht gewahrt zu werden, wenn der Hinweisgeber seine Identität im Rahmen einer Offenlegung absichtlich preisgegeben hat. (84) Die nach Maßgabe dieser Richtlinie vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten einschließlich des Austausches oder der Übermittlung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden, sollte im Einklang mit der Verordnung (EU) 2016/679 und der Richtlinie (EU) 2016/68025 erfolgen; der Austausch oder die Übermittlung von Informationen durch die auf Unionsebene zuständigen Behörden sollte im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 45/200126 erfolgen. Besondere Beachtung sollte dabei den für die Verarbeitung personenbezogener Daten geltenden Grundsätzen geschenkt werden, die in Artikel 5 der Datenschutzgrundverordnung, Artikel 4 der Richtlinie (EU) 2016/680 und Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 niedergelegt sind, sowie dem Grundsatz des Datenschutzes durch Technik und datenschutzfreundliche Voreinstellungen gemäß Artikel 25 der Datenschutzgrundverordnung, Artikel 20 der Richtlinie (EU) 2016/680 und Artikel XX der Verordnung (EU) 2018/XX zur Aufhebung der Verordnung Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG. (85) Die Wirksamkeit der in dieser Richtlinie festgelegten Verfahren für Folgemaßnahmen nach Meldungen über Verstöße gegen Rechtsvorschriften der Union in Bereichen, die in ihre Zuständigkeit fallen, dient einem wichtigen Ziel des allgemeinen öffentlichen Interesses der Union und der Mitgliedstaaten im Sinne von Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe e der DSGVO, denn sie sollen die Durchsetzung des Rechts und der Politik der Union in bestimmten Bereichen, in denen Verstöße dem öffentlichen Interesse ernsthaft schaden können, verbessern. Der wirksame Schutz der Vertraulichkeit der Identität der Hinweisgeber ist für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen, insbesondere der Hinweisgeber, gemäß Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe i der DSGVO notwendig. Die Mitgliedstaaten sollten die Wirksamkeit dieser Richtlinie gewährleisten, indem sie unter anderem erforderlichenfalls die Ausübung bestimmter Datenschutzrechte der betroffenen Personen gemäß Artikel 23 Absatz 1 Buchstaben e und i und Artikel 23 Absatz 2 der DSGVO durch gesetzgeberische Maßnahmen einschränken, soweit und solange dies notwendig ist, um Versuche, Meldungen zu behindern, Folgemaßnahmen nach Meldungen — insbesondere Untersuchungen — zu verhindern, zu unterlaufen oder zu verschleppen oder die Identität der Hinweisgeber festzustellen, zu verhüten und zu unterbinden.

25 Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (ABl. L 119 vom 4. 5. 2016, S. 89). 26 Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. L 8 vom 12. 1. 2001, S. 1).

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(86) Der wirksame Schutz der Vertraulichkeit der Identität der Hinweisgeber ist zudem für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen, insbesondere der Hinweisgeber, notwendig, wenn die Meldungen von Behörden im Sinne von Artikel 3 Absatz 7 der Richtlinie (EU) 2016/680 bearbeitet werden. Die Mitgliedstaaten sollten die Wirksamkeit dieser Richtlinie gewährleisten, indem sie unter anderem erforderlichenfalls die Ausübung bestimmter Datenschutzrechte der betroffenen Personen gemäß Artikel 13 Absatz 3 Buchstaben a und e, Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben a und e, Artikel 16 Absatz 4 Buchstaben a und e und Artikel 31 Absatz 5 der Richtlinie (EU) 2016/680 durch gesetzgeberische Maßnahmen einschränken, soweit und solange dies notwendig ist, um Versuche, Meldungen zu behindern, Folgemaßnahmen nach Meldungen — insbesondere Untersuchungen — zu verhindern, zu unterlaufen oder zu verschleppen oder die Identität der Hinweisgeber festzustellen, zu verhüten und zu unterbinden. (87) Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass Verstöße in angemessener Weise dokumentiert werden, jede Meldung abrufbar ist und Informationen aus Meldungen bei Durchsetzungsmaßnahmen gegebenenfalls als Beweismittel verwendbar sind. (88) Hinweisgeber sollten vor jeder Form von direkten oder indirekten Repressalien geschützt werden, die von ihrem Arbeitgeber, von einem Kunden oder von einem Empfänger von ihnen erbrachter Dienstleistungen oder von Personen, die für diese Personen arbeiten oder in ihrem Namen handeln (beispielsweise Mitarbeiter und Führungskräfte derselben Organisation oder anderer Organisationen, mit denen der Hinweisgeber im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeiten im Kontakt steht), ergriffen und von der betroffenen Person empfohlen oder geduldet werden. Dieser Schutz vor Repressalien sollte nicht nur für den Hinweisgeber selbst bestehen, sondern auch die juristische Person, die in seinem Eigentum steht, für die er arbeitet oder mit der er in einem beruflichen Kontext anderweitig in Verbindung steht, sollte vor Repressalien wie Verweigerung von Dienstleistungen, Erfassung auf schwarzen Listen oder Geschäftsboykotts geschützt werden. Als indirekte Repressalien sollten dabei auch Maßnahmen gegen Mittler, Mitarbeiter oder Verwandte des Hinweisgebers angesehen werden, die ebenfalls in einer beruflichen Verbindung zum Arbeitgeber des Hinweisgebers, zu einem Kunden des Hinweisgebers oder zu einem Empfänger vom Hinweisgeber erbrachter Dienstleistungen stehen. (89) Wenn keine Abschreckung gegen Repressalien besteht und Repressalien ungestraft bleiben, kann dies potenzielle Hinweisgeber von Meldungen abhalten. Ein eindeutiges gesetzliches Verbot von Repressalien besitzt eine große abschreckende Wirkung, welche durch einschlägige Bestimmungen über die persönliche Haftung und über Sanktionen gegen Personen, die zu Repressalien greifen, noch verstärkt werden kann. (90) Die individuelle Beratung und die Bereitstellung detaillierter Information können von einer einzigen unabhängigen Behörde oder einem Informationszentrum übernommen werden. (91) Ein potenzieller Hinweisgeber, der sich nicht sicher ist, wie er Meldung erstatten kann oder ob er letztendlich geschützt werden wird, verliert möglicherweise den Mut, Meldung zu erstatten. Die Mitgliedstaaten sollten daher sicherstellen, dass die allgemeine Öffentlichkeit ohne Weiteres Zugang zu leicht verständlichen Informationen über die Meldung von Missständen erhält. Individuelle, unparteiische und vertrauliche Beratungsmöglichkeiten sollten kostenlos verfügbar sein, beispielsweise zu der Frage, ob die gemeldeten Informationen unter die geltenden Bestimmungen für den Schutz von Hinweisgebern fallen, welcher Meldekanal am besten geeignet ist und nach welchen alternativen Verfahren vorgegangen werden kann, falls die Informationen nicht unter die geltenden Bestimmungen fallen (wegweisende Hinweise). Derartige Beratungsmöglichkeiten können dazu bei-

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tragen, dass Meldungen über geeignete Kanäle und in verantwortungsvoller Weise vorgenommen und Verstöße und Fehlverhalten zeitnah aufgedeckt oder gar verhindert werden. Den Mitgliedstaaten können beschließen, dass diese Beratung auch Rechtsberatung einschließt. Wird diese Beratung der Hinweisgeber von zivilgesellschaftlichen Organisationen übernommen, die verpflichtet sind, Informationen, die sie erhalten, vertraulich zu behandeln, so sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass diese Organisationen keinen Repressalien ausgesetzt werden, beispielsweise indem sie dadurch wirtschaftlich geschädigt werden, dass ihr Zugang zu Finanzmitteln eingeschränkt wird, oder indem sie auf eine schwarze Liste gesetzt werden und deshalb nicht mehr richtig arbeiten können. (92) Die zuständigen Behörden sollten die Hinweisgeber unterstützen, damit diese tatsächlich Zugang zu Schutz erhalten. Insbesondere sollten sie Beweise oder sonstige Unterlagen zur Verfügung stellen, mit denen gegenüber anderen Behörden oder vor Gericht belegt werden kann, dass eine externe Meldung erfolgt ist. In einigen nationalen Regelungen ist in bestimmten Fällen vorgesehen, dass sich Hinweisgeber bescheinigen lassen können, dass sie die geltenden rechtlichen Vorgaben erfüllen. Ungeachtet dieser Möglichkeiten sollten sie einen wirksamen Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung haben, wobei es den Gerichten obliegt, auf der Grundlage aller einzelnen Umstände des jeweiligen Falles zu entscheiden, ob sie die geltenden rechtlichen Vorgaben erfüllen. (93) Die rechtlichen oder vertraglichen Pflichten des Einzelnen (beispielsweise Loyalitätsklauseln in Verträgen oder Vertraulichkeits- oder Geheimhaltungsvereinbarungen) dürfen nicht herangezogen werden, um Hinweisgebern von vorneherein die Möglichkeit einer Meldung zu nehmen, ihnen einen etwaigen Hinweisgeberschutz zu versagen oder sie für eine etwaige Meldung mit Sanktionen zu belegen, wenn die Weitergabe der Informationen, die unter diese Klauseln und Vereinbarungen fallen, erforderlich ist, um den Verstoß aufzudecken. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, sollten Hinweisgeber weder zivil-, straf- oder verwaltungsrechtlich noch in Bezug auf ihre Beschäftigung haftbar gemacht werden können. Der Haftschutz bei Meldung oder Offenlegung von Informationen gemäß dieser Richtlinie ist dann gerechtfertigt, wenn der Hinweisgeber hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Meldung oder Offenlegung der Informationen notwendig war, um einen Verstoß im Sinne dieser Richtlinie aufzudecken. Dieser Schutz sollte sich nicht auf überflüssige Informationen erstrecken, die die betreffende Person ohne solchen triftigen Grund offengelegt hat. (94) Hinweisgeber, die die gemeldeten Informationen oder die Dokumente, die diese Informationen enthalten, rechtmäßig erlangt haben oder sich rechtmäßig Zugang zu ihnen verschafft haben, sollten sie nicht haftbar gemacht werden können. Dies gilt sowohl dann, wenn sie den Inhalt der Dokumente, zu denen sie rechtmäßig Zugang haben, offenlegen, als auch dann, wenn sie Abschriften dieser Dokumente anfertigen oder diese aus den Räumlichkeiten der Organisation, bei der sie beschäftigt sind, unter Verstoß gegen vertragliche oder sonstige Klauseln, nach denen die betreffenden Dokumente Eigentum der Organisation sind, entfernen. Die Hinweisgeber sollten auch dann nicht haftbar gemacht werden können, wenn die Tatsache, dass sie die betreffenden Informationen erlangt oder sich Zugang zu ihnen verschafft haben, ein Problem im Hinblick auf die zivil- oder verwaltungsrechtliche oder beschäftigungsbezogene Haftung aufwirft. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn die Hinweisgeber die Informationen erlangt haben, indem sie auf E-Mails eines Mitarbeiters oder auf Dateien, die sie im Rahmen ihrer Arbeit normalerweise nicht nutzen, zugegriffen haben, oder indem sie die Räumlichkeiten der Organisation fotografiert oder Räume betreten haben, zu denen sie normalerweise keinen Zugang haben. Wenn die Hinweisgeber eine Straftat — etwa Hausfriedensbruch oder Hacking — began-

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gen haben, um die betreffenden Informationen oder Dokumente zu erlangen oder sich Zugang zu ihnen zu verschaffen, so sollten sie unbeschadet des Artikels 15 Absatz 7 weiterhin nach Maßgabe der anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften strafrechtlich haftbar gemacht werden. Ebenso sollte die jedwede sonstige Haftung der Hinweisgeber für Handlungen oder Unterlassungen, die nicht mit der Meldung im Zusammenhang stehen oder nicht für die Aufdeckung eines Verstoßes im Sinne dieser Richtlinie notwendig sind, weiterhin den anwendbaren Vorschriften des Unionsrechts oder des nationalen Rechts unterliegen. In diesen Fällen sollte es Sache der nationalen Gerichte sein, anhand aller einschlägigen Sachinformationen und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände im Einzelfall, unter anderem der Frage, ob die Handlung oder Unterlassung im Verhältnis zur Meldung oder Offenlegung notwendig und angemessen war, über die Haftung der Hinweisgeber zu befinden. (95) Für Repressalien werden als Gründe oftmals andere Ursachen als die erfolgte Meldung angeführt, und es kann für Hinweisgeber sehr schwierig sein, den kausalen Zusammenhang zwischen der Meldung und den Repressalien nachzuweisen; den Personen, die die Repressalien ergreifen, stehen hingegen unter Umständen größere Möglichkeiten und Ressourcen zur Verfügung, um ihr eigenes Vorgehen und die dahinter stehende Logik zu dokumentieren. Wenn ein Hinweisgeber glaubhaft macht, dass er Informationen im Einklang mit dieser Richtlinie gemeldet oder offengelegt und dafür eine Benachteiligung erfahren hat, sollte die Beweislast auf die Person übergehen, die die Benachteiligung vorgenommen hat, d. h. diese sollte dann nachweisen müssen, dass ihr Vorgehen in keiner Weise mit der erfolgten Meldung oder Offenlegung in Verbindung stand. (96) Über ein ausdrückliches Verbot von Repressalien hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, dass Hinweisgeber, die sich Repressalien ausgesetzt sehen, Zugang zu Rechtsbehelfen und Anspruch auf Entschädigung haben. Welcher Rechtsbehelf im Einzelfall am besten geeignet ist, sollte von der Art der erlittenen Repressalie abhängen, und der entstandene Schaden sollte im Einklang mit dem nationalen Recht vollständig wiedergutgemacht werden. Denkbar sind beispielsweise Wiedereinstellungs- oder Wiedereinsetzungsklagen (z. B. nach einer Entlassung, einer Versetzung, einer Herabstufung oder Degradierung oder im Falle der Versagung einer Beförderung oder einer Teilnahme an einer Schulung) oder Klagen auf Wiederherstellung entzogener Genehmigungen, Lizenzen oder Verträge sowie Klagen auf Entschädigung für eingetretene oder künftige finanzielle Verluste (Gehaltsausfälle in der Vergangenheit oder künftige Einkommensverluste, durch einen Arbeitsplatzwechsel verursachte Kosten), für sonstige wirtschaftliche Schäden wie Rechtsschutzkosten und Kosten für medizinische Behandlungen sowie für nicht wertmäßig zu fassenden Schaden (Schmerzensgeld). (97) Die Art des Rechtsbehelfs kann dabei je nach Rechtsordnung variieren, aber sie sollte sicherstellen, dass der Schaden tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschehen muss. In diesem Zusammenhang von Belang sind die Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte, und zwar insbesondere der Grundsatz 7, der folgendermaßen lautet: „Bei jeder Kündigung haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht, zuvor die Gründe zu erfahren, und das Recht auf eine angemessene Kündigungsfrist. Sie haben das Recht auf Zugang zu wirkungsvoller und unparteiischer Streitbeilegung und bei einer ungerechtfertigten Kündigung Anspruch auf Rechtsbehelfe einschließlich einer angemessenen Entschädigung.“ Die auf nationaler Ebene bestehenden Rechtsbehelfe sollten keine abschreckende Wirkung auf potenzielle Hinweisgeber haben. Wenn beispielsweise alternativ zu einer Wiedereinstellung im Fall einer Entlassung

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auch die Möglichkeit einer Entschädigung besteht, kann dies dazu führen, dass insbesondere größere Organisationen in der Praxis systematisch von dieser Alternative Gebrauch machen − was auf potenzielle Hinweisgeber abschreckend wirkt. (98) Besonders wichtig für Hinweisgeber ist ein einstweiliger Rechtsschutz während laufender, mitunter langwieriger Gerichtsverfahren. Insbesondere sollten Hinweisgebern auch im nationalen Recht vorgesehene einstweilige Rechtsschutzmaßnahmen zur Verfügung stehen, die geeignet sind, Drohungen oder anhaltende Repressalien (beispielsweise Mobbing ) sowie deren Versuch zu unterbinden, oder Vergeltungsmaßnahmen wie eine Entlassung, die sich nach einem längeren Zeitraum unter Umständen nur schwer wieder rückgängig machen lässt und den Hinweisgeber finanziell ruinieren kann, zu verhindern, denn gerade diese Aussicht kann einen potenziellen Hinweisgeber ernsthaft entmutigen. (99) Eine große abschreckende Wirkung auf Hinweisgeber kann zudem von außerhalb des beruflichen Kontexts ergriffenen Maßnahmen wie Gerichtsverfahren wegen vermeintlicher Verleumdung oder vermeintlicher Verstöße gegen das Urheberrecht, das Geschäftsgeheimnis, die Vertraulichkeit oder den Schutz personenbezogener Daten ausgehen. In solchen Verfahren sollten sich Hinweisgeber zu ihrer Verteidigung darauf berufen können, die betreffende Meldung oder Offenlegung im Einklang mit dieser Richtlinie vorgenommen zu haben, sofern die Meldung oder Offenlegung der Informationen notwendig war, um den Verstoß aufzudecken. In derartigen Fällen sollte es der Person, die das Verfahren angestrengt hat, obliegen, nachzuweisen, dass der Hinweisgeber die Bedingungen der Richtlinie nicht erfüllt. (100) Die Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates enthält Vorschriften, die gewährleisten sollen, dass ein ausreichender und kohärenter zivilrechtlicher Schutz für den Fall des rechtswidrigen Erwerbs oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses besteht. Allerdings ist darin auch festgelegt, dass der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses insofern als rechtmäßig gilt, als sie nach dem Unionsrecht erlaubt sind. Personen, die Geschäftsgeheimnisse in einem beruflichen Kontext erlangt haben, sollten nur dann den durch diese Richtlinie gewährten Schutz (auch vor zivilrechtlicher Haftung) genießen, wenn sie die Bedingungen dieser Richtlinie erfüllen, wozu auch gehört, dass die Offenlegung notwendig war, um einen Verstoß, der in den sachlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, aufzudecken. Sind diese Bedingungen erfüllt, so ist die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen als nach dem Unionsrecht „erlaubt“ im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie (EU) 2016/943 zu betrachten. Überdies sollten beide Richtlinien als einander ergänzend betrachtet werden, und die in der Richtlinie (EU) 2016/943 vorgesehenen zivilrechtlichen Schutzmaßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe und Ausnahmen sollten weiterhin immer dann gelten, wenn eine Offenlegung nicht in den Anwendungsbereich der vorliegenden Richtlinie fällt. Zuständige Behörden, denen Meldungen zugehen, die Geschäftsgeheimnisse enthalten, sollten sicherstellen, dass diese nicht für Zwecke benutzt oder offengelegt werden, die über das für die ordnungsgemäße Weiterverfolgung der Meldungen erforderliche Maß hinausgehen. (101) Für Hinweisgeber, die sich auf gerichtlichem Wege gegen erlittene Repressalien zur Wehr setzen, können die betreffenden Rechtskosten eine erhebliche Belastung darstellen. Wenngleich sie diese Kosten am Ende des Verfahrens möglicherweise erstattet bekommen, sind sie unter Umständen nicht in der Lage, diese Kosten vorab auszulegen; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie arbeitslos sind oder auf eine schwarze Liste gesetzt wurden. Die Prozesskostenhilfe in Strafverfahren, insbesondere in Fällen, in de-

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nen die Hinweisgeber die Bedingungen der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates27 erfüllen, und eine allgemeine Unterstützung für Personen, die sich in ernsten finanziellen Nöten befinden, könnten in bestimmten Fällen zu einer wirksamen Durchsetzung des Rechts dieser Personen auf Schutz beitragen. (102) Die Rechte der betroffenen Person sollten geschützt werden, um eine Rufschädigung oder andere negative Folgen zu vermeiden. Ferner sollten die Verteidigungsrechte der betroffenen Person und ihr Zugang zu Rechtsbehelfen in allen Stadien des sich an die Meldung anschließenden Verfahrens in vollem Umfang und im Einklang mit den Artikeln 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewahrt werden. Die Mitgliedstaaten sollten für den Schutz der Vertraulichkeit der Identität der betroffenen Person sorgen und ihre Verteidigungsrechte nach den im nationalen Recht geltenden Verfahren bei Untersuchungen oder sich daran anschließenden Gerichtsverfahren gewährleisten; dazu gehören das Recht auf Akteneinsicht, das Recht auf Anhörung und das Recht auf wirksamen Rechtsschutz. (103) Personen, die infolge einer Meldung oder Offenlegung ungenauer oder irreführender Informationen eine direkte oder indirekte Benachteiligung erfahren, sollten weiterhin den ihnen nach allgemeinem Recht zustehenden Schutz genießen und auf die nach allgemeinem Recht verfügbaren Rechtsbehelfe zurückgreifen können. In Fällen, in denen diese ungenauen oder irreführenden Informationen vorsätzlich und wissentlich gemeldet oder offengelegt wurden, sollte die betroffene Person Anspruch auf Schadensersatz nach nationalem Recht haben. (104) Um die Wirksamkeit der Vorschriften über den Schutz von Hinweisgebern sicherzustellen, bedarf es geeigneter zivil-, straf- oder verwaltungsrechtlicher Sanktionen. Sanktionen gegen Personen, die Repressalien oder sonstige beschwerende Maßnahmen gegen Hinweisgeber ergreifen, können von derartigen Handlungen abschrecken. Um vor böswilligen Meldungen abzuschrecken und die Glaubwürdigkeit des Systems zu wahren, bedarf es zudem Sanktionen gegen Personen, die wissentlich Informationen melden oder offenlegen, welche nachweislich falsch sind. Die Sanktionen sollten gleichwohl so bemessen sein, dass potenzielle Hinweisgeber nicht abgeschreckt werden. (105) Alle behördlichen Entscheidungen, die die durch diese Richtlinie gewährten Rechte beeinträchtigen, insbesondere Entscheidungen nach Artikel 6, können gemäß Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gerichtlich überprüft werden. (106) Mit dieser Richtlinie werden Mindeststandards eingeführt; die Mitgliedstaaten sollten gleichwohl die Möglichkeit haben, für Hinweisgeber günstigere Bestimmungen als jene dieser Richtlinie einzuführen oder beizubehalten, sofern diese die Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Personen unberührt lassen. Die Umsetzung dieser Richtlinie darf keinesfalls als Rechtfertigung dafür dienen, dass das Schutzniveau in den von ihr erfassten Bereichen, das Hinweisgebern im nationalen Recht bereits gewährt wird, abgesenkt wird. (107) Gemäß Artikel 26 Absatz 2 AEUV soll der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen umfassen, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen gewährleistet ist.

27 Richtlinie 2016/1919/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (ABl. L 297 vom 4. 11. 2016, S. 1).

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Der Binnenmarkt soll den Unionsbürgern einen Mehrwert in Form einer besseren Qualität und Sicherheit der Waren und Dienstleistungen bieten sowie ein hohes Niveau beim Gesundheits- und Umweltschutz sowie beim freien Verkehr personenbezogener Daten sicherstellen. Daher ist Artikel 114 AEUV die geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass von Maßnahmen, die für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich sind. Zusätzlich zu Artikel 114 AEUV sollte diese Richtlinie auf weiteren spezifischen Rechtsgrundlagen basieren, um jene Bereiche abzudecken, in denen etwaige Maßnahmen der Union auf Grundlage des Artikels 16, des Artikels 43 Absatz 2, des Artikels 50, des Artikels 53 Absatz 1, der Artikel 91 und 100, des Artikels 168 Absatz 4, des Artikels 169, des Artikels 192 Absatz 1 und des Artikel 325 Absatz 4 AEUV sowie auf Grundlage des Artikels 31 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft erlassen werden. (108) Der sachliche Anwendungsbereich dieser Richtlinie erstreckt sich auf Bereiche, in denen die Einführung eines Schutzes von Hinweisgebern gerechtfertigt und angesichts der bisher vorliegenden Erkenntnisse geboten scheint. Dieser sachliche Anwendungsbereich kann auf weitere Bereiche oder Rechtsakte der Union ausgeweitet werden, falls sich im Lichte etwaiger neuer Erkenntnisse oder der Ergebnisse einer Evaluierung dieser Richtlinie die Notwendigkeit ergibt, die Durchsetzung dieser Richtlinie zu verstärken. (109) In allen nachfolgenden Rechtsvorschriften mit Relevanz für diese Richtlinie sollte gegebenenfalls angegeben werden, dass diese Richtlinie Anwendung finden wird. Falls notwendig, sollten Artikel 1 und der Anhang geändert werden. (110) Das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Stärkung der Durchsetzung bestimmter Rechtsakte in bestimmten Politikbereichen, in denen Verstöße gegen das Unionsrecht eine ernsthafte Schädigung des öffentlichen Interesses verursachen können, durch einen wirksamen Schutz von Hinweisgebern, kann von den Mitgliedstaaten allein oder ohne Koordinierung nicht ausreichend verwirklicht werden, sondern lässt sich besser durch die Einführung von Mindeststandards für einen einheitlichen Schutz von Hinweisgebern auf Unionsebene erreichen. Außerdem lässt sich nur durch ein Vorgehen auf Unionsebene die Kohärenz und die Vereinheitlichung der geltenden Unionsvorschriften über den Hinweisgeberschutz erreichen. Die Union kann daher im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (111) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, vor allem in Artikel 11, anerkannt wurden. Diese Richtlinie muss folglich im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen umgesetzt werden, indem unter anderem die vollständige Wahrung der Meinungs- und der Informationsfreiheit, des Rechts auf den Schutz personenbezogener Daten, der unternehmerischen Freiheit, des Rechts auf einen hohen Verbraucherschutz, des Rechts auf ein hohes Maß an Schutz der menschlichen Gesundheit, des Rechts auf ein hohes Umweltschutzniveau, des Rechts auf eine gute Verwaltung, des Rechts auf wirksamen Rechtsbehelf und der Rechte der Verteidigung sichergestellt wird. (112) Der Europäische Datenschutzbeauftragte wurde gemäß Artikel 28 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 konsultiert HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

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Kapitel 1 – Anwendungsbereich, Schutzvoraussetzungen und Begriffsbestimmungen Art. 1 [Ziel] Ziel dieser Richtlinie ist eine bessere Durchsetzung des Unionsrechts und der Unionspolitik in bestimmten Bereichen durch die Festlegung gemeinsamer Mindeststandards, die ein hohes Schutzniveau für Personen sicherstellen, die Verstöße melden. Art. 2 [Sachlicher Anwendungsbereich] (1) Durch diese Richtlinie werden gemeinsame Mindeststandards für den Schutz von Personen festgelegt, die folgende Verstöße gegen das Unionsrecht melden: a) Verstöße, die in den Anwendungsbereich der im Anhang (Teile I und II) dieser Richtlinie aufgeführten Rechtsakte der Union fallen, und folgende Bereiche betreffen: i) öffentliches Auftragswesen, ii) Finanzdienstleistungen, Finanzprodukte und Finanzmärkte sowie Verhütung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, iii) Produktsicherheit, iv) Verkehrssicherheit, v) Umweltschutz, vi) Strahlenschutz und kerntechnische Sicherheit, vii) Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz, viii) öffentliche Gesundheit, ix) Verbraucherschutz, x) Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie Sicherheit von Netz- und Informationssystemen; b) Verstöße gegen die finanziellen Interessen der Union im Sinne von Artikel 325 AEUV sowie gemäß den genaueren Definitionen in einschlägigen Unionsmaßnahmen; c) Verstöße gegen die Binnenmarktvorschriften im Sinne von Artikel 26 Absatz 2 AEUV, einschließlich Verstöße gegen Vorschriften über Wettbewerb und staatliche Beihilfen, und gegen die Körperschaftsteuer-Vorschriften und Regelungen gerichtete Verstöße, die darauf abzielen, sich einen steuerlichen Vorteil zu verschaffen, der dem Ziel oder dem Zweck des geltenden Körperschaftsteuerrechts zuwiderläuft. (2) Diese Richtlinie lässt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, den Schutz nach einzelstaatlichem Recht in Bezug auf Bereiche oder Rechtsakte auszudehnen, die nicht unter Absatz 1 fallen. 825

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Art. 3 [Beziehung zu anderen Unionsrechtsakten und nationalen Bestimmungen] (1) Falls die in Teil II des Anhangs aufgeführten sektorspezifischen Rechtsvorschriften der Union spezifische Bestimmungen über die Meldung von Verstößen enthalten, haben diese Geltung. Die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten insoweit, als die betreffende Frage durch diese sektorspezifischen Rechtsvorschriften der Union nicht verbindlich geregelt ist. (2) Diese Richtlinie berührt nicht die Verantwortung der Mitgliedstaaten, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, sowie ihre Befugnis zum Schutz ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen. Diese Richtlinie gilt insbesondere nicht für Meldungen von Verstößen gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte beinhalten, es sei denn, diese fallen unter das einschlägige Unionsrecht. (3) Diese Richtlinie berührt nicht die Anwendung von Unionsrecht oder nationalem Recht in Bezug auf a) den Schutz von Verschlusssachen; b) den Schutz der anwaltlichen und ärztlichen Verschwiegenheitspflichten; c) das richterliche Beratungsgeheimnis; und d) das Strafprozessrecht. (4) Diese Richtlinie berührt nicht die nationalen Vorschriften über die Wahrnehmung des Rechts von Arbeitnehmern, ihre Vertreter oder Gewerkschaften zu konsultieren, und über den Schutz vor ungerechtfertigten nachteiligen Maßnahmen aufgrund einer solchen Konsultation sowie über die Autonomie der Sozialpartner und deren Recht, Tarifverträge einzugehen. Dies gilt unbeschadet des durch diese Richtlinie garantierten Schutzniveaus. Art. 4 [Persönlicher Anwendungsbereich] (1) Diese Richtlinie gilt für Hinweisgeber, die im privaten oder im öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen über Verstöße erlangt haben, und schließt mindestens folgende Personen ein: a) Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 45 Absatz 1 AEUV, einschließlich Beamte; b) Selbstständige im Sinne von Artikel 49 AEUV; c) Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören, einschließlich der nicht geschäftsführenden Mitglieder, sowie Freiwillige und bezahlte oder unbezahlte Praktikanten; d) Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Lieferanten arbeiten. (2) Diese Richtlinie gilt auch für Hinweisgeber, die Information melden oder offenlegen, von denen sie im Rahmen eines inzwischen beendeten Arbeitsverhältnis Kenntnis erlangt haben. 826

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(3) Diese Richtlinie gilt auch für Hinweisgeber, deren Arbeitsverhältnis noch nicht begonnen hat und die während des Einstellungsverfahrens oder anderer vorvertraglicher Verhandlungen Informationen über einen Verstoß erlangt haben. (4) Die Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern gemäß Kapitel IV gelten gegebenenfalls auch für a) Mittler, b) Dritte, die mit den Hinweisgebern in Verbindung stehen und in einem beruflichen Kontext Repressalien erleiden könnten, wie z. B. Kollegen oder Verwandte des Hinweisgebers, und c) juristische Personen, die im Eigentum des Hinweisgebers stehen oder für die der Hinweisgeber arbeitet oder mit denen er in einem beruflichen Kontext anderweitig in Verbindung steht. Art. 5 [Voraussetzungen für den Schutz von Hinweisgebern] (1) Personen, die Informationen über Verstöße in den unter diese Richtlinie fallenden Bereichen melden, haben Anspruch auf Schutz, sofern a) sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen und dass die Informationen in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen; b) sie intern gemäß Artikel 7 und extern gemäß Artikel 10 Meldung erstattet haben oder gemäß Artikel 15 dieser Richtlinie auf direktem Wege extern oder öffentlich Informationen gemeldet haben. (2) Unbeschadet der nach Unionsrecht bestehenden Verpflichtungen in Bezug auf anonyme Meldungen berührt diese Richtlinie nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob juristische Personen des privaten oder öffentlichen Sektors und zuständige Behörden anonyme Meldungen von Verstößen entgegennehmen und diesen nachgehen sollten oder nicht. (3) Personen, die Informationen anonym gemeldet oder öffentlich gemacht haben, anschließend jedoch identifiziert wurden, haben für den Fall, dass sie Repressalien erleiden, dennoch Anspruch auf Schutz, sofern sie die Voraussetzungen gemäß Absatz 1 erfüllen. (4) Hinweisgeber, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Verstöße den zuständigen Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union melden, haben unter den gleichen Bedingungen Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie wie Hinweisgeber, die extern Meldung erstattet haben. Art. 6 [Begriffsbestimmungen] Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 827

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„Verstöße“ Handlungen oder Unterlassungen, i) die rechtswidrig sind und mit den in Artikel 2 und im Anhang genannten Rechtsakten der Union und den dort aufgeführten Bereichen in Zusammenhang stehen, oder ii) die dem Ziel oder dem Zweck der Vorschriften in diesen Unionsrechtsakten und Bereichen zuwiderlaufen; „Informationen über Verstöße“ Informationen oder begründete Verdachtsmomente in Bezug auf tatsächliche oder potenzielle Verstöße und auf Versuche der Verschleierung bereits begangener oder sehr wahrscheinlich erfolgender Verstöße in der Organisation, in der der Hinweisgeber tätig ist oder war, oder in einer anderen Organisation, mit der er aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit im Kontakt steht oder stand; „Meldung“ die Übermittlung von Informationen über Verstöße; „interne Meldung“ die Übermittlung von Informationen über Verstöße innerhalb einer juristischen Person des öffentlichen oder des privaten Rechts; „externe Meldung“ die Übermittlung von Informationen über Verstöße an die zuständigen Behörden; „Offenlegung“ das öffentliche Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße; „Hinweisgeber“ eine natürliche Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt; „Mittler“ eine natürliche Person, die den Hinweisgeber bei dem Meldeverfahren in einem beruflichen Kontext unterstützt; diese Unterstützung sollte vertraulich sein; „beruflicher Kontext“ laufende oder frühere Arbeitstätigkeiten im öffentlichen oder im privaten Sektor, durch die unabhängig von ihrer Art Personen Informationen über Verstöße erlangen können und bei denen sich diese Personen Repressalien ausgesetzt sehen können, wenn sie diese Informationen melden; „betroffene Person“ eine natürliche oder eine juristische Person, die in der Meldung oder in den offengelegten Informationen als eine Person bezeichnet wird, die den Verstoß begangen hat oder an diesem beteiligt ist; „Repressalien“ direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen in einem beruflichen Kontext, die durch die interne oder externe Meldung oder eine Offenlegung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht beziehungsweise entstehen kann; „Folgemaßnahmen“ vom Empfänger der Meldung oder einer zuständigen Behörde ergriffene Maßnahmen zur Prüfung der Stichhaltigkeit der in der Meldung erhobenen Behauptungen und gegebenenfalls zur Abstellung des

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gemeldeten Verstoßes (durch interne Nachforschungen, Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen, Maßnahmen zur (Wieder)einziehung von Mitteln, Verfahrensabschluss usw.); 13. „Rückmeldung“ die Unterrichtung des Hinweisgebers über die aufgrund seiner Meldung geplanten oder bereits ergriffenen Folgemaßnahmen und die Gründe für diese Folgemaßnahmen; 14. „zuständige Behörde“ die nationale Behörde, die befugt ist, Meldungen nach Kapitel III entgegenzunehmen und dem Hinweisgeber Rückmeldung zu geben und/oder als die Behörde benannt wurde, welche die in dieser Richtlinie vorgesehenen Aufgaben — insbesondere in Bezug auf etwaige Folgemaßnahmen zu den eingegangenen Meldungen — erfüllt.

Kapitel 2 – Interne Meldungen und Folgemaßnahmen Art. 7 [Meldung über interne Kanäle] (1) Unbeschadet der Artikel 10 und 15 können Informationen über die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Verstöße grundsätzlich unter Nutzung der internen Kanäle und Verfahren nach Maßgabe dieses Kapitels gemeldet werden. (2) Die Mitgliedstaaten setzen sich dafür ein, dass die Nutzung interner Kanäle der externen Meldung in den Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Repressalien befürchtet. (3) Im Rahmen der Unterrichtung vonseiten juristischer Personen des öffentlichen und privaten Sektors gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe g und vonseiten zuständiger Behörden gemäß Artikel 12 Absatz 4 Buchstabe a und Artikel 13 werden zweckdienliche Informationen über die Nutzung dieser internen Kanäle bereitgestellt. Art. 8 [Pflicht zur Einrichtung interner Kanäle] (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass juristische Personen des privaten und des öffentlichen Sektors — sofern nach einzelstaatlichem Recht vorgesehen nach Rücksprache und im Einvernehmen mit den Sozialpartnern — interne Kanäle und Verfahren für Meldungen und Folgemaßnahmen einrichten. (2) Diese Kanäle und Verfahren müssen den Beschäftigten der juristischen Person die Übermittlung etwaiger Meldungen ermöglichen. Sie können auch den in Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben b, c und d genannten anderen Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeiten mit der juristischen Personen im Kontakt stehen, die Übermittlung von Meldungen ermöglichen. (3) Bei den in Absatz 1 genannten juristischen Personen des privaten Sektors handelt es sich um juristische Personen mit 50 oder mehr Beschäftigten. 829

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(4) Der Schwellenwert gemäß Absatz 3 gilt nicht für juristische Personen, die unter die im Anhang Teil I.B und Teil II genannten Unionsrechtsakte fallen. (5) Meldekanäle können intern von einer hierfür benannten Person oder Dienststelle betrieben oder extern von einem Dritten bereitgestellt werden. Die in Artikel 9 Absatz 1 genannten Garantien und Anforderungen müssen auch von Dritten eingehalten werden, die damit beauftragt sind, den Meldekanal für eine juristische Person des privaten Sektors zu betreiben. (6) Juristische Personen des privaten Sektors mit 50 bis 249 Beschäftigten können für die Zweck der Entgegennahme und Untersuchung von Meldungen Ressourcen teilen. Dies gilt unbeschadet ihrer Verpflichtung, Vertraulichkeit zu wahren, Rückmeldung zu geben und gegen den gemeldeten Verstoß vorzugehen. (7) Nach einer geeigneten Risikobewertung, die der Art der Tätigkeiten der juristischen Personen und dem von ihnen ausgehenden Risiko — insbesondere für die Umwelt und die öffentliche Gesundheit — Rechnung trägt, können die Mitgliedstaaten juristische Personen des privaten Sektors mit weniger als 50 Beschäftigten verpflichten, interne Meldekanäle und verfahren einzurichten. (8) Jeder von einem Mitgliedstaat in Anwendung von Absatz 7 gefasste Beschluss, juristische Personen des privaten Sektors zur Einrichtung interner Meldekanäle zu verpflichten, ist der Kommission zusammen mit einer Begründung und den in der jeweiligen Risikobewertung verwendeten Kriterien mitzuteilen. Die Kommission setzt die anderen Mitgliedstaaten von diesem Beschluss in Kenntnis. (9) Bei den in Absatz 1 genannten juristischen Personen des öffentlichen Sektors handelt es sich um alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts, einschließlich Stellen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen. Die Mitgliedstaaten können von der Verpflichtung nach Absatz 1 Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern oder weniger als 50 Beschäftigten oder sonstige juristische Personen mit weniger als 50 Beschäftigten ausnehmen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass interne Meldekanäle entsprechend dem einzelstaatlichen Recht von Gemeinden geteilt oder von gemeinsamen Behördendiensten betrieben werden, sofern die geteilten internen Kanäle von den externen Kanälen getrennt und autonom sind. Art. 9 [Verfahren für interne Meldungen und Folgemaßnahmen] (1) Die in Artikel 8 genannten Verfahren für Meldungen und Folgemaßnahmen schließen Folgendes ein: a) Meldekanäle, die so sicher konzipiert, eingerichtet und betrieben werden, dass die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter, die in 830

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der Meldung erwähnt werden, gewahrt bleibt und nicht befugten Mitarbeitern der Zugriff auf diese Kanäle verwehrt wird; b) eine innerhalb einer Frist von höchstens sieben Tagen nach Eingang der Meldung an den Hinweisgeber zu richtende Bestätigung dieses Eingangs; c) die Benennung einer unparteiischen Person oder Dienststelle, die für die Folgemaßnahmen zu den Meldungen zuständig ist, wobei es sich um dieselbe Person oder Dienststelle handeln kann, die die Meldungen entgegennimmt und die mit dem Hinweisgeber in Kontakt bleibt, diesen erforderlichenfalls um weitere Informationen ersucht und ihm Rückmeldung gibt; d) ordnungsgemäße Folgemaßnahmen der benannten Person oder Dienststelle zu den Meldungen; e) ordnungsgemäße Folgemaßnahmen in Bezug auf anonyme Meldungen entsprechend dem einzelstaatlichen Recht; f) einen angemessenen zeitlichen Rahmen für die Rückmeldung an den Hinweisgeber über die Folgemaßnahmen zu der Meldung, und zwar von maximal drei Monaten ab der Bestätigung des Eingang der Meldung bzw. — wenn der Eingang nicht bestätigt wurde — nach Ablauf von sieben Tagen nach Eingang der Meldung; g) klare und leicht zugängliche Informationen über die Bedingungen und Verfahren für externe Meldungen an die zuständigen Behörden nach Artikel 10 und gegebenenfalls an Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union. (2) Die Meldekanäle gemäß Absatz 1 Buchstabe a müssen die Übermittlung von Meldungen in folgender Weise ermöglichen: schriftlich und/oder mündlich — per Telefon oder anderer Art der Sprachübermittlung — sowie auf Ersuchen des Hinweisgebers im Wege einer physischen Zusammenkunft innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens.

Kapitel 3 – Externe Meldungen und Folgemaßnahmen Art. 10 [Meldung über externe Kanäle] Unbeschadet des Artikels 15 melden Hinweisgeber Informationen über in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Verstöße unter Nutzung der Kanäle und Verfahren gemäß den Artikeln 11 und 12, nachdem sie die internen Kanäle genutzt haben, oder indem sie den zuständigen Behörden direkt Meldung erstatten. Art. 11 [Pflicht zur Einrichtung externer Meldekanäle und Ergreifung geeigneter Folgemaßnahmen] (1) Die Mitgliedstaaten benennen die zuständigen Behörden, die befugt sind, Meldungen entgegenzunehmen, Rückmeldung dazu 831

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zu geben und entsprechende Folgemaßnahmen zu ergreifen, und statten diese Behörden mit angemessenen Ressourcen aus. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden a) unabhängige und autonome externe Meldekanäle für die Entgegennahme und Bearbeitung der von Hinweisgebern übermittelten Informationen einrichten; b) den Eingang der Meldungen innerhalb von sieben Tagen bestätigen, sofern der Hinweisgeber sich nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen oder die zuständige Behörde Grund zu der Annahme hat, dass die Bestätigung des Eingangs der Meldung den Schutz der Identität des Hinweisgebers beeinträchtigen würde; c) ordnungsgemäße Folgemaßnahmen zu den Meldungen ergreifen; d) Hinweisgebern binnen eines angemessenen Zeitrahmens von maximal drei Monaten (bzw. sechs Monaten in hinreichend begründeten Fällen) Rückmeldung über die zu ihren Meldungen ergriffenen Folgemaßnahmen erstatten. Die zuständigen Behörden teilen dem Hinweisgeber das abschließende Ergebnis der Untersuchungen nach den im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren mit; e) die in der Meldung enthaltenen Informationen rechtzeitig an die jeweils zuständigen Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zur weiteren Untersuchung (sofern diese Möglichkeit nach dem Unionsrecht besteht) weiterleiten. (3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die zuständigen Behörden nach ordnungsgemäßer Prüfung des Sachverhalts beschließen können, dass ein gemeldeter Verstoß eindeutig geringfügig ist und keine weiteren Folgemaßnahmen gemäß dieser Richtlinie erfordert. Dies berührt nicht andere Verpflichtungen oder andere geltende Verfahren betreffend das Vorgehen gegen den gemeldeten Verstoß, oder den durch diese Richtlinie gewährten Schutz in Bezug auf Meldungen über die internen und/oder externen Kanäle. In diesem Fall teilen die zuständigen Behörden dem Hinweisgeber ihren Beschluss und die entsprechenden Gründe mit. (4) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, dass wiederholte Meldungen, die im Vergleich zu einer vorangegangenen und bereits abschließend bearbeiteten Meldung keine neuen zweckdienlichen Informationen beinhalten, keine Folgemaßnahmen erfordern, es sei denn, neue rechtliche oder sachliche Umstände rechtfertigen ein anderes Vorgehen. In diesem Fall teilen die zuständigen Behörden dem Hinweisgeber die Gründe für ihren Beschluss mit. (5) Für den Fall, dass sehr viele Meldungen eingehen, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden Meldungen von schwerwiegenden 832

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Verstößen oder von Verstößen gegen wesentliche in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Bestimmungen vorrangig behandeln können; dies gilt unbeschadet des Zeitrahmens gemäß Absatz 2 Buchstabe b. (6) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Behörden, die eine Meldung erhalten haben, aber nicht befugt sind, gegen den gemeldeten Verstoß vorzugehen, die Meldung innerhalb einer angemessenen Frist sicher an die zuständige Behörde weiterleiten und den Hinweisgeber unverzüglich davon in Kenntnis setzen. Art. 12 [Gestaltung externer Meldekanäle] (1) Externe Meldekanäle gelten als unabhängig und autonom, wenn sie alle folgenden Kriterien erfüllen: a) sie werden so gestaltet, eingerichtet und betrieben, dass die Vollständigkeit, Integrität und Vertraulichkeit der Informationen gewährleistet ist und nicht befugten Mitarbeitern der Zugriff verwehrt wird; b) sie ermöglichen die Speicherung dauerhafter Informationen gemäß Artikel 18, um weitere Untersuchungen zu ermöglichen. (2) Die externen Meldekanäle müssen die Übermittlung von Meldungen in folgender Weise ermöglichen: schriftlich und mündlich — per Telefon oder anderer Art der Sprachübermittlung — und auf Ersuchen des Hinweisgebers im Wege einer physischen Zusammenkunft innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens. (3) Die zuständigen Behörden stellen sicher, dass in Fällen, in denen eine Meldung, die über andere Kanäle als die in den Absätzen 1 und 2 genannten Meldekanäle eingegangen ist oder von anderen als den für die Bearbeitung zuständigen Mitarbeitern entgegengenommen wurde, diese nicht zuständigen Mitarbeiter keine Informationen offenlegen, durch die die Identität des Hinweisgebers oder der betroffenen Person bekannt werden könnte, und die Meldung unverzüglich und unverändert an die für die Bearbeitung von Meldungen zuständigen Mitarbeiter weitergeleitet wird. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden über Mitarbeiter verfügen, die für die Bearbeitung von Meldungen und insbesondere auch für Folgendes zuständig sind: a) Übermittlung von Informationen über die Meldeverfahren an etwaige interessierte Personen; b) Entgegennahme von Meldungen und Ergreifung entsprechender Folgemaßnahmen; c) Aufrechterhaltung des Kontakts zum Hinweisgeber zwecks Erstattung von Rückmeldungen und erforderlichenfalls Anforderung weiterer Informationen. (5) Diese Mitarbeiter werden für die Bearbeitung derartiger Meldungen speziell geschult. 833

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Art. 13 [Informationen über die Entgegennahme von Meldungen und die betreffenden Folgemaßnahmen] Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden in einem gesonderten sowie leicht erkennbaren und zugänglichen Abschnitt ihrer Website mindestens folgende Informationen veröffentlichen: a) die Bedingungen, unter denen Hinweisgeber Anspruch auf Schutz nach Maßgabe dieser Richtlinie haben; b) die Kontaktdaten für die Nutzung der externen Meldekanäle gemäß Artikel 12, insbesondere die E-Mail-Adressen und Postanschriften sowie die Telefonnummern mit der Angabe, ob die Telefongespräche aufgezeichnet werden; c) die geltenden Verfahrensvorschriften für die Meldung von Verstößen, insbesondere die Art und Weise, in der die zuständige Behörde den Hinweisgeber auffordern kann, die gemeldeten Informationen zu präzisieren oder zusätzliche Informationen zu liefern, der Zeitrahmen für die Rückmeldung an den Hinweisgeber sowie Art und Inhalt dieser Rückmeldung; d) die geltende Vertraulichkeitsregelung für Meldungen und insbesondere die Informationen über die Verarbeitung personenbezogener Daten — je nach Anwendbarkeit — gemäß Artikel 17 der vorliegenden Richtlinie, Artikel 5 und 13 der Verordnung (EU) 2016/679, Artikel 13 der Richtlinie (EU) 2016/ 680 oder Artikel 11 der Verordnung (EU) 2018/1725; e) die Art der zu eingehenden Meldungen zu ergreifenden Folgemaßnahmen; f) die verfügbaren Abhilfemöglichkeiten und Verfahren gegen Repressalien sowie Möglichkeiten für eine vertrauliche Beratung von Personen, die in Erwägung ziehen, einen Missstand zu melden; g) eine Erklärung, aus der eindeutig hervorgeht, unter welchen Umständen Personen, die eine Meldung an die zuständige Behörde richten, nicht wegen Verletzung der Geheimhaltungspflicht gemäß Artikel 21 Absatz 4 haftbar gemacht werden können; h) gegebenenfalls die Kontaktdaten der einzigen unabhängigen Verwaltungsbehörde gemäß Artikel 20 Absatz 2. Art. 14 [Überprüfung der Verfahren durch die zuständigen Behörden] Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die zuständigen Behörden ihre Verfahren für die Entgegennahme von und die Folgemaßnahmen zu Meldungen regelmäßig und mindestens alle drei Jahre überprüfen. Bei dieser Überprüfung tragen die zuständigen Behörden den Erfahrungen Rechnung, die sie und andere zuständige Behörden gesammelt haben, und passen ihre Verfahren entsprechend an. 834

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Kapitel 4 – Offenlegung Art. 15 [Offenlegung] (1) Ein Hinweisgeber, der Informationen über unter diese Richtlinie fallende Verstöße offenlegt, hat Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist: a) Er hat zunächst intern und extern oder auf direktem Weg extern gemäß den Kapiteln II und III Meldung erstattet, aber zu seiner Meldung wurden innerhalb des Zeitrahmens gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe f und Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe d keine geeigneten Maßnahmen ergriffen; oder b) er hat hinreichenden Grund zu der Annahme dass, i) der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, so z. B. in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schadens; oder ii) im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder aufgrund der besonderen Umstände des Falls geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird, weil beispielsweise Beweismittel unterschlagen oder vernichtet werden könnten oder weil zwischen einer Behörde und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen oder die Behörde an dem Verstoß beteiligt ist. (2) Dieser Artikel gilt nicht in Fällen, in denen eine Person aufgrund spezifischer nationaler Bestimmungen, mit denen ein System zum Schutz der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit eingerichtet wurde, Informationen unmittelbar an die Presse weitergibt.

Kapitel 5 – Vorschriften für interne und externe Meldungen Art. 16 [Vertraulichkeitsgebot] (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Identität des Hinweisgebers ohne dessen ausdrückliche Zustimmung keinen anderen Personen gegenüber offengelegt wird als den befugten Mitarbeitern, die für die Entgegennahme von und/oder Folgemaßnahmen zu Meldungen zuständig sind. Dies gilt auch für alle anderen Informationen, aus denen die Identität des Hinweisgebers direkt oder indirekt abgeleitet werden kann. (2) Abweichend von Absatz 1 dürfen die Identität des Hinweisgebers sowie weitere in Absatz 1 genannte Informationen nur dann offengelegt werden, wenn dies nach Unionsrecht oder nationalem Recht eine notwendige und verhältnismäßige Pflicht im Rahmen der Untersuchungen durch nationale Behörden oder von Gerichtsverfahren darstellt, so auch im Hinblick auf die Wahrung der Verteidigungsrechte der betroffenen Person. 835

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(3) Diese Offenlegung unterliegt angemessenen Garantien nach den geltenden Vorschriften. Insbesondere wird der Hinweisgeber unterrichtet, bevor seine Identität offengelegt wird, es sei denn, diese Unterrichtung würde die Untersuchungen oder Gerichtsverfahren gefährden. Im Rahmen der Unterrichtung des Hinweisgebers übermittelt die zuständige Behörde diesem eine schriftliche Begründung für die Offenlegung der betreffenden vertraulichen Daten. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zuständige Behörden, denen Meldungen zugehen, die Geschäftsgeheimnisse beinhalten, diese nicht für Zwecke benutzen oder offenlegen, die über das für ordnungsgemäße Folgemaßnahmen zu den Meldungen erforderliche Maß hinausgehen Art. 17 [Verarbeitung personenbezogener Daten] Die nach dieser Richtlinie vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten einschließlich des Austauschs oder der Übermittlung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden, sollte im Einklang mit der Verordnung (EU) 2016/679 und der Richtlinie (EU) 2016/680 erfolgen. Der Austausch oder die Übermittlung von Informationen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union erfolgt im Einklang mit der Verordnung (EU) 2018/1725. Personenbezogene Daten, die für die Bearbeitung eines spezifischen Falls offensichtlich nicht relevant sind, werden nicht erhoben bzw. unverzüglich wieder gelöscht, falls sich unbeabsichtigt erhoben wurden. Art. 18 [Dokumentation der Meldungen] (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden sowie die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors alle eingehenden Meldungen im Einklang mit den Vertraulichkeitspflichten gemäß Artikel 16 dieser Richtlinie dokumentieren. Die Meldungen werden nicht länger aufbewahrt, als dies im Hinblick auf die Verpflichtungen der zuständigen Behörden sowie der juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors nach Maßgabe dieser Richtlinie erforderlich und verhältnismäßig ist. (2) Bei telefonisch oder auf andere Art der Sprachübermittlung erfolgten Meldungen, die aufgezeichnet werden, können die zuständigen Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors vorbehaltlich der Zustimmung des Hinweisgebers die mündliche Meldung auf eine der folgenden Weisen dokumentieren: a) Tonaufzeichnung des Gesprächs in dauerhafter und abrufbarer Form; b) vollständige und genaue Transkription des Gesprächs durch die für die Bearbeitung der Meldungen verantwortlichen Mitarbeiter der zuständigen Behörde. Die zuständigen Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors geben dem Hinweisgeber Gelegenheit, die Transkription 836

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zu überprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren und durch seine Unterschrift zu bestätigen. (3) Bei telefonisch oder auf andere Art der Sprachübermittlung erfolgten Meldungen, die nicht aufgezeichnet werden, können die zuständigen Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors die mündliche Meldung mittels eines genauen, von den für die Bearbeitung der Meldungen verantwortlichen Mitarbeitern erstellten Gesprächsprotokolls dokumentieren. Die zuständigen Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors geben dem Hinweisgeber die Möglichkeit, das Gesprächsprotokoll zu überprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren und durch seine Unterschrift zu bestätigen. (4) Bittet ein Hinweisgeber um eine Zusammenkunft gemäß Artikel 9 Absatz 2 und Artikel 12 Absatz 2 mit den Mitarbeitern der zuständigen Behörden oder den juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors, um einen Verstoß zu melden, so sorgen die zuständigen Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors vorbehaltlich der Zustimmung des Hinweisgebers dafür, dass vollständige und genaue Aufzeichnungen über die Zusammenkunft in dauerhafter und abrufbarer Form aufbewahrt werden. Die zuständigen Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors sind berechtigt, die Zusammenkunft auf eine der folgenden Weisen zu dokumentieren: a) Tonaufzeichnung des Gesprächs in dauerhafter und abrufbarer Form, b) von den für die Bearbeitung der Meldung verantwortlichen Mitarbeitern der zuständigen Behörde erstelltes detailliertes Protokoll der Zusammenkunft. Die zuständigen Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors geben dem Hinweisgeber die Möglichkeit, das Protokoll der Zusammenkunft zu überprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren und durch seine Unterschrift zu bestätigen.

Kapitel 6 -Schutzmaßnahmen Art. 19 [Verbot von Repressalien] Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um jede Form von Repressalien, einschließlich der Androhung und des Versuchs von Repressalien, direkter oder indirekter Art zu untersagen; dies schließt insbesondere folgende Repressalien ein: a) Suspendierung, Entlassung oder vergleichbare Maßnahmen; b) Herabstufung oder Versagung einer Beförderung; c) Aufgabenverlagerung, Verlagerung des Arbeitsplatzes, Gehaltsminderung, Änderung der Arbeitszeiten; 837

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d) Versagung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen; e) negative Leistungsbeurteilung oder Ausstellung eines schlechten Arbeitszeugnisses; f) disziplinarischer Verweis, Rüge oder sonstige Sanktion (auch finanzieller Art); g) Nötigung, Einschüchterung, Mobbing oder Ausgrenzung; h) Diskriminierung, Benachteiligung oder Ungleichbehandlung; i) Nichtumwandlung eines Zeitarbeitsvertrags in einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Fällen, in denen der/die Bedienstete zu Recht erwarten durfte, eine unbefristete Stelle angeboten zu bekommen; j) Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines Zeitarbeitsvertrags; k) Schädigung (einschließlich Rufschädigung), insbesondere in den sozialen Medien, oder Herbeiführung finanzieller Verluste (einschließlich Auftragsoder Einnahmenverluste); l) Erfassung des Hinweisgebers auf einer schwarzen Liste auf Basis einer informellen oder formellen sektor- oder branchenspezifischen Vereinbarung mit der Folge, dass der Hinweisgeber sektor- oder branchenweit keine Beschäftigung mehr findet; m) vorzeitige Kündigung oder Aufhebung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen; n) Entzug einer Lizenz oder einer Genehmigung; o) psychiatrische oder ärztliche Überweisungen. Art. 20 [Unterstützungsmaßnahmen] (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in Artikel 4 genannten Personen gegebenenfalls Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen haben, wozu insbesondere Folgendes gehört: i) einfacher und kostenloser Zugang der Öffentlichkeit zu umfassender und unabhängiger Information und Beratung über die verfügbaren Abhilfemöglichkeiten und Verfahren gegen Repressalien und die Rechte der betroffenen Person; ii) Zugang zu wirksamer Unterstützung vonseiten der zuständigen Behörden beim Kontakt mit etwaigen für den Schutz vor Repressalien zuständigen Behörden einschließlich — sofern nach nationalem Recht vorgesehen — einer Bescheinigung, dass die Voraussetzungen für einen Schutz gemäß dieser Richtlinie erfüllt sind; iii) Zugang zu Prozesskostenhilfe in Strafverfahren und in grenzüberschreitenden Zivilverfahren gemäß der Richtlinie (EU) 2016/1919 und der Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und Zugang zu Prozesskostenhilfe in weiteren Verfahren sowie zu Rechtsberatung und anderer Rechtsbetreuung nach einzelstaatlichem Recht. 838

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(2) Die Mitgliedstaaten können im Rahmen gerichtlicher Verfahren Finanzhilfe und Unterstützung, einschließlich psychologischer Betreuung, für Hinweisgeber bereitstellen. (3) Die Unterstützungsmaßnahmen nach diesem Artikel können gegebenenfalls von einem Informationszentrum oder einer einzigen, eindeutig benannten unabhängigen Verwaltungsbehörde bereitgestellt werden. Art. 21 [Maßnahmen zum Schutz vor Repressalien] (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um Hinweisgeber, die die in Artikel 5 genannten Bedingungen erfüllen, vor Repressalien zu schützen. Dabei handelt es sich insbesondere um die in den Absätzen 2 bis 8 genannten Maßnahmen. (2) Unbeschadet des Artikels 3 Absätze 2 und 3 gelten Hinweisgeber, die nach dieser Richtlinie eine Meldung erstatten oder Informationen offenlegen, nicht als Personen, die eine Offenlegungsbeschränkung verletzt haben, und sie können für diese Meldung oder Offenlegung in keiner Weise haftbar gemacht werden, sofern sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die Meldung oder Offenlegung der Informationen notwendig war, um einen Verstoß gemäß dieser Richtlinie aufzudecken. (3) Hinweisgeber können nicht für die Beschaffung der oder den Zugang zu den betreffenden Informationen haftbar gemacht werden, sofern die Beschaffung oder der Zugang nicht als solche eine eigenständige Straftat dargestellt haben. In letzterem Fall unterliegt die strafrechtliche Haftung weiterhin dem einzelstaatlichen Recht. (4) Jede weitere mögliche Haftung des Hinweisgebers aufgrund von Handlungen oder Unterlassungen, die nicht mit der Meldung in Zusammenhang stehen oder für die Aufdeckung eines Verstoßes nach dieser Richtlinie nicht erforderlich sind, unterliegt weiterhin dem geltenden Unionsrechts oder nationalem Recht. (5) In Verfahren vor einem Gericht oder einer anderen Behörde, die sich auf eine vom Hinweisgeber erlittene Benachteiligung beziehen und in denen der Hinweisgeber geltend macht, diese Benachteiligung infolge seiner Meldung oder Offenlegung erlitten zu haben, wird davon ausgegangen, dass die Benachteiligung eine Vergeltungsmaßnahme für die Meldung oder Offenlegung war. In diesen Fällen obliegt es der Person, die die Benachteiligung veranlasst hat, nachzuweisen, dass diese Maßnahme auf hinreichenden sonstigen Gründen basierte. (6) Hinweisgeber und Mittler erhalten Zugang zu geeigneten Abhilfemaßnahmen gegen Repressalien einschließlich einstweiligen Rechtsschutzes während laufender Gerichtsverfahren nach Maßgabe des nationalen Rechts. (7) In Gerichtsverfahren (einschließlich privatrechtlicher, öffentlich-rechtlicher oder arbeitsrechtlicher Gerichtsverfahren wegen Verleumdung, Verletzung des 839

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Urheberrechts, Verletzung der Geheimhaltungspflicht, Verstoßes gegen Datenschutzvorschriften, Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen sowie Schadensersatzverfahren) können Hinweisgeber für eine Meldung oder Offenlegung im Einklang mit dieser Richtlinie in keiner Weise haftbar gemacht werden und haben das Recht, unter Verweis auf die betreffende Meldung oder Offenlegung die Abweisung der Klage zu beantragen, sofern sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die Meldung oder Offenlegung notwendig war, um einen Verstoß gemäß dieser Richtlinie aufzudecken. Bei der Meldung oder Offenlegung von Informationen über in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Verstöße, die Geschäftsgeheimnisse beinhalten und die Bedingungen dieser Richtlinie erfüllen, gilt diese Meldung oder Offenlegung als rechtmäßig im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie (EU) 2016/943. (8) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um nach einzelstaatlichem Recht Rechtsbehelfe und eine vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Schadens für Hinweisgeber sicherzustellen, die die Bedingungen des Artikels 5 erfüllen. Art. 22 [Maßnahmen zum Schutz betroffener Personen] (1) Die Mitgliedstaaten stellen gemäß der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sicher, dass betroffene Personen ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein faires Gerichtsverfahren und die Wahrung der Unschuldsvermutung sowie ihre Verteidigungsrechte, einschließlich des Rechts auf Anhörung und des Rechts auf Einsicht in ihre Akte, in vollem Umfang ausüben können. (2) Die zuständigen Behörden stellen sicher, dass die Identität der betroffenen Personen während der Dauer der Untersuchung gemäß einzelstaatlichem Recht geschützt bleibt. (3) Die in den Artikeln 12, 17 und 18 festgelegten Verfahren gelten auch für den Schutz der Identität der betroffenen Personen Art. 23 [Sanktionen] (1) Die Mitgliedstaaten legen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für natürliche oder juristische Personen fest, die a) Meldungen behindern oder zu behindern versuchen; b) Repressalien gegen die in Artikel 4 genannten Personen ergreifen; c) mutwillige Gerichtsverfahren gegen die in Artikel 4 genannten Personen anstrengen; d) gegen die Pflicht gemäß Artikel 16 verstoßen, die Vertraulichkeit der Identität von Hinweisgebern zu wahren. (2) Die Mitgliedstaaten legen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für Personen fest, denen nachgewiesen wird, dass sie wissentlich falsche Meldungen oder Offenlegungen vorgenommen haben. Die Mitgliedstaaten se840

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hen auch Maßnahmen nach einzelstaatlichem Recht zur Wiedergutmachung von Schäden vor, die durch diese Meldungen oder Offenlegungen entstanden sind. Art. 24 [Keine Aufhebung von Rechten und Rechtsmitteln] Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte und Rechtsmittel nicht aufgrund einer Beschäftigungsvereinbarung, -bestimmung, -art oder -bedingung, einschließlich einer Vorab-Schiedsvereinbarung, aufgehoben oder eingeschränkt werden.

Kapitel 7 -Schlussbestimmungen Art. 25 [Günstigere Behandlung und Regressionsverbot] (1) Die Mitgliedstaaten können unbeschadet von Artikel 22 und Artikel 23 Absatz 2 für die Rechte von Hinweisgebern günstigere Bestimmungen als jene in dieser Richtlinie einführen oder beibehalten. (2) Die Umsetzung dieser Richtlinie darf unter keinen Umständen als Rechtfertigung dafür dienen, das von den Mitgliedstaaten bereits garantierte Schutzniveau in den von der Richtlinie erfassten Bereichen abzusenken Art. 26 [Umsetzung und Übergangszeitraum] (1) Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum ... [zwei Jahre nach der Annahme] nachzukommen. (2) Abweichend von Absatz 1 setzen die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um der Verpflichtung nach Artikel 8 Absatz 3, einen internen Kanal einzurichten, hinsichtlich juristischer Personen mit mehr als 50 und weniger als 250 Beschäftigten bis zum ... [zwei Jahre nach der Umsetzung] nachzukommen. (3) Bei Erlass der Vorschriften gemäß den Absätzen 1 und 2 nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit. Art. 27–29 Berichterstattung, Bewertung und Überprüfung; Inkrafttreten; Adressaten — nicht abgedruckt Anhang (nicht abgedruckt)

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3.6 Arbeitsschutzrahmen-RL 89/391

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DER RAT DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 118 a, auf Vorschlag der Kommission,1 erstellt nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament,2 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,3 in Erwägung nachstehender Gründe: [1] Artikel 118 a des Vertrages sieht vor, daß der Rat durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegt, die die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt fördern, um die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer verstärkt zu schützen. [2] Durch diese Richtlinie kann keine mögliche Einschränkung des bereits in den einzelnen Mitgliedstaaten erzielten Schutzes gerechtfertigt werden; die Mitgliedstaaten haben sich gemäß dem Vertrag verpflichtet, die bestehenden Bedingungen in diesem Bereich zu verbessern und sich eine Harmonisierung bei gleichzeitigem Fortschritt zum Ziel gesetzt. [3] Es ist erwiesen, daß Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz und während ihres gesamten Arbeitslebens gefährlichen Umgebungsfaktoren ausgesetzt sein können. [4] Gemäß Artikel 118 a des Vertrages wird in den Richtlinien auf verwaltungsmäßige, finanzielle oder rechtliche Auflagen, die der Gründung und Entwicklung von Klein- und Mittelbetrieben entgegenstehen könnten, verzichtet. [5] Die Mitteilung der Kommission über ihr Aktionsprogramm für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz4 sieht die Verabschiedung von Richtlinien vor, die die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleisten sollen. [6] In seiner Entschließung vom 21. Dezember 1987 in bezug auf Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz5 nimmt der Rat die Absicht der Kommission zur Kenntnis, ihm binnen kurzem eine Richtlinie über die Organisation der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz vorzulegen. [7] Im Februar 1988 hat das Europäische Parlament im Anschluß an die Aussprache über den Binnenmarkt und den Arbeitsschutz vier Entschließungen angenommen. In diesen Entschließungen fordert das Parlament die Kommission insbesondere auf, eine Rahmenrichtlinie auszuarbeiten, die als Grundlage für Einzelrichtlinien dienen kann, die alle Risiken betreffend den Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz abdecken.

* Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, ABl. 1989 L 183/1. 1 ABl. Nr. C 141 vom 30. 5. 1988, S. 1. 2 ABl. Nr. C 326 vom 19. 12. 1988, S. 102, und ABl. Nr. C 158 vom 26. 6. 1989. 3 ABl. Nr. C 175 vom 4. 7. 1988, S. 22. 4 ABl. Nr. C 28 vom 3. 2. 1988, S. 3. 5 ABl. Nr. C 28 vom 3. 2. 1988, S. 1. https://doi.org/10.1515/9783110667776-034

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3.6

[8] Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, in ihrem Gebiet die Sicherheit und den Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern zu verbessern. Maßnahmen betreffend Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz tragen in manchen Fällen auch zum Schutz der Gesundheit und gegebenenfalls zur Sicherheit der in ihrem Haushalt lebenden Personen bei. [9] Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz sind sehr unterschiedlich und sollten verbessert werden. Die einschlägigen einzelstaatlichen Bestimmungen, die weitgehend durch technische Vorschriften bzw. freiwillig eingeführte Normen ergänzt werden, können zu einem unterschiedlichen Grad der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes führen und eine Konkurrenz entstehen lassen, die zu Lasten der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes geht. [10] Es sind nach wie vor zu viele Arbeitsunfälle und berufsbedingte Erkrankungen zu beklagen. Für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer müssen daher unverzüglich vorbeugende Maßnahmen ergriffen bzw. bestehende Maßnahmen verbessert werden, um einen wirksameren Schutz sicherzustellen. [11] Um einen besseren Schutz zu gewährleisten, ist es erforderlich, daß die Arbeitnehmer bzw. ihre Vertreter über die Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit und die erforderlichen Maßnahmen zur Verringerung oder Ausschaltung dieser Gefahren informiert werden. Es ist ferner unerläßlich, daß sie in die Lage versetzt werden, durch eine angemessene Mitwirkung entsprechend den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken zu überprüfen und zu gewährleisten, daß die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen werden. [12] Es ist erforderlich, die Unterrichtung, den Dialog und die ausgewogene Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern bzw. ihren Vertretern durch geeignete Verfahren und Instrumente entsprechend den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken auszuweiten. [13] Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen. [14] Die Arbeitgeber sind verpflichtet, sich unter Berücksichtigung der in ihrem Unternehmen bestehenden Risiken über den neuesten Stand der Technik und der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Gestaltung von Arbeitsplätzen zu informieren und diese Kenntnisse an die Arbeitnehmervertreter, die im Rahmen dieser Richtlinie Mitbestimmungsrechte ausüben, weiterzugeben, um eine bessere Sicherheit und einen besseren Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleisten zu können. [15] Die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten für alle Gefahren, unter anderem diejenigen, die sich aus der Verwendung der in der Richtlinie 80/1107/EWG,6 zuletzt geändert durch die Richtlinie 88/642/EWG,7 genannten chemischen, physikalischen und biologischen Arbeitsstoffe bei der Arbeit ergeben, und zwar unbeschadet bereits geltender oder künftiger strengerer gemeinschaftlicher Bestimmungen. [16] Der durch den Beschluß 74/325/EWG8 eingesetzte Beratende Ausschuß für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz wird im Hinblick auf die Ausarbeitung von Vorschlägen auf diesem Gebiet von der Kommission gehört.

6 ABl. Nr. L 327 vom 3. 12. 1980, S. 8. 7 ABl. Nr. L 356 vom 24. 12. 1988, S. 74. 8 ABl. Nr. L 185 vom 9. 7. 1974, S. 15.

843

3.6

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[17] Es ist angebracht, einen Ausschuß einzusetzen, dessen Mitglieder von den Mitgliedstaaten benannt werden und dessen Aufgabe es ist, die Kommission bei den in der Richtlinie vorgesehenen technischen Anpassungen zu unterstützen — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Abschnitt I − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Ziel der Richtlinie (1) Ziel dieser Richtlinie ist die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz. (2) Sie enthält zu diesem Zweck allgemeine Grundsätze für die Verhütung berufsbedingter Gefahren, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz, die Ausschaltung von Risiko- und Unfallfaktoren, die Information, die Anhörung, die ausgewogene Beteiligung nach den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken, die Unterweisung der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter sowie allgemeine Regeln für die Durchführung dieser Grundsätze. (3) Diese Richtlinie berührt nicht bereits geltende oder künftige nationale und gemeinschaftliche Bestimmungen, die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz günstiger sind. Art. 2 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische, verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und Freizeittätigkeiten usw.). (2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen. In diesen Fällen ist dafür Sorge zu tragen, daß unter Berücksichtigung der Ziele dieser Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist. Art. 3 Definitionen Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt als: a) Arbeitnehmer: jede Person, die von einem Arbeitgeber beschäftigt wird, einschließlich Praktikanten und Lehrlingen, jedoch mit Ausnahme von Hausangestellten; b) Arbeitgeber: jede natürliche oder juristische Person, die als Vertragspartei des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer die Verantwortung für das Unternehmen bzw. den Betrieb trägt; 844

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3.6

c) Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer: jede Person, die gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken gewählt, ausgewählt oder benannt wurde, um die Arbeitnehmer in Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit zu vertreten; d) Gefahrenverhütung: sämtliche Bestimmungen oder Maßnahmen, die in einem Unternehmen auf allen Tätigkeitsstufen zur Vermeidung oder Verringerung berufsbedingter Gefahren eingeleitet oder vorgesehen werden. Art. 4 (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, um zu gewährleisten, daß die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Arbeitnehmervertreter den für die Anwendung dieser Richtlinie erforderlichen Rechtsvorschriften unterliegen. (2) Die Mitgliedstaten tragen insbesondere für eine angemessene Kontrolle und Überwachung Sorge.

Abschnitt II − Pflichten des Arbeitgebers Art. 5 Allgemeine Vorschrift (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen. (2) Zieht ein Arbeitgeber in Anwendung von Artikel 7 Absatz 3 außerbetriebliche Fachleute (Personen oder Dienste) hinzu, so enthebt ihn dies nicht seiner diesbezüglichen Verantwortung. (3) Die Pflichten der Arbeitnehmer in Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz berühren nicht den Grundsatz der Verantwortung des Arbeitgebers. (4) Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, den Ausschluß oder die Einschränkung der Verantwortung des Arbeitgebers bei Vorkommnissen vorzusehen, die auf nicht von diesem zu vertretende anormale und unvorhersehbare Umstände oder auf außergewöhnliche Ereignisse zurückzuführen sind, deren Folgen trotz aller Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, von der in Unterabsatz 1 genannten Möglichkeit Gebrauch zu machen. Art. 6 Allgemeine Pflichten des Arbeitgebers (1) Im Rahmen seiner Verpflichtungen trifft der Arbeitgeber die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Maßnahmen 845

3.6

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zur Verhütung berufsbedingter Gefahren, zur Information und zur Unterweisung sowie der Bereitstellung einer geeigneten Organisation und der erforderlichen Mittel. Der Arbeitgeber muß darauf achten, daß diese Maßnahmen entsprechend den sich ändernden Gegebenheiten angepaßt werden, und er muß eine Verbesserung der bestehenden Arbeitsbedingungen anstreben. (2) Der Arbeitgeber setzt die Maßnahmen nach Absatz 1 Unterabsatz 1 ausgehend von folgenden allgemeinen Grundsätzen der Gefahrenverhütung um: a) Vermeidung von Risiken; b) Abschätzung nichtvermeidbarer Risiken; c) Gefahrenbekämpfung an der Quelle; d) Berücksichtigung des Faktors „Mensch“ bei der Arbeit, insbesondere bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie bei der Auswahl von Arbeitsmitteln und Arbeits- und Fertigungsverfahren, vor allem im Hinblick auf eine Erleichterung bei eintöniger Arbeit und bei maschinenbestimmtem Arbeitsrhythmus sowie auf eine Abschwächung ihrer gesundheitsschädigenden Auswirkungen; e) Berücksichtigung des Stands der Technik; f) Ausschaltung oder Verringerung von Gefahrenmomenten; g) Planung der Gefahrenverhütung mit dem Ziel einer kohärenten Verknüpfung von Technik, Arbeitsorganisation, Arbeitsbedingungen, sozialen Beziehungen und Einfluß der Umwelt auf den Arbeitsplatz; h) Vorrang des kollektiven Gefahrenschutzes vor individuellem Gefahrenschutz; i) Erteilung geeigneter Anweisungen an die Arbeitnehmer. (3) Unbeschadet der anderen Bestimmungen dieser Richtlinie hat der Arbeitgeber je nach Art der Tätigkeiten des Unternehmens bzw. Betriebs folgende Verpflichtungen: a) Beurteilung von Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer, unter anderem bei der Auswahl von Arbeitsmitteln, chemischen Stoffen oder Zubereitungen und bei der Gestaltung der Arbeitsplätze. Die vom Arbeitgeber aufgrund dieser Beurteilung getroffenen Maßnahmen zur Gefahrenverhütung sowie die von ihm angewendeten Arbeits- und Produktionsverfahren müssen erforderlichenfalls — einen höheren Grad an Sicherheit und einen besseren Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleisten; — in alle Tätigkeiten des Unternehmens bzw. des Betriebes und auf allen Führungsebenen einbezogen werden; b) bei Übertragung von Aufgaben an einen Arbeitnehmer Berücksichtigung der Eignung dieses Arbeitnehmers in bezug auf Sicherheit und Gesundheit; 846

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3.6

c) bei der Planung und Einführung neuer Technologien sind die Arbeitnehmer bzw. ihre Vertreter zu den Auswirkungen zu hören, die die Auswahl der Arbeitsmittel, die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und die Einwirkung der Umwelt auf den Arbeitsplatz für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer haben; d) es ist durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, daß nur die Arbeitnehmer, die ausreichende Anweisungen erhalten haben, Zugang zu den Bereichen mit ernsten und spezifischen Gefahren haben. (4) Unbeschadet der übrigen Bestimmungen dieser Richtlinie müssen die Arbeitgeber für den Fall, daß an einem Arbeitsplatz Arbeitnehmer mehrerer Unternehmen anwesend sind, bei der Durchführung der Sicherheits-, Hygiene- und Gesundheitsschutzbestimmungen zusammenarbeiten, je nach Art der Tätigkeiten beim Gefahrenschutz und bei der Verhütung berufsbedingter Gefahren ihre Tätigkeiten koordinieren und sich gegenseitig sowie ihre jeweiligen Arbeitnehmer bzw. deren Vertreter über diese Gefahren informieren. (5) Die Kosten für die Sicherheits-, Hygiene- und Gesundheitsschutzmaßnahmen dürfen auf keinen Fall zu Lasten der Arbeitnehmer gehen. Art. 7 Mit Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung beauftragte Dienste (1) Unbeschadet seiner Pflichten nach den Artikeln 5 und 6 benennt der Arbeitgeber einen oder mehrere Arbeitnehmer, die er mit Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren im Unternehmen bzw. im Betrieb beauftragt. (2) Den benannten Arbeitnehmern dürfen durch ihre Schutztätigkeiten und ihre Tätigkeiten zur Verhütung berufsbedingter Gefahren keine Nachteile entstehen. Die benannten Arbeitnehmer müssen, um den sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen nachkommen zu können, über die entsprechende Zeit verfügen. (3) Reichen die Möglichkeiten im Unternehmen bzw. im Betrieb nicht aus, um die Organisation dieser Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung durchzuführen, so muß der Arbeitgeber außerbetriebliche Fachleute (Personen oder Dienste) hinzuziehen. (4) Zieht der Arbeitgeber außerbetriebliche Fachleute hinzu, so hat er die betreffenden Personen oder Dienste über diejenigen Faktoren zu unterrichten, von denen bekannt ist oder vermutet wird, daß sie Auswirkungen auf die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer haben, und ihnen Zugang zu den in Artikel 10 Absatz 2 genannten Informationen zu verschaffen. (5) In allen Fällen gilt: — die benannten Arbeitnehmer müssen über die erforderlichen Fähigkeiten und Mittel verfügen, 847

3.6

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— die hinzugezogenen außerbetrieblichen Personen oder Dienste müssen über die erforderliche Eignung sowie die erforderlichen personellen und berufsspezifischen Mittel verfügen und — die benannten Arbeitnehmer und die hinzugezogenen außerbetrieblichen Personen oder Dienste müssen über eine ausreichende Personalausstattung verfügen, so daß sie die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung übernehmen können, wobei die Größe des Unternehmens bzw. des Betriebs und/ oder der Grad der Gefahren, denen die Arbeitnehmer ausgesetzt sind, sowie deren Lokalisierung innerhalb des gesamten Unternehmens bzw. des Betriebs zu berücksichtigen sind. (6) Der Schutz und die Verhütung von Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit, die Gegenstand dieses Artikels sind, werden von einem oder mehreren Arbeitnehmern bzw. von einem einzigen oder von verschiedenen Diensten gewährleistet, der/die zu dem Unternehmen bzw. Betrieb gehört/gehören oder von außen hinzugezogen wird/werden. Der oder die Arbeitnehmer bzw. der Dienst oder die Dienste müssen erforderlichenfalls zusammenarbeiten. (7) Die Mitgliedstaaten können unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Größe der Unternehmen die Unternehmenssparten festlegen, in denen der Arbeitgeber die in Absatz 1 genannten Aufgaben selbst übernehmen kann, sofern er die erforderlichen Fähigkeiten besitzt. (8) Die Mitgliedstaaten legen fest, welche Fähigkeiten und Eignungen im Sinne von Absatz 5 erforderlich sind. Sie können festlegen, welche Personalausstattung im Sinne von Absatz 5 ausreichend ist. Art. 8 Erste Hilfe, Brandbekämpfung, Evakuierung der Arbeitnehmer, ernste und unmittelbare Gefahren (1) Der Arbeitgeber muß — die der Art der Tätigkeiten und der Größe des Unternehmens bzw. Betriebs angepaßten Maßnahmen treffen, die zur Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Arbeitnehmer erforderlich sind, wobei der Anwesenheit anderer Personen Rechnung zu tragen ist, und — die erforderlichen Verbindungen zu außerbetrieblichen Stellen, insbesondere im Bereich der Ersten Hilfe, der medizinischen Notversorgung, der Bergung und der Brandbekämpfung organisieren. (2) In Anwendung von Absatz 1 muß der Arbeitgeber insbesondere diejenigen Arbeitnehmer benennen, die für Erste Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Arbeitnehmer zuständig sind. Diese Arbeitnehmer müssen, unter Berücksichtigung der Größe bzw. der in diesem Unternehmen bzw. Betrieb bestehenden spezifischen Gefahren, entspre848

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3.6

chend ausgebildet und zahlenmäßig stark genug sein sowie über die erforderliche Ausrüstung verfügen. (3) Der Arbeitgeber a) muß alle Arbeitnehmer, die einer ernsten und unmittelbaren Gefahr ausgesetzt sind oder sein können, möglichst frühzeitig über diese Gefahr und die getroffenen oder zu treffenden Schutzmaßnahmen unterrichten; b) muß Maßnahmen treffen und Anweisungen erteilen, um den Arbeitnehmern bei ernster, unmittelbarer und nicht vermeidbarer Gefahr zu ermöglichen, ihre Tätigkeit einzustellen bzw. sich durch sofortiges Verlassen des Arbeitsplatzes in Sicherheit zu bringen; c) darf außer in begründeten Ausnahmefällen die Arbeitnehmer nicht auffordern, ihre Tätigkeit in einer Arbeitssituation wieder aufzunehmen, in der eine ernste und unmittelbare Gefahr fortbesteht. (4) Einem Arbeitnehmer, der bei ernster, unmittelbarer und nicht vermeidbarer Gefahr seinen Arbeitsplatz bzw. einen gefährlichen Bereich verläßt, dürfen dadurch keine Nachteile entstehen, und er muß gegen alle nachteiligen und ungerechtfertigten Folgen entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken geschützt werden. (5) Der Arbeitgeber trägt dafür Sorge, daß jeder Arbeitnehmer, wenn er den zuständigen Vorgesetzten nicht erreichen kann, in der Lage ist, bei ernster und unmittelbarer Gefahr für die eigene Sicherheit bzw. die Sicherheit anderer Personen unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und technischen Mittel die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Folgen einer solchen Gefahr zu vermeiden. Aus seinem Handeln dürfen ihm keine Nachteile entstehen, es sei denn, er hat unüberlegt oder grob fahrlässig gehandelt. Art. 9 Sonstige Pflichten des Arbeitgebers (1) Der Arbeitgeber muß a) über eine Evaluierung der am Arbeitsplatz bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit auch hinsichtlich der besonders gefährdeten Arbeitnehmergruppen verfügen; b) die durchzuführenden Schutzmaßnahmen und, falls notwendig, die zu verwendenden Schutzmittel festlegen; c) eine Liste der Arbeitsunfälle, die einen Arbeitsunfall von mehr als drei Arbeitstagen für den Arbeitnehmer zur Folge hatten, führen; d) für die zuständige Behörde im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken Berichte über die Arbeitsunfälle ausarbeiten, die die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer erlitten haben. (2) Die Mitgliedstaaten legen unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Größe der Unternehmen die Pflichten der verschiedenen Unternehmenskategorien betreffend die Erstellung der in Absatz 1 Buchstaben a) und b) 849

3.6

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vorgesehenen Dokumente und bei der Erstellung der in Absatz 1 Buchstaben c) und d) genannten Dokumente fest. Art. 10 Unterrichtung der Arbeitnehmer (1) Der Arbeitgeber trifft die geeigneten Maßnahmen, damit die Arbeitnehmer bzw. deren Vertreter im Unternehmen bzw. Betrieb gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken, die insbesondere der Unternehmens- bzw. der Betriebsgröße Rechnung tragen können, alle erforderlichen Informationen erhalten über: a) die Gefahren für Sicherheit und Gesundheit sowie die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung im Unternehmen bzw. im Betrieb im allgemeinen und für die einzelnen Arten von Arbeitsplätzen bzw. Aufgabenbereichen; b) die in Anwendung von Artikel 8 Absatz 2 ergriffenen Maßnahmen. (2) Der Arbeitgeber trifft die geeigneten Maßnahmen, damit die Arbeitgeber der Arbeitnehmer der in seinem Unternehmen oder Betrieb hinzugezogenen außerbetrieblichen Unternehmen bzw. Betriebe gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken angemessene Informationen über die in Absatz 1 Buchstaben a) und b) genannten Punkte erhalten, die für die betreffenden Arbeitnehmer bestimmt sind. (3) Der Arbeitgeber trifft die geeigneten Maßnahmen, damit die Arbeitnehmer mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zur Ausübung ihrer jeweiligen Tätigkeiten gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken Zugang haben a) zu der in Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben a) und b) vorgesehenen Evaluierung der Gefahren und zu der Aufstellung der zu ergreifenden Schutzmaßnahmen; b) zu der Liste und den Berichten gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben c) und d); c) zu den Informationen, die sich aus den Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung ergeben, sowie zu Informationen der für Sicherheit und Gesundheitsschutz zuständigen Behörden und Organe. Art. 11 Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer (1) Die Arbeitgeber hören die Arbeitnehmer bzw. deren Vertreter an und ermöglichen deren Beteiligung bei allen Fragen betreffend die Sicherheit und die Gesundheit am Arbeitsplatz. Dies beinhaltet: — die Anhörung der Arbeitnehmer; — das Recht der Arbeitnehmer bzw. ihrer Vertreter, Vorschläge zu unterbreiten; 850

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3.6

— die ausgewogene Beteiligung nach den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken. (2) Die Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer werden in ausgewogener Weise nach den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken beteiligt oder werden im voraus vom Arbeitgeber gehört: a) zu jeder Aktion, die wesentliche Auswirkungen auf Sicherheit und Gesundheit haben kann; b) zu der Benennung der Arbeitnehmer gemäß Artikel 7 Absatz 1 und Artikel 8 Absatz 2 sowie zu den Maßnahmen gemäß Artikel 7 Absatz 1; c) zu den Informationen gemäß Artikel 9 Absatz 1 und Artikel 10; d) zur etwaigen Hinzuziehung außerbetrieblicher Fachleute (Personen oder Dienste) gemäß Artikel 7 Absatz 3; e) zur Planung und Organisation der in Artikel 12 vorgesehenen Unterweisung. (3) Die Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer haben das Recht, den Arbeitgeber um geeignete Maßnahmen zu ersuchen und ihm diesbezüglich Vorschläge zu unterbreiten, um so jeder Gefahr für die Arbeitnehmer vorzubeugen und/ oder die Gefahrenquellen auszuschalten. (4) Den in Absatz 2 genannten Arbeitnehmern und den in den Absätzen 2 und 3 genannten Arbeitnehmervertretern dürfen aufgrund ihrer in den Absätzen 2 und 3 genannten jeweiligen Tätigkeit keinerlei Nachteile entstehen. (5) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmervertretern mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer eine ausreichende Arbeitsbefreiung ohne Lohnausfall zu gewähren und ihnen die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, um ihnen die Wahrnehmung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Rechte und Aufgaben zu ermöglichen. (6) Die Arbeitnehmer bzw. ihre Vertreter haben das Recht, sich gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken an die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zuständige Behörde zu wenden, wenn sie der Auffassung sind, daß die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sicherzustellen. Die Vertreter der Arbeitnehmer müssen die Möglichkeit haben, bei Besuchen und Kontrollen der zuständigen Behörde ihre Bemerkungen vorzubringen. Art. 12 Unterweisung der Arbeitnehmer (1) Der Arbeitgeber muß dafür sorgen, daß jeder Arbeitnehmer zum Zeitpunkt 851

3.6

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— seiner Einstellung, — einer Versetzung oder einer Veränderung seines Aufgabenbereichs, — der Einführung oder Änderung von Arbeitsmitteln, — der Einführung einer neuen Technologie, eine ausreichende und angemessene Unterweisung über Sicherheit und Gesundheitsschutz, insbesondere in Form von Informationen und Anweisungen, erhält, die eigens auf seinen Arbeitsplatz oder seinen Aufgabenbereich ausgerichtet ist. Diese Unterweisung muß — an die Entwicklung der Gefahrensmomente und an die Entstehung neuer Gefahren angepaßt sein und — erforderlichenfalls regelmäßig wiederholt werden. (2) Der Arbeitgeber muß sich vergewissern, daß Arbeitnehmer außerbetrieblicher Firmen, die in seinem Unternehmen bzw. Betrieb zum Einsatz kommen, angemessene Anweisungen hinsichtlich der Sicherheits- und Gesundheitsrisiken während ihrer Tätigkeit in seinem Unternehmen oder Betrieb erhalten haben. (3) Die Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer haben Anspruch auf eine angemessene Unterweisung. (4) Die in den Absätzen 1 und 3 vorgesehene Unterweisung darf nicht zu Lasten der Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter gehen. Die in Absatz 1 vorgesehene Unterweisung muß während der Arbeitszeiterfolgen. Die in Absatz 3 vorgesehene Unterweisung muß während der Arbeitszeit oder entsprechend den nationalen Praktiken entweder innerhalb oder außerhalb des Unternehmens bzw. Betriebs erfolgen.

Abschnitt III − Pflichten des Arbeitnehmers Art. 13 (1) Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, nach seinen Möglichkeiten für seine eigene Sicherheit und Gesundheit sowie für die Sicherheit und die Gesundheit derjenigen Personen Sorge zu tragen, die von seinen Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind, und zwar gemäß seiner Unterweisung und den Anweisungen des Arbeitgebers. (2) Zur Verwirklichung dieser Ziele ist jeder Arbeitnehmer insbesondere verpflichtet, gemäß seiner Unterweisung und den Anweisungen des Arbeitgebers a) Maschinen, Geräte, Werkzeuge, gefährliche Stoffe, Transportmittel und sonstige Mittel ordnungsgemäß zu benutzen; 852

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3.6

b) die ihm zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstung ordnungsgemäß zu benutzen und sie nach Benutzung an dem dafür vorgesehenen Platz zu lagern; c) Schutzvorrichtungen insbesondere an Maschinen, Geräten, Werkzeugen, Anlagen und Gebäuden nicht außer Betrieb zu setzen, willkürlich zu verändern oder umzustellen und diese Schutzvorrichtungen ordnungsgemäß zu benutzen; d) dem Arbeitgeber bzw. den Arbeitnehmern mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer jede von ihm festgestellte ernste und unmittelbare Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt unverzüglich zu melden; e) gemeinsam mit dem Arbeitgeber bzw. den Arbeitnehmern mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gemäß den nationalen Praktiken so lange wie nötig darauf hinzuwirken, daß die Ausführung aller Aufgaben und die Einhaltung aller Auflagen, die von der zuständigen Behörde für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz vorgeschrieben sind, ermöglicht werden; f) gemeinsam mit dem Arbeitgeber bzw. den Arbeitnehmern mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gemäß den nationalen Praktiken so lange wie nötig darauf hinzuwirken, daß der Arbeitgeber gewährleisten kann, daß das Arbeitsumfeld und die Arbeitsbedingungen sicher sind und keine Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit innerhalb des Tätigkeitsbereichs der Arbeitnehmer aufweisen.

Abschnitt IV − Sonstige Bestimmungen Artikel 14 Präventivmedizinische Überwachung (1) Zur Gewährleistung einer geeigneten Überwachung der Gesundheit der Arbeitnehmer je nach den Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz werden Maßnahmen im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken getroffen. (2) Die in Absatz 1 genannten Maßnahmen sind so konzipiert, daß jeder Arbeitnehmer sich auf Wunsch einer regelmäßigen präventivmedizinischen Überwachung unterziehen kann. (3) Die präventivmedizinische Überwachung kann Bestandteil eines nationalen Gesundheitsfürsorgesystems sein. 853

3.6

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Artikel 15 Risikogruppen Besonders gefährdete Risikogruppen müssen gegen die speziell sie bedrohenden Gefahren geschützt werden. Artikel 16 Einzelrichtlinien — Änderungen — Allgemeiner Geltungsbereich dieser Richtlinie (1) Der Rat erläßt auf der Grundlage eines auf Artikel 118 a des Vertrages beruhenden Vorschlags der Kommission Einzelrichtlinien, unter anderem für die im Anhang aufgeführten Bereiche.9 (2) Diese Richtlinie und — unbeschadet des Verfahrens nach Artikel 17 für technische Anpassungen — die Einzelrichtlinien können nach dem Verfahren des Artikels 118 a des Vertrages geändert werden. (3) Die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten uneingeschränkt für alle Bereiche, die unter die Einzelrichtlinien fallen; gegebenenfalls bestehende strengere bzw. spezifische Bestimmungen in diesen Einzelrichtlinien bleiben unberührt. Artikel 17 Ausschussverfahren (1) Bei rein technischen Anpassungen in den in Artikel 16 Absatz 1 genannten Einzelrichtlinien zur Berücksichtigung a) der im Hinblick auf die technische Harmonisierung und Normung angenommenen Richtlinien, b) des technischen Fortschritts, der Entwicklung der internationalen Vorschriften oder Spezifikationen und des Wissensstands wird die Kommission von einem Ausschuss unterstützt. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen der Einzelrichtlinien werden nach dem in Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. Aus Gründen äußerster Dringlichkeit kann die Kommission auf das in Absatz 3 genannte Dringlichkeitsverfahren zurückgreifen. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten Artikel 5a Absätze 1 bis 4 und Artikel 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. (3) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten Artikel 5a Absätze 1, 2, 4 und 6 sowie Artikel 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. Art. 17a-19 Durchführungsberichte, Umsetzungspflichten und Adressaten − nicht abgedruckt. Anhang Liste der von Artikel 16 Absatz 1 erfaßten Bereiche: Arbeitsstätten, Arbeitsmittel, Persönliche Schutzausrüstungen, Arbeiten mit Bildschirmgeräten, Handhabung schwerer Lasten, die Gefährdungen der Lendenwirbelsäule mit sich bringen, Baustellen und Wanderbaustellen, Fischerei und Landwirtschaft 9 [Siehe zum Beispiel die Mutterschutz-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.11].

854

3.7 Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 137 Absatz 2, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 nach Anhörung des Ausschusses der Regionen, gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung,3 die Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung im Hinblick auf tägliche Ruhezeiten, Ruhepausen, wöchentliche Ruhezeiten, wöchentliche Höchstarbeitszeit, Jahresurlaub sowie Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit und des Arbeitsrhythmus enthält, ist in wesentlichen Punkten geändert worden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Klarheit empfiehlt es sich deshalb, die genannten Bestimmungen zu kodifizieren. (2) Nach Artikel 137 des Vertrags unterstützt und ergänzt die Gemeinschaft die Tätigkeit der Mitgliedstaaten, um die Arbeitsumwelt zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu verbessern. Richtlinien, die auf der Grundlage dieses Artikels angenommen werden, sollten keine verwaltungsmäßigen, finanziellen oder rechtlichen Auflagen vorschreiben, die der Gründung und Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen entgegenstehen. (3) Die Bestimmungen der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit 4 bleiben auf die durch die vorliegende Richtlinie geregelte Materie − unbeschadet der darin enthaltenen strengeren und/oder spezifischen Vorschriften − in vollem Umfang anwendbar. (4) Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen. (5) Alle Arbeitnehmer sollten angemessene Ruhezeiten erhalten. Der Begriff „Ruhezeit“ muss in Zeiteinheiten ausgedrückt werden, d. h. in Tagen, Stunden und/oder Teilen davon. Arbeitnehmern in der Gemeinschaft müssen Mindestruhezeiten − je Tag, Woche und Jahr − sowie angemessene Ruhepausen zugestanden werden. In diesem Zusammenhang muss auch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festgelegt werden.

* Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. 2003 L 299/9. 1 ABl. C 61 vom 14. 3. 2003, S. 123. 2 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 17. 12. 2002 ([ABl. C 31 vom 5. 2. 2004, S. 79]) und Beschluss des Rates vom 22. 9. 2003. 3 ABl. L 307 vom 13. 12. 1993, S. 18. Geändert durch die Richtlinie 2000/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 195 vom 1. 8. 2000, S. 41). 4 ABl. L 183 vom 29. 6. 1989, S. 1 [Arbeitsschutzrahmen-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.6]. https://doi.org/10.1515/9783110667776-035

3.7

Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88

(6) Hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung ist den Grundsätzen der Internationalen Arbeitsorganisation Rechnung zu tragen; dies betrifft auch die für Nachtarbeit geltenden Grundsätze. (7) Untersuchungen zeigen, dass der menschliche Organismus während der Nacht besonders empfindlich auf Umweltstörungen und auf bestimmte belastende Formen der Arbeitsorganisation reagiert und dass lange Nachtarbeitszeiträume für die Gesundheit der Arbeitnehmer nachteilig sind und ihre Sicherheit bei der Arbeit beeinträchtigen können. (8) Infolgedessen ist die Dauer der Nachtarbeit, auch in Bezug auf die Mehrarbeit, einzuschränken und vorzusehen, dass der Arbeitgeber im Fall regelmäßiger Inanspruchnahme von Nachtarbeitern die zuständigen Behörden auf Ersuchen davon in Kenntnis setzt. (9) Nachtarbeiter haben vor Aufnahme der Arbeit − und danach regelmäßig − Anspruch auf eine unentgeltliche Untersuchung ihres Gesundheitszustands und müssen, wenn sie gesundheitliche Schwierigkeiten haben, soweit jeweils möglich auf eine für sie geeignete Arbeitsstelle mit Tagarbeit versetzt werden. (10) In Anbetracht der besonderen Lage von Nacht- und Schichtarbeitern müssen deren Sicherheit und Gesundheit in einem Maß geschützt werden, das der Art ihrer Arbeit entspricht, und die Schutz- und Vorsorgeleistungen oder -mittel müssen effizient organisiert und eingesetzt werden. (11) Die Arbeitsbedingungen können die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer beeinträchtigen. Die Gestaltung der Arbeit nach einem bestimmten Rhythmus muss dem allgemeinen Grundsatz Rechnung tragen, dass die Arbeitsgestaltung dem Menschen angepasst sein muss. (12) Eine europäische Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten ist gemäß Artikel 139 Absatz 2 des Vertrags durch die Richtlinie 1999/63/EG des Rates vom 21. Juni 1999 zu der vom Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (European Community Shipowners’ Association ECSA) und dem Verband der Verkehrsgewerkschaften in der Europäischen Union (Federation of Transport Workers’ Unions in the European Union FST) getroffenen Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten5 durchgeführt worden. Daher sollten die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht für Seeleute gelten. (13) Im Fall jener „am Ertrag beteiligten Fischer“, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten, gemäß dieser Richtlinie die Bedingungen für das Recht auf und die Gewährung von Jahresurlaub einschließlich der Regelungen für die Bezahlung festzulegen. (14) Die spezifischen Vorschriften anderer gemeinschaftlicher Rechtsakte über zum Beispiel Ruhezeiten, Arbeitszeit, Jahresurlaub und Nachtarbeit bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern sollten Vorrang vor den Bestimmungen dieser Richtlinie haben. (15) In Anbetracht der Fragen, die sich aufgrund der Arbeitszeitgestaltung im Unternehmen stellen können, ist eine gewisse Flexibilität bei der Anwendung einzelner Bestimmungen dieser Richtlinie vorzusehen, wobei jedoch die Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu beachten sind. (16) Je nach Lage des Falles sollten die Mitgliedstaaten oder die Sozialpartner die Möglichkeit haben, von einzelnen Bestimmungen dieser Richtlinie abzuweichen. Im Fall einer Abweichung müssen jedoch den betroffenen Arbeitnehmern in der Regel gleichwertige Ausgleichsruhezeiten gewährt werden.

5 ABl. L 167 vom 2. 7. 1999, S. 33.

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Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88

3.7

(17) Diese Richtlinie sollte die Pflichten der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang I Teil B aufgeführten Richtlinien und deren Umsetzungsfristen unberührt lassen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel 1 − Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Art. 1 Gegenstand und Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung. (2) Gegenstand dieser Richtlinie sind a) die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie b) bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus. (3) Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG. Diese Richtlinie gilt unbeschadet des Artikels 2 Nummer 8 nicht für Seeleute gemäß der Definition in der Richtlinie 1999/63/EG. (4) Die Bestimmungen der Richtlinie 89/391/EWG finden unbeschadet strengerer und/oder spezifischer Vorschriften in der vorliegenden Richtlinie auf die in Absatz 2 genannten Bereiche voll Anwendung. Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Richtlinie sind: 1. Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt; 2. Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit; 3. Nachtzeit: jede, in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegte Zeitspanne von mindestens sieben Stunden, welche auf jeden Fall die Zeitspanne zwischen 24 Uhr und 5 Uhr umfasst; 4. Nachtarbeiter: a) einerseits: jeder Arbeitnehmer, der während der Nachtzeit normalerweise mindestens drei Stunden seiner täglichen Arbeitszeit verrichtet; b) andererseits: jeder Arbeitnehmer, der während der Nachtzeit gegebenenfalls einen bestimmten Teil seiner jährlichen Arbeitszeit verrichtet, der nach Wahl des jeweiligen Mitgliedstaats festgelegt wird: i) nach Anhörung der Sozialpartner in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder 857

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Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88

ii) in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene; 5. Schichtarbeit: jede Form der Arbeitsgestaltung kontinuierlicher oder nicht kontinuierlicher Art mit Belegschaften, bei der Arbeitnehmer nach einem bestimmten Zeitplan, auch im Rotationsturnus, sukzessive an den gleichen Arbeitsstellen eingesetzt werden, so dass sie ihre Arbeit innerhalb eines Tages oder Wochen umfassenden Zeitraums zu unterschiedlichen Zeiten verrichten müssen; 6. Schichtarbeiter: jeder in einem Schichtarbeitsplan eingesetzte Arbeitnehmer; 7. mobiler Arbeitnehmer: jeder Arbeitnehmer, der als Mitglied des fahrenden oder fliegenden Personals im Dienst eines Unternehmens beschäftigt ist, das Personen oder Güter im Straßen- oder Luftverkehr oder in der Binnenschifffahrt befördert; 8. Tätigkeiten auf Offshore-Anlagen: Tätigkeiten, die größtenteils auf oder von einer Offshore-Plattform (einschließlich Bohrplattformen) aus direkt oder indirekt im Zusammenhang mit der Exploration, Erschließung oder wirtschaftlichen Nutzung mineralischer Ressourcen einschließlich Kohlenwasserstoffe durchgeführt werden, sowie Tauchen im Zusammenhang mit derartigen Tätigkeiten, entweder von einer Offshore-Anlage oder von einem Schiff aus; 9. ausreichende Ruhezeiten: die Arbeitnehmer müssen über regelmäßige und ausreichend lange und kontinuierliche Ruhezeiten verfügen, deren Dauer in Zeiteinheiten angegeben wird, damit sichergestellt ist, dass sie nicht wegen Übermüdung oder wegen eines unregelmäßigen Arbeitsrhythmus sich selbst, ihre Kollegen oder sonstige Personen verletzen und weder kurzfristig noch langfristig ihre Gesundheit schädigen.

Kapitel 2 − Mindestruhezeiten − Sonstige Aspekte der Arbeitszeitgestaltung Art. 3 Tägliche Ruhezeit Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird. Art. 4 Ruhepause Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden eine Ruhepause gewährt wird; die Einzelheiten, insbesondere Dauer und Voraussetzung für die Gewährung dieser Ruhepause, werden in Tarifverträ858

Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88

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gen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern oder in Ermangelung solcher Übereinkünfte in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegt. Art. 5 Wöchentliche Ruhezeit Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Artikel 3 gewährt wird. Wenn objektive, technische oder arbeitsorganisatorische Umstände dies rechtfertigen, kann eine Mindestruhezeit von 24 Stunden gewählt werden. Art. 6 Wöchentliche Höchstarbeitszeit Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer: a) die wöchentliche Arbeitszeit durch innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt wird; b) die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet. Art. 7 Jahresurlaub (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. (2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.

Kapitel 3 − Nachtarbeit − Schichtarbeit − Arbeitsrhythmus Art. 8 Dauer der Nachtarbeit Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit: a) die normale Arbeitszeit für Nachtarbeiter im Durchschnitt acht Stunden pro 24-Stunden-Zeitraum nicht überschreitet; b) Nachtarbeiter, deren Arbeit mit besonderen Gefahren oder einer erheblichen körperlichen oder geistigen Anspannung verbunden ist, in einem 24Stunden-Zeitraum, während dessen sie Nachtarbeit verrichten, nicht mehr als acht Stunden arbeiten. Zum Zweck von Buchstabe b) wird im Rahmen von einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten oder von Tarifverträgen oder Vereinbarun859

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gen zwischen den Sozialpartnern festgelegt, welche Arbeit unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Nachtarbeit und der ihr eigenen Risiken mit besonderen Gefahren oder einer erheblichen körperlichen und geistigen Anspannung verbunden ist. Art. 9 Untersuchung des Gesundheitszustands von Nachtarbeitern und Versetzung auf Arbeitsstellen mit Tagarbeit (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit: a) der Gesundheitszustand der Nachtarbeiter vor Aufnahme der Arbeit und danach regelmäßig unentgeltlich untersucht wird; b) Nachtarbeiter mit gesundheitlichen Schwierigkeiten, die nachweislich damit verbunden sind, dass sie Nachtarbeit leisten, soweit jeweils möglich auf eine Arbeitsstelle mit Tagarbeit versetzt werden, für die sie geeignet sind. (2) Die unentgeltliche Untersuchung des Gesundheitszustands gemäß Absatz 1 Buchstabe a) unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. (3) Die unentgeltliche Untersuchung des Gesundheitszustands gemäß Absatz 1 Buchstabe a) kann im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens durchgeführt werden. Art. 10 Garantien für Arbeit während der Nachtzeit Die Mitgliedstaaten können die Arbeit bestimmter Gruppen von Nachtarbeitern, die im Zusammenhang mit der Arbeit während der Nachtzeit einem Sicherheits- oder Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind, nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/ oder Gepflogenheiten von bestimmten Garantien abhängig machen. Art. 11 Unterrichtung bei regelmäßiger Inanspruchnahme von Nachtarbeitern Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der Arbeitgeber bei regelmäßiger Inanspruchnahme von Nachtarbeitern die zuständigen Behörden auf Ersuchen davon in Kenntnis setzt. Art. 12 Sicherheits- und Gesundheitsschutz Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit: a) Nacht- und Schichtarbeitern hinsichtlich Sicherheit und Gesundheit in einem Maß Schutz zuteil wird, das der Art ihrer Arbeit Rechnung trägt; b) die zur Sicherheit und zum Schutz der Gesundheit von Nacht- und Schichtarbeitern gebotenen Schutz- und Vorsorgeleistungen oder -mittel denen für die übrigen Arbeitnehmer entsprechen und jederzeit vorhanden sind. Art. 13 Arbeitsrhythmus Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit ein Arbeitgeber, der beabsichtigt, die Arbeit nach einem be860

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stimmten Rhythmus zu gestalten, dem allgemeinen Grundsatz Rechnung trägt, dass die Arbeitsgestaltung dem Menschen angepasst sein muss, insbesondere im Hinblick auf die Verringerung der eintönigen Arbeit und des maschinenbestimmten Arbeitsrhythmus, nach Maßgabe der Art der Tätigkeit und der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes, insbesondere was die Pausen während der Arbeitszeit betrifft.

Kapitel 4 − Sonstige Bestimmungen Art. 14 Spezifischere Gemeinschaftsvorschriften Die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten nicht, soweit andere Gemeinschaftsinstrumente spezifischere Vorschriften über die Arbeitszeitgestaltung für bestimmte Beschäftigungen oder berufliche Tätigkeiten enthalten. Art. 15 Günstigere Vorschriften Das Recht der Mitgliedstaaten, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder die Anwendung von für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigeren Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zu gestatten, bleibt unberührt. Art. 16 Bezugszeiträume Die Mitgliedstaaten können für die Anwendung der folgenden Artikel einen Bezugszeitraum vorsehen, und zwar a) für Artikel 5 (wöchentliche Ruhezeit) einen Bezugszeitraum bis zu 14 Tagen; b) für Artikel 6 (wöchentliche Höchstarbeitszeit) einen Bezugszeitraum bis zu vier Monaten. Die nach Artikel 7 gewährten Zeiten des bezahlten Jahresurlaubs sowie die Krankheitszeiten bleiben bei der Berechnung des Durchschnitts unberücksichtigt oder sind neutral; c) für Artikel 8 (Dauer der Nachtarbeit) einen Bezugszeitraum, der nach Anhörung der Sozialpartner oder in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene festgelegt wird. Fällt die aufgrund von Artikel 5 verlangte wöchentliche Mindestruhezeit von 24 Stunden in den Bezugszeitraum, so bleibt sie bei der Berechnung des Durchschnitts unberücksichtigt.

861

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Kapitel 5 − Abweichungen und Ausnahmen Art. 17 Abweichungen (1) Unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer können die Mitgliedstaaten von den Artikeln 3 bis 6, 8 und 16 abweichen, wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/ oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann, und zwar insbesondere in Bezug auf nachstehende Arbeitnehmer: a) leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis; b) Arbeitskräfte, die Familienangehörige sind; c) Arbeitnehmer, die im liturgischen Bereich von Kirchen oder Religionsgemeinschaften beschäftigt sind. (2) Sofern die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher gleichwertigen Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten, kann im Wege von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern gemäß den Absätzen 3, 4 und 5 abgewichen werden. (3) Gemäß Absatz 2 dieses Artikels sind Abweichungen von den Artikeln 3, 4, 5, 8 und 16 zulässig: a) bei Tätigkeiten, die durch eine Entfernung zwischen dem Arbeitsplatz und dem Wohnsitz des Arbeitnehmers − einschließlich Tätigkeiten auf OffshoreAnlagen − oder durch eine Entfernung zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen des Arbeitnehmers gekennzeichnet sind; b) für den Wach- und Schließdienst sowie die Dienstbereitschaft, die durch die Notwendigkeit gekennzeichnet sind, den Schutz von Sachen und Personen zu gewährleisten, und zwar insbesondere in Bezug auf Wachpersonal oder Hausmeister oder Wach- und Schließunternehmen; c) bei Tätigkeiten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Kontinuität des Dienstes oder der Produktion gewährleistet sein muss, und zwar insbesondere bei i) Aufnahme-, Behandlungs- und/oder Pflegediensten von Krankenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Tätigkeiten von Ärzten in der Ausbildung, Heimen sowie Gefängnissen, ii) Hafen- und Flughafenpersonal, iii) Presse-, Rundfunk-, Fernsehdiensten oder kinematografischer Produktion, Post oder Telekommunikation, Ambulanz-, Feuerwehr- oder Katastrophenschutzdiensten, 862

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iv) Gas-, Wasser- oder Stromversorgungsbetrieben, Hausmüllabfuhr oder Verbrennungsanlagen, v) Industriezweigen, in denen der Arbeitsprozess aus technischen Gründen nicht unterbrochen werden kann, vi) Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, vii) landwirtschaftlichen Tätigkeiten, viii)Arbeitnehmern, die im regelmäßigen innerstädtischen Personenverkehr beschäftigt sind; d) im Fall eines vorhersehbaren übermäßigen Arbeitsanfalls, insbesondere i) in der Landwirtschaft, ii) im Fremdenverkehr, iii) im Postdienst; e) im Fall von Eisenbahnpersonal i) bei nichtständigen Tätigkeiten, ii) bei Beschäftigten, die ihre Arbeitszeit in Zügen verbringen, oder iii) bei Tätigkeiten, die an Fahrpläne gebunden sind und die die Kontinuität und Zuverlässigkeit des Verkehrsablaufs sicherstellen; f) unter den in Artikel 5 Absatz 4 der Richtlinie 89/391/EWG aufgeführten Bedingungen; g) im Fall eines Unfalls oder der Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Unfalls. (4) Gemäß Absatz 2 dieses Artikels sind Abweichungen von den Artikeln 3 und 5 zulässig: a) wenn bei Schichtarbeit der Arbeitnehmer die Gruppe wechselt und zwischen dem Ende der Arbeit in einer Schichtgruppe und dem Beginn der Arbeit in der nächsten nicht in den Genuss der täglichen und/oder wöchentlichen Ruhezeit kommen kann; b) bei Tätigkeiten, bei denen die Arbeitszeiten über den Tag verteilt sind, insbesondere im Fall von Reinigungspersonal. (5) Gemäß Absatz 2 dieses Artikels sind Abweichungen von Artikel 6 und von Artikel 16 Buchstabe b) bei Ärzten in der Ausbildung nach Maßgabe der Unterabsätze 2 bis 7 dieses Absatzes zulässig. In Unterabsatz 1 genannte Abweichungen von Artikel 6 sind für eine Übergangszeit von fünf Jahren ab dem 1. August 2004 zulässig. Die Mitgliedstaaten verfügen erforderlichenfalls über einen zusätzlichen Zeitraum von höchstens zwei Jahren, um den Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften im Zusammenhang mit ihren Zuständigkeiten für die Organisation und Bereitstellung von Gesundheitsdiensten und medizinischer Versorgung Rechnung zu tragen. Spätestens sechs Monate vor dem Ende der Übergangszeit unterrichtet der betreffende Mitgliedstaat die Kommission 863

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hierüber unter Angabe der Gründe, so dass die Kommission nach entsprechenden Konsultationen innerhalb von drei Monaten nach dieser Unterrichtung eine Stellungnahme abgeben kann. Falls der Mitgliedstaat der Stellungnahme der Kommission nicht folgt, rechtfertigt er seine Entscheidung. Die Unterrichtung und die Rechtfertigung des Mitgliedstaats sowie die Stellungnahme der Kommission werden im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und dem Europäischen Parlament übermittelt. Die Mitgliedstaaten verfügen erforderlichenfalls über einen zusätzlichen Zeitraum von höchstens einem Jahr, um den besonderen Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung der in Unterabsatz 3 genannten Zuständigkeiten Rechnung zu tragen. Sie haben das Verfahren des Unterabsatzes 3 einzuhalten. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Zahl der Wochenarbeitsstunden keinesfalls einen Durchschnitt von 58 während der ersten drei Jahre der Übergangszeit, von 56 während der folgenden zwei Jahre und von 52 während des gegebenenfalls verbleibenden Zeitraums übersteigt. Der Arbeitgeber konsultiert rechtzeitig die Arbeitnehmervertreter, um − soweit möglich − eine Vereinbarung über die Regelungen zu erreichen, die während der Übergangszeit anzuwenden sind. Innerhalb der in Unterabsatz 5 festgelegten Grenzen kann eine derartige Vereinbarung sich auf Folgendes erstrecken: a) die durchschnittliche Zahl der Wochenarbeitsstunden während der Übergangszeit und b) Maßnahmen, die zur Verringerung der Wochenarbeitszeit auf einen Durchschnitt von 48 Stunden bis zum Ende der Übergangszeit zu treffen sind. In Unterabsatz 1 genannte Abweichungen von Artikel 16 Buchstabe b) sind zulässig, vorausgesetzt, dass der Bezugszeitraum während des in Unterabsatz 5 festgelegten ersten Teils der Übergangszeit zwölf Monate und danach sechs Monate nicht übersteigt. Art. 18 Abweichungen im Wege von Tarifverträgen Von den Artikeln 3, 4, 5, 8 und 16 kann abgewichen werden im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene oder, bei zwischen den Sozialpartnern getroffenen Abmachungen, im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern auf niedrigerer Ebene. Mitgliedstaaten, in denen es keine rechtliche Regelung gibt, wonach über die in dieser Richtlinie geregelten Fragen zwischen den Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene Tarifverträge oder Vereinbarungen geschlossen werden können, oder Mitgliedstaaten, in denen es einen entsprechenden rechtlichen Rahmen gibt und innerhalb dessen Grenzen, können im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten Abwei864

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3.7

chungen von den Artikeln 3, 4, 5, 8 und 16 durch Tarifverträge oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf geeigneter kollektiver Ebene zulassen. Die Abweichungen gemäß den Unterabsätzen 1 und 2 sind nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten. Die Mitgliedstaaten können Vorschriften vorsehen a) für die Anwendung dieses Artikels durch die Sozialpartner und b) für die Erstreckung der Bestimmungen von gemäß diesem Artikel geschlossenen Tarifverträgen oder Vereinbarungen auf andere Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten. Art. 19 Grenzen der Abweichungen von Bezugszeiträumen Die in Artikel 17 Absatz 3 und in Artikel 18 vorgesehene Möglichkeit der Abweichung von Artikel 16 Buchstabe b) darf nicht die Festlegung eines Bezugszeitraums zur Folge haben, der länger ist als sechs Monate. Den Mitgliedstaaten ist es jedoch mit der Maßgabe, dass sie dabei die allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer wahren, freigestellt zuzulassen, dass in den Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern aus objektiven, technischen oder arbeitsorganisatorischen Gründen längere Bezugszeiträume festgelegt werden, die auf keinen Fall zwölf Monate überschreiten dürfen. Der Rat überprüft vor dem 23. November 2003 anhand eines Vorschlags der Kommission, dem ein Evaluierungsbericht beigefügt ist, die Bestimmungen dieses Absatzes und befindet über das weitere Vorgehen. Art. 20 Mobile Arbeitnehmer und Tätigkeiten auf Offshore-Anlagen (1) Die Artikel 3, 4, 5 und 8 gelten nicht für mobile Arbeitnehmer. Die Mitgliedstaaten treffen jedoch die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass die mobilen Arbeitnehmer − außer unter den in Artikel 17 Absatz 3 Buchstaben f) und g) vorgesehenen Bedingungen − Anspruch auf ausreichende Ruhezeiten haben. (2) Vorbehaltlich der Einhaltung der allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer und sofern die betreffenden Sozialpartner konsultiert wurden und Anstrengungen zur Förderung aller einschlägigen Formen des sozialen Dialogs − einschließlich der Konzertierung, falls die Parteien dies wünschen − unternommen wurden, können die Mitgliedstaaten aus objektiven, technischen oder arbeitsorganisatorischen Gründen den in Artikel 16 Buchstabe b) genannten Bezugszeitraum für Arbeitnehmer, die haupt865

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sächlich Tätigkeiten auf Offshore-Anlagen ausüben, auf zwölf Monate ausdehnen. (3) Die Kommission überprüft bis zum 1. August 2005 nach Konsultation der Mitgliedstaaten sowie der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf europäischer Ebene die Durchführung der Bestimmungen für Arbeitnehmer auf Offshore-Anlagen unter dem Gesichtspunkt der Gesundheit und Sicherheit, um, falls erforderlich, geeignete Änderungen vorzuschlagen. Art. 21 Arbeitnehmer an Bord von seegehenden Fischereifahrzeugen (1) Die Artikel 3 bis 6 und 8 gelten nicht für Arbeitnehmer an Bord von seegehenden Fischereifahrzeugen, die unter der Flagge eines Mitgliedstaats fahren. Die Mitgliedstaaten treffen jedoch die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass jeder Arbeitnehmer an Bord von seegehenden Fischereifahrzeugen, die unter der Flagge eines Mitgliedstaats fahren, Anspruch auf eine ausreichende Ruhezeit hat, und um die Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden im Durchschnitt während eines Bezugszeitraums von höchstens zwölf Monaten zu begrenzen. (2) Innerhalb der in Absatz 1 Unterabsatz 2 sowie den Absätzen 3 und 4 angegebenen Grenzen treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der betroffenen Arbeitnehmer a) die Arbeitsstunden auf eine Höchstarbeitszeit beschränkt werden, die in einem gegebenen Zeitraum nicht überschritten werden darf, oder b) eine Mindestruhezeit in einem gegebenen Zeitraum gewährleistet ist. Die Höchstarbeits- oder Mindestruhezeit wird durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften, durch Tarifverträge oder durch Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt. (3) Für die Arbeits- oder Ruhezeiten gelten folgende Beschränkungen: a) die Höchstarbeitszeit darf nicht überschreiten: i) 14 Stunden in jedem Zeitraum von 24 Stunden und ii) 72 Stunden in jedem Zeitraum von sieben Tagen, oder b) die Mindestruhezeit darf nicht unterschreiten: i) zehn Stunden in jedem Zeitraum von 24 Stunden und ii) 77 Stunden in jedem Zeitraum von sieben Tagen. (4) Die Ruhezeit kann in höchstens zwei Zeiträume aufgeteilt werden, von denen einer eine Mindestdauer von sechs Stunden haben muss; der Zeitraum zwischen zwei aufeinander folgenden Ruhezeiten darf 14 Stunden nicht überschreiten. (5) In Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und aus objektiven, technischen 866

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3.7

oder arbeitsorganisatorischen Gründen können die Mitgliedstaaten, auch bei der Festlegung von Bezugszeiträumen, Ausnahmen von den in Absatz 1 Unterabsatz 2 sowie den Absätzen 3 und 4 festgelegten Beschränkungen gestatten. Diese Ausnahmen haben so weit wie möglich den festgelegten Normen zu folgen, können aber häufigeren oder längeren Urlaubszeiten oder der Gewährung von Ausgleichsurlaub für die Arbeitnehmer Rechnung tragen. Diese Ausnahmen können festgelegt werden a) durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, vorausgesetzt, dass — soweit dies möglich ist — die Vertreter der betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer konsultiert und Anstrengungen zur Förderung aller einschlägigen Formen des sozialen Dialogs unternommen werden, oder b) durch Tarifverträge oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern. (6) Der Kapitän eines seegehenden Fischereifahrzeugs hat das Recht, von Arbeitnehmern an Bord die Ableistung jeglicher Anzahl von Arbeitsstunden zu verlangen, wenn diese Arbeit für die unmittelbare Sicherheit des Schiffes, von Personen an Bord oder der Ladung oder zum Zweck der Hilfeleistung für andere Schiffe oder Personen in Seenot erforderlich ist. (7) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Arbeitnehmer an Bord von seegehenden Fischereifahrzeugen, bei denen einzelstaatliches Recht oder einzelstaatliche Praxis während eines bestimmten, einen Monat überschreitenden Zeitraums des Kalenderjahres den Betrieb nicht erlauben, ihren Jahresurlaub gemäß Artikel 7 während dieses Zeitraums nehmen. Art. 22 Sonstige Bestimmungen (1) Es ist einem Mitgliedstaat freigestellt, Artikel 6 nicht anzuwenden, wenn er die allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer einhält und mit den erforderlichen Maßnahmen dafür sorgt, dass a) kein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer verlangt, im Durchschnitt des in Artikel 16 Buchstabe b) genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu arbeiten, es sei denn der Arbeitnehmer hat sich hierzu bereit erklärt; b) keinem Arbeitnehmer Nachteile daraus entstehen, dass er nicht bereit ist, eine solche Arbeit zu leisten; c) der Arbeitgeber aktuelle Listen über alle Arbeitnehmer führt, die eine solche Arbeit leisten; d) die Listen den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt werden, die aus Gründen der Sicherheit und/oder des Schutzes der Gesundheit der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit unterbinden oder einschränken können; e) der Arbeitgeber die zuständigen Behörden auf Ersuchen darüber unterrichtet, welche Arbeitnehmer sich dazu bereit erklärt haben, im Durchschnitt 867

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des in Artikel 16 Buchstabe b) genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu arbeiten. Vor dem 23. November 2003 überprüft der Rat anhand eines Vorschlags der Kommission, dem ein Evaluierungsbericht beigefügt ist, die Bestimmungen dieses Absatzes und befindet über das weitere Vorgehen. (2) Für die Anwendung des Artikels 7 ist es den Mitgliedstaaten freigestellt, eine Übergangszeit von höchstens drei Jahren ab dem 23. November 1996 in Anspruch zu nehmen, unter der Bedingung, dass während dieser Übergangszeit a) jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von drei Wochen nach Maßgabe der in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehenen Bedingungen für dessen Inanspruchnahme und Gewährung erhält und b) der bezahlte Jahresurlaub von drei Wochen außer im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt wird. (3) Sofern die Mitgliedstaaten von den in diesem Artikel genannten Möglichkeiten Gebrauch machen, setzen sie die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

Kapitel 6 − Schlussbestimmungen Art. 23 Niveau des Arbeitnehmerschutzes Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, je nach der Entwicklung der Lage im Bereich der Arbeitszeit unterschiedliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie Vertragsvorschriften zu entwickeln, sofern die Mindestvorschriften dieser Richtlinie eingehalten werden, stellt die Durchführung dieser Richtlinie keine wirksame Rechtfertigung für eine Zurücknahme des allgemeinen Arbeitnehmerschutzes dar. Art. 24–29 Prüf- und Berichtspflicht der Kommission, Aufhebung der Richtlinie 93/104/EG, Inkrafttreten und Adressaten − nicht abgedruckt. Anhänge I und II Übersicht über die aufgehobene Richtlinie und Entsprechungstabelle − nicht abgedruckt.

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3.8 Teilzeit-Richtlinie 97/81

*

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf das Abkommen über die Sozialpolitik, das dem Protokoll (Nr. 14) über die Sozialpolitik im Anhang zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, insbesondere auf Artikel 4 Absatz 2, auf Vorschlag der Kommission,1 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Auf der Grundlage des Protokolls (Nr. 14) über die Sozialpolitik haben die Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (im folgenden als „Mitgliedstaaten“ bezeichnet) in dem Wunsch, auf dem von der Sozialcharta von 1989 vorgezeichneten Weg weiterzugehen, ein Abkommen über die Sozialpolitik geschlossen. (2) Die Sozialpartner können entsprechend Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens über die Sozialpolitik gemeinsam beantragen, daß die auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission durchgeführt werden. (3) Nummer 7 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer sieht unter anderem folgendes vor: „Die Verwirklichung des Binnenmarktes muß zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen. Dieser Prozeß erfolgt durch eine Angleichung dieser Bedingungen auf dem Wege des Fortschritts und betrifft namentlich andere Arbeitsformen als das unbefristete Arbeitsverhältnis, wie das befristete Arbeitsverhältnis, Teilzeitarbeit, Leiharbeit und Saisonarbeit“. (4) Der Rat hat weder zu dem Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte Arbeitsverhältnisse im Hinblick auf Wettbewerbsverzerrungen2 in der geänderten Fassung3 noch zu dem Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte Arbeitsverhältnisse hinsichtlich der Arbeitsbedingungen4 einen Beschluß gefaßt. (5) Entsprechend den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Essen sind Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung und Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern sowie Maßnahmen zur Steigerung der Beschäftigungsintensität des Wachstums, insbesondere durch eine flexiblere Organisation der Arbeit, die sowohl den Wünschen der Arbeitnehmer als auch den Erfordernissen des Wettbewerbs gerecht wird, erforderlich. (6) Die Kommission hat nach Artikel 3 Absatz 2 des Abkommens über die Sozialpolitik die Sozialpartner zu der Frage gehört, wie eine Gemeinschaftsaktion zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und zur Absicherung der Arbeitnehmer gegebenenfalls ausgerichtet werden sollte.

* Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, ABl. 1997 L 14/9; geändert durch Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 zur Ausdehnung der Richtlinie 97/81/EG zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit auf das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, ABl.EG 1998 L 131/10. 1 [KOM(97) 392 endg.] 2 ABl. C 224 vom 8. 9. 1990, S. 6. 3 ABl. C 305 vom 5. 12. 1990, S. 8. 4 ABl. C 224 vom 8. 9. 1990, S. 4. https://doi.org/10.1515/9783110667776-036

3.8

Teilzeit-Richtlinie 97/81

(7) Die Kommission, die nach dieser Anhörung eine Gemeinschaftsaktion für zweckmäßig hielt, hat die Sozialpartner nach Artikel 3 Absatz 3 des Abkommens erneut zum Inhalt des in Aussicht genommenen Vorschlags gehört. (8) Die europäischen Sozialpartner (Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE), Europäischer Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) und Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB)) haben der Kommission in einem gemeinsamen Schreiben vom 19. Juni 1996 mitgeteilt, daß sie das Verfahren nach Artikel 4 des Abkommens über die Sozialpolitik in Gang setzen wollen. Sie haben die Kommission in einem gemeinsamen Schreiben vom 12. März 1997 um eine zusätzliche Frist von drei Monaten gebeten. Die Kommission hat ihnen diese Frist eingeräumt. (9) Die genannten Sozialpartner haben am 6. Juni 1997 eine Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit geschlossen und der Kommission nach Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens ihren gemeinsamen Antrag auf Durchführung dieser Rahmenvereinbarung übermittelt. (10) Der Rat hat in seiner Entschließung vom 6. Dezember 1994 zu bestimmten Perspektiven einer Sozialpolitik der Europäischen Union: ein Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Konvergenz in der Union5 die Sozialpartner ersucht, die Möglichkeiten zum Abschluß von Vereinbarungen wahrzunehmen, weil sie in der Regel näher an den sozialen Problemen und der sozialen Wirklichkeit sind. (11) Die Unterzeichnerparteien wollten eine Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit schließen, in der die allgemeinen Grundsätze und Mindestvorschriften für die Teilzeitarbeit niedergelegt sind. Sie haben ihren Willen bekundet, einen allgemeinen Rahmen für die Beseitigung der Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten zu schaffen und einen Beitrag zur Entwicklung der Teilzeitarbeitsmöglichkeiten auf einer für Arbeitgeber und Arbeitnehmer akzeptablen Grundlage zu leisten. (12) Die Sozialpartner wollten der Teilzeitarbeit besondere Beachtung schenken, haben aber auch erklärt, daß sie in Erwägung ziehen wollten, ob ähnliche Vereinbarungen für andere Arbeitsformen erforderlich sind. (13) In den Schlußfolgerungen des Rates von Amsterdam haben die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Vereinbarung der Sozialpartner über Teilzeitarbeit nachdrücklich begrüßt. (14) Der geeignete Rechtsakt zur Durchführung der Rahmenvereinbarung ist eine Richtlinie im Sinne von Artikel 189 des Vertrags. Diese ist für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überläßt jedoch den einzelstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. (15) Entsprechend den in Artikel 3b des Vertrags genannten Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit können die Ziele dieser Richtlinie auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden, so daß sie besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden können. Die Richtlinie geht nicht über das für die Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinaus. (16) Bezüglich der in der Rahmenvereinbarung verwendeten, jedoch nicht genauer definierten Begriffe überläßt es die Richtlinie − wie andere im Sozialbereich erlassene Richtlinien, in denen ähnliche Begriffe vorkommen − den Mitgliedstaaten, diese Begriffe entsprechend ihrem nationalen Recht und/oder ihrer nationalen Praxis zu definieren, vorausgesetzt, diese Definitionen entsprechen inhaltlich dem Rahmenabkommen.

5 ABl. C 368 vom 23. 12. 1994, S. 6.

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Teilzeit-Richtlinie 97/81

3.8

(17) Die Kommission hat ihren Richtlinienvorschlag entsprechend ihrer Mitteilung vom 14. Dezember 1993 über die Anwendung des Protokolls (Nr. 14) über die Sozialpolitik und ihrer Mitteilung vom 18. September 1996 zur Entwicklung des sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene unter Berücksichtigung des Vertretungsanspruchs der Vertragsparteien, ihres Mandats und der Rechtmäßigkeit der Bestimmungen der Rahmenvereinbarung ausgearbeitet. (18) Die Kommission hat ihren Richtlinienvorschlag unter Berücksichtigung des Artikels 2 Absatz 2 des Abkommens über die Sozialpolitik ausgearbeitet, wonach die Richtlinien im Bereich der Sozialpolitik „keine verwaltungsmäßigen, finanziellen oder rechtlichen Auflagen vorschreiben (sollen), die der Gründung oder Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen entgegenstehen“. (19) Im Einklang mit ihrer Mitteilung vom 14. Dezember 1993 über die Anwendung des Protokolls (Nr. 14) über die Sozialpolitik hat die Kommission das Europäische Parlament unterrichtet und ihm ihren Richtlinienvorschlag mit der Rahmenvereinbarung übermittelt. (20) Die Kommission hat außerdem den Wirtschafts- und Sozialausschuß unterrichtet. (21) Nach Paragraph 6 Absatz 1 der Rahmenvereinbarung dürfen die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner günstigere Bestimmungen beibehalten oder einführen. (22) Nach Paragraph 6 Absatz 2 des Rahmenabkommens darf die Durchführung dieser Richtlinie nicht als Rechtfertigung für eine Verschlechterung der derzeit in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Situation dienen. (23) Die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer betont die Notwendigkeit, gegen Diskriminierungen jeglicher Art, insbesondere aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe, Rasse, Meinung oder Glauben vorzugehen. (24) Nach Artikel F Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union achtet die Union die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. (25) Die Mitgliedstaaten können den Sozialpartnern auf deren gemeinsamen Antrag die Durchführung dieser Richtlinie übertragen, sofern sie alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, daß die durch die Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden. (26) Die Durchführung der Rahmenvereinbarung trägt zur Verwirklichung der in Artikel 1 des Abkommens über die Sozialpolitik genannten Ziele bei — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 [Ziel] Mit dieser Richtlinie soll die am 6. Juni 1997 zwischen den europäischen Sozialpartnern (UNICE, CEEP, EGB) geschlossene Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, die im Anhang enthalten ist, durchgeführt werden. Art. 2–4 Umsetzungspflichten, Inkrafttreten und Adressaten − nicht abgedruckt.

871

3.8

Teilzeit-Richtlinie 97/81

Anhang Union der Europäischen Industrie- und Arbeitgeberverbände, Europäischer Gewerkschaftsbund, Europäischer Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft: Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit

Präambel Die vorliegende Rahmenvereinbarung ist ein Beitrag zur allgemeinen europäischen Beschäftigungsstrategie. Die Teilzeitarbeit hat in den letzten Jahren einen erheblichen Einfluß auf die Beschäftigungslage gehabt. Aus diesem Grunde haben die Unterzeichner dieser Vereinbarung dieser Form der Arbeit vorrangige Beachtung eingeräumt. Die Parteien beabsichtigen, die Notwendigkeit ähnlicher Abkommen für andere flexible Arbeitsformen in Erwägung zu ziehen. Diese Vereinbarung legt in Anerkennung der Vielfalt der Verhältnisse in den Mitgliedstaaten und in der Erkenntnis, daß die Teilzeitarbeit ein Merkmal der Beschäftigung in bestimmten Branchen und Tätigkeiten ist, die allgemeinen Grundsätze und Mindestvorschriften für die Teilzeitarbeit nieder. Sie macht den Willen der Sozialpartner deutlich, einen allgemeinen Rahmen für die Beseitigung von Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten zu schaffen und einen Beitrag zur Entwicklung der Teilzeitarbeitsmöglichkeiten auf einer für Arbeitgeber und Arbeitnehmer akzeptablen Grundlage zu leisten. Die Vereinbarung erstreckt sich auf die Beschäftigungsbedingungen von Teilzeitbeschäftigten und erkennt an, daß Fragen der gesetzlichen Regelung der sozialen Sicherheit der Entscheidung der Mitgliedstaaten unterliegen. Die Unterzeichnerparteien haben im Sinne des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung von der Erklärung zur Beschäftigung des Europäischen Rates von Dublin im Dezember 1996 Kenntnis genommen, in welcher der Rat unter anderem betont, daß die Systeme der sozialen Sicherheit beschäftigungsfreundlicher gestaltet werden sollten, indem „Systeme der sozialen Sicherheit entwickelt werden, die sich an neue Arbeitsstrukturen anpassen lassen und die jedem, der im Rahmen solcher Strukturen arbeitet, auch einen angemessenen sozialen Schutz bieten.“ Die Unterzeichnerparteien sind der Ansicht, daß diese Erklärung in die Praxis umgesetzt werden sollte. EGB, UNICE und CEEP ersuchen die Kommission, diese Rahmenvereinbarung dem Rat vorzulegen, damit deren Vorschriften in den Mitgliedstaaten, die das Abkommen über die Sozialpolitik, das dem Protokoll (Nr. 14) über die Sozialpolitik im Anhang zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, unterzeichnet haben, durch Ratsbeschluß verbindlich gemacht werden. Die Unterzeichnerparteien ersuchen die Kommission, die Mitgliedstaaten in ihrem Vorschlag zur Umsetzung dieser Vereinbarung aufzufordern, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um dem Ratsbeschluß innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach seiner Verabschiedung nachzukommen, oder sich zu vergewissern,6 daß die Sozialpartner im Wege einer Vereinbarung die erforderlichen Maßnahmen vor Ablauf dieser Frist ergreifen. Den Mitgliedstaaten kann bei besonderen Schwierigkeiten oder im Fall einer Durchführung im

6 Im Sinne von Artikel 2 Absatz 4 des Abkommens über die Sozialpolitik im Anhang zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.

872

Teilzeit-Richtlinie 97/81

3.8

Wege eines Tarifvertrags höchstens ein zusätzliches Jahr gewährt werden, um dieser Bestimmung nachzukommen. Unbeschadet der jeweiligen Rolle der einzelstaatlichen Gerichte und des Gerichtshofs bitten die Unterzeichnerparteien darum, daß jede Frage im Hinblick auf die Auslegung dieser Vereinbarung auf europäischer Ebene über die Kommission zunächst an sie weitergeleitet wird, damit sie eine Stellungnahme abgeben können.

Allgemeine Erwägungen 1.

Gestützt auf das Abkommen über die Sozialpolitik im Anhang zum Protokoll (Nr. 14) über die Sozialpolitik, das dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, insbesondere auf Artikel 3 Absatz 4 und Artikel 4 Absatz 2, in Erwägung nachstehender Gründe: 2. Gemäß Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens über die Sozialpolitik erfolgt die Durchführung der auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission. 3. Die Kommission kündigte in ihrem zweiten Konsultationspapier über die Flexibilität der Arbeitszeit und die Absicherung der Arbeitnehmer an, eine gesetzlich bindende Gemeinschaftsmaßnahme vorschlagen zu wollen. 4. Die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Essen betonen nachdrücklich die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung und Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern und fordern Maßnahmen zur „Steigerung der Beschäftigungsintensität des Wachstums, insbesondere durch eine flexiblere Organisation der Arbeit, die sowohl den Wünschen der Arbeitnehmer als auch den Erfordernissen des Wettbewerbs gerecht wird“. 5. Die Unterzeichnerparteien messen denjenigen Maßnahmen Bedeutung zu, die den Zugang zur Teilzeitarbeit für Frauen und Männer erleichtern, und zwar im Hinblick auf die Vorbereitung des Ruhestands, die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben sowie die Nutzung von allgemeinen und beruflichen Bildungsmöglichkeiten zur Verbesserung ihrer Fertigkeiten und ihres beruflichen Fortkommens, im beiderseitigen Interesse der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und auf eine Weise, die die Entwicklung der Unternehmen begünstigt. 6. Diese Vereinbarung überläßt es den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern, die Anwendungsmodalitäten dieser allgemeinen Grundsätze, Mindestvorschriften und Bestimmungen zu definieren, um so der jeweiligen Situation der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen. 7. Diese Vereinbarung berücksichtigt die Notwendigkeit, die sozialpolitischen Anforderungen zu verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Gemeinschaft zu stärken, und zu vermeiden, daß verwaltungstechnische, finanzielle und rechtliche Zwänge auferlegt werden, die die Gründung und Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen hemmen könnten. 8. Die Sozialpartner sind am besten in der Lage, Lösungen zu finden, die den Bedürfnissen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gerecht werden; daher ist ihnen eine besondere Rolle bei der Umsetzung und Anwendung dieser Vereinbarung einzuräumen DIE UNTERZEICHNERPARTEIEN HABEN FOLGENDE VEREINBARUNG GESCHLOSSEN:

873

3.8

Teilzeit-Richtlinie 97/81

§ 1 Ziel Diese Rahmenvereinbarung soll a) die Beseitigung von Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten sicherstellen und die Qualität der Teilzeitarbeit verbessern; b) die Entwicklung der Teilzeitarbeit auf freiwilliger Basis fördern und zu einer flexiblen Organisation der Arbeitszeit beitragen, die den Bedürfnissen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Rechnung trägt. § 2 Anwendungsbereich 1. Die vorliegende Vereinbarung gilt für Teilzeitbeschäftigte, die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen. 2. Nach Anhörung der Sozialpartner gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, den Tarifverträgen oder Gepflogenheiten können die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner auf der entsprechenden Ebene in Übereinstimmung mit den einzelstaatlichen Praktiken im Bereich der Arbeitsbeziehungen aus sachlichen Gründen Teilzeitbeschäftigte, die nur gelegentlich arbeiten, ganz oder teilweise ausschließen. Dieser Ausschluß sollte regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob die sachlichen Gründe, auf denen er beruht, weiter vorliegen. § 3 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Vereinbarung ist 1. „Teilzeitbeschäftigter“ ein Arbeitnehmer, dessen normale, auf Wochenbasis oder als Durchschnitt eines bis zu einem Jahr reichenden Beschäftigungszeitraumes berechnete Arbeitszeit unter der eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten liegt; 2. „vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter“ ein Vollzeitbeschäftigter desselben Betriebs mit derselben Art von Arbeitsvertrag oder Beschäftigungsverhältnis, der in der gleichen oder einer ähnlichen Arbeit/Beschäftigung tätig ist, wobei auch die Betriebszugehörigkeitsdauer und die Qualifikationen/Fertigkeiten sowie andere Erwägungen heranzuziehen sind. Ist in demselben Betrieb kein vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter vorhanden, so erfolgt der Vergleich anhand des anwendbaren Tarifvertrages oder, in Ermangelung eines solchen, gemäß den gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen oder den nationalen Gepflogenheiten. § 4 Grundsatz der Nichtdiskriminierung 1. Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. 874

Teilzeit-Richtlinie 97/81

3.8

2. Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz. 3. Die Anwendungsmodalitäten dieser Vorschrift werden von den Mitgliedstaaten und/oder den Sozialpartnern unter Berücksichtigung der Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und der einzelstaatlichen gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen und Gepflogenheiten festgelegt. 4. Wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist, können die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten und/oder die Sozialpartner gegebenenfalls den Zugang zu besonderen Beschäftigungsbedingungen von einer bestimmten Betriebszugehörigkeitsdauer, der Arbeitszeit oder Lohnund Gehaltsbedingungen abhängig machen. Die Zugangskriterien von Teilzeitbeschäftigten zu besonderen Beschäftigungsbedingungen sollten regelmäßig unter Berücksichtigung des in Paragraph 4 Nummer 1 genannten Grundsatzes der Nichtdiskriminierung überprüft werden. § 5 Teilzeitarbeitsmöglichkeiten 1. Im Rahmen des Paragraphen 1 dieser Vereinbarung und im Einklang mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten, a) sollten die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten Hindernisse rechtlicher oder verwaltungstechnischer Natur, die die Teilzeitarbeitsmöglichkeiten beschränken können, identifizieren und prüfen und sie gegebenenfalls beseitigen; b) sollten die Sozialpartner innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches durch tarifvertraglich vorgesehene Verfahren Hindernisse, die die Teilzeitarbeitsmöglichkeiten beschränken können, identifizieren und prüfen und sie gegebenenfalls beseitigen. 2. Die Weigerung eines Arbeitnehmers, von einem Vollzeitarbeitsverhältnis in ein Teilzeit-arbeitsverhältnis oder umgekehrt überzuwechseln, sollte, unbeschadet der Möglichkeit, gemäß den gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen und den nationalen Gepflogenheiten aus anderen Gründen, wie etwa wegen betrieblicher Notwendigkeit, Kündigungen auszusprechen, als solche keinen gültigen Kündigungsgrund darstellen. 3. Die Arbeitgeber sollten, soweit dies möglich ist, a) Anträge von Vollzeitbeschäftigten auf Wechsel in ein im Betrieb zur Verfügung stehendes Teilzeitarbeitsverhältnis berücksichtigen; b) Anträge von Teilzeitbeschäftigung auf Wechsel in ein Vollzeitarbeitsverhältnis oder auf Erhöhung ihrer Arbeitszeit, wenn sich diese Möglichkeit ergibt, berücksichtigen; c) bemüht sein, zur Erleichterung des Wechsels von einem Vollzeit- in ein Teilzeitarbeitsverhältnis und umgekehrt rechtzeitig Informationen über Teil875

3.8

Teilzeit-Richtlinie 97/81

zeit- oder Vollzeitarbeitsplätze, die im Betrieb zur Verfügung stehen, bereitzustellen; d) Maßnahmen, die den Zugang zur Teilzeitarbeit auf allen Ebenen des Unternehmens einschließlich qualifizierten und leitenden Stellungen erleichtern, und in geeigneten Fällen auch Maßnahmen, die den Zugang von Teilzeitbeschäftigten zur beruflichen Bildung erleichtern, zur Förderung des beruflichen Fortkommens und der beruflichen Mobilität in Erwägung ziehen; e) bemüht sein, den bestehenden Arbeitnehmervertretungsgremien geeignete Informationen über die Teilzeitarbeit in dem Unternehmen zur Verfügung zu stellen. § 6 Mindeststandardklausel, Rückschrittsverbot, Vorbehalt spezifischen Gemeinschaftsrechts sowie spezifischer oder ergänzender Vereinbarungen der Sozialpartner − nicht abgedruckt.

876

3.9 Befristungs-Richtlinie 1999/70

*

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 139 Absatz 2, auf Vorschlag der Kommission, in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Durch das Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam wurden die Vorschriften des Abkommens über die Sozialpolitik, das dem Protokoll über die Sozialpolitik beigefügt war, welches dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt war, in die Artikel 136 bis 139 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft übernommen. (2) Die Sozialpartner können nach Artikel 139 Absatz 2 des Vertrags gemeinsam beantragen, daß die auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission durchgeführt werden. (3) Nummer 7 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer sieht unter anderem folgendes vor: „Die Verwirklichung des Binnenmarktes muß zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen. Dieser Prozeß erfolgt durch eine Angleichung dieser Bedingungen auf dem Wege des Fortschritts und betrifft namentlich andere Arbeitsformen als das unbefristete Arbeitsverhältnis, wie das befristete Arbeitsverhältnis, Teilzeitarbeit, Leiharbeit und Saisonarbeit“. (4) Der Rat hat weder zu dem Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte Arbeitsverhältnisse im Hinblick auf Wettbewerbsverzerrungen1 noch zu dem Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte Arbeitsverhältnisse hinsichtlich der Arbeitsbedingungen2 einen Beschluß gefaßt. (5) Entsprechend den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Essen sind Maßnahmen „zur Steigerung der Beschäftigungsintensität des Wachstums, insbesondere durch eine flexiblere Organisation der Arbeit, die sowohl den Wünschen der Arbeitnehmer als auch den Erfordernissen des Wettbewerbs gerecht wird“ erforderlich. (6) In der Entschließung des Rates vom 9. Februar 1999 zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien für 1999 werden die Sozialpartner aufgefordert, auf allen geeigneten Ebenen Vereinbarungen zur Modernisierung der Arbeitsorganisation, darunter auch anpassungsfähige Arbeitsregelungen, auszuhandeln, um die Unternehmen produktiv und wettbewerbsfähig zu machen und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Anpassungsfähigkeit und Sicherheit zu erreichen. (7) Die Kommission hat nach Artikel 3 Absatz 2 des Abkommens über die Sozialpolitik die Sozialpartner zu der Frage gehört, wie eine Gemeinschaftsaktion zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und Absicherung der Arbeitnehmer gegebenenfalls ausgerichtet werden sollte.

* Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, ABl. 1999 L 175/43. 1 ABl. C 224 vom 8. 9. 1990, S. 6 und ABl. C 305 vom 5. 12. 1990, S. 8. 2 ABl. C 224 vom 8. 9. 1990, S. 4. https://doi.org/10.1515/9783110667776-037

3.9

Befristungs-Richtlinie 1999/70

(8) Die Kommission, die nach dieser Anhörung eine Gemeinschaftsaktion für zweckmäßig hielt, hat die Sozialpartner nach Artikel 3 Absatz 3 des genannten Abkommens erneut zum Inhalt des in Aussicht genommenen Vorschlags gehört. (9) Die allgemeinen branchenübergreifenden Organisationen, d. h. die Union der Industrieund Arbeitgeberverbände Europas (UNICE), der Europäische Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) und der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) haben der Kommission in einem gemeinsamen Schreiben vom 23. März 1998 mitgeteilt, daß sie das Verfahren nach Artikel 4 des genannten Abkommens in Gang setzen wollen. Sie haben die Kommission in einem gemeinsamen Schreiben um eine zusätzliche Frist von drei Monaten gebeten. Die Kommission kam dieser Bitte nach und verlängerte den Verhandlungszeitraum bis zum 30. März 1999. (10) Die genannten branchenübergreifenden Organisationen schlossen am 18. März 1999 eine Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge und übermittelten der Kommission nach Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens über die Sozialpolitik ihren gemeinsamen Antrag auf Durchführung dieser Rahmenvereinbarung durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission. (11) Der Rat hat in seiner Entschließung vom 6. Dezember 1994 „Bestimmte Perspektiven einer Sozialpolitik der Europäischen Union: ein Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Konvergenz in der Union“ 3 die Sozialpartner ersucht, die Möglichkeiten zum Abschluß von Vereinbarungen wahrzunehmen, weil sie in der Regel näher an den sozialen Problemen und der sozialen Wirklichkeit sind. (12) In der Präambel zu der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit kündigten die Unterzeichnerparteien ihre Absicht an, zu prüfen, ob ähnliche Vereinbarungen für andere flexible Arbeitsformen erforderlich sind. (13) Die Sozialpartner wollten den befristeten Arbeitsverträgen besondere Beachtung schenken, erklärten jedoch auch, daß sie in Erwägung ziehen wollten, ob eine ähnliche Vereinbarung über Leiharbeit erforderlich ist. (14) Die Unterzeichnerparteien wollten eine Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge schließen, welche die allgemeinen Grundsätze und Mindestvorschriften für befristete Arbeitsverträge und Beschäftigungsverhältnisse niederlegt. Sie haben ihren Willen bekundet, durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse zu verbessern und einen Rahmen zu schaffen, der den Mißbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse verhindert. (15) Der geeignete Rechtsakt zur Durchführung der Rahmenvereinbarung ist eine Richtlinie im Sinne von Artikel 249 des Vertrags. Sie ist für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überläßt diesen jedoch die Wahl der Form und der Mittel. (16) Entsprechend den in Artikel 5 des Vertrags genannten Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit können die Ziele dieser Richtlinie auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden, so daß sie besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden können. Die Richtlinie geht nicht über das für die Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinaus. (17) Bezüglich der in der Rahmenvereinbarung verwendeten, jedoch nicht genau definierten Begriffe überläßt es diese Richtlinie − wie andere im Sozialbereich erlassene Richtlinien,

3 ABl. C 368 vom 23. 12. 1994, S. 6.

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Befristungs-Richtlinie 1999/70

3.9

in denen ähnliche Begriffe vorkommen − den Mitgliedstaaten, diese Begriffe entsprechend ihrem nationalen Recht und/oder ihrer nationalen Praxis zu definieren, vorausgesetzt, diese Definitionen entsprechen inhaltlich der Rahmenvereinbarung. (18) Die Kommission hat ihren Richtlinienvorschlag entsprechend ihrer Mitteilung vom 14. Dezember 1993 über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik und ihrer Mitteilung vom 20. Mai 1998 zur Entwicklung des sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene unter Berücksichtigung des Vertretungsanspruchs der Unterzeichnerparteien, ihres Mandats und der Rechtmäßigkeit der Bestimmungen der Rahmenvereinbarung ausgearbeitet. Die Unterzeichnerparteien verfügen über einen ausreichenden kumulativen Vertretungsanspruch. (19) Entsprechend ihrer Mitteilung über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik hat die Kommission das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß unterrichtet und ihnen den Wortlaut der Rahmenvereinbarung sowie ihren mit einer Begründung versehenen Vorschlag für eine Richtlinie übermittelt. (20) Das Europäische Parlament hat am 6. Mai 1999 eine Entschließung zu der Rahmenvereinbarung der Sozialpartner angenommen. (21) Die Durchführung der Rahmenvereinbarung trägt zur Verwirklichung der in Artikel 136 des Vertrags genannten Ziele bei — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 [Ziel] Mit dieser Richtlinie soll die zwischen den allgemeinen branchenübergreifenden Organisationen (EGB, UNICE und CEEP) geschlossene Rahmenvereinbarung vom 18. März 1999 über befristete Arbeitsverträge, die im Anhang enthalten ist, durchgeführt werden. Art. 2–4 Umsetzungspflichten und -fristen, Adressaten − nicht abgedruckt.

Anhang EGB-UNICE-CEEP Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge Präambel Die vorliegende Rahmenvereinbarung ist ein Beispiel für die Rolle, die Sozialpartner im Rahmen der 1997 auf der Sondertagung in Luxemburg vereinbarten europäischen Beschäftigungsstrategie spielen können, und nach der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit ein weiterer Beitrag auf dem Weg zu einem besseren Gleichgewicht zwischen „Flexibilität der Arbeitszeit und Sicherheit der Arbeitnehmer“. Die Unterzeichnerparteien dieser Vereinbarung erkennen an, daß unbefristete Verträge die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern darstellen und weiter darstellen werden. Sie erkennen auch an, daß befristete Beschäftigungsverträge unter bestimmten Umständen den Bedürfnissen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern entsprechen.

879

3.9

Befristungs-Richtlinie 1999/70

Die Vereinbarung legt die allgemeinen Grundsätze und Mindestvorschriften für befristete Arbeitsverträge in der Erkenntnis nieder, daß bei ihrer genauen Anwendung die besonderen Gegebenheiten der jeweiligen nationalen, sektoralen und saisonalen Situation berücksichtigt werden müssen. Sie macht den Willen der Sozialpartner deutlich, einen allgemeinen Rahmen zu schaffen, der durch den Schutz vor Diskriminierung die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern in befristeten Arbeitsverhältnissen sichert und die Inanspruchnahme befristeter Arbeitsverträge auf einer für Arbeitgeber und Arbeitnehmer akzeptablen Grundlage ermöglicht. Die Vereinbarung gilt für Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen mit Ausnahme derer, die einem Unternehmen von einer Leiharbeitsagentur zur Verfügung gestellt werden. Es ist die Absicht der Parteien, den Abschluß einer ähnlichen Vereinbarung über Leiharbeit in Erwägung zu ziehen. Die Vereinbarung erstreckt sich auf die Beschäftigungsbedingungen von Arbeitnehmern in befristeten Arbeitsverhältnissen und erkennt an, daß Fragen der gesetzlichen Regelung der sozialen Sicherheit der Entscheidung der Mitgliedstaaten unterliegen. Die Sozialpartner nehmen in diesem Sinne von der Erklärung zur Beschäftigung des Europäischen Rates von Dublin aus dem Jahre 1996 Kenntnis, in der unter anderem betont wird, daß die Systeme der sozialen Sicherheit beschäftigungsfreundlicher gestaltet werden sollten, indem Systeme der sozialen Sicherheit entwickelt werden, die sich an neue Arbeitsstrukturen anpassen lassen und die jedem, der im Rahmen solcher Strukturen arbeitet, auch einen angemessenen sozialen Schutz bieten. Die Unterzeichnerparteien wiederholen ihre bereits 1997 in der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit geäußerte Ansicht, daß die Mitgliedstaaten die Erklärung unverzüglich umsetzen sollten. Außerdem wird anerkannt, daß Innovationen in den betrieblichen Sozialschutzsystemen erforderlich sind, um sie an die Bedingungen von heute anzupassen und insbesondere die Übertragbarkeit von Ansprüchen zu ermöglichen. EGB, UNICE und CEEP ersuchen die Kommission, diese Rahmenvereinbarung dem Rat vorzulegen, damit deren Vorschriften in den Mitgliedstaaten, die das Abkommen über die Sozialpolitik, das dem Protokoll (Nr. 14) über die Sozialpolitik im Anhang zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Union beigefügt ist, unterzeichnet haben, durch Ratsbeschluß verbindlich werden. Die Unterzeichnerparteien ersuchen die Kommission, die Mitgliedstaaten in ihrem Vorschlag zur Umsetzung dieser Vereinbarung aufzufordern, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um dem Ratsbeschluß innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach seiner Verabschiedung nachzukommen, oder sich zu vergewissern,4 daß die Sozialpartner die notwendigen Maßnahmen vor Ablauf dieser Frist im Wege einer Vereinbarung ergreifen. Bei besonderen Schwierigkeiten oder einer Umsetzung mittels eines Tarifvertrags haben die Mitgliedstaaten nach Konsultation der Sozialpartner gegebenenfalls zusätzlich bis zu einem Jahr Zeit, dieser Bestimmung nachzukommen. Die Unterzeichnerparteien bitten darum, daß die Sozialpartner vor jeder Maßnahme, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Erfüllung dieser Vereinbarung betrifft, konsultiert werden. Unbeschadet der jeweiligen Rolle der einzelstaatlichen Gerichte und des Gerichtshofs bitten die Unterzeichnerparteien darum, daß jede Frage im Hinblick auf die Auslegung dieser Verein-

4 Im Sinne von Artikel 2 Absatz 4 des Abkommens über die Sozialpolitik, das dem Protokoll (Nr. 14) über die Sozialpolitik im Anhang zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist.

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Befristungs-Richtlinie 1999/70

3.9

barung auf europäischer Ebene über die Kommission zunächst an sie weitergeleitet wird, damit sie eine Stellungnahme abgeben können.

Allgemeine Erwägungen 1.

Gestützt auf das Abkommen über die Sozialpolitik, das dem Protokoll (Nr. 14) über die Sozialpolitik im Anhang zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, insbesondere auf Artikel 3 Absatz 4 und Artikel 4 Absatz 2, in Erwägung nachstehender Gründe: 2. Gemäß Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens über die Sozialpolitik erfolgt die Durchführung der auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission. 3. Die Kommission kündigte in ihrem zweiten Konsultationspapier über die Flexibilität der Arbeitszeit und Arbeitnehmersicherheit an, eine gesetzlich bindende Gemeinschaftsmaßnahme vorschlagen zu wollen. 4. Das Europäische Parlament forderte die Kommission in seiner Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie über Teilzeitarbeit auf, unverzüglich Vorschläge für Richtlinien über andere Formen der flexiblen Arbeit wie befristete Arbeitsverträge und Leiharbeit zu unterbreiten. 5. In den Schlußfolgerungen des außerordentlichen Gipfeltreffens über Beschäftigungsfragen in Luxemburg ersuchte der Europäische Rat die Sozialpartner, „Vereinbarungen zur Modernisierung der Arbeitsorganisation, darunter flexible Arbeitsregelungen, auszuhandeln, um die Unternehmen produktiv und wettbewerbsfähig zu machen und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität und Sicherheit zu erreichen“. 6. Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Sie tragen zur Lebensqualität der betreffenden Arbeitnehmer und zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit bei. 7. Die aus objektiven Gründen erfolgende Inanspruchnahme befristeter Arbeitsverträge hilft Mißbrauch zu vermeiden. 8. Befristete Arbeitsverträge sind für die Beschäftigung in bestimmten Branchen, Berufen und Tätigkeiten charakteristisch und können den Bedürfnissen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer entsprechen. 9. Da mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen in der Europäischen Union Frauen sind, kann diese Vereinbarung zur Verbesserung der Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern beitragen. 10. Diese Vereinbarung überläßt es den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern, die Anwendungsmodalitäten ihrer allgemeinen Grundsätze, Mindestvorschriften und Bestimmungen zu definieren, um so der jeweiligen Situation der einzelnen Mitgliedstaaten und den Umständen bestimmter Branchen und Berufe einschließlich saisonaler Tätigkeiten Rechnung zu tragen. 11. Diese Vereinbarung berücksichtigt die Notwendigkeit, die sozialpolitischen Rahmenbedingungen zu verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Gemeinschaft zu fördern und verwaltungstechnische, finanzielle oder rechtliche Zwänge zu vermeiden, die die Gründung und Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen behindern könnten.

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3.9

Befristungs-Richtlinie 1999/70

12.

Die Sozialpartner sind am besten in der Lage, Lösungen zu finden, die den Bedürfnissen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gereicht werden. Daher ist ihnen eine besondere Rolle bei der Umsetzung und Anwendung dieser Vereinbarung einzuräumen — HABEN DIE UNTERZEICHNERPARTEIEN FOLGENDES VEREINBART:

§ 1 Gegenstand Diese Rahmenvereinbarung soll: a) durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse verbessern; b) einen Rahmen schaffen, der den Mißbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse verhindert. § 2 Anwendungsbereich 1. Diese Vereinbarung gilt für befristet beschäftigte Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag oder -verhältnis gemäß der gesetzlich, tarifvertraglich oder nach den Gepflogenheiten in jedem Mitgliedstaat geltenden Definition. 2. Die Mitgliedstaaten, nach Anhörung der Sozialpartner, und/oder die Sozialpartner können vorsehen, daß diese Vereinbarung nicht gilt für: a) Berufsausbildungsverhältnisse und Auszubildendensysteme/ Lehrlingsausbildungssysteme; b) Arbeitsverträge und -verhältnisse, die im Rahmen eines besonderen öffentlichen oder von der öffentlichen Hand unterstützten beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- oder Umschulungsprogramms abgeschlossen wurden. § 3 Definitionen Im Sinne dieser Vereinbarung ist: 1. „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ eine Person mit einem direkt zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrag oder -verhältnis, dessen Ende durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt wird. 2. „vergleichbarer Dauerbeschäftigter“ ein Arbeitnehmer desselben Betriebs mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag oder -verhältnis, der in der gleichen oder einer ähnlichen Arbeit/Beschäftigung tätig ist, wobei auch die Qualifikationen/ Fertigkeiten angemessen zu berücksichtigen sind. Ist in demselben Betrieb kein vergleichbarer Dauerbeschäftigter vorhanden, erfolgt der Vergleich anhand des anwendbaren Tarifvertrags oder in Ermangelung eines solchen gemäß den einzelstaatlichen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen oder Gepflogenheiten. § 4 Grundsatz der Nichtdiskriminierung 1. Befristet beschäftige Arbeitnehmer dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil für sie ein 882

Befristungs-Richtlinie 1999/70

3.9

befristeter Arbeitsvertrag oder ein befristetes Arbeitsverhältnis gilt, gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. 2. Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz. 3. Die Anwendungsmodalitäten dieser Bestimmung werden von den Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner und/oder von den Sozialpartnern unter Berücksichtigung der Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und der einzelstaatlichen gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen und Gepflogenheiten festgelegt. 4. In Bezug auf bestimmte Beschäftigungsbedingungen gelten für befristet beschäftige Arbeitnehmer dieselben Betriebszugehörigkeitszeiten wie für Dauerbeschäftigte, es sei denn, unterschiedliche Betriebszugehörigkeitszeiten sind aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. § 5 Maßnahmen zur Vermeidung von Mißbrauch 1. Um Mißbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden, ergreifen die Mitgliedstaaten nach der gesetzlich oder tarifvertraglich vorgeschriebenen oder in dem Mitgliedstaat üblichen Anhörung der Sozialpartner und/oder die Sozialpartner, wenn keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Mißbrauchsverhinderung bestehen, unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen: a) sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge oder Verhältnisse rechtfertigen; b) die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder -verhältnisse; c) die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse. 2. Die Mitgliedstaaten, nach Anhörung der Sozialpartner, und/oder die Sozialpartner legen gegebenenfalls fest, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse: a) als „aufeinanderfolgend“ zu betrachten sind; b) als unbefristete Verträge oder Verhältnisse zu gelten haben. § 6 Information und Beschäftigungsmöglichkeiten 1. Die Arbeitgeber informieren die befristet beschäftigten Arbeitnehmer über Stellen, die im Unternehmen oder Betrieb frei werden, damit diese die gleichen Chancen auf einen sicheren unbefristeten. Arbeitsplatz haben wie andere Arbeitnehmer. Diese Information kann durch allgemeine Bekanntgabe an geeigneter Stelle im Unternehmen oder Betrieb erfolgen. 883

3.9

Befristungs-Richtlinie 1999/70

2. Die Arbeitgeber erleichtern den befristet beschäftigten Arbeitnehmern, soweit dies möglich ist, den Zugang zu angemessenen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die die Verbesserung ihrer Fertigkeiten, ihr berufliches Fortkommen und ihre berufliche Mobilität fördern. § 7 Information und Konsultation 1. Befristet beschäftigte Arbeitnehmer werden entsprechend den nationalen Rechtvorschriften bei der Berechnung der Schwellenwerte für die Einrichtung von Arbeitnehmervertretungen in den Unternehmen berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten vorgesehen sind. 2. Die Anwendungsmodalitäten des Paragraphs 7 Nummer 1 werden von den Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner und/oder von den Sozialpartnern unter Berücksichtigung der einzelstaatlichen gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen und Gepflogenheiten und im Einklang mit Paragraph 4 Nummer 1 festgelegt. 3. Die Arbeitgeber ziehen, soweit dies möglich ist, eine angemessene Information der vorhandenen Arbeitnehmervertretungsgremien über befristete Arbeitsverhältnisse im Unternehmen in Erwägung. § 8 Mindeststandardklausel, Rückschrittsverbot, Vorbehalt spezifischen Gemeinschaftsrechts sowie spezifischer oder ergänzender Vereinbarungen der Sozialpartner − nicht abgedruckt.

884

3.10 Leiharbeits-Richtlinie 2008/104

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 137 Absatz 2, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 nach Anhörung des Ausschusses der Regionen, gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und befolgt die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Prinzipien.4 Sie soll insbesondere die uneingeschränkte Einhaltung von Artikel 31 der Charta gewährleisten, wonach jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen sowie auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub hat. (2) Nummer 7 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer sieht unter anderem vor, dass die Verwirklichung des Binnenmarktes zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen muss; dieser Prozess erfolgt durch eine Angleichung dieser Bedingungen auf dem Wege des Fortschritts und betrifft namentlich Arbeitsformen wie das befristete Arbeitsverhältnis, Teilzeitarbeit, Leiharbeit und Saisonarbeit. (3) Die Kommission hat die Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene am 27. September 1995 gemäß Artikel 138 Absatz 2 des Vertrags zu einem Tätigwerden auf Gemeinschaftsebene hinsichtlich der Flexibilität der Arbeitszeit und der Arbeitsplatzsicherheit gehört. (4) Da die Kommission nach dieser Anhörung eine Gemeinschaftsaktion für zweckmäßig hielt, hat sie die Sozialpartner am 9. April 1996 erneut gemäß Artikel 138 Absatz 3 des Vertrags zum Inhalt des in Aussicht genommenen Vorschlags gehört. (5) In der Präambel zu der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge bekundeten die Unterzeichneten ihre Absicht, die Notwendigkeit einer ähnlichen Vereinbarung zum Thema Leiharbeit zu prüfen und entschieden, Leiharbeitnehmer nicht in der Richtlinie über befristete Arbeitsverträge zu behandeln. (6) Die allgemeinen branchenübergreifenden Wirtschaftsverbände, nämlich die Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE),5 der Europäische Zentralverband der

* Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit, ABl. 2008 L 327/9. 1 [KOM(2002) 149 endg. Geänderter Vorschlag KOM(2002) 701 endg.] 2 ABl. C 61 vom 14. 3. 2003, S. 124. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 21. 11. 2002 (ABl. C 25 E vom 29. 1. 2004, S. 368), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 15. 9. 2008 [(ABl. C 254 E vom 7. 10. 2008, S. 36)] und Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 22. 10. 2008 ([ABl. C 15 E vom 21. 1. 2010, S. 137]). 4 ABl. C 303 vom 14. 12. 2007, S. 1. 5 Die UNICE hat ihren Namen im Januar 2007 in BUSINESSEUROPE geändert. https://doi.org/10.1515/9783110667776-038

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öffentlichen Wirtschaft (CEEP) und der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB), haben der Kommission in einem gemeinsamen Schreiben vom 29. Mai 2000 mitgeteilt, dass sie den Prozess nach Artikel 139 des Vertrags in Gang setzen wollen. Sie haben die Kommission in einem weiteren gemeinsamen Schreiben vom 28. Februar 2001 um eine Verlängerung der in Artikel 138 Absatz 4 genannten Frist um einen Monat ersucht. Die Kommission hat dieser Bitte entsprochen und die Verhandlungsfrist bis zum 15. März 2001 verlängert. Am 21. Mai 2001 erkannten die Sozialpartner an, dass ihre Verhandlungen über Leiharbeit zu keinem Ergebnis geführt hatten. Der Europäische Rat hat es im März 2005 für unabdingbar gehalten, der Lissabon-Strategie neue Impulse zu geben und ihre Prioritäten erneut auf Wachstum und Beschäftigung auszurichten. Der Rat hat die Integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (2005–2008) angenommen, die unter gebührender Berücksichtigung der Rolle der Sozialpartner unter anderem der Förderung von Flexibilität in Verbindung mit Beschäftigungssicherheit und der Verringerung der Segmentierung des Arbeitsmarktes dienen sollen. Im Einklang mit der Mitteilung der Kommission zur sozialpolitischen Agenda für den Zeitraum bis 2010, die vom Europäischen Rat im März 2005 als Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Strategie durch Stärkung des europäischen Sozialmodells begrüßt wurde, hat der Europäische Rat die Ansicht vertreten, dass auf Seiten der Arbeitnehmer und der Unternehmen neue Formen der Arbeitsorganisation und eine größere Vielfalt der Arbeitsverträge mit besserer Kombination von Flexibilität und Sicherheit zur Anpassungsfähigkeit beitragen würden. Im Dezember 2007 hat der Europäische Rat darüber hinaus die vereinbarten gemeinsamen Flexicurity-Grundsätze gebilligt, die auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt abstellen und sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern helfen sollen, die durch die Globalisierung gebotenen Chancen zu nutzen. In Bezug auf die Inanspruchnahme der Leiharbeit sowie die rechtliche Stellung, den Status und die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer lassen sich innerhalb der Union große Unterschiede feststellen. Die Leiharbeit entspricht nicht nur dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen, sondern auch dem Bedürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben zu vereinbaren. Sie trägt somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Teilnahme am und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bei. Die vorliegende Richtlinie legt einen diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer fest und wahrt gleichzeitig die Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen. Die Richtlinie 91/383/EWG des Rates vom 25. Juni 1991 zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis6 enthält die für Leiharbeitnehmer geltenden Bestimmungen im Bereich von Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für Leiharbeitnehmer sollten mindestens denjenigen entsprechen, die für diese Arbeitnehmer gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt würden. Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Im Falle von Arbeitnehmern, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunterneh-

6 ABl. L 206 vom 29. 7. 1991, S. 19.

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3.10

men geschlossen haben, sollte angesichts des hierdurch gegebenen besonderen Schutzes die Möglichkeit vorgesehen werden, von den im entleihenden Unternehmen geltenden Regeln abzuweichen. (16) Um der Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen auf flexible Weise gerecht zu werden, können die Mitgliedstaaten den Sozialpartnern gestatten, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festzulegen, sofern das Gesamtschutzniveau für Leiharbeitnehmer gewahrt bleibt. (17) Außerdem sollten die Mitgliedstaaten unter bestimmten, genau festgelegten Umständen auf der Grundlage einer zwischen den Sozialpartnern auf nationaler Ebene geschlossenen Vereinbarung vom Grundsatz der Gleichbehandlung in beschränktem Maße abweichen dürfen, sofern ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist. (18) Die Verbesserung des Mindestschutzes der Leiharbeitnehmer sollte mit einer Überprüfung der Einschränkungen oder Verbote einhergehen, die möglicherweise in Bezug auf Leiharbeit gelten. Diese können nur aus Gründen des Allgemeininteresses, vor allem des Arbeitnehmerschutzes, der Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz und der Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten, gerechtfertigt sein. (19) Die vorliegende Richtlinie beeinträchtigt weder die Autonomie der Sozialpartner, noch sollte sie die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern beeinträchtigen, einschließlich des Rechts, Tarifverträge gemäß nationalem Recht und nationalen Gepflogenheiten bei gleichzeitiger Einhaltung des geltenden Gemeinschaftsrechts auszuhandeln und zu schließen. (20) Die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen über Einschränkungen oder Verbote der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern lassen die nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten unberührt, die es verbieten, streikende Arbeitnehmer durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen. (21) Die Mitgliedstaaten sollten für Verstöße gegen die Verpflichtungen aus dieser Richtlinie Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren zur Wahrung der Rechte der Leiharbeitnehmer sowie wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Sanktionen vorsehen. (22) Die vorliegende Richtlinie sollte im Einklang mit den Vorschriften des Vertrags über die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, und unbeschadet der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen7 umgesetzt werden. (23) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Schaffung eines auf Gemeinschaftsebene harmonisierten Rahmens zum Schutz der Leiharbeitnehmer, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, und zwar durch Einführung von Mindestvorschriften, die in der gesamten Europäischen Gemeinschaft Geltung besitzen, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

7 ABl. L 18 vom 21. 1. 1997, S. 1 [Entsende-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.1].

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3.10

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Kapitel I − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten. (2) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, bei denen es sich um Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen handelt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. (3) Die Mitgliedstaaten können nach Anhörung der Sozialpartner vorsehen, dass diese Richtlinie nicht für Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse gilt, die im Rahmen eines spezifischen öffentlichen oder von öffentlichen Stellen geförderten beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramms geschlossen wurden. Art. 2 Ziel Ziel dieser Richtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gemäß Artikel 5 gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen. Art. 3 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) „Arbeitnehmer“ eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist; b) „Leiharbeitsunternehmen“ eine natürliche oder juristische Person, die nach einzelstaatlichem Recht mit Leiharbeitnehmern Arbeitsverträge schließt oder Beschäftigungsverhältnisse eingeht, um sie entleihenden Unternehmen zu überlassen, damit sie dort unter deren Aufsicht und Leitung vorübergehend arbeiten; c) „Leiharbeitnehmer“ einen Arbeitnehmer, der mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen hat oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, um einem entleihenden Unternehmen überlassen zu werden und dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten; 888

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3.10

d) „entleihendes Unternehmen“ eine natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag und unter deren Aufsicht und Leitung ein Leiharbeitnehmer vorübergehend arbeitet; e) „Überlassung„ den Zeitraum, während dessen der Leiharbeitnehmer dem entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt wird, um dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten; f) „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Tarifvertrag und/oder sonstige verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art, die im entleihenden Unternehmen gelten, festgelegt sind und sich auf folgende Punkte beziehen: i) Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage, ii) Arbeitsentgelt. (2) Diese Richtlinie lässt das nationale Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmungen von „Arbeitsentgelt“, „Arbeitsvertrag“, „Beschäftigungsverhältnis“ oder „Arbeitnehmer“ unberührt. Die Mitgliedstaaten dürfen Arbeitnehmer, Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse nicht lediglich deshalb aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschließen, weil sie Teilzeitbeschäftigte, befristet beschäftigte Arbeitnehmer oder Personen sind bzw. betreffen, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind. Art. 4 Überprüfung der Einschränkungen und Verbote (1) Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit sind nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt; hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten. (2) Nach Anhörung der Sozialpartner gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und Gepflogenheiten überprüfen die Mitgliedstaaten bis zum 5. Dezember 2011 die Einschränkungen oder Verbote des Einsatzes von Leiharbeit, um festzustellen, ob sie aus den in Absatz 1 genannten Gründen gerechtfertigt sind. (3) Sind solche Einschränkungen oder Verbote durch Tarifverträge festgelegt, so kann die Überprüfung gemäß Absatz 2 von denjenigen Sozialpartnern durchgeführt werden, die die einschlägige Vereinbarung ausgehandelt haben. (4) Die Absätze 1, 2 und 3 gelten unbeschadet der nationalen Anforderungen hinsichtlich der Eintragung, Zulassung, Zertifizierung, finanziellen Garantie und Überwachung der Leiharbeitsunternehmen. 889

3.10

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(5) Die Mitgliedstaaten informieren die Kommission über die Ergebnisse der Überprüfung gemäß den Absätzen 2 und 3 bis zum 5. Dezember 2011.

Kapitel II − Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen Art. 5 Grundsatz der Gleichbehandlung (1) Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer entsprechen während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären. Bei der Anwendung von Unterabsatz 1 müssen die im entleihenden Unternehmen geltenden Regeln in Bezug auf a) den Schutz schwangerer und stillender Frauen und den Kinder- und Jugendschutz sowie b) die Gleichbehandlung von Männern und Frauen und sämtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung so eingehalten werden, wie sie durch Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften, Tarifverträge und/oder sonstige Bestimmungen allgemeiner Art festgelegt sind. (2) In Bezug auf das Arbeitsentgelt können die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner die Möglichkeit vorsehen, dass vom Grundsatz des Absatzes 1 abgewichen wird, wenn Leiharbeitnehmer, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen abgeschlossen haben, auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden. (3) Die Mitgliedstaaten können nach Anhörung der Sozialpartner diesen die Möglichkeit einräumen, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern, welche von den in Absatz 1 aufgeführten Regelungen abweichen können, enthalten können. (4) Sofern Leiharbeitnehmern ein angemessenes Schutzniveau gewährt wird, können Mitgliedstaaten, in denen es entweder kein gesetzliches System, durch das Tarifverträge allgemeine Gültigkeit erlangen, oder kein gesetzliches System bzw. keine Gepflogenheiten zur Ausweitung von deren Bestimmungen auf alle vergleichbaren Unternehmen in einem bestimmten Sektor oder bestimmten geografischen Gebiet gibt, — nach Anhörung der Sozialpartner auf nationaler Ebene und auf der Grundlage einer von ihnen geschlossenen Vereinbarung — 890

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3.10

Regelungen in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern festlegen, die vom Grundsatz des Absatzes 1 abweichen. Zu diesen Regelungen kann auch eine Wartezeit für Gleichbehandlung zählen. Die in diesem Absatz genannten Regelungen müssen mit den gemeinschaftlichen Bestimmungen in Einklang stehen und hinreichend präzise und leicht zugänglich sein, damit die betreffenden Sektoren und Firmen ihre Verpflichtungen bestimmen und einhalten können. Insbesondere müssen die Mitgliedstaaten in Anwendung des Artikels 3 Absatz 2 angeben, ob betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit, einschließlich Rentensysteme, Systeme zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Systeme der finanziellen Beteiligung, zu den in Absatz 1 genannten wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zählen. Solche Vereinbarungen lassen Vereinbarungen auf nationaler, regionaler, lokaler oder sektoraler Ebene, die für Arbeitnehmer nicht weniger günstig sind, unberührt. (5) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, um eine missbräuchliche Anwendung dieses Artikels zu verhindern und um insbesondere aufeinander folgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern. Sie unterrichten die Kommission über solche Maßnahmen. Art. 6 Zugang zu Beschäftigung, Gemeinschaftseinrichtungen und beruflicher Bildung (1) Die Leiharbeitnehmer werden über die im entleihenden Unternehmen offenen Stellen unterrichtet, damit sie die gleichen Chancen auf einen unbefristeten Arbeitsplatz haben wie die übrigen Arbeitnehmer dieses Unternehmens. Diese Unterrichtung kann durch allgemeine Bekanntmachung an einer geeigneten Stelle in dem Unternehmen erfolgen, in dessen Auftrag und unter dessen Aufsicht die Leiharbeitnehmer arbeiten. (2) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, damit Klauseln, die den Abschluss eines Arbeitsvertrags oder die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem entleihenden Unternehmen und dem Leiharbeitnehmer nach Beendigung seines Einsatzes verbieten oder darauf hinauslaufen, diese zu verhindern, nichtig sind oder für nichtig erklärt werden können. Dieser Absatz lässt die Bestimmungen unberührt, aufgrund deren Leiharbeitsunternehmen für die dem entleihenden Unternehmen erbrachten Dienstleistungen in Bezug auf Überlassung, Einstellung und Ausbildung von Leiharbeitnehmern einen Ausgleich in angemessener Höhe erhalten. (3) Leiharbeitsunternehmen dürfen im Gegenzug zur Überlassung an ein entleihendes Unternehmen oder in dem Fall, dass Arbeitnehmer nach beendigter 891

3.10

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Überlassung mit dem betreffenden entleihenden Unternehmen einen Arbeitsvertrag abschließen oder ein Beschäftigungsverhältnis eingehen, kein Entgelt von den Arbeitnehmern verlangen. (4) Unbeschadet des Artikels 5 Absatz 1 haben Leiharbeitnehmer in dem entleihenden Unternehmen zu den gleichen Bedingungen wie die unmittelbar von dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten, insbesondere zur Gemeinschaftsverpflegung, zu Kinderbetreuungseinrichtungen und zu Beförderungsmitteln, es sei denn, eine unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt. (5) Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen oder fördern den Dialog zwischen den Sozialpartnern nach ihren nationalen Traditionen und Gepflogenheiten mit dem Ziel, a) den Zugang der Leiharbeitnehmer zu Fort- und Weiterbildungsangeboten und Kinderbetreuungseinrichtungen in den Leiharbeitsunternehmen — auch in der Zeit zwischen den Überlassungen — zu verbessern, um deren berufliche Entwicklung und Beschäftigungsfähigkeit zu fördern; b) den Zugang der Leiharbeitnehmer zu den Fort- und Weiterbildungsangeboten für die Arbeitnehmer der entleihenden Unternehmen zu verbessern. Art. 7 Vertretung der Leiharbeitnehmer (1) Leiharbeitnehmer werden unter Bedingungen, die die Mitgliedstaaten festlegen, im Leiharbeitsunternehmen bei der Berechnung des Schwellenwertes für die Einrichtung der Arbeitnehmervertretungen berücksichtigt, die nach Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht oder in den Tarifverträgen vorgesehen sind. (2) Die Mitgliedstaaten können unter den von ihnen festgelegten Bedingungen vorsehen, dass Leiharbeitnehmer im entleihenden Unternehmen bei der Berechnung des Schwellenwertes für die Einrichtung der nach Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht oder in den Tarifverträgen vorgesehenen Arbeitnehmervertretungen im gleichen Maße berücksichtigt werden wie Arbeitnehmer, die das entleihende Unternehmen für die gleiche Dauer unmittelbar beschäftigen würde. (3) Die Mitgliedstaaten, die die Option nach Absatz 2 in Anspruch nehmen, sind nicht verpflichtet, Absatz 1 umzusetzen. Art. 8 Unterrichtung der Arbeitnehmervertreter Unbeschadet strengerer und/oder spezifischerer einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Vorschriften über Unterrichtung und Anhörung und insbesondere der Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft 8 hat das entleihende Unternehmen den 8 ABl. L 80 vom 23. 3. 2002, S. 29 [Unterrichtungsrahmen-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.14].

892

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3.10

gemäß einzelstaatlichem und gemeinschaftlichem Recht eingesetzten Arbeitnehmervertretungen im Zuge der Unterrichtung über die Beschäftigungslage in dem Unternehmen angemessene Informationen über den Einsatz von Leiharbeitnehmern in dem Unternehmen vorzulegen.

Kapitel III − Schlussbestimmungen Art. 9 Mindestvorschriften (1) Diese Richtlinie lässt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, für Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder den Abschluss von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zuzulassen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind. (2) Die Durchführung dieser Richtlinie ist unter keinen Umständen ein hinreichender Grund zur Rechtfertigung einer Senkung des allgemeinen Schutzniveaus für Arbeitnehmer in den von dieser Richtlinie abgedeckten Bereichen. Dies gilt unbeschadet der Rechte der Mitgliedstaaten und/oder der Sozialpartner, angesichts sich wandelnder Bedingungen andere Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder vertragliche Regelungen festzulegen als diejenigen, die zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Richtlinie gelten, sofern die Mindestvorschriften dieser Richtlinie eingehalten werden. Art. 10 Sanktionen (1) Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie durch Leiharbeitsunternehmen oder durch entleihende Unternehmen sehen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen vor. Sie sorgen insbesondere dafür, dass es geeignete Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gibt, um die Erfüllung der sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen durchsetzen zu können. (2) Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die im Falle eines Verstoßes gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie Anwendung finden, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Die Sanktionen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Bestimmungen bis zum 5. Dezember 2011 mit. Die Mitgliedstaaten melden der Kommission rechtzeitig alle nachfolgenden Änderungen dieser Bestimmungen. Sie stellen insbesondere sicher, dass die Arbeitnehmer und/oder ihre Vertreter über angemessene Mittel zur Erfüllung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen verfügen. Art. 11–13 Umsetzungspflichten, Inkrafttreten, Adressaten − nicht abgedruckt.

893

3.11 Mutterschutz-Richtlinie 92/85

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DER RAT DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 118a, auf Vorschlag der Kommission, erstellt nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz,1 in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament,2 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,3 in Erwägung nachstehender Gründe: [1] Artikel 118a des Vertrages sieht vor, daß der Rat durch Richtlinien Mindestvorschriften erläßt, um die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zu fördern und so die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen [2] Diese Richtlinie ermöglicht keine Einschränkung des bereits in den einzelnen Mitgliedstaaten erzielten Schutzes; die Mitgliedstaaten haben sich gemäß dem Vertrag verpflichtet, die bestehenden Bedingungen in diesem Bereich zu verbessern, und sich eine Harmonisierung bei gleichzeitigem Fortschritt zum Ziel gesetzt. [3] Gemäß dem Artikel 118a des Vertrages wird in diesen Richtlinien auf verwaltungsmäßige, finanzielle oder rechtliche Auflagen verzichtet, die der Gründung und Entwicklung von Klein- und Mittelbetrieben entgegenstehen. [4] Gemäß dem Beschluß 74/325/EWG,4 zuletzt geändert durch die Beitrittsakte von 1985, wird der Beratende Ausschuß für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz im Hinblick auf die Ausarbeitung von Vorschlägen auf diesem Gebiet von der Kommission gehört. [5] In der vom Europäischen Rat am 9. Dezember 1989 in Straßburg verabschiedeten Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer heißt es insbesondere in Absatz 19: [6] „Jeder Arbeitnehmer muß in seiner Arbeitsumwelt zufriedenstellende Bedingungen für Gesundheitsschutz und Sicherheit vorfinden. Es sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Harmonisierung der auf diesem Gebiet bestehenden Bedingungen auf dem Weg des Fortschritts weiterzuführen.“ [6] Die Kommission hat sich im Rahmen ihres Aktionsprogramms zur Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer unter anderem den Erlaß einer Richtlinie über den Schutz von Schwangeren am Arbeitsplatz durch den Rat zum Ziel gesetzt.

* Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG), ABl. 1992 L 348/1. 1 ABI. Nr. C 281 vom 9. 11. 1990, S. 3, und ABI. Nr. C 25 vom 1. 2. 1991, S. 9. 2 ABl. Nr. C 19 vom 28. 1. 1991, S. 177, und ABI. Nr. C 150 vom 15. 6. 1992, S. 99. 3 ABI. Nr. C 41 vom 18. 2. 1991, S. 29. 4 ABI. Nr. L 185 vom 9. 7. 1974, S. 15. https://doi.org/10.1515/9783110667776-039

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Gemäß Artikel 15 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit 5 müssen besonders gefährdete Risikogruppen gegen die speziell sie bedrohenden Gefahren geschützt werden. Da schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen in vielerlei Hinsicht als eine Gruppe mit besonderen Risiken betrachtet werden müssen, sind Maßnahmen für ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu treffen. Der Schutz der Sicherheit und der Gesundheit von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen darf Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht benachteiligen; er darf ferner nicht die Richtlinien zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen beeinträchtigen. Bei bestimmten Tätigkeiten kann ein besonderes Risiko einer Exposition der schwangeren Arbeitnehmerin, der Wöchnerin oder der stillenden Arbeitnehmerin gegenüber gefährlichen Agenzien, Verfahren oder Arbeitsbedingungen bestehen; diese Risiken müssen beurteilt und die Ergebnisse dieser Beurteilung den Arbeitnehmerinnen und/oder ihren Vertretern mitgeteilt werden. Für den Fall, daß das Ergebnis dieser Beurteilung ein Risiko für die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmerin ergibt, ist eine Regelung zum Schutz der Arbeitnehmerin vorzusehen. Schwangere Arbeitnehmerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen dürfen keine Tätigkeiten ausüben, bei denen die Beurteilung ergeben hat, daß das Risiko einer die Sicherheit oder Gesundheit gefährdenden Exposition gegenüber bestimmten besonders gefährlichen Agenzien oder Arbeitsbedingungen besteht. Es sind Bestimmungen vorzusehen, nach denen schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillende Arbeitnehmerinnen nicht verpflichtet werden, Nachtarbeit zu verrichten, wenn dies aus Gründen ihrer Sicherheit und Gesundheit erforderlich ist. Die Empfindlichkeit der schwangeren Arbeitnehmerin, der Wöchnerin oder der stillenden Arbeitnehmerin machen einen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung erforderlich, die sich auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen; ferner muß ein Mutterschaftsurlaub von mindestens zwei Wochen obligatorisch gemacht werden, der auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufzuteilen ist. Die Gefahr, aus Gründen entlassen zu werden, die mit ihrem Zustand in Verbindung stehen, kann sich schädlich auf die physische und psychische Verfassung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen auswirken; daher ist es erforderlich, ihre Kündigung zu verbieten. Die arbeitsorganisatorischen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der schwangeren Arbeitnehmerinnen, der Wöchnerinnen oder der stillenden Arbeitnehmerinnen hätten keine praktische Wirksamkeit, wenn nicht gleichzeitig die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte, einschließlich der Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung, gewährleistet wären. Desgleichen hätten die Bestimmungen über den Mutterschaftsurlaub keine praktische Wirksamkeit, wenn nicht gleichzeitig die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte und die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung gewährleistet waren.

5 ABI. Nr. L 183 vom 29. 6. 1989, S. 1 [Arbeitsschutzrahmen-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.6].

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3.11

Mutterschutz-Richtlinie 92/85

[18] Der Begriff der angemessenen Sozialleistung beim Mutterschaftsurlaub ist als ein technischer Bezugspunkt zur Festlegung des Mindestschutzstandards anzusehen; er darf keinesfalls als eine Gleichstellung von Schwangerschaft und Krankheit ausgelegt werden — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Abschnitt I − Ziel und Definitionen Art. 1 Ziel (1) Ziel dieser Richtlinie, die die zehnte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG darstellt, ist die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz. (2) Die Bestimmungen der Richtlinie 89/391/EWG mit Ausnahme von Artikel 2 Absatz 2 gelten unbeschadet strengerer und/oder spezifischer Bestimmungen dieser Richtlinie uneingeschränkt für den gesamten Bereich im Sinne von Absatz 1. (3) Aus dieser Richtlinie läßt sich bei ihrer Umsetzung keine Rechtfertigung für einen Abbau des der schwangeren Arbeitnehmerin, der Wöchnerin oder der stillenden Arbeitnehmerin gewährten Schutzes im Vergleich mit der Lage ableiten, die in den einzelnen Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Richtlinie besteht. Art. 2 Definitionen Im Sinne dieser Richtlinie gilt als a) „schwangere Arbeitnehmerin“ jede schwangere Arbeitnehmerin, die den Arbeitgeber gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/ oder Gepflogenheiten von ihrer Schwangerschaft unterrichtet; b) „Wöchnerin“ jede Arbeitnehmerin kurz nach einer Entbindung im Sinne der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, die den Arbeitgeber gemäß diesen Rechtsvorschriften und/ oder Gepflogenheiten von ihrer Entbindung unterrichtet; c) „stillende Arbeitnehmerin“ jede stillende Arbeitnehmerin/im Sinne der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, die den Arbeitgeber gemäß diesen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten darüber unterrichtet, daß sie stillt.

Abschnitt II − Allgemeine Bestimmungen Art. 3 Leitlinien (1) Die Kommission erstellt im Benehmen mit den Mitgliedstaaten und mit Unterstützung des Beratenden Ausschusses für Sicherheit, Arbeits896

Mutterschutz-Richtlinie 92/85

3.11

hygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz Leitlinien für die Beurteilung der chemischen, physikalischen und biologischen Agenzien sowie der industriellen Verfahren, die als Gefahrenquelle für Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 gelten. Die in Unterabsatz 1 genannten Leitlinien erstrecken sich auch auf die Bewegungen und Körperhaltungen, die geistige und körperliche Ermüdung und die sonstigen, mit der Tätigkeit der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 verbundenen körperlichen und geistigen Belastungen. (2) Die in Absatz 1 genannten Leitlinien sollen als Leitfaden für die in Artikel 4 Absatz 1 vorgesehene Beurteilung dienen. Zu diesem Zweck bringen die Mitgliedstaaten diese Leitlinien den Arbeitgebern und den Arbeitnehmerinnen und/oder ihren Vertretern in dem betreffenden Mitgliedstaat zur Kenntnis. Art. 4 Beurteilung und Unterrichtung (1) Für jede Tätigkeit, bei der ein besonderes Risiko einer Exposition gegenüber den in der nicht erschöpfenden Liste in Anhang I genannten Agenzien, Verfahren und Arbeitsbedingungen besteht, sind in dem betreffenden Unternehmen und/oder Betrieb vom Arbeitgeber selbst oder durch die in Artikel 7 der Richtlinie 89/391/EWG genannten Dienste für die Gefahrenverhütung Art, Ausmaß und Dauer der Exposition der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 zu beurteilen, damit — alle Risiken für Sicherheit und Gesundheit sowie alle Auswirkungen auf Schwangerschaft oder Stillzeit der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 abgeschätzt und — die zu ergreifenden Maßnahmen bestimmt werden können. (2) Unbeschadet des Artikels 10 der Richtlinie 89/391/EWG werden in dem betreffenden Unternehmen und/oder Betrieb die Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 sowie diejenigen Arbeitnehmerinnen, die sich in einer der in Artikel 2 genannten Situationen befinden könnten, und/oder ihre Vertreter über die Ergebnisse der Beurteilung nach Absatz 1 und über die in bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu ergreifenden Maßnahmen unterrichtet. Art. 5 Konsequenzen aus der Beurteilung (1) Ergibt die Beurteilung nach Artikel 4 Absatz 1 das Vorhandensein einer Gefährdung für Sicherheit oder Gesundheit sowie eine mögliche Auswirkung auf Schwangerschaft oder Stillzeit einer Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 2, so trifft der Arbeitgeber unbeschadet des Artikels 6 der Richtlinie 89/391/EWG die erforderlichen Maß nahmen, um durch eine einstweilige Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und/oder der Arbeitszeiten der betreffenden Arbeitnehmerin auszuschließen, daß die Arbeitnehmerin dieser Gefährdung ausgesetzt ist. 897

3.11

Mutterschutz-Richtlinie 92/85

(2) Ist die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und/oder der Arbeitszeiten technisch und/oder sachlich nicht möglich oder aus gebührend nachgewiesenen Gründen nicht zumutbar, so trifft der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen für einen Arbeitsplatzwechsel der betreffenden Arbeitnehmerin. (3) Ist der Arbeitsplatzwechsel technisch und/oder sachlich nicht möglich oder aus gebührend nachgewiesenen Gründen nicht zumutbar, so wird die betreffende Arbeitnehmerin während des gesamten zum Schutz ihrer Sicherheit und Gesundheit erforderlichen Zeitraums entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten beurlaubt. (4) Die Bestimmungen dieses Artikels gelten sinngemäß für den Fall, daß eine Arbeitnehmerin, die eine nach Artikel 6 verbotene Tätigkeit ausübt, schwanger wird oder stillt und ihren Arbeitgeber davon unterrichtet. Art. 6 Verbot der Exposition Neben den allgemeinen Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer und insbesondere den Vorschriften über die Grenzwerte berufsbedingter Expositionen gilt folgendes: 1. Schwangere Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a) dürfen in keinem Fall zu Tätigkeiten verpflichtet werden, bei denen die Beurteilung ergeben hat, daß das Risiko einer die Sicherheit oder Gesundheit gefährdenden Exposition gegenüber den in Anhang II Abschnitt A aufgeführten Agenzien und Arbeitsbedingungen besteht. 2. Stillende Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c) dürfen in keinem Fall zu Tätigkeiten verpflichtet werden, bei denen die Beurteilung ergeben hat, daß das Risiko einer die Sicherheit oder Gesundheit gefährdenden Exposition gegenüber den in Anhang II Abschnitt B aufgeführten Agenzien und Arbeitsbedingungen besteht. Art. 7 Nachtarbeit (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 während ihrer Schwangerschaft und während eines von der für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zuständigen einzelstaatlichen Behörde festzulegenden Zeitraums nach der Entbindung nicht zu Nachtarbeit verpflichtet werden, vorbehaltlich eines nach den von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Einzelheiten vorzulegenden ärztlichen Attestes, in dem die entsprechende Notwendigkeit im Hinblick auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerin bestätigt wird. (2) Die in Absatz 1 genannten Maßnahmen müssen entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten folgendes ermöglichen: a) die Umsetzung an einen Arbeitsplatz mit Tagarbeit oder 898

Mutterschutz-Richtlinie 92/85

3.11

b) die Beurlaubung oder die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs, sofern eine solche Umsetzung technisch oder sachlich nicht möglich oder aus gebührend nachgewiesenen Gründen nicht zumutbar ist. Art. 8 Mutterschaftsurlaub (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maß nahmen, um sicherzustellen, daß den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung gewährt wird, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen. (2) Der Mutterschaftsurlaub gemäß Absatz 1 muß einen obligatorischen Mutterschaftsurlaub von mindestens zwei Wochen umfassen, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen. Art. 9 Freistellung von der Arbeit für Vorsorgeuntersuchungen Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit schwangeren Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a) entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten eine Freistellung von der Arbeit gewährt wird, die es ihnen erlaubt, die Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft ohne Lohn- bzw. Gehaltseinbußen wahrzunehmen, wenn diese Untersuchungen während der Arbeitszeit stattfinden müssen. Art. 10 Verbot der Kündigung Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten Rechte in Bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird folgendes vorgesehen: 1. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Kündigung der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs nach Artikel 8 Absatz 1 zu verbieten; davon ausgenommen sind die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind, wobei gegebenenfalls die zuständige Behörde ihre Zustimmung erteilen muß. 2. Wird einer Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 2 während der in Nummer 1 genannten Zeit gekündigt, so muß der Arbeitgeber schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anführen. 3. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 vor den Folgen einer nach Nummer 1 widerrechtlichen Kündigung zu schützen. 899

3.11

Mutterschutz-Richtlinie 92/85

Art. 11 Mit dem Arbeitsvertrag verbundene Rechte Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten Rechte in Bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird folgendes vorgesehen: 1. In den in den Artikeln 5, 6 und 7 genannten Fällen müssen die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2, einschließlich der Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung, entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/ oder Gepflogenheiten gewährleistet sein. 2. In dem in Artikel 8 genannten Fall müssen gewährleistet sein: a) die mit dem Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 verbundenen anderen Rechte als die unter dem nachstehenden Buchstaben b) genannten; b) die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung für die Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2. 3. Die Sozialleistung nach Nummer 2 Buchstabe b) gilt als angemessen, wenn sie mindestens den Bezügen entspricht, die die betreffende Arbeitnehmerin im Falle einer Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen erhalten würde, wobei es gegebenenfalls eine von den einzelstaatlichen Gesetzgebern festgelegte Obergrenze gibt. 4. Es steht den Mitgliedstaaten frei, den Anspruch auf die Fortzahlung des Arbeitsentgelts oder die in Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe b) genannte Sozialleistung davon abhängig zu machen, daß die betreffende Arbeitnehmerin die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bedingungen für das Entstehen eines Anspruchs auf diese Leistungen erfüllt. Nach diesen Bedingungen darf keinesfalls vorgesehen sein, daß dem voraussichtlichen Zeitpunkt der Entbindung eine Erwerbstätigkeit von mehr als zwölf Monaten unmittelbar vorangegangen sein muß. Art. 12 Rechtsschutz Die Mitgliedstaaten erlassen die innerstaatlichen Vorschriften, die notwendig sind, damit jede Arbeitnehmerin, die sich durch die Nichterfüllung der Verpflichtungen aus dieser Richtlinie für beschwert hält, ihre Rechte gerichtlich und/oder entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gebräuchen durch Befassung anderer zuständiger Stellen geltend machen kann. Art. 13 Anpassung der Anhänge (1) Rein technische Anpassungen des Anhangs I zur Berücksichtigung des technischen Fortschritts, der Entwicklung der 900

Mutterschutz-Richtlinie 92/85

3.11

internationalen Vorschriften oder Spezifikationen und des Wissensstandes auf dem Gebiet, auf das diese Richtlinie Anwendung findet, werden nach dem Verfahren des Artikels 17 der Richtlinie 89/391/EWG vorgenommen. (2) Anhang II kann nur nach dem Verfahren des Artikels 118a des Vertrages geändert werden. Art. 14 f. Umsetzungspflichten und Adressaten − nicht abgedruckt Anhang I − Nicht erschöpfende Liste der Agenzien, Verfahren und Arbeitsbedingungen nach Artikel 4 Absatz 1 – sowie Anhang II – Nicht erschöpfende Liste der Agenzien und Arbeitsbedingungen nach Artikel 6 − nicht abgedruckt

901

3.12 Massenentlassungs-Richtlinie 98/59

*

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION − gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 100, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments,2 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Klarheit empfiehlt es sich, die Richtlinie 75/ 129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen4 zu kodifizieren. (2) Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft ist es wichtig, den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken. (3) Trotz einer konvergierenden Entwicklung bestehen weiterhin Unterschiede zwischen den in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen hinsichtlich der Voraussetzungen und des Verfahrens für Massenentlassungen sowie hinsichtlich der Maßnahmen, die die Folgen dieser Entlassungen für die Arbeitnehmer mildern könnten. (4) Diese Unterschiede können sich auf das Funktionieren des Binnenmarktes unmittelbar auswirken. (5) Die Entschließung des Rates vom 21. Januar 1974 über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm5 hat eine Richtlinie über die Angleichung der Rechtsvorschriftender Mitgliedstaaten über Massenentlassungen vorgesehen. (6) Die auf der Tagung des Europäischen Rates in Straßburg am 9. Dezember 1989 von den Staats und Regierungschefs von elf Mitgliedstaaten angenommene Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer sieht unter Nummer 7 Unterabsatz 1 erster Satz und Unterabsatz 2, unter Nummer 17 Unterabsatz 1 und unter Nummer 18 dritter Gedankenstrich folgendes vor: „7. Die Verwirklichung des Binnenmarktes muß zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen [ … ]. Diese Verbesserung muß, soweit nötig, dazu führen, daß bestimmte Bereiche des Arbeitsrechts, wie die Verfahren bei Massenentlassungen oder bei Konkursen, ausgestaltet werden. [ … ]

* Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. 1998 L 225/16. 1 [KOM(96) 620 endg.] 2 ABl. C 210 vom 6. 7. 1998. 3 ABl. C 158 vom 26. 5. 1997, S. 11. 4 ABl. L 48 vom 22. 2. 1975, S. 29. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 92/56/EWG (ABl. L 245 vom 26.81992, S. 3). 5 ABl. C 13 vom 12. 2. 1974, S. 1. https://doi.org/10.1515/9783110667776-040

Massenentlassungs-Richtlinie 98/59

3.12

17. Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer müssen in geeigneter Weise, unter Berücksichtigung der in den verschiedenen Mitgliedstaaten herrschenden Gepflogenheiten, weiterentwickelt werden. [ … ] 18. Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung sind rechtzeitig vor allem in folgenden Fällen vorzusehen: [- … ] - bei Massenentlassungen; [- … ];“. (7) Daher muß auf diese Angleichung auf dem Wege des Fortschritts im Sinne des Artikels 117 EG-Vertrag hingewirkt werden. (8) Es empfiehlt sich, im Hinblick auf die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß der Definition der Massenentlassungen im Sinne dieser Richtlinie den Entlassungen andere Arten einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die auf Veranlassung des Arbeitgebers erfolgt, gleichzustellen, sofern die der Entlassungen mindestens fünf beträgt. (9) Es sollte vorgesehen werden, daß diese Richtlinie grundsätzlich auch für Massenentlassungen gilt, die aufgrund einer auf einer gerichtlichen Entscheidung beruhenden Einstellung der Tätigkeit eines Betriebs erfolgen. (10) Die Mitgliedstaaten sollten vorsehen können, daß die Arbeitnehmervertreter angesichts der fachlichen Komplexität der Themen, die gegebenenfalls Gegenstand der Information und Konsultation sind, Sachverständige hinzuziehen können. (11) Es sollte sichergestellt werden, daß die Informations-, Konsultations- und Meldepflichten des Arbeitgebers unabhängig davon gelten, ob die Entscheidung über die Massenentlassungen von dem Arbeitgeber oder von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen getroffen wird. (12) Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, daß den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen. (13) Diese Richtlinie soll die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in bezug auf die in Anhang I Teil B angeführten Richtlinien und deren Umsetzungsfristen unberührt lassen − HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Teil I − Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich Art. 1 [Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen] (1) Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) „Massenentlassungen“ sind Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen — nach Wahl der Mitgliedstaaten — die Zahl der Entlassungen i) entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen — mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern, — mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern, — mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern, 903

3.12

Massenentlassungs-Richtlinie 98/59

ii) oder innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind, beträgt; b) „Arbeitnehmervertreter“ sind die Arbeitnehmervertreter nach den Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten. Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Absatz 1 Buchstabe a) werden diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt. (2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf a) Massenentlassungen im Rahmen von Arbeitsverträgen, die für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit geschlossen werden, es sei denn, daß diese Entlassungen vor Ablauf oder Erfüllung dieser Verträge erfolgen; b) Arbeitnehmer öffentlicher Verwaltungen oder von Einrichtungen des öffentlichen Rechts (oder in Mitgliedstaaten, die diesen Begriff nicht kennen, von gleichwertigen Stellen).

Teil II − Information und Konsultation Art. 2 [Information und Konsultation] (1) Beabsichtigt ein Arbeitgeber, Massenentlassungen vorzunehmen, so hat er die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen. (2) Diese Konsultationen erstrecken sich zumindest auf die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, sowie auf die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen, die insbesondere Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben, zu mildern. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß die Arbeitnehmervertreter gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken Sachverständige hinzuziehen können. (3) Damit die Arbeitnehmervertreter konstruktive Vorschläge unterbreiten können, hat der Arbeitgeber ihnen rechtzeitig im Verlauf der Konsultationen a) die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und b) in jedem Fall schriftlich folgendes mitzuteilen: i) die Gründe der geplanten Entlassung; ii) die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer; iii) die Zahl und die Kategorien der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer; 904

Massenentlassungs-Richtlinie 98/59

3.12

iv) den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen; v) die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, soweit die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken dem Arbeitgeber die Zuständigkeit dafür zuerkennen; vi) die vorgesehene Methode für die Berechnung etwaiger Abfindungen, soweit sie sich nicht aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/ oder Praktiken ergeben. Der Arbeitgeber hat der zuständigen Behörde eine Abschrift zumindest der in Unterabsatz 1 Buchstabe b) Ziffern i) bis v) genannten Bestandteile der schriftlichen Mitteilung zu übermitteln. (4) Die Verpflichtungen gemäß den Absätzen 1, 2 und 3 gelten unabhängig davon, ob die Entscheidung über die Massenentlassungen von dem Arbeitgeber oder von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen getroffen wurde. Hinsichtlich angeblicher Verstöße gegen die in dieser Richtlinie enthaltenen Informations-, Konsultations- und Meldepflichten findet der Einwand des Arbeitgebers, das für die Massenentlassungen verantwortliche Unternehmen habe ihm die notwendigen Informationen nicht übermittelt, keine Berücksichtigung.

Teil III − Massenentlassungsverfahren Art. 3 [Anzeigepflicht] (1) Der Arbeitgeber hat der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen. Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, daß im Fall einer geplanten Massenentlassung, die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung über die Einstellung der Tätigkeit des Betriebs erfolgt, der Arbeitgeber diese der zuständigen Behörde nur auf deren Verlangen schriftlich anzuzeigen hat. Die Anzeige muß alle zweckdienlichen Angaben über die beabsichtigte Massenentlassung und die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter gemäß Artikel 2 enthalten, insbesondere die Gründe der Entlassung, die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer und den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen. Betrifft eine geplante Massenentlassung die Besatzungsmitglieder eines Seeschiffs, so unterrichtet der Arbeitgeber die zuständige Behörde des Staates, unter dessen Flagge das Schiff fährt. (2) Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmervertretern eine Abschrift der in Absatz 1 genannten Anzeige zu übermitteln. Die Arbeitnehmervertreter können etwaige Bemerkungen an die zuständige Behörde richten. 905

3.12

Massenentlassungs-Richtlinie 98/59

Art. 4 [Wirksamwerden von Kündigungen] (1) Die der zuständigen Behörde angezeigten beabsichtigten Massenentlassungen werden frühestens 30 Tage nach Eingang der in Artikel 3 Absatz 1 genannten Anzeige wirksam; die im Fall der Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen bleiben unberührt. Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde jedoch die Möglichkeit einräumen, die Frist des Unterabsatzes 1 zu verkürzen. (2) Die Frist des Absatzes 1 muß von der zuständigen Behörde dazu benutzt werden, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen. (3) Soweit die ursprüngliche Frist des Absatzes 1 weniger als 60 Tage beträgt, können die Mitgliedstaaten der zuständigen Behörde die Möglichkeit einräumen, die ursprüngliche Frist auf 60 Tage, vom Zugang der Anzeige an gerechnet, zu verlängern, wenn die Gefahr besteht, daß die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme innerhalb der ursprünglichen Frist nicht gelöst werden können. Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde weitergehende Verlängerungsmöglichkeiten einräumen. Die Verlängerung ist dem Arbeitgeber vor Ablauf der ursprünglichen Frist des Absatzes 1 mitzuteilen und zu begründen. (4) Die Mitgliedstaaten können davon absehen, diesen Artikel im Fall von Massenentlassungen infolge einer Einstellung der Tätigkeit des Betriebs anzuwenden, wenn diese Einstellung aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung erfolgt. Art. 5–10 Mindeststandardklausel, Mitteilungspflicht der Mitgliedstaaten, Aufhebung von im Anhang I genannten Richtlinien, Inkrafttreten und Adressaten; Anhang I Liste aufgehobener Richtlinien, Umsetzungsfristen; Anhang II Entsprechungstabelle − nicht abgedruckt.

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3.13 Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23

*

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 94, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments,2 nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen4 wurde erheblich geändert.5 Aus Gründen der Klarheit und Wirtschaftlichkeit empfiehlt es sich daher, die genannte Richtlinie zu kodifizieren. (2) Die wirtschaftliche Entwicklung führt auf einzelstaatlicher und gemeinschaftlicher Ebene zu Änderungen in den Unternehmensstrukturen, die sich unter anderem aus dem Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung ergeben. (3) Es sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten. (4) Zwischen den Mitgliedstaaten bestehen in Bezug auf den Umfang des Arbeitnehmerschutzes auf diesem Gebiet weiterhin Unterschiede, die verringert werden sollten. (5) In der am 9. Dezember 1989 verabschiedeten Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (Sozialcharta) wird unter Nummer 7, Nummer 17 und Nummer 18 insbesondere folgendes festgestellt: „Die Verwirklichung des Binnenmarktes muss zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen. Diese Verbesserung muss, soweit nötig, dazu führen, dass bestimmte Bereiche des Arbeitsrechts, wie die Verfahren bei Massenentlassungen oder bei Konkursen, ausgestaltet werden. Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer müssen in geeigneter Weise, unter Berücksichtigung der in den verschiedenen Mitgliedstaaten herrschenden Gepflogenheiten, weiterentwickelt werden. Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung sind rechtzeitig vorzusehen, vor allem bei der Umstrukturierung oder Verschmelzung von Unternehmen, wenn dadurch die Beschäftigung der Arbeitnehmer berührt wird.“ (6) Im Jahre 1977 hat der Rat die Richtlinie 77/187/EWG erlassen, um auf eine Harmonisierung der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften hinsichtlich der Wahrung der Ansprüche

* Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, ABl. 2001 L 82/16. 1 [KOM(2000) 259 endg.] 2 Stellungnahme vom 25. 10. 2000 ([ABl. C 197 vom 12. 7. 2001, S. 171]). 3 ABl. C 367 vom 20. 12. 2000, S. 21. 4 ABl. L 61 vom 5. 3. 1977, S. 26. 5 Siehe Anhang I Teil A [nicht abgedruckt]. https://doi.org/10.1515/9783110667776-041

3.13

Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23

und Rechte der Arbeitnehmer hinzuwirken; Veräußerer und Erwerber werden aufgefordert, die Vertreter der Arbeitnehmer rechtzeitig zu unterrichten und anzuhören. (7) Die Richtlinie 77/187/EWG wurde nachfolgend geändert unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Binnenmarktes, der Tendenzen in der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Sanierung von Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, der Richtlinie 75/ 129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen6 sowie der bereits in den meisten Mitgliedstaaten geltenden gesetzlichen Normen. (8) Aus Gründen der Rechtssicherheit und Transparenz war es erforderlich, den juristischen Begriff des Übergangs unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu klären. Durch diese Klärung wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie 77/187/EWG gemäß der Auslegung durch den Gerichtshof nicht geändert. (9) In der Sozialcharta wird die Bedeutung des Kampfes gegen alle Formen der Diskriminierung, insbesondere aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe, Rasse, Meinung oder Glauben, gewürdigt. (10) Diese Richtlinie sollte die Pflichten der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Umsetzungsfristen der in Anhang I Teil B angegebenen Richtlinien unberührt lassen — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I − Anwendungsbereich und Definitionen Art. 1 [Anwendungsbereich] (1) a) Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar. b) Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit. c) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. Bei der Übertragung von Aufgaben im Zuge einer Umstrukturierung von Verwaltungsbehörden oder bei der Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer Behörde auf eine andere handelt es sich nicht um einen Übergang im Sinne dieser Richtlinie.

6 ABl. L 48 vom 22. 2. 1975, S. 29. Richtlinie ersetzt durch die Richtlinie 98/59/EG [Massenentlassungs-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.12] (ABl. L 225 vom 12. 8. 1998, S. 16).

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Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23

3.13

(2) Diese Richtlinie ist anwendbar, wenn und soweit sich das Unternehmen, der Betrieb oder der Unternehmens- bzw. Betriebsteil, das bzw. der übergeht, innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Vertrages befindet. (3) Diese Richtlinie gilt für den Übergang eines Seeschiffs, das Teil des Übergangs eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils im Sinne der Absätze 1 und 2 ist, sofern der Erwerber sich im räumlichen Geltungsbereich des Vertrags befindet oder das übertragene Unternehmen, der übertragene Betrieb oder Unternehmens- bzw. Betriebsteil dort verbleibt. Diese Richtlinie gilt nicht, wenn es sich bei dem Gegenstand des Übergangs ausschließlich um eines oder mehrere Seeschiffe handelt. Art. 2 [Begriffsbestimmungen] (1) Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) „Veräußerer“ ist jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 als Inhaber aus dem Unternehmen, dem Betrieb oder dem Unternehmens- bzw. Betriebsteil ausscheidet: b) „Erwerber“ ist jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder den Unternehmens- bzw. Betriebsteil eintritt. c) „Vertreter der Arbeitnehmer“ oder ein entsprechender Ausdruck bezeichnet die Vertreter der Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten. d) „Arbeitnehmer“ ist jede Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund des einzelstaatlichen Arbeitsrechts geschützt, ist. (2) Diese Richtlinie lässt das einzelstaatliche Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses unberührt. Die Mitgliedstaaten können jedoch vom Anwendungsbereich der Richtlinie Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse nicht allein deshalb ausschließen, weil a) nur eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden geleistet wird oder zu leisten ist, b) es sich um Arbeitsverhältnisse aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags im Sinne von Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 91/383/EWG des Rates vom 25. Juni 1991 zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis7 handelt, c) es sich um Leiharbeitsverhältnisse im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 91/383/EWG und bei dem übertragenen Unternehmen oder dem

7 ABl. L 206 vom 29. 7. 1991, S. 19.

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Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23

übertragenen Betrieb oder Unternehmens- bzw. Betriebsteil als Verleihunternehmen oder Teil eines Verleihunternehmens um den Arbeitgeber handelt.

Kapitel II − Wahrung der Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer Art. 3 [Übergang der Rechte und Pflichten des Veräußerers] (1) Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Veräußerer und der Erwerber nach dem Zeitpunkt des Übergangs gesamtschuldnerisch für die Verpflichtungen haften, die vor dem Zeitpunkt des Übergangs durch einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis entstanden sind, der bzw. das zum Zeitpunkt des Übergangs bestand. (2) Die Mitgliedstaaten können geeignete Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass der Veräußerer den Erwerber über alle Rechte und Pflichten unterrichtet, die nach diesem Artikel auf den Erwerber übergehen, soweit diese dem Veräußerer zum Zeitpunkt des Übergangs bekannt waren oder bekannt sein mussten. Unterlässt der Veräußerer diese Unterrichtung des Erwerbers, so berührt diese Unterlassung weder den Übergang solcher Rechte und Pflichten noch die Ansprüche von Arbeitnehmern gegenüber dem Erwerber und/oder Veräußerer in Bezug auf diese Rechte und Pflichten. 3. Nach dem Übergang erhält der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw: bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren. Die Mitgliedstaaten können den Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen begrenzen, allerdings darf dieser nicht weniger als ein Jahr betragen. (4) a) Sofern die Mitgliedstaaten nicht anderes vorsehen, gelten die Absätze 1 und 3 nicht für die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten. b) Die Mitgliedstaaten treffen auch dann, wenn sie gemäß Buchstabe a) nicht vorsehen, dass die Absätze 1 und 3 für die unter Buchstabe a) genannten 910

Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23

3.13

Rechte gelten, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum Zeitpunkt des Übergangs bereits aus dem Betrieb des Veräußerers ausgeschieden sind, hinsichtlich ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter, einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus den unter Buchstabe a) genannten Zusatzversorgungseinrichtungen. Art. 4 [Kündigungsverbot] (1) Der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils stellt als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Diese Bestimmung steht etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Unterabsatz 1 auf einige abgegrenzte Gruppen von Arbeitnehmern, auf die sich die Rechtsvorschriften oder die Praxis der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Kündigungsschutzes nicht erstrecken, keine Anwendung findet. (2) Kommt es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, weil der Übergang eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, so ist davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist. Art. 5 [Ausnahmeoption für Insolvenzfälle] (1) Sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen, gelten die Artikel 3 und 4 nicht für Übergänge von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen, bei denen gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein von einer zuständigen Behörde ermächtigter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde. (2) Wenn die Artikel 3 und 4 für einen Übergang während eines Insolvenzverfahrens gegen den Veräußerer (unabhängig davon, ob dieses Verfahren zur Auflösung seines Vermögens eingeleitet wurde) gelten und dieses Verfahren unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein nach dem innerstaatlichen Recht bestimmter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) steht, kann ein Mitgliedstaat vorsehen, dass a) ungeachtet des Artikels 3 Absatz 1 die vor dem Übergang bzw. vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fälligen Verbindlichkeiten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen nicht auf den Er911

3.13

Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23

werber übergehen, sofern dieses Verfahren nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats einen Schutz gewährt, der dem von der Richtlinie 80/ 987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers8 vorgesehenen Schutz zumindest gleichwertig ist, und/oder b) der Erwerber, der Veräußerer oder die seine Befugnisse ausübenden Personen auf der einen Seite und die Vertreter der Arbeitnehmer auf der anderen Seite Änderungen der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, insoweit das geltende Recht oder die geltende Praxis dies zulassen, vereinbaren können, die den Fortbestand des Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils sichern und dadurch der Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen. (3) Die Mitgliedstaaten können Absatz 2 Buchstabe b) auf Übergänge anwenden, bei denen sich der Veräußerer nach dem einzelstaatlichen Recht in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befindet, sofern das Bestehen einer solchen Notlage von einer zuständigen öffentlichen Stelle bescheinigt wird und die Möglichkeit einer gerichtlichen Aufsicht gegeben ist, falls das innerstaatliche Recht solche Bestimmungen am 17. Juli 1998 bereits enthielt. Die Kommission legt vor dem 17. Juli 2003 einen Bericht über die Auswirkungen dieser Bestimmung vor und unterbreitet dem Rat erforderlichenfalls entsprechende Vorschläge. (4) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit Insolvenzverfahren nicht in missbräuchlicher Weise in Anspruch genommen werden, um den Arbeitnehmern die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte vorzuenthalten. Art. 6 [Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter] (1) Sofern das Unternehmen, der Betrieb oder der Unternehmens- bzw. Betriebsteil seine Selbständigkeit behält, bleiben die Rechtsstellung und die Funktion der Vertreter oder der Vertretung der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer unter den gleichen Bedingungen erhalten, wie sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder aufgrund einer Vereinbarung bestanden haben, sofern die Bedingungen für die Bildung der Arbeitnehmervertretung erfüllt sind. Unterabsatz 1 findet keine Anwendung, wenn gemäß den Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten oder durch Vereinbarung mit den Vertretern der betroffenen Arbeitnehmer die Bedingungen für die

8 ABl. L 283 vom 20. 10. 1980, S. 23. Richtlinie zuletzt geändert durch die Beitrittsakte von 1994.

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Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23

3.13

Neubestellung der Vertreter der Arbeitnehmer oder die Neubildung der Vertretung der Arbeitnehmer erfüllt sind. Wurde gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein von einer zuständigen Behörde ermächtigter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Insolvenzverfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet, können die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer bis zur Neuwahl oder Benennung von Arbeitnehmervertretern angemessen vertreten sind. Behält das Unternehmen, der Betrieb oder der Unternehmens- bzw. Betriebsteil seine Selbständigkeit nicht, so treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit die vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer, die vor dem Übergang vertreten wurden, während des Zeitraums, der für die Neubildung oder Neubenennung der Arbeitnehmervertretung erforderlich ist, im Einklang mit dem Recht oder der Praxis der Mitgliedstaaten weiterhin angemessen vertreten werden. (2) Erlischt das Mandat der Vertreter der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer aufgrund des Übergangs, so gelten für diese Vertreter weiterhin die nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten vorgesehenen Schutzmaßnahmen.

KAPITEL III − Information und Konsultation Art. 7 [Information und Konsultation] (1) Der Veräußerer und der Erwerber sind verpflichtet, die Vertreter ihrer jeweiligen von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer über Folgendes zu informieren: — den Zeitpunkt bzw. den geplanten Zeitpunkt des Übergangs, — den Grund für den Übergang, — die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer, — die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen. Der Veräußerer ist verpflichtet, den Vertretern seiner Arbeitnehmer diese Informationen rechtzeitig vor dem Vollzug des Übergangs zu übermitteln. Der Erwerber ist verpflichtet, den Vertretern seiner Arbeitnehmer diese Informationen rechtzeitig zu übermitteln, auf jeden Fall aber bevor diese Arbeitnehmer von dem Übergang hinsichtlich ihrer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen unmittelbar betroffen werden. (2) Zieht der Veräußerer bzw. der Erwerber Maßnahmen hinsichtlich seiner Arbeitnehmer in Betracht, so ist er verpflichtet, die Vertreter seiner Arbeitnehmer 913

3.13

Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23

rechtzeitig zu diesen Maßnahmen zu konsultieren, um eine Übereinkunft anzustreben. (3) Die Mitgliedstaaten, deren Rechts- und Verwaltungsvorschriften vorsehen, dass die Vertreter der Arbeitnehmer eine Schiedsstelle anrufen können, um eine Entscheidung über hinsichtlich der Arbeitnehmer zu treffende Maßnahmen zu erhalten, können die Verpflichtungen gemäß den Absätzen 1 und 2 auf den Fall beschränken, in dem der vollzogene Übergang eine Betriebsänderung hervorruft, die wesentliche Nachteile für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer zur Folge haben kann. Die Information und die Konsultation müssen sich zumindest auf die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen erstrecken. Die Information und die Konsultation müssen rechtzeitig vor dem Vollzug der in Unterabsatz 1 genannten Betriebsänderung erfolgen. (4) Die in diesem Artikel vorgesehenen Verpflichtungen gelten unabhängig davon, ob die zum Übergang führende Entscheidung vom Arbeitgeber oder von einem den Arbeitgeber beherrschendes Unternehmen getroffen wird. Hinsichtlich angeblicher Verstöße gegen die in dieser Richtlinie vorgesehenen Informations- und Konsultationspflichten findet der Einwand, der Verstoß gehe darauf zurück, dass die Information von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen nicht übermittelt worden sei, keine Berücksichtigung. (5) Die Mitgliedstaaten können die in den Absätzen 1, 2 und 3 vorgesehenen Verpflichtungen auf Unternehmen oder Betriebe beschränken, die hinsichtlich der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die Wahl oder Bestellung eines Kollegiums als Arbeitnehmervertretung erfüllen. (6) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die betreffenden Arbeitnehmer für den Fall, dass es unabhängig von ihrem Willen in einem Unternehmen oder in einem Betrieb keine Vertreter der Arbeitnehmer gibt, vorher zu informieren sind über — den Zeitpunkt bzw. den geplanten Zeitpunkt des Übergangs, — den Grund für den Übergang, — die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer, — die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.

KAPITEL IV − Schlussbestimmungen Art. 8 [Mindeststandardklausel] Diese Richtlinie schränkt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten nicht ein, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer 914

Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23

3.13

günstigere Kollektivverträge und andere zwischen den Sozialpartnern abgeschlossene Vereinbarungen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind, zu fördern oder zuzulassen. Art. 9–14 sowie Anhänge I und II: Unterrichtungspflicht der Mitgliedstaaten, Berichtspflicht der Kommission, Mitteilungspflicht der Mitgliedstaaten, Umsetzungsfrist und weitere technische Regelungen − nicht abgedruckt.

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3.14 Unterrichtungsrahmen-Richtlinie 2002/14

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 137 Absatz 2, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen,3 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,4 aufgrund des vom Vermittlungsausschuss am 23. Januar 2002 gebilligten gemeinsamen Entwurfs, in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Gemäß Artikel 136 des Vertrags ist es ein besonderes Ziel der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten, den sozialen Dialog zwischen den Sozialpartnern zu fördern. (2) Nach Nummer 17 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer müssen unter anderem „Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer… in geeigneter Weise, unter Berücksichtigung der in den verschiedenen Mitgliedstaaten herrschenden Gepflogenheiten, weiterentwickelt werden“. (3) Die Kommission hat die Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu der Frage gehört, wie eine Gemeinschaftsaktion in den Bereichen Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in den Unternehmen der Gemeinschaft gegebenenfalls ausgerichtet werden sollte. (4) Die Kommission hielt nach dieser Anhörung eine Gemeinschaftsmaßnahme für zweckmäßig und hat die Sozialpartner erneut gehört, diesmal zum Inhalt des in Aussicht genommenen Vorschlags. Die Sozialpartner haben der Kommission ihre Stellungnahmen übermittelt. (5) Nach Abschluss der zweiten Anhörungsphase haben die Sozialpartner der Kommission nicht mitgeteilt, dass sie den Prozess in Gang setzen wollen, der zum Abschluss einer Vereinbarung führen kann. (6) Der auf Gemeinschaftsebene wie auch auf nationaler Ebene bestehende rechtliche Rahmen, durch den eine Einbeziehung der Arbeitnehmer in die Unternehmensabläufe und in Entscheidungen, die die Beschäftigten betreffen, sichergestellt werden soll, konnte nicht immer verhindern, dass Arbeitnehmer betreffende schwerwiegende Entscheidungen getroffen und bekannt gemacht wurden,

* Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, ABl. 2002 L 80/29. 1 ABl. C 2 vom 5. 1. 1999, S. 3. 2 ABl. C 258 vom 10. 9. 1999, S. 24. 3 ABl. C 144 vom 16. 5. 2001, S. 58. 4 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 14. 4. 1999 (ABl. C 219 vom 30. 7. 1999, S. 223), bestätigt am 16. 9. 1999 (ABl. C 54 vom 25. 2. 2000, S. 55), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 27. 7. 2001 (ABl. C 307 vom 31. 10. 2001, S. 16) und Beschluss des Europäischen Parlaments vom 23. 10. 2001 ([ABl. C 112 E vom 9. 5. 2002, S. 24]). Beschluss des Europäischen Parlaments vom 5. 2. 2002 und Beschluss des Rates vom 18. 2. 2002. https://doi.org/10.1515/9783110667776-042

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3.14

ohne dass zuvor angemessene Informations- und Anhörungsverfahren durchgeführt worden wären. Die Stärkung des Dialogs und die Schaffung eines Klimas des Vertrauens im Unternehmen sind notwendig, um Risiken frühzeitig zu erkennen, bei gleichzeitiger Absicherung der Arbeitnehmer die Arbeitsorganisation flexibler zu gestalten und den Zugang der Arbeitnehmer zur Fortbildung im Unternehmen zu fördern, die Arbeitnehmer für die Notwendigkeit von Anpassungen zu sensibilisieren, die Bereitschaft der Arbeitnehmer zur Teilnahme an Maßnahmen und Aktionen zur Verbesserung ihrer Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen, die Arbeitnehmer stärker in die Unternehmensabläufe und in die Gestaltung der Zukunft des Unternehmens einzubeziehen und dessen Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Es ist insbesondere notwendig, die Unterrichtung und Anhörung zu Beschäftigungssituation und wahrscheinlicher Beschäftigungsentwicklung im Unternehmen und — für den Fall, dass die vom Arbeitgeber vorgenommene Bewertung auf eine potentielle Bedrohung der Beschäftigung im Unternehmen schließen lässt — zu etwaigen geplanten antizipativen Maßnahmen, insbesondere in den Bereichen Ausbildung und Qualifizierung der Arbeitnehmer, zu fördern und zu intensivieren, um so mögliche negative Auswirkungen zu vermeiden oder ihre Konsequenzen abzumildern und die Beschäftigungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit der möglicherweise betroffenen Arbeitnehmer zu verbessern. Eine rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer ist eine Vorbedingung für die erfolgreiche Bewältigung der Umstrukturierungsprozesse und für eine erfolgreiche Anpassung der Unternehmen an die im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft — insbesondere durch die Entstehung neuer Formen der Arbeitsorganisation — geschaffenen neuen Bedingungen. Die Gemeinschaft hat eine Beschäftigungsstrategie entwickelt, die sie nun umsetzt und in deren Mittelpunkt die Begriffe „Antizipation“, „Prävention“ und „Beschäftigungsfähigkeit“ stehen, wobei diese zentralen Konzepte in sämtliche staatlichen Maßnahmen integriert werden sollen, mit denen positive Beschäftigungseffekte erzielt werden können, einschließlich der Maßnahmen einzelner Unternehmen; dies soll durch einen Ausbau des sozialen Dialogs geschehen, damit bei der Förderung des Wandels das übergeordnete Ziel der Beschäftigungssicherung im Auge behalten wird. Die weitere Entwicklung des Binnenmarktes muss sich harmonisch vollziehen, unter Wahrung der grundlegenden Werte, auf denen unsere Gesellschaften basieren, und in einer Art und Weise, die sicherstellt, dass die wirtschaftliche Entwicklung allen Bürgern gleichermaßen zugute kommt. Der Eintritt in die dritte Phase der Wirtschafts- und Währungsunion hat europaweit eine Verstärkung und Beschleunigung des Wettbewerbsdrucks bewirkt. Dies macht weitergehende begleitende Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene erforderlich. Der auf Gemeinschaftsebene und auf nationaler Ebene bestehende Rechtsrahmen für Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer ist häufig allzu sehr darauf ausgerichtet, Wandlungsprozesse im Nachhinein zu verarbeiten, vernachlässigt dabei die wirtschaftlichen Implikationen von Entscheidungen und stellt nicht wirklich auf eine „Antizipation“ der Beschäftigungsentwicklung im Unternehmen oder auf eine „Prävention“ von Risiken ab. Die Gesamtheit der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Entwicklungen macht eine Anpassung des bestehenden Rechtsrahmens erforderlich, der das rechtliche und praktische Instrumentarium zur Wahrnehmung des Rechtes auf Unterrichtung und Anhörung vorsieht.

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3.14

Unterrichtungsrahmen-Richtlinie 2002/14

(15) Von dieser Richtlinie unberührt bleiben nationale Regelungen, wonach die konkrete Wahrnehmung dieses Rechts eine kollektive Willensbekundung vonseiten der Rechtsinhaber erfordert. (16) Von dieser Richtlinie unberührt bleiben Regelungen, die Bestimmungen über die direkte Mitwirkung der Arbeitnehmer enthalten, solange diese sich in jedem Fall dafür entscheiden können, das Recht auf Unterrichtung und Anhörung über ihre Vertreter wahrzunehmen. (17) Da die oben dargelegten Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können, weil es das Ziel ist, einen Rahmen für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer zu schaffen, der dem oben beschriebenen neuen europäischen Kontext gerecht wird, und da die Ziele daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der geplanten Maßnahmen besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden können, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip Maßnahmen ergreifen. Im Einklang mit dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. (18) Dieser allgemeine Rahmen zielt auf die Festlegung von Mindestvorschriften ab, die überall in der Gemeinschaft Anwendung finden, und er darf die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, für die Arbeitnehmer günstigere Vorschriften vorzusehen. (19) Dieser allgemeine Rahmen muss ferner auf administrative, finanzielle und rechtliche Auflagen verzichten, die die Gründung und Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen behindern könnten. Daher erscheint es sinnvoll, den Anwendungsbereich dieser Richtlinie je nach Wahl der Mitgliedstaaten auf Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten oder auf Betriebe mit mindestens 20 Beschäftigten zu beschränken. (20) Dies gilt unter Berücksichtigung und unbeschadet anderer nationaler Maßnahmen und Praktiken zur Förderung des sozialen Dialogs in Unternehmen, die nicht unter diese Richtlinie fallen, und in öffentlichen Verwaltungen. (21) Übergangsweise sollten jedoch Mitgliedstaaten, in denen keine gesetzliche Regelung über die Unterrichtung und Anhörung von Arbeitnehmern oder Arbeitnehmervertretungen besteht, die Möglichkeit haben, den Anwendungsbereich dieser Richtlinie im Hinblick auf die Anzahl der Arbeitnehmer weitergehend zu beschränken. (22) Der gemeinschaftliche Rahmen für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer sollte die Belastung der Unternehmen oder Betriebe auf ein Mindestmaß begrenzen, zugleich aber auch die wirksame Ausübung der eingeräumten Rechte gewährleisten. (23) Das mit der Richtlinie verfolgte Ziel soll durch Festlegung eines allgemeinen Rahmens erreicht werden, der die Grundsätze, Begriffe und Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung definiert. Es obliegt den Mitgliedstaaten, diesen Rahmen auszufüllen, an die jeweiligen einzelstaatlichen Gegebenheiten anzupassen und dabei gegebenenfalls den Sozialpartnern eine maßgebliche Rolle zuzuweisen, die es diesen ermöglicht, ohne jeden Zwang auf dem Wege einer Vereinbarung Modalitäten für die Unterrichtung und Anhörung festzulegen, die ihren Bedürfnissen und ihren Wünschen am besten gerecht werden. (24) Es empfiehlt sich, gewisse Besonderheiten, die in den Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten im Bereich der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer bestehen, unberührt zu lassen; gedacht ist hier an spezielle Regelungen für Unternehmen oder Betriebe, die politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen.

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Unterrichtungsrahmen-Richtlinie 2002/14

3.14

(25) Die Unternehmen oder Betriebe sollten vor der Verbreitung bestimmter besonders sensibler Informationen geschützt werden. (26) Unternehmer sollten das Recht haben, auf eine Unterrichtung und Anhörung zu verzichten, wenn dies dem Unternehmen oder Betrieb schwerwiegenden Schaden zufügen würde oder wenn sie unverzüglich einer Anordnung nachkommen müssen, die von einer Kontroll- oder Aufsichtsbehörde an sie gerichtet wurde. (27) Unterrichtung und Anhörung bringen Rechte und Pflichten für die Sozialpartner auf Unternehmens- oder Betriebsebene mit sich. (28) Im Falle eines Verstoßes gegen die aus dieser Richtlinie folgenden Verpflichtungen müssen administrative oder rechtliche Verfahren sowie Sanktionen, die im Verhältnis zur Schwere des Vergehens wirksam, angemessen und abschreckend sind, angewandt werden. (29) Von dieser Richtlinie unberührt bleiben sollten die spezifischeren Bestimmungen der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen5 und der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen.6 (30) Sonstige Unterrichtungs- und Anhörungsrechte einschließlich derjenigen, die sich aus der Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen7 ergeben, sollten von der vorliegenden Richtlinie unberührt bleiben. (31) Die Durchführung dieser Richtlinie sollte nicht als Rechtfertigung für eine Beeinträchtigung des allgemeinen Niveaus des Arbeitnehmerschutzes in dem von ihr abgedeckten Bereich benutzt werden — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 Gegenstand und Grundsätze (1) Ziel dieser Richtlinie ist die Festlegung eines allgemeinen Rahmens mit Mindestvorschriften für das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer von in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen oder Betrieben. (2) Die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung werden gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und den in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Praktiken im Bereich der Arbeitsbeziehungen so gestaltet und angewandt, dass ihre Wirksamkeit gewährleistet ist. (3) Die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung werden vom Arbeitgeber und von den Arbeitnehmervertretern im Geiste der Zusammenarbeit und unter gebührender Beachtung ihrer jeweiligen Rechte und gegenseitigen Verpflich-

5 ABl. L 225 vom 12. 8. 1998, S. 16 [Massenentlassungs-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.12]. 6 ABl. L 82 vom 22. 3. 2001, S. 16 [Betriebsübergangs-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.13]. 7 ABl. L 254 vom 30. 9. 1994, S. 64. Richtlinie geändert durch die Richtlinie 97/74/EG (ABl. L 10 vom 16. 1. 1998, S. 22).

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Unterrichtungsrahmen-Richtlinie 2002/14

tungen festgelegt bzw. durchgeführt, wobei sowohl den Interessen des Unternehmens oder Betriebs als auch den Interessen der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen ist. Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) „Unternehmen“ ein öffentliches oder privates Unternehmen, das eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, unabhängig davon, ob es einen Erwerbszweck verfolgt oder nicht, und das im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ansässig ist; b) „Betrieb“ eine gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten definierte Unternehmenseinheit, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist und in der kontinuierlich unter Einsatz personeller und materieller Ressourcen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird; c) „Arbeitgeber“ die natürliche oder juristische Person, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Partei der Arbeitsverträge oder Arbeitsverhältnisse mit den Arbeitnehmern ist; d) „Arbeitnehmer“ eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat als Arbeitnehmer aufgrund des einzelstaatlichen Arbeitsrechts und entsprechend den einzelstaatlichen Gepflogenheiten geschützt ist; e) „Arbeitnehmervertreter“ die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten vorgesehenen Vertreter der Arbeitnehmer; f) „Unterrichtung“ die Übermittlung von Informationen durch den Arbeitgeber an die Arbeitnehmervertreter, um ihnen Gelegenheit zur Kenntnisnahme und Prüfung der behandelten Frage zu geben; g) „Anhörung“ die Durchführung eines Meinungsaustauschs und eines Dialogs zwischen Arbeitnehmervertretern und Arbeitgeber. Art. 3 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt je nach Entscheidung der Mitgliedstaaten: a) für Unternehmen mit mindestens 50 Arbeitnehmern in einem Mitgliedstaat oder b) für Betriebe mit mindestens 20 Arbeitnehmern in einem Mitgliedstaat. Die Mitgliedstaaten bestimmen, nach welcher Methode die Schwellenwerte für die Beschäftigtenzahl errechnet werden. (2) Die Mitgliedstaaten können — unter Einhaltung der in dieser Richtlinie festgelegten Grundsätze und Ziele — spezifische Bestimmungen für Unternehmen oder Betriebe vorsehen, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder 920

Unterrichtungsrahmen-Richtlinie 2002/14

3.14

Meinungsäußerung dienen, falls das innerstaatliche Recht Bestimmungen dieser Art zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bereits enthält. Art. 4 Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung (1) Im Einklang mit den in Artikel 1 dargelegten Grundsätzen und unbeschadet etwaiger geltender einzelstaatlicher Bestimmungen und/oder Gepflogenheiten, die für die Arbeitnehmer günstiger sind, bestimmen die Mitgliedstaaten entsprechend diesem Artikel im Einzelnen, wie das Recht auf Unterrichtung und Anhörung auf der geeigneten Ebene wahrgenommen wird. (2) Unterrichtung und Anhörung umfassen a) die Unterrichtung über die jüngste Entwicklung und die wahrscheinliche Weiterentwicklung der Tätigkeit und der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens oder des Betriebs; b) die Unterrichtung und Anhörung zu Beschäftigungssituation, Beschäftigungsstruktur und wahrscheinlicher Beschäftigungsentwicklung im Unternehmen oder Betrieb sowie zu gegebenenfalls geplanten antizipativen Maßnahmen, insbesondere bei einer Bedrohung für die Beschäftigung; c) die Unterrichtung und Anhörung zu Entscheidungen, die wesentliche Veränderungen der Arbeitsorganisation oder der Arbeitsverträge mit sich bringen können, einschließlich solcher, die Gegenstand der in Artikel 9 Absatz 1 genannten Gemeinschaftsbestimmungen sind. (3) Die Unterrichtung erfolgt zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung, die dem Zweck angemessen sind und es insbesondere den Arbeitnehmervertretern ermöglichen, die Informationen angemessen zu prüfen und gegebenenfalls die Anhörung vorzubereiten. (4) Die Anhörung erfolgt a) zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung, die dem Zweck angemessen sind; b) auf der je nach behandeltem Thema relevanten Leitungs- und Vertretungsebene; c) auf der Grundlage der vom Arbeitgeber gemäß Artikel 2 Buchstabe f) zu liefernden Informationen und der Stellungnahme, zu der die Arbeitnehmervertreter berechtigt sind; d) in einer Weise, die es den Arbeitnehmervertretern gestattet, mit dem Arbeitgeber zusammenzukommen und eine mit Gründen versehene Antwort auf ihre etwaige Stellungnahme zu erhalten; e) mit dem Ziel, eine Vereinbarung über die in Absatz 2 Buchstabe c) genannten Entscheidungen, die unter die Leitungsbefugnis des Arbeitgebers fallen, zu erreichen. 921

3.14

Unterrichtungsrahmen-Richtlinie 2002/14

Art. 5 Unterrichtung und Anhörung auf der Grundlage einer Vereinbarung Die Mitgliedstaaten können es den Sozialpartnern auf geeigneter Ebene, einschließlich Unternehmens- oder Betriebsebene, überlassen, nach freiem Ermessen und zu jedem beliebigen Zeitpunkt im Wege einer ausgehandelten Vereinbarung die Modalitäten für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer festzulegen. Diese Vereinbarungen und zu dem in Artikel 11 festgelegten Zeitpunkt bestehende Vereinbarungen sowie nachfolgende Verlängerungen derartiger Vereinbarungen können unter Wahrung der in Artikel 1 genannten Grundsätze und unter von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen und Beschränkungen Bestimmungen vorsehen, die von den in Artikel 4 vorgesehenen Bestimmungen abweichen. Art. 6 Vertrauliche Informationen (1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass es gemäß den in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Bedingungen und Beschränkungen den Arbeitnehmervertretern und den etwaigen sie unterstützenden Sachverständigen nicht gestattet ist, ihnen im berechtigten Interesse der Unternehmen oder Betriebe ausdrücklich als vertraulich mitgeteilte Informationen an Arbeitnehmer oder Dritte weiterzugeben. Diese Verpflichtung besteht unabhängig von ihrem Aufenthaltsort und auch noch nach Ablauf ihres Mandats. Ein Mitgliedstaat kann es Arbeitnehmervertretern oder sie unterstützenden Personen jedoch gestatten, vertrauliche Informationen an Arbeitnehmer und Dritte weiterzugeben, die zur Vertraulichkeit verpflichtet sind. (2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass der Arbeitgeber in besonderen Fällen und unter Beachtung der in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Bedingungen und Beschränkungen nicht verpflichtet ist, eine Unterrichtung vorzunehmen oder eine Anhörung durchzuführen, wenn diese Unterrichtung oder Anhörung nach objektiven Kriterien die Tätigkeit des Unternehmens oder Betriebs erheblich beeinträchtigen oder dem Unternehmen oder Betrieb schaden könnte. (3) Unbeschadet bestehender einzelstaatlicher Verfahren sehen die Mitgliedstaaten Rechtsbehelfsverfahren auf dem Verwaltungsweg oder vor Gericht vor, falls gemäß den Absätzen 1 und 2 der Arbeitgeber Vertraulichkeit verlangt oder die Informationen verweigert. Sie können ferner Verfahren vorsehen, die dazu bestimmt sind, die Vertraulichkeit der betreffenden Informationen zu wahren. Art. 7 Schutz der Arbeitnehmervertreter Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Arbeitnehmervertreter bei der Ausübung ihrer Funktion einen ausreichenden Schutz und ausreichende Sicherheiten genießen, die es ihnen ermöglichen, die ihnen übertragenen Aufgaben in angemessener Weise wahrzunehmen. 922

Unterrichtungsrahmen-Richtlinie 2002/14

3.14

Art. 8 Durchsetzung der Rechte (1) Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie durch den Arbeitgeber oder durch die Arbeitnehmervertreter sehen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen vor. Sie sorgen insbesondere dafür, dass es geeignete Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gibt, mit deren Hilfe die Erfüllung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen durchgesetzt werden kann. (2) Die Mitgliedstaaten sehen angemessene Sanktionen vor, die im Falle eines Verstoßes gegen diese Richtlinie durch den Arbeitgeber oder durch die Arbeitnehmervertreter Anwendung finden; die Sanktionen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein. Art. 9 Zusammenhang zwischen dieser Richtlinie und anderen gemeinschaftlichen und einzelstaatlichen Bestimmungen (1) Diese Richtlinie lässt die in Artikel 2 der Richtlinie 98/59/EG und in Artikel 7 der Richtlinie 2001/23/ EG vorgesehenen spezifischen Informations- und Konsultationsverfahren unberührt. (2) Diese Richtlinie lässt die gemäß den Richtlinien 94/45/EG und 97/74/EG erlassenen Vorschriften unberührt. (3) Diese Richtlinie lässt andere im einzelstaatlichen Recht vorgesehene Unterrichtungs-, Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte unberührt. (4) Die Durchführung dieser Richtlinie darf nicht als Rechtfertigung für Rückschritte hinter den bereits in den einzelnen Mitgliedstaaten erreichten Stand des allgemeinen Niveaus des Arbeitnehmerschutzes in den von ihr abgedeckten Bereichen benutzt werden. Art. 10–14 Übergangsvorschriften, Umsetzungsfristen, Inkrafttreten und Adressaten − nicht abgedruckt.

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3.15 Europäischer Betriebsrat-Richtlinie 2009/38

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 137, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 nach Anhörung des Ausschusses der Regionen, gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen4 muss inhaltlich geändert werden. Aus Gründen der Klarheit empfiehlt es sich, eine Neufassung dieser Richtlinie vorzunehmen. (2) Gemäß Artikel 15 der Richtlinie 94/45/EG hat die Kommission im Benehmen mit den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern auf europäischer Ebene die Anwendung der genannten Richtlinie und insbesondere die Zweckmäßigkeit der Schwellenwerte für die Beschäftigtenzahl überprüft, um erforderlichenfalls entsprechende Änderungen vorzuschlagen. (3) Nach Anhörungen der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner auf europäischer Ebene hat die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat am 4. April 2000 einen Bericht über den Stand der Anwendung der Richtlinie 94/45/EG vorgelegt. (4) Gemäß Artikel 138 Absatz 2 des Vertrags hat die Kommission die Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu der Frage angehört, wie eine Gemeinschaftsaktion in diesem Bereich gegebenenfalls ausgerichtet werden sollte. (5) Die Kommission war nach dieser Anhörung der Auffassung, dass eine Gemeinschaftsaktion wünschenswert ist, und hat gemäß Artikel 138 Absatz 3 des Vertrags die Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene erneut zum Inhalt des in Aussicht genommenen Vorschlags angehört. (6) Nach dieser zweiten Anhörung haben die Sozialpartner die Kommission nicht von ihrer gemeinsamen Absicht in Kenntnis gesetzt, das in Artikel 138 Absatz 4 des Vertrags vorgesehene Verfahren einzuleiten, das zum Abschluss einer Vereinbarung führen könnte. (7) Es bedarf einer Modernisierung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften im Bereich der länderübergreifenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer mit dem Ziel, die Wirksamkeit der Rechte auf eine länderübergreifende Unterrichtung und Anhörung der

* Richtlinie 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (Neufassung), ABl. 2009 L 122/28. 1 [KOM(2008) 419 endg.] 2 Stellungnahme vom 4. 12. 2008 ([ABl. C 175 vom 28. 7. 2009, S. 109). 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 16. 12. 2008 ([ABl. C 45 E vom 23. 2. 2010, S. 112]) und Beschluss des Rates vom 17. 12. 2008. 4 ABl. L 254 vom 30. 9. 1994, S. 64. https://doi.org/10.1515/9783110667776-043

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Arbeitnehmer sicherzustellen, die Zahl der Europäischen Betriebsräte zu erhöhen und gleichzeitig die Fortdauer geltender Vereinbarungen zu ermöglichen, die bei der praktischen Anwendung der Richtlinie 94/45/EG festgestellten Probleme zu lösen und die sich aus bestimmten Bestimmungen oder dem Fehlen von Bestimmungen ergebende Rechtsunsicherheit zu beseitigen sowie eine bessere Abstimmung der gemeinschaftlichen Rechtsinstrumente im Bereich der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Gemäß Artikel 136 des Vertrags haben die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten das Ziel, den sozialen Dialog zu fördern. Diese Richtlinie ist Teil des gemeinschaftlichen Rahmens, der darauf abzielt, die Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Bereich der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer zu unterstützen und zu ergänzen. Dieser Rahmen sollte die Belastung der Unternehmen oder Betriebe auf ein Mindestmaß begrenzen, zugleich aber auch die wirksame Ausübung der eingeräumten Rechte gewährleisten. Im Rahmen des Funktionierens des Binnenmarkts findet ein Prozess der Unternehmenszusammenschlüsse, grenzübergreifenden Fusionen, Übernahmen und Joint Ventures und damit einhergehend eine länderübergreifende Strukturierung von Unternehmen und Unternehmensgruppen statt. Wenn die wirtschaftlichen Aktivitäten sich in harmonischer Weise entwickeln sollen, so müssen Unternehmen und Unternehmensgruppen, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, die Vertreter ihrer von den Unternehmensentscheidungen betroffenen Arbeitnehmer unterrichten und anhören. Die Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten werden häufig nicht an die länderübergreifende Struktur der Unternehmen angepasst, welche die Arbeitnehmer berührende Entscheidungen treffen. Dies kann zu einer Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer führen, die von Entscheidungen ein und desselben Unternehmens bzw. ein und derselben Unternehmensgruppe betroffen sind. Es sind geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit die Arbeitnehmer gemeinschaftsweit operierender Unternehmen oder Unternehmensgruppen angemessen informiert und angehört werden, wenn Entscheidungen, die sich auf sie auswirken, außerhalb des Mitgliedstaats getroffen werden, in dem sie beschäftigt sind. Um zu gewährleisten, dass die Arbeitnehmer von Unternehmen und Unternehmensgruppen, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, in angemessener Weise unterrichtet und angehört werden, muss ein Europäischer Betriebsrat eingerichtet oder müssen andere geeignete Verfahren zur länderübergreifenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer geschaffen werden. Die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer müssen so festgelegt und angewendet werden, dass die Wirksamkeit der Bestimmungen dieser Richtlinie gewährleistet wird. Hierzu sollte der Europäische Betriebsrat durch seine Unterrichtung und Anhörung die Möglichkeit haben, dem Unternehmen rechtzeitig eine Stellungnahme vorzulegen, wobei dessen Anpassungsfähigkeit nicht beeinträchtigt werden darf. Nur ein Dialog auf der Ebene der Festlegung der Leitlinien und eine wirksame Beteiligung der Arbeitnehmervertreter können es ermöglichen, den Wandel zu antizipieren und zu bewältigen. Für die Arbeitnehmer und ihre Vertreter muss die Unterrichtung und Anhörung auf der je nach behandeltem Thema relevanten Leitungs- und Vertretungsebene gewährleistet sein. Hierzu müssen Zuständigkeiten und Aktionsbereiche des Europäischen Betriebsrats von

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denen einzelstaatlicher Vertretungsgremien abgegrenzt werden und sich auf länderübergreifende Angelegenheiten beschränken. Zur Feststellung des länderübergreifenden Charakters einer Angelegenheit sollten sowohl der Umfang ihrer möglichen Auswirkungen als auch die betroffene Leitungs- und Vertretungsebene berücksichtigt werden. Als länderübergreifend werden Angelegenheiten erachtet, die das Unternehmen oder die Unternehmensgruppe insgesamt oder aber mindestens zwei Mitgliedstaaten betreffen. Dazu gehören Angelegenheiten, die ungeachtet der Zahl der betroffenen Mitgliedstaaten für die europäischen Arbeitnehmer hinsichtlich der Reichweite ihrer möglichen Auswirkungen von Belang sind oder die die Verlagerung von Tätigkeiten zwischen Mitgliedstaaten betreffen. Es ist eine Definition des Begriffs „herrschendes Unternehmen“ erforderlich, die sich, unbeschadet der Definitionen der Begriffe „Unternehmensgruppe“ und „beherrschender Einfluss“ in anderen Rechtsakten, ausschließlich auf diese Richtlinie bezieht. Die Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in Unternehmen oder Unternehmensgruppen, die in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten tätig sind, müssen unabhängig davon, ob sich die zentrale Leitung des Unternehmens oder, im Fall einer Unternehmensgruppe, des herrschenden Unternehmens außerhalb der Gemeinschaft befindet, für alle in der Gemeinschaft angesiedelten Betriebe oder gegebenenfalls Unternehmen von Unternehmensgruppen gelten. Getreu dem Grundsatz der Autonomie der Sozialpartner legen die Arbeitnehmervertreter und die Leitung des Unternehmens oder des herrschenden Unternehmens einer Unternehmensgruppe die Art, Zusammensetzung, Befugnisse, Arbeitsweise, Verfahren und finanzielle Ressourcen des Europäischen Betriebsrats oder anderer Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer einvernehmlich dergestalt fest, dass diese den jeweiligen besonderen Umständen entsprechen. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität obliegt es den Mitgliedstaaten, die Arbeitnehmervertreter zu bestimmen und insbesondere — falls sie dies für angemessen halten — eine ausgewogene Vertretung der verschiedenen Arbeitnehmerkategorien vorzusehen. Es bedarf einer Klärung der Begriffe „Unterrichtung“ und „Anhörung“ der Arbeitnehmer im Einklang mit den Definitionen in den jüngsten einschlägigen Richtlinien und den im einzelstaatlichen Rahmen geltenden Definitionen mit der Zielsetzung, die Wirksamkeit des Dialogs auf länderübergreifender Ebene zu verbessern, eine geeignete Abstimmung zwischen der einzelstaatlichen und der länderübergreifenden Ebene des Dialogs zu ermöglichen und die erforderliche Rechtssicherheit bei der Anwendung dieser Richtlinie zu gewährleisten. Bei der Definition des Begriffs „Unterrichtung“ ist dem Ziel Rechnung zu tragen, dass eine angemessene Prüfung durch die Arbeitnehmervertreter möglich sein muss, was voraussetzt, dass die Unterrichtung zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung erfolgt, die dem Zweck angemessen sind, ohne den Entscheidungsprozess in den Unternehmen zu verlangsamen. Bei der Definition des Begriffs „Anhörung“ muss dem Ziel Rechnung getragen werden, dass die Abgabe einer der Entscheidungsfindung dienlichen Stellungnahme möglich sein muss, was voraussetzt, dass die Anhörung zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung erfolgt, die dem Zweck angemessen sind. In Unternehmen oder herrschenden Unternehmen im Fall einer Unternehmensgruppe, deren zentrale Leitung sich außerhalb der Gemeinschaft befindet, sind die in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer von dem gegebenenfalls benannten Vertreter des Unternehmens in der Gemeinschaft

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oder, in Ermangelung eines solchen Vertreters, von dem Betrieb oder dem kontrollierten Unternehmen mit der größten Anzahl von Arbeitnehmern in der Gemeinschaft durchzuführen. Die Verantwortung eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe bei der Übermittlung der zur Aufnahme von Verhandlungen erforderlichen Informationen ist derart festzulegen, dass die Arbeitnehmer in die Lage versetzt werden, festzustellen, ob das Unternehmen oder die Unternehmensgruppe, in dem bzw. in der sie beschäftigt sind, gemeinschaftsweit operiert, und die zur Abfassung eines Antrags auf Aufnahme von Verhandlungen nötigen Kontakte zu knüpfen. Das besondere Verhandlungsgremium muss die Arbeitnehmer der verschiedenen Mitgliedstaaten in ausgewogener Weise repräsentieren. Die Arbeitnehmervertreter müssen die Möglichkeit haben, sich abzustimmen, um ihre Positionen im Hinblick auf die Verhandlung mit der zentralen Leitung festzulegen. Die Rolle, die anerkannte Gewerkschaftsorganisationen bei der Aus- oder Neuverhandlung der konstitutiven Vereinbarungen Europäischer Betriebsräte wahrnehmen können, ist anzuerkennen, damit Arbeitnehmervertreter, die einen entsprechenden Wunsch äußern, Unterstützung erhalten. Um es ihnen zu ermöglichen, die Einrichtung neuer Europäischer Betriebsräte zu verfolgen, und um bewährte Verfahren zu fördern, sind kompetente Gewerkschaftsorganisationen und Arbeitgeberverbände, die als europäische Sozialpartner anerkannt sind, über die Aufnahme von Verhandlungen zu unterrichten. Anerkannte kompetente europäische Gewerkschaftsorganisationen und Arbeitgeberverbände sind die Organisationen der Sozialpartner, die von der Kommission gemäß Artikel 138 des Vertrags konsultiert werden. Die Liste dieser Organisationen wird von der Kommission aktualisiert und veröffentlicht. Die Vereinbarungen über die Einrichtung und Arbeitsweise der Europäischen Betriebsräte müssen die Modalitäten für ihre Änderung, Kündigung oder gegebenenfalls Neuverhandlung enthalten, insbesondere für den Fall einer Änderung des Umfangs oder der Struktur des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe. In diesen Vereinbarungen müssen die Modalitäten für die Abstimmung der einzelstaatlichen und der länderübergreifenden Ebene der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer festgelegt werden, angepasst an die besonderen Gegebenheiten des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe. Bei der Festlegung dieser Modalitäten müssen die jeweiligen Zuständigkeiten und Aktionsbereiche der Vertretungsgremien der Arbeitnehmer beachtet werden, vor allem was die Antizipierung und Bewältigung des Wandels anbelangt. Diese Vereinbarungen müssen gegebenenfalls die Einsetzung und die Arbeit eines engeren Ausschusses vorsehen, damit eine Koordinierung und eine höhere Effizienz der regelmäßigen Arbeit des Europäischen Betriebsrats sowie eine schnellstmögliche Unterrichtung und Anhörung im Falle außergewöhnlicher Umstände ermöglicht wird. Die Arbeitnehmervertreter können entweder vereinbaren, auf die Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats zu verzichten, oder die Sozialpartner können andere Verfahren zur länderübergreifenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer beschließen. Es sollten subsidiäre Vorschriften vorgesehen werden, die auf Beschluss der Parteien oder in dem Fall, dass die zentrale Leitung die Aufnahme von Verhandlungen ablehnt oder bei den Verhandlungen kein Einvernehmen erzielt wird, Anwendung finden. Um ihrer Rolle in vollem Umfang gerecht zu werden und den Nutzen des Europäischen Betriebsrats sicherzustellen, müssen die Arbeitnehmervertreter den Arbeitnehmern, die

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sie vertreten, Rechenschaft ablegen und die Möglichkeit haben, die von ihnen benötigten Schulungen zu erhalten. Es sollte vorgesehen werden, dass die Arbeitnehmervertreter, die im Rahmen dieser Richtlinie handeln, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben den gleichen Schutz und gleichartige Sicherheiten genießen wie die Arbeitnehmervertreter nach den Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten des Landes, in dem sie beschäftigt sind. Sie dürfen nicht aufgrund der gesetzlichen Ausübung ihrer Tätigkeit diskriminiert werden und müssen angemessen gegen Entlassungen und andere Sanktionen geschützt werden. Werden die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen nicht eingehalten, so müssen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen treffen. Gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts sollten im Falle eines Verstoßes gegen die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen administrative oder rechtliche Verfahren sowie Sanktionen, die wirksam, abschreckend und im Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung angemessen sind, angewandt werden. Aus Gründen der Effizienz, der Kohärenz und der Rechtssicherheit bedarf es einer Abstimmung zwischen den Richtlinien und den im Gemeinschaftsrecht und im einzelstaatlichen Recht und/oder den einzelstaatlichen Gepflogenheiten festgelegten Ebenen der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer. Hierbei muss der Aushandlung dieser Abstimmungsmodalitäten innerhalb jedes Unternehmens oder jeder Unternehmensgruppe Priorität eingeräumt werden. Fehlt eine entsprechende Vereinbarung und sind Entscheidungen geplant, die wesentliche Veränderungen der Arbeitsorganisation oder der Arbeitsverträge mit sich bringen können, so muss der Prozess gleichzeitig auf einzelstaatlicher und europäischer Ebene so durchgeführt werden, dass die jeweiligen Zuständigkeiten und Aktionsbereiche der Vertretungsgremien der Arbeitnehmer beachtet werden. Die Abgabe einer Stellungnahme des Europäischen Betriebsrats sollte die Befugnis der zentralen Leitung, die erforderlichen Anhörungen innerhalb der im einzelstaatlichen Recht und/ oder den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehenen Fristen vorzunehmen, unberührt lassen. Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder einzelstaatlichen Gepflogenheiten müssen gegebenenfalls angepasst werden, um sicherzustellen, dass der Europäische Betriebsrat gegebenenfalls vor oder gleichzeitig mit den einzelstaatlichen Vertretungsgremien der Arbeitnehmer unterrichtet wird; dies darf jedoch keine Absenkung des allgemeinen Niveaus des Arbeitnehmerschutzes bewirken. Unberührt lassen sollte diese Richtlinie die Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren gemäß der Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft,5 die spezifischen Verfahren nach Artikel 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen6 sowie Artikel 7 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur An-gleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen.7 Es sollten besondere Bestimmungen für die gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen vorgesehen werden, in denen am 22. September 1996

5 ABl. L 80 vom 23. 3. 2002, S. 29 [Unterrichtungsrahmen-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.14]. 6 ABl. L 225 vom 12. 8. 1998, S. 16 [Massenentlassungs-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.12]. 7 ABl. L 82 vom 22. 3. 2001, S. 16 [Betriebsübergangs-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.13].

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eine für alle Arbeitnehmer geltende Vereinbarung über eine länderübergreifende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer bestand. Ändert sich die Struktur des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe wesentlich, beispielsweise durch eine Fusion, eine Übernahme oder eine Spaltung, so bedarf es einer Anpassung des bestehenden Europäischen Betriebsrats bzw. der bestehenden Europäischen Betriebsräte. Diese Anpassung muss vorrangig nach den Bestimmungen der geltenden Vereinbarung erfolgen, falls diese Bestimmungen die erforderliche Anpassung gestatten. Ist dies nicht der Fall und wird ein entsprechender Antrag gestellt, so werden Verhandlungen über eine neue Vereinbarung aufgenommen, an denen die Mitglieder des bestehenden Europäischen Betriebsrats bzw. der bestehenden Europäischen Betriebsräte zu beteiligen sind. Um die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der häufig entscheidenden Phase der Strukturänderung zu ermöglichen, müssen der bestehende Europäische Betriebsrat bzw. die bestehenden Europäischen Betriebsräte in die Lage versetzt werden, ihre Tätigkeit, unter Umständen in entsprechend angepasster Art und Weise, bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung fortzusetzen. Mit Unterzeichnung einer neuen Vereinbarung müssen die zuvor eingerichteten Betriebsräte aufgelöst und die Vereinbarungen über ihre Einrichtung, unabhängig von den darin enthaltenen Bestimmungen über ihre Geltungsdauer oder Kündigung, beendet werden. Findet diese Anpassungsklausel keine Anwendung, so sollten die geltenden Vereinbarungen weiter in Kraft bleiben können, um deren obligatorische Neuverhandlung zu vermeiden, wenn sie unnötig wäre. Es sollte vorgesehen werden, dass auf vor dem 22. September 1996 gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Richtlinie 94/45/EG oder gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 97/74/EG8 geschlossene Vereinbarungen während ihrer Geltungsdauer Verpflichtungen, die sich aus der vorliegenden Richtlinie ergeben, weiterhin keine Anwendung finden. Ferner begründet die vorliegende Richtlinie keine allgemeine Verpflichtung zur Neuverhandlung von Vereinbarungen, die gemäß Artikel 6 der Richtlinie 94/45/EG zwischen dem 22. September 1996 und dem 5. Juni 2011 geschlossen wurden. Unbeschadet des Rechts der Parteien, anders lautende Vereinbarungen zu treffen, ist ein Europäischer Betriebsrat, der in Ermangelung einer Vereinbarung zwischen den Parteien zur Erreichung des Ziels dieser Richtlinie eingesetzt wird, in Bezug auf die Tätigkeiten des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe zu unterrichten und anzuhören, damit er mögliche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten abschätzen kann. Hierzu sollte das Unternehmen oder das herrschende Unternehmen verpflichtet sein, den Arbeitnehmervertretern allgemeine Informationen, die die Interessen der Arbeitnehmer berühren, sowie Informationen, die sich konkret auf diejenigen Aspekte der Tätigkeiten des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe beziehen, welche die Interessen der Arbeitnehmer berühren, mitzuteilen. Der Europäische Betriebsrat muss am Ende der Sitzung eine Stellungnahme abgeben können. Bevor bestimmte Beschlüsse mit erheblichen Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer ausgeführt werden, sind die Arbeitnehmervertreter unverzüglich zu unterrichten und anzuhören.

8 Richtlinie 97/74/EG des Rates vom 15. 12. 1997 zur Ausdehnung der Richtlinie 94/45/EG über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen auf das Vereinigte Königreich (ABl. L 10 vom 16. 1. 1998, S. 22).

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(44) Der Inhalt der subsidiären Rechtsvorschriften, die in Ermangelung einer Vereinbarung anzuwenden sind und in den Verhandlungen als Auffangregelungen dienen, muss geklärt und an die Entwicklung der Anforderungen und Verfahren im Bereich der länderübergreifenden Unterrichtung und Anhörung angepasst werden. Eine Unterscheidung sollte vorgenommen werden zwischen den Bereichen, in denen eine Unterrichtung obligatorisch ist, und den Bereichen, in denen der Europäische Betriebsrat auch angehört werden muss, was das Recht einschließt, eine Antwort mit Begründung auf eine abgegebene Stellungnahme zu erhalten. Damit der engere Ausschuss die erforderliche Koordinierungsrolle wahrnehmen und im Falle außergewöhnlicher Umstände effizient handeln kann, muss dieser Ausschuss bis zu fünf Mitglieder umfassen und regelmäßig beraten können. (45) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Verbesserung der Rechte auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (46) Diese Richtlinie achtet die Grundrechte und wahrt insbesondere die Grundsätze, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Vor allem soll diese Richtlinie gewährleisten, dass das Recht der Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter auf rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung auf den angemessenen Ebenen in vollem Umfang Beachtung findet, und zwar in den Fällen und unter den Gegebenheiten, die im Gemeinschaftsrecht sowie in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Verfahren vorgesehen sind (Artikel 27 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union). (47) Die Verpflichtung zur Umsetzung dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht sollte nur jene Bestimmungen betreffen, die im Vergleich zu den bisherigen Richtlinien inhaltlich geändert wurden. Die Verpflichtung zur Umsetzung der inhaltlich unveränderten Bestimmungen ergibt sich aus den bisherigen Richtlinien. (48) Gemäß Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung9 sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen. (49) Diese Richtlinie sollte die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang II Teil B genannten Fristen für die Umsetzung der dort genannten Richtlinien in innerstaatliches Recht und für die Anwendung dieser Richtlinien unberührt lassen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Teil I – Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Zielsetzung (1) Das Ziel dieser Richtlinie ist die Stärkung des Rechts auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen. 9 ABl. C 321 vom 31. 12. 2003, S. 1.

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(2) Hierzu wird in allen gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen auf Antrag gemäß dem Verfahren nach Artikel 5 Absatz 1 zum Zweck der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer ein Europäischer Betriebsrat eingesetzt oder ein Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer geschaffen. Die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer werden so festgelegt und angewandt, dass ihre Wirksamkeit gewährleistet ist und eine effiziente Beschlussfassung des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe ermöglicht wird. (3) Die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer erfolgt auf der je nach behandeltem Thema relevanten Leitungs- und Vertretungsebene. Zu diesem Zweck beschränken sich die Zuständigkeiten des Europäischen Betriebsrats und der Geltungsbereich des Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer gemäß dieser Richtlinie auf länderübergreifende Angelegenheiten. (4) Als länderübergreifend werden Angelegenheiten erachtet, die das gemeinschaftsweit operierende Unternehmen oder die gemeinschaftsweit operierende Unternehmensgruppe insgesamt oder mindestens zwei der Betriebe oder der zur Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmen in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten betreffen. (5) Ungeachtet des Absatzes 2 wird der Europäische Betriebsrat in den Fällen, in denen eine gemeinschaftsweit operierende Unternehmensgruppe im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c ein oder mehrere Unternehmen oder Unternehmensgruppen umfasst, die gemeinschaftsweit operierende Unternehmen oder Unternehmensgruppen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a oder c sind, auf der Ebene der Unternehmensgruppe eingesetzt, es sei denn, dass in der Vereinbarung gemäß Artikel 6 etwas anderes vorgesehen wird. (6) Ist in der Vereinbarung gemäß Artikel 6 kein größerer Geltungsbereich vorgesehen, so erstrecken sich die Befugnisse und Zuständigkeiten der Europäischen Betriebsräte und die Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, die zur Erreichung des in Absatz 1 festgelegten Ziels vorgesehen sind, im Fall eines gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens auf alle in den Mitgliedstaaten ansässigen Betriebe und im Fall einer gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe auf alle in den Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen dieser Gruppe. Art. 2 Definitionen (1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) „gemeinschaftsweit operierendes Unternehmen“ ein Unternehmen mit mindestens 1000 Arbeitnehmern in den Mitgliedstaaten und mit jeweils mindestens 150 Arbeitnehmern in mindestens zwei Mitgliedstaaten; b) „Unternehmensgruppe“ eine Gruppe, die aus einem herrschenden Unternehmen und den von diesem abhängigen Unternehmen besteht; 931

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c) „gemeinschaftsweit operierende Unternehmensgruppe“ eine Unternehmensgruppe, die folgende Voraussetzungen erfüllt: — sie hat mindestens 1000 Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten, — sie umfasst mindestens zwei der Unternehmensgruppe angehörende Unternehmen in verschiedenen Mitgliedstaaten, — mindestens ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen hat mindestens 150 Arbeitnehmer in einem Mitgliedstaat, und ein weiteres der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen hat mindestens 150 Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat; und d) „Arbeitnehmervertreter“ die nach den Rechtsvorschriften und/oder den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten vorgesehenen Vertreter der Arbeitnehmer; e) „zentrale Leitung“ die zentrale Unternehmensleitung eines gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder bei gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppen die zentrale Unternehmensleitung des herrschenden Unternehmens; f) „Unterrichtung“ die Übermittlung von Informationen durch den Arbeitgeber an die Arbeitnehmervertreter, um ihnen Gelegenheit zur Kenntnisnahme und Prüfung der behandelten Frage zu geben; die Unterrichtung erfolgt zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung, die dem Zweck angemessen sind und es den Arbeitnehmervertretern ermöglichen, die möglichen Auswirkungen eingehend zu bewerten und gegebenenfalls Anhörungen mit dem zuständigen Organ des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe vorzubereiten; g) „Anhörung“ die Einrichtung eines Dialogs und den Meinungsaustausch zwischen den Arbeitnehmervertretern und der zentralen Leitung oder einer anderen, angemesseneren Leitungsebene zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung, die es den Arbeitnehmervertretern auf der Grundlage der erhaltenen Informationen ermöglichen, unbeschadet der Zuständigkeiten der Unternehmensleitung innerhalb einer angemessenen Frist zu den vorgeschlagenen Maßnahmen, die Gegenstand der Anhörung sind, eine Stellungnahme abzugeben, die innerhalb des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe berücksichtigt werden kann; h) „Europäischer Betriebsrat“ einen Betriebsrat, der gemäß Artikel 1 Absatz 2 oder den Bestimmungen des Anhangs I zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer eingesetzt werden kann; i) „besonderes Verhandlungsgremium“ das gemäß Artikel 5 Absatz 2 eingesetzte Gremium, das die Aufgabe hat, mit der zentralen Leitung die Einset932

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zung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer nach Artikel 1 Absatz 2 auszuhandeln. (2) Für die Zwecke dieser Richtlinie werden die Beschäftigtenschwellen nach der entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten berechneten Zahl der im Durchschnitt während der letzten zwei Jahre beschäftigten Arbeitnehmer, einschließlich der Teilzeitbeschäftigten, festgelegt. Art. 3 Definition des Begriffs „herrschendes Unternehmen“ (1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als „herrschendes Unternehmen“ ein Unternehmen, das zum Beispiel aufgrund von Eigentum, finanzieller Beteiligung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, einen beherrschenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen („abhängiges Unternehmen“) ausüben kann. (2) Die Fähigkeit, einen beherrschenden Einfluss auszuüben, gilt bis zum Beweis des Gegenteils als gegeben, wenn ein Unternehmen in Bezug auf ein anderes Unternehmen direkt oder indirekt a) die Mehrheit des gezeichneten Kapitals dieses Unternehmens besitzt oder b) über die Mehrheit der mit den Anteilen am anderen Unternehmen verbundenen Stimmrechte verfügt oder c) mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des anderen Unternehmens bestellen kann. (3) Für die Anwendung von Absatz 2 müssen den Stimm- und Ernennungsrechten des herrschenden Unternehmens die Rechte aller abhängigen Unternehmen sowie aller natürlichen oder juristischen Personen, die zwar im eigenen Namen, aber für Rechnung des herrschenden Unternehmens oder eines anderen abhängigen Unternehmens handeln, hinzugerechnet werden. (4) Ungeachtet der Absätze 1 und 2 ist ein Unternehmen kein „herrschendes Unternehmen“ in Bezug auf ein anderes Unternehmen, an dem es Anteile hält, wenn es sich um eine Gesellschaft im Sinne von Artikel 3 Absatz 5 Buchstabe a oder c der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen handelt. (5) Ein beherrschender Einfluss gilt nicht allein schon aufgrund der Tatsache als gegeben, dass eine beauftragte Person ihre Funktionen gemäß den in einem Mitgliedstaat für die Liquidation, den Konkurs, die Zahlungsunfähigkeit, die Zahlungseinstellung, den Vergleich oder ein ähnliches Verfahren geltenden Rechtsvorschriften ausübt. 933

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(6) Maßgebend für die Feststellung, ob ein Unternehmen ein herrschendes Unternehmen ist, ist das Recht des Mitgliedstaats, dem das Unternehmen unterliegt. Unterliegt das Unternehmen nicht dem Recht eines Mitgliedstaats, so ist das Recht des Mitgliedstaats maßgebend, in dem der Vertreter des Unternehmens oder, in Ermangelung eines solchen, die zentrale Leitung desjenigen Unternehmens innerhalb einer Unternehmensgruppe ansässig ist, das die höchste Anzahl von Arbeitnehmern aufweist. (7) Ergibt sich im Fall einer Normenkollision bei der Anwendung von Absatz 2, dass zwei oder mehr Unternehmen ein und derselben Unternehmensgruppe eines oder mehrere der in Absatz 2 festgelegten Kriterien erfüllen, so gilt das Unternehmen, welches das unter Absatz 2 Buchstabe c genannte Kriterium erfüllt, als herrschendes Unternehmen, solange nicht der Beweis erbracht ist, dass ein anderes Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann.

Teil II – Einrichtungen des Europäischen Betriebsrates oder Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer Art. 4 Verantwortung für die Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer (1) Die zentrale Leitung ist dafür verantwortlich, dass die Voraussetzungen geschaffen und die Mittel bereitgestellt werden, damit jeweils nach Maßgabe des Artikels 1 Absatz 2 für gemeinschaftsweit operierende Unternehmen und gemeinschaftsweit operierende Unternehmensgruppen der Europäische Betriebsrat eingesetzt oder ein Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung geschaffen werden kann. (2) Ist die zentrale Leitung nicht in einem Mitgliedstaat ansässig, so ist ihr gegebenenfalls zu benennender Vertreter in der Gemeinschaft für die Maßnahmen nach Absatz 1 verantwortlich. In Ermangelung eines solchen Vertreters ist die Leitung des Betriebs oder des zur Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmens mit der höchsten Anzahl von Beschäftigten in einem Mitgliedstaat für die Maßnahmen nach Absatz 1 verantwortlich. (3) Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten der oder die Vertreter oder, in Ermangelung dieser Vertreter, die Leitung nach Absatz 2 Unterabsatz 2 als zentrale Leitung. (4) Jede Leitung eines zu einer gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmens sowie die zentrale Leitung oder die fingierte 934

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zentrale Leitung im Sinne des Absatzes 2 Unterabsatz 2 des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe ist dafür verantwortlich, die für die Aufnahme von Verhandlungen gemäß Artikel 5 erforderlichen Informationen zu erheben und an die Parteien, auf die die Richtlinie Anwendung findet, weiterzuleiten, insbesondere die Informationen in Bezug auf die Struktur des Unternehmens oder der Gruppe und die Belegschaft. Diese Verpflichtung betrifft insbesondere die Angaben zu der in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a und c erwähnten Beschäftigtenzahl. Art. 5 Besonderes Verhandlungsgremium (1) Um das in Artikel 1 Absatz 1 festgelegte Ziel zu erreichen, nimmt die zentrale Leitung von sich aus oder auf schriftlichen Antrag von mindestens 100 Arbeitnehmern oder ihrer Vertreter aus mindestens zwei Betrieben oder Unternehmen in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten Verhandlungen zur Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats oder zur Schaffung eines Unterrichtungs- und Anhörungsverfahrens auf. (2) Zu diesem Zwecke wird ein besonderes Verhandlungsgremium nach folgenden Leitlinien eingesetzt: a) Die Mitgliedstaaten legen das Verfahren für die Wahl oder die Benennung der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums fest, die in ihrem Hoheitsgebiet zu wählen oder zu benennen sind. Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Arbeitnehmer der Unternehmen und/oder Betriebe, in denen unabhängig vom Willen der Arbeitnehmer keine Arbeitnehmervertreter vorhanden sind, selbst Mitglieder für das besondere Verhandlungsgremium wählen oder benennen dürfen. Durch Unterabsatz 2 werden die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/ oder Gepflogenheiten, die Schwellen für die Einrichtung eines Gremiums zur Vertretung der Arbeitnehmer vorsehen, nicht berührt. b) Die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums werden entsprechend der Zahl der in jedem Mitgliedstaat beschäftigen Arbeitnehmer des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe gewählt oder bestellt, so dass pro Mitgliedstaat für jeden Anteil der in diesem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer, der 10 % der Gesamtzahl der in allen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer entspricht, oder für einen Bruchteil dieser Tranche Anspruch auf einen Sitz besteht. c) Die Zusammensetzung des besonderen Verhandlungsgremiums und der Beginn der Verhandlungen werden der zentralen Leitung und den örtlichen Unternehmensleitungen sowie den zuständigen europäischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden mitgeteilt. 935

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(3) Aufgabe des besonderen Verhandlungsgremiums ist es, mit der zentralen Leitung in einer schriftlichen Vereinbarung den Tätigkeitsbereich, die Zusammensetzung, die Befugnisse und die Mandatsdauer des Europäischen Betriebsrats oder der Europäischen Betriebsräte oder die Durchführungsmodalitäten eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer festzulegen. (4) Die zentrale Leitung beruft eine Sitzung mit dem besonderen Verhandlungsgremium ein, um eine Vereinbarung gemäß Artikel 6 zu schließen. Sie setzt die örtlichen Unternehmensleitungen hiervon in Kenntnis. Vor und nach jeder Sitzung mit der zentralen Leitung ist das besondere Verhandlungsgremium berechtigt, zu tagen, ohne dass Vertreter der zentralen Leitung dabei zugegen sind, und dabei die erforderlichen Kommunikationsmittel zu nutzen. Das besondere Verhandlungsgremium kann bei den Verhandlungen Sachverständige seiner Wahl hinzuziehen, zu denen Vertreter der kompetenten anerkannten Gewerkschaftsorganisationen auf Gemeinschaftsebene gehören können, um sich von ihnen bei seiner Arbeit unterstützen zu lassen. Diese Sachverständigen und Gewerkschaftsvertreter können auf Wunsch des besonderen Verhandlungsgremiums den Verhandlungen in beratender Funktion beiwohnen. (5) Das besondere Verhandlungsgremium kann mit mindestens zwei Dritteln der Stimmen beschließen, keine Verhandlungen gemäß Absatz 4 zu eröffnen oder die bereits eröffneten Verhandlungen zu beenden. Durch einen solchen Beschluss wird das Verfahren zum Abschluss der in Artikel 6 genannten Vereinbarung beendet. Ist ein solcher Beschluss gefasst worden, finden die Bestimmungen des Anhangs I keine Anwendung. Ein neuer Antrag auf Einberufung des besonderen Verhandlungsgremiums kann frühestens zwei Jahre nach dem vorgenannten Beschluss gestellt werden, es sei denn, die betroffenen Parteien setzen eine kürzere Frist fest. (6) Die Kosten im Zusammenhang mit den Verhandlungen nach den Absätzen 3 und 4 werden von der zentralen Leitung getragen, damit das besondere Verhandlungsgremium seine Aufgaben in angemessener Weise erfüllen kann. Die Mitgliedstaaten können unter Wahrung dieses Grundsatzes Regeln für die Finanzierung der Arbeit des besonderen Verhandlungsgremiums festlegen. Sie können insbesondere die Übernahme der Kosten auf die Kosten für einen Sachverständigen begrenzen. Art. 6 Inhalt der Vereinbarung (1) Die zentrale Leitung und das besondere Verhandlungsgremium müssen im Geiste der Zusammenarbeit verhandeln, um zu einer Vereinbarung über die Modalitäten der Durchführung der in Artikel 1 Absatz 1 vorgesehenen Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer zu gelangen. 936

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(2) Unbeschadet der Autonomie der Parteien wird in der schriftlichen Vereinbarung nach Absatz 1 zwischen der zentralen Leitung und dem besonderen Verhandlungsgremium Folgendes festgelegt: a) die von der Vereinbarung betroffenen Unternehmen der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe oder Betriebe des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens; b) die Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats, die Anzahl der Mitglieder, die Sitzverteilung, wobei so weit als möglich eine ausgewogene Vertretung der Arbeitnehmer nach Tätigkeit, Arbeitnehmerkategorien und Geschlecht zu berücksichtigen ist, und die Mandatsdauer; c) die Befugnisse und das Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren des Europäischen Betriebsrats sowie die Modalitäten für die Abstimmung zwischen der Unterrichtung und Anhörung des Europäischen Betriebsrats und der einzelstaatlichen Arbeitnehmervertretungen gemäß den Grundsätzen des Artikels 1 Absatz 3; d) der Ort, die Häufigkeit und die Dauer der Sitzungen des Europäischen Betriebsrats; e) gegebenenfalls die Zusammensetzung, die Modalitäten für die Bestellung, die Befugnisse und die Sitzungsmodalitäten des innerhalb des Europäischen Betriebsrates eingesetzten engeren Ausschusses; f) die für den Europäischen Betriebsrat bereitzustellenden finanziellen und materiellen Mittel; g) das Datum des Inkrafttretens der Vereinbarung und ihre Laufzeit, die Modalitäten für die Änderung oder Kündigung der Vereinbarung und gegebenenfalls die Fälle, in denen eine Neuaushandlung erfolgt, und das bei ihrer Neuaushandlung anzuwendende Verfahren gegebenenfalls auch bei Änderungen der Struktur des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe. (3) Die zentrale Leitung und das besondere Verhandlungsgremium können in schriftlicher Form den Beschluss fassen, dass anstelle eines Europäischen Betriebsrats ein oder mehrere Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren geschaffen werden. In der Vereinbarung ist festzulegen, unter welchen Voraussetzungen die Arbeitnehmervertreter das Recht haben, zu einem Meinungsaustausch über die ihnen übermittelten Informationen zusammenzutreten. Diese Informationen erstrecken sich insbesondere auf länderübergreifende Angelegenheiten, welche erhebliche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer haben. (4) Sofern in den Vereinbarungen im Sinne der Absätze 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist, gelten die subsidiären Vorschriften des Anhangs I nicht für diese Vereinbarungen. 937

3.15

Europäischer Betriebsrat-Richtlinie 2009/38

(5) Für den Abschluss der Vereinbarungen im Sinne der Absätze 2 und 3 ist die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums erforderlich. Art. 7 Subsidiäre Vorschriften (1) Um das in Artikel 1 Absatz 1 festgelegte Ziel zu erreichen, werden die subsidiären Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Leitung ihren Sitz hat, angewandt, — wenn die zentrale Leitung und das besondere Verhandlungsgremium einen entsprechenden Beschluss fassen oder — wenn die zentrale Leitung die Aufnahme von Verhandlungen binnen sechs Monaten nach dem ersten Antrag nach Artikel 5 Absatz 1 verweigert oder — wenn binnen drei Jahren nach dem entsprechenden Antrag keine Vereinbarung gemäß Artikel 6 zustande kommt und das besondere Verhandlungsgremium keinen Beschluss nach Artikel 5 Absatz 5 gefasst hat. (2) Die subsidiären Vorschriften nach Absatz 1 in der durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten festgelegten Fassung müssen den in Anhang I niedergelegten Bestimmungen genügen.

Teil III – Sonstige Bestimmungen Art. 8 Vertrauliche Informationen (1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Mitgliedern des besonderen Verhandlungsgremiums und des Europäischen Betriebsrats sowie den sie gegebenenfalls unterstützenden Sachverständigen nicht gestattet wird, ihnen ausdrücklich als vertraulich mitgeteilte Informationen an Dritte weiterzugeben. Das Gleiche gilt für die Arbeitnehmervertreter im Rahmen eines Unterrichtungs- und Anhörungsverfahrens. Diese Verpflichtung besteht unabhängig vom Aufenthaltsort der in den Unterabsätzen 1 und 2 genannten Personen und selbst nach Ablauf ihres Mandats weiter. (2) Jeder Mitgliedstaat sieht vor, dass die in seinem Hoheitsgebiet ansässige zentrale Leitung in besonderen Fällen und unter den in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Bedingungen und Beschränkungen Informationen nicht weiterleiten muss, wenn diese die Arbeitsweise der betroffenen Unternehmen nach objektiven Kriterien erheblich beeinträchtigen oder ihnen schaden könnten. Der betreffende Mitgliedstaat kann diese Befreiung von einer vorherigen behördlichen oder gerichtlichen Genehmigung abhängig machen. 938

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3.15

(3) Jeder Mitgliedstaat kann besondere Bestimmungen für die zentrale Leitung der in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Unternehmen vorsehen, die in Bezug auf Berichterstattung und Meinungsäußerung unmittelbar und überwiegend eine bestimmte weltanschauliche Tendenz verfolgen, falls die innerstaatlichen Rechtsvorschriften solche besonderen Bestimmungen zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bereits enthalten. Art. 9 Arbeitsweise des Europäischen Betriebsrats und Funktionsweise des Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer Die zentrale Leitung und der Europäische Betriebsrat arbeiten mit dem Willen zur Verständigung unter Beachtung ihrer jeweiligen Rechte und gegenseitigen Verpflichtungen zusammen. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit zwischen der zentralen Leitung und den Arbeitnehmervertretern im Rahmen eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer. Art. 10 Rolle und Schutz der Arbeitnehmervertreter (1) Unbeschadet der Zuständigkeiten der anderen Gremien oder Organisationen in diesem Bereich verfügen die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats über die Mittel, die erforderlich sind, um die Rechte auszuüben, die sich aus dieser Richtlinie ergeben, um kollektiv die Interessen der Arbeitnehmer des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe zu vertreten. (2) Unbeschadet des Artikels 8 informieren die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats die Arbeitnehmervertreter der Betriebe oder der zur gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmen oder, in Ermangelung solcher Vertreter, die Belegschaft insgesamt über Inhalt und Ergebnisse der gemäß dieser Richtlinie durchgeführten Unterrichtung und Anhörung. (3) Die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums, die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats und die Arbeitnehmervertreter, die bei dem Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren nach Artikel 6 Absatz 3 mitwirken, genießen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben den gleichen Schutz und gleichartige Sicherheiten wie die Arbeitnehmervertreter nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten des Landes, in dem sie beschäftigt sind. Dies gilt insbesondere für die Teilnahme an den Sitzungen des besonderen Verhandlungsgremiums, des Europäischen Betriebsrats und an allen anderen Sitzungen im Rahmen der Vereinbarungen nach Artikel 6 Absatz 3 sowie für die Lohn- und Gehaltsfortzahlung an die Mitglieder, die Beschäftigte des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operieren939

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Europäischer Betriebsrat-Richtlinie 2009/38

den Unternehmensgruppe sind, für die Dauer ihrer durch die Wahrnehmung ihrer Aufgaben notwendigen Abwesenheit. Ein Mitglied eines besonderen Verhandlungsgremiums oder eines Europäischen Betriebsrats oder dessen Stellvertreter, das Besatzungsmitglied eines Seeschiffs ist, ist berechtigt, an einer Sitzung des besonderen Verhandlungsgremiums oder des Europäischen Betriebsrats oder an jeder anderen Sitzung gemäß den Verfahren des Artikels 6 Absatz 3 teilzunehmen, sofern es sich zum Sitzungszeitpunkt nicht auf See oder in einem Hafen in einem anderen Land als dem befindet, in dem die Reederei ihren Geschäftssitz hat. Die Sitzungen sind nach Möglichkeit so anzusetzen, dass sie die Teilnahme von Mitgliedern oder Stellvertretern, die Besatzungsmitglied eines Seeschiffs sind, erleichtern. Kann ein Mitglied eines besonderen Verhandlungsgremiums oder eines Europäischen Betriebsrats oder dessen Stellvertreter, das Besatzungsmitglied eines Seeschiffs ist, nicht an einer Sitzung teilnehmen, so ist nach Möglichkeit die Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in Erwägung zu ziehen. (4) In dem Maße, wie dies zur Wahrnehmung ihrer Vertretungsaufgaben in einem internationalen Umfeld erforderlich ist, müssen die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums und des Europäischen Betriebsrats Schulungen erhalten, ohne dabei Lohn- bzw. Gehaltseinbußen zu erleiden. Art. 11 Einhaltung der Richtlinie (1) Jeder Mitgliedstaat gewährleistet, dass die Leitung der in seinem Hoheitsgebiet befindlichen Betriebe eines gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens und die Leitung eines Unternehmens, das Mitglied einer gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe ist, und ihre Arbeitnehmervertreter oder, je nach dem betreffenden Einzelfall, deren Arbeitnehmer den in dieser Richtlinie festgelegten Verpflichtungen nachkommen, unabhängig davon, ob die zentrale Leitung sich in seinem Hoheitsgebiet befindet. (2) Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie sehen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen vor; sie gewährleisten insbesondere, dass Verwaltungsoder Gerichtsverfahren vorhanden sind, mit deren Hilfe die Erfüllung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen durchgesetzt werden kann. (3) Bei der Anwendung des Artikels 8 sehen die Mitgliedstaaten Verfahren vor, nach denen die Arbeitnehmervertreter auf dem Verwaltungs- oder Gerichtsweg Rechtsbehelfe einlegen können, wenn die zentrale Leitung sich auf die Vertraulichkeit der Informationen beruft oder diese — ebenfalls nach Artikel 8 — nicht weiterleitet. Zu diesen Verfahren können auch Verfahren gehören, die dazu bestimmt sind, die Vertraulichkeit der betreffenden Informationen zu wahren. 940

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Art. 12 Zusammenhang mit anderen gemeinschaftlichen und einzelstaatlichen Bestimmungen (1) Die Unterrichtung und Anhörung des Europäischen Betriebsrats wird mit der Unterrichtung und Anhörung der einzelstaatlichen Vertretungsgremien der Arbeitnehmer abgestimmt, wobei die jeweiligen Zuständigkeiten und Aktionsbereiche sowie die Grundsätze des Artikels 1 Absatz 3 beachtet werden. (2) Die Modalitäten für die Abstimmung zwischen der Unterrichtung und Anhörung des Europäischen Betriebsrats und der einzelstaatlichen Arbeitnehmervertretungen werden in der Vereinbarung gemäß Artikel 6 festgelegt. Diese Vereinbarung steht den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder den einzelstaatlichen Gepflogenheiten zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer nicht entgegen. (3) Sind solche Modalitäten nicht durch Vereinbarung festgelegt, sehen die Mitgliedstaaten vor, dass der Prozess der Unterrichtung und Anhörung sowohl im Europäischen Betriebsrat als auch in den einzelstaatlichen Vertretungsgremien der Arbeitnehmer stattfindet, wenn Entscheidungen geplant sind, die wesentliche Veränderungen der Arbeitsorganisation oder der Arbeitsverträge mit sich bringen können. (4) Diese Richtlinie lässt die in der Richtlinie 2002/14/EG vorgesehenen Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren sowie die in Artikel 2 der Richtlinie 98/59/ EG und in Artikel 7 der Richtlinie 2001/23/EG vorgesehenen spezifischen Verfahren unberührt. (5) Die Durchführung dieser Richtlinie darf nicht als Rechtfertigung für Rückschritte hinter den bereits in den einzelnen Mitgliedstaaten erreichten Stand des allgemeinen Niveaus des Arbeitnehmerschutzes in den von ihr abgedeckten Bereichen benutzt werden. Art. 13 Anpassung Ändert sich die Struktur des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe wesentlich und fehlen entsprechende Bestimmungen in den geltenden Vereinbarungen oder bestehen Konflikte zwischen den Bestimmungen von zwei oder mehr geltenden Vereinbarungen, so nimmt die zentrale Leitung von sich aus oder auf schriftlichen Antrag von mindestens 100 Arbeitnehmern oder ihrer Vertreter in mindestens zwei Unternehmen oder Betrieben in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten die Verhandlungen gemäß Artikel 5 auf. Mindestens drei Mitglieder des bestehenden Europäischen Betriebsrats oder jedes bestehenden Europäischen Betriebsrats gehören — neben den gemäß Artikel 5 Absatz 2 gewählten oder bestellten Mitgliedern — dem besonderen Verhandlungsgremium an. Während der Verhandlungen erfolgt die Aufgabenwahrnehmung durch den bestehenden Europäischen Betriebsrat oder die bestehenden Europäischen Be941

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triebsräte entsprechend den in einer Vereinbarung zwischen diesem/diesen und der zentralen Leitung festgelegten etwaigen Absprachen. Art. 14 Geltende Vereinbarungen (1) Unbeschadet des Artikels 13 gelten die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen nicht für gemeinschaftsweit operierende Unternehmen und gemeinschaftsweit operierende Unternehmensgruppen, in denen entweder a) eine für alle Arbeitnehmer geltende Vereinbarung oder Vereinbarungen, in der bzw. in denen eine länderübergreifende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer vorgesehen ist, gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Richtlinie 94/45/EG oder Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 97/74/EG abgeschlossen wurde bzw. wurden oder solche Vereinbarungen wegen Veränderungen in der Struktur der Unternehmen oder Unternehmensgruppen angepasst wurden; oder b) eine gemäß Artikel 6 der Richtlinie 94/45/EG abgeschlossene Vereinbarung zwischen dem 5. Juni 2009 und dem 5. Juni 2011 unterzeichnet oder überarbeitet wird. Das einzelstaatliche Recht, das zum Zeitpunkt der Unterzeichnung oder der Überarbeitung der Vereinbarung gilt, gilt weiterhin für die in Unterabsatz 1 Buchstabe b genannten Unternehmen oder Unternehmensgruppen. (2) Laufen die in Absatz 1 genannten Vereinbarungen aus, so können die betreffenden Parteien gemeinsam beschließen, sie weiter anzuwenden oder zu überarbeiten. Ist dies nicht der Fall, so findet diese Richtlinie Anwendung. Art. 15–19 Berichtspflicht der Kommission, Umsetzungspflichten, Aufhebung der Richtlinie 94/45/EG, Inkrafttreten, Adressaten − nicht abgedruckt.

Anhang I – Subsidiäre Vorschriften (nach Artikel 7) (1) Um das in Artikel 1 Absatz 1 festgelegte Ziel zu erreichen, wird in den in Artikel 7 Absatz 1 vorgesehenen Fällen ein Europäischer Betriebsrat eingesetzt, für dessen Zuständigkeiten und Zusammensetzung folgende Regeln gelten: a) Die Zuständigkeiten des Europäischen Betriebsrats werden gemäß Artikel 1 Absatz 3 festgelegt. Die Unterrichtung des Europäischen Betriebsrats bezieht sich insbesondere auf die Struktur, die wirtschaftliche und finanzielle Situation sowie die voraussichtliche Entwicklung der Geschäfts-, Produktions- und Absatzlage des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe. Die Unterrichtung und An942

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hörung des Europäischen Betriebsrats bezieht sich insbesondere auf die Beschäftigungslage und ihre voraussichtliche Entwicklung, auf die Investitionen, auf grundlegende Änderungen der Organisation, auf die Einführung neuer Arbeits- und Fertigungsverfahren, auf Verlagerungen der Produktion, auf Fusionen, Verkleinerungen oder Schließungen von Unternehmen, Betrieben oder wichtigen Teilen dieser Einheiten und auf Massenentlassungen. Die Anhörung erfolgt in einer Weise, die es den Arbeitnehmervertretern gestattet, mit der zentralen Leitung zusammenzukommen und eine mit Gründen versehene Antwort auf ihre etwaige Stellungnahme zu erhalten. Der Europäische Betriebsrat setzt sich aus Arbeitnehmern des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe zusammen, die von den Arbeitnehmervertretern aus ihrer Mitte oder, in Ermangelung solcher Vertreter, von der Gesamtheit der Arbeitnehmer gewählt oder benannt werden. Die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats werden entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten gewählt oder benannt. Die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats werden entsprechend der Zahl der in jedem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe gewählt oder bestellt, so dass pro Mitgliedstaat für jeden Anteil der in diesem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer, der 10 % der Gesamtzahl der in allen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer entspricht, oder für einen Bruchteil dieser Tranche Anspruch auf einen Sitz besteht. Um die Koordination seiner Aktivitäten sicherzustellen, wählt der Europäische Betriebsrat aus seiner Mitte einen engeren Ausschuss mit höchstens fünf Mitgliedern, für den Bedingungen gelten müssen, die ihm die regelmäßige Wahrnehmung seiner Aufgaben ermöglichen. Er gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats wird der zentralen Leitung oder einer anderen geeigneteren Leitungsebene mitgeteilt. Vier Jahre nach der Einrichtung des Europäischen Betriebsrats prüft dieser, ob die in Artikel 6 genannte Vereinbarung ausgehandelt werden soll oder ob die entsprechend diesem Anhang erlassenen subsidiären Vorschriften weiterhin angewendet werden sollen. Wird der Beschluss gefasst, eine Vereinbarung gemäß Artikel 6 auszuhandeln, so gelten die Artikel 6 und 7 entsprechend, wobei der Begriff „besonderes Verhandlungsgremium“ durch den Begriff „Europäischer Betriebsrat“ ersetzt wird. 943

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(2) Der Europäische Betriebsrat ist befugt, einmal jährlich mit der zentralen Leitung zum Zwecke der Unterrichtung und Anhörung, auf der Grundlage eines von der zentralen Leitung vorgelegten Berichts, über die Entwicklung der Geschäftslage und die Perspektiven des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe zusammenzutreten. Die örtlichen Unternehmensleitungen werden hiervon in Kenntnis gesetzt. (3) Treten außergewöhnliche Umstände ein oder werden Entscheidungen getroffen, die erhebliche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer haben, insbesondere bei Verlegung oder Schließung von Unternehmen oder Betrieben oder bei Massenentlassungen, so hat der engere Ausschuss oder, falls nicht vorhanden, der Europäische Betriebsrat das Recht, darüber unterrichtet zu werden. Er hat das Recht, auf Antrag mit der zentralen Leitung oder anderen, geeigneteren, mit Entscheidungsbefugnissen ausgestatteten Leitungsebenen innerhalb des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe zusammenzutreten, um unterrichtet und angehört zu werden. Im Falle einer Sitzung mit dem engeren Ausschuss dürfen auch die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats teilnehmen, die von den Betrieben und/oder Unternehmen gewählt worden sind, welche unmittelbar von den in Frage stehenden Umständen oder Entscheidungen betroffen sind. Diese Sitzung zur Unterrichtung und Anhörung erfolgt unverzüglich auf der Grundlage eines Berichts der zentralen Leitung oder einer anderen geeigneten Leitungsebene innerhalb der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe, zu dem der Europäische Betriebsrat binnen einer angemessenen Frist seine Stellungnahme abgeben kann. Diese Sitzung lässt die Rechte der zentralen Leitung unberührt. Die unter den genannten Umständen vorgesehene Unterrichtung und Anhörung erfolgt unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 1 Absatz 2 und des Artikels 8. (4) Die Mitgliedstaaten können Regeln bezüglich des Vorsitzes der Sitzungen zur Unterrichtung und Anhörung festlegen. Vor Sitzungen mit der zentralen Leitung ist der Europäische Betriebsrat oder der engere Ausschuss, der gegebenenfalls gemäß Nummer 3 Absatz 2 erweitert ist, berechtigt, in Abwesenheit der betreffenden Unternehmensleitung zu tagen. (5) Der Europäische Betriebsrat und der engere Ausschuss können sich durch Sachverständige ihrer Wahl unterstützen lassen, sofern dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. (6) Die Verwaltungsausgaben des Europäischen Betriebsrats gehen zu Lasten der zentralen Leitung. 944

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Die betreffende zentrale Leitung stattet die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats mit den erforderlichen finanziellen und materiellen Mitteln aus, damit diese ihre Aufgaben in angemessener Weise wahrnehmen können. Insbesondere trägt die zentrale Leitung die für die Veranstaltung der Sitzungen anfallenden Kosten einschließlich der Dolmetschkosten sowie die Aufenthalts- und Reisekosten für die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats und des engeren Ausschusses, soweit nichts anderes vereinbart wurde. Die Mitgliedstaaten können unter Wahrung dieses Grundsatzes Regeln für die Finanzierung der Arbeit des Europäischen Betriebsrats festlegen. Sie können insbesondere die Übernahme der Kosten auf die Kosten für einen Sachverständigen begrenzen. Anhang II und III Aufgehobene Richtlinie mit Änderungen, Entsprechungstabelle − nicht abgedruckt.

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4.1 Kodifikations-RL (Titel I – Gründung) * 2017/1132 DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 50 Absatz 1 und Absatz 2 Buchstabe g, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinien 82/891/EWG3 und 89/666/EWG4 des Rates und die Richtlinien 2005/56/ EG,5 2009/101/EG,6 2011/35/EU7 und 2012/30/EU8 des Europäischen Parlaments und des Rates wurden mehrfach und erheblich geändert.9 Aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit empfiehlt es sich, sie zu kodifizieren. (2) Die Fortführung der Koordinierung, die Artikel 50 Absatz 2 Buchstabe g des Vertrags sowie das Allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vorsehen und die mit der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates,10 begonnen wurde, ist bei den Aktiengesellschaften besonders wichtig, weil in der Wirtschaft der Mitgliedstaaten die Tätigkeit dieser Gesellschaften vorherrscht und häufig die Grenzen des nationalen Hoheitsgebiets überschreitet. (3) Die Koordinierung der nationalen Vorschriften über die Gründung von Aktiengesellschaften sowie die Aufrechterhaltung, die Erhöhung und die Herabsetzung ihres Kapitals ist vor allem bedeutsam, um beim Schutz der Aktionäre einerseits und der Gläubiger der Gesellschaft andererseits ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit sicherzustellen. (4) Die Satzung oder der Errichtungsakt einer Aktiengesellschaft muss in der Union jedem Interessierten die Möglichkeit bieten, die wesentlichen Merkmale der Gesellschaft und insbesondere die genaue Zusammensetzung des Gesellschaftskapitals zu kennen. (5) Der Schutz Dritter sollte durch Bestimmungen gewährleistet werden, welche die Gründe, aus denen im Namen von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien

* Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. 2017 L 169/46. 1 ABl. C 264 vom 20. 7. 2016, S. 82. 2 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 5. April 2017 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 29. Mai 2017. 3 ABl. L 378 vom 31. 12. 1982, S. 47. 4 ABl. L 395 vom 30. 12. 1989, S. 36. 5 ABl. L 310 vom 25. 11. 2005, S. 1. 6 ABl. L 258 vom 1. 10. 2009, S. 11. 7 ABl. L 110 vom 29. 4. 2011, S. 1. 8 ABl. L 315 vom 14. 11. 2012, S. 74. 9 Siehe Anhang III, Teil A. 10 ABl. L 65 vom 14. 3. 1968, S. 8. https://doi.org/10.1515/9783110667776-044

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oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung eingegangene Verpflichtungen unwirksam sein können, so weit wie möglich beschränken. Um die Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen den Gesellschaften und Dritten sowie im Verhältnis der Gesellschafter untereinander zu gewährleisten, ist es erforderlich, die Fälle der Nichtigkeit sowie die Rückwirkung der Nichtigerklärung zu beschränken und für den Einspruch Dritter gegen diese Erklärung eine kurze Frist vorzuschreiben. Der Koordinierung der nationalen Vorschriften über die Offenlegung, die Wirksamkeit eingegangener Verpflichtungen von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowie die Nichtigkeit dieser Gesellschaften kommt insbesondere zum Schutz der Interessen Dritter eine besondere Bedeutung zu. Die Offenlegung sollte es Dritten erlauben, sich über die wesentlichen Urkunden einer Gesellschaft sowie einige sie betreffende Angaben, insbesondere die Personalien derjenigen, welche die Gesellschaft verpflichten können, zu unterrichten. Gesellschaften sollten unbeschadet der grundlegenden Anforderungen und vorgeschriebenen Formalitäten des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, die erforderlichen Urkunden und Angaben auf Papier oder in elektronischer Form einzureichen. Die betroffenen Parteien sollten in der Lage sein, von dem Register Kopien dieser Urkunden und Angaben sowohl in Papierform als auch in elektronischer Form zu erhalten. Die Mitgliedstaaten sollten das Amtsblatt, in dem die offenzulegenden Urkunden und Angaben bekannt zu machen sind, in Papierform oder in elektronischer Form führen oder Bekanntmachungen durch andere ebenso wirksame Formen vorschreiben können. Der grenzüberschreitende Zugang zu Informationen über eine Gesellschaft sollte erleichtert werden, indem zusätzlich zur verpflichtenden Offenlegung in einer der im Mitgliedstaat der Gesellschaft zugelassenen Sprachen die freiwillige Eintragung der erforderlichen Urkunden und Angaben in weiteren Sprachen gestattet wird. Gutgläubig handelnde Dritte sollten sich auf diese Übersetzungen berufen können. Es sollte klargestellt werden, dass die in der vorliegenden Richtlinie vorgeschriebenen Angaben in allen Geschäftsbriefen und Bestellscheinen der Gesellschaft unabhängig davon zu machen sind, ob sie Papierform oder eine andere Form aufweisen. Im Zuge der technischen Entwicklungen sollte auch vorgesehen werden, dass diese vorgeschriebenen Angaben auf den Webseiten der Gesellschaft zu machen sind. Die Errichtung einer Zweigniederlassung ist neben der Gründung einer Tochtergesellschaft eine der Möglichkeiten, die derzeit einer Gesellschaft zur Ausübung des Niederlassungsrechts in einem anderen Mitgliedstaat zur Verfügung stehen. Das Fehlen einer Koordinierung für die Zweigniederlassungen, insbesondere im Bereich der Offenlegung, hat im Hinblick auf den Schutz von Gesellschaftern und Dritten zu Unterschieden geführt zwischen den Gesellschaften, welche sich in anderen Mitgliedstaaten durch die Errichtung von Zweigniederlassungen betätigen, und den Gesellschaften, die dies durch die Gründung von Tochtergesellschaften tun. Zum Schutz der Personen, die über eine Zweigniederlassung mit einer Gesellschaft in Beziehung treten, müssen in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Zweigniederlassung befindet, Maßnahmen der Offenlegung getroffen werden. Der wirtschaftliche und soziale Einfluss einer Zweigniederlassung kann in gewisser Hinsicht dem Einfluss einer Tochtergesellschaft vergleichbar sein, sodass ein öffentliches Interesse an einer Offenlegung der Gesellschaft bei der Zweigniederlassung besteht. Zur Regelung dieser Offenlegung bietet

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es sich an, von dem Verfahren Gebrauch zu machen, das bereits für Kapitalgesellschaften in der Union eingeführt worden ist. Die Offenlegung erstreckt sich auf eine Reihe von Urkunden und wichtigen Angaben sowie diesbezügliche Änderungen. Die Offenlegung kann — von der Vertretungsmacht, der Firma und der Rechtsform sowie der Auflösung der Gesellschaft und dem Verfahren bei Insolvenz abgesehen — auf Angaben beschränkt werden, welche die Zweigniederlassung selbst betreffen, sowie auf Hinweise auf das Register der Gesellschaft, zu der die Zweigniederlassung gehört, da aufgrund der bestehenden Unionsvorschriften bei diesem Register die Angaben über die Gesellschaft insgesamt zur Verfügung stehen. Nationale Vorschriften, welche die Offenlegung von Unterlagen der Rechnungslegung verlangen, die sich auf die Zweigniederlassung beziehen, haben ihre Berechtigung verloren, nachdem die nationalen Vorschriften über die Erstellung, Prüfung und Offenlegung von Unterlagen der Rechnungslegung der Gesellschaft angeglichen worden sind. Deshalb genügt es, die von der Gesellschaft geprüften und offengelegten Unterlagen der Rechnungslegung beim Register der Zweigniederlassung offenzulegen. Geschäftsbriefe und Bestellscheine, die von der Zweigniederlassung benutzt werden, sollten mindestens die gleichen Angaben wie die Geschäftsbriefe und Bestellscheine der Gesellschaft sowie die Angabe des Registers, in das die Zweigniederlassung eingetragen ist, enthalten. Damit die Ziele dieser Richtlinie erreicht werden können und damit jede diskriminierende Behandlung nach dem Herkunftsland der Gesellschaft vermieden wird, sollte diese Richtlinie auch die Zweigniederlassungen von Gesellschaften erfassen, die dem Recht eines Drittlands unterliegen und eine Rechtsform haben, die derjenigen der unter diese Richtlinie fallenden Gesellschaften vergleichbar ist. Da Gesellschaften aus Drittländern nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, sind für solche Zweigniederlassungen besondere Vorschriften erforderlich, die sich von den Vorschriften unterscheiden, die für Gesellschaften gelten, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegen. Die vorliegende Richtlinie berührt nicht die Informationspflichten, denen die Zweigniederlassungen aufgrund anderer Vorschriften unterliegen, wie z. B. im Sozialrecht in Bezug auf das Informationsrecht der Arbeitnehmer, im Steuerrecht oder im Hinblick auf statistische Angaben. Die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern ist eine Maßnahme, die erforderlich ist, um die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen unternehmensfreundlicher zu gestalten. Sie dürfte durch Bürokratieabbau und Erhöhung der Rechtssicherheit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen fördern und auf diese Weise zur Überwindung der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise beitragen, was zu den Prioritäten der Agenda Europa 2020 gehört. Durch Nutzung innovativer Informations- und Kommunikationstechnologie dürfte eine solche Verknüpfung auch die grenzübergreifende Kommunikation zwischen den Registern verbessern. Im mehrjährigen Aktionsplan 2009–2013 für die Europäische E-Justiz11 wurde die Entwicklung eines europäischen E-Justiz-Portals (im Folgenden „Portal“) vorgesehen, das einziger europäischer Zugangspunkt für den elektronischen Zugang zu rechtlichen Informationen, Justiz- und Verwaltungsorganen, Registern, Datenbanken und anderen Diens-

11 ABl. C 75 vom 31. 3. 2009, S. 1.

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ten sein soll, und wird die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern als wichtig angesehen. Der grenzübergreifende Zugang zu Informationen über Gesellschaften und ihre Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten lässt sich nur verbessern, wenn alle Mitgliedstaaten tatkräftig daran mitwirken, dass eine elektronische Kommunikation zwischen den Registern möglich wird und die Informationen an einzelne Nutzer in der gesamten Union in standardisierter Form (identischer Inhalt und interoperable Technologien) übermittelt werden. Diese Interoperabilität der Register sollte sichergestellt werden, indem die Register der Mitgliedstaaten (im Folgenden „inländische Register“) Dienste zur Verfügung stellen, die als Schnittstellen zur zentralen Europäischen Plattform (im Folgenden „Plattform“) dienen sollten. Die Plattform sollte aus einem zentralisierten Paket von ITInstrumenten mit Diensten bestehen und eine gemeinsame Schnittstelle bilden. Diese Schnittstelle sollte von allen inländischen Registern genutzt werden. Die Plattform sollte zudem Dienste anbieten, die eine Schnittstelle mit dem als europäischer elektronischer Zugangspunkt dienenden Portal und mit den von den Mitgliedstaaten eingerichteten optionalen Zugangspunkten bilden. Die Plattform sollte ausschließlich als Instrument für die Verknüpfung von Registern und nicht als eigenständige Stelle mit Rechtspersönlichkeit verstanden werden. Auf der Grundlage einer einheitlichen Kennung sollte die Plattform imstande sein, Informationen aus jedem einzelnen mitgliedstaatlichen Register den zuständigen Registern anderer Mitgliedstaaten in einem standardisierten Nachrichten-Format (ein elektronisches Nachrichten-Format für den Austausch zwischen IT-Systemen, wie beispielsweise XML) und in der betreffenden Sprachfassung zukommen zu lassen. Diese Richtlinie zielt nicht auf die Schaffung einer zentralen Registerdatenbank ab, in der aussagekräftige Informationen über Gesellschaften gespeichert werden. Im Stadium der Einführung des Systems der Vernetzung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern (im Folgenden „System der Registervernetzung“) sollte lediglich der Datenbestand, der für den ordnungsgemäßen Betrieb der Plattform erforderlich ist, festgelegt werden. Dieser Bestand sollte insbesondere Betriebsdaten, Wörterbücher und Glossare umfassen. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass das System der Registervernetzung effizient arbeiten muss. Die Daten sollten genutzt werden, um der Plattform die Ausübung ihrer Aufgaben zu ermöglichen, und sollten niemals unmittelbar öffentlich zugänglich gemacht werden. Die Plattform sollte überdies weder den Inhalt der in den inländischen Registern gespeicherten Daten zu Gesellschaften noch die durch das System der Registervernetzung übertragenen Daten zu Gesellschaften verändern. Da mit der Richtlinie 2012/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates12 nicht darauf abgezielt wird, die nationalen Systeme der Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregister zu harmonisieren, sind Mitgliedstaaten in keiner Weise verpflichtet, ihr internes System für Register, insbesondere hinsichtlich der Verwaltung und der Speicherung von Daten, der Gebühren und der Verwendung und Offenlegung von Informationen zu einzelstaatlichen Zwecken, zu ändern. Das Portal sollte sich durch die Nutzung der Plattform mit Abfragen einzelner Benutzer von in den inländischen Registern gespeicherten Informationen zu Gesellschaften und ihren Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten befassen. Dies sollte es ermöglichen, die Suchergebnisse im Portal anzuzeigen, einschließlich der erläuternden Hinweise

12 ABl. L 156 vom 16. 6. 2012, S. 1.

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in sämtlichen Amtssprachen der Union mit einer Auflistung der bereitgestellten Informationen. Um den Schutz von Dritten in anderen Mitgliedstaaten zu erhöhen, sollten auf dem Portal zusätzlich grundlegende Informationen über den rechtlichen Stellenwert von Urkunden und Angaben verfügbar sein, die gemäß den im Einklang mit dieser Richtlinie erlassenen Gesetzen der Mitgliedstaaten offengelegt werden. Den Mitgliedstaaten sollte es möglich sein, einen oder mehrere optionale Zugangspunkte einzurichten, die Auswirkungen auf die Nutzung und den Betrieb der Plattform haben können. Daher sollte die Kommission über die Einrichtung solcher Zugangspunkte und über alle wesentlichen Änderungen ihrer Funktionsweise, insbesondere ihrer Schließung, unterrichtet werden. Eine solche Unterrichtung sollte in keiner Weise die Befugnisse der Mitgliedstaaten zur Einrichtung und zum Betrieb der optionalen Zugangspunkte einschränken. Gesellschaften und ihre Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten sollten eine einheitliche Kennung haben, durch die sie eindeutig in der Union ermittelt werden können. Die Kennung soll für die Kommunikation zwischen den Registern über das System der Registervernetzung dienen. Deshalb sollten Gesellschaften und Zweigniederlassungen nicht verpflichtet sein, die einheitliche Kennung auf den in dieser Richtlinie erwähnten Geschäftsbriefen und Bestellscheinen der Gesellschaft anzugeben. Sie sollten weiterhin ihre inländische Registrierungsnummer für ihre eigenen Kommunikationszwecke benutzen. Es sollte ermöglicht werden, eine klare Verbindung zwischen dem Register einer Gesellschaft und den Registern ihrer Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten herzustellen, und zwar durch den Austausch von Informationen über die Eröffnung und Beendigung von Verfahren zur Abwicklung oder Insolvenz der Gesellschaft sowie über die Löschung der Gesellschaft aus dem Register, sofern dies in dem Mitgliedstaat des Registers der Gesellschaft Rechtswirkungen auslöst. Auch wenn es den Mitgliedstaaten freigestellt bleiben sollte, welche Verfahren sie in Bezug auf die in ihrem Gebiet eingetragenen Zweigniederlassungen anwenden, sollten sie doch zumindest sicherstellen, dass die Zweigniederlassungen einer aufgelösten Gesellschaft ohne unangemessene Verzögerung und gegebenenfalls nach dem Liquidationsverfahren der betreffenden Zweigniederlassung aus dem Register gelöscht werden. Dies sollte nicht für Zweigniederlassungen von Gesellschaften gelten, die aus dem Register gelöscht worden sind, aber einen Rechtsnachfolger haben, etwa im Falle einer Änderung der Rechtsform der Gesellschaft, einer Verschmelzung oder Spaltung oder einer grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes. Die Vorschriften dieser Richtlinie über die Registervernetzung sollten keine Anwendung auf eine Zweigniederlassung finden, die in einem Mitgliedstaat von einer Gesellschaft errichtet worden ist, welche nicht dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass alle in den Registern eingetragenen Informationen über Gesellschaften nach einer Änderung ohne unangemessene Verzögerung aktualisiert werden. Die Aktualisierung sollte in der Regel innerhalb von 21 Tagen offengelegt werden, nachdem die vollständigen Unterlagen über diese Änderungen, einschließlich der Prüfung der Rechtmäßigkeit nach nationalem Recht, eingegangen sind. Diese Frist sollte so ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, angemessene Anstrengungen zu unternehmen, um die in dieser Richtlinie festgelegte Frist einzuhalten. Sie sollte nicht für die Unterlagen der Rechnungslegung gelten, die Gesellschaften für jedes Geschäftsjahr vorzulegen haben. Diese Ausnahme ist aufgrund der Arbeitsüberlastung der inländischen Register während der Berichtszeiträume gerechtfertigt.

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4.1

Im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätzen sollte die Frist von 21 Tagen in Fällen höherer Gewalt ausgesetzt werden. Entscheidet die Kommission, die Plattform durch einen Dritten entwickeln und/oder betreiben zu lassen, so sollte dies gemäß der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und Rates13 erfolgen. Eine angemessene Beteiligung der Mitgliedstaaten an diesem Prozess sollte dadurch gewährleistet werden, dass die technischen Anforderungen für die Zwecke des Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge in Durchführungsrechtsakten festgelegt werden, die gemäß dem in Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates,14 genannten Prüfverfahren erlassen werden. Entscheidet die Kommission, die Plattform durch einen Dritten betreiben zu lassen, so sollten die Kontinuität der Dienste, die durch das System der Registervernetzung bereitgestellt werden, und eine angemessene öffentliche Überwachung des Betriebs der Plattform gewährleistet werden. Nähere Bestimmungen zum Betriebsmanagement der Plattform sollten im Wege von Durchführungsrechtsakten festgelegt werden, die gemäß dem in Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 genannten Prüfverfahren erlassen werden. In jedem Fall sollte die Beteiligung der Mitgliedstaaten am Betrieb des gesamten Systems dadurch gewährleistet werden, dass ein regelmäßiger Dialog zwischen der Kommission und Vertretern der Mitgliedstaaten über Fragen des Betriebs des Systems der Registervernetzung und seiner künftigen Entwicklung geführt wird. Die Vernetzung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern bedarf der Abstimmung nationaler Systeme mit unterschiedlichen technischen Merkmalen. Dies erfordert die Annahme technischer Maßnahmen und Anforderungen, bei denen Unterschiede zwischen den Registern zu berücksichtigen sind. Um einheitliche Bedingungen für die Durchführung dieser Richtlinie zu gewährleisten, sollten der Kommission Durchführungsbefugnisse für diese technischen und operativen Fragen übertragen werden. Diese Befugnisse sollten im Einklang mit dem Prüfverfahren gemäß Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 ausgeübt werden. Diese Richtlinie sollte das Recht der Mitgliedstaaten, Gebühren für die Bereitstellung von Informationen über Gesellschaften durch das System der Registervernetzung zu erheben, wenn solche Gebühren nach nationalem Recht vorgeschrieben sind, nicht beschränken. Daher sollten die technischen Maßnahmen für und Anforderungen an das System der Registervernetzung die Festlegung von Zahlungsmodalitäten vorsehen. In dieser Hinsicht sollte diese Richtlinie keiner spezifischen technischen Lösung vorgreifen, da die Zahlungsmodalitäten zum Zeitpunkt der Annahme der Durchführungsrechtsakte festgelegt werden sollten, unter Berücksichtigung leicht zugänglicher Online-Zahlungsmöglichkeiten. Für Drittländer könnte es wünschenswert sein, in Zukunft an dem System der Registervernetzung teilnehmen zu können. Eine gerechte Lösung hinsichtlich der Finanzierung des Systems der Registervernetzung erfordert die Beteiligung sowohl der Union als auch ihrer Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten sollten die Ausgaben für die Anpassung ihrer inländischen Register an das System tragen, wogegen die zentralen Elemente, d. h. die Plattform und das Portal, das als euro-

13 ABl. L 298 vom 26. 10. 2012, S. 1. 14 ABl. L 55 vom 28. 2. 2011, S. 13.

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päischer elektronischer Zugangspunkt dient, über eine geeignete Haushaltslinie des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union finanziert werden sollten. Um nicht wesentliche Teile dieser Richtlinie zu ergänzen, sollte der Kommission die Befugnis übertragen werden, gemäß Artikel 290 des Vertrags Rechtsakte über die Erhebung von Gebühren für das Erhalten von Auskünften über Gesellschaften zu erlassen. Hierdurch wird die Möglichkeit des inländischen Registers, Gebühren zu erheben, nicht berührt, aber es könnte damit eine zusätzliche Gebühr einhergehen, um Wartung und Betrieb der Plattform zu kofinanzieren. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Kommission im Zuge ihrer Vorbereitungsarbeit angemessene Konsultationen, auch auf der Ebene von Sachverständigen, durchführt. Bei der Vorbereitung und Ausarbeitung delegierter Rechtsakte sollte die Kommission gewährleisten, dass die einschlägigen Dokumente dem Europäischen Parlament und dem Rat gleichzeitig, rechtzeitig und auf angemessene Weise übermittelt werden. Es ist notwendig, Unionsvorschriften zu erlassen, um das Kapital als Sicherheit für die Gläubiger zu erhalten, indem insbesondere untersagt wird, dass das Kapital durch nicht geschuldete Ausschüttungen an die Aktionäre verringert wird, und indem die Möglichkeit von Aktiengesellschaften, eigene Aktien zu erwerben, begrenzt wird. Die Beschränkungen für den Erwerb eigener Aktien sollten nicht nur für den Erwerb durch die Aktiengesellschaft selbst gelten, sondern auch für den Erwerb, der von einer Person getätigt wird, die im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Gesellschaft handelt. Um zu verhindern, dass sich eine Aktiengesellschaft einer anderen Gesellschaft, in der sie über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt oder auf die sie einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, bedient, um eigene Aktien zu erwerben, ohne die hierfür vorgesehenen Beschränkungen zu beachten, sollten die Vorschriften für den Erwerb eigener Aktien durch eine Gesellschaft die wichtigsten und am häufigsten vorkommenden Fälle des Erwerbs von Aktien durch diese andere Gesellschaft abdecken. Diese Regelung sollte sich auch auf die Zeichnung von Aktien der Aktiengesellschaft erstrecken. Um Umgehungen der vorliegenden Richtlinie zu vermeiden, sollten Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Sinne dieser Richtlinie sowie Gesellschaften, die dem Recht eines Drittlands unterliegen und eine vergleichbare Rechtsform haben, in die in Erwägungsgrund 42 genannten Regelungen einbezogen werden. Besteht zwischen der Aktiengesellschaft und der anderen Gesellschaft im Sinne des Erwägungsgrundes 42 nur ein mittelbares Verhältnis, so erscheint es gerechtfertigt, die anwendbaren Bestimmungen flexibler als bei einem unmittelbaren Verhältnis zu gestalten, indem vorgesehen wird, dass die Aussetzung der Stimmrechte als Mindestmaßnahme zur Verwirklichung der Ziele der vorliegenden Richtlinie vorgesehen wird. Im Übrigen ist es gerechtfertigt, die Fälle auszunehmen, in denen es aufgrund der Besonderheiten einer beruflichen Tätigkeit ausgeschlossen ist, dass die Erreichung der Ziele der vorliegenden Richtlinie infrage gestellt wird. Im Hinblick auf die in Artikel 50 Absatz 2 Buchstabe g des Vertrags verfolgten Ziele ist es erforderlich, dass die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bei Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen die Beachtung der Grundsätze über die Gleichbehandlung der Aktionäre, die sich in denselben Verhältnissen befinden, und den Schutz der Gläubiger von Forderungen, die bereits vor der Entscheidung über die Herabsetzung bestanden, sicherstellen und für die harmonisierte Durchführung dieser Grundsätze Sorge tragen.

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4.1

(47) Um in allen Mitgliedstaaten die Vereinheitlichung des Gläubigerschutzes zu verbessern, sollten Gläubiger, deren Forderungen aufgrund einer Herabsetzung des Kapitals einer Aktiengesellschaft gefährdet sind, unter bestimmten Voraussetzungen auf Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zurückgreifen können. (48) Um Marktmissbrauch zuverlässig zu verhindern, sollten die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie den Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates15 Rechnung tragen. (49)–(81) Vorschriften, deren Text unten nicht abgedruckt. — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Titel I – Allgemeine Bestimmungen sowie Gründung und Funktionsweise von Kapitalgesellschaften Kapitel I – Gegenstand Art. 1 Gegenstand Diese Richtlinie legt Vorschriften für folgende Bereiche fest: — Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten; — Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Offenlegung, die Wirksamkeit eingegangener Verpflichtungen von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowie für die Nichtigkeit dieser Gesellschaften vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten; — die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen; — die Verschmelzung von Aktiengesellschaften; — die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten; — die Spaltung von Aktiengesellschaften.

15 ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 1.

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4.1

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Kapitel II − Gründung und Nichtigkeit der Gesellschaft und die Wirksamkeit ihrer Verpflichtungen Abschnitt 1 − Gründung der Aktiengesellschaft Art. 2 Anwendungsbereich (1) Die durch diesen Abschnitt vorgeschriebenen Maßnahmen der Koordinierung gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die in Anhang I genannten Rechtsformen von Gesellschaften. Die Firma jeder Gesellschaft der in Anhang I genannten Rechtsformen muss eine Bezeichnung enthalten, die sich von den für andere Gesellschaftsformen vorgeschriebenen Bezeichnungen unterscheidet, oder muss mit einer solchen Bezeichnung verbunden sein. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen diesen Abschnitt auf Investmentgesellschaften mit veränderlichem Kapital und auf Genossenschaften, die in einer der in Anhang I genannten Rechtsformen gegründet worden sind, nicht anzuwenden. Soweit die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, verpflichten sie diese Gesellschaften die Bezeichnung „Investmentgesellschaft mit veränderlichem Kapital“ oder „Genossenschaft“ auf allen in Artikel 26 genannten Schriftstücken anzugeben. Der Ausdruck „Investmentgesellschaften mit veränderlichem Kapital“ im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet nur Gesellschaften, — deren Gegenstand es ausschließlich ist, ihre Mittel in verschiedenen Wertpapieren, in verschiedenen Grundstücken oder in anderen Werten anzulegen mit dem einzigen Ziel, das Risiko der Investitionen zu verteilen und ihre Aktionäre an dem Gewinn aus der Verwaltung ihres Vermögens zu beteiligen, — die sich an die Öffentlichkeit wenden, um ihre eigenen Aktien unterzubringen, und — deren Satzung bestimmt, dass ihre Aktien in den Grenzen eines Mindestund eines Höchstkapitals jederzeit von der Gesellschaft ausgegeben, zurückgekauft oder weiterveräußert werden können. Art. 3 Erforderliche Angaben, die in der Satzung oder im Errichtungsakt enthalten sein müssen Die Satzung oder der Errichtungsakt einer Gesellschaft enthält mindestens folgende Angaben: a) die Rechtsform der Gesellschaft und ihre Firma; b) den Gegenstand des Unternehmens; c) sofern die Gesellschaft kein genehmigtes Kapital hat, die Höhe des gezeichneten Kapitals; d) sofern die Gesellschaft ein genehmigtes Kapital hat, die Höhe des genehmigten Kapitals und die Höhe des gekennzeichneten Kapitals im Zeitpunkt 954

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4.1

der Gründung der Gesellschaft oder der Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit sowie bei jeder Änderung des genehmigten Kapitals; Artikel 14 Buchstabe e bleibt unberührt; e) die Bestimmungen, welche die Zahl und die Art und Weise der Bestellung der Mitglieder derjenigen Organe, die mit der Vertretung gegenüber Dritten, mit der Verwaltung, der Leitung, der Aufsicht oder der Kontrolle der Gesellschaft betraut sind, sowie die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen diesen Organen festlegen, soweit sich dies nicht aus dem Gesetz ergibt; f) die Dauer der Gesellschaft, sofern sie nicht unbestimmt ist. Art. 4 Erforderliche Angaben, die in der Satzung, im Errichtungsakt oder in gesonderten Schriftstücken enthalten sein müssen Die Satzung, der Errichtungsakt oder ein gesondertes Schriftstück, das nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offenzulegen ist, enthalten mindestens folgende Angaben: a) den Sitz der Gesellschaft; b) den Nennbetrag der gezeichneten Aktien und zumindest jährlich deren Zahl; c) die Zahl der gezeichneten Aktien ohne Angabe des Nennbetrags, soweit die nationalen Rechtsvorschriften die Ausgabe solcher Aktien erlauben; d) gegebenenfalls die besonderen Bedingungen, welche die Übertragung der Aktien beschränken; e) sofern es mehrere Gattungen von Aktien gibt; die in Buchstaben b, c und d genannten Angaben für jede von ihnen und die Angabe der Rechte, die mit den Aktien jeder der Gattungen verbunden sind; f) die Form der Aktien, Namens- oder Inhaberaktien, sofern die nationalen Rechtsvorschriften diese beiden Formen vorsehen, sowie alle Vorschriften über deren Umwandlung, es sei denn, dass das Gesetz die Einzelheiten festlegt; g) den eingezahlten Betrag des gezeichneten Kapitals im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft oder der Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit; h) den Nennbetrag der Aktien oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, die Zahl der Aktien, die als Gegenleistung für eine Einlage ausgegeben werden, die nicht in bar bewirkt wird, sowie den Gegenstand der Einlage und den Namen des Einlegers; i) die Personalien der natürlichen Personen oder die Bezeichnung der juristischen Personen oder Gesellschaften, durch die oder in deren Namen die Satzung oder der Errichtungsakt oder, sofern die Gründung der Gesellschaft nicht in einem Vorgang einheitlich erfolgt, die Entwürfe der Satzung oder des Errichtungsaktes unterzeichnet worden sind; 955

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j)

mindestens annähernd den Gesamtbetrag aller Kosten, die aus Anlass der Gründung der Gesellschaft von dieser zu tragen sind oder ihr in Rechnung gestellt werden, und zwar gegebenenfalls auch, wenn sie vor dem Zeitpunkt entstehen, in dem die Gesellschaft die Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit erhält; k) jeder besondere Vorteil, der bei der Gründung der Gesellschaft oder bis zu dem Zeitpunkt, zu dem diese die Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit erhält, jemandem gewährt wird, der an der Gründung der Gesellschaft oder an Vorgängen beteiligt ist, welche die Genehmigung herbeiführen. Art. 5 Genehmigung zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit (1) Schreiben die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor, dass eine Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit nicht ohne eine entsprechende Genehmigung aufnehmen darf, so enthalten sie auch Vorschriften über die Haftung für die Verbindlichkeiten, die von der Gesellschaft oder für ihre Rechnung vor der Erteilung oder der Ablehnung einer solchen Genehmigung eingegangen werden. (2) Absatz 1 gilt nicht für Verbindlichkeiten aus Verträgen, welche die Gesellschaft unter der Bedingung geschlossen hat, dass ihr die Genehmigung zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit erteilt wird. Art. 6 Gesellschaft mit mehreren Gesellschaftern (1) Verlangen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für die Gründung einer Gesellschaft das Zusammenwirken mehrerer Gesellschafter, so hat die Vereinigung aller Aktien in einer Hand oder das Absinken der Zahl der Gesellschafter unter die gesetzliche Mindestzahl nach der Gründung der Gesellschaft nicht ohne weiteres deren Auflösung zur Folge. (2) Kann in den Fällen des Absatzes 1 die gerichtliche Auflösung der Gesellschaft nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats ausgesprochen werden, so muss das zuständige Gericht dieser Gesellschaft eine ausreichende Frist einräumen können, um den Mangel zu beheben. (3) Wenn die in Absatz 2 genannte gerichtliche Auflösung der Gesellschaft ausgesprochen worden ist, tritt die Gesellschaft in Liquidation. Abschnitt 2 – Nichtigkeit der Kapitalgesellschaft und Wirksamkeit ihrer Verpflichtungen Art. 7 Allgemeine Bestimmungen und gesamtschuldnerische Haftung (1) Die durch diesen Abschnitt vorgeschriebenen Maßnahmen der Koordinierung gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die in Anhang II genannten Rechtsformen von Gesellschaften. 956

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4.1

(2) Ist im Namen einer in Gründung befindlichen Gesellschaft gehandelt worden, ehe diese die Rechtsfähigkeit erlangt hat, und übernimmt die Gesellschaft die sich aus diesen Handlungen ergebenden Verpflichtungen nicht, so haften die Personen, die gehandelt haben, aus diesen Handlungen unbeschränkt als Gesamtschuldner, sofern nichts anderes vereinbart worden ist. Art. 8 Auswirkung der Offenlegung in Bezug auf Dritte Sind die Formalitäten der Offenlegung hinsichtlich der Personen, die als Organ zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind, erfüllt worden, so kann ein Mangel ihrer Bestellung Dritten nur entgegengesetzt werden, wenn die Gesellschaft beweist, dass die Dritten den Mangel kannten. Art. 9 Handlungen der Organe der Gesellschaft und deren Vertretung (1) Die Gesellschaft wird Dritten gegenüber durch Handlungen ihrer Organe verpflichtet, selbst wenn die Handlungen nicht zum Gegenstand des Unternehmens gehören, es sei denn, dass diese Handlungen die Befugnisse überschreiten, die nach dem Gesetz diesen Organen zugewiesen sind oder zugewiesen werden können. Für Handlungen, die den Rahmen des Gegenstands des Unternehmens überschreiten, können die Mitgliedstaaten jedoch vorsehen, dass die Gesellschaft nicht verpflichtet wird, wenn sie beweist, dass dem Dritten bekannt war, dass die Handlung den Unternehmensgegenstand überschritt, oder dass er darüber nach den Umständen nicht in Unkenntnis sein konnte. Allein die Bekanntmachung der Satzung reicht zu diesem Beweis nicht aus. (2) Satzungsmäßige oder auf einem Beschluss der zuständigen Organe beruhende Beschränkungen der Befugnisse der Organe der Gesellschaft können Dritten nicht entgegengesetzt werden, auch dann nicht, wenn sie bekannt gemacht worden sind. (3) Kann nach nationalen Rechtsvorschriften die Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft abweichend von der gesetzlichen Regel auf diesem Gebiet durch die Satzung einer Person allein oder mehreren Personen gemeinschaftlich übertragen werden, so können diese Rechtsvorschriften vorsehen, dass die Satzungsbestimmung, sofern sie die Vertretungsbefugnis generell betrifft, Dritten entgegengesetzt werden kann; nach Artikel 16 bestimmt sich, ob eine solche Satzungsbestimmung Dritten entgegengesetzt werden kann. Art. 10 Öffentliche Beurkundung des Errichtungsaktes und der Satzung In allen Mitgliedstaaten, nach deren Rechtsvorschriften die Gesellschaftsgründung keiner vorbeugenden Verwaltungs- oder gerichtlichen Kontrolle unterworfen ist, werden der Errichtungsakt und die Satzung der Gesellschaft sowie Änderungen dieser Akte öffentlich beurkundet. 957

4.1

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Art. 11 Voraussetzungen für die Nichtigkeit der Gesellschaft Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können die Nichtigkeit der Gesellschaften nur nach Maßgabe folgender Bedingungen regeln: a) Die Nichtigkeit muss durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden; b) die Nichtigkeit kann nur in den unter den Ziffern i bis vi vorgesehenen Fällen ausgesprochen werden: i) wenn der Errichtungsakt fehlt oder wenn entweder die Formalitäten der vorbeugenden Kontrolle oder die Form der öffentlichen Beurkundung nicht beachtet wurden, ii) wenn der tatsächliche Gegenstand des Unternehmens rechtswidrig ist oder gegen die öffentliche Ordnung verstößt, iii) wenn der Errichtungsakt oder die Satzung die Firma der Gesellschaft, die Einlagen, den Betrag des gezeichneten Kapitals oder den Gegenstand des Unternehmens nicht aufführt, iv) wenn die nationalen Rechtsvorschriften über die Mindesteinzahlung auf das Gesellschaftskapital nicht beachtet wurden, v) wenn alle an der Gründung beteiligten Gesellschafter geschäftsunfähig waren, vi) wenn entgegen den für die Gesellschaft geltenden nationalen Rechtsvorschriften die Zahl der an der Gründung beteiligten Gesellschafter weniger als zwei betrug. Abgesehen von den Nichtigkeitsfällen gemäß Absatz 1 können die Gesellschaften aus keinem Grund inexistent, absolut oder relativ nichtig sein oder für nichtig erklärt werden. Art. 12 Wirkungen der Nichtigkeit (1) Nach Artikel 16 bestimmt sich, ob eine gerichtliche Entscheidung, in der die Nichtigkeit ausgesprochen wird, Dritten entgegengesetzt werden kann. Sehen die nationalen Rechtsvorschriften einen Einspruch Dritter vor, so ist dieser nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung zulässig. (2) Die Nichtigkeit bewirkt, dass die Gesellschaft in Liquidation tritt, wie dies bei der Auflösung der Fall sein kann. (3) Unbeschadet der Wirkungen, die sich daraus ergeben, dass sich die Gesellschaft in Liquidation befindet, beeinträchtigt die Nichtigkeit als solche die Wirksamkeit von Verpflichtungen nicht, die die Gesellschaft eingegangen ist oder die ihr gegenüber eingegangen wurden. (4) Die Regelung der Wirkungen der Nichtigkeit im Verhältnis der Gesellschafter untereinander bleibt den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats überlassen. (5) Die Inhaber von Anteilen oder Aktien einer Gesellschaft bleiben zur Einzahlung des gezeichneten, aber noch nicht eingezahlten Kapitals insoweit ver958

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4.1

pflichtet, als die den Gläubigern gegenüber eingegangenen Verpflichtungen dies erfordern.

Kapitel III – Offenlegung und Vernetzung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregister Abschnitt 1 – Allgemeine Bestimmungen Art. 13 Anwendungsbereich Die durch diesen Abschnitt vorgeschriebenen Maßnahmen der Koordinierung gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die in Anhang II genannten Rechtsformen von Gesellschaften. Art. 14 Pflicht zur Offenlegung von Urkunden und Angaben Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit sich die Pflicht zur Offenlegung durch Gesellschaften mindestens auf folgende Urkunden und Angaben erstreckt: a) den Errichtungsakt und, falls sie Gegenstand eines gesonderten Aktes ist, die Satzung; b) Änderungen der unter Buchstabe a genannten Akte, einschließlich der Verlängerung der Dauer der Gesellschaft; c) nach jeder Änderung des Errichtungsaktes oder der Satzung den vollständigen Wortlaut des geänderten Aktes in der geltenden Fassung; d) die Bestellung, das Ausscheiden sowie die Personalien derjenigen, die als gesetzlich vorgesehenes Gesellschaftsorgan oder als Mitglieder eines solchen Organs i) befugt sind, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten; bei der Offenlegung muss angegeben werden, ob die zur Vertretung der Gesellschaft befugten Personen die Gesellschaft allein oder nur gemeinschaftlich vertreten können, ii) an der Verwaltung, Beaufsichtigung oder Kontrolle der Gesellschaft teilnehmen; e) zumindest jährlich den Betrag des gezeichneten Kapitals, falls der Errichtungsakt oder die Satzung ein genehmigtes Kapital erwähnt und falls die Erhöhung des gezeichneten Kapitals keiner Satzungsänderung bedarf; f) die nach Maßgabe der Richtlinien 86/635/EWG16 und 91/674/EWG17 des Rates und der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des

16 ABl. L 372 vom 31. 12. 1986, S. 1. 17 ABl. L 374 vom 31. 12. 1991, S. 7.

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4.1

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Rates18 für jedes Geschäftsjahr offenzulegenden Unterlagen der Rechnungslegung; g) jede Verlegung des Sitzes der Gesellschaft; h) die Auflösung der Gesellschaft; i) die gerichtliche Entscheidung, in der die Nichtigkeit der Gesellschaft ausgesprochen wird j) die Bestellung und die Personalien der Liquidatoren sowie ihre Befugnisse, sofern diese nicht ausdrücklich und ausschließlich aus dem Gesetz oder der Satzung hervorgehen; k) den Abschluss einer Liquidation sowie in solchen Mitgliedstaaten, in denen die Löschung Rechtswirkungen auslöst, die Löschung der Gesellschaft im Register. Art. 15 Änderungen von Urkunden und Angaben (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass jede Änderung an den in Artikel 14 genannten Urkunden und Angaben im Einklang mit Artikel 16 Absätze 3 und 5 in das zuständige Register gemäß Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 eingetragen und offengelegt wird, in der Regel innerhalb von 21 Tagen, nachdem die vollständigen Unterlagen über diese Änderung, gegebenenfalls einschließlich der nach nationalem Recht für die Eintragung in die Akte erforderlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit, eingegangen sind. (2) Absatz 1 gilt nicht für die Unterlagen der Rechnungslegung gemäß Artikel 14 Buchstabe f. Art. 16 Offenlegung im Register (1) In jedem Mitgliedstaat wird bei einem Zentral-, Handels- oder Gesellschaftsregister (im Folgenden „Register“) für jede der dort eingetragenen Gesellschaften eine Akte angelegt. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Gesellschaften eine einheitliche Kennung haben, durch die sie eindeutig bei der Kommunikation zwischen Registern über das System der Vernetzung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern, das gemäß Artikel 22 Absatz 2 eingerichtet wurde (im Folgenden „System der Registervernetzung“), ermittelt werden können. Diese einheitliche Kennung besteht zumindest aus Elementen, die es ermöglichen, den Mitgliedstaat des Registers, das inländische Herkunftsregister und die Nummer der Gesellschaft in diesem Register zu ermitteln sowie gegebenenfalls aus Kennzeichen, um Fehler bei der Identifizierung zu vermeiden.

18 ABl. L 182 vom 29. 6. 2013, S. 19.

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4.1

(2) Im Sinne dieses Artikels bedeutet der Ausdruck „in elektronischer Form“, dass die Information mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und sie vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischen Wege in der von den Mitgliedstaaten bestimmten Art und Weise gesendet, weitergeleitet und empfangen wird. (3) Alle Urkunden und Angaben, die nach Artikel 14 der Offenlegung unterliegen, werden in dieser Akte hinterlegt oder in das Register eingetragen; der Gegenstand der Eintragungen in das Register muss in jedem Fall aus der Akte ersichtlich sein. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Gesellschaften und sonstige anmelde- oder mitwirkungspflichtige Personen und Stellen alle Urkunden und Angaben, die nach Artikel 14 der Offenlegung unterliegen, in elektronischer Form einreichen können. Die Mitgliedstaaten können außerdem den Gesellschaften aller oder bestimmter Rechtsformen die Einreichung aller oder eines Teils der betreffenden Urkunden und Angaben in elektronischer Form vorschreiben. Alle in Artikel 14 bezeichneten Urkunden und Angaben, die auf Papier oder in elektronischer Form eingereicht werden, werden in elektronischer Form in der Akte hinterlegt oder in das Register eingetragen. Zu diesem Zweck sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass alle betreffenden Urkunden und Angaben, die auf Papier eingereicht werden, durch das Register in elektronische Form gebracht werden. Die in Artikel 14 bezeichneten Urkunden und Angaben, die bis spätestens zum 31. Dezember 2006 auf Papier eingereicht wurden, müssen nicht automatisch durch das Register in elektronische Form gebracht werden. Die Mitgliedstaaten sorgen jedoch dafür, dass sie nach Eingang eines Antrags auf Offenlegung in elektronischer Form nach den zur Umsetzung von Absatz 4 dieses Artikels verabschiedeten Maßnahmen durch das Register in elektronische Form gebracht werden. (4) Eine vollständige oder auszugsweise Kopie der in Artikel 14 bezeichneten Urkunden oder Angaben ist auf Antrag erhältlich. Die Anträge bei dem Register können wahlweise auf Papier oder in elektronischer Form gestellt werden. Die Kopien gemäß Unterabsatz 1 sind von dem Register wahlweise auf Papier oder in elektronischer Form erhältlich. Dies gilt für alle schon eingereichten Urkunden und Angaben. Die Mitgliedstaaten können jedoch beschließen, dass alle oder bestimmte Kategorien der spätestens bis zum 31. Dezember 2006 auf Papier eingereichten Urkunden und Angaben von dem Register nicht in elektronischer Form erhältlich sind, wenn sie vor einem bestimmten, dem Datum der Antragstellung vorausgehenden Zeitraum bei dem Register eingereicht wurden. Dieser Zeitraum darf zehn Jahre nicht unterschreiten. 961

4.1

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Die Gebühren für die Ausstellung einer vollständigen oder auszugsweisen Kopie der in Artikel 14 bezeichneten Urkunden oder Angaben auf Papier oder in elektronischer Form dürfen die Verwaltungskosten nicht übersteigen. Die Richtigkeit der einem Antragsteller auf Papier ausgestellten Kopien wird beglaubigt, sofern der Antragsteller auf diese Beglaubigung nicht verzichtet. Die Richtigkeit der Kopien in elektronischer Form wird nicht beglaubigt, es sei denn, die Beglaubigung wird vom Antragsteller ausdrücklich verlangt. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit bei der Beglaubigung von Kopien in elektronischer Form sowohl die Echtheit ihrer Herkunft als auch die Unversehrtheit ihres Inhalts durch die Heranziehung mindestens einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates19 sichergestellt wird. (5) Die in Absatz 3 bezeichneten Urkunden und Angaben sind in einem von dem Mitgliedstaat zu bestimmenden Amtsblatt entweder in Form einer vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe oder in Form eines Hinweises auf die Hinterlegung des Dokuments in der Akte oder auf seine Eintragung in das Register bekannt zu machen. Das von dem Mitgliedstaat zu diesem Zweck bestimmte Amtsblatt kann in elektronischer Form geführt werden. Die Mitgliedstaaten können beschließen, die Bekanntmachung im Amtsblatt durch eine andere ebenso wirksame Form der Veröffentlichung zu ersetzen, die zumindest die Verwendung eines Systems voraussetzt, mit dem die offengelegten Informationen chronologisch geordnet über eine zentrale elektronische Plattform zugänglich gemacht werden. (6) Die Urkunden und Angaben können Dritten von der Gesellschaft erst nach der Offenlegung gemäß Absatz 5 entgegengehalten werden, es sei denn, die Gesellschaft weist nach, dass die Urkunden oder Angaben den Dritten bekannt waren. Bei Vorgängen, die sich vor dem sechzehnten Tag nach der Offenlegung ereignen, können die Urkunden und Angaben Dritten jedoch nicht entgegengehalten werden, die nachweisen, dass es ihnen unmöglich war, die Urkunden oder Angaben zu kennen. (7) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um zu verhindern, dass der Inhalt der nach Absatz 5 offengelegten Informationen und der Inhalt des Registers oder der Akte voneinander abweichen. Im Fall einer Abweichung kann der nach Absatz 5 offengelegte Text Dritten jedoch nicht entgegengehalten werden; diese können sich jedoch auf den offen-

19 ABl. L 13 vom 19. 1. 2000, S. 12.

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4.1

gelegten Text berufen, es sei denn, die Gesellschaft weist nach, dass der in der Akte hinterlegte oder im Register eingetragene Text den Dritten bekannt war. Dritte können sich darüber hinaus stets auf Urkunden und Angaben berufen, für die die Formalitäten der Offenlegung noch nicht erfüllt worden sind, es sei denn, die Urkunden oder Angaben sind mangels Offenlegung nicht wirksam. Art. 17 Aktuelle Informationen über die nationalen Rechtsvorschriften über die Rechte Dritter (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass mittels aktueller Informationen dargelegt wird, aufgrund welcher nationalen rechtlichen Bestimmungen Dritte sich gemäß Artikel 16 Absätze 5, 6 und 7 auf die in Artikel 14 genannten Angaben und alle dort genannten Arten von Urkunden berufen können. (2) Die Mitgliedstaaten übermitteln die Informationen, die für die Veröffentlichung im europäischen E-Justiz-Portal (im Folgenden „Portal“) erforderlich sind, gemäß den Regelungen und technischen Anforderungen des Portals. (3) Die Kommission veröffentlicht diese Informationen im Portal in allen Amtssprachen der Union. Art. 18 Zugang zu elektronischen Kopien von Urkunden und Angaben (1) Es werden auch elektronische Kopien der in Artikel 14 genannten Urkunden und Angaben über das System der Registervernetzung öffentlich zugänglich gemacht. (2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die in Artikel 14 genannten Urkunden und Angaben über das System der Registervernetzung in einem standardisierten Nachrichtenformat verfügbar und auf elektronischem Wege zugänglich sind. Die Mitgliedstaaten stellen ferner sicher, dass Mindeststandards für die Sicherheit der Datenübermittlung eingehalten werden. (3) Die Kommission bietet einen Suchdienst in allen Amtssprachen der Union zu in den Mitgliedstaaten eingetragenen Gesellschaften an und sorgt so über das Portal für den Zugang zu a) den in Artikel 14 bezeichneten Urkunden und Angaben; b) den erläuternden Hinweisen, die in sämtlichen Amtssprachen der Union verfügbar sind und die diese Angaben und die Arten dieser Urkunden auflisten. Art. 19 Gebühren für den Zugang zu Urkunden und Angaben (1) Die für den Zugang zu den in Artikel 14 genannten Urkunden und Angaben über das System der Registervernetzung erhobenen Gebühren gehen nicht über die dadurch verursachten Verwaltungskosten hinaus. 963

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(2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass folgende Angaben über das System der Registervernetzung kostenlos zugänglich sind: a) Name und Rechtsform der Gesellschaft; b) Sitz der Gesellschaft und der Mitgliedstaat, in dem sie eingetragen ist; sowie c) Eintragungsnummer der Gesellschaft. Zusätzlich zu diesen Angaben können die Mitgliedstaaten entscheiden, weitere Urkunden und Angaben kostenlos zugänglich zu machen. Art. 20 Informationen über die Eröffnung und Beendigung von Verfahren zur Abwicklung oder Insolvenz und über die Löschung einer Gesellschaft aus dem Register (1) Das Register einer Gesellschaft stellt über das System der Registervernetzung unverzüglich Informationen über die Eröffnung und Beendigung von Verfahren zur Abwicklung oder Insolvenz der Gesellschaft und über die Löschung der Gesellschaft aus dem Register, falls dies Rechtsfolgen im Mitgliedstaat des Registers der Gesellschaft auslöst, zur Verfügung. (2) Das Register der Zweigniederlassung gewährleistet über das System der Registervernetzung unverzüglich den Eingang der in Absatz 1 genannten Informationen. (3) Der Austausch der in den Absätzen 1 und 2 genannten Informationen ist für die Register kostenlos. Art. 21 Sprache der Offenlegung und Übersetzung der offenzulegenden Urkunden und Angaben (1) Urkunden und Angaben, die nach Artikel 14 der Offenlegung unterliegen, sind in einer der Sprachen zu erstellen und zu hinterlegen, die nach der Sprachregelung, die in dem Mitgliedstaat gilt, in dem die Akte gemäß Artikel 16 Absatz 1 angelegt wird, zulässig sind. (2) Zusätzlich zu der obligatorischen Offenlegung nach Artikel 16 lassen die Mitgliedstaaten die freiwillige Offenlegung von Übersetzungen der in Artikel 14 bezeichneten Urkunden und Angaben in Übereinstimmung mit Artikel 16 in jeder anderen Amtssprache der Union zu. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die Übersetzung dieser Urkunden und Angaben zu beglaubigen ist. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um den Zugang Dritter zu den freiwillig offengelegten Übersetzungen zu erleichtern. (3) Zusätzlich zu der obligatorischen Offenlegung nach Artikel 16 und der freiwilligen Offenlegung nach Absatz 2 des vorliegenden Artikels können die Mitgliedstaaten die Offenlegung der betreffenden Urkunden und Angaben in Übereinstimmung mit Artikel 16 in jeder anderen Sprache zulassen. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die Übersetzung dieser Urkunden und Angaben zu beglaubigen ist. 964

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(4) Im Fall einer Abweichung zwischen den in den Amtssprachen des Registers offengelegten Urkunden und Angaben und deren freiwillig offengelegten Übersetzungen können letztere Dritten nicht entgegengehalten werden; diese können sich jedoch auf die freiwillig offengelegten Übersetzungen berufen, es sei denn, die Gesellschaft weist nach, dass ihnen die Fassung, für die die Offenlegungspflicht gilt, bekannt war. Art. 22 System der Registervernetzung (1) Es wird eine zentrale Europäische Plattform (im Folgenden „Plattform“) eingerichtet. (2) Das System der Registervernetzung besteht aus — den Registern der Mitgliedstaaten, — der Plattform, — dem Portal, das als europäischer Zugangspunkt für den elektronischen Zugang dient. (3) Die Mitgliedstaaten sorgen für die Interoperabilität ihrer Register innerhalb des Systems der Registervernetzung über die Plattform. (4) Die Mitgliedstaaten können optionale Zugangspunkte zum System der Registervernetzung einrichten. Sie unterrichten die Kommission ohne unangemessene Verzögerung über die Einrichtung solcher Zugangspunkte und über alle wesentlichen Änderungen ihres Betriebs. (5) Der Zugang zu den Informationen aus dem System der Registervernetzung wird über das Portal und über die von den Mitgliedstaaten eingerichteten optionalen Zugangspunkte gewährt. (6) Die Errichtung des Systems der Registervernetzung lässt bestehende bilaterale Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten über den Austausch von Informationen über Gesellschaften unberührt. Art. 23 Entwicklung und Betrieb der Plattform (1) Die Kommission entscheidet, ob sie die Plattform selbst entwickelt und/oder betreibt oder durch einen Dritten entwickeln und/oder betreiben lässt. Entscheidet die Kommission, die Plattform durch einen Dritten entwickeln und/oder betreiben zu lassen, so erfolgt die Auswahl des Dritten und die Durchsetzung der durch die Kommission mit diesem Dritten geschlossenen Vereinbarung im Einklang mit der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012. (2) Entscheidet die Kommission, die Plattform durch einen Dritten entwickeln zu lassen, so legt sie im Wege von Durchführungsrechtsakten die technischen Anforderungen für die Zwecke des Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge und die Dauer der mit diesem Dritten zu schließenden Vereinbarung fest. (3) Entscheidet die Kommission, die Plattform durch einen Dritten betreiben zu lassen, so erlässt sie im Wege von Durchführungsrechtsakten genaue Vorschriften für das Betriebsmanagement der Plattform. 965

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Das Betriebsmanagement der Plattform umfasst insbesondere Folgendes: — die Überwachung des Betriebs der Plattform, — die Sicherheit und den Schutz der Daten, die über die Plattform übermittelt und ausgetauscht werden, — die Koordinierung der Beziehungen zwischen den Registern der Mitgliedstaaten und dem Dritten. Der Betrieb der Plattform wird von der Kommission überwacht. (4) Die Durchführungsrechtsakte nach den Absätzen 2 und 3 werden gemäß dem in Artikel 164 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen. Art. 24 Durchführungsrechtsakte Die Kommission erlässt im Wege von Durchführungsrechtsakten Folgendes: a) die technischen Anforderungen zur Festlegung der Methoden zur Kommunikation auf elektronischem Wege für die Zwecke des Systems der Registervernetzung; b) die technische Spezifikation für die Übertragungsprotokolle; c) die technischen Maßnahmen, durch die die IT-Mindestsicherheitsstandards für die Bereitstellung und Verbreitung von Informationen innerhalb des Systems der Registervernetzung gewährleistet werden; d) die technischen Anforderungen zur Festlegung der Methoden zum Austausch von Informationen zwischen dem Register der Gesellschaft und dem Register der Zweigniederlassung gemäß den Artikeln 20 und 34; e) die genaue Liste der zum Zwecke des Informationsaustauschs zwischen Registern zu übertragenden Daten gemäß den Artikeln 20, 34 und 130; f) die technischen Anforderungen für die Festlegung der Strukturen des standardisierten Nachrichtenformats für den Austausch von Informationen zwischen den Registern, der Plattform und dem Portal; g) die technischen Anforderungen zur Festlegung des Datenbestandes, den die Plattform benötigt, um ihre Aufgaben zu erfüllen, und der Methode zu Speicherung, Verwendung und Schutz dieser Daten; h) die technischen Anforderungen zur Festlegung der Struktur und Verwendung der einheitlichen Kennung für die Kommunikation zwischen Registern; i) die Anforderungen zur Festlegung der technischen Betriebsmethoden des Systems der Registervernetzung für die Verbreitung und den Austausch von Informationen und die Anforderungen zur Festlegung der IT-Dienstleistungen, die durch die Plattform zur Verfügung gestellt werden, wobei die Nachrichtenübermittlung in der betreffenden Sprachfassung zu gewährleisten ist; j) die harmonisierten Kriterien für den vom Portal angebotenen Suchdienst; 966

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k) die Zahlungsmodalitäten unter Berücksichtigung zugänglicher Zahlungsmöglichkeiten, wie etwa Online-Zahlung; l) die Einzelheiten der erläuternden Hinweise mit Auflistung der Angaben und der Arten von Urkunden gemäß Artikel 14; m) die technischen Bedingungen für die Verfügbarkeit der durch das System der Registervernetzung angebotenen Dienste; n) das Verfahren und die technischen Erfordernisse für die Verbindung der optionalen Zugangspunkte mit der Plattform. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 164 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen. Art. 25 Finanzierung (1) Die Einrichtung und künftige Weiterentwicklung der Plattform und die Anpassungen an das Portal, die sich aus dieser Richtlinie ergeben, werden aus dem Gesamthaushalt der Union finanziert. (2) Wartung und Betrieb der Plattform werden aus dem Gesamthaushalt der Union finanziert; eine Kofinanzierung durch Gebühren für Zugang zu dem System der Registervernetzung, die den einzelnen Nutzern in Rechnung gestellt werden, ist möglich. Dieser Absatz berührt nicht Gebühren auf nationaler Ebene. (3) Mittels delegierter Rechtsakte und gemäß Artikel 163 kann die Kommission Regeln darüber erlassen, ob die Plattform durch die Erhebung von Gebühren zu kofinanzieren ist, und in diesem Fall über den Betrag der Gebühren, die gemäß Absatz 2 dieses Artikels den einzelnen Nutzern in Rechnung gestellt werden. (4) Die Erhebung von Gebühren gemäß Absatz 2 dieses Artikels erfolgt unbeschadet der Erhebung der in Artikel 19 Absatz 1 genannten Gebühren, die von den Mitgliedstaaten gegebenenfalls für die Bereitstellung von Urkunden und Angaben berechnet werden. (5) Gebühren gemäß Absatz 2 dieses Artikels werden nicht für die Bereitstellung der in Artikel 19 Absatz 2 Buchstaben a, b und c genannten Angaben erhoben. (6) Jeder Mitgliedstaat trägt die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Kosten für die Anpassung seiner inländischen Register sowie für ihre Wartung und ihren Betrieb. Art. 26 Angaben auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen, die auf Papier oder in sonstiger Weise erstellt werden, Folgendes anzugeben ist: a) die notwendigen Angaben zur Identifizierung des Registers, bei dem die in Artikel 16 bezeichnete Akte angelegt worden ist, sowie die Nummer der Eintragung der Gesellschaft in dieses Register; b) die Rechtsform und der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft sowie gegebenenfalls, dass sich die Gesellschaft in Liquidation befindet. 967

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Wird auf diesen Dokumenten das Gesellschaftskapital angegeben, so ist das gezeichnete und eingezahlte Kapital anzugeben. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Webseiten der Gesellschaft zumindest die in Absatz 1 genannten Angaben enthalten sowie gegebenenfalls die Angabe des gezeichneten und eingezahlten Kapitals. Art. 27 Personen, welche die Formalitäten der Offenlegung erfüllen Jeder Mitgliedstaat bestimmt, welche Personen verpflichtet sind, die Formalitäten der Offenlegung zu erfüllen. Art. 28 Maßregeln Die Mitgliedstaaten drohen geeignete Maßregeln zumindest für den Fall an, a) dass die in Artikel 14 Buchstabe f vorgeschriebene Offenlegung der Unterlagen der Rechnungslegung unterbleibt; b) dass die in Artikel 26 vorgesehenen obligatorischen Angaben auf den Geschäftspapieren oder auf der Webseite der Gesellschaft fehlen.

Abschnitt 2 − Offenlegungsvorschriften für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten Art. 29 Offenlegung von Urkunden und Angaben über eine Zweigniederlassung (1) Die Urkunden und Angaben über eine Zweigniederlassung, die in einem Mitgliedstaat von einer in Anhang II genannten Gesellschaft errichtet worden ist, welche dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegt, sind nach dem Recht des Mitgliedstaats der Zweigniederlassung im Einklang mit Artikel 16 offenzulegen. (2) Weicht die Offenlegung bei der Zweigniederlassung von der Offenlegung bei der Gesellschaft ab, so ist für den Geschäftsverkehr mit der Zweigniederlassung die Offenlegung bei der Zweigniederlassung maßgebend. (3) Die Urkunden und Angaben gemäß Artikel 30 Absatz 1 werden über das System der Registervernetzung öffentlich zugänglich gemacht. Artikel 18 und Artikel 19 Absatz 1 gelten sinngemäß. (4) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Zweigniederlassungen eine einheitliche Kennung haben, durch die sie eindeutig bei der Kommunikation zwischen Registern über das System der Registervernetzung ermittelt werden können. Diese einheitliche Kennung besteht zumindest aus Elementen, die es ermöglichen, den Mitgliedstaat des Registers, das inländische Herkunftsregister und die Nummer der Zweigniederlassung in diesem Register zu ermitteln, sowie gegebenenfalls aus Kennzeichen, um Fehler bei der Identifizierung zu vermeiden. 968

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Art. 30 Offenzulegende Urkunden und Angaben (1) Die Pflicht zur Offenlegung nach Artikel 29 erstreckt sich lediglich auf folgende Urkunden und Angaben: a) die Anschrift der Zweigniederlassung; b) die Tätigkeit der Zweigniederlassung; c) das Register, bei dem die in Artikel 16 bezeichnete Akte für die Gesellschaft angelegt worden ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register; d) die Firma und die Rechtsform der Gesellschaft sowie die Firma der Zweigniederlassung, sofern diese nicht mit der Firma der Gesellschaft übereinstimmt; e) die Bestellung, das Ausscheiden und die Personalien derjenigen, die befugt sind, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten, und zwar — als gesetzlich vorgeschriebenes Organ der Gesellschaft oder als Mitglied eines solchen Organs gemäß der Offenlegung, die nach Artikel 14 Buchstabe d) bei der Gesellschaft erfolgt, — als ständige Vertreter der Gesellschaft für die Tätigkeit der Zweigniederlassung, unter Angabe ihrer Befugnisse; f) — die Auflösung der Gesellschaft, die Bestellung, die Personalien und die Befugnisse der Liquidatoren sowie den Abschluss der Liquidation gemäß der Offenlegung, die nach Artikel 14 Buchstaben h, j und k bei der Gesellschaft erfolgt, — ein die Gesellschaft betreffendes Konkursverfahren, Vergleichsverfahren oder ähnliches Verfahren; g) die Unterlagen der Rechnungslegung gemäß Artikel 31; h) die Aufhebung der Zweigniederlassung. (2) Der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung kann vorschreiben, dass Folgendes gemäß Artikel 29 offenzulegen ist: a) eine Unterschrift der in Absatz 1 Buchstaben e und f des vorliegenden Artikels bezeichneten Personen; b) der Errichtungsakt und, sofern diese Gegenstand eines gesonderten Aktes gemäß Artikel 14 Buchstaben a, b und c ist, die Satzung sowie Änderungen dieser Unterlagen; c) eine Bescheinigung aus dem in Absatz 1 Buchstabe c des vorliegenden Artikels genannten Register in Bezug auf das Bestehen der Gesellschaft; d) Angaben über die Sicherheiten, bei denen Vermögenswerte der Gesellschaft belastet werden, die sich in diesem Mitgliedstaat befinden, sofern diese Offenlegung sich auf die Gültigkeit solcher Sicherheiten bezieht. Art. 31 Grenzen der Pflicht zur Offenlegung von Unterlagen der Rechnungslegung Die Pflicht zur Offenlegung nach Artikel 30 Absatz 1 Buchstabe g 969

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erstreckt sich lediglich auf die Unterlagen der Rechnungslegung der Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, dem die Gesellschaft unterliegt, im Einklang mit der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates20 und der Richtlinie 2013/34/EU erstellt, geprüft und offengelegt worden sind. Art. 32 Sprache der Offenlegung und Übersetzung der offenzulegenden Urkunden Der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung kann vorschreiben, dass die in Artikel 30 Absatz 2 Buchstabe b und Artikel 31 bezeichneten Unterlagen in einer anderen Amtssprache der Union offengelegt werden und die Übersetzung dieser Unterlagen beglaubigt wird. Art. 33 Offenlegung beim Vorliegen mehrerer Zweigniederlassungen in einem Mitgliedstaat Wenn in einem Mitgliedstaat mehrere Zweigniederlassungen ein und derselben Gesellschaft bestehen, kann die in Artikel 30 Absatz 2 Buchstabe b und Artikel 31 genannte Offenlegung von dieser Gesellschaft nach ihrer Wahl bei dem Register einer dieser Zweigniederlassungen vorgenommen werden. In dem in Absatz 1 genannten Fall erstreckt sich die Offenlegungspflicht der übrigen Zweigniederlassungen auf die Angabe des Registers der Zweigniederlassung, bei dem die Offenlegung erfolgt ist, sowie auf die Nummer der Eintragung dieser Zweigniederlassung in dieses Register. Art. 34 Informationen über die Eröffnung und Beendigung von Verfahren zur Abwicklung oder Insolvenz und über die Löschung der Gesellschaft aus dem Register (1) Artikel 20 findet jeweils auf das Register der Gesellschaft und auf das Register der Zweigniederlassung Anwendung. (2) Die Mitgliedstaaten legen das Verfahren fest, das bei Eingang der in Artikel 20 Absätze 1 und 2 genannten Informationen einzuhalten ist. Dieses Verfahren stellt sicher, dass sofern eine Gesellschaft aufgelöst oder aus anderen Gründen aus dem Register gelöscht worden ist, ihre Zweigniederlassungen ebenfalls ohne unangemessene Verzögerung aus dem Register gelöscht werden. (3) Absatz 2 Satz 2 gilt nicht für Zweigniederlassungen von Gesellschaften, die infolge einer Änderung ihrer Rechtsform, einer Verschmelzung oder Spaltung oder einer grenzüberschreitenden Verlegung ihres Sitzes aus dem Register gelöscht worden sind.

20 ABl. L 157 vom 9. 6. 2006, S. 87.

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Art. 35 Angaben auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen, die von der Zweigniederlassung benutzt werden, außer den in Artikel 26 verlangten Angaben auch das Register, bei dem die Akte für die Zweigniederlassung angelegt worden ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register anzugeben sind.

Abschnitt 3 − Offenlegungsvorschriften für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittländern Art. 36 Offenlegung von Urkunden und Angaben über eine Zweigniederlassung (1) Die Urkunden und Angaben über eine Zweigniederlassung, die in einem Mitgliedstaat von einer Gesellschaft errichtet worden ist, welche nicht dem Recht eines Mitgliedstaat unterliegt, jedoch eine Rechtsform hat, die mit den Rechtsformen der in Anhang II genannten Gesellschaften vergleichbar ist, werden nach dem Recht des Mitgliedstaats der Zweigniederlassung im Einklang mit Artikel 16 offengelegt. (2) Artikel 29 Absatz 2 findet Anwendung. Art. 37 Pflicht zur Offenlegung von Urkunden und Angaben Die Pflicht zur Offenlegung nach Artikel 36 erstreckt sich mindestens auf folgende Urkunden und Angaben: a) die Anschrift der Zweigniederlassung; b) die Tätigkeit der Zweigniederlassung; c) das Recht des Staates, dem die Gesellschaft unterliegt; d) sofern dieses Recht es vorsieht, das Register, in das die Gesellschaft eingetragen ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register; e) den Errichtungsakt und, falls sie Gegenstand eines gesonderten Aktes ist, die Satzung sowie jede Änderung dieser Unterlagen; f) die Rechtsform, den Sitz und den Gegenstand der Gesellschaft sowie mindestens jährlich den Betrag des gezeichneten Kapitals, sofern diese Angaben nicht in den unter Buchstabe e) genannten Urkunden gemacht werden; g) die Firma der Gesellschaft sowie die Firma der Zweigniederlassung, sofern diese nicht mit der Firma der Gesellschaft übereinstimmt; h) die Bestellung, das Ausscheiden und die Personalien derjenigen, die befugt sind, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten, und zwar — als gesetzlich vorgeschriebenes Organ der Gesellschaft oder als Mitglied eines solchen Organs, — als ständige Vertreter der Gesellschaft für die Tätigkeit der Zweigniederlassung. 971

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Dabei wird angegeben, welchen Umfang die Vertretungsmacht hat und ob die betreffenden Personen die Gesellschaft allein vertreten können oder nur gemeinschaftlich handeln können; i) — die Auflösung der Gesellschaft, die Bestellung, die Personalien und die Befugnisse der Liquidatoren sowie den Abschluss der Liquidation, — ein die Gesellschaft betreffendes Konkursverfahren, Vergleichsverfahren oder ähnliches Verfahren; j) die Unterlagen der Rechnungslegung gemäß Artikel 38; k) die Aufhebung der Zweigniederlassung. Art. 38 Grenzen der Pflicht zur Offenlegung von Unterlagen der Rechnungslegung (1) Die Pflicht zur Offenlegung nach Artikel 37 Buchstabe j erstreckt sich auf die Unterlagen der Rechnungslegung der Gesellschaft, die nach dem Recht des Staates, dem die Gesellschaft unterliegt, erstellt, geprüft und offengelegt worden sind. Werden diese Unterlagen nicht gemäß der Richtlinie 2013/34/EU oder in gleichwertiger Form erstellt, so können die Mitgliedstaaten die Erstellung und Offenlegung der Unterlagen der Rechnungslegung, die sich auf die Tätigkeiten der Zweigniederlassung beziehen, verlangen. (2) Die Artikel 32 und 33 finden Anwendung. Art. 39 Angaben auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen, die von der Zweigniederlassung benutzt werden, das Register, bei dem die Akte für die Zweigniederlassung angelegt worden ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register anzugeben sind. Sofern das Recht des Staates, dem die Gesellschaft unterliegt, eine Eintragung in ein Register vorsieht, werden das Register, in das die Gesellschaft eingetragen ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register ebenfalls angegeben.

Abschnitt 4 − Anwendungs- und Durchführungsbestimmungen Art. 40 Maßregeln Die Mitgliedstaaten drohen geeignete Maßregeln für den Fall an, dass die in den Artikeln 29, 30, 31, 36, 37 und 38 vorgeschriebene Offenlegung unterbleibt oder die nach den Artikeln 35 und 39 vorgeschriebenen Angaben auf den Geschäftsbriefen und Bestellscheinen fehlen. Art. 41 Personen, welche die Formalitäten der Offenlegung erfüllen Jeder Mitgliedstaat bestimmt, welche Personen verpflichtet sind, die durch die Abschnitte 2 und 3 vorgeschriebenen Formalitäten der Offenlegung zu erfüllen. 972

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Art. 42 Ausnahmen von den für Zweigniederlassungen im Hinblick auf die Offenlegung von Unterlagen der Rechnungslegung geltenden Vorschriften (1) Die Artikel 31 und 38 finden keine Anwendung auf die Zweigniederlassungen von Kredit- und Finanzinstituten, die unter die Richtlinie 89/117/EWG des Rates21 fallen. (2) Bis zu einer späteren Koordinierung können die Mitgliedstaaten von der Anwendung der Artikel 31 und 38 auf Zweigniederlassungen absehen, die von Versicherungsgesellschaften errichtet werden. Art. 43 Kontaktausschuss Der mit Artikel 52 der Richtlinie 78/660/EWG des Rates22 geschaffene Kontaktausschuss hat außerdem die Aufgabe, a) unbeschadet der Artikel 258 und 259 des Vertrags eine gleichmäßige Anwendung der Vorschriften der Abschnitte 2 und 3 und dieses Abschnittes durch eine regelmäßige Abstimmung, insbesondere in konkreten Anwendungsfragen, zu erleichtern; b) die Kommission erforderlichenfalls bezüglich Ergänzungen und Änderungen der Vorschriften der Abschnitte 2 und 3 und dieses Abschnittes zu beraten.

Kapitel IV − Kapitalerhaltung und -änderung Abschnitt 1 - Kapitalanforderungen Art. 44 Allgemeine Bestimmungen (1) Die in diesem Kapitel vorgeschriebenen Maßnahmen der Koordinierung gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die in Anhang I genannten Rechtsformen von Gesellschaften. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen die Vorschriften dieses Kapitels auf Investmentgesellschaften mit veränderlichem Kapital und auf Genossenschaften, die in einer der in Anhang I genannten Rechtsformen gegründet worden sind, nicht anzuwenden. Soweit die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, verpflichten sie diese Gesellschaften die Bezeichnung „Investmentgesellschaft mit veränderlichem Kapital“ oder „Genossenschaft“ auf allen in Artikel 26 genannten Schriftstücken anzugeben. Art. 45 Mindestkapital (1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten fordern für die Gründung der Gesellschaft oder für die Erteilung der Genehmigung zur

21 ABl. L 44 vom 16. 2. 1989, S. 40. 22 ABl. L 222 vom 14. 8. 1978, S. 11.

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Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit die Zeichnung eines Mindestkapitals, dessen Betrag nicht auf weniger als 25 000 EUR festgesetzt werden darf. (2) Auf Vorschlag der Kommission prüfen das Europäische Parlament und der Rat gemäß Artikel 50 Absatz 1 und Artikel 50 Absatz 2 Buchstabe g des Vertrags alle fünf Jahre die in Euro ausgedrückten Beträge in Absatz 1 unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und monetären Entwicklung in der Union sowie der Tendenzen, die Wahl der in Anhang I genannten Gesellschaftsformen großen und mittleren Unternehmen vorzubehalten, und ändern diese Beträge gegebenenfalls. Art. 46 Vermögensgegenstände Das gezeichnete Kapital darf nur aus Vermögensgegenständen bestehen, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist. Jedoch können diese Vermögensgegenstände nicht aus Verpflichtungen zu Arbeitsoder Dienstleistungen bestehen. Art. 47 Ausgabekurs der Aktien Die Aktien dürfen nicht unter dem Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, nicht unter dem rechnerischen Wert ausgegeben werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch zulassen, dass diejenigen, die sich berufsmäßig mit der Unterbringung von Aktien befassen, weniger als den Gesamtbetrag der Aktien zahlen, die sie bei diesem Vorgang zeichnen. Art. 48 Leistung von Einlagen auf ausgegebene Aktien Die Einlagen auf ausgegebene Aktien werden im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft oder der Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit in Höhe von mindestens 25 % des Nennbetrags der Aktien oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, ihres rechnerischen Wertes geleistet. Jedoch werden Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, für Aktien, die im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft oder im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit ausgegeben werden, innerhalb von fünf Jahren nach diesem Zeitpunkt vollständig geleistet. Abschnitt 2 − Schutzbestimmungen hinsichtlich des gesetzlich vorgeschriebenen Kapitals Art. 49 Sachverständigenbericht über Einlagen, die nicht Bareinlagen sind (1) Die Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, sind Gegenstand eines besonderen Berichts, der vor der Gründung der Gesellschaft oder vor dem Zeitpunkt, zu dem sie die Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit erhält, durch einen oder mehrere von ihr unabhängige Sachverständige, die durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht bestellt oder zugelassen sind, erstellt wird. Sach974

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verständige können nach den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats natürliche Personen, juristische Personen oder Gesellschaften sein. (2) Der in Absatz 1 genannte Sachverständigenbericht muss mindestens jede Einlage beschreiben, die angewandten Bewertungsverfahren nennen und angeben, ob die Werte, zu denen diese Verfahren führen, wenigstens der Zahl und dem Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, dem rechnerischen Wert und gegebenenfalls dem Mehrbetrag der dafür auszugebenden Aktien entsprechen. (3) Der Sachverständigenbericht wird nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offengelegt. (4) Die Mitgliedstaaten brauchen diesen Artikel nicht anzuwenden, wenn 90 % des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes aller Aktien an eine oder mehrere Gesellschaften gegen Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, ausgegeben werden und wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: a) bei der Gesellschaft, an welche die Einlagen geleistet werden, haben die in Artikel 4 Buchstabe i genannten Personen oder Gesellschaften auf die Erstellung des Sachverständigenberichts verzichtet; b) dieser Verzicht ist nach Absatz 3 offengelegt worden; c) die Gesellschaften, welche die Einlagen leisten, verfügen über Rücklagen, die nach Gesetz oder Satzung nicht ausgeschüttet werden dürfen und deren Höhe mindestens dem Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, dem rechnerischen Wert der gegen solche Einlagen ausgegebenen Aktien entspricht, die nicht Bareinlagen sind; d) die Gesellschaften, welche die Einlagen leisten, verpflichten sich bis zu dem unter Buchstabe c genannten Betrag, für diejenigen Schulden der empfangenden Gesellschaft einzustehen, die zwischen dem Zeitpunkt der Ausgabe der Aktien gegen Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, und einem Jahr nach der Bekanntmachung des Jahresabschlusses dieser Gesellschaft entstehen, der sich auf das Geschäftsjahr bezieht, in dem die Einlagen geleistet worden sind. Jede Übertragung dieser Aktien innerhalb dieser Frist ist unzulässig; e) die unter Buchstabe d genannte Verpflichtung ist nach Absatz 3 offengelegt worden und f) die Gesellschaften, welche die Einlagen leisten, stellen einen Betrag in Höhe des unter Buchstabe c genannten Betrags in eine Rücklage ein, die erst ausgeschüttet werden darf nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Bekanntmachung des Jahresabschlusses der empfangenden Gesellschaft, der sich auf das Geschäftsjahr bezieht, in dem die Einlagen geleistet worden sind, oder gegebenenfalls nach einem späteren Zeitpunkt, zu dem alle in975

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nerhalb der Frist geltend gemachten Ansprüche aus der unter Buchstabe d genannten Verpflichtung erfüllt sind. (5) Mitgliedstaaten können beschließen, diesen Artikel bei der Bildung einer neuen Gesellschaft im Wege der Verschmelzung oder Spaltung nicht anzuwenden, wenn ein Bericht eines oder mehrerer unabhängiger Sachverständiger über die Verschmelzungs- oder Spaltungspläne erstellt wird. Beschließen Mitgliedstaaten, diesen Artikel in den in Unterabsatz 1 beschriebenen Fällen anzuwenden, so können sie gestatten, dass der gemäß Absatz 1 dieses Artikels erstellte Bericht und der Bericht des bzw. der unabhängigen Sachverständigen über die Verschmelzungs- oder Spaltungspläne von demselben bzw. denselben Sachverständigen erstellt werden. Art. 50 Ausnahme vom Erfordernis eines Sachverständigenberichts (1) Die Mitgliedstaaten können beschließen, Artikel 49 Absätze 1, 2 und 3 dieser Richtlinie nicht anzuwenden, wenn auf Beschluss des Verwaltungs- oder Leitungsorgans übertragbare Wertpapiere im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 44 der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates,23 oder Geldmarktinstrumente im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 17 derselben Richtlinie als Sacheinlage eingebracht werden und diese Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente zu dem gewichteten Durchschnittspreis bewertet werden, zu dem sie während einer durch die nationalen Rechtsvorschriften zu bestimmenden ausreichenden Zeitspanne vor dem Tag ihrer tatsächlichen Einbringung als Sacheinlage auf einem oder mehreren geregelten Märkten im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 21 der genannten Richtlinie gehandelt wurden. Wurde dieser Preis jedoch durch außergewöhnliche Umstände beeinflusst, die eine erhebliche Änderung des Wertes des Vermögensgegenstandes zum Zeitpunkt seiner tatsächlichen Einbringung bewirken würden, und zwar auch in Fällen, in denen der Markt für diese Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente illiquide geworden ist, so veranlasst das Verwaltungs- oder Leitungsorgan eine Neubewertung unter seiner Verantwortung. Für eine derartige Neubewertung gilt Artikel 49 Absätze 1, 2 und 3. (2) Die Mitgliedstaaten können beschließen, Artikel 49 Absätze 1, 2 und 3 nicht anzuwenden, wenn auf Beschluss des Verwaltungs- oder Leitungsorgans andere Vermögensgegenstände als die in Absatz 1 dieses Artikels genannten Wertpapiere und Geldmarktinstrumente als Sacheinlagen eingebracht werden, die bereits von einem anerkannten unabhängigen Sachverständigen zum beizulegenden Zeitwert („fair value“) bewertet wurden, und die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

23 ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 349.

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a) der beizulegende Zeitwert wird für einen Stichtag ermittelt, der nicht mehr als sechs Monate vor dem Datum der tatsächlichen Einbringung des Vermögensgegenstands liegt; und b) die Bewertung wurde nach den in dem Mitgliedstaat für die Art der einzubringenden Vermögensgegenstände allgemein anerkannten Bewertungsnormen und -grundsätzen vorgenommen. Sind neue erhebliche Umstände eingetreten, die eine wesentliche Änderung des beizulegenden Zeitwerts des Vermögensgegenstands zum Zeitpunkt seiner tatsächlichen Einbringung bewirken würden, so veranlasst das Verwaltungs- oder Leitungsorgan eine Neubewertung unter seiner Verantwortung. Für die Neubewertung gemäß Unterabsatz 2 gilt Artikel 49 Absätze 1, 2 und 3. Wurde eine solche Neubewertung nicht vorgenommen, können ein oder mehrere Aktionäre, die am Tag des Beschlusses über eine Kapitalerhöhung zusammengenommen mindestens 5 % des gezeichneten Kapitals der Gesellschaft halten, eine Bewertung durch einen unabhängigen Sachverständigen verlangen; in diesem Fall gilt Artikel 49 Absätze 1, 2 und 3. Dieser oder diese Aktionäre können einen entsprechenden Antrag bis zum Datum der tatsächlichen Einbringung der Vermögensgegenstände stellen, sofern er oder sie am Antragstag immer noch, wie zuvor am Tag des Kapitalerhöhungsbeschlusses, zusammengenommen mindestens 5 % des gezeichneten Kapitals der Gesellschaft hält bzw. halten. (3) Die Mitgliedstaaten können beschließen, Artikel 49 Absätze 1, 2 und 3 nicht anzuwenden, wenn auf Beschluss des Verwaltungs- oder Leitungsorgans andere Vermögensgegenstände als die in Absatz 1 dieses Artikels genannten Wertpapiere und Geldmarktinstrumente als Sacheinlagen eingebracht werden, deren beizulegender Zeitwert aus dem Wert eines einzelnen Vermögensgegenstands gemäß dem gesetzlichen Abschluss des vorausgegangenen Geschäftsjahrs hervorgeht, sofern dieser Abschluss nach Maßgabe der Richtlinie 2006/43/EG geprüft wurde. Absatz 2 Unterabsätze 2 bis 5 dieses Artikels gelten entsprechend. Art. 51 Sacheinlagen ohne Sachverständigenbericht (1) Werden Sacheinlagen nach Artikel 50 ohne einen Sachverständigenbericht im Sinne von Artikel 49 Absätze 1, 2 und 3 eingebracht, so wird zusätzlich zu den nach Artikel 4 Buchstabe h geforderten Angaben und innerhalb eines Monats nach dem Datum der tatsächlichen Einbringung der Vermögensgegenstände in einer Erklärung Folgendes offengelegt: a) eine Beschreibung der betreffenden Sacheinlage; b) ihr Wert, die Quelle dieser Bewertung sowie gegebenenfalls die Bewertungsmethode; 977

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c) Angaben darüber, ob der ermittelte Wert wenigstens der Zahl und dem Nennbetrag oder — falls ein Nennbetrag nicht vorhanden ist — dem rechnerischen Wert und gegebenenfalls dem Mehrbetrag der für eine solche Sacheinlage auszugebenden Aktien entspricht und d) eine Erklärung, dass in Bezug auf die ursprüngliche Bewertung keine neuen erheblichen Umstände eingetreten sind. Die Offenlegung der Erklärung erfolgt nach Artikel 16 nach Maßgabe der Vorschriften jedes Mitgliedstaats. (2) Wird die Einbringung von Sacheinlagen im Zusammenhang mit einer vorgeschlagenen Kapitalerhöhung gemäß Artikel 68 Absatz 2 ohne einen Sachverständigenbericht im Sinne von Artikel 49 Absätze 1, 2 und 3 vorgeschlagen, so werden das Datum des Beschlusses über die Kapitalerhöhung und die Angaben nach Absatz 1 dieses Artikels in einer Bekanntmachung gemäß Artikel 16 nach Maßgabe der Vorschriften jedes Mitgliedstaats offengelegt, bevor die Einbringung des Vermögensgegenstands als Sacheinlage wirksam wird. In diesem Falle beschränkt sich die in Absatz 1 dieses Artikels genannte Erklärung darauf, dass seit der Offenlegung in der genannten Bekanntmachung keine neuen Umstände eingetreten sind. (3) Jeder Mitgliedstaat stellt durch geeignete Maßnahmen sicher, dass das in Artikel 50 und in dem vorliegenden Artikel beschriebene Verfahren eingehalten wird, wenn Sacheinlagen ohne einen Sachverständigenbericht nach Artikel 49 Absätze 1, 2 und 3 eingebracht werden. Art. 52 Bedeutende Akquisition nach der Gründung der Gesellschaft oder der Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit (1) Der Erwerb jedes Vermögensgegenstands, der einer unter Artikel 4 Buchstabe i fallenden Person oder Gesellschaft gehört, durch die Gesellschaft für einen Gegenwert von mindestens 1/10 des gezeichneten Kapitals ist Gegenstand einer Prüfung und Offenlegung entsprechend der in Artikel 49 Absätze 1, 2 und 3 vorgesehenen Weise; er unterliegt der Zustimmung einer Hauptversammlung, falls er vor Ablauf einer Frist erfolgt, die in den nationalen Rechtsvorschriften auf mindestens zwei Jahre nach der Gründung der Gesellschaft oder nach dem Zeitpunkt festzusetzen ist, in dem die Gesellschaft die Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit erhält. Die Artikel 50 und 51 gelten entsprechend. Die Mitgliedstaaten können die Anwendung dieser Vorschriften auch vorsehen, wenn der Vermögensgegenstand einem Aktionär oder einer anderen Person gehört. (2) Absatz 1 wird weder auf den Erwerb im Rahmen der laufenden Geschäfte der Gesellschaft noch auf den Erwerb, der auf Anordnung oder unter Aufsicht einer 978

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Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts erfolgt, noch auf den Erwerb an der Börse angewendet. Art. 53 Verpflichtung der Aktionäre, ihre Einlagen zu leisten Unbeschadet der Vorschriften über die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals dürfen die Aktionäre nicht von der Verpflichtung befreit werden, ihre Einlage zu leisten. Art. 54 Garantien bei der Umwandlung der Gesellschaft Bis zur späteren Koordinierung der nationalen Rechtsvorschriften treffen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, damit zumindest gleiche Garantien, wie sie in den Artikeln 3 bis 6 und den Artikeln 45 bis 53 vorgesehen sind, bei der Umwandlung einer Gesellschaft einer anderen Rechtsform in eine Aktiengesellschaft gegeben sind. Art. 55 Änderungen der Satzung oder des Errichtungsakts Die Artikel 3 bis 6 und die Artikel 45 bis 54 lassen die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Zuständigkeit und das Verfahren bei Änderungen der Satzung oder des Errichtungsaktes unberührt. Abschnitt 3 – Bestimmungen zur Ausschüttung Art. 56 Allgemeine Bestimmungen zur Ausschüttung (1) Ausgenommen in den Fällen einer Kapitalherabsetzung darf keine Ausschüttung an die Aktionäre erfolgen, wenn bei Abschluss des letzten Geschäftsjahres das Nettoaktivvermögen, wie es der Jahresabschluss ausweist, den Betrag des gezeichneten Kapitals zuzüglich der Rücklagen, deren Ausschüttung das Gesetz oder die Satzung der Gesellschaft nicht gestattet, durch eine solche Ausschüttung unterschreitet oder unterschreiten würde. (2) Der Betrag des in Absatz 1 genannten gezeichneten Kapitals wird um den Betrag des gezeichneten Kapitals, der noch nicht eingefordert ist, vermindert, sofern der letztere nicht auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesen wird. (3) Der Betrag einer Ausschüttung an die Aktionäre darf den Betrag des Ergebnisses des letzten abgeschlossenen Geschäftsjahres, zuzüglich des Gewinnvortrags und der Entnahmen aus hierfür verfügbaren Rücklagen, jedoch vermindert um die Verluste aus früheren Geschäftsjahren sowie um die Beträge, die nach Gesetz oder Satzung in Rücklagen eingestellt worden sind, nicht überschreiten. (4) Der Ausdruck „Ausschüttung“ unter den Absätzen 1 und 3 umfasst insbesondere die Zahlung von Dividenden und von Zinsen für Aktien. (5) Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Abschlagszahlungen auf Dividenden, so unterwerfen sie diese mindestens folgenden Bedingungen: 979

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a) Eine Zwischenbilanz wird erstellt, aus der hervorgeht, dass für die Ausschüttungen genügend Mittel zur Verfügung stehen; b) der auszuschüttende Betrag darf den Betrag des Ergebnisses, das seit dem Ende des letzten Geschäftsjahres, für das der Jahresabschluss aufgestellt worden ist, erzielt worden ist, zuzüglich des Gewinnvortrags und der Entnahmen aus hierfür verfügbaren Rücklagen, jedoch vermindert um die Verluste aus früheren Geschäftsjahren sowie um die nach Gesetz oder Satzung in eine Rücklage einzustellenden Beträge, nicht überschreiten. (6) Die Absätze 1 bis 5 berühren nicht die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals aus Gesellschaftsmitteln. (7) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können von Absatz 1 für Investmentgesellschaften mit festem Kapital abweichen. Für die Zwecke dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck „Investmentgesellschaften mit festem Kapital“ nur Gesellschaften, a) deren Gegenstand es ausschließlich ist, ihre Mittel in verschiedenen Wertpapieren, in verschiedenen Grundstücken oder in anderen Werten anzulegen mit dem einzigen Ziel, das Risiko der Investitionen zu verteilen und ihre Aktionäre an dem Gewinn aus der Verwaltung ihres Vermögens zu beteiligen, und b) die sich an die Öffentlichkeit wenden, um ihre eigenen Aktien unterzubringen. Soweit die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen: a) verpflichten sie diese Gesellschaften, die Bezeichnung „Investmentgesellschaft“ auf allen in Artikel 26 genannten Dokumenten anzugeben; b) gestatten sie es einer solchen Gesellschaft, deren Nettoaktivvermögen den in Absatz 1 beschriebenen Betrag unterschreitet, nicht, eine Ausschüttung an die Aktionäre vorzunehmen, wenn bei Abschluss des letzten Geschäftsjahres das gesamte Aktivvermögen, wie es der Jahresabschluss ausweist, den eineinhalbfachen Betrag der gesamten Verbindlichkeiten der Gesellschaft, wie sie der Jahresabschluss ausweist, durch eine solche Ausschüttung unterschreitet oder unterschreiten würde und c) verpflichten sie diese Gesellschaften, die eine Ausschüttung vornehmen, wenn ihr Nettoaktivvermögen den in Absatz 1 beschriebenen Betrag unterschreitet, einen entsprechenden Vermerk in den Jahresabschluss aufzunehmen. Art. 57 Rückgewährung unrechtmäßiger Ausschüttungen Jede Ausschüttung, die entgegen Artikel 56 erfolgt, wird von den Aktionären, die sie empfangen haben, zurückgewährt, wenn die Gesellschaft beweist, dass diesen Aktionä980

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ren die Unzulässigkeit der an sie erfolgten Ausschüttung bekannt war oder sie darüber nach den Umständen nicht in Unkenntnis sein konnten. Art. 58 Schwere Verluste des gezeichneten Kapitals (1) Bei schweren Verlusten des gezeichneten Kapitals wird die Hauptversammlung innerhalb einer durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu bestimmenden Frist einberufen, um zu prüfen, ob die Gesellschaft aufzulösen ist oder andere Maßnahmen zu ergreifen sind. (2) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats dürfen die Höhe des als schwer zu erachtenden Verlustes im Sinne des Absatzes 1 nicht auf mehr als die Hälfte des gezeichneten Kapitals festsetzen. Abschnitt 4 − Bestimmungen zum Erwerb eigener Aktien durch eine Gesellschaft Art. 59 Keine Zeichnung von eigenen Aktien (1) Die Gesellschaft darf keine eigenen Aktien zeichnen. (2) Sind die Aktien der Gesellschaft durch eine Person gezeichnet worden, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt, so gilt die Zeichnung als für eigene Rechnung des Zeichners vorgenommen. (3) Die in Artikel 4 Buchstabe i genannten Personen oder Gesellschaften oder, im Falle der Erhöhung des gezeichneten Kapitals, die Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans sind verpflichtet, die Einlagen auf Aktien zu leisten, die unter Verstoß gegen den vorliegenden Artikel gezeichnet worden sind. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, dass jeder Betroffene sich von dieser Verpflichtung befreien kann, indem er beweist, dass ihn persönlich kein Verschulden trifft. Art. 60 Erwerb eigener Aktien (1) Unbeschadet des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Aktionäre, die sich in denselben Verhältnissen befinden und unbeschadet der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 kann ein Mitgliedstaat einer Gesellschaft gestatten, ihre eigenen Aktien entweder selbst oder durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person zu erwerben. Insoweit ein solcher Erwerb gestattet ist, knüpfen die Mitgliedstaaten diesen Erwerb an folgende Bedingungen: a) Die Genehmigung für den Erwerb wird von der Hauptversammlung erteilt, welche die Einzelheiten des vorgesehenen Erwerbs und insbesondere die Höchstzahl der zu erwerbenden Aktien, die Geltungsdauer der Genehmigung, die sich nach den nationalen Rechtsvorschriften richtet, dabei aber fünf Jahre nicht überschreiten darf, und bei entgeltlichem Erwerb den niedrigsten und höchsten Gegenwert festlegt. Die Mitglieder des Verwaltungs981

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oder Leitungsorgans müssen sich davon überzeugen, dass im Zeitpunkt jedes genehmigten Erwerbs die unter den Buchstaben b und c genannten Bedingungen beachtet werden; b) der Erwerb von Aktien einschließlich der Aktien, welche die Gesellschaft früher erworben hat und noch hält, sowie der Aktien, die eine Person im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der Gesellschaft erworben hat, darf nicht dazu führen, dass das Nettoaktivvermögen den in Artikel 56 Absätze 1 und 2 genannten Betrag unterschreitet; und c) der Vorgang darf nur voll eingezahlte Aktien betreffen. Die Mitgliedstaaten können ferner den Erwerb von Aktien im Sinne von Unterabsatz 1 jeder beliebigen der folgenden Bedingungen unterwerfen: a) Der Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, der rechnerische Wert der erworbenen Aktien einschließlich der Aktien, welche die Gesellschaft früher erworben hat und noch hält, sowie der Aktien, die eine Person im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der Gesellschaft erworben hat, darf nicht einen von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Höchstwert überschreiten. Dieser Höchstwert darf nicht niedriger als 10 % des gezeichneten Kapitals sein; b) die Befugnis der Gesellschaft zum Erwerb eigener Aktien im Sinne des Unterabsatzes 1, die Höchstzahl der zu erwerbenden Aktien, die Geltungsdauer der Befugnis und der höchste bzw. der niedrigste Gegenwert werden in der Satzung oder in der Gründungsurkunde festgelegt; c) die Gesellschaft erfüllt bestimmte Berichts- und Notifizierungsanforderungen; d) von bestimmten von den Mitgliedstaaten bezeichneten Gesellschaften kann verlangt werden, dass sie erworbene Aktien für nichtig erklären, vorausgesetzt, ein Betrag in Höhe des Nennbetrags der für nichtig erklärten Aktien wird in eine Rücklage eingestellt, die außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden darf. Diese Rücklage darf nur zum Zwecke einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals durch Umwandlung von Rücklagen verwendet werden; e) die Befriedigung von Gläubigerforderungen wird durch den Erwerb nicht beeinträchtigt. (2) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können von Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a Satz 1 abweichen, sofern der Erwerb eigener Aktien notwendig ist, um einen schweren unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. In diesem Fall wird die nächste Hauptversammlung durch das Verwaltungs- oder Leitungsorgan über die Gründe und den Zweck der getätigten Ankäufe, über die Zahl und den Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, den rechnerischen Wert der erworbenen Akti982

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en, über deren Anteil am gezeichneten Kapital sowie über den Gegenwert der Aktien unterrichtet. (3) Die Mitgliedstaaten brauchen Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a Satz 1 nicht auf Aktien anzuwenden, die von der Gesellschaft selbst oder von einer Person, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt, im Hinblick auf eine Ausgabe an die Arbeitnehmer der Gesellschaft oder an die Arbeitnehmer einer mit dieser verbundenen Gesellschaft erworben werden. Die Ausgabe derartiger Aktien erfolgt innerhalb von zwölf Monaten, vom Erwerb dieser Aktien an gerechnet. Art. 61 Abweichung von den Regelungen über den Erwerb eigener Aktien (1) Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 60 nicht anzuwenden a) auf Aktien, die in Durchführung einer Entscheidung über eine Kapitalherabsetzung oder im Falle des Artikels 82 erworben werden; b) auf Aktien, die durch eine Vermögensübertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erworben werden; c) auf voll eingezahlte Aktien, die unentgeltlich oder die von Banken und anderen Finanzinstituten auf Grund einer Einkaufskommission erworben werden; d) auf Aktien, die auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung oder einer gerichtlichen Entscheidung zum Schutz der Minderheitsaktionäre, insbesondere im Falle der Verschmelzung, der Änderung des Gegenstands oder der Rechtsform der Gesellschaft, der Verlegung des Sitzes der Gesellschaft ins Ausland oder der Einführung von Beschränkungen der Übertragbarkeit von Aktien erworben werden; e) auf Aktien, die aus der Hand eines Aktionärs erworben werden, weil er seine Einlage nicht leistet; f) auf Aktien, die erworben werden, um Minderheitsaktionäre verbundener Gesellschaften zu entschädigen; g) auf voll eingezahlte Aktien, die bei einer gerichtlichen Versteigerung zum Zwecke der Erfüllung einer Forderung der Gesellschaft gegen den Eigentümer dieser Aktien erworben werden und h) auf voll eingezahlte Aktien, die von einer Investmentgesellschaft mit festem Kapital im Sinne von Artikel 56 Absatz 7 Unterabsatz 2 ausgegeben worden sind und von dieser oder einer mit ihr verbundenen Gesellschaft auf Wunsch der Anleger erworben werden. Artikel 56 Absatz 7 Unterabsatz 3 Buchstabe a findet Anwendung. Dieser Erwerb darf nicht dazu führen, dass das Nettoaktivvermögen den Betrag des gezeichneten Kapitals zuzüglich der Rücklagen, deren Ausschüttung das Gesetz nicht gestattet, unterschreitet. 983

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(2) Die in den Fällen des Absatzes 1 Buchstaben b bis g erworbenen Aktien werden jedoch innerhalb einer Frist von höchstens drei Jahren nach ihrem Erwerb veräußert, es sei denn, dass der Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, der rechnerische Wert der erworbenen Aktien einschließlich der Aktien, die von einer Person im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft erworben worden sind, 10 % des gezeichneten Kapitals nicht übersteigt. (3) Werden die Aktien innerhalb der in Absatz 2 festgesetzten Frist nicht veräußert, so werden sie für nichtig erklärt. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können diese Nichtigerklärung von einer Herabsetzung des gezeichneten Kapitals um einen entsprechenden Betrag abhängig machen. Eine derartige Herabsetzung muss vorgeschrieben werden, soweit der Erwerb von für nichtig zu erklärenden Aktien dazu geführt hat, dass das Nettoaktivvermögen den in Artikel 56 Absätze 1 und 2 genannten Betrag unterschreitet. Art. 62 Folgen des unrechtmäßigen Erwerbs eigener Aktien Die unter Verletzung der Artikel 60 und 61 erworbenen Aktien werden innerhalb einer Frist von einem Jahr, vom Zeitpunkt ihres Erwerbs an gerechnet, veräußert. Geschieht dies nicht, findet Artikel 61 Absatz 3 Anwendung. Art. 63 Folgen des unrechtmäßigen Erwerbs eigener Aktien (1) Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einer Gesellschaft den Erwerb eigener Aktien, sei es selbst, sei es durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person, so unterwerfen sie das Halten dieser Aktien jederzeit mindestens folgenden Bedingungen: a) Von den mit Aktien verbundenen Rechten ist in jedem Fall das an eigene Aktien gebundene Stimmrecht aufgehoben; b) werden diese Aktien auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesen, so muss auf der Passivseite ein gleich hoher Betrag in eine nicht verfügbare Rücklage eingestellt werden. (2) Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einer Gesellschaft den Erwerb eigener Aktien, sei es selbst, sei es durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person, so verlangen sie, dass der Lagebericht der Gesellschaft mindestens folgende Angaben enthält: a) die Gründe für die während des Geschäftsjahres getätigten Ankäufe; b) die Zahl und den Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, den rechnerischen Wert der während des Geschäftsjahres erworbenen und veräußerten Aktien sowie deren Anteil am gezeichneten Kapital; c) bei entgeltlichem Erwerb oder entgeltlicher Veräußerung den Gegenwert der Aktien; 984

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d) die Zahl und den Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, den rechnerischen Wert aller erworbenen und gehaltenen Aktien sowie deren Anteil am gezeichneten Kapital. Art. 64 Finanzielle Unterstützung durch eine Gesellschaft beim Erwerb eigener Aktien durch einen Dritten (1) Wenn ein Mitgliedstaat es einer Gesellschaft gestattet, im Hinblick auf einen Erwerb eigener Aktien durch einen Dritten unmittelbar oder mittelbar Vorschüsse zu zahlen, Darlehen zu gewähren oder Sicherheiten zu leisten, so macht er solche Geschäfte von der Erfüllung der in den Absätzen 2 bis 5 genannten Bedingungen abhängig. (2) Die Geschäfte werden unter der Verantwortung des Verwaltungs- oder Leitungsorgans vorgenommen und zu fairen, marktüblichen Konditionen abgewickelt, insbesondere in Bezug auf die der Gesellschaft gezahlten Zinsen und die Sicherheiten, die ihr für die in Absatz 1 genannten Darlehen oder Vorschüsse geleistet werden. Die Kreditwürdigkeit des Dritten oder — im Falle von Geschäften mit einer Vielzahl von Parteien — jeder dieser Parteien muss in angemessener Weise überprüft worden sein. (3) Das Verwaltungs- oder Leitungsorgan legt das Geschäftsvorhaben der Hauptversammlung vorab zur Genehmigung vor; diese wird nach den Vorschriften des Artikels 83 über die Beschlussfähigkeit und die Mehrheit tätig. Das Verwaltungs- oder Leitungsorgan legt der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht vor, aus dem Folgendes hervorgeht: a) die Gründe für das Geschäft; b) das Interesse der Gesellschaft an dem Geschäft; c) die Konditionen des Geschäfts; d) die mit dem Geschäft verbundenen Risiken für Liquidität und Solvenz der Gesellschaft; und e) der Preis, zu dem der Dritte die Aktien erwerben soll. Dieser Bericht wird gemäß Artikel 16 beim Register zur Offenlegung eingereicht. (4) Die Dritten insgesamt gewährte finanzielle Unterstützung darf zu keinem Zeitpunkt dazu führen, dass das Nettoaktivvermögen unter den in Artikel 56 Absätze 1 und 2 genannten Betrag absinkt; dabei wird auch jede Verringerung des Nettoaktivvermögens berücksichtigt, die infolge des Erwerbs ihrer eigenen Aktien durch die Gesellschaft oder auf Rechnung der Gesellschaft nach Artikel 60 Absatz 1 möglicherweise eingetreten ist. Die Gesellschaft stellt auf der Passivseite der Bilanz eine nicht ausschüttbare Rücklage in Höhe des Betrags der insgesamt gewährten finanziellen Unterstützung ein. (5) Erwirbt ein Dritter mit finanzieller Unterstützung der Gesellschaft eigene Aktien der Gesellschaft im Sinne von Artikel 60 Absatz 1 oder zeichnet er Aktien, 985

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die anlässlich einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals emittiert wurden, so findet dieser Erwerb zu einem angemessenen Preis statt. (6) Absätze 1 bis 5 gelten nicht für Rechtsgeschäfte, die im Rahmen der laufenden Geschäfte der Banken und anderer Finanzinstitute getätigt werden, und auch nicht für Geschäfte, die im Hinblick auf den Erwerb von Aktien durch oder für Arbeitnehmer der Gesellschaft oder einer mit ihr verbundenen Gesellschaft getätigt werden. Diese Geschäfte dürfen jedoch nicht dazu führen, dass das Nettoaktivvermögen der Gesellschaft den in Artikel 56 Absatz 1 genannten Betrag unterschreitet. (7) Absätze 1 bis 5 gelten nicht für Geschäfte, die im Hinblick auf den Erwerb von Aktien nach Artikel 61 Absatz 1 Buchstabe h getätigt werden. Art. 65 Zusätzliche Schutzvorkehrungen für Transaktionen mit nahe stehenden Parteien Für die Fälle, in denen einzelne Mitglieder des Verwaltungsoder Leitungsorgans der Gesellschaft, die Vertragspartner eines Geschäfts im Sinne des Artikels 64 Absatz 1 dieser Richtlinie ist, oder Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans eines Mutterunternehmens im Sinne von Artikel 22 der der Richtlinie 2013/34/EU oder ein solches Mutterunternehmen selbst oder eine Person, die im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Mitglieder oder dieses Unternehmens handelt, zugleich Gegenpartei eines solchen Geschäfts sind, stellen die Mitgliedstaaten durch geeignete Schutzvorkehrungen sicher, dass ein solches Geschäft dem Wohl der Gesellschaft nicht zuwiderläuft. Art. 66 Inpfandnahme eigener Aktien (1) Die Inpfandnahme eigener Aktien durch die Gesellschaft selbst oder durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person ist den in Artikel 60, Artikel 61 Absatz 1 und den Artikeln 63 und 64 genannten Arten des Erwerbs gleichgestellt. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen Absatz 1 nicht auf die laufenden Geschäfte von Banken und anderen Finanzinstituten anzuwenden. Art. 67 Zeichnung, Erwerb oder Besitz von Aktien durch eine andere Gesellschaft, bei der die Aktiengesellschaft über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt oder auf die sie einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (1) Zeichnet, erwirbt oder besitzt eine andere Gesellschaft mit einer in Anhang II genannten Rechtsform Aktien einer Aktiengesellschaft und verfügt die Aktiengesellschaft unmittelbar oder mittelbar über die Mehrheit der Stimmrechte der erstgenannten Gesellschaft oder kann sie auf diese unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben, so wird dieser Sachverhalt so behandelt, als wenn die Aktiengesellschaft selbst die betreffenden Aktien zeichnet, erwirbt oder besitzt. 986

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Unterabsatz 1 findet auch Anwendung, wenn die andere Gesellschaft dem Recht eines Drittlands unterliegt und eine Rechtsform besitzt, die den in Anhang II genannten Rechtsformen vergleichbar ist. Verfügt die Aktiengesellschaft mittelbar über die Mehrheit der Stimmrechte oder kann sie den beherrschenden Einfluss mittelbar ausüben, so können die Mitgliedstaaten von der Anwendung der Unterabsätze 1 und 2 jedoch absehen, sofern sie vorsehen, dass die mit den Aktien der Aktiengesellschaft, über die die andere Gesellschaft verfügt, verbundenen Stimmrechte ausgesetzt werden. (2) In Ermangelung einer Koordinierung der nationalen Vorschriften über das Konzernrecht können die Mitgliedstaaten a) die Fälle definieren, in denen davon ausgegangen wird, dass eine Aktiengesellschaft einen beherrschenden Einfluss auf eine andere Gesellschaft ausüben kann; macht ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch, so muss sein Recht auf jeden Fall vorsehen, dass die Möglichkeit, beherrschenden Einfluss auszuüben, dann besteht, wenn die Aktiengesellschaft i) das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungsoder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen und wenn sie gleichzeitig Aktionär oder Gesellschafter der anderen Gesellschaft ist, oder ii) Aktionär oder Gesellschafter der anderen Gesellschaft ist und aufgrund einer mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern dieser Gesellschaft getroffenen Vereinbarung allein die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter dieser Gesellschaft kontrolliert. Die Mitgliedstaaten sind nicht dazu verpflichtet, andere als die unter Unterabsatz 1 Ziffern i und ii genannten Fälle vorzusehen; b) die Fälle definieren, in denen davon ausgegangen wird, dass eine Aktiengesellschaft mittelbar über die Stimmrechte verfügt oder einen beherrschenden Einfluss mittelbar ausüben kann; c) die Umstände präzisieren, bei denen davon ausgegangen wird, dass eine Aktiengesellschaft über die Stimmrechte verfügt. (3) Die Mitgliedstaaten können von der Anwendung von Absatz 1 Unterabsätze 1 und 2 absehen, wenn die Zeichnung, der Erwerb oder der Besitz auf Rechnung einer anderen Person als des Zeichners, Erwerbers oder Besitzers gehen und die betreffende Person weder die Aktiengesellschaft gemäß Absatz 1 noch eine andere Gesellschaft ist, an der die Aktiengesellschaft unmittelbar oder mittelbar über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt oder auf die sie unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. (4) Ferner können die Mitgliedstaaten von der Anwendung von Absatz 1 Unterabsätze 1 und 2 absehen, wenn die andere Gesellschaft in ihrer Eigenschaft oder im Rahmen ihrer Tätigkeit als berufsmäßiger Wertpapierhändler Aktien zeich987

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net, erwirbt oder besitzt, sofern sie Mitglied einer in einem Mitgliedstaat ansässigen oder tätigen Wertpapierbörse ist oder von einer für die Beaufsichtigung von berufsmäßigen Wertpapierhändlern — zu denen im Sinne dieser Richtlinie auch Kreditinstitute gehören können — zuständigen Stelle eines Mitgliedstaats zugelassen ist oder beaufsichtigt wird. (5) Die Mitgliedstaaten sind zur Anwendung von Absatz 1 Unterabsätze 1 und 2 nicht verpflichtet, wenn die andere Gesellschaft Aktien der Aktiengesellschaft aufgrund eines Erwerbs besitzt, der erfolgte, bevor das Verhältnis zwischen den beiden Gesellschaften den Kriterien des Absatzes 1 entsprach. Die mit den betreffenden Aktien verbundenen Stimmrechte werden jedoch ausgesetzt und die Aktien werden bei der Entscheidung, ob die Bedingung gemäß Artikel 60 Absatz 1 Buchstabe b erfüllt ist, in Betracht gezogen. (6) Erwirbt die andere Gesellschaft Aktien einer Aktiengesellschaft, so können die Mitgliedstaaten von der Anwendung des Artikels 61 Absätze 2 und 3 sowie des Artikels 62 absehen, sofern sie Folgendes vorsehen: a) die Aussetzung der Stimmrechte, die mit den im Besitz der anderen Gesellschaft befindlichen Aktien der Aktiengesellschaft verbunden sind, sowie b) die Verpflichtung für die Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der Aktiengesellschaft, von der anderen Gesellschaft die in Artikel 61 Absätze 2 und 3 sowie Artikel 62 genannten Aktien zu dem Preis zurückzuerwerben, zu dem diese andere Gesellschaft sie erworben hatte; diese Sanktion ist lediglich in dem Falle nicht anwendbar, in dem die Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans nachweisen, dass die Aktiengesellschaft an der Zeichnung oder dem Erwerb der betreffenden Aktien gänzlich unbeteiligt ist.

Abschnitt 5 − Regelungen zur Kapitalerhöhung und zur Kapitalherabsetzung Art. 68 Beschluss der Hauptversammlung über die Kapitalerhöhung (1) Jede Kapitalerhöhung wird von der Hauptversammlung beschlossen. Dieser Beschluss sowie die Durchführung der Erhöhung des gezeichneten Kapitals sind nach den in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offenzulegen. (2) Die Satzung, der Errichtungsakt oder die Hauptversammlung, deren Entscheidung gemäß Absatz 1 offenzulegen ist, kann jedoch zu einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals bis zu einem Höchstbetrag ermächtigen, den sie unter Beachtung des gegebenenfalls gesetzlich vorgeschriebenen Höchstbetrags festlegt. In den Grenzen des festgelegten Betrags beschließt das hierzu berufene Organ der Gesellschaft gegebenenfalls eine Erhöhung des gezeichneten Kapitals. Diese Ermächtigung des Organs gilt für eine Höchstdauer von fünf Jahren; 988

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sie kann von der Hauptversammlung ein oder mehrmals für einen Zeitraum, der jeweils fünf Jahre nicht überschreiten darf, verlängert werden. (3) Sind mehrere Gattungen von Aktien vorhanden, so ist der Beschluss der Hauptversammlung über die Kapitalerhöhung nach Absatz 1 oder die Ermächtigung zu einer Kapitalerhöhung nach Absatz 2 von einer gesonderten Abstimmung zumindest jeder Gattung derjenigen Aktionäre abhängig, deren Rechte durch die Maßnahme berührt werden. (4) Dieser Artikel gilt für die Ausgabe aller Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, nicht aber für die Umwandlung dieser Wertpapiere und die Ausübung des Bezugsrechts. Art. 69 Leistung von Einlagen auf Aktien Die Einlagen auf Aktien, die bei einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals ausgegeben werden, werden in Höhe von mindestens 25 % des Nennbetrags der Aktien, oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, ihres rechnerischen Wertes geleistet. Ist ein Mehrbetrag vorgesehen, wird dieser in voller Höhe gezahlt. Art. 70 Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, auf Aktien (1) Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, auf Aktien, die bei einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals ausgegeben werden, werden innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach dem Beschluss über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals vollständig geleistet. (2) Die Einlagen nach Absatz 1 sind Gegenstand eines besonderen Berichts, der durch einen oder mehrere von der Gesellschaft unabhängige Sachverständige, die durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht bestellt oder zugelassen sind, vor der Durchführung der Erhöhung des gezeichneten Kapitals erstellt wird. Sachverständige können nach den Vorschriften jedes Mitgliedstaats natürliche Personen, juristische Personen oder Gesellschaften sein. Es gelten Artikel 49 Absätze 2 und 3 und die Artikel 50 und 51. (3) Die Mitgliedstaaten können beschließen, Absatz 2 nicht anzuwenden, wenn die Erhöhung des gezeichneten Kapitals zur Durchführung einer Verschmelzung, einer Spaltung oder eines öffentlichen Übernahme- oder Umtauschangebots zu dem Zweck erfolgt, das Entgelt an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft, der gespalteten Gesellschaft oder der Gesellschaft zu leisten, die Gegenstand des öffentlichen Übernahme- oder Umtauschangebots ist. Im Falle einer Verschmelzung oder Spaltung wenden die Mitgliedstaaten Unterabsatz 1 jedoch nur an, wenn ein Bericht eines oder mehrerer unabhängiger Sachverständiger über die Verschmelzungs- oder Spaltungspläne erstellt wird. 989

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Beschließen Mitgliedstaaten, Absatz 2 im Falle einer Verschmelzung oder Spaltung anzuwenden, so können sie gestatten, dass der gemäß diesem Artikel erstellte Bericht und der Bericht des bzw. der unabhängigen Sachverständigen über die Verschmelzungs- oder Spaltungspläne von demselben bzw. denselben Sachverständigen erstellt werden. (4) Die Mitgliedstaaten brauchen Absatz 2 nicht anzuwenden, wenn bei einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals alle Aktien gegen Sacheinlage durch eine oder mehrere Gesellschaften ausgegeben werden, sofern alle Aktionäre der empfangenden Gesellschaft auf die Erstellung des Sachverständigenberichts verzichtet haben und die Bedingungen in Artikel 49 Absatz 4 Buchstaben b bis f erfüllt sind. Art. 71 Nicht voll gezeichnete Kapitalerhöhung Wird eine Kapitalerhöhung nicht voll gezeichnet, so wird das Kapital nur dann um den Betrag der eingegangenen Zeichnungen erhöht, wenn die Ausgabebedingungen diese Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen haben. Art. 72 Erhöhung des gezeichneten Kapitals durch Bareinlagen (1) Bei jeder Erhöhung des gezeichneten Kapitals durch Bareinlagen werden die Aktien vorzugsweise den Aktionären im Verhältnis zu dem durch ihre Aktien vertretenen Teil des Kapitals angeboten. (2) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats a) brauchen Absatz 1 nicht auf Aktien anzuwenden, bei denen das Recht eingeschränkt ist, an den Ausschüttungen im Sinne des Artikels 56 und/oder an der Verteilung des Gesellschaftsvermögens im Falle der Liquidation teilzunehmen; oder b) können gestatten, dass, wenn das gezeichnete Kapital einer Gesellschaft, die mehrere Aktiengattungen hat, bei denen das Stimmrecht oder die Rechte hinsichtlich der Ausschüttung im Sinne des Artikels 56 oder der Verteilung des Gesellschaftsvermögens im Falle der Liquidation unterschiedlich sind, durch Ausgabe neuer Aktien nur in einer dieser Gattungen erhöht wird, die Ausübung des Bezugsrechts durch die Aktionäre der anderen Gattungen erst nach Ausübung dieses Rechts durch die Aktionäre der Gattung erfolgt, in der die neuen Aktien ausgegeben werden. (3) Das Angebot zur vorzugsweisen Zeichnung sowie die Frist, innerhalb derer dieses Recht ausgeübt werden muss, sind Gegenstand einer Bekanntmachung in dem gemäß Artikel 16 bestimmten nationalen Amtsblatt. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats brauchen jedoch diese Bekanntmachung nicht vorzuschreiben, wenn sämtliche Aktien der Gesellschaft Namensaktien sind. In diesem Fall sind alle Aktionäre schriftlich zu unterrichten. Das Bezugsrecht wird 990

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innerhalb einer Frist ausgeübt, die nicht kürzer sein darf als 14 Tage nach Bekanntmachung des Angebots oder nach Absendung der Schreiben an die Aktionäre. (4) Dieses Bezugsrecht darf durch die Satzung oder den Errichtungsakt weder beschränkt noch ausgeschlossen werden. Dies kann jedoch durch Beschluss der Hauptversammlung geschehen. Das Verwaltungs- oder Leitungsorgan hat der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über die Gründe für eine Beschränkung oder einen Ausschluss des Bezugsrechts zu erstatten und den vorgeschlagenen Ausgabekurs zu begründen. Die Hauptversammlung entscheidet nach den Vorschriften, die in Artikel 83 über Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse festgelegt sind. Der Beschluss ist nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offenzulegen. (5) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können vorsehen, dass die Satzung, der Errichtungsakt oder die Hauptversammlung, die nach den in Absatz 4 dieses Artikels genannten, die Beschlussfähigkeit, Mehrheitserfordernisse und Offenlegung betreffenden Vorschriften entscheidet, dem Organ der Gesellschaft, das zur Entscheidung über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals innerhalb der Grenzen des genehmigten Kapitals berufen ist, die Befugnis einräumen kann, das Bezugsrecht zu beschränken oder auszuschließen. Diese Befugnis darf für keinen längeren Zeitraum gelten als die Befugnis nach Artikel 68 Absatz 2. (6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die Ausgabe aller Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, nicht aber für die Umwandlung dieser Wertpapiere und die Ausübung des Bezugsrechts. (7) Ein Ausschluss des Bezugsrechts im Sinne der Absätze 4 und 5 liegt nicht vor, wenn die Aktien nach dem Beschluss über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals an Banken oder andere Finanzinstitute ausgegeben werden, damit diese sie den Aktionären der Gesellschaft nach Maßgabe der Absätze 1 und 3 anbieten. Art. 73 Entscheidung der Hauptversammlung über die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals Jede Herabsetzung des gezeichneten Kapitals mit Ausnahme der durch eine gerichtliche Entscheidung angeordneten wird zumindest von der Hauptversammlung beschlossen, die vorbehaltlich der Artikel 79 und 80 nach den Vorschriften entscheidet, die in Artikel 83 über die Beschlussfähigkeit und die Mehrheitserfordernisse festgelegt sind. Dieser Beschluss wird nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offengelegt. 991

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In der Mitteilung über die Einberufung der Hauptversammlung werden zumindest der Zweck der Herabsetzung und das Verfahren für ihre Durchführung angegeben. Art. 74 Herabsetzung des gezeichneten Kapitals im Falle mehrerer Aktiengattungen Sind mehrere Gattungen von Aktien vorhanden, so ist der Beschluss der Hauptversammlung über die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals von einer gesonderten Abstimmung zumindest jeder Gattung derjenigen Aktionäre abhängig, deren Rechte durch die Maßnahme berührt werden. Art. 75 Sicherheiten für Gläubiger im Falle einer Herabsetzung des gezeichneten Kapitals (1) Im Falle einer Herabsetzung des gezeichneten Kapitals haben zumindest die Gläubiger, deren Forderungen vor der Bekanntmachung der Entscheidung über die Herabsetzung entstanden sind, mindestens das Recht, eine Sicherheit für die im Zeitpunkt dieser Bekanntmachung noch nicht fälligen Forderungen zu erhalten. Die Mitgliedstaaten können dieses Recht nur dann ausschließen, wenn der Gläubiger bereits angemessene Sicherheiten hat oder wenn diese Sicherheiten in Anbetracht des Gesellschaftsvermögens nicht notwendig sind. Die Mitgliedstaaten legen fest, unter welchen Bedingungen das in Unterabsatz 1 genannte Recht ausgeübt werden kann. Die Mitgliedstaaten sorgen in jedem Fall dafür, dass die Gläubiger das Recht haben, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem zuständigen Gericht angemessene Sicherheiten zu beantragen, wenn sie glaubhaft machen können, dass die Befriedigung ihrer Forderungen durch die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals gefährdet ist und sie von der Gesellschaft keine angemessenen Sicherheiten erhalten haben. (2) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten schreiben mindestens weiter vor, dass die Herabsetzung unwirksam ist, oder dass keine Zahlungen zugunsten der Aktionäre geleistet werden dürfen, solange den Gläubigern nicht Genüge getan worden ist oder solange ein Gericht nicht entschieden hat, dass ihrem Antrag nicht entsprochen zu werden braucht. (3) Dieser Artikel gilt auch, wenn die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals durch einen vollständigen oder teilweisen Verzicht auf die Leistung von Einlagen der Aktionäre vorgenommen wird. Art. 76 Abweichungen von den Schutzvorkehrungen für Gläubiger bei Herabsetzung des gezeichneten Kapitals (1) Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 75 nicht bei einer Herabsetzung des gezeichneten Kapitals anzuwenden, die zum Zweck hat, Verluste auszugleichen oder Beträge einer Rücklage zuzuführen, unter der Voraussetzung, dass infolge dieses Vorgangs der Betrag dieser 992

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4.1

Rücklage 10 % des herabgesetzten gezeichneten Kapitals nicht übersteigt. Diese Rücklage darf außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden; sie darf ferner nur dazu verwendet werden, Verluste auszugleichen oder durch Umwandlung von Rücklagen das gezeichnete Kapital zu erhöhen, soweit die Mitgliedstaaten einen solchen Vorgang zulassen. (2) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten schreiben in den Fällen des Absatzes 1 mindestens geeignete Maßnahmen vor, damit die aus der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals gewonnenen Beträge nicht zu Zahlungen oder Ausschüttungen an die Aktionäre oder zur Befreiung der Aktionäre von der Verpflichtung zur Leistung ihrer Einlagen verwendet werden. Art. 77 Abweichungen von den Schutzvorkehrungen für Gläubiger bei Herabsetzung des gezeichneten Kapitals Das gezeichnete Kapital darf nicht unter das nach Artikel 45 festgelegte Mindestkapital herabgesetzt werden. Jedoch können die Mitgliedstaaten eine derartige Herabsetzung zulassen, wenn sie zugleich vorschreiben, dass der Beschluss über die Herabsetzung nur dann wirksam wird, wenn das gezeichnete Kapital auf einen Betrag erhöht wird, der zumindest dem vorgeschriebenen Mindestbetrag entspricht. Art. 78 Tilgung des gezeichneten Kapitals ohne dessen Herabsetzung Lassen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die vollständige oder teilweise Tilgung des gezeichneten Kapitals ohne dessen Herabsetzung zu, so verlangen sie mindestens die Beachtung folgender Voraussetzungen: a) Sofern die Satzung oder der Errichtungsakt die Tilgung vorsieht, wird diese durch die Hauptversammlung beschlossen, die mindestens die allgemeinen Voraussetzungen über Anwesenheit und Mehrheit zu beachten hat. Sofern die Satzung oder der Errichtungsakt die Tilgung nicht vorsieht, wird diese durch die Hauptversammlung beschlossen, die mindestens die in Artikel 83 festgelegten Voraussetzungen über Anwesenheit und Mehrheit zu beachten hat. Der Beschluss wird nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offengelegt; b) die Tilgung kann nur mit Mitteln erfolgen, die nach Artikel 56 Absätze 1 bis 4 ausgeschüttet werden dürfen; c) die Aktionäre, deren Aktien getilgt wurden, behalten ihre Rechte gegenüber der Gesellschaft mit Ausnahme der Rechte auf Rückgewähr der Einlagen und auf Teilnahme an der Ausschüttung einer ersten Dividende für nicht getilgte Aktien. Art. 79 Herabsetzung des gezeichneten Kapitals durch Zwangseinziehung von Aktien (1) Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, dass Ge993

4.1

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sellschaften ihr gezeichnetes Kapital durch Zwangseinziehung von Aktien herabsetzen, so verlangen sie mindestens die Beachtung der folgenden Voraussetzungen: a) Die Zwangseinziehung ist vor der Zeichnung der einzuziehenden Aktien durch die Satzung oder den Errichtungsakt vorgeschrieben oder zugelassen; b) sofern die Zwangseinziehung durch die Satzung oder den Errichtungsakt lediglich zugelassen ist, wird sie von der Hauptversammlung beschlossen, es sei denn, dass die betroffenen Aktionäre sie einstimmig genehmigt haben; c) das Gesellschaftsorgan, das über die Zwangseinziehung beschließt, legt die Bedingungen und Durchführung dieser Maßnahme fest, soweit dies nicht bereits in der Satzung oder im Errichtungsakt geschehen ist; d) Artikel 75 wird angewendet, es sei denn, es handelt sich um voll eingezahlte Aktien, die der Gesellschaft unentgeltlich zur Verfügung gestellt oder die mithilfe von Mitteln, die nach Artikel 56 Absätze 1 bis 4 ausgeschüttet werden dürfen, eingezogen werden; in diesen Fällen ist ein Betrag in Höhe des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes aller eingezogenen Aktien in eine Rücklage einzustellen. Diese Rücklage darf, außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals, nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Sie darf nur dazu verwendet werden, Verluste auszugleichen oder durch Umwandlung von Rücklagen das gezeichnete Kapital zu erhöhen, soweit die Mitgliedstaaten einen solchen Vorgang zulassen und e) der Beschluss über die Zwangseinziehung wird nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offengelegt. (2) Artikel 73 Absatz 1 sowie die Artikel 74, 76 und 83 werden in den Fällen des Absatzes 1 dieses Artikels nicht angewendet. Art. 80 Herabsetzung des gezeichneten Kapitals durch Einziehung von Aktien, die von einer Gesellschaft selbst oder einer für Rechnung der Gesellschaft handelnden Person erworben werden (1) Im Fall der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals durch Einziehung von Aktien, die von einer Gesellschaft oder einer im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnden Person erworben worden sind, wird die Einziehung stets durch die Hauptversammlung beschlossen. (2) Artikel 75 wird angewendet, es sei denn, es handelt sich um voll eingezahlte Aktien, die unentgeltlich oder mit Mitteln erworben werden, die nach Artikel 56 Absätze 1 bis 4 ausgeschüttet werden dürfen; in diesen Fällen wird ein Betrag 994

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4.1

in Höhe des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes aller eingezogenen Aktien in eine Rücklage eingestellt. Diese Rücklage darf, außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals, nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Sie darf nur dazu verwendet werden, Verluste auszugleichen oder durch Umwandlung von Rücklagen das gezeichnete Kapital zu erhöhen, soweit die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einen solchen Vorgang zulassen. (3) Die Artikel 74, 76 und 83 werden in den Fällen des Absatzes 1 dieses Artikels nicht angewendet. Art. 81 Tilgung des gezeichneten Kapitals oder dessen Herabsetzung durch Einziehung von Aktien im Falle mehrerer Aktiengattungen In den Fällen des Artikels 78, des Artikels 79 Absatz 1 Buchstabe b und des Artikels 80 Absatz 1 ist, sofern mehrere Gattungen von Aktien vorhanden sind, der Beschluss der Hauptversammlung über die Tilgung des gezeichneten Kapitals oder über dessen Herabsetzung durch Einziehung von Aktien von einer gesonderten Abstimmung zumindest jeder Gattung derjenigen Aktionäre abhängig, deren Rechte durch die Maßnahmen berührt werden. Art. 82 Voraussetzungen für den Rückerwerb von Aktien Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, dass Gesellschaften rückerwerbbare Aktien ausgeben, so verlangen sie für den Rückerwerb dieser Aktien mindestens die Beachtung folgender Voraussetzungen: a) Der Rückerwerb muss vor der Zeichnung der rückerwerbbaren Aktien in der Satzung oder dem Errichtungsakt zugelassen sein; b) diese Aktien müssen vollständig eingezahlt worden sein; c) die Bedingungen und die Durchführung des Rückerwerbs sind in der Satzung oder dem Errichtungsakt festgelegt; d) der Rückerwerb darf nur mithilfe von Mitteln erfolgen, die nach Artikel 56 Absätze 1 bis 4 ausgeschüttet werden dürfen, oder mit Erträgen aus einer Ausgabe neuer Aktien, die zum Zwecke dieses Rückerwerbs ausgegeben werden; e) ein Betrag in Höhe des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes aller zurückerworbenen Aktien ist in eine Rücklage einzustellen, die, außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals, nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden darf; sie darf nur dazu verwendet werden, durch Umwandlung von Rücklagen das gezeichnete Kapital zu erhöhen; f) Buchstabe e ist nicht anzuwenden, sofern die Aktien mithilfe von Erträgen aus einer Ausgabe neuer Aktien zurückerworben werden, die zum Zweck dieses Rückerwerbs ausgegeben werden; 995

4.1

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g) sofern als Folge des Rückerwerbs die Zahlung eines Mehrbetrags zugunsten der Aktionäre vorgesehen ist, darf dieser nur aus Mitteln entnommen werden, die entweder nach Artikel 56 Absätze 1 bis 4 ausgeschüttet werden dürfen oder einer anderen als der unter Buchstabe e dieses Artikels genannten Rücklage entnommen werden, die, außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals, nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden darf; diese Rücklage darf nur zum Zwecke einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals durch Umwandlung von Rücklagen oder zur Deckung der in Artikel 4 Buchstabe j genannten Kosten oder der Kosten für die Ausgabe von Aktien oder von Schuldverschreibungen oder für die Zahlung eines Mehrbetrags zugunsten der Inhaber von zurückzuerwerbenden Aktien oder Schuldverschreibungen verwendet werden; h) der Rückerwerb ist nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offenzulegen. Art. 83 Abstimmungserfordernisse bei Entscheidungen der Hauptversammlung Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die in Artikel 72 Absätze 4 und 5 sowie den Artikeln 73, 74, 78 und 81 vorgesehenen Beschlüsse zumindest eine Mehrheit von nicht weniger als zwei Dritteln der Stimmen der vertretenen Wertpapiere oder des vertretenen gezeichneten Kapitals erfordern. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch vorschreiben, dass die einfache Mehrheit der in Absatz 1 bezeichneten Stimmen ausreicht, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. Abschnitt 6 − Anwendungs- und Durchführungsbestimmungen Art. 84 Abweichende Bestimmungen (1) Die Mitgliedstaaten können von Artikel 48 Absatz 1, Artikel 60 Absatz 1 Buchstabe a Satz 1 sowie von den Artikeln 68, 69 und 72 abweichen, soweit dies für den Erlass oder die Anwendung von Vorschriften erforderlich ist, welche die Beteiligung der Arbeitnehmer oder anderer durch nationales Recht festgelegter Gruppen von Personen am Kapital der Unternehmen fördern sollen. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 60 Absatz 1 Buchstabe a Satz 1 sowie die Artikel 73, 74, und 79 bis 82 nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die auf Grund einer besonderen Regelung neben Kapitalaktien Arbeitsaktien ausgeben, und zwar die letzteren zugunsten der Gesamtheit der Arbeitnehmer, die auf der Hauptversammlung der Aktionäre durch Bevollmächtigte mit Stimmrecht vertreten wird. (3) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Artikel 49, Artikel 58 Absatz 1, Artikel 68 Absätze 1, 2 und 3, Artikel 70 Absatz 2 Unterabsatz 1, die Artikel 72 bis 75 996

Kodifikations-RL (Titel I – Gründung) 2017/1132

4.1

und Artikel 79, 80 und 81 im Fall eines Rückgriffs auf die in Titel IV der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates24 vorgesehenen Abwicklungsinstrumente, -befugnisse und -mechanismen nicht angewandt werden. Art. 85 Gleichbehandlung der Aktionäre, die sich in denselben Verhältnissen befinden Für die Anwendung dieses Kapitels stellen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung der Aktionäre sicher, die sich in denselben Verhältnissen befinden. Art. 86 Übergangsbestimmungen Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 4 Buchstaben g, i, j und k nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die bei Inkrafttreten der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die sie erlassen, um der Richtlinie 77/91/EWG des Rates25 nachzukommen, bereits bestehen. Titel II Verschmelzung und Spaltung von Kapitalgesellschaften — nicht abgedruckt.26 Titel III Schlussbestimmungen — nicht abgedruckt. Anhang I-IV Kategorien von Gesellschaften, Aufhebungen, Umsetzungsfristen, Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt.

24 ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 190. 25 ABl. L 26 vom 31. 1. 1977, S. 1. 26 Titel II dieser Richtlinie ist in dieser Sammlung abgedruckt unter 4.13 Kodifikations-RL — Titel II (Fusion und Spaltung).

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4.2 Aktionärsrechte-RL I 2007/36

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION, gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44 und Artikel 95, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Kommission hat in ihrer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament vom 21. Mai 2003 mit dem Titel „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union — Aktionsplan“, die Auffassung vertreten, dass neue gezielte Initiativen eingeleitet werden sollten, um die Rechte der Aktionäre in börsennotierten Gesellschaften zu stärken, und dass die Probleme im Zusammenhang mit der Stimmrechtsausübung im Ausland dringend gelöst werden sollten. (2) In seiner Entschließung vom 21. April 20043 unterstützte das Europäische Parlament die Kommission in ihrer Absicht, die Rechte der Aktionäre insbesondere durch erweiterte Transparenzregeln, Vertretungsrechte bei der Ausübung des Stimmrechts, die Möglichkeit der Teilnahme an Hauptversammlungen auf elektronischem Wege sowie die Gewährleistung der grenzüberschreitenden Stimmrechtsausübung zu stärken. (3) Die Inhaber von Aktien, die mit Stimmrechten verbunden sind, sollten diese Rechte ausüben können, da sie sich in dem Preis niederschlagen, der für den Erwerb der Aktien zu zahlen ist. Darüber hinaus ist eine wirksame Kontrolle durch die Aktionäre eine Grundvoraussetzung für eine solide Unternehmensführung und sollte daher erleichtert und gefördert werden. Es ist deshalb notwendig, Maßnahmen zu erlassen, mit denen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu diesem Zweck angeglichen werden können. Hindernisse, die die Aktionäre von der Stimmabgabe abhalten, wie etwa Bestimmungen, die als Voraussetzung für die Ausübung der Stimmrechte die Sperrung der Aktien während eines bestimmten Zeitraums vor der Hauptversammlung verlangen, sollten beseitigt werden. Diese Richtlinie berührt indes nicht die Gemeinschaftsvorschriften über Anteile, die von Organismen für gemeinsame Anlagen ausgegeben, erworben oder veräußert werden. (4) Die geltenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften reichen zur Verwirklichung dieses Ziels nicht aus. Die Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen4 be-

* Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl. 2007 L 184/17. 1 ABl. C 318 vom 23. 12. 2006, S. 42. 2 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 15. 2. 2007 (ABl. C 287 E vom 29. 11. 2007, S. 486) und Beschluss des Rates vom 12. 6. 2007. 3 ABl. C 104 E vom 30. 4. 2004, S. 714. 4 ABl. L 184 vom 6. 7. 2001, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2005/1/EG (ABl. L 79 vom 24. 3. 2005, S. 9). https://doi.org/10.1515/9783110667776-045

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4.2

handelt die Informationen, die die Emittenten dem Markt offen zu legen haben, und geht folglich nicht auf den Abstimmungsprozess der Aktionäre als solchen ein. Darüber hinaus schreibt die Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind,5 den Emittenten verbindlich vor, bestimmte Informationen und Dokumente, die für Hauptversammlungen von Bedeutung sind, zur Verfügung zu stellen; allerdings müssen solche Informationen und Dokumente im Herkunftsmitgliedstaat des Emittenten zur Verfügung gestellt werden. Daher sollten gewisse Mindestnormen zum Schutz der Anleger und zur Förderung einer reibungslosen und wirksamen Ausübung der mit Stimmrechtsaktien verbundenen Rechte der Aktionäre eingeführt werden. Bei anderen Rechten als dem Stimmrecht steht es den Mitgliedstaaten frei, die Anwendung dieser Mindestnormen auch auf stimmrechtslose Aktien auszudehnen, soweit dies nicht bereits der Fall ist. Große Pakete von Aktien börsennotierter Gesellschaften werden von Aktionären gehalten, die nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Gebietsfremde Aktionäre sollten ihre Rechte in der Hauptversammlung ebenso leicht ausüben können wie Aktionäre, die in dem Mitgliedstaat wohnen, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Dies macht es erforderlich, die bestehenden Hindernisse beim Zugang gebietsfremder Aktionäre zu den für die Hauptversammlung relevanten Informationen und bei der Ausübung der Stimmrechte ohne persönliche Anwesenheit auf der Hauptversammlung zu beseitigen. Die Beseitigung dieser Hindernisse sollte auch den gebietsansässigen Aktionären zugute kommen, die bei der Hauptversammlung nicht anwesend sind oder sein können. Die Aktionäre sollten in der Lage sein, unabhängig vom Ort ihres Wohnsitzes in der Hauptversammlung selbst oder davor in Kenntnis der Sachlage ihr Stimmrecht wahrzunehmen. Alle Aktionäre sollten genügend Zeit haben, um die der Hauptversammlung vorzulegenden Unterlagen zu prüfen und ihr Abstimmungsverhalten festzulegen. Deshalb sollte die Hauptversammlung rechtzeitig vorher anberaumt werden, und die Aktionäre sollten die vollständigen Informationen erhalten, die der Hauptversammlung vorgelegt werden sollen. Dazu sollten die Möglichkeiten genutzt werden, die die modernen Technologien für einen unmittelbaren Zugang zu Informationen bieten. Mit dieser Richtlinie wird vorausgesetzt, dass alle börsennotierten Gesellschaften bereits über eine Internetseite verfügen. Grundsätzlich sollte es den Aktionären möglich sein, neue Punkte auf die Tagesordnung der Hauptversammlung setzen zu lassen und Beschlussvorlagen zu Tagesordnungspunkten einzubringen. Unbeschadet der unterschiedlichen Zeitrahmen und Modalitäten, die derzeit in der Gemeinschaft verwendet werden, sollte die Ausübung dieser Rechte zwei grundlegenden Regeln unterliegen: Die für die Ausübung dieser Rechte erforderliche Mindestbeteiligung am Aktienkapital der Gesellschaft sollte nicht höher als 5 % sein, und alle Aktionäre sollten in jedem Fall so rechtzeitig die endgültige Fassung der Tagesordnung erhalten, dass sie ihre Beiträge und die Stimmabgabe zu allen Tagesordnungspunkten vorbereiten können. Jeder Aktionär sollte grundsätzlich die Möglichkeit haben, Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung der Hauptversammlung zu stellen und Antworten auf diese Fragen zu er-

5 ABl. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38.

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halten; die Vorschriften darüber, wie und wann Fragen zu stellen und Antworten zu geben sind, sollten jedoch die Mitgliedstaaten festlegen können. Es sollte keine rechtlichen Hindernisse für Gesellschaften geben, ihren Aktionären die Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege zu ermöglichen. Die Ausübung des Stimmrechts ohne persönliche Anwesenheit auf der Hauptversammlung — ob per Brief oder auf elektronischem Wege — sollte an keine weiteren Bedingungen als die Überprüfung der Identität und die Gewährleistung der Sicherheit der Kommunikation geknüpft sein. Allerdings sollte es den Mitgliedstaaten unbenommen bleiben, Vorschriften zu erlassen um sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Abstimmung die Absichten der Aktionäre unter allen Umständen widerspiegeln, und zwar auch Vorschriften für den Fall, dass neue Umstände auftreten oder bekannt werden, nachdem ein Aktionär sein Stimmrecht per Brief oder auf elektronischem Wege ausgeübt hat. Eine gute Unternehmensführung erfordert reibungslose und wirksame Verfahren für die Stimmrechtsvertretung. Bestehende Beschränkungen und Zwänge, die eine Stimmrechtsvertretung schwerfällig und kostspielig machen, sollten daher beseitigt werden. Eine gute Unternehmensführung erfordert aber auch angemessene Schutzvorkehrungen gegen einen möglichen Missbrauch der Stimmrechtsvertretung. Der Vertreter sollte daher verpflichtet sein, Anweisungen, die der Aktionär ihm erteilt hat, zu befolgen, und die Mitgliedstaaten sollten geeignete Maßnahmen ergreifen können um zu gewährleisten, dass der Vertreter keine anderen Interessen verfolgt als die des Aktionärs, unabhängig davon, aus welchen Gründen der Interessenkonflikt zustande kam. Maßnahmen gegen einen möglichen Missbrauch können insbesondere in Regelungen bestehen, die die Mitgliedstaaten annehmen, um die Tätigkeit von Personen zu regeln, die sich aktiv um die Sammlung von Vertretungen bemühen oder die mehr als eine bestimmte wesentliche Anzahl von Vertretungen gesammelt haben; solche Regelungen sollten insbesondere ein angemessenes Maß an Zuverlässigkeit und Transparenz gewährleisten. Nach dieser Richtlinie haben Aktionäre ein uneingeschränktes Recht, solche Personen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Stimmabgabe in ihrem Namen zu bestellen. Allerdings berührt diese Richtlinie nicht Vorschriften oder Sanktionen, die die Mitgliedstaaten auf solche Personen anwenden, wenn Abstimmungen unter betrügerischer Verwendung gesammelter Stimmrechte erfolgen. Ferner verpflichtet diese Richtlinie die Gesellschaften nicht zu überprüfen, ob Vertreter entsprechend den Anweisungen der Aktionäre, von denen sie bestellt wurden, abstimmen. Sind Finanzintermediäre zwischengeschaltet, so hängt die Wirksamkeit der weisungsgebundenen Abstimmung weitgehend davon ab, ob die Kette der Intermediäre funktioniert, da die Investoren meist die mit ihren Aktien verbundenen Stimmrechte nur dann ausüben können, wenn alle Intermediäre dieser Kette, auch wenn sie selbst möglicherweise kein wirtschaftliches Interesse an den Aktien haben, zusammenarbeiten. Damit die Investoren ihre Stimmrechte grenzüberschreitend ausüben können, ist es daher wichtig, dass die Intermediäre die Ausübung dieser Rechte erleichtern. Diesem Aspekt sollte die Kommission zusätzlich Rechnung tragen, indem sie eine Empfehlung abgibt um sicherzustellen, dass die Investoren Zugang zu wirksamen Abstimmungsdiensten erhalten und dass die Stimmrechte ihren Weisungen entsprechend ausgeübt werden. Obwohl der Zeitpunkt der Offenlegung von vor der Hauptversammlung per Brief oder auf elektronischem Wege abgegebenen Stimmen gegenüber dem Verwaltungs-, Leitungsoder Aufsichtsorgan oder der Öffentlichkeit eine wichtige Angelegenheit der Unternehmensführung ist, kann er vom Mitgliedstaat festgelegt werden.

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4.2

(13) Die Abstimmungsergebnisse sollten mit Methoden festgestellt werden, die die von den Aktionären geäußerten Abstimmungsabsichten widerspiegeln, und sie sollten nach der Hauptversammlung zumindest auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlicht werden. (14) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich es den Aktionären zu gestatten, ihre Stimmrechte in der Gemeinschaft tatsächlich geltend zu machen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahmen besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (15) Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung6 sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Gegenstand und Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie legt die Anforderungen an die Ausübung bestimmter, mit Stimmrechtsaktien verbundener Rechte von Aktionären im Zusammenhang mit Hauptversammlungen von Gesellschaften fest, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel an einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind. (2) Für die Regelung der in dieser Richtlinie erfassten Bereiche ist derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat; Bezugnahmen auf „das anwendbare Recht“ sind Bezugnahmen auf die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats. (3) Die Mitgliedstaaten können folgende Arten von Gesellschaften von dieser Richtlinie ausnehmen: a) Organismen für gemeinsame Anlagen im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)7;

6 ABl. C 321 vom 31. 12. 2003, S. 1. 7 ABl. L 375 vom 31. 12. 1985, S. 3.

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b) Organismen, deren ausschließlicher Zweck es ist, beim Publikum beschafftes Kapital für gemeinsame Rechnung anzulegen, die nach dem Grundsatz der Risikostreuung arbeiten und die keine rechtliche oder wirtschaftliche Beherrschung eines der Emittenten der zugrunde liegenden Veranlagungen anstreben, sofern diese Organismen für gemeinsame Anlagen von den zuständigen Behörden zugelassen sind und deren Aufsicht unterliegen und sie eine Verwahrstelle haben, die die Aufgaben im Sinne der Richtlinie 85/ 611/EWG wahrnimmt; c) Genossenschaften. (4) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die vorliegende Richtlinie im Fall eines Rückgriffs auf die in Titel IV der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates8 vorgesehenen Abwicklungsinstrumente, -befugnisse und -mechanismen nicht angewandt wird. Art. 2 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) „Geregelter Markt“ bezeichnet einen Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente9; b) „Aktionär“ bezeichnet die natürliche oder juristische Person, die nach dem anwendbaren Recht als Aktionär anerkannt ist; c) „Vertretung“ bezeichnet die durch einen Aktionär einer natürlichen oder juristischen Person erteilte Befugnis, in der Hauptversammlung in seinem Namen einen Teil oder sämtliche seiner Rechte als Aktionär wahrzunehmen. Art. 3 Weitere Maßnahmen auf nationaler Ebene Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, weitere Verpflichtungen für Gesellschaften einzuführen oder sonst weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausübung der in dieser Richtlinie genannten Rechte durch die Aktionäre zu erleichtern.

8 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 82/891/EWG, 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/ 25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EG, 2012/30/EU und 2013/36/EU des Rates sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 190). 9 Finanzmarkt-RL, in dieser Sammlung Nr. 2.20.

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4.2

Kapitel II − Hauptversammlungen Art. 4 Gleichbehandlung der Aktionäre Die Gesellschaft muss für alle Aktionäre, die sich bei der Teilnahme an der Hauptversammlung und der Ausübung der Stimmrechte in der Hauptversammlung in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen. Art. 5 Informationen vor der Hauptversammlung (1) Unbeschadet des Artikels 9 Absatz 4 und des Artikels 11 Absatz 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote10 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Gesellschaft die Einberufung der Hauptversammlung in einer der in Absatz 2 des vorliegenden Artikel genannten Formen spätestens am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung vornimmt. Sofern die Gesellschaft allen Aktionären gleichermaßen die Möglichkeit einer Stimmabgabe auf elektronischem Wege eröffnet, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Hauptversammlung der Aktionäre beschließen kann, dass die Gesellschaft die Einberufung einer Hauptversammlung, bei der es sich nicht um die Jahreshauptversammlung handelt, in einer der in Absatz 2 des vorliegenden Artikel genannten Formen spätestens am 14. Tag vor dem Tag der Versammlung vornimmt. Dieser Beschluss bedarf einer Mehrheit von nicht weniger als zwei Dritteln der Stimmen der vertretenen Aktien oder des vertretenen gezeichneten Kapitals und gilt nur für den Zeitraum bis zur nächsten Jahreshauptversammlung. Wird eine zweite oder eine weitere Hauptversammlung einberufen, weil auf die erste Einberufung hin das erforderliche Quorum nicht erreicht worden ist, brauchen die Mitgliedstaaten für diese Einberufung die in Unterabsatz 1 und 2 genannten Fristen nicht einzuhalten, vorausgesetzt, die Bestimmung dieses Artikels wurde bei der ersten Einberufung eingehalten, kein neuer Punkt wird auf die Tagesordnung gesetzt und zwischen der endgültigen Einberufung und dem Datum der Hauptversammlung liegen mindestens zehn Tage. (2) Unbeschadet weiterer, von dem zuständigen Mitgliedstaat im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 aufgestellter Anforderungen an die Mitteilung oder Veröffentlichung muss die Gesellschaft die in Absatz 1 des vorliegenden Artikel genannte Einberufung in einer Form vornehmen, die in nicht diskriminierender Weise einen schnellen Zugang zu ihr gewährleistet. Der Mitgliedstaat schreibt vor, dass die Gesellschaft auf Medien zurückgreifen muss, bei denen vernünftiger-

10 Übernahme-RL, in dieser Sammlung Nr. 4.14.

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4.2

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weise davon ausgegangen werden kann, dass sie die Informationen tatsächlich an die Öffentlichkeit in der gesamten Gemeinschaft weiterleiten. Der Mitgliedstaat darf jedoch nicht vorschreiben, dass lediglich Medien eingesetzt werden, deren Betreiber ihren Sitz in seinem Hoheitsgebiet haben. Der Mitgliedstaat braucht Unterabsatz 1 nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die in der Lage sind, die Namen und Anschriften ihrer Aktionäre aus einem aktuellen Aktionärsregister zu ermitteln, vorausgesetzt, die Gesellschaft ist dazu verpflichtet, jedem eingetragenen Aktionär die Einberufung zu übersenden. In keinem dieser Fälle darf die Gesellschaft besondere Gebühren für die Vornahme der Einberufung in der vorgeschriebenen Weise verlangen. (3) Die in Absatz 1 genannte Einberufung enthält zumindest die folgenden Informationen: a) die genaue Angabe von Ort und Zeitpunkt der Hauptversammlung sowie die vorgeschlagene Tagesordnung; b) eine klare und genaue Beschreibung der Verfahren, die die Aktionäre einhalten müssen, um an der Hauptversammlung teilnehmen und ihr Stimmrecht ausüben zu können. Dazu gehören Angaben über i) die Rechte der Aktionäre gemäß Artikel 6 — soweit diese Rechte nach der Einberufung ausgeübt werden können — und gemäß Artikel 9 sowie die Fristen, bis zu denen diese Rechte ausgeübt werden können; die Einberufung kann sich auf die Angabe der Fristen, bis zu denen diese Rechte ausgeübt werden können, beschränken, sofern sie einen Hinweis darauf enthält, dass ausführliche Informationen über diese Rechte auf der Internetseite der Gesellschaft abrufbar sind; ii) das Verfahren für die Stimmabgabe durch Vertretung, insbesondere die dafür zu verwendenden Formulare, und die Methoden, wie der Gesellschaft Benachrichtigungen über die Bestellung von Vertretern auf elektronischem Wege übermittelt werden können, und iii) gegebenenfalls die Verfahren für die Stimmabgabe per Brief oder auf elektronischem Wege; c) gegebenenfalls den Nachweisstichtag im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 und die Erläuterung, dass nur die Personen berechtigt sind, an der Hauptversammlung teilzunehmen und ihr Stimmrecht auszuüben, die an diesem Stichtag Aktionäre sind; d) eine Angabe darüber, wo und wie der vollständige und ungekürzte Text der Unterlagen und Beschlussvorlagen nach Absatz 4 Buchstaben c und d erhältlich ist; e) die Internetseite, auf der die in Absatz 4 genannten Informationen abrufbar sind. 1004

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4.2

(4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Gesellschaft ihren Aktionären während eines ununterbrochenen Zeitraums, der spätestens am 21. Tag vor der Hauptversammlung beginnt und mit dem Tag der Versammlung selbst endet, mindestens folgende Informationen auf ihrer Internetseite zur Verfügung stellt: a) die Einberufung nach Absatz 1; b) die Gesamtzahl der Aktien und der Stimmrechte zum Zeitpunkt der Einberufung (einschließlich getrennter Angaben zur Gesamtzahl für jede Aktiengattung, falls das Kapital der Gesellschaft in zwei oder mehr Aktiengattungen eingeteilt ist); c) die der Hauptversammlung vorzulegenden Unterlagen; d) eine Beschlussvorlage oder, wenn kein Beschluss gefasst werden soll, eine Erläuterung eines nach dem anwendbaren Recht zu benennenden zuständigen Organs der Gesellschaft zu jedem Punkt der vorgeschlagenen Tagesordnung der Hauptversammlung; ferner sind von Aktionären eingebrachte Beschlussvorlagen auf der Internetseite so bald wie möglich nach ihrem Eingang bei der Gesellschaft hinzuzufügen; e) gegebenenfalls die Formulare, die bei Stimmabgabe durch Vertretung und bei Stimmabgabe per Brief zu verwenden sind, sofern diese Formulare nicht direkt an alle Aktionäre gesandt werden. Können die in Buchstabe e genannten Formulare aus technischen Gründen nicht im Internet zur Verfügung gestellt werden, so gibt die Gesellschaft auf ihrer Internetseite an, wie die Formulare in Papierform erhältlich sind. In diesem Fall muss die Gesellschaft die Formulare durch Postdienste und gebührenfrei an alle Aktionäre versenden, die es beantragen. Ergeht die Einberufung zur Hauptversammlung gemäß Artikel 9 Absatz 4 oder Artikel 11 Absatz 4 der Richtlinie 2004/25/EG oder gemäß Absatz 1 Unterabsatz 2 des vorliegenden Artikel erst nach dem 21. Tag vor der Versammlung, so verkürzt sich der im vorliegenden Absatz genannte Zeitraum entsprechend. (5) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass für die Zwecke der Richtlinie 2014/59/ EU die Hauptversammlung mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen gültigen Stimmen beschließen oder die Geschäftsordnung dahingehend ändern kann, dass eine Einberufung der Hauptversammlung zur Beschlussfassung über eine Kapitalerhöhung kurzfristiger als in Absatz 1 vorgesehen erfolgt, sofern die betreffende Versammlung nicht bereits innerhalb von zehn Kalendertagen nach ihrer Einberufung stattfindet, wenn die in den Artikeln 27 oder 29 der Richtlinie 2014/59/EU vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind und die Kapitalerhöhung erforderlich ist, um zu verhindern, dass die in den Artikeln 32 und 33 der genannten Richtlinie aufgeführten Voraussetzungen für eine Abwicklung eintreten. (6) Für die Zwecke des Absatzes 5 sind die für jeden Mitgliedstaat nach Artikel 6 Absatz 3 geltende Verpflichtung, einen einheitlichen Stichtag festzusetzen, die 1005

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Aktionärsrechte-RL I 2007/36

nach Artikel 6 Absatz 4 geltende Verpflichtung, eine geänderte Tagesordnung rechtzeitig verfügbar zu machen, und die für jeden Mitgliedstaat nach Artikel 7 Absatz 3 geltende Verpflichtung, eine einheitliche Nachweisstichtagsregelung festzulegen, nicht anzuwenden. Art. 6 Recht auf Ergänzung der Tagesordnung und auf Einbringung von Beschlussvorlagen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Aktionäre einzeln oder gemeinsam a) das Recht haben, Punkte auf die Tagesordnung der Hauptversammlung zu setzen, vorausgesetzt jedem Punkt liegt eine Begründung oder eine Vorlage für einen in der Hauptversammlung zu fassenden Beschluss bei, und b) das Recht haben, Beschlussvorlagen zu Punkten einzubringen, die bereits auf der Tagesordnung der Hauptversammlung stehen oder ergänzend in sie aufgenommen werden. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass das Recht nach Buchstabe a nur im Zusammenhang mit der Jahreshauptversammlung ausgeübt werden kann, vorausgesetzt, dass Aktionäre einzeln oder gemeinsam das Recht haben, eine Hauptversammlung einzuberufen oder durch die Gesellschaft einberufen zu lassen, bei der es sich nicht um eine Jahreshauptversammlung handelt und deren Tagesordnung mindestens alle von diesen Aktionären beantragten Punkte enthält. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diese Rechte schriftlich ausgeübt werden müssen (Übermittlung durch Postdienste oder auf elektronischem Wege). (2) Sind die Rechte gemäß Absatz 1 an die Bedingung geknüpft, dass der jeweilige Aktionär oder die jeweiligen Aktionäre eine Mindestbeteiligung an der Gesellschaft halten, so darf diese Mindestbeteiligung 5 % des Aktienkapitals nicht übersteigen. (3) Jeder Mitgliedstaat setzt einen einheitlichen Stichtag fest, bis zu dem die Aktionäre ihr Recht nach Absatz 1 Buchstabe a wahrnehmen können; dieser Stichtag liegt eine bestimmte Zahl von Tagen vor der Hauptversammlung oder der Einberufung. In gleicher Weise kann jeder Mitgliedstaat einen Stichtag für die Ausübung des Rechts gemäß Absatz 1 Buchstabe b festsetzen. (4) Führt die Ausübung des Rechts nach Absatz 1 Buchstabe a zu einer Änderung der Tagesordnung der Hauptversammlung und wurde diese Tagesordnung den Aktionären bereits vor der Änderung übermittelt, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Gesellschaft eine geänderte Tagesordnung in derselben Weise verfügbar macht wie die vorherige Tagesordnung und dass dies vor dem geltenden Nachweisstichtag im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 erfolgt; gilt kein 1006

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solcher Stichtag, so muss dies so rechtzeitig vor der Hauptversammlung erfolgen, dass andere Aktionäre einen Vertreter benennen oder gegebenenfalls per Brief abstimmen können. Art. 7 Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, a) dass die Rechte eines Aktionärs auf Teilnahme an der Hauptversammlung und auf Ausübung des Stimmrechts aus seinen Aktien in keiner Weise daran geknüpft sind, dass diese Aktien vor der Hauptversammlung bei einer anderen natürlichen oder juristischen Person hinterlegt, auf diese übertragen oder auf deren Namen eingetragen werden, und b) dass das Recht eines Aktionärs, seine Aktien zu veräußern oder anderweitig zu übertragen, in dem Zeitraum zwischen dem Nachweisstichtag im Sinne von Absatz 2 und der Hauptversammlung, auf die sich der Stichtag bezieht, keiner Beschränkung unterliegt, der es zu anderen Zeitpunkten nicht unterliegt. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Rechte eines Aktionärs auf Teilnahme an der Hauptversammlung und auf Ausübung des Stimmrechts aus seinen Aktien sich nach den Aktien bestimmen, die er zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Hauptversammlung (nachstehend „Nachweisstichtag“ genannt) hält. Die Mitgliedstaaten brauchen Unterabsatz 1 nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die in der Lage sind, die Namen und Anschriften ihrer Aktionäre am Tag der Hauptversammlung aus einem aktuellen Aktionärsregister zu ermitteln. (3) Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass für alle Gesellschaften eine einheitliche Nachweis-stichtagsregelung gilt. Ein Mitgliedstaat kann jedoch einen Nachweisstichtag für Gesellschaften festlegen, die Inhaberaktien ausgegeben haben, und einen anderen Nachweisstichtag für Gesellschaften, die Namensaktien ausgegeben haben, vorausgesetzt es gilt ein einziger Nachweisstichtag für alle Gesellschaften, die beide Aktienarten ausgegeben haben. Der Nachweisstichtag darf nicht mehr als 30 Tage vor dem Tag der Hauptversammlung liegen, auf die er sich bezieht. Bei der Anwendung dieser Bestimmung sowie von Artikel 5 Absatz 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass mindestens acht Tage zwischen dem letzten zulässigen Tag für die Einberufung der Hauptversammlung und dem Nachweisstichtag liegen. Diese beiden Tage werden bei der Berechnung dieser Zahl von Tagen nicht mitgezählt. Unter den in Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 3 beschriebenen Umständen kann ein Mitgliedstaat jedoch vorschreiben, dass mindestens sechs Tage zwischen dem letzten zulässigen Tag für die Einberufung der zweiten oder der weiteren Hauptversammlung und dem Nachweisstichtag liegen. Diese beiden Tage werden bei der Berechnung dieser Zahl von Tagen nicht mitgezählt. 1007

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Aktionärsrechte-RL I 2007/36

(4) Der Nachweis der Aktionärseigenschaft darf lediglich solchen Anforderungen unterworfen werden, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie sie diesem Zweck angemessen sind. Art. 8 Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege (1) Die Mitgliedstaaten gestatten den Gesellschaften, ihren Aktionären jede Form der Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege anzubieten, insbesondere eine oder alle der nachstehend aufgeführten Formen der Teilnahme: a) eine Direktübertragung der Hauptversammlung; b) eine Zweiweg-Direktverbindung, die dem Aktionär die Möglichkeit gibt, sich von einem entfernten Ort aus an die Hauptversammlung zu wenden; c) ein Verfahren, das die Ausübung des Stimmrechts vor oder während der Hauptversammlung ermöglicht, ohne dass ein Vertreter ernannt werden muss, der bei der Hauptversammlung persönlich anwesend ist. (2) Werden elektronische Mittel eingesetzt, um Aktionären die Teilnahme an der Hauptversammlung zu ermöglichen, so darf ihr Einsatz nur solchen Anforderungen oder Beschränkungen unterworfen werden, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre und zur Gewährleistung der Sicherheit der elektronischen Kommunikation erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie sie diesen Zwecken angemessen sind. Rechtsvorschriften über den Entscheidungsprozess in der Gesellschaft zur Einführung oder Anwendung einer Form der Teilnahme auf elektronischem Wege, die die Mitgliedstaaten bereits erlassen haben oder möglicherweise noch erlassen, bleiben hiervon unberührt. Art. 9 Fragerecht (1) Jeder Aktionär hat das Recht, Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung der Hauptversammlung zu stellen. Die Gesellschaft beantwortet die an sie gestellten Fragen der Aktionäre. (2) Fragerecht und Antwortpflicht bestehen vorbehaltlich etwaiger Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten ergreifen oder den Gesellschaften zu ergreifen gestatten, um die Feststellung der Identität der Aktionäre, den ordnungsgemäßen Ablauf von Hauptversammlungen und ihre ordnungsgemäße Vorbereitung sowie den Schutz der Vertraulichkeit und der Geschäftsinteressen der Gesellschaften zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten können den Gesellschaften gestatten, auf Fragen gleichen Inhalts eine Gesamtantwort zu geben. Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass eine Frage als beantwortet gilt, wenn die entsprechende Information bereits in Form von Frage und Antwort auf der Internetseite der Gesellschaft verfügbar ist. 1008

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Art. 10 Stimmrechtsvertretung (1) Jeder Aktionär hat das Recht, eine andere natürliche oder juristische Person zum Vertreter zu bestellen, damit diese Person in seinem Namen an der Hauptversammlung teilnimmt und sein Stimmrecht ausübt. Der Vertreter hat in der Hauptversammlung dieselben Rechte auf Wortmeldung und Fragestellung wie der Aktionär, den er vertritt. Mit Ausnahme der Anforderung, dass der Vertreter geschäftsfähig sein muss, heben die Mitgliedstaaten alle Rechtsvorschriften auf, die Einschränkungen in Bezug auf die Personen vorsehen, die als Vertreter bestellt werden können, oder es Gesellschaften ermöglichen, solche Einschränkungen vorzusehen. (2) Die Mitgliedstaaten können die Bestellung eines Vertreters auf eine einzige Versammlung oder auf innerhalb eines bestimmten Zeitraums stattfindende Versammlungen beschränken. Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 5 können die Mitgliedstaaten die Zahl der Personen begrenzen, die ein Aktionär je Hauptversammlung als Vertreter bestellen darf. Hält ein Aktionär Aktien einer Gesellschaft in mehr als einem Wertpapierdepot, so hindert eine solche Begrenzung den Aktionär jedoch nicht daran, für die in jedem einzelnen Wertpapierdepot gehaltenen Aktien jeweils einen eigenen Vertreter für jede Hauptversammlung zu bestellen. Diese Bestimmung lässt Regelungen nach dem anwendbaren Recht unberührt, wonach für Aktien im Besitz desselben Aktionärs nicht unterschiedliche Stimmen abgegeben werden dürfen. (3) Mit Ausnahme der in den Absätzen 1 und 2 ausdrücklich zugelassenen Beschränkungen dürfen die Mitgliedstaaten die Ausübung der Rechte der Aktionäre durch Vertreter zu keinem anderen Zweck beschränken oder den Gesellschaften gestatten, diese zu beschränken, als zur Regelung möglicher Interessenkonflikte zwischen dem Vertreter und dem Aktionär, in dessen Interesse der Vertreter zu handeln hat; dabei dürfen die Mitgliedstaaten ausschließlich die folgenden Anforderungen stellen: a) die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass der Vertreter bestimmte Tatsachen offen legt, die für den Aktionär für die Beurteilung der Gefahr, dass der Vertreter andere Interessen als die des Aktionärs verfolgen könnte, von Bedeutung sein können; b) die Mitgliedstaaten können die Ausübung der Rechte der Aktionäre durch Vertreter beschränken oder ausschließen, wenn der Vertreter nicht für jeden Beschluss, zu dem er für den Aktionär abstimmen soll, konkrete Abstimmungsanweisungen hat; c) die Mitgliedstaaten können die Übertragung der Vertretung auf eine andere Person beschränken oder ausschließen; handelt es sich bei dem Vertreter um eine juristische Person, so darf diese jedoch nicht daran gehindert werden, die ihr übertragenen Befugnisse durch ein Mitglied ihres Verwaltungsoder Leitungsorgans oder durch einen ihrer Beschäftigten auszuüben. 1009

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Ein Interessenkonflikt im Sinne dieses Absatzes kann insbesondere auftreten, wenn der Vertreter i) kontrollierender Aktionär der Gesellschaft oder ein anderer Rechtsträger ist, der von einem kontrollierenden Aktionär kontrolliert wird; ii) Mitglied des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans der Gesellschaft oder eines kontrollierenden Aktionärs oder eines kontrollierten Rechtsträgers im Sinne von Ziffer i ist; iii) Arbeitnehmer oder Abschlussprüfer der Gesellschaft oder eines kontrollierenden Aktionärs oder eines kontrollierten Rechtsträgers im Sinne von Ziffer i ist; iv) in einer familiären Beziehung zu einer der in den Ziffern i bis iii genannten natürlichen Personen steht. (4) Der Vertreter ist verpflichtet, entsprechend den Anweisungen des Aktionärs, der ihn bestellt hat, abzustimmen. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass Vertreter die Unterlagen über die Abstimmungsanweisungen für eine bestimmte Mindestdauer aufbewahren und auf Verlangen bestätigen müssen, dass diese Anweisungen ausgeführt wurden. (5) Eine als Vertreter handelnde Person kann eine Vertretung für mehr als einen Aktionär wahrnehmen, ohne dass es eine Beschränkung der Zahl der derart vertretenen Aktionäre gibt. Nimmt ein Vertreter die Vertretung mehrerer Aktionäre wahr, so muss das anwendbare Recht es ihm ermöglichen, für die von ihm vertretenen Aktionäre jeweils unterschiedlich abzustimmen. Art. 11 Förmlichkeiten der Bestellung des Vertreters und der Benachrichtigung über die Bestellung (1) Die Mitgliedstaaten gestatten den Aktionären, einen Vertreter auf elektronischem Wege zu bestellen. Ferner gestatten die Mitgliedstaaten den Gesellschaften, die Benachrichtigung über die Bestellung auf elektronischem Wege entgegenzunehmen, und stellen sicher, dass jede Gesellschaft ihren Aktionären mindestens eine wirksame Methode für die Benachrichtigung auf elektronischem Wege anbietet. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Bestellung der Vertreter und die Benachrichtigung über die Bestellung an die Gesellschaft in jedem Fall schriftlich erfolgen müssen. Neben dieser grundlegenden formalen Anforderung dürfen die Bestellung eines Vertreters, die Benachrichtigung über die Bestellung an die Gesellschaft und die Erteilung von etwaigen Abstimmungsanweisungen an den Vertreter lediglich den formalen Anforderungen unterworfen werden, die für die Feststellung der Identität von Aktionär und Vertreter beziehungsweise für die Möglichkeit einer Überprüfung des Inhalts der Abstimmungsanweisungen erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie die Anforderungen diesen Zwecken angemessen sind. 1010

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4.2

(3) Diese Bestimmungen gelten sinngemäß für den Widerruf der Bestellung eines Vertreters. Art. 12 Abstimmung per Brief Die Mitgliedstaaten gestatten den Gesellschaften, ihren Aktionären die Möglichkeit einzuräumen, per Brief vor der Hauptversammlung abzustimmen. Die Abstimmung per Brief darf lediglich solchen Anforderungen oder Beschränkungen unterworfen werden, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie sie diesem Zweck angemessen sind. Art. 13 Beseitigung bestimmter Hemmnisse, die einer tatsächlichen Ausübung des Stimmrechts im Wege stehen (1) Dieser Artikel findet Anwendung, wenn eine natürliche oder juristische Person, die nach dem anwendbaren Recht als Aktionär anerkannt ist, im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit für eine andere natürliche oder juristische Person (nachstehend „Klient“ genannt) tätig wird. (2) Sieht das anwendbare Recht Publizitätsanforderungen als Vorbedingung für die Ausübung des Stimmrechts durch einen Aktionär im Sinne des Absatzes 1 vor, so dürfen diese Anforderungen nicht über eine Liste hinausgehen, die die Identität eines jeden Klienten und die jeweilige Zahl von Aktien, aus denen für ihn das Stimmrecht ausgeübt wird, gegenüber der Gesellschaft offen legt. (3) Stellt das anwendbare Recht formale Anforderungen an die Ermächtigung eines Aktionärs im Sinne des Absatzes 1 zur Ausübung des Stimmrechts oder an Abstimmungsanweisungen auf, so dürfen diese Anforderungen nicht über das hinausgehen, was zur Feststellung der Identität des Klienten beziehungsweise für die Möglichkeit einer Überprüfung des Inhalts der Abstimmungsanweisungen erforderlich und diesen Zwecken angemessen ist. (4) Einem Aktionär im Sinne des Absatzes 1 ist es zu gestatten, für verschiedene Aktien unterschiedlich abzustimmen. (5) Ist die Zahl der Personen, die ein Aktionär gemäß Artikel 10 Absatz 2 als Vertreter bestellen kann, nach dem anwendbaren Recht begrenzt, so darf diese Begrenzung einen Aktionär im Sinne des Absatzes 1 des vorliegenden Artikel nicht daran hindern, jedem seiner Klienten oder einem Dritten, der von einem Klienten benannt wird, Vertretung zu gewähren. Art. 14 Abstimmungsergebnisse (1) Die Gesellschaft stellt für jeden Beschluss mindestens Folgendes fest: die Zahl der Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden, den Anteil des durch diese Stimmen vertretenen Aktienkapitals, die Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen und die Zahl der für einen Beschluss abgegebenen Stimmen und der Gegenstimmen sowie gegebenenfalls die Zahl der Enthaltungen. 1011

4.2

Aktionärsrechte-RL I 2007/36

Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen oder Gesellschaften erlauben vorzusehen, dass es — falls kein Aktionär eine umfassende Darstellung des Abstimmungsergebnisses verlangt — ausreicht, für jeden Beschluss festzustellen, dass die erforderliche Mehrheit erreicht wurde. (2) Innerhalb einer bestimmten in dem anwendbaren Recht festzulegenden Frist, die 15 Tage nach der Hauptversammlung nicht überschreiten darf, veröffentlicht die Gesellschaft die gemäß Absatz 1 festgestellten Abstimmungsergebnisse auf ihrer Internetseite. (3) Dieser Artikel berührt nicht die Rechtsvorschriften, die die Mitgliedstaaten zu den erforderlichen Formalitäten für das Wirksamwerden eines Beschlusses oder zu der Möglichkeit einer späteren rechtlichen Anfechtung des Abstimmungsergebnisses erlassen haben oder möglicherweise noch erlassen.

Kapitel III − Schlussbestimmungen Art. 15–17 Adressaten, Inkrafttreten und Umsetzungsfrist — nicht abgedruckt.

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4.3 Aktionärsrechte-RL II 2017/828

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION, gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44 und Artikel 95, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Kommission hat in ihrer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament vom 21. Mai 2003 mit dem Titel „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union — Aktionsplan“, die Auffassung vertreten, dass neue gezielte Initiativen eingeleitet werden sollten, um die Rechte der Aktionäre in börsennotierten Gesellschaften zu stärken, und dass die Probleme im Zusammenhang mit der Stimmrechtsausübung im Ausland dringend gelöst werden sollten. (2) In seiner Entschließung vom 21. April 20043 unterstützte das Europäische Parlament die Kommission in ihrer Absicht, die Rechte der Aktionäre insbesondere durch erweiterte Transparenzregeln, Vertretungsrechte bei der Ausübung des Stimmrechts, die Möglichkeit der Teilnahme an Hauptversammlungen auf elektronischem Wege sowie die Gewährleistung der grenzüberschreitenden Stimmrechtsausübung zu stärken. (3) Die Inhaber von Aktien, die mit Stimmrechten verbunden sind, sollten diese Rechte ausüben können, da sie sich in dem Preis niederschlagen, der für den Erwerb der Aktien zu zahlen ist. Darüber hinaus ist eine wirksame Kontrolle durch die Aktionäre eine Grundvoraussetzung für eine solide Unternehmensführung und sollte daher erleichtert und gefördert werden. Es ist deshalb notwendig, Maßnahmen zu erlassen, mit denen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu diesem Zweck angeglichen werden können. Hindernisse, die die Aktionäre von der Stimmabgabe abhalten, wie etwa Bestimmungen, die als Voraussetzung für die Ausübung der Stimmrechte die Sperrung der Aktien während eines bestimmten Zeitraums vor der Hauptversammlung verlangen, sollten beseitigt werden. Diese Richtlinie berührt indes nicht die Gemeinschaftsvorschriften über Anteile, die von Organismen für gemeinsame Anlagen ausgegeben, erworben oder veräußert werden. (4) Die geltenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften reichen zur Verwirklichung dieses Ziels nicht aus. Die Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen4 be-

* Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. 2017 L 132/1. 1 ABl. C 318 vom 23. 12. 2006, S. 42. 2 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 15. 2. 2007 (ABl. C 287 E vom 29. 11. 2007, S. 486) und Beschluss des Rates vom 12. 6. 2007. 3 ABl. C 104 E vom 30. 4. 2004, S. 714. 4 ABl. L 184 vom 6. 7. 2001, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2005/1/EG (ABl. L 79 vom 24. 3. 2005, S. 9). https://doi.org/10.1515/9783110667776-046

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handelt die Informationen, die die Emittenten dem Markt offen zu legen haben, und geht folglich nicht auf den Abstimmungsprozess der Aktionäre als solchen ein. Darüber hinaus schreibt die Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind,5 den Emittenten verbindlich vor, bestimmte Informationen und Dokumente, die für Hauptversammlungen von Bedeutung sind, zur Verfügung zu stellen; allerdings müssen solche Informationen und Dokumente im Herkunftsmitgliedstaat des Emittenten zur Verfügung gestellt werden. Daher sollten gewisse Mindestnormen zum Schutz der Anleger und zur Förderung einer reibungslosen und wirksamen Ausübung der mit Stimmrechtsaktien verbundenen Rechte der Aktionäre eingeführt werden. Bei anderen Rechten als dem Stimmrecht steht es den Mitgliedstaaten frei, die Anwendung dieser Mindestnormen auch auf stimmrechtslose Aktien auszudehnen, soweit dies nicht bereits der Fall ist. (5) Große Pakete von Aktien börsennotierter Gesellschaften werden von Aktionären gehalten, die nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Gebietsfremde Aktionäre sollten ihre Rechte in der Hauptversammlung ebenso leicht ausüben können wie Aktionäre, die in dem Mitgliedstaat wohnen, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Dies macht es erforderlich, die bestehenden Hindernisse beim Zugang gebietsfremder Aktionäre zu den für die Hauptversammlung relevanten Informationen und bei der Ausübung der Stimmrechte ohne persönliche Anwesenheit auf der Hauptversammlung zu beseitigen. Die Beseitigung dieser Hindernisse sollte auch den gebietsansässigen Aktionären zugute kommen, die bei der Hauptversammlung nicht anwesend sind oder sein können. (6) Die Aktionäre sollten in der Lage sein, unabhängig vom Ort ihres Wohnsitzes in der Hauptversammlung selbst oder davor in Kenntnis der Sachlage ihr Stimmrecht wahrzunehmen. Alle Aktionäre sollten genügend Zeit haben, um die der Hauptversammlung vorzulegenden Unterlagen zu prüfen und ihr Abstimmungsverhalten festzulegen. Deshalb sollte die Hauptversammlung rechtzeitig vorher anberaumt werden, und die Aktionäre sollten die vollständigen Informationen erhalten, die der Hauptversammlung vorgelegt werden sollen. Dazu sollten die Möglichkeiten genutzt werden, die die modernen Technologien für einen unmittelbaren Zugang zu Informationen bieten. Mit dieser Richtlinie wird vorausgesetzt, dass alle börsennotierten Gesellschaften bereits über eine Internetseite verfügen. (7) Grundsätzlich sollte es den Aktionären möglich sein, neue Punkte auf die Tagesordnung der Hauptversammlung setzen zu lassen und Beschlussvorlagen zu Tagesordnungspunkten einzubringen. Unbeschadet der unterschiedlichen Zeitrahmen und Modalitäten, die derzeit in der Gemeinschaft verwendet werden, sollte die Ausübung dieser Rechte zwei grundlegenden Regeln unterliegen: Die für die Ausübung dieser Rechte erforderliche Mindestbeteiligung am Aktienkapital der Gesellschaft sollte nicht höher als 5 % sein, und alle Aktionäre sollten in jedem Fall so rechtzeitig die endgültige Fassung der Tagesordnung erhalten, dass sie ihre Beiträge und die Stimmabgabe zu allen Tagesordnungspunkten vorbereiten können.

5 ABl. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38.

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(8) Jeder Aktionär sollte grundsätzlich die Möglichkeit haben, Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung der Hauptversammlung zu stellen und Antworten auf diese Fragen zu erhalten; die Vorschriften darüber, wie und wann Fragen zu stellen und Antworten zu geben sind, sollten jedoch die Mitgliedstaaten festlegen können. (9) Es sollte keine rechtlichen Hindernisse für Gesellschaften geben, ihren Aktionären die Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege zu ermöglichen. Die Ausübung des Stimmrechts ohne persönliche Anwesenheit auf der Hauptversammlung — ob per Brief oder auf elektronischem Wege — sollte an keine weiteren Bedingungen als die Überprüfung der Identität und die Gewährleistung der Sicherheit der Kommunikation geknüpft sein. Allerdings sollte es den Mitgliedstaaten unbenommen bleiben, Vorschriften zu erlassen um sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Abstimmung die Absichten der Aktionäre unter allen Umständen widerspiegeln, und zwar auch Vorschriften für den Fall, dass neue Umstände auftreten oder bekannt werden, nachdem ein Aktionär sein Stimmrecht per Brief oder auf elektronischem Wege ausgeübt hat. (10) Eine gute Unternehmensführung erfordert reibungslose und wirksame Verfahren für die Stimmrechtsvertretung. Bestehende Beschränkungen und Zwänge, die eine Stimmrechtsvertretung schwerfällig und kostspielig machen, sollten daher beseitigt werden. Eine gute Unternehmensführung erfordert aber auch angemessene Schutzvorkehrungen gegen einen möglichen Missbrauch der Stimmrechtsvertretung. Der Vertreter sollte daher verpflichtet sein, Anweisungen, die der Aktionär ihm erteilt hat, zu befolgen, und die Mitgliedstaaten sollten geeignete Maßnahmen ergreifen können um zu gewährleisten, dass der Vertreter keine anderen Interessen verfolgt als die des Aktionärs, unabhängig davon, aus welchen Gründen der Interessenkonflikt zustande kam. Maßnahmen gegen einen möglichen Missbrauch können insbesondere in Regelungen bestehen, die die Mitgliedstaaten annehmen, um die Tätigkeit von Personen zu regeln, die sich aktiv um die Sammlung von Vertretungen bemühen oder die mehr als eine bestimmte wesentliche Anzahl von Vertretungen gesammelt haben; solche Regelungen sollten insbesondere ein angemessenes Maß an Zuverlässigkeit und Transparenz gewährleisten. Nach dieser Richtlinie haben Aktionäre ein uneingeschränktes Recht, solche Personen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Stimmabgabe in ihrem Namen zu bestellen. Allerdings berührt diese Richtlinie nicht Vorschriften oder Sanktionen, die die Mitgliedstaaten auf solche Personen anwenden, wenn Abstimmungen unter betrügerischer Verwendung gesammelter Stimmrechte erfolgen. Ferner verpflichtet diese Richtlinie die Gesellschaften nicht zu überprüfen, ob Vertreter entsprechend den Anweisungen der Aktionäre, von denen sie bestellt wurden, abstimmen. (11) Sind Finanzintermediäre zwischengeschaltet, so hängt die Wirksamkeit der weisungsgebundenen Abstimmung weitgehend davon ab, ob die Kette der Intermediäre funktioniert, da die Investoren meist die mit ihren Aktien verbundenen Stimmrechte nur dann ausüben können, wenn alle Intermediäre dieser Kette, auch wenn sie selbst möglicherweise kein wirtschaftliches Interesse an den Aktien haben, zusammenarbeiten. Damit die Investoren ihre Stimmrechte grenzüberschreitend ausüben können, ist es daher wichtig, dass die Intermediäre die Ausübung dieser Rechte erleichtern. Diesem Aspekt sollte die Kommission zusätzlich Rechnung tragen, indem sie eine Empfehlung abgibt um sicherzustellen, dass die Investoren Zugang zu wirksamen Abstimmungsdiensten erhalten und dass die Stimmrechte ihren Weisungen entsprechend ausgeübt werden. (12) Obwohl der Zeitpunkt der Offenlegung von vor der Hauptversammlung per Brief oder auf elektronischem Wege abgegebenen Stimmen gegenüber dem Verwaltungs-, Leitungs-

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oder Aufsichtsorgan oder der Öffentlichkeit eine wichtige Angelegenheit der Unternehmensführung ist, kann er vom Mitgliedstaat festgelegt werden. (13) Die Abstimmungsergebnisse sollten mit Methoden festgestellt werden, die die von den Aktionären geäußerten Abstimmungsabsichten widerspiegeln, und sie sollten nach der Hauptversammlung zumindest auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlicht werden. (14) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich es den Aktionären zu gestatten, ihre Stimmrechte in der Gemeinschaft tatsächlich geltend zu machen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahmen besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (15) Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung6 sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Gegenstand und Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie legt die Anforderungen an die Ausübung bestimmter, mit Stimmrechtsaktien verbundener Rechte von Aktionären im Zusammenhang mit Hauptversammlungen von Gesellschaften fest, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel an einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind. Sie legt außerdem besondere Anforderungen fest, um die — insbesondere langfristige — Mitwirkung der Aktionäre zu fördern. Diese besonderen Anforderungen gelten für die Identifizierung der Aktionäre, die Informationsübermittlung, die Erleichterung der Ausübung der Aktionärsrechte, die Transparenz bei institutionellen Anlegern, Vermögensverwaltern und Stimmrechtsberatern, die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung und Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen. (2) Für die Regelung der in dieser Richtlinie erfassten Bereiche ist derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat; Bezugnahmen auf „das anwendbare Recht“ sind Bezugnahmen auf die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.

6 ABl. C 321 vom 31. 12. 2003, S. 1.

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Für die Zwecke der Anwendung des Kapitels Ib gilt der folgende Mitgliedstaat als zuständiger Mitgliedstaat: a) für institutionelle Anleger und Vermögensverwalter der Herkunftsmitgliedstaat im Sinne eines anwendbaren sektorspezifischen Rechtsakts der Union; b) für Stimmrechtsberater der Mitgliedstaat, in dem dieser seinen Sitz hat, oder, wenn er seinen Sitz nicht in einem Mitgliedstaat hat, der Mitgliedstaat, in dem der Stimmrechtsberater seine Hauptverwaltung hat, oder, wenn der Stimmrechtsberater weder seinen Sitz noch seine Hauptverwaltung in einem Mitgliedstaat hat, der Mitgliedstaat, in dem der Stimmrechtsberater eine Niederlassung hat. (3) Die Mitgliedstaaten können folgende Arten von Gesellschaften von dieser Richtlinie ausnehmen: a) Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates7; b) Organismen für gemeinsame Anlagen im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates8; c) Genossenschaften. (3a) Die in Absatz 3 genannten Gesellschaften dürfen nicht von den in Kapitel Ib festgelegten Bestimmungen ausgenommen werden. (4) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die vorliegende Richtlinie im Fall eines Rückgriffs auf die in Titel IV der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates9 vorgesehenen Abwicklungsinstrumente, -befugnisse und -mechanismen nicht angewandt wird. (5) Kapitel Ia gilt für Intermediäre insofern, als sie Aktionären und anderen Intermediären Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien von Gesellschaften

7 Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)(ABl. L 302 vom 17. 11. 2009, S. 32). 8 Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010 (ABl. L 174 vom 1. 7. 2011, S. 1). 9 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 82/891/EWG, 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/ 25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EG, 2012/30/EU und 2013/36/EU des Rates sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 190).

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erbringen, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind. (6) Kapitel Ib gilt für a) institutionelle Anleger, soweit diese entweder direkt oder über einen Vermögensverwalter in Aktien investieren, die auf einem geregelten Markt gehandelt werden, b) Vermögensverwalter, soweit diese im Namen von Anlegern in solche Aktien investieren, und c) Stimmrechtsberater, soweit diese Aktionären Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien von Gesellschaften erbringen, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind. (7) Die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten unbeschadet der Bestimmungen sektorspezifischer Rechtsakte der Union zur Regulierung bestimmter Arten von Gesellschaften oder bestimmter Arten von Rechtssubjekten. Enthält diese Richtlinie spezifischere Regelungen oder fügt sie Anforderungen gegenüber den Bestimmungen, die in sektorspezifischen Rechtsakten der Union festgelegt sind, hinzu, werden die betreffenden Bestimmungen zusammen mit den Bestimmungen dieser Richtlinie angewandt. Art. 2 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) „Geregelter Markt“ bezeichnet einen geregelten Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 21 der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates10; b) „Aktionär“ bezeichnet die natürliche oder juristische Person, die nach dem anwendbaren Recht als Aktionär anerkannt ist; c) „Vertretung“ bezeichnet die durch einen Aktionär einer natürlichen oder juristischen Person erteilte Befugnis, in der Hauptversammlung in seinem Namen einen Teil oder sämtliche seiner Rechte als Aktionär wahrzunehmen. d) „Intermediär“ bezeichnet eine Person, wie etwa eine Wertpapierfirma im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 1 der Richtlinie 2014/65/EU, ein Kreditinstitut im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung (EU)

10 Finanzmarkt-RL II, in dieser Sammlung Nr. 2.19.

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4.3

Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates11 und ein Zentralverwahrer im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates,12 die Dienstleistungen der Verwahrung von Wertpapieren, der Verwaltung von Wertpapieren oder der Führung von Depotkonten im Namen von Aktionären oder anderen Personen erbringt; e) „institutioneller Anleger“ bezeichnet i) ein Unternehmen, das Tätigkeiten der Lebensversicherung im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 Buchstaben a, b und c der Richtlinie 2009/138/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates13 und der Rückversicherung im Sinne von Artikel 13 Nummer 7 der genannten Richtlinie ausübt, sofern diese Tätigkeiten sich auf Lebensversicherungsverpflichtungen beziehen, und das nicht nach der genannten Richtlinie ausgeschlossen ist; ii) eine Einrichtung der betrieblichen Altersversorgung, die gemäß Artikel 2 der Richtlinie (EU) 2016/2341 des Europäischen Parlaments und des Rates14 in deren Anwendungsbereich fällt, es sei denn, ein Mitgliedstaat hat im Einklang mit Artikel 5 der genannten Richtlinie beschlossen, die genannte Richtlinie auf die betreffende Einrichtung nicht oder nur teilweise anzuwenden; f) „Vermögensverwalter“ bezeichnet eine Wertpapierfirma gemäß Artikel 4 Absatz 1 Nummer 1 der Richtlinie 2014/65/EU, die Portfolioverwaltungsdienstleistungen für Anleger erbringt, einen AIFM (Verwalter alternativer Investmentfonds) im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2011/61/EU, der die Bedingungen für eine Ausnahme gemäß Artikel 3 der genannten Richtlinie nicht erfüllt, oder eine Verwaltungsgesellschaft im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2009/65/EG, oder

11 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 1). 12 Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/ EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 (ABl. L 257 vom 28. 8. 2014, S. 1). 13 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. L 335 vom 17. 12. 2009, S. 1). 14 Richtlinie (EU) 2016/2341 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) (ABl. L 354 vom 23. 12. 2016, S. 37).

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eine gemäß der Richtlinie 2009/65/EG zugelassene Investmentgesellschaft, sofern diese keine gemäß der genannten Richtlinie für ihre Verwaltung zugelassene Verwaltungsgesellschaft benannt hat; g) „Stimmrechtsberater“ bezeichnet eine juristische Person, die gewerbsmäßig und entgeltlich Offenlegungen durch Gesellschaften und gegebenenfalls andere Informationen börsennotierter Gesellschaften analysiert, um Anleger für ihre Abstimmungsentscheidungen zu informieren, indem sie Recherchen, Beratungen oder Stimmempfehlungen in Bezug auf die Ausübung von Stimmrechten erteilt; h) der Begriff „nahestehende Unternehmen und Personen“ hat dieselbe Bedeutung wie nach den internationalen Rechnungslegungsstandards, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates15 übernommen wurden; i) „Mitglied der Unternehmensleitung“ bezeichnet i) jedes Mitglied des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans einer Gesellschaft; ii) wenn sie nicht Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane einer Gesellschaft sind, den Exekutivdirektor und, falls eine solche Funktion in einer Gesellschaft besteht, den stellvertretenden Exekutivdirektor; iii) sofern von einem Mitgliedstaat so festgelegt, andere Personen, die Funktionen wahrnehmen, die denjenigen ähneln, die nach den Ziffern i oder ii wahrgenommen werden; j) „Informationen über die Identität von Aktionären“ bezeichnet Informationen, die es ermöglichen, die Identität eines Aktionärs festzustellen, wozu zumindest Folgendes gehört: i) Name und Kontaktdaten (einschließlich vollständiger Anschrift und gegebenenfalls E-Mail-Adresse) des Aktionärs und, wenn es sich um eine juristische Person handelt, ihre Registernummer oder, wenn keine Registriernummer verfügbar ist, ihre eindeutige Kennung, wie etwa die Rechtsträgerkennung, ii) die Anzahl der gehaltenen Aktien und, iii) nur soweit dies von der Gesellschaft angefordert wird, eine oder mehrere der folgenden Angaben: die Kategorien oder Gattungen der gehaltenen Aktien oder das Datum, ab dem die Aktien gehalten werden.

15 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards (ABl. L 243 vom 11. 9. 2002, S. 1).

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Art. 3 Weitere Maßnahmen auf nationaler Ebene Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, weitere Verpflichtungen für Gesellschaften einzuführen oder sonst weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausübung der in dieser Richtlinie genannten Rechte durch die Aktionäre zu erleichtern.

Kapitel Ia – Identifizierung der Aktionäre, Übermittlung von Informationen und Erleichterung der Ausübung von Aktionärsberichten Art. 3a Identifizierung der Aktionäre (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Gesellschaften das Recht haben, ihre Aktionäre zu identifizieren. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Gesellschaften mit Sitz in ihrem Hoheitsgebiet Angaben zur Identität nur von solchen Aktionären einholen dürfen, die mehr als einen bestimmten Prozentsatz an Aktien oder Stimmrechten halten. Dieser Prozentsatz darf 0,5 % nicht überschreiten. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Intermediäre der Gesellschaft auf deren Antrag oder auf Antrag eines von der Gesellschaft benannten Dritten hin unverzüglich die Informationen über die Identität von Aktionären übermitteln. (3) Gibt es in einer Kette von Intermediären mehr als einen Intermediär, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Antrag der Gesellschaft oder eines von der Gesellschaft benannten Dritten zwischen den Intermediären unverzüglich übermittelt wird und dass die Informationen über die Identität von Aktionären direkt der Gesellschaft oder einem von der Gesellschaft benannten Dritten von demjenigen Intermediär unverzüglich übermittelt wird, der über die angeforderten Informationen verfügt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Gesellschaft Informationen über die Identität von Aktionären von jedem Intermediär in der Kette, der über die Informationen verfügt, erhalten kann. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Gesellschaft von dem Zentralverwahrer oder einem anderen Intermediär oder Dienstleistungserbringer verlangen kann, die Informationen über die Identität von Aktionären, auch von Intermediären in der Kette von Intermediären, einzuholen und die Informationen der Gesellschaft zu übermitteln. Die Mitgliedstaaten können darüber hinaus vorsehen, dass der Intermediär auf Verlangen der Gesellschaft oder eines von der Gesellschaft benannten Dritten der Gesellschaft unverzüglich die Angaben zu dem nächsten Intermediär in der Kette von Intermediären bekannt zu geben hat. (4) Die personenbezogene Daten der Aktionäre werden gemäß diesem Artikel verarbeitet, um die Gesellschaft in die Lage zu versetzen, ihre derzeitigen Aktionäre zu identifizieren, um direkt mit diesen zu kommunizieren, damit die Aus1021

4.3

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übung von Aktionärsrechten und die Zusammenarbeit der Aktionäre mit der Gesellschaft erleichtert werden. Unbeschadet längerer, in einem sektorspezifischen Rechtsakt der Union festgelegter Speicherfristen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Gesellschaften und Intermediäre die personenbezogenen Daten der Aktionäre, die ihnen gemäß diesem Artikel für die in diesem Artikel angegebenen Zwecke übermittelt wurden, nicht länger als zwölf Monate, nachdem sie erfahren haben, dass die betreffende Person nicht mehr Aktionär ist, speichern. Die Mitgliedstaaten können durch Rechtsvorschriften eine Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Aktionäre zu anderen Zwecken vorsehen. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass juristische Personen ein Recht auf Berichtigung unvollständiger oder unrichtiger Angaben zu ihrer Identität als Aktionäre haben. (6) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Offenlegung von Informationen über die Identität von Aktionären gemäß den Bestimmungen dieses Artikels durch einen Intermediär nicht als Verstoß gegen Verbote bezüglich der Offenlegung von Informationen, die sich aus einem Vertrag oder einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift ergeben, betrachtet wird. (7) Bis zum 10. Juni 2019 informieren die Mitgliedstaaten die Europäische Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde) (ESMA), die mit der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates16 eingerichtet wurde, darüber, ob sie die Identifizierung von Aktionären auf diejenigen Aktionäre beschränkt haben, die gemäß Absatz 1 mehr als einen bestimmten Prozentsatz der Aktien oder Stimmrechte halten, und, falls dies der Fall ist, über den anwendbaren Prozentsatz. Die ESMA veröffentlicht diese Angaben auf ihrer Website. (8) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, Durchführungsrechtsakte zur Präzisierung der Mindestanforderungen für die Übermittlung der in Absatz 2 genannten Informationen in Bezug auf das Format dieser zu übermittelnden Informationen, das Format des Antrags, einschließlich ihrer Sicherheit und Interoperabilität, sowie der einzuhaltenden Fristen zu erlassen. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 14a Absatz 2 genannten Prüfverfahren bis zum 10. September 2018 erlassen. Art. 3b Übermittlung von Informationen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Intermediäre verpflichtet sind, unverzüglich die folgenden Infor16 Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 84).

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mationen seitens der Gesellschaft an den Aktionär oder an einen vom Aktionär benannten Dritten zu übermitteln: a) die Informationen, die die Gesellschaft dem Aktionär erteilen muss, damit der Aktionär aus seinen Aktien erwachsende Rechte ausüben kann, und die für alle Aktionäre bestimmt sind, die Aktien der betreffenden Gattung halten, oder b) wenn die Informationen gemäß Buchstabe a den Aktionären auf der Website der Gesellschaft zur Verfügung stehen, eine Mitteilung, in der angegeben wird, wo diese Informationen auf der Website der Gesellschaft gefunden werden können. (2) Die Mitgliedstaaten verpflichten die Gesellschaften, den Intermediären die Informationen nach Absatz 1 Buchstabe a oder die Mitteilung nach Absatz 1 Buchstabe b rechtzeitig und in standardisierter Form zu liefern. (3) Die Mitgliedstaaten sehen nicht vor, dass Informationen nach Absatz 1 Buchstabe a oder die Mitteilung nach Absatz 1 Buchstabe b im Einklang mit den Absätzen 1 und 2 übermittelt oder weitergeleitet werden, wenn Gesellschaften diese Informationen oder diese Mitteilung direkt allen ihren Aktionären oder einem vom Aktionär benannten Dritten übermitteln. (4) Die Mitgliedstaaten verpflichten Intermediäre, den Gesellschaften unverzüglich die von den Aktionären erhaltenen Informationen im Zusammenhang mit der Ausübung der mit den Aktien verbundenen Rechte zu übermitteln, im Einklang mit den Anweisungen der Aktionäre. (5) Gibt es in einer Kette von Intermediären mehr als einen Intermediär, werden die Informationen gemäß den Absätzen 1 und 4 unverzüglich von einem Intermediär zum nächsten weitergeleitet, es sei denn, die Informationen können vom Intermediär direkt der Gesellschaft oder dem Aktionär oder einem vom Aktionär benannten Dritten übermittelt werden. (6) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, Durchführungsrechtsakte zur Präzisierung der Mindestanforderungen für die Übermittlung der Informationen gemäß den Absätzen 1 bis 5 in Bezug auf die Art und das Format der zu übermittelnden Informationen, einschließlich ihrer Sicherheit und Interoperabilität, sowie der einzuhaltenden Fristen zu erlassen. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 14a Absatz 2 genannten Prüfverfahren bis zum 10. September 2018 erlassen. Art. 3c Erleichterung der Ausübung von Aktionärsrechten (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Intermediäre die Ausübung der Rechte durch den Aktionär, einschließlich des Rechts auf Teilnahme an und Stimmabgabe in Hauptversammlungen, durch mindestens eine der folgenden Maßnahmen erleichtern: 1023

4.3

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a) Der Intermediär trifft die erforderlichen Vorkehrungen, damit der Aktionär oder ein vom Aktionär benannter Dritter die Rechte selbst ausüben kann; b) der Intermediär übt die mit den Aktien verbundenen Rechte mit ausdrücklicher Genehmigung und gemäß den Anweisungen des Aktionärs zu dessen Gunsten aus. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei einer elektronischen Stimmabgabe eine elektronische Bestätigung des Eingangs der Stimmen der Person übermittelt wird, die die Stimme abgegeben hat. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Aktionär oder ein vom Aktionär benannter Dritter nach der Hauptversammlung zumindest auf Anforderung eine Bestätigung erhalten kann, dass seine Stimmen von der Gesellschaft wirksam aufgezeichnet und gezählt wurden, es sei denn, diese Informationen stehen ihm bereits zur Verfügung. Die Mitgliedstaaten können eine Frist für die Anforderung einer solchen Bestätigung festlegen. Diese Frist darf nicht länger als drei Monate ab dem Tag der Abstimmung betragen. Erhält der Intermediär eine Bestätigung nach Unterabsatz 1 oder Unterabsatz 2, übermittelt er sie unverzüglich dem Aktionär oder einem vom Aktionär benannten Dritten. Gibt es in einer Kette von Intermediären mehr als einen Intermediär, wird die Bestätigung unverzüglich von einem Intermediär zum nächsten weitergeleitet, es sei denn, die Bestätigung kann direkt dem Aktionär oder einem vom Aktionär benannten Dritten übermittelt werden. (3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, Durchführungsrechtsakte zur Präzisierung der Mindestanforderungen zur Erleichterung der Ausübung von Aktionärsrechten gemäß den Absätzen 1 und 2 dieses Artikels in Bezug auf die Arten der Erleichterung, das Format der elektronischen Bestätigung des Eingangs der Stimmen, das Format der Übermittlung der Bestätigung, dass die Stimmen über die Kette von Intermediären wirksam aufgezeichnet und gezählt wurden, einschließlich ihrer Sicherheit und Interoperabilität, sowie die einzuhaltenden Fristen zu erlassen. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 14a Absatz 2 genannten Prüfverfahren bis zum 10. September 2018 erlassen. Art. 3d Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz der Kosten (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Intermediäre jegliche für gemäß diesem Kapitel erbrachte Dienstleistungen einschlägigen Entgelte für jede Dienstleistung einzeln offenlegen. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jegliche Entgelte, die von einem Intermediär von den Aktionären, Gesellschaften oder von anderen Intermediären verlangt werden, diskriminierungsfrei und im Verhältnis zu den tatsächlichen Kosten, die für die Erbringung der Dienstleistungen entstanden sind, angemes1024

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sen sind. Unterschiede zwischen den Entgelten für die Ausübung von Rechten im Inland und in grenzüberschreitenden Fällen sind nur zulässig, wenn sie entsprechend gerechtfertigt sind und den Unterschieden bei den tatsächlichen Kosten, die für die Erbringung der Dienstleistungen entstanden sind, entsprechen. (3) Die Mitgliedstaaten können Intermediären untersagen, Entgelte für die gemäß diesem Kapitel erbrachten Dienstleistungen zu verlangen. Art. 3e Intermediäre aus Drittländern Dieses Kapitel gilt auch für Intermediäre, die weder ihren Sitz noch ihre Hauptverwaltung in der Union haben, wenn sie Dienstleistungen nach Artikel 1 Absatz 5 erbringen. Art. 3f Informationen über die Durchführung (1) Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission über wesentliche praktische Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Bestimmungen dieses Kapitels oder Nichteinhaltung der Bestimmungen dieses Kapitels durch Intermediäre aus der Union oder aus Drittländern. (2) Die Kommission legt in enger Zusammenarbeit mit der ESMA und der durch die Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates17 eingerichteten Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Durchführung dieses Kapitels vor, einschließlich seiner Wirksamkeit sowie Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung und Durchsetzung. Dabei berücksichtigt sie einschlägige Marktentwicklungen auf der Ebene der Union und auf internationaler Ebene. Der Bericht befasst sich auch mit der Frage, ob der Anwendungsbereich dieses Kapitels in Bezug auf Intermediäre aus Drittländern angemessen ist. Die Kommission veröffentlicht den Bericht bis zum 10. Juni 2023.

Kapitel Ib– Transparenz bei institutionellen Anlegern, bei Vermögensverwaltern und bei Stimmrechtsberatern Art. 3g Mitwirkungspolitik (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass institutionelle Anleger und Vermögensverwalter entweder die Anforderungen nach den

17 Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 12).

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Buchstaben a und b erfüllen oder eine unmissverständliche und mit Gründen versehene Erklärung öffentlich bekannt geben, warum sie sich dafür entschieden haben, eine oder mehrere dieser Anforderungen nicht zu erfüllen. a) Institutionelle Anleger und Vermögensverwalter arbeiten eine Mitwirkungspolitik aus und machen sie öffentlich bekannt, in der beschrieben wird, wie sie die Mitwirkung der Aktionäre in ihre Anlagestrategie integrieren. In der Politik wird beschrieben, wie sie die Gesellschaften, in die sie investiert haben, hinsichtlich wichtiger Angelegenheiten überwachen, auch in Bezug auf Strategie, finanzielle und nicht finanzielle Leistung und Risiko, Kapitalstruktur, soziale und ökologische Auswirkungen und Corporate Governance, wie sie Dialoge mit Gesellschaften führen, in die sie investiert haben, wie sie Stimmrechte und andere mit Aktien verbundene Rechte ausüben, wie sie mit anderen Aktionären zusammenarbeiten, wie sie mit einschlägigen Interessenträgern der Gesellschaften, in die sie investiert haben, kommunizieren und wie sie mit tatsächlichen und potenziellen Interessenkonflikten im Zusammenhang mit ihrem Engagement umgehen. b) Institutionelle Anleger und Vermögensverwalter machen jährlich öffentlich bekannt, wie ihre Mitwirkungspolitik umgesetzt wurde, einschließlich einer allgemeinen Beschreibung ihres Abstimmungsverhaltens, einer Erläuterung der wichtigsten Abstimmungen und ihres Rückgriff auf die Dienste von Stimmrechtsberatern. Sie machen öffentlich bekannt, wie sie Stimmen in Hauptversammlungen von Gesellschaften abgegeben haben, an denen sie Aktien halten. Von einer solchen Bekanntmachung können Abstimmungen ausgenommen werden, die wegen des Gegenstands der Abstimmung oder wegen des Umfangs der Beteiligung an der Gesellschaft unbedeutend sind. (2) Die in Absatz 1 genannten Informationen sind auf der Website des institutionellen Anlegers oder Vermögensverwalters kostenfrei verfügbar. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Informationen kostenfrei über andere Mittel veröffentlicht werden, die online problemlos zugänglich sind. Setzt ein Vermögensverwalter die Mitwirkungspolitik, einschließlich der Stimmabgabe, im Namen eines institutionellen Anlegers um, so verweist der institutionelle Anleger darauf, wo die betreffenden Informationen über die Stimmabgabe vom Vermögensverwalter veröffentlicht wurden. (3) Die für institutionelle Anleger und Vermögensverwalter geltenden Bestimmungen zu Interessenkonflikten, einschließlich Artikel 14 der Richtlinie 2011/ 61/EU, Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2009/65/EG und ihre jeweiligen Durchführungsbestimmungen sowie Artikel 23 der Richtlinie 2014/65/EU finden auch auf Mitwirkungstätigkeiten Anwendung. 1026

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4.3

Art. 3h Anlagestrategie institutioneller Anleger und Vereinbarungen mit Vermögensverwaltern (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass institutionelle Anleger öffentlich bekannt machen, inwieweit die Hauptelemente ihrer Anlagestrategie dem Profil und der Laufzeit ihrer Verbindlichkeiten, insbesondere langfristiger Verbindlichkeiten, entsprechen und wie sie zur mittel- bis langfristigen Wertentwicklung ihrer Vermögenswerte beitragen. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in dem Fall, dass ein Vermögensverwalter im Namen eines institutionellen Anlegers — sei es mit einem Ermessensspielraum im Rahmen eines Einzelkundenmandats oder im Rahmen eines Organismus für gemeinsame Anlagen — investiert, der institutionelle Anleger die folgenden Informationen über seine Vereinbarung mit dem Vermögensverwalter öffentlich bekannt macht: a) Wie durch die Vereinbarung mit dem Vermögensverwalter Anreize dafür geschaffen werden, dass der Vermögensverwalter seine Anlagestrategie und Anlageentscheidungen auf das Profil und die Laufzeit der Verbindlichkeiten, insbesondere langfristiger Verbindlichkeiten, des institutionellen Anlegers abstimmt; b) wie durch die Vereinbarung Anreize dafür geschaffen werden, dass der Vermögensverwalter Anlageentscheidungen auf der Grundlage einer Bewertung der mittel- bis langfristigen Entwicklung der finanziellen und nicht finanziellen Leistung der Gesellschaft, in die investiert werden soll, trifft und sich in die Gesellschaft einbringt, in die investiert wurde, um deren Leistung mittel- bis langfristig zu verbessern; c) wie die Methode und der maßgebliche Zeitraum für die Bewertung der Leistung des Vermögensverwalters und die Vergütung für Vermögensverwaltungsdienste dem Profil und der Laufzeit der Verbindlichkeiten, insbesondere langfristiger Verbindlichkeiten, des institutionellen Anlegers entsprechen und wie diese die langfristige Gesamtleistung berücksichtigen; d) wie der institutionelle Anleger die dem Vermögensverwalter entstandenen Portfolioumsatzkosten überwacht und wie er einen angestrebten Portfolioumsatz oder eine angestrebte Portfolio-Umsatzbandbreite festlegt und überwacht; e) die Laufzeit der Vereinbarung mit dem Vermögensverwalter. Sind eines oder mehrere dieser Elemente nicht in der Vereinbarung mit dem Vermögensverwalter enthalten, gibt der institutionelle Anleger eine unmissverständliche und mit Gründen versehene Erklärung, warum dies der Fall ist. (3) Die Informationen nach den Absätzen 1 und 2 dieses Artikels stehen auf der Website des institutionellen Anlegers kostenfrei zur Verfügung und werden jährlich aktualisiert, es sei denn, es gibt keine wesentliche Änderung. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diese Informationen kostenfrei über andere Mittel zur Verfügung stehen, die online problemlos zugänglich sind. 1027

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Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass institutionellen Anlegern, die durch die Richtlinie 2009/138/EG reguliert werden, gestattet wird, diese Informationen in ihren Bericht über Solvabilität und Finanzlage nach Artikel 51 der genannten Richtlinie aufzunehmen. Art. 3i Transparenz bei Vermögensverwaltern (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Vermögensverwalter institutionellen Anlegern gegenüber, mit denen sie eine Vereinbarung gemäß Artikel 3h geschlossen haben, jährlich offenlegen, wie ihre Anlagestrategie und deren Umsetzung mit dieser Vereinbarung in Einklang stehen und zur mittel- bis langfristigen Wertentwicklung der Vermögenswerte des institutionellen Anlegers oder des Fonds beitragen. Zu dieser Offenlegung gehört eine Berichterstattung über die mittel- bis langfristigen wesentlichen Hauptrisiken, die mit den Investitionen verbunden sind, über die Zusammensetzung des Portfolios, die Portfolioumsätze und die Portfolioumsatzkosten, über den Einsatz von Stimmrechtsberatern für die Zwecke von Mitwirkungstätigkeiten sowie über ihre Politik in Bezug auf die Wertpapierleihe und die Frage, wie sie gegebenenfalls angewendet wird, um ihre Mitwirkungstätigkeiten zu verwirklichen, insbesondere zur Zeit der Hauptversammlung der Gesellschaften, in die investiert wurde. Zu dieser Offenlegung gehören auch Informationen darüber, ob und gegebenenfalls wie sie Anlageentscheidungen auf der Grundlage einer Beurteilung der mittel- bis langfristigen Entwicklung der Leistung, einschließlich der nicht finanziellen Leistung, der Gesellschaft treffen, in die investiert wurde, und ob und gegebenenfalls welche Interessenskonflikte es im Zusammenhang mit den Mitwirkungstätigkeiten gab und wie die Vermögensverwalter mit diesen umgegangen sind. (2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Informationen nach Absatz 1 zusammen mit dem Jahresbericht gemäß Artikel 68 der Richtlinie 2009/65/EG oder Artikel 22 der Richtlinie 2011/61/EU oder mit den regelmäßigen Mitteilungen gemäß Artikel 25 Absatz 6 der Richtlinie 2014/65/EU offengelegt werden. Wenn die gemäß Absatz 1 offengelegten Informationen bereits öffentlich zugänglich sind, ist der Vermögensverwalter nicht verpflichtet, die Informationen institutionellen Anlegern direkt zur Verfügung zu stellen. (3) Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass in dem Fall, dass der Vermögensverwalter die Vermögenswerte nicht mit Ermessensspielraum im Rahmen eines Einzelkundenmandats verwaltet, die gemäß Absatz 1 offengelegten Informationen zumindest auf Anforderung auch anderen Anlegern desselben Fonds zur Verfügung gestellt werden. Art. 3j Transparenz bei Stimmrechtsberatern (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Stimmrechtsberater öffentlich auf einen Verhaltenskodex Bezug 1028

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nehmen, den sie anwenden, und über die Anwendung dieses Verhaltenskodex Bericht erstatten. Wenn Stimmrechtsberater keinen Verhaltenskodex anwenden, geben sie eine unmissverständliche und mit Gründen versehene Erklärung, warum dies der Fall ist. Wenn Stimmrechtsberater einen Verhaltenskodex anwenden, aber von einer seiner Empfehlungen abweichen, weisen sie darauf hin, von welchen Teilen sie abweichen, erläutern die Gründe hierfür und legen gegebenenfalls dar, welche Alternativmaßnahmen getroffen wurden. Die Informationen nach diesem Absatz werden auf den Websites der Stimmrechtsberater kostenfrei öffentlich zugänglich gemacht und jährlich aktualisiert. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Stimmrechtsberater zur angemessenen Information ihrer Kunden über die Richtigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Tätigkeiten jährlich zumindest alle folgenden Informationen im Zusammenhang mit der Vorbereitung ihrer Recherchen, Beratungen und Stimmempfehlungen öffentlich bekannt machen: a) Die wesentlichen Merkmale der von ihnen verwendeten Methoden und Modelle; b) ihre Hauptinformationsquellen; c) die eingerichteten Verfahren zur Sicherstellung der Qualität der Recherchen, Beratungen und Stimmempfehlungen sowie Qualifikationen der beteiligten Mitarbeiter; d) ob und gegebenenfalls wie sie nationale Marktbedingungen sowie rechtliche, regulatorische und unternehmensspezifische Bedingungen berücksichtigen; e) die wesentlichen Merkmale der verfolgten Stimmrechtspolitik für die einzelnen Märkte; f) ob sie einen Dialog mit den Gesellschaften, die ihre Recherchen, Beratungen und Stimmempfehlungen betreffen, und mit den Interessenträgern der Gesellschaft unterhalten und gegebenenfalls welchen Ausmaßes und welcher Art dieser Dialog ist; g) die Vorgehensweise im Hinblick auf die Vermeidung und Behandlung potenzieller Interessenkonflikte. Die Informationen nach diesem Absatz werden auf den Websites der Stimmrechtsberater öffentlich zugänglich gemacht und bleiben dort für mindestens drei Jahre ab Veröffentlichung kostenfrei zugänglich. Die Informationen müssen nicht gesondert offengelegt werden, wenn die Informationen als Teil der Offenlegung nach Absatz 1 zur Verfügung stehen. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Stimmrechtsberater tatsächliche oder potenzielle Interessenkonflikte oder Geschäftsbeziehungen, die die Vorbereitung ihrer Recherchen, Beratungen und Stimmempfehlungen beeinflussen 1029

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könnten, identifizieren und ihre Kunden unverzüglich darüber sowie über die Schritte, die sie zur Ausräumung, Milderung oder Behandlung dieser tatsächlichen oder potenziellen Interessenkonflikte unternommen haben, informieren. (4) Dieser Artikel gilt auch für Stimmrechtsberater, die weder ihren Sitz noch ihre Hauptverwaltung in der Union haben und ihre Tätigkeiten über eine Niederlassung in der Union ausüben. Art. 3k Überprüfung (1) Die Kommission legt dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Durchführung der Artikel 3g, 3h und 3i vor, einschließlich einer Beurteilung der Notwendigkeit, Vermögensverwaltern vorzuschreiben, bestimmte Informationen nach Artikel 3i öffentlich bekannt zu machen. Dabei berücksichtigt sie einschlägige Entwicklungen auf den Märkten der Union und auf den internationalen Märkten. Der Bericht wird bis zum 10. Juni 2022 veröffentlicht und gegebenenfalls durch Gesetzgebungsvorschläge ergänzt. (2) Die Kommission legt in enger Zusammenarbeit mit der ESMA dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Durchführung von Artikel 3j vor, in dem auch die Frage behandelt wird, ob sein Anwendungsbereich und seine Wirksamkeit angemessen sind und ob Regulierungsanforderungen für Stimmrechtsberater aufgestellt werden müssen. Dabei werden einschlägige Entwicklungen auf den Märkten der Union und auf den internationalen Märkten berücksichtigt. Der Bericht wird bis zum 10. Juni 2023 veröffentlicht und gegebenenfalls durch Gesetzgebungsvorschläge ergänzt.

Kapitel II − Hauptversammlungen Art. 4 Gleichbehandlung der Aktionäre Die Gesellschaft muss für alle Aktionäre, die sich bei der Teilnahme an der Hauptversammlung und der Ausübung der Stimmrechte in der Hauptversammlung in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen. Art. 5 Informationen vor der Hauptversammlung (1) Unbeschadet des Artikels 9 Absatz 4 und des Artikels 11 Absatz 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote18 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Gesellschaft die Einberufung der Hauptversammlung in einer der in Absatz 2 des vorliegenden

18 Übernahme-RL, in dieser Sammlung Nr. 4.14.

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4.3

Artikel genannten Formen spätestens am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung vornimmt. Sofern die Gesellschaft allen Aktionären gleichermaßen die Möglichkeit einer Stimmabgabe auf elektronischem Wege eröffnet, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Hauptversammlung der Aktionäre beschließen kann, dass die Gesellschaft die Einberufung einer Hauptversammlung, bei der es sich nicht um die Jahreshauptversammlung handelt, in einer der in Absatz 2 des vorliegenden Artikel genannten Formen spätestens am 14. Tag vor dem Tag der Versammlung vornimmt. Dieser Beschluss bedarf einer Mehrheit von nicht weniger als zwei Dritteln der Stimmen der vertretenen Aktien oder des vertretenen gezeichneten Kapitals und gilt nur für den Zeitraum bis zur nächsten Jahreshauptversammlung. Wird eine zweite oder eine weitere Hauptversammlung einberufen, weil auf die erste Einberufung hin das erforderliche Quorum nicht erreicht worden ist, brauchen die Mitgliedstaaten für diese Einberufung die in Unterabsatz 1 und 2 genannten Fristen nicht einzuhalten, vorausgesetzt, die Bestimmung dieses Artikels wurde bei der ersten Einberufung eingehalten, kein neuer Punkt wird auf die Tagesordnung gesetzt und zwischen der endgültigen Einberufung und dem Datum der Hauptversammlung liegen mindestens zehn Tage. (2) Unbeschadet weiterer, von dem zuständigen Mitgliedstaat im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 aufgestellter Anforderungen an die Mitteilung oder Veröffentlichung muss die Gesellschaft die in Absatz 1 des vorliegenden Artikel genannte Einberufung in einer Form vornehmen, die in nicht diskriminierender Weise einen schnellen Zugang zu ihr gewährleistet. Der Mitgliedstaat schreibt vor, dass die Gesellschaft auf Medien zurückgreifen muss, bei denen vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie die Informationen tatsächlich an die Öffentlichkeit in der gesamten Gemeinschaft weiterleiten. Der Mitgliedstaat darf jedoch nicht vorschreiben, dass lediglich Medien eingesetzt werden, deren Betreiber ihren Sitz in seinem Hoheitsgebiet haben. Der Mitgliedstaat braucht Unterabsatz 1 nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die in der Lage sind, die Namen und Anschriften ihrer Aktionäre aus einem aktuellen Aktionärsregister zu ermitteln, vorausgesetzt, die Gesellschaft ist dazu verpflichtet, jedem eingetragenen Aktionär die Einberufung zu übersenden. In keinem dieser Fälle darf die Gesellschaft besondere Gebühren für die Vornahme der Einberufung in der vorgeschriebenen Weise verlangen. (3) Die in Absatz 1 genannte Einberufung enthält zumindest die folgenden Informationen: a) die genaue Angabe von Ort und Zeitpunkt der Hauptversammlung sowie die vorgeschlagene Tagesordnung; 1031

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b) eine klare und genaue Beschreibung der Verfahren, die die Aktionäre einhalten müssen, um an der Hauptversammlung teilnehmen und ihr Stimmrecht ausüben zu können. Dazu gehören Angaben über i) die Rechte der Aktionäre gemäß Artikel 6 — soweit diese Rechte nach der Einberufung ausgeübt werden können — und gemäß Artikel 9 sowie die Fristen, bis zu denen diese Rechte ausgeübt werden können; die Einberufung kann sich auf die Angabe der Fristen, bis zu denen diese Rechte ausgeübt werden können, beschränken, sofern sie einen Hinweis darauf enthält, dass ausführliche Informationen über diese Rechte auf der Internetseite der Gesellschaft abrufbar sind; ii) das Verfahren für die Stimmabgabe durch Vertretung, insbesondere die dafür zu verwendenden Formulare, und die Methoden, wie der Gesellschaft Benachrichtigungen über die Bestellung von Vertretern auf elektronischem Wege übermittelt werden können, und iii) gegebenenfalls die Verfahren für die Stimmabgabe per Brief oder auf elektronischem Wege; c) gegebenenfalls den Nachweisstichtag im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 und die Erläuterung, dass nur die Personen berechtigt sind, an der Hauptversammlung teilzunehmen und ihr Stimmrecht auszuüben, die an diesem Stichtag Aktionäre sind; d) eine Angabe darüber, wo und wie der vollständige und ungekürzte Text der Unterlagen und Beschlussvorlagen nach Absatz 4 Buchstaben c und d erhältlich ist; e) die Internetseite, auf der die in Absatz 4 genannten Informationen abrufbar sind. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Gesellschaft ihren Aktionären während eines ununterbrochenen Zeitraums, der spätestens am 21. Tag vor der Hauptversammlung beginnt und mit dem Tag der Versammlung selbst endet, mindestens folgende Informationen auf ihrer Internetseite zur Verfügung stellt: a) die Einberufung nach Absatz 1; b) die Gesamtzahl der Aktien und der Stimmrechte zum Zeitpunkt der Einberufung (einschließlich getrennter Angaben zur Gesamtzahl für jede Aktiengattung, falls das Kapital der Gesellschaft in zwei oder mehr Aktiengattungen eingeteilt ist); c) die der Hauptversammlung vorzulegenden Unterlagen; d) eine Beschlussvorlage oder, wenn kein Beschluss gefasst werden soll, eine Erläuterung eines nach dem anwendbaren Recht zu benennenden zuständigen Organs der Gesellschaft zu jedem Punkt der vorgeschlagenen Tagesordnung der Hauptversammlung; ferner sind von Aktionären eingebrachte Beschlussvorlagen auf der Internetseite so bald wie möglich nach ihrem Eingang bei der Gesellschaft hinzuzufügen; 1032

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4.3

e) gegebenenfalls die Formulare, die bei Stimmabgabe durch Vertretung und bei Stimmabgabe per Brief zu verwenden sind, sofern diese Formulare nicht direkt an alle Aktionäre gesandt werden. Können die in Buchstabe e genannten Formulare aus technischen Gründen nicht im Internet zur Verfügung gestellt werden, so gibt die Gesellschaft auf ihrer Internetseite an, wie die Formulare in Papierform erhältlich sind. In diesem Fall muss die Gesellschaft die Formulare durch Postdienste und gebührenfrei an alle Aktionäre versenden, die es beantragen. Ergeht die Einberufung zur Hauptversammlung gemäß Artikel 9 Absatz 4 oder Artikel 11 Absatz 4 der Richtlinie 2004/25/EG oder gemäß Absatz 1 Unterabsatz 2 des vorliegenden Artikel erst nach dem 21. Tag vor der Versammlung, so verkürzt sich der im vorliegenden Absatz genannte Zeitraum entsprechend. (5) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass für die Zwecke der Richtlinie 2014/59/ EU die Hauptversammlung mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen gültigen Stimmen beschließen oder die Geschäftsordnung dahingehend ändern kann, dass eine Einberufung der Hauptversammlung zur Beschlussfassung über eine Kapitalerhöhung kurzfristiger als in Absatz 1 vorgesehen erfolgt, sofern die betreffende Versammlung nicht bereits innerhalb von zehn Kalendertagen nach ihrer Einberufung stattfindet, wenn die in den Artikeln 27 oder 29 der Richtlinie 2014/59/EU vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind und die Kapitalerhöhung erforderlich ist, um zu verhindern, dass die in den Artikeln 32 und 33 der genannten Richtlinie aufgeführten Voraussetzungen für eine Abwicklung eintreten. (6) Für die Zwecke des Absatzes 5 sind die für jeden Mitgliedstaat nach Artikel 6 Absatz 3 geltende Verpflichtung, einen einheitlichen Stichtag festzusetzen, die nach Artikel 6 Absatz 4 geltende Verpflichtung, eine geänderte Tagesordnung rechtzeitig verfügbar zu machen, und die für jeden Mitgliedstaat nach Artikel 7 Absatz 3 geltende Verpflichtung, eine einheitliche Nachweisstichtagsregelung festzulegen, nicht anzuwenden. Art. 6 Recht auf Ergänzung der Tagesordnung und auf Einbringung von Beschlussvorlagen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Aktionäre einzeln oder gemeinsam a) das Recht haben, Punkte auf die Tagesordnung der Hauptversammlung zu setzen, vorausgesetzt jedem Punkt liegt eine Begründung oder eine Vorlage für einen in der Hauptversammlung zu fassenden Beschluss bei, und b) das Recht haben, Beschlussvorlagen zu Punkten einzubringen, die bereits auf der Tagesordnung der Hauptversammlung stehen oder ergänzend in sie aufgenommen werden. 1033

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Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass das Recht nach Buchstabe a nur im Zusammenhang mit der Jahreshauptversammlung ausgeübt werden kann, vorausgesetzt, dass Aktionäre einzeln oder gemeinsam das Recht haben, eine Hauptversammlung einzuberufen oder durch die Gesellschaft einberufen zu lassen, bei der es sich nicht um eine Jahreshauptversammlung handelt und deren Tagesordnung mindestens alle von diesen Aktionären beantragten Punkte enthält. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diese Rechte schriftlich ausgeübt werden müssen (Übermittlung durch Postdienste oder auf elektronischem Wege). (2) Sind die Rechte gemäß Absatz 1 an die Bedingung geknüpft, dass der jeweilige Aktionär oder die jeweiligen Aktionäre eine Mindestbeteiligung an der Gesellschaft halten, so darf diese Mindestbeteiligung 5 % des Aktienkapitals nicht übersteigen. (3) Jeder Mitgliedstaat setzt einen einheitlichen Stichtag fest, bis zu dem die Aktionäre ihr Recht nach Absatz 1 Buchstabe a wahrnehmen können; dieser Stichtag liegt eine bestimmte Zahl von Tagen vor der Hauptversammlung oder der Einberufung. In gleicher Weise kann jeder Mitgliedstaat einen Stichtag für die Ausübung des Rechts gemäß Absatz 1 Buchstabe b festsetzen. (4) Führt die Ausübung des Rechts nach Absatz 1 Buchstabe a zu einer Änderung der Tagesordnung der Hauptversammlung und wurde diese Tagesordnung den Aktionären bereits vor der Änderung übermittelt, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Gesellschaft eine geänderte Tagesordnung in derselben Weise verfügbar macht wie die vorherige Tagesordnung und dass dies vor dem geltenden Nachweisstichtag im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 erfolgt; gilt kein solcher Stichtag, so muss dies so rechtzeitig vor der Hauptversammlung erfolgen, dass andere Aktionäre einen Vertreter benennen oder gegebenenfalls per Brief abstimmen können. Art. 7 Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, a) dass die Rechte eines Aktionärs auf Teilnahme an der Hauptversammlung und auf Ausübung des Stimmrechts aus seinen Aktien in keiner Weise daran geknüpft sind, dass diese Aktien vor der Hauptversammlung bei einer anderen natürlichen oder juristischen Person hinterlegt, auf diese übertragen oder auf deren Namen eingetragen werden, und b) dass das Recht eines Aktionärs, seine Aktien zu veräußern oder anderweitig zu übertragen, in dem Zeitraum zwischen dem Nachweisstichtag im Sinne von Absatz 2 und der Hauptversammlung, auf die sich der Stichtag bezieht, keiner Beschränkung unterliegt, der es zu anderen Zeitpunkten nicht unterliegt. 1034

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4.3

(2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Rechte eines Aktionärs auf Teilnahme an der Hauptversammlung und auf Ausübung des Stimmrechts aus seinen Aktien sich nach den Aktien bestimmen, die er zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Hauptversammlung (nachstehend „Nachweisstichtag“ genannt) hält. Die Mitgliedstaaten brauchen Unterabsatz 1 nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die in der Lage sind, die Namen und Anschriften ihrer Aktionäre am Tag der Hauptversammlung aus einem aktuellen Aktionärsregister zu ermitteln. (3) Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass für alle Gesellschaften eine einheitliche Nachweisstichtagsregelung gilt. Ein Mitgliedstaat kann jedoch einen Nachweisstichtag für Gesellschaften festlegen, die Inhaberaktien ausgegeben haben, und einen anderen Nachweisstichtag für Gesellschaften, die Namensaktien ausgegeben haben, vorausgesetzt es gilt ein einziger Nachweisstichtag für alle Gesellschaften, die beide Aktienarten ausgegeben haben. Der Nachweisstichtag darf nicht mehr als 30 Tage vor dem Tag der Hauptversammlung liegen, auf die er sich bezieht. Bei der Anwendung dieser Bestimmung sowie von Artikel 5 Absatz 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass mindestens acht Tage zwischen dem letzten zulässigen Tag für die Einberufung der Hauptversammlung und dem Nachweisstichtag liegen. Diese beiden Tage werden bei der Berechnung dieser Zahl von Tagen nicht mitgezählt. Unter den in Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 3 beschriebenen Umständen kann ein Mitgliedstaat jedoch vorschreiben, dass mindestens sechs Tage zwischen dem letzten zulässigen Tag für die Einberufung der zweiten oder der weiteren Hauptversammlung und dem Nachweisstichtag liegen. Diese beiden Tage werden bei der Berechnung dieser Zahl von Tagen nicht mitgezählt. (4) Der Nachweis der Aktionärseigenschaft darf lediglich solchen Anforderungen unterworfen werden, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie sie diesem Zweck angemessen sind. Art. 8 Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege (1) Die Mit-gliedstaaten gestatten den Gesellschaften, ihren Aktionären jede Form der Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege anzubieten, insbesondere eine oder alle der nachstehend aufgeführten Formen der Teilnahme: a) eine Direktübertragung der Hauptversammlung; b) eine Zweiweg-Direktverbindung, die dem Aktionär die Möglichkeit gibt, sich von einem entfernten Ort aus an die Hauptversammlung zu wenden; c) ein Verfahren, das die Ausübung des Stimmrechts vor oder während der Hauptversammlung ermöglicht, ohne dass ein Vertreter ernannt werden muss, der bei der Hauptversammlung persönlich anwesend ist. 1035

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(2) Werden elektronische Mittel eingesetzt, um Aktionären die Teilnahme an der Hauptversammlung zu ermöglichen, so darf ihr Einsatz nur solchen Anforderungen oder Beschränkungen unterworfen werden, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre und zur Gewährleistung der Sicherheit der elektronischen Kommunikation erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie sie diesen Zwecken angemessen sind. Rechtsvorschriften über den Entscheidungsprozess in der Gesellschaft zur Einführung oder Anwendung einer Form der Teilnahme auf elektronischem Wege, die die Mitgliedstaaten bereits erlassen haben oder möglicherweise noch erlassen, bleiben hiervon unberührt. Art. 9 Fragerecht (1) Jeder Aktionär hat das Recht, Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung der Hauptversammlung zu stellen. Die Gesellschaft beantwortet die an sie gestellten Fragen der Aktionäre. (2) Fragerecht und Antwortpflicht bestehen vorbehaltlich etwaiger Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten ergreifen oder den Gesellschaften zu ergreifen gestatten, um die Feststellung der Identität der Aktionäre, den ordnungsgemäßen Ablauf von Hauptversammlungen und ihre ordnungsgemäße Vorbereitung sowie den Schutz der Vertraulichkeit und der Geschäftsinteressen der Gesellschaften zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten können den Gesellschaften gestatten, auf Fragen gleichen Inhalts eine Gesamtantwort zu geben. Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass eine Frage als beantwortet gilt, wenn die entsprechende Information bereits in Form von Frage und Antwort auf der Internetseite der Gesellschaft verfügbar ist. Art. 9a Recht auf Abstimmung über die Vergütungspolitik (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Gesellschaften eine Vergütungspolitik in Bezug auf die Mitglieder der Unternehmensleitung erarbeiten und dass die Aktionäre das Recht haben, über die Vergütungspolitik in der Hauptversammlung abzustimmen. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Abstimmung über die Vergütungspolitik durch die Aktionäre in der Hauptversammlung verbindlich ist. Gesellschaften entlohnen die Mitglieder der Unternehmensleitung nur entsprechend der von der Hauptversammlung genehmigten Vergütungspolitik. Falls keine Vergütungspolitik genehmigt wurde und die Hauptversammlung die vorgeschlagene Politik nicht genehmigt, kann die Gesellschaft den Mitgliedern der Unternehmensleitung weiter eine Vergütung im Einklang mit der bestehenden Praxis zahlen und legt in der darauffolgenden Hauptversammlung eine überarbeitete Politik zur Genehmigung vor. Falls es eine genehmigte Vergütungspolitik gibt und die Hauptversammlung die vorgeschlagene neue Politik nicht genehmigt, kann die Gesellschaft 1036

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den Mitgliedern der Unternehmensleitung weiter eine Vergütung im Einklang mit der bestehenden genehmigten Politik zahlen und legt in der darauffolgenden Hauptversammlung eine überarbeitete Politik zur Genehmigung vor. (3) Die Mitgliedstaaten können aber vorsehen, dass die Abstimmung in der Hauptversammlung über die Vergütungspolitik empfehlenden Charakter hat. In diesem Fall entlohnen die Gesellschaften die Mitglieder der Unternehmensleitung nur entsprechend einer Vergütungspolitik, die für eine solche Abstimmung in der Hauptversammlung vorgelegt wurde. Lehnt die Hauptversammlung die vorgeschlagene Vergütungspolitik ab, legt die Gesellschaft eine überarbeitete Politik für eine Abstimmung in der darauffolgenden Hauptversammlung vor. (4) Die Mitgliedstaaten können Gesellschaften gestatten, unter außergewöhnlichen Umständen vorübergehend von ihrer Vergütungspolitik abzuweichen, vorausgesetzt, dass die Politik die Vorgehensweise für eine solche Abweichung beschreibt, und die Teile der Politik festlegt, von denen abgewichen werden darf. Als außergewöhnliche Umstände gemäß Unterabsatz 1 gelten nur Situationen, in denen die Abweichung von der Vergütungspolitik notwendig ist, um den langfristigen Interessen und der Tragfähigkeit der Gesellschaft insgesamt zu dienen oder um ihre Rentabilität zu gewährleisten. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Gesellschaften ihre Vergütungspolitik bei jeder wesentlichen Änderung, mindestens jedoch alle vier Jahre der Hauptversammlung zur Abstimmung vorlegen. (6) Die Vergütungspolitik fördert die Geschäftsstrategie, die langfristigen Interessen und die langfristige Tragfähigkeit der Gesellschaft und erläutert, wie sie das tut. Sie ist klar und verständlich und beschreibt die verschiedenen festen und variablen Vergütungsbestandteile, einschließlich sämtlicher Boni und anderer Vorteile in jeglicher Form, die Mitgliedern der Unternehmensleitung gewährt werden können; außerdem enthält sie Angaben über ihren jeweiligen relativen Anteil. In der Vergütungspolitik wird erläutert, wie die Vergütungs- und Beschäftigungsbedingungen der Beschäftigten der Gesellschaft in die Festlegung der Vergütungspolitik eingeflossen sind. Wenn die Gesellschaft variable Vergütungsbestandteile gewährt, werden in der Vergütungspolitik klare, umfassende und differenzierte Kriterien für die Gewährung der variablen Vergütungsbestandteile festgelegt. In der Politik werden die finanziellen und die nicht finanziellen Leistungskriterien, einschließlich gegebenenfalls der Kriterien im Zusammenhang mit der sozialen Verantwortung der Gesellschaften, angegeben, und es wird erläutert, inwiefern sie die Ziele nach Unterabsatz 1 fördern und mit welchen Methoden festgestellt werden soll, inwieweit die Leistungskriterien erfüllt wurden. Sie enthält Informationen zu 1037

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etwaigen Aufschubzeiten und zur Möglichkeit der Gesellschaft, variable Vergütungsbestandteile zurückzufordern. Gewährt die Gesellschaft eine aktienbezogene Vergütung, werden in der Politik Wartefristen und gegebenenfalls das Halten von Aktien nach dem Erwerb der damit verbundenen Rechte präzisiert und erläutert, inwiefern die aktienbezogene Vergütung die Ziele nach Unterabsatz 1 fördert. In der Vergütungspolitik werden die Laufzeit der Verträge der Mitglieder der Unternehmensleitung oder Vereinbarungen mit ihnen, die geltenden Kündigungsfristen, die Hauptmerkmale von Zusatzrentensystemen und Vorruhestandsprogrammen sowie die Bedingungen für die Beendigung und die Zahlungen im Zusammenhang mit der Beendigung angegeben. In der Vergütungspolitik wird das Entscheidungsverfahren erläutert, das für ihre Festlegung, Überprüfung und Umsetzung, einschließlich Maßnahmen zur Vermeidung und Behandlung von Interessenkonflikten, sowie gegebenenfalls die Rolle des Vergütungsausschusses oder anderer betroffener Ausschüsse durchgeführt wird. Bei Überarbeitung der Politik enthält diese eine Beschreibung und Erläuterung sämtlicher wesentlicher Änderungen sowie dazu, inwiefern die Abstimmungen und Ansichten der Aktionäre bezüglich der Politik und der Berichte seit der letzten Abstimmung über die Vergütungspolitik in der Hauptversammlung der Aktionäre berücksichtigt wurden. (7) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Vergütungspolitik nach der Abstimmung über sie in der Hauptversammlung zusammen mit dem Datum und den Ergebnissen der Abstimmung unverzüglich auf der Website der Gesellschaft veröffentlicht wird und dort mindestens für die Dauer ihrer Gültigkeit kostenfrei öffentlich zugänglich bleibt. Art. 9b Im Vergütungsbericht anzugebende Informationen und Recht auf Abstimmung über den Vergütungsbericht (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Gesellschaften einen klaren und verständlichen Vergütungsbericht erstellen, der einen umfassenden Überblick über die im Laufe des letzten Geschäftsjahrs den einzelnen Mitgliedern der Unternehmensleitung, einschließlich neu eingestellter oder ehemaliger Mitglieder der Unternehmensleitung, gemäß der in Artikel 9a genannten Vergütungspolitik gewährte oder geschuldete Vergütung, einschließlich sämtlicher Vorteile in jeglicher Form, enthält. Gegebenenfalls enthält der Vergütungsbericht die folgenden Informationen über die Vergütung der einzelnen Mitglieder der Unternehmensleitung: a) Die Gesamtvergütung, aufgeschlüsselt nach Bestandteilen, der relative Anteil von festen und variablen Vergütungsbestandteilen sowie eine Erläuterung, wie die Gesamtvergütung der angenommenen Vergütungspolitik entspricht, einschließlich der Frage, wie sie die langfristige Leistung der 1038

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4.3

Gesellschaft fördert, und Angaben dazu, wie die Leistungskriterien angewendet wurden; b) die jährliche Veränderung der Vergütung, der Leistung der Gesellschaft und der durchschnittlichen Vergütung auf Vollzeitäquivalenzbasis von Beschäftigten der Gesellschaft, die nicht zur Unternehmensleitung gehören, mindestens in den letzten fünf Geschäftsjahren, zusammen in einer Weise dargestellt, die einen Vergleich ermöglicht; c) jegliche Vergütung von Unternehmen derselben Gruppe im Sinne von Artikel 2 Nummer 11 der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates19; d) die Anzahl der gewährten oder angebotenen Aktien und Aktienoptionen und die wichtigsten Bedingungen für die Ausübung der Rechte, einschließlich Ausübungspreis, Ausübungsdatum und etwaiger Änderungen dieser Bedingungen; e) Informationen dazu, ob und wie von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, variable Vergütungsbestandteile zurückzufordern; f) Informationen zu etwaigen Abweichungen von dem Verfahren zur Umsetzung der Vergütungspolitik nach Artikel 9a Absatz 6 und zu etwaigen Abweichungen, die gemäß Artikel 9a Absatz 4 praktiziert wurden, einschließlich einer Erläuterung der Art der außergewöhnlichen Umstände, und die Angabe der konkreten Teile, von denen abgewichen wurde. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Gesellschaften in den Vergütungsbericht keine besonderen Kategorien von personenbezogenen Daten einzelner Mitglieder der Unternehmensleitung im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates20 oder personenbezogene Daten aufnehmen, die sich auf die Familiensituation einzelner Mitglieder der Unternehmensleitung beziehen. (3) Gesellschaften verarbeiten die personenbezogenen Daten von Mitgliedern der Unternehmensleitung, die gemäß diesem Artikel in den Vergütungsbericht aufgenommen wurden, zu dem Zweck, die Transparenz der Gesellschaften hinsichtlich der Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung zu steigern,

19 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/ EWG des Rates (ABl. L 182 vom 29. 6. 2013, S. 19). 20 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4. 5. 2016, S. 1).

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damit sichergestellt wird, dass die Mitglieder der Unternehmensleitung ihrer Rechenschaftspflicht besser nachkommen und die Aktionäre die Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung besser überwachen können. Unbeschadet längerer, in einem sektorspezifischen Rechtsakt der Union festgelegter Fristen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Gesellschaften die personenbezogenen Daten von Mitgliedern der Unternehmensleitung, die in den Vergütungsbericht gemäß diesem Artikel aufgenommen wurden, nach zehn Jahren ab der Veröffentlichung des Vergütungsberichts nicht mehr gemäß Absatz 5 dieses Artikels öffentlich zugänglich machen. Die Mitgliedstaaten können durch Rechtsvorschriften eine Verarbeitung der personenbezogenen Daten von Mitgliedern der Unternehmensleitung zu anderen Zwecken vorsehen. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Jahreshauptversammlung das Recht hat, eine Abstimmung mit empfehlendem Charakter über den Vergütungsbericht für das letzte Geschäftsjahr abzuhalten. Die Gesellschaft legt im darauffolgenden Vergütungsbericht dar, wie der Abstimmung der Hauptversammlung Rechnung getragen wurde. Als Alternative zur Abstimmung können die Mitgliedstaaten allerdings für kleine und mittlere Unternehmen im Sinne von Artikel 3 Absätze 2 bzw. 3 der Richtlinie 2013/34/EU vorsehen, dass der Vergütungsbericht des letzten Geschäftsjahrs zur Erörterung in der Hauptversammlung als eigener Tagesordnungspunkt vorgelegt wird. Die Gesellschaft legt im darauffolgenden Vergütungsbericht dar, wie der Erörterung in der Hauptversammlung Rechnung getragen wurde. (5) Unbeschadet des Artikels 5 Absatz 4 machen die Gesellschaften den Vergütungsbericht nach der Hauptversammlung auf ihrer Website kostenfrei zehn Jahre lang öffentlich zugänglich und können entscheiden, dass er noch länger zugänglich bleibt, sofern er nicht mehr die personenbezogenen Daten von Mitgliedern der Unternehmensleitung enthält. Der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft überprüft, ob die nach diesem Artikel erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt wurden. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Mitglieder der Unternehmensleitung im Rahmen der ihnen durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften übertragenen Zuständigkeiten die gemeinsame Aufgabe haben sicherzustellen, dass der Vergütungsbericht entsprechend den Anforderungen dieser Richtlinie erstellt und veröffentlicht wird. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Bestimmungen ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Haftung auf die Mitglieder der Unternehmensleitung der Gesellschaft Anwendung finden, zumindest was die Haftung gegenüber der Gesellschaft wegen Verletzung der in diesem Absatz genannten Pflichten betrifft. 1040

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4.3

(6) Zur Sicherstellung der Harmonisierung in Bezug auf diesen Artikel erlässt die Kommission Leitlinien zur Präzisierung der standardisierten Darstellung der Informationen gemäß Absatz 1. Art. 9c Transparenz von und Zustimmung zu Geschäften mit nahestehenden Unternehmen oder Personen (1) Die Mitgliedstaaten legen fest, was wesentliche Geschäfte für die Zwecke dieses Artikels sind, und berücksichtigen dabei Folgendes: a) den Einfluss, den Informationen über das Geschäft auf die wirtschaftlichen Entscheidungen der Aktionäre der Gesellschaft haben können; b) das Risiko, das für die Gesellschaft und ihre Aktionäre, die weder ein nahestehendes Unternehmen noch eine nahestehende Person sind, einschließlich der Minderheitsaktionäre, mit dem Geschäft verbunden ist. Bei der Definition von wesentlichen Geschäften legen die Mitgliedstaaten eine oder mehrere quantitative Kennzahlen fest, die auf dem Einfluss des Geschäfts auf finanzielle Lage, Einnahmen, Vermögen, Kapitalisierung, einschließlich Eigenkapital, oder Umsatz der Gesellschaft basieren oder der Art des Geschäfts und der Position des nahestehenden Unternehmens oder der nahestehenden Person Rechnung tragen. Die Mitgliedstaaten können für die Anwendung des Absatzes 4 eine andere Definition des wesentlichen Geschäfts als für die Anwendung der Absätze 2 und 3 festlegen, und können dabei je nach Größe der Gesellschaft unterschiedliche Definitionen festlegen. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Gesellschaften wesentliche Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen oder Personen spätestens zum Zeitpunkt ihres Abschlusses öffentlich bekannt machen. Die Bekanntmachung muss mindestens Informationen zur Art des Verhältnisses zu den nahestehenden Unternehmen oder Personen, die Namen der nahestehenden Unternehmen oder Personen, das Datum und den Wert des Geschäfts und alle weiteren Informationen enthalten, die erforderlich sind, um zu bewerten, ob das Geschäft aus Sicht der Gesellschaft und der Aktionäre, die weder ein nahestehendes Unternehmen noch eine nahestehende Person sind, einschließlich der Minderheitsaktionäre, angemessen und vernünftig ist. (3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der öffentlichen Bekanntmachung gemäß Absatz 2 ein Bericht beigefügt wird, in dem bewertet wird, ob das Geschäft aus Sicht der Gesellschaft und der Aktionäre, die weder ein nahestehendes Unternehmen noch eine nahestehende Person sind, einschließlich Minderheitsaktionäre, angemessen und vernünftig ist, und in dem die Annahmen, auf denen diese Bewertung beruht, sowie die angewandten Methoden erklärt werden. 1041

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Der Bericht wird erstellt von a) einem unabhängigen Dritten oder b) dem Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan der Gesellschaft oder c) dem Prüfungsausschuss oder einem anderen Ausschuss, der mehrheitlich aus unabhängigen Mitgliedern der Unternehmensleitung besteht. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die nahestehenden Unternehmen oder Personen nicht an der Ausarbeitung des Berichts teilnehmen. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den wesentlichen Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen durch die Hauptversammlung oder das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan der Gesellschaft gemäß Verfahren zugestimmt wird, durch die verhindert wird, dass das nahestehende Unternehmen oder die nahestehende Person seine bzw. ihre Position ausnutzt, und die einen angemessenen Schutz der Interessen der Gesellschaft und der Aktionäre, die weder ein nahestehendes Unternehmen noch eine nahestehende Person sind, einschließlich der Minderheitsaktionäre, bieten. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Aktionäre in der Hauptversammlung das Recht haben, über wesentliche Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen oder Personen abzustimmen, denen durch das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan der Gesellschaft zugestimmt wurde. Ist ein Mitglied der Unternehmensleitung oder ein Aktionär an dem Geschäft als nahestehendes Unternehmen oder nahestehende Person beteiligt, darf dieses Mitglied der Unternehmensleitung bzw. dieser Aktionär nicht an der Zustimmung oder der Abstimmung teilnehmen. Die Mitgliedstaaten können zulassen, dass der Aktionär, der ein nahestehendes Unternehmen oder eine nahestehende Person ist, an der Abstimmung teilnimmt, sofern das nationale Recht angemessene Schutzmechanismen enthält, die vor oder während des Abstimmungsverfahrens gelten, um die Interessen der Gesellschaft und der Aktionäre, die weder ein nahestehendes Unternehmen noch eine nahestehende Person sind, einschließlich Minderheitsaktionäre, zu schützen, indem das nahestehende Unternehmen oder die nahestehende Person daran gehindert wird, dem Geschäft zuzustimmen, obwohl die Mehrheit der Aktionäre, die weder ein nahestehendes Unternehmen noch eine nahestehende Person sind, bzw. die Mehrheit der unabhängigen Mitglieder der Unternehmensleitung gegenteiliger Meinung sind. (5) Die Absätze 2, 3 und 4 gelten nicht für Geschäfte, die im ordentlichen Geschäftsgang und zu marktüblichen Bedingungen getätigt werden. Für solche Geschäfte richtet das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan der Gesellschaft ein internes Verfahren ein, um regelmäßig zu bewerten, ob diese Bedingungen erfüllt sind. Die nahestehenden Unternehmen und Personen nehmen an dieser Bewertung nicht teil. 1042

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Allerdings können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Gesellschaften die Anforderungen nach den Absätzen 2, 3 oder 4 auf Geschäfte anwenden, die im ordentlichen Geschäftsgang und zu marktüblichen Bedingungen getätigt werden. (6) Die Mitgliedstaaten können von den Anforderungen gemäß den Absätzen 2, 3 und 4 ausnehmen oder den Gesellschaften gestatten, von diesen Anforderungen auszunehmen: a) Geschäfte zwischen der Gesellschaft und ihren Tochtergesellschaften, sofern es sich um hundertprozentige Tochtergesellschaften handelt oder kein anderes der Gesellschaft nahestehendes Unternehmen oder keine andere der Gesellschaft nahestehende Person an der Tochtergesellschaft beteiligt ist oder im nationalen Recht Vorschriften zum angemessenen Schutz der Interessen der Gesellschaft, der Tochtergesellschaft, und ihrer Aktionäre, die weder ein nahestehendes Unternehmen noch eine nahestehende Person sind, einschließlich der Minderheitsaktionäre, bei derartigen Geschäften vorgesehen sind; b) genau festgelegte Arten von Geschäften, für die nach nationalem Recht die Zustimmung durch die Hauptversammlung erforderlich ist, sofern in solchen Rechtsvorschriften die angemessene Behandlung aller Aktionäre und die Interessen der Gesellschaft und der Aktionäre, die weder ein nahestehendes Unternehmen noch eine nahestehende Person sind, einschließlich der Minderheitsaktionäre, ausdrücklich geregelt und angemessen geschützt sind; c) Geschäfte, die die Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung oder bestimmte Elemente der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung betreffen, die gemäß Artikel 9a gewährt oder geschuldet werden; d) Geschäfte von Kreditinstituten auf der Grundlage von Maßnahmen, durch die ihre Stabilität geschützt werden soll und die von der zuständigen Behörde angenommen wurden, die gemäß Unionsrecht für die Aufsicht über die Kreditinstitute zuständig ist; e) Geschäfte, die allen Aktionären unter den gleichen Bedingungen angeboten werden und bei denen die Gleichbehandlung aller Aktionäre und der Schutz der Interessen der Gesellschaft gewährleistet sind. (7) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Gesellschaften wesentliche Geschäfte zwischen der Gesellschaft nahestehenden Unternehmen oder Personen und Tochtergesellschaften der Gesellschaft öffentlich bekannt geben. Die Mitgliedstaaten können auch vorsehen, dass der Bekanntmachung ein Bericht beigefügt werden muss, in dem bewertet wird, ob das Geschäft aus Sicht der Gesellschaft und der Aktionäre, die weder ein nahestehendes Unternehmen noch eine nahestehende Person sind, einschließlich der Minderheitsaktionäre, angemessen 1043

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und vernünftig ist, und in dem die Annahmen, auf denen diese Bewertung beruht, sowie die angewandten Methoden erklärt werden. Die Ausnahmen nach den Absätzen 5 und 6 gelten auch für die in diesem Absatz genannten Geschäfte. (8) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Geschäfte mit denselben nahestehenden Unternehmen und Personen, die in einem beliebigen Zeitraum von 12 Monaten oder in demselben Geschäftsjahr getätigt wurden und nicht den Verpflichtungen nach den Absätzen 2, 3 oder 4 unterliegen, für die Zwecke dieser Absätze zusammengerechnet werden. (9) Dieser Artikel berührt nicht die Vorschriften zur öffentlichen Bekanntgabe von Insiderinformationen gemäß Artikel 17 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates.21 Art. 10 Stimmrechtsvertretung (1) Jeder Aktionär hat das Recht, eine andere natürliche oder juristische Person zum Vertreter zu bestellen, damit diese Person in seinem Namen an der Hauptversammlung teilnimmt und sein Stimmrecht ausübt. Der Vertreter hat in der Hauptversammlung dieselben Rechte auf Wortmeldung und Fragestellung wie der Aktionär, den er vertritt. Mit Ausnahme der Anforderung, dass der Vertreter geschäftsfähig sein muss, heben die Mitgliedstaaten alle Rechtsvorschriften auf, die Einschränkungen in Bezug auf die Personen vorsehen, die als Vertreter bestellt werden können, oder es Gesellschaften ermöglichen, solche Einschränkungen vorzusehen. (2) Die Mitgliedstaaten können die Bestellung eines Vertreters auf eine einzige Versammlung oder auf innerhalb eines bestimmten Zeitraums stattfindende Versammlungen beschränken. Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 5 können die Mitgliedstaaten die Zahl der Personen begrenzen, die ein Aktionär je Hauptversammlung als Vertreter bestellen darf. Hält ein Aktionär Aktien einer Gesellschaft in mehr als einem Wertpapierdepot, so hindert eine solche Begrenzung den Aktionär jedoch nicht daran, für die in jedem einzelnen Wertpapierdepot gehaltenen Aktien jeweils einen eigenen Vertreter für jede Hauptversammlung zu bestellen. Diese Bestimmung lässt Regelungen nach dem anwendbaren Recht unberührt, wonach für Aktien im Besitz desselben Aktionärs nicht unterschiedliche Stimmen abgegeben werden dürfen.

21 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 1).

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(3) Mit Ausnahme der in den Absätzen 1 und 2 ausdrücklich zugelassenen Beschränkungen dürfen die Mitgliedstaaten die Ausübung der Rechte der Aktionäre durch Vertreter zu keinem anderen Zweck beschränken oder den Gesellschaften gestatten, diese zu beschränken, als zur Regelung möglicher Interessenkonflikte zwischen dem Vertreter und dem Aktionär, in dessen Interesse der Vertreter zu handeln hat; dabei dürfen die Mitgliedstaaten ausschließlich die folgenden Anforderungen stellen: a) die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass der Vertreter bestimmte Tatsachen offen legt, die für den Aktionär für die Beurteilung der Gefahr, dass der Vertreter andere Interessen als die des Aktionärs verfolgen könnte, von Bedeutung sein können; b) die Mitgliedstaaten können die Ausübung der Rechte der Aktionäre durch Vertreter beschränken oder ausschließen, wenn der Vertreter nicht für jeden Beschluss, zu dem er für den Aktionär abstimmen soll, konkrete Abstimmungsanweisungen hat; c) die Mitgliedstaaten können die Übertragung der Vertretung auf eine andere Person beschränken oder ausschließen; handelt es sich bei dem Vertreter um eine juristische Person, so darf diese jedoch nicht daran gehindert werden, die ihr übertragenen Befugnisse durch ein Mitglied ihres Verwaltungsoder Leitungsorgans oder durch einen ihrer Beschäftigten auszuüben. Ein Interessenkonflikt im Sinne dieses Absatzes kann insbesondere auftreten, wenn der Vertreter i) kontrollierender Aktionär der Gesellschaft oder ein anderer Rechtsträger ist, der von einem kontrollierenden Aktionär kontrolliert wird; ii) Mitglied des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans der Gesellschaft oder eines kontrollierenden Aktionärs oder eines kontrollierten Rechtsträgers im Sinne von Ziffer i ist; iii) Arbeitnehmer oder Abschlussprüfer der Gesellschaft oder eines kontrollierenden Aktionärs oder eines kontrollierten Rechtsträgers im Sinne von Ziffer i ist; iv) in einer familiären Beziehung zu einer der in den Ziffern i bis iii genannten natürlichen Personen steht. (4) Der Vertreter ist verpflichtet, entsprechend den Anweisungen des Aktionärs, der ihn bestellt hat, abzustimmen. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass Vertreter die Unterlagen über die Abstimmungsanweisungen für eine bestimmte Mindestdauer aufbewahren und auf Verlangen bestätigen müssen, dass diese Anweisungen ausgeführt wurden. (5) Eine als Vertreter handelnde Person kann eine Vertretung für mehr als einen Aktionär wahrnehmen, ohne dass es eine Beschränkung der Zahl der derart 1045

4.3

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vertretenen Aktionäre gibt. Nimmt ein Vertreter die Vertretung mehrerer Aktionäre wahr, so muss das anwendbare Recht es ihm ermöglichen, für die von ihm vertretenen Aktionäre jeweils unterschiedlich abzustimmen. Art. 11 Förmlichkeiten der Bestellung des Vertreters und der Benachrichtigung über die Bestellung (1) Die Mitgliedstaaten gestatten den Aktionären, einen Vertreter auf elektronischem Wege zu bestellen. Ferner gestatten die Mitgliedstaaten den Gesellschaften, die Benachrichtigung über die Bestellung auf elektronischem Wege entgegenzunehmen, und stellen sicher, dass jede Gesellschaft ihren Aktionären mindestens eine wirksame Methode für die Benachrichtigung auf elektronischem Wege anbietet. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Bestellung der Vertreter und die Benachrichtigung über die Bestellung an die Gesellschaft in jedem Fall schriftlich erfolgen müssen. Neben dieser grundlegenden formalen Anforderung dürfen die Bestellung eines Vertreters, die Benachrichtigung über die Bestellung an die Gesellschaft und die Erteilung von etwaigen Abstimmungsanweisungen an den Vertreter lediglich den formalen Anforderungen unterworfen werden, die für die Feststellung der Identität von Aktionär und Vertreter beziehungsweise für die Möglichkeit einer Überprüfung des Inhalts der Abstimmungsanweisungen erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie die Anforderungen diesen Zwecken angemessen sind. (3) Diese Bestimmungen gelten sinngemäß für den Widerruf der Bestellung eines Vertreters. Art. 12 Abstimmung per Brief Die Mitgliedstaaten gestatten den Gesellschaften, ihren Aktionären die Möglichkeit einzuräumen, per Brief vor der Hauptversammlung abzustimmen. Die Abstimmung per Brief darf lediglich solchen Anforderungen oder Beschränkungen unterworfen werden, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie sie diesem Zweck angemessen sind. Art. 13 Beseitigung bestimmter Hemmnisse, die einer tatsächlichen Ausübung des Stimmrechts im Wege stehen (1) Dieser Artikel findet Anwendung, wenn eine natürliche oder juristische Person, die nach dem anwendbaren Recht als Aktionär anerkannt ist, im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit für eine andere natürliche oder juristische Person (nachstehend „Klient“ genannt) tätig wird. (2) Sieht das anwendbare Recht Publizitätsanforderungen als Vorbedingung für die Ausübung des Stimmrechts durch einen Aktionär im Sinne des Absatzes 1 vor, so dürfen diese Anforderungen nicht über eine Liste hinausgehen, die die Identität eines jeden Klienten und die jeweilige Zahl von Aktien, aus denen für ihn das Stimmrecht ausgeübt wird, gegenüber der Gesellschaft offen legt. 1046

Aktionärsrechte-RL II 2017/828

4.3

(3) Stellt das anwendbare Recht formale Anforderungen an die Ermächtigung eines Aktionärs im Sinne des Absatzes 1 zur Ausübung des Stimmrechts oder an Abstimmungsanweisungen auf, so dürfen diese Anforderungen nicht über das hinausgehen, was zur Feststellung der Identität des Klienten beziehungsweise für die Möglichkeit einer Überprüfung des Inhalts der Abstimmungsanweisungen erforderlich und diesen Zwecken angemessen ist. (4) Einem Aktionär im Sinne des Absatzes 1 ist es zu gestatten, für verschiedene Aktien unterschiedlich abzustimmen. (5) Ist die Zahl der Personen, die ein Aktionär gemäß Artikel 10 Absatz 2 als Vertreter bestellen kann, nach dem anwendbaren Recht begrenzt, so darf diese Begrenzung einen Aktionär im Sinne des Absatzes 1 des vorliegenden Artikel nicht daran hindern, jedem seiner Klienten oder einem Dritten, der von einem Klienten benannt wird, Vertretung zu gewähren. Art. 14 Abstimmungsergebnisse (1) Die Gesellschaft stellt für jeden Beschluss mindestens Folgendes fest: die Zahl der Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden, den Anteil des durch diese Stimmen vertretenen Aktienkapitals, die Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen und die Zahl der für einen Beschluss abgegebenen Stimmen und der Gegenstimmen sowie gegebenenfalls die Zahl der Enthaltungen. Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen oder Gesellschaften erlauben vorzusehen, dass es — falls kein Aktionär eine umfassende Darstellung des Abstimmungsergebnisses verlangt — ausreicht, für jeden Beschluss festzustellen, dass die erforderliche Mehrheit erreicht wurde. (2) Innerhalb einer bestimmten in dem anwendbaren Recht festzulegenden Frist, die 15 Tage nach der Hauptversammlung nicht überschreiten darf, veröffentlicht die Gesellschaft die gemäß Absatz 1 festgestellten Abstimmungsergebnisse auf ihrer Internetseite. (3) Dieser Artikel berührt nicht die Rechtsvorschriften, die die Mitgliedstaaten zu den erforderlichen Formalitäten für das Wirksamwerden eines Beschlusses oder zu der Möglichkeit einer späteren rechtlichen Anfechtung des Abstimmungsergebnisses erlassen haben oder möglicherweise noch erlassen.

Kapitel IIa – Durchführungsrechtsakte und Sanktionen Art. 14a Ausschussverfahren — nicht abgedruckt. Art. 14b Maßnahmen und Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen Regeln für Maßnahmen und Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen die gemäß dieser 1047

4.3

Aktionärsrechte-RL II 2017/828

Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften zu verhängen sind, und ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen um sicherzustellen, dass sie angewandt werden. Die vorgesehenen Maßnahmen und Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Regeln und diese Durchführungsmaßnahmen bis zum 10. Juni 2019 mit und melden ihr unverzüglich alle diesbezüglichen späteren Änderungen.

Kapitel III – Schlussbestimmungen Art. 15–17 Adressaten, Inkrafttreten und Umsetzungsfrist — nicht abgedruckt.

1048

4.4 Ein-Mann-GmbH-RL 2009/102

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die zwölfte Richtlinie 89/667/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter3 wurde mehrfach und erheblich geändert.4 Aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit empfiehlt es sich, die genannte Richtlinie zu kodifizieren. (2) Es erweist sich als notwendig, einige der Garantien, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne von Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, zu koordinieren, um eine Äquivalenz herzustellen. (3) Auf diesem Gebiet gelten die Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten,5 die Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen6 sowie die Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags über den konsolidierten Abschluss7 in Bezug auf die Offenlegung, die Gültigkeit von Verbindlichkeiten bzw. die Nichtigkeit der Gesellschaft sowie den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss für sämtliche Kapitalgesellschaften. Die Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten,8 die Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9. Oktober 1978 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchsta-

* Richtlinie 2009/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABl. 2009 L 258/20. 1 ABl. Nr. C 77 vom 31. 3. 2009, S.42. 2 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 18. November 2008 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 13. Juli 2009. 3 ABl. Nr. L 395 vom 30. 12. 1989, S. 40. 4 Siehe Anhang II Teil A. 5 ABl. Nr. L 65 vom 14. 3. 1968, S. 8. 6 ABl. Nr. L 222 vom 14. 8. 1978, S.11. 7 ABl. Nr. L 193 vom 18. 7. 1983, S. 1. 8 ABl. Nr. L 26 vom 31. 1. 1977, S. 1. https://doi.org/10.1515/9783110667776-047

4.4

Ein-Mann-GmbH-RL 2009/102

be g des Vertrags betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften9 sowie die Sechste Richtlinie 82/891/EWG des Rates vom 17. Dezember 1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften10 in Bezug auf die Errichtung bzw. das Kapital sowie Fusionen und Spaltungen haben dagegen nur für Aktiengesellschaften Gültigkeit. (4) Es ist notwendig, den Einzelunternehmern in der gesamten Gemeinschaft das rechtliche Instrument einer Gesellschaft mit Haftungsbeschränkung zu bieten, unbeschadet der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die diesem Einzelunternehmer in Ausnahmefällen eine Haftung für die Verpflichtungen des Unternehmens auferlegen. (5) Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann bei ihrer Gründung mit einem einzigen Gesellschafter errichtet werden oder entstehen, wenn alle Geschäftsanteile in einer einzigen Hand vereinigt werden. Bis zu einer Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften für das Konzernrecht können die Mitgliedstaaten besondere Bestimmungen oder Sanktionen vorsehen, sofern eine natürliche Person einziger Gesellschafter mehrerer Gesellschaften oder eine Einpersonengesellschaft oder eine andere juristische Person einziger Gesellschafter einer Gesellschaft ist. Das einzige Ziel dieser Möglichkeit ist die Berücksichtigung von Besonderheiten, die in bestimmten nationalen Rechtsvorschriften bestehen. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten in spezifischen Fällen Einschränkungen beim Zugang zur Einpersonengesellschaft oder eine unbeschränkte Haftung des einzigen Gesellschafters vorsehen. Es steht den Mitgliedstaaten frei, Regeln aufzustellen, um den möglichen Gefahren aus der Tatsache, dass es bei Einpersonengesellschaften lediglich einen einzigen Gesellschafter gibt, zu begegnen, und insbesondere um die Einzahlung des gezeichneten Kapitals sicherzustellen. (6) Die Vereinigung aller Anteile in einer Hand sowie die Identität des Gesellschafters müssen Gegenstand der Offenlegung in einem für jedermann zugänglichen Register sein. (7) Es ist notwendig, die Beschlüsse des einzigen Gesellschafters in seiner Eigenschaft als Gesellschafterversammlung schriftlich niederzulegen. (8) Die schriftliche Festlegung sollte ebenfalls für vertragliche Vereinbarungen zwischen dem einzigen Gesellschafter und der von ihm vertretenen Gesellschaft vorgeschrieben werden, sofern diese vertraglichen Vereinbarungen nicht die unter normalen Bedingungen abgeschlossenen laufenden Geschäfte betreffen (9) Diese Richtlinie sollte die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang II Teil B genannten Fristen für die Umsetzung der dort genannten Richtlinien in innerstaatliches Recht und für die Anwendung dieser Richtlinien unberührt lassen — HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 [Anwendungsbereich] Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die in Anhang I genannten Rechtsformen von Gesellschaften. Art. 2 [Einpersonengesellschaft; Einpersonengesellschaft im Konzern] (1) Die Gesellschaft kann bei ihrer Errichtung sowie infolge der Vereinigung al9 ABl. Nr. L 295 vom 20. 10. 1978, S. 36. 10 ABl. Nr. L 378 vom 31.12,1982, S. 47.

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4.4

ler Gesellschaftsanteile in einer einzigen Hand einen einzigen Gesellschafter haben (Einpersonengesellschaft). (2) Bis zur Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften für das Konzernrecht können die Gesetze der Mitgliedstaaten besondere Bestimmungen oder Sanktionen vorsehen, sofern a) eine natürliche Person einziger Gesellschafter von mehreren Gesellschaften ist oder b) eine Einpersonengesellschaft oder eine andere juristische Person einziger Gesellschafter einer Gesellschaft ist. Art. 3 [Eintragungspflicht bei Vereinigung aller Anteile in einer Hand] Wird die Gesellschaft durch die Vereinigung aller Anteile in einer Hand zur Einpersonengesellschaft, so muß diese Tatsache sowie die Identität des einzigen Gesellschafters entweder in der Akte hinterlegt beziehungsweise in das Register im Sinne des Artikels 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 68/151/EWG eingetragen oder in einem Register vermerkt werden, das bei der Gesellschaft geführt wird und der Öffentlichkeit zugänglich ist. Art. 4 [Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung] (1) Der einzige Gesellschafter übt die Befugnisse der Gesellschafterversammlung aus. (2) Die Beschlüsse, die von dem einzigen Gesellschafter im Rahmen von Absatz 1 gefaßt werden, sind in eine Niederschrift aufzunehmen oder schriftlich abzufassen. Art. 5 [In-sich-Geschäfte] (1) Verträge, die zwischen dem einzigen Gesellschafter und der von ihm vertretenen Gesellschaft abgeschlossen werden, sind in eine Niederschrift aufzunehmen oder schriftlich abzufassen. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen Absatz 1 auf die unter normalen Bedingungen abgeschlossenen laufenden Geschäfte nicht anzuwenden. Art. 6 [Einpersonenaktiengesellschaften] Läßt ein Mitgliedstaat die Einpersonengesellschaft im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 auch für Aktiengesellschaften zu, so gilt diese Richtlinie. Art. 7 [Einzelunternehmer mit Haftungsbeschränkung als Alternative] Ein Mitgliedstaat braucht die Einpersonengesellschaft nicht zu gestatten, wenn sein innerstaatliches Recht dem Einzelunternehmer die Errichtung eines Unternehmens ermöglicht, dessen Haftung auf ein Vermögen beschränkt ist, das für eine bestimmte Tätigkeit eingesetzt wird, sofern in bezug auf diese Unternehmen Schutzbestimmungen vorgesehen sind, die denjenigen der vorliegenden Richtli1051

4.4

Ein-Mann-GmbH-RL 2009/102

nie sowie den übrigen auf die in Artikel 1 bezeichneten Gesellschaften anwendbaren Gemeinschaftsvorschriften gleichwertig sind. Art. 8–11 Umsetzungspflichten, Aufhebung und Inkrafttreten — nicht abgedruckt. Anhang I-III Rechtsformen von Gesellschaften, aufgehobene Richtlinie und Umsetzungsfristen sowie Entsprechungstabelle – nicht abgedruckt.

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4.5 Allgemeine Bilanz-RL (mit CSR) 2013/34

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 50 Absatz 1, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Diese Richtlinie trägt dem Programm der Kommission für eine bessere Rechtsetzung und insbesondere der Mitteilung „Intelligente Regulierung in der Europäischen Union“ vom Oktober 2010 Rechnung, die das Ziel formuliert, Vorschriften zu konzipieren und zu erarbeiten, die den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit entsprechen und die höchstmögliche Qualität aufweisen, und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Verwaltungslasten in angemessenem Verhältnis zum erzielten Nutzen stehen. In der Mitteilung der Kommission „Vorfahrt für KMU in Europa — Der ‧Small Business Act‧ für Europa“, die im Juni 2008 angenommen und im Februar 2011 überarbeitet wurde, wird die zentrale Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) für die Wirtschaft der Union anerkannt und das Ziel festgelegt, das Gesamtkonzept für das Unternehmertum zu verbessern und das Prinzip „Vorfahrt für KMU“ („think small first“) von der Rechtsetzung bis hin zu den öffentlichen Diensten fest in der Politik zu verankern. Der Europäische Rat begrüßte auf seiner Tagung am 24./25. März 2011 die Absicht der Kommission, die Binnenmarktakte vorzustellen, deren Maßnahmen Wachstum und Arbeitsplätze schaffen und den Bürgern und Unternehmen greifbare Ergebnisse bringen sollen. In der von der Kommission im April 2011 angenommenen Mitteilung „Binnenmarktakte“ werden eine Vereinfachung der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen3 und der Siebten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den konsolidierten Abschluss4 (die Rechnungslegungsrichtlinien) in Bezug auf die Finanzberichterstattungspflichten und eine Verringerung des Verwaltungsaufwands, insbesondere für KMU, vorgeschlagen. Die Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zielt darauf ab, die Verwaltungslasten zu verringern, das Um-

* Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/ EWG des Rates, ABl. 2013 L 182/19. 1 ABl. C 181 vom 21. 6. 2012, S. 84. 2 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 12. Juni 2013 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 20. Juni 2013. 3 ABl. L 222 vom 14. 8. 1978, S. 11. 4 ABl. L 193 vom 18. 7. 1983, S. 1. https://doi.org/10.1515/9783110667776-048

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feld für Unternehmen und insbesondere KMU zu verbessern und die Internationalisierung von KMU zu fördern. Der Europäische Rat forderte auf seiner Tagung vom 24. und 25. März 2011 zudem, den Regelungsaufwand insgesamt — insbesondere für KMU — auf Unionsebene und auf einzelstaatlicher Ebene zu verringern, und regte Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität an, wie etwa den Abbau übertriebener Bürokratie und die Verbesserung des Regelungsrahmens für KMU. Das Europäische Parlament hat am 18. Dezember 2008 eine nichtlegislative Entschließung zu den Rechnungslegungsvorschriften für kleine und mittlere Unternehmen und insbesondere Kleinstbetriebe5 angenommen und dabei festgestellt, dass die Anforderungen der Rechnungslegungsrichtlinien kleine und mittlere Unternehmen und insbesondere Kleinstbetriebe oft stark belasten, und die Kommission aufgefordert, mit der Überprüfung der beiden Richtlinien fortzufahren. Der Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über die Gliederung und den Inhalt des Abschlusses und des Lageberichts, die heranzuziehenden Bewertungsgrundlagen und die Offenlegung dieser Informationen, insbesondere für bestimmte Rechtsformen von Unternehmen mit beschränkter Haftung, kommt im Hinblick auf den Schutz von Aktionären, Gesellschaftern und Dritten besondere Bedeutung zu. In den genannten Bereichen ist für die entsprechenden Rechtsformen von Unternehmen eine zeitgleiche Koordinierung erforderlich, da zum einen bestimmte Unternehmen in mehr als einem Mitgliedstaat tätig sind und da sie zum anderen über ihr Nettovermögen hinaus Dritten keinerlei Sicherheiten bieten. Mit Jahresabschlüssen werden verschiedene Ziele verfolgt, und sie bieten nicht lediglich Informationen für Anleger in Kapitalmärkten, sondern enthalten auch Angaben über frühere Geschäfte und unterstützen die gute Unternehmensführung. Bei den Rechnungslegungsvorschriften der Union ist ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Interessen der Adressaten von Abschlüssen und dem Interesse von Unternehmen daran, nicht über Gebühr mit Berichtspflichten belastet zu werden, zu finden. Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie sollte bestimmte Unternehmen mit beschränkter Haftung einschließen, wie etwa Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Darüber hinaus gibt es eine beträchtliche Anzahl von offenen Handelsgesellschaften oder Kommanditgesellschaften, bei denen jeweils sämtliche voll haftenden Gesellschafter Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind, und die daher den in dieser Richtlinie vorgesehenen Koordinierungsmaßnahmen unterliegen sollten. Mit dieser Richtlinie sollte außerdem sichergestellt werden, dass Personengesellschaften in ihren Anwendungsbereich fallen, wenn ihre Gesellschafter keine Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind, aber dennoch beschränkt für die Verpflichtungen dieser Personengesellschaft haften, da ihre Haftung durch andere von dieser Richtlinie erfasste Unternehmen beschränkt wird. Die Ausnahme von Einrichtungen ohne Erwerbszweck vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie steht im Einklang mit Artikel 50 Absatz 2 Buchstabe g des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie sollte auf bestimmten Grundsätzen beruhen und gewährleisten, dass sich ein Unternehmen nicht selbst aus diesem Anwendungsbereich ausnehmen kann, indem es eine vielschichtige Gruppenstruktur schafft, die inner-

5 ABl. C 45 E vom 23. 2. 2010, S. 58.

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halb und außerhalb der Union ansässige Unternehmen auf verschiedenen Ebenen umfasst. Die Bestimmungen dieser Richtlinie sollten nur insofern gelten, als sie im Einklang mit oder nicht im Widerspruch zu den Rechnungslegungsvorschriften für Unternehmen bestimmter Rechtsformen oder mit den Bestimmungen über die Verteilung des Gesellschaftsvermögens eines Unternehmens gemäß den geltenden, von einem oder mehreren Organen der Union erlassenen Gesetzgebungsakten stehen. Außerdem ist es erforderlich, in Bezug auf den Umfang der Finanzinformationen, die von miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen zu veröffentlichen sind, auf Unionsebene gleichwertige rechtliche Mindestanforderungen festzulegen. Der Jahresabschluss sollte unter Beachtung des Vorsichtsprinzips erstellt werden und ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens vermitteln. Es ist in Ausnahmefällen möglich, dass ein Jahresabschluss kein solches, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt, wenn Bestimmungen dieser Richtlinie zur Anwendung kommen. In diesen Fällen sollte das Unternehmen von diesen Bestimmungen abweichen, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild zu vermitteln. Es sollte den Mitgliedstaaten gestattet sein, solche Ausnahmefälle zu definieren und die einschlägigen Ausnahmeregelungen für derartige Fälle festzulegen. Diese Ausnahmen sollten nur für äußerst ungewöhnliche Geschäfte und ungewöhnliche Umstände gelten und sollten beispielsweise nicht bestimmte Wirtschaftszweige insgesamt betreffen. Mit dieser Richtlinie sollte dafür gesorgt werden, dass die Anforderungen für kleine Unternehmen innerhalb der Union weitgehend harmonisiert werden. Diese Richtlinie basiert auf dem Prinzip „Vorfahrt für KMU“. Um einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand für diese Unternehmen zu vermeiden, sollte es den Mitgliedstaten lediglich gestattet sein, im Wege von Anhangangaben ergänzend zu den in den Anhängen zu den Abschlüssen zwingend vorgeschriebenen Angaben einige wenige Informationen zu verlangen. Im Falle eines einheitlichen Einreichungssystems können die Mitgliedstaaten jedoch in bestimmten Fällen in beschränktem Umfang zusätzliche Angaben verlangen, sofern diese nach dem jeweiligen einzelstaatlichen Steuerrecht ausdrücklich vorgeschrieben und für die Zwecke der Steuererhebung unbedingt erforderlich sind. Es sollte den Mitgliedstaaten möglich sein, über die in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindestanforderungen hinausgehende Anforderungen für mittlere und große Unternehmen vorzuschreiben. Ist es den Mitgliedstaaten nach dieser Richtlinie beispielsweise gestattet, für kleine Unternehmen zusätzliche Anforderungen vorzuschreiben, so bedeutet dies, dass ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit vollständig oder teilweise Gebrauch machen kann, indem er geringere Anforderungen stellt, als nach dieser Möglichkeit gestattet wäre. Ist es den Mitgliedstaaten nach dieser Richtlinie beispielsweise gestattet, in Bezug auf kleine Unternehmen eine Ausnahmeregelung anzuwenden, so gilt entsprechend, dass der jeweilige Mitgliedstaat diese Unternehmen vollständig oder teilweise ausnehmen kann. Kleine, mittlere und große Unternehmen sollten unter Bezugnahme auf Bilanzsumme, Nettoumsatzerlöse und durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten definiert und voneinander unterschieden werden, da diese Kriterien in der Regel objektiven Aufschluss über die Größe eines Unternehmens geben. Legt jedoch das Mutterunternehmen keinen konsolidierten Abschluss für die Gruppe vor, so sollten die Mitgliedstaaten die von ihnen als erforderlich erachteten Maßnahmen ergreifen dürfen, um vorzuschreiben, dass ein solches Unternehmen als ein größeres Unternehmen eingestuft wird, indem seine Größe und daraus resultierende Kategorie auf konsolidierter oder aggregier-

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ter Grundlage bestimmt werden. Wendet ein Mitgliedstaat eine oder mehrere der fakultativen Ausnahmeregelungen für Kleinstunternehmen an, so sollten Kleinstunternehmen auch unter Bezugnahme auf Bilanzsumme, Nettoumsatzerlöse und durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten definiert werden. Die Mitgliedstaaten sollten nicht verpflichtet sein, in ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften gesonderte Kategorien für mittlere und große Unternehmen vorzusehen, wenn für mittlere Unternehmen dieselben Anforderungen wie für große Unternehmen gelten. Kleinstunternehmen verfügen nur über begrenzte Mittel, um anspruchsvollen gesetzlichen Anforderungen nachzukommen. Gibt es keine speziellen Vorschriften für Kleinstunternehmen, so finden die für kleine Unternehmen geltenden Vorschriften auch auf Kleinstunternehmen Anwendung. Dadurch sehen sie sich mit einem in Bezug auf ihre Größe unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand konfrontiert, der für die kleinsten Unternehmen im Vergleich zu anderen kleinen Unternehmen belastender ist. Deshalb sollte es den Mitgliedstaaten möglich sein, Kleinstunternehmen von bestimmten für kleine Unternehmen geltenden Pflichten, die ihnen einen übermäßigen Verwaltungsaufwand auferlegen würden, auszunehmen. Allerdings sollten Kleinstunternehmen weiterhin etwaigen einzelstaatlichen Pflichten zur Führung von Aufzeichnungen unterliegen, aus denen ihre Geschäftstätigkeit und ihre finanzielle Lage hervorgehen, unterliegen. Darüber hinaus sollten Investmentunternehmen und Beteiligungsgesellschaften von den Vorteilen der für Kleinstunternehmen geltenden Vereinfachungen ausgenommen werden. Die Mitgliedstaaten sollten die besonderen Gegebenheiten und Bedürfnisse ihres eigenen Marktes berücksichtigen, wenn sie beschließen, ob oder wie eine spezifische Regelung für Kleinstunternehmen im Rahmen dieser Richtlinie angewandt werden soll. Die Offenlegung von Abschlüssen kann für Kleinstunternehmen aufwendig sein. Gleichzeitig müssen die Mitgliedstaaten die Einhaltung dieser Richtlinie sicherstellen. Dementsprechend sollte es Mitgliedstaaten, die von den in dieser Richtlinie enthaltenen Ausnahmeregelungen für Kleinstunternehmen Gebrauch machen, gestattet sein, Kleinstunternehmen von einer allgemeinen Offenlegungspflicht zu befreien, sofern die Informationen aus der Bilanz im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bei mindestens einer benannten zuständigen Behörde ordnungsgemäß hinterlegt und an das Unternehmensregister übermittelt werden, so dass auf Antrag eine Abschrift erhältlich ist. In solchen Fällen findet die in dieser Richtlinie festgelegte Pflicht zur Offenlegung von Rechnungslegungsunterlagen gemäß Artikel 3 Absatz 5 der Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten,6 keine Anwendung. Um zu gewährleisten, dass vergleichbare und gleichwertige Informationen angegeben werden, sollten die bei Ansatz und Bewertung zugrunde gelegten Grundsätze den Aspekt der Unternehmensfortführung, das Vorsichtsprinzip und das Konzept der Periodenabgrenzung einschließen. Eine Verrechnung zwischen Aktiv- und Passivposten sowie zwischen Aufwands- und Ertragsposten sollte nicht zulässig sein, und die Aktiv- und Passivposten sollten einzeln bewertet werden. In besonderen Fällen sollte es den Mitgliedstaaten allerdings gestattet sein, den Unternehmen die Verrechnung zwischen Aktiv- und

6 ABl. L 258 vom 1. 10. 2009, S. 11.

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Passivposten sowie zwischen Aufwands- und Ertragsposten zu erlauben oder vorzuschreiben. Bei der Darstellung der einzelnen Posten im Abschluss sollte der wirtschaftlichen Realität bzw. dem wirtschaftlichen Gehalt des zugrunde liegenden Geschäftsvorfalls oder der zugrunde liegenden Vereinbarung Rechnung getragen werden. Es sollte den Mitgliedstaaten allerdings gestattet sein, Unternehmen von der Anwendung dieses Grundsatzes zu befreien. Für Ansatz, Bewertung, Darstellung, Offenlegung und Konsolidierung im Abschluss sollte der Grundsatz der Wesentlichkeit gelten. Nach dem Grundsatz der Wesentlichkeit können Angaben, die als unwesentlich betrachtet werden, im Abschluss beispielsweise aggregiert werden. Während ein einzelner Posten möglicherweise als unwesentlich angesehen werden kann, können mehrere unwesentliche gleichartige Posten zusammen jedoch durchaus als wesentlich gelten. Es sollte den Mitgliedstaaten gestattet sein, die verbindliche Anwendung des Grundsatzes der Wesentlichkeit auf Darstellung und Offenlegung zu beschränken. Der Grundsatz der Wesentlichkeit sollte eine etwaige Pflicht nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zur Führung vollständiger Aufzeichnungen, aus denen ihre Geschäftstätigkeit und die finanzielle Lage hervorgehen, nicht berühren. Zur Gewährleistung der Zuverlässigkeit der im Abschluss enthaltenen Informationen sollten die im Abschluss angesetzten Posten auf der Basis des Anschaffungs- oder des Herstellungskostenprinzips bewertet werden. Die Mitgliedstaaten sollten jedoch befugt sein, den Unternehmen eine Neubewertung des Anlagevermögens zu erlauben oder vorzuschreiben, damit den Abschlussnutzern aussagekräftigere Informationen zur Verfügung gestellt werden können. Der Bedarf nach einer unionsweiten Vergleichbarkeit der Finanzinformationen macht es erforderlich, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, für bestimmte Finanzinstrumente eine Rechnungslegung zum beizulegenden Zeitwert zuzulassen. Im Übrigen stellen Systeme einer Rechnungslegung zum beizulegenden Zeitwert Informationen bereit, die für die Nutzer von Abschlüssen von größerer Relevanz sein können als Informationen, die auf den Anschaffungs- oder den Herstellungskosten basieren. Entsprechend sollten die Mitgliedstaaten die Einführung einer Rechnungslegung zum beizulegenden Zeitwert durch alle Unternehmen bzw. Kategorien von Unternehmen — mit Ausnahme der Kleinstunternehmen, die von der in dieser Richtlinie enthaltenen Ausnahmeregelung Gebrauch machen — gestatten, und zwar sowohl in Bezug auf Jahresabschlüsse und konsolidierte Abschlüsse. als auch — je nach Wahl des Mitgliedstaats — nur in Bezug auf konsolidierte Abschlüsse. Darüber hinaus sollte es den Mitgliedstaaten gestattet sein, eine Rechnungslegung zum beizulegenden Zeitwert für Vermögensgegenstände, die keine Finanzinstrumente sind, zuzulassen oder zu verlangen. Es ist erforderlich, die Anzahl der Gliederungsformen für Bilanzen zu beschränken, um es den Nutzern von Abschlüssen zu ermöglichen, die finanzielle Lage von Unternehmen innerhalb der Union besser zu vergleichen. Die Mitgliedstaaten sollten die Anwendung einer Gliederungsform für die Bilanz vorschreiben, und es sollte ihnen gestattet sein, eine Auswahl von erlaubten Gliederungen anzubieten. Es sollte den Mitgliedstaaten jedoch möglich sein, den Unternehmen zu erlauben oder vorzuschreiben, die Gliederung zu ändern und eine Bilanz vorzulegen, die zwischen kurz- und langfristigen Posten unterscheidet. Es sollte sowohl eine Gliederung der Gewinn- und Verlustrechnung nach Eigenart der Aufwendungen als auch eine Gewinn- und Verlustrechnung nach Funktion der Aufwendungen zulässig sein. Die Mitgliedstaaten sollten die Anwendung einer Gliederungsform für die Gewinn- und Verlustrechnung vorschreiben, und es sollte ihnen gestattet sein, die Auswahl von mehreren erlaubten Gliederungen anzubieten. Die Mitgliedstaaten sollten

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es Unternehmen ferner gestatten können, anstelle einer Gewinn- und Verlustrechnung, die entsprechend einer der zulässigen Gliederungen erstellt wird, eine Ergebnisrechnung („statement of performance“) vorzulegen. Für kleine und mittlere Unternehmen kann eine vereinfachte Fassung der vorgeschriebenen Gliederungsschemata zur Verfügung gestellt werden. Es sollte den Mitgliedstaaten allerdings gestattet sein, die Gliederungsformen der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechung zu beschränken, sofern dies für die elektronische Einreichung von Abschlüssen erforderlich ist. Im Interesse der Vergleichbarkeit sollte ein gemeinsamer Rahmen für Ansatz, Bewertung und Darstellung unter anderem von Wertberichtigungen, Geschäfts- oder Firmenwert, Rückstellungen, Vorratsvermögen und beweglichen Vermögensgegenständen sowie Ertrags- oder Aufwandsposten in außerordentlicher Größenordnung oder mit außerordentlichem Stellenwert vorgegeben werden. Ansatz und Bewertung einiger Posten des Abschlusses beruhen nicht auf präzisen Darstellungen sondern vielmehr auf Schätzungen, Bewertungen und Modellen. Als Ergebnis der mit Geschäftstätigkeiten verbundenen Ungewissheiten können bestimmte Posten in den Abschlüssen nicht präzise bewertet, sondern nur geschätzt werden. Schätzungen umfassen Bewertungen anhand der jüngsten verfügbaren zuverlässigen Angaben. Schätzungen sind ein wesentlicher Bestandteil der Aufstellung von Abschlüssen. Dies gilt insbesondere im Falle von Rückstellungen, die naturgemäß unsicherer sind, als die meisten anderen Bilanzposten. Die Schätzungen sollten auf einer vorsichtigen Bewertung der Unternehmensleitung beruhen sowie auf einer objektiven Grundlage berechnet werden, ergänzt um Erfahrungen aus ähnlichen Geschäftsvorfällen sowie in einigen Fällen sogar um Berichte von unabhängigen Experten. Die berücksichtigten Nachweise sollten alle zusätzlichen Hinweise umfassen, die sich aufgrund von Ereignissen nach dem Bilanzstichtag ergeben. Die in der Bilanz und in der Gewinn- und Verlustrechnung dargestellten Informationen sollten durch Angaben im Anhang zum Abschluss ergänzt werden. Die Nutzer von Abschlüssen haben üblicherweise lediglich begrenzten Bedarf an zusätzlichen Informationen kleiner Unternehmen, und für kleine Unternehmen kann es kostspielig sein, diese zusätzlichen Informationen zusammenzustellen. Eine spezielle Regelung für kleine Unternehmen, die lediglich eine begrenzte Offenlegungspflicht vorsieht, ist somit gerechtfertigt. Ist ein Kleinstunternehmen oder ein kleines Unternehmen allerdings der Auffassung, dass die Bereitstellung zusätzlicher Informationen der Art, wie sie von mittleren und großen Unternehmen verlangt wird, oder anderer in dieser Richtlinie nicht vorgesehener Informationen nützlich wäre, so sollte es nicht daran gehindert werden. Die Angabe zu den Rechnungslegungsmethoden ist eines der Schlüsselelemente des Anhangs zum Abschluss. Diese Angaben sollten insbesondere die Bewertungsgrundlage für die verschiedenen Posten, eine Angabe zur Übereinstimmung dieser Rechnungslegungsmethoden mit dem Konzept der Unternehmensfortführung und wesentliche Änderungen der Rechnungslegungsmethoden umfassen. Nutzer der von mittleren und großen Unternehmen erstellten Abschlüsse haben in der Regel anspruchsvollere Bedürfnisse. Daher sollte in bestimmten Bereichen die Angabe weiterer Informationen vorgesehen werden. Ausnahmen von bestimmten Berichtspflichten sind gerechtfertigt, wenn bestimmten Personen oder dem Unternehmen aus dieser Angabe ein Nachteil erwachsen würde. Der Lagebericht und der konsolidierte Lagebericht sind wichtige Elemente der Finanzberichterstattung. Es sollte ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild des Geschäftsverlaufs und des Geschäftsergebnisses vermittelt werden, und zwar in einer Weise,

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die Umfang und Komplexität der Geschäfte entspricht. Die Informationen sollten sich nicht auf die finanziellen Aspekte der Geschäfte des Unternehmens beschränken, sondern auch die ökologischen und sozialen Aspekte seiner Geschäftstätigkeit, die für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses oder der Lage des Unternehmens erforderlich ist, sollten analysiert werden. In den Fällen, in denen der konsolidierte Lagebericht und der Lagebericht des Mutterunternehmens als ein einziger Bericht vorgelegt werden, kann es angemessen sein, in besonderer Weise auf die Umstände einzugehen, die für die Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen von Bedeutung sind. Mit Blick auf die potenzielle Belastung für kleine und mittlere Unternehmen ist es jedoch angezeigt, die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten vorzusehen, eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Bereitstellung von Nichtfinanzinformationen im Lagebericht solcher Unternehmen zu gewähren. Die Mitgliedstaaten sollten über die Möglichkeit verfügen, kleine Unternehmen von der Pflicht zur Erstellung eines Lageberichts zu befreien, sofern diese Unternehmen im Anhang zu ihrem Abschluss im Einklang mit Artikel 24 Absatz 2 der Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten,7 die Daten zum Erwerb eigener Aktien angeben. Da börsennotierte Unternehmen in den Volkswirtschaften, in denen sie operieren, eine herausragende Rolle spielen können, sollten die Bestimmungen dieser Richtlinie, die die Erklärung zur Unternehmensführung betreffen, für Unternehmen gelten, deren übertragbare Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind. Zahlreichen Unternehmen gehören andere Unternehmen; durch die Koordinierung der Rechtsvorschriften über konsolidierte Abschlüsse sollen die Interessen geschützt werden, die gegenüber Kapitalgesellschaften bestehen. Damit Finanzinformationen über derartige Unternehmen zur Kenntnis der Gesellschafter und Dritter gebracht werden können, sollte ein konsolidierter Abschluss erstellt werden. Daher wäre eine Koordinierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über den konsolidierten Abschluss angebracht, damit Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit der von Unternehmen in der Union zu veröffentlichenden Informationen gewährleistet werden. Aufgrund des Fehlens eines Transaktionspreises zu Marktbedingungen sollte es den Mitgliedstaaten gestattet sein, die Bilanzierung von gruppeninternen Beteiligungsübertragungen — sogenannte Geschäftsvorfälle zwischen Unternehmen unter einheitlicher Leitung — unter Anwendung der Interessenzusammenführungsmethode zuzulassen, bei der der Buchwert von Anteilen an einem in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen lediglich mit dem entsprechenden Anteil am Gesellschaftskapital verrechnet wird. Die Richtlinie 83/349/EWG enthielt eine Vorschrift, wonach ein konsolidierter Abschluss für Gruppen zu erstellen ist, wenn entweder das Mutterunternehmen oder ein oder mehrere Tochterunternehmen eine der in den Anhängen I oder II dieser Richtlinie genannten Rechtsformen hat. Die Mitgliedstaaten hatten die Möglichkeit, Mutterunternehmen von der Anforderung, einen konsolidierten Abschluss zu erstellen, zu befreien, sofern das

7 ABl. L 315 vom 14. 11. 2012, S. 74.

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Mutternunternehmen nicht eine der in den Anhängen I oder II genannten Rechtsformen hatte. Gemäß der vorliegenden Richtlinie sind lediglich Mutterunternehmen einer der in Anhang I oder, unter bestimmten Umständen, der in Anhang II genannten Rechtsform verpflichtet, konsolidierte Abschlüsse zu erstellen; allerdings werden die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, den Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszudehnen, so dass er sich auch auf andere Situationen erstreckt. Demnach hat sich die Richtlinie inhaltlich nicht geändert, da es weiterhin den Mitgliedstaaten obliegt, zu entscheiden, ob Unternehmen, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, verpflichtet sind, einen konsolidierten Abschluss zu erstellen. Konsolidierte Abschlüsse sollten die Tätigkeiten eines Mutterunternehmens und seiner Tochterunternehmen als die einer einzigen wirtschaftlichen Einheit (einer Gruppe) darstellen. Vom Mutterunternehmen kontrollierte Unternehmen sollten als Tochterunternehmen betrachtet werden. Die Kontrolle sollte darin bestehen, dass eine Mehrheit der Stimmrechte gehalten wird; eine Kontrolle kann aber auch gegeben sein, wenn entsprechende Vereinbarungen mit anderen Mitaktionären oder Mitgesellschaftern geschlossen wurden. Unter bestimmten Bedingungen kann eine tatsächliche Kontrolle ausgeübt werden, auch wenn das Mutterunternehmen nur eine Minderheitsbeteiligung oder keine Beteiligung am Tochterunternehmen hält. Die Mitgliedstaaten sollten befugt sein vorzuschreiben, dass Unternehmen, die nicht der Kontrolle unterliegen, die aber unter einheitlicher Leitung stehen oder ein gemeinsames Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan haben, in den konsolidierten Abschluss einbezogen werden. Ein Tochterunternehmen, das selbst Mutterunternehmen ist, sollte einen konsolidierten Abschluss erstellen. Nichtsdestoweniger sollten die Mitgliedstaaten befugt sein, ein solches Mutterunternehmen unter bestimmten Umständen von der Pflicht zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses zu befreien, sofern die Gesellschafter des Unternehmens und Dritte hinreichend geschützt sind. Kleine Gruppen sollten von der Pflicht zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses befreit werden, da die Nutzer der Abschlüsse kleiner Unternehmen keinen spezifischen Informationsbedarf haben und es kostspielig sein kann, zusätzlich zum Jahresabschluss des Mutterunternehmens und des Tochterunternehmens noch einen konsolidierten Abschluss zu erstellen. Die Mitgliedstaaten sollten mittlere Unternehmen aus denselben Kosten-Nutzen-Erwägungen von der Pflicht zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses befreien können, es sei denn, bei einem verbundenen Unternehmen handelt es sich um ein Unternehmen von öffentlichem Interesse. Eine Konsolidierung erfordert die vollständige Berücksichtigung der Aktiva und Passiva sowie der Erträge und Aufwendungen der Unternehmen der Gruppe und die gesonderte Angabe der nicht beherrschenden Anteile in der konsolidierten Bilanz unter „Eigenkapital“ sowie die gesonderte Angabe der nicht beherrschenden Anteile unter „Ergebnis der Gruppe“ in der konsolidierten Gewinn- und Verlustrechnung. Es sollten jedoch die erforderlichen Berichtigungen vorgenommen werden, um die Auswirkungen finanzieller Beziehungen zwischen den konsolidierten Unternehmen zu beseitigen. Die für die Erstellung der Jahresabschlüsse geltenden Grundsätze in Bezug auf Ansatz und Bewertung sollten auch für die Erstellung konsolidierter Abschlüsse gelten. Es sollte den Mitgliedstaaten allerdings gestattet sein zuzulassen, dass die in dieser Richtlinie festgelegten allgemeinen Bestimmungen und Grundsätze bei Jahresabschlüssen anders angewendet werden als bei konsolidierten Abschlüssen. Assoziierte Unternehmen sollten mittels der Equity-Methode in den konsolidierten Abschluss einbezogen werden. Die Bestimmungen zur Bewertung von assoziierten Unter-

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nehmen sollten gegenüber denen der Richtlinie 83/349/EWG inhaltlich unverändert bleiben, und die nach jener Richtlinie zulässigen Verfahren können weiterhin angewendet werden. Die Mitgliedstaaten sollten zudem gestatten oder vorschreiben können, dass ein gemeinsam geführtes Unternehmen im Rahmen des konsolidierten Abschlusses anteilig konsolidiert wird. Konsolidierte Abschlüsse sollten alle Angaben zu der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen in der Form von Anhangangaben zum Abschluss enthalten. Name, Sitz und Gruppenbeteiligung am Kapital der Unternehmen sollten auch in Bezug auf Tochterunternehmen, assoziierte Unternehmen, gemeinsam geführte Unternehmen und Beteiligungen angegeben werden. Die Jahresabschlüsse sämtlicher Unternehmen, auf die diese Richtlinie anwendbar ist, sollten gemäß der Richtlinie 2009/101/EG offengelegt werden. Es ist jedoch angebracht, in diesem Bereich gewisse Ausnahmeregelungen für kleine und mittlere Unternehmen vorzusehen. Die Mitgliedstaaten sind dringend aufgefordert, elektronische Systeme zur Offenlegung zu entwickeln, die es Unternehmen ermöglichen, Rechnungslegungsdaten, einschließlich verpflichtender Abschlüsse, lediglich einmal einzureichen, und zwar in einer Form, die es einer Vielzahl von Nutzern ermöglicht, ohne Probleme auf die Daten zuzugreifen und sie zu verwenden. Im Hinblick auf die Berichterstattung über Abschlüsse wird der Kommission empfohlen, die Möglichkeiten für ein harmonisiertes elektronisches Format zu erkunden. Entsprechende Systeme sollten jedoch keine Belastung für kleine und mittlere Unternehmen darstellen. Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane eines Unternehmens sollten der Mindestanforderung genügen, dass sie dem Unternehmen gegenüber gemeinsam für die Erstellung und Veröffentlichung von Jahresabschlüssen und Lageberichten verantwortlich sind. Der gleiche Grundsatz sollte auch für Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane von Unternehmen gelten, die einen konsolidierten Abschluss erstellen. Diese Organe handeln im Rahmen der ihnen durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften übertragenen Zuständigkeiten. Für die Mitgliedstaaten sollte die Möglichkeit bestehen, darüber hinauszugehen und eine unmittelbare Rechenschaftspflicht gegenüber Aktionären, Gesellschaftern oder anderen Beteiligten einzuführen. Die Haftung für die Erstellung und Veröffentlichung der Jahresabschlüsse und der konsolidierten Abschlüsse sowie der Lageberichte und der konsolidierten Lageberichte unterliegt einzelstaatlichen Rechtsvorschriften. Angemessene Haftungsregelungen, wie sie von jedem Mitgliedstaat nach den jeweiligen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegt werden, sollten für die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane eines Unternehmens gelten. Den Mitgliedstaaten sollte es gestattet sein, den Haftungsumfang festzulegen. Zur Förderung glaubwürdiger Rechnungslegungsprozesse in der gesamten Union sollten die Mitglieder desjenigen Organs eines Unternehmens, das für die Ausarbeitung des Abschlusses eines Unternehmens verantwortlich ist, sicherstellen, dass die im Jahresabschluss und die im konsolidierten Abschluss einer Gruppe enthaltenen Finanzinformationen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermitteln. Jahresabschlüsse und konsolidierte Abschlüsse sollten einer Abschlussprüfung unterzogen werden. Die Anforderung, dass in einem Prüfungsurteil festgestellt werden sollte, ob der Jahresabschluss bzw. der konsolidierte Abschluss im Einklang mit den einschlägigen Rechnungslegungsgrundsätzen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt, sollte nicht als Einschränkung der Geltung des Bestätigungsvermerks verstan-

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den werden, sondern als Präzisierung zu dem Kontext, innerhalb dessen er erteilt wird. Für den Jahresabschluss kleiner Unternehmen sollte keine Prüfungspflicht bestehen, da eine solche Prüfung mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand für diese Kategorie von Unternehmen verbunden sein kann, denn in vielen kleinen Unternehmen sind ein und dieselben Personen sowohl Anteilseigner als auch Mitglieder der Unternehmensleitung, weshalb die Notwendigkeit einer Bestätigung ihres Abschlusses durch Dritte begrenzt ist. Allerdings sollte diese Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, unter Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten und Bedürfnisse kleiner Unternehmen sowie der Nutzer der Abschlüsse solcher Unternehmen, eine Abschlussprüfung für kleine Unternehmen vorzuschreiben. Außerdem ist es angemessener, den Inhalt des Bestätigungsvermerks in Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. May 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen8 festzulegen. Daher sollte jene Richtlinie entsprechend geändert werden. (44) Im Interesse einer größeren Transparenz hinsichtlich der an staatliche Stellen geleisteten Zahlungen sollten große Unternehmen und Unternehmen von öffentlichem Interesse, die in der mineralgewinnenden Industrie oder im Holzeinschlag in Primärwäldern9 tätig sind, in einem separaten jährlichen Bericht offenlegen, welche wesentlichen Zahlungen sie an staatliche Stellen in den Ländern geleistet haben, in denen sie ihrer Tätigkeit nachgehen. Solche Unternehmen sind in Ländern tätig, die reich an natürlichen Ressourcen, insbesondere Erdöl, Erdgas und Primärwäldern, sind. In dem Bericht sollten Zahlungen aufgeführt werden, die mit denen vergleichbar sind, die von den an der Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft (EITI) beteiligten Unternehmen offengelegt werden. Diese Initiative ergänzt ferner den Aktionsplan „Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Handel im Forstsektor“ der Europäischen Union („Forest Law Enforcement, Governance and Trade“, FLEGT) und die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 995/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über die Verpflichtungen von Marktteilnehmern, die Holz und Holzerzeugnisse in Verkehr bringen,10 die von Holzhändlern verlangt, alle gebotene Sorgfalt walten zu lassen, um zu verhindern, dass Holz aus illegalem Einschlag auf den Markt der Union gelangt. (45) Zweck der Berichte sollte es sein, den Regierungen ressourcenreicher Länder dabei zu helfen, die EITI-Grundsätze und -Kriterien umzusetzen und ihren Bürgern Rechenschaft über die Zahlungen abzulegen, die sie von den in ihrem Hoheitsgebiet tätigen Unternehmen der mineralgewinnenden Industrie und der Industrie des Holzeinschlags in Primärwäldern erhalten. Der Bericht sollte Angaben nach Ländern und Projekten enthalten. Der Begriff „Projekt“ sollte definiert werden als die operativen Tätigkeiten, die sich nach einem einzigen Vertrag, einer Lizenz, einem Mietvertrag, einer Konzession oder ähnlichen rechtlichen Vereinbarungen richten und die Grundlage für Zahlungsverpflichtungen gegenüber einer staatlichen Stelle bilden. Falls allerdings mehrere solche Vereinbarungen wesentlich miteinander verbunden sind, sollten diese als Projekte betrachtet werden. „Materiell miteinander verbundene“ rechtliche Vereinbarungen sollte verstanden werden

8 ABl. L 157 vom 9. 6. 2006, S. 87. 9 Definiert in Richtlinie 2009/28/EG als „natürlich regenerierte Wälder mit einheimischen Arten, in denen es keine deutlich sichtbaren Anzeichen für menschliche Eingriffe gibt und die ökologischen Prozesse nicht wesentlich gestört sind“. 10 ABl. L 295 vom 12. 11. 2010, S. 23.

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als ein Komplex von mit der staatlichen Stelle geschlossenen, operativ und geografisch verflochtenen Verträgen, Lizenzen, Mitverträgen oder Konzessionen oder damit verbundenen Vereinbarungen mit im Wesentlichen ähnlichen Bedingungen, der bestimmte Zahlungsverpflichtungen begründet. Diese Vereinbarungen können durch einen einzigen Vertrag, eine Vereinbarung über ein gemeinsames Unternehmen, eine Vereinbarung über die gemeinsame Produktion oder andere übergeordnete rechtliche Vereinbarungen geregelt sein. Zahlungen sind unabhängig davon, ob sie als Einmalzahlungen oder als eine Reihe verbundener Zahlungen geleistet werden, nicht in dem Bericht zu berücksichtigen, wenn sie im Laufe des Geschäftsjahres unter 100 000 EUR liegen. Dies bedeutet, dass das Unternehmen im Falle einer bestehenden Vereinbarung über regelmäßige Zahlungen oder Raten (z. B. Mietgebühren) den Gesamtbetrag der verbundenen regelmäßigen Zahlungen oder der Raten der verbundenen Zahlungen berücksichtigt, um festzustellen, ob die Schwelle für diese Reihe von Zahlungen erreicht ist und ob dementsprechend eine Offenlegung erforderlich ist. Unternehmen, die in der mineralgewinnenden Industrie oder auf dem Gebiet des Holzeinschlags in Primärwäldern tätig sind, sollten nicht dazu verpflichtet werden, Zahlungen, die zur Erfüllung von Verpflichtungen auf der Ebene des Unternehmens und nicht auf der Ebene einzelner Projekte vorgenommen werden, nach Projekten aufzuschlüsseln oder einzelnen Projekten zuzuweisen. Falls beispielsweise ein Unternehmen über mehr als ein Projekt in einem Aufnahmeland verfügt und die staatlichen Stellen dieses Landes bei dem Unternehmen Körperschaftsteuern in Bezug auf seine gesamten Erträge in dem Land und nicht in Bezug auf ein bestimmtes Projekt oder einen bestimmten Vorgang innerhalb des Landes erheben, wäre das Unternehmen berechtigt, die entsprechend(en) Körperschaftssteuerzahlung(en) anzugeben, ohne dabei ein mit der betreffenden Zahlung verbundenes bestimmtes Projekt anzugeben. Ein Unternehmen, das in der mineralgewinnenden Industrie oder auf dem Gebiet des Holzeinschlags in Primärwäldern tätig ist, braucht im Allgemeinen die an eine staatliche Stelle als Stammaktionär dieses Unternehmens gezahlten Dividenden nicht offenzulegen, solange die Dividenden unter denselben Bedingungen an die staatliche Stelle wie an die anderen Aktionäre gezahlt werden. Allerdings hat das Unternehmen alle anstelle von Produktionsrechten oder Nutzungsentgelten gezahlten Dividenden offenzulegen. Um einer möglichen Umgehung von Offenlegungsanforderungen entgegenzuwirken, sollte diese Richtlinie präzisieren, dass Zahlungen in Bezug auf den Inhalt der Tätigkeit oder der betreffenden Zahlung offenzulegen sind. So sollte das Unternehmen die Offenlegung beispielsweise nicht dadurch umgehen können, dass es eine Tätigkeit, die sonst durch diese Richtlinie erfasst würde, neu umschreibt. Außerdem sollten Zahlungen oder Tätigkeiten nicht künstlich mit dem Ziel aufgeteilt oder zusammengefasst werden, diese Offenlegungsanforderungen zu umgehen. Um zu bestimmen, unter welchen Umständen die Unternehmen von den Berichtspflichten nach Kapitel 10 ausgenommen werden sollten, sollte der Kommission die Befugnis übertragen werden, gemäß Artikel 290 AEUV delegierte Rechtsakte zur Festlegung der Kriterien zu erlassen, anhand deren bewertet wird, ob die Berichtspflichten von Drittländern den Anforderungen des genannten Kapitels entsprechen. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Kommission im Zuge ihrer Vorbereitungsarbeit angemessene Konsultationen, auch auf der Ebene von Sachverständigen, durchführt. Bei der Vorbereitung und Ausarbeitung delegierter Rechtsakte sollte die Kommission gewährleisten, dass die ein-

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schlägigen Dokumente dem Europäischen Parlament und dem Rat gleichzeitig, rechtzeitig und auf angemessene Weise übermittelt werden. Zur Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung des Artikels 46 Absatz 1 sollten der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen werden. Diese Befugnisse sollten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren,11 ausgeübt werden. Innerhalb von drei Jahren nach Ablauf der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie durch die Mitgliedstaaten sollte die Kommission das Berichterstattungssystem überprüfen und einen Bericht vorlegen. Bei der Überprüfung sollte die Wirksamkeit der Regelung analysiert und internationalen Entwicklungen, einschließlich Fragen der Wettbewerbsfähigkeit und der Energieversorgungssicherheit, Rechnung getragen werden. Bei der Überprüfung sollte auch auf die Frage einer Ausdehnung der Berichtspflichten auf zusätzliche Wirtschaftszweige sowie auf die Frage eingegangen werden, ob der Bericht geprüft werden sollte. Darüber hinaus sollten bei der Überprüfung die Erfahrungen von Erstellern und Nutzern der Zahlungsinformationen berücksichtigt und Überlegungen dazu angestellt werden, ob es sinnvoll wäre, zusätzliche Zahlungsinformationen, etwa zu den effektiven Steuersätzen, und nähere Angaben zum Empfänger, etwa Angaben zu seiner Bankverbindung, mit aufzunehmen. Im Einklang mit den Schlussfolgerungen des G8-Gipfels in Deauville vom Mai 2011 sollte die Kommission mit Blick auf die Schaffung einheitlicher internationaler Wettbewerbsbedingungen weiterhin bei allen internationalen Partnern darauf hinwirken, dass sie ähnliche Anforderungen betreffend der Berichterstattung über Zahlungen an staatliche Stellen einführen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Fortführung der Arbeiten am entsprechenden internationalen Rechnungslegungsstandard. Damit sie künftigen Änderungen der für die verschiedene Unternehmenskategorien geltenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten und der Union Rechnung tragen kann, sollte der Kommission die Befugnis übertragen werden, gemäß Artikel 290 AEUV delegierte Rechtsakte zur Aktualisierung der Listen der Unternehmenskategorien in den Anhängen I und II zu erlassen. Der Rückgriff auf delegierte Rechtsakte ist auch erforderlich, um die Kriterien für die Bestimmung der Unternehmensgröße anzupassen, da der Realwert eines Unternehmens im Laufe der Zeit aufgrund der Inflation schrumpft. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Kommission im Zuge ihrer Vorbereitungsarbeit angemessene Konsultationen, auch auf der Ebene von Sachverständigen, durchführt. Bei der Vorbereitung und Ausarbeitung delegierter Rechtsakte sollte die Kommission gewährleisten, dass die einschlägigen Dokumente dem Europäischen Parlament und dem Rat gleichzeitig, rechtzeitig und auf angemessene Weise übermittelt werden. Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Erleichterung grenzüberschreitender Investitionen und die Verbesserung der unionsweiten Vergleichbarkeit und des öffentlichen Vertrauens in Abschlüsse und Berichte durch umfassendere und kohärentere spezifische Angaben auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen dieser Richtlinie besser auf Unionsebene zu verwirklichen sind, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über

11 ABl. L 55 vom 28. 2. 2011, S. 13.

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die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. (56) Diese Richtlinie ersetzt die Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG. Daher sollten jene Richtlinien aufgehoben werden. (57) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. (58) Gemäß der Gemeinsamen Politischen Erklärung der Mitgliedstaaten und der Kommission zu erläuternden Dokumenten vom 28. September 2011 haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, in begründeten Fällen zusätzlich zur Mitteilung ihrer Umsetzungsmaßnahmen ein oder mehrere Dokumente zu übermitteln, in dem bzw. denen der Zusammenhang zwischen den Bestandteilen einer Richtlinie und den entsprechenden Teilen einzelstaatlicher Umsetzungsinstrumente erläutert wird. In Bezug auf diese Richtlinie hält der Gesetzgeber die Übermittlung von Entsprechungstabellen für gerechtfertigt — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel 1 – Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen und Rechtsformen von Unternehmen und Gruppen Art. 1 Anwendungsbereich (1) Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Rechtsformen von Unternehmen, a) die in Anhang I genannt sind; b) die in Anhang II genannt sind und bei denen alle unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschafter des Unternehmens mit ansonsten unbeschränkter Haftung tatsächlich nur beschränkt haftbar sind, weil diese Gesellschafter i) über eine in Anhang I aufgeführte Rechtsform verfügen oder ii) nicht den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegen, aber über eine Rechtsform verfügen, die einer in Anhang I genannten vergleichbar ist. (2) Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission innerhalb einer angemessenen Zeitspanne über Änderungen bei den Rechtsformen von Unternehmen in ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, die die Richtigkeit des Anhangs I oder des Anhangs II beeinträchtigen könnten. In diesem Fall ist die Kommission befugt, die Verzeichnisse der Rechtsformen von Unternehmen in den Anhängen I und II mittels delegierter Rechtsakte im Einklang mit Artikel 49 anzupassen. Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. „Unternehmen von öffentlichem Interesse“ Unternehmen im Anwendungsbereich des Artikels 1, 1065

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a) die unter das Recht eines Mitgliedstaats fallen und deren übertragbare Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/ 39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente12 zugelassen sind, b) die Kreditinstitute im Sinne des Artikels 4 Nummer 1 der Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute13 — mit Ausnahme der in Artikel 2 jener Richtlinie genannten Kreditinstitute — sind, c) die Versicherungsunternehmen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 91/674/EWG des Rates vom 19. Dezember 1991 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen14 sind oder d) die von den Mitgliedstaaten als Unternehmen von öffentlichem Interesse bestimmt werden, beispielsweise Unternehmen, die aufgrund der Art ihrer Tätigkeit, ihrer Größe oder der Zahl ihrer Beschäftigten von erheblicher öffentlicher Bedeutung sind. 2. „Beteiligung“ Anteile an anderen Unternehmen, die dazu bestimmt sind, dem eigenen Geschäftsbetrieb durch Herstellung einer dauernden Verbindung zu jenen Unternehmen zu dienen. Dabei ist es gleichgültig, ob die Anteile in Wertpapieren verbrieft sind oder nicht. Es wird eine Beteiligung an einem anderen Unternehmen vermutet, wenn der Anteil am Gesellschaftskapital über einem prozentualen Schwellenwert liegt, der von den Mitgliedstaaten auf höchstens 20 % festgesetzt werden darf; 3. „nahestehende Unternehmen und Personen“ Unternehmen und Personen im Sinne der gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards15 übernommenen Internationalen Rechnungslegungsstandards; 4. „Anlagevermögen“ diejenigen Vermögensgegenstände, die dazu bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen; 5. „Nettoumsatzerlöse“ die Beträge, die sich aus dem Verkauf von Produkten und der Erbringung von Dienstleistungen nach Abzug von Erlösschmäle-

12 13 14 15

ABl. ABl. ABl. ABl.

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L L L L

145 vom 30. 4. 2004, S. 1. 177 vom 30. 6. 2006, S. 1. 374 vom 31. 12. 1991, S. 7. 243 vom 11. 9. 2002, S. 1.

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rungen und der Mehrwertsteuer sowie sonstigen direkt mit dem Umsatz verbundenen Steuern ergeben; „Anschaffungskosten“ den Einkaufpreis samt Nebenkosten, vermindert um alle zurechenbaren Anschaffungspreisminderungen; „Herstellungskosten“ die Anschaffungskosten der Rohstoffe, Hilfs- und Betriebsstoffe und die sonstigen dem einzelnen Erzeugnis unmittelbar zurechenbaren Kosten. Die Mitgliedstaaten gestatten oder schreiben vor, dass angemessene Teile dem einzelnen Erzeugnis nur mittelbar zurechenbarer fixer oder variabler Gemeinkosten in dem Maße berücksichtigt werden, wie sie auf den Zeitraum der Herstellung entfallen. Vertriebskosten sind nicht zu berücksichtigen; „Wertberichtigung“ alle Wertanpassungen von Vermögensgegenständen, die zur Berücksichtigung am Bilanzstichtag festgestellter, endgültiger oder nicht endgültiger Wertänderungen dienen; „Mutterunternehmen“ ein Unternehmen, das ein oder mehrere Tochterunternehmen kontrolliert; „Tochterunternehmen“ ein von einem Mutterunternehmen kontrolliertes Unternehmen, einschließlich jedes mittelbar kontrollierten Tochterunternehmens eines Mutterunternehmens; „Gruppe“ ein Mutterunternehmen und alle Tochterunternehmen; „verbundene Unternehmen“ zwei oder mehrere Unternehmen innerhalb einer Gruppe; „assoziiertes Unternehmen“ ein Unternehmen, an dem ein anderes Unternehmen eine Beteiligung hält und dessen Geschäfts- und Finanzpolitik durch dieses andere Unternehmen maßgeblich beeinflusst wird. Es wird vermutet, dass ein Unternehmen einen maßgeblichen Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausübt, sofern es 20 % oder mehr der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter dieses anderen Unternehmens besitzt; „Investmentunternehmen“ a) Unternehmen, deren einziger Zweck darin besteht, ihre Mittel in Wertpapieren oder Immobilien verschiedener Art oder in anderen Werten anzulegen mit dem einzigen Ziel, das Risiko der Investitionen zu verteilen und ihre Aktionäre oder Gesellschafter an dem Gewinn aus der Verwaltung ihres Vermögens zu beteiligen; b) Unternehmen, die mit Investmentunternehmen verbunden sind, die ein festes Kapital haben, sofern der einzige Zweck dieser verbundenen Unternehmen darin besteht, voll eingezahlte Anteile, die von diesen Investmentunternehmen ausgegeben worden sind, zu erwerben, unbeschadet des Artikels 22 Absatz 1 Buchstabe h der Richtlinie 2012/30/EU; „Beteiligungsgesellschaft“ Unternehmen, deren einziger Zweck darin besteht, Beteiligungen an anderen Unternehmen zu erwerben sowie die Ver1067

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waltung und Verwertung dieser Beteiligungen wahrzunehmen, ohne dass sie unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Unternehmen eingreifen, unbeschadet der Rechte, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Aktionäre oder Gesellschafter zustehen. 16. „wesentlich“ den Status von Informationen, wenn vernünftigerweise zu erwarten ist, dass ihre Auslassung oder fehlerhafte Angabe Entscheidungen beeinflusst, die Nutzer auf der Grundlage des Abschlusses des Unternehmens treffen. Die Wesentlichkeit einzelner Posten wird im Zusammenhang mit anderen ähnlichen Posten bewertet. Art. 3 Kategorien von Unternehmen und Gruppen (1) Mitgliedstaaten, die von einer oder mehreren der Möglichkeiten in Artikel 36 Gebrauch machen, definieren Kleinstunternehmen als Unternehmen, die am Bilanzstichtag die Grenzen von mindestens zwei der drei folgenden Größenmerkmale nicht überschreiten: a) Bilanzsumme: 350 000 EUR; b) Nettoumsatzerlöse: 700 000 EUR; c) durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten: 10. (2) Kleine Unternehmen sind Unternehmen, die am Bilanzstichtag die Grenzen von mindestens zwei der drei folgenden Größenmerkmale nicht überschreiten: a) Bilanzsumme: 4 000 000 EUR; b) Nettoumsatzerlöse: 8 000 000 EUR; c) durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten: 50. Die Mitgliedstaaten können Schwellenwerte festlegen, die über die Schwellenwerte in Unterabsatz 1 Buchstaben a und b hinausgehen. Diese Schwellenwerte dürfen jedoch 6 000 000 EUR für die Bilanzsumme und 12 000 000 EUR für die Nettoumsatzerlöse nicht überschreiten. (3) Mittlere Unternehmen sind Unternehmen, bei denen es sich nicht um Kleinstunternehmen oder kleine Unternehmen handelt und die am Bilanzstichtag die Grenzen von mindestens zwei der drei folgenden Größenmerkmale nicht überschreiten: a) Bilanzsumme: 20 000 000 EUR; b) Nettoumsatzerlöse: 40 000 000 EUR; c) durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten: 250. (4) Große Unternehmen sind Unternehmen, die am Bilanzstichtag mindestens zwei der drei folgenden Größenmerkmale überschreiten: a) Bilanzsumme: 20 000 000 EUR; b) Nettoumsatzerlöse: 40 000 000 EUR; c) durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten: 250. (5) Kleine Gruppen sind Gruppen, die aus Mutter- und Tochterunternehmen bestehen, welche in eine Konsolidierung einzubeziehen sind, und die auf konsoli1068

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dierter Basis am Bilanzstichtag des Mutterunternehmens die Grenzen von mindestens zwei der drei folgenden Größenmerkmale nicht überschreiten: a) Bilanzsumme: 4 000 000 EUR; b) Nettoumsatzerlöse: 8 000 000 EUR; c) durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten: 50. Die Mitgliedstaaten können Schwellenwerte festlegen, die über die Schwellenwerte in Unterabsatz 1 Buchstaben a und b hinausgehen. Diese Schwellenwerte dürfen jedoch 6 000 000 EUR für die Bilanzsumme und 12 000 000 EUR für die Nettoumsatzerlöse nicht überschreiten. (6) Mittlere Gruppen sind Gruppen, die keine kleinen Gruppen sind und die aus Mutter- und Tochterunternehmen bestehen, welche in eine Konsolidierung einzubeziehen sind, und die auf konsolidierter Basis am Bilanzstichtag des Mutterunternehmens die Grenzen von mindestens zwei der drei folgenden Größenmerkmale nicht überschreiten: a) Bilanzsumme: 20 000 000 EUR; b) Nettoumsatzerlöse: 40 000 000 EUR; c) durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten: 250. (7) Große Gruppen sind Gruppen, die aus Mutter- und Tochterunternehmen bestehen, welche in eine Konsolidierung einzubeziehen sind, und die auf konsolidierter Basis am Bilanzstichtag des Mutterunternehmens die Grenzen von mindestens zwei der drei folgenden Größenmerkmale überschreiten: a) Bilanzsumme: 20 000 000 EUR; b) Nettoumsatzerlöse: 40 000 000 EUR; c) durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten: 250. (8) Die Mitgliedstaaten gestatten, dass bei der Berechnung der in den Absätzen 5 bis 7 genannten Größenmerkmale weder die Verrechnung nach Artikel 24 Absatz 3 vorgenommen wird noch infolge der Anwendung des Artikels 24 Absatz 7 Posten herausgenommen werden. In diesen Fällen werden die Größenmerkmale in Bezug auf die Bilanzsumme und die Nettoumsatzerlöse um 20 % erhöht. (9) Für jene Mitgliedstaaten, die den Euro nicht eingeführt haben, wird der Betrag in nationaler Währung, der den in den Absätzen 1 bis 7 genannten Beträgen gleichwertig ist, durch die Anwendung des Umrechnungskurses ermittelt, der gemäß der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union am Tag des Inkrafttretens einer Richtlinie gilt, die diese Beträge festsetzt. Bei der Umrechnung in die nationalen Währungen der Mitgliedstaaten, die den Euro nicht eingeführt haben, dürfen die in den Absätzen 1, 3,4,6 und 7 in Euro genannten Beträge um höchstens 5 % erhöht oder vermindert werden, so dass sich abgerundete Beträge in den nationalen Währungen ergeben. (10) Überschreitet ein Unternehmen oder eine Gruppe zum Bilanzstichtag die Grenzen von zwei der drei in den Absätzen 1 bis 7 genannten Größenmerkmale 1069

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oder überschreitet es diese nicht mehr, so wirken sich diese Umstände auf die Anwendung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen nur dann aus, wenn sie während zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren fortbestanden haben. (11) Die Bilanzsumme im Sinne der Absätze 1 bis 7 setzt sich bei der Gliederung in Anhang III aus dem Gesamtwert der Posten A bis E unter „Aktiva“ oder bei der Gliederung in Anhang IV aus dem Gesamtwert der Posten A bis E zusammen. (12) Bei der Berechnung der Schwellenwerte in den Absätzen 1 bis 7 können die Mitgliedstaaten für Unternehmen, für die das Konzept der „Nettoumsatzerlöse“ nicht einschlägig ist, die Einbeziehung von Einkommen aus anderen Quellen vorschreiben. Die Mitgliedstaaten können Mutterunternehmen vorschreiben, ihre Schwellenwerte auf konsolidierter statt auf individueller Basis zu berechnen. Die Mitgliedstaaten können zudem verbundenen Unternehmen vorschreiben, ihre Schwellenwerte auf konsolidierter oder aggregierter Basis zu berechnen, wenn diese Unternehmen ausschließlich zur Vermeidung der Berichterstattung über bestimmte Informationen gegründet worden sind. (13) Um eine inflationsbedingte Bereinigung vorzunehmen, überprüft die Kommission mindestens alle fünf Jahre die in den Absätzen 1 bis 7 dieses Artikels genannten Schwellenwerte unter Berücksichtigung der im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Inflationsmaßnahmen und ändert sie gegebenenfalls mittels delegierter Rechtsakte im Einklang mit Artikel 49.

Kapitel 2 – Allgemeine Bestimmungen und Grundsätze Art. 4 Allgemeine Bestimmungen (1) Der Jahresabschluss ist als eine Einheit anzusehen und enthält für Unternehmen zumindest die Bilanz, die Gewinnund Verlustrechnung und den Anhang. Die Mitgliedstaaten können Unternehmen, bei denen es sich nicht um kleine Unternehmen handelt, vorschreiben, dass der Jahresabschluss zusätzlich zu den in Unterabsatz 1 genannten Unterlagen weitere Bestandteile umfasst. (2) Der Jahresabschluss ist klar und übersichtlich aufzustellen; er hat dieser Richtlinie zu entsprechen. (3) Der Jahresabschluss hat ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zu vermitteln. Reicht die Anwendung dieser Richtlinie nicht aus, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zu vermitteln, so sind im Anhang zum Abschluss alle zusätzlichen Angaben zu machen, die erforderlich sind, um dieser Anforderung nachzukommen. 1070

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(4) Ist in Ausnahmefällen die Anwendung einer Bestimmung dieser Richtlinie mit der Anforderung nach Absatz 3 unvereinbar, so wird die betreffende Bestimmung nicht angewandt, um sicherzustellen, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens vermittelt wird. Die Nichtanwendung einer Bestimmung ist im Anhang anzugeben und zu begründen und ihr Einfluss auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens darzulegen. Die Mitgliedstaaten können die Ausnahmefälle festlegen und die entsprechenden Ausnahmeregelungen vorgeben, die in diesen Fällen zur Anwendung kommen. (5) Die Mitgliedstaaten können Unternehmen, die keine kleinen Unternehmen sind, vorschreiben, dass sie in ihrem Jahresabschluss Angaben zu machen haben, die über die gemäß dieser Richtlinie geforderten hinausgehen. (6) Abweichend von Absatz 5 können die Mitgliedstaaten vorschreiben, dass kleine Unternehmen Informationen erstellen, im Abschluss angeben und offenlegen, die über die Anforderungen dieser Richtlinie hinausgehen, sofern diese Angaben im Rahmen eines einheitlichen Einreichungssystems erfasst werden und die Angabepflicht im nationalen Steuerrecht ausschließlich für Zwecke der Steuererhebung vorgesehen ist. Die nach diesem Absatz geforderten Angaben werden in den betreffenden Teil des Abschlusses aufgenommen. (7) Bei der Umsetzung dieser Richtlinie und wenn neue Anforderungen im Einklang mit Absatz 6 in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegt werden, unterrichten die Mitgliedstaaten die Kommission über die im Einklang mit Absatz 6 geforderten zusätzlichen Angaben. (8) Mitgliedstaaten, die für die Einreichung und Offenlegung der Jahresabschlüsse elektronische Lösungen nutzen, stellen sicher, dass kleine Unternehmen nicht verpflichtet sind, die zusätzlichen nach Absatz 6 aufgrund des nationalen Steuerrechts geforderten Angaben gemäß Kapitel 7 zu veröffentlichen. Art. 5 Allgemeine Angaben In dem Dokument, das den Abschluss enthält, sind der Name des Unternehmens und die nach Artikel 5 Buchstaben a und b der Richtlinie 2009/101/EG vorgeschriebenen Informationen anzugeben. Art. 6 Allgemeine Grundsätze für die Rechnungslegung (1) Die im Jahresabschluss und im konsolidierten Abschluss ausgewiesenen Posten werden gemäß folgenden allgemeinen Grundsätzen angesetzt und bewertet: a) Es wird eine Fortsetzung der Unternehmenstätigkeit unterstellt. b) Rechnungslegungsmethoden und Bewertungsgrundlagen sind von einem Geschäftsjahr zum nächsten stetig anzuwenden. c) Bei Ansatz und Bewertung ist der Grundsatz der Vorsicht in jedem Fall zu beachten; das bedeutet insbesondere: 1071

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i) Nur die am Bilanzstichtag realisierten Gewinne werden ausgewiesen. ii) Es müssen alle Risiken berücksichtigt werden, die im Laufe des betreffenden Geschäftsjahres oder eines früheren Geschäftsjahres entstanden sind, selbst wenn diese Risiken erst zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tag der Aufstellung der Bilanz bekannt geworden sind. iii) Wertminderungen sind unabhängig davon zu berücksichtigen, ob das Geschäftsjahr mit einem Gewinn oder einem Verlust abschließt. d) In der Bilanz und in der Gewinn- und Verlustrechnung angesetzte Beträge werden nach dem Prinzip der Periodenabgrenzung berechnet. e) Die Eröffnungsbilanz eines Geschäftsjahres muss mit der Schlussbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahres übereinstimmen. f) Die in den Aktiv- und Passivposten enthaltenen Vermögensgegenstände und Schulden sind einzeln zu bewerten. g) Eine Verrechnung zwischen Aktiv- und Passivposten sowie zwischen Aufwands- und Ertragsposten ist unzulässig. h) Posten der Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Bilanz werden unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Gehalts des betreffenden Geschäftsvorfalls oder der betreffenden Vereinbarung bilanziert und dargestellt. i) Posten im Abschluss werden gemäß dem Anschaffungs- oder dem Herstellungskostenprinzip bewertet. j) Die Anforderungen in dieser Richtlinie in Bezug auf Ansatz, Bewertung, Darstellung, Offenlegung und Konsolidierung müssen nicht erfüllt werden, wenn die Wirkung ihrer Einhaltung unwesentlich ist. (2) Ungeachtet von Absatz 1 Buchstabe g können die Mitgliedstaaten Unternehmen in besonderen Fällen eine Verrechnung zwischen Aktiv- und Passivposten sowie zwischen Aufwands- und Ertragsposten gestatten oder vorschreiben, sofern die verrechneten Beträge im Anhang zum Abschluss als Bruttobeträge angegeben sind. (3) Die Mitgliedstaaten können Unternehmen von den Anforderungen des Absatzes 1 Buchstabe h ausnehmen. (4) Die Mitgliedstaaten können den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe j auf Darstellung und Offenlegung begrenzen. (5) Zusätzlich zu den nach Absatz 1 Buchstabe c Ziffer ii angesetzten Beträgen können die Mitgliedstaaten gestatten oder vorschreiben, dass alle voraussehbaren Verbindlichkeiten und potenziellen Verluste angesetzt werden, die im Laufe des betreffenden Geschäftsjahres oder eines früheren Geschäftsjahres entstanden sind, selbst wenn diese Verbindlichkeiten oder Verluste erst zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tag der Aufstellung der Bilanz bekannt geworden sind. Art. 7 Alternative Bewertungsgrundlage für Anlagevermögen zu Neubewertungsbeträgen (1) Abweichend von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe i können 1072

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die Mitgliedstaaten für alle Unternehmen oder Unternehmenskategorien die Bewertung des Anlagevermögens zu Neubewertungsbeträgen gestatten oder vorschreiben. Sehen die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Bewertung auf Neubewertungsbasis vor, so sind der Inhalt, die Beschränkungen und der Anwendungsbereich festzulegen. (2) Findet Absatz 1 Anwendung, ist der Unterschiedsbetrag zwischen der Bewertung zu den Anschaffungs- oder den Herstellungskosten und der Bewertung auf Neubewertungsbasis der Neubewertungsrücklage in der Bilanz unter „Eigenkapital“ zuzuführen. Die Neubewertungsrücklage kann jederzeit ganz oder teilweise aktiviert werden. Die Neubewertungsrücklage ist zu verringern, soweit die auf diese Rücklage übertragenen Beträge nicht mehr für die Anwendung der Neubewertungsmethode erforderlich sind. Die Mitgliedstaaten können Vorschriften über die Verwendung der Neubewertungsrücklage vorsehen, sofern Übertragungen aus der Neubewertungsrücklage auf die Gewinn- und Verlustrechnung nur insoweit vorgenommen werden dürfen, als die übertragenen Beträge als Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung verbucht worden sind oder tatsächlich realisierte Wertsteigerungen darstellen. Die Neubewertungsrücklage darf, außer wenn sie einen tatsächlich realisierten Gewinn darstellt, weder unmittelbar noch mittelbar und auch nicht zum Teil ausgeschüttet werden. Vorbehaltlich der Unterabsätze 2 und 3 dieses Absatzes darf die Neubewertungsrücklage nicht verringert werden. (3) Wertberichtigungen sind jedes Jahr auf der Grundlage des neu bewerteten Betrags vorzunehmen. Die Mitgliedstaaten können jedoch in Abweichung von den Artikeln 9 und 13 gestatten oder vorschreiben, dass nur der sich aus den Wertberichtigungen infolge der Bewertung zu den Anschaffungs- oder den Herstellungskosten ergebende Betrag unter den betreffenden Posten in den Gliederungen in den Anhängen V und VI ausgewiesen wird und dass die Differenz, die sich aus der nach diesem Artikel vorgenommenen Neubewertung ergibt, in den Gliederungen gesondert ausgewiesen wird. Art. 8 Alternative Bewertungsgrundlage des beizulegenden Zeitwerts (1) Abweichend von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe i und vorbehaltlich der Bedingungen dieses Artikels a) gestatten oder schreiben die Mitgliedstaaten für alle Unternehmen oder einzelne Unternehmenskategorien die Bewertung von Finanzinstrumenten, einschließlich derivativer Finanzinstrumente, zum beizulegenden Zeitwert vor und b) können die Mitgliedstaaten gestatten oder vorschreiben, dass alle Unternehmen oder einzelne Unternehmenskategorien bestimmte Arten von Ver1073

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mögensgegenständen, die keine Finanzinstrumenten sind, auf der Grundlage des beizulegenden Zeitwerts bewerten. Eine solche Genehmigung oder Vorschrift kann auf konsolidierte Abschlüsse beschränkt werden. (2) Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten Warenkontrakte, bei denen jede der Vertragsparteien zur Abgeltung in bar oder durch ein anderes Finanzinstrument berechtigt ist, als derivative Finanzinstrumente, es sei denn, diese Kontrakte a) wurden geschlossen, um zum Zeitpunkt ihres Abschlusses und in der Folge den für den Kauf, Verkauf oder die eigene Verwendung erwarteten Bedarf des Unternehmens abzusichern, und dienen weiterhin dazu; b) waren von Anfang an als Warenkontrakte konzipiert und c) gelten mit der Lieferung der Ware als abgegolten. (3) Absatz 1 Buchstabe a gilt nur für folgende Verbindlichkeiten: a) als Teil eines Handelsbestands gehaltene Verbindlichkeiten und b) derivative Finanzinstrumente. (4) Die Bewertung gemäß Absatz 1 Buchstabe a wird nicht angewandt auf: a) bis zur Fälligkeit gehaltene nicht derivative Finanzinstrumente; b) vom Unternehmen vergebene Darlehen und von ihm begründete Forderungen, die nicht für Handelszwecke gehalten werden, und c) Anteile an Tochterunternehmen, assoziierten Unternehmen und Gemeinschaftsunternehmen, vom Unternehmen ausgegebene Eigenkapitalinstrumente, Verträge über eventuelle Gegenleistungen bei einem Unternehmenszusammenschluss sowie andere Finanzinstrumente, die solch spezifische Merkmale aufweisen, dass sie nach gängiger Auffassung bilanzmäßig in anderer Form als andere Finanzinstrumente erfasst werden sollten. (5) Abweichend von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe i können die Mitgliedstaaten gestatten, dass Aktiv- oder Passivposten, die im Rahmen der Bilanzierung zum beizulegenden Zeitwert von Sicherungsgeschäften als gesichertes Grundgeschäft gelten, oder ein bestimmter Anteil an solchen Aktiv- oder Passivposten mit dem nach diesem System vorgeschriebenen spezifischen Wert angesetzt werden. (6) Abweichend von den Absätzen 3 und 4 können die Mitgliedstaaten den Ansatz, die Bewertung und die Offenlegung von Finanzinstrumenten im Einklang mit den gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 übernommenen internationalen Rechnungslegungsstandards gestatten oder vorschreiben. (7) Der beizulegende Zeitwert im Sinne dieses Artikels ermittelt sich unter Zugrundelegung eines der folgenden Werte: a) Im Fall von Finanzinstrumenten, für die sich ein verlässlicher Markt ohne weiteres ermitteln lässt, entspricht er dem Marktwert. Lässt sich der Marktwert für das Finanzinstrument als Ganzes nicht ohne weiteres bestimmen, 1074

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wohl aber für seine einzelnen Bestandteile oder für ein gleichartiges Finanzinstrument, so kann der Marktwert des Instruments aus den jeweiligen Marktwerten seiner Bestandteile oder dem Marktwert des gleichartigen Finanzinstruments abgeleitet werden. b) Im Fall der Finanzinstrumente, für die sich ein verlässlicher Markt nicht ohne weiteres ermitteln lässt, wird der Wert mit Hilfe allgemein anerkannter Bewertungsmodelle und -methoden bestimmt, sofern diese Modelle und Methoden eine angemessene Annäherung an den Marktwert gewährleisten. Finanzinstrumente, die sich nach keiner der unter Unterabsatz 1 Buchstabe a und b beschriebenen Methoden verlässlich bewerten lassen, werden zu den Anschaffungs- oder den Herstellungskosten bewertet, soweit eine Bewertung auf dieser Grundlage möglich ist. (8) Wird ein Finanzinstrument zum beizulegenden Zeitwert bewertet, so ist ungeachtet des Artikels 6 Absatz 1 Buchstabe c eine Wertänderung in der Gewinnund Verlustrechnung auszuweisen, ausgenommen in folgenden Fällen, in denen die Wertänderung direkt in einer Zeitwert-Rücklage zu erfassen ist: a) Das Finanzinstrument stellt ein Sicherungsinstrument dar und wird im Rahmen einer Bilanzierung von Sicherungsgeschäften erfasst, bei der eine Wertänderung nicht oder nur teilweise in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen wird, oder b) die Wertänderung ist auf eine Wechselkursdifferenz zurückzuführen, von der ein monetärer Posten betroffen ist, der Teil der Nettobeteiligung eines Unternehmens an einer wirtschaftlich selbstständigen ausländischen Teileinheit ist. Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass eine Wertänderung einer zur Veräußerung verfügbaren Finanzanlage, die kein derivatives Finanzinstrument ist, direkt in einer Zeitwert-Rücklage erfasst wird. Die ZeitwertRücklage ist anzupassen, wenn die darin ausgewiesenen Beträge nicht mehr für die Anwendung des Unterabsatzes 1 Buchstaben a und b erforderlich sind. (9) Ungeachtet Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c können die Mitgliedstaaten gestatten oder vorschreiben, dass alle Unternehmen oder einzelne Unternehmenskategorien im Fall der Bewertung von Vermögensgegenständen, die keine Finanzinstrumente sind, zum beizulegenden Zeitwert eine Wertänderung in der Gewinn- und Verlustrechnung ausweisen.

Kapitel 3 – Bilanz und Gewinn- und Verlustrechung Art. 9 Allgemeine Vorschriften für die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung (1) Bei der Gliederung aufeinanderfolgender Bilanzen und Gewinn1075

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und Verlustrechnungen ist Stetigkeit zu wahren. Abweichungen von diesem Grundsatz sind jedoch in Ausnahmefällen zulässig, um sicherzustellen, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens vermittelt wird. Diese Abweichungen und die Gründe dafür sind im Anhang anzugeben. (2) In der Bilanz sowie in der Gewinn- und Verlustrechnung sind die in den Anhängen III bis VI genannten Posten, einzeln und in der angegebenen Reihenfolge auszuweisen. Die Mitgliedstaaten gestatten eine weitere Untergliederung dieser Posten, sofern die Gliederung der Schemata beachtet wird. Die Mitgliedstaaten gestatten das Hinzufügen neuer Zwischensummen und neuer Posten, soweit ihr Inhalt nicht von einem der in den Schemata vorgesehenen Posten abgedeckt wird. Die Mitgliedstaaten können eine solche weitere Untergliederung oder die Hinzufügung von Zwischensummen oder neuen Posten vorschreiben. (3) Die Gliederung, Nomenklatur und Terminologie bei mit arabischen Zahlen versehenen Posten der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechung wird angepasst, wenn dies aufgrund der Besonderheit des Unternehmens erforderlich ist. Die Mitgliedstaaten können solche Anpassungen für Unternehmen fordern, die in einem bestimmten Wirtschaftszweig tätig sind. Die Mitgliedstaaten können gestatten oder verlangen, dass die mit arabischen Zahlen versehenen Posten der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung zusammengefasst ausgewiesen werden, wenn sie in Bezug auf die Zielsetzung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zu vermitteln einen unwesentlichen Betrag darstellen oder wenn dadurch die Klarheit vergrößert wird; die zusammengefassten Posten müssen jedoch gesondert im Anhang ausgewiesen werden. (4) Abweichend von Absatz 2 und 3 dieses Artikels können die Mitgliedstaaten die Möglichkeiten des Unternehmens, von den in den Anhängen III bis VI festgelegten Gliederungen abzuweichen, soweit einschränken, wie dies für eine elektronische Hinterlegung der Abschlüsse erforderlich ist. (5) In der Bilanz sowie in der Gewinn- und Verlustrechnung wird zu jedem Posten die Zahl für das Geschäftsjahr, auf das sich die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung beziehen, und die entsprechende Zahl des vorhergehenden Geschäftsjahres angegeben. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die Zahl des vorhergehenden Geschäftsjahres anzupassen ist, wenn diese Zahlen nicht vergleichbar sind. Besteht diese Vergleichbarkeit nicht und werden die Zahlen gegebenenfalls angepasst, so ist dies im Anhang anzugeben und zu erläutern. (6) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass die Gliederung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung für den Ausweis der Verwendung der Ergebnisse angepasst werden kann. 1076

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(7) In Bezug auf die Behandlung von Beteiligungen in Jahresabschlüssen gilt Folgendes: a) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass Beteiligungen unter Zugrundelegung der Equity-Methode gemäß Artikel 27 bilanziert werden, wobei den wesentlichen Anpassungen Rechnung zu tragen ist, die sich aus den Besonderheiten des Jahresabschlusses im Vergleich zum konsolidierten Abschluss ergeben; b) die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass der auf Beteiligungen entfallende Teil des Ergebnisses in der Gewinn- und Verlustrechnung nur ausgewiesen wird, soweit er Dividenden entspricht, die bereits eingegangen sind oder auf deren Zahlung ein Anspruch besteht; und c) übersteigt der auf die Beteiligung entfallende Teil des Ergebnisses in der Gewinn- und Verlustrechnung die Beträge, die als Dividenden bereits eingegangen sind oder auf deren Zahlung ein Anspruch besteht, so ist der Unterschied in eine Rücklage einzustellen, die nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden darf. Art. 10 Aufstellung der Bilanz Für die Aufstellung der Bilanz schreiben die Mitgliedstaaten eine oder beide der in den Anhängen III und IV festgelegten Gliederungen vor. Schreibt ein Mitgliedstaat beide Gliederungen vor, so gestattet er es den Unternehmen, sich für eine der beiden Gliederungen zu entscheiden. Art. 11 Alternative Darstellung der Bilanz Die Mitgliedstaaten können Unternehmen oder bestimmten Unternehmenskategorien gestatten oder vorschreiben, bei der Gliederung anders als in den Anhängen III und IV festgelegt zwischen kurz- und langfristigen Posten zu unterscheiden, sofern der vermittelte Informationsgehalt dem nach den Anhängen III und IV abzubildenden mindestens gleichwertig ist. Art. 12 Besondere Vorschriften zu einzelnen Posten der Bilanz (1) Fällt ein Vermögensgegenstand auf der Aktiv- oder Passivseite unter mehrere Posten des Gliederungsschemas, so ist die Mitzugehörigkeit zu den anderen Posten bei dem Posten, unter dem er ausgewiesen wird, oder im Anhang zu vermerken. (2) Eigene Aktien und Anteile sowie Anteile an verbundenen Unternehmen werden nur unter den dafür vorgesehenen Posten ausgewiesen. (3) Für die Zuordnung der Vermögensgegenstände zum Anlage- oder Umlaufvermögen ist ihre Zweckbestimmung maßgebend. (4) Unter dem Posten „Grundstücke und Bauten“ sind Rechte an Grundstücken sowie grundstücksgleiche Rechte auszuweisen, wie sie die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festlegen. 1077

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(5) Bei den Gegenständen des Anlagevermögens, deren wirtschaftliche Nutzung zeitlich begrenzt ist, werden die Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder, sofern Artikel 7 Absatz 1 Anwendung findet, der Neubewertungsbetrag um Wertberichtigungen vermindert, die so berechnet sind, dass der Wert des Vermögensgegenstandes während dieser Nutzungszeit planmäßig zur Abschreibung gelangt. (6) Für Wertberichtigungen bei Gegenständen des Anlagevermögens müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: a) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass Wertberichtigungen bei Finanzanlagen vorgenommen werden, um sie mit dem niedrigeren Wert anzusetzen, der ihnen am Bilanzstichtag beizulegen ist. b) Bei einem Gegenstand des Anlagevermögens sind ohne Rücksicht darauf, ob seine Nutzung zeitlich begrenzt ist, Wertberichtigungen vorzunehmen, um ihn mit dem niedrigeren Wert anzusetzen, der ihm am Bilanzstichtag beizulegen ist, wenn es sich voraussichtlich um eine dauernde Wertminderung handelt. c) Die unter den Buchstaben a und b genannten Wertberichtigungen sind in der Gewinn- und Verlustrechnung aufzuführen und gesondert im Anhang anzugeben, wenn sie nicht gesondert in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen sind. d) Der niedrigere Wertansatz nach den Buchstaben a und b darf nicht beibehalten werden, wenn die Gründe der Wertberichtigungen nicht mehr bestehen; diese Bestimmung gilt nicht bei Wertberichtigungen in Bezug auf den Geschäfts- oder Firmenwert. (7) Bei Gegenständen des Umlaufvermögens sind Wertberichtigungen vorzunehmen, um diese Gegenstände mit dem niedrigeren Marktpreis oder in Sonderfällen mit einem anderen niedrigeren Wert anzusetzen, der ihnen am Bilanzstichtag beizulegen ist. Der niedrigere Wertansatz im Sinne von Unterabsatz 1 darf nicht beibehalten werden, wenn die Gründe der Wertberichtigungen nicht mehr bestehen. (8) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass Zinsen für Fremdkapital, das zur Finanzierung der Herstellung von Gegenständen des Anlage- oder des Umlaufvermögens gebraucht wird, in die Herstellungskosten einbezogen werden, sofern sie auf den Zeitraum der Herstellung entfallen. Die Anwendung dieser Bestimmung ist im Anhang zu erwähnen. (9) Die Mitgliedstaaten können zulassen, dass die Anschaffungs- oder Herstellungskosten gleichartiger Gegenstände des Vorratsvermögens sowie alle beweglichen Vermögensgegenstände einschließlich der Wertpapiere nach den gewogenen Durchschnittswerten oder aufgrund des „First in — First out (FIFO)“oder „Last in — First out (LIFO)“-Verfahrens oder eines Verfahrens, das allgemein anerkannten bewährten Verfahren entspricht, berechnet werden. 1078

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(10) Ist der Rückzahlungsbetrag von Verbindlichkeiten höher als der erhaltene Betrag, so können die Mitgliedstaaten gestatten oder vorschreiben, dass der Unterschiedsbetrag aktiviert wird. Er ist gesondert in der Bilanz oder im Anhang auszuweisen. Dieser Betrag ist jährlich mit einem angemessenen Betrag und spätestens bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung der Verbindlichkeiten abzuschreiben. (11) Immaterielle Anlagewerte werden während ihrer Nutzungsdauer des jeweiligen immateriellen Anlagewerts abgeschrieben. In Ausnahmefällen, in denen die Nutzungsdauer des Geschäfts- oder Firmenwerts oder von Entwicklungskosten nicht verlässlich geschätzt werden kann, werden diese Werte innerhalb eines von dem Mitgliedstaat festzusetzenden höchstzulässigen Zeitraums abgeschrieben. Die Dauer dieses höchstzulässigen Zeitraums beträgt nicht weniger als fünf und nicht mehr als zehn Jahre. Im Anhang wird der Zeitraum erläutert, über den der Geschäfts- oder Firmenwert abgeschrieben wird. Soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung der Entwicklungskosten gestatten und diese Entwicklungskosten nicht vollständig abgeschrieben sind, schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass keine Ausschüttung von Gewinnen stattfindet, es sei denn, dass die dafür verfügbaren Rücklagen und der Gewinnvortrag mindestens so hoch wie der nicht abgeschriebene Teil dieser Aufwendungen sind. Soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung der Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens gestatten, müssen sie spätestens nach fünf Jahren abgeschrieben sein. In diesem Fall schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass Unterabsatz 3 auf die Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens entsprechend Anwendung findet. Die Mitgliedstaaten können jedoch für Ausnahmefälle Abweichungen von den Unterabsätzen 3 und 4 gestatten. Diese Abweichungen sind im Anhang zu erwähnen und hinreichend zu begründen. (12) Als Rückstellungen werden ihrem Wesen nach genau umschriebene Verbindlichkeiten ausgewiesen, die am Bilanzstichtag wahrscheinlich oder sicher, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder des Zeitpunkts ihres Eintritts unbestimmt sind. Die Mitgliedstaaten können außerdem die Bildung von Rückstellungen für ihrer Eigenart nach genau umschriebene, dem Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr zuzuordnende Aufwendungen zulassen, die am Bilanzstichtag als wahrscheinlich oder sicher, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder dem Zeitpunkt ihres Eintritts unbestimmt sind. Am Bilanzstichtag stellt eine Rückstellung den besten Schätzwert von Aufwendungen dar, die wahrscheinlich eintreten werden, bzw. im Falle einer Ver1079

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bindlichkeit den Betrag, der zu ihrer Abgeltung erforderlich ist. Rückstellungen dürfen keine Wertberichtigungen zu Aktivposten darstellen. Art. 13 Aufstellung der Gewinn- und Verlustrechnung (1) Für die Aufstellung der Gewinn- und Verlustrechnung schreiben die Mitgliedstaaten eine oder beide der in den Anhängen V und VI festgelegten Gliederungen vor. Schreibt ein Mitgliedstaat beide Gliederungen vor, so kann er den Unternehmen die Wahl überlassen, welche der vorgeschriebe-nen Gliederungen sie nutzen. (2) Abweichend von Artikel 4 Absatz 1 können die Mitgliedstaaten allen Unternehmen oder einzelnen Unternehmenskategorien gestatten oder vorschreiben, anstelle der Gliederung der Posten der Gewinn- und Verlustrechnung nach den Anhängen V und VI eine Ergebnisrechnung („statement of performance“) aufzustellen, sofern der vermittelte Informationsgehalt dem nach den Anhängen V und VI geforderten mindestens gleichwertig ist. Art. 14 Vereinfachungen für kleine und mittlere Unternehmen (1) Die Mitgliedstaaten können kleinen Unternehmen gestatten, eine verkürzte Bilanz aufstellen, in die nur die in den Anhängen III und IV mit Buchstaben und römischen Zahlen versehenen Posten aufgenommen werden, wobei folgende Angaben gesondert zu machen sind: a) die in Anhang III bei dem Posten D.II der Aktiva und dem Posten C der Passiva in Klammern verlangten Angaben, jedoch zusammengefasst für alle betreffenden Posten, oder b) die in Anhang IV bei dem Posten D.II in Klammern verlangten Angaben. (2) Die Mitgliedstaaten können kleinen und mittleren Unternehmen die Aufstellung einer verkürzten Gewinn- und Verlustrechnung unter Beachtung folgender Beschränkungen gestatten: a) in Anhang V: Zusammenfassung der Posten 1 bis 5 zu einem Posten unter der Bezeichnung „Rohergebnis“; b) in Anhang VI: Zusammenfassung der Posten 1, 2, 3 und 6 zu einem Posten unter der Bezeichnung „Rohergebnis“.

Kapitel 4 − Anhang Art. 15 Allgemeine Bestimmungen über den Anhang Wird der Anhang zur Bilanz und zur Gewinn- und Verlustrechnung im Sinne dieses Kapitels dargestellt, sind die Anhangangaben in der Reihenfolge der Darstellung der Posten in der Bilanz und in der Gewinn- und Verlustrechnung darzustellen. 1080

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Art. 16 Inhalt des für alle Unternehmen geltenden Anhangs (1) Die Unternehmen machen im Anhang zusätzlich zu den aufgrund anderer Bestimmungen dieser Richtlinie vorgeschriebenen Angaben folgende Angaben: a) die angewandten Bewertungsmethoden; b) bei Bewertung des Anlagevermögens zu neu bewerteten Beträgen eine Aufstellung, aus der i) die Bewegungen in der Neubewertungsrücklage im Geschäftsjahr hervorgehen, einschließlich einer Erläuterung der steuerlichen Behandlung der dort aufgelisteten Posten, und ii) der Buchwert in der Bilanz hervorgeht, ausgewiesen worden wäre, wenn das Anlagevermögen nicht neu bewertet worden wäre; c) bei Bewertung von Finanzinstrumenten und/oder anderen Vermögenswerten, die keine Finanzinstrumente sind, zum beizulegenden Zeitwert: i) die zentralen Annahmen, die den Bewertungsmodellen und -methoden bei einer Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts nach Artikel 8 Absatz 7 Buchstabe b zugrunde gelegt wurden; ii) für jede Gruppe von Finanzinstrumenten oder anderen Vermögenswerten, die keine Finanzinstrumente sind, der beizulegende Zeitwert selbst, die direkt in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen Wertänderungen sowie die in den Zeitwert-Rücklagen erfassten Änderungen; iii) für jede Kategorie derivativer Finanzinstrumente Angaben zum Umfang und zur Art der Instrumente, einschließlich der wesentlichen Bedingungen, die Höhe, Zeitpunkt und Sicherheit künftiger Zahlungsströme beeinflussen können, und iv) eine Übersicht über die Bewegungen innerhalb der Zeitwert-Rücklagen im Verlauf des Geschäftsjahres; d) den Gesamtbetrag etwaiger finanzieller Verpflichtungen, Garantien oder Eventualverbindlichkeiten, die nicht Gegenstand der Bilanz sind, sowie Angaben zur Wesensart und Form jeder gewährten dinglichen Sicherheit; etwaige Verpflichtungen betreffend Altersversorgung und Verpflichtungen gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen sind gesondert zu vermerken; e) die Beträge der den Mitgliedern der Verwaltungs- und Geschäftsführungsoder Aufsichtsorgane gewährten Vorschüsse und Kredite unter Angabe der Zinsen, der wesentlichen Bedingungen und der gegebenenfalls zurückgezahlten oder erlassenen Beträge sowie die Garantieverpflichtungen zugunsten dieser Personen. Diese Angaben sind zusammengefasst für jede dieser Personengruppen zu machen; f) den Betrag und die Wesensart der einzelnen Ertrags- oder Aufwandsposten von außerordentlicher Größenordnung oder von außerordentlicher Bedeutung; 1081

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g) die Höhe der Verbindlichkeiten des Unternehmens mit einer Restlaufzeit von mehr als fünf Jahren sowie die Höhe aller Verbindlichkeiten des Unternehmens, die dinglich gesichert sind, unter Angabe ihrer Art und Form, und h) die durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten. (2) Die Mitgliedstaaten können im Wege der entsprechenden Anwendung verlangen, dass kleine Unternehmen die in Artikel 17 Absatz 1 Buchstaben a, m, p, q und r verlangten Angaben machen. Bei der Anwendung von Unterabsatze 1 werden die nach Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe p erforderlichen Angaben auf Angaben zu Art und Zweck der unter diesem Buchstaben genannten Geschäfte begrenzt. Bei der Anwendung von Unterabsatz 1 werden die nach Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe r erforderlichen Angaben auf Angaben zu Geschäften mit den genannten Parteien begrenzt, die in Unterabsatz 4 diese Buchstaben genannt sind. (3) Die Mitgliedstaaten verlangen von kleinen Unternehmen keine Angaben, die über die in diesem Artikel verlangten oder gestatteten Angaben hinausgehen. Art. 17 Zusätzliche Angaben für mittlere und große Unternehmen und Unternehmen von öffentlichem Interesse (1) Mittlere und große Unternehmen sowie Unternehmen von öffentlichem Interesse machen im Anhang folgende Angaben zusätzlich zu den nach Artikel 16 und aufgrund anderer Bestimmungen dieser Richtlinie vorgeschriebenen Angaben: a) für die verschiedenen Posten des Anlagevermögens: i) Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder, falls eine alternative Bewertungsgrundlage gewählt wurde, den beizulegenden Zeitwert oder den Neubewertungsbetrag zu Beginn und Ende des Geschäftsjahrs; ii) Zu- und Abgänge sowie Umbuchungen im Laufe des Geschäftsjahres; iii) akkumulierte Wertberichtigungen zu Beginn und Ende des Geschäftsjahres; iv) im Laufe des Geschäftsjahres berechnete Wertberichtigungen; v) Bewegungen in den akkumulierten Wertberichtigungen im Zusammenhang mit Zu- und Abgängen sowie Umbuchungen im Laufe des Geschäftsjahres und vi) den im Laufe des Geschäftsjahrs aktivierten Betrag, wenn Zinsen gemäß Artikel 12 Absatz 8 aktiviert werden; b) wenn bei einem Gegenstand des Anlage- oder des Umlaufvermögens Wertberichtigungen allein für die Anwendung von Steuervorschriften vorgenommen werden, den Betrag dieser Wertberichtigungen und die Gründe dafür; 1082

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c) bei Bewertung der Finanzinstrumente zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten: i) für jede Kategorie derivativer Finanzinstrumente: — den beizulegenden Zeitwert der betreffenden Finanzinstrumente, soweit sich dieser nach einer der Methoden gemäß Artikel 8 Absatz 7 Buchstabe a ermitteln lässt, und — Angaben über Umfang und Art der Instrumente; ii) für Finanzanlagen, die mit einem höheren Betrag als ihrem beizulegenden Zeitwert ausgewiesen werden: — den Buchwert und beizulegenden Zeitwert der einzelnen Vermögensgegenstände oder angemessener Gruppierungen dieser einzelnen Vermögensgegenstände und — die Gründe für die Nichtherabsetzung des Buchwerts einschließlich der Natur der zugrundeliegenden Erkenntnisse, für die Annahme, dass der Buchwert wieder erreicht wird; d) die den Mitgliedern von Verwaltungs-, Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorganen für ihre Tätigkeit im Geschäftsjahr gewährten Bezüge sowie die gegenüber früheren Mitgliedern der genannten Organe entstandene oder eingegangenen Verpflichtungen betreffend Altersversorgung. Diese Angaben sind zusammengefasst für jede Kategorie dieser Organe zu machen. Die Mitgliedstaaten können zulassen, dass diese Angaben nicht gemacht werden, wenn sich anhand der Angaben der finanzielle Status eines bestimmten Mitglieds dieser Organe feststellen ließe; e) die durchschnittliche Zahl der Beschäftigten während des Geschäftsjahres getrennt nach Gruppen, sowie, falls er nicht gesondert in der Gewinn- und Verlustrechnung erscheint, den gesamten in dem Geschäftsjahr entstandenen Personalaufwand, aufgeschlüsselt nach Löhnen und Gehältern, Kosten der sozialen Sicherheit und Kosten der Altersversorgung; f) wenn latente Steuerschulden in der Bilanz angesetzt werden, die latenten Steuersalden am Ende des Geschäftsjahres und die in den Bilanzen im Laufe des Geschäftsjahres erfolgten Bewegungen dieser Salden; g) Name und Sitz der Unternehmen, an denen das Unternehmen entweder selbst oder durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung des Unternehmens handelnde Person eine Beteiligung hält, unter Angabe des Anteils am Kapital, der Höhe des Eigenkapitals und des Ergebnisses des letzten Geschäftsjahres, für das das betreffende Unternehmen einen Abschluss festgestellt hat; die Angaben zu Eigenkapital und Ergebnis können unterbleiben, wenn das betreffende Unternehmen seine Bilanz nicht offenlegt und es nicht von dem Unternehmen kontrolliert wird. Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die Angaben gemäß Unterabsatz 1 dieses Buchstaben in einer Aufstellung gemacht werden, die gemäß 1083

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h)

i)

j)

k) l)

m)

n)

o) p)

q)

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Artikel 3 Absätze 1 und 3 der Richtlinie 2009/101/EG eingereicht wird; die Einreichung einer solchen Aufstellung ist im Anhang zu erwähnen. Die Mitgliedstaaten können zudem gestatten, dass auf die Angaben verzichtet werden kann, soweit sie geeignet sind, einem Unternehmen einen erheblichen Nachteil zuzufügen. Die Mitgliedstaaten können dazu die vorherige Zustimmung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts verlangen. Das Weglassen dieser Angaben wird im Anhang erwähnt; Zahl und Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, den rechnerischen Wert der während des Geschäftsjahres im Rahmen des genehmigten Kapitals gezeichneter Aktien, unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 2 Buchstabe e der Richtlinie 2009/101/EG und des Artikels 2 Buchstaben c und d der Richtlinie 2012/30/EU über den Betrag dieses Kapitals; sofern es mehrere Gattungen von Aktien gibt, Zahl und Nennbetrag oder, falls ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, den rechnerischen Wert für jede von ihnen; Bestehen von Genussscheinen, Wandelschuldverschreibungen, Optionsscheinen, Optionen oder vergleichbaren Wertpapieren oder Rechten, unter Angabe der Zahl und der Rechte, die sie verbriefen; Name, Sitz und Rechtsform der Unternehmen, deren unbeschränkt haftender Gesellschafter das Unternehmen ist; Name und Sitz des Unternehmens, das den konsolidierten Abschluss für den größten Kreis von Unternehmen aufstellt, dem das Unternehmen als Tochterunternehmen angehört; Name und Sitz des Unternehmens, das den konsolidierten Abschluss für den kleinsten Kreis von Unternehmen aufstellt, der auch in den unter Buchstabe l bezeichneten Kreis von Unternehmen einbezogen ist und dem das Unternehmen als Tochterunternehmen angehört; den Ort, wo Kopien des unter den Buchstaben l und m genannten konsolidierten Abschlusses erhältlich sind, es sei denn, dass sie nicht zur Verfügung stehen; den Vorschlag zur Verwendung des Ergebnisses oder gegebenenfalls Verwendung des Ergebnisses; die Art und Zweck der Geschäfte des Unternehmens, die nicht in der Bilanz enthalten sind und ihre finanziellen Auswirkungen auf das Unternehmen, vorausgesetzt, dass die Risiken und Vorteile, die aus solchen Geschäften entstehen, wesentlich sind, und sofern die Offenlegung derartiger Risiken und Vorteile zum Zwecke der Beurteilung der finanzielle Lage des Unternehmens erforderlich ist; die Art und finanzielle Auswirkung wesentlicher Ereignisse nach dem Bilanzstichtag, die weder in der Gewinn- und Verlustrechnung noch in der Bilanz berücksichtigt sind, und

1084

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r)

Geschäfte des Unternehmens mit nahestehenden Unternehmen und Personen, einschließlich Angaben zu deren Wert, zur Art der Beziehung zu den nahestehenden Unternehmen und Personen sowie weitere Angaben zu den Geschäften, die für die Beurteilung der finanzielle Lage des Unternehmens erforderlich sind. Angaben zu Einzelgeschäften können nach Geschäftsarten zusammengefasst werden, sofern keine getrennten Angaben für die Beurteilung der Auswirkungen von Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen auf die finanzielle Lage des Unternehmens benötigt werden. Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass nur Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen, die unter marktunüblichen Bedingungen zustande gekommen sind, angegeben werden. Die Mitgliedstaaten können Geschäfte zwischen zwei oder mehr Mitgliedern derselben Unternehmensgruppe ausnehmen, sofern die an dem Geschäft beteiligten Tochtergesellschaften hundertprozentige Tochtergesellschaften sind. Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass mittlere Unternehmen die Angaben zu Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen auf Geschäfte beschränken, die getätigt wurden mit i) Eigentümern, die eine Beteiligung an dem Unternehmen halten, ii) Unternehmen, an denen das Unternehmen selbst eine Beteiligung hält, und iii) Mitgliedern der Verwaltungs-, Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgane eines Unternehmens. (2) Die Mitgliedstaaten sind in den folgenden Fällen nicht gehalten, Absatz 1 Buchstabe g auf ein Unternehmen anzuwenden, das ein unter ihre einzelstaatlichen Rechtsvorschriften fallendes Mutterunternehmen ist: a) das Unternehmen, an dem das Mutterunternehmen eine Beteiligung für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe g hält, ist in den vom Mutterunternehmen erstellten konsolidierten Abschluss oder in den konsolidierten Abschluss eines größeren Kreises von Unternehmen nach Artikel 23 Absatz 4 einbezogen; b) diese Beteiligung wird entweder im Jahresabschluss des Mutterunternehmens gemäß Artikel 9 Absatz 7 oder in dem konsolidierten Abschluss des Mutterunternehmens nach Artikel 27 Absätze 1 bis 8 behandelt. Art. 18 Zusätzliche Angaben für große Unternehmen und Unternehmen von öffentlichem Interesse (1) Große Unternehmen sowie Unternehmen von öffentlichem Interesse machen im Anhang zusätzlich zu den nach den Artikeln 16 und 17 und den anderen Bestimmungen dieser Richtlinie vorgeschriebenen Angaben folgende Angaben: 1085

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a) die Aufgliederung der Nettoumsatzerlöse nach Tätigkeitsbereichen sowie nach geografisch bestimmten Märkten, soweit sich — unter Berücksichtigung der Organisation des Verkaufs und der Erbringung von Dienstleistungen — die Tätigkeitsbereiche und geografisch bestimmten Märkte untereinander erheblich unterscheiden, und b) die Gesamthonorare für das Geschäftsjahr, die von jedem Abschlussprüfer oder jeder Prüfungsgesellschaft für die Prüfung des Jahresabschlusses berechnet wurden, und die von jedem Abschlussprüfer oder jeder Prüfungsgesellschaft berechneten Gesamthonorarsumme für andere Bestätigungsleistungen, die Gesamthonorarsumme für Steuerberatungsleistungen und die Gesamthonorarsumme für sonstige Leistungen. (2) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die Angaben nach Absatz 1 Buchstabe a nicht gemacht zu werden brauchen, soweit sie geeignet sind, dem Unternehmen einen erheblichen Nachteil zuzufügen. Die Mitgliedstaaten können dazu die vorherige Zustimmung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts verlangen. Das Unterlassen dieser Angaben ist im Anhang zu erwähnen. (3) Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass Absatz 1 Buchstabe b nicht auf den Jahresabschluss eines Unternehmens angewandt wird, wenn dieses Unternehmen in den konsolidierten Abschluss einbezogen wird, der gemäß Artikel 22 zu erstellen ist, vorausgesetzt, eine derartige Information ist im Anhang zum konsolidierten Abschluss enthalten.

Kapitel 5 − Lagebericht Art. 19 Inhalt des Lageberichts (1) Der Lagebericht stellt den Geschäftsverlauf, das Geschäftsergebnis und die Lage des Unternehmens so dar, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild entsteht, und beschreibt die wesentlichen Risiken und Ungewissheiten, denen es ausgesetzt ist. Der Lagebericht besteht in einer ausgewogenen und umfassenden Analyse des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses und der Lage des Unternehmens, die dem Umfang und der Komplexität der Geschäftstätigkeit angemessen ist. Soweit dies für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses oder der Lage des Unternehmens erforderlich ist, umfasst die Analyse die wichtigsten finanziellen und - soweit angebracht - nichtfinanziellen Leistungsindikatoren, die für die betreffende Geschäftstätigkeit von Bedeutung sind, einschließlich Informationen in Bezug auf Umwelt- und Arbeitnehmerbelange. Im Rahmen der Analyse enthält der Lagebericht — soweit angebracht – auch Hinweise auf im Jahresabschluss ausgewiesene Beträge und zusätzliche Erläuterungen dazu. 1086

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(2) Der Lagebericht enthält außerdem Angaben zu Folgendem: a) voraussichtliche Entwicklung des Unternehmens; b) Tätigkeiten im Bereich Forschung und Entwicklung; c) Informationen nach Artikel 24 Absatz 2 der Richtlinie 2012/30/EU betreffend den Erwerb eigener Aktien; d) bestehende Zweigniederlassungen des Unternehmens und e) in Bezug auf die Verwendung von Finanzinstrumenten durch das Unternehmen, sofern dies für die Beurteilung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage von Belang ist: i) die Risikomanagementziele und -methoden des Unternehmens, einschließlich seiner Methoden zur Absicherung aller wichtigen Arten geplanter Geschäfte, die im Rahmen der Bilanzierung von Sicherungsgeschäften verbucht werden, und ii) die Preisänderungs-, Ausfall-, Liquiditäts- und Cashflowrisiken, denen das Unternehmen ausgesetzt ist. (3) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die kleinen Unternehmen nicht zur Erstellung eines Lageberichts verpflichtet sind, sofern sie vorschreiben, dass die Angaben nach Artikel 24 Absatz 2 der Richtlinie 2012/30/EU betreffend den Erwerb eigener Aktien im Anhang zu machen sind. (4) Die Mitgliedstaaten können kleine und mittlere Unternehmen von der Verpflichtung gemäß Absatz 1 Unterabsatz 3 ausnehmen, soweit sie nichtfinanzielle Informationen betrifft. Art. 19a Nichtfinanzielle Erklärung (1) Große Unternehmen, die Unternehmen von öffentlichem Interesse sind und an den Bilanzstichtagen das Kriterium erfüllen, im Durchschnitt des Geschäftsjahres mehr als 500 Mitarbeiter zu beschäftigen, nehmen in den Lagebericht eine nichtfinanzielle Erklärung auf, die diejenigen Angaben enthält, die für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage des Unternehmens sowie der Auswirkungen seiner Tätigkeit erforderlich sind und sich mindestens auf Umwelt-, Sozial-, und Arbeitnehmerbelange, auf die Achtung der Menschenrechte und auf die Bekämpfung von Korruption und Bestechung beziehen, einschließlich a) einer kurzen Beschreibung des Geschäftsmodells des Unternehmens; b) einer Beschreibung der von dem Unternehmen in Bezug auf diese Belange verfolgten Konzepte, einschließlich der angewandten Due-Diligence-Prozesse; c) der Ergebnisse dieser Konzepte; d) der wesentlichen Risiken im Zusammenhang mit diesen Belangen, die mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens — einschließlich, wenn dies relevant und verhältnismäßig ist, seiner Geschäftsbeziehungen, seiner Erzeug1087

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nisse oder seiner Dienstleistungen — verknüpft sind und die wahrscheinlich negative Auswirkungen auf diese Bereiche haben werden, sowie der Handhabung dieser Risiken durch das Unternehmen; e) der wichtigsten nichtfinanziellen Leistungsindikatoren, die für die betreffende Geschäftstätigkeit von Bedeutung sind. Verfolgt das Unternehmen in Bezug auf einen oder mehrere dieser Belange kein Konzept, enthält die nichtfinanzielle Erklärung eine klare und begründete Erläuterung, warum dies der Fall ist. Die in Unterabsatz 1 genannte nichtfinanzielle Erklärung enthält — wenn angebracht — auch Hinweise auf im Jahresabschluss ausgewiesene Beträge und zusätzliche Erläuterungen dazu. Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass Informationen über künftige Entwicklungen oder Belange, über die Verhandlungen geführt werden, in Ausnahmefällen weggelassen werden, wenn eine solche Angabe nach der ordnungsgemäß begründeten Einschätzung der Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane, die im Rahmen der ihnen durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften übertragenen Zuständigkeiten handeln und gemeinsam für diese Einschätzung zuständig sind, der Geschäftslage des Unternehmens ernsthaft schaden würde, sofern eine solche Nichtaufnahme ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes und ausgewogenes Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage des Unternehmens sowie der Auswirkungen seiner Tätigkeit nicht verhindert. Beim Erlass der Vorschriften zur Angabe der Informationen gemäß Unterabsatz 1 sehen die Mitgliedstaaten vor, dass sich die Unternehmen auf nationale, unionsbasierte oder internationale Rahmenwerke stützen können; wenn sie hiervon Gebrauch machen, haben die Unternehmen anzugeben, auf welche Rahmenwerke sie sich gestützt haben. (2) Wenn Unternehmen die Pflicht nach Absatz 1 erfüllen, wird davon ausgegangen, dass sie die Pflicht im Zusammenhang mit der Analyse nichtfinanzieller Informationen nach Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 3 erfüllt haben. (3) Ein Unternehmen, das ein Tochterunternehmen ist, wird von der in Absatz 1 festgelegten Pflicht befreit, wenn dieses Unternehmen und seine Tochterunternehmen in den konsolidierten Lagebericht oder gesonderten Bericht eines anderen Unternehmens einbezogen werden und dieser konsolidierte Lagebericht oder gesonderte Bericht gemäß Artikel 29 und diesem Artikel erstellt wird. (4) Erstellt ein Unternehmen für dasselbe Geschäftsjahr einen gesonderten Bericht, können die Mitgliedstaaten unabhängig davon, ob der Bericht sich auf nationale, unionsbasierte oder internationale Rahmenwerke stützt, und sofern der Bericht die in Absatz 1 vorgeschriebenen Informationen der nichtfinanziellen Erklärung umfasst dieses Unternehmen von der gemäß Absatz 1 festgelegten 1088

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Pflicht zur Abgabe der nichtfinanziellen Erklärung befreien, sofern dieser gesonderte Bericht a) zusammen mit dem Lagebericht gemäß Artikel 30 veröffentlicht wird oder b) innerhalb einer angemessenen Frist, die sechs Monate nach dem Bilanzstichtag nicht überschreiten darf, auf der Website des Unternehmens öffentlich zugänglich gemacht wird und der Lagebericht darauf Bezug nimmt. Absatz 2 ist entsprechend auf Unternehmen anzuwenden, die einen gesonderten Bericht gemäß Unterabsatz 1 dieses Absatzes vorbereiten. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft überprüft, ob die nichtfinanzielle Erklärung gemäß Absatz 1 oder der gesonderte Bericht gemäß Absatz 4 vorgelegt wurde. (6) Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die in der nichtfinanziellen Erklärung gemäß Absatz 1 oder dem gesonderten Bericht gemäß Absatz 4 enthaltenen Informationen von einem unabhängigen Erbringer von Bestätigungsleistungen überprüft werden. Art. 20 Erklärung zur Unternehmensführung (1) Ein Unternehmen nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a nimmt eine Erklärung zur Unternehmensführung in seinen Lagebericht auf. Diese Erklärung bildet einen gesonderten Abschnitt im Lagebericht und enthält zumindest die folgenden Angaben: a) soweit zutreffend einen Verweis auf: i) den Unternehmensführungskodex, dem das Unternehmen unterliegt, ii) den Unternehmensführungskodex, den es gegebenenfalls freiwillig anzuwenden beschlossen hat, iii) alle relevanten Angaben zu Unternehmensführungspraktiken, die es über die Anforderungen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften hinaus anwendet. Wird auf einen Unternehmensführungskodex nach Ziffer i oder ii Bezug genommen, gibt das Unternehmen auch an, wo die entsprechenden Dokumente öffentlich zugänglich sind. Wird auf die Angaben nach Ziffer iii Bezug genommen, macht das Unternehmen Einzelheiten seiner Unternehmensführungspraktiken öffentlich zugänglich; b) soweit ein Unternehmen im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften von einem Unternehmensführungskodex im Sinne des Buchstabens a Ziffer i oder ii abweicht, eine Erklärung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen es von dem Kodex abweicht; hat das Unternehmen beschlossen, nicht auf einen Unternehmensführungskodex im Sinne des Buchstabens a Ziffer i oder ii Bezug zu nehmen, so legt es die Gründe hierfür dar; 1089

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c) eine Beschreibung der wichtigsten Merkmale des internen Kontroll- und des Risikomanagementsystems des Unternehmens im Hinblick auf den Rechnungslegungsprozess; d) die gemäß Artikel 10 Absatz 1 Buchstaben c, d, f, h und i der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote16 geforderten Angaben, sofern das Unternehmen unter diese Richtlinie fällt; e) eine Beschreibung der Art und Weise der Durchführung der Hauptversammlung und deren wesentliche Befugnisse sowie eine Beschreibung der Aktionärsrechte und der Möglichkeiten ihrer Ausübung, sofern diese Angaben nicht bereits vollständig in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften enthalten sind; f) die Zusammensetzung und Arbeitsweise der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane und ihrer Ausschüsse, und g) eine Beschreibung des Diversitätskonzepts, das im Zusammenhang mit den Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorganen des Unternehmens in Bezug auf Aspekte wie beispielsweise Alter, Geschlecht, oder Bildungs- und Berufshintergrund verfolgt wird, der Ziele dieses Diversitätskonzepts sowie der Art und Weise der Umsetzung dieses Konzepts und der Ergebnisse im Berichtszeitraum. Wird ein derartiges Konzept nicht angewendet, wird in der Erklärung erläutert, warum dies der Fall ist. (2) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die Angaben nach Absatz 1 in a) einem gesonderten Bericht, der gemäß Artikel 30 zusammen mit dem Lagebericht offengelegt wird, oder b) einem auf den Internetseiten des Unternehmens öffentlich zugänglichen Dokument, auf das im Lagebericht Bezug genommen wird, enthalten sind. In dem gesonderten Bericht nach Buchstabe a oder in dem Dokument nach Buchstabe b kann auf den Lagebericht verwiesen werden, sofern die nach Absatz 1 Buchstabe d erforderlichen Angaben in dem Lagebericht enthalten sind. (3) Der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft gibt gemäß Artikel 34 Absatz 1 Unterabsatz 2 ein Urteil hinsichtlich der nach Absatz 1 Buchstaben c und d geforderten Angaben ab und überprüft, ob die in Absatz 1 Buchstaben a, b, e, f und g genannten Angaben gemacht wurden. (4) Die Mitgliedstaaten können Unternehmen nach Absatz 1, die ausschließlich andere Wertpapiere als zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG zugelassene Aktien emittiert haben, von der Anwendung des Absatzes 1 Buchstaben a, b, e, f und

16 ABl. L 142 vom 30. 04. 2004, S. 12.

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g dieses Artikels ausnehmen, es sei denn, dass diese Unternehmen Aktien emittiert haben, die über ein multilaterales Handelssystem im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 15 der Richtlinie 2004/39/EG gehandelt werden. (5) Ungeachtet des Artikels 40 gilt Absatz 1 Buchstabe g nicht für kleine und mittlere Unternehmen.

Kapitel 6 – Konsolidierte Abschlüsse und Berichte Art. 21 Anwendungsbereich für die konsolidierten Abschlüsse und Berichte Ein Mutterunternehmen und alle seine Tochterunternehmen sind zu konsolidierende Unternehmen im Sinne dieses Kapitels, wenn das Mutterunternehmen ein Unternehmen ist, auf das die Koordinierungsmaßnahmen dieser Richtlinie kraft Artikel 1 Absatz 1 Anwendung finden. Art. 22 Pflicht zur Aufstellung konsolidierter Abschlüsse (1) Ein Mitgliedstaat schreibt einem seinem Recht unterliegenden Unternehmen vor, einen konsolidierten Abschluss und einen konsolidierten Lagebericht zu erstellen, wenn dieses Unternehmen (Mutterunternehmen): a) die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter eines anderen Unternehmens (Tochterunternehmens) hält; b) das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans eines anderen Unternehmens (Tochterunternehmens) zu bestellen oder abzuberufen und gleichzeitig Aktionär oder Gesellschafter dieses Unternehmens ist; c) das Recht hat, auf ein Unternehmen (Tochterunternehmen), dessen Aktionär oder Gesellschafter es ist, einen beherrschenden Einfluss aufgrund eines mit diesem Unternehmen geschlossenen Vertrags oder aufgrund einer Satzungsbestimmung dieses Unternehmens auszuüben, sofern das Recht, dem dieses Tochterunternehmen unterliegt, es zulässt, dass dieses solchen Verträgen oder Satzungsbestimmungen unterworfen wird. Die Mitgliedstaaten brauchen nicht vorzuschreiben, dass das Mutterunternehmen Aktionär oder Gesellschafter des Tochterunternehmens sein muss. Mitgliedstaaten, deren Recht derartige Verträge oder Satzungsbestimmungen nicht vorsieht, sind nicht gehalten, diese Bestimmungen anzuwenden; oder d) Aktionär oder Gesellschafter eines Unternehmens ist und i) allein durch die Ausübung seiner Stimmrechte die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans dieses Unternehmens (Tochterunternehmens), die während des Geschäftsjahres sowie 1091

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des vorhergehenden Geschäftsjahres bis zur Erstellung des konsolidierten Abschlusses im Amt sind, bestellt worden sind, oder ii) aufgrund einer Vereinbarung mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern dieses Unternehmens (Tochterunternehmens) allein über die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter dieses Unternehmens verfügt. Die Mitgliedstaaten können nähere Bestimmungen über Form und Inhalt einer solchen Vereinbarung treffen. Die Mitgliedstaaten schreiben mindestens die unter Ziffer ii angeführte Regelung vor. Sie können die Anwendung von Ziffer i davon abhängig machen, dass die Beteiligungen mindestens 20 % der gesamten Stimmrechte ausmachen. Ziffer i findet jedoch keine Anwendung, wenn ein Dritter gegenüber diesem Unternehmen die Rechte im Sinne der Buchstaben a, b oder c hat. (2) Zusätzlich zu den in Absatz 1 bezeichneten Fällen können die Mitgliedstaaten jedem ihrem Recht unterliegenden Unternehmen die Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses und eines konsolidierten Lageberichts vorschreiben, wenn a) dieses Unternehmen (Mutterunternehmen) einen beherrschenden Einfluss auf oder die Kontrolle über ein anderes Unternehmen (Tochterunternehmen) ausüben kann oder tatsächlich ausübt oder b) dieses Unternehmen (Mutterunternehmen) und ein anderes Unternehmen (Tochterunternehmen) unter einheitlicher Leitung des Mutterunternehmens stehen. (3) Bei der Anwendung von Absatz 1 Buchstaben a, b und d sind den Stimm-, Bestellungs- oder Abberufungsrechten des Mutterunternehmens die Rechte eines anderen Tochterunternehmens oder einer Person, die in eigenem Namen, aber für Rechnung des Mutterunternehmens oder eines anderen Tochterunternehmens handelt, hinzuzurechnen. (4) Bei der Anwendung von Absatz 1 Buchstaben a, b und d sind von den in Absatz 3 bezeichneten Rechten die Rechte abzuziehen, a) die mit Aktien oder Anteilen verbunden sind, die für Rechnung einer anderen Person als das Mutterunternehmen oder ein Tochterunternehmen dieses Mutterunternehmens gehalten werden, oder b) die mit Aktien oder Anteilen verbunden sind, i) die als Sicherheit gehalten werden, sofern diese Rechte nach erhaltenen Weisungen ausgeübt werden, oder ii) deren Besitz für das haltende Unternehmen ein laufendes Geschäft im Zusammenhang mit der Gewährung von Darlehen darstellt, sofern die Stimmrechte im Interesse des Sicherungsgebers ausgeübt werden. (5) Für die Anwendung von Absatz 1 Buchstaben a und d sind von der Gesamtheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter eines Tochterunterneh1092

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mens die Stimmrechte abzuziehen, die mit Aktien oder Anteilen verbunden sind, die von diesem Unternehmen selbst, von einem seiner Tochterunternehmen oder von einer im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnden Person gehalten werden. (6) Das Mutterunternehmen sowie alle seine Tochterunternehmen sind ohne Rücksicht auf deren Sitz zu konsolidieren; Artikel 23 Absatz 9 bleibt unberührt. (7) Unbeschadet dieses Artikels sowie der Artikel 21 bis 23 können die Mitgliedstaaten jedem ihrem Recht unterliegenden Unternehmen vorschreiben, einen konsolidierten Abschluss und einen konsolidierten Lagebericht aufzustellen, wenn a) dieses Unternehmen sowie ein oder mehrere andere Unternehmen, die untereinander nicht in der in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichneten Beziehung stehen, aufgrund i) eines mit diesem Unternehmen geschlossenen Vertrages oder ii) der Satzungsbestimmungen dieser anderen Unternehmen einer einheitlichen Leitung unterstehen oder b) das Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan dieses Unternehmens sowie dasjenige eines oder mehrerer Unternehmen, die miteinander nicht in der in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichneten Beziehung stehen, sich mehrheitlich aus denselben Personen zusammensetzen, die während des Geschäftsjahres und bis zur Aufstellung des konsolidierten Abschlusses im Amt sind. (8) Nimmt ein Mitgliedstaat die Möglichkeit nach Absatz 7 wahr, sind die in diesem Absatz beschriebenen Unternehmen sowie alle ihre Tochterunternehmen zu konsolidierende Unternehmen, sofern eines oder mehrere dieser Unternehmen eine der in Anhang I oder Anhang II genannten Rechtsformen haben. (9) Absatz 6 des vorliegenden Artikels, Artikel 23 Absätze 1, 2, 9 und 10 sowie die Artikel 25 bis 29 finden auf den konsolidierten Abschluss und den konsolidierten Lagebericht nach Absatz 7 des vorliegenden Artikels mit folgenden Änderungen Anwendung: a) Bezugnahmen auf Mutterunternehmen sind als Bezugnahmen auf alle in Absatz 7 des vorliegenden Artikels bezeichneten Unternehmen zu verstehen, und b) die in den konsolidierten Abschluss einzubeziehenden Posten „Kapital“, „Agio“, „Neubewertungsrücklage“, „Rücklagen“, „Ergebnisvortrag“ und „Jahresergebnis“ sind unbeschadet des Artikels 24 Absatz 3 die addierten Beträge der jeweiligen Posten sämtlicher in Absatz 7 des vorliegenden Artikels bezeichneter Unternehmen. Art. 23 Ausnahmen von der Konsolidierung (1) Kleine Gruppen sind von der Verpflichtung zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses und eines konso1093

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lidierten Lageberichts ausgenommen, es sei denn, eines der verbundenen Unternehmen ist ein Unternehmen von öffentlichem Interesse. (2) Die Mitgliedstaaten können mittlere Gruppen von der Verpflichtung zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses und eines konsolidierten Lageberichts befreien, es sei denn, eines der verbundenen Unternehmen ist ein Unternehmen von öffentlichem Interesse. (3) Ungeachtet der Absätze 1 und 2 befreien die Mitgliedstaaten in den folgenden Fällen jedes ihrem Recht unterliegende Mutterunternehmen (befreites Unternehmen), das gleichzeitig Tochterunternehmen ist, einschließlich eines Unternehmens von öffentlichem Interesse, das nicht unter Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a fällt, von der Verpflichtung zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses und eines konsolidierten Lageberichts, sofern dessen Mutterunternehmen dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt und a) das Mutterunternehmen des befreiten Unternehmens sämtliche Aktien oder Anteile des befreiten Unternehmens besitzt. Die Aktien oder Anteile des befreiten Unternehmens, die aufgrund einer gesetzlichen oder satzungsmäßigen Verpflichtung von Mitgliedern des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans gehalten werden, werden nicht berücksichtigt, oder b) das Mutterunternehmen des befreiten Unternehmens 90 % oder mehr der Aktien oder Anteile des befreiten Unternehmens besitzt und die anderen Aktionäre oder Gesellschafter des befreiten Unternehmens der Befreiung zugestimmt haben. (4) Die Ausnahmen nach Absatz 3 werden nur gewährt, wenn sämtliche nachfolgend genannte Bedingungen erfüllt sind: a) Das befreite Unternehmen sowie alle seine Tochterunternehmen sind unbeschadet Absatz 9 in den konsolidierten Abschluss eines größeren Kreises von Unternehmen einbezogen, dessen Mutterunternehmen dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt; b) der konsolidierte Abschluss nach Buchstabe a und der konsolidierte Lagebericht des größeren Kreises von Unternehmen sind von dem Mutterunternehmen dieses Kreises von Unternehmen nach dem Recht des Mitgliedstaats, dem das Mutterunternehmen unterliegt, im Einklang mit dieser Richtlinie oder mit gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 angenommenen internationalen Rechnungslegungsstandards erstellt; c) bezüglich des befreiten Unternehmens werden folgende Unterlagen nach dem Recht des Mitgliedstaats, dem das befreite Unternehmen unterliegt, im Einklang mit Artikel 30 veröffentlicht: i) der konsolidierte Abschluss nach Buchstabe a und der konsolidierte Lagebericht nach Buchstabe b, ii) der Bestätigungsvermerk und 1094

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iii) gegebenenfalls die in Artikel 6 bezeichneten Unterlagen. Der betreffende Mitgliedstaat kann vorschreiben, dass die unter den Ziffern i, ii und iii genannten Unterlagen in seiner Amtssprache offengelegt werden und die Übersetzung dieser Unterlagen beglaubigt wird; d) im Anhang zum Jahresabschluss des befreiten Unternehmens werden folgende Angaben gemacht: i) Name und Sitz des Mutterunternehmens, das den konsolidierten Abschluss nach Buchstabe a aufstellt, und ii) Hinweis auf die Befreiung von der Verpflichtung zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses und eines konsolidierten Lageberichts. (5) Die Mitgliedstaaten können in den von Absatz 3 nicht erfassten Fällen unbeschadet der Absätze 1, 2 und 3 jedes ihrem Recht unterliegende Mutterunternehmen (das befreite Unternehmen), das gleichzeitig Tochterunternehmen ist, einschließlich eines Unternehmens von öffentlichem Interesse, das nicht unter Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a fällt, dessen eigenes Mutterunternehmen dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt, von der Verpflichtung zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses und eines konsolidierten Lageberichts ausnehmen, wenn alle in Absatz 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind und wenn a) die Aktionäre oder Gesellschafter des befreiten Unternehmens, die einen Mindestprozentsatz des gezeichneten Kapitals dieses Unternehmens besitzen, nicht spätestens sechs Monate vor dem Ablauf des Geschäftsjahres die Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses verlangt haben; b) der Mindestprozentsatz nach Buchstabe a folgende Grenzen nicht überschreitet: i) 10 % des gezeichneten Kapitals im Falle von Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien und ii) 20 % des gezeichneten Kapitals im Falle von Unternehmen anderer Rechtsformen; c) der Mitgliedstaat die Befreiung nicht davon abhängig macht, dass i) das Mutterunternehmen, das den konsolidierten Abschluss nach Absatz 4 Buchstabe a aufgestellt hat, dem Recht des die Befreiung gewährenden Mitgliedstaats unterliegt, oder ii) Bedingungen bezüglich der Aufstellung und Prüfung dieses Abschlusses erfüllt werden. (6) Die Mitgliedstaaten können die Befreiung nach den Absätzen 3 und 5 davon abhängig machen, dass in dem konsolidierten Abschluss nach Absatz 4 Buchstabe a oder in einer als Anhang beigefügten Unterlage zusätzliche Angaben im Einklang mit dieser Richtlinie gemacht werden, sofern diese Angaben auch von den dem Recht dieses Mitgliedstaats unterliegenden Unternehmen, die zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses verpflichtet sind und sich in derselben Lage befinden, verlangt werden. 1095

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(7) Die Absätze 3 bis 6 gelten unbeschadet der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses oder eines konsolidierten Lageberichts, sofern diese Unterlagen a) zur Unterrichtung der Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter verlangt werden oder b) von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht für deren Zwecke angefordert werden. (8) Unbeschadet der Absätze 1, 2, 3 und 5 kann ein Mitgliedstaat, der Befreiungen nach den Absätzen 3 und 5 gewährt, auch jedes seinem Recht unterliegende Mutterunternehmen (das befreite Unternehmen), das gleichzeitig Tochterunternehmen eines nicht dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegenden Mutterunternehmens ist, einschließlich eines Unternehmens von öffentlichem Interesse, das nicht unter Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a fällt, von der Verpflichtung zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses und eines konsolidierten Lageberichts ausnehmen, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) Das befreite Unternehmen sowie alle seine Tochterunternehmen werden unbeschadet Absatz 9 in den konsolidierten Abschluss eines größeren Kreises von Unternehmen einbezogen; b) der unter Buchstabe a bezeichnete konsolidierte Abschluss und gegebenenfalls der konsolidierte Lagebericht werden wie folgt erstellt: i) im Einklang mit dieser Richtlinie oder ii) im Einklang mit gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 angenommen internationalen Rechnungslegungsstandards, iii) derart, dass sie einem nach dieser Richtlinie erstellten konsolidierten Abschluss und konsolidierten Lagebericht gleichwertig sind, iv) derart, dass sie internationalen Rechnungslegungsstandards, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1569/2007 der Kommission vom 21. Dezember 2007 über die Einrichtung eines Mechanismus zur Festlegung der Gleichwertigkeit der von Drittstaatemittenten angewandten Rechnungslegungsgrundsätze gemäß den Richtlinien 2003/71/EG und 2004/ 109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates17 festgelegt wurden, gleichwertig sind; c) der unter Buchstabe a bezeichnete konsolidierte Abschluss ist von einem oder mehreren Abschlussprüfern oder einer oder mehreren Prüfungsgesellschaften geprüft worden, die aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften denen das Unternehmen unterliegt, das diesen Abschluss aufgestellt hat, zur Prüfung von Jahresabschlüssen zugelassen sind.

17 ABl. L 340 vom 22. 12. 2007, S. 66.

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Absatz 4 Buchstaben c und d sowie die Absätze 5, 6 und 7 finden Anwendung. (9) Ein Unternehmen, einschließlich eines Unternehmens von öffentlichem Interesse, braucht nicht in den konsolidierten Abschluss einbezogen werden, wenn zumindest eine der nachfolgend genannten Bedingungen erfüllt ist: a) Es liegt der äußerst seltene Fall vor, dass die für die Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses nach dieser Richtlinie erforderlichen Angaben nicht ohne unverhältnismäßig hohe Kosten oder ungebührliche Verzögerungen zu erhalten sind; b) die Anteile oder Aktien dieses Unternehmens werden ausschließlich zum Zwecke ihrer Weiterveräußerung gehalten oder c) erhebliche und andauernde Beschränkungen behindern nachhaltig i) die Ausübung der Rechte des Mutterunternehmens in Bezug auf Vermögen oder Geschäftsführung dieses Unternehmens oder ii) die Ausübung der einheitlichen Leitung dieses Unternehmens, wenn es in einer der in Artikel 22 Absatz 7 bezeichneten Beziehungen steht. (10) Unbeschadet des Artikels 6 Absatz 1 Buchstabe b, des Artikels 21 und der Absätze 1 und 2 dieses Artikels wird jedes Mutterunternehmen, einschließlich eines Unternehmens von öffentlichem Interesse, von der Pflicht nach Artikel 22 befreit, wenn a) alle seine Tochterunternehmen sowohl einzeln als auch insgesamt von untergeordneter Bedeutung sind oder b) aufgrund von Absatz 9 dieses Artikels keines seiner Tochterunternehmen in den konsolidierten Abschluss einbezogen zu werden braucht. Art. 24 Aufstellung des konsolidierten Abschlusses (1) Die Kapitel 2 und 3 gelten für konsolidierte Abschlüsse unter Berücksichtigung der wesentlichen Anpassungen, die sich aus den besonderen Merkmalen eines konsolidierten Abschlusses im Vergleich zum Jahresabschluss zwangsläufig ergeben. (2) Die Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen werden vollständig in die konsolidierte Bilanz übernommen. (3) Die Buchwerte der Anteile oder Aktien am Kapital der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen werden mit dem auf sie entfallenden Teil des Eigenkapitals der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen verrechnet, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist: a) Mit Ausnahme der Anteile oder Aktien am Kapital des Mutterunternehmens, die entweder sich im Besitz dieses Unternehmens selbst oder eines anderen in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmens befinden und die gemäß Kapitel 3 als eigene Anteile oder Aktien betrachtet werden, erfolgt die Verrechnung auf der Grundlage der Buchwerte zu dem Zeitpunkt, 1097

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zu dem diese Unternehmen erstmalig in die Konsolidierung einbezogen werden. Die sich bei der Verrechnung ergebenden Unterschiedsbeträge werden, soweit möglich, unmittelbar unter den Posten der konsolidierten Bilanz verbucht, deren Wert höher oder niedriger ist als ihr Buchwert. b) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass die Verrechnung auf der Grundlage der Werte der feststellbaren Aktiva und Passiva zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile oder Aktien erfolgt oder, beim Erwerb zu verschiedenen Zeitpunkten, zu dem Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen Tochterunternehmen geworden ist. c) Ein nach Buchstabe a verbleibender oder nach Buchstabe b entstehender Unterschiedsbetrag ist in der konsolidierten Bilanz unter dem Posten „Geschäfts- oder Firmenwert“ auszuweisen. d) Die Methoden zur Berechnung des Geschäfts- oder Firmenwerts und wesentliche Wertänderungen gegenüber dem Vorjahr sind im Anhang zu erläutern. e) Lässt ein Mitgliedstaat eine Verrechnung von positivem mit negativem Geschäfts- oder Firmenwert zu, so hat der Anhang eine Analyse dieses Werts zu enthalten. f) Ein negativer Geschäfts- oder Firmenwert kann auf die konsolidierte Gewinn- und Verlustrechnung übertragen werden, sofern ein solches Vorgehen den Grundsätzen des Kapitels 2 entspricht. (4) Befinden sich Anteile oder Aktien an konsolidierten Tochterunternehmen im Besitz von anderen Personen als diesen Unternehmen, so werden die Beträge, die diesen Anteilen oder Aktien entsprechen, in der konsolidierten Bilanz gesondert als nicht beherrschende Anteile ausgewiesen. (5) Die Erträge und Aufwendungen der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen werden vollständig in die konsolidierte Gewinn- und Verlustrechnung übernommen. (6) Die den Aktien oder Anteilen nach Absatz 4 zurechenbaren Gewinn- oder Verlustbeträge, werden in der konsolidierten Gewinn- und Verlustrechnung gesondert als nicht beherrschende Anteile ausgewiesen. (7) Im konsolidierten Abschluss sind Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen so auszuweisen, als ob sie ein einziges Unternehmen wären. Insbesondere wird Folgendes im konsolidierten Abschluss weggelassen: a) Verbindlichkeiten und Forderungen zwischen den Unternehmen; b) Erträge und Aufwendungen aus Geschäften zwischen den Unternehmen und c) Gewinne und Verluste aus Geschäften zwischen den Unternehmen, die in den Buchwert der Aktiva eingehen. 1098

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(8) Der konsolidierte Abschluss wird zum selben Stichtag wie der Jahresabschluss des Mutterunternehmens aufgestellt. Jedoch können die Mitgliedstaaten mit Rücksicht auf den Bilanzstichtag der Mehrzahl oder der bedeutendsten der konsolidierten Unternehmen gestatten oder vorschreiben, dass der konsolidierte Abschluss zu einem anderen Zeitpunkt aufgestellt wird, sofern a) dies im Anhang zum konsolidierten Abschluss angegeben und hinreichend begründet wird; b) Vorgänge von besonderer Bedeutung für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines konsolidierten Unternehmens, die zwischen dem Bilanzstichtag dieses Unternehmens und dem Stichtag des konsolidierten Abschlusses eingetreten sind, berücksichtigt oder angegeben werden und c) der Bilanzstichtag eines Unternehmens um mehr als drei Monate vor oder nach dem Stichtag des konsolidierten Abschlusses liegt und dieses Unternehmen aufgrund eines auf den Stichtag des konsolidierten Abschlusses aufgestellten Zwischenabschlusses konsolidiert wird. (9) Hat sich die Zusammensetzung aller in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen im Laufe des Geschäftsjahres erheblich geändert, so sind in den konsolidierten Abschluss Angaben aufzunehmen, die es ermöglichen, die aufeinanderfolgenden konsolidierten Abschlüsse sinnvoll zu vergleichen. Dieser Verpflichtung kann nachgekommen werden, indem eine geänderte vergleichende Bilanz und eine geänderte vergleichende Gewinn- und Verlustrechnung aufgestellt werden. (10) In den konsolidierten Abschluss einbezogene Aktiva und Passiva werden einheitlich im Einklang mit Kapitel 2 bewertet. (11) Ein Unternehmen, das einen konsolidierten Abschluss erstellt, wendet die gleichen Bewertungsgrundlagen wie in seinem Jahresabschluss an. Allerdings können die Mitgliedstaaten gestatten oder vorschreiben, dass im konsolidierten Abschluss andere Bewertungsgrundlagen im Einklang mit Kapitel 2 verwendet werden. Wird von diesen Abweichungen Gebrauch gemacht, so sind sie im Anhang des konsolidierten Abschlusses anzugeben und hinreichend zu begründen. (12) Sofern in die Konsolidierung einbezogene Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens von in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen nach Methoden bewertet worden sind, die sich von den zu Zwecken der Konsolidierung angewandten Methoden unterscheiden, sind diese Vermögensgegenstände nach den letzteren Methoden neu zu bewerten. Abweichungen von dieser Vorschrift sind in Ausnahmefällen zulässig. Sie sind im Anhang zum konsolidierten Abschluss anzugeben und hinreichend zu begründen. (13) Latente Steuersalden werden bei der Konsolidierung ausgewiesen, soweit sich daraus wahrscheinlich für eines der konsolidierten Unternehmen in absehbarer Zukunft ein Aufwand ergibt. 1099

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(14) Sofern bei einem in die Konsolidierung einbezogenen Gegenstand des Aktivvermögens eine Wertberichtigung allein für die Anwendung steuerlicher Vorschriften vorgenommen worden ist, darf dieser Vermögensgegenstand erst nach Wegfall dieser Berichtigung in den konsolidierten Abschluss übernommen werden. Art. 25 Unternehmenszusammenschlüsse innerhalb einer Gruppe (1) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass die Buchwerte von Aktien oder Anteilen am Kapital eines in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmens lediglich mit dem entsprechenden Anteil am Kapital verrechnet werden, sofern die am Unternehmenszusammenschluss beteiligten Unternehmen letztlich vor und nach dem Unternehmenszusammenschluss von derselben Partei kontrolliert werden und diese Kontrolle nicht vorübergehender Natur ist. (2) Ein nach Absatz 1 entstehender Unterschiedsbetrag wird je nach Lage des Falles den konsolidierten Rücklagen zugerechnet oder von ihnen abgezogen. (3) Die Anwendung der Methode nach Absatz 1, die sich daraus ergebenden Veränderungen der Rücklagen sowie der Name und Sitz der betreffenden Unternehmen sind im Anhang zum konsolidierten Abschluss anzugeben. Art. 26 Quotenkonsolidierung (1) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass, sofern ein in die Konsolidierung einbezogenes Unternehmen gemeinsam mit einem oder mehreren nicht in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen ein anderes Unternehmen leitet, dieses entsprechend dem Anteil der Rechte, die das in die Konsolidierung einbezogene Unternehmen an seinem Kapital hält, in den konsolidierten Abschluss einbezogen wird. (2) Artikel 23 Absätze 9 und 10 sowie Artikel 24 finden sinngemäß auf die in Absatz 1 bezeichnete Quotenkonsolidierung Anwendung. Art. 27 Rechnungslegung nach der Equity-Methode für assoziierte Unternehmen (1) Hat ein in die Konsolidierung einbezogenes Unternehmen ein assoziiertes Unternehmen, ist dieses assoziierte Unternehmen in der konsolidierten Bilanz als gesonderter Posten mit entsprechender Bezeichnung auszuweisen. (2) Bei der erstmaligen Anwendung dieses Artikels auf ein assoziiertes Unternehmen wird das assoziierte Unternehmen in der konsolidierten Bilanz ausgewiesen a) entweder mit dem Buchwert im Einklang mit den Bewertungsregeln nach den Kapiteln 2 und 3. Dabei wird der Unterschiedsbetrag zwischen diesem Wert und dem Betrag, der dem auf diese Beteiligung an dem assoziierten Unternehmen entfallenden Teil des Eigenkapitals entspricht, in der konsolidierten Bilanz oder im Anhang zum konsolidierten Abschluss gesondert 1100

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ausgewiesen. Dieser Unterschiedsbetrag wird zu dem Zeitpunkt berechnet, zu dem die Methode erstmalig angewendet wird; oder b) mit dem Betrag, der dem auf die Beteiligung an dem assoziierten Unternehmen entfallenden Teil des Eigenkapitals des assoziierten Unternehmens entspricht. Der Unterschiedsbetrag zwischen diesem Wert und dem nach den Bewertungsregeln der Kapitel 2 und 3 ermittelten Buchwert wird in der konsolidierten Bilanz oder im Anhang zum konsolidierten Abschluss gesondert ausgewiesen. Dieser Unterschiedsbetrag wird zu dem Zeitpunkt berechnet, zu dem die Methode erstmalig angewendet wird. Die Mitgliedstaaten können die Anwendung nur einer der in den Buchstaben a und b enthaltenen Möglichkeiten vorschreiben. In einem derartigen Fall ist in der konsolidierten Bilanz oder im Anhang des konsolidierten Abschlusses anzugeben, von welcher der Möglichkeiten Gebrauch gemacht worden ist. Ferner können die Mitgliedstaaten für die Anwendung der Buchstaben a und b gestatten oder vorschreiben, dass die Berechnung des Unterschiedsbetrags zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile oder Aktien erfolgt oder, beim Erwerb zu verschiedenen Zeitpunkten, zu dem Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen ein assoziiertes Unternehmen geworden ist. (3) Sind Gegenstände des Aktiv- oder Passivvermögens des assoziierten Unternehmens nach Methoden bewertet worden, die sich von den auf die Konsolidierung nach Artikel 24 Absatz 11 angewendeten Methoden unterscheiden, so können diese Vermögenswerte für die Berechnung des Unterschiedsbetrags nach Absatz 2 Buchstabe a oder Buchstabe b nach den für die Konsolidierung angewendeten Methoden neu bewertet werden. Wurde eine solche Neubewertung nicht vorgenommen, so ist dies im Anhang zum konsolidierten Abschluss zu erwähnen. Die Mitgliedstaaten können eine solche Neubewertung vorschreiben. (4) Der Buchwert nach Absatz 2 Buchstabe a oder der Betrag, der dem auf die Beteiligung entfallenden Teil des Eigenkapitals des assoziierten Unternehmens nach Absatz 2 Buchstabe b entspricht, wird um die während des Geschäftsjahres eingetretene Änderung des auf die Beteiligung entfallenden Teils des Eigenkapitals des assoziierten Unternehmens erhöht oder vermindert; er vermindert sich um den Betrag der auf die Beteiligung entfallenden Dividenden. (5) Kann ein positiver Unterschiedsbetrag nach Absatz 2 Buchstabe a und b nicht einer bestimmten Kategorie von Gegenständen des Aktiv- oder Passivvermögens zugerechnet werden, wird dieser Betrag nach den Vorschriften für den Posten, „Geschäfts- oder Firmenwert“ gemäß Artikel 12 Absatz 6 Buchstabe d, Artikel 12 Absatz 11 Unterabsatz 1, Artikel 24 Absatz 3 Buchstabe c und Anhang III und Anhang IV behandelt. (6) Der auf die Beteiligungen an solchen assoziierten Unternehmen entfallende Teil des Ergebnisses der assoziierten Unternehmen wird unter einem gesonder1101

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ten Posten mit entsprechender Bezeichnung in der konsolidierten Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen. (7) Die Weglassungen nach Artikel 24 Absatz 7 werden nur insoweit vorgenommen, als die Tatbestände bekannt sind oder bestätigt werden können. (8) Stellt das assoziierte Unternehmen einen konsolidierten Abschluss auf, so werden die Absätze 1 bis 7 auf das in diesem konsolidierten Abschluss ausgewiesene Eigenkapital angewandt. (9) Auf die Anwendung dieses Artikels kann verzichtet werden, wenn die Beteiligung am Kapital des assoziierten Unternehmens nur von untergeordneter Bedeutung sind. Art. 28 Anhang zum konsolidierten Abschluss (1) Im Anhang zum konsolidierten Abschluss werden die nach den Artikeln 16, 17 und 18 geforderten Informationen dargelegt; dies erfolgt zusätzlich zu den nach anderen Bestimmungen dieser Richtlinie geforderten Informationen in einer Weise, die die Bewertung der finanzielle Lage der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen erleichtert, wobei den wesentlichen Berichtigungen Rechnung zu tragen ist, die sich aus den Besonderheiten des konsolidierten Abschlusses im Vergleich zum Jahresabschluss ergeben, einschließlich dem Folgenden: a) Bei der Angabe von Geschäften zwischen in eine Konsolidierung einbezogenen nahestehenden Unternehmen und Personen werden Geschäfte zwischen diesen, die bei der Konsolidierung weggelassen werden, nicht einbezogen, b) bei der Angabe der durchschnittlichen Zahl der Beschäftigten während des Geschäftsjahrs wird die durchschnittliche Zahl der Beschäftigten von Unternehmen, die nach der Quotenkonsolidierung bilanziert werden, gesondert angegeben, und c) bei der Angabe der Höhe der Vergütungen sowie der Vorschüsse und Kredite, die den Mitgliedern des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans gewährt worden sind, ist lediglich die Höhe der Beträge anzugeben, die das Mutterunternehmen und seine Tochterunternehmen den Mitgliedern des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Mutterunternehmens gewährt haben. (2) Im Anhang zum konsolidierten Abschluss werden zusätzlich zu den nach Absatz 1 geforderten Informationen folgende Informationen veröffentlicht: a) bezüglich der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen: i) Name und Sitz dieser Unternehmen, ii) der Anteil am Kapital dieser Unternehmen — außer dem Mutterunternehmen –, den die in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen oder in eigenem Namen, aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnde Personen halten, sowie 1102

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iii) die Voraussetzungen nach Artikel 22 Absätze 1, 2 und 7 nach der Anwendung von Artikel 22 Absätze 3 bis 5, aufgrund deren die Konsolidierung erfolgt ist. Diese Angabe braucht jedoch nicht gemacht zu werden, wenn die Konsolidierung aufgrund von Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a erfolgt ist und außerdem Kapitalanteil und Anteil an den Stimmrechten übereinstimmen. Die gleichen Angaben sind für die Unternehmen zu machen, die nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe j und Artikel 23 Absatz 10 wegen ihrer untergeordneten Bedeutung nicht in die Konsolidierung einbezogen worden sind; der Ausschluss der in Artikel 23 Absatz 9 bezeichneten Unternehmen ist zu begründen; b) Name und Sitz assoziierter Unternehmen, die in die Konsolidierung gemäß Artikel 27 Absatz 1 einbezogen sind, sowie der Anteil an ihrem Kapital, den in die Konsolidierung einbezogene Unternehmen selbst oder in eigenem Namen, aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnde Personen halten; c) Name und Sitz der Unternehmen, die Gegenstand einer Quotenkonsolidierung nach Artikel 26 sind, die Tatbestände, aus denen sich die gemeinsame Leitung dieser Unternehmen ergibt, sowie der Anteil am Kapital dieser Unternehmen, den in die Konsolidierung einbezogene Unternehmen selbst oder in eigenem Namen aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnde Person halten, und d) bezüglich jedes nicht unter den Buchstaben a, b und c bezeichneten Unternehmens, an dem in die Konsolidierung einbezogene Unternehmen entweder selbst oder in eigenem Namen, aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnde Personen eine Beteiligung halten: i) Name und Sitz dieser Unternehmen, ii) der am Kapital gehaltene Anteil, iii) die Höhe des Eigenkapitals und das Ergebnis des letzten Geschäftsjahres des Unternehmens, für das ein Abschluss festgestellt wurde. Eine Angabe des Eigenkapitals und des Ergebnisses kann ebenfalls unterbleiben, wenn das betreffende Unternehmen seine Bilanz nicht offenlegt. (3) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die Angaben gemäß Absatz 2 Buchstaben a bis d in einer Aufstellung gemacht werden, die gemäß Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 2009/101/EG eingereicht wird. Die Einreichung einer solchen Aufstellung wird im Anhang zum konsolidierten Abschluss angegeben. Die Mitgliedstaaten können zudem gestatten, dass auf die Angaben verzichtet werden kann, wenn ihre Angabe einem Unternehmen einen erheblichen Nachteil zufügen würde. Die Mitgliedstaaten können dazu die vorherige Zustimmung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts verlangen. Das Unterlassen dieser Angaben wird im Anhang zum konsolidierten Abschluss erwähnt. 1103

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Art. 29 Konsolidierter Lagebericht (1) Der konsolidierte Lagebericht enthält zusätzlich zu den nach anderen Bestimmungen dieser Richtlinie geforderten Informationen zumindest die nach den Artikeln 19 und 20 geforderten Informationen, wobei den wesentlichen Anpassungen, die sich aus den Besonderheiten des konsolidierten Lageberichts im Vergleich zu einem Lagebericht ergeben, dergestalt Rechnung zu tragen ist, dass die Bewertung der Lage der insgesamt in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen erleichtert wird. (2) Es gelten folgende Berichtigungen zu den nach den Artikeln 19 und 20 geforderten Informationen: a) Bei der Berichterstattung über erworbene eigene Anteile oder Aktien sind im Lagebericht die Zahl und der Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, der rechnerische Wert aller Anteile oder Aktien des Mutterunternehmens, die entweder von diesem Mutterunternehmen, von Tochterunternehmen dieses Mutterunternehmens oder in eigenem Namen, aber für Rechnung eines dieser Unternehmen handelnden Person gehalten werden, anzugeben. Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass diese Angaben im Anhang zum konsolidierten Abschluss gemacht werden. b) Bei der Berichterstattung über die internen Kontroll- und Risikomanagementsysteme wird in der Erklärung zur Unternehmensführung auf die wesentlichen Merkmale dieser Systeme für die in die gesamte Konsolidierung einbezogenen Unternehmen Bezug genommen. (3) Ist zusätzlich zu einem Lagebericht ein konsolidierter Lagebericht vorgeschrieben, so können diese beiden Berichte in Form eines einheitlichen Berichts vorgelegt werden. Art. 29a Konsolidierte nichtfinanzielle Erklärung (1) Unternehmen von öffentlichem Interesse, die Mutterunternehmen einer großen Gruppe sind und an den Bilanzstichtagen das Kriterium erfüllen, im Durchschnitt des Geschäftsjahres auf konsolidierter Basis mehr als 500 Mitarbeiter zu beschäftigen, nehmen in den konsolidierten Lagebericht eine konsolidierte nichtfinanzielle Erklärung auf, die diejenigen Angaben enthält, die für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage der Gruppe sowie der Auswirkungen ihrer Tätigkeit erforderlich sind und sich mindestens auf Umwelt-, Sozial-, und Arbeitnehmerbelange, auf die Achtung der Menschenrechte und auf die Bekämpfung von Korruption und Bestechung beziehen, einschließlich a) einer kurzen Beschreibung des Geschäftsmodells der Gruppe; b) einer Beschreibung der von der Gruppe in Bezug auf diese Belange verfolgten Konzepte, einschließlich der angewandten Due-Diligence-Prozesse; c) der Ergebnisse dieser Konzepte; 1104

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d) der wesentlichen Risiken im Zusammenhang mit diesen Belangen, die mit der Geschäftstätigkeit der Gruppe — einschließlich, wenn dies relevant und verhältnismäßig ist, ihrer Geschäftsbeziehungen, ihrer Erzeugnisse oder ihrer Dienstleistungen — verknüpft sind und wahrscheinlich negative Auswirkungen auf diese Bereiche haben werden, sowie der Handhabung dieser Risiken durch die Gruppe; e) der wichtigsten nichtfinanziellen Leistungsindikatoren, die für die betreffende Geschäftstätigkeit von Bedeutung sind. Verfolgt die Gruppe in Bezug auf einen oder mehrere dieser Belange kein Konzept, enthält die konsolidierte nichtfinanzielle Erklärung eine klare und begründete Erläuterung, warum dies der Fall ist. Die in Unterabsatz 1 genannte konsolidierte nichtfinanzielle Erklärung enthält — wenn angebracht — auch Hinweise auf im konsolidierten Abschluss ausgewiesene Beträge und zusätzliche Erläuterungen dazu. Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass Informationen über künftige Entwicklungen oder Belange, über die Verhandlungen geführt werden, in Ausnahmefällen weggelassen werden, wenn nach der ordnungsgemäß begründeten Einschätzung der Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane, die im Rahmen der ihnen durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften übertragenen Zuständigkeiten handeln und die gemeinsam für diese Einschätzung zuständig sind, eine solche Angabe der Geschäftslage der Gruppe ernsthaft schaden würde, sofern eine solche Nichtaufnahme ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes und ausgewogenes Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage der Gruppe sowie der Auswirkungen ihrer Tätigkeit nicht verhindert. Beim Erlass der Vorschriften zur Angabe der Informationen gemäß Unterabsatz 1 sehen die Mitgliedstaaten vor, dass sich das Mutterunternehmen auf nationale, unionsbasierte oder internationale Rahmenwerke stützen kann; wenn es hiervon Gebrauch macht, hat das Mutterunternehmen anzugeben, auf welche Rahmenwerke es sich gestützt hat. (2) Wenn ein Unternehmen die Pflicht nach Absatz 1 erfüllt, wird davon ausgegangen, dass es die Pflicht im Zusammenhang mit der Analyse nichtfinanzieller Informationen nach Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 3 und Artikel 29 erfüllt hat. (3) Ein Mutterunternehmen, das auch Tochterunternehmen ist, wird von der in Absatz 1 festgelegten Pflicht befreit, wenn dieses befreite Mutterunternehmen und seine Tochterunternehmen in den konsolidierten Lagebericht oder gesonderten Bericht eines anderen Unternehmens einbezogen werden und dieser konsolidierte Lagebericht oder gesonderte Bericht gemäß Artikel 29 und diesem Artikel erstellt wird. (4) Erstellt ein Mutterunternehmen für dasselbe Geschäftsjahr einen gesonderten Bericht, der sich auf die Gruppe in ihrer Gesamtheit bezieht, können die 1105

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Mitgliedstaaten unabhängig davon, ob der Bericht sich auf nationale, unionsbasierte oder internationale Rahmenwerke stützt, und sofern der Bericht die in Absatz 1 vorgesehenen vorgeschriebenen Informationen der konsolidierten nichtfinanziellen Erklärung umfasst, dieses Mutterunternehmen von der gemäß Absatz 1 festgelegten Pflicht zur Abgabe der konsolidierten nichtfinanziellen Erklärung befreien, sofern dieser gesonderte Bericht a) zusammen mit dem konsolidierten Lagebericht gemäß Artikel 30 veröffentlicht wird oder b) innerhalb einer angemessenen Frist, die sechs Monate nach dem Bilanzstichtag nicht überschreiten darf, auf der Website des Mutterunternehmens öffentlich zugänglich gemacht wird und der konsolidierte Lagebericht darauf Bezug nimmt. Absatz 2 ist entsprechend auf Unternehmen anzuwenden, die einen gesonderten Bericht gemäß Unterabsatz 1 dieses Absatzes vorbereiten. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft überprüft, ob die konsolidierte nichtfinanzielle Erklärung gemäß Absatz 1 oder der gesonderte Bericht gemäß Absatz 4 vorgelegt wurde. (6) Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die in der konsolidierten nichtfinanziellen Erklärung gemäß Absatz 1 oder dem gesonderten Bericht gemäß Absatz 4 enthaltenen Informationen von einem unabhängigen Erbringer von Bestätigungsleistungen überprüft werden.

Kapitel 7 − Offenlegung Art. 30 Allgemeine Offenlegungspflicht (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Unternehmen innerhalb einer angemessenen Frist, die 12 Monate nach dem Bilanzstichtag nicht überschreiten darf, den ordnungsgemäß gebilligten Jahresabschluss und den Lagebericht sowie den Bericht des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft gemäß Artikel 34 dieser Richtlinie nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Kapitel 2 der Richtlinie 2009/101/EG vorgesehenen Verfahren offenlegen. Die Mitgliedstaaten können jedoch Unternehmen von der Pflicht zur Offenlegung eines Lageberichts freistellen, wenn es möglich ist, eine vollständige oder teilweise Ausfertigung dieses Berichts einfach auf Antrag zu einem Entgelt zu erhalten, das die Verwaltungskosten nicht übersteigt. (2) Die Mitgliedstaaten können ein in Anhang II genanntes Unternehmen, auf das die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen aufgrund von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b Anwendung finden, von der Pflicht zur Offenlegung seines Abschlusses gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2009/101/EG 1106

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freistellen, sofern dieser Abschluss an seinem Sitz erhältlich ist und es sich um folgende Fälle handelt: a) Alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter des betreffenden Unternehmens sind Unternehmen nach Anhang I, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaats als dem Mitgliedstaat des betroffenen Unternehmens unterliegen, und keines dieser Unternehmen hat den Abschluss des betreffenden Unternehmens mit seinem eigenen Abschluss veröffentlicht; b) alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter des betreffenden Unternehmens sind Unternehmen, welche nicht dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen, deren Rechtsform jedoch den Rechtsformen im Sinne der Richtlinie 2009/101/EG vergleichbar ist. Ausfertigungen des Abschlusses müssen auf Antrag erhältlich sein. Das dafür berechnete Entgelt darf die Verwaltungskosten nicht übersteigen. (3) Absatz 1 gilt für konsolidierte Abschlüsse und konsolidierte Lageberichte. Sofern jedoch das Unternehmen, das den konsolidierten Abschluss aufstellt, in einer der in Anhang II genannten Rechtsformen organisiert ist und in Bezug auf die in Absatz 1 genannten Unterlagen nach dem Recht seines Mitgliedstaats nicht verpflichtet ist, diese in derselben Weise, wie in Artikel 3 der Richtlinie 2009/101/EG vorgeschrieben, offenzulegen, muss es diese Unterlagen zumindest an seinem Sitz zur Einsichtnahme für jedermann bereithalten und auf Antrag Ausfertigungen der Unterlagen bereitstellen, wobei das dafür berechnete Entgelt die Verwaltungskosten nicht übersteigen darf. Art. 31 Vereinfachungen für kleine und mittlere Unternehmen (1) Die Mitgliedstaaten können kleine Unternehmen von der Pflicht zur Offenlegung ihrer Gewinn- und Verlustrechnung sowie ihrer Lageberichte ausnehmen. (2) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass mittlere Unternehmen Folgendes offenlegen: a) einer verkürzten Bilanz, welche nur die in den Anhängen III und IV vorgesehenen mit Buchstaben und römischen Zahlen bezeichneten Posten enthält, wobei entweder in der Bilanz oder im Anhang gesondert anzugeben sind: i) die Posten C. I. 3, C. II. 1, 2, 3 und 4, C. III. 1, 2, 3 und 4, D. II. 2, 3 und 6 und D. III. 1 und 2 unter „Aktiva“ und C.1, 2, 6, 7 und 9 unter „Passiva“ des Anhangs III, ii) die Posten C. I. 3, C.II.1, 2, 3 und 4, C. III. 1, 2, 3 und 4, D. II. 2, 3 und 6, D. III. 1 und 2, F. 1, 2, 6, 7 und 9 sowie I. 1, 2, 6, 7 und 9 des Anhangs IV, iii) die bei den Posten D. II unter „Aktiva“ und C unter „Passiva“ des Anhangs III in Klammern verlangten Angaben, jedoch zusammengefasst 1107

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für alle betreffenden Posten und gesondert für die Posten D. II. 2 und 3 unter „Aktiva“ sowie C. 1, 2, 6, 7 und 9 unter „Passiva“, iv) die bei dem Posten D. II des Anhangs IV in Klammern verlangten Angaben, jedoch zusammengefasst für alle betreffenden Posten und gesondert für die Posten D. II. 2 und 3; b) einem verkürzten Anhang zum Abschluss ohne die in Artikel 17 Absatz 1 Buchstaben f und j geforderten Angaben. Dieser Absatz berührt nicht die Bestimmungen des Artikels 30 Absatz 1 hinsichtlich der Gewinn- und Verlustrechnung, des Lageberichts sowie des Prüfungsurteils des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft. Art. 32 Sonstige Offenlegungspflichten (1) Jede vollständige Veröffentlichung des Jahresabschlusses und des Lageberichts wird in der Form und mit dem Wortlaut wiedergegeben, auf deren Grundlage der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft sein bzw. ihr Prüfungsurteil erstellt hat. Der Bestätigungsvermerk wird im vollen Wortlaut beigefügt. (2) Bei nicht vollständiger Veröffentlichung des Jahresabschlusses wird in der verkürzten Fassung dieses Abschlusses, der kein Bestätigungsvermerk beigefügt wird, a) darauf hingewiesen, dass die offengelegte Fassung verkürzt ist; b) auf das Register Bezug genommen, bei dem der Abschluss nach Artikel 3 der Richtlinie 2009/101/EG hinterlegt wurde, oder falls der Abschluss noch nicht hinterlegt ist, auf diesen Umstand hingewiesen; c) angegeben, ob der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft einen uneingeschränkten oder einen eingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt oder aber ein negatives Prüfungsurteil abgegeben hat oder ob der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft nicht in der Lage war, ein Prüfungsurteil abzugeben; d) angegeben, ob der Bestätigungsvermerk auf Umstände verweist, auf die der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft in besonderer Weise aufmerksam gemacht hat, ohne den Bestätigungsvermerk einzuschränken. Art. 33 Pflicht und Haftung hinsichtlich der Aufstellung und der Offenlegung des Abschlusses und des Lageberichts (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane eines Unternehmens im Rahmen der ihnen durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften übertragenen Zuständigkeiten die gemeinsame Aufgabe haben, sicherzustellen, dass a) der Jahresabschluss, der Lagebericht, die Erklärung zur Unternehmensführung, wenn sie gesondert abgegeben wird, und der Bericht nach Artikel 19a Absatz 4 sowie 1108

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b) der konsolidierte Abschluss, der konsolidierte Lagebericht, die konsolidierte Erklärung zur Unternehmensführung, wenn sie gesondert abgegeben wird, und der Bericht nach Artikel 29a Absatz 4 entsprechend den Anforderungen dieser Richtlinie und gegebenenfalls entsprechend den internationalen Rechnungslegungsstandards, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 angenommen wurden, erstellt und offengelegt werden. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Bestimmungen ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Haftung auf die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane der Unternehmen Anwendung finden, zumindest was die Haftung gegenüber dem Unternehmen wegen Verletzung der in Absatz 1 genannten Pflichten betrifft.

Kapitel 8 – Abschlussprüfung Art. 34 Allgemeine Anforderungen (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Abschlüsse von Unternehmen von öffentlichem Interesse, mittleren und großen Unternehmen von einem oder mehreren Abschlussprüfern oder einer oder mehreren Prüfungsgesellschaften geprüft werden, die von den Mitgliedstaaten zur Durchführung von Abschlussprüfungen auf der Grundlage der Richtlinie 2006/43/EG zugelassen worden sind. Der/die Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft(en) hat/haben ferner a) ein Urteil darüber abzugeben, i) ob der Lagebericht mit dem Abschluss des betreffenden Geschäftsjahres in Einklang steht und ii) ob der Lagebericht nach den geltenden rechtlichen Anforderungen aufgestellt wurde und b) zu erklären, ob im Lichte der bei der Prüfung gewonnenen Erkenntnisse und des gewonnenen Verständnisses über das Unternehmen und sein Umfeld wesentliche fehlerhafte Angaben im Lagebericht festgestellt wurden, wobei auf die Art dieser fehlerhaften Angaben einzugehen ist. (2) Absatz 1 Unterabsatz 1 findet sinngemäß auf konsolidierte Abschlüsse Anwendung. Absatz 1 Unterabsatz 2 findet sinngemäß auf konsolidierte Abschlüsse und konsolidierte Lageberichte Anwendung. (3) Dieser Artikel gilt nicht für die nichtfinanzielle Erklärung gemäß Artikel 19a Absatz 1 und die konsolidierte nichtfinanzielle Erklärung gemäß Artikel 29a Absatz 1 oder die gesonderten Berichte gemäß Artikel 19a Absatz 4 und Artikel 29a Absatz 4. 1109

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Art. 35 Änderung der Richtlinie 2006/43/EG (dort berücksichtigt) — nicht abgedruckt.

Kapitel 9 – Vorschriften über Befreiungen und Einschränkungen der Bereifungen Art. 36 Befreiung für Kleinstunternehmen (1) Die Mitgliedstaaten können Kleinstunternehmen von einer oder allen der nachstehend aufgeführten Pflichten befreien: a) Verpflichtung, die Rechnungsabgrenzungsposten auf der Aktivseite und die Rechnungsabgrenzungsposten auf der Passivseite auszuweisen. Macht ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch, so darf er den betreffenden Unternehmen gestatten, lediglich im Hinblick auf sonstige Aufwendungen gemäß Absatz 2 Buchstabe b Ziffer vi dieses Artikels von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe d hinsichtlich der Berücksichtigung von Rechnungsabgrenzungsposten auf der Aktivseite und Rechnungsabgrenzungsposten auf der Passivseite abzuweichen, sofern dies im Anhang oder gemäß Buchstabe c des vorliegenden Absatzes unter der Bilanz ausgewiesen wird; b) Verpflichtung, einen Anhang zum Abschluss gemäß Artikel 16 zu erstellen, sofern die nach Artikel 16 Absatz 1 Buchstaben d und e der vorliegenden Richtlinie und Artikel 24 Absatz 2 der Richtlinie 2012/30/EU geforderten Angaben unter der Bilanz ausgewiesen werden; c) Verpflichtung, einen Lagebericht gemäß Kapitel 5 zu erstellen, sofern die nach Artikel 24 Absatz 2 der Richtlinie 2012/30/EU geforderten Angaben im Anhang oder gemäß Buchstabe c des vorliegenden Absatzes unter der Bilanz ausgewiesen werden; d) Verpflichtung, Jahresabschlüsse gemäß Kapitel 7 der vorliegenden Richtlinie offenzulegen, sofern die in der Bilanz enthaltenen Informationen im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bei mindestens einer von dem betreffenden Mitgliedstaat benannten zuständigen Behörde ordnungsgemäß hinterlegt werden. Handelt es sich bei der zuständigen Behörde nicht um das zentrale Register oder das Handels- oder Gesellschaftsregister nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 2009/101/EG, so hat die zuständige Behörde die bei ihr hinterlegten Informationen dem Register zu übermitteln. (2) Die Mitgliedstaaten können Kleinstunternehmen gestatten, a) nur eine verkürzte Bilanz aufzustellen, in der zumindest die in den Anhängen III oder IV mit Buchstaben bezeichneten Posten, soweit einschlägig, gesondert ausgewiesen werden. Bei Anwendung von Absatz 1 Buchstabe a 1110

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werden die Posten D der „Aktiva“ und E der „Passiva“ in Anhang III bzw. die Posten E und K in Anhang IV aus der Bilanz ausgeklammert; b) nur eine verkürzte Gewinn- und Verlustrechnung zu erstellen, in der zumindest folgende Posten, soweit einschlägig, gesondert ausgewiesen werden: i) Nettoumsatzerlös, ii) sonstige Erträge, iii) Materialaufwand, iv) Personalaufwand, v) Wertberichtigungen, vi) sonstige Aufwendungen, vii) Steuern, viii)Ergebnis. (3) Die Mitgliedstaaten dürfen die Anwendung von Artikel 8 auf Kleinstunternehmen, die Gebrauch von einer Befreiung nach den Absätzen 1 und 2 dieses Artikels machen, weder gestatten noch vorschreiben. (4) Bei Kleinstunternehmen wird davon ausgegangen, dass der gemäß den Absätzen 1, 2 und 3 dieses Artikels erstellte Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild gemäß Artikel 4 Absatz 3 vermittelt; infolgedessen findet Artikel 4 Absatz 4 auf derartige Jahresabschlüsse keine Anwendung. (5) Findet Absatz 1 Buchstabe a dieses Artikels Anwendung, so setzt sich die in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a bezeichnete Bilanzsumme aus dem Wert der Posten A bis D unter „Aktiva“ in Anhang III oder der Posten A bis D in Anhang IV zusammen. (6) Unbeschadet dieses Artikels stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Kleinstunternehmen im Übrigen als kleine Unternehmen angesehen werden. (7) Die Mitgliedstaaten gewähren die in den Absätzen 1, 2 und 3 dargelegten Ausnahmen weder Investmentgesellschaften noch Beteiligungsgesellschaften. (8) Die Mitgliedstaaten, die zum 19 Juli 2013 Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Einklang mit der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben18 in Kraft gesetzt haben, können bei der Anwendung von Artikel 53 Absatz 1 Satz 1 von den Anforderungen nach Artikel 3 Absatz 9 hinsichtlich der Umrechnung der Höchstbeträge nach Artikel 3 Absatz 1 a in die nationale Währung ausgenommen werden. (9) Die Kommission legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss spätestens bis 20 Juli 2018 einen Be-

18 ABl. L 81 vom 21. 3. 2012; S. 3.

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richt über die Lage der Kleinstunternehmen vor und berücksichtigt dabei vor allem die Lage auf nationaler Ebene im Hinblick auf die Anzahl der Unternehmen, die unter die Größenkriterien fallen, und die Verringerung des Verwaltungsaufwands infolge der Befreiung von der Offenlegungspflicht. Art. 37 Befreiung für Tochterunternehmen Ungeachtet der Richtlinien 2009/ 101/EG und 2012/30/EU brauchen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie über den Inhalt, die Prüfung und die Offenlegung des Jahresabschlusses sowie den Lagebericht nicht auf Unternehmen anwenden, die ihrem Recht unterliegen und Tochterunternehmen sind, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) das Mutterunternehmen unterliegt dem Recht eines Mitgliedstaats; (2) alle Aktionäre oder Gesellschafter des Tochterunternehmens haben sich in Bezug auf jedes Geschäftsjahr, in dem die Befreiung Anwendung findet, mit der bezeichneten Befreiung einverstanden erklärt; (3) das Mutterunternehmen hat sich bereit erklärt, für die von dem Tochterunternehmen eingegangenen Verpflichtungen einzustehen; (4) die Erklärungen nach den Nummern 2 und 3 dieses Artikels sind nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehenen Verfahren gemäß Kapitel 2 der Richtlinie 2009/101/EWG offenzulegen; (5) das Tochterunternehmen ist in den von dem Mutterunternehmen nach dieser Richtlinie aufgestellten konsolidierten Abschluss einbezogen; (6) die Befreiung wird im Anhang des vom Mutterunternehmen aufgestellten konsolidierten Abschlusses angegeben, und (7) der konsolidierte Abschluss nach Nummer 5 dieses Artikels, der konsolidierte Lagebericht sowie der Bestätigungsvermerk sind für das Tochterunternehmen nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehenen Verfahren gemäß Kapitel 2 der Richtlinie 2009/101/EG offenzulegen. Art. 38 Unternehmen, die unbeschränkt haftende Gesellschafter anderer Unternehmen sind (1) Die Mitgliedstaaten können von in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a genannten Unternehmen, die unter ihr Recht fallen und unbeschränkt haftende Gesellschafter eines in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b genannten Unternehmens („betreffendes Unternehmen“) sind, verlangen, den Abschluss des betreffenden Unternehmens zusammen mit dem eigenen Abschluss gemäß dieser Richtlinie aufzustellen, zu prüfen und offenzulegen; in diesem Fall gelten die Anforderungen dieser Richtlinie nicht für das betreffende Unternehmen. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht auf das betreffende Unternehmen anzuwenden, sofern 1112

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4.5

a) der Abschluss des betreffenden Unternehmens gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie von einem Unternehmen aufgestellt, geprüft und offengelegt wird, das i) unbeschränkt haftender Gesellschafter des betreffenden Unternehmens ist und ii) dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegt; b) das betreffende Unternehmen in einen konsolidierten Abschluss einbezogen ist, der im Einklang mit dieser Richtlinie aufgestellt, geprüft und offengelegt wird von i) einem unbeschränkt haftenden Gesellschafter oder ii) einem Mutterunternehmen, das dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt, sofern das betreffende Unternehmen in den konsolidierten Abschluss einer größeren Gesamtheit von Unternehmen einbezogen ist, der im Einklang mit dieser Richtlinie aufgestellt, geprüft und offengelegt wird. Die Befreiung wird im Anhang zum konsolidierten Abschluss angegeben. (3) In den in Absatz 2 genannten Fällen nennt das betreffende Unternehmen auf Anfrage den Namen des den Abschluss offenlegenden Unternehmens. Art. 39 Befreiung von der Gewinn- und Verlustrechnung für Mutterunternehmen, die einen konsolidierten Abschluss aufstellen Die Mitgliedstaaten brauchen die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Prüfung und Offenlegung der Gewinn- und Verlustrechnung nicht auf Unternehmen anzuwenden, die ihrem Recht unterliegen und Mutterunternehmen sind, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Das Mutterunternehmen stellt einen konsolidierten Abschluss gemäß dieser Richtlinie auf und ist in den konsolidierten Abschluss einbezogen; 2. die Befreiung wird im Anhang des vom Mutterunternehmen aufgestellten Jahresabschlusses angegeben; 3. die Befreiung wird im Anhang des vom Mutterunternehmen aufgestellten konsolidierten Abschlusses angegeben, und 4. das gemäß dieser Richtlinie ermittelte Ergebnis des Geschäftsjahres des Mutterunternehmens wird seiner Bilanz ausgewiesen. Art. 40 Einschränkung der Befreiungen für Unternehmen von öffentlichem Interesse Sofern in dieser Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen, gewähren die Mitgliedstaaten Unternehmen von öffentlichem Interesse keine der Vereinfachungen und Befreiungen im Sinne dieser Richtlinie. Ein Unternehmen von öffentlichem Interesse wird unabhängig von seinen Nettoumsatzerlösen, seiner Bilanzsumme oder der durchschnittlichen Zahl der der während des Geschäftsjahrs Beschäftigten als großes Unternehmen behandelt. 1113

4.5

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Kapitel 10 – Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen Art. 41 Begriffsbestimmungen in Bezug auf die Berichterstattung über Zahlungen an staatliche Stellen Im Sinne dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck 1. „Unternehmen der mineralgewinnenden Industrie“ ein Unternehmen, das auf dem Gebiet der Exploration, Prospektion, Entdeckung, Weiterentwicklung und Gewinnung von Mineralien, Erdöl-, Erdgasvorkommen oder anderen Stoffen in den Wirtschaftszweigen tätig ist, die in Abschnitt B Abteilungen 05 bis 08 von Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Aufstellung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige NACE Revision 219 aufgeführt sind; 2. „Unternehmen des Holzeinschlags in Primärwäldern“ ein Unternehmen, das auf den Zweigen, die in Abschnitt A Abteilung 02 Gruppe 02.2 von Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 aufgeführt sind, in Primärwäldern tätig ist; 3. „staatliche Stelle“ nationale, regionale oder lokale Behörden eines Mitgliedstaats oder eines Drittlands. Dazu zählen auch von dieser Behörde kontrollierte Abteilungen oder Agenturen bzw. von ihr kontrollierte Unternehmen im Sinne von Artikel 22 Absätze 1 bis 6 dieser Richtlinie; 4. „Projekt“ die operativen Tätigkeiten, die sich nach einem einzigen Vertrag, einer Lizenz, einem Mietvertrag, einer Konzession oder ähnlichen rechtlichen Vereinbarungen richten und die Grundlage für Zahlungsverpflichtungen gegenüber einer staatlichen Stelle bilden. Falls allerdings mehrere solche Vereinbarungen materiell miteinander verbunden sind, werden diese als ein Projekt betrachtet. 5. „Zahlung“ einen als Geld- oder Sachleistung entrichteten Betrag für folgende Arten von Tätigkeiten im Sinne der Nummern 1 und 2: a) Produktionszahlungsansprüche, b) Steuern, die auf die Erträge, die Produktion oder die Gewinne von Unternehmen erhoben werden, ausschließlich Steuern, die auf den Verbrauch erhoben werden, wie etwa Mehrwertsteuern, Einkommensteuern oder Umsatzsteuern, c) Nutzungsentgelte, d) Dividenden, e) Unterzeichnungs-, Entdeckungs- und Produktionsboni,

19 ABl. L 393 vom 30. 12. 2006, S. 1.

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f)

Lizenz-, Miet- und Zugangsgebühren sowie sonstige Gegenleistungen für Lizenzen und/ oder Konzessionen und g) Zahlungen für die Verbesserung der Infrastruktur. Art. 42 Unternehmen, die über Zahlungen an staatliche Stellen zu berichten haben (1) Die Mitgliedstaaten schreiben großen Unternehmen und allen Unternehmen von öffentlichem Interesse, die in der mineralgewinnenden Industrie oder auf dem Gebiet des Holzeinschlags in Primärwäldern tätig sind, vor, jährlich einen Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen zu erstellen und zu veröffentlichen. (2) Diese Pflicht gilt nicht für ein unter die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats fallendes Unternehmen, das ein Tochter- oder Mutterunternehmen ist, sofern beide nachfolgend genannten Bedingungen erfüllt sind: a) Das Mutterunternehmen unterliegt dem Recht eines Mitgliedstaats, und b) die Zahlungen des Unternehmens an staatliche Stellen sind im konsolidierten Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen enthalten, der von dem Mutterunternehmen gemäß Artikel 44 erstellt wird. Art. 43 Inhalt des Berichts (1) Zahlungen müssen unabhängig davon, ob sie als eine Einmalzahlung oder als eine Reihe verbundener Zahlungen geleistet werden, nicht in dem Bericht berücksichtigt werden, wenn sie im Geschäftsjahrs unter 100 000 EUR liegen. (2) In dem Bericht werden im Zusammenhang mit den Tätigkeiten im Sinne des Artikels 41 Nummern 1 und 2 folgende Angaben zum betreffenden Geschäftsjahr gemacht: a) der Gesamtbetrag der Zahlungen, die an jede staatliche Stelle geleistet wurden; b) der Gesamtbetrag je Art der an jede staatliche Stelle geleisteten Zahlung gemäß Artikel 41 Nummer 5 Buchstaben a bis g; c) wenn diese Zahlungen für ein bestimmtes Projekt getätigt wurden, der Gesamtbetrag je Art der Zahlung gemäß Artikel 41 Nummer 5 Buchstaben a bis g, für jedes Projekt, und der Gesamtbetrag der Zahlungen für jedes Projekt. Zahlungen des Unternehmens zur Erfüllung von Verpflichtungen, die auf Ebene des Unternehmens auferlegt werden, können auf Ebene des Unternehmens statt auf Projektebene angegeben werden. (3) Werden Zahlungen an eine staatliche Stelle in Sachleistungen getätigt, so werden sie ihrem Wert und gegebenenfalls ihrem Umfang nach gemeldet. Ergänzende Erläuterungen sind beizufügen, um darzulegen, wie ihr Wert festgelegt worden ist. (4) Bei der Angabe der Zahlungen gemäß diesem Artikel wird auf den Inhalt der betreffenden Zahlung oder Tätigkeit, und nicht auf deren Form, Bezug ge1115

4.5

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nommen. Zahlungen und Tätigkeiten dürfen nicht künstlich mit dem Ziel aufgeteilt oder zusammengefasst werden, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen. (5) Für die Mitgliedstaaten, die den Euro nicht eingeführt haben, wird der in Absatz 1 festgelegte Euro-Höchstbetrag in die Landeswährung umgerechnet, indem a) der Umrechnungskurs angewendet wird, der gemäß der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union am Tag des Inkrafttretens einer Richtlinie gilt, die diesen Höchstbetrag festsetzt, sowie b) auf die nächste Hunderterstelle auf- oder abgerundet wird. Art. 44 Konsolidierter Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben großen Unternehmen und Unternehmen von öffentlichem Interesse, die in der mineralgewinnenden Industrie oder auf dem Gebiet des Holzeinschlags in Primärwäldern tätig sind und unter ihre jeweiligen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften fallen, vor, einen konsolidierten Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen gemäß den Artikeln 42 und 43 zu erstellen, wenn das Mutterunternehmen einen konsolidierten Abschluss nach Artikel 22 Absätze 1 bis 6 zu erstellen hat. Ein Mutterunternehmen wird als in der mineralgewinnenden Industrie oder auf dem Gebiet des Holzeinschlags in Primärwäldern tätig angesehen, wenn eines seiner Tochterunternehmen in der mineralgewinnenden Industrie oder auf dem Gebiet des Holzeinschlags in Primärwäldern tätig ist. Der konsolidierte Bericht erstreckt sich nur auf Zahlungen, die sich aus der Geschäftstätigkeit in der mineralgewinnenden Industrie oder auf dem Gebiet des Holzeinschlags in Primärwäldern ergeben. (2) Die Pflicht zur Erstellung eines konsolidierten Berichts gemäß Absatz 1 gilt nicht für: a) ein Mutterunternehmen einer kleinen Gruppe im Sinne von Artikel 3 Absatz 5, es sei denn, ein verbundenes Unternehmen ist ein Unternehmen von öffentlichem Interesse; b) ein Mutterunternehmen einer mittleren Gruppe im Sinne von Artikel 3 Absatz 6, es sei denn, ein verbundenes Unternehmen ist ein Unternehmen von öffentlichem Interesse, und c) ein den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegendes Mutterunternehmen, das zugleich ein Tochterunternehmen ist, wenn das eigene Mutterunternehmen dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegt. (3) Ein Unternehmen, einschließlich eines Unternehmen von öffentlichem Interesse, braucht nicht in einen konsolidierten Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen einbezogen werden, wenn zumindest eine der nachfolgend genannten Bedingungen erfüllt ist: 1116

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a) Erhebliche und andauernde Beschränkungen behindern das Mutterunternehmen nachhaltig an der Ausübung seiner Rechte in Bezug auf Vermögen oder Geschäftsführung dieses Unternehmens b) es liegt der äußerst seltene Fall vor, dass die für die Aufstellung eines konsolidierten Berichts über Zahlungen an staatliche Stellen nach dieser Richtlinie erforderlichen Angaben nicht ohne unverhältnismäßig hohe Kosten oder ungebührliche Verzögerungen zu erhalten sind; c) die Anteile oder Aktien dieses Unternehmens werden ausschließlich zum Zwecke ihrer Weiterveräußerung gehalten. Die vorgenannten Ausnahmen gelten nur, wenn sie für die Zwecke des konsolidierten Abschlusses angewandt werden. Art. 45 Offenlegung (1) Der in Artikel 42 genannte Bericht sowie der konsolidierte Bericht im Sinne von Artikel 44 über Zahlungen an staatliche Stellen werden gemäß den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats im Sinne von Kapitel 2 der Richtlinie 2009/101/EG offengelegt. (2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Mitglieder der zuständigen Organe eines Unternehmens im Rahmen der ihnen durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften übertragenen Zuständigkeiten die Verantwortung haben, zu gewährleisten, dass der Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen nach ihrem bestem Wissen und Vermögen entsprechend den Anforderungen dieser Richtlinie erstellt und offengelegt wird. Art. 46 Gleichwertigkeitsmechanismus (1) Unternehmen nach den Artikeln 42 und 44, die einen Bericht erstellen und offenlegen, der die Berichtspflichten eines Drittlands erfüllt, die gemäß Artikel 47 als mit den Anforderungen dieses Kapitels gleichwertig bewertet wurden, sind von den Anforderungen dieses Kapitels ausgenommen; hiervon ausgenommen ist die Pflicht zur Offenlegung dieses Berichts gemäß den Rechtsvorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats im Einklang mit Kapitel 2 der Richtlinie 2009/101/EG. (2) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 49 delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die Kriterien festzulegen, die bei der Bewertung der Gleichwertigkeit der Berichtspflichten eines Drittlands und der Anforderungen dieses Kapitels für die Zwecke des Absatzes 1 dieses Artikels anzuwenden sind. (3) Die von der Kommission gemäß Absatz 2 festgelegten Kriterien a) beinhalten Folgendes: i) zu erfassendes Unternehmen, ii) zu erfassende Empfänger von Zahlungen, iii) erfasste Zahlungen, iv) Bestimmung der erfassten Zahlungen, 1117

4.5

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v) Aufschlüsselung der erfassten Zahlungen, vi) Auslöser für eine Berichterstattung auf konsolidierter Basis, vii) Medium der Berichterstattung, viii)Häufigkeit der Berichterstattung und ix) Maßnahmen zur Bekämpfung der Umgehung b) und sind ansonsten auf Kriterien beschränkt, die einen direkten Vergleich der Berichtspflichten eines Drittlands mit den Anforderungen dieses Kapitels erleichtern. Art. 47 Anwendung von Gleichwertigkeitskriterien Der Kommission wird die Befugnis übertragen, Durchführungsrechtsakte zu erlassen, um die Berichtspflichten eines Drittlands festzulegen, die sie nach Anwendung der gemäß Artikel 46 festgelegten Gleichwertigkeitskriterien als den Anforderungen dieses Kapitels gleichwertig erachtet. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem Prüfverfahren gemäß Artikel 50 Absatz 2 erlassen. Art. 48 Überprüfung Die Kommission überprüft die Anwendung und Wirksamkeit dieses Kapitels, insbesondere im Hinblick auf den Anwendungsbereich und die Einhaltung der jeweiligen Berichtspflichten sowie der Modalitäten des Berichtsverfahrens auf Projektbasis, und erstattet darüber Bericht. Die Überprüfung trägt internationalen Entwicklungen Rechnung, insbesondere hinsichtlich mehr Transparenz bei Zahlungen an staatliche Stellen, beurteilt die Auswirkungen anderer internationaler Regelungen und berücksichtigt die Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit der Energieversorgung. Die Überprüfung wird spätestens zum 21 Juli 2018 abgeschlossen. Der Bericht wird dem Europäische Parlament und dem Rat, gegebenenfalls zusammen mit einem Gesetzgebungsvorschlag, vorgelegt. Dieser Bericht geht auf die Frage einer Ausdehnung der Berichtspflichten auf zusätzliche Wirtschaftszweige ein sowie auf die Frage, ob der Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen einer Abschlussprüfung unterzogen werden sollte. Der Bericht geht auch auf die Frage der Angabe zusätzlicher Informationen zur durchschnittlichen Zahl der Beschäftigten, zur Einschaltung von Unterauftragnehmern und auf etwaige von einem Land angeordnete Geldbußen ein. In dem Bericht wird unter Berücksichtigung der Entwicklungen in der OECD und der Ergebnisse entsprechender europäischer Initiativen auch die Möglichkeit der Einführung einer Pflicht geprüft, nach der große Unternehmen jährlich einen länderspezifischen Bericht für jeden Mitgliedstaat und jeden Drittstaat, in dem sie tätig sind, mit Angaben mindestens zu den erzielten Gewinnen, den entrichteten Steuern auf die Gewinne und den erhaltenen staatlichen Beihilfen erstellen müssten. 1118

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Außerdem wird im Bericht untersucht, ob es machbar ist, eine Verpflichtung für alle Emittenten aus der Union einzuführen, wonach beim Abbau von Mineralien mit der gebotenen Sorgfalt vorzugehen ist, um sicherzustellen, dass die Lieferketten keine Verbindung zu Konfliktparteien haben und die EITI- und OECD-Empfehlungen über verantwortliches Lieferkettenmanagement einhalten.

Kapitel 11 – Schlussbestimmungen Art. 49–50 Ausübung der Befugnisübertragung und Ausschussverfahren — nicht abgedruckt. Art. 51 Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen Sanktionen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften fest und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Sanktionen durchgesetzt werden. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Art. 52 Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG — nicht abgedruckt. Art. 53 Umsetzung (1) Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 20 Juli 2015 nachzukommen. Sie unterrichten die Kommission unverzüglich darüber. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Bestimmungen nach Unterabsatz 1 erstmals auf Abschlüsse für die Geschäftsjahre angewandt werden, die am 1. Januar 2016 oder während des Kalenderjahres 2016 beginnen. Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme. (2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen. Art. 54 Inkrafttreten Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Art. 55 Adressaten Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet. 1119

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Anhang I-II Rechtsformen von Unternehmen gemäss Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe A und Buchstabe B — nicht abgedruckt.

Anhang III − Horizontale Gliederung der Bilanz nach Artikel 10 Aktiva A. Ausstehende Einlagen auf das gezeichnete Kapital davon eingefordert (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals auf der Passivseite unter „Eigenkapital“ vorsehen; in diesem Fall wird derjenige Teil des Kapitals, der eingefordert, aber noch nicht eingezahlt ist, entweder unter dem Posten A oder unter dem Posten D. II. 5 auf der Aktivseite ausgewiesen).

B. Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens wie in den entsprechenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegt und soweit diese eine Aktivierung gestatten. Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften können ebenfalls vorsehen, dass die Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens als erster Posten unter „Immaterielle Anlagewerte“ ausgewiesen werden.

C. Anlagevermögen I. Immaterielle Anlagewerte 1. Entwicklungskosten, soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung gestatten. 2. Konzessionen, Patente, Lizenzen, Warenzeichen und ähnliche Rechte und Werte, soweit sie a) entgeltlich erworben wurden und nicht unter dem Posten C.I.3 auszuweisen sind oder b) von dem Unternehmen selbst geschaffen wurden, soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung gestatten. 3. Geschäfts- oder Firmenwert, sofern er entgeltlich erworben wurde. 4. Geleistete Anzahlungen. 1120

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II. Sachanlagen 1. Grundstücke und Bauten. 2. Technische Anlagen und Maschinen. 3. Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung. 4. Geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau.

III. Finanzanlagen 1. Anteile an verbundenen Unternehmen. 2. Forderungen gegen verbundene Unternehmen. 3. Beteiligungen. 4. Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 5. Wertpapiere des Anlagevermögens. 6. Sonstige Ausleihungen.

D. Umlaufvermögen I. Vorräte 1. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. 2. Unfertige Erzeugnisse. 3. Fertige Erzeugnisse und Waren. 4. Geleistete Anzahlungen.

II. Forderungen (Bei den folgenden Posten ist jeweils gesondert anzugeben, in welcher Höhe Forderungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr enthalten sind.) 1. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. 2. Forderungen gegen verbundene Unternehmen. 3. Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 4. Sonstige Forderungen. 5. Gezeichnetes Kapital, das eingefordert, aber noch nicht eingezahlt ist (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals unter dem Posten A auf der Aktivseite vorsehen). 6. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten E auf der Aktivseite vorsehen). 1121

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III. Wertpapiere 1. Anteile an verbundenen Unternehmen. 2. Eigene Aktien oder Anteile (unter Angabe ihres Nennbetrages oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, ihres rechnerischen Wertes), soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Bilanzierung gestatten. 3. Sonstige Wertpapiere.

IV. Guthaben bei Kreditinstituten, Postscheckguthaben, Schecks und Kassenbestand. E. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter den Posten D. II. 6 auf der Aktivseite vorsehen).

Passiva A. Eigenkapital I. Gezeichnetes Kapital (sofern nicht einzelstaatliche Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals unter diesem Posten vorsehen; in diesem Fall werden das gezeichnete und das eingezahlte Kapital gesondert ausgewiesen).

II. Agio

III. Neubewertungsrücklage

IV. Rücklagen 1. Gesetzliche Rücklage, soweit einzelstaatliche Rechtsvorschriften die Bildung einer derartigen Rücklage vorschreiben. 2. Rücklage für eigene Aktien oder Anteile, soweit einzelstaatliche Rechtsvorschriften die Bildung einer derartigen Rücklage vorschreiben, unbeschadet des Artikels 22 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 77/91/EWG. 3. Satzungsmäßige Rücklagen. 4. Sonstige Rücklagen, einschließlich der Zeitwert-Rücklage. 1122

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V. Ergebnisvortrag. VI. Ergebnis des Geschäftsjahres. B. Rückstellungen 1. Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen. 2. Steuerrückstellungen. 3. Sonstige Rückstellungen. C. Verbindlichkeiten (Bei den folgenden Posten wird jeweils gesondert und für diese Posten insgesamt angegeben, in welcher Höhe Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von bis zu einem Jahr und Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr enthalten sind.) 1. Anleihen, davon konvertibel. 2. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten. 3. Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen, soweit diese nicht vom Posten „Vorräte“ gesondert abgesetzt werden. 4. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. 5. Verbindlichkeiten aus Wechseln. 6. Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen. 7. Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 8. Sonstige Verbindlichkeiten, einschließlich Verbindlichkeiten gegenüber Steuerbehörden und Sozialversicherungsträgern. 9. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten D unter „Rechnungsabgrenzungsposten“ auf der Passivseite vorsehen). D. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten C. 9 unter „Verbindlichkeiten“ auf der Passivseite vorsehen)

1123

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Anhang IV – Vertikale Gliederung der Bilanz nach Artikel 10 A. Ausstehende Einlagen auf das gezeichnete Kapital davon eingefordert (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals unter dem Posten L vorsehen; in diesem Fall wird derjenige Teil des Kapitals, der eingefordert, aber noch nicht eingezahlt ist, entweder unter dem Posten A oder unter dem Posten D. II. 5 ausgewiesen.)

B. Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens wie in den entsprechenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegt und soweit diese eine Aktivierung gestatten. Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften können ebenfalls vorsehen, dass die Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens als erster Posten unter „Immaterielle Anlagewerte“ ausgewiesen werden.

C. Anlagevermögen I. Immaterielle Anlagewerte 1. Entwicklungskosten, soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung gestatten. 2. Konzessionen, Patente, Lizenzen, Warenzeichen und ähnliche Rechte und Werte, soweit sie a) entgeltlich erworben wurden und nicht unter dem Posten C.I.3 auszuweisen sind oder b) von dem Unternehmen selbst geschaffen wurden, soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung gestatten. 3. Geschäfts- oder Firmenwert, sofern er entgeltlich erworben wurde. 4. Geleistete Anzahlungen.

II. Sachanlagen 1. Grundstücke und Bauten. 2. Technische Anlagen und Maschinen. 3. Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung. 4. Geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau. 1124

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III. Finanzanlagen 1. Anteile an verbundenen Unternehmen. 2. Forderungen gegen verbundene Unternehmen. 3. Beteiligungen. 4. Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 5. Wertpapiere des Anlagevermögens. 6. Sonstige Ausleihungen.

D. Umlaufvermögen I. Vorräte 1. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. 2. Unfertige Erzeugnisse. 3. Fertige Erzeugnisse und Waren. 4. Geleistete Anzahlungen.

II. Forderungen (Bei den folgenden Posten ist jeweils gesondert anzugeben, in welcher Höhe Forderungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr enthalten sind) 1. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. 2. Forderungen gegen verbundene Unternehmen. 3. Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 4. Sonstige Forderungen. 5. Gezeichnetes Kapital, das eingefordert, aber noch nicht eingezahlt ist (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals als Aktiva unter dem Posten A vorsehen). 6. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten als Aktiva unter dem Posten E vorsehen).

III. Wertpapiere 1. Anteile an verbundenen Unternehmen. 2. Eigene Aktien oder Anteile (unter Angabe ihres Nennbetrages oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, ihres rechnerischen Wertes), soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Bilanzierung gestatten. 3. Sonstige Wertpapiere. 1125

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IV. Guthaben bei Kreditinstituten, Postscheckguthaben, Schecks und Kassenbestand.

E. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten D. II. 6 vorsehen.)

F. Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit bis zu einem Jahr 1. Anleihen, davon konvertibel. 2. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten. 3. Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen, soweit diese nicht von dem Posten „Vorräte“ gesondert abgesetzt werden. 4. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. 5. Verbindlichkeiten aus Wechseln. 6. Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen. 7. Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 8. Sonstige Verbindlichkeiten, davon Verbindlichkeiten gegenüber Steuerbehörden und Sozialversicherungsträgern. 9. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten K vorsehen).

G. Umlaufvermögen (einschließlich der Rechnungsabgrenzungsposten, sofern unter Posten E angegeben und einschließlich der Rechnungsabgrenzungsposten, sofern unter Posten K angegeben).

H. Gesamtbetrag des Vermögens nach Abzug der Verbindlichkeiten

I. Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr. 1. Anleihen, davon konvertibel. 2. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten. 1126

Allgemeine Bilanz-RL (mit CSR) 2013/34

3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

4.5

Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen, soweit sie nicht von den Vorräten gesondert abgezogen werden. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. Verbindlichkeiten aus Wechseln. Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen. Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. Sonstige Verbindlichkeiten, davon Verbindlichkeiten gegenüber Steuerbehörden und Sozialversicherungsträgern. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten K vorsehen).

J. Rückstellungen 1. 2. 3.

Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen. Steuerrückstellungen. Sonstige Rückstellungen.

K. Rechnungsabgrenzungsposten (Sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten F. 9 oder I. 9 oder beiden vorsehen.)

L. Eigenkapital I. Gezeichnetes Kapital (Sofern nicht einzelstaatliche Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals unter diesem Posten vorsehen; in diesem Fall müssen das gezeichnete und das eingezahlte Kapital gesondert ausgewiesen werden.) II. Agio III. Neubewertungsrücklage IV. Rücklagen 1. Gesetzliche Rücklage, soweit einzelstaatliche Rechtsvorschriften die Bildung einer derartigen Rücklage vorschreiben. 1127

4.5

Allgemeine Bilanz-RL (mit CSR) 2013/34

2.

Rücklage für eigene Aktien oder Anteile, soweit einzelstaatliche Rechtsvorschriften die Bildung einer derartigen Rücklage vorschreiben, unbeschadet des Artikels 24 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2012/30/EU. 3. Satzungsmäßige Rücklagen. 4. Sonstige Rücklagen, einschließlich der Zeitwert-Rücklage.

V. Ergebnisvortrag

VI. Ergebnis des Geschäftsjahres

Anhang V – Gliederung der Gewinn- und Verlustrechnung − nach Eigenart der Aufwendung, nach Artikel 13 1. 2. 3. 4. 5. 6.

7.

8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

Nettoumsatzerlöse. Veränderung des Bestandes an fertigen und unfertigen Erzeugnissen. Andere aktivierte Eigenleistungen. Sonstige betriebliche Erträge. a) Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. b) Sonstige externe Aufwendungen. Personalaufwand: a) Löhne und Gehälter. b) Soziale Aufwendungen, davon für Altersversorgung. a) Wertberichtigungen zu Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens und zu Sachanlagen und immateriellen Anlagewerten. b) Wertberichtigungen von Gegenständen des Umlaufvermögens, soweit diese die in den Unternehmen üblichen Wertberichtigungen überschreiten. Sonstige betriebliche Aufwendungen. Erträge aus Beteiligungen, davon aus verbundenen Unternehmen. Erträge aus sonstigen Wertpapieren und Forderungen des Anlagevermögens, davon aus verbundenen Unternehmen. Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge, davon aus verbundenen Unternehmen. Wertberichtigungen zu Finanzanlagen und zu Wertpapieren des Umlaufvermögens. Zinsen und ähnliche Aufwendungen, davon an verbundene Unternehmen. Steuern auf das Ergebnis.

1128

Allgemeine Bilanz-RL (mit CSR) 2013/34

4.5

15. Ergebnis nach Steuern. 16. Sonstige Steuern, soweit nicht unter den Posten 1–15 enthalten. 17. Ergebnis des Geschäftsjahres.

Anhang VI – Gliederung der Gewinn- und Verlustrechnung − nach Funktion der Aufwendung, nach Artikel 13 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

Nettoumsatzerlöse. Herstellungskosten der zur Erzielung der Umsatzerlöse erbrachten Leistungen (einschließlich der Wertberichtigungen). Bruttoergebnis vom Umsatz. Vertriebskosten (einschließlich der Wertberichtigungen). Allgemeine Verwaltungskosten (einschließlich der Wertberichtigungen). Sonstige betriebliche Erträge. Erträge aus Beteiligungen, davon aus verbundenen Unternehmen. Erträge aus sonstigen Wertpapieren und Forderungen des Anlagevermögens, davon aus verbundenen Unternehmen. Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge, davon aus verbundenen Unternehmen. Wertberichtigungen von Finanzanlagen und Wertpapieren des Umlaufvermögens. Zinsen und ähnliche Aufwendungen, davon an verbundene Unternehmen. Steuern auf das Ergebnis. Ergebnis nach Steuern. Sonstige Steuern, soweit nicht unter den Posten 1–13 enthalten. Ergebnis des Geschäftsjahres.

Anhang VII Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt.

1129

4.6 Abschlussprüfer-RL 2006/43

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 nach dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Nach der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen,3 der Siebenten Richtlinie 83/349/ EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über den konsolidierten Abschluss,4 der Richtlinie 86/ 635/EWG des Rates vom 8. Dezember 1986 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten5 und der Richtlinie 91/674/EWG des Rates vom 19. Dezember 1991 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen6 müssen der Jahresabschluss und der konsolidierte Abschluss von Personen geprüft werden, die zur Durchführung derartiger Prüfungen berechtigt sind. (2) In der Achten Richtlinie 84/253/EWG des Rates vom 10. April 1984 über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen7 wurden die Bedingungen für die Zulassung dieser Personen festgelegt. (3) Die fehlende Harmonisierung im Bereich der Abschlussprüfung war der Grund dafür, dass die Kommission 1998 in ihrer Mitteilung „Abschlussprüfung in der Europäischen Union: künftiges Vorgehen“ 8 die Einsetzung eines Ausschusses für Fragen der Abschlussprüfung vorschlug, der durch enge Zusammenarbeit mit dem Berufsstand der Abschlussprüfer und den Mitgliedstaaten weitere Maßnahmen ausarbeiten sollte. (4) Auf der Grundlage der Arbeiten jenes Ausschusses veröffentlichte die Kommission am 15. November 2000 die Empfehlung „Mindestanforderungen an Qualitätssicherungssysteme für die Abschlussprüfung in der EU“ 9 und am 16. Mai 2002 die Empfehlung „Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU: Grundprinzipien“.10

* Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/ 253/EWG des Rates, ABl. 2006 L 157/87. 1 ABl. C 157 vom 28. 6. 2005, S. 115. 2 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 28. 9. 2005 (ABl. C 227 E vom 21. 9. 2006, S. 432) und Beschluss des Rates vom 25. 4. 2006. 3 Ersetzt durch die allgemeine Bilanz-RL (mit CSR), in dieser Sammlung Nr. 4.5. 4 Ersetzt durch die allgemeine Bilanz-RL (mit CSR), in dieser Sammlung Nr. 4.5. 5 ABl. L 372 vom 31. 12. 1986, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG. 6 ABl. L 374 vom 31. 12. 1991, S. 7. Geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG. 7 ABl. L 126 vom 12. 5. 1984, S. 20. 8 ABl. C 143 vom 8. 5. 1998, S. 12. 9 ABl. L 91 vom 31. 3. 2001, S. 91. 10 ABl. L 191 vom 19. 7. 2002, S. 22. https://doi.org/10.1515/9783110667776-049

Abschlussprüfer-RL 2006/43

4.6

(5) Zweck der vorliegenden Richtlinie ist eine Harmonisierung der Anforderungen an die Abschlussprüfung auf hohem Niveau, wenn auch eine vollständige Harmonisierung nicht angestrebt wird. Der Mitgliedstaat, der eine Abschlussprüfung vorschreibt, kann strengere Anforderungen aufstellen, sofern in dieser Richtlinie nichts anderes vorgesehen ist. (6) Alle Befähigungsnachweise, die auf der Grundlage dieser Richtlinie von Abschlussprüfern erworben werden und zur Durchführung von Abschlussprüfungen berechtigen, sollten als gleichwertig betrachtet werden. Die Mitgliedstaaten sollten folglich nicht länger verlangen können, dass die Mehrheit der Stimmrechte an einer Prüfungsgesellschaft von Abschlussprüfern mit Zulassung in diesem Mitgliedstaat gehalten werden oder die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans einer Prüfungsgesellschaft in diesem Mitgliedstaat zugelassen sein muss. (7) Die Abschlussprüfung erfordert angemessene Kenntnisse in Bereichen wie dem Gesellschaftsrecht, dem Steuerrecht und dem Sozialrecht. Diese Kenntnisse sollten vor Zulassung eines Abschlussprüfers aus einem anderen Mitgliedstaat geprüft werden. (8) Alle zugelassenen Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sollten zum Schutz Dritter in ein Register eingetragen werden, das öffentlich zugänglich ist und grundlegende Informationen über Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften enthält. (9) Abschlussprüfer sollten höchsten ethischen Normen verpflichtet sein. Aus diesem Grund sollten sie Berufsgrundsätzen unterliegen, die sich zumindest auf die Funktion der Abschlussprüfer für das öffentliche Interesse, ihre Integrität und Unparteilichkeit sowie ihre fachliche Eignung und die gebotene Sorgfalt beziehen sollten. Die Funktion eines Abschlussprüfers für das öffentliche Interesse erwächst aus der Tatsache, dass ein breiter Kreis von Personen und Einrichtungen sich auf die Qualität seiner Arbeit verlässt. Eine gute Prüfungsqualität trägt zum ordnungsgemäßen Funktionieren der Märkte bei, indem die Integrität und Effizienz der Abschlüsse erhöht wird. Die Kommission kann Durchführungsmaßnahmen zu Berufsgrundsätzen als Mindeststandard beschließen. Dabei könnten die Grundsätze des Ethik-Kodexes der International Federation of Accountants (IFAC) berücksichtigt werden. (10) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften müssen über die Angelegenheiten ihrer Mandanten Stillschweigen bewahren. Sie sollten deshalb an strenge Regeln über die Verschwiegenheit und das Berufsgeheimnis gebunden sein, ohne dass dies der ordnungsgemäßen Durchsetzung dieser Richtlinie im Wege steht. Diese Regeln über die Verschwiegenheit gelten auch für Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften, die an einem bestimmten Prüfungsauftrag nicht mehr beteiligt sind. (11) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sollten bei der Durchführung von Abschlussprüfungen unabhängig sein. Sie können das geprüfte Unternehmen über bei der Abschlussprüfung gewonnene Erkenntnisse informieren, sollten jedoch an den internen Entscheidungsprozessen des geprüften Unternehmens nicht mitwirken. Sollten sie in eine Situation kommen, in der die Gefahr für ihre Unabhängigkeit trotz der Schutzmaßnahmen, die zur Eindämmung dieser Gefahr ergriffen wurden, zu groß ist, sollten sie zurücktreten oder das Mandat ablehnen. Die Beurteilung, ob eine Beziehung besteht, die die Unabhängigkeit des Prüfers in Frage stellt, kann anders ausfallen für die Beziehung zwischen dem Prüfer und dem geprüften Unternehmen als für diejenige hinsichtlich dem Netzwerk und dem geprüften Unternehmen. Wenn eine Genossenschaft gemäß Artikel 2 Nummer 14 oder eine ähnliche Einrichtung im Sinne von Artikel 45 der Richtlinie 86/635/ EWG nach nationalen Regelungen ein Mitglied einer Prüfungsorganisation ohne Gewinnerzielungsabsicht sein muss oder kann, kann ein objektiver, sachverständiger und informierter Dritter nicht zu dem Schluss gelangen, dass die Unabhängigkeit des Abschluss-

1131

4.6

Abschlussprüfer-RL 2006/43

prüfers oder der Prüfungsgesellschaft durch die Mitgliedschaft bei der Durchführung einer Abschlussprüfung bei einem der Mitglieder gefährdet sein kann, vorausgesetzt, dass die Grundsätze der Unabhängigkeit auf die Abschlussprüfer, die die Abschlussprüfung durchführen, sowie auf die Personen, die gegebenenfalls in der Lage sind, Einfluss auf die Abschlussprüfung zu nehmen, angewandt werden. Beispiele für die Gefahr für die Unabhängigkeit eines Abschlussprüfers oder einer Prüfungsgesellschaft sind eine mittelbare oder unmittelbare finanzielle Beteiligung an dem geprüften Unternehmen und die Erbringung von zusätzlichen prüfungsfremden Leistungen. Ferner kann auch die Höhe des von einem geprüften Unternehmen gezahlten Prüfungshonorars und/oder die Zusammensetzung der Honorare die Unabhängigkeit eines Abschlussprüfers oder einer Prüfungsgesellschaft gefährden. Schutzmaßnahmen zur Eindämmung oder Beseitigung derartiger Risiken umfassen Verbote, Einschränkungen, sonstige Maßnahmen und Verfahren sowie Offenlegungspflichten. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sollten die Erbringung zusätzlicher prüfungsfremder Leistungen, die ihre Unabhängigkeit in Frage stellen, ablehnen. Die Kommission kann als Mindeststandard Durchführungsmaßnahmen zur Unabhängigkeit beschließen. Hierbei könnte die Kommission die Grundsätze berücksichtigen, die sich in der genannten Empfehlung vom 16. Mai 2002 finden. Um die Unabhängigkeit von Abschlussprüfern zu bestimmen, muss der Begriff „Netzwerk“, innerhalb dessen die Abschlussprüfer tätig sind, klargestellt werden. Hierbei sind verschiedene Umstände in Betracht zu ziehen; beispielsweise kann eine Struktur als Netzwerk bezeichnet werden, wenn sie auf Gewinn- oder Kostenteilung ausgerichtet ist. Die Kriterien, die belegen, dass es sich um ein Netzwerk handelt, beispielsweise ob es gewöhnlich gemeinsame Prüfungsmandanten gibt, sollten auf der Grundlage aller zur Verfügung stehenden tatsächlichen Umstände beurteilt und bewertet werden. (12) In Fällen der Selbstprüfung oder des Eigeninteresses sollte die Entscheidung, ob ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft zurücktreten oder einen Prüfungsauftrag in Bezug auf ihre bzw. seine Prüfungsmandanten ablehnen sollte, wenn dies zum Schutz der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft zweckmäßig ist, von dem Mitgliedstaat, und nicht von dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft, getroffen werden. Allerdings sollte dies nicht zu der Situation führen, dass die Mitgliedstaaten eine allgemeine Pflicht trifft, Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften daran zu hindern, für ihre Mandanten prüfungsfremde Leistungen zu erbringen. Für die Entscheidung, ob es in Fällen von Eigeninteresse oder der Selbstprüfung zweckmäßig ist, dass ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft keine Abschlussprüfungen durchführen sollte, um die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft zu schützen, sollte die Frage mitberücksichtigt werden, ob das geprüfte Unternehmen von öffentlichem Interesse Wertpapiere ausgegeben hat, die zum Handel auf einem geregelten Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/ 39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente11 zugelassen sind. (13) Für alle nach Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenen Abschlussprüfungen sollte eine gleich bleibend hohe Qualität gewährleistet werden. Alle Abschlussprüfungen sollten deshalb nach internationalen Prüfungsstandards durchgeführt werden. Die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Grundsätze in der Gemeinschaft sollten gemäß dem Beschluss 1999/

11 Ersetzt durch die Finanzmarkt-RL II, in dieser Sammlung Nr. 2.20.

1132

Abschlussprüfer-RL 2006/43

4.6

468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse12 erlassen werden. Ein Fachausschuss oder eine technische Fachgruppe für Abschlussprüfungen sollte die Kommission bei der Bewertung der fachlichen Fundierung aller internationalen Prüfungsstandards unterstützen, wobei auch das System öffentlicher Aufsichtsgremien der Mitgliedstaaten eingebunden werden sollte. Um ein Höchstmaß an Harmonisierung zu verwirklichen, sollten die Mitgliedstaaten zusätzliche nationale Prüfverfahren vorschreiben oder Anforderungen nur aufstellen dürfen, wenn diese sich aus speziellen, durch den Umfang der Abschlussprüfung von Jahresabschlüssen oder konsolidierten Abschlüssen bedingten nationalen rechtlichen Anforderungen ergeben, d. h., wenn diese Anforderungen durch die bisher angenommenen internationalen Prüfungsstandards nicht abgedeckt werden. Die Mitgliedstaaten sollten diese zusätzlichen Prüfverfahren beibehalten können, bis die Prüfverfahren oder Anforderungen durch nachfolgend angenommene internationale Prüfungsstandards erfasst werden. Schließen die angenommenen internationalen Prüfungsstandards jedoch Prüfverfahren ein, deren Ausführung mit dem nationalen Recht auf Grund spezieller, durch den Umfang der Abschlussprüfung bedingter nationaler Anforderungen in Widerspruch stehen würde, so brauchen die Mitgliedstaaten den in Widerspruch stehenden Teil des internationalen Prüfungsstandards nicht anzuwenden, solange diese Widersprüche bestehen, vorausgesetzt die in Artikel 26 Absatz 3 genannten Maßnahmen werden angewandt. Jeder Zusatz oder jede Nichtanwendung durch einen Mitgliedstaat sollte einen Beitrag zu einem hohen Niveau der Glaubwürdigkeit der Jahresabschlüsse von Unternehmen leisten und dem Gemeinwohl dienen. Dies bedeutet, dass die Mitgliedstaaten beispielsweise einen zusätzlichen Prüfbericht für den Aufsichtsrat oder andere Berichts- und Prüfungsanforderungen vorschreiben können, die auf nationalen Regeln für die Unternehmensleitung beruhen. (14) Die Einführung eines internationalen Prüfungsstandards in der Gemeinschaft durch die Kommission setzt voraus, dass er international allgemein anerkannt ist und unter vollständiger Einbeziehung aller interessierten Kreise in einem offenen und transparenten Verfahren erstellt wurde, dass er die Glaubwürdigkeit des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses erhöht und dass er dem europäischen Gemeinwohl dient. Die Notwendigkeit der Annahme einer Stellungnahme (International Auditing Practice Statement) als Teil eines Standards sollte von Fall zu Fall gemäß dem Beschluss 1999/468/EG geprüft werden. Die Kommission sollte sicherstellen, dass vor Beginn des Verfahrens zur Annahme eine Prüfung durchgeführt wird, um festzustellen, ob diesen Anforderungen genügt wurde, und erstattet den Mitgliedern des mit dieser Richtlinie eingesetzten Ausschusses über das Ergebnis dieser Prüfung Bericht. (15) Bei einem konsolidierten Abschluss ist es wichtig, die Verantwortlichkeiten der Abschlussprüfer der einzelnen Konzernteile klar voneinander abzugrenzen. Dazu sollte der Konzernabschlussprüfer die volle Verantwortung für den Bestätigungsvermerk tragen. (16) Um die Vergleichbarkeit von Unternehmen, die die gleichen Rechnungslegungsstandards anwenden, zu erhöhen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Abschlussprüfung zu stärken, kann die Kommission für die Prüfung eines nach angenommenen internationalen Rechnungslegungsstandards erstellten Jahresabschlusses oder konsolidierten Abschlusses einen einheitlichen Bestätigungsvermerk festlegen, außer wenn ein angemessener Standard für einen solchen Vermerk auf Gemeinschaftsebene festgelegt wurde.

12 ABl. L 184 vom 17. 7. 1999, S. 23.

1133

4.6

Abschlussprüfer-RL 2006/43

(17) Ein gutes Mittel zur Erreichung einer gleich bleibend hohen Prüfungsqualität sind regelmäßige Kontrollen. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sollten deshalb einem von den überprüften Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften unabhängigen Qualitätssicherungssystem unterliegen. Für die Anwendung des Artikels 29 über die Qualitätssicherungssysteme können die Mitgliedstaaten fordern, dass lediglich die Anforderungen an Prüfungsgesellschaften berücksichtigt werden müssen, wenn einzelne Prüfer eine gemeinsame Qualitätssicherungsmethode verfolgen. Die Mitgliedstaaten können das Qualitätssicherungssystem dergestalt organisieren, dass jeder einzelne Prüfer alle sechs Jahre einer Qualitätssicherungskontrolle unterzogen wird. In dieser Hinsicht sollte die Finanzierung des Qualitätssicherungssystems frei von ungebührlicher Einflussnahme sein. Die Kommission sollte ermächtigt werden, in Fällen, in denen das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Qualitätssicherungssystem schwer erschüttert ist, Durchführungsmaßnahmen in Bereichen, die für die Organisation von Qualitätssicherungssystemen und hinsichtlich ihrer Finanzierung bedeutsam sind, zu erlassen. Die öffentlichen Aufsichtssysteme der Mitgliedstaaten sollten ermutigt werden, einen koordinierten Ansatz für die Überprüfung von Qualitätssicherungssystemen zu finden, um den beteiligten Parteien unnötige Belastungen zu ersparen. (18) Untersuchungen und angemessene Sanktionen tragen dazu bei, die unzulängliche Durchführung einer Abschlussprüfung zu verhindern und zu berichtigen. (19) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sind dafür verantwortlich, dass sie ihre Arbeit mit Sorgfalt durchführen, und sollten daher für die finanziellen Schäden, die darauf zurückzuführen sind, dass sie nicht die erforderliche Sorgfalt aufgewendet haben, zur Verantwortung gezogen werden. Die Fähigkeit der Abschlussprüfer und der Prüfungsgesellschaften, eine Berufshaftpflichtversicherung zu erwerben, kann davon abhängig sein, ob sie einer unbeschränkten finanziellen Haftung unterliegen. Diese Fragen beabsichtigt die Kommission unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Haftungssysteme der Mitgliedstaaten erheblich unterscheiden können, zu prüfen. (20)–(21) Zum Aufsichtsrecht — nicht abgedruckt. (22) Der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft sollte von der Gesellschafter- oder Mitgliederversammlung des geprüften Unternehmens bestellt werden. Um die Unabhängigkeit des Prüfers zu schützen, darf eine Abberufung nur möglich sein, wenn triftige Gründe vorliegen und diese der oder den für die öffentliche Aufsicht zuständigen Stelle(n) mitgeteilt werden. (23) Da Unternehmen von öffentlichem Interesse stärker im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen und wirtschaftlich von großer Bedeutung sind, sollten für die Abschlussprüfung ihres Jahresabschlusses oder konsolidierten Abschlusses strengere Anforderungen gelten. (24) Prüfungsausschüsse und ein wirksames internes Kontrollsystem tragen dazu bei, finanzielle und betriebliche Risiken sowie das Risiko von Vorschriftenverstößen auf ein Mindestmaß zu begrenzen und die Qualität der Rechnungslegung zu verbessern. Die Mitgliedstaten können sich auf die Empfehlung der Kommission vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren oder Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- oder Aufsichtsrats13 berufen, die regelt, wie Prüfungsausschüsse gebildet werden und arbeiten sollten. Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass die dem Prüfungsausschuss zugewiesenen Funkti-

13 ABl. L 52 vom 25. 2. 2005, S. 51.

1134

Abschlussprüfer-RL 2006/43

4.6

onen durch den Verwaltungs- oder Aufsichtsrat als Ganzes ausgeübt werden können. Bezüglich der Pflichten des Prüfungsausschusses nach Artikel 41 sollten der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaften in keiner Weise dem Ausschuss untergeordnet sein. (25) Die Mitgliedstaaten können ferner beschließen, auch Unternehmen von öffentlichem Interesse, die Organismen für gemeinsame Anlagen sind, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, von der Anforderung eines Prüfungsausschusses zu befreien. Diese Möglichkeit berücksichtigt, dass in den Fällen, in denen die Funktionen von Organismen für gemeinsame Anlagen ausschließlich darin bestehen, die Vermögenswerte zusammenzulegen, die Einsetzung eines Prüfungsausschusses nicht immer angebracht ist. Die Abschlüsse und verbundenen Risiken sind nicht mit denen anderer Unternehmen von öffentlichem Interesse vergleichbar. Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) und ihre Verwaltungsunternehmen operieren außerdem in einem fest definierten Regulierungsumfeld und unterliegen besonderen Führungsmechanismen, wie den durch ihre Verwahrstelle durchgeführten Kontrollen. Für die Organismen für gemeinsame Anlagen, die nicht gemäß der Richtlinie 85/611/EWG14 harmonisiert sind, jedoch entsprechenden Schutzmaßnahmen gemäß jener Richtlinie unterliegen, sollte es den Mitgliedstaaten in diesem besonderen Fall gestattet sein, diese gleich zu behandeln wie gemeinschaftsweit harmonisierte Organismen für gemeinsame Anlagen. (26) Zur Stärkung der Unabhängigkeit von Prüfern von Unternehmen von öffentlichem Interesse sollten der oder die für die Prüfung dieser Unternehmen verantwortlichen Prüfungspartner rotieren. Um eine solche Rotation zu organisieren, sollten die Mitgliedstaaten einen Wechsel des oder der für das geprüfte Unternehmen verantwortlichen Prüfungspartner verlangen, während es der Prüfungsgesellschaft, der der oder die verantwortlichen Prüfungspartner angehören, weiterhin gestattet wird, als Abschlussprüfer eines solchen Unternehmens tätig zu sein. Falls es aus Sicht eines Mitgliedstaates zur Erreichung der festgelegten Ziele angebracht ist, kann dieser Mitgliedstaat alternativ unabhängig von Artikel 42 Absatz 2 einen Wechsel der Prüfungsgesellschaft fordern. (27)–(34) Zum Verhältnis zu Drittstaaten und zu den Schlussvorschriften – nicht abgedruckt. — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Kapitel I − Gegenstand und Begriffsbestimmungen Art. 1 Gegenstand Diese Richtlinie regelt die Abschlussprüfung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses. Artikel 29 dieser Richtlinie findet auf Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen von Unternehmen von öffentlichem

14 Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. 12. 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. L 375 vom 31. 12. 1985, S. 3). Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2005/1/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 79 vom 24. 3. 2005, S. 9).

1135

4.6

Abschlussprüfer-RL 2006/43

Interesse keine Anwendung, sofern in der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates15 nichts anderes festgelegt ist. Art. 2 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: 1. „Abschlussprüfung“ ist eine Prüfung des Jahresabschlusses oder des konsolidierten Abschlusses, die a) nach Unionsrecht vorgeschrieben ist; b) nach nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf kleine Unternehmen vorgeschrieben ist; c) auf freiwilliger Basis von kleinen Unternehmen durchgeführt wird und nationale rechtliche Anforderungen erfüllt, die den für eine Prüfung gemäß Buchstabe b geltenden Anforderungen gleichwertig sind, wenn diese Prüfungen in den nationalen Rechtsvorschriften als gesetzliche Abschlussprüfungen definiert sind. 2. „Abschlussprüfer“ ist eine natürliche Person, die von den zuständigen Stellen eines Mitgliedstaates nach dieser Richtlinie für die Durchführung von Abschlussprüfungen zugelassen wurde. 3. „Prüfungsgesellschaft“ ist eine juristische Person oder eine sonstige Einrichtung gleich welcher Rechtsform, die von den zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie für die Durchführung von Abschlussprüfungen zugelassen wurde. 4. „Prüfungsunternehmen aus einem Drittland“ ist ein Unternehmen gleich welcher Rechtsform, das Prüfungen des Jahresabschlusses oder des konsolidierten Abschlusses von in einem Drittland eingetragenen Gesellschaften durchführt, und das nicht in einem Mitgliedstaat als Prüfungsgesellschaft infolge einer Zulassung gemäß Artikel 3 registriert ist. 5. „Prüfer aus einem Drittland“ ist eine natürliche Person, die Prüfungen des Jahresabschlusses oder des konsolidierten Abschlusses von in einem Drittland eingetragenen Gesellschaften durchführt, und die nicht in einem Mitgliedstaat als Abschlussprüfer infolge einer Zulassung gemäß den Artikeln 3 und 44 registriert ist. 6. „Konzernabschlussprüfer“ ist/sind der/die Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft(en), der bzw. die die Abschlussprüfung konsolidierter Abschlüsse durchführt/durchführen. 7. „Netzwerk“ ist die breitere Struktur,

15 Verordnung (EU) Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (ABl. L 158 vom 27. 5. 2014, S. 77).

1136

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8.

9.

10.

11. 12.

13.

4.6

— die auf Kooperation ausgerichtet ist und der ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft angehört und — die eindeutig auf Gewinn- oder Kostenteilung abzielt oder durch gemeinsames Eigentum, gemeinsame Kontrolle oder gemeinsame Geschäftsführung, gemeinsame Qualitätssicherungsmaßnahmen und -verfahren, eine gemeinsame Geschäftsstrategie, die Verwendung einer gemeinsamen Marke oder durch einen wesentlichen Teil gemeinsamer fachlicher Ressourcen miteinander verbunden ist. „Verbundenes Unternehmen einer Prüfungsgesellschaft“ ist ein Unternehmen gleich welcher Rechtsform, das mit einer Prüfungsgesellschaft durch gemeinsames Eigentum, gemeinsame Kontrolle oder gemeinsame Geschäftsführung verbunden ist. „Bestätigungsvermerk“ ist der in Artikel 51a der Richtlinie 78/660/EWG und Artikel 37 der Richtlinie 83/349/EWG genannte Vermerk des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft. „Zuständige Behörde“ ist eine durch Gesetz bestimmte Behörde, die für die Regulierung und/oder Aufsicht von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften oder spezifischen Aspekten davon verantwortlich ist. Wird in einem Artikel auf die „zuständige Behörde“ Bezug genommen, gilt dies als Bezugnahme auf die Behörde, die für die in dem betreffenden Artikel erwähnten Aufgaben zuständig ist. aufgehoben. „Internationale Rechnungslegungsstandards“ sind die International Accounting Standards (IAS), die International Financial Reporting Standards (IFRS) und die dazugehörigen Interpretationen (SIC/IFRIC), die nachfolgenden Änderungen dieser Standards und der dazugehörigen Interpretationen sowie die vom International Accounting Standards Board (IASB) in Zukunft veröffentlichten oder verabschiedeten Standards und dazugehörigen Interpretationen. „Unternehmen von öffentlichem Interesse“ sind a) Unternehmen, die unter das Recht eines Mitgliedstaats fallen und deren übertragbare Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG zugelassen sind; b) Kreditinstitute im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Nummer 1 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates16 — mit Ausnahme der in Artikel 2 jener Richtlinie genannten Kreditinstitute;

16 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten

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4.6

14.

15.

16.

17.

Abschlussprüfer-RL 2006/43

c) Versicherungsunternehmen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 91/674/EWG oder d) Unternehmen, die von den Mitgliedstaaten als Unternehmen von öffentlichem Interesse bestimmt werden, beispielsweise Unternehmen, die aufgrund der Art ihrer Tätigkeit, ihrer Größe oder der Zahl ihrer Mitarbeiter von erheblicher öffentlicher Bedeutung sind. „Genossenschaft“ ist die Europäische Genossenschaft im Sinne von Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE)17 oder jede andere Genossenschaft, für die nach Gemeinschaftsrecht eine Abschlussprüfung vorgeschrieben ist, wie etwa Kreditinstitute im Sinne von Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 2000/12/EG sowie Versicherungsunternehmen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 91/674/EWG. „Nichtberufsausübender“ ist eine natürliche Person, die während ihrer Beauftragung mit der öffentlichen Aufsicht und während der drei Jahre unmittelbar vor dieser Beauftragung keine Abschlussprüfungen durchgeführt hat, keine Stimmrechte in einer Prüfungsgesellschaft gehalten hat, weder Mitglied eines Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans einer Prüfungsgesellschaft noch bei einer Prüfungsgesellschaft angestellt war noch in sonstiger Weise mit einer Prüfungsgesellschaft verbunden war. „Verantwortlicher Prüfungspartner“ ist/sind a) der/die Abschlussprüfer, der/die von einer Prüfungsgesellschaft für ein bestimmtes Prüfungsmandat als für die Durchführung der Abschlussprüfung im Auftrag der Prüfungsgesellschaft vorrangig verantwortlich bestimmt ist/sind; oder b) im Fall einer Konzernabschlussprüfung mindestens der/die Abschlussprüfer, der/die von einer Prüfungsgesellschaft als für die Durchführung der Abschlussprüfung auf Konzernebene vorrangig verantwortlich bestimmt ist/sind, und der/die Abschlussprüfer, der/die als auf der Ebene bedeutender Tochtergesellschaften vorrangig verantwortlich bestimmt ist/sind, oder c) der/die Abschlussprüfer, der/die den Bestätigungsvermerk unterzeichnet/unterzeichnen. „Mittlere Unternehmen“ sind Unternehmen gemäß Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates.18

und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 338). 17 ABl. L 207 vom 18. 8. 2003, S. 1. 18 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unter-

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18. „Kleine Unternehmen“ sind Unternehmen gemäß Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 2013/34/EU. 19. „Herkunftsmitgliedstaat“ ist ein Mitgliedstaat, in dem ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft gemäß Artikel 3 Absatz 1 zugelassen ist. 20. „Aufnahmemitgliedstaat“ ist ein Mitgliedstaat, in dem ein Abschlussprüfer mit Zulassung im Herkunftsmitgliedstaat ebenfalls eine Zulassung gemäß Artikel 14 beantragt, oder ein Mitgliedstaat, in dem eine Prüfungsgesellschaft mit Zulassung im Herkunftsmitgliedstaat gemäß Artikel 3a die Registrierung beantragt hat oder registriert ist.

Kapitel II − Zulassung, kontinuierliche Fortbildung und gegenseitige Anerkennung Art. 3 Zulassung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften (1) Eine Abschlussprüfung wird ausschließlich von Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften durchgeführt, die von dem Mitgliedstaat, der die Abschlussprüfung vorschreibt, zugelassen wurden. (2) Jeder Mitgliedstaat benennt die zuständige Behörde als für die Zulassung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften verantwortliche Behörde. (3) Unbeschadet des Artikels 11 lassen die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten nur natürliche Personen zu, die mindestens die in den Artikeln 4 und 6 bis 10 genannten Voraussetzungen erfüllen. (4) Die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten lassen als Prüfungsgesellschaften nur Einrichtungen zu, die die folgenden Voraussetzungen erfüllen: a) Die natürlichen Personen, die für eine Prüfungsgesellschaft Abschlussprüfungen durchführen, müssen zumindest die Voraussetzungen der Artikel 4 und 6 bis 12 erfüllen und in dem betroffenen Mitgliedstaat als Abschlussprüfer zugelassen sein. b) Eine Mehrheit der Stimmrechte in einer Einrichtung muss von Prüfungsgesellschaften, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind, oder von natürlichen Personen, die zumindest die Voraussetzungen der Artikel 4 und 6 bis 12 erfüllen, gehalten werden. Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass solche natürliche Personen auch in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sein müssen. Für die Zwecke der Abschlussprüfung von Genossenschaften,

nehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/ EWG des Rates (ABl. L 182 vom 29. 6. 2013, S. 19).

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Sparkassen und ähnlichen Einrichtungen gemäß Artikel 45 der Richtlinie 86/635/EWG oder von Tochterunternehmen oder Rechtsnachfolgern einer Genossenschaft, einer Sparkasse oder einer ähnlichen Einrichtung gemäß Artikel 45 der Richtlinie 86/635/EWG können die Mitgliedstaaten andere spezifische Bestimmungen im Zusammenhang mit Stimmrechten erlassen. c) Das Verwaltungs- oder Leitungsorgan der Einrichtung muss sich mit einer Mehrheit von bis zu 75 % aus Prüfungsgesellschaften mit Zulassung in einem Mitgliedstaat oder natürlichen Personen zusammensetzen, die zumindest die Voraussetzungen der Artikel 4 und 6 bis 12 erfüllen. Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass solche natürlichen Personen auch in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sein müssen. Zählt ein solches Organ nur zwei Mitglieder, so muss eines von ihnen zumindest die Voraussetzungen dieses Buchstabens erfüllen. d) Die Gesellschaft erfüllt die Voraussetzungen des Artikels 4. Die Mitgliedstaaten dürfen nur im Zusammenhang mit Buchstabe c zusätzliche Bedingungen aufstellen. Diese Bedingungen müssen zu den verfolgten Zielen verhältnismäßig sein und dürfen nicht über das hinausgehen, was unbedingt erforderlich ist. Art. 3a Anerkennung von Prüfungsgesellschaften (1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 ist eine Prüfungsgesellschaft mit Zulassung in einem Mitgliedstaat berechtigt, Abschlussprüfungen in einem anderen Mitgliedstaat durchzuführen, wenn der verantwortliche Prüfungspartner, der die Abschlussprüfung im Namen der Prüfungsgesellschaft durchführt, die Voraussetzungen des Artikels 3 Absatz 4 Buchstabe a im Aufnahmemitgliedstaat erfüllt. (2) Eine Prüfungsgesellschaft, die Abschlussprüfungen in einem anderen als ihrem Herkunftsmitgliedstaat durchführen möchte, muss sich gemäß den Artikeln 15 und 17 bei der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats registrieren lassen. (3) Die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats registriert die Prüfungsgesellschaft, wenn sie sich vergewissert hat, dass die Prüfungsgesellschaft bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats registriert ist. Beabsichtigt der Aufnahmemitgliedstaat, sich auf eine Bescheinigung über die Registrierung der Prüfungsgesellschaft im Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, kann die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats verlangen, dass die von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats ausgestellte Bescheinigung nicht älter als drei Monate ist. Die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats informiert die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats über die Registrierung der Prüfungsgesellschaft. 1140

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Art. 4 Guter Leumund Die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats dürfen die Zulassung nur natürlichen oder juristischen Personen mit gutem Leumund erteilen. Art. 5 Entzug der Zulassung (1) Die Zulassung wird entzogen, wenn der Ruf eines Abschlussprüfers oder einer Prüfungsgesellschaft ernsthaft beschädigt ist. Allerdings können die Mitgliedstaaten einen angemessenen Zeitraum einräumen, innerhalb dessen die Gesellschaft die Anforderungen an einen guten Leumund erfüllen kann. (2) Einer Prüfungsgesellschaft wird die Zulassung entzogen, sobald eine der in Artikel 3 Absatz 4 Buchstaben b und c genannten Anforderungen nicht mehr erfüllt ist. Allerdings können die Mitgliedstaaten einen angemessenen Zeitraum einräumen, innerhalb dessen die Gesellschaft diese Anforderungen erfüllen kann. (3) Wird einem Abschlussprüfer oder einer Prüfungsgesellschaft aus irgendeinem Grund die Zulassung entzogen, teilt die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats, in dem die Zulassung entzogen wird, diesen Umstand und die Gründe für den Entzug den entsprechenden zuständigen Behörden der Aufnahmemitgliedstaaten mit, in denen der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft gemäß Artikel 3a, Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c und Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe i auch registriert ist. Art. 6 Ausbildung Unbeschadet des Artikels 11 kann eine natürliche Person nur zur Durchführung von Abschlussprüfungen zugelassen werden, wenn sie nach Erlangung der Hochschulreife oder einer entsprechenden Ausbildungsstufe eine theoretische und eine praktische Ausbildung absolviert und sich mit Erfolg einer staatlichen oder staatlich anerkannten beruflichen Eignungsprüfung auf dem Niveau eines Hochschulabschlusses oder eines entsprechenden Niveaus in dem betreffenden Mitgliedstaat unterzogen hat. Die in Artikel 32 genannten zuständigen Behörden arbeiten im Hinblick auf eine Angleichung der in diesem Artikel genannten Anforderungen zusammen. Bei der Aufnahme dieser Zusammenarbeit tragen diese zuständigen Behörden den Entwicklungen im Prüfungswesen und im Berufsstand der Prüfer und insbesondere der Angleichung Rechnung, die bereits in dem Berufsstand erreicht wurde. Sie arbeiten mit dem Ausschuss der Europäischen Aufsichtsstellen für Abschlussprüfer (im Folgenden „Ausschuss der Aufsichtsstellen“) und den in Artikel 20 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 genannten zuständigen Behörden zusammen, sofern es bei dieser Angleichung um die Abschlussprüfung von Unternehmen von öffentlichem Interesse geht. 1141

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Art. 7 Prüfung der beruflichen Eignung Die in Artikel 6 genannte Eignungsprüfung garantiert die erforderlichen theoretischen Kenntnisse auf den für die Abschlussprüfung maßgebenden Sachgebieten sowie die Fähigkeit, diese Kenntnisse praktisch anzuwenden. Diese Prüfung muss zumindest teilweise schriftlich erfolgen. Art. 8 Theoretische Prüfung (1) Die im Rahmen der Eignungsprüfung durchgeführte theoretische Prüfung umfasst insbesondere die folgenden Sachgebiete: a) Theorie und Grundsätze des allgemeinen Rechnungswesens, b) gesetzliche Vorschriften und Grundsätze für die Aufstellung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses, c) internationale Rechnungslegungsstandards, d) Finanzanalyse, e) Kostenrechnung und betriebliches Rechnungswesen, f) Risikomanagement und interne Kontrolle, g) Prüfungswesen und berufsspezifische Fertigkeiten, h) gesetzliche und standesrechtliche Vorschriften für Abschlussprüfung und Abschlussprüfer, i) internationale Prüfungsstandards gemäß Artikel 26, j) Berufsgrundsätze und Unabhängigkeit. (2) Diese Prüfung umfasst zumindest auch die folgenden Sachgebiete, soweit sie für die Abschlussprüfung relevant sind: a) Gesellschaftsrecht und Corporate Governance, b) Rechtsvorschriften über Insolvenz und ähnliche Verfahren, c) Steuerrecht, d) bürgerliches Recht und Handelsrecht, e) Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht, f) IT- und Computersysteme, g) Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft und Finanzwissenschaft, h) Mathematik und Statistik, i) Grundzüge des betrieblichen Finanzwesens. (3) aufgehoben. Art. 9 Ausnahmen (1) Abweichend von den Artikeln 7 und 8 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Personen, die auf einem oder mehreren der in Artikel 8 genannten Sachgebiete eine Hochschul- oder gleichwertige Prüfung bestanden oder einen Hochschul- oder gleichwertigen Abschluss erworben haben, von der theoretischen Prüfung in diesen Sachgebieten befreit werden. (2) Abweichend von Artikel 7 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Personen, die auf einem oder mehreren der in Artikel 8 genannten Sachgebiete einen 1142

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Hochschul- oder gleichwertigen Abschluss besitzen, von der Prüfung ihrer Fähigkeit, die theoretischen Kenntnisse auf diesen Sachgebieten praktisch anzuwenden, befreit werden, wenn sie auf den betreffenden Gebieten eine praktische Ausbildung absolviert haben, die mit einer staatlich anerkannten Prüfung oder einem staatlich anerkannten Zeugnis abgeschlossen wurde. Art. 10 Praktische Ausbildung (1) Um die Fähigkeit zur praktischen Anwendung der in der Eignungsprüfung getesteten theoretischen Kenntnisse zu gewährleisten, wird eine mindestens dreijährige praktische Ausbildung durchgeführt, die unter anderem die Prüfung von Jahresabschlüssen, konsolidierten Abschlüssen oder ähnlichen Abschlüssen zum Gegenstand hat. Diese praktische Ausbildung wird zu mindestens zwei Dritteln bei einem in einem Mitgliedstaat zugelassenen Abschlussprüfer oder einer in einem Mitgliedstaat zugelassenen Prüfungsgesellschaft absolviert. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die gesamte praktische Ausbildung bei Personen stattfindet, die ausreichende Garantien für ihre Fähigkeit, eine praktische Ausbildung zu gewähren, bieten. Art. 11 Zulassung aufgrund langjähriger praktischer Erfahrung Ein Mitgliedstaat kann Personen, die die in Artikel 6 festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllen, als Abschlussprüfer zulassen, wenn diese nachweisen können, dass sie a) entweder 15 Jahre lang einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen sind, die es ihnen ermöglicht hat, auf den Gebieten des Finanzwesens, des Rechts und der Rechnungslegung ausreichende Erfahrungen zu sammeln, und die in Artikel 7 genannte berufliche Eignungsprüfung bestanden haben, b) oder sieben Jahre lang einer beruflichen Tätigkeit auf den genannten Gebieten nachgegangen sind sowie die in Artikel 10 genannte praktische Ausbildung absolviert und die in Artikel 7 genannte berufliche Eignungsprüfung bestanden haben. Art. 12 Kombination von praktischer und theoretischer Ausbildung (1) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Zeiten, in denen eine theoretische Ausbildung auf den in Artikel 8 genannten Sachgebieten absolviert wurde, auf die in Artikel 11 genannten Berufsjahre angerechnet werden, wenn diese Ausbildung mit einer staatlich anerkannten Prüfung abgeschlossen wurde. Diese Ausbildung muss mindestens ein Jahr dauern und darf höchstens mit vier Jahren auf die berufliche Tätigkeit angerechnet werden. (2) Berufstätigkeit und praktische Ausbildung dürfen nicht kürzer sein als die theoretische Ausbildung zusammen mit der in Artikel 10 vorgeschriebenen praktischen Ausbildung. 1143

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Art. 13 Kontinuierliche Fortbildung Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer sich im Rahmen angemessener Programme kontinuierlich fortbilden müssen, um ihre theoretischen Kenntnisse und ihr berufliches Können und ihre beruflichen Wertmaßstäbe auf einem ausreichend hohen Stand zu halten, und dass ein Missachten dieser Anforderung angemessene Sanktionen gemäß Artikel 30 nach sich zieht. Art. 14 Zulassung von Abschlussprüfern aus anderen Mitgliedstaaten (1) Die zuständigen Behörden legen Verfahren für die Zulassung von Abschlussprüfern, die in anderen Mitgliedstaaten zugelassen sind, fest. Im Rahmen dieser Verfahren darf dem Abschlussprüfer höchstens ein Anpassungslehrgang im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates19 oder eine Eignungsprüfung im Sinne von Buchstabe h der genannten Bestimmung auferlegt werden. (2) Der Aufnahmemitgliedstaat beschließt, ob dem Antragsteller für die Zulassung ein Anpassungslehrgang gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 2005/36/EG oder eine Eignungsprüfung gemäß Buchstabe h der genannten Bestimmung auferlegt wird. Der Anpassungslehrgang darf nicht länger als drei Jahre dauern und der Antragsteller wird einer Bewertung unterworfen. Die Eignungsprüfung erfolgt in einer nach der in dem betreffenden Aufnahmemitgliedstaat geltenden Sprachenregelung zugelassenen Sprache. Sie erstreckt sich ausschließlich darauf, ob der Abschlussprüfer über angemessene Kenntnisse der Rechtsvorschriften des betreffenden Aufnahmemitgliedstaats verfügt, soweit diese Kenntnisse für Abschlussprüfungen relevant sind. (3) Die zuständigen Behörden arbeiten im Rahmen des Ausschusses der Aufsichtsstellen im Hinblick auf eine Angleichung der Anforderungen in Bezug auf den Anpassungslehrgang und die Eignungsprüfung zusammen. Sie sorgen für transparentere und vorhersehbarere Anforderungen. Sie arbeiten mit dem Ausschuss der Aufsichtsstellen und den in Artikel 20 der Verordnung (EU) Nr. 537/ 2014 genannten zuständigen Behörden zusammen, sofern diese Angleichung Abschlussprüfungen von Unternehmen von öffentlichem Interesse betrifft.

Kapitel III − Registrierung Art. 15–20 Pflicht von Abschlussprüfern zur Registrierung in öffentlichen Registern, mit Sprachenregelung — nicht abgedruckt. 19 Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255 vom 30. 9. 2005, S. 22).

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Kapitel IV − Berufsgrundsätze, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Verschwiegenheit und Berufsgeheimnis Art. 21 Berufsgrundsätze und kritische Grundhaltung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften an Berufsgrundsätze gebunden sind. Diese Berufsgrundsätze haben zumindest ihre Funktion für das öffentliche Interesse, ihre Integrität und Unparteilichkeit sowie ihre Fachkompetenz und Sorgfalt zum Gegenstand. (2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften bei der Durchführung einer Abschlussprüfung während der gesamten Prüfung ihre kritische Grundhaltung beibehalten und ungeachtet ihrer bisherigen Erfahrungen mit der Aufrichtigkeit und Integrität des Managements des geprüften Unternehmens und der mit der Unternehmensführung betrauten Personen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es aufgrund von Sachverhalten oder Verhaltensweisen, die auf Unregelmäßigkeiten wie Betrug oder Irrtümer hindeuten, zu einer wesentlichen falschen Darstellung gekommen sein könnte. Ihre kritische Grundhaltung behalten die Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften insbesondere bei der prüferischen Beurteilung der Schätzungen des Managements in Bezug auf Zeitwertangaben, die Wertminderung von Vermögenswerten, Rückstellungen und künftige Cashflows, die für die Beurteilung der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit von Bedeutung sind, bei. Für die Zwecke dieses Artikels bedeutet „kritische Grundhaltung“ die grundsätzliche Einstellung, Dinge kritisch zu hinterfragen, auf Gegebenheiten zu achten, die auf eine mögliche, durch Betrug oder Irrtümer bedingte wesentliche falsche Darstellung hindeuten können, und die Prüfungsnachweise kritisch zu beurteilen. Art. 22 Unabhängigkeit und Unparteilichkeit (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft sowie jede natürliche Person, die in der Lage ist, das Ergebnis der Abschlussprüfung direkt oder indirekt zu beeinflussen, bei der Durchführung einer Abschlussprüfung von dem geprüften Unternehmen unabhängig und nicht in dessen Entscheidungsprozesse eingebunden ist. Diese Unabhängigkeit ist zumindest sowohl für den Zeitraum erforderlich, auf den sich die zu prüfenden Abschlüsse beziehen, als auch für die Dauer der Abschlussprüfung. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft alle angemessenen Maßnahmen ergreift, um zu gewährleisten, dass seine bzw. ihre Unabhängigkeit bei der Durchführung einer Ab1145

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schlussprüfung nicht durch tatsächliche oder potenzielle Interessenkonflikte oder Geschäfts- oder sonstige direkte oder indirekte Beziehungen des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft, der bzw. die die Abschlussprüfung durchführt, sowie gegebenenfalls seines bzw. ihres Netzwerks, der Geschäftsleitung, der Prüfer, der Mitarbeiter, beliebiger anderer natürlicher Personen, deren Leistungen der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft in Anspruch nehmen oder die er bzw. sie kontrollieren kann, oder jeder anderen Person, die über ein Kontrollverhältnis direkt oder indirekt mit dem Abschlussprüfer bzw. der Prüfungsgesellschaft verbunden ist, beeinträchtigt wird. Der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft darf die Abschlussprüfung nicht ausführen, wenn eine Gefahr der Selbstüberprüfung, des Eigeninteresses, der Interessenvertretung, der Vertrautheit oder der Einschüchterung aufgrund einer Beziehung finanzieller, persönlicher oder geschäftlicher Art, eines Beschäftigungsverhältnisses oder anderer Beziehungen zwischen — dem Abschlussprüfer, der Prüfungsgesellschaft, deren Netzwerk sowie jeder natürlichen Person, die in der Lage ist, das Ergebnis der Abschlussprüfung zu beeinflussen, und — dem geprüften Unternehmen besteht, wodurch eine unabhängige, vernünftige und sachkundige dritte Partei unter Beachtung der angewandten Schutzmaßnahmen zu dem Schluss käme, dass die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft gefährdet ist. (2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Abschlussprüfer, Prüfungsgesellschaften, ihre verantwortlichen Prüfungspartner und Mitarbeiter sowie alle anderen natürlichen Personen, deren Leistungen der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft in Anspruch nehmen oder kontrollieren kann, und die unmittelbar an den Prüfungsarbeiten beteiligt sind, sowie Personen, die im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 2004/72/EG der Kommission20 in enger Beziehung zu ihnen stehen, kein wesentliches und direktes wirtschaftliches Eigentum an Finanzinstrumenten halten oder haben oder von der Beteiligung an Geschäften mit Finanzinstrumenten absehen, die von einem geprüften Unternehmen, das in den Kreis ihrer Prüfungstätigkeiten fällt, ausgegeben, garantiert oder in anderer Weise abgesichert werden, es sei denn, es handelt sich um in indirektem Eigentum befindliche Beteiligungen durch diversifizierte Organis-

20 Richtlinie 2004/72/EG der Kommission vom 29. April 2004 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates — Zulässige Marktpraktiken, Definition von Insider-Informationen in Bezug auf Warenderivate, Erstellung von Insider-Verzeichnissen, Meldung von Eigengeschäften und Meldung verdächtiger Transaktionen (ABl. L 162 vom 30. 4. 2004, S. 70).

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men für gemeinsame Anlagen, einschließlich gemanagter Fonds, wie Pensionsfonds und Lebensversicherungen. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften in ihren Arbeitspapieren alle bedeutsamen Risiken für ihre Unabhängigkeit und die Schutzmaßnahmen, die zur Minderung dieser Risiken ergriffen wurden, dokumentieren. (4) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die in Absatz 2 genannten Personen oder Gesellschaften nicht an der Prüfung eines bestimmten Unternehmens teilnehmen bzw. das Ergebnis einer Abschlussprüfung nicht in anderer Weise beeinflussen, wenn sie a) Finanzinstrumente des geprüften Unternehmens besitzen, bei denen es sich nicht um indirekt gehaltene Beteiligungen durch diversifizierte Organismen für gemeinsame Anlagen handelt, b) Finanzinstrumente eines mit dem geprüften Unternehmen verbundenen Unternehmens besitzen, bei denen es sich nicht um indirekt gehaltene Beteiligungen durch diversifizierte Organismen für gemeinsame Anlagen handelt, und der Besitz dieser Instrumente einen Interessenkonflikt verursachen kann oder nach allgemeiner Auffassung einen solchen verursacht, c) während des in Absatz 1 genannten Zeitraums eine Beschäftigungs-, Geschäfts- oder sonstige Beziehung zu diesem geprüften Unternehmen unterhalten haben, das einen Interessenkonflikt verursachen kann oder nach allgemeiner Auffassung einen solchen verursacht. (5) Die in Absatz 2 genannten Personen oder Gesellschaften nehmen von dem geprüften Unternehmen oder von einem mit dem geprüften Unternehmen verbundenen Unternehmen keine Geld- oder Sachgeschenke oder Gefälligkeiten an und bemühen sich nicht um solche, es sein denn, ein objektiver, verständiger und informierter Dritter würde deren Wert als geringfügig oder unbedeutend betrachten. (6) Wenn ein geprüftes Unternehmen während des durch die Abschlüsse abgedeckten Zeitraums von einem anderen Unternehmen erworben wird, sich mit diesem zusammenschließt oder ein solches Unternehmen erwirbt, ermittelt und beurteilt der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft alle gegenwärtigen oder kürzlich erfolgten Beteiligungen oder Beziehungen zu diesem Unternehmen, einschließlich aller diesem Unternehmen erbrachten Nichtprüfungsleistungen, die unter Berücksichtigung verfügbarer Schutzmaßnahmen die Unabhängigkeit und die Fähigkeit des Prüfers, die Abschlussprüfung nach dem Datum des Wirksamwerdens der Fusion oder Übernahme fortzusetzen, in Frage stellen könnten. So schnell wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb von drei Monaten, leitet der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft alle Schritte ein, die 1147

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sich als notwendig erweisen könnten, um gegenwärtige Beteiligungen oder Beziehungen, die seine bzw. ihre Unabhängigkeit in Frage stellen würden, zu beenden, und ergreift wenn möglich Schutzmaßnahmen, um jede Gefahr für seine bzw. ihre Unabhängigkeit, die sich aus früheren und gegenwärtigen Beteiligungen und Beziehungen ergeben, zu minimieren. Art. 22a Einstellung von früheren Abschlussprüfern oder Mitarbeitern von Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften bei geprüften Unternehmen (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ein Abschlussprüfer oder ein verantwortlicher Prüfungspartner, der eine Abschlussprüfung im Auftrag einer Prüfungsgesellschaft durchführt, vor Ablauf von mindestens einem Jahr bzw. bei Abschlussprüfungen von Unternehmen von öffentlichem Interesse vor Ablauf von mindestens zwei Jahren, nachdem er die Tätigkeit als Abschlussprüfer oder verantwortlicher Prüfungspartner im Zusammenhang mit dem Prüfungsauftrag eingestellt hat, a) keine zentrale Führungsposition in dem geprüften Unternehmen übernimmt, b) gegebenenfalls bei dem geprüften Unternehmen nicht Mitglied des Prüfungsausschusses wird bzw. — sollte es keinen solchen Ausschuss geben — nicht Mitglied des Gremiums wird, das die Funktionen des Prüfungsausschusses ausübt, c) nicht geschäftsführendes Mitglied des Verwaltungsorgans oder Mitglied des Aufsichtsorgans des geprüften Unternehmens wird. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Mitarbeiter und Partner — mit Ausnahme der verantwortlichen Prüfungspartner — eines Abschlussprüfers oder einer Prüfungsgesellschaft, der bzw. die eine Abschlussprüfung durchführt, sowie alle anderen natürlichen Personen, deren Leistungen dieser Abschlussprüfer bzw. diese Prüfungsgesellschaft in Anspruch nehmen oder kontrollieren kann, für den Fall, dass sie selbst zugelassene Abschlussprüfer sind, mindestens ein Jahr nach ihrer unmittelbaren Beteiligung an dem Prüfungsauftrag keine der in Absatz 1 Buchstaben a, b und c genannten Aufgaben übernehmen. Art. 22b Vorbereitung auf die Abschlussprüfung und Beurteilung der Gefährdungen für die Unabhängigkeit Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ein Abschlussprüfer bzw. eine Prüfungsgesellschaft, bevor er bzw. sie einen Auftrag für eine Abschlussprüfung annimmt oder fortsetzt, Folgendes beurteilt und dokumentiert: — ob er bzw. sie die Anforderungen des Artikels 22 dieser Richtlinie erfüllt; — ob seine bzw. ihre Unabhängigkeit gefährdet ist, sowie die Schutzmaßnahmen, die zur Verminderung dieser Gefahren ergriffen wurden; 1148

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— ob er bzw. sie über die kompetenten Mitarbeiter, die Zeit und die Ressourcen verfügt, die zur angemessenen Durchführung der Abschlussprüfung erforderlich sind; — ob — im Falle einer Prüfungsgesellschaft — der verantwortliche Prüfungspartner in dem Mitgliedstaat, der die Abschlussprüfung vorschreibt, als Abschlussprüfer zugelassen ist. Die Mitgliedstaaten können vereinfachte Anforderungen für die Prüfungen gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c vorsehen. Art. 23 Verschwiegenheitspflicht und Berufsgeheimnis (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften in Bezug auf alle Informationen und Unterlagen, zu denen sie bei der Durchführung einer Abschlussprüfung Zugang erhalten, entsprechenden Vorschriften zur Verschwiegenheitspflicht und zum Berufsgeheimnis unterliegen. (2) Die Vorschriften zur Verschwiegenheitspflicht und zum Berufsgeheimnis von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften dürfen die Durchsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie oder der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 nicht erschweren. (3) Wird ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft durch einen anderen Abschlussprüfer oder eine andere Prüfungsgesellschaft ersetzt, gewährt der frühere Abschlussprüfer bzw. die frühere Prüfungsgesellschaft dem neuen Abschlussprüfer bzw. der neuen Prüfungsgesellschaft Zugang zu allen relevanten Informationen über das geprüfte Unternehmen und über die zuletzt durchgeführte Abschlussprüfung dieses Unternehmens. (4) Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften, die in einem bestimmten Prüfungsmandat nicht mehr tätig sind, und Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften eines früheren Abschlusses unterliegen hinsichtlich dieses Prüfungsmandats weiterhin den Bestimmungen der Absätze 1 und 2. (5) Wenn ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft bei einem Unternehmen, das zu einem Konzern gehört, dessen Muttergesellschaft ihren Sitz in einem Drittland hat, die Abschlussprüfung durchführt, hindern die in Absatz 1 festgelegten Bestimmungen zur Verschwiegenheitspflicht und zum Berufsgeheimnis den Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft nicht daran, relevante Prüfungsunterlagen an den Konzernabschlussprüfer in einem Drittland weiterzugeben, wenn diese für die Durchführung der Prüfung des konsolidierten Abschlusses der Muttergesellschaft benötigt werden. Wenn ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft bei einem Unternehmen, das in einem Drittland Wertpapiere ausgegeben hat oder zu einem Konzern gehört, der den gesetzlich vorgeschriebenen konsolidierten Abschluss in einem Drittland vorlegt, die Abschlussprüfung durchführt, kann er bzw. sie 1149

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die in seinem bzw. ihrem Besitz befindlichen Arbeitspapiere oder anderen Unterlagen, die die Abschlussprüfung bei diesem Unternehmen betreffen, nur unter den in Artikel 47 festgelegten Bedingungen an die zuständigen Drittlandsbehörden weiterleiten. Die Weitergabe von Informationen an den Konzernabschlussprüfer mit Sitz in einem Drittland muss mit Kapitel IV der Richtlinie 95/46/EG sowie den geltenden nationalen Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten in Einklang stehen. Art. 24 Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Abschlussprüfern, die für eine Prüfungsgesellschaft eine Abschlussprüfung durchführen Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass weder die Eigentümer noch die Anteilseigner einer Prüfungsgesellschaft noch die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane dieser oder einer verbundenen Gesellschaft in einer Weise in eine Abschlussprüfung eingreifen, die die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Abschlussprüfers, der die Abschlussprüfung für die Prüfungsgesellschaft durchführt, gefährdet. Art. 24a Interne Organisation von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften die folgenden organisatorischen Anforderungen erfüllen: a) Prüfungsgesellschaften legen angemessene Grundsätze und Verfahren fest, um zu gewährleisten, dass weder die Eigentümer oder Anteilseigner noch die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft in einer Weise in eine Abschlussprüfung eingreifen, die die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Abschlussprüfers, der die Abschlussprüfung im Auftrag der Prüfungsgesellschaft durchführt, gefährdet. b) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften verfügen über solide Verwaltungs- und Rechnungslegungsverfahren, interne Qualitätssicherungsmechanismen, wirksame Verfahren zur Risikobewertung sowie wirksame Kontroll- und Sicherheitsvorkehrungen für Datenverarbeitungssysteme. Diese internen Qualitätssicherungsmechanismen sind darauf ausgelegt, die Einhaltung von Entscheidungen und Verfahren auf allen Ebenen einer Prüfungsgesellschaft oder der Arbeitsorganisation eines Abschlussprüfers sicherzustellen. c) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften legen angemessene Grundsätze und Verfahren fest, um zu gewährleisten, dass ihre Mitarbeiter sowie jede andere natürliche Person, deren Leistungen sie in Anspruch nehmen oder die sie kontrollieren können und die unmittelbar an den Prüfungstä1150

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tigkeiten beteiligt ist, über angemessene Kenntnisse und Erfahrungen für die ihnen zugewiesenen Aufgaben verfügen. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften legen angemessene Grundsätze und Verfahren fest, um zu gewährleisten, dass bei einer Auslagerung wichtiger Prüfungstätigkeiten weder die Qualität der internen Qualitätssicherung des Abschlussprüfers bzw. der Prüfungsgesellschaft noch die Fähigkeit der zuständigen Behörden, die Aufsicht über die Einhaltung der in dieser Richtlinie und gegebenenfalls in der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 festgelegten Pflichten durch den Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft zu führen, beeinträchtigt wird. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften treffen angemessene und wirksame organisatorische und administrative Vorkehrungen, um allen in den Artikeln 22, 22a und 22b genannten Gefahren für ihre Unabhängigkeit vorzubeugen, solche Gefahren zu ermitteln, zu beseitigen oder ihnen zu begegnen und sie offenzulegen. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften legen angemessene Grundsätze und Verfahren für die Abschlussprüfung, für Mitarbeiter-Coaching und die Beaufsichtigung und Prüfung der Tätigkeiten von Mitarbeitern sowie für die Strukturierung der in Artikel 24b Absatz 5 genannten Prüfungsakte fest. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften richten ein internes Qualitätssicherungssystem ein, um die Qualität der Abschlussprüfung sicherzustellen. Das Qualitätssicherungssystem erfasst zumindest die unter Buchstabe f beschriebenen Grundsätze und Verfahren. Bei Prüfungsgesellschaften liegt die Verantwortung für das interne Qualitätssicherungssystem bei einer als Abschlussprüfer qualifizierten Person. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften setzen angemessene Systeme, Ressourcen und Verfahren ein, um bei der Ausübung ihrer Prüfungstätigkeiten Kontinuität und Regelmäßigkeit zu gewährleisten. Darüber hinaus treffen Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften angemessene und wirksame organisatorische und administrative Vorkehrungen für den Umgang mit und die Aufzeichnung von Vorfällen, die die Integrität ihrer Prüfungstätigkeiten schwer beeinträchtigen oder beeinträchtigen können. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften verfügen über angemessene Vergütungsgrundsätze, einschließlich Maßnahmen der Gewinnbeteiligung, die ausreichende Leistungsanreize bieten, um die Qualität der Abschlussprüfung sicherzustellen. Insbesondere dürfen die Einnahmen, die der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft aus der Erbringung von Nichtprüfungsleistungen an das geprüfte Unternehmen erzielt, kein Teil der 1151

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Leistungsbewertung und der Vergütung von Personen sein, die an der Abschlussprüfung beteiligt oder in der Lage sind, das Ergebnis der Abschlussprüfung zu beeinflussen. k) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften beobachten und bewerten die Angemessenheit und Wirksamkeit ihrer gemäß dieser Richtlinie und gegebenenfalls der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 geschaffenen Systeme, internen Qualitätssicherungsmechanismen und -vorkehrungen und ergreifen die zur Behebung etwaiger Mängel erforderlichen Maßnahmen. Insbesondere das unter Buchstabe g genannte interne Qualitätssicherungssystem unterziehen die Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften einmal jährlich einer Bewertung. Die Ergebnisse dieser Bewertung samt aller zur Änderung des internen Qualitätssicherungssystems vorgeschlagenen Änderungen werden von den Abschlussprüfern bzw. Prüfungsgesellschaften aufgezeichnet. Die in Unterabsatz 1 genannten Grundsätze und Verfahren werden dokumentiert und den Mitarbeitern des Abschlussprüfers bzw. der Prüfungsgesellschaft zur Kenntnis gebracht. Die Mitgliedstaaten können vereinfachte Anforderungen für die Prüfungen gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c vorsehen. Die Verantwortung des Abschlussprüfers bzw. der Prüfungsgesellschaft gegenüber dem geprüften Unternehmen bleibt von einer Auslagerung von Prüfungstätigkeiten gemäß Buchstabe d dieses Absatzes unberührt. (2) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften tragen bei der Einhaltung dieser Anforderungen gemäß Absatz 1 dem Umfang und der Komplexität ihrer Tätigkeiten Rechnung. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften müssen der zuständigen Behörde gegenüber darlegen können, dass die Grundsätze und Verfahren angesichts des Umfangs und der Komplexität ihrer Tätigkeiten angemessen sind, um die Anforderungen zu erfüllen. Art. 24b Arbeitsorganisation (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass eine Prüfungsgesellschaft, die die Abschlussprüfung durchführt, zumindest einen verantwortlichen Prüfungspartner benennt. Die Prüfungsgesellschaft stellt dem verantwortlichen Prüfungspartner oder den verantwortlichen Prüfungspartnern die zur angemessenen Wahrnehmung seiner bzw. ihrer Aufgaben notwendigen Mittel und Personal mit der notwendigen Kompetenz und den notwendigen Fähigkeiten zur Verfügung. Die Hauptkriterien, nach denen die Prüfungsgesellschaft den oder die zu benennenden verantwortlichen Prüfungspartner bestimmt, sind Sicherstellung der Prüfungsqualität, Unabhängigkeit und Kompetenz. 1152

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Der verantwortliche oder die verantwortlichen Prüfungspartner ist bzw. sind aktiv an der Durchführung der Abschlussprüfung beteiligt. (2) Der Abschlussprüfer wendet bei der Durchführung der Abschlussprüfung ausreichend Zeit für das Prüfungsmandat auf und sieht die zur angemessenen Wahrnehmung seiner Aufgaben erforderlichen Ressourcen vor. (3) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft Aufzeichnungen über alle Verstöße gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie und gegebenenfalls der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 führt. Die Mitgliedstaaten können Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften bezüglich geringfügiger Verstöße von dieser Verpflichtung befreien. Der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft zeichnet ebenfalls alle aus Verstößen erwachsenden Konsequenzen auf, einschließlich der zur Behebung dieser Verstöße und zur Änderung seines bzw. ihres internen Qualitätssicherungssystems getroffenen Maßnahmen. Der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft erstellt jährlich einen Bericht über alle getroffenen Maßnahmen und leitet diesen intern weiter. Holt der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft den Rat externer Sachverständiger ein, dokumentiert er bzw. sie sowohl die Anfrage als auch die erhaltene Antwort. (4) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften führen eine Mandantendatei. Diese Datei enthält für jeden Mandanten die folgenden Angaben: a) Name, Anschrift und Ort der Niederlassung, b) bei einer Prüfungsgesellschaft den/die Namen des verantwortlichen Prüfungspartners bzw. der verantwortlichen Prüfungspartner, c) für jedes Geschäftsjahr die für die Abschlussprüfung und für andere Leistungen in Rechnung gestellten Honorare. (5) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften legen für jede Abschlussprüfung eine Prüfungsakte an. Der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft dokumentiert zumindest die gemäß Artikel 22b Absatz 1 dieser Richtlinie und gegebenenfalls gemäß den Artikeln 6 bis 8 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 aufgezeichneten Daten. Der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft bewahrt alle anderen Daten und Unterlagen, die zur Begründung des in Artikel 28 dieser Richtlinie und gegebenenfalls in den Artikeln 10 und 11 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 genannten Vermerks bzw. Berichts und zur Beobachtung der Einhaltung dieser Richtlinie und anderer geltender rechtlicher Anforderungen von Bedeutung sind, auf. Die Prüfungsakte wird spätestens 60 Tage nach Unterzeichnung des in Artikel 28 dieser Richtlinie und gegebenenfalls in Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 genannten Bestätigungsvermerks geschlossen. 1153

4.6

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(6) Der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft bewahrt alle etwaigen schriftlichen Beschwerden über die Durchführung der Abschlussprüfungen auf. (7) Die Mitgliedstaaten können vereinfachte Anforderungen hinsichtlich der Absätze 3 und 6 für die Prüfungen gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c vorsehen. Art. 25 Prüfungshonorare Die Mitgliedstaaten sorgen für eine angemessene Regelung, die gewährleistet, dass die Honorare für Abschlussprüfungen a) nicht von der Erbringung zusätzlicher Leistungen für das geprüfte Unternehmen beeinflusst oder bestimmt werden; b) an keinerlei Bedingungen geknüpft werden dürfen. Art. 25a Umfang der Abschlussprüfung Unbeschadet der in Artikel 28 dieser Richtlinie und gegebenenfalls in den Artikeln 10 und 11 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 genannten Berichtspflichten umfasst eine Abschlussprüfung keine Zusicherung über den künftigen Fortbestand des geprüften Unternehmens oder die Effizienz oder Wirksamkeit, mit der das Leitungs- oder Verwaltungsorgan des Unternehmens dessen Geschäfte bisher geführt hat oder zukünftig führen wird.

Kapitel V − Prüfungsstandards und Bestätigungsvermerk Art. 26 Prüfungsstandards (1) Die Mitgliedstaaten verpflichten die Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften, Abschlussprüfungen unter Beachtung der von der Kommission nach Absatz 3 angenommenen internationalen Prüfungsstandards durchzuführen. Die Mitgliedstaaten können nationale Prüfungsstandards, Prüfverfahren oder Prüfungsanforderungen so lange anwenden, wie die Kommission keine internationalen Prüfungsstandards, die für denselben Bereich gelten, angenommen hat. (2) Für die Zwecke von Absatz 1 bezeichnet der Ausdruck „internationale Prüfungsstandards“ die International Standards on Auditing (ISA), den International Standard on Quality Control 1 und andere damit zusammenhängende Standards, die vom Internationalen Wirtschaftsprüferverband (IFAC) über das International Auditing and Assurance Standards Board (IAASB) herausgegeben wurden, soweit sie für die Abschlussprüfung relevant sind. (3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, im Wege delegierter Rechtsakte gemäß Artikel 48a die in Absatz 1 genannten internationalen Prüfungsstandards in den Bereichen Prüfungsverfahren, Unabhängigkeit und interne 1154

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4.6

Qualitätssicherung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften zum Zwecke der Anwendung jener Standards innerhalb der Union anzunehmen. Die Kommission darf die internationalen Prüfungsstandards nur annehmen, wenn sie a) in einem einwandfreien Verfahren mit angemessener öffentlicher Aufsicht und Transparenz erstellt wurden und international allgemein anerkannt sind; b) beim Jahresabschluss oder konsolidierten Abschluss entsprechend den in Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2013/34/EU festgelegten Grundsätzen zu einem hohen Maß an Glaubwürdigkeit und Qualität beitragen; c) dem Gemeinwohl in der Union dienen und d) keine Änderungen oder Ergänzungen der Anforderungen dieser Richtlinie mit Ausnahme der in Kapitel IV und in den Artikeln 27 und 28 festgelegten Anforderungen enthalten. (4) Unbeschadet Absatz 1 Unterabsatz 2 dürfen die Mitgliedstaaten neben den von der Kommission angenommenen internationalen Prüfungsstandards zusätzliche Prüfverfahren oder Prüfungsanforderungen, a) nur dann vorschreiben, wenn diese Prüfverfahren und Prüfungsanforderungen erforderlich sind, um den nationalen rechtlichen Anforderungen in Bezug auf den Umfang der Abschlussprüfungen Wirkung zu verleihen, oder b) nur in dem Maße vorschreiben, wie dies erforderlich ist, um die Glaubwürdigkeit und Qualität von Abschlüssen erhöhen. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die Prüfverfahren oder Prüfungsanforderungen spätestens drei Monate vor deren Inkrafttreten oder — im Falle von Anforderungen, die zum Zeitpunkt der Annahme internationaler Prüfungsstandards bereits bestehen — spätestens binnen drei Monaten nach Annahme der einschlägigen internationalen Prüfungsstandards mit. (5) Verlangt ein Mitgliedstaat die Abschlussprüfung kleiner Unternehmen, so kann er vorsehen, dass die Anwendung der in Absatz 1 genannten Prüfungsstandards dem Umfang und der Komplexität der Tätigkeiten dieser Unternehmen angemessen sein muss. Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen ergreifen, um die verhältnismäßige Anwendung der Prüfungsstandards auf Abschlussprüfungen von kleinen Unternehmen sicherzustellen. Art. 27 Abschlussprüfungen von konsolidierten Abschlüssen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei der Abschlussprüfung der konsolidierten Abschlüsse eines Konzerns a) der Konzernabschlussprüfer in Bezug auf die konsolidierten Abschlüsse die volle Verantwortung für den Bestätigungsvermerk gemäß Artikel 28 dieser Richtlinie und gegebenenfalls Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 1155

4.6

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sowie gegebenenfalls für den zusätzlichen Bericht an den Prüfungsausschuss gemäß Artikel 11 jener Verordnung trägt; b) der Konzernabschlussprüfer die von Prüfern aus einem Drittland oder Abschlussprüfern und Prüfungsunternehmen aus einem Drittland oder Prüfungsgesellschaften für die Zwecke der Konzernabschlussprüfung ausgeführten Prüfungsarbeiten bewertet und die Natur, den Zeitplan und das Ausmaß der von diesen Prüfern durchgeführten Arbeit dokumentiert, wozu gegebenenfalls auch die Durchsicht von relevanten Teilen der Prüfungsunterlagen dieser Prüfer durch den Konzernabschlussprüfer zählt; c) der Konzernabschlussprüfer die von Prüfern aus einem Drittland oder Abschlussprüfern und Prüfungsunternehmen aus einem Drittland oder Prüfungsgesellschaften für die Zwecke der Konzernabschlussprüfung durchgeführten Prüfungstätigkeiten überprüft und dokumentiert. Die von dem Konzernabschlussprüfer aufbewahrten Unterlagen müssen so beschaffen sein, dass die entsprechende zuständige Behörde die Arbeit des Konzernabschlussprüfers überprüfen kann. Für die Zwecke von Unterabsatz 1 Buchstabe c dieses Absatzes verlangt der Konzernabschlussprüfer als Voraussetzung dafür, dass er sich auf die Arbeit von Prüfern aus einem Drittland, Abschlussprüfern, Prüfungsunternehmen aus einem Drittland oder Prüfungsgesellschaften stützen kann, dass die betreffenden Prüfer aus einem Drittland, Abschlussprüfer, Prüfungsunternehmen aus einem Drittland oder Prüfungsgesellschaften in die Weitergabe relevanter Unterlagen während der Prüfung des konsolidierten Abschlusses einwilligen. (2) Ist es dem Konzernabschlussprüfer nicht möglich, die Bestimmungen in Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c zu erfüllen, ergreift er geeignete Maßnahmen und unterrichtet die jeweils zuständige Behörde entsprechend. Solche Maßnahmen umfassen gegebenenfalls zusätzliche Prüfungstätigkeiten bei der betreffenden Tochtergesellschaft, die entweder direkt oder im Wege einer Auslagerung durchgeführt werden. (3) Wird der Konzernabschlussprüfer in Bezug auf die Prüfung des konsolidierten Abschlusses eines Konzerns einer Qualitätssicherungsprüfung oder Untersuchung unterzogen, so stellt er der zuständigen Behörde auf Verlangen die relevanten ihm vorliegenden Unterlagen zur Verfügung, die die von den betreffenden Prüfern aus einem Drittland, Abschlussprüfern, Prüfungsunternehmen aus einem Drittland oder Prüfungsgesellschaft für die Zwecke der Konzernabschlussprüfung durchgeführten Prüfungstätigkeiten betreffen, wozu auch sämtliche für die Konzernabschlussprüfung relevanten Arbeitspapiere zählen. Die zuständige Behörde kann verlangen, dass die jeweils zuständigen Behörden gemäß Artikel 36 zusätzliche Unterlagen zu den von Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften für die Zwecke der Konzernabschlussprüfung durchgeführten Prüfungsarbeiten zur Verfügung stellen. 1156

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4.6

Wird ein Mutter- oder Tochterunternehmen eines Konzerns von einem oder mehreren Prüfern oder Prüfungsunternehmen aus einem Drittland geprüft, so kann die zuständige Behörde verlangen, dass die jeweils zuständigen Drittlandsbehörden im Rahmen der in Artikel 47 genannten Vereinbarungen zur Zusammenarbeit zusätzliche Unterlagen zu den von Prüfern oder Prüfungsunternehmen aus einem Drittland durchgeführten Prüfungsarbeiten zur Verfügung stellen. Abweichend von Unterabsatz 3 trägt der Konzernabschlussprüfer für den Fall, dass ein Mutter- oder Tochterunternehmen eines Konzerns von einem oder mehreren Prüfern oder Prüfungsunternehmen aus einem Drittland geprüft wird, das nicht über eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit gemäß Artikel 47 verfügt, zudem dafür Sorge, dass — sollte dies verlangt werden — die zusätzlichen Unterlagen zu den von diesem Prüfer oder Prüfungsunternehmen bzw. von diesen Prüfern oder Prüfungsunternehmen aus einem Drittland durchgeführten Prüfungsarbeiten samt der für die Konzernabschlussprüfung relevanten Arbeitspapiere ordnungsgemäß ausgehändigt werden. Zur Sicherstellung dieser Aushändigung bewahrt der Konzernabschlussprüfer eine Kopie dieser Unterlagen auf oder vereinbart andernfalls mit dem Prüfer oder Prüfungsunternehmen bzw. den Prüfern oder Prüfungsunternehmen aus einem Drittland, dass auf Antrag unbeschränkter Zugang gestattet wird, oder er trifft sonstige geeignete Maßnahmen. Verhindern rechtliche oder andere Hindernisse, dass die die Prüfung betreffenden Arbeitspapiere aus einem Drittland an den Konzernabschlussprüfer weitergegeben werden können, müssen die vom Konzernabschlussprüfer aufbewahrten Unterlagen Nachweise dafür enthalten, dass er die geeigneten Verfahren durchgeführt hat, um Zugang zu den Prüfungsunterlagen zu erhalten, und, im Fall anderer als durch die Rechtsvorschriften des betroffenen Drittlandes entstandener rechtlicher Hindernisse, Nachweise für das Vorhandensein eines solchen Hindernisses. Art. 28 Bestätigungsvermerk (1) Der oder die Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft oder -gesellschaften legt bzw. legen die Ergebnisse der Abschlussprüfung in einem Bestätigungsvermerk dar. Der Bestätigungsvermerk wird entsprechend den Anforderungen der von der Union oder dem betroffenen Mitgliedstaat gemäß Artikel 26 angenommenen Prüfungsstandards erstellt. (2) Der Bestätigungsvermerk wird in schriftlicher Form verfasst und a) nennt das Unternehmen, dessen Jahres- oder konsolidierter Abschluss Gegenstand der Abschlussprüfung sind; gibt an, ob es sich um einen Jahresoder einen konsolidierten Abschluss handelt, und nennt Abschlussstichtag und Abschlusszeitraum; und gibt die Rechnungslegungsgrundsätze an, nach denen der Abschluss aufgestellt wurde; 1157

4.6

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b) enthält eine Beschreibung des Umfangs der Abschlussprüfung, die zumindest Angaben über die Prüfungsgrundsätze enthält, nach denen die Abschlussprüfung durchgeführt wurde; c) umfasst ein Prüfungsurteil, das als entweder uneingeschränkt, eingeschränkt oder negativ erteilt wird und zweifelsfrei Auskunft darüber gibt, ob nach Auffassung des Abschlussprüfers oder der Abschlussprüfer bzw. der Prüfungsgesellschaft oder -gesellschaften i) der Jahresabschluss im Einklang mit den jeweils maßgebenden Rechnungslegungsgrundsätzen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt und ii) soweit einschlägig — der Jahresabschluss den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Ist der bzw. sind die Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft oder -gesellschaften nicht in der Lage, ein Prüfungsurteil abzugeben, so wird dies im Vermerk angegeben; d) verweist auf alle anderen Umstände, auf die der bzw. die Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft bzw. die Prüfungsgesellschaften in besonderer Weise aufmerksam gemacht haben, ohne das Prüfungsurteil einzuschränken; e) enthält ein Prüfungsurteil und eine Erklärung, die jeweils auf den gemäß Artikel 34 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2013/34/EU im Laufe der Prüfung durchgeführten Arbeiten basieren; f) enthält eine Erklärung zu etwaigen wesentlichen Unsicherheiten in Verbindung mit Ereignissen oder Gegebenheiten, die erhebliche Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können; g) gibt den Ort der Niederlassung des Abschlussprüfers bzw. der Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft bzw. -gesellschaften an. Die Mitgliedstaaten können zusätzliche Anforderungen hinsichtlich des Inhalts des Bestätigungsvermerks festlegen. (3) Wurde die Abschlussprüfung von mehr als einem Abschlussprüfer oder einer Prüfungsgesellschaft durchgeführt, so einigen sich diese auf die Ergebnisse der Abschlussprüfung und erteilen sie einen gemeinsamen Vermerk und ein gemeinsames Urteil. Bei Uneinigkeit gibt jeder Abschlussprüfer bzw. jede Prüfungsgesellschaft ein eigenes Urteil das in einem gesonderten Absatz des Bestätigungsvermerks ab und legt die Gründe für die Uneinigkeit dar. (4) Der Bestätigungsvermerk ist vom Abschlussprüfer unter Angabe des Datums zu unterzeichnen. Wird eine Abschlussprüfung von einer Prüfungsgesellschaft durchgeführt, so wird der Bestätigungsvermerk zumindest von dem Abschlussprüfer oder den Abschlussprüfern, der bzw. die die Abschlussprüfung für die 1158

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4.6

Prüfungsgesellschaft durchgeführt hat bzw. haben, unterzeichnet. Sind mehr als ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft gleichzeitig beauftragt worden, so wird der Bestätigungsvermerk von allen Abschlussprüfern oder zumindest von den Abschlussprüfern unterzeichnet, welche die Abschlussprüfung für jede Prüfungsgesellschaft durchgeführt haben. Unter besonderen Umständen können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass diese Unterschrift bzw. Unterschriften nicht öffentlich bekannt gemacht zu werden braucht bzw. brauchen, weil eine solche Offenlegung zu einer absehbaren und ernst zu nehmenden Gefahr für die persönliche Sicherheit einer Person führen würde. In jedem Fall müssen die jeweils zuständigen Behörden die Namen der beteiligten Personen kennen. (5) Der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft zum konsolidierten Abschluss hat den Anforderungen nach den Absätzen 1 bis 4 zu genügen. Bei der Beurteilung des Einklangs zwischen dem Lagebericht und dem Abschluss nach Absatz 2 Buchstabe e hat der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft den konsolidierten Abschluss und den konsolidierten Lagebericht zu berücksichtigen. Wird der Jahresabschluss des Mutterunternehmens dem konsolidierten Abschluss beigefügt, so können die nach diesem Artikel erforderlichen Bestätigungsvermerke der Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften kombiniert werden.

Kapitel VI − Qualitätssicherung Art. 29 Qualitätssicherungssysteme (1) Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass alle Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften einem Qualitätssicherungssystem unterliegen, das mindestens die folgenden Kriterien erfüllt: a) das Qualitätssicherungssystem muss so organisiert sein, dass es von den überprüften Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften unabhängig ist und der öffentlichen Aufsicht unterliegt; b) die Finanzierung des Qualitätssicherungssystems muss gesichert sein und darf Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften keine Möglichkeit zur ungebührlichen Einflussnahme geben; c) das Qualitätssicherungssystem muss über angemessene Ressourcen verfügen; d) die Personen, die die Qualitätssicherungsprüfungen durchführen, müssen über eine angemessene fachliche Ausbildung und einschlägige Erfahrungen auf den Gebieten der Abschlussprüfung und Rechnungslegung verfügen und darüber hinaus eine spezielle Ausbildung für Qualitätssicherungsprüfungen absolviert haben; 1159

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e) die Personen, die mit Qualitätssicherungsprüfungen betraut werden, sind nach einem objektiven Verfahren auszuwählen, das darauf ausgelegt ist, Interessenkonflikte zwischen den Qualitätssicherungsprüfern und dem überprüften Abschlussprüfer oder der überprüften Prüfungsgesellschaft auszuschließen; f) die Qualitätssicherungsprüfung muss auf der Grundlage angemessener Überprüfungen von ausgewählten Prüfungsunterlagen eine Beurteilung der Einhaltung einschlägiger Prüfungsstandards und Unabhängigkeitsanforderungen, der Quantität und der Qualität von eingesetzten Ressourcen sowie der berechneten Prüfungshonorare und des internen Qualitätssicherungssystems der Prüfungsgesellschaft umfassen; g) über die Qualitätssicherungsprüfung ist ein Bericht zu erstellen, der die wichtigsten Schlussfolgerungen dieser Prüfung wiedergibt; h) Qualitätssicherungsprüfungen müssen auf der Grundlage einer Risikoanalyse und im Fall von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften, die Abschlussprüfungen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe a durchführen, mindestens alle sechs Jahre stattfinden; i) die Gesamtergebnisse des Qualitätssicherungssystems sind jährlich zu veröffentlichen; j) die im Rahmen von Qualitätsprüfungen ausgesprochenen Empfehlungen müssen von dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft innerhalb einer angemessenen Frist umgesetzt werden. k) die Qualitätssicherungsprüfungen müssen im Hinblick auf den Umfang und die Komplexität der Tätigkeit des überprüften Abschlussprüfers bzw. der überprüften Prüfungsgesellschaft geeignet und angemessen sein. Wenn die unter Buchstabe j genannten Empfehlungen nicht umgesetzt werden, so werden gegebenenfalls gegen den Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft die in Artikel 30 genannten Disziplinarmaßnahmen oder Sanktionen verhängt. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe e gelten mindestens die folgenden Kriterien für die Auswahl der Qualitätssicherungsprüfer: a) Die Qualitätssicherungsprüfer verfügen über eine angemessene fachliche Ausbildung und einschlägige Erfahrungen auf den Gebieten der Abschlussprüfung und Rechnungslegung und haben eine spezielle Ausbildung in Qualitätssicherungsprüfungen absolviert. b) Personen, die Teilhaber oder Mitarbeiter eines Abschlussprüfers oder einer Prüfungsgesellschaft oder in sonstiger Weise mit diesem Abschlussprüfer bzw. dieser Prüfungsgesellschaft verbunden waren, dürfen frühestens drei Jahre nach Beendigung dieser Tätigkeit oder Verbindung als Qualitätssicherungsprüfer eine Qualitätssicherungsprüfung dieses Abschlussprüfers bzw. dieser Prüfungsgesellschaft vornehmen. 1160

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4.6

c) Die Qualitätssicherungsprüfer erklären, dass zwischen ihnen und dem zu überprüfenden Abschlussprüfer bzw. der zu überprüfenden Prüfungsgesellschaft keine Interessenkonflikte bestehen. (3) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe k verlangen die Mitgliedstaaten von den zuständigen Behörden, dass sie bei der Durchführung von Qualitätssicherungsprüfungen der Abschlussprüfung von Jahres- oder konsolidierten Abschlüssen von mittleren und kleinen Unternehmen die Tatsache berücksichtigen, dass die gemäß Artikel 26 anzunehmenden Prüfungsstandards in einer Weise angewandt werden sollen, die dem Umfang und der Komplexität der Geschäftstätigkeit des geprüften Unternehmens angemessen ist.

Kapitel VII − Untersuchungen und Sanktionen Art. 30 Untersuchungen und Sanktionen (1) Die Mitgliedstaaten sorgen für wirksame Untersuchungen und Sanktionen, um eine unzureichende Durchführung von Abschlussprüfungen aufzudecken, zu berichtigen und zu verhindern. (2) Unbeschadet der zivilrechtlichen Haftungsvorschriften der Mitgliedstaaten sehen die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften vor, die sich bei der Durchführung von Abschlussprüfungen nicht an die Vorschriften halten, die zur Umsetzung dieser Richtlinie und gegebenenfalls der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 angenommen wurden. Die Mitgliedstaaten können beschließen, für Verstöße, die bereits dem einzelstaatlichen Strafrecht unterliegen, keine Vorschriften für verwaltungsrechtliche Sanktionen festzulegen. In diesem Fall teilen sie der Kommission die einschlägigen strafrechtlichen Vorschriften mit. (3) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass Maßnahmen und Sanktionen gegen Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften in angemessener Weise öffentlich bekanntgemacht werden. Zu den Sanktionen sollte auch die Möglichkeit des Entzugs der Zulassung zählen. Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass diese Bekanntmachungen keine personenbezogenen Daten im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a der Richtlinie 95/46/EG beinhalten. (4) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die in Absatz 2 genannten Vorschriften bis zum 17. Juni 2016 mit. Sie melden der Kommission unverzüglich jede nachfolgende Änderung dieser Vorschriften. Art. 30a Sanktionsbefugnisse (1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständigen Behörden befugt sind, bei Verstößen gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie und gegebenenfalls der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 zumindest fol1161

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gende verwaltungsrechtlichen Sanktionen und Maßnahmen zu ergreifen und/ oder zu verhängen: a) eine Mitteilung, wonach die für den Verstoß verantwortliche natürliche oder juristische Person die Verhaltensweise einzustellen und von einer Wiederholung abzusehen hat; b) eine öffentliche Erklärung, in der die verantwortliche Person und die Art des Verstoßes genannt werden und die auf der Website der zuständigen Behörden veröffentlicht wird; c) ein dem Abschlussprüfer, der Prüfungsgesellschaft oder dem verantwortlichen Prüfungspartner auferlegtes vorübergehendes Verbot der Durchführung von Abschlussprüfungen und/oder der Unterzeichnung von Bestätigungsvermerken von bis zu drei Jahren; d) eine Erklärung, dass der Bestätigungsvermerk nicht die Anforderungen des Artikels 28 der Richtlinie oder gegebenenfalls des Artikels 10 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 erfüllt; e) ein vorübergehendes Verbot der Wahrnehmung von Aufgaben bei Prüfungsgesellschaften oder Unternehmen von öffentlichem Interesse für die Dauer von bis zu drei Jahren, das gegen Mitglieder einer Prüfungsgesellschaft oder eines Verwaltungs- oder Leitungsorgans eines Unternehmens von öffentlichem Interesse ausgesprochen wird; f) Verhängung von verwaltungsrechtlichen finanziellen Sanktionen gegen natürliche oder juristische Personen. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden ihre Sanktionsbefugnisse im Einklang mit dieser Richtlinie und den nationalen Rechtsvorschriften sowie auf einem der folgenden Wege ausüben: a) unmittelbar; b) in Zusammenarbeit mit anderen Behörden; c) durch Antrag bei den zuständigen Justizbehörden. (3) Die Mitgliedstaaten können den zuständigen Behörden zusätzlich zu den in Absatz 1 genannten Befugnissen weitere Sanktionsbefugnisse übertragen. (4) Abweichend von Absatz 1 können die Mitgliedstaaten den Behörden, die über Unternehmen von öffentlichem Interesse die Aufsicht führen — wenn sie nicht als zuständige Behörde gemäß Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 benannt sind —, die Befugnis übertragen, Sanktionen bei Verstößen gegen die in jener Verordnung vorgesehenen Berichtspflichten zu verhängen. Art. 30b Wirksame Anwendung von Sanktionen Bei der Festsetzung von Vorschriften nach Artikel 30 verlangen die Mitgliedstaaten, dass die zuständigen Behörden bei der Festlegung der Art und der Höhe der verwaltungsrechtlichen 1162

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4.6

Sanktionen und Maßnahmen allen relevanten Umständen Rechnung tragen, einschließlich gegebenenfalls a) der Schwere und der Dauer des Verstoßes; b) des Grads an Verantwortung der verantwortlichen Person; c) der Finanzkraft der verantwortlichen Person, wie sie sich beispielsweise aus dem Gesamtumsatz des verantwortlichen Unternehmens oder den Jahreseinkünften der verantwortlichen natürlichen Person ablesen lässt; d) der Höhe der von der verantwortlichen Person erzielten Mehrerlöse oder verhinderten Verluste, sofern diese sich beziffern lassen; e) der Grad der Bereitwilligkeit der verantwortlichen Person, mit der zuständigen Behörde zusammenzuarbeiten; f) früherer Verstöße der verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person. Die zuständigen Behörden können ergänzende Faktoren berücksichtigen, wenn solche Faktoren im nationalen Recht vorgesehen sind. Art. 30c–30f Bekanntmachung von Sanktionen, Rechtsmittel, Meldungen sowie Informationstausch — nicht abgedruckt. Art. 31 aufgehoben.

Kapitel VIII − Öffentliche Aufsicht und gegenseitige Anerkennung der mitgliedstaatlichen Regelungen Art. 32–36 Aufsicht und gegenseitige Anerkennung der Aufsicht, mit Berufsgeheimnisregeln – nicht abgedruckt.

Kapitel IX − Bestellung und Abberufung Art. 37 Bestellung von Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften (1) Der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft wird von der Mitgliederoder Gesellschafterversammlung des geprüften Unternehmens bestellt. (2) Die Mitgliedstaaten können alternative Systeme oder Modalitäten für die Bestellung des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft unter der Voraussetzung zulassen, dass diese Systeme oder Modalitäten darauf ausgerichtet sind, die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft von den an der Geschäftsführung beteiligten Mitgliedern des Verwaltungsorgans oder vom Leitungsorgan des geprüften Unternehmens zu gewährleisten. 1163

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(3) Jegliche Vertragsklausel, die die Auswahlmöglichkeiten der Gesellschafterversammlung oder der Aktionärshauptversammlung des geprüften Unternehmens gemäß Absatz 1 in Bezug auf Ernennung eines Abschlussprüfers oder einer Prüfungsgesellschaft zur Durchführung der Abschlussprüfung bei diesem Unternehmen auf bestimmte Kategorien oder Listen von Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften beschränkt, ist untersagt. Jede bestehende Klausel dieser Art ist nichtig. Art. 38 Abberufung und Rücktritt von Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften nur bei Vorliegen triftiger Gründe abberufen werden können. Meinungsverschiedenheiten über Bilanzierungsmethoden oder Prüfverfahren sind kein triftiger Grund für eine Abberufung. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das geprüfte Unternehmen und der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft die für die öffentliche Aufsicht zuständige oder zuständigen Stellen über die Abberufung oder den Rücktritt des Abschlussprüfers bzw. der Prüfungsgesellschaft während der Laufzeit des Auftrags in Kenntnis setzen und eine ausreichende Begründung liefern. (3) Im Fall der Abschlussprüfung eines Unternehmens von öffentlichem Interesse stellen die Mitgliedstaat sicher, dass a) Anteilseigner, die mindestens 5 % der Stimmrechte oder des Grundkapitals halten, b) andere Stellen des geprüften Unternehmens — sofern durch nationale Rechtsvorschriften festgelegt, c) die in Artikel 32 dieser Richtlinie genannten bzw. nach Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 benannten zuständigen Behörden oder — sofern nach nationalem Recht vorgesehen — die zuständigen Behörden nach Artikel 20 Absatz 2 der genannten Verordnung vor einem nationalen Gericht die Abberufung des Abschlussprüfers bzw. der Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft bzw. -gesellschaften beantragen können, sofern triftige Gründe vorliegen.

Kapitel X – Prüfungsausschuss Art. 39 Prüfungsausschuss (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jedes Unternehmen von öffentlichem Interesse einen Prüfungsausschuss hat. Der Prüfungsausschuss ist entweder ein eigenständiger Ausschuss oder ein Ausschuss des Verwaltungsorgans oder des Aufsichtsorgans des geprüften Unternehmens. Der Prüfungsausschuss setzt sich aus nicht an der Geschäftsführung 1164

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beteiligten Mitgliedern des Verwaltungsorgans und/oder Mitgliedern des Aufsichtsorgans des geprüften Unternehmens und/oder Mitgliedern, die von der Gesellschafterversammlung oder Aktionärshauptversammlung des geprüften Unternehmens bzw. bei Unternehmen ohne Gesellschafter oder Aktionäre von einem gleichwertigen Organ bestellt werden, zusammen. Mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses muss über Sachverstand im Bereich Rechnungslegung und/oder Abschlussprüfung verfügen. Die Ausschussmitglieder zusammen müssen mit dem Sektor, in dem das geprüfte Unternehmen tätig ist, vertraut sein. Die Mehrheit der Mitglieder des Prüfungsausschusses ist von dem geprüften Unternehmen unabhängig. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses wird von den Ausschussmitgliedern oder dem Aufsichtsorgan des geprüften Unternehmens benannt und ist von dem geprüften Unternehmen unabhängig. Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses alljährlich von der Gesellschaftsversammlung oder Aktionärshauptversammlung des geprüften Unternehmens gewählt wird. (2) Abweichend von Absatz 1 können die Mitgliedstaaten beschließen, dass im Falle von Unternehmen von öffentlichem Interesse, die die Kriterien von Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben f und t der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates21 erfüllen, die dem Prüfungsausschuss übertragenen Aufgaben vom Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan als Ganzem wahrgenommen werden, wobei der Vorsitzende eines solchen Gremiums, sofern er ein geschäftsführendes Mitglied ist, nicht als Vorsitzender handelt, solange dieses Gremium die Aufgaben des Prüfungsausschusses wahrnimmt. Ist der Prüfungsausschuss im Einklang mit Absatz 1 Teil des Verwaltungsorgans oder des Aufsichtsorgans des geprüften Unternehmens, so können die Mitgliedstaaten zulassen oder verlangen, dass das Verwaltungsorgan bzw. das Aufsichtsorgan für die Zwecke der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie und der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 die Aufgaben des Prüfungsausschusses wahrnimmt. (3) Abweichend von Absatz 1 können die Mitgliedstaaten bestimmen, dass die folgenden Unternehmen von öffentlichem Interesse nicht verpflichtet sind, einen Prüfungsausschuss einzusetzen: a) Unternehmen von öffentlichem Interesse, die Tochterunternehmen im Sinne von Artikel 2 Nummer 10 der Richtlinie 2013/34/EU sind und die Anfor-

21 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 345 vom 31. 12. 2003, S. 64).

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derungen der Absätze 1, 2 und 5 des vorliegenden Artikels, des Artikels 11 Absätze 1 und 2 und des Artikels 16 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 537/ 2014 auf Konzernebene erfüllen; b) Unternehmen von öffentlichem Interesse, die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates22 oder alternative Investmentfonds (AIF) im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates23 sind; c) Unternehmen von öffentlichem Interesse, deren Tätigkeit ausschließlich darin besteht, als Emittent von durch Forderungen unterlegte Wertpapiere im Sinne von Artikel 2 Nummer 5 der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission24 aufzutreten; d) Kreditinstitute im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Nummer 1 der Richtlinie 2013/36/EU, deren Anteile in keinem Mitgliedstaat zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG zugelassen sind und die dauernd oder wiederholt ausschließlich Schuldtitel ausgegeben haben, die zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, vorausgesetzt der Gesamtnominalwert aller derartigen Schuldtitel liegt unter 100 000 000 EUR und sie haben keinen Prospekt gemäß der Richtlinie 2003/71/EG veröffentlicht. Die Unternehmen von öffentlichem Interesse nach Buchstabe c legen öffentlich die Gründe dar, weshalb sie es nicht für angebracht halten, einen Prüfungsausschuss einzurichten oder ihr Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan mit den Aufgaben eines Prüfungsausschusses zu betrauen. (4) Abweichend von Absatz 1 können die Mitgliedstaaten verlangen oder zulassen, dass ein Unternehmen von öffentlichem Interesse keinen Prüfungsausschuss einsetzt, sofern es über ein oder mehrere Gremien verfügt, die einem Prüfungsausschuss obliegende Aufgaben wahrnehmen, und die im Einklang

22 Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. L 302 vom 17. 11. 2009, S. 32). 23 Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010 (ABl. L 174 vom 1. 7. 2011, S. 1). 24 Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung (ABl. L 149 vom 30. 4. 2004, S. 1).

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mit den nationalen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das zu prüfende Unternehmen eingetragen ist, gebildet wurden und tätig sind. In einem solchen Fall gibt das Unternehmen an, welches Gremium diese Aufgaben wahrnimmt und wie es zusammengesetzt ist. (5) Sind alle Mitglieder des Prüfungsausschusses Mitglieder des Verwaltungsoder Aufsichtsorgans des geprüften Unternehmens, so kann der Mitgliedstaat vorsehen, dass der Prüfungsausschuss von den Unabhängigkeitsanforderungen nach Absatz 1 Unterabsatz 4 befreit wird. (6) Unbeschadet der Verantwortung der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungsoder Aufsichtsorgans oder anderer Mitglieder, die von der Gesellschafterversammlung oder Aktionärshauptversammlung des geprüften Unternehmens bestellt werden, besteht die Aufgabe des Prüfungsausschusses unter anderem darin, a) das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan des geprüften Unternehmens über das Ergebnis der Abschlussprüfung zu unterrichten und darzulegen, wie die Abschlussprüfung zur Integrität der Rechnungslegung beigetragen hat, und welche Rolle er in diesem Prozess gespielt hat; b) den Rechnungslegungsprozess zu beobachten und Empfehlungen oder Vorschläge zur Gewährleistung von dessen Integrität zu unterbreiten; c) die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems sowie gegebenenfalls der internen Revision des Unternehmens, die die Rechnungslegung des geprüften Unternehmens berühren, zu beobachten, ohne dass seine Unabhängigkeit verletzt wird; d) die Abschlussprüfung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses zu beobachten, insbesondere deren Leistung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse und Schlussfolgerungen der zuständigen Behörde nach Artikel 26 Absatz 6 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014; e) die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften gemäß den Artikeln 22, 22a, 22b, 24a und 24b dieser Richtlinie sowie Artikel 6 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 und insbesondere die Angemessenheit der für das geprüfte Unternehmen erbrachten Nichtprüfungsleistungen gemäß Artikel 5 jener Verordnung zu überprüfen und zu beobachten; f) das Verfahren für die Auswahl des (der) Abschlussprüfer(s) oder der Prüfungsgesellschaft(en) durchzuführen und zu empfehlen, dass (der) die Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft(en) gemäß Artikel 16 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 bestellt werden, es sei denn, Artikel 16 Absatz 8 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 findet Anwendung. Art. 40–43 aufgehoben. 1167

4.6

Abschlussprüfer-RL 2006/43

Kapitel XI − Internationale Aspekte Art. 44–47 Prüfer aus Drittstaaten und Zusammenarbeit mit Aufsicht in Drittstaaten — nicht abgedruckt.

Kapitel XII − Übergangs- und Schlussbestimmungen Art. 48–49 Unterstützender Ausschuss und Befugnisübertragung — nicht abgedruckt. Art. 50 Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG Die Richtlinie 84/253/EWG wird mit Wirkung vom 29. Juni 2006 aufgehoben. Bezugnahmen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Bezugnahmen auf diese Richtlinie. Art. 51 Übergangsbestimmung Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften, denen die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie 84/253/ EWG vor Inkrafttreten der in Artikel 53 Absatz 1 genannten Bestimmungen die Zulassung erteilt haben, gelten als gemäß dieser Richtlinie zugelassen. Art. 52 Mindestharmonisierung Die Mitgliedstaaten, die eine Abschlussprüfung vorschreiben, können, wenn in dieser Richtlinie nicht anders vorgeschrieben, strengere Anforderungen aufstellen. Art. 53–55 Umsetzungsfrist, Inkrafttreten und Adressaten — nicht abgedruckt.

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4.7 IFRS-VO 1606/2002

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95 Absatz 1, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 23./24. März 2000 in Lissabon wurde die Notwendigkeit einer schnelleren Vollendung des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen hervorgehoben, das Jahr 2005 als Frist für die Umsetzung des Aktionsplans der Kommission für Finanzdienstleistungen gesetzt und darauf gedrängt, dass Schritte unternommen werden, um die Vergleichbarkeit der Abschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen zu verbessern. (2) Um zu einer Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarkts beizutragen, müssen kapitalmarktorientierte Unternehmen dazu verpflichtet werden, bei der Aufstellung ihrer konsolidierten Abschlüsse ein einheitliches Regelwerk internationaler Rechnungslegungsstandards von hoher Qualität anzuwenden. Überdies ist es von großer Bedeutung, dass an den Finanzmärkten teilnehmende Unternehmen der Gemeinschaft Rechnungslegungsstandards anwenden, die international anerkannt sind und wirkliche Weltstandards darstellen. Dazu bedarf es einer zunehmenden Konvergenz der derzeitig international angewandten Rechnungslegungsstandards, mit dem Ziel, letztlich zu einem einheitlichen Regelwerk weltweiter Rechnungslegungsstandards zu gelangen. (3) Die Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen,4 die Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über den konsolidierten Abschluss,5 die Richtlinie 86/635/EWG des Rates vom 8. Dezember 1986 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten6 und die Richtlinie 91/674/EWG des Rates vom 19. Dezember 1991 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen7 richten sich auch an kapitalmarktorientierte Gesellschaften in der Gemeinschaft. Die in diesen Richtlinien niedergelegten Rechnungslegungsvorschriften können den hohen Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Rechnungslegung aller

* Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABl. 2002 L 243/1. 1 ABl. C 154 E vom 29. 5. 2001, S. 285. 2 ABl. C 260 vom 17. 9. 2001, S. 86. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 12. 3. 2002 (ABl. C 47 E vom 27. 2. 2003, S. 62) und Beschluss des Rates vom 7. Juni 2002. 4 Ersetzt durch die allgemeine Bilanz-RL (mit CSR), in dieser Sammlung Nr. 4.5. 5 Ersetzt durch die allgemeine Bilanz-RL (mit CSR), in dieser Sammlung Nr. 4.5. 6 ABl. L 372 vom 31. 12. 1986, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch Richtlinie 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates. 7 ABl. L 374 vom 31. 12. 1991, S. 7. https://doi.org/10.1515/9783110667776-050

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kapitalmarktorientierten Gesellschaften in der Gemeinschaft als unabdingbare Voraussetzung für den Aufbau eines integrierten Kapitalmarkts, der wirksam, reibungslos und effizient funktioniert, nicht gewährleisten. Daher ist es erforderlich, den für kapitalmarktorientierte Gesellschaften geltenden Rechtsrahmen zu ergänzen. Diese Verordnung zielt darauf ab, einen Beitrag zur effizienten und kostengünstigen Funktionsweise des Kapitalmarkts zu leisten. Der Schutz der Anleger und der Erhalt des Vertrauens in die Finanzmärkte sind auch ein wichtiger Aspekt der Vollendung des Binnenmarkts in diesem Bereich. Mit dieser Verordnung wird der freie Kapitalverkehr im Binnenmarkt gestärkt und ein Beitrag dazu geleistet, dass die Unternehmen in der Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, auf den gemeinschaftlichen Kapitalmärkten und auf den Weltkapitalmärkten unter gleichen Wettbewerbsbedingungen um Finanzmittel zu konkurrieren. Für die Wettbewerbsfähigkeit der gemeinschaftlichen Kapitalmärkte ist es von großer Bedeutung, dass eine Konvergenz der in Europa auf die Aufstellung von Abschlüssen angewendeten Normen mit internationalen Rechnungslegungsstandards erreicht wird, die weltweit für grenzübergreifende Geschäfte oder für die Zulassung an allen Börsen der Welt genutzt werden können. Am 13. Juni 2000 hat die Kommission ihre Mitteilung mit dem Titel „Rechnungslegungsstrategie der EU: Künftiges Vorgehen“ veröffentlicht, in der vorgeschlagen wird, dass alle kapitalmarktorientierten Gesellschaften in der Gemeinschaft ihre konsolidierten Abschlüsse spätestens ab dem Jahr 2005 nach einheitlichen Rechnungslegungsstandards, den „International Accounting Standards“ (IAS), aufstellen. Die „International Accounting Standards“ (IAS) werden vom „International Accounting Standards Committee“ (IASC) entwickelt, dessen Zweck darin besteht, ein einheitliches Regelwerk weltweiter Rechnungslegungsstandards aufzubauen. Im Anschluss an die Umstrukturierung des IASC hat der neue Board als eine seiner ersten Entscheidungen am 1. April 2001 das IASC in „International Accounting Standards Board“ (IASB) und die IAS mit Blick auf künftige internationale Rechnungslegungsstandards in „International Financial Reporting Standards“ (IFRS) umbenannt. Die Anwendung dieser Standards sollte, so weit wie irgend möglich und sofern sie einen hohen Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Rechnungslegung in der Gemeinschaft gewährleisten, für alle kapitalmarktorientierten Gesellschaften in der Gemeinschaft zur Pflicht gemacht werden. Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse8 erlassen werden; beim Erlass dieser Maßnahmen sollte die Erklärung zur Umsetzung der Rechtsvorschriften im Bereich der Finanzdienstleistungen, die die Kommission am 5. Februar 2002 vor dem Europäischen Parlament abgegeben hat, gebührend berücksichtigt werden. Die Übernahme eines internationalen Rechnungslegungsstandards zur Anwendung in der Gemeinschaft setzt voraus, dass er erstens die Grundanforderung der genannten Richtlinien des Rates erfüllt, d. h. dass seine Anwendung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens vermittelt — ein Prinzip, das im Lichte der genannten Richtlinien des Rates zu verstehen ist, ohne dass damit eine strenge Einhaltung jeder einzelnen Bestimmung dieser Richtlinien

8 ABl. L 184 vom 17. 7. 1999, S. 23.

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erforderlich wäre; zweitens, dass er gemäß den Schlussfolgerungen des Rates vom 17. Juli 2000 dem europäischen öffentlichen Interesse entspricht und drittens, dass er grundlegende Kriterien hinsichtlich der Informationsqualität erfüllt, die gegeben sein muss, damit die Abschlüsse für die Adressaten von Nutzen sind. Ein Technischer Ausschuss für Rechnungslegung wird die Kommission bei der Bewertung internationaler Rechnungslegungsstandards unterstützen und beraten. Der Anerkennungsmechanismus sollte sich der vorgeschlagenen internationalen Rechnungslegungsstandards unverzüglich annehmen und auch die Möglichkeit bieten, über internationale Rechnungslegungsstandards im Kreise der Hauptbetroffenen, insbesondere der nationalen standardsetzenden Gremien für Rechnungslegung, der Aufsichtsbehörden in den Bereichen Wertpapiere, Banken und Versicherungen, der Zentralbanken einschließlich der EZB, der mit der Rechnungslegung befassten Berufsstände sowie der Adressaten und der Aufsteller von Abschlüssen, zu beraten, nachzudenken und Informationen dazu auszutauschen. Der Mechanismus sollte ein Mittel sein, das gemeinsame Verständnis übernommener internationaler Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft zu fördern. Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip sind die in dieser Verordnung getroffenen Maßnahmen, welche die Anwendung eines einheitlichen Regelwerks von internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen für alle kapitalmarktorientierten Gesellschaften vorsehen, notwendig, um das Ziel einer wirksamen und kostengünstigen Funktionsweise der Kapitalmärkte der Gemeinschaft und damit die Vollendung des Binnenmarktes zu erreichen. Nach demselben Grundsatz ist es erforderlich, dass den Mitgliedstaaten im Hinblick auf Jahresabschlüsse die Wahl gelassen wird, kapitalmarktorientierten Gesellschaften die Aufstellung nach den internationalen Rechnungslegungsstandards, die nach dem Verfahren dieser Verordnung angenommen wurden, zu gestatten oder vorzuschreiben. Die Mitgliedstaaten können diese Möglichkeit bzw. diese Vorschrift auch auf die konsolidierten Abschlüsse und/oder Jahresabschlüsse anderer Gesellschaften ausdehnen. Damit ein Gedankenaustausch erleichtert wird und die Mitgliedstaaten ihre Standpunkte koordinieren können, sollte die Kommission den Regelungsausschuss für Rechnungslegung regelmäßig über laufende Vorhaben, Thesenpapiere, spezielle Recherchen und Exposure Drafts, die vom IASB veröffentlicht werden, sowie über die anschließenden fachlichen Arbeiten des Technischen Ausschusses unterrichten. Ferner ist es wichtig, dass der Regelungsausschuss für Rechnungslegung frühzeitig unterrichtet wird, wenn die Kommission die Übernahme eines internationalen Rechnungslegungsstandards nicht vorschlagen will. Bei der Erörterung der vom IASB im Rahmen der Entwicklung von internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS und SIC/ IFRIC) veröffentlichten Dokumente und Papiere und bei der Ausarbeitung diesbezüglicher Standpunkte sollte die Kommission der Notwendigkeit Rechnung tragen, Wettbewerbsnachteile für die auf dem Weltmarkt tätigen europäischen Unternehmen zu vermeiden; ferner sollte sie, so weit wie irgend möglich die von den Delegationen im Regelungsausschuss für Rechnungslegung zum Ausdruck gebrachten Ansichten berücksichtigen. Die Kommission wird in den Organen des IASB vertreten sein. Angemessene und strenge Durchsetzungsregelungen sind von zentraler Bedeutung, um das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte zu stärken. Die Mitgliedstaaten müssen aufgrund von Artikel 10 des Vertrags alle geeigneten Maßnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung internationaler Rechnungslegungsstandards treffen. Die Kommission beabsichtigt, sich mit den Mitgliedstaaten insbesondere über den Ausschuss der europäischen

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4.7

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Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) ins Benehmen zu setzen, um ein gemeinsames Konzept für die Durchsetzung zu entwickeln. (17) Ferner muss den Mitgliedstaaten gestattet werden, die Anwendung bestimmter Vorschriften bis 2007 zu verschieben, und zwar für alle Gemeinschaftsunternehmen, deren Wertpapiere sowohl in der Gemeinschaft als auch in einem Drittland zum Handel in einem geregelten Markt zugelassen sind und die ihren konsolidierten Abschlüssen bereits primär andere international anerkannte Rechnungslegungsgrundsätze zugrunde legen, sowie für Gesellschaften, von denen ausschließlich Schuldtitel zum Handel in einem geregelten Markt zugelassen sind. Es ist jedoch unverzichtbar, dass bis spätestens 2007 die IAS als einheitliches Regelwerk globaler internationaler Rechnungslegungsstandards für alle Gemeinschaftsunternehmen gelten, deren Wertpapiere zum Handel in einem geregelten Gemeinschaftsmarkt zugelassen sind. (18) Um den Mitgliedstaaten und Gesellschaften die zur Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards erforderlichen Anpassungen zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass bestimmte Vorschriften erst im Jahr 2005 Anwendung finden. Für die erstmalige Anwendung der IAS durch die Gesellschaften infolge des Inkrafttretens dieser Verordnung sollten geeignete Vorschriften erlassen werden. Diese Vorschriften sollten auf internationaler Ebene ausgearbeitet werden, damit die internationale Anerkennung der festgelegten Lösungen sichergestellt ist — HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Art. 1 Ziel Gegenstand dieser Verordnung ist die Übernahme und Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft, mit dem Ziel, die von Gesellschaften im Sinne des Artikels 4 vorgelegten Finanzinformationen zu harmonisieren, um einen hohen Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Abschlüsse und damit eine effiziente Funktionsweise des Kapitalmarkts in der Gemeinschaft und im Binnenmarkt sicherzustellen. Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Verordnung bezeichnen „internationale Rechnungslegungsstandards“ die „International Accounting Standards“ (IAS), die „International Financial Reporting Standards“ (IFRS) und damit verbundene Auslegungen (SIC/IFRIC-Interpretationen), spätere Änderungen dieser Standards und damit verbundene Auslegungen sowie künftige Standards und damit verbundene Auslegungen, die vom International Accounting Standards Board (IASB) herausgegeben oder angenommen wurden. Art. 3 Übernahme und Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards (1) Die Kommission beschließt über die Anwendbarkeit von internationalen Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 6 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. (2) Die internationalen Rechnungslegungsstandards können nur übernommen werden, wenn sie 1172

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4.7

— dem Prinzip des Artikels 2 Absatz 3 der Richtlinie 78/660/EWG und des Artikels 16 Absatz 3 der Richtlinie 83/349/EWG nicht zuwiderlaufen sowie dem europäischen öffentlichen Interesse entsprechen und — den Kriterien der Verständlichkeit, Erheblichkeit, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit genügen, die Finanzinformationen erfüllen müssen, um wirtschaftliche Entscheidungen und die Bewertung der Leistung einer Unternehmensleitung zu ermöglichen. (3) Bis zum 31. Dezember 2002 entscheidet die Kommission nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 2 über die Anwendbarkeit der bei Inkrafttreten dieser Verordnung vorliegenden internationalen Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft. (4) Übernommene internationale Rechnungslegungsstandards werden als Kommissionsverordnung vollständig in allen Amtssprachen der Gemeinschaft im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. Art. 4 Konsolidierte Abschlüsse von kapitalmarktorientierten Gesellschaften Für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. Januar 2005 beginnen, stellen Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen, ihre konsolidierten Abschlüsse nach den internationalen Rechnungslegungsstandards auf, die nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 2 übernommen wurden, wenn am jeweiligen Bilanzstichtag ihre Wertpapiere in einem beliebigen Mitgliedstaat zum Handel in einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 1 Absatz 13 der Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen9 zugelassen sind. Art. 5 Wahlrecht in Bezug auf Jahresabschlüsse und hinsichtlich nicht kapitalmarktorientierter Gesellschaften Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass a) Gesellschaften im Sinne des Artikels 4 ihre Jahresabschlüsse, b) Gesellschaften, die nicht solche im Sinne des Artikels 4 sind, ihre konsolidierten Abschlüsse und/oder ihre Jahresabschlüsse nach den internationalen Rechnungslegungsstandards aufstellen, die nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 2 angenommen wurden. Art. 6 Ausschussverfahren (1) Die Kommission wird durch einen Regelungsausschuss für Rechnungslegung (im Folgenden „Ausschuss“ genannt) unterstützt.

9 Ersetzt durch die Finanzmarkt-RL II, in dieser Sammlung Nr. 2.20.

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4.7

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(2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten Artikel 5a Absätze 1 bis und Artikel 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. Art. 7 Berichterstattung und Koordinierung (1) Die Kommission setzt sich mit dem Ausschuss regelmäßig über den Stand laufender Vorhaben des IASB und über die vom IASB veröffentlichten Dokumente ins Benehmen, um die Standpunkte zu koordinieren und um Erörterungen über die Übernahme von gegebenenfalls aus diesen Vorhaben und Dokumenten hervorgehenden Standards zu erleichtern. (2) Die Kommission erstattet dem Ausschuss gebührend und frühzeitig Bericht, wenn sie die Übernahme eines Standards nicht vorschlagen will. Art. 8 Mitteilungspflicht Ergreifen die Mitgliedstaaten Maßnahmen nach Artikel 5, so teilen sie diese der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten unverzüglich mit. Art. 9–10 Übergangsbestimmungen und Prüfpflicht der Kommission — nicht abgedruckt. Art. 11 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am dritten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft. Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

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4.8 Prospekt-VO 2017/1129

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 nach Anhörung des Ausschusses der Regionen, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Diese Verordnung ist ein wesentlicher Schritt zur Vollendung der Kapitalmarktunion im Sinne der Mitteilung der Kommission vom 30. September 2015 mit dem Titel „Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“. Ziel der Kapitalmarktunion ist es, Unternehmen den Zugang zu einer größeren Vielfalt an Finanzierungsquellen in der gesamten Europäischen Union (nachfolgend „Union“) zu erleichtern, ein effizienteres Funktionieren der Märkte zu ermöglichen und Anlegern sowie Sparern zusätzliche Ertragsmöglichkeiten zu bieten, um so das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern. (2) Mit der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates4 wurden harmonisierte Grundsätze und Vorschriften für den Prospekt festgelegt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu erstellen, zu billigen und zu veröffentlichen ist. Angesichts der Rechts- und Marktentwicklungen seit Inkrafttreten der Richtlinie sollte diese Richtlinie aufgehoben und durch diese Verordnung ersetzt werden. (3) Beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt ist die Offenlegung von Informationen für den Anlegerschutz von zentraler Bedeutung, da sie Informationsasymmetrien zwischen Anlegern und Emittenten beseitigt. Die Harmonisierung einer solchen Offenlegung ermöglicht die Einrichtung eines grenzüberschreitenden Pass-Mechanismus, der das wirksame Funktionieren des Binnenmarkts bei einem breiten Spektrum von Wertpapieren erleichtert.

* Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. 2017 L 168/12. 1 ABl. C 195 vom 2. 6. 2016, S. 1. 2 ABl. C 177 vom 18. 5. 2016, S. 9. 3 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 5. April 2017 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 16. Mai 2017. 4 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 345 vom 31. 12. 2003, S. 64). https://doi.org/10.1515/9783110667776-051

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(4) Divergierende Ansätze hätten eine Fragmentierung des Binnenmarkts zur Folge, da für Emittenten, Anbieter und die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Personen in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Regelungen gelten würden und in einem Mitgliedstaat gebilligte Prospekte in anderen Mitgliedstaaten möglicherweise nicht verwendet werden könnten. Ohne einen harmonisierten Rahmen, der die Einheitlichkeit der Offenlegung und das Funktionieren des Passes in der Union gewährleistet, ist es deshalb wahrscheinlich, dass durch Unterschiede im Recht der Mitgliedstaaten Hindernisse für das reibungslose Funktionieren des Wertpapierbinnenmarkts entstehen. Um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts sicherzustellen, die Voraussetzungen hierfür insbesondere in Bezug auf die Kapitalmärkte zu verbessern und einen hohen Verbraucher- und Anlegerschutz zu gewährleisten, ist es angemessen, einen Regelungsrahmen für Prospekte auf Unionsebene festzulegen. (5) Es ist angemessen und notwendig, die beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt geltenden Offenlegungsvorschriften in Form einer Verordnung festzulegen, damit sichergestellt ist, dass die Bestimmungen, die unmittelbare Pflichten für Personen beinhalten, die an öffentlichen Angeboten von Wertpapieren oder deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beteiligt sind, unionsweit einheitlich angewandt werden. Da ein Rechtsrahmen für Prospekte zwangsläufig Maßnahmen umfasst, die die genauen Anforderungen für sämtliche Aspekte von Prospekten regeln, könnten selbst geringe Unterschiede in dem bei einem jener Aspekte verfolgten Ansatz zu erheblichen Beeinträchtigungen bei grenzüberschreitenden Angeboten von Wertpapieren, bei Mehrfachnotierungen an geregelten Märkten und bei den Verbraucherschutzvorschriften der Union führen. Daher sollte durch den Einsatz einer Verordnung, die unmittelbar anwendbar ist, ohne dass nationales Recht erforderlich wäre, die Möglichkeit divergierender Maßnahmen auf nationaler Ebene verringert, ein kohärenter Ansatz sowie größere Rechtssicherheit sichergestellt und erhebliche Beeinträchtigungen verhindert werden. Der Einsatz einer Verordnung wird auch das Vertrauen in die Transparenz der Märkte unionsweit stärken und die Regulierungskomplexität sowie die Such- und Compliancekosten für die Unternehmen verringern. (6) Die Bewertung der Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates5 hat ergeben, dass bestimmte durch die genannte Richtlinie eingeführte Änderungen ihr ursprüngliches Ziel verfehlt haben und weitere Änderungen an der Prospektordnung der Union erforderlich sind, um deren Anwendung zu vereinfachen und zu verbessern, deren Effizienz zu erhöhen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Union zu steigern und so zum Abbau von Verwaltungslasten beizutragen. (7) Ziel dieser Verordnung ist es, Anlegerschutz und Markteffizienz sicherzustellen und gleichzeitig den Kapitalbinnenmarkt zu stärken. Die Bereitstellung der Informationen, die je nach Art des Emittenten und der Wertpapiere notwendig sind, damit die Anleger eine fundierte Anlageentscheidung treffen können, stellt zusammen mit den Wohlverhaltens-

5 Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind (ABl. L 327 vom 11. 12. 2010, S. 1.).

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regeln den Anlegerschutz sicher. Darüber hinaus sind diese Informationen ein wirksames Mittel, um das Vertrauen in Wertpapiere zu erhöhen und so zur reibungslosen Funktionsweise und zur Entwicklung der Wertpapiermärkte beizutragen. Die geeignete Form zur Bereitstellung jener Informationen ist die Veröffentlichung eines Prospekts. Die Offenlegungspflichten dieser Verordnung berühren nicht das Recht eines Mitgliedstaats, einer zuständigen Behörde oder einer Börse, mittels ihrer Börsenordnung, weitere besondere Anforderungen im Zusammenhang mit der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt, insbesondere in Bezug auf die Unternehmensführung, festzulegen. Diese Anforderungen sollten die Erstellung, den Inhalt und die Verbreitung des von einer zuständigen Behörde gebilligten Prospekts weder direkt noch indirekt einschränken. Nichtdividendenwerte, die von einem Mitgliedstaat oder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats, von internationalen Organismen öffentlich-rechtlicher Art, denen mindestens ein Mitgliedstaat angehört, von der Europäischen Zentralbank oder von den Zentralbanken der Mitgliedstaaten ausgegeben werden, sollten nicht von dieser Verordnung erfasst werden und daher von ihr unberührt bleiben. Um den Anlegerschutz sicherzustellen, sollte die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts sowohl für Dividendenwerte als auch für Nichtdividendenwerte gelten, die öffentlich angeboten oder zum Handel an geregelten Märkten zugelassen werden. Einige der unter diese Verordnung fallenden Wertpapiere berechtigen den Inhaber zum Erwerb von übertragbaren Wertpapieren oder zum Empfang eines Barbetrags im Rahmen eines Barausgleichs, der durch Bezugnahme auf andere Instrumente, nämlich übertragbare Wertpapiere, Währungen, Zinssätze oder Renditen, Rohstoffe oder andere Indizes oder Messzahlen festgesetzt wird. Diese Verordnung gilt insbesondere für Optionsscheine, gedeckte Optionsscheine, Zertifikate, Aktienzertifikate und Optionsanleihen, z. B. Wertpapiere, die nach Wahl des Anlegers umgewandelt werden können. Um die Billigung und grenzübergreifende Zulassung des Prospekts sowie die Überwachung der Einhaltung dieser Verordnung sicherzustellen, muss für jeden Prospekt eine zuständige Behörde benannt werden. Daher sollte in dieser Verordnung eindeutig festgelegt werden, welcher Herkunftsmitgliedstaat am besten in der Lage ist, den Prospekt zu billigen. Bei öffentlichen Angeboten von Wertpapieren mit einem Gesamtgegenwert in der Union von weniger als 1 000 000 EUR dürften die Kosten für die Erstellung eines Prospekts nach Maßgabe dieser Verordnung vermutlich in keinem Verhältnis zum angestrebten Emissionserlös stehen. Daher ist es angemessen, dass die Pflicht zur Erstellung eines Prospekts im Rahmen dieser Verordnung bei Angeboten von derart geringer Größenordnung nicht greift. Die Mitgliedstaaten sollten die Pflicht zur Erstellung eines Prospekts im Rahmen dieser Verordnung nicht auf öffentliche Angebote von Wertpapieren mit einem Gesamtgegenwert unter der genannten Schwelle ausdehnen. Die Mitgliedstaaten sollten jedoch in der Lage sein, auf nationaler Ebene andere Offenlegungspflichten vorzusehen, sofern diese Pflichten bei solchen Angeboten von Wertpapieren keine unverhältnismäßige oder unnötige Belastung darstellen. In Anbetracht der unterschiedlichen Größe der Finanzmärkte in der Union ist es zudem angemessen, dass die Mitgliedstaaten die Option haben, öffentliche Angebote von Wertpapieren mit einem Gesamtgegenwert von bis zu 8 000 000 EUR von der in dieser Verordnung vorgesehenen Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts auszunehmen. Insbesondere sollte es den Mitgliedstaaten freigestellt sein, unter Berücksichtigung des von ihnen für angemessen erachteten inländischen Anlegerschutzniveaus in ihrem nationalen Recht

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einen Schwellenwert für das Wirksamwerden dieser Ausnahme bezogen auf den Gesamtgegenwert des Angebots in der Union innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten zwischen 1 000 000 EUR und 8 000 000 EUR festzulegen. Allerdings sollten solche ausgenommenen öffentlichen Angebote von Wertpapieren nicht von der Pass-Regelung nach dieser Verordnung begünstigt werden. Die Mitgliedstaaten sollten jedoch in der Lage sein, für Angebote unterhalb dieses Schwellenwerts auf nationaler Ebene andere Offenlegungspflichten vorzusehen, sofern diese Pflichten bei solchen Angeboten von Wertpapieren keine unverhältnismäßige oder unnötige Belastung darstellen. Diese Verordnung sollte jene Mitgliedstaaten in keiner Weise daran hindern, auf nationaler Ebene Vorschriften einzuführen, die es den Betreibern von multilateralen Handelssystemen (multilateral trading facilities — MTF) ermöglichen, den Inhalt des Zulassungsdokuments, das ein Emittent bei der Erstzulassung seiner Wertpapiere zum Handel zu erstellen hat, oder die Modalitäten für dessen Überprüfung festzulegen. Die bloße Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem MTF oder die Veröffentlichung von Geld- und Briefkursen ist nicht per se als öffentliches Angebot von Wertpapieren zu betrachten und unterliegt daher nicht der Pflicht zur Erstellung eines Prospekts gemäß dieser Verordnung. Ein Prospekt sollte nur dann verlangt werden, wenn diese Tätigkeiten mit einer Mitteilung einhergehen, die ein „öffentliches Angebot von Wertpapieren“ gemäß dieser Verordnung darstellt, sollte ein Prospekt verlangt werden. Richtet sich ein Angebot von Wertpapieren ausschließlich an einen eingeschränkten Kreis von Anlegern, bei denen es sich nicht um qualifizierte Anleger handelt, stellt die Erstellung eines Prospekts angesichts der geringen Zahl von Personen, an die sich das Angebot richtet, eine unverhältnismäßige Belastung dar, sodass kein Prospekt vorgeschrieben werden sollte. Dies würde beispielsweise für Angebote gelten, die sich an eine begrenzte Anzahl von Angehörigen der Familie oder von persönlichen Bekannten der Geschäftsführer eines Unternehmens richten. Soweit dies in Bezug auf Übernahmeangebote, Zusammenschlüsse und andere Transaktionen, die die Eigentumsverhältnisse oder die Kontrolle von Unternehmen betreffen, erforderlich ist, sollte diese Verordnung in einer Weise ausgelegt werden, die mit der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates6 vereinbar ist. Anreize für Unternehmensleitung und Belegschaft, Wertpapiere des eigenen Unternehmens zu halten, können sich positiv auf die Unternehmensführung auswirken und langfristig zur Wertschöpfung beitragen, da sie das Engagement und die Eigenverantwortung der Arbeitnehmer fördern, für Interessenkongruenz zwischen Aktionären und Arbeitnehmern sorgen und Letzteren Anlagemöglichkeiten verschaffen. Eine Beteiligung der Arbeitnehmer am eigenen Unternehmen ist besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wichtig, in denen es wahrscheinlich ist, dass einzelne Arbeitnehmer eine wichtige Rolle für den Erfolg des Unternehmens spielen. Daher sollte bei Angeboten im Rahmen eines Belegschaftsaktienprogramms von Unternehmen in der Union keine Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts bestehen, sofern ein Dokument zur Verfügung gestellt wird, das Informationen über die Anzahl und Art der Wertpapiere enthält und in dem die Gründe und Einzelheiten des Angebots oder der Zuteilung dargelegt werden, damit der Anlegerschutz gewährleistet ist. Um unabhängig davon, ob der Arbeitgeber innerhalb oder

6 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (ABl. L 142 vom 30. 4. 2004, S. 12).

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außerhalb der Union ansässig ist, für die gesamte Unternehmensleitung und Belegschaft gleichberechtigten Zugang zu Belegschaftsaktienprogrammen zu gewährleisten, sollte kein Beschluss zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Drittlandsmärkten mehr erforderlich sein, sofern ein solches Informationsdokument zur Verfügung gestellt wird. Auf diese Weise werden alle Teilnehmer an Belegschaftsaktienprogrammen gleich gestellt und informiert. Emissionen mit Verwässerungseffekt von Aktien oder von Wertpapieren, die Zugang zu Aktien verschaffen, weisen oftmals auf Transaktionen mit erheblicher Auswirkung auf die Kapitalstruktur, die Aussichten und die Finanzlage des Emittenten hin, wofür die in einem Prospekt enthaltenen Informationen erforderlich sind. Sind die Aktien eines Emittenten hingegen bereits zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen, sollte für spätere Zulassungen von Aktien derselben Gattung am selben geregelten Markt kein Prospekt mehr verlangt werden, auch wenn diese Aktien aus der Umwandlung oder dem Eintausch anderer Wertpapiere oder aus der Ausübung der mit anderen Wertpapieren verbundenen Rechte resultieren, sofern die neu zugelassenen Aktien im Verhältnis zu den Aktien derselben Gattung, die bereits für denselben geregelten Markt zugelassen wurden, nur einen begrenzten Anteil ausmachen und eine solche Zulassung nicht mit einem in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallenden öffentlichen Angebot von Wertpapieren kombiniert wird. Derselbe Grundsatz sollte ganz allgemein für Wertpapiere gelten, die mit bereits zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren fungibel sind. Diese Verordnung berührt nicht die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die im Zusammenhang mit der Abwicklung von Kreditinstituten nach der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates,7 insbesondere Artikel 53 Absatz 2, Artikel 59 Absatz 2 und Artikel 63 Absätze 1 und 2, die Ausnahmen von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts enthalten, angenommen wurden. Ausnahmen von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts gemäß dieser Verordnung sollten für ein öffentliches Angebot von Wertpapieren und/oder eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt kombiniert werden können, wenn die Voraussetzungen für jene Ausnahmen gleichzeitig erfüllt sind. Wenn sich ein Angebot zum Beispiel gleichzeitig an qualifizierte Anleger, nicht qualifizierte Anleger, die sich verpflichten, jeweils mindestens 100 000 EUR zu investieren, die Beschäftigten des Emittenten und außerdem eine begrenzte Zahl nicht qualifizierter Anleger richtet, die die in dieser Verordnung festgelegte Zahl nicht überschreitet, sollte dieses Angebot von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts befreit werden. Zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Funktionsweise des Großkundenmarkts für Nichtdividendenwerte und zur Erhöhung der Liquidität am Markt ist eine gesonderte, vereinfachte Behandlung von Nichtdividendenwerten vorzusehen, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen und für qualifizierte Anleger konzipiert sind. Solch vereinfachte Behandlung sollte darin bestehen, dass weniger aufwändige Mindestinformations-

7 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/ EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/ EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 190).

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pflichten als für Nichtdividendenwerte, die Kleinanlegern angeboten werden, vorgesehen werden, keine Zusammenfassung in den Prospekt aufgenommen werden muss und eine flexiblere Sprachenregelung gilt. Die vereinfachte Behandlung sollte erstens für Nichtdividendenwerte, unabhängig von ihrer Stückelung, gelten, die ausschließlich an einem geregelten Markt oder in einem bestimmten Segment eines solchen gehandelt werden, zu dem ausschließlich qualifizierte Anleger zu Zwecken des Handels mit diesen Wertpapieren Zugang erhalten und zweitens für Nichtdividendenwerte mit einer Mindeststückelung von 100 000 EUR, die die höhere Investitionskapazität der Anleger widerspiegelt, an die sich der Prospekt richtet. An nicht qualifizierte Anleger sollten Nichtdividendenwerte, die ausschließlich an einem geregelten Markt oder in einem bestimmten Segment eines solchen gehandelt werden, zu dem ausschließlich qualifizierte Anleger zu Zwecken des Handels mit diesen Wertpapieren Zugang erhalten, nicht weiterverkauft werden dürfen, es sei denn, es wird ein Prospekt nach Maßgabe dieser Verordnung erstellt, der für nicht qualifizierte Anleger geeignet ist. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Marktbetreiber bei der Einrichtung eines solchen geregelten Markts oder eines bestimmten Segments eines solchen nicht qualifizierten Anlegern keinen direkten oder indirekten Zugang zu diesem geregelten Markt oder bestimmten Segment gewähren. Werden Wertpapiere zugeteilt, ohne dass auf Seiten des Empfängers die Möglichkeit einer individuellen Entscheidung gegeben ist, einschließlich bei Wertpapierzuteilungen ohne Recht auf Ablehnung der Zuteilung oder bei automatischer Zuteilung nach der Entscheidung eines Gerichts, wie etwa einer Wertpapierzuteilung an bestehende Gläubiger im Zuge eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens, so sollte eine solche Zuteilung nicht als öffentliches Angebot von Wertpapieren gelten. Emittenten, Anbietern oder Personen, die die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt beantragen, sollte — soweit sie nicht der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts unterliegen — der einheitliche Pass gewährt werden, wenn sie sich freiwillig für die Einhaltung dieser Verordnung entscheiden. Angesichts der Besonderheiten der verschiedenen Arten von Wertpapieren, Emittenten, Angeboten und Zulassungen enthält diese Verordnung Vorschriften für verschiedene Formen von Prospekten — einen Standardprospekt, einen Großkundenprospekt für Nichtdividendenwerte, einen Basisprospekt, einen vereinfachten Prospekt für Sekundäremissionen und einen EU-Wachstumsprospekt. Daher sind alle Bezugnahmen auf einen „Prospekt“ im Rahmen dieser Verordnung so zu verstehen, dass sie sich auf all jene Formen von Prospekten beziehen, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Für öffentliche Angebote von Wertpapieren, die sich ausschließlich an qualifizierte Anleger richten, sollte die mit einem Prospekt erfolgende Offenlegung nicht vorgeschrieben sein. Dagegen sollte bei der Weiterveräußerung an die Öffentlichkeit oder dem öffentlichen Handel im Wege der Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt die Veröffentlichung eines Prospekts erforderlich sein. Ein gültiger, vom Emittenten oder der für die Erstellung des Prospekts verantwortlichen Person erstellter Prospekt, der der Öffentlichkeit zum Zeitpunkt der endgültigen Platzierung der Wertpapiere über Finanzintermediäre oder bei jeder etwaigen späteren Weiterveräußerung der Wertpapiere zur Verfügung gestellt wird, enthält alle Informationen, die die Anleger für fundierte Anlageentscheidungen benötigen. Aus diesem Grund sollten Finanzintermediäre, die die Wertpapiere platzieren oder nachfolgend weiterveräußern, den ursprünglichen vom Emittenten oder von der für die Erstellung des Prospekts verantwortlichen Person veröffentlichten Prospekt so lange nutzen dürfen, wie er gültig und um angemessene Nachträge ergänzt ist und der Emittent oder die für die Erstellung verant-

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wortliche Person dieser Nutzung zustimmt. Der Emittent oder die für die Erstellung des Prospekts verantwortliche Person sollten eine solche Zustimmung an Bedingungen knüpfen dürfen. Die Zustimmung zur Nutzung des Prospekts sollte unter Angabe der Bedingungen, an die sie geknüpft ist, im Wege einer schriftlichen Vereinbarung erteilt werden, die es den Betroffenen ermöglicht zu bewerten, ob die Vereinbarung bei der Weiterveräußerung oder endgültigen Platzierung der Wertpapiere eingehalten wird. Wird die Zustimmung zur Nutzung des Prospekts erteilt, sollte der Emittent oder die für die Erstellung des ursprünglichen Prospekts verantwortliche Person für die in diesem Prospekt enthaltenen Angaben und, falls es sich um einen Basisprospekt handelt, für die Übermittlung und Hinterlegung der endgültigen Bedingungen haften und es sollte kein weiterer Prospekt verlangt werden. Sollten der Emittent oder die für die Erstellung des ursprünglichen Prospekts verantwortliche Person einer Nutzung jedoch nicht zustimmen, sollte der Finanzintermediär einen neuen Prospekt veröffentlichen müssen. In diesem Fall sollte der Finanzintermediär für die in dem Prospekt enthaltenen Informationen einschließlich sämtlicher mittels Verweis aufgenommener Informationen und, sofern es sich um einen Basisprospekt handelt, die endgültigen Bedingungen haften. Die Harmonisierung der im Prospekt enthaltenen Informationen sollte einen gleichwertigen Anlegerschutz auf Unionsebene sicherstellen. Damit die Anleger fundierte Anlageentscheidungen treffen können, sollten diese Informationen ausreichend und objektiv sein und in leicht zu analysierender, knapper und verständlicher Form verfasst und präsentiert werden. Die in einem Prospekt enthaltenen Informationen sollten an die Art des Prospekts, die Art und die Umstände des Emittenten, die Art der Wertpapiere und daran, ob es sich bei den Anlegern, an die sich das Angebot richtet, ausschließlich um qualifizierte Anleger handelt, angepasst werden. Ein Prospekt sollte keine Informationen enthalten, die nicht wesentlich oder für den Emittenten und die betreffenden Wertpapiere nicht spezifisch sind, da dies die für die Anlageentscheidung relevanten Informationen verschleiern und so den Anlegerschutz unterlaufen könnte. Die Zusammenfassung des Prospekts sollte eine nützliche Informationsquelle für Anleger, insbesondere für Kleinanleger, sein. Sie sollte ein eigenständiger Bestandteil des Prospekts sein und sich auf die Basisinformationen konzentrieren, die die Anleger benötigen, um entscheiden zu können, welche Angebote und Zulassungen von Wertpapieren sie eingehender prüfen wollen, indem sie den gesamten Prospekt überprüfen, um ihre Entscheidung zu treffen. Diese Basisinformationen sollten Aufschluss über die wesentlichen Merkmale und Risiken bezüglich des Emittenten, eines etwaigen Garantiegebers und der angebotenen oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Wertpapiere geben. Sie sollte auch die allgemeinen Bedingungen des Angebots enthalten. Bei der Darlegung der Risikofaktoren in der Zusammenfassung sollte eine begrenzte Auswahl spezifischer Risiken genannt werden, die nach Auffassung des Emittenten für die Anleger bei der Anlageentscheidung am relevantesten sind. Die Beschreibung der Risikofaktoren in der Zusammenfassung sollte für das spezielle Angebot relevant sein und ausschließlich zugunsten der Anleger ausgearbeitet werden, keine allgemeinen Angaben zum Anlagerisiko enthalten und die Haftung des Emittenten, des Anbieters oder einer in deren Namen handelnden Person nicht beschränken. Unter diesen Risikofaktoren sollten gegebenenfalls die Risiken, besonders für Kleinanleger, hervorgehoben werden, die bei Wertpapieren bestehen, die von Kreditinstituten ausgegeben werden und der Gläubigerbeteiligung („Bail-in“) nach der Richtlinie 2014/59/EU unterliegen. Die Prospektzusammenfassung sollte kurz, einfach und für die Anleger leicht verständlich sein. Sie sollte in einfacher, allgemeinverständlicher Sprache verfasst sein und die Infor-

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mationen auf leicht zugängliche Weise darbieten. Sie sollte keine bloße Zusammenstellung von Auszügen aus dem Prospekt sein. Es ist angemessen, die maximale Länge der Zusammenfassung zu begrenzen, um sicherzustellen, dass die Anleger nicht davon abgehalten werden, sie zu lesen, und um die Emittenten zu veranlassen, die für die Anleger wesentlichen Informationen auszuwählen. Unter bestimmten Bedingungen, die in dieser Verordnung festgelegt sind, sollte die maximale Länge der Zusammenfassung angehoben werden. Um sicherzustellen, dass die Prospektzusammenfassung stets einheitlich aufgebaut ist, sollten Abschnitte und Unterabschnitte mit Hinweisen zu den erwarteten Inhalten vorgegeben werden, die der Emittent mit kurzen, frei formulierten Beschreibungen und, sofern angemessen, Zahlenangaben füllen sollte. Solange die Informationen in fairer und ausgewogener Weise dargeboten werden, sollte es ins Ermessen der Emittenten gestellt bleiben, welche Informationen sie als wesentlich und aussagekräftig auswählen. Die Prospektzusammenfassung sollte soweit wie möglich dem Muster des nach der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates8 vorgeschriebenen Basisinformationsblatts folgen. Fallen Wertpapiere sowohl unter die vorliegende Verordnung als auch unter die Verordnung (EU) Nr. 1286/2014, würde eine vollständige Wiederverwendung des Inhalts des Basisinformationsblatts in der Zusammenfassung die Compliancekosten und die Verwaltungslasten für die Emittenten möglichst gering halten und diese Verordnung erleichtert daher eine solche Wiederverwendung. Die Pflicht zur Erstellung einer Zusammenfassung sollte jedoch auch dann gelten, wenn ein Basisinformationsblatt vorgeschrieben ist, da Letzteres die Basisinformationen über den Emittenten und das öffentliche Angebot oder die Zulassung der betreffenden Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt nicht enthält. Niemand sollte allein aufgrund der Zusammenfassung samt etwaiger Übersetzungen derselben haften, es sei denn, sie ist irreführend oder unrichtig oder steht im Widerspruch zu den einschlägigen Teilen des Prospekts oder vermittelt, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird, nicht die Basisinformationen, die in Bezug auf Anlagen in die betreffenden Wertpapiere für die Anleger eine Entscheidungshilfe darstellen würden. Die Zusammenfassung sollte diesbezüglich einen eindeutigen Warnhinweis enthalten. Emittenten, die sich wiederholt über die Kapitalmärkte finanzieren, sollten spezielle Aufmachungen für Registrierungsformulare und Prospekte sowie spezielle Verfahren für deren Hinterlegung und Billigung nutzen können, um ihnen mehr Flexibilität und die Nutzung von Marktfenstern zu ermöglichen. In jedem Fall sollten sich die Emittenten freiwillig und wahlweise für diese Aufmachungen und Verfahren entscheiden können. Bei allen Nichtdividendenwerten, einschließlich jener die dauernd oder wiederholt oder im Rahmen eines Angebotsprogramms begeben werden, sollte es den Emittenten gestattet sein, den Prospekt in Form eines Basisprospekts zu erstellen. Es sollte klargestellt werden, dass die endgültigen Bedingungen eines Basisprospekts nur die Informationen der Wertpapierbeschreibung enthalten sollten, die für die einzelne Emission spezifisch sind und erst zum Zeitpunkt der einzelnen Emission feststehen. Diese

8 Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP) (ABl. L 352 vom 9. 12. 2014, S. 1).

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Informationen können z. B. die internationale Wertpapier-Identifikationsnummer (international securities identification number — ISIN), den Ausgabepreis, das Fälligkeitsdatum, einen etwaigen Kupon, den Ausübungszeitpunkt, den Ausübungspreis, den Rücknahmepreis und andere Bedingungen umfassen, die zum Zeitpunkt der Erstellung des Basisprospekts noch nicht bekannt waren. Sind die endgültigen Bedingungen nicht im Basisprospekt enthalten, sollten sie nicht von der zuständigen Behörde gebilligt werden müssen, sondern sollten lediglich bei dieser hinterlegt werden. Sonstige neue Informationen, die die Beurteilung des Emittenten und der Wertpapiere beeinflussen können, sollten in einen Nachtrag zum Basisprospekt aufgenommen werden. Weder die endgültigen Bedingungen noch ein Nachtrag sollten dazu genutzt werden, eine Wertpapierart einzuführen, die nicht bereits im Basisprospekt beschrieben wurde. Im Rahmen eines Basisprospekts sollte vom Emittenten nur für jede einzelne Emission eine Zusammenfassung erstellt werden, um den Verwaltungsaufwand zu verringern und die Verständlichkeit für die Anleger zu verbessern. Diese emissionsspezifische Zusammenfassung sollte den endgültigen Bedingungen angefügt und von der zuständigen Behörde nur dann gebilligt werden, wenn die endgültigen Bedingungen im Basisprospekt oder in einem Nachtrag dazu enthalten sind. Um die Flexibilität und Kostenwirksamkeit des Basisprospekts zu erhöhen, sollte es dem Emittenten gestattet sein, einen Basisprospekt in Form von mehreren Einzeldokumenten zu erstellen. Daueremittenten sollten Anreize dafür erhalten, ihren Prospekt als in mehreren Einzeldokumenten zu erstellen, da dies ihre Kosten für die Befolgung dieser Verordnung senken und ihnen die rasche Nutzung von Marktfenstern gestatten kann. Daher sollten Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel an geregelten Märkten oder an MTF zugelassen sind, die Möglichkeit haben, jedoch nicht verpflichtet sein, in jedem Geschäftsjahr ein einheitliches Registrierungsformular zu erstellen und zu veröffentlichen, das Angaben zur Rechts-, Geschäfts-, Finanz-, Rechnungslegungs- und Beteiligungssituation sowie eine Beschreibung des Emittenten für das betreffende Geschäftsjahr enthält. Unter der Bedingung, dass ein Emittent die in dieser Verordnung festgelegten Kriterien erfüllt, sollte der Emittent ab dem Zeitpunkt, zu dem er das einheitliche Registrierungsformular bei der zuständigen Behörde zur Billigung hinterlegt, als Daueremittent gelten. Die Erstellung eines einheitlichen Registrierungsformulars sollte dem Emittenten ermöglichen, die Informationen auf dem neuesten Stand zu halten und, wenn die Marktbedingungen für ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt günstig werden, einen Prospekt zu erstellen, indem eine Wertpapierbeschreibung und eine Zusammenfassung hinzugefügt werden. Das einheitliche Registrierungsformular sollte insofern multifunktional sein, als sein Inhalt stets gleich sein sollte, unabhängig davon, ob es vom Emittenten später für ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder für die Zulassung von Dividendenwerten oder Nichtdividendenwerten zum Handel an einem geregelten Markt verwendet wird. Daher sollten die Offenlegungsstandards für das einheitliche Registrierungsformular auf den Offenlegungsstandards für Dividendenwerte beruhen. Das einheitliche Registrierungsformular sollte als Referenzquelle für Informationen über den Emittenten dienen und Anlegern wie Analysten die Informationen liefern, die sie mindestens benötigen, um die Tätigkeit, die Finanzlage, die Gewinne und Gewinnaussichten sowie die Unternehmensführung und die Beteiligungsverhältnisse des Unternehmens fundiert beurteilen zu können. Wenn ein Emittent zwei Jahre in Folge ein einheitliches Registrierungsformular hinterlegt und gebilligt bekommen hat, kann er als der zuständigen Behörde bekannt angesehen

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werden. Daher sollte gestattet werden, dass alle weiteren einheitlichen Registrierungsformulare und etwaige Änderungen daran ohne Pflicht zur vorherigen Billigung hinterlegt und von der zuständigen Behörde nachträglich überprüft werden können, wenn diese es für erforderlich hält. Über die Häufigkeit solcher Überprüfungen sollte jede zuständige Behörde selbst entscheiden, wobei sie beispielsweise die Risiken des Emittenten, die Qualität seiner früheren Offenlegungen oder auch die Zeit berücksichtigen sollte, die seit der letzten Überprüfung eines hinterlegten einheitlichen Registrierungsformulars verstrichen ist. Solange ein einheitliches Registrierungsformular noch nicht Bestandteil eines gebilligten Prospekts geworden ist, sollte es entweder auf freiwilliger Basis durch den Emittenten — beispielsweise wenn sich die Organisation oder die Finanzlage des Emittenten wesentlich verändert haben — oder auf Verlangen der zuständigen Behörde geändert werden können, wenn deren Überprüfung im Anschluss an die Hinterlegung ergeben hat, dass die Standards der Vollständigkeit, Verständlichkeit und Kohärenz nicht erfüllt sind. Solche Änderungen sollten nach denselben Modalitäten veröffentlicht werden wie das einheitliche Registrierungsformular. Insbesondere wenn die zuständige Behörde eine wesentliche Nichtaufnahme, eine wesentliche Unrichtigkeit oder eine wesentliche Ungenauigkeit feststellt, sollte der Emittent sein einheitliches Registrierungsformular ändern und jene Änderung unverzüglich veröffentlichen. Da weder ein öffentliches Angebot noch eine Zulassung von Wertpapieren zum Handel stattfindet, sollte für die Änderung eines einheitlichen Registrierungsformulars ein anderes Verfahren gelten als das Verfahren für einen Nachtrag zu einem Prospekt, das erst nach der Billigung des Prospekts zur Anwendung kommen sollte. Erstellt ein Emittent einen aus mehreren Einzeldokumenten bestehenden Prospekt, sollten alle Bestandteile des Prospekts billigungspflichtig sein, gegebenenfalls einschließlich des einheitlichen Registrierungsformulars und etwaiger Änderungen daran, sofern sie bereits bei der zuständigen Behörde hinterlegt, aber noch nicht gebilligt wurden. Änderungen an dem einheitlichen Registrierungsformular sollten zum Zeitpunkt der Hinterlegung nicht der Billigung durch die zuständige Behörde unterliegen sondern nur gebilligt werden, wenn alle Bestandteile des Prospekts zur Billigung eingereicht werden. Um den Prozess der Prospekterstellung zu beschleunigen und den Zugang zu den Kapitalmärkten auf kosteneffiziente Weise zu erleichtern, sollte für Daueremittenten, die ein einheitliches Registrierungsformular erstellen, ein beschleunigtes Billigungsverfahren eingerichtet werden, da der Hauptbestandteil des Prospekts entweder bereits gebilligt wurde oder bereits für die Überprüfung durch die zuständige Behörde zur Verfügung steht. Die für den Erhalt einer Billigung des Prospekts erforderliche Zeit sollte daher verkürzt werden, wenn das Registrierungsformular in Form eines einheitlichen Registrierungsformulars erstellt wird. Daueremittenten sollte es gestattet sein, ein einheitliches Registrierungsformular und etwaige Änderungen daran als Bestandteil eines Basisprospekts zu verwenden. Wenn ein Daueremittent zur Erstellung eines EU-Wachstumsprospekts, eines vereinfachten Prospekts auf der Grundlage der vereinfachten Offenlegungsregelungen für Sekundäremissionen oder eines Großkundenprospekts für Nichtdividendenwerte berechtigt ist, sollte ihm gestattet werden, anstelle des speziellen Registrierungsformulars, das gemäß diesen Offenlegungsregelungen vorgeschrieben ist, sein einheitliches Registrierungsformular und etwaige Änderungen daran als Bestandteil solcher Prospekte zu verwenden. Hält ein Emittent die Verfahren für die Hinterlegung, Verbreitung und Speicherung vorgeschriebener Informationen und die in den Artikeln 4 und 5 der Richtlinie 2004/109/EG

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des Europäischen Parlaments und des Rates9 genannten Fristen ein, sollte es ihm gestattet sein, die durch die Richtlinie 2004/109/EG vorgeschriebenen Jahres- und Halbjahresfinanzberichte als Bestandteile des einheitlichen Registrierungsformulars zu veröffentlichen, es sei denn, der Herkunftsmitgliedstaat des Emittenten für die Zwecke dieser Verordnung ist nicht mit dem Herkunftsmitgliedstaat des Emittenten für die Zwecke der Richtlinie 2004/109/EG identisch und die Sprache des einheitlichen Registrierungsformulars erfüllt nicht die Bedingungen des Artikels 20 der Richtlinie 2004/109/EG. Dies dürfte die mit Mehrfachhinterlegungen verbundene Verwaltungslast verringern, ohne die für die Öffentlichkeit verfügbaren Informationen oder die Überwachung jener Berichte im Rahmen der Richtlinie 2004/109/EG zu beeinträchtigen. (46) Die Gültigkeitsdauer eines Prospekts sollte klar begrenzt werden, damit Anlageentscheidungen nicht aufgrund veralteter Informationen getroffen werden. Zur Erhöhung der Rechtssicherheit sollte die Gültigkeitsdauer des Prospekts mit seiner Billigung beginnen, was ein von der zuständigen Behörde leicht nachzuprüfender Zeitpunkt ist. Ein öffentliches Angebot von Wertpapieren im Rahmen eines Basisprospekts sollte nur dann länger gültig bleiben können als der Basisprospekt, wenn vor Ablauf der Gültigkeit für das weiterhin bestehende Angebot ein Nachfolge-Basisprospekt gebilligt und veröffentlicht wird. (47) In einem Prospekt enthaltene Informationen zur Besteuerung der Erträge aus den Wertpapieren können naturgemäß nur allgemeiner Art sein und sind für den einzelnen Anleger von geringem zusätzlichem Informationswert. Da sich diese Informationen bei der grenzüberschreitenden Zulassung von Prospekten nicht nur auf das Land beziehen müssen, in dem der Emittent seinen Sitz unterhält, sondern auch auf die Länder, in denen das Angebot erfolgt oder die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt angestrebt wird, sind sie kostspielig und könnten ein Hemmnis für grenzüberschreitende Angebote darstellen. Daher sollte ein Prospekt lediglich einen Warnhinweis enthalten, dass sich das Steuerrecht des Mitgliedstaats des Anlegers und des Gründungsmitgliedstaats des Emittenten auf die Erträge aus den Wertpapieren auswirken könnten. Zieht die angebotene Anlage jedoch eine besondere Steuerregelung nach sich, beispielsweise bei der Anlage in Wertpapieren, die für den Anleger mit Steuervorteilen verbunden sind, sollte der Prospekt nach wie vor angemessene Informationen zur Besteuerung enthalten. (48) Sobald eine Wertpapiergattung zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen wurde, haben die Anleger Zugang zur laufenden Offenlegung des Emittenten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates10 und der Richtlinie 2004/109/EG. Bei nachfolgenden öffentlichen Angeboten oder Zulassungen zum Handel an einem geregelten Markt durch einen solchen Emittenten ist der Bedarf an einem vollständigen Prospekt daher weniger akut. Deshalb sollte für die Nutzung bei Sekundäremissionen ein andersartiger, vereinfachter Prospekt zur Verfügung stehen, für

9 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38). 10 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 1).

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den im Vergleich zur üblichen Regelung inhaltliche Erleichterungen unter Berücksichtigung der bereits offengelegten Informationen vorgesehen sein sollten. Gleichwohl müssen den Anlegern konsolidierte und gut strukturierte Informationen zur Verfügung gestellt werden, insbesondere wenn diese Informationen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 und der Richtlinie 2004/109/EG nicht laufend offengelegt werden müssen. (49) Die vereinfachten Offenlegungsregelungen für Sekundäremissionen sollten für öffentliche Angebote von Emittenten zur Verfügung stehen, deren Wertpapiere an KMU-Wachstumsmärkten gehandelt werden, da deren Betreiber nach der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates11 verpflichtet sind, Vorschriften festzulegen und anzuwenden, die eine angemessene laufende Offenlegung sicherstellen. (50) Die vereinfachten Offenlegungsregelungen für Sekundäremissionen sollten erst dann angewandt werden dürfen, wenn seit der Erstzulassung einer Wertpapiergattung eines Emittenten zum Handel an einem geregelten Markt oder an einem KMU-Wachstumsmarkt eine bestimmte Mindestdauer verstrichen ist. Eine Zeitspanne von 18 Monaten sollte sicherstellen, dass der Emittent seine Pflicht zur Veröffentlichung eines Jahresfinanzberichts nach der Richtlinie 2004/109/EG oder nach den Vorschriften des Betreibers eines KMU-Wachstumsmarkts mindestens schon einmal erfüllt hat. (51) Eines der Kernziele der Kapitalmarktunion besteht darin, KMU die Finanzierung über die Kapitalmärkte in der Union zu erleichtern. Ferner ist es angemessen, die Definition von KMU auf KMU im Sinne der Richtlinie 2014/65/EU zu erweitern, um Übereinstimmung zwischen dieser Verordnung und der Richtlinie 2014/65/EU zu gewährleisten. Da KMU im Vergleich zu anderen Emittenten üblicherweise geringere Beträge aufbringen müssen, könnten die Kosten für die Erstellung eines Standardprospekts unverhältnismäßig hoch sein und sie davon abhalten, ihre Wertpapiere öffentlich anzubieten. Zugleich könnten KMU aufgrund ihrer Größe und ihrer möglicherweise kürzeren Existenzdauer im Vergleich zu größeren Emittenten ein spezielles Anlagerisiko beinhalten und sollten ausreichende Informationen offenlegen, damit Anleger ihre Anlageentscheidung treffen können. Um die Inanspruchnahme von Kapitalmarktfinanzierung durch KMU zu unterstützen, sollte mit dieser Verordnung zudem sichergestellt werden, dass KMU-Wachstumsmärkte, die ein vielversprechendes Instrument dafür sind, kleineren, wachsenden Unternehmen die Beschaffung von Kapital zu ermöglichen, besonders berücksichtigt werden. Der Erfolg solcher Handelsplätze hängt jedoch von ihrer Fähigkeit zur Deckung des Finanzierungsbedarfs von wachsenden KMU ab. Ebenso würde bestimmten Unternehmen, die Wertpapiere im Gesamtgegenwert in der Union von bis zu 20 000 000 EUR öffentlich anbieten, ein erleichterter Zugang zu Finanzierungen an den Kapitalmärkten gewährt, damit sie wachsen können, und sie sollten sich zu nicht unverhältnismäßigen Kosten Kapital beschaffen können. Daher sollte mit dieser Verordnung eine spezielle verhältnismäßige Regelung für den EU-Wachstumsprospekt festgelegt werden, die derartigen Unternehmen offensteht. Bei der Kalibrierung des Inhalts eines EU-Wachstumsprospekts sollte das richtige Gleichgewicht zwischen einem kosteneffizienten Zugang zu den Finanzmärkten und dem Anlegerschutz hergestellt werden. Einem EU-Wachstumsprospekt sollte wie bei anderen Arten von Prospekten im Rahmen dieser Verordnung nach seiner Billigung die

11 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 349).

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Pass-Regelung gemäß dieser Verordnung gewährt werden und er sollte damit für jedes unionsweite öffentliche Angebot von Wertpapieren gültig sein. Die verkürzten Informationen, die KMU in den EU-Wachstumsprospekten mindestens offenlegen müssen, sollten so kalibriert werden, dass der Schwerpunkt auf den Angaben liegt, die für Anlagen in die angebotenen Wertpapiere wesentlich und relevant sind, und auf der Notwendigkeit, sicherzustellen, dass die Größe des Unternehmens und sein Finanzierungsbedarf auf der einen Seite und die Kosten für die Erstellung eines Prospekts auf der anderen Seite zueinander in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die verhältnismäßige Offenlegungsregelung für EU-Wachstumsprospekte sollte nicht zur Verfügung stehen, wenn die Wertpapiere eines Unternehmens bereits zum Handel an geregelten Märkten zugelassen sind, damit Anleger an geregelten Märkten darauf vertrauen, dass alle Emittenten, in deren Wertpapiere sie investieren, einheitlichen Offenlegungsvorschriften unterliegen. An den geregelten Märkten sollte es daher keinen zweistufigen Offenlegungsstandard geben, der von der Größe des Emittenten abhängt. Risikofaktoren werden in einen Prospekt vor allem mit dem Ziel aufgenommen, sicherzustellen, dass die Anleger eine fundierte Bewertung dieser Risiken vornehmen und somit Anlageentscheidungen in voller Kenntnis der Sachlage treffen. Die Risikofaktoren sollten daher auf jene beschränkt werden, die wesentlich und für den Emittenten sowie die Wertpapiere spezifisch sind und die durch den Inhalt des Prospekts bestätigt werden. Ein Prospekt sollte keine Risikofaktoren enthalten, die allgemeiner Natur sind und nur dem Haftungsausschluss dienen, denn jene könnten spezifischere Risikofaktoren, die die Anleger kennen sollten, verschleiern und so verhindern, dass der Prospekt die Informationen in leicht zu analysierender, knapper und verständlicher Form präsentiert. Unter anderem können umwelt- und sozialpolitische Umstände sowie Faktoren in Bezug auf die Unternehmensführung ebenfalls spezifische und wesentliche Risiken für den Emittenten und seine Wertpapiere darstellen und sollten in diesem Fall offengelegt werden. Damit die Anleger die wesentlichsten Risiken erkennen können, sollte der Emittent jeden Risikofaktor im Prospekt angemessen beschreiben und darlegen. Eine begrenzte Zahl von Risikofaktoren, die vom Emittenten ausgewählt werden, sollte in die Zusammenfassung aufgenommen werden. Die Marktpraxis, wonach ein gebilligter Prospekt nicht den endgültigen Emissionskurs und/oder das endgültige Emissionsvolumen, die Gegenstand des öffentlichen Angebots sind, entweder als Anzahl der Wertpapiere oder als aggregierter Nominalbetrag enthält, sollte akzeptabel sein, wenn dieser endgültige Emissionskurs und/oder dieses endgültige Emissionsvolumen nicht im Prospekt genannt werden können, sofern Anleger in diesem Fall geschützt werden. Die Anleger sollten entweder ein Widerrufsrecht haben, sobald der endgültige Emissionskurs oder das endgültige Emissionsvolumen bekannt sind, oder ersatzweise sollten im Prospekt der Höchstkurs, den Anleger möglicherweise für die Wertpapiere zahlen müssen, oder das Höchstvolumen an Wertpapieren oder die Bewertungsmethoden und -kriterien und/oder Bedingungen, nach denen der Emissionskurs festzulegen ist, und eine Erläuterung etwaiger Bewertungsmethoden, wie die Diskontierungsmethode, eine Peer-Group-Analyse oder jede andere allgemein anerkannte Bewertungsmethode, offengelegt werden. Die Bewertungsmethoden und -kriterien sollten genau genug sein, um den Kurs vorhersehbar zu machen und ein Maß an Anlegerschutz zu gewährleisten, das mit der Offenlegung des Emissionshöchstkurses vergleichbar ist. In diesem Zusammenhang würde eine bloße Bezugnahme auf das Orderbuchverfahren als Bewertungsmethode oder -kriterium nicht akzeptiert werden, wenn im Prospekt kein Höchstkurs genannt wird.

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(56) Unter bestimmten Umständen sollte die Nichtaufnahme sensibler Informationen in einen Prospekt oder in Bestandteilen hiervon von der zuständigen Behörde durch Gewährung einer Ausnahme gestattet werden können, um nachteilige Situationen für einen Emittenten zu vermeiden. (57) Die Mitgliedstaaten veröffentlichen eine Fülle von Informationen über ihre Finanzlage, die im Allgemeinen öffentlich zugänglich sind. Wird ein Angebot von Wertpapieren von einem Mitgliedstaat garantiert, sollten derartige Informationen daher nicht in den Prospekt aufgenommen werden müssen. (58) Dass Emittenten Informationen in einen Prospekt aufnehmen können, indem sie auf Dokumente verweisen, die die geforderten Informationen enthalten — unter der Voraussetzung, dass diese Dokumente elektronisch veröffentlicht wurden —, sollte die Erstellung eines Prospekts erleichtern und die Kosten für die Emittenten senken, ohne dass dadurch der Anlegerschutz beeinträchtigt wird. Allerdings sollte das Ziel, die Erstellung eines Prospekts zu vereinfachen und zu verbilligen, nicht zulasten anderer Interessen verwirklicht werden, die mit dem Prospekt geschützt werden sollen, wie insbesondere die Zugänglichkeit der Informationen. Die Sprache der mittels Verweis aufgenommenen Informationen sollte der für Prospekte geltenden Sprachenregelung entsprechen. Die mittels Verweis aufgenommenen Informationen sollten sich auf historische Daten beziehen. Wenn jene Informationen jedoch aufgrund wesentlicher Veränderungen nicht mehr relevant sind, sollte dies im Prospekt klar zum Ausdruck gebracht und sollten die aktualisierten Informationen ebenfalls zur Verfügung gestellt werden. (59) Vorgeschriebene Informationen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe k der Richtlinie 2004/109/EG sollten mittels Verweis in einen Prospekt aufgenommen werden können. Emittenten, deren Wertpapiere an einem MTF gehandelt werden, und Emittenten, die von der Veröffentlichung von Jahres- und Halbjahresfinanzberichten gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2004/109/EG befreit sind, sollten ebenfalls die Möglichkeit haben, jährlich und unterjährig vorzulegende Finanzinformationen, Prüfungsberichte, Abschlüsse, Lageberichte oder Erklärungen zur Unternehmensführung ganz oder teilweise mittels Verweis in den Prospekt aufzunehmen, sofern jene Dokumente elektronisch veröffentlicht wurden. (60) Aufgrund der unterschiedlichen Ansätze der zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten haben nicht alle Emittenten Zugang zu angemessenen Informationen und Hinweisen zum Prüfungs- und Billigungsverfahren sowie zur notwendigen Vorgehensweise, um die Billigung eines Prospekts zu erwirken. Diese Verordnung sollte diese Unterschiede beseitigen, indem die Kriterien für die Prüfung des Prospekts und die für die Billigungsverfahren der zuständigen Behörden geltenden Regeln gestrafft und damit harmonisiert werden. Es ist wichtig sicherzustellen, dass alle zuständigen Behörden einen konvergenten Ansatz verfolgen, wenn sie die Vollständigkeit, Kohärenz und Verständlichkeit der in einem Prospekt enthaltenen Informationen prüfen, wobei sie der Notwendigkeit eines verhältnismäßigen Ansatzes bei der Prüfung von Prospekten auf der Grundlage der Umstände des Emittenten und der Emission Rechnung tragen. Hinweise, wie die Billigung eines Prospekts zu beantragen ist, sollten auf den Websites der zuständigen Behörden öffentlich zugänglich sein. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority — ESMA) sollte durch Ausübung ihrer Befugnisse im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates12 bei

12 Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier-

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(64)

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der Förderung der Aufsichtskonvergenz in jenem Bereich eine maßgebliche Rolle spielen. Insbesondere sollte die ESMA mit angemessenem Vorlauf zur Überprüfung dieser Verordnung und im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 mittels Peer-Reviews begutachten, wie die zuständigen Behörden im Rahmen dieser Verordnung vorgehen. Um den Zugang zu den Märkten der Mitgliedstaaten zu erleichtern, ist es wichtig, dass die Gebühren, die die zuständigen Behörden für die Billigung und Hinterlegung von Prospekten und den dazugehörigen Dokumenten erheben, angemessen und verhältnismäßig sind und öffentlich bekannt gemacht werden. Da das Internet einen leichten Zugang zu Informationen gewährleistet und um eine bessere Zugänglichkeit für die Anleger sicherzustellen, sollte der gebilligte Prospekt stets in elektronischer Form veröffentlicht werden. Der Prospekt sollte in einer speziellen Rubrik auf der Website des Emittenten, des Anbieters oder der Person, die die Zulassung zum Handel auf einem geregelten Markt beantragt, oder — sofern anwendbar — auf der Website der die Wertpapiere platzierenden oder verkaufenden Finanzintermediäre, einschließlich Zahlstellen, oder auf der Website des geregelten Markts, für den die Zulassung zum Handel beantragt wird, oder auf der Website des Betreibers des MTF veröffentlicht werden. Alle gebilligten Prospekte oder alternativ eine Liste der Prospekte mit Hyperlinks zu den relevanten spezifischen Rubriken der Website sollten auf der Website der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats des Emittenten veröffentlicht werden, und jeder Prospekt sollte von der zuständigen Behörde zusammen mit den relevanten Daten, die seine Klassifizierung ermöglichen, der ESMA übermittelt werden. Die ESMA sollte einen Mechanismus für die zentrale Speicherung von Prospekten bereitstellen, der der Öffentlichkeit kostenfreien Zugang und angemessene Suchfunktionen bietet. Um sicherzustellen, dass Anleger Zugang zu verlässlichen Daten haben, die zügig und effizient genutzt und analysiert werden können, sollten bestimmte in den Prospekten enthaltene Informationen, z. B. die ISINs als Kennung für die Wertpapiere und die Rechtsträgerkennung (legal entity identifiers — LEI) als Kennung für die Emittenten, die Anbieter und die Garantiegeber, maschinenlesbar sein, auch wenn Metadaten verwendet werden. Prospekte sollten ab ihrer Veröffentlichung mindestens zehn Jahre lang für die Öffentlichkeit verfügbar bleiben, um sicherzustellen, dass die Dauer ihrer öffentlichen Verfügbarkeit mit jener der Jahres- und Halbjahresfinanzberichte gemäß der Richtlinie 2004/109/EG übereinstimmt. Die Prospekte sollten den Anlegern auf Anfrage stets auf einem dauerhaften Datenträger kostenlos zur Verfügung stehen. Ein potenzieller Anleger sollte auf ausdrückliche Anforderung einer Papierversion eine gedruckte Fassung des Prospekts erhalten können. Der Emittent, der Anbieter, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person oder der Finanzintermediär müssen aber keine gedruckten Fassungen des Prospekts vorrätig haben, um solchen potenziellen Nachfragen nachkommen zu können. Damit das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht untergraben und der ordnungsgemäße Betrieb der Finanzmärkte nicht beeinträchtigt wird, sollte auch die Werbung harmonisiert werden. Die Fairness und Wahrheitstreue von Werbung sowie deren inhaltliche Übereinstimmung mit dem Prospekt sind von größter Bedeutung für den Schutz von Anlegern,

und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 84).

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insbesondere auch von Kleinanlegern. Unbeschadet der in dieser Verordnung vorgesehenen Pass-Regelung ist die Überwachung derartiger Werbung untrennbarer Bestandteil der Aufgaben der zuständigen Behörden. Die Anforderungen dieser Verordnung an die Werbung sollten unbeschadet der anderen geltenden Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere im Hinblick auf den Verbraucherschutz und unlautere Geschäftspraktiken, gelten. (65) Jeder wichtige neue Umstand und jede wesentliche Unrichtigkeit oder jede wesentliche Ungenauigkeit, die die Bewertung der Anlage beeinflussen könnten und nach der Veröffentlichung des Prospekts, aber vor dem Schluss des öffentlichen Angebots oder der Aufnahme des Handels an einem geregelten Markt auftreten, sollten von den Anlegern angemessen bewertet werden können und erfordern deshalb unverzüglich die Billigung und Verbreitung eines Nachtrags zum Prospekt. (66) Um die Rechtssicherheit zu erhöhen, sollte festgelegt werden, innerhalb welcher Frist ein Emittent einen Nachtrag zum Prospekt veröffentlichen muss und innerhalb welcher Frist die Anleger nach der Veröffentlichung eines Nachtrags das Recht haben, ihre Zusage zum Angebot zu widerrufen. Einerseits sollte die Pflicht zur Erstellung eines Prospektnachtrags bei Auftreten des wichtigen neuen Umstands, der wesentlichen Unrichtigkeit oder der wesentlichen Ungenauigkeit vor dem Auslaufen der Angebotsfrist bzw. vor Beginn des Handels der betreffenden Wertpapiere an einem geregelten Markt gelten, je nachdem, welcher Zeitpunkt später eintritt. Andererseits sollte das Recht, eine Zusage zu widerrufen, nur gelten, wenn sich der Prospekt auf ein öffentliches Angebot von Wertpapieren bezieht und der wichtige neue Umstand, die wesentliche Unrichtigkeit oder wesentliche Ungenauigkeit vor dem Auslaufen der Angebotsfrist und der Lieferung der Wertpapiere eingetreten ist oder festgestellt wurde. Das Widerrufsrecht sollte somit an die zeitliche Einordnung des wichtigen neuen Umstands, der wesentlichen Unrichtigkeit oder der wesentlichen Ungenauigkeit gekoppelt sein, durch den bzw. die ein Nachtrag erforderlich wird, und sollte gelten, wenn dieses auslösende Ereignis eintritt, solange das Angebot noch gültig und die Lieferung der Wertpapiere noch nicht erfolgt ist. Das Widerrufsrecht, das Anlegern infolge eines wichtigen neuen Umstands, einer wesentlichen Unrichtigkeit oder einer wesentlichen Ungenauigkeit gewährt wird, der bzw. die während der Gültigkeitsdauer des Prospekts eingetreten ist oder festgestellt wurde, wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass der entsprechende Nachtrag nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Prospekts veröffentlicht wird. In dem Sonderfall, dass ein Angebot im Rahmen zweier aufeinanderfolgender Basisprospekte aufrechterhalten wird, wird die Pflicht zur Erstellung eines Nachtrags zum vorhergehenden Basisprospekt bis zum Ablauf seiner Gültigkeitsdauer und zur Gewährung der entsprechenden Widerrufsrechte nicht aufgrund der Tatsache aufgehoben, dass der Emittent den Nachfolge-Basisprospekt zur Billigung hinterlegt hat. Zur Erhöhung der Rechtssicherheit sollte in dem Prospektnachtrag angegeben werden, wann das Widerrufsrecht endet. Wenn Anleger ihr Widerrufsrecht ausüben, sollten die Finanzintermediäre die Anleger über ihre Rechte unterrichten und das Verfahren erleichtern. (67) Die Pflicht eines Emittenten, den gesamten Prospekt in alle relevanten Amtssprachen zu übersetzen, ist grenzüberschreitenden Angeboten oder dem Mehrfach-Handel abträglich. Um grenzüberschreitende Angebote zu erleichtern, sollte lediglich die Zusammenfassung in der Amtssprache oder in mindestens einer der Amtssprachen des Aufnahmemitgliedstaats oder in einer von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats anerkannten anderen Sprache vorliegen.

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(68) Die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats sollte Anspruch auf eine Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats haben, aus der hervorgeht, dass der Prospekt nach Maßgabe dieser Verordnung erstellt wurde. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats sollte auch den Emittenten oder die für die Erstellung des Prospekts verantwortliche Person von der an die Behörde des Aufnahmemitgliedstaats gerichteten Bescheinigung über die Billigung des Prospekts in Kenntnis setzen, um dem Emittenten oder der für die Erstellung des Prospekts verantwortlichen Person Gewissheit zu verschaffen, ob und wann eine Notifizierung tatsächlich erfolgt ist. Jede Übermittlung von Dokumenten zwischen den zuständigen Behörden zum Zweck von Notifizierungen sollte über ein von der ESMA einzurichtendes Notifizierungsportal erfolgen. (69) In den Fällen, in denen der Emittent gemäß dieser Verordnung die Wahl hat, seinen Herkunftsmitgliedstaat zum Zwecke der Billigung des Prospekts zu bestimmen, sollte sichergestellt werden, dass dieser Emittent ein Registrierungsformular oder ein einheitliches Registrierungsformular, das von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats bereits gebilligt wurde, als Bestandteil seines Prospekts verwenden kann. Zwischen den zuständigen Behörden sollte daher ein System von Notifizierungen eingeführt werden, um zu gewährleisten, dass dieses Registrierungsformular oder dieses einheitliche Registrierungsformular nicht der Prüfung und Billigung der zuständigen Behörde unterliegt, die den Prospekt billigt, und dass zuständige Behörden nur für den von ihnen gebilligten Bestandteil eines Prospekts verantwortlich sind, auch wenn später ein Nachtrag erstellt wird. (70)–(86) Bestimmungen, deren Wortlaut unten nicht abgedruckt. (87) Da die Ziele dieser Verordnung, nämlich die Stärkung des Anlegerschutzes und der Markteffizienz im Zuge der Errichtung der Kapitalmarktunion, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr aufgrund ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Verordnung nicht über das für die Verwirklichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. (88) Die Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Deshalb sollte diese Verordnung im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen ausgelegt und angewandt werden. (89) Der Europäische Datenschutzbeauftragte wurde gemäß Artikel 28 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 konsultiert — HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Kapitel I – Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Gegenstand, Anwendungsbereich und Ausnahmen (1) Diese Verordnung legt die Anforderungen an die Erstellung, Billigung und Verbreitung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt, der sich in 1191

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einem Mitgliedstaat befindet oder dort betrieben wird, zu veröffentlichen ist, fest. (2) Diese Verordnung findet keine Anwendung auf folgende Arten von Wertpapieren: a) Anteilscheine, die von Organismen für gemeinsame Anlagen eines anderen als des geschlossenen Typs ausgegeben werden; b) Nichtdividendenwerte, die von einem Mitgliedstaat oder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats, von internationalen Organismen öffentlichrechtlicher Art, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten angehören, von der Europäischen Zentralbank oder von den Zentralbanken der Mitgliedstaaten ausgegeben werden; c) Anteile am Kapital der Zentralbanken der Mitgliedstaaten; d) Wertpapiere, die uneingeschränkt und unwiderruflich von einem Mitgliedstaat oder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats garantiert werden; e) Wertpapiere, die von Vereinigungen mit Rechtspersönlichkeit oder von von einem Mitgliedstaat anerkannten Einrichtungen ohne Erwerbscharakter zum Zweck der Mittelbeschaffung für ihre nicht erwerbsorientierten Zwecke ausgegeben werden; f) nichtfungible Kapitalanteile, deren Hauptzweck darin besteht, dem Inhaber das Recht auf die Nutzung einer Wohnung oder anderen Art von Immobilie oder eines Teils hiervon zu verleihen, wenn diese Anteile ohne Aufgabe des genannten Rechts nicht weiterveräußert werden können. (3) Unbeschadet des Unterabsatzes 2 dieses Absatzes und des Artikels 4 findet diese Verordnung keine Anwendung auf öffentliche Angebote von Wertpapieren mit einem Gesamtgegenwert in der Union von weniger als 1 000 000 EUR, wobei diese Obergrenze über einen Zeitraum von 12 Monaten zu berechnen ist. Die Mitgliedstaaten dehnen die Pflicht zur Erstellung eines Prospekts aufgrund dieser Verordnung nicht auf die in Unterabsatz 1 dieses Absatzes genannten öffentlichen Angebote von Wertpapieren aus. Sie können in diesen Fällen jedoch auf nationaler Ebene andere Offenlegungspflichten vorsehen, sofern diese keine unverhältnismäßige oder unnötige Belastung darstellen. (4) Die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts gemäß Artikel 3 Absatz 1 findet keine Anwendung auf folgende Arten öffentlicher Angebote von Wertpapieren: a) ein Wertpapierangebot, das sich ausschließlich an qualifizierte Anleger richtet; b) ein Wertpapierangebot, das sich an weniger als 150 natürliche oder juristische Personen pro Mitgliedstaat richtet, bei denen es sich nicht um qualifizierte Anleger handelt; c) ein Wertpapierangebot mit einer Mindeststückelung von 100 000 EUR; 1192

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4.8

d) ein Wertpapierangebot, das sich an Anleger richtet, die bei jedem gesonderten Angebot Wertpapiere ab einem Mindestbetrag von 100 000 EUR pro Anleger erwerben; e) Aktien, die im Austausch für bereits ausgegebene Aktien derselben Gattung ausgegeben werden, sofern mit der Emission dieser neuen Aktien keine Kapitalerhöhung des Emittenten verbunden ist; f) Wertpapiere, die anlässlich einer Übernahme im Wege eines Tauschangebots angeboten werden, sofern ein Dokument gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 Absatz 2 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde, das Informationen zu der Transaktion und ihren Auswirkungen auf den Emittenten enthält; g) Wertpapiere, die anlässlich einer Verschmelzung oder Spaltung angeboten oder zugeteilt werden bzw. zugeteilt werden sollen, sofern ein Dokument gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 Absatz 2 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde, das Informationen zu der Transaktion und ihren Auswirkungen auf den Emittenten enthält; h) an die vorhandenen Aktieninhaber ausgeschüttete Dividenden in Form von Aktien derselben Gattung wie die Aktien, für die solche Dividenden ausgeschüttet werden, sofern ein Dokument zur Verfügung gestellt wird, das Informationen über Anzahl und Art der Aktien enthält und in dem die Gründe und Einzelheiten des Angebots dargelegt werden; i) Wertpapiere, die derzeitigen oder ehemaligen Führungskräften oder Beschäftigten von ihrem Arbeitgeber oder von einem verbundenen Unternehmen angeboten oder zugeteilt werden bzw. zugeteilt werden sollen, sofern ein Dokument zur Verfügung gestellt wird, das Informationen über Anzahl und Art der Wertpapiere enthält und in dem die Gründe und Einzelheiten des Angebots oder der Zuteilung dargelegt werden; j) Nichtdividendenwerte, die von einem Kreditinstitut dauernd oder wiederholt begeben werden, wobei der aggregierte Gesamtgegenwert der angebotenen Wertpapiere in der Union weniger als 75 000 000 EUR pro Kreditinstitut über einen Zeitraum von 12 Monaten beträgt, sofern diese Wertpapiere i) nicht nachrangig, konvertibel oder austauschbar sind und ii) nicht zur Zeichnung oder zum Erwerb anderer Arten von Wertpapieren berechtigen und nicht an ein Derivat gebunden sind. (5) Die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts gemäß Artikel 3 Absatz 3 findet keine Anwendung auf die Zulassung folgender Instrumente zum Handel an einem geregelten Markt: a) Wertpapiere, die mit bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren fungibel sind, sofern sie über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 20 % der Zahl der Wertpapiere ausmachen, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind; 1193

4.8

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b) Aktien, die aus der Umwandlung oder dem Eintausch anderer Wertpapiere oder aus der Ausübung der mit anderen Wertpapieren verbundenen Rechte resultieren, sofern es sich dabei um Aktien derselben Gattung wie die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassenen Aktien handelt und sofern sie über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 20 % der Zahl der Aktien derselben Gattung ausmachen, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind, vorbehaltlich Unterabsatz 2 dieses Absatzes. c) Wertpapiere, die aus der Umwandlung oder dem Tausch anderer Wertpapiere, Eigenmittel oder anrechnungsfähiger Verbindlichkeiten durch eine Abwicklungsbehörde aufgrund der Ausübung einer Befugnis gemäß Artikel 53 Absatz 2, Artikel 59 Absatz 2 oder Artikel 63 Absatz 1 oder 2 der Richtlinie 2014/59/EU resultieren; d) Aktien, die im Austausch für bereits am selben geregelten Markt zum Handel zugelassene Aktien derselben Gattung ausgegeben werden, sofern mit der Emission dieser Aktien keine Kapitalerhöhung des Emittenten verbunden ist; e) Wertpapiere, die anlässlich einer Übernahme im Wege eines Tauschangebots angeboten werden, sofern ein Dokument gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 Absatz 2 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde, das Informationen zu der Transaktion und ihren Auswirkungen auf den Emittenten enthält; f) Wertpapiere, die anlässlich einer Verschmelzung oder Spaltung angeboten oder zugeteilt werden bzw. zugeteilt werden sollen, sofern ein Dokument gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 Absatz 2 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde, das Informationen zu der Transaktion und ihren Auswirkungen auf den Emittenten enthält; g) Aktien, die den vorhandenen Aktieninhabern unentgeltlich angeboten oder zugeteilt werden bzw. zugeteilt werden sollen, sowie Dividenden in Form von Aktien derselben Gattung wie die Aktien, für die die Dividenden ausgeschüttet werden, sofern es sich dabei um Aktien derselben Gattung handelt wie die Aktien, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind, und sofern ein Dokument zur Verfügung gestellt wird, das Informationen über Anzahl und Art der Aktien enthält und in dem die Gründe und Einzelheiten des Angebots oder der Zuteilung dargelegt werden; h) Wertpapiere, die derzeitigen oder ehemaligen Führungskräften oder Beschäftigten von ihrem Arbeitgeber oder von einem verbundenen Unternehmen angeboten oder zugeteilt werden bzw. zugeteilt werden sollen, sofern es sich dabei um Wertpapiere derselben Gattung handelt wie die Wertpapiere, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind, 1194

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i)

j)

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und sofern ein Dokument zur Verfügung gestellt wird, das Informationen über Anzahl und Art der Wertpapiere enthält und in dem die Gründe und Einzelheiten des Angebots oder der Zuteilung dargelegt werden; Nichtdividendenwerte, die von einem Kreditinstitut dauernd oder wiederholt begeben werden, wobei der aggregierte Gesamtgegenwert der angebotenen Wertpapiere in der Union weniger als 75 000 000 EUR pro Kreditinstitut über einen Zeitraum von 12 Monaten beträgt, sofern diese Wertpapiere i) nicht nachrangig, konvertibel oder austauschbar sind und ii) nicht zur Zeichnung oder zum Erwerb anderer Arten von Wertpapieren berechtigen und nicht an ein Derivat gebunden sind; Wertpapiere, die bereits zum Handel an einem anderen geregelten Markt zugelassen sind, sofern sie folgende Bedingungen erfüllen: i) Jene Wertpapiere oder Wertpapiere derselben Gattung sind bereits länger als 18 Monate zum Handel an dem anderen geregelten Markt zugelassen; ii) bei Wertpapieren, die nach dem 1. Juli 2005 erstmalig zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen wurden, ging die Zulassung zum Handel an dem anderen geregelten Markt mit der Billigung und Veröffentlichung eines Prospekts im Einklang mit der Richtlinie 2003/71/EG einher; iii) bei Wertpapieren, die nach dem 30. Juni 1983 erstmalig zur Börsennotierung zugelassen wurden, mit Ausnahme der unter Ziffer ii geregelten Fälle, wurden Prospekte entsprechend den Vorschriften der Richtlinie 80/390/EWG des Rates13 oder der Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates14 gebilligt; iv) die laufenden Pflichten betreffend den Handel an dem anderen geregelten Markt werden eingehalten; v) die Person, die die Zulassung eines Wertpapiers zum Handel an einem geregelten Markt nach der Ausnahmeregelung gemäß Buchstabe j beantragt, stellt der Öffentlichkeit in dem Mitgliedstaat, in dem sich der geregelte Markt befindet, für den die Zulassung zum Handel angestrebt wird, gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 Absatz 2 ein den inhalt-

13 Richtlinie 80/390/EWG des Rates vom 17. März 1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist (ABl. L 100 vom 17. 4. 1980, S. 1). 14 Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen (ABl. L 184 vom 6. 7. 2001, S. 1).

1195

4.8

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lichen Anforderungen des Artikels 7 genügendes Dokument, mit der Ausnahme, dass die in Artikel 7 Absatz 3 festgelegte maximale Länge um zwei weitere DIN-A4-Seiten erhöht wird, in einer von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem sich der geregelte Markt befindet, für den die Zulassung angestrebt wird, anerkannten Sprache zur Verfügung; und vi) in dem Dokument gemäß Buchstabe v wird angegeben, wo der neueste Prospekt erhältlich ist und wo die Finanzinformationen, die vom Emittenten entsprechend der geltenden Publizitätsvorschriften offen gelegt werden. Die Bedingung, wonach die resultierenden Aktien gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe b über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 20 % der Zahl der Aktien derselben Gattung ausmachen müssen, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind, gilt nicht in folgenden Fällen: a) Wenn im Einklang mit dieser Verordnung oder der Richtlinie 2003/71/EG beim öffentlichen Angebot oder bei der Zulassung zum Handel der Wertpapiere an einem geregelten Markt, die Zugang zu Aktien verschaffen, ein Prospekt erstellt wurde; b) wenn die Wertpapiere, die Zugang zu Aktien verschaffen, vor dem 20. Juli 2017 begeben wurden; c) wenn die Aktien gemäß Artikel 26 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates15 zu den Posten des harten Kernkapitals eines Instituts im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 3 der genannten Verordnung gerechnet werden können und aus der Umwandlung von Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals durch dieses Institut aufgrund des Eintretens eines Auslöseereignisses gemäß Artikel 54 Absatz 1 Buchstabe a der genannten Verordnung resultieren; d) wenn die Aktien zu den anrechnungsfähigen Eigenmitteln oder den anrechnungsfähigen Basiseigenmitteln im Sinne des Titels I Kapitel VI Abschnitt 3 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates16 gerechnet werden können und aus der Umwandlung anderer Wertpapiere resultieren, die zur Erfüllung der Solvenzkapitalanforderung oder der Mindestkapitalanforderung im Sinne des Titels I Kapitel VI Abschnitte 4 und 5

15 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 1). 16 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. L 335 vom 17. 12. 2009, S. 1).

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4.8

der Richtlinie 2009/138/EG oder der Solvenzanforderung der Gruppe gemäß Titel III der Richtlinie 2009/138/EG ausgelöst wurde; (6) Die in den Absätzen 4 und 5 genannten Ausnahmen von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts können miteinander kombiniert werden. Eine Kombination der Ausnahmen nach Absatz 5 Unterabsatz 1 Buchstaben a und b ist jedoch nicht zulässig, wenn dies dazu führen könnte, dass über einen Zeitraum von 12 Monaten mehr als 20 % der Zahl der Aktien derselben Gattung, die bereits zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen werden, ohne dass ein Prospekt veröffentlicht wird. (7) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 44 delegierte Rechtsakte zur Ergänzung dieser Verordnung zu erlassen, in denen die Mindestinformationen der in Absatz 4 Buchstaben f und g und in Absatz 5 Unterabsatz 1 Buchstaben e und f genannten Dokumente festgelegt werden. Art. 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck a) „Wertpapiere“ übertragbare Wertpapiere im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 44 der Richtlinie 2014/65/EU mit Ausnahme von Geldmarktinstrumenten im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 17 der Richtlinie 2014/65/ EU mit einer Laufzeit von weniger als 12 Monaten; b) „Dividendenwerte“ Aktien und andere, Aktien gleichzustellende übertragbare Wertpapiere sowie jede andere Art übertragbarer Wertpapiere, die das Recht verbriefen, bei Umwandlung des Wertpapiers oder Ausübung des verbrieften Rechts die erstgenannten Wertpapiere zu erwerben; Voraussetzung hierfür ist, dass die letztgenannten Wertpapiere vom Emittenten der zugrunde liegenden Aktien oder von einer zur Unternehmensgruppe dieses Emittenten gehörenden Einrichtung begeben wurden; c) „Nichtdividendenwerte“ alle Wertpapiere, die keine Dividendenwerte sind; d) „öffentliches Angebot von Wertpapieren“ eine Mitteilung an die Öffentlichkeit in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, sich für den Kauf oder die Zeichnung jener Wertpapiere zu entscheiden. Diese Definition gilt auch für die Platzierung von Wertpapieren durch Finanzintermediäre; e) „qualifizierte Anleger“ Personen oder Einrichtungen, die in Anhang II Abschnitt I Nummern 1 bis 4 der Richtlinie 2014/65/EU genannt sind, sowie Personen oder Einrichtungen, die gemäß Abschnitt II jenes Anhangs auf Antrag als professionelle Kunden behandelt werden oder die gemäß Arti1197

4.8

f)

g) h) i) j) k)

l) m)

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kel 30 der Richtlinie 2014/65/EU als geeignete Gegenparteien anerkannt werden, und nicht gemäß Abschnitt 1 Absatz 4 jenes Anhangs eine schriftliche Übereinkunft getroffen haben, als nichtprofessionelle Kunden behandelt zu werden. Für die Zwecke der Anwendung des ersten Satzes dieses Buchstabens teilen Wertpapierfirmen und Kreditinstitute dem Emittenten auf dessen Antrag die Einstufung ihrer Kunden unter Einhaltung des einschlägigen Datenschutzrechts mit; „kleine und mittlere Unternehmen“ oder „KMU“: i) Gesellschaften, die laut ihrem letzten Jahresabschluss bzw. konsolidierten Abschluss zumindest zwei der nachfolgenden drei Kriterien erfüllen: eine durchschnittliche Beschäftigtenzahl im letzten Geschäftsjahr von weniger als 250, eine Gesamtbilanzsumme von höchstens 43 000 000 EUR und ein Jahresnettoumsatz von höchstens 50 000 000 EUR; oder ii) kleine und mittlere Unternehmen im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 13 der Richtlinie 2014/65/EU; „Kreditinstitut“ ein Kreditinstitut im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013; „Emittent“ eine Rechtspersönlichkeit, die Wertpapiere begibt oder zu begeben beabsichtigt; „Anbieter“ eine Rechtspersönlichkeit oder natürliche Person, die Wertpapiere öffentlich anbietet; „geregelter Markt“ einen geregelten Markt im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 21 der Richtlinie 2014/65/EU; „Werbung“ eine Mitteilung mit den folgenden beiden Eigenschaften: i) die sich auf ein spezifisches öffentliches Angebot von Wertpapieren oder deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt bezieht; ii) die darauf abstellt, die potenzielle Zeichnung oder den potenziellen Erwerb von Wertpapieren gezielt zu fördern; „vorgeschriebene Informationen“ vorgeschriebene Informationen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe k der Richtlinie 2004/109/EG; „Herkunftsmitgliedstaat“ i) für alle in der Union ansässigen und nicht unter Ziffer ii genannten Emittenten von Wertpapieren den Mitgliedstaat, in dem der Emittent seinen Sitz hat; ii) für jede Emission von Nichtdividendenwerten mit einer Mindeststückelung von 1 000 EUR sowie für jede Emission von Nichtdividendenwerten, die das Recht verbriefen, bei Umwandlung des Wertpapiers oder Ausübung des verbrieften Rechts übertragbare Wertpapiere zu erwerben oder einen Barbetrag in Empfang zu nehmen, sofern der Emittent der Nichtdividendenwerte nicht der Emittent der zugrunde liegenden

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n)

o)

p)

q)

4.8

Wertpapiere oder eine zur Unternehmensgruppe des letztgenannten Emittenten gehörende Einrichtung ist, je nach Wahl des Emittenten, des Anbieters bzw. der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person den Mitgliedstaat, in dem der Emittent seinen Sitz hat, oder den Mitgliedstaat, in dem die Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind oder zugelassen werden sollen oder in dem die Wertpapiere öffentlich angeboten werden. Dasselbe gilt für Nichtdividendenwerte, die auf andere Währungen als auf Euro lauten, vorausgesetzt, dass der Wert solcher Mindeststückelungen annähernd 1 000 EUR entspricht; iii) für alle in Drittländern ansässigen und nicht unter Ziffer ii genannten Emittenten von Wertpapieren je nach Wahl des Emittenten, des Anbieters bzw. der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person den Mitgliedstaat, in dem die Wertpapiere erstmals öffentlich angeboten werden sollen, oder den Mitgliedstaat, in dem der erste Antrag auf Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt gestellt wird, vorbehaltlich einer späteren Wahl durch in Drittländern ansässige Emittenten in den folgenden Fällen: — wenn der Herkunftsmitgliedstaat nicht gemäß der Wahl jener Emittenten bestimmt wurde; — im Einklang mit Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe i Ziffer iii der Richtlinie 2004/109/EG; „Aufnahmemitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem ein öffentliches Angebot von Wertpapieren unterbreitet oder die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt angestrebt wird, sofern dieser Staat nicht der Herkunftsmitgliedstaat ist; „zuständige Behörde“ die Behörde, die von dem jeweiligen Mitgliedstaat gemäß Artikel 31 benannt wird, soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist; „Organismen für gemeinsame Anlagen eines anderen als des geschlossenen Typs“ Investmentfonds und Investmentgesellschaften, die beide der folgenden Merkmale aufweisen: i) Sie sammeln von einer Anzahl von Anlegern Kapital ein, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren; ii) ihre Anteile werden auf Verlangen des Anteilsinhabers unmittelbar oder mittelbar zulasten ihres Vermögens zurückgekauft oder abgelöst; „Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen“ Wertpapiere, die von einem Organismus für gemeinsame Anlagen begeben werden und die Rechte der Anteilsinhaber am Vermögen dieses Organismus verbriefen; 1199

4.8

r)

s)

t)

u) v) w) x) y) z)

Prospekt-VO 2017/1129

„Billigung“ die positive Handlung bei Abschluss der Prüfung des Prospekts durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats auf Vollständigkeit, Kohärenz und Verständlichkeit der im Prospekt enthaltenen Informationen; „Basisprospekt“ einen Prospekt, der den Anforderungen des Artikels 8 entspricht und — je nach Wahl des Emittenten — die endgültigen Bedingungen des Angebots enthält; „Arbeitstage“ die Arbeitstage der jeweiligen zuständigen Behörde unter Ausschluss von Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen im Sinne des für diese zuständige Behörde geltenden nationalen Rechts; „multilaterales Handelssystem“ oder „MTF“ ein multilaterales Handelssystem im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 22 der Richtlinie 2014/65/EU; „organisiertes Handelssystem“ oder „OTF“ ein organisiertes Handelssystem im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 23 der Richtlinie 2014/65/EU; „KMU-Wachstumsmarkt“ einen KMU-Wachstumsmarkt im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 12 der Richtlinie 2014/65/EU; „Drittlandsemittent“ einen in einem Drittland ansässigen Emittenten; „Angebotsfrist“ den Zeitraum, in dem potenzielle Anleger die betreffenden Wertpapiere erwerben oder zeichnen können; „dauerhafter Datenträger“ jedes Medium, das i) es einem Kunden ermöglicht, persönlich an ihn gerichtete Informationen so zu speichern, dass sie in der Folge während eines dem Informationszweck angemessenen Zeitraums abgerufen werden können, und ii) die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Daten ermöglicht.

Art. 3 Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts und Ausnahmen (1) Unbeschadet des Artikels 1 Absatz 4 werden Wertpapiere in der Union nur nach vorheriger Veröffentlichung eines Prospekts gemäß dieser Verordnung öffentlich angeboten. (2) Unbeschadet des Artikels 4 kann ein Mitgliedstaat beschließen, öffentliche Angebote von Wertpapieren von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts gemäß Absatz 1 auszunehmen, sofern a) diese Angebote nicht der Notifizierung gemäß Artikel 25 unterliegen und b) der Gesamtgegenwert eines solchen Angebots in der Union über einen Zeitraum von 12 Monaten 8 000 000 EUR nicht überschreitet. Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission und die ESMA, ob und auf welche Weise sie beschließen, die Ausnahme nach Unterabsatz 1 anzuwenden, und teilen mit, welchen Gegenwert sie als Obergrenze festgesetzt haben, unterhalb deren die Ausnahme für Angebote in diesem Mitgliedstaat gilt. Sie unterrichten die Kommission und die ESMA ferner über alle späteren Änderungen dieses Gegenwerts. 1200

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4.8

(3) Unbeschadet des Artikels 1 Absatz 5 werden Wertpapiere erst nach vorheriger Veröffentlichung eines Prospekts gemäß dieser Verordnung zum Handel an einem geregelten Markt, der sich in der Union befindet oder dort betrieben wird, zugelassen. Art. 4 Erstellung eines Prospekts auf freiwilliger Basis (1) Fällt ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder eine Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung gemäß Artikel 1 Absatz 3 oder ist es gemäß Artikel 1 Absatz 4, Artikel 1 Absatz 5 oder Artikel 3 Absatz 2 von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts ausgenommen, so kann der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person auf freiwilliger Basis einen Prospekt im Einklang mit dieser Verordnung erstellen. (2) Aus einem solchen freiwillig erstellten Prospekt, der von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats im Sinne des Artikels 2 Buchstabe m gebilligt wurde, ergeben sich dieselben Rechte und Pflichten wie aus einem Prospekt, der nach dieser Verordnung vorgeschrieben ist; ein freiwillig erstellter Prospekt unterliegt allen Bestimmungen dieser Verordnung und der Aufsicht der betreffenden zuständigen Behörde. Art. 5 Spätere Weiterveräußerung von Wertpapieren (1) Jede spätere Weiterveräußerung von Wertpapieren, die zuvor Gegenstand einer oder mehrerer Arten von öffentlichen Angeboten von Wertpapieren gemäß Artikel 1 Absatz 4 Buchstaben a bis d waren, gilt als gesondertes Angebot, wobei anhand der Begriffsbestimmung nach Artikel 2 Buchstabe d zu entscheiden ist, ob es sich bei dieser Weiterveräußerung um ein öffentliches Angebot von Wertpapieren handelt. Bei der Platzierung von Wertpapieren durch Finanzintermediäre ist ein Prospekt zu veröffentlichen, es sei denn, eine der Ausnahmen nach Artikel 1 Absatz 4 Buchstaben a bis d findet in Bezug auf die endgültige Platzierung Anwendung. Bei einer solchen späteren Weiterveräußerung von Wertpapieren oder einer endgültigen Platzierung von Wertpapieren durch Finanzintermediäre wird kein weiterer Prospekt verlangt, wenn ein gültiger Prospekt im Sinne des Artikels 12 vorliegt und der Emittent oder die für die Erstellung des Prospekts verantwortliche Person dessen Verwendung in einer schriftlichen Vereinbarung zugestimmt hat. (2) Bezieht sich ein Prospekt auf die Zulassung von Nichtdividendenwerten zum Handel an einem geregelten Markt, die ausschließlich an einem geregelten Markt oder in einem bestimmten Segment eines solchen gehandelt werden sollen, zu dem ausschließlich qualifizierte Anleger zu Zwecken des Handels mit 1201

4.8

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diesen Wertpapieren Zugang erhalten, werden die Wertpapiere nur dann an nicht qualifizierte Anleger weiterveräußert, wenn ein für diese geeigneter Prospekt gemäß der vorliegenden Verordnung erstellt wird.

Kapitel II – Erstellung des Prospekts Art. 6 Der Prospekt (1) Unbeschadet des Artikels 14 Absatz 2 und des Artikels 18 Absatz 1 enthält ein Prospekt die erforderlichen Informationen, die für den Anleger wesentlich sind, um sich ein fundiertes Urteil über Folgendes bilden zu können: a) die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Gewinne und Verluste, die Finanzlage und die Aussichten des Emittenten und eines etwaigen Garantiegebers; b) die mit den Wertpapieren verbundenen Rechte; und c) die Gründe für die Emission und ihre Auswirkungen auf den Emittenten. Diese Informationen können sich unterscheiden a) nach der Art des Emittenten; b) nach der Art der Wertpapiere; c) nach der Lage des Emittenten; d) — soweit zutreffend — je nachdem, ob es sich um Nichtdividendenwerte mit einer Mindeststückelung von 100 000 EUR handelt oder nicht, oder ob die Wertpapiere ausschließlich an einem geregelten Markt oder in einem bestimmten Segment eines solchen gehandelt werden sollen, zu dem ausschließlich qualifizierte Anleger zu Zwecken des Handels mit den Wertpapieren Zugang erhalten. (2) Die Informationen in einem Prospekt werden unter Beachtung der in Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Faktoren in leicht zu analysierender, knapper und verständlicher Form geschrieben und präsentiert. (3) Der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person kann den Prospekt als ein einziges Dokument oder in mehreren Einzeldokumenten erstellen. Unbeschadet des Artikels 8 Absatz 8 und des Artikels 7 Absatz 1 Unterabsatz 2, werden in einem aus mehreren Einzeldokumenten bestehenden Prospekt die geforderten Angaben in ein Registrierungsformular, eine Wertpapierbeschreibung und eine Zusammenfassung geteilt. Das Registrierungsformular enthält die Angaben zum Emittenten. Die Wertpapierbeschreibung enthält die Angaben zu den Wertpapieren, die öffentlich angeboten werden oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden sollen. 1202

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Art. 7 Die Prospektzusammenfassung (1) Der Prospekt enthält eine Zusammenfassung mit Basisinformationen, die Anlegern Aufschluss über Art und Risiken des Emittenten, des Garantiegebers und der angebotenen oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Wertpapiere geben; die Zusammenfassung ist zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts zu lesen und soll eine Entscheidungshilfe für Anleger im Hinblick auf Anlagen in die betreffenden Wertpapiere darstellen. Abweichend von Unterabsatz 1 ist eine Zusammenfassung nicht erforderlich, wenn sich der Prospekt auf die Zulassung von Nichtdividendenwerten zum Handel an einem geregelten Markt bezieht, sofern a) diese Wertpapiere ausschließlich an einem geregelten Markt oder in einem bestimmten Segment eines solchen gehandelt werden sollen, zu dem ausschließlich qualifizierte Anleger zu Zwecken des Handels mit diesen Wertpapieren Zugang erhalten; oder b) diese Wertpapiere eine Mindeststückelung von 100 000 EUR haben. (2) Die in der Zusammenfassung enthaltenen Informationen sind präzise, redlich und klar und nicht irreführend. Die Zusammenfassung ist als Einleitung zu dem Prospekt zu lesen, und ihre Informationen stimmen mit den in den anderen Teilen des Prospekts enthaltenen Informationen überein. (3) Die Zusammenfassung wird als kurze Unterlage abgefasst, die prägnant formuliert ist und ausgedruckt eine maximale Länge von sieben DIN-A4-Seiten umfasst. Die Zusammenfassung wird a) in einer Weise präsentiert und aufgemacht, die leicht verständlich ist, wobei Buchstaben in gut leserlicher Größe verwendet werden; b) sprachlich und stilistisch so formuliert, dass das Verständnis der Informationen erleichtert wird, insbesondere durch Verwendung einer klaren, präzisen und für die Anleger allgemein verständlichen Sprache. (4) Die Zusammenfassung ist in vier Abschnitte untergliedert: a) eine Einleitung mit Warnhinweisen; b) Basisinformationen über den Emittenten; c) Basisinformationen über die Wertpapiere; d) Basisinformationen über das öffentliche Angebot von Wertpapieren und/ oder die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt. (5) Der Abschnitt gemäß Absatz 4 Buchstabe a enthält a) die Bezeichnung und die internationale Wertpapier-Identifikationsnummer (ISIN) der Wertpapiere; b) die Identität und Kontaktdaten des Emittenten, einschließlich der Rechtsträgerkennung (LEI); c) gegebenenfalls die Identität und Kontaktdaten des Anbieters, einschließlich der LEI, falls der Anbieter Rechtspersönlichkeit hat, oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person; 1203

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d) die Identität und Kontaktdaten der zuständigen Behörde, die den Prospekt billigt, und der zuständigen Behörde, die das Registrierungsformular oder das einheitliche Registrierungsformular gebilligt hat, sofern sie nicht mit der erstgenannten Behörde identisch ist; e) das Datum der Billigung des Prospekts. Er enthält die folgenden Warnhinweise: a) dass die Zusammenfassung als Prospekteinleitung verstanden werden sollte; b) dass der Anleger sich bei der Entscheidung, in die Wertpapiere zu investieren, auf den Prospekt als Ganzes stützen sollte; c) gegebenenfalls dass der Anleger das gesamte angelegte Kapital oder einen Teil davon verlieren könnte, und — wenn die Haftung des Anlegers nicht auf den Anlagebetrag beschränkt ist — dass der Anleger mehr als das angelegte Kapital verlieren könnte sowie das Ausmaß dieses potenziellen Verlusts; d) für den Fall, dass vor einem Gericht Ansprüche aufgrund der in einem Prospekt enthaltenen Informationen geltend gemacht werden, dass der als Kläger auftretende Anleger nach nationalem Recht die Kosten für die Übersetzung des Prospekts vor Prozessbeginn zu tragen haben könnte; e) dass zivilrechtlich nur diejenigen Personen haften, die die Zusammenfassung samt etwaiger Übersetzungen vorgelegt und übermittelt haben, und dies auch nur für den Fall, dass die Zusammenfassung, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird, irreführend, unrichtig oder widersprüchlich ist oder dass sie, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird, nicht die Basisinformationen vermittelt, die in Bezug auf Anlagen in die betreffenden Wertpapiere für die Anleger eine Entscheidungshilfe darstellen würden; f) gegebenenfalls den Warnhinweis gemäß Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe b der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014. (6) Der Abschnitt gemäß Absatz 4 Buchstabe b enthält folgende Informationen: a) in einem Unterabschnitt mit der Überschrift „Wer ist der Emittent der Wertpapiere?“ eine kurze Beschreibung des Emittenten der Wertpapiere, die mindestens folgende Angaben enthält: i) Sitz und Rechtsform des Emittenten, seine LEI, für ihn geltendes Recht und Land der Eintragung; ii) Haupttätigkeiten des Emittenten; iii) Hauptanteilseigner des Emittenten, einschließlich Angabe, ob an ihm unmittelbare oder mittelbare Beteiligungen oder Beherrschungsverhältnisse bestehen und wer die Beteiligungen hält bzw. die Beherrschung ausübt; iv) Identität der Hauptgeschäftsführer; v) Identität der Abschlussprüfer; 1204

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b) in einem Unterabschnitt mit der Überschrift „Welches sind die wesentlichen Finanzinformationen über den Emittenten?“ ausgewählte wesentliche historische Finanzinformationen für jedes Geschäftsjahr des von den historischen Finanzinformationen abgedeckten Zeitraums und für jeden nachfolgenden Zwischenberichtszeitraum sowie Vergleichsdaten für den gleichen Zeitraum des vorhergehenden Geschäftsjahrs. Die Anforderung der Beibringung vergleichbarer Bilanzinformationen wird durch die Vorlage der Bilanzdaten zum Jahresende erfüllt. Die wesentlichen Finanzinformationen enthalten gegebenenfalls i) Pro-forma-Finanzinformationen; ii) eine kurze Beschreibung etwaiger Einschränkungen im Bestätigungsvermerk zu den historischen Finanzinformationen; c) in einem Unterabschnitt mit der Überschrift „Welches sind die zentralen Risiken, die für den Emittenten spezifisch sind?“ eine kurze Beschreibung der im Prospekt enthaltenen für den Emittenten spezifischen wesentlichsten Risikofaktoren, wobei die in Absatz 10 genannte Höchstzahl an Risikofaktoren nicht überschritten werden darf. (7) Der Abschnitt gemäß Absatz 4 Buchstabe c enthält folgende Informationen: a) in einem Unterabschnitt mit der Überschrift „Welches sind die wichtigsten Merkmale der Wertpapiere?“ eine kurze Beschreibung der öffentlich angebotenen und/oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Wertpapiere, die mindestens folgende Angaben enthält: i) Art, Gattung und ISIN der Wertpapiere; ii) gegebenenfalls Währung, Stückelung, Nennwert, Anzahl der begebenen Wertpapiere und Laufzeit der Wertpapiere; iii) mit den Wertpapieren verbundene Rechte; iv) relativer Rang der Wertpapiere in der Kapitalstruktur des Emittenten im Fall einer Insolvenz, gegebenenfalls mit Angaben über ihre Nachrangigkeitsstufe und die potenziellen Auswirkungen auf die Anlagen im Fall der Abwicklung nach Maßgabe der Richtlinie 2014/59/EU; v) etwaige Beschränkungen der freien Handelbarkeit der Wertpapiere; vi) gegebenenfalls Angaben zur Dividenden- bzw. Ausschüttungspolitik; b) in einem Unterabschnitt mit der Überschrift „Wo werden die Wertpapiere gehandelt?“ Angaben dazu, ob für die Wertpapiere die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt oder zum Handel an einem MTF beantragt wurde oder werden soll, und Nennung aller Märkte, an denen die Wertpapiere gehandelt werden oder gehandelt werden sollen; c) wenn eine Garantie für die Wertpapiere gestellt wird, in einem Unterabschnitt mit der Überschrift „Wird für die Wertpapiere eine Garantie gestellt?“ u. a. folgende Information: 1205

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i) eine kurze Beschreibung von Art und Umfang der Garantie, ii) kurze Angaben zum Garantiegeber, einschließlich seiner LEI, iii) die einschlägigen wesentlichen Finanzinformationen zum Zwecke der Bewertung der Fähigkeit des Garantiegebers, seinen Verpflichtungen aus der Garantie nachzukommen, und iv) eine kurze Beschreibung der im Prospekt enthaltenen für den Garantiegeber spezifischen wesentlichsten Risikofaktoren gemäß Artikel 16 Absatz 3, wobei die in Absatz 10 genannte Höchstzahl an Risikofaktoren nicht überschritten werden darf; d) in einem Unterabschnitt mit der Überschrift „Welches sind die zentralen Risiken, die für die Wertpapiere spezifisch sind?“ eine kurze Beschreibung der im Prospekt enthaltenen für die Wertpapiere spezifischen wesentlichsten Risikofaktoren, wobei die in Absatz 10 genannte Höchstzahl an Risikofaktoren nicht überschritten werden darf. Ist gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 die Bereitstellung eines Basisinformationsblatts vorgeschrieben, so kann der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person die in diesem Absatz genannten Inhalte durch die in Artikel 8 Absatz 3 Buchstaben c bis i der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 genannten Angaben ersetzen. Sofern die Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 Anwendung findet, kann jeder Mitgliedstaat, der als Herkunftsmitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung handelt, verlangen, dass Emittenten, Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Personen in den durch seine zuständige Behörde gebilligten Prospekten die in diesem Absatz genannten Inhalte durch die in Artikel 8 Absatz 3 Buchstaben c bis i der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 genannten Angaben ersetzen. Findet eine Ersetzung des Inhalts gemäß Unterabsatz 2 statt, so erhöht sich die in Absatz 3 festgelegte maximale Länge um drei weitere DIN-A4-Seiten. Der Inhalt des Basisinformationsblatts wird als separater Abschnitt der Zusammenfassung beigefügt. Aus dem Layout dieses Abschnitts muss klar hervorgehen, dass es sich um den Inhalt des Basisinformationsblatts gemäß Artikel 8 Absatz 3 Buchstaben c bis i der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 handelt. Falls gemäß Artikel 8 Absatz 9 Unterabsatz 3 für verschiedene Wertpapiere, die sich nur in einigen sehr wenigen Einzelheiten, etwa in Bezug auf den Emissionskurs oder den Fälligkeitstermin, unterscheiden, eine einzige Zusammenfassung erstellt wird, erhöht sich die in Absatz 3 festgelegte maximale Länge der Zusammenfassung um zwei weitere DIN-A4-Seiten. Wenn jedoch gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 ein Basisinformationsblatt für diese Wertpapiere erstellt werden muss und der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person die Ersetzung von 1206

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Inhalt gemäß Unterabsatz 2 dieses Absatzes vornimmt, erhöht sich die maximale Länge pro zusätzliches Wertpapier um drei weitere DIN-A4-Seiten. Enthält die Zusammenfassung die Informationen gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe c, so erhöht sich die in Absatz 3 festgelegte maximale Länge um eine weitere DIN-A4-Seite. (8) Der Abschnitt gemäß Absatz 4 Buchstabe d enthält folgende Informationen: a) in einem Unterabschnitt mit der Überschrift „Zu welchen Konditionen und nach welchem Zeitplan kann ich in dieses Wertpapier investieren?“ gegebenenfalls die allgemeinen Bedingungen, die Konditionen und den voraussichtlichen Zeitplan des Angebots, die Einzelheiten der Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt, den Plan für den Vertrieb, den Betrag und Prozentanteil der sich aus dem Angebot ergebenden unmittelbaren Verwässerung sowie eine Schätzung der Gesamtkosten der Emission und/ oder des Angebots, einschließlich der geschätzten Kosten, die dem Anleger vom Emittenten oder Anbieter in Rechnung gestellt werden; b) sofern der Anbieter nicht dieselbe Person wie der Emittent ist, in einem Unterabschnitt mit der Überschrift „Wer ist der Anbieter und/oder die die Zulassung zum Handel beantragende Person?“ eine kurze Beschreibung des Anbieters der Wertpapiere und/oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person mit Sitz und Rechtsform, des für ihn/sie geltenden Rechts sowie dem Land der Eintragung; c) in einem Unterabschnitt mit der Überschrift „Weshalb wird dieser Prospekt erstellt?“ eine kurze Beschreibung der Gründe für das Angebot bzw. für die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt sowie gegebenenfalls i) die Zweckbestimmung der Erlöse und die geschätzten Nettoerlöse, ii) eine Angabe, ob das Angebot einem Übernahmevertrag mit fester Übernahmeverpflichtung unterliegt, wobei jeder nicht erfasste Teil anzugeben ist, iii) eine Angabe der wesentlichsten Interessenkonflikte in Bezug auf das Angebot oder die Zulassung zum Handel. (9) In jedem der in den Absätzen 6, 7 und 8 beschriebenen Abschnitte kann der Emittent bei Bedarf weitere Unterüberschriften einfügen. (10) Die Gesamtzahl der in die Abschnitte der Zusammenfassung nach Absatz 6 Buchstabe c und Absatz 7 Unterabsatz 1 Buchstabe c Ziffer iv und Buchstabe d aufgenommenen Risikofaktoren darf 15 nicht überschreiten. (11) Die Zusammenfassung darf keine Querverweise auf andere Teile des Prospekts oder Angaben in Form eines Verweises enthalten. (12) Muss gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 ein Basisinformationsblatt für die öffentlich angebotenen Wertpapiere erstellt werden, und verlangt ein Herkunftsmitgliedstaat, dass der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung 1207

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zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person den Inhalt des Basisinformationsblatts gemäß Absatz 7 Unterabsatz 2 Satz 2 dieses Artikels ersetzt, so wird davon ausgegangen, dass die Personen, die im Namen des Emittenten zu den Wertpapieren beraten oder sie verkaufen, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person die Verpflichtung zur Bereitstellung des Basisinformationsblatts gemäß Artikel 13 der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 während der Angebotsfrist erfüllt haben, sofern sie den betreffenden Anlegern stattdessen die Zusammenfassung des Prospekts im Rahmen der in den Artikeln 13 und 14 der genannten Verordnung festgelegten Fristen und Bedingungen bereitstellen. (13) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, in denen Inhalt und Format der Darstellung der wesentlichen Finanzinformationen gemäß Absatz 6 Buchstabe b und die einschlägigen wesentlichen Finanzinformationen gemäß Absatz 7 Buchstabe c Ziffer iii unter Berücksichtigung der verschiedenen Arten von Wertpapieren und Emittenten präzisiert werden, wobei sicherzustellen ist, dass die Informationen präzise und verständlich sind. Die ESMA übermittelt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 21. Juli 2018. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards nach den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 8 Der Basisprospekt (1) Für Nichtdividendenwerte, einschließlich Optionsscheine jeglicher Art, kann der Prospekt je nach Wahl des Emittenten, des Anbieters oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person aus einem Basisprospekt bestehen, der die erforderlichen Angaben zum Emittenten und den öffentlich angebotenen oder zum Handel an einem geregelten Markt zuzulassenden Wertpapieren enthält. (2) Ein Basisprospekt enthält Folgendes: a) ein Muster mit der Bezeichnung „Formular für die endgültigen Bedingungen“, das für jede einzelne Emission auszufüllen ist und in dem die verfügbaren Optionen in Bezug auf die Angaben, die in den endgültigen Bedingungen des Angebots festgelegt werden, aufgeführt sind; b) die Adresse der Website, auf der die endgültigen Bedingungen veröffentlicht werden. (3) Enthält ein Basisprojekt Optionen in Bezug auf die Angaben, die nach der entsprechenden Wertpapierbeschreibung erforderlich sind, so wird in den endgültigen Bedingungen festgelegt, welche dieser Optionen für die einzelne Emission gilt, entweder indem auf die entsprechenden Rubriken des Basisprospekts verwiesen wird oder indem die betreffenden Angaben wiederholt werden. 1208

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(4) Die endgültigen Bedingungen werden in einem gesonderten Dokument dargelegt oder in den Basisprospekt oder in Nachträgen dazu aufgenommen. Die endgültigen Bedingungen werden in leicht zu analysierender und verständlicher Form abgefasst. Die endgültigen Bedingungen enthalten nur Angaben, die die Wertpapierbeschreibung betreffen, und dürfen nicht als Nachtrag zum Basisprospekt dienen. In diesen Fällen gilt Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe b. (5) Sind die endgültigen Bedingungen weder im Basisprospekt noch in einem Nachtrag enthalten, so stellt der Emittent sie so bald wie möglich bei Unterbreitung eines öffentlichen Angebots von Wertpapieren und, sofern möglich, vor Beginn des öffentlichen Angebots von Wertpapieren bzw. vor der Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 der Öffentlichkeit zur Verfügung und hinterlegt sie bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats. Die endgültigen Bedingungen müssen eine eindeutige und deutlich sichtbare Erklärung enthalten, aus der hervorgeht, a) dass die endgültigen Bedingungen für die Zwecke dieser Verordnung ausgearbeitet wurden und zusammen mit dem Basisprospekt und Nachträgen dazu zu lesen sind, um alle relevanten Informationen zu erhalten; b) wo der Basisprospekt und Nachträge dazu gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 veröffentlicht werden; c) dass den endgültigen Bedingungen eine Zusammenfassung für die einzelne Emission angefügt ist. (6) Ein Basisprospekt kann als ein einziges Dokument oder in mehreren Einzeldokumenten erstellt werden. Wenn der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person ein Registrierungsformular für Nichtdividendenwerte oder ein einheitliches Registrierungsformular gemäß Artikel 9 hinterlegt hat und sich für die Erstellung eines Basisprospekts entscheidet, umfasst der Basisprospekt Folgendes: a) die im Registrierungsformular oder im einheitlichen Registrierungsformular enthaltenen Angaben; b) die Angaben, die ansonsten in der entsprechenden Wertpapierbeschreibung enthalten wären, mit Ausnahme der endgültigen Bedingungen, wenn diese nicht im Basisprospekt enthalten sind. (7) Die spezifischen Angaben zu den verschiedenen Wertpapieren werden im Basisprospekt klar voneinander getrennt. (8) Erst wenn die endgültigen Bedingungen in den Basisprospekt oder in einen Nachtrag aufgenommen oder hinterlegt sind, wird eine Zusammenfassung erstellt, die speziell die einzelne Emission betrifft. 1209

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(9) Für die Zusammenfassung für die einzelne Emission gelten dieselben Anforderungen, die gemäß diesem Artikel für die endgültigen Bedingungen gelten; die Zusammenfassung wird den endgültigen Bedingungen angefügt. Die Zusammenfassung für die einzelne Emission muss den Anforderungen des Artikels 7 entsprechen und Folgendes enthalten: a) die Basisinformationen aus dem Basisprospekt, einschließlich der Basisinformationen über den Emittenten; b) die Basisinformationen aus den entsprechenden endgültigen Bedingungen, einschließlich der Basisinformationen, die nicht in den Basisprospekt aufgenommen wurden. Beziehen sich die endgültigen Bedingungen auf verschiedene Wertpapiere, die sich nur in einigen sehr wenigen Einzelheiten unterscheiden, etwa in Bezug auf den Emissionskurs oder den Fälligkeitstermin, so kann für all diese Wertpapiere eine einzige Zusammenfassung für die einzelne Emission angefügt werden, sofern die Angaben zu den verschiedenen Wertpapieren klar voneinander getrennt sind. (10) Die Angaben des Basisprospekts sind erforderlichenfalls im Einklang mit Artikel 23 nachzutragen. (11) Ein öffentliches Angebot von Wertpapieren kann nach Ablauf des Basisprospekts, auf dessen Grundlage es eröffnet wurde, aufrechterhalten werden, sofern spätestens am letzten Tag der Gültigkeit des betreffenden Basisprospekts ein Nachfolge-Basisprospekt gebilligt und veröffentlicht wird. Die endgültigen Bedingungen eines solchen Angebots enthalten auf der ersten Seite einen deutlich sichtbaren Warnhinweis mit Angabe des letzten Tags der Gültigkeit des vorhergehenden Basisprospekts und des Orts der Veröffentlichung des Nachfolge-Basisprospekts. Der Nachfolge-Basisprospekt enthält das Formular für die endgültigen Bedingungen aus dem ursprünglichen Basisprospekt oder nimmt dies mittels eines Verweises auf und enthält zudem einen Verweis auf die für das weiterhin bestehende Angebot maßgebenden endgültigen Bedingungen. Ein Widerrufsrecht gemäß Artikel 23 Absatz 2 gilt auch für Anleger, die einem Erwerb oder einer Zeichnung der Wertpapiere während des Gültigkeitszeitraums des vorhergehenden Prospekts zugestimmt haben, es sei denn, die Wertpapiere wurden ihnen bereits geliefert. Art. 9 Das einheitliche Registrierungsformular (1) Ein Emittent, dessen Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt oder an einem MTF zugelassen werden, kann in jedem Geschäftsjahr ein Registrierungsformular in Form eines einheitlichen Registrierungsformulars erstellen, das Angaben zu Organisation, Geschäftstätigkeiten, Finanzlage, Ertrag und Zukunftsaussichten, Führung und Beteiligungsstruktur des Unternehmens enthält. 1210

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(2) Jeder Emittent, der sich dafür entscheidet, in jedem Geschäftsjahr ein einheitliches Registrierungsformular zu erstellen, legt dieses nach dem Verfahren des Artikels 20 Absätze 2 und 4 der zuständigen Behörde seines Herkunftsmitgliedsstaats zur Billigung vor. Wurde in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren ein einheitliches Registrierungsformular des Emittenten von der zuständigen nationalen Behörde gebilligt, können künftige einheitliche Registrierungsformulare ohne vorherige Billigung bei der zuständigen Behörde hinterlegt werden. Versäumt es der Emittent danach, in einem Geschäftsjahr ein einheitliches Registrierungsformular zu hinterlegen, hat dies zur Folge, dass ihm die Möglichkeit einer Hinterlegung ohne vorherige Billigung wieder entzogen wird und dass alle künftigen einheitlichen Registrierungsformulare der zuständigen Behörde zur Billigung vorzulegen sind, bis die in Unterabsatz 2 genannte Voraussetzung wieder erfüllt ist. Der Emittent gibt in seinem Antrag an die zuständige Behörde an, ob das einheitliche Registrierungsformular zur Billigung oder zur Hinterlegung ohne vorherige Billigung eingereicht wird. Beantragt der Emittent nach Unterabsatz 2 dieses Absatzes die Notifizierung seines einheitlichen Registrierungsformulars gemäß Artikel 26, so legt er sein einheitliches Registrierungsformular — einschließlich etwaiger zuvor hinterlegten Änderungen daran — zur Billigung vor. (3) Emittenten, die bis zum 21. Juli 2019 ein Registrierungsformular gemäß Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission17 erstellt haben, das von einer zuständigen Behörde für eine Dauer von mindestens zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren gebilligt wurde, und die anschließend gemäß Artikel 12 Absatz 3 der Richtlinie 2003/71/EG jedes Jahr ein solches Registrierungsformular hinterlegt haben oder deren Registrierungsformular jedes Jahr gebilligt wurde, wird gestattet, ab dem 21. Juli 2019 ein einheitliches Registrierungsformular ohne vorherige Billigung im Einklang mit Absatz 2 Unterabsatz 2 dieses Artikels zu hinterlegen. (4) Nach seiner Billigung oder seiner Hinterlegung ohne vorherige Billigung werden das einheitliche Registrierungsformular und seine Änderungen nach den Absätzen 7 und 9 dieses Artikels unverzüglich gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

17 Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Informationen sowie das Format, die Aufnahme von Informationen mittels Verweis und die Veröffentlichung solcher Prospekte und die Verbreitung von Werbung (ABl. L 149 vom 30. 4. 2004, S. 1).

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(5) Das einheitliche Registrierungsformular entspricht den in Artikel 27 festgelegten sprachlichen Anforderungen. (6) Angaben können gemäß den in Artikel 19 festgelegten Bedingungen in Form eines Verweises in ein einheitliches Registrierungsformular aufgenommen werden. (7) Nach Hinterlegung oder Billigung eines einheitlichen Registrierungsformulars kann der Emittent die darin enthaltenen Angaben jederzeit durch Hinterlegung einer Änderung hierzu bei der zuständigen Behörde aktualisieren. Vorbehaltlich Artikel 10 Absatz 3 Unterabsätze 1 und 2 ist für die Hinterlegung der Änderung bei der zuständigen Behörde keine Billigung erforderlich. (8) Die zuständige Behörde kann einheitliche Registrierungsformulare, die ohne vorherige Billigung hinterlegt wurden, sowie etwaige Änderungen dieser Formulare jederzeit einer inhaltlichen Überprüfung unterziehen. Die Überprüfung durch die zuständige Behörde besteht in einer Prüfung der Vollständigkeit, Kohärenz und Verständlichkeit der im einheitlichen Registrierungsformular und etwaiger Änderungen enthaltenen Informationen. (9) Stellt die zuständige Behörde im Zuge der Überprüfung fest, dass das einheitliche Registrierungsformular nicht den Standards der Vollständigkeit, Verständlichkeit und Kohärenz entspricht oder dass Änderungen oder zusätzliche Angaben erforderlich sind, so teilt sie dies dem Emittenten mit. Einem von der zuständigen Behörde an den Emittenten gerichteten Ersuchen um Änderung oder um zusätzliche Angaben muss vom Emittenten erst im nächsten einheitlichen Registrierungsformular Rechnung getragen werden, das für das folgende Geschäftsjahr hinterlegt wird, es sei denn, der Emittent möchte das einheitliche Registrierungsformular als Bestandteil eines zur Billigung vorgelegten Prospekts verwenden. In diesem Fall hinterlegt der Emittent spätestens bei Vorlage des Antrags gemäß Artikel 20 Absatz 6 eine Änderung des einheitlichen Registrierungsformulars. Abweichend von Unterabsatz 2 hinterlegt der Emittent unverzüglich eine Änderung des einheitlichen Registrierungsformulars, falls die zuständige Behörde dem Emittenten mitteilt, dass ihr Ersuchen um Änderung oder um zusätzliche Angaben eine wesentliche Nichtaufnahme oder eine wesentliche Unrichtigkeit oder eine wesentliche Ungenauigkeit betrifft, die die Öffentlichkeit in Bezug auf Fakten und Umstände, die für eine fundierte Beurteilung des Emittenten wesentlich sind, aller Wahrscheinlichkeit nach irreführen würde. Die zuständige Behörde kann vom Emittenten eine konsolidierte Fassung des geänderten einheitlichen Registrierungsformulars verlangen, wenn eine konsolidierte Fassung zur Gewährleistung der Verständlichkeit der Angaben des Dokuments erforderlich ist. Ein Emittent kann eine konsolidierte Fassung seines geänderten einheitlichen Registrierungsformulars freiwillig in eine Anlage zu der Änderung aufnehmen. 1212

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(10) Die Absätze 7 und 9 finden nur dann Anwendung, wenn das einheitliche Registrierungsformular nicht als Bestandteil eines Prospekts verwendet wird. Sofern ein einheitliches Registrierungsformular als Bestandteil eines Prospekts verwendet wird, gilt zwischen dem Zeitpunkt der Billigung des Prospekts und dem Zeitpunkt der endgültigen Schließung des öffentlichen Angebots von Wertpapieren oder gegebenenfalls dem Zeitpunkt, zu dem der Handel an einem geregelten Markt beginnt — je nachdem, welches der spätere Zeitpunkt ist — ausschließlich Artikel 23 betreffend Nachträge zum Prospekt. (11) Ein Emittent, der die in Absatz 2 Unterabsätze 1 oder 2 oder in Absatz 3 dieses Artikels genannten Voraussetzungen erfüllt, hat den Status eines Daueremittenten und kommt in den Genuss des beschleunigten Billigungsverfahrens gemäß Artikel 20 Absatz 6, sofern a) der Emittent bei der Hinterlegung jedes einheitlichen Registrierungsformulars bzw. bei jedem Antrag auf Billigung eines einheitlichen Registrierungsformulars der zuständigen Behörde eine schriftliche Bestätigung darüber vorlegt, dass seines Wissens alle vorgeschriebenen Informationen, die gegebenenfalls nach der Richtlinie 2004/109/EG und der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 offenzulegen sind, während der letzten 18 Monate oder während des Zeitraums seit Beginn der Pflicht zur Offenlegung der vorgeschriebenen Informationen — je nachdem, welcher Zeitraum kürzer ist — im Einklang mit diesen Rechtsakten hinterlegt und veröffentlicht wurden; und b) der Emittent, wenn die zuständige Behörde die Überprüfung gemäß Absatz 8 vorgenommen hat, sein einheitliches Registrierungsformular nach Absatz 9 geändert hat. Wird eine der vorgenannten Voraussetzungen vom Emittenten nicht erfüllt, verliert dieser den Status des Daueremittenten. (12) Wird das bei der zuständigen Behörde hinterlegte oder von ihr gebilligte einheitliche Registrierungsformular spätesten vier Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs veröffentlicht und enthält es die im Jahresfinanzbericht gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2004/109/EG offenzulegenden Informationen, so gilt die Pflicht des Emittenten zur Veröffentlichung des Jahresfinanzberichts gemäß jenem Artikel als erfüllt. Wird das einheitliche Registrierungsformular oder eine daran vorgenommene Änderung hinterlegt oder von der zuständigen Behörde gebilligt und spätestens drei Monate nach Ablauf der ersten sechs Monate des Geschäftsjahrs veröffentlicht und enthält es die in dem Halbjahresfinanzbericht gemäß Artikel 5 der Richtlinie 2004/109/EG offenzulegenden Informationen, so gilt die Pflicht des Emittenten zur Veröffentlichung des Halbjahresfinanzberichts gemäß jenem Artikel als erfüllt. 1213

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In den in den Unterabsätzen 1 und 2 genannten Fällen a) nimmt der Emittent in das einheitliche Registrierungsformular eine Liste mit Querverweisen auf, in der angegeben ist, wo die einzelnen in den Jahres- und Halbjahresfinanzberichten anzugebenden Informationen im einheitlichen Registrierungsformular zu finden sind; b) hinterlegt der Emittent das einheitliche Registrierungsformular gemäß Artikel 19 Absatz 1 der Richtlinie 2004/109/EG und stellt es dem amtlich bestellten System gemäß Artikel 21 Absatz 2 dieser Richtlinie zur Verfügung; c) nimmt der Emittent in das einheitliche Registrierungsformular eine Erklärung der verantwortlichen Personen nach den Vorgaben des Artikels 4 Absatz 2 Buchstabe c und des Artikels 5 Absatz 2 Buchstabe c der Richtlinie 2004/109/EG auf. (13) Absatz 12 findet nur dann Anwendung, wenn der Herkunftsmitgliedstaat des Emittenten für die Zwecke dieser Verordnung auch der Herkunftsmitgliedstaat für die Zwecke der Richtlinie 2004/109/EG ist und wenn die Sprache, in der das einheitliche Registrierungsformular abgefasst ist, den Anforderungen gemäß Artikel 20 dieser Richtlinie entspricht. (14) Die Kommission erlässt bis zum 21. Januar 2019 gemäß Artikel 44 delegierte Rechtsakte zur Ergänzung dieser Verordnung, in denen die Kriterien für die Prüfung und Überprüfung des einheitlichen Registrierungsformulars und etwaiger Änderungen und die Verfahren für die Billigung und Hinterlegung dieser Dokumente sowie die Bedingungen, unter denen der Status eines Daueremittenten aberkannt wird, präzisiert werden. Art. 10 Aus mehreren Einzeldokumenten bestehende Prospekte (1) Ein Emittent, dessen Registrierungsformular bereits von der zuständigen Behörde gebilligt wurde, ist nur zur Erstellung der Wertpapierbeschreibung und gegebenenfalls der Zusammenfassung verpflichtet, wenn die Wertpapiere öffentlich angeboten oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden. In diesem Fall werden die Wertpapierbeschreibung und die Zusammenfassung gesondert gebilligt. Tritt nach der Billigung des Registrierungsformulars ein wichtiger neuer Umstand ein oder wird eine wesentliche Unrichtigkeit oder eine wesentliche Ungenauigkeit festgestellt, die die im Registrierungsformular enthaltenen Informationen betrifft und die Beurteilung der Wertpapiere beeinflussen können, so ist spätestens zum Zeitpunkt der Wertpapierbeschreibung und der Zusammenfassung ein Nachtrag zum Registrierungsformular zur Billigung vorzulegen. Das Recht, Zusagen gemäß Artikel 23 Absatz 2 zurückzuziehen, findet in diesem Fall keine Anwendung. 1214

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Das Registrierungsformular und seine etwaigen Nachträge bilden zusammen mit der Wertpapierbeschreibung und der Zusammenfassung einen Prospekt, sobald die Billigung von der zuständigen Behörde erteilt wurde. (2) Nach der Billigung wird das Registrierungsformular der Öffentlichkeit unverzüglich gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 zur Verfügung gestellt. (3) Ein Emittent, dessen einheitliches Registrierungsformular bereits von der zuständigen Behörde gebilligt wurde oder der ein einheitliches Registrierungsformular ohne vorherige Billigung nach Artikel 9 Absatz 2 Unterabsatz 2 hinterlegt hat, ist nur zur Erstellung der Wertpapierbeschreibung und der Zusammenfassung verpflichtet, wenn die Wertpapiere öffentlich angeboten oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden. Ist das einheitliche Registrierungsformular bereits gebilligt, so bedürfen die Wertpapierbeschreibung, die Zusammenfassung und sämtliche seit Billigung des einheitlichen Registrierungsformulars hinterlegten Änderungen des Formulars einer gesonderten Billigung. Hat ein Emittent ein einheitliches Registrierungsformular ohne vorherige Billigung hinterlegt, so bedarf die gesamte Dokumentation, einschließlich der Änderungen des einheitlichen Registrierungsformulars, einer Billigung — unbeschadet der Tatsache, dass es sich weiterhin um separate Dokumente handelt. Das gemäß Artikel 9 Absatz 7 oder Absatz 9 geänderte einheitliche Registrierungsformular bildet zusammen mit der Wertpapierbeschreibung und der Zusammenfassung einen Prospekt, sobald die Billigung von der zuständigen Behörde erteilt wurde. Art. 11 Prospekthaftung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass je nach Fall zumindest der Emittent oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan, der Anbieter, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person oder der Garantiegeber für die Richtigkeit der in einem Prospekt und Nachträgen dazu enthaltenen Angaben haftet. Die für den Prospekt und Nachträge dazu verantwortlichen Personen sind im Prospekt eindeutig unter Angabe ihres Namens und ihrer Funktion — bei juristischen Personen ihres Namens und ihres Sitzes — zu benennen; der Prospekt muss zudem Erklärungen der betreffenden Personen enthalten, dass ihres Wissens die Angaben in dem Prospekt richtig sind und darin keine Angaben nicht aufgenommen werden, die die Aussage des Prospekts verändern können. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Bereich der Haftung für die Personen gelten, die für die in einem Prospekt enthaltenen Angaben verantwortlich sind. Die Mitgliedstaaten gewährleisten jedoch, dass niemand lediglich aufgrund der Zusammenfassung nach Artikel 7 oder der speziellen Zusammenfassung ei1215

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nes EU-Wachstumsprospekts nach Artikel 15 Absatz 1 Unterabsatz 2 samt etwaiger Übersetzungen haftet, es sei denn, a) die Zusammenfassung ist, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird, irreführend, unrichtig oder widersprüchlich oder b) sie vermittelt, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird, nicht die Basisinformationen, die in Bezug auf Anlagen in die Wertpapiere für die Anleger eine Entscheidungshilfe darstellen würden. (3) Die Haftung für die in einem Registrierungsformular oder in einem einheitlichen Registrierungsformular enthaltenen Informationen liegt nur in den Fällen bei den in Absatz 1 genannten Personen, in denen das Registrierungsformular oder das einheitliche Registrierungsformular als Bestandteil eines gebilligten Prospekts verwendet wird. Unterabsatz 1 gilt unbeschadet der Artikel 4 und 5 der Richtlinie 2004/109/ EG, wenn die gemäß jenen Artikeln offenzulegenden Informationen in einem einheitlichen Registrierungsformular enthalten sind. Art. 12 Gültigkeit des Prospekts, des Registrierungsformulars und des einheitlichen Registrierungsformulars (1) Ein Prospekt ist — unabhängig davon, ob er aus einem einzigen Dokument oder aus mehreren Einzeldokumenten besteht — nach seiner Billigung 12 Monate lang für öffentliche Angebote oder Zulassungen zum Handel an einem geregelten Markt gültig, sofern er um etwaige gemäß Artikel 23 erforderliche Nachträge ergänzt wird. Besteht ein Prospekt aus mehreren Einzeldokumenten, beginnt die Gültigkeitsdauer mit der Billigung der Wertpapierbeschreibung. (2) Ein Registrierungsformular, das zuvor gebilligt wurde, bleibt für die Verwendung als Bestandteil eines Prospekts 12 Monate nach seiner Billigung gültig. Das Ende der Gültigkeitsdauer eines solchen Registrierungsformulars hat keine Auswirkungen auf die Gültigkeit eines Prospekts, dessen Bestandteil es ist. (3) Ein einheitliches Registrierungsformular bleibt für die Verwendung als Bestandteil eines Prospekts 12 Monate nach seiner Billigung gemäß Artikel 9 Absatz 2 Unterabsatz 1 oder nach seiner Hinterlegung gemäß Artikel 9 Absatz 2 Unterabsatz 2 gültig. Das Ende der Gültigkeitsdauer eines solchen einheitlichen Registrierungsformulars hat keine Auswirkungen auf die Gültigkeit eines Prospekts, dessen Bestandteil es ist.

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Kapitel III – Inhalt und Aufmachung des Prospekts Art. 13 Mindestangaben und Aufmachung (1) Die Kommission erlässt gemäß Artikel 44 delegierte Rechtsakte zur Ergänzung dieser Verordnung in Bezug auf die Aufmachung des Prospekts, des Basisprospekts und der endgültigen Bedingungen sowie die Schemata für die in einen Prospekt aufzunehmenden spezifischen Angaben, wozu auch LEI und ISIN zählen, wobei im Falle eines Prospekts, der aus mehreren Einzeldokumenten besteht, Wiederholungen zu vermeiden sind. Bei der Festlegung der verschiedenen Prospektschemata ist insbesondere Folgendem Rechnung zu tragen: a) den unterschiedlichen Arten von Angaben, die Anleger in Bezug auf Dividendenwerte im Gegensatz zu Nichtdividendenwerten benötigen; die geforderten Angaben eines Prospekts in Bezug auf Wertpapiere mit ähnlichen wirtschaftlichen Grundsätzen, insbesondere Derivate, sind hierbei gemäß einem kohärenten Ansatz zu behandeln; b) den unterschiedlichen Arten und Eigenschaften der Angebote von Nichtdividendenwerten und deren Zulassungen zum Handel an einem geregelten Markt; c) der Aufmachung und den geforderten Angaben der Basisprospekte in Bezug auf Nichtdividendenwerte, wozu auch Optionsscheine jeglicher Art gehören; d) gegebenenfalls dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Emittenten; e) gegebenenfalls dem spezifischen Charakter der Tätigkeiten des Emittenten. Für die Zwecke von Unterabsatz 2 Buchstabe b legt die Kommission bei der Festlegung der verschiedenen Prospektschemata konkrete Informationsanforderungen an Prospekte fest, die sich auf die Zulassung von Nichtdividendenwerten zum Handel an einem geregelten Markt beziehen, die a) ausschließlich an einem geregelten Markt oder in einem bestimmten Segment eines solchen gehandelt werden sollen, zu dem ausschließlich qualifizierte Anleger zu Zwecken des Handels mit diesen Wertpapieren Zugang erhalten, oder b) eine Mindeststückelung von 100 000 EUR haben. Jene Informationsanforderungen müssen angemessen sein und dem Informationsbedarf der betreffenden Anleger Rechnung tragen. (2) Die Kommission erlässt bis zum 21. Januar 2019 gemäß Artikel 44 delegierte Rechtsakte zur Ergänzung dieser Verordnung, in denen das Schema für die in das einheitliche Registrierungsformular aufzunehmenden Mindestangaben festzulegen ist. Ein solches Schema gewährleistet, dass das einheitliche Registrierungsformular alle erforderlichen Angaben über den Emittenten enthält, sodass ein und 1217

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dasselbe einheitliche Registrierungsformular in gleicher Weise für das anschließende öffentliche Angebot oder die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt von Dividendenwerten oder Nichtdividendenwerten verwendet werden kann. Hinsichtlich der Finanzinformationen, des Betriebsergebnisses, der Finanzlage, der Aussichten und der Führung des Unternehmens müssen die Angaben so weit wie möglich mit den Angaben übereinstimmen, die in den Jahresund Halbjahresfinanzberichten gemäß den Artikeln 4 und 5 der Richtlinie 2004/ 109/EG offenzulegen sind, einschließlich des Lageberichts und der Erklärung zur Unternehmensführung. (3) Die delegierten Rechtsakte gemäß den Absätzen 1 und 2 basieren auf den Standards im Bereich der Finanz- und der Nichtfinanzinformationen, die von den internationalen Organisationen der Wertpapieraufsichtsbehörden, insbesondere der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörde (International Organization of Securities Commissions — IOSCO), ausgearbeitet wurden, sowie auf den Anhängen I, II und III dieser Verordnung. Art. 14 Vereinfachte Offenlegungsregelung für Sekundäremissionen (1) Folgende Personen können sich im Falle eines öffentlichen Angebots von Wertpapieren oder einer Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt dafür entscheiden, einen vereinfachten Prospekt auf der Grundlage der vereinfachten Offenlegungsregelung für Sekundäremissionen zu erstellen: a) Emittenten, deren Wertpapiere mindestens während der letzten 18 Monate ununterbrochen zum Handel an einem geregelten Markt oder an einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen waren und die Wertpapiere emittieren, die mit den vorhandenen zuvor begebenen Wertpapieren fungibel sind; b) Emittenten, deren Dividendenwerte mindestens während der letzten 18 Monate ununterbrochen zum Handel an einem geregelten Markt oder an einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen waren und die Nichtdividendenwerte begeben; c) Anbieter von Wertpapieren, die mindestens während der letzten 18 Monate ununterbrochen zum Handel an einem geregelten Markt oder an einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen waren. Der vereinfachte Prospekt besteht neben der Zusammenfassung gemäß Artikel 7 aus einem speziellen Registrierungsformular, das von den unter den Buchstaben a, b und c des Unterabsatzes 1 dieses Absatzes genannten Personen verwendet werden kann, und einer speziellen Wertpapierbeschreibung, die von den unter den Buchstaben a und c dieses Unterabsatzes genannten Personen verwendet werden kann. (2) Abweichend von Artikel 6 Absatz 1 und unbeschadet des Artikels 18 Absatz 1 enthält der vereinfachte Prospekt die erforderlichen verkürzten Angaben, die es Anlegern ermöglichen, sich über Folgendes zu informieren: 1218

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a) die Aussichten des Emittenten und die bedeutenden Änderungen der Geschäftstätigkeit und der Finanzlage des Emittenten sowie des Garantiegebers, die gegebenenfalls seit Ablauf des letzten Geschäftsjahres eingetreten sind; b) die mit den Wertpapieren verbundenen Rechte; c) die Gründe für die Emission und ihre Auswirkungen auf den Emittenten, einschließlich seiner Kapitalstruktur insgesamt, sowie die Verwendung der Erlöse. Die in dem vereinfachten Prospekt enthaltenen Angaben sind schriftlich und in leicht zu analysierender, knapper und verständlicher Form zu präsentieren und ermöglichen es Anlegern, eine fundierte Anlageentscheidung zu treffen. Sie berücksichtigen auch die vorgeschriebenen Informationen, die bereits gegebenenfalls gemäß der Richtlinie 2004/109/EG und der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 offengelegt wurden. (3) Die Kommission erlässt bis zum 21. Januar 2019 gemäß Artikel 44 delegierte Rechtsakte zur Ergänzung dieser Verordnung, indem sie die Schemata festlegt, die die auf der Grundlage der vereinfachten Offenlegungsregelung nach Absatz 1 aufzunehmenden verkürzten Informationen präzisieren. Die Schemata enthalten insbesondere: a) die jährlichen und halbjährlichen Finanzinformationen, die in den 12 Monaten vor der Billigung des Prospekts veröffentlicht wurden; b) gegebenenfalls Gewinnprognosen und -schätzungen; c) eine knappe Zusammenfassung der gemäß der Verordnung (EU) Nr. 596/ 2014 in den 12 Monaten vor der Billigung des Prospekts offengelegten relevanten Informationen; d) Risikofaktoren; e) für Dividendenwerte die Erklärung zum Geschäftskapital, die Erklärung zu Kapitalausstattung und Verschuldung, eine Offenlegung relevanter Interessenkonflikte und Geschäfte mit verbundenen Parteien sowie die Hauptaktionäre und gegebenenfalls eine Pro-forma-Finanzinformation. Bei der Festlegung der verkürzten Informationen, die gemäß der vereinfachten Offenlegungsregelung aufzunehmen sind, trägt die Kommission der Tatsache Rechnung, dass die Mittelbeschaffung über die Kapitalmärkte erleichtert werden muss und dass es wichtig ist, die Kapitalkosten zu senken. Um den Emittenten keine unnötigen Belastungen aufzuerlegen, berücksichtigt die Kommission bei der Festlegung der verkürzten Informationen auch die Angaben, die ein Emittent bereits gegebenenfalls gemäß der Richtlinie 2004/109/EG und der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 offenzulegen hat. Die Kommission kalibriert die verkürzten Informationen ferner so, dass deren Schwerpunkt auf den für Sekundäremissionen relevanten Angaben liegt und dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. 1219

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Art. 15 EU-Wachstumsprospekt (1) Die folgenden Personen können sich im Falle eines öffentlichen Angebots von Wertpapieren dafür entscheiden, einen EU-Wachstumsprospekt auf der Grundlage der verhältnismäßigen Offenlegungsregelung gemäß diesem Artikel zu erstellen, sofern sie keine Wertpapiere begeben haben, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen wurden: a) KMU; b) Emittenten, bei denen es sich nicht um KMU handelt, deren Wertpapiere an einem KMU-Wachstumsmarkt gehandelt werden oder gehandelt werden sollen, sofern ihre durchschnittliche Marktkapitalisierung auf der Grundlage der Notierungen zum Jahresende in den letzten drei Kalenderjahren weniger als 500 000 000 EUR betrug; c) andere als die unter den Buchstaben a und b genannten Emittenten, deren öffentliches Angebot von Wertpapieren einem Gesamtgegenwert in der Union von höchstens 20 000 000 EUR über einen Zeitraum von 12 Monaten entspricht, sofern keine Wertpapiere dieser Emittenten an einem MTF gehandelt werden und ihre durchschnittliche Beschäftigtenzahl im letzten Geschäftsjahr bis zu 499 betrug; d) Anbieter von Wertpapieren, die von den unter den Buchstaben a und b genannten Emittenten begeben wurden. Bei einem EU-Wachstumsprospekt im Rahmen der verhältnismäßigen Offenlegungsregelung handelt es sich um ein Dokument mit einer standardisierten Aufmachung, das in leicht verständlicher Sprache abgefasst und für die Emittenten leicht auszufüllen ist. Er enthält eine spezielle Zusammenfassung auf der Grundlage des Artikels 7, ein spezielles Registrierungsformular und eine spezielle Wertpapierbeschreibung. Die in dem EU-Wachstumsprospekt enthaltenen Informationen werden in einer standardisierten Reihenfolge aufgeführt, die in dem delegierten Rechtsakt nach Absatz 2 festgelegt ist. (2) Die Kommission erlässt bis zum 21. Januar 2019 gemäß Artikel 44 delegierte Rechtsakte zur Ergänzung dieser Verordnung, in denen der verkürzte Inhalt, die standardisierte Aufmachung und die standardisierte Reihenfolge für den EUWachstumsprospekt sowie der verkürzte Inhalt und die standardisierte Aufmachung der speziellen Zusammenfassung präzisiert werden. Die spezielle Zusammenfassung erlegt den Emittenten insofern keinerlei zusätzliche Belastungen oder Kosten auf, als dafür nur die relevanten Informationen erforderlich sind, die bereits im EU-Wachstumsprospekt enthalten sind. Bei der Festlegung der standardisierten Aufmachung der speziellen Zusammenfassung kalibriert die Kommission die Anforderungen, um sicherzustellen, dass die Zusammenfassung kürzer ist als die Zusammenfassung gemäß Artikel 7. Bei der Festlegung des verkürzten Inhalts, der standardisierten Aufmachung und der standardisierten Reihenfolge des EU-Wachstumsprospekts kalib1220

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riert die Kommission die Anforderungen so, dass deren Schwerpunkt auf Folgendem liegt: a) den Angaben, die für die Anleger bei einer Anlageentscheidung wesentlich und relevant sind; b) der Notwendigkeit, sicherzustellen, dass die Kosten für die Erstellung eines Prospekts in einem angemessenen Verhältnis zur Größe des Unternehmens stehen. Dabei berücksichtigt die Kommission Folgendes: a) dass der EU-Wachstumsprospekt unter dem Aspekt der Verwaltungslasten und der Emissionskosten signifikant einfacher sein muss als der Standardprospekt; b) dass KMU der Zugang zu den Kapitalmärkten erleichtert werden muss und die Kosten für die KMU möglichst gering zu halten sind, während gleichzeitig das Anlegervertrauen in solche Unternehmen gesichert werden muss; c) die unterschiedlichen Arten von Angaben, die Anleger in Bezug auf Dividendenwerte und Nichtdividendenwerte benötigen. Die betreffenden delegierten Rechtsakte basieren auf der Grundlage der Anhänge IV und V. Art. 16 Risikofaktoren (1) Auf Risikofaktoren wird in einem Prospekt nur insoweit eingegangen, als es sich um Risiken handelt, die für den Emittenten und/ oder die Wertpapiere spezifisch und im Hinblick auf eine fundierte Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind, wie auch durch den Inhalt des Registrierungsformulars und der Wertpapierbeschreibung bestätigt wird. Bei der Erstellung des Prospekts beurteilt der Emittent, der Anbieter oder die Person, die die Zulassung zum Handel auf einem geregelten Markt beantragt, die Wesentlichkeit der Risikofaktoren auf der Grundlage der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens und des zu erwartenden Umfangs ihrer negativen Auswirkungen. Jeder Risikofaktor muss angemessen beschrieben werden, wobei zu erläutern ist, wie er sich auf den Emittenten oder die angebotenen oder zum Handel zuzulassenden Wertpapiere auswirken kann. Die Beurteilung der Wesentlichkeit der Risikofaktoren gemäß Unterabsatz 2 kann auch durch Verwendung der Qualitätseinteilungen „gering“, „mittel“ oder „hoch“ offengelegt werden. Die Risikofaktoren werden entsprechend ihrer Beschaffenheit in eine begrenzte Anzahl von Kategorien eingestuft. Für jede Kategorie werden die wesentlichsten Risikofaktoren entsprechend der Beurteilung gemäß Unterabsatz 2 an erster Stelle genannt. (2) Zu den Risikofaktoren gehören auch die Risiken, die sich aus dem Grad der Nachrangigkeit eines Wertpapiers ergeben, sowie die Auswirkungen auf die vo1221

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raussichtliche Höhe oder den voraussichtlichen Zeitpunkt der Zahlungen an die Inhaber von Wertpapieren, im Falle eines Konkurses oder eines vergleichbaren Verfahrens, einschließlich, soweit relevant, der Insolvenz eines Kreditinstituts oder dessen Abwicklung oder Umstrukturierung gemäß der Richtlinie 2014/59/ EU. (3) Wird für die Wertpapiere eine Garantie gestellt, so enthält der Prospekt die spezifischen und wesentlichen Risikofaktoren bezüglich des Garantiegebers, soweit diese für seine Fähigkeit, seinen Verpflichtungen aus der Garantie nachzukommen, relevant sind. (4) Um eine angemessene und zielgerichtete Offenlegung der Risikofaktoren zu unterstützen, arbeitet die ESMA Leitlinien zur Unterstützung der zuständigen Behörden bei deren Überprüfung der Spezifität und der Wesentlichkeit der Risikofaktoren sowie der Einstufung der Risikofaktoren entsprechend ihrer Beschaffenheit in die Risikokategorien aus. (5) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 44 delegierte Rechtsakte zur Ergänzung dieser Verordnung zu erlassen, in denen Kriterien für die Beurteilung der Spezifität und der Wesentlichkeit der Risikofaktoren sowie für die Einstufung der Risikofaktoren entsprechend ihrer Beschaffenheit in Risikokategorien präzisiert werden. Art. 17 Endgültiger Emissionskurs und endgültiges Emissionsvolumen der Wertpapiere (1) Wenn der endgültige Emissionskurs und/oder das endgültige Emissionsvolumen, die Gegenstand des öffentlichen Angebots sind, entweder als Anzahl von Wertpapieren oder als aggregierter Nominalbetrag, im Prospekt nicht genannt werden können, a) kann eine Zusage zum Erwerb oder zur Zeichnung der Wertpapiere innerhalb von mindestens zwei Arbeitstagen nach Hinterlegung des endgültigen Emissionskurses und/oder des endgültigen Emissionsvolumen der öffentlich angebotenen Wertpapiere widerrufen werden oder b) ist Folgendes im Prospekt anzugeben: i) der Höchstkurs und/oder das maximale Emissionsvolumen, soweit vorhanden, oder ii) die Bewertungsmethoden und -kriterien und/oder die Bedingungen, nach denen der endgültige Emissionskurs festzulegen ist, und eine Erläuterung etwaiger Bewertungsmethoden. (2) Der endgültige Emissionskurs und das endgültige Emissionsvolumen werden bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats hinterlegt und gemäß den Bestimmungen des Artikels 21 Absatz 2 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. 1222

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Art. 18 Nichtaufnahme von Informationen (1) Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats kann die Nichtaufnahme bestimmter Informationen in den Prospekt oder in Bestandteilen hiervon genehmigen, wenn sie der Auffassung ist, dass eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist: a) Die Offenlegung der betreffenden Informationen würde dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen; b) die Offenlegung der betreffenden Informationen würde dem Emittenten oder dem etwaigen Garantiegeber ernsthaft schaden, vorausgesetzt, dass die Öffentlichkeit durch die Nichtaufnahme der Informationen nicht in Bezug auf Tatsachen und Umstände irregeführt wird, die für eine fundierte Beurteilung des Emittenten oder des etwaigen Garantiegebers und der mit den Wertpapieren, auf die sich der Prospekt bezieht, verbundenen Rechte wesentlich sind; c) die betreffende Information ist in Bezug auf ein spezifisches Angebot oder eine spezifische Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt von untergeordneter Bedeutung und beeinflusst nicht die Beurteilung der Finanzlage und der Aussichten des Emittenten oder des etwaigen Garantiegebers. Die zuständige Behörde legt der ESMA alljährlich einen Bericht zu den Informationen vor, deren Nichtaufnahme sie genehmigt hat. (2) Für den Fall, dass ausnahmsweise bestimmte Angaben, die in einen Prospekt oder in Bestandteilen hiervon aufzunehmen sind, dem Tätigkeitsbereich oder der Rechtsform des Emittenten oder des etwaigen Garantiegebers, oder aber den Wertpapieren, auf die sich der Prospekt bezieht, nicht angemessen sind, enthält der Prospekt oder Bestandteile hiervon vorbehaltlich einer angemessenen Information der Anleger Angaben, die den geforderten Angaben gleichwertig sind, es sei denn, solche Angaben sind nicht verfügbar. (3) Wenn Wertpapiere von einem Mitgliedstaat garantiert werden, ist der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person bei der Erstellung eines Prospekts gemäß Artikel 4 berechtigt, Angaben über den betreffenden Mitgliedstaat nicht aufzunehmen. (4) Die ESMA kann bzw. muss, wenn die Kommission dies verlangt, Entwürfe technischer Regulierungsstandards ausarbeiten, in denen präzisiert wird, in welchen Fällen im Einklang mit Absatz 1 und unter Berücksichtigung der in Absatz 1 genannten Berichte, die die zuständigen Behörden der ESMA vorzulegen haben, eine Nichtaufnahme von Angaben zulässig ist. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 19 Aufnahme von Informationen mittels Verweis (1) Informationen können mittels Verweis in einen Prospekt aufgenommen werden, wenn sie zuvor 1223

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oder gleichzeitig auf elektronischem Wege veröffentlicht werden, in einer Sprache gemäß den Anforderungen des Artikels 27 abgefasst sind und in einem der folgenden Dokumente enthalten sind: a) Dokumente, die im Einklang mit dieser Verordnung oder der Richtlinie 2003/71/EG von einer zuständigen Behörde gebilligt oder bei ihr hinterlegt wurden; b) Dokumente gemäß Artikel 1 Absatz 4 Buchstaben f bis i und Artikel 1 Absatz 5 Unterabsatz 1 Buchstaben e bis h sowie Buchstabe j Ziffer v; c) vorgeschriebene Informationen; d) jährlich und unterjährig vorzulegende Finanzinformationen; e) Prüfungsberichte und Jahresabschlüsse; f) Lageberichte gemäß Kapitel 5 der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates18; g) Erklärungen zur Unternehmensführung gemäß Artikel 20 der Richtlinie 2013/34/EU; h) Berichte über die Bestimmung des Wertes eines Unternehmens oder eines Vermögenswertes; i) Vergütungsberichte gemäß Artikel 9b der Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates19; j) Jahresberichte oder Offenlegung der Informationen, die in den Artikeln 22 und 23 der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates20 vorgesehen sind; k) Gründungsurkunde und Satzung. Dabei muss es sich um die dem Emittenten vorliegenden jüngsten Informationen handeln. Werden nur bestimmte Teile eines Dokuments mittels Verweis aufgenommen, so muss der Prospekt eine Erklärung enthalten, dass die nicht aufgenommenen Teile entweder für den Anleger nicht relevant sind oder an anderer Stelle im Prospekt enthalten sind. 18 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/ EWG des Rates (ABl. L 182 vom 29. 6. 2013, S. 19). 19 Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (ABl. L 184 vom 14. 7. 2007, S. 17). 20 Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010 (ABl. L 174 vom 1. 7. 2011, S. 1).

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(2) Werden Informationen mittels Verweis aufgenommen, so gewährleistet der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person die Zugänglichkeit der Informationen. Insbesondere muss der Prospekt eine Liste mit Querverweisen enthalten, damit Anleger bestimmte Einzelangaben leicht auffinden können, sowie elektronische Verknüpfungen (im Folgenden „Hyperlink“) zu allen Dokumenten, die mittels Verweis aufgenommene Informationen enthalten. (3) Der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person legt soweit möglich zusammen mit dem bei der zuständigen Behörde eingereichten ersten Entwurf des Prospekts, spätestens aber zum Zeitpunkt des Überprüfungsprozesses alle mittels Verweis in den Prospekt aufgenommenen Informationen in einem elektronischen Format mit Suchfunktion vor, es sei denn, die betreffenden Informationen wurden bereits von der für die Billigung des Prospekts zuständigen Behörde gebilligt oder bei ihr hinterlegt. (4) Die ESMA kann bzw. muss, wenn die Kommission dies verlangt, Entwürfe technischer Regulierungsstandards zur Aktualisierung der in Absatz 1 dieses Artikels genannten Liste von Dokumenten durch Aufnahme weiterer Arten von Dokumenten, die nach dem Unionsrecht bei einer Behörde zu hinterlegen oder von einer Behörde zu billigen sind, ausarbeiten. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 dieses Absatzes genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

Kapitel IV – Regeln für die Billigung und die Veröffentlichung des Prospekts Art. 20 Prüfung und Billigung des Prospekts (1) Ein Prospekt darf erst veröffentlicht werden, wenn die jeweils zuständige Behörde ihn oder alle seine Bestandteile gemäß Artikel 10 gebilligt hat. (2) Die zuständige Behörde teilt dem Emittenten, dem Anbieter oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person innerhalb von zehn Arbeitstagen nach Vorlage des Prospektentwurfs ihre Entscheidung hinsichtlich der Billigung des Prospekts mit. Unterlässt es die zuständige Behörde, innerhalb der in Unterabsatz 1 dieses Absatzes sowie den Absätzen 3 und 6 genannten Fristen eine Entscheidung über den Prospekt zu treffen, so gilt diese Unterlassung nicht als Billigung. Die zuständige Behörde unterrichtet die ESMA so bald wie möglich über die Billigung des Prospekts und aller Prospektnachträge, auf jeden Fall spätestens 1225

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bis zum Ende des ersten Arbeitstags, nachdem der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person hierüber unterrichtet wurde. (3) Die Frist gemäß Absatz 2 Unterabsatz 1 wird auf 20 Arbeitstage verlängert, wenn das öffentliche Angebot Wertpapiere eines Emittenten betrifft, dessen Wertpapiere noch nicht zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind und der zuvor keine Wertpapiere öffentlich angeboten hat. Die Frist von 20 Arbeitstagen gilt nur für die erste Vorlage des Prospektentwurfs. Sind gemäß Absatz 4 nachfolgende Vorlagen erforderlich, so gilt die Frist nach Absatz 2 Unterabsatz 1. (4) Stellt die zuständige Behörde fest, dass der Prospektentwurf die für eine Billigung vorausgesetzten Standards bezüglich Vollständigkeit, Verständlichkeit und Kohärenz nicht erfüllt und/oder dass Änderungen oder ergänzende Informationen erforderlich sind, so a) unterrichtet sie den Emittenten, den Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person zeitnah darüber, spätestens innerhalb der in Absatz 2 Unterabsatz 1 oder gegebenenfalls Absatz 3 genannten Fristen, gerechnet ab der Vorlage des Prospektentwurfs und/oder der ergänzenden Informationen, und b) gibt klar die Änderungen oder ergänzenden Informationen, die erforderlich sind, an. In diesen Fällen gilt die in Absatz 2 Unterabsatz 1 festgelegte Frist erst ab dem Datum, zu dem ein geänderter Prospektentwurf oder die verlangten zusätzlichen Informationen bei der zuständigen Behörde eingereicht werden. (5) Ist der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person nicht in der Lage oder nicht willens, die erforderlichen Änderungen vorzunehmen oder die gemäß Absatz 4 verlangten ergänzenden Informationen vorzulegen, ist die zuständige Behörde berechtigt, die Billigung des Prospekts zu verweigern und den Überprüfungsprozess zu beenden. In diesem Fall teilt die zuständige Behörde dem Emittenten, dem Anbieter oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person ihre Entscheidung und die Gründe für die Ablehnung mit. (6) Abweichend von den Absätzen 2 und 4 verkürzen sich die in Absatz 2 Unterabsatz 1 und Absatz 4 genannten Fristen für einen aus mehreren Einzeldokumenten bestehenden Prospekt, der durch in Artikel 9 Absatz 11 genannte Daueremittenten, einschließlich Daueremittenten, die das Notifizierungsverfahren nach Artikel 26 anwenden, erstellt wurde, auf fünf Arbeitstage. Der Daueremittent unterrichtet die zuständige Behörde spätestens fünf Arbeitstage vor dem Datum, zu dem der Antrag auf Billigung gestellt werden soll. Der Daueremittent legt der zuständigen Behörde seinen Antrag mit den erforderlichen Änderungen des einheitlichen Registrierungsformulars, soweit 1226

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dies zutrifft, sowie der Wertpapierbeschreibung und der Zusammenfassung, die zur Billigung vorgelegt wurden, vor. (7) Die zuständigen Behörden stellen auf ihren Websites eine Anleitung zum Prüfungs- und Billigungsverfahren bereit, um eine wirksame und zeitnahe Billigung der Prospekte zu gewährleisten. Eine solche Anleitung schließt auch Kontaktdaten für Billigungen ein. Der Emittent, der Anbieter, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person oder die für die Erstellung des Prospekts zuständige Person erhalten die Möglichkeit, während des gesamten Verfahrens der Billigung des Prospekts direkt mit dem Personal der zuständigen Behörde zu kommunizieren und zu interagieren. (8) Auf Antrag des Emittenten, des Anbieters oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person kann die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats die Billigung eines Prospekts der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats übertragen, sofern die ESMA vorab darüber informiert wurde und die betreffende zuständige Behörde damit einverstanden ist. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats übermittelt die hinterlegten Unterlagen zusammen mit ihrer Entscheidung, die Billigung zu übertragen, noch an dem Tag, an dem sie die Entscheidung getroffen hat, in elektronischer Form der zuständigen Behörde des anderen Mitgliedstaats. Eine solche Übertragung ist dem Emittenten, dem Anbieter oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person innerhalb von drei Arbeitstagen ab dem Datum mitzuteilen, zu dem die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats ihre Entscheidung getroffen hat. Die in Absatz 2 Unterabsatz 1 und Absatz 3 genannten Fristen gelten ab dem Datum, zu dem die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats die Entscheidung getroffen hatte. Artikel 28 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 findet auf die Übertragung der Billigung des Prospekts gemäß diesem Absatz keine Anwendung. Nach Abschluss der Übertragung der Billigung gilt die zuständige Behörde, der die Billigung des Prospekts übertragen wurde, für die Zwecke dieser Verordnung als die für diesen Prospekt zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats. (9) Diese Verordnung berührt nicht die Haftung der zuständigen Behörde, die weiterhin ausschließlich durch das nationale Recht geregelt wird. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ihre nationalen Vorschriften über die Haftung der zuständigen Behörde lediglich für die Billigung von Prospekten durch ihre zuständige Behörde gelten. (10) Die Höhe der Gebühren, die die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats für die Billigung von Prospekten, von Dokumenten, die Bestandteil von Prospekten gemäß Artikel 10 werden sollen, oder von Prospektnachträgen sowie für die Hinterlegung einheitlicher Registrierungsformulare, einschlägiger 1227

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Änderungen und endgültiger Bedingungen erhebt, muss angemessen und verhältnismäßig sein und wird zumindest auf der Website der zuständigen Behörde veröffentlicht. (11) Die Kommission erlässt bis zum 21. Januar 2019 gemäß Artikel 44 delegierte Rechtsakte zur Ergänzung dieser Verordnung, in denen die Kriterien für die Prüfung der Prospekte, insbesondere der Vollständigkeit, Verständlichkeit und Kohärenz der darin enthaltenen Informationen, und die Verfahren für die Billigung des Prospekts festgelegt werden. (12) Die ESMA nutzt ihre Befugnisse im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 1095/ 2010 zur Förderung der Aufsichtskonvergenz in Bezug auf die Prüfungs- und Billigungsverfahren der zuständigen Behörden zur Bewertung der Vollständigkeit, Kohärenz und Verständlichkeit der im Prospekt enthaltenen Informationen. Hierzu arbeitet die ESMA Leitlinien für die zuständigen Behörden über die Überwachung und Durchsetzung der Prospektvorschriften aus; diese Leitlinien beziehen sich auf die Überprüfung der Einhaltung dieser Verordnung und von auf ihrer Grundlage erlassenen delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten. Die ESMA fördert insbesondere die Konvergenz hinsichtlich der Wirksamkeit, der Methoden und des Zeitpunkts der Prüfung der im Prospekt enthaltenen Informationen durch die zuständigen Behörden, wobei sie insbesondere vergleichende Analysen gemäß Absatz 13 durchführt. (13) Unbeschadet des Artikels 30 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 unterzieht die ESMA die Prüfungs- und Billigungsverfahren der zuständigen Behörden, einschließlich der Verfahren zur Notifizierung der Billigung zwischen den zuständigen Behörden, mindestens einer vergleichenden Analyse („Peer review“). Bei der vergleichenden Analyse wird auch bewertet, wie sich unterschiedliche Ansätze bei der Prüfung und Billigung durch die zuständigen Behörden auf die Möglichkeiten der Emittenten, sich in der Union Kapital zu beschaffen, auswirken. Der Bericht über die vergleichende Analyse wird bis zum 21. Juli 2022 veröffentlicht. Die ESMA berücksichtigt im Rahmen dieser vergleichenden Analyse die Stellungnahmen oder Empfehlungen der in Artikel 37 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 genannten Interessengruppe Wertpapiere und Wertpapiermärkte. Art. 21 Veröffentlichung des Prospekts (1) Nach seiner Billigung ist der Prospekt der Öffentlichkeit durch den Emittenten, den Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person rechtzeitig vor und spätestens mit Beginn des öffentlichen Angebots oder der Zulassung der betreffenden Wertpapiere zum Handel zur Verfügung zu stellen. Im Falle eines öffentlichen Erstangebots einer Gattung von Aktien, die zum ersten Mal zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen wird, muss der Prospekt der Öffentlichkeit mindestens sechs Arbeitstage vor dem Ende des Angebots zur Verfügung gestellt werden. 1228

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(2) Der Prospekt gilt unabhängig davon, ob er aus einem oder mehreren Dokumenten besteht, als der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, wenn er in elektronischer Form auf einer der folgenden Websites veröffentlicht wird: a) der Website des Emittenten, des Anbieters oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person; b) der Website der die Wertpapiere platzierenden oder verkaufenden Finanzintermediäre, einschließlich der Zahlstellen; c) der Website des geregelten Marktes, an dem die Zulassung zum Handel beantragt wurde, oder — wenn keine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt wurde — auf der Website des Betreibers des MTF. (3) Der Prospekt wird in einer beim Aufrufen der Website leicht zugänglichen eigenen Rubrik veröffentlicht. Er wird als herunterladbare, druckbare Datei in einem mit Suchfunktion ausgestatteten, jedoch nicht editierbaren elektronischen Format zur Verfügung gestellt. Dokumente mit Informationen, die mittels Verweis in den Prospekt aufgenommen werden, Nachträge und/oder endgültige Bedingungen für den Prospekt sowie eine gesonderte Kopie der Zusammenfassung werden in derselben Rubrik wie der Prospekt selbst, erforderlichenfalls in Form eines Hyperlinks, zur Verfügung gestellt. In der gesonderten Kopie der Zusammenfassung ist klar anzugeben, auf welchen Prospekt sie sich bezieht. (4) Für den Zugang zum Prospekt ist weder eine Registrierung noch die Akzeptanz einer Haftungsbegrenzungsklausel noch die Entrichtung einer Gebühr erforderlich. Warnhinweise, die angeben, im Rahmen welcher Rechtsordnungen ein Angebot unterbreitet oder eine Zulassung zum Handel erteilt wird, werden nicht als Haftungsbegrenzungsklausel angesehen. (5) Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats veröffentlicht auf ihrer Website alle gebilligten Prospekte oder zumindest die Liste der gebilligten Prospekte, einschließlich eines Hyperlinks zu den in Absatz 3 dieses Artikels genannten spezifischen Rubriken der Website und der Angabe des Aufnahmemitgliedstaats oder der Aufnahmemitgliedstaaten, in dem/denen Prospekte gemäß Artikel 25 notifiziert werden. Die veröffentlichte Liste, einschließlich der Hyperlinks, wird stets auf aktuellem Stand gehalten, und jeder einzelne Eintrag bleibt mindestens während des in Absatz 7 dieses Artikels genannten Zeitraums auf der Website verfügbar. Bei der Notifizierung der Billigung des Prospekts oder eines Prospektnachtrags an die ESMA übermittelt die zuständige Behörde der ESMA gleichzeitig eine elektronische Kopie des Prospekts und des betreffenden Nachtrags sowie die erforderlichen Daten für die Klassifizierung in dem in Absatz 6 genannten Speichermechanismus durch die ESMA und für die Erstellung des Berichts nach Artikel 47. 1229

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Die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats veröffentlicht auf ihrer Website Informationen zu allen gemäß Artikel 25 eingehenden Notifizierungen. (6) Die ESMA veröffentlicht auf ihrer Website unverzüglich sämtliche Prospekte, die ihr von den zuständigen Behörden übermittelt wurden, einschließlich aller Prospektnachträge, endgültiger Bedingungen und gegebenenfalls entsprechender Übersetzungen, sowie Angaben zu dem Aufnahmemitgliedstaat/den Aufnahmemitgliedstaaten, in dem/denen Prospekte gemäß Artikel 25 notifiziert werden. Die Veröffentlichung erfolgt über einen für die Öffentlichkeit kostenlos zugänglichen Speichermechanismus mit Suchfunktionen. (7) Alle gebilligten Prospekte bleiben nach ihrer Veröffentlichung mindestens zehn Jahre lang auf den in den Absätzen 2 und 6 genannten Websites in elektronischer Form öffentlich zugänglich. Werden für mittels Verweis in den Prospekt aufgenommene Informationen, Nachträge und/oder endgültige Bedingungen für den Prospekt Hyperlinks verwendet, so bleiben diese während des in Unterabsatz 1 genannten Zeitraums funktionsfähig. (8) Ein gebilligter Prospekt muss einen deutlich sichtbaren Warnhinweis mit der Angabe enthalten, ab wann der Prospekt nicht mehr gültig ist. In dem Warnhinweis ist zudem anzugeben, dass die Pflicht zur Erstellung eines Prospektnachtrags im Falle wichtiger neuer Umstände, wesentlicher Unrichtigkeiten oder wesentlicher Ungenauigkeiten nicht besteht, wenn der Prospekt ungültig geworden ist. (9) Für den Fall, dass der Prospekt mehrere Einzeldokumente umfasst und/oder Angaben in Form eines Verweises enthält, können die den Prospekt bildenden Dokumente und Angaben getrennt veröffentlicht und verbreitet werden, sofern sie der Öffentlichkeit gemäß den Bestimmungen des Absatzes 2 zur Verfügung gestellt werden. Besteht der Prospekt aus gesonderten Einzeldokumenten gemäß Artikel 10, so ist in jedem dieser Einzeldokumente mit Ausnahme der mittels Verweis aufgenommenen Dokumente anzugeben, dass es sich dabei lediglich um einen Teil des Prospekts handelt und wo die übrigen Einzeldokumente erhältlich sind. (10) Der Wortlaut und die Aufmachung des Prospekts und jeglicher Nachträge zum Prospekt, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, müssen jederzeit mit der ursprünglichen Fassung identisch sein, die von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats gebilligt wurde. (11) Jedem potenziellen Anleger muss vom Emittenten, vom Anbieter, von der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person oder von den Finanzintermediären, die die Wertpapiere platzieren oder verkaufen, auf Verlangen kostenlos eine Version des Prospekts auf einem dauerhaften 1230

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Datenträger zur Verfügung gestellt werden. Für den Fall, dass ein potenzieller Anleger ausdrücklich eine Papierkopie anfordert, stellt ihm der Emittent, der Anbieter, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person oder ein Finanzintermediär, der die Wertpapiere platziert oder verkauft, eine gedruckte Fassung des Prospekts zur Verfügung. Die Bereitstellung ist auf Rechtsordnungen beschränkt, in denen im Rahmen dieser Verordnung das öffentliche Angebot von Wertpapieren unterbreitet wird oder die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt erfolgt. (12) ESMA kann bzw. muss, wenn die Kommission dies verlangt, Entwürfe technischer Regulierungsstandards ausarbeiten, in denen die Anforderungen hinsichtlich der Veröffentlichung des Prospekts weiter präzisiert werden. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (13) Die ESMA erstellt Entwürfe technischer Regulierungsstandards, in denen die für die Klassifizierung der Prospekte nach Absatz 5 erforderlichen Daten und die praktischen Modalitäten spezifiziert werden, mit denen sichergestellt wird, dass diese Daten einschließlich der ISIN der Wertpapiere und der LEI der Emittenten, Anbieter und Garantiegeber maschinenlesbar sind. Die ESMA übermittelt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 21. Juli 2018. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 22 Werbung (1) Jede Werbung, die sich auf ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder auf eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt bezieht, muss die Grundsätze der Absätze 2 bis 5 beachten. Die Absätze 2 bis 4 und Absatz 5 Buchstabe b gelten nur für die Fälle, in denen der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person der Pflicht zur Erstellung eines Prospekts unterliegt. (2) In jeder Werbung ist darauf hinzuweisen, dass ein Prospekt veröffentlicht wurde bzw. zur Veröffentlichung ansteht und wo die Anleger ihn erhalten können. (3) Werbung muss klar als solche erkennbar sein. Die darin enthaltenen Informationen dürfen nicht unrichtig oder irreführend sein und müssen mit den im Prospekt enthaltenen Informationen übereinstimmen, falls er bereits veröffentlicht ist, oder die in den Prospekt aufzunehmen sind, falls er erst noch veröffentlicht wird. (4) Alle mündlich oder schriftlich verbreiteten Informationen über das öffentliche Angebot von Wertpapieren oder die Zulassung zum Handel an einem gere1231

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gelten Markt müssen, selbst wenn sie nicht zu Werbezwecken dienen, mit den im Prospekt enthaltenen Informationen übereinstimmen. (5) Falls wesentliche Informationen von einem Emittenten oder einem Anbieter offengelegt und mündlich oder schriftlich an einen oder mehrere ausgewählte Anleger gerichtet werden, müssen diese Informationen entweder a) allen anderen Anlegern, an die sich das Angebot richtet, mitgeteilt werden, falls keine Veröffentlichung eines Prospekt gemäß Artikel 1 Absätze 4 und 5 erforderlich ist, oder b) in den Prospekt oder in einen Nachtrag zum Prospekt gemäß Artikel 23 Absatz 1 aufgenommen werden, falls die Veröffentlichung eines Prospekts erforderlich ist. (6) Die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem die Werbung verbreitet wird, ist befugt, zu kontrollieren, ob bei der Werbung für ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt Absätze 2 bis 4 beachtet werden. Falls erforderlich, unterstützt die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem die Werbung verbreitet wird, bei der Beurteilung der Frage, ob die Werbung mit den Informationen im Prospekt übereinstimmt. Unbeschadet des Artikels 32 Absatz 1 ist die Prüfung der Werbung durch eine zuständige Behörde keine Voraussetzung für ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder für die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt in einem Aufnahmemitgliedstaat. Nutzt die zuständige Behörde eines Aufnahmemitgliedstaats zur Durchsetzung des vorliegenden Artikels eine der Aufsichts- und Ermittlungsbefugnisse gemäß Artikel 32, so ist dies unverzüglich der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats des Emittenten mitzuteilen. (7) Die zuständigen Behörden der Aufnahmemitgliedstaaten dürfen Gebühren nur im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ihrer Aufsichtsaufgaben gemäß diesem Artikel erheben. Die Höhe der Gebühren ist auf den Websites der zuständigen Behörden anzugeben. Die Gebühren müssen diskriminierungsfrei, angemessen und verhältnismäßig zu der Aufsichtsaufgabe sein. Von den zuständigen Behörden der Aufnahmemitgliedstaaten werden keine Anforderungen oder Verwaltungsverfahren auferlegt, die über die für die Ausübung ihrer Aufsichtsaufgaben gemäß diesem Artikel erforderlichen Anforderungen oder Verwaltungsverfahren hinausgehen. (8) Abweichend von Absatz 6 können zwei zuständige Behörden eine Vereinbarung schließen, wonach in grenzüberschreitenden Situationen für die Zwecke der Ausübung der Kontrolle darüber, ob die für die Werbung geltenden Grundsätze eingehalten werden, diese Kontrolle weiterhin der zuständigen Behörde 1232

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des Herkunftsmitgliedstaats obliegt. Solche Vereinbarungen werden der ESMA mitgeteilt. Die ESMA veröffentlicht eine Liste solcher Vereinbarungen und aktualisiert diese regelmäßig. (9) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, in denen die Bestimmungen der Absätze 2 bis 4 über die Werbung weiter präzisiert werden, auch zu dem Zweck, die Bestimmungen über die Verbreitung von Werbung festzulegen und Verfahren für die Zusammenarbeit zwischen der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats und der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem die Werbung verbreitet wird, aufzustellen. Die ESMA übermittelt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis 21. Juli 2018. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (10) Gemäß Artikel 16 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 arbeitet die ESMA an die zuständigen Behörden gerichtete Leitlinien und Empfehlungen in Bezug auf die gemäß Absatz 6 ausgeübte Kontrolle aus. In diesen Leitlinien und Empfehlungen wird berücksichtigt, dass eine solche Kontrolle die Funktionsweise des Notifizierungsverfahrens gemäß Artikel 25 nicht behindern darf, wobei zugleich der Verwaltungsaufwand für Emittenten, die grenzüberschreitende Angebote in der Union abgeben, so gering wie möglich zu halten ist. (11) Dieser Artikel gilt unbeschadet der anderen geltenden Bestimmungen des Unionsrechts. Art. 23 Nachträge zum Prospekt (1) Jeder wichtige neue Umstand, jede wesentliche Unrichtigkeit oder jede wesentliche Ungenauigkeit in Bezug auf die in einem Prospekt enthaltenen Angaben, die die Bewertung der Wertpapiere beeinflussen können und die zwischen der Billigung des Prospekts und dem Auslaufen der Angebotsfrist oder — falls später — der Eröffnung des Handels an einem geregelten Markt auftreten oder festgestellt werden, müssen unverzüglich in einem Nachtrag zum Prospekt genannt werden. Dieser Nachtrag ist innerhalb von höchstens fünf Arbeitstagen auf die gleiche Art und Weise wie der Prospekt zu billigen und zumindest gemäß denselben Regeln zu veröffentlichen, wie sie für die Veröffentlichung des ursprünglichen Prospekts gemäß Artikel 21 galten. Auch die Zusammenfassung und etwaige Übersetzungen sind erforderlichenfalls durch die im Nachtrag enthaltenen neuen Informationen zu ergänzen. (2) Betrifft der Prospekt ein öffentliches Angebot von Wertpapieren, so haben Anleger, die Erwerb oder Zeichnung der Wertpapiere bereits vor Veröffentlichung des Nachtrags zugesagt haben, das Recht, ihre Zusagen innerhalb von 1233

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zwei Arbeitstagen nach Veröffentlichung des Nachtrags zurückzuziehen, vorausgesetzt, dass der wichtige neue Umstand, die wesentliche Unrichtigkeit oder die wesentliche Ungenauigkeit gemäß Absatz 1 vor dem Auslaufen der Angebotsfrist oder — falls früher — der Lieferung der Wertpapiere eingetreten ist oder festgestellt wurde. Diese Frist kann vom Emittenten oder vom Anbieter verlängert werden. Die Frist für das Widerrufsrecht wird im Nachtrag angegeben. Der Nachtrag enthält eine deutlich sichtbare Erklärung in Bezug auf das Widerrufsrecht, in der Folgendes eindeutig angegeben ist: a) dass nur denjenigen Anlegern ein Widerrufsrecht eingeräumt wird, die Erwerb oder Zeichnung der Wertpapiere bereits vor Veröffentlichung des Nachtrags zugesagt hatten, sofern die Wertpapiere den Anlegern zu dem Zeitpunkt, zu dem der wichtige neue Umstand, die wesentliche Unrichtigkeit oder die wesentliche Ungenauigkeit eingetreten ist oder festgestellt wurde, noch nicht geliefert worden waren; b) der Zeitraum, in dem die Anleger ihr Widerrufsrecht geltend machen können, und c) an wen sich die Anleger wenden können, wenn sie ihr Widerrufsrecht geltend machen wollen. (3) Werden die Wertpapiere über einen Finanzintermediär erworben oder gezeichnet, so informiert dieser die Anleger über die mögliche Veröffentlichung eines Nachtrags, über Ort und Zeitpunkt einer solchen Veröffentlichung sowie darüber, dass er ihnen in solchen Fällen behilflich sein würde, ihr Widerrufsrecht auszuüben. Der Finanzintermediär kontaktiert die Anleger am Tag der Veröffentlichung des Nachtrags. Werden die Wertpapiere unmittelbar vom Emittenten erworben oder gezeichnet, so informiert dieser die Anleger über die mögliche Veröffentlichung eines Nachtrags und über den Ort einer solchen Veröffentlichung sowie darüber, dass ihnen in einem solchen Fall ein Widerrufsrecht zustehen könnte. (4) Erstellt der Emittent einen Nachtrag für Angaben im Basisprospekt, die sich nur auf eine oder mehrere Einzelemissionen beziehen, so gilt das Recht der Anleger, ihre Zusagen gemäß Absatz 2 zurückzuziehen, nur für die betreffenden Emissionen und nicht für andere Emissionen von Wertpapieren im Rahmen des Basisprospekts. (5) Wenn der wichtige neue Umstand, die wesentliche Unrichtigkeit oder die wesentliche Ungenauigkeit im Sinne des Absatzes 1 nur die in einem Registrierungsformular oder in einem einheitlichen Registrierungsformular enthaltenen Angaben betrifft und dieses Registrierungsformular oder dieses einheitliche Registrierungsformular gleichzeitig als Bestandteil mehrerer Prospekte verwendet 1234

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wird, so wird nur ein Nachtrag erstellt und gebilligt. In diesem Fall sind im Nachtrag alle Prospekte zu nennen, auf die er sich bezieht. (6) Bei der Prüfung eines Nachtrags vor dessen Billigung kann die zuständige Behörde verlangen, dass der Nachtrag in der Anlage eine konsolidierte Fassung des ergänzten Prospekts, Registrierungsformulars oder einheitlichen Registrierungsformulars enthält, sofern eine solche konsolidierte Fassung zur Gewährleistung der Verständlichkeit der Angaben des Prospekts erforderlich ist. Ein solches Ersuchen gilt als Ersuchen um ergänzende Informationen im Sinne des Artikels 20 Absatz 4. Ein Emittent kann in jedem Fall freiwillig eine konsolidierte Fassung des ergänzten Prospekts, Registrierungsformulars oder einheitlichen Registrierungsformulars als Anlage des Nachtrags beifügen. (7) Die ESMA arbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, um die Situationen zu benennen, in denen ein wichtiger neuer Umstand, eine wesentliche Unrichtigkeit oder eine wesentliche Ungenauigkeit in Bezug auf die im Prospekt enthaltenen Angaben die Veröffentlichung eines Prospektnachtrags erfordert. Die ESMA übermittelt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis 21. Juli 2018. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards nach Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

Kapitel V – Grenzüberschreitende Angebote, Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt und Sprachenregelung Art. 24 Unionsweite Geltung gebilligter Prospekte (1) Sollen Wertpapiere in einem oder mehreren Mitgliedstaaten oder in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsmitgliedstaat öffentlich angeboten oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden, so ist unbeschadet des Artikels 37 der vom Herkunftsmitgliedstaat gebilligte Prospekt einschließlich etwaiger Nachträge in beliebig vielen Aufnahmemitgliedstaaten für ein öffentliches Angebot oder für die Zulassung zum Handel gültig, sofern die ESMA und die zuständige Behörde jedes Aufnahmemitgliedstaats gemäß Artikel 25 unterrichtet werden. Die zuständigen Behörden der Aufnahmemitgliedstaaten führen für die von den zuständigen Behörden anderer Mitgliedstaaten gebilligten Prospekte und Nachträge sowie für die endgültigen Bedingungen keine Billigungs- oder Verwaltungsverfahren durch. (2) Tritt innerhalb des in Artikel 23 Absatz 1 genannten Zeitraums ein wichtiger neuer Umstand ein oder wird innerhalb dieses Zeitraums eine wesentliche Un1235

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richtigkeit oder eine wesentliche Ungenauigkeit festgestellt, so verlangt die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats die Veröffentlichung eines Nachtrags, der gemäß Artikel 20 Absatz 1 zu billigen ist. Die ESMA und die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats können die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats über den Bedarf an neuen Informationen unterrichten. Art. 25 Notifizierung von Prospekten und Nachträgen und Mitteilung der endgültigen Bedingungen (1) Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats übermittelt der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats innerhalb eines Arbeitstags nach Eingang eines entsprechenden Ersuchens des Emittenten, des Anbieters, der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person oder der für die Erstellung des Prospekts verantwortlichen Person oder, falls das Ersuchen zusammen mit dem Prospektentwurf vorgelegt wird, innerhalb eines Arbeitstags nach Billigung des Prospekts eine Bescheinigung über die Billigung, aus der hervorgeht, dass der Prospekt im Einklang mit dieser Verordnung erstellt wurde, sowie eine elektronische Kopie dieses Prospekts. Der in Unterabsatz 1 genannten Notifizierung ist gegebenenfalls eine von dem Emittenten, dem Anbieter, der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person oder der für die Erstellung des Prospekts verantwortlichen Person in Auftrag gegebene Übersetzung des Prospekts und jeglicher Zusammenfassung beizufügen. Dasselbe Verfahren findet auf etwaige Nachträge zum Prospekt Anwendung. Dem Emittenten, dem Anbieter, der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person oder der für die Erstellung des Prospekts verantwortlichen Person wird die Bescheinigung über die Billigung zur gleichen Zeit übermittelt wie der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats. (2) Jede Anwendung der Bestimmungen des Artikels 18 Absätze 1 und 2 wird in der Bescheinigung über die Billigung erwähnt und begründet. (3) Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats übermittelt der ESMA die Bescheinigung über die Billigung des Prospekts oder jeden Nachtrags hierzu zur gleichen Zeit wie der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats. (4) Sind die endgültigen Bedingungen eines bereits notifizierten Basisprospekts weder im Basisprospekt noch in einem Nachtrag enthalten, so übermittelt die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats diese auf elektronischem Wege der zuständigen Behörde der Aufnahmemitgliedstaaten und der ESMA so bald wie möglich nach deren Hinterlegung. 1236

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(5) Die zuständigen Behörden im Herkunftsmitgliedstaat und in den Aufnahmemitgliedstaaten erheben keine Gebühr für die Notifizierung — oder Entgegennahme der Notifizierung — von Prospekten und Nachträgen oder damit zusammenhängende Überwachungstätigkeiten. (6) Die ESMA richtet ein Notifizierungsportal ein, in das jede zuständige Behörde die in Absatz 1 dieses Artikels und in Artikel 26 Absatz 2 genannten Bescheinigungen über die Billigung und elektronischen Kopien sowie die endgültigen Bedingungen der Basisprospekte für die Zwecke der in den Absätzen 1, 3 und 4 des vorliegenden Artikels und in Artikel 26 genannten Notifizierungen und Übermittlungen hochlädt. Jede Übermittlung dieser Dokumente zwischen den zuständigen Behörden erfolgt über das genannte Notifizierungsportal. (7) Die ESMA erstellt Entwürfe technischer Regulierungsstandards, in denen die für den Betrieb des Notifizierungsportals nach Absatz 6 erforderlichen technischen Modalitäten spezifiziert werden. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 21. Juli 2018 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (8) Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung dieser Verordnung zu gewährleisten und den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen, kann die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards ausarbeiten, um Standardformulare, Mustertexte und Verfahren für die Notifizierung der Bescheinigung über die Billigung, des Prospekts, eines Prospektnachtrags hierzu und der Übersetzung des Prospekts und/oder der Zusammenfassung festzulegen. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 26 Notifizierung von Registrierungsformularen oder einheitlichen Registrierungsformularen (1) Dieser Artikel gilt nur für Emissionen von Nichtdividendenwerten gemäß Artikel 2 Buchstabe m Ziffer ii und für in Drittländern ansässige Emittenten gemäß Artikel 2 Buchstabe m Ziffer iii, wenn es sich bei dem gewähltem Herkunftsmitgliedstaat für die Billigung der Prospekte gemäß diesen Bestimmungen nicht um den Mitgliedstaat handelt, dessen zuständige Behörde das von dem Emittenten, dem Anbieter oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person erstellte Registrierungsformular oder einheitliche Registrierungsformular gebilligt hat. 1237

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(2) Eine zuständige Behörde, die ein Registrierungsformular oder ein einheitliches Registrierungsformular und etwaige Änderungen gebilligt hat, übermittelt der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats auf Ersuchen des Emittenten, des Anbieters, der Person, die die Zulassung zum Handel auf einem geregelten Markt beantragt, oder der für die Erstellung eines solchen Formulars verantwortlichen Person für die Billigung des Prospekts eine Bescheinigung über die Billigung, aus der hervorgeht, dass das Registrierungsformular oder das einheitliche Registrierungsformular und etwaige Änderungen im Einklang mit dieser Verordnung erstellt wurde, sowie eine elektronische Kopie dieses Formulars. Jene Notifizierung erfolgt innerhalb eines Arbeitstags nach Eingang des Ersuchens oder, falls das Ersuchen zusammen mit dem Entwurf des Registrierungsformulars oder dem Entwurf des einheitlichen Registrierungsformulars vorgelegt wird, innerhalb eines Arbeitstags nach Billigung dieses Formulars. Der in Unterabsatz 1 genannten Notifizierung ist gegebenenfalls eine vom Emittenten, vom Anbieter, von der Person, die die Zulassung zum Handel auf einem geregelten Markt beantragt, oder der für die Erstellung solcher Formulare verantwortlichen Person in Auftrag gegebene Übersetzung des Registrierungsformulars oder des einheitlichen Registrierungsformulars und etwaiger Änderungen beizufügen. Dem Emittenten, dem Anbieter, der Person, die die Zulassung zum Handel auf einem geregelten Markt beantragt, oder der für die Erstellung des Registrierungsformulars oder des einheitlichen Registrierungsformulars und etwaiger Änderungen verantwortlichen Person wird die Bescheinigung über die Billigung zur gleichen Zeit übermittelt wie der für die Billigung des Prospekts zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats. Jede Anwendung der Bestimmungen des Artikels 18 Absätze 1 und 2 wird in der Bescheinigung erwähnt und begründet. Die zuständige Behörde, die das Registrierungsformular oder das einheitliche Registrierungsformular und etwaige Änderungen gebilligt hat, übermittelt der ESMA die Bescheinigung über die Billigung dieser Formulare zur gleichen Zeit, wie sie auch der für die Billigung des Prospekts zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats übermittelt wird. Diese zuständigen Behörden erheben keine Gebühr für die Notifizierung oder Entgegennahme der Notifizierung von Registrierungsformularen oder einheitlichen Registrierungsformularen und etwaiger Änderungen oder damit zusammenhängende Überwachungstätigkeiten. (3) Ein gemäß Absatz 2 übermitteltes Registrierungsformular oder einheitliches Registrierungsformular kann als Bestandteil eines der für die Billigung des Prospekts zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats zur Billigung vorgelegten Prospekts verwendet werden. 1238

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4.8

Die für die Billigung des Prospekts zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats nimmt keinerlei Prüfung oder Billigung des übermittelten Registrierungsformulars oder einheitlichen Registrierungsformulars und etwaiger Änderungen vor und billigt erst nach Entgegennahme der Notifizierung ausschließlich die Wertpapierbeschreibung und die Zusammenfassung. (4) Ein gemäß Absatz 2 übermitteltes Registrierungsformular oder einheitliches Registrierungsformular enthält einen Anhang mit den Basisinformationen über den Emittenten nach Artikel 7 Absatz 6. Die Billigung des Registrierungsformulars oder des einheitlichen Registrierungsformulars bezieht sich auch auf diesen Anhang. Der Notifizierung ist gegebenenfalls gemäß Artikel 27 Absatz 2 Unterabsatz 2 und Artikel 27 Absatz 3 Unterabsatz 2 eine von dem Emittenten, dem Anbieter oder der für die Erstellung des Registrierungsformulars oder einheitlichen Registrierungsformulars verantwortlichen Person in Auftrag gegebene Übersetzung des Anhangs des Registrierungsformulars oder einheitlichen Registrierungsformulars beizufügen. Bei der Erstellung der Zusammenfassung gibt der Emittent, der Anbieter oder die für die Erstellung des Prospekts verantwortliche Person den Inhalt des Anhangs ohne Änderungen in dem in Artikel 7 Absatz 4 Buchstabe b genannten Abschnitt wieder. Die für die Billigung des Prospekts zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats prüft diesen Abschnitt der Zusammenfassung nicht. (5) Tritt innerhalb des in Artikel 23 Absatz 1 genannten Zeitraums ein wichtiger neuer Umstand ein oder wird innerhalb dieses Zeitraums eine wesentliche Unrichtigkeit oder eine wesentliche Ungenauigkeit festgestellt, die die im Registrierungsformular oder im einheitlichen Registrierungsformular enthaltenen Angaben betrifft, so ist der zuständigen Behörde, die das Registrierungsformular oder das einheitliche Registrierungsformular gebilligt hat, der nach Artikel 23 erforderliche Nachtrag zur Billigung vorzulegen. Dieser Nachtrag wird der für die Billigung des Prospekts zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats innerhalb eines Arbeitstags nach seiner Billigung nach dem Verfahren gemäß den Absätzen 2 und 3 dieses Artikels übermittelt. In Fällen, in denen ein Registrierungsformular oder ein einheitliches Registrierungsformular gemäß Artikel 23 Absatz 5 gleichzeitig als Bestandteil mehrerer Prospekte verwendet wird, wird der Nachtrag jeder zuständigen Behörde übermittelt, die solche Prospekte gebilligt hat. (6) Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung dieser Verordnung zu gewährleisten und die technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten zu berücksichtigen, kann die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards ausarbeiten, um Standardformulare, Mustertexte und Verfahren für die Notifizierung der Bescheinigung über die Billigung des Registrierungsformulars, des 1239

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einheitlichen Registrierungsformulars, jedes diesbezüglichen Nachtrags samt etwaiger Übersetzungen festzulegen. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 27 Sprachenregelung (1) Werden Wertpapiere nur im Herkunftsmitgliedstaat öffentlich angeboten oder nur dort die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt, so wird der Prospekt in einer von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats anerkannten Sprache erstellt. (2) Werden Wertpapiere in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten als dem Herkunftsmitgliedstaat öffentlich angeboten oder dort die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt, so wird der Prospekt je nach Wahl des Emittenten, des Anbieters oder der Person, die die Zulassung an einem geregelten Markt beantragt, entweder in einer von den zuständigen Behörden dieser Mitgliedstaaten anerkannten oder in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache erstellt. Die zuständigen Behörden der einzelnen Aufnahmemitgliedstaaten schreiben vor, dass die in Artikel 7 genannte Zusammenfassung in ihrer Amtssprache oder in mindestens einer ihrer Amtssprachen oder in einer von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats anerkannten anderen Sprache vorliegen muss; sie verlangen jedoch nicht die Übersetzung anderer Teile des Prospekts. Für die Zwecke der Prüfung und Billigung durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats wird der Prospekt je nach Wahl des Emittenten, des Anbieters oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person entweder in einer von dieser Behörde anerkannten oder in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache erstellt. (3) Werden Wertpapiere in mehr als einem Mitgliedstaat einschließlich des Herkunftsmitgliedstaats öffentlich angeboten oder dort die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt, so wird der Prospekt in einer von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats anerkannten Sprache erstellt und darüber hinaus je nach Wahl des Emittenten, des Anbieters oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person entweder in einer von den zuständigen Behörden der einzelnen Aufnahmemitgliedstaaten anerkannten Sprache oder in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache zur Verfügung gestellt. Die zuständigen Behörden der einzelnen Aufnahmemitgliedstaaten schreiben vor, dass die in Artikel 7 genannte Zusammenfassung in ihrer Amtssprache oder in mindestens einer ihrer Amtssprachen oder in einer von der zuständigen 1240

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Behörde des betreffenden Mitgliedstaats anerkannten anderen Sprache vorliegen muss; sie verlangen jedoch nicht die Übersetzung anderer Teile des Prospekts. (4) Die endgültigen Bedingungen und die Zusammenfassung für die einzelne Emission werden in derselben Sprache abgefasst wie der gebilligte Basisprospekt. Wenn die endgültigen Bedingungen gemäß Artikel 25 Absatz 4 an die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats oder — im Falle mehrerer Aufnahmemitgliedstaaten — an die zuständigen Behörden der Aufnahmemitgliedstaaten übermittelt werden, gilt für die endgültigen Bedingungen und die ihnen angefügte Zusammenfassung die folgende Sprachenregelung: a) die den endgültigen Bedingungen angefügte Zusammenfassung für die einzelne Emission liegt erforderlichenfalls gemäß Absatz 2 Unterabsatz 2 bzw. Absatz 3 Unterabsatz 2 in der Amtssprache oder in mindestens einer der Amtssprachen des Aufnahmemitgliedstaats oder in einer von der zuständigen Behörde des betreffenden Aufnahmemitgliedstaats anerkannten anderen Sprache vor; b) ist nach Absatz 2 bzw. 3 der Basisprospekt zu übersetzen, so unterliegen die endgültigen Bedingungen und die diesen angefügte Zusammenfassung für die einzelne Emission den gleichen Übersetzungsanforderungen wie der Basisprospekt. (5) Bezieht sich ein Prospekt auf die Zulassung von Nichtdividendenwerten zum Handel an einem geregelten Markt und wird die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt in einem oder mehreren Mitgliedstaaten beantragt, so wird der Prospekt je nach Wahl des Emittenten, des Anbieters oder der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person entweder in einer von den zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats und der Aufnahmemitgliedstaaten anerkannten Sprache oder in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache erstellt, sofern entweder a) diese Wertpapiere ausschließlich an einem geregelten Markt oder in einem bestimmten Segment eines solchen gehandelt werden sollen, zu dem ausschließlich qualifizierte Anleger zu Zwecken des Handels mit diesen Wertpapieren Zugang erhalten, oder b) diese Wertpapiere eine Mindeststückelung von 100 000 EUR haben.

Kapitel VI – Besondere Vorschriften für in Drittländern niedergelassene Emittenten Art. 28–30 nicht abgedruckt. 1241

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Kapitel VII – ESMA und zuständige Behörden Art. 31–37 nicht abgedruckt.

Kapitel VIII – Verwaltungsrechtliche Sanktionen und andere Verwaltungsrechtliche Massnahmen Art. 38–43 nicht abgedruckt.

Kapitel IX – Delegierte Rechtsakte und Durchführungsakte Art. 44–45 nicht abgedruckt.

Kapitel X – Schlussbestimmungen Art. 46 Aufhebung (1) Die Richtlinie 2003/71/EG wird mit Wirkung vom 21. Juli 2019 aufgehoben, mit Ausnahme von: a) Artikel 4 Absatz 2 Buchstaben a und g der Richtlinie 2003/71/EG, die mit Wirkung vom 20. Juli 2017 aufgehoben werden, und b) Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe h sowie Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 2003/71/EG, die mit Wirkung vom 21. Juli 2018 aufgehoben werden. (2) Bezugnahmen auf die Richtlinie 2003/71/EG gelten als Bezugnahmen auf diese Verordnung und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang VI dieser Verordnung zu lesen. (3) Prospekte, die gemäß des nationalen Rechts zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG vor dem 21. Juli 2019 gebilligt wurden, unterliegen bis zum Ablauf ihrer Gültigkeit oder während eines Zeitraums von 12 Monaten nach dem 21. Juli 2019, je nachdem, was zuerst eintritt, weiterhin diesem nationalen Recht. Art. 47–48 ESMA-Bericht und Überprüfung — nicht abgedruckt. Art. 49 Inkrafttreten und Geltung (1) Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. (2) Unbeschadet des Artikels 44 Absatz 2 gilt diese Verordnung ab dem 21. Juli 2019, mit Ausnahme von Artikel 1 Absatz 3 und Artikel 3 Absatz 2, die ab dem 1242

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21. Juli 2018 gelten, und Artikel 1 Absatz 5 Unterabsatz 1 Buchstaben a, b und c sowie Artikel 1 Absatz 5 Unterabsatz 2, die ab dem 20. Juli 2017 gelten. (3) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um Artikel 11, Artikel 20 Absatz 9, Artikel 31, Artikel 32 und Artikel 38 bis 43 bis zum 21. Juli 2019 nachzukommen.

Anhang I – Prospekt I. II.

Zusammenfassung Identität der Geschäftsführer, der Mitglieder des Vorstands, des Aufsichtsbzw. Verwaltungsrats, der Mitglieder der Unternehmensleitung, der Berater und der Abschlussprüfer Hier sind die Vertreter des Unternehmens und andere Personen zu nennen, die an dem Wertpapierangebot des Unternehmens bzw. der Zulassung dieser Wertpapiere zum Handel mitwirken. Dabei handelt es sich um die Personen, die für die Erstellung des Prospekts verantwortlich sind, sowie um diejenigen, die für die Prüfung des Jahresabschlusses zuständig sind. III. Angebotsstatistiken und voraussichtlicher Zeitplan Hier sind die grundlegenden Angaben zur Abwicklung des Angebots und zur Vorlage wichtiger Daten zu diesem Angebot zu machen. A. Angebotsstatistiken B. Methode und voraussichtlicher Zeitplan IV. Grundlegende Informationen Hier ist ein kurzer Überblick der grundlegenden Informationen über die Finanzlage, die Kapitalausstattung und die Risikofaktoren des Unternehmens zu geben. Wird der in diesem Dokument enthaltene Jahresabschluss in neuer Form dargestellt, um wesentlichen Änderungen in der Gruppenstruktur des Unternehmens bzw. in den Rechnungslegungsstrategien Rechnung zu tragen, so müssen die ausgewählten Finanzdaten ebenfalls geändert werden. A. Ausgewählte Finanzdaten B. Kapitalausstattung und Verschuldung (lediglich für Dividendenwerte) C. Gründe für das Angebot und Verwendung der Erlöse D. Risikofaktoren V. Informationen über das Unternehmen Hier sind Angaben zur Geschäftstätigkeit des Unternehmens, zu seinen Produkten oder Dienstleistungen und zu den Faktoren, die seine Geschäftstätigkeit beeinflussen, zu machen. Ferner sind hier Angaben zur Angemessenheit und Zweckmäßigkeit der Sachanlagen des Unternehmens so1243

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wie zu seinen Plänen für künftige Kapazitätssteigerungen oder -senkungen zu machen. A. Geschichte und Entwicklung des Unternehmens B. Überblick über die Geschäftstätigkeit C. Organisationsstruktur D. Sachanlagen VI. Betriebsergebnis, Finanzlage und Aussichten des Unternehmens Hier soll die Unternehmensleitung erläutern, welche Faktoren die Finanzlage des Unternehmens und das Betriebsergebnis im Bilanzzeitraum beeinflusst haben; darüber hinaus soll die Unternehmensleitung die Faktoren und Entwicklungen bewerten, die voraussichtlich die Finanzlage des Unternehmens und das Betriebsergebnis in künftigen Geschäftsjahren wesentlich beeinflussen werden. A. Betriebsergebnis B. Liquidität und Kapitalausstattung C. Forschung und Entwicklung, Patente und Lizenzen usw. D. Tendenzen VII. Geschäftsführer, Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat, Unternehmensleitung und Arbeitnehmer Hier sind Angaben zu den Geschäftsführern, zum Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat und zur Unternehmensleitung zu machen, anhand deren die Anleger die Erfahrungen und Qualifikationen dieser Personen und ihre Vergütung sowie ihr Verhältnis zum Unternehmen beurteilen können. A. Geschäftsführer, Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat und Unternehmensleitung B. Vergütung C. Arbeitsweise des Aufsichts- bzw. Verwaltungsrats D. Arbeitnehmer E. Aktienbesitz VIII. Hauptaktionäre und Geschäfte mit verbundenen Parteien Hier sind Angaben zu den Hauptaktionären und sonstigen Personen, die das Unternehmen kontrollieren oder kontrollieren können, zu machen. Ferner sind Informationen über die Geschäfte des Unternehmens mit verbundenen Personen vorzulegen, aus denen auch hervorgehen muss, ob die Bedingungen dieser Geschäfte für das Unternehmen nicht nachteilig sind. A. Hauptaktionäre B. Geschäfte mit verbundenen Parteien C. Interessen von Sachverständigen und Beratern IX. Finanzinformationen Hier ist anzugeben, welche Jahresabschlüsse in das Dokument aufgenommen werden müssen; ferner muss die Rubrik den Bilanzzeitraum, das Alter 1244

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des Jahresabschlusses und sonstige Informationen finanzieller Art enthalten. Die auf die Erstellung und Prüfung des Jahresabschlusses anzuwendenden Rechnungslegungs- und Abschlussprüfungsgrundsätze richten sich nach den internationalen Rechnungslegungs- und Abschlussprüfungsstandards. A. Konsolidierter Abschluss und sonstige Finanzinformationen B. Bedeutende Änderungen X. Einzelheiten zum Wertpapierangebot und zur Zulassung zum Handel Hier sind Angaben zum Wertpapierangebot und zur Zulassung der Wertpapiere zum Handel sowie zum Plan für den Vertrieb der Wertpapiere und damit verbundenen Fragen zu machen. A. Angebot und Zulassung zum Handel B. Plan für den Vertrieb der Wertpapiere C. Märkte D. Wertpapierinhaber, die ihre Papiere veräußern E. Verwässerung (lediglich für Dividendenwerte) F. Emissionskosten XI. Zusätzliche Angaben Hier sind die — größtenteils gesetzlich vorgeschriebenen — Angaben zu machen, die unter keine andere Rubrik des Prospekts fallen. A. Aktienkapital B. Gründungsurkunde und Satzung C. Wichtige Verträge D. Devisenkontrollen E. Warnhinweis auf steuerliche Folgen F. Dividenden und Zahlstellen G. Sachverständigenerklärung H. Einsehbare Dokumente I. Informationen über Tochtergesellschaften

Anhang II – Registrierungsformular I.

Identität der Geschäftsführer, der Mitglieder des Vorstands, des Aufsichtsbzw. Verwaltungsrats, der Mitglieder der Unternehmensleitung, der Berater und der Abschlussprüfer Hier sind die Vertreter des Unternehmens und andere Personen zu nennen, die an dem Wertpapierangebot des Unternehmens bzw. der Zulassung dieser Wertpapiere zum Handel mitwirken. Dabei handelt es sich um die Personen, die für die Erstellung des Prospekts verantwortlich sind, sowie um diejenigen, die für die Prüfung des Jahresabschlusses zuständig sind. 1245

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II.

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Grundlegende Informationen zum Emittenten Hier ist ein kurzer Überblick der grundlegenden Informationen über die Finanzlage, die Kapitalausstattung und die Risikofaktoren des Unternehmens zu geben. Wird der in diesem Dokument enthaltene Jahresabschluss in neuer Form dargestellt, um wesentlichen Änderungen in der Gruppenstruktur des Unternehmens bzw. in den Rechnungslegungsstrategien Rechnung zu tragen, so müssen die ausgewählten Finanzdaten ebenfalls geändert werden. A. Ausgewählte Finanzdaten B. Kapitalausstattung und Verschuldung (lediglich für Dividendenwerte) C. Risikofaktoren im Zusammenhang mit dem Emittenten III. Informationen über das Unternehmen Hier sind Angaben zur Geschäftstätigkeit des Unternehmens, zu seinen Produkten oder Dienstleistungen und zu den Faktoren, die seine Geschäftstätigkeit beeinflussen, zu machen. Ferner sind hier Angaben zur Angemessenheit und Zweckmäßigkeit der Sachanlagen des Unternehmens sowie zu seinen Plänen für künftige Kapazitätssteigerungen oder -senkungen zu machen. A. Geschichte und Entwicklung des Unternehmens B. Überblick über die Geschäftstätigkeit C. Organisationsstruktur D. Sachanlagen IV. Betriebsergebnis, Finanzlage und Aussichten des Unternehmens Hier soll die Unternehmensleitung erläutern, welche Faktoren die Finanzlage des Unternehmens und das Betriebsergebnis im Bilanzzeitraum beeinflusst haben; darüber hinaus soll die Unternehmensleitung die Faktoren und Entwicklungen bewerten, die voraussichtlich die Finanzlage des Unternehmens und das Betriebsergebnis in künftigen Geschäftsjahren wesentlich beeinflussen werden. A. Betriebsergebnis B. Liquidität und Kapitalausstattung C. Forschung und Entwicklung, Patente und Lizenzen usw. D. Tendenzen V. Geschäftsführer, Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat, Unternehmensleitung und Arbeitnehmer Hier sind Angaben zu den Geschäftsführern, zum Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat und zur Unternehmensleitung zu machen, anhand deren die Anleger die Erfahrungen und Qualifikationen dieser Personen und ihre Vergütung sowie ihr Verhältnis zum Unternehmen beurteilen können. A. Geschäftsführer, Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat und Unternehmensleitung 1246

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4.8

B. Vergütung C. Arbeitsweise des Aufsichts- bzw. Verwaltungsrats D. Arbeitnehmer E. Aktienbesitz VI. Hauptaktionäre und Geschäfte mit verbundenen Parteien Hier sind Angaben zu den Hauptaktionären und sonstigen Personen, die das Unternehmen kontrollieren oder kontrollieren können, zu machen. Ferner sind Informationen über die Geschäfte des Unternehmens mit verbundenen Personen vorzulegen, aus denen auch hervorgehen muss, ob die Bedingungen dieser Geschäfte für das Unternehmen nicht nachteilig sind. A. Hauptaktionäre B. Geschäfte mit verbundenen Parteien C. Interessen von Sachverständigen und Beratern VII. Finanzinformationen Hier ist anzugeben, welche Jahresabschlüsse in das Dokument aufgenommen werden müssen; ferner muss die Rubrik den Bilanzzeitraum, das Alter des Jahresabschlusses und sonstige Informationen finanzieller Art enthalten. Die auf die Erstellung und Prüfung des Jahresabschlusses anzuwendenden Rechnungslegungs- und Abschlussprüfungsgrundsätze richten sich nach den internationalen Rechnungslegungs- und Abschlussprüfungsstandards. A. Konsolidierter Abschluss und sonstige Finanzinformationen B. Bedeutende Änderungen VIII. Zusätzliche Angaben Hier sind die — größtenteils gesetzlich vorgeschriebenen — Angaben zu machen, die unter keine andere Rubrik des Prospekts fallen. A. Aktienkapital B. Gründungsurkunde und Satzung C. Wichtige Verträge D. Sachverständigenerklärung E. Einsehbare Dokumente F. Informationen über Tochtergesellschaften

Anhang III – Wertpapierbeschreibung I.

Identität der Geschäftsführer, der Mitglieder des Vorstands, des Aufsichtsbzw. Verwaltungsrats, der Mitglieder der Unternehmensleitung, der Berater und der Abschlussprüfer Hier sind die Vertreter des Unternehmens und andere Personen zu nennen, die an dem Wertpapierangebot des Unternehmens bzw. der Zulassung die1247

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ser Wertpapiere zum Handel mitwirken. Dabei handelt es sich um die Personen, die für die Erstellung des Prospekts verantwortlich sind, sowie um diejenigen, die für die Prüfung des Jahresabschlusses zuständig sind. II. Angebotsstatistiken und voraussichtlicher Zeitplan Hier sind die grundlegenden Angaben zur Abwicklung des Angebots und zur Vorlage wichtiger Daten zu diesem Angebot zu machen. A. Angebotsstatistiken B. Methode und voraussichtlicher Zeitplan III. Grundlegende Informationen zum Emittenten Hier ist ein kurzer Überblick der grundlegenden Informationen über die Finanzlage, die Kapitalausstattung und die Risikofaktoren des Unternehmens zu geben. Wird der in diesem Dokument enthaltene Jahresabschluss in neuer Form dargestellt, um wesentlichen Änderungen in der Gruppenstruktur des Unternehmens bzw. in den Rechnungslegungsstrategien Rechnung zu tragen, so müssen die ausgewählten Finanzdaten ebenfalls geändert werden. A. Kapitalausstattung und Verschuldung (lediglich für Dividendenwerte) B. Informationen über das Geschäftskapital (lediglich für Dividendenwerte) C. Gründe für das Angebot und Verwendung der Erlöse D. Risikofaktoren IV. Grundlegende Informationen zu den Wertpapieren Hier sind die grundlegenden Angaben zu den Wertpapieren zu machen, die öffentlich angeboten und/oder zum Handel zugelassen werden sollen. A. Beschreibung der Art und der Gattung der Wertpapiere, die öffentlich angeboten und/oder zum Handel zugelassen werden sollen B. Währung der ausgegebenen Wertpapiere C. Relativer Rang der Wertpapiere in der Kapitalstruktur des Emittenten im Fall der Insolvenz des Emittenten, gegebenenfalls einschließlich Angaben über die Nachrangigkeitsstufe der Wertpapiere und die potenziellen Auswirkungen auf die Anlagen im Fall der Abwicklung nach Maßgabe der Richtlinie 2014/59/EU D. Die Dividendenausschüttungspolitik und Bestimmungen in Bezug auf Zinsaufwendungen oder eine Beschreibung des Basiswerts, einschließlich der bei der Verbindung von Basiswert und Zinssatz angewandten Methode, und Angabe, wo Informationen über die vergangene und künftige Wertentwicklung des Basiswerts und seine Volatilität eingeholt werden können E. Beschreibung der mit den Wertpapieren verbundenen Rechte, einschließlich aller etwaigen Beschränkungen dieser Rechte, und der Verfahren zur Wahrnehmung dieser Rechte 1248

Prospekt-VO 2017/1129

4.8

V. Interessen von Sachverständigen Hier sind Angaben zu Geschäften zu machen, die das Unternehmen mit Sachverständigen oder Beratern getätigt hat, die auf Basis von Erfolgshonoraren beschäftigt werden. VI. Einzelheiten zum Wertpapierangebot und zur Zulassung zum Handel Hier sind Angaben zum Wertpapierangebot und zur Zulassung der Wertpapiere zum Handel sowie zum Plan für den Vertrieb der Wertpapiere und damit verbundenen Fragen zu machen. A. Angebot und Zulassung zum Handel B. Plan für den Vertrieb der Wertpapiere C. Märkte D. Wertpapierinhaber, die ihre Papiere veräußern E. Verwässerung (lediglich für Dividendenwerte) F. Emissionskosten VII. Zusätzliche Angaben Hier sind die — größtenteils gesetzlich vorgeschriebenen — Angaben zu machen, die unter keine andere Rubrik des Prospekts fallen. A. Devisenkontrollen B. Warnhinweis auf steuerliche Folgen C. Dividenden und Zahlstellen D. Sachverständigenerklärung E. Einsehbare Dokumente Anhang IV–VI Registrierungsformular undWertpapierbeschreibung EU-Wachstumsprospekt, Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt.

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4.9 Transparenz-RL 2004/109

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf die Artikel 44 und 95, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Effiziente, transparente und integrierte Wertpapiermärkte tragen zu einem echten Binnenmarkt in der Gemeinschaft bei, ermöglichen eine bessere Kapitalallokation und eine Senkung der Kosten und begünstigen so das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die rechtzeitige Bekanntgabe zuverlässiger und umfassender Informationen über Wertpapieremittenten stärkt das Vertrauen der Anleger nachhaltig und ermöglicht eine fundierte Beurteilung ihres Geschäftsergebnisses und ihrer Vermögenslage. Dies erhöht sowohl den Anlegerschutz als auch die Markteffizienz. (2) Aus diesem Grund sollten Wertpapieremittenten durch regelmäßige Informationen ein angemessenes Maß an Transparenz für die Anleger gewährleisten. Aus dem gleichen Grund sollten auch Aktionäre sowie natürliche oder juristische Personen, die Stimmrechte oder Finanzinstrumente halten, die ihrem Inhaber das Recht verleihen, bestehende mit Stimmrechten ausgestattete Aktien zu erwerben, die Emittenten über den Erwerb von oder andere Veränderungen in bedeutenden Beteiligungen informieren, damit diese die Öffentlichkeit laufend informieren können. (3) In der Kommissionsmitteilung „Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan“ vom 11. Mai 1999 werden eine Reihe von Maßnahmen genannt, die zur Vollendung des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen erforderlich sind. Der Europäische Rat vom März 2000 in Lissabon rief dazu auf, diesen Aktionsplan bis 2005 umzusetzen. In dem Aktionsplan wird nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer Richtlinie zur Aktualisierung der Transparenzanforderungen hingewiesen. Diese Notwendigkeit wurde vom Europäischen Rat im März 2002 in Barcelona bekräftigt. (4) Diese Richtlinie sollte mit den Aufgaben und Pflichten vereinbar sein, die dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) und den Zentralbanken der Mitgliedstaaten durch den Vertrag und die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank übertragen wurden; dabei ist besonderes Augenmerk auf die Zentralbanken der Mitgliedstaaten zu richten, deren Aktien derzeit zum Handel an einem

* Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. 2004 L 390/38. 1 ABl. C 80 vom 30. 3. 2004, S. 128. 2 ABl. C 242 vom 9. 10. 2003, S. 6. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 30. 3. 2004 (ABl. C 103 E vom 29. 4. 2004, S. 376) und Beschluss des Rates vom 2. 12. 2004. https://doi.org/10.1515/9783110667776-052

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geregelten Markt zugelassen sind, um die Verfolgung der vorrangigen Ziele des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Eine größere Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über die Pflichten der Wertpapieremittenten in Bezug auf die regelmäßige und die laufende Information würde gemeinschaftsweit zu einem hohen Niveau beim Anlegerschutz führen. Die bestehenden Gemeinschaftsvorschriften für Anteile, die von Organismen für gemeinsame Anlagen eines anderen als des geschlossenen Typs ausgegeben werden, oder Anteile, die im Rahmen derartiger Organismen erworben oder veräußert werden, bleiben jedoch von dieser Richtlinie unberührt. Für die Zwecke dieser Richtlinie sollte die Beaufsichtigung eines Emittenten von Aktien oder von Schuldtiteln mit einer Stückelung von weniger als 1 000 EUR am besten durch den Mitgliedstaat erfolgen, in dem der Emittent seinen Sitz hat. In diesem Punkt ist auf jeden Fall für Kohärenz mit der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist,4 zu sorgen. Auch sollte ein gewisses Maß an Flexibilität eingeräumt und Emittenten aus einem Drittland sowie Unternehmen aus der Gemeinschaft, die nur andere als die oben genannten Wertpapiere begeben, die Wahl des Herkunftsmitgliedstaats überlassen werden. Ein gemeinschaftsweit hoher Anlegerschutz würde es ermöglichen, Hindernisse für die Zulassung von Wertpapieren zu geregelten Märkten, die in einem Mitgliedstaat gelegen sind oder dort betrieben werden, zu beseitigen. Andere Mitgliedstaaten als der Herkunftsmitgliedstaat sollten die Zulassung von Wertpapieren zu ihren geregelten Märkten nicht länger dadurch beschränken dürfen, dass sie Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, strengeren Anforderungen in Bezug auf die regelmäßige und die laufende Information unterwerfen. Die Beseitigung von Hindernissen durch die Anwendung des Herkunftsstaatsprinzips gemäß dieser Richtlinie sollte von dieser Richtlinie nicht erfasste Bereiche, wie das Recht der Aktionäre, in die Geschäftsführung eines Emittenten einzugreifen, nicht berühren. Sie sollte darüber hinaus auch keine Auswirkungen auf das Recht des Herkunftsmitgliedstaats haben, den Emittenten zusätzlich die Veröffentlichung der gesamten vorgeschriebenen Informationen oder von Teilen hiervon in Zeitungen vorzuschreiben. Die Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards5 hat bereits den Weg für eine gemeinschaftsweite Annäherung der Bilanzierungsgrundsätze für Emittenten geebnet, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind und die einen konsolidierten Abschluss erstellen müssen. Damit ist neben dem in den Gesellschaftsrechtsrichtlinien für alle Unternehmen festgelegten allgemeinen System bereits eine spezielle Regelung für Wertpapieremittenten geschaffen. Diese Richtlinie baut — was die Vorlage von Jahres- und Zwischenberichten angeht — auf diesem Konzept auf sowie auf dem Grundsatz, dass diese Berichte ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten vermitteln müssen. Ein verkürzter Abschluss als Teil eines Halbjahresfinanzberichts ist ebenfalls ausreichend, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres eines Emittenten zu vermitteln.

4 Ersetzt durch Prospekt-VO, in dieser Sammlung Nr. 4.8. 5 IFRS-VO, in dieser Sammlung Nr. 4.7.

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(10) Ein Jahresfinanzbericht sollte sicherstellen, dass jedes Jahr Informationen veröffentlicht werden, sobald die Wertpapiere eines Emittenten an einem geregelten Markt zugelassen sind. Die Schaffung einer besseren Vergleichbarkeit von Jahresfinanzberichten ist für die Anleger an Wertpapiermärkten nur dann von Nutzen, wenn sie sicher sein können, dass diese innerhalb eines festgesetzten Zeitraums nach Ablauf des Geschäftsjahres veröffentlicht werden. In Bezug auf Schuldtitel, die vor dem 1. Januar 2005 zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen waren und die von einem Emittenten mit Sitz in einem Drittland begeben wurden, kann der Herkunftsmitgliedstaat es dem Emittenten unter bestimmten Bedingungen gestatten, keine Jahresfinanzberichte gemäß den Anforderungen dieser Richtlinie aufzustellen. (11) Diese Richtlinie schreibt den Emittenten von zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Aktien umfassendere Halbjahresfinanzberichte vor. Dadurch sollen die Anleger in die Lage versetzt werden, eine besser fundierte Beurteilung der Lage des Emittenten vorzunehmen. (12) Ein Herkunftsmitgliedstaat kann die Emittenten von Schuldtiteln von der Verpflichtung zur Vorlage von Halbjahresberichten befreien, — wenn es sich dabei um Kreditinstitute handelt, die Schuldtitel in geringem Umfang begeben, oder — wenn es sich dabei um Emittenten handelt, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie bereits existieren und die ausschließlich Schuldtitel begeben, die vom Herkunftsmitgliedstaat oder einer seiner Gebietskörperschaften unbedingt und unwiderruflich garantiert werden, oder — während eines Übergangszeitraums von zehn Jahren, jedoch nur in Bezug auf Schuldtitel, die vor dem 1. Januar 2005 zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen waren und nur von professionellen Anlegern erworben werden können. Erteilt der Herkunftsmitgliedstaat eine solche Befreiung, so kann diese nicht auf Schuldtitel ausgeweitet werden, die zu einem späteren Zeitpunkt zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden. (13) Das Europäische Parlament und der Rat begrüßen es, dass sich die Kommission verpflichtet hat, die Verbesserung der Transparenz im Bereich der Vergütungen, der Gesamthöhe der gezahlten Vergütungen, einschließlich jeder bedingten oder aufgeschobenen Vergütung, und der Sachleistungen an jedes Mitglied der Verwaltungs-, Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgane im Rahmen ihres Aktionsplans „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union“ vom 21. Mai 2003 rasch zu prüfen, sowie ihre Absicht, in naher Zukunft eine Empfehlung zu diesem Thema vorzulegen. (14) Der Herkunftsmitgliedstaat sollte Emittenten, deren Aktien zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind und deren Hauptgeschäftsfeld im Bereich der Gewinnung von Bodenschätzen liegt, ermutigen, in ihren Jahresfinanzberichten Zahlungen an Regierungen offen zu legen. Der Herkunftsmitgliedstaat sollte darüber hinaus innerhalb des Rahmens, der auf verschiedenen internationalen Finanzforen aufgestellt wurde, zu mehr Transparenz bei solchen Zahlungen ermutigen. (15) Diese Richtlinie schreibt auch Emittenten, die nur Schuldtitel für geregelte Märkte begeben, die Erstellung von Halbjahresberichten verbindlich vor. Ausnahmen sollten analog zur Richtlinie 2003/71/EG nur für den Großhandel mit Einzelstückelungen von mindestens 50 000 EUR vorgesehen werden. Für Schuldtitel, die in einer anderen Währung begeben werden, sollten Ausnahmen nur möglich sein, wenn die Einzelstückelung in der betreffenden Währung am Ausgabetag mindestens 50 000 EUR beträgt.

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4.9

(16) Um pünktlichere und verlässlichere Informationen über das vom Aktienemittenten im Laufe des Geschäftsjahres erzielte Ergebnis zu erhalten, ist auch eine häufigere Zwischenberichterstattung erforderlich. Daher sollte die Verpflichtung eingeführt werden, innerhalb der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres eine erste Zwischenmitteilung der Geschäftsführung und innerhalb der zweiten Hälfte des Geschäftsjahres eine zweite Zwischenmitteilung der Geschäftsführung zu veröffentlichen. Aktienemittenten, die bereits Quartalsfinanzberichte veröffentlichen, sollten von der Verpflichtung zur Veröffentlichung von Zwischenmitteilungen der Geschäftsführung ausgenommen werden. (17) Für den Emittenten, seine Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane oder beim Emittenten verantwortliche Personen sollten angemessene Haftungsregeln gelten, die von jedem Mitgliedstaat in seinen Rechts- und Verwaltungsvorschriften festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten sollten das Ausmaß der Haftung frei bestimmen können. (18) Die Öffentlichkeit sollte über Änderungen bedeutender Beteiligungen an Emittenten unterrichtet werden, deren Aktien an einem in der Gemeinschaft gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt gehandelt werden. Diese Informationen sollten die Anleger in die Lage versetzen, Aktienkäufe oder -verkäufe in voller Kenntnis der geänderten Stimmrechte zu tätigen; dies dürfte auch eine wirksamere Kontrolle der Emittenten von Aktien ermöglichen und insgesamt die Markttransparenz großer Kapitalbewegungen erhöhen. Unter bestimmten Umständen sollten Informationen über Aktien oder Finanzinstrumente im Sinne des Artikels 13, die als Sicherheit hinterlegt sind, erteilt werden. (19) Artikel 9 und Artikel 10 Buchstabe c) sollten keine Anwendung auf Aktien finden, die den Mitgliedern des ESZB bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Währungsbehörden zur Verfügung gestellt oder von diesen bereitgestellt werden, sofern die Stimmrechte aus den betreffenden Aktien nicht ausgeübt werden; der Begriff „kurzfristig“ in Artikel 11 bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Kreditgeschäfte, die im Einklang mit dem Vertrag und den Rechtsakten der Europäischen Zentralbank (EZB), insbesondere den EZB-Leitlinien über geldpolitische Instrumente und Verfahren und dem System TARGET, und auf Kreditgeschäfte, die im Einklang mit nationalen Vorschriften zur Durchführung vergleichbarer Aufgaben vorgenommen werden. (20) Damit bestimmte Marktteilnehmer nicht unnötig belastet werden und geklärt wird, wer tatsächlich einen Einfluss auf einen Emittenten ausübt, besteht für Market Maker und Verwahrstellen keine Notwendigkeit einer Mitteilungspflicht für bedeutende Beteiligungen in Form von Aktien oder anderen Finanzinstrumenten im Sinne des Artikels 13, die ihrem Inhaber das Recht verleihen, Aktien zu erwerben, oder für Beteiligungen in Form von Aktien oder Finanzinstrumenten, die ausschließlich zu Abrechnungs- und Abwicklungszwecken im Rahmen von gemeinschaftsweit anzuwendenden Beschränkungen und Garantien erworben wurden. Der Herkunftsmitgliedstaat sollte die Möglichkeit haben, beschränkte Ausnahmen für Aktien, die Kreditinstitute oder Wertpapierfirmen aufgrund ihres Wertpapierhandels halten, zuzulassen. (21) Damit deutlich gemacht wird, wer innerhalb der Gemeinschaft tatsächlich eine bedeutende Beteiligung in Form von Aktien oder anderen Finanzinstrumenten an einem bestimmten Emittenten hält, sollte von Mutterunternehmen nicht verlangt werden, ihre eigenen Beteiligungen mit den Beteiligungen zusammenzurechnen, die von Organismen für gemeinsame Anlage in Wertpapieren (OGAW) oder Wertpapierfirmen verwaltet werden, sofern diese Organismen oder Firmen ihre Stimmrechte unabhängig von ihren Mutterunternehmen ausüben und bestimmte andere Bedingungen erfüllen. (22) Bei der laufenden Unterrichtung der Inhaber von zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren sollte auch weiterhin nach dem Grundsatz der Gleichbehand-

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lung verfahren werden. Dieser gilt nur für gleichrangige Aktionäre und greift deshalb nicht der Frage vor, wie viele Stimmrechte an eine bestimmte Aktie geknüpft sein können. Ebenso sollten die Inhaber gleichrangiger Schuldtitel weiterhin in den Genuss der Gleichbehandlung kommen, und zwar auch im Fall von Schuldtiteln staatlicher Emittenten. Die Unterrichtung der Inhaber von Aktien und/oder Schuldtiteln auf Haupt- oder Gläubigerversammlungen sollte erleichtert werden. Insbesondere im Ausland ansässige Inhaber von Aktien und/oder Schuldtiteln sollten aktiver einbezogen werden und zu diesem Zweck die Möglichkeit erhalten, Stimmrechtsbevollmächtigte zu entsenden. Aus den gleichen Gründen sollte auf einer Haupt- oder Gläubigerversammlung der Inhaber von Aktien und/oder Schuldtiteln über den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien entschieden werden. In diesem Fall sollten Emittenten Vorkehrungen treffen, um die Inhaber ihrer Aktien und/oder Schuldtitel — soweit es möglich ist, diese zu identifizieren — entsprechend zu informieren. Zur Beseitigung von Hindernissen und zur wirksamen Durchsetzung der neuen gemeinschaftsweiten Informationspflichten bedarf es auch einer angemessenen Kontrolle durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats. Mit dieser Richtlinie sollte wenigstens eine Mindestgarantie für die rechtzeitige Verfügbarkeit dieser Informationen gegeben werden. Aus diesem Grund sollte es in jedem Mitgliedstaat wenigstens ein Hinterlegungsund Speichersystem geben. Jede Verpflichtung eines Emittenten, alle laufenden und regelmäßigen Informationen in alle relevanten Sprachen der Mitgliedstaaten zu übersetzen, in denen seine Wertpapiere zum Handel zugelassen sind, fördert nicht die Integration der Wertpapiermärkte, sondern behindert die grenzüberschreitende Zulassung von Wertpapieren zum Handel an geregelten Märkten. Deshalb sollte es dem Emittenten in bestimmten Fällen gestattet sein, die Informationen in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache vorzulegen. Da besondere Anstrengungen erforderlich sind, um Anleger aus anderen Mitgliedstaaten und Drittländern anzuziehen, sollten die Mitgliedstaaten es Aktionären, Personen, die Stimmrechte ausüben, oder Inhabern von Finanzinstrumenten nicht länger verwehren, die erforderlichen Mitteilungen an den Emittenten in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache zu übermitteln. Der Zugang der Anleger zu Informationen über die Emittenten sollte auf Gemeinschaftsebene besser organisiert werden, um die Integration der europäischen Kapitalmärkte stärker zu fördern. Anleger aus anderen Staaten als dem Herkunftsmitgliedstaat des Emittenten sollten Anlegern aus dem Herkunftsmitgliedstaat des Emittenten in Bezug auf den Zugang zu solchen Informationen gleichgestellt werden. Dies könnte erreicht werden, wenn der Herkunftsmitgliedstaat die Einhaltung von Mindestqualitätsanforderungen für die Verbreitung von Informationen innerhalb der gesamten Gemeinschaft auf schnelle und nicht diskriminierende Weise und je nach der Art der vorgeschriebenen Information sicherstellt. Darüber hinaus sollten verbreitete Informationen im Herkunftsmitgliedstaat zentral zur Verfügung gestellt werden, so dass ein europäisches Informationsnetz aufgebaut werden kann, das zu angemessenen Preisen für Kleinanleger zugänglich ist, ohne dass gleichzeitig die Hinterlegungspflichten der Emittenten unnötig verdoppelt werden. Emittenten sollten bei der Wahl der Medien oder der Medienbetreiber für die Verbreitung von Informationen gemäß dieser Richtlinie den freien Wettbewerb nutzen können. Um für die Anleger den Zugang zu Unternehmensinformationen in allen Mitgliedstaaten weiter zu vereinfachen, sollte es den nationalen Aufsichtsbehörden überlassen bleiben, in enger Abstimmung mit den anderen Beteiligten, insbesondere Wertpapieremittenten,

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Anlegern, Marktteilnehmern, Betreibern geregelter Märkte und Anbietern von Finanzinformationen, Leitlinien für die Einrichtung elektronischer Verbundnetze zu formulieren. Um einen wirksamen Anlegerschutz und einen ordnungsgemäßen Betrieb der geregelten Märkte zu gewährleisten, sollten die Regeln, nach denen Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, bei der Veröffentlichung von Informationen verfahren müssen, auch für Emittenten gelten, die keinen Sitz in einem Mitgliedstaat haben und nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 48 des Vertrags fallen. Auch sollte sichergestellt werden, dass alle zusätzlichen zweckdienlichen Angaben über Emittenten aus der Gemeinschaft oder einem Drittland, deren Veröffentlichung in einem Drittland, nicht aber in einem Mitgliedstaat vorgeschrieben ist, der Öffentlichkeit in der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt werden. In jedem Mitgliedstaat sollte eine einzige zuständige Behörde benannt werden, die in letzter Instanz für die Überwachung der Einhaltung der nach dieser Richtlinie erlassenen Bestimmungen sowie für die internationale Zusammenarbeit verantwortlich ist. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, sollte es sich dabei um eine Verwaltungsbehörde handeln, deren Unabhängigkeit von Wirtschaftsakteuren sichergestellt ist. Die Mitgliedstaaten können jedoch eine weitere zuständige Behörde benennen, die dafür verantwortlich ist, zu prüfen, ob die Informationen im Sinne dieser Richtlinie den einschlägigen Anforderungen an die Berichterstattung entsprechen, und im Falle aufgedeckter Verstöße die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen; dabei muss es sich nicht um eine Verwaltungsbehörde handeln. Zunehmende grenzüberschreitende Tätigkeiten machen eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den nationalen zuständigen Behörden sowie umfassende Bestimmungen über den Informationsaustausch und über Vorsichtsmaßnahmen erforderlich. Die Organisation der Regelungs- und Aufsichtsfunktionen in den einzelnen Mitgliedstaaten sollte einer wirksamen Zusammenarbeit zwischen den zuständigen nationalen Behörden nicht entgegenstehen. Am 17. Juli 2000 hat der Rat den Ausschuss der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte eingesetzt. In seinem Schlussbericht regte der Ausschuss die Einführung eines neuen Rechtsetzungsverfahrens an und schlug zu diesem Zweck ein Vierstufenkonzept vor, bestehend aus Rahmenprinzipien, technischen Durchführungsmaßnahmen, Zusammenarbeit zwischen den nationalen Wertpapierregulierungsbehörden und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. Während in dieser Richtlinie lediglich allgemeine Rahmenprinzipien festgeschrieben werden sollten, sollten von der Kommission unter Mithilfe des durch den Beschluss 2001/528/EG der Kommission6 eingesetzten Europäischen Wertpapierausschusses zu beschließende Durchführungsmaßnahmen die technischen Details festlegen. In der vom Europäischen Rat von Stockholm im März 2001 angenommenen Entschließung wurde der Schlussbericht des Ausschusses der Weisen und das darin vorgeschlagene Vierstufenkonzept, das die gemeinschaftliche Rechtsetzung im Wertpapierbereich effizienter und transparenter machen soll, gebilligt. Gemäß dieser Entschließung sollte häufiger auf Durchführungsmaßnahmen zurückgegriffen werden, um sicherzustellen, dass die technischen Bestimmungen der Richtlinie mit Marktentwicklung und Aufsichtspraktiken Schritt halten; ferner sollten für alle Etappen der Durchführungsvorschriften Fristen gesetzt werden.

6 Börsen-RL, in dieser Sammlung Nr. 4.12.

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(33) Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 5. Februar 2002 zur Umsetzung der Rechtsvorschriften für Finanzdienstleistungen den Bericht des Ausschusses der Weisen auf der Grundlage der vom Präsidenten der Kommission am gleichen Tag vor dem Parlament abgegebenen feierlichen Erklärung und des Schreibens des für den Binnenmarkt zuständigen Mitglieds der Kommission vom 2. Oktober 2001 an die Vorsitzende des Ausschusses des Parlaments für Wirtschaft und Währung bezüglich der Sicherung der Rolle des Europäischen Parlaments in diesem Prozess gebilligt. (34) Das Europäische Parlament sollte vom Zeitpunkt der ersten Übermittlung des Entwurfs von Durchführungsmaßnahmen an drei Monate Zeit haben, um diese zu überprüfen und sich dazu zu äußern. In dringenden und angemessen begründeten Fällen kann diese Frist jedoch verkürzt werden. Nimmt das Parlament innerhalb dieser Frist eine Entschließung an, sollte die Kommission die Entwürfe von Maßnahmen einer erneuten Überprüfung unterziehen. (35) Um neuen Entwicklungen auf den Wertpapiermärkten Rechnung zu tragen, kann es notwendig sein, technische Durchführungsmaßnahmen für die Vorschriften dieser Richtlinie zu erlassen. Die Kommission sollte deshalb ermächtigt werden, nach Anhörung des Europäischen Wertpapierausschusses Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, soweit durch diese Maßnahmen die wesentlichen Bestandteile dieser Richtlinie nicht geändert werden und die Kommission gemäß den Grundsätzen dieser Richtlinie handelt. (36) Bei Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse im Rahmen dieser Richtlinie sollte sich die Kommission an folgende Grundsätze halten: — die Notwendigkeit, das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte durch Förderung eines hohen Maßes an Transparenz auf den Finanzmärkten sicherzustellen; — die Notwendigkeit, den Anlegern ein breites Spektrum an miteinander konkurrierenden Anlagemöglichkeiten und ein Maß an Offenlegung und Schutz anzubieten, das auf ihre Gegebenheiten zugeschnitten ist; — die Notwendigkeit, dafür zu sorgen, dass unabhängige Regulierungsbehörden die Vorschriften konsequent durchsetzen, insbesondere bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität; — die Notwendigkeit eines hohen Maßes an Transparenz und einer umfassenden Konsultation aller Marktteilnehmer sowie des Europäischen Parlaments und des Rates; — die Notwendigkeit, Innovationen auf den Finanzmärkten im Interesse ihrer Dynamik und Effizienz zu fördern; — die Notwendigkeit, die Marktintegrität durch eine enge und reaktive Überwachung von Innovationen auf den Finanzmärkten sicherzustellen; — die Bedeutung einer Senkung der Kapitalkosten und eines erleichterten Zugangs zum Kapital; — die Notwendigkeit, bei Durchführungsmaßnahmen das Gleichgewicht zwischen Kosten und Nutzen für die Marktteilnehmer einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen und Kleinanlegern langfristig zu wahren; — die Notwendigkeit, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Finanzmärkte der Gemeinschaft ohne Beeinträchtigung der so notwendigen Ausweitung der internationalen Zusammenarbeit zu fördern; — die Notwendigkeit, gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer zu erreichen, indem immer dann, wenn es angemessen ist, gemeinschaftsweite Regelungen getroffen werden; — die Notwendigkeit, Unterschiede zwischen den nationalen Märkten zu respektieren, sofern sie sich nicht in unzulässiger Weise auf die Kohärenz des Binnenmarkts auswirken;

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die Notwendigkeit, die Kohärenz in Bezug auf andere Rechtsvorschriften der Gemeinschaft in diesem Bereich zu wahren, weil Informationsasymmetrien und mangelnde Transparenz die Funktionsfähigkeit von Märkten gefährden und vor allem Verbrauchern und Kleinanlegern zu Schaden gereichen können. (37) Um die Einhaltung der nach dieser Richtlinie festgelegten Anforderungen oder der zu ihrer Umsetzung getroffenen Maßnahmen zu gewährleisten, sollten Verstöße gegen diese Anforderungen oder Maßnahmen unverzüglich aufgedeckt und falls notwendig durch Sanktionen geahndet werden. Zu diesem Zweck sollten die Maßnahmen und Sanktionen ausreichend abschreckend und verhältnismäßig sein und konsequent vollstreckt werden. Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass gegen die Entscheidungen der zuständigen nationalen Behörden vor Gericht Rechtsbehelfe eingelegt werden können. (38) Mit dieser Richtlinie sollen die derzeitigen Transparenzanforderungen für Wertpapieremittenten und für Anleger, die bedeutende Beteiligungen an Emittenten, deren Aktien zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, erwerben oder veräußern, aktualisiert werden. Sie ersetzt einige Anforderungen der Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen.7 Um die Transparenzanforderungen in einem einzigen Rechtsakt zusammenfassen zu können, muss die letztere entsprechend geändert werden. Diese Änderung sollte jedoch die weiterhin gültige Bestimmung, nach der die Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln 42 bis 63 der Richtlinie 2001/34/EG zusätzliche Anforderungen vorschreiben können, nicht berühren. (39) Diese Richtlinie steht im Einklang mit der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr.8 (40) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. (41) Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich durch gemeinschaftsweit gleich hohe Transparenz das Vertrauen der Anleger zu sichern und so den Binnenmarkt zu vollenden, nach dem geltenden Gemeinschaftsrecht von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. (42) Die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse9 erlassen werden — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

7 ABl. L 184 vom 6. 7. 2001, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/71/EG. 8 ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31. Geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 (ABl. L 284 vom 31. 10. 2003, S. 1). 9 ABl. L 184 vom 17. 7. 1999, S. 23.

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Kapitel I − Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Gegenstand und Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie legt Anforderungen für die Veröffentlichung regelmäßiger und laufender Informationen über Emittenten fest, deren Wertpapiere bereits zum Handel an einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind. (2) Diese Richtlinie gilt weder für Anteile, die von Organismen für gemeinsame Anlagen eines anderen als des geschlossenen Typs ausgegeben werden, noch für Anteile, die im Rahmen derartiger Organismen erworben oder veräußert werden. (3) Jeder Mitgliedstaat kann von ihm oder von seinen Gebietskörperschaften begebene Wertpapiere, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, von der Anwendung des Artikels 16 Absatz 3 und des Artikels 18 Absätze 2 bis 4 ausnehmen. (4) Jeder Mitgliedstaat kann seine nationale Zentralbank in ihrer Eigenschaft als Emittentin von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, von der Anwendung des Artikels 17 ausnehmen, wenn die Aktien vor dem 20. Januar 2005 zum Handel zugelassen wurden. Art. 2 Begriffsbestimmungen (1) Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) „Wertpapiere“ sind übertragbare Wertpapiere im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 18 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente10 mit Ausnahme von Geldmarktinstrumenten im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 19 jener Richtlinie mit einer Laufzeit von weniger als 12 Monaten, für die nationale Vorschriften gelten können; b) „Schuldtitel“ sind Schuldverschreibungen oder andere übertragbare Forderungen in verbriefter Form, mit Ausnahme von Wertpapieren, die Aktien gleichzustellen sind oder die bei Umwandlung oder Ausübung der durch sie verbrieften Rechte zum Erwerb von Aktien oder Aktien gleichzustellenden Wertpapieren berechtigen; c) „geregelter Markt“ ist ein Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG; d) „Emittent“ ist eine natürliche oder juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts, einschließlich eines Staates, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind.

10 ABl. L 145 vom 30. 4. 2004, S. 1.

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4.9

Im Falle von Zertifikaten, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, gilt als Emittent der Emittent der vertretenen Wertpapiere, wobei es unerheblich ist, ob diese Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind oder nicht; e) „Aktionär“ ist jede natürliche oder juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts, die direkt oder indirekt Folgendes hält: i) Aktien des Emittenten in eigenem Namen und für eigene Rechnung; ii) Aktien des Emittenten in eigenem Namen, aber im Auftrag einer anderen natürlichen oder juristischen Person; iii) Zertifikate, wobei der Inhaber des Zertifikats als Aktionär der zugrunde liegenden, durch das Zertifikat vertretenen Aktien gilt; f) „kontrolliertes Unternehmen“ ist jedes Unternehmen, i) an dem eine natürliche oder juristische Person über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt, oder ii) bei dem eine natürliche oder juristische Person das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen und gleichzeitig Aktionär oder Gesellschafter des betreffenden Unternehmens ist, oder iii) bei dem eine natürliche oder juristische Person Aktionär oder Gesellschafter ist und aufgrund einer Vereinbarung mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern des betreffenden Unternehmens allein über die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre bzw. Gesellschafter verfügt, oder iv) auf das bzw. über das eine natürliche oder juristische Person beherrschenden Einfluss oder die Kontrolle ausüben kann oder tatsächlich ausübt; g) „Organismen für gemeinsame Anlagen eines anderen als des geschlossenen Typs“ sind Investmentfonds und Investmentgesellschaften, i) deren Zweck es ist, die vom Publikum bei ihnen eingelegten Gelder nach dem Grundsatz der Risikomischung gemeinsam anzulegen und ii) deren Anteile auf Verlangen des Anteilsinhabers unmittelbar oder mittelbar zu Lasten des Vermögens dieser Organismen zurückgekauft oder abgelöst werden; h) „Anteilscheine eines Organismus für gemeinsame Anlagen“ sind die von einem Organismus für gemeinsame Anlagen ausgegebenen Wertpapiere, die die Rechte der Anteilsinhaber am Vermögen eines solchen Organismus verbriefen; i) „Herkunftsmitgliedstaat“ ist i) im Falle eines Emittenten von Schuldtiteln mit einer Stückelung von weniger als 1 000 EUR oder eines Emittenten von Aktien, 1259

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— für Emittenten mit Sitz in der Union der Mitgliedstaat, in dem sich der Sitz befindet; — für Emittenten mit Sitz in einem Drittland der Mitgliedstaat, den der Emittent unter den Mitgliedstaaten auswählt, in denen seine Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. Die Wahl des Herkunftsmitgliedstaats bleibt so lange gültig, bis der Emittent nach Ziffer iii einen neuen Herkunftsmitgliedstaat ausgewählt und seine Wahl gemäß Absatz 2 dieser Ziffer i mitgeteilt hat; Die Begriffsbestimmung „Herkunftsmitgliedstaat“ gilt für Schuldtitel, die auf eine andere Währung als Euro lauten, wenn der Stückelungswert am Ausgabetag weniger als 1 000 EUR entspricht, sofern er nicht annähernd 1 000 EUR entspricht; ii) für jeden nicht unter Ziffer i fallenden Emittenten der Mitgliedstaat, den der Emittent unter dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Sitz hat − sofern einschlägig −, und den Mitgliedstaaten, in denen seine Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, auswählt. Der Emittent darf nicht mehr als einen Mitgliedstaat als Herkunftsmitgliedstaat auswählen. Die Wahl ist mindestens drei Jahre gültig, außer wenn im Laufe des Dreijahreszeitraums die Wertpapiere des Emittenten auf keinem geregelten Markt in der Union mehr zum Handel zugelassen sind oder der Emittent unter die Bestimmungen der Ziffern i oder iii fällt; iii) für einen Emittenten, dessen Wertpapiere nicht mehr zum Handel an einem geregelten Markt in seinem Herkunftsmitgliedstaat im Sinne der Ziffer i zweiter Gedankenstrich oder der Ziffer ii, aber stattdessen zum Handel in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten zugelassen sind, der neue Herkunftsmitgliedstaat, den der Emittent unter den Mitgliedstaaten, in denen seine Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und − sofern einschlägig − dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Sitz hat, auswählt; Ein Emittent teilt seinen Herkunftsmitgliedstaat nach Ziffer i, ii oder iii gemäß den Artikeln 20 und 21 mit. Außerdem teilt ein Emittent seinen Herkunftsmitgliedstaat der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem er seinen Sitz hat − sofern einschlägig −, der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats und den zuständigen Behörden aller Aufnahmemitgliedstaaten mit. Teilt der Emittent seinen Herkunftsmitgliedstaat im Sinne der Ziffer i zweiter Gedankenstrich oder der Ziffer ii nicht binnen drei Monaten ab der erstmaligen Zulassung seiner Wertpapiere zum Handel an einem geregelten 1260

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Markt mit, so ist der Herkunftsmitgliedstaat der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Wertpapiere des Emittenten zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. Sind die Wertpapiere des Emittenten zum Handel an geregelten Märkten zugelassen, die in mehr als einem Mitgliedstaat gelegen sind oder betrieben werden, so sind diese Mitgliedstaaten so lange die Herkunftsmitgliedstaaten des Emittenten, bis dieser einen einzigen Herkunftsmitgliedstaat ausgewählt und mitgeteilt hat. Für einen Emittenten, dessen Wertpapiere bereits zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind und der die Wahl seines Herkunftsmitgliedstaats nach Ziffer i zweiter Gedankenstrich oder nach Ziffer ii nicht vor dem 27. November 2015 mitgeteilt hat, beginnt die Frist von drei Monaten am 27. November 2015. Ein Emittent, der einen Herkunftsmitgliedstaat nach Ziffer i zweiter Gedankenstrich oder nach Ziffer ii oder iii ausgewählt und seine Wahl den zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats vor dem 27. November 2015 mitgeteilt hat, ist von der Verpflichtung nach Absatz 2 dieses Buchstaben befreit, es sei denn, der betreffende Emittent wählt nach dem 27. November 2015 einen anderen Herkunftsmitgliedstaat. j) „Aufnahmemitgliedstaat“ ist ein Mitgliedstaat, in dem Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, sofern es sich dabei nicht um den Herkunftsmitgliedstaat handelt; k) „vorgeschriebene Informationen“ sind alle Angaben, die ein Emittent oder jede andere Person, die ohne Zustimmung des Emittenten die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt beantragt hat, nach dieser Richtlinie, nach Artikel 6 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)11 oder nach den gemäß Artikel 3 Absatz 1 dieser Richtlinie erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats offen legen muss; l) „elektronische Hilfsmittel“ sind elektronische Geräte für die Verarbeitung (einschließlich der digitalen Komprimierung), Speicherung und Übertragung von Daten über Kabel, Funk, optische Technologien oder andere elektromagnetische Verfahren; m) „Verwaltungsgesellschaft“ ist eine Gesellschaft im Sinne des Artikels 1a Nummer 2 der Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)12;

11 Ersetzt durch Marktmissbrauchs-VO, in dieser Sammlung Nr. 4.11. 12 ABl. L 375 vom 31. 12. 1985, S. 3. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/39/EG.

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n) „Market Maker“ ist eine Person, die an den Finanzmärkten dauerhaft ihre Bereitschaft anzeigt, durch den An- und Verkauf von Finanzinstrumenten unter Einsatz des eigenen Kapitals zu von ihr festgestellten Kursen Handel für eigene Rechnung zu betreiben. o) „Kreditinstitut“ ist ein Unternehmen im Sinne des Artikels 1 Nummer 1 Buchstabe a) der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute13; p) „dauernd oder wiederholt begebene Wertpapiere“ sind als Daueremission begebene Schuldtitel ein und desselben Emittenten oder mindestens zwei getrennte Emissionen von Wertpapieren ähnlicher Art und/oder Gattung. q) „förmliche Vereinbarung“ ist eine Vereinbarung, die nach geltendem Recht verbindlich ist. (2) Für die Zwecke der Definition des „kontrollierten Unternehmens“ in Absatz 1 Buchstabe f) Ziffer ii) umfassen die Rechte des Inhabers in Bezug auf Abstimmung, Bestellung und Abberufung auch die Rechte jedes anderen vom Aktionär kontrollierten Unternehmens sowie die Rechte jeder natürlichen oder juristischen Person, die zwar in eigenem Namen, aber im Auftrag des Aktionärs oder jedes anderen vom Aktionär kontrollierten Unternehmens handelt. (2a) Bezugnahmen in dieser Richtlinie auf juristische Personen sind so zu verstehen, dass sie eingetragene Personengesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit und Investmentfonds einschließen. (3) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen, die Anforderungen des Absatzes 1 zu präzisieren und eine einheitliche Anwendung sicherzustellen, erlässt die Kommission gemäß Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c Maßnahmen zu den in Absatz 1 festgelegten Begriffsbestimmungen. Die Kommission wird insbesondere a) für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe i Ziffer ii festlegen, nach welchen Verfahren ein Emittent die Wahl des Herkunftsmitgliedstaats zu treffen hat; b) den Dreijahreszeitraum in Verbindung mit der Geschäftstätigkeit des Emittenten an etwaige neue gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen über die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt anpassen, wenn dies für die in Absatz 1 Buchstabe i Ziffer ii genannte Wahl des Herkunftsmitgliedstaats angezeigt sein sollte; c) nach dem Regelungsverfahren des Artikels 27 Absatz 2 für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe l eine indikative Liste der Hilfsmittel erstellen, die

13 ABl. L 126 vom 26. 5. 2000, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/69/EG der Kommission (ABl. L 125 vom 28. 4. 2004, S. 44).

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nicht als elektronische Hilfsmittel anzusehen sind, und dabei Anhang V der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft 14 Rechnung tragen. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 2 Buchstaben a und b werden mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b festgelegt. Art. 3 Integration der Wertpapiermärkte (1) Der Herkunftsmitgliedstaat kann für Emittenten strengere Anforderungen als die in dieser Richtlinie festgelegten vorsehen, sie jedoch nicht zur Veröffentlichung häufigerer regelmäßiger Finanzinformationen als der in Artikel 4 genannten Jahresfinanzberichte und der in Artikel 5 genannten Halbjahresfinanzberichte verpflichten. (1a) Abweichend von Absatz 1 kann der Herkunftsmitgliedstaat die Emittenten dazu verpflichten, zusätzlich häufigere regelmäßige Finanzinformationen als die in Artikel 4 genannten Jahresfinanzberichte und die in Artikel 5 genannten Halbjahresfinanzberichte zu veröffentlichen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: — Die zusätzlichen regelmäßigen Finanzinformationen stellen in dem betreffenden Mitgliedstaat insbesondere für die betroffenen kleinen und mittleren Emittenten keine unverhältnismäßige finanzielle Belastung dar, und — die Inhalte der verlangten zusätzlichen regelmäßigen Finanzinformationen stehen in einem angemessenen Verhältnis zu den Faktoren, die zu Anlageentscheidungen der Anleger in dem betreffenden Mitgliedstaat beitragen. Bevor die Mitgliedstaaten einen Beschluss fassen, der Emittenten zur Veröffentlichung zusätzlicher regelmäßiger Finanzinformationen verpflichtet, prüfen sie sowohl die Frage, ob diese zusätzlichen Anforderungen dazu führen können, dass zu viel Gewicht auf kurzfristige Ergebnisse und Leistung der Emittenten gelegt wird, als auch die Frage, ob diese Anforderungen sich negativ auf die Zugangsmöglichkeiten von kleinen und mittleren Emittenten zu den geregelten Märkten auswirken können. Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, von Emittenten, bei denen es sich um Finanzinstitute handelt, die Veröffentlichung zusätzlicher regelmäßiger Finanzinformationen zu verlangen, wird dadurch nicht berührt. Der Herkunftsmitgliedstaat darf für Aktionäre oder natürliche oder juristische Personen im Sinne der Artikel 10 oder 13 keine strengeren Anforderungen vorsehen als die in dieser Richtlinie festgelegten, es sei denn, 14 ABl. L 204 vom 21. 7. 1998, S. 37. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/96/EG des Rates (ABl. L 363 vom 20. 12. 2006, S. 81).

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i)

er legt Mitteilungsschwellen fest, die niedriger als jene gemäß Artikel 9 Absatz 1 sind oder jene ergänzen, und schreibt gleichwertige Mitteilungen in Bezug auf Kapitalanteilsschwellen vor; ii) er wendet strengere Anforderungen als diejenigen nach Artikel 12 an; oder iii) er wendet Rechts- oder Verwaltungsvorschriften an, die im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten, Zusammenschlüssen und anderen Transaktionen stehen, die die Eigentumsverhältnisse oder die Kontrolle von Unternehmen betreffen, und von den Behörden, die gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote15 von den Mitgliedstaaten benannt wurden, beaufsichtigt werden. (2) Ein Aufnahmemitgliedstaat darf nicht a) für die Zulassung von Wertpapieren zu einem geregelten Markt in seinem Hoheitsgebiet strengere Veröffentlichungspflichten als die in dieser Richtlinie oder in Artikel 6 der Richtlinie 2003/6/EG festgelegten vorsehen; b) für einen Aktionär bzw. eine natürliche oder juristische Person im Sinne der Artikel 10 oder 13 hinsichtlich der Mitteilung von Informationen strengeren Anforderungen als die in dieser Richtlinie festgelegten vorsehen.

Kapitel II − Regelmässige Information Art. 4 Jahresfinanzberichte (1) Ein Emittent veröffentlicht seinen Jahresfinanzbericht spätestens vier Monate nach Ende jedes Geschäftsjahres und stellt sicher, dass er mindestens zehn Jahre lang öffentlich zugänglich bleibt. (2) Der Jahresfinanzbericht umfasst: a) den geprüften Abschluss, b) den Lagebericht sowie c) Erklärungen, in denen die beim Emittenten verantwortlichen Personen unter Angabe ihres Namens und ihrer Stellung versichern, dass der im Einklang mit den maßgebenden Rechnungslegungsstandards aufgestellte Abschluss ihres Wissens ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten sowie der Finanz- und der Ertragslage des Emittenten und der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen vermittelt und dass der Lagebericht den Geschäftsverlauf, das Geschäftsergebnis und die Lage der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen so darstellt, dass ein den

15 ABl. L 142 vom 30. 4. 2004, S. 12.

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tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild entsteht, und dass er die wesentlichen Risiken und Ungewissheiten, denen sie ausgesetzt sind, beschreibt. (3) Ist der Emittent verpflichtet, einen konsolidierten Abschluss nach der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über den konsolidierten Abschluss16 aufzustellen, so besteht der geprüfte Abschluss aus dem im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 aufgestellten konsolidierten Abschluss und dem nach dem innerstaatlichen Recht des Sitzstaates der Muttergesellschaft aufgestellten Jahresabschluss der Muttergesellschaft. Ist der Emittent nicht verpflichtet, einen konsolidierten Abschluss aufzustellen, besteht der geprüfte Abschluss aus dem gemäß dem nationalen Recht des Sitzstaates der Gesellschaft aufgestellten Jahresabschluss. (4) Die Abschlüsse werden gemäß den Artikeln 51 und 51a der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen17 sowie — wenn der Emittent einen konsolidierten Abschluss aufstellen muss — gemäß Artikel 37 der Richtlinie 83/349/ EWG geprüft. Der von der oder den für die Prüfung des Abschlusses zuständigen Person/Personen erteilte Bestätigungsvermerk wird in vollem Umfang zusammen mit dem Jahresfinanzbericht veröffentlicht. (5) Der Lagebericht wird gemäß Artikel 46 der Richtlinie 78/660/ EWG sowie — wenn der Emittent verpflichtet ist, einen konsolidierten Abschluss aufzustellen — gemäß Artikel 36 der Richtlinie 83/349/EWG erstellt. (6) Die Kommission erlässt nach dem in Artikel 27 Absatz 2 genannten Verfahren Durchführungsmaßnahmen, um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und eine einheitliche Anwendung des Absatzes 1 sicherzustellen. Die Kommission legt insbesondere fest, unter welchen technischen Voraussetzungen ein veröffentlichter Jahresfinanzbericht einschließlich des Bestätigungsvermerks öffentlich zugänglich bleiben muss. Sie kann gegebenenfalls auch den Fünfjahreszeitraum gemäß Absatz 1 anpassen. (7) Mit Wirkung vom 1. Januar 2020 werden alle Jahresfinanzberichte in einem einheitlichen elektronischen Berichtsformat erstellt, sofern die durch die Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates18 errichtete Europäische Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde) (ESMA) eine Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt hat. ESMA erarbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards, um das elektronische Berichtsformat unter gebührender Bezugnahme auf bestehende und

16 Ersetzt durch allgemeine Bilanz-RL (mit CSR), in dieser Sammlung Nr. 4.5. 17 Ersetzt durch allgemeine Bilanz-RL (mit CSR), in dieser Sammlung Nr. 4.5. 18 ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 84.

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künftige Technologieoptionen festzulegen. Vor der Annahme der Entwürfe technischer Regulierungsstandards führt ESMA eine angemessene Bewertung der möglichen elektronischen Berichtsformate und geeignete Feldtests durch. ESMA legt der Kommission spätestens bis zum 31. Dezember 2016 diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 2 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 5 Halbjahresfinanzberichte (1) Ein Emittent von Aktien oder Schuldtiteln veröffentlicht einen Halbjahresfinanzbericht über die ersten sechs Monate des Geschäftsjahres so schnell wie möglich nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums, spätestens aber drei Monate danach. Der Emittent stellt sicher, dass der Halbjahresfinanzbericht mindestens zehn Jahre lang öffentlich zugänglich bleibt. (2) Der Halbjahresfinanzbericht umfasst: a) einen verkürzten Abschluss, b) einen Zwischenlagebericht sowie c) Erklärungen, in denen die beim Emittenten verantwortlichen Personen unter Angabe ihres Namens und ihrer Stellung versichern, dass der in Einklang mit den maßgebenden Rechnungslegungsstandards aufgestellte verkürzte Abschluss nach bestem Wissen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten sowie der Finanz- und der Ertragslage des Emittenten oder der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen gemäß Absatz 3 vermittelt und dass der Zwischenlagebericht die nach Absatz 4 geforderten Informationen in einer den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Weise darstellt. (3) Ist der Emittent verpflichtet, einen konsolidierten Abschluss aufzustellen, so wird der verkürzte Abschluss nach Maßgabe der nach dem Verfahren gemäß Artikel 6 der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 übernommenen internationalen Rechnungslegungsstandards für die Zwischenberichterstattung aufgestellt. Ist der Emittent nicht verpflichtet, einen konsolidierten Abschluss aufstellen, enthält der verkürzte Abschluss zumindest eine verkürzte Bilanz, eine verkürzte Gewinn- und Verlustrechnung sowie einen erläuternden Anhang. Bei der Aufstellung der verkürzten Bilanz und der verkürzten Gewinn- und Verlustrechnung legt der Emittent dieselben Ansatz- und Bewertungsgrundsätze wie bei der Aufstellung des Jahresfinanzberichts zugrunde. (4) Der Zwischenlagebericht gibt zumindest wichtige Ereignisse während der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres und ihre Auswirkungen auf den verkürzten Abschluss an; er beschreibt ferner die wesentlichen Risiken und Unge1266

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wissheiten in den restlichen sechs Monaten des Geschäftsjahres. Im Falle von Emittenten, die Aktien begeben, nennt der Zwischenlagebericht auch Großgeschäfte mit nahe stehenden Personen und Unternehmen. (5) Wurde der Halbjahresfinanzbericht geprüft, so ist der Bestätigungsvermerk in vollem Umfang wiederzugeben. Gleiches gilt für die prüferische Durchsicht durch einen Abschlussprüfer. Wurde der Halbjahresfinanzbericht weder einer vollständigen Prüfung noch einer prüferischen Durchsicht durch einen Abschlussprüfer unterzogen, so gibt der Emittent dies in seinem Bericht an. (6) Die Kommission erlässt gemäß Artikel 27 Absatz 2 oder Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c Maßnahmen, um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen, die Anforderungen der Absätze 1 bis 5 dieses Artikels zu präzisieren und für ihre einheitliche Anwendung zu sorgen. Die Kommission wird insbesondere a) festlegen, unter welchen technischen Voraussetzungen ein veröffentlichter Halbjahresfinanzbericht einschließlich einer Bestätigung über die prüferische Durchsicht durch einen Abschlussprüfer öffentlich zugänglich bleiben muss, b) präzisieren, welcher Art die prüferische Durchsicht durch einen Abschlussprüfer ist, und c) festlegen, welche Angaben die verkürzte Bilanz, die verkürzte Gewinn- und Verlustrechnung sowie der erläuternde Anhang dazu mindestens enthalten müssen, wenn sie nicht nach Maßgabe der nach dem Verfahren gemäß Artikel 6 der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 übernommenen internationalen Rechnungslegungsstandards aufgestellt werden. Die Maßnahmen gemäß Buchstabe a werden nach dem in Artikel 27 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren erlassen. Die Maßnahmen gemäß Buchstaben b und c werden mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b festgelegt. Die Kommission kann gegebenenfalls auch den Fünfjahreszeitraum gemäß Absatz 1 mittels eines delegierten Rechtsakts nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27 b anpassen. Art. 6 Bericht über Zahlungen, die an staatliche Stellen geleistet werden Die Mitgliedstaaten verpflichten Emittenten, die gemäß der Definition in Artikel 41 Nummern 1 und 2 der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 1267

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83/349/EWG des Rates19 in der mineralgewinnenden Industrie oder der Industrie des Holzeinschlags in Primärwäldern tätig sind, jährlich gemäß Kapitel 10 jener Richtlinie einen Bericht über Zahlungen, die an staatliche Stellen geleistet wurden, zu erstellen. Der Bericht ist spätestens sechs Monate nach Ende jedes Geschäftsjahres zu veröffentlichen und muss mindestens zehn Jahre lang öffentlich zugänglich bleiben. Über Zahlungen an staatliche Stellen ist auf konsolidierter Ebene Bericht zu erstatten. Art. 7 Verantwortung und Haftung Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verantwortung für die in den Artikeln 4, 5, 6 und 16 vorgeschriebene Zusammenstellung und Veröffentlichung der Informationen zumindest beim Emittenten oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan liegt und dass ihre Rechtsund Verwaltungsvorschriften über die Haftung auf die Emittenten, die in diesem Artikel genannten Organe oder die beim Emittenten verantwortlichen Personen anwendbar sind. Art. 8 Ausnahmen (1) Die Artikel 4 und 5 gelten nicht für die folgenden Emittenten: a) Staaten, Gebietskörperschaften eines Staates, internationale öffentlichrechtliche Stellen, denen mindestens ein Mitgliedstaat angehört, die Europäische Zentralbank (EZB), die durch den EFSF-Rahmenvertrag eingerichtete Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und jeden anderen Mechanismus, der geschaffen wurde, um die Finanzstabilität der Europäischen Währungsunion durch Bereitstellung vorübergehender finanzieller Unterstützung für Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, zu erhalten, und die nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten unabhängig davon, ob sie Aktien oder andere Wertpapiere begeben, und b) Emittenten, die ausschließlich zum Handel an einem geregelten Markt zugelassene Schuldtitel mit einer Mindeststückelung von 100 000 EUR oder — bei Schuldtiteln, die auf eine andere Währung als Euro lauten — mit einer Mindeststückelung, die am Ausgabetag mindestens 100 000 EUR entspricht, begeben. (2) Der Herkunftsmitgliedstaat kann beschließen, dass Artikel 5 auf Kreditinstitute, deren Aktien nicht zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind und die dauernd oder wiederholt ausschließlich Schuldtitel begeben haben, keine Anwendung findet, vorausgesetzt, dass der Gesamtnennbetrag der begebenen Schuldtitel 100 000 000 EUR nicht erreicht und kein Prospekt gemäß der Richtlinie 2003/71/EG veröffentlicht wurde.

19 ABl. L 182 vom 29. 6. 2013, S. 19.

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(3) Der Herkunftsmitgliedstaat kann beschließen, dass Artikel 5 auf Emittenten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie 2003/71/ EG bereits existieren und die ausschließlich Schuldtitel auf einem geregelten Markt begeben, die vom Herkunftsmitgliedstaat oder einer seiner Gebietskörperschaften unbedingt und unwiderruflich garantiert werden, keine Anwendung findet. (4) Abweichend von Absatz 1 Buchstabe b dieses Artikels gelten die Artikel 4 und 5 nicht für Emittenten, die ausschließlich Schuldtitel mit einer Mindeststückelung von 50 000 EUR oder — bei Schuldtiteln, die auf eine andere Währung als Euro lauten — mit einer Mindeststückelung, die am Ausgabetag mindestens 50 000 EUR entspricht, begeben, die bereits vor dem 31. Dezember 2010 zum Handel an einem geregelten Markt in der Union zugelassen wurden, solange derartige Schuldtitel ausstehen.

Kapitel III − Laufende Informationen Abschnitt I − Informationen über bedeutende Beteiligungen Art. 9 Mitteilung des Erwerbs oder der Veräußerung bedeutender Beteiligungen (1) Der Herkunftsmitgliedstaat stellt sicher, dass ein Aktionär einem Emittenten mitteilt, welchen Anteil an den Stimmrechten des Emittenten er hält, wenn er durch Erwerb oder Veräußerung von Aktien des Emittenten, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind und an die Stimmrechte geknüpft sind, die Schwelle von 5 %, 10 %, 15 %, 20 %, 25 %, 30 %, 50 % oder 75 % erreicht, über- oder unterschreitet. Der Anteil der Stimmrechte wird ausgehend von der Gesamtzahl der mit Stimmrechten versehenen Aktien berechnet, auch wenn die Ausübung dieser Stimmrechte ausgesetzt ist. Dieser Anteil ist darüber hinaus auch in Bezug auf alle mit Stimmrechten versehenen Aktien ein und derselben Gattung anzugeben. (2) Der Herkunftsmitgliedstaat stellt sicher, dass die Aktionäre dem Emittenten mitteilen, welchen Stimmrechtsanteil sie halten, wenn dieser Anteil infolge von Ereignissen, die die Aufteilung der Stimmrechte verändern, bei Zugrundelegung der nach Maßgabe des Artikels 15 veröffentlichten Angaben eine der in Absatz 1 genannten Schwellen erreicht, über- oder unterschreitet. Hat der Emittent seinen Sitz in einem Drittstaat, so erfolgt eine Mitteilung bei vergleichbaren Ereignissen. (3) Der Herkunftsmitgliedstaat kann davon absehen, a) die 30 %-Schwelle anzuwenden, wenn er eine Schwelle von einem Drittel vorsieht; 1269

4.9

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b) die 75 %-Schwelle anzuwenden, wenn er eine Schwelle von zwei Dritteln vorsieht. (4) Artikel 9 findet keine Anwendung auf Aktien, die ausschließlich für den Zweck der Abrechnung und Abwicklung von Geschäften innerhalb des üblichen kurzen Abrechnungszyklus erworben werden, noch auf Verwahrstellen, die Aktien nur als Verwahrer halten, vorausgesetzt, die Verwahrstelle kann die Stimmrechte aus diesen Aktien nur aufgrund von Weisungen ausüben, die schriftlich oder über elektronische Hilfsmittel erteilt wurden. (5) Artikel 9 findet ferner keine Anwendung auf den Erwerb oder die Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung, sofern hierdurch die Schwelle von 5 % oder mehr durch einen Market Maker, der in dieser Eigenschaft handelt, erreicht, überschritten oder unterschritten wird, vorausgesetzt a) er ist in seinem Herkunftsmitgliedstaat nach Maßgabe der Richtlinie 2004/ 39/EG zugelassen und b) er greift nicht in die Geschäftsführung des betreffenden Emittenten ein und übt keinen Einfluss auf diesen dahin aus, die betreffenden Aktien zu kaufen oder den Aktienkurs zu stützen. (6) Dieser Artikel gilt nicht für die Stimmrechte, die ein Kreditinstitut oder eine Wertpapierfirma im Handelsbuch im Sinne von Artikel 11 der Richtlinie 2006/ 49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten20 hält, sofern a) der Anteil der im Handelsbuch gehaltenen Stimmrechte nicht höher als 5 % ist und b) die Stimmrechte aus Aktien, die im Handelsbuch gehalten werden, nicht ausgeübt werden und nicht anderweitig benutzt werden, um in die Geschäftsführung des Emittenten einzugreifen. (6a) Dieser Artikel gilt nicht für die Stimmrechte aus Aktien, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates — Ausnahmeregelungen für Rückkaufprogramme und Kursstabilisierungsmaßnahmen21 zu Stabilisierungszwecken erworben wurden, sofern die Stimmrechte aus diesen Aktien nicht ausgeübt werden und nicht anderweitig benutzt werden, um in die Geschäftsführung des Emittenten einzugreifen. (6b) ESMA erarbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards zur Festlegung der Berechnungsmethode für die in den Absätzen 5 und 6 genannte 5 %-

20 ABl. L 177 vom 30. 6. 2006, S. 201. 21 ABl. L 336 vom 23. 12. 2003, S. 33.

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Schwelle und bezieht hierbei auch Konzerne ein, wobei sie Artikel 12 Absätze 4 und 5 berücksichtigt. ESMA unterbreitet diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards der Kommission bis zum 27. November 2014. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die technischen Regulierungsstandards im Sinne von Unterabsatz 1 gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (7) Die Kommission erlässt mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b Maßnahmen, um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die einheitliche Anforderungen der Absätze 2, 4 und 5 zu präzisieren. Die Kommission legt mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b die Höchstdauer des „kurzen Abrechnungszyklus“ gemäß Absatz 4 dieses Artikels sowie angemessene Kontrollmechanismen für die zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats fest. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 27 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. Die Kommission kann ferner nach dem in Artikel 27 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren eine Liste der Ereignisse im Sinne des Absatzes 2 aufstellen. Art. 10 Erwerb oder Veräußerung bedeutender Anteile an Stimmrechten Die Mitteilungspflicht nach Artikel 9 Absätze 1 und 2 gilt auch für eine natürliche oder juristische Person, sofern sie in einem oder mehreren der folgenden Fälle zum Erwerb, zur Veräußerung oder zur Ausübung von Stimmrechten berechtigt ist: a) Stimmrechte, die von einem Dritten gehalten werden, mit dem diese natürliche oder juristische Person eine Vereinbarung getroffen hat, die beide verpflichtet, langfristig eine gemeinsame Politik bezüglich der Geschäftsführung des betreffenden Emittenten zu verfolgen, indem sie die von ihnen gehaltenen Stimmrechte einvernehmlich ausüben; b) Stimmrechte, die von einem Dritten aufgrund einer Vereinbarung mit dieser natürlichen oder juristischen Person gehalten werden, die eine zeitweilige Übertragung dieser Stimmrechte gegen Gegenleistung vorsieht; c) Stimmrechte aus Aktien, die bei dieser natürlichen oder juristischen Person als Sicherheit verwahrt werden, sofern Letztere die Stimmrechte hält und ihre Absicht bekundet, sie auszuüben; d) Stimmrechte aus Aktien, an denen zugunsten dieser natürlichen oder juristischen Person ein Nießbrauch bestellt ist; 1271

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e) Stimmrechte, die von einem von dieser natürlichen oder juristischen Person kontrollierten Unternehmen gehalten oder gemäß den Buchstaben a) bis d) ausgeübt werden können; f) Stimmrechte aus Aktien, die bei dieser natürlichen oder juristischen Person verwahrt sind und die Letztere nach eigenem Ermessen ausüben kann, wenn keine besonderen Weisungen der Aktionäre vorliegen; g) Stimmrechte, die von einem Dritten in eigenem Namen für Rechnung dieser natürlichen oder juristischen Person gehalten werden; h) Stimmrechte, die diese natürliche oder juristische Person als Bevollmächtige ausüben kann und die die Letztere nach eigenem Ermessen ausüben kann, wenn keine besonderen Weisungen der Aktionäre vorliegen. Art. 11 [Keine Anwendung auf Aktien des ESZB] (1) Artikel 9 und Artikel 10 Buchstabe c) finden keine Anwendung auf Aktien, die den Mitgliedern des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Währungsbehörden zur Verfügung gestellt oder von diesen bereit gestellt werden; hierzu gehören auch Aktien, die den Mitgliedern des ESZB als Pfand oder im Rahmen eines Pensionsgeschäfts oder einer ähnlichen Vereinbarung gegen Liquidität für geldpolitische Zwecke oder innerhalb eines Zahlungssystems zur Verfügung gestellt oder von diesen bereit gestellt werden. (2) Die Ausnahmeregelung findet Anwendung, wenn es sich bei den genannten Transaktionen um kurzfristige Geschäfte handelt und wenn die Stimmrechte aus den betreffenden Aktien nicht ausgeübt werden. Art. 12 Verfahren für die Mitteilung und Veröffentlichung bedeutender Beteiligungen (1) Die Anzeige gemäß den Artikeln 9 und 10 muss folgende Angaben enthalten: a) die Anzahl der Stimmrechte nach dem Erwerb bzw. der Veräußerung, b) gegebenenfalls die Kette der kontrollierten Unternehmen, über die die Stimmrechte tatsächlich gehalten werden, c) das Datum, zu dem die Schwelle erreicht oder überschritten wurde und d) den Namen des Aktionärs, selbst wenn dieser nicht berechtigt ist, Stimmrechte unter den Voraussetzungen des Artikels 10 auszuüben, sowie denjenigen der natürlichen oder juristischen Person, die berechtigt ist, Stimmrechte im Namen dieses Aktionärs auszuüben. (2) Die Mitteilung an den Emittenten erfolgt unverzüglich, spätestens jedoch nach vier Handelstagen nach dem Tag, an dem der Aktionär bzw. die natürliche oder juristische Person im Sinne des Artikels 10 a) von dem Erwerb oder der Veräußerung oder der Möglichkeit der Ausübung der Stimmrechte Kenntnis erhält oder an dem er bzw. sie unter den gegebe1272

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nen Umständen davon hätte Kenntnis erhalten müssen, ungeachtet des Tages, an dem der Erwerb, die Veräußerung oder die Möglichkeit der Ausübung der Stimmrechte wirksam wird, oder b) über das in Artikel 9 Absatz 2 genannte Ereignis informiert wird. (3) Ein Unternehmen ist von der Mitteilungspflicht gemäß Absatz 1 entbunden, wenn die Mitteilung von seinem Mutterunternehmen oder — wenn diese selbst ein kontrolliertes Unternehmen ist — von dessen Mutterunternehmen übermittelt wird. (4) Das Mutterunternehmen einer Verwaltungsgesellschaft muss ihre Beteiligungen nicht gemäß den Artikeln 9 und 10 nicht mit den Beteiligungen zusammenrechnen, die von der Verwaltungsgesellschaft nach Maßgabe der Richtlinie 85/611/EWG verwaltet werden, sofern die Verwaltungsgesellschaft ihre Stimmrechte unabhängig vom Mutterunternehmen ausübt. Die Artikel 9 und 10 finden jedoch Anwendung, wenn das Mutterunternehmen oder ein anderes vom Mutterunternehmen kontrolliertes Unternehmen seinerseits Anteile an der von der betreffenden Verwaltungsgesellschaft verwalteten Beteiligung hält und die Verwaltungsgesellschaft die Stimmrechte, die mit diesen Beteiligungen verbunden sind, nicht nach freiem Ermessen, sondern nur aufgrund direkter oder indirekter Weisungen ausüben kann, die ihr vom Mutterunternehmen oder einem anderen kontrollierten Unternehmen des Mutterunternehmens erteilt werden. (5) Das Mutterunternehmen einer nach der Richtlinie 2004/39/EG zugelassenen Wertpapierfirma muss ihre Beteiligungen nicht gemäß den Artikeln 9 und 10 mit den Beteiligungen zusammenrechnen, die die betreffende Wertpapierfirma auf Einzelkundenbasis im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 9 der Richtlinie 2004/39/EG verwaltet, sofern — die Wertpapierfirma eine Zulassung für die Portfolioverwaltung gemäß Anhang I Abschnitt A Nummer 4 der Richtlinie 2004/39/EG erhalten hat; — sie die Stimmrechte, die mit den betreffenden Aktien verbunden sind, nur aufgrund von in schriftlicher Form oder über elektronische Hilfsmittel erteilten Weisungen ausüben darf oder durch geeignete Vorkehrungen sicherstellt, dass die individuelle Portfolioverwaltung unabhängig von anderen Dienstleistungen und unter Bedingungen, die denen der Richtlinie 85/611/ EWG gleichwertig sind, erfolgt, und — die Wertpapierfirma ihre Stimmrechte unabhängig vom Mutterunternehmen ausübt. Die Artikel 9 und 10 finden jedoch Anwendung, wenn das Mutterunternehmen oder ein anderes kontrolliertes Unternehmen des Mutterunternehmens seinerseits Anteile an der von dieser Wertpapierfirma verwalteten Beteiligung hält und die Wertpapierfirma die Stimmrechte, die mit diesen Beteiligungen verbunden sind, nicht nach freiem Ermessen, sondern nur aufgrund direkter oder indi1273

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rekter Weisungen ausüben kann, die ihr vom Mutterunternehmen oder einem anderen kontrollierten Unternehmen des Mutterunternehmens erteilt werden. (6) Sobald er die Mitteilung gemäß Absatz 1 erhält, spätestens jedoch drei Handelstage nach deren Erhalt veröffentlicht der Emittent alle darin enthaltenen Informationen. (7) Ein Herkunftsmitgliedstaat kann Emittenten von der Pflicht gemäß Absatz 6 entbinden, wenn die in der Mitteilung enthaltenen Informationen von seiner zuständigen Behörde nach Maßgabe des Artikels 21 nach Erhalt der Mitteilung, spätestens jedoch drei Handelstage nach Erhalt veröffentlicht werden. (8) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die Anforderungen der Absätze 1, 2, 4, 5 und 6 zu präzisieren, erlässt die Kommission nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b Maßnahmen, in denen sie a) aufgehoben. b) einen Kalender der „Handelstage“ für alle Mitgliedstaaten festlegt; c) festlegt, in welchen Fällen der Aktionär bzw. die natürliche oder juristische Person im Sinne des Artikels 10 oder beide die erforderliche Mitteilung an den Emittenten vorzunehmen hat bzw. haben; d) präzisiert, unter welchen Umständen der Aktionär bzw. die natürliche oder juristische Person im Sinne des Artikels 10 von dem Erwerb bzw. der Veräußerung hätte Kenntnis erhalten müssen; e) festlegt, unter welchen Umständen die Unabhängigkeit einer Verwaltungsgesellschaft von seinem Mutterunternehmen und einer Wertpapierfirma von seinem Mutterunternehmen gegeben ist, damit die Ausnahmeregelung der Absätze 4 und 5 in Anspruch genommen werden kann. (9) Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels zu gewährleisten und den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen, kann die durch die Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates eingerichtete Europäische Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde) (im Folgenden ‚ESMA‘) Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um Standardformulare, Dokumentvorlagen und Verfahren festzulegen, die bei der Mitteilung der vorgeschriebenen Informationen an den Emittenten gemäß Absatz 1 dieses Artikels oder der Hinterlegung von Informationen gemäß Artikel 19 Absatz 3 zu verwenden sind.22 Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

22 ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 84.

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Art. 13 [Erstreckung der Mitteilungspflichten nach Artikel 9] (1) Die Mitteilungspflicht gemäß Artikel 9 gilt auch für natürliche oder juristische Personen, die direkt oder indirekt Finanzinstrumente halten, die a) dem Inhaber bei Fälligkeit im Rahmen einer förmlichen Vereinbarung entweder das unbedingte Recht auf Erwerb mit Stimmrechten verbundener und bereits ausgegebener Aktien eines Emittenten, dessen Aktien zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, oder aber ein Ermessen in Bezug auf sein Recht auf Erwerb dieser Aktien verleihen; b) nicht unter Buchstabe a fallen, die aber auf Aktien bezogen sind, die unter jenen Buchstaben fallen, und die eine vergleichbare wirtschaftliche Wirkung haben wie die unter jenem Buchstaben genannten Finanzinstrumente, unabhängig davon, ob sie einen Anspruch auf physische Abwicklung einräumen oder nicht. In der vorzunehmenden Mitteilung ist die Art der gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe a und der gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe b gehaltenen Finanzinstrumente aufzuschlüsseln, wobei zwischen den Finanzinstrumenten, die einen Anspruch auf physische Abwicklung einräumen, und denjenigen, die einen Anspruch auf Barausgleich einräumen, zu unterscheiden ist. (1a) Die Anzahl der Stimmrechte wird unter Bezugnahme auf die volle nominale Anzahl der dem Finanzinstrument zugrunde liegenden Aktien berechnet, es sei denn, das Finanzinstrument sieht ausschließlich einen Barausgleich vor; in diesem Fall wird die Anzahl der Stimmrechte auf einer „delta-angepassten“ Basis berechnet, wobei die nominale Anzahl der zugrunde liegenden Aktien mit dem Delta des Instruments multipliziert wird. Zu diesem Zweck hat der Inhaber sämtliche Finanzinstrumente, die sich auf ein und denselben Emittenten beziehen, zusammenzurechnen und mitzuteilen. In die Berechnung der Stimmrechte fließen nur Erwerbspositionen ein. Erwerbspositionen werden nicht mit Veräußerungspositionen, die sich auf ein und denselben Emittenten beziehen, verrechnet. ESMA erstellt Entwürfe technischer Regulierungsstandards zur Festlegung a) der Berechnungsmethode für die in Unterabsatz 1 genannte Anzahl der Stimmrechte bei Finanzinstrumenten, die sich auf einen Aktienkorb oder einen Index beziehen, und b) der Methoden zur Ermittlung des Deltas für die Zwecke der nach Unterabsatz 1 vorzunehmenden Berechnung der Stimmrechte in Bezug auf Finanzinstrumente, die ausschließlich einen Barausgleich vorsehen. ESMA unterbreitet diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards der Kommission bis zum 27. November 2014. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die technischen Regulierungsstandards im Sinne von Unterabsatz 2 gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. 1275

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(1b) Für die Zwecke von Absatz 1 werden folgende Instrumente als Finanzinstrumente betrachtet, sofern sie eine der in Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a oder b genannten Bedingungen erfüllen: a) übertragbare Wertpapiere; b) Optionen; c) Terminkontrakte; d) Swaps; e) Zinsausgleichsvereinbarungen; f) Differenzgeschäfte und g) alle anderen Kontrakte oder Vereinbarungen mit vergleichbarer wirtschaftlicher Wirkung, die physisch oder bar abgewickelt werden können. ESMA erstellt unter Berücksichtigung der technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten eine nicht erschöpfende Liste der Finanzinstrumente, die Mitteilungspflichten gemäß Absatz 1 unterliegen, und aktualisiert diese regelmäßig. (2) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b mittels delegierter Rechtsakte Maßnahmen zur Festlegung der Inhalte der vorzunehmenden Mitteilungen, des Mitteilungszeitraums und der Adressaten der Mitteilung gemäß Absatz 1 zu erlassen. (3) Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung von Absatz 1 dieses Artikels zu gewährleisten und den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen, kann die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um Standardformulare, Dokumentvorlagen und Verfahren festzulegen, die bei der Mitteilung der vorgeschriebenen Informationen an den Emittenten gemäß Absatz 1 dieses Artikels oder der Hinterlegung von Informationen gemäß Artikel 19 Absatz 3 zu verwenden sind. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (4) Die in Artikel 9 Absätze 4, 5 und 6 sowie in Artikel 12 Absätze 3, 4 und 5 vorgesehenen Ausnahmen gelten mutatis mutandis für die Mitteilungspflichten nach diesem Artikel. ESMA erstellt Entwürfe technischer Regulierungsstandards zur Festlegung der Fälle, in denen die in Unterabsatz 1 genannten Ausnahmen für Finanzinstrumente gelten, die von einer natürlichen oder juristischen Person gehalten werden, welche im Auftrag oder auf Ersuchen von Kunden andere als Eigenhandelsgeschäfte tätigen oder aus diesen Geschäften resultierende Positionen absichern. ESMA unterbreitet diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards der Kommission bis zum 27. November 2014. 1276

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Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die technischen Regulierungsstandards im Sinne von Unterabsatz 2 gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 13a Zusammenrechnung (1) Die in Artikel 9, 10 und 13 festgelegten Mitteilungspflichten gelten auch für eine natürliche oder juristische Person, wenn die Anzahl der von dieser gemäß den Artikeln 9 und 10 direkt oder indirekt gehaltenen Stimmrechte zusammengerechnet mit der Anzahl der Stimmrechte in Bezug auf direkt oder indirekt gehaltene Finanzinstrumente nach Artikel 13 die in Artikel 9 Absatz 1 festgelegten Schwellen erreicht, überschreitet oder unterschreitet. In der gemäß Unterabsatz 1 dieses Absatzes vorzunehmenden Mitteilung ist die Anzahl der Stimmrechte aus gemäß den Artikeln 9 und 10 gehaltenen Aktien und der in Bezug auf Finanzinstrumente gehaltenen Stimmrechte gemäß Artikel 13 aufzuschlüsseln. (2) Stimmrechte in Bezug auf Finanzinstrumente, die bereits gemäß Artikel 13 mitgeteilt wurden, sind erneut mitzuteilen, wenn die natürliche oder juristische Person die zugrunde liegenden Aktien erworben hat und dieser Erwerb dazu führt, dass die Gesamtzahl der Stimmrechte aus Aktien ein und desselben Emittenten die in Artikel 9 Absatz 1 genannten Schwellen erreicht oder überschreitet. Art. 14 [Mitteilung des Erwerbs oder der Veräußerung eigener Anteile] (1) Erwirbt oder veräußert ein Emittent von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, eigene Aktien entweder selbst oder über eine in eigenem Namen aber für Rechnung des Emittenten handelnden Person, stellt der Herkunftsmitgliedstaat sicher, dass der Emittent den Anteil an eigenen Aktien unverzüglich, spätestens jedoch vier Handelstage nach dem Erwerb bzw. der Veräußerung veröffentlicht, wenn dieser Anteil die Schwelle von 5 % oder 10 % der Stimmrechte erreicht, über- oder unterschreitet. Der Anteil errechnet sich ausgehend von der Gesamtzahl der Aktien, die mit Stimmrechten versehen sind. (2) Die Kommission erlässt mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b Maßnahmen, um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die Anforderungen des Absatzes 1 zu präzisieren. Art. 15 [Berechnung der Schwellen nach Artikel 9] Für die Zwecke der Berechnung der Schwellen gemäß Artikel 9 schreibt der Herkunftsmitgliedstaat zumindest vor, dass der Emittent die Gesamtzahl der Stimmrechte und das Kapital am Ende jeden Kalendermonats, an dem es zu einer Zu- oder Abnahme von Stimmrechten oder Kapital gekommen ist, veröffentlicht. 1277

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Art. 16 Zusätzliche Angaben (1) Ein Emittent von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, veröffentlicht unverzüglich jede Änderung bei den an die verschiedenen Aktiengattungen geknüpften Rechte, einschließlich der Rechte, die an derivative vom Emittenten selbst begebene Wertpapiere geknüpft sind, die Zugang zu den Aktien des betreffenden Emittenten verschaffen. (2) Ein Emittent von anderen Wertpapieren als Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, veröffentlicht unverzüglich jede Änderung bei den Rechten der Inhaber dieser Wertpapiere, die keine Aktien sind, wozu auch Änderungen der Ausstattung oder der Konditionen dieser Wertpapiere gehören, die die betreffenden Rechte indirekt, insbesondere aufgrund einer Änderung der Anleihekonditionen oder der Zinssätze, berühren könnten. (3) aufgehoben.

Abschnitt II − Information der Inhaber von zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren Art. 17 Informationspflichten der Emittenten von zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Aktien (1) Ein Emittent von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, muss allen Aktionären, die sich in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen. (2) Der Emittent stellt sicher, dass alle Einrichtungen und Informationen, die die Aktionäre zur Ausübung ihrer Rechte benötigen, im Herkunftsmitgliedstaat zur Verfügung stehen und dass die Integrität der Daten gewahrt wird. Den Aktionären steht es frei, ihre Rechte durch einen Bevollmächtigten wahrnehmen zu lassen, sofern den Rechtsvorschriften des Sitzstaats des Emittenten Genüge getan wird. Insbesondere muss der Emittent a) über Ort, Zeitpunkt und Tagesordnung der Hauptversammlung wie auch über die Gesamtzahl der Aktien und Stimmrechte und die Rechte der Aktionäre bezüglich der Teilnahme an den Hauptversammlungen informieren; b) jeder Person, die berechtigt ist, an der Hauptversammlung stimmberechtigt teilzunehmen zusammen mit der Benachrichtigung zur Hauptversammlung oder auf Verlangen nach ihrer Anberaumung ein Vollmachtsformular entweder in Papierform oder gegebenenfalls durch elektronische Hilfsmittel übermitteln; c) ein Finanzinstitut als bevollmächtigte Stelle benennen, über die die Aktionäre ihre finanziellen Rechte ausüben können, und d) Benachrichtigungen veröffentlichen bzw. Rundschreiben versenden, in denen die Zuteilung und Zahlung von Dividenden und die Emission neuer 1278

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Aktien angekündigt sowie über etwaige Vereinbarungen in Bezug auf die Zuteilung, Zeichnung, Einziehung bzw. den Umtausch informiert wird. (3) Zum Zwecke der Übermittlung von Informationen an die Aktionäre gestattet der Herkunftsmitgliedstaat Emittenten, elektronische Hilfsmittel zu benutzen, sofern eine entsprechende Entscheidung von einer Hauptversammlung getroffen wird und die folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) Die Verwendung elektronischer Hilfsmittel hängt in keiner Weise vom Sitz oder vom Wohnort des Aktionärs bzw. — in den Fällen nach Artikel 10 Buchstaben a) bis h) — der natürlichen oder juristischen Personen ab. b) Es sind Vorkehrungen zur Identifizierung zu treffen, damit die Aktionäre oder die natürlichen oder juristischen Personen, die Stimmrechte ausüben oder Weisungen zur Ausübung der Stimmrechte geben dürfen, tatsächlich informiert werden. c) Die Aktionäre bzw. — in den Fällen nach Artikel 10 Buchstaben a) bis e) — die natürlichen oder juristischen Personen, die Stimmrechte erwerben, veräußern oder ausüben dürfen, werden schriftlich um ihre Zustimmung zur Verwendung elektronischer Hilfsmittel für die Übermittlung von Informationen gebeten; ihre Zustimmung gilt als erteilt, wenn sie nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums widersprechen. Sie können zu jedem späteren Zeitpunkt beantragen, dass ihnen die Informationen wieder schriftlich übermittelt werden. d) Jegliche Aufteilung der Kosten, die mit der Übermittlung derartiger Informationen durch elektronische Hilfsmittel einhergehen, ist vom Emittenten im Sinne des Grundsatzes der Gleichbehandlung gemäß Absatz 1 festzulegen. (4) Die Kommission erlässt mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b Maßnahmen, um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten sowie den Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie Rechnung zu tragen und um die Anforderungen der Absätze 1, 2 und 3 zu präzisieren. Die Kommission stellt insbesondere klar, über welche Arten von Finanzinstituten ein Aktionär die in Absatz 2 Buchstabe c genannten Finanzrechte ausüben kann. Art. 18 Informationspflichten der Emittenten von zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Schuldtiteln (1) Ein Emittent von Schuldtiteln, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, muss allen Inhabern gleichrangiger Schuldtitel in Bezug auf alle mit diesen Schuldtiteln verbundenen Rechte die gleiche Behandlung sicherstellen. (2) Der Emittent stellt sicher, dass alle Einrichtungen und Informationen, die die Inhaber von Schuldtiteln zur Ausübung ihrer Rechte benötigen, im Her1279

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kunftsmitgliedstaat öffentlich zur Verfügung stehen und dass die Integrität der Daten gewahrt wird. Den Schuldtitelinhabern steht es frei, ihre Rechte durch einen Bevollmächtigten wahrnehmen zu lassen, sofern den Rechtsvorschriften des Sitzstaats des Emittenten Genüge getan wird. Insbesondere muss der Emittent a) Benachrichtigungen veröffentlichen bzw. Rundschreiben versenden, in denen über Ort, Zeitpunkt und Tagesordnung der Gläubigerversammlung der Schuldtitelinhaber sowie über die Zahlung von Zinsen, die Ausübung der Rechte auf Umtausch, Austausch, Zeichnung oder Annullierung und Rückzahlung sowie das Teilnahmerecht dieser Inhaber von Schuldtiteln informiert wird, b) jeder Person, die berechtigt ist, an der Gläubigerversammlung der Schuldtitelinhaber stimmberechtigt teilzunehmen zusammen mit der Benachrichtigung zur Versammlung oder auf Verlangen nach ihrer Anberaumung ein Vollmachtsformular entweder in Papierform oder gegebenenfalls durch elektronische Hilfsmittel übermitteln, und c) ein Finanzinstitut als bevollmächtigte Stelle benennen, über die die Inhaber von Schuldtiteln ihre finanziellen Rechte ausüben können. (3) Wenn lediglich Inhaber von Schuldtiteln mit einer Mindeststückelung von 100 000 EUR bzw. — im Falle von Schuldtiteln, die auf andere Währungen als Euro lauten — mit einer Mindeststückelung, die am Ausgabetag mindestens 100 000 EUR entspricht, zu einer Gläubigerversammlung eingeladen werden, kann der Emittent jeden Mitgliedstaat als Versammlungsort wählen, sofern dort sämtliche Einrichtungen und Informationen gegeben sind, die die Inhaber von Schuldtiteln zur Ausübung ihrer Rechte benötigen. Die in Unterabsatz 1 vorgesehene Möglichkeit gilt auch für Inhaber von Schuldtiteln mit einer Mindeststückelung von 50 000 EUR bzw. — im Falle von Schuldtiteln, die auf andere Währungen als Euro lauten — mit einer Mindeststückelung, die am Ausgabetag mindestens 50 000 EUR entspricht, die bereits vor dem 31. Dezember 2010 zum Handel an einem geregelten Markt in der Union zugelassen wurden, solange derartige Schuldtitel ausstehen und sofern in dem von dem Emittenten gewählten Mitgliedstaat sämtliche Einrichtungen und Informationen gegeben sind, die die Inhaber von Schuldtiteln zur Ausübung ihrer Rechte benötigen. (4) Zum Zwecke der Übermittlung von Informationen an die Inhaber von Schuldtiteln gestattet der Herkunftsmitgliedstaat beziehungsweise der vom Emittenten gemäß Absatz 3 gewählte Mitgliedstaat Emittenten, elektronische Hilfsmittel zu benutzen, sofern eine entsprechende Entscheidung von einer Gläubigerversammlung getroffen wird und die folgenden Bedingungen erfüllt sind: 1280

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a) Die Verwendung elektronischer Hilfsmittel hängt in keiner Weise vom Sitz oder vom Wohnort des Schuldtitelinhabers bzw. des diese Person vertretenden Bevollmächtigten ab. b) Es sind Vorkehrungen zur Identifizierung zu treffen, damit die Inhaber von Schuldtiteln tatsächlich informiert werden. c) Die Inhaber von Schuldtiteln werden schriftlich um ihre Zustimmung zur Verwendung elektronischer Hilfsmittel für die Übermittlung von Informationen gebeten; ihre Zustimmung gilt als erteilt, wenn sie nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums widersprechen. Sie können zu jedem späteren Zeitpunkt beantragen, dass ihnen die Informationen wieder schriftlich übermittelt werden. d) Jegliche Aufteilung der Kosten, die mit der Übermittlung derartiger Informationen durch elektronische Hilfsmittel einhergehen, ist vom Emittenten im Sinne des Grundsatzes der Gleichbehandlung gemäß Absatz 1 festzulegen. (5) Die Kommission erlässt mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b Maßnahmen, um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten sowie den Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie Rechnung zu tragen und um die Anwendung der Absätze 1 bis 4 zu präzisieren. Die Kommission legt insbesondere fest, über welche Arten von Finanzinstituten der Inhaber eines Schuldtitels die in Absatz 2 Buchstabe c genannten finanziellen Rechte ausüben kann.

Kapitel IV − Allgemeine Verpflichtungen Art. 19 Kontrolle durch den Herkunftsmitgliedstaat (1) Veröffentlicht ein Emittent oder eine Person, die ohne Einverständnis des Emittenten die Zulassung ihrer Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt beantragt hat, vorgeschriebene Informationen, so hinterlegt er bzw. sie diese Informationen gleichzeitig bei der zuständigen Behörde seines bzw. ihres Herkunftsmitgliedstaats. Diese Behörde kann darüber befinden, ob sie diese Informationen auf ihrer Website veröffentlicht. (2) Der Herkunftsmitgliedstaat kann einen Emittenten von der Pflicht gemäß Absatz 1 entbinden, soweit dies die Veröffentlichung von Informationen gemäß Artikel 6 der Richtlinie 2003/6/EG oder gemäß Artikel 12 Absatz 6 der vorliegenden Richtlinie betrifft. (3) Die dem Emittenten gemäß den Artikeln 9, 10, 12 und 13 mitzuteilenden Informationen sind gleichzeitig bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats zu hinterlegen. 1281

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(4) Die Kommission erlässt mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b Maßnahmen, um die Anforderungen der Absätze 1, 2 und 3 zu präzisieren. Die Kommission legt insbesondere das Verfahren fest, nach dem ein Emittent, ein Inhaber von Aktien oder anderen Finanzinstrumenten oder eine natürliche oder juristische Person im Sinne des Artikels 10 Informationen bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats gemäß Absatz 1 oder Absatz 3 zu hinterlegen hat, um im Herkunftsmitgliedstaat eine Hinterlegung durch elektronische Hilfsmittel zu ermöglichen. Art. 20 Sprachregelung (1) Sind Wertpapiere lediglich zum Handel an einem geregelten Markt im Herkunftsmitgliedstaat zugelassen, so sind die vorgeschriebenen Informationen in einer von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaates akzeptierten Sprache zu veröffentlichen. (2) Sind Wertpapiere sowohl an einem geregelten Markt im Herkunftsmitgliedstaat als auch an einem geregelten Markt in einem oder mehreren Aufnahmemitgliedstaat(en) zum Handel zugelassen, so sind die vorgeschriebenen Informationen a) in einer von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaates akzeptierten Sprache und b) je nach der Wahl des Emittenten entweder in einer Sprache, die von den zuständigen Behörden der betreffenden Aufnahmemitgliedstaaten akzeptiert wird oder in einer Sprache, die in internationalen Finanzkreisen gebräuchlich ist, bekannt zu geben. (3) Sind Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt in einem oder mehreren Aufnahmemitgliedstaat(en), aber nicht im Herkunftsmitgliedstaat zugelassen, so sind die vorgeschriebenen Informationen je nach Wahl des Emittenten in einer von den zuständigen Behörden der betreffenden Aufnahmemitgliedstaaten akzeptierten Sprache oder aber in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache bekannt zu geben. Der Herkunftsmitgliedstaat kann darüber hinaus in seinen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festlegen, dass die vorgeschriebenen Informationen je nach Wahl des Emittenten in einer von seiner zuständigen Behörde akzeptierten Sprache oder in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache zu veröffentlichen ist. (4) Werden Wertpapiere ohne Zustimmung des Emittenten zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen, so gelten die Verpflichtungen nach den Absätzen 1, 2 und 3 nicht für den Emittenten, sondern für die Person, die die Zulassung ohne Zustimmung des Emittenten beantragt hat. (5) Die Mitgliedstaaten gestatten Aktionären bzw. den natürlichen oder juristischen Personen im Sinne der Artikel 9, 10 und 13, einem Emittenten im Rahmen 1282

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dieser Richtlinie Informationen lediglich in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache mitzuteilen. Erhält der Emittent eine Mitteilung in dieser Form, dürfen die Mitgliedstaaten ihm nicht auferlegen, eine Übersetzung in eine von den zuständigen Behören akzeptierte Sprache zur Verfügung zu stellen. (6) Abweichend von den Absätzen 1 bis 4 sind die vorgeschriebenen Informationen nach Wahl des Emittenten bzw. der Person, die die Zulassung ohne Einverständnis des Emittenten beantragt hat, entweder in einer von den zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats und der Aufnahmemitgliedstaaten akzeptierten Sprache oder in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache bekannt zu geben, wenn Wertpapiere mit einer Mindeststückelung von 100 000 EUR bzw. — im Falle von auf andere Währungen als Euro lautenden Schuldtiteln — mit einer Mindeststückelung, die am Ausgabetag mindestens 100 000 EUR entspricht, zum Handel an einem geregelten Markt in einem oder mehreren Mitgliedstaaten zugelassen sind. Die Abweichung gemäß Unterabsatz 1 gilt auch für Schuldtitel mit einer Mindeststückelung von 50 000 EUR oder — im Falle von auf andere Währungen als Euro lautenden Schuldtiteln — mit einer Mindeststückelung, die am Ausgabetag mindestens 50 000 EUR entspricht, die bereits vor dem 31. Dezember 2010 zum Handel an einem geregelten Markt in einem oder mehreren Mitgliedstaaten zugelassen wurden, solange derartige Schuldtitel ausstehen. (7) Wird in einem Mitgliedstaat bezüglich des Inhalts einer vorgeschriebenen Information Klage vor Gericht erhoben, so wird nach Maßgabe der Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats darüber entschieden, wer die Kosten für die Übersetzung dieser Informationen zum Zwecke der Gerichtsverhandlung zu tragen hat. Art. 21 Zugang zu vorgeschriebenen Informationen (1) Der Herkunftsmitgliedstaat stellt sicher, dass ein Emittent oder eine Person, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt ohne Einverständnis des Emittenten beantragt hat, die vorgeschriebenen Informationen in einer Form bekannt gibt, die in nicht diskriminierender Weise einen schnellen Zugang zu ihnen gewährleistet und sie dem amtlich bestellten System im Sinne des Absatzes 2 zur Verfügung stellt. Der Emittent oder die Person, die ohne sein Einverständnis die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt hat, darf von Anlegern keine Gebühr für den Zugang zu den Informationen verlangen. Der Herkunftsmitgliedstaat schreibt vor, dass der Emittent auf Medien zurück greifen muss, bei denen vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie die Informationen tatsächlich an die Öffentlichkeit in der gesamten Gemeinschaft weiterleiten. Der Herkunftsmitgliedstaat darf jedoch nicht vorschreiben, 1283

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dass lediglich Medien eingesetzt werden, deren Betreiber in seinem Hoheitsgebiet ansässig sind. (2) Der Herkunftsmitgliedstaat stellt sicher, dass es zumindest ein amtlich bestelltes System für die zentrale Speicherung vorgeschriebener Informationen gibt. Solche Systeme sollten den Mindestqualitätsnormen in Bezug auf Datensicherheit, Gewissheit über die Herkunft der Informationen, Zeitaufzeichnung und leichten Zugang der Endnutzer genügen und auf das Hinterlegungsverfahren gemäß Artikel 19 Absatz 1 abgestimmt werden. (3) Sind Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt in lediglich einem Aufnahmemitgliedstaat, nicht aber im Herkunftsmitgliedstaat zugelassen, so stellt dieser Aufnahmemitgliedstaat die Veröffentlichung der vorgeschriebenen Informationen gemäß den Anforderungen des Absatzes 1 sicher. (4) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b mittels delegierter Rechtsakte Maßnahmen zur Festlegung der folgenden Mindeststandards bzw. Regeln zu erlassen: a) Mindeststandards für die Verbreitung der in Absatz 1 genannten vorgeschriebenen Informationen; b) Mindeststandards für die in Absatz 2 genannten zentralen Speichersysteme; c) Regeln zur Gewährleistung der Interoperabilität der von den in Absatz 2 genannten Systemen genutzten Informations- und Kommunikationstechnologien und zum Zugang zu den vorgeschriebenen Informationen auf Unionsebene. Die Kommission kann auch eine Liste der Medien zusammenstellen und aktualisieren, über die diese Informationen der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden können. Art. 21a Europäisches elektronisches Zugangsportal (1) Ein Webportal, das als europäisches elektronisches Zugangsportal („Zugangsportal“) dient, wird bis zum 1. Januar 2018 eingerichtet. ESMA entwickelt und betreibt dieses Zugangsportal. (2) Das System der Vernetzung der amtlich bestellten Systeme setzt sich aus folgenden Bestandteilen zusammen: — den Systemen nach Artikel 21 Absatz 2, — dem Webportal, das als europäisches elektronisches Zugangsportal dient. (3) Die Mitgliedstaaten stellen den Zugang zu ihren zentralen Speichersystemen über das Zugangsportal sicher. Art. 22 Zugang zu vorgeschriebenen Informationen auf Unionsebene (1) ESMA erarbeitet Entwürfe technischer Regulierungsstandards mit techni1284

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schen Anforderungen an den Zugang zu vorgeschriebenen Informationen auf Unionsebene, um Folgendes festzulegen: a) die technischen Anforderungen an die von in Artikel 21 Absatz 2 genannten Systemen genutzten Kommunikationstechnologien; b) die technischen Anforderungen für den Betrieb des zentralen Zugangsportals für die Suche nach vorgeschriebenen Informationen auf Unionsebene; c) die technischen Anforderungen der Verwendung einer eindeutigen Kennung für jeden Emittenten durch die in Artikel 21 Absatz 2 genannten Systeme; d) das gemeinsame Format für die Bereitstellung vorgeschriebener Informationen durch die in Artikel 21 Absatz 2 genannten Systeme; e) die gemeinsame Klassifizierung vorgeschriebener Informationen durch die in Artikel 21 Absatz 2 genannten Systeme und die gemeinsame Liste von Arten vorgeschriebener Informationen. (2) Bei der Erarbeitung der Entwürfe technischer Regulierungsstandards trägt ESMA den technischen Anforderungen an das durch die Richtlinie 2012/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates23 eingerichtete System der Vernetzung von Unternehmensregistern Rechnung. ESMA unterbreitet diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards der Kommission bis zum 27. November 2015. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die technischen Regulierungsstandards im Sinne von Unterabsatz 1 gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 23 Drittländer (1) Befindet sich der Sitz eines Emittenten in einem Drittland, kann die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats diesen Emittenten von den Anforderungen der Artikel 4 bis 7, des Artikels 12 Absatz 6 und der Artikel 14 bis 18 ausnehmen, sofern das Recht des betreffenden Drittlandes mindestens gleichwertige Anforderungen vorsieht oder der Emittent die Anforderungen der Rechtsvorschriften eines Drittlandes erfüllt, die die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats als gleichwertig betrachtet. Die zuständige Behörde unterrichtet anschließend die ESMA über die erteilte Freistellung. Die gemäß den Vorschriften des Drittlandes vorzulegenden Informationen sind gemäß Artikel 19 zu hinterlegen und im Einklang mit den Artikeln 20 und 21 zu veröffentlichen. (2) Abweichend von Absatz 1 werden Emittenten mit Sitz in einem Drittland von der Erstellung ihrer Jahresabschlüsse gemäß Artikel 4 oder Artikel 5 vor dem

23 ABl. L 156 vom 16. 6. 2012, S. 1.

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Geschäftsjahr, das am oder nach dem 1. Januar 2007 beginnt, ausgenommen, vorausgesetzt, die Emittenten stellen ihre Jahresabschlüsse gemäß den in Artikel 9 der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 genannten international anerkannten Standards auf. (3) Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats stellt sicher, dass in einem Drittland veröffentlichte Informationen, die für die Öffentlichkeit in der Gemeinschaft von Bedeutung sein können, gemäß den Artikeln 20 und 21 veröffentlicht werden. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei den betreffenden Informationen nicht um vorgeschriebene Informationen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe k) handelt. (4) Um die einheitliche Anwendung des Absatzes 1 sicherzustellen, erlässt die Kommission nach dem in Artikel 27 Absatz 2 genannten Verfahren Durchführungsmaßnahmen, um i) einen Mechanismus einzurichten, der die Feststellung der Gleichwertigkeit von gemäß dieser Richtlinie geforderten Informationen, einschließlich der Abschlüsse, mit Informationen gewährleistet, die gemäß den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Drittlandes vorgeschrieben sind; ii) festzustellen, dass das Drittland, in dem der Emittent seinen Sitz hat, aufgrund seiner Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. der Praxis oder der Verfahren, die sich auf die von internationalen Organisationen festgelegten internationalen Standards stützen, die Gleichwertigkeit der Informationsanforderungen dieser Richtlinie gewährleistet. Im Zusammenhang mit Unterabsatz 1 Ziffer ii erlässt die Kommission außerdem mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b Maßnahmen für die Bewertung von für Emittenten aus mehr als einem Land relevanten Standards. Die Kommission fasst nach dem in Artikel 27 Absatz 2 genannten Verfahren die notwendigen Beschlüsse unter den in Artikel 30 Absatz 3 festgelegten Bedingungen über die Gleichwertigkeit der Rechnungslegungsstandards, die von Emittenten mit Sitz in Drittländern angewandt werden. Kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die Rechnungslegungsstandards eines Drittlandes nicht gleichwertig sind, so kann sie den betroffenen Emittenten die weitere Anwendung dieser Rechnungslegungsstandards während einer angemessenen Übergangsperiode gestatten. Im Zusammenhang mit Unterabsatz 3 erlässt die Kommission mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b auch Maßnahmen zur Aufstellung allgemeiner Äquivalenzkriterien für Rechnungslegungsstandards, die für Emittenten aus mehr als einem Land relevant sind.. (5) Um die Anforderungen des Absatzes 2 zu präzisieren, kann die Kommission mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter 1286

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den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b Maßnahmen erlassen, in denen sie bestimmt, welche Art von in einem Drittland veröffentlichten Informationen für die Öffentlichkeit in der Union von Bedeutung ist. (6) Unternehmen mit Sitz in einem Drittland, die eine Zulassung gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 85/611/EWG oder eine Zulassung im Hinblick auf die Verwaltung von Portfolios gemäß Abschnitt A Nummer 4 des Anhangs I der Richtlinie 2004/39/EG benötigen würden, wenn sie ihren Sitz oder (nur im Falle von Wertpapierfirmen) ihre Hauptverwaltung innerhalb der Gemeinschaft hätten, sind ebenfalls davon befreit, ihre Beteiligungen mit den Beteiligungen ihrer Mutterunternehmen wie in Artikel 12 Absätze 4 und 5 vorgeschrieben zusammenzurechnen, vorausgesetzt, sie erfüllen gleichwertige Voraussetzungen hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit als Verwaltungsgesellschaften bzw. Wertpapierfirmen. (7) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die einheitliche Anwendung des Absatzes 6 sicherzustellen, erlässt die Kommission nach dem in Artikel 27 Absatz 2 genannten Verfahren Durchführungsmaßnahmen, in denen sie feststellt, dass ein Drittland aufgrund seiner Rechts- und Verwaltungsvorschriften die Gleichwertigkeit der Anforderungen an die Unabhängigkeit gemäß dieser Richtlinie sowie der einschlägigen Durchführungsmaßnahmen gewährleistet. Die Kommission erlässt mittels delegierter Rechtsakte nach Artikel 27 Absätze 2a, 2b und 2c und unter den Voraussetzungen der Artikel 27a und 27b auch Maßnahmen zur Aufstellung allgemeiner Äquivalenzkriterien für die Zwecke des Unterabsatzes 1. (8) Die ESMA unterstützt die Kommission bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben aufgrund dieses Artikels gemäß Artikel 33 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010.

Kapitel V − Zuständige Behörden Art. 24 Zuständige Behörden und ihre Befugnisse (1) Jeder Mitgliedstaat benennt die zentrale Behörde im Sinne des Artikels 21 Absatz 1 der Richtlinie 2003/71/EG als zentrale zuständige Verwaltungsbehörde, die für die Wahrnehmung der Verpflichtungen aufgrund dieser Richtlinie zuständig ist und sicherstellt, dass die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Bestimmungen angewandt werden. Die Mitgliedstaaten unterrichten entsprechend die Kommission und die ESMA. Ein Mitgliedstaat kann allerdings für die Zwecke des Absatzes 4 Buchstabe h) eine andere als die zentrale zuständige Behörde gemäß Unterabsatz 1 benennen. 1287

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(2) Die Mitgliedstaaten können ihrer zentralen zuständigen Behörde gestatten, Aufgaben zu übertragen. Jede Übertragung von Aufgaben — ausgenommen die Aufgaben nach Absatz 4 Buchstabe h) — im Zusammenhang mit den Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie und ihren Durchführungsbestimmungen wird fünf Jahre nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie überprüft und endet acht Jahre nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie. Bei jeder Übertragung von Aufgaben ist im Einzelnen anzugeben, welche Aufgaben übertragen werden und unter welchen Bedingungen sie wahrzunehmen sind. Diese Bedingungen müssen eine Klausel enthalten, die die betreffende Stelle dazu verpflichtet, durch ihre Organisationsstruktur zu gewährleisten, dass Interessenkonflikte vermieden werden und die Informationen, die die Stelle bei Ausführung der ihr übertragenen Aufgaben erhält, nicht unbillig oder wettbewerbswidrig verwendet werden. In jedem Fall ist die nach Absatz 1 benannte zuständige Behörde in letzter Instanz für die Überwachung der Einhaltung dieser Richtlinie und der in ihrem Rahmen erlassenen Durchführungsbestimmungen verantwortlich. (3) Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission, die ESMA gemäß Artikel 28 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 und die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten über etwaige Vorkehrungen, die sie im Hinblick auf die Übertragung von Aufgaben getroffen haben, einschließlich der genauen Bedingungen für die Festlegung dieser Aufgabenübertragung. (4) Jede zuständige Behörde ist mit den zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Befugnissen auszustatten. Sie muss zumindest befugt sein, a) von Abschlussprüfern, Emittenten, Inhabern von Aktien und anderen Finanzinstrumenten oder Personen im Sinne der Artikel 10 oder 13 und von Personen, die diese kontrollieren oder von diesen kontrolliert werden, die Vorlage von Informationen und Dokumenten zu verlangen; b) von Emittenten zu verlangen, Informationen nach Buchstabe a mit den Mitteln und innerhalb der Fristen zu veröffentlichen, die sie für notwendig erachtet. Sie kann diese Informationen von sich aus, nach Anhörung des Emittenten, veröffentlichen, wenn der Emittent oder die Personen, die ihn kontrollieren oder von ihm kontrolliert werden, der Aufforderung nicht nachkommen; c) von der Geschäftsführung des Emittenten und der Inhaber von Aktien oder anderen Finanzinstrumenten oder der Personen im Sinne der Artikel 10 oder 13 zu verlangen, die Informationen zu übermitteln, die gemäß dieser Richtlinie oder den zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften gefordert werden, und bei Bedarf weitere Informationen und Dokumente vorzulegen; d) den Handel mit Wertpapieren für höchstens zehn aufeinander folgende Tage auszusetzen oder eine Aussetzung des Handels von dem jeweiligen 1288

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geregelten Markt zu verlangen, wenn sie berechtigte Gründe für die Annahme hat, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie bzw. der zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften vom Emittenten nicht eingehalten wurden; e) den Handel an einem geregelten Markt zu verbieten, wenn sie entdeckt, dass gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie bzw. der zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften verstoßen wurde bzw. berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass gegen sie verstoßen wurde; f) zu überwachen, dass der Emittent Informationen rechtzeitig bekannt gibt, um auf diese Weise sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit in allen Mitgliedstaaten, in denen die Wertpapiere gehandelt werden, tatsächlichen und gleichwertigen Zugang dazu hat, und andernfalls geeignete Maßnahmen zu ergreifen; g) die Tatsache öffentlich bekannt zu machen, dass ein Emittent oder ein Inhaber von Aktien oder anderen Finanzinstrumenten oder eine Person im Sinne der Artikel 10 oder 13 seinen bzw. ihren Verpflichtungen nicht nachkommt; h) zu prüfen, ob die Informationen im Sinne dieser Richtlinie den einschlägigen Anforderungen an die Berichterstattung entsprechen und im Falle aufgedeckter Verstöße die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen und i) in ihrem Hoheitsgebiet nach Maßgabe des nationalen Rechts Nachprüfungen vor Ort vorzunehmen, um die Einhaltung dieser Richtlinie und ihrer Durchführungsmaßnahmen zu überprüfen. Falls nach einzelstaatlichem Recht erforderlich, kann bzw. können die zuständige(n) Behörde bzw. Behörden diese Befugnis unter Einschaltung der zuständigen Justizbehörde und/oder in Zusammenarbeit mit anderen Behörden wahrnehmen. (4a) Unbeschadet des Absatzes 4 werden die zuständigen Behörden mit allen für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben notwendigen Ermittlungsbefugnissen ausgestattet. Diese Befugnisse werden im Einklang mit dem nationalen Recht ausgeübt. (4b) Die zuständigen Behörden üben ihre Sanktionsbefugnisse gemäß dieser Richtlinie und den nationalen Rechtsvorschriften wie folgt aus: — unmittelbar, — in Zusammenarbeit mit anderen Behörden, — unter ihrer Verantwortung durch Übertragung von Aufgaben an solche Behörden, — durch Antrag bei den zuständigen Justizbehörden. (5) Die Absätze 1 bis 4 stehen dem nicht entgegen, dass ein Mitgliedstaat für überseeische europäische Gebiete, deren Außenbeziehungen er wahrnimmt, gesonderte Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlässt. 1289

4.9

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(6) Werden Informationen über Tatsachen oder Beschlüsse im Zusammenhang mit einem Auskunftsverlangen der zuständigen Behörde nach Absatz 4 Buchstabe a) von den Abschlussprüfern an die zuständigen Behörden weitergegeben, so stellt dies keinen Verstoß gegen vertraglich oder durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auferlegte Einschränkungen der Weitergabe von Informationen dar, und die Abschlussprüfer können dafür in keiner Weise haftbar gemacht werden. Art. 25 Berufsgeheimnis und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten (1) An das Berufsgeheimnis gebunden sind alle Personen, die für die zuständige Behörde sowie für Stellen, denen zuständige Behörden gegebenenfalls bestimmte Aufgaben übertragen haben, tätig sind oder waren. Die unter das Berufsgeheimnis fallenden Informationen dürfen keiner anderen Person oder Behörde bekannt gemacht werden, es sei denn, dies ist in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehen. (2) Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten arbeiten zusammen, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, und greifen hierzu auf ihre Befugnisse zurück, unabhängig davon, ob diese in dieser Richtlinie oder in aufgrund dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften festgelegt wurden. Die zuständigen Behörden leisten den zuständigen Behörden anderer Mitgliedstaaten Amtshilfe. Um zu gewährleisten, dass Sanktionen oder Maßnahmen die gewünschten Ergebnisse erzielen, arbeiten die zuständigen Behörden bei der Wahrnehmung ihrer Sanktions- und Ermittlungsbefugnisse zusammen und koordinieren ihre Maßnahmen bei grenzübergreifenden Fällen. (2a) Die zuständigen Behörden können die ESMA mit Fällen befassen, in denen ein Ersuchen um Zusammenarbeit zurückgewiesen wurde oder innerhalb einer angemessenen Frist zu keiner Reaktion geführt hat. Unbeschadet des Artikels 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann die ESMA in den in Satz 1 genannten Fällen gemäß den ihr durch Artikel 19 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 übertragenen Befugnissen tätig werden. (2b) Die zuständigen Behörden arbeiten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1095/ 2010 für die Zwecke dieser Richtlinie mit der ESMA zusammen. (2c) Die zuständigen Behörden stellen der ESMA gemäß Artikel 35 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 unverzüglich alle für die Ausführung ihrer Aufgaben aufgrund dieser Richtlinie und der genannten Verordnung erforderlichen Informationen zur Verfügung. (3) Absatz 1 hindert die zuständigen Behörden nicht daran, vertrauliche Informationen auszutauschen oder Informationen an die anderen zuständigen 1290

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4.9

Behörden, die ESMA oder den durch die Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Finanzaufsicht der Europäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken24 eingerichteten Europäischen Ausschuss für Systemrisiken weiterzuleiten. Die auf diesem Wege ausgetauschten Informationen unterliegen der Geheimhaltungspflicht, die für Personen gilt, die bei den zuständigen Behörden, die Informationen erhalten, arbeiten oder gearbeitet haben. (4) Die Mitgliedstaaten und die ESMA können gemäß Artikel 33 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 mit den zuständigen Behörden oder Stellen von Drittländern, die nach dem dort geltenden Recht mit Aufgaben betraut sind, die diese Richtlinie gemäß Artikel 24 zuweist, Kooperationsvereinbarungen Austausch von Informationen schließen. Die Mitgliedstaaten unterrichten die ESMA über den Abschluss von Kooperationsvereinbarungen. Ein solcher Informationsaustausch unterliegt zumindest in dem in diesem Artikel vorgeschriebenen Umfang dem Berufsgeheimnis. Der Informationsaustausch hat der Wahrnehmung der Aufsichtsaufgaben der betreffenden Behörden oder Stellen zu dienen. Kommen die Informationen aus einem anderen Mitgliedstaat, so dürfen sie nur mit ausdrücklicher Zustimmung der zuständigen Behörden, die sie übermittelt haben, und gegebenenfalls nur für die Zwecke, für die diese Behörden ihre Zustimmung gegeben haben, weitergegeben werden. Art. 26 Vorsichtsmaßnahmen (1) Stellt die zuständige Behörde eines Aufnahmemitgliedstaates fest, dass ein Emittent oder ein Inhaber von Aktien oder anderen Finanzinstrumenten oder eine natürliche oder juristische Person nach Artikel 10 Unregelmäßigkeiten begangen oder gegen seine/ihre Verpflichtungen verstoßen hat, so befasst sie die zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaates und die ESMA mit diesen Feststellungen. (2) Verstößt der Emittent oder der Wertpapierinhaber trotz der von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats ergriffenen Maßnahmen — oder weil sich diese als unzureichend erweisen — weiterhin gegen die einschlägigen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, ergreift die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats nach Unterrichtung der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats gemäß Artikel 3 Absatz 2 alle für den Schutz der Anleger erforderlichen Maßnahmen und unterrichtet davon die Kommission und die ESMA zum frühestmöglichen Zeitpunkt.

24 ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 1.

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4.9

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Kapitel VI – Delegierte Rechtsakte und Durchführungsmaßnahmen Art. 27 Ausschussverfahren (1) Die Kommission wird von dem durch Artikel 1 des Beschlusses 2001/528/EG eingesetzten Europäischen Wertpapierausschuss unterstützt. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 5 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8, sofern die nach jenem Verfahren erlassenen Durchführungsmaßnahmen die wesentlichen Bestimmungen dieser Richtlinie nicht ändern. Der Zeitraum nach Artikel 5 Absatz 6 des Beschlusses 1999/468/EG wird auf drei Monate festgesetzt. (2a) Die Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte nach Artikel 2 Absatz 3, Artikel 5 Absatz 6, Artikel 9 Absatz 7, Artikel 12 Absatz 8, Artikel 13 Absatz 2, Artikel 14 Absatz 2, Artikel 17 Absatz 4, Artikel 18 Absatz 5, Artikel 19 Absatz 4, Artikel 21 Absatz 4 und Artikel 23 Absätze 4, 5 und 7 wird der Kommission für einen Zeitraum von vier Jahren ab dem 4. Januar 2011 übertragen. Die Kommission legt spätestens sechs Monate vor Ablauf des Zeitraums von vier Jahren einen Bericht über die übertragene Befugnis vor. Die Befugnisübertragung verlängert sich automatisch um Zeiträume gleicher Länge, es sei denn, das Europäische Parlament oder der Rat widerrufen sie nach Artikel 27a. (2b) Sobald die Kommission einen delegierten Rechtsakt erlässt, übermittelt sie ihn gleichzeitig dem Europäischen Parlament und dem Rat. (2c) Die der Kommission übertragene Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte unterliegt den in den Artikeln 27a und 27b genannten Bedingungen. (3) Bis 31. Dezember 2010 und danach mindestens alle drei Jahre überprüft die Kommission die Vorschriften für ihre Durchführungsbefugnisse und legt dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über das Funktionieren dieser Befugnisse vor. In dem Bericht wird insbesondere geprüft, ob die Kommission Änderungen zu dieser Richtlinie vorschlagen muss, um den angemessenen Umfang der ihr übertragenen Durchführungsbefugnisse zu gewährleisten. Die Schlussfolgerung, ob eine Änderung erforderlich ist oder nicht, muss eine detaillierte Begründung enthalten. Erforderlichenfalls wird dem Bericht ein Legislativvorschlag zur Änderung der Vorschriften für die Übertragung der Durchführungsbefugnisse an die Kommission beigefügt. Art 27a Widerruf der Befugnisübertragung (1) Artikel 5 Absatz 6, Artikel 9 Absatz 7, Artikel 12 Absatz 8, Artikel 13 Absatz 2, Artikel 14 Absatz 2, Artikel 17 Absatz 4, Artikel 18 Absatz 5, Artikel 19 Absatz 4, Artikel 21 Absatz 4 und Artikel 23 Absätze 4, 5 und 7 kann vom Europäischen Parlament oder vom Rat jederzeit widerrufen werden. 1292

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4.9

(2) Das Organ, das ein internes Verfahren eingeleitet hat, um zu beschließen, ob eine Befugnisübertragung widerrufen werden soll, bemüht sich, das andere Organ und die Kommission innerhalb einer angemessenen Frist vor der endgültigen Beschlussfassung zu unterrichten, unter Nennung der übertragenen Befugnis, die widerrufen werden könnte. (3) Der Beschluss über den Widerruf beendet die Übertragung der in diesem Beschluss angegebenen Befugnis. Er wird sofort oder zu einem darin angegebenen späteren Zeitpunkt wirksam. Die Gültigkeit von delegierten Rechtsakten, die bereits in Kraft sind, wird davon nicht berührt. Der Beschluss wird im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Art 27b Einwände gegen delegierte Rechtsakte (1) Das Europäische Parlament oder der Rat können gegen einen delegierten Rechtsakt innerhalb einer Frist von drei Monaten ab dem Datum der Übermittlung Einwände erheben. Auf Initiative des Europäischen Parlaments oder des Rates wird diese Frist um drei Monate verlängert. (2) Haben bis zum Ablauf der Frist nach Absatz 1 weder das Europäische Parlament noch der Rat Einwände gegen den delegierten Rechtsakt erhoben, so wird der delegierte Rechtsakt im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und tritt zu dem darin genannten Zeitpunkt in Kraft. Der delegierte Rechtsakt kann vor Ablauf dieser Frist im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden und in Kraft treten, wenn sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat der Kommission mitgeteilt haben, dass sie nicht die Absicht haben, Einwände zu erheben. (3) Erheben das Europäische Parlament oder der Rat innerhalb der Frist nach Absatz 1 Einwände gegen den delegierten Rechtsakt, tritt dieser nicht in Kraft. Gemäß Artikel 296 AEUV versieht das Organ, das Einwände vorbringt, seine Einwände gegen den delegierten Rechtsakt mit einer Begründung.

Kapitel VI A – Sanktionen und Maßnahmen Art. 28 Verwaltungsmaßnahmen und -sanktionen (1) Unbeschadet der Befugnisse der zuständigen Behörden nach Artikel 24 und des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen vorzusehen und zu verhängen, legen die Mitgliedstaaten für Verstöße gegen die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften Verwaltungsmaßnahmen und verwaltungsrechtliche Sanktionen fest und treffen die zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Diese Verwaltungsmaßnahmen und verwaltungsrechtlichen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. 1293

4.9

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(2) Unbeschadet des Artikels 7 sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass in Fällen, in denen juristische Personen gegen ihre Pflichten verstoßen, gegen die Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans der betreffenden juristischen Person und andere natürliche Personen, die nach nationalem Recht für den Verstoß verantwortlich sind, nach Maßgabe des nationalen Rechts Sanktionen verhängt werden können. Art. 28a Verstöße Artikel 28b gilt mindestens für folgende Verstöße: a) Versäumnis des Emittenten, Informationen, die nach den zur Umsetzung der Artikel 4, 5, 6, 14 und 16 erlassenen nationalen Vorschriften vorgeschrieben sind, innerhalb der vorgeschriebenen Frist zu veröffentlichen; b) Versäumnis der natürlichen oder juristischen Person, den Erwerb oder die Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung gemäß den zur Umsetzung der Artikel 9, 10, 12, 13 und 13a erlassenen nationalen Vorschriften innerhalb der vorgeschriebenen Frist mitzuteilen. Art. 28b Sanktionsbefugnisse (1) Im Falle der in Artikel 28a genannten Verstöße sind die zuständigen Behörden befugt, zumindest die folgenden Verwaltungsmaßnahmen und verwaltungsrechtlichen Sanktionen zu verhängen: a) die öffentliche Bekanntgabe der verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person und der Art des Verstoßes; b) eine Anordnung, wonach die verantwortliche natürliche oder juristische Person die den Verstoß darstellende Verhaltensweise einzustellen und von einer Wiederholung abzusehen hat; c) finanzielle Sanktionen i) im Falle einer juristischen Person — von bis zu 10 000 000 EUR oder bis zu 5 % des jährlichen Gesamtumsatzes gemäß dem letzten verfügbaren Jahresabschluss, der vom Leitungsorgan gebilligt wurde; handelt es sich bei der juristischen Person um eine Muttergesellschaft oder die Tochtergesellschaft einer Muttergesellschaft, die einen konsolidierten Abschluss nach der Richtlinie 2013/34/EU aufzustellen hat, so ist der relevante Gesamtumsatz der jährliche Gesamtumsatz oder die entsprechende Einkunftsart gemäß den relevanten Rechnungslegungsrichtlinien, der bzw. die im letzten verfügbaren konsolidierten Jahresabschluss ausgewiesen ist, der vom Leitungsorgan der Muttergesellschaft an der Spitze gebilligt wurde, oder — bis zur zweifachen Höhe der infolge des Verstoßes erzielten Gewinne oder vermiedenen Verluste, sofern diese sich beziffern lassen, je nachdem, welcher Betrag höher ist; 1294

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4.9

ii) im Falle einer natürlichen Person — von bis zu 2 000 000 EUR oder — bis zur zweifachen Höhe der infolge des Verstoßes erzielten Gewinne oder vermiedenen Verluste, sofern diese sich beziffern lassen, je nachdem, welcher Betrag höher ist. In den Mitgliedstaaten, in denen der Euro nicht die amtliche Währung ist, wird der dem Betrag in Euro entsprechende Wert in der Landeswährung unter Berücksichtigung des offiziellen Wechselkurses am Tag des Inkrafttretens der Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG ( 25 ) berechnet. (2) Unbeschadet der Befugnisse der zuständigen Behörden nach Artikel 24 und des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften die Möglichkeit vorsehen, die Ausübung der Stimmrechte aus Aktien im Falle der in Artikel 28a Buchstabe b genannten Verstöße auszusetzen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Stimmrechte nur bei den schwerwiegendsten Verstößen ausgesetzt werden. (3) Die Mitgliedstaaten können zusätzliche Sanktionen und Maßnahmen sowie höhere Beträge bei von der Verwaltung zu verhängenden finanziellen Sanktionen als diejenigen vorsehen, die in dieser Richtlinie vorgesehen sind. Art. 28c Wahrnehmung der Sanktionsbefugnisse (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die zuständigen Behörden bei der Bestimmung der Art und der Höhe der verwaltungsrechtlichen Sanktionen oder Verwaltungsmaßnahmen alle maßgeblichen Umstände berücksichtigen. Dazu zählen gegebenenfalls: a) die Schwere und Dauer des Verstoßes; b) der Grad an Verantwortung der verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person; c) die Finanzkraft der verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person, wie sie sich beispielsweise aus dem Gesamtumsatz der verantwortlichen juristischen Person oder den Jahreseinkünften der verantwortlichen natürlichen Person ablesen lässt; 1295

4.9

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d) die Höhe der von der verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person erzielten Gewinne oder vermiedenen Verluste, sofern diese sich beziffern lassen; e) die Verluste, die Dritten durch den Verstoß entstanden sind, sofern diese sich beziffern lassen; f) das Maß der Bereitschaft der verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person zur Zusammenarbeit mit der zuständigen Behörde; g) frühere Verstöße der verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person. (2) Die Verarbeitung personenbezogener Daten, die bei oder zum Zwecke der Ausübung der Aufsichts- und Ermittlungsbefugnisse gemäß dieser Richtlinie erfasst werden, erfolgt im Einklang mit der Richtlinie 95/46/EG und gegebenenfalls der Verordnung (EG) Nr. 45/2001.

Kapitel VI B – Bekanntmachung von Entscheidungen Art. 28c Bekanntmachung von Entscheidungen (1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständigen Behörden alle Entscheidungen über die wegen eines Verstoßes gegen diese Richtlinie verhängten Sanktionen und Maßnahmen unverzüglich bekanntmachen und dabei zumindest die Art und den Charakter des Verstoßes und die Identität der dafür verantwortlichen natürlichen oder juristischen Personen anführen. Die zuständigen Behörden können jedoch — in einer dem nationalen Recht entsprechenden Art und Weise — in den folgenden Fällen die Bekanntmachung einer Entscheidung aufschieben oder den Beschluss in anonymisierter Form bekanntmachen: a) wenn bei Verhängung der Sanktion gegen eine natürliche Person eine vorgeschriebene vorherige Bewertung der Verhältnismäßigkeit der öffentlichen Bekanntmachung ergibt, dass die öffentliche Bekanntmachung der personenbezogenen Daten unverhältnismäßig wäre; b) wenn die Bekanntmachung die Stabilität des Finanzsystems oder eine laufende offizielle Ermittlung ernsthaft gefährden würde; c) wenn die öffentliche Bekanntmachung den beteiligten Institutionen oder natürlichen Personen — sofern sich dies ermitteln lässt — einen unverhältnismäßigen und ernsthaften Schaden zufügen würde. (2) Werden gegen die nach Absatz 1 bekanntgemachten Entscheidungen Rechtsmittel eingelegt, so ist die zuständige Behörde verpflichtet, diese Information entweder bei der Veröffentlichung in die Bekanntmachung aufzunehmen oder aber die Bekanntmachung zu ändern, wenn das Rechtsmittel nach deren ursprünglicher Veröffentlichung eingelegt wird. 1296

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4.9

Kapitel VII – Übergangs- und Schlussbestimmungen Art. 30–35 Übergangsbestimmungen, Umsetzungsfrist, Adressaten, Prüfpflicht der Kommission — nicht abgedruckt.

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4.10 Börsen-RL 2001/34

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf die Artikel 44 und 95, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 5. März 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse,3 die Richtlinie 80/390/EWG des Rates vom 17. März 1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist,4 die Richtlinie 82/121/EWG des Rates vom 15. Februar 1982 über regelmäßige Informationen, die von Gesellschaften zu veröffentlichen sind, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen sind,5 und die Richtlinie 88/627/EWG des Rates vom 12. Dezember 1988 über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen6 wurden mehrfach erheblich geändert. Aus Gründen der Klarheit und Wirtschaftlichkeit empfiehlt es sich daher, sie zu kodifizieren und zu einem einzigen Text zusammenzufassen. (2) Die Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an den in den Mitgliedstaaten ansässigen oder tätigen Wertpapierbörsen ist geeignet, den Anlegerschutz auf Gemeinschaftsebene aufgrund der einheitlicheren Garantien in den einzelnen Mitgliedstaaten gleichwertig zu gestalten; sie wird in jedem dieser Staaten die Zulassung von Wertpapieren aus anderen Mitgliedstaaten zur amtlichen Notierung sowie die Notierung ein- und desselben Wertpapiers an mehreren Börsen der Gemeinschaft erleichtern, dadurch eine weitergehende gegenseitige Durchdringung der einzelstaatlichen Wertpapiermärkte ermöglichen, indem sie Hindernisse, soweit aufsichtsrechtlich vertretbar, beseitigt, und wird sich somit in den Rahmen der Bestrebungen zur Schaffung eines europäischen Kapitalmarktes einfügen.

* Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABl. 2001 L 184/1. 1 ABl. C 116 vom 20. 4. 2001, S. 69. 2 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 24. 3. 2001 und Beschluss des Rates vom 7. 5. 2001. 3 ABl. L 66 vom 16. 3. 1979, S. 21. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 88/627/EWG (ABl. L 348 vom 17. 12. 1988, S. 62). 4 ABl. L 100 vom 17. 4. 1980, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 94/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 135 vom 31. 5. 1994, S. 1). 5 ABl. L 48 vom 20. 2. 1982, S. 26. 6 ABl. L 348 vom 17. 2. 1988, S. 62. https://doi.org/10.1515/9783110667776-053

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4.10

(3) Diese Koordinierung muss für die Wertpapiere unabhängig von der Rechtsform der Emittenten dieser Wertpapiere durchgeführt werden und muss daher auch auf von Drittstaaten, ihren Gebietskörperschaften oder von internationalen Stellen mit öffentlichem Charakter begebene Wertpapiere angewendet werden; diese Richtlinie erstreckt sich daher auf in Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages nicht genannte Einrichtungen. (4) Gegen Entscheidungen der für die Anwendung dieser Richtlinie zuständigen einzelstaatlichen Stellen sollte ein Rechtsmittel gegeben sein, was die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung anbelangt, ohne dass hierdurch die Ermessensbefugnis dieser Stellen beeinträchtigt wird. (5) Die Koordinierung der Bedingungen der Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung muss anfangs hinreichend elastisch sein, um die derzeitigen strukturellen Unterschiede zwischen den Wertpapiermärkten der Mitgliedstaaten berücksichtigen zu können, und auch, um den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, etwa auftretenden besonderen Situationen Rechnung zu tragen. (6) Aus diesem Grund ist es erforderlich, die Koordinierung zunächst auf die Festsetzung von Mindestbedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an den in den Mitgliedstaaten ansässigen oder tätigen Wertpapierbörsen zu begrenzen, ohne hierbei den Emittenten einen Anspruch auf die Börsennotierung einzuräumen. (7) Diese teilweise Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung zur amtlichen Notierung stellt einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer späteren weitergehenden Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet dar. (8) Die Erweiterung des Wirtschaftsraums, in dem die Unternehmen ihrer Tätigkeit nachgehen, auf die Dimensionen der Gemeinschaft führt zu einer parallelen Erweiterung ihres Finanzierungsbedarfs und der Kapitalmärkte, die sie zur Deckung dieses Finanzierungsbedarfs in Anspruch nehmen müssen. Die Zulassung der von Unternehmen ausgegebenen Wertpapiere zur amtlichen Notierung an den Börsen der Mitgliedstaaten ist ein wichtiger Aspekt des Zugangs zu diesen Kapitalmärkten. Überdies sind im Zuge der Liberalisierung des Kapitalverkehrs die devisenrechtlichen Beschränkungen für den Erwerb von Wertpapieren aufgehoben worden, die an der Börse eines anderen Mitgliedstaats gehandelt werden. (9) Im Interesse der gegenwärtigen und potentiellen Anleger sind den öffentlich zur Zeichnung auffordernden Unternehmen in den meisten Mitgliedstaaten Schutzbestimmungen vorgeschrieben, mitunter schon bei der Ausgabe der Wertpapiere, zumindest jedoch bei ihrer Zulassung zur amtlichen Notierung an einer Börse. Diese Schutzbestimmungen setzen eine angemessene und möglichst objektive Information voraus, insbesondere über die Finanzlage des Emittenten und die Merkmale der Wertpapiere, deren Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt wird. Als Form der Information wird gewöhnlich die Veröffentlichung eines Prospekts gefordert. (10) Die vorgeschriebenen Schutzbestimmungen unterscheiden sich indessen in den einzelnen Mitgliedstaaten sowohl nach Inhalt und Form des Prospekts als auch nach Wirksamkeit, Einzelheiten und Zeitpunkt der Kontrolle der gegebenen Information. Diese Unterschiede erschweren nicht nur die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an Börsen mehrerer Mitgliedstaaten für die Unternehmen, sondern behindern auch für die Anleger eines Mitgliedstaats den Erwerb von Wertpapieren, die an Börsen anderer Mitgliedstaaten notiert werden, und somit die Unternehmensfinanzierung und Kapitalanlage in der ganzen Gemeinschaft. (11) Diese Unterschiede sind durch Koordinierung, jedoch nicht unbedingt vollständige Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften zu beseitigen, um auf ausreichendem Niveau eine

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Gleichwertigkeit der vorgeschriebenen Schutzbestimmungen zu erreichen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten eine angemessene und möglichst objektive Information der gegenwärtigen und potentiellen Inhaber von Wertpapieren gewährleisten. Diese Koordinierung ist auf Wertpapiere unabhängig von der Rechtsnatur des emittierenden Unternehmens anzuwenden. Daher erstreckt sich diese Richtlinie auf nicht in Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages genannte Einrichtungen. Die gegenseitige Anerkennung des Prospektes, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung zu veröffentlichen ist, ist ein wichtiger Schritt in Richtung auf die Schaffung des Binnenmarktes der Gemeinschaft. Es empfiehlt sich, die Stellen zu benennen, die für die Kontrolle und Billigung des Prospektes, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung zu veröffentlichen ist, im Fall einer gleichzeitigen Antragstellung auf Zulassung zur amtlichen Notierung in mehreren Mitgliedstaaten zuständig sind. Nach Artikel 21 der Richtlinie 89/298/EWG des Rates vom 17. April 1989 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist,7 muss, wenn öffentliche Angebote in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig oder annähernd gleichzeitig unterbreitet werden, ein gemäß den Artikeln 7, 8 oder 12 dieser Richtlinie erstellter und gebilligter Prospekt für ein öffentliches Angebot nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung auch in den anderen betroffenen Mitgliedstaaten als Angebotsprospekt anerkannt werden. Es sollte ferner vorgesehen werden, dass ein Prospekt für ein öffentliches Angebot als Zulassungsprospekt anzuerkennen ist, wenn innerhalb kurzer Zeit nach Unterbreitung des öffentlichen Angebots die Zulassung zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse beantragt wird. Durch die gegenseitige Anerkennung des Prospekts für ein öffentliches Angebot und für die Zulassung zur amtlichen Notierung als solche entsteht kein Recht auf Zulassung. Es ist zweckmäßig vorzusehen, dass die Anerkennung der Prospekte für die Zulassung zur amtlichen Notierung, die aus Drittländern stammen, durch von der Gemeinschaft mit diesen Drittländern zu schließende Abkommen auf Grundlage der Gegenseitigkeit ausgedehnt wird. Es erscheint zweckmäßig, dass die Mitgliedstaaten, in denen eine Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt wird, die Möglichkeit erhalten, diejenigen Emittenten, deren Wertpapiere bereits an einer Börse in einem anderen Mitgliedstaat zur amtlichen Notierung zugelassen wurden, in bestimmten Fällen teilweise oder vollständig von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts für die Zulassung zur amtlichen Notierung zu befreien. Die in der Gemeinschaft bereits seit einiger Zeit notierten führenden Unternehmen mit internationalem Ansehen dürften in erster Linie an einer grenzüberschreitenden Börsenzulassung interessiert sein. Diese Unternehmen sind in den meisten Mitgliedstaaten weithin bekannt. Informationen über sie sind weit verbreitet und erhältlich. Mit dieser Richtlinie soll gewährleistet werden, dass die Anleger ausreichende Informationen erhalten. Wenn eines dieser Unternehmen die Zulassung seiner Wertpapiere zur amtlichen Notierung in einem anderen Mitgliedstaat beantragt, können die auf dem Markt

7 Ersetzt durch Prospekt-VO, in dieser Sammlung Nr. 4.8.

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dieses Landes tätigen Anleger hinreichend geschützt werden, indem ihnen vereinfachte Informationen anstelle eines vollständigen Zulassungsprospekts zur Verfügung gestellt werden. Die Mitgliedstaaten können gegebenenfalls nichtdiskriminierende quantitative Mindestkriterien — wie etwa die laufende Börsenkapitalisierung — festsetzen, die Emittenten erfüllen müssen, damit die zulässigen Ausnahmen, die diese Richtlinie vorsieht, auf sie angewandt werden können. Angesichts der fortschreitenden Integration der Wertpapiermärkte sollte den zuständigen Stellen die Möglichkeit gegeben werden, eine vergleichbare Regelung auch kleineren Unternehmen zugänglich zu machen. Des Weiteren gibt es an vielen Börsen nachgeordnete Märkte, an denen die Aktien von Unternehmen gehandelt werden, die nicht zur amtlichen Notierung zugelassen sind. In einigen Fällen werden die nachgeordneten Märkte durch Stellen geregelt und beaufsichtigt, die von amtlichen Organen anerkannt sind, welche den Unternehmen hinsichtlich der Rechnungslegung Pflichten auferlegen, die im Wesentlichen den Auflagen entsprechen, die die amtlich notierten Unternehmen zu erfüllen haben. Aus diesem Grunde könnte das dem Artikel 23 dieser Richtlinie zugrunde liegende Prinzip auch dann angewendet werden, wenn diese Unternehmen die Zulassung zur amtlichen Notierung ihrer Wertpapiere beantragen. Zum Schutz der Anleger sind Unterlagen, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen, zuvor den zuständigen Stellen des Mitgliedstaates vorzulegen, in dem die Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt wird. Dieser Mitgliedstaat hat darüber zu entscheiden, ob die betreffenden Unterlagen von seinen zuständigen Stellen geprüft werden sollen, und erforderlichenfalls die Art und Weise dieser Prüfung festzulegen. Für die an einer Wertpapierbörse amtlich notierten Wertpapiere müssen zum Schutz der Anleger diesen auch während der gesamten Notierungszeit dieser Wertpapiere angemessene Informationen regelmäßig erteilt werden. Durch eine Koordinierung bei dieser laufenden Information werden die gleichen Ziele wie mit dem Prospekt selbst verfolgt, und zwar den Schutz der Anleger zu verbessern und gleichwertiger zu gestalten, die Notierung dieser Wertpapiere an mehreren Börsen der Gemeinschaft zu erleichtern und so durch die Möglichkeit einer stärkeren Durchdringung der Wertpapiermärkte zur Entstehung eines echten gemeinschaftlichen Kapitalmarktes beizutragen. Nach dieser Richtlinie müssen die zugelassenen Gesellschaften ihren Jahresabschluss und Lagebericht, die Informationen bezüglich des gesamten Geschäftsjahres der Gesellschaft enthalten, den Anlegern unverzüglich zur Verfügung stellen. Mit der Richtlinie 78/ 660/EWG des Rates8 sind die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen koordiniert worden. Es empfiehlt sich, dass die Gesellschaften den Anlegern im Laufe des Geschäftsjahres mindestens einmal auch einen Bericht über die Tätigkeit der Gesellschaft vorlegen. Diese Richtlinie kann sich somit darauf beschränken, Inhalt und Verbreitung eines einzigen Berichts zu koordinieren, der die ersten sechs Monate des Geschäftsjahres umfasst. Im Falle der einfachen Schuldverschreibungen ist wegen der den Inhabern gewährten Rechte ein Schutz der Anleger durch Veröffentlichung eines Halbjahresberichts nicht erforderlich. Aufgrund dieser Richtlinie können Wandelschuldverschreibungen, „aus-

8 Ersetzt durch allgemeine Bilanz-RL (mit CSR), in dieser Sammlung Nr. 4.5.

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tauschbare“ Schuldverschreibungen (obligations échangeables) und Optionsanleihen nur dann zur amtlichen Notierung zugelassen werden, wenn die Aktien, auf die sie sich beziehen, bereits früher zur Notierung an dieser Börse oder an einem anderen geregelten, regelmäßig tätigen, anerkannten und offenen Markt zugelassen worden sind oder gleichzeitig zugelassen werden. Die Mitgliedstaaten können von diesem Grundsatz nur abweichen, wenn ihre zuständigen Stellen die Gewißheit haben, dass die Inhaber der Schuldverschreibungen über alle notwendigen Informationen verfügen, um sich ein Urteil über den Wert der Aktien bilden zu können, auf die sich diese Schuldverschreibungen beziehen. Eine Koordinierung der regelmäßigen Informationen ist daher nur bei Gesellschaften erforderlich, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen sind. (29) Der Halbjahresbericht muss es den Anlegern ermöglichen, sich in voller Sachkenntnis ein Urteil über die allgemeine Entwicklung der Tätigkeit der Gesellschaft im Berichtszeitraum zu verschaffen. Der Bericht muss jedoch nur die wichtigsten Informationen über die Finanzlage und den allgemeinen Geschäftsgang der Gesellschaft enthalten. (30) Im Hinblick auf die Gewährleistung eines wirksamen Schutzes der Anleger sowie eines reibungslosen Funktionierens der Börsen müssen die Vorschriften über die von den Gesellschaften, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse der Gemeinschaft zugelassen sind, regelmäßig zu veröffentlichenden Informationen nicht nur auf die Gesellschaften aus den Mitgliedstaaten, sondern ebenso auf die Gesellschaften aus Drittstaaten angewendet werden. (31) Eine Politik der angemessenen Unterrichtung der Anleger im Wertpapierbereich verbessert deren Schutz, stärkt das Vertrauen der Anleger in die Wertpapiermärkte und trägt auf diese Weise zu deren reibungslosem Funktionieren bei. (32) Eine Koordinierung dieser Politik auf Gemeinschaftsebene würde den Anlegerschutz gleichwertiger gestalten; sie würde damit die Verflechtung der Wertpapiermärkte der Mitgliedstaaten begünstigen und auf diese Weise zum Entstehen eines echten europäischen Kapitalmarktes beitragen. (33) Deshalb ist es angebracht, die Anleger über bedeutende Beteiligungen und über Änderungen dieser Beteiligungen an Gesellschaften in der Gemeinschaft zu unterrichten, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer in der Gemeinschaft ansässigen oder tätigen Wertpapierbörse zugelassen sind. (34) Es empfiehlt sich, Inhalt und Modalitäten dieser Unterrichtung in koordinierter Weise festzulegen. (35) Die Gesellschaften, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse der Gemeinschaft zugelassen sind, sind nur dann in der Lage, die Öffentlichkeit über Änderungen bedeutender Beteiligungen zu unterrichten, wenn sie über diese Änderungen durch die Inhaber dieser Beteiligungen unterrichtet worden sind. (36) Die meisten Mitgliedstaaten schreiben den Inhabern solcher Beteiligungen eine derartige Verpflichtung nicht vor, und soweit sie besteht, gibt es beträchtliche Unterschiede in den Modalitäten der Anwendung. Es ist daher angezeigt, in diesem Bereich eine koordinierte Regelung auf Gemeinschaftsebene einzuführen. (37) Die Pflichten der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Umsetzungsfristen der in Anhang II Teil B aufgeführten Richtlinien dürfen durch diese Richtlinie nicht berührt werden — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

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Titel I − Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich Kapitel I − Begriffsbestimmungen Art. 1 [Begriffsbestimmungen] Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet a) Emittenten bzw. Aussteller: Gesellschaften, sonstige juristische Personen und alle Unternehmen, für deren Wertpapiere ein Antrag auf Zulassung zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse gestellt wird; b) Organismen für gemeinsame Anlagen eines anderen als des geschlossenen Typs: die Investmentfonds und Investmentgesellschaften, i) deren Zweck es ist, die vom Publikum bei ihnen eingelegten Gelder nach dem Grundsatz der Risikomischung gemeinsam anzulegen, und ii) deren Anteilscheine auf Verlangen der Anteilinhaber unmittelbar oder mittelbar zu Lasten des Vermögens dieser Organismen zurückgenommen oder ausgezahlt werden. Diesen Rücknahmen oder Auszahlungen gleichgestellt sind Handlungen, mit denen ein Organismus für gemeinsame Anlage sicherstellen will, dass der Kurs seiner Anteilscheine nicht erheblich von deren Nettoinventarwert abweicht; c) Investmentgesellschaften eines anderen als des geschlossenen Typs: i) deren Zweck es ist, die vom Publikum bei ihnen eingelegten Gelder nach dem Grundsatz der Risikomischung gemeinsam anzulegen, und ii) deren Anteilscheine auf Verlangen der Anteilinhaber unmittelbar oder mittelbar zu Lasten des Vermögens dieser Organismen zurückgenommen oder ausgezahlt werden. Diesen Rücknahmen oder Auszahlungen gleichgestellt sind Handlungen, durch die eine Investmentgesellschaft sicherstellen will, dass der Kurs ihrer Anteilscheine nicht erheblich von deren Nettoinventarwert abweicht; d) Kreditinstitute: Unternehmen, deren Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren; e) Anteilscheine eines Organismus für gemeinsame Anlagen: die von einem Organismus für gemeinsame Anlagen ausgegebenen Wertpapiere, die Rechte der Teilhaber am Vermögen dieses Organismus verbriefen; f) Beteiligungen: Anteile an anderen Unternehmen, die dazu bestimmt sind, dem eigenen Geschäftsbetrieb durch Herstellung einer dauernden Verbindung zu jenen Unternehmen zu dienen; dabei ist es gleichgültig, ob die Anteile in Wertpapieren verbrieft sind oder nicht.

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Kapitel II − Anwendungsbereich Art. 2 [Anwendungsbereich und Ausnahmen] (1) Die Artikel 5 bis 19, 42 bis 69 und 78 bis 84 gelten für Wertpapiere, die an einer in einem Mitgliedstaat ansässigen oder tätigen Wertpapierbörse zur amtlichen Notierung zugelassen sind oder für die ein Antrag auf Zulassung zur amtlichen Notierung gestellt worden ist. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen die in Absatz 1 genannten Bestimmungen nicht anzuwenden auf a) Anteilscheine, die von Organismen für gemeinsame Anlagen eines anderen als des „closed-end“-Typs ausgegeben werden, b) von einem Mitgliedstaat oder seinen öffentlichen Gebietskörperschaften begebene Wertpapiere.

Titel II − Allgemeine Vorschriften über die amtliche Börsennotierung von Wertpapieren Kapitel I − Allgemeine Zulassungsbedingungen Art. 5 [Zulassungspflicht und Anforderungen der Richtlinie] Die Mitgliedstaaten stellen sicher, a) dass Wertpapiere nur dann zur amtlichen Notierung an einer in ihrem Gebiet ansässigen oder tätigen Wertpapierbörse zugelassen werden, wenn die Bedingungen dieser Richtlinie erfüllt sind, und b) dass die Emittenten von zu einer solchen amtlichen Notierung zugelassenen Wertpapieren, zu welchem Zeitpunkt auch immer die Zulassung erfolgt sein mag, den in dieser Richtlinie niedergelegten Pflichten unterliegen. Art. 6 [Zulassung nach Vorschriften der Richtlinie] (1) Die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung unterliegt, je nachdem, ob es sich um Aktien oder um Schuldverschreibungen handelt, den in den Artikeln 42 bis 51 oder 52 bis 63 niedergelegten Bedingungen. (2) aufgehoben. (3) Zertifikate, die Aktien vertreten, können nur dann zur amtlichen Notierung zugelassen werden, wenn der Emittent der vertretenen Aktien die in den Artikeln 42 bis 44 niedergelegten Bedingungen erfüllt und die in den Artikeln 64 bis 69 aufgeführten Pflichten einhält und wenn die genannten Zertifikate den in Artikel 45 bis 50 niedergelegten Bedingungen entsprechen. 1304

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Art. 7 [Zulassungsanspruch auch ohne vorherige Zulassung] Die Mitgliedstaaten können die Zulassung zur amtlichen Notierung von Wertpapieren, die von Gesellschaften oder anderen juristischen Personen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat begeben werden, nicht davon abhängig machen, dass diese Wertpapiere bereits zur amtlichen Notierung an einer in einem Mitgliedstaat ansässigen oder tätigen Wertpapierbörse zugelassen sind.

Kapitel II − Strengere oder zusätzliche Bedingungen und Pflichten Art. 8 [Strengere oder zusätzliche Bedingungen und Pflichten] (1) Vorbehaltlich der in Artikel 7 und in den Artikeln 42 bis 63 vorgesehenen Verbote können die Mitgliedstaaten die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung strengeren als den in den Artikeln 42 bis 63 niedergelegten Bedingungen oder zusätzlichen Bedingungen unterwerfen, sofern diese strengeren oder zusätzlichen Bedingungen für sämtliche Emittenten oder einzelne Kategorien von Emittenten gleichermaßen gelten und vor den Anträgen auf Zulassung der genannten Wertpapiere veröffentlicht worden sind. (2) Die Mitgliedstaaten können Emittenten von zur amtlichen Notierung zugelassenen Wertpapieren zusätzliche Verpflichtungen auferlegen, sofern diese zusätzlichen Verpflichtungen generell für alle Emittenten oder für einzelne Kategorien von Emittenten gelten. (3) Die Mitgliedstaaten können unter den gleichen wie den in Artikel 9 festgelegten Voraussetzungen Ausnahmen von den in den Absätzen 1 und 2 genannten strengeren oder zusätzlichen Bedingungen und Pflichten zulassen. (4) Die Mitgliedstaaten können nach den einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften von den Emittenten zur amtlichen Notierung zugelassener Wertpapiere verlangen, dass sie dem Publikum regelmäßig Informationen über ihre finanzielle Lage und über den allgemeinen Gang ihrer Geschäfte zur Verfügung stellen.

Kapitel III − Ausnahmen Art. 9 [Gleichbehandlung] Die gegebenenfalls gemäß den Artikeln 42 bis 63 zugelassenen Ausnahmen von den Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung müssen für alle Emittenten gleichermaßen gelten, sofern die Umstände, die sie rechtfertigen, gleichartig sind. Art. 10 [Erleichterungen bei staatlich verbürgten Schuldverschreibungen] Die Mitgliedstaaten können bei der Zulassung zur amtlichen Notierung von 1305

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Schuldverschreibungen, die von Gesellschaften oder anderen juristischen Personen mit Sitz in einem Mitgliedstaat begeben werden, die durch ein besonderes Gesetz oder aufgrund eines besonderen Gesetzes geschaffen worden sind oder geregelt werden, von der Anwendung der in den Artikeln 52 bis 63 niedergelegten Bedingungen und den im Artikel 81 Absätze 1 und 3 aufgeführten Pflichten absehen, sofern bei diesen Schuldverschreibungen ein Mitgliedstaat oder eines seiner Bundesländer für die Tilgung und den Zinsendienst bürgt.

Kapitel IV − Befugnisse der zuständigen innerstaatlichen Stellen Abschnitt 1 − Entscheidung über die Zulassung Art. 11 [Entscheidung über die Zulassung] (1) Die in Artikel 105 vorgesehenen zuständigen Stellen entscheiden über eine Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer in ihrem Gebiet ansässigen oder tätigen Wertpapierbörse. (2) Unbeschadet der ihnen übertragenen sonstigen Befugnisse können die zuständigen Stellen einen Antrag auf Zulassung eines Wertpapiers zur amtlichen Notierung ablehnen, wenn nach ihrer Auffassung die Zulassung aufgrund der Lage des Emittenten dem Interesse der Anleger entgegenstünde. Art. 12 [ Zulässigkeit von Auflagen] In Abweichung von Artikel 8 können die Mitgliedstaaten im alleinigen Interesse der Anleger die zuständigen Stellen ermächtigen, den Antrag auf Zulassung eines Wertpapiers zur amtlichen Notierung an besondere von ihnen für zweckdienlich erachtete Auflagen zu knüpfen, die sie zuvor dem Antragsteller ausdrücklich mitzuteilen haben. Art. 13 [Anträge in mehreren Mitgliedstaaten] (1) Werden für dasselbe Wertpapier Anträge auf Zulassung zur amtlichen Notierung an in mehreren Mitgliedstaaten ansässigen oder tätigen Wertpapierbörsen gleichzeitig oder annähernd gleichzeitig gestellt oder wird für ein bereits an einer Wertpapierbörse eines anderen Mitgliedstaats notiertes Wertpapier ein Zulassungsantrag gestellt, so unterrichten die zuständigen Stellen einander und ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um das Verfahren zu beschleunigen und die für die Zulassung des betreffenden Wertpapiers erforderlichen Formalitäten und etwaigen zusätzlichen Bedingungen soweit wie möglich zu vereinfachen. (2) Um die Arbeit der zuständigen Stellen zu erleichtern, muss aus dem Antrag auf Zulassung eines Wertpapiers zur amtlichen Notierung an einer in einem Mitgliedstaat ansässigen oder tätigen Wertpapierbörse ersichtlich sein, ob ein derartiger Antrag gleichzeitig oder zuvor in einem anderen Mitgliedstaat gestellt worden ist oder in naher Zukunft gestellt werden soll. 1306

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Art. 14 [Verweigerung der Zulassung bei Vorverstößen] Die zuständigen Stellen können die Zulassung zur amtlichen Notierung eines bereits in einem anderen Mitgliedstaat zur amtlichen Notierung zugelassenen Wertpapiers verweigern, wenn der Emittent den ihm aus der Zulassung in diesem Staat erwachsenden Pflichten nicht nachkommt. Art. 15 [Zertifikate, die Aktien vertreten] Erstreckt sich der Antrag auf Zulassung zur amtlichen Notierung auf Zertifikate, die Aktien vertreten, so kann ihm nur stattgegeben werden, wenn die zuständigen Stellen der Ansicht sind, dass der Emittent derartiger Zertifikate ausreichende Garantien für den Anlegerschutz bietet.

Abschnitt 2 − Auskünfte, die den zuständigen Stellen zu erteilen sind Art. 16 [Auskunfts- und Veröffentlichungspflicht] (1) Der Emittent, dessen Wertpapiere zur amtlichen Notierung zugelassen sind, muss den zuständigen Stellen sämtliche Auskünfte erteilen, die diese im Hinblick auf den Anlegerschutz und einen ordnungsgemäßen Ablauf des Marktes für zweckdienlich erachten. (2) Wenn der Anlegerschutz oder der ordnungsgemäße Ablauf des Marktes dies erfordern, können die zuständigen Stellen den Emittenten auffordern, in der von ihnen für angemessen gehaltenen Form und Frist bestimmte Auskünfte zu veröffentlichen. Kommt der Emittent dieser Aufforderung nicht nach, so können die zuständigen Stellen nach Anhörung des Emittenten selbst die Veröffentlichung dieser Auskünfte vornehmen.

Abschnitt 3 − Maßnahmen für den Fall, dass der Emittent den ihm aus der Zulassung erwachsenden Pflichten nicht nachkommt Art. 17 [Zulässigkeit einer Veröffentlichung von Verstößen] Unbeschadet der sonstigen Maßnahmen oder Sanktionen, die sie für den Fall vorsehen, dass der Emittent den ihm aus der Zulassung zur amtlichen Notierung erwachsenden Pflichten nicht nachkommt, können die zuständigen Stellen die Tatsache veröffentlichen, dass der Emittent diesen Pflichten nicht nachkommt.

Abschnitt 4 − Aussetzung und Einstellung Art. 18 [Aussetzung und Einstellung] (1) Die zuständigen Stellen können die Aussetzung der Kursnotiz eines Wertpapiers aussprechen, wenn der ordnungsgemäße Ablauf des Marktes zeitweilig nicht gewährleistet ist oder nicht gewährleistet zu sein droht oder wenn der Anlegerschutz dies erfordert. 1307

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(2) Die zuständigen Stellen können die Einstellung der amtlichen Notierung eines Wertpapiers beschließen, wenn sie überzeugt sind, dass der normale und geregelte Markt für dieses Wertpapier aufgrund besonderer Umstände nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

Abschnitt 5 − Rechtsbehelf im Fall einer Ablehnung der Zulassung oder Einstellung Art. 19 [Rechtsbehelf bei Ablehnung der Zulassung oder Einstellung; Frist für Zulassungsentscheidung] (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass gegen Entscheidungen der zuständigen Stellen, mit denen die Zulassung eines Wertpapiers zur amtlichen Notierung abgelehnt oder die amtliche Notierung eines Wertpapiers eingestellt wird, ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann. (2) Jede einen Antrag auf Zulassung zur amtlichen Notierung betreffende Entscheidung wird dem Antragsteller innerhalb von sechs Monaten nach Eingang des Antrags oder, wenn die zuständigen Stellen innerhalb dieser Frist weitere Auskünfte verlangen, innerhalb von sechs Monaten nach Übermittlung dieser Auskünfte durch den Antragsteller bekannt gegeben. (3) Ist innerhalb der in Absatz 2 genannten Frist keine Entscheidung ergangen, so gilt dies als ablehnende Entscheidung über den Antrag. Gegen diese Entscheidung kann ein Rechtsbehelf gemäß Absatz 1 eingelegt werden.

Titel III − Besondere Bedingungen hinsichtlich der amtlichen Börsennotierung von Wertpapieren Kapitel I − Veröffentlichung des Prospekts für die Zulassung aufgehoben.

Kapitel II − Besondere Bedingungen für die Zulassung von Aktien Abschnitt 1 − Bedingungen für die Gesellschaft als solche, deren Aktien Gegenstand eines Antrags auf Zulassung sind Art. 42 [Gesetzesmäßigkeit] Die Gesellschaft muss sowohl hinsichtlich ihrer Gründung als auch ihres satzungsmäßigen Funktionierens den Gesetzen und Verordnungen entsprechen, denen sie unterliegt. Art. 43 [Mindestbörsenkurswert einer Aktie] (1) Der voraussichtliche Börsenkurswert der Aktien, für die eine Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt 1308

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wird, oder, falls eine Schätzung nicht möglich ist, das Eigenkapital der Gesellschaft muss mindestens 1 Mio. EUR betragen. (2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Nichtbeachtung dieser Bedingung der Zulassung zur amtlichen Notierung nicht entgegensteht, sofern die zuständigen Stellen die Gewissheit haben, dass sich für die betreffenden Aktien ein ausreichender Markt bildet. (3) Ein Mitgliedstaat kann für die Zulassung zur amtlichen Notierung einen höheren Betrag des voraussichtlichen Börsenkurswertes oder des Eigenkapitals nur dann fordern, wenn es in diesem Staat einen anderen geregelten Markt mit gleichen oder geringeren als den in Absatz 1 genannten Anforderungen gibt, der anerkannt und offen und dessen Funktionsweise ordnungsgemäß ist. (4) Die in Absatz 1 genannte Bedingung gilt nicht für die Zulassung zur amtlichen Notierung einer zusätzlichen Tranche von Aktien der gleichen Gattung wie die der bereits zugelassenen. (5) Der in Landeswährung ausgedrückte Gegenwert von 1 Mio. EUR ist zunächst derjenige, der als Gegenwert in der Landeswährung von 1 Mio. Europäischen Rechnungseinheiten am 5. März 1979 anwendbar war. (6) Bleibt aufgrund von Änderungen des Gegenwerts der Euro der in der Landeswährung ausgedrückte Börsenkurswert ein Jahr lang mindestens 10 % unter oder über dem Wert von 1 Mio. EUR, so muss der Mitgliedstaat innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf dieses Zeitraums seine Rechts- und Verwaltungsvorschriften dem Absatz 1 anpassen. Art. 44 [Offenlegung, Hinterlegung der Jahresabschlüsse] Die Gesellschaft muss ihre Jahresabschlüsse für die drei dem Antrag auf Zulassung zur amtlichen Notierung vorausgegangenen Geschäftsjahre nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften veröffentlicht oder hinterlegt haben. Die zuständigen Stellen können ausnahmsweise von dieser Bedingung abweichen, wenn eine solche Abweichung im Interesse der Gesellschaft oder der Anleger wünschenswert ist und die zuständigen Stellen die Gewähr haben, dass die Anleger über die erforderlichen Informationen verfügen, um sich ein begründetes Urteil über die Gesellschaft und über die Aktien, deren Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt wird, zu bilden. Abschnitt 2 − Bedingungen für die Aktien, die Gegenstand eines Antrags auf Zulassung sind Art. 45 [Gesetzesmäßigkeit] Die rechtliche Situation der Aktien muss den Gesetzen und Verordnungen, denen sie unterliegen, entsprechen. Art. 46 [Handelbarkeit] (1) Die Aktien müssen uneingeschränkt handelbar sein. 1309

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(2) Die zuständigen Stellen können nicht voll eingezahlte Aktien den uneingeschränkt handelbaren Aktien gleichstellen, wenn Verordnungen getroffen worden sind, um die Handelbarkeit der Aktien nicht zu behindern, und wenn die Transparenz der Transaktionen durch eine angemessene Unterrichtung des Publikums sichergestellt ist. (3) Für die Zulassung zur amtlichen Notierung von Aktien, deren Erwerb einer Genehmigung unterliegt, können die zuständigen Stellen nur dann von Absatz 1 abweichen, wenn die Anwendung der Zulassungsklausel nicht zu Marktstörungen führen kann. Art. 47 [Spätestmöglicher Zeitpunkt für Zeichnungsanträge] Bei einer öffentlichen Emission, die der Zulassung zur amtlichen Notierung vorausgeht, muss der Zeitpunkt, bis zu dem Zeichnungsanträge gestellt werden können, der ersten Notierung vorausgehen. Art. 48 [Streuung] (1) Spätestens zum Zeitpunkt der Zulassung muss eine ausreichende Streuung der Aktien im Publikum eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erreicht sein. (2) Die in Absatz 1 genannte Bedingung findet keine Anwendung, wenn die Streuung der Aktien im Publikum über die Börse erfolgen soll. In diesem Fall kann die Zulassung zur amtlichen Notierung nur ausgesprochen werden, wenn die zuständigen Stellen davon überzeugt sind, dass eine ausreichende Streuung über die Börse in Kürze erfolgt. (3) Wird die Zulassung zur amtlichen Notierung für eine zusätzliche Tranche von Aktien der gleichen Gattung beantragt, so können die zuständigen Stellen beurteilen, ob die Streuung der Aktien im Publikum im Verhältnis zur Gesamtheit der begebenen Aktien und nicht nur im Verhältnis zu dieser zusätzlichen Tranche ausreichend ist. (4) Sind die Aktien bereits zur amtlichen Notierung in einem oder mehreren Drittstaaten zugelassen, so können die zuständigen Stellen in Abweichung von Absatz 1 ihre Zulassung zur amtlichen Notierung vorsehen, sofern eine ausreichende Streuung im Publikum des Drittstaats oder der Drittstaaten, in denen diese Aktien notiert werden, erreicht ist. (5) Eine ausreichende Streuung gilt als erreicht, wenn entweder die Aktien, die Gegenstand des Zulassungsantrags sind, im Publikum zu mindestens 25 % des gezeichneten Kapitals, das von dieser Aktiengattung vertreten wird, untergebracht sind oder wenn aufgrund der Vielzahl von Aktien der gleichen Gattung und ihrer weitreichenden Streuung im Publikum ein geregelter Markt auch mit einem niedrigeren Prozentsatz gewährleistet ist. 1310

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Art. 49 [Erfassung aller Aktien gleicher Gattung] (1) Der Zulassungsantrag zur amtlichen Notierung muss sich auf alle bereits begebenen Aktien der gleichen Gattung beziehen. (2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diese Bedingung keine Anwendung auf Zulassungsanträge findet, die sich nicht auf alle bereits begebenen Aktien derselben Gattung beziehen, wenn die Aktien dieser Gattung, deren Zulassung nicht beantragt wird, zu Aktienpaketen gehören, die zur Aufrechterhaltung der Kontrolle über eine Gesellschaft gehalten werden, oder wenn sie aufgrund von Vereinbarungen eine gewisse Zeit lang nicht gehandelt werden dürfen, sofern das Publikum davon in Kenntnis gesetzt wird und keine Nachteile für die Inhaber der Aktien, deren Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt wird, zu befürchten sind. Art. 50 [Druckausstattung von Aktien von Gesellschaften aus dem EU-Ausland] (1) Für die Zulassung zur amtlichen Notierung von Aktien, die von Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat begeben werden und die durch Urkunden verkörpert sind, ist es notwendig und ausreichend, dass die Druckausstattung den in diesem Staat geltenden Normen entspricht. Entspricht die Druckausstattung nicht den Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem die Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt wird, so ist dies dem Publikum durch die zuständigen Stellen dieses Staates bekannt zu geben. (2) Die Druckausstattung von Aktien, die von Gesellschaften mit Sitz in einem Drittstaat begeben werden, muss ausreichende Gewähr für den Anlegerschutz bieten. Art. 51 [Zulassung von Effekten aus Drittstaaten bei fehlender Vorzulassung] Werden von einer Gesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat begebene Aktien im Herkunftsland oder im Lande der hauptsächlichen Verbreitung nicht notiert, so können sie zur amtlichen Notierung nur dann zugelassen werden, wenn die zuständigen Stellen die Gewissheit haben, dass dem Umstand, dass diese Aktien im Herkunftsland oder im Lande der hauptsächlichen Verbreitung nicht notiert werden, nicht das Erfordernis des Anlegerschutzes zugrunde liegt.

Kapitel III − Besondere Bedingungen für die Zulassung von Schuldverschreibungen, die von einem Unternehmen begeben werden Abschnitt 1 − Bedingungen für das Unternehmen als solches, dessen Schuldverschreibungen Gegenstand eines Antrags auf Zulassung sind Artikel 52 [Gesetzesmäßigkeit der Unternehmen] Das Unternehmen muss sowohl hinsichtlich seiner Gründung als auch seines satzungsmäßigen Funktionierens den Gesetzen und Verordnungen entsprechen, denen es unterliegt. 1311

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Abschnitt 2 − Bedingungen für Schuldverschreibungen, die Gegenstand eines Antrags auf Zulassung sind Art. 53 [Gesetzesmäßigkeit der Schuldverschreibungen] Die rechtliche Situation der Schuldverschreibungen muss den Gesetzen und Verordnungen entsprechen, denen sie unterliegen. Art. 54 [Handelbarkeit] (1) Die Schuldverschreibungen müssen uneingeschränkt handelbar sein. (2) Die zuständigen Stellen können nicht voll eingezahlte Schuldverschreibungen den uneingeschränkt handelbaren Schuldverschreibungen gleichstellen, wenn Vorkehrungen getroffen worden sind, um die Handelbarkeit dieser Schuldverschreibungen nicht zu behindern, und wenn die Transparenz der Transaktionen durch eine angemessene Unterrichtung des Publikums sichergestellt ist. Art. 55 [Spätestmöglicher Zeitpunkt für Zeichnungsanträge] Bei einer öffentlichen Emission, die der Zulassung zur amtlichen Notierung vorausgeht, muss der Zeitpunkt, bis zu dem Zeichnungsanträge gestellt werden können, der ersten Notierung vorausgehen. Diese Bestimmung findet keine Anwendung im Fall von ständig begebenen Schuldverschreibungen, wenn der Zeitpunkt des Zeichnungsschlusses nicht festgelegt ist. Art. 56 [Erfassung aller Schuldverschreibungen derselben Emission] Der Antrag auf Zulassung zur amtlichen Notierung muss sich auf alle Schuldverschreibungen ein- und derselben Emission beziehen. Art. 57 [Druckausstattung von Schuldverschreibungen von Gesellschaften aus dem EU-Ausland] (1) Für die Zulassung zur amtlichen Notierung von Schuldverschreibungen, die von Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat begeben werden und die durch Urkunden verkörpert sind, ist es notwendig und ausreichend, dass die Druckausstattung den in diesem anderen Mitgliedstaat geltenden Normen entspricht. Entspricht die Druckausstattung nicht den Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem die Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt wird, so ist dies dem Publikum durch die zuständigen Stellen dieses Staates bekannt zu geben. (2) Die Druckausstattung von Schuldverschreibungen, die nur in einem Mitgliedstaat begeben werden, muss den in diesem Mitgliedstaat geltenden Normen entsprechen. (3) Die Druckausstattung von Schuldverschreibungen, die von Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat begeben werden, muss ausreichende Gewähr für den Anlegerschutz bieten. 1312

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Abschnitt 3 − Weitere Bedingungen Art. 58 [Mindestbetrag von Anleihen] (1) Eine Anleihe muss mindestens 200 000 EUR betragen. Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf ständige Emissionen von Schuldverschreibungen, wenn der Anleihebetrag nicht festgelegt ist. (2) Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, dass die Nichtbeachtung dieser Bedingung der Zulassung zur amtlichen Notierung nicht entgegensteht, sofern die zuständigen Stellen die Gewißheit haben, dass sich für die betreffenden Schuldverschreibungen ein ausreichender Markt bildet. (3) Der in Landeswährung ausgedrückte Gegenwert von 200 000 EUR ist zunächst derjenige, der als Gegenwert in der Landeswährung von 200 000 EUR Europäischen Rechnungseinheiten am 5. März 1979 anwendbar war. (4) Bleibt aufgrund von Änderungen des Gegenwerts des Euro der in der Landeswährung ausgedrückte Mindestbetrag der Anleihe ein Jahr lang mindestens 10 % unter dem Wert von 200 000 EUR, so muss der Mitgliedstaat innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf dieses Zeitraums seine Rechts- und Verwaltungsvorschriften Absatz 1 anpassen. Art. 59 [Wandelschuldverschreibungen, „austauschbare“ Schuldverschreibungen; Optionsanleihen] (1) Wandelschuldverschreibungen, „austauschbare“ Schuldverschreibungen (obligations échangeables) und Optionsanleihen können nur dann zur amtlichen Notierung zugelassen werden, wenn die Aktien, auf die sie sich beziehen, zur Notierung an dieser Börse oder zur Notierung an einem anderen geregelten, regelmäßig tätigen, anerkannten und offenen Markt bereits früher zugelassen worden sind oder gleichzeitig zugelassen werden. (2) Die Mitgliedstaaten können jedoch in Abweichung von Absatz 1 die Börsennotierung von Wandelschuldverschreibungen, austauschbaren Schuldverschreibungen (obligations échangeables) oder Optionsanleihen vorsehen, wenn ihre zuständigen Stellen die Gewissheit haben, dass die Inhaber der Schuldverschreibungen über alle notwendigen Informationen verfügen, um sich ein Urteil über den Wert der Aktien bilden zu können, auf die sich diese Schuldverschreibungen beziehen.

Kapitel IV − Besondere Bedingungen für die Zulassung von Schuldverschreibungen, die von einem Staat oder seinen öffentlichen Gebietskörperschaften oder von einem internationalen Organismus öffentlichrechtlichen Charakters begeben werden Art. 60 [Handelbarkeit] Die Schuldverschreibungen müssen uneingeschränkt handelbar sein. 1313

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Art. 61 [Spätestmöglicher Zeitpunkt für Zeichnungsanträge] Bei einer öffentlichen Emission, die der Zulassung zur amtlichen Notierung vorausgeht, muss der Zeitpunkt, bis zu dem Zeichnungsanträge gestellt werden können, der ersten Notierung vorausgehen. Diese Bestimmung findet keine Anwendung, wenn der Zeitpunkt des Zeichnungsschlusses nicht festgelegt ist. Art. 62 [Erfassung aller Schuldverschreibungen derselben Emission] Der Antrag auf Zulassung zur amtlichen Notierung muss sich auf alle Schuldverschreibungen ein- und derselben Emission erstrecken. Art. 63 [Druckausstattung von Schuldverschreibungen von Mitgliedstaaten oder öffentlicher Gebietskörperschaften] (1) Für die Zulassung zur amtlichen Notierung von Schuldverschreibungen, die von einem Mitgliedstaat oder seinen öffentlichen Gebietskörperschaften begeben werden und die durch Urkunden verkörpert sind, ist es notwendig und ausreichend, dass die Druckausstattung den in diesem Staat geltenden Normen entspricht. Entspricht die Druckausstattung nicht den Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem die Zulassung zur amtlichen Notierung beantragt wird, so ist dies dem Publikum durch die zuständigen Stellen dieses Staates bekannt zu geben. (2) Die Druckausstattung von Schuldverschreibungen, die von Drittstaaten, ihren öffentlichen Gebietskörperschaften und den internationalen Organismen öffentlich-rechtlichen Charakters begeben werden, muss ausreichende Gewähr für den Anlegerschutz bieten.

Titel IV − Fortdauernde Pflichten betreffend Wertpapiere, die zur amtlichen Notierung zugelassen sind Kapitel I − Pflichten der Gesellschaft, deren Aktien zur amtlichen Notierung zugelassen sind Abschnitt 1 − Börsennotierung von neu begebenen Aktien der gleichen Gattung Art. 64 [Börsennotierung von neu begebenen Aktien der gleichen Gattung] Unbeschadet der Bestimmung des Artikels 49 Absatz 2 ist eine Gesellschaft bei einer öffentlichen Neuemission von Aktien derselben wie der zur amtlichen Notierung bereits zugelassenen Gattung, sofern keine automatische Zulassung dieser neuen Aktien erfolgt, verpflichtet, deren Zulassung entweder spätestens ein Jahr nach ihrer Begebung oder zu dem Zeitpunkt zu beantragen, in dem diese Aktien uneingeschränkt handelbar werden. 1314

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Abschnitte 2–8 aufgehoben.

Kapitel II − Pflichten des Emittenten, dessen Schuldverschreibungen zur amtlichen Notierung zugelassen sind aufgehoben.

Kapitel III − Informationspflicht bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft aufgehoben.

Titel V − Veröffentlichung und Bekanntmachung der Informationen Kapitel I − Veröffentlichung und Bekanntmachung des Prospekts für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse aufgehoben.

Kapitel II − Veröffentlichung und Bekanntgabe von Informationen nach der Börsennotierung aufgehoben.

Kapitel III − Amtssprachen aufgehoben.

Titel VI − Zuständige Stellen und Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten Art. 105 [Zuständige Stelle, Aufgaben und Befugnisse] (1) Die Mitgliedstaaten wachen über die Anwendung dieser Richtlinie und benennen die zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen zum Zwecke dieser Anwendung. Sie unterrichten die Kommission hiervon, wobei sie gegebenenfalls die Aufteilung der Zuständigkeiten dieser Stellen angeben. (2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die zuständigen Stellen die zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe erforderlichen Zuständigkeiten und Befugnisse besitzen. (3) Diese Richtlinie berührt in keiner Weise die Verantwortlichkeit der zuständigen Stellen, die weiterhin ausschließlich durch das innerstaatliche Recht geregelt wird. 1315

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Art. 106 [Koordination] Die zuständigen Stellen sorgen untereinander für jede Art der für die Erfüllung ihrer Aufgabe notwendigen Zusammenarbeit und tauschen zu diesem Zweck alle geeigneten Informationen aus. Art. 107 [Berufsgeheimnis] (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass alle Personen, die bei den zuständigen Stellen tätig sind oder waren, dem Berufsgeheimnis unterliegen. Dies beinhaltet, dass vertrauliche Auskünfte, die sie in ihrer beruflichen Eigenschaft erhalten, nur aufgrund von Rechtsvorschriften an andere Personen oder Stellen weitergegeben werden dürfen. (2) Absatz 1 steht jedoch der in dieser Richtlinie vorgesehenen Mitteilung von Informationen zwischen den zuständigen Stellen der verschiedenen Mitgliedstaaten nicht entgegen. Diese ausgetauschten Informationen fallen unter das Berufsgeheimnis der Personen, die bei den zuständigen Stellen tätig sind oder tätig waren, die diese Informationen erhalten. (3) aufgehoben.

Titel VII − Kontaktausschuss Kapitel I − Zusammensetzung, Tätigkeit und Aufgabe des Ausschusses aufgehoben.

Kapitel II − Anpassung des Betrages für den Börsenkurswert Art. 109 [Anpassung des Betrages für den Börsenkurswert] (1) Im Hinblick auf eine infolge der Erfordernisse der Wirtschaftslage vorzunehmende Anpassung des in Artikel 43 Absatz 1 für den voraussichtlichen Börsenkurswert festgesetzten Mindestbetrags unterbreitet die Kommission dem durch den Beschluss 2001/528/EG der Kommission9 eingesetzten Europäischen Wertpapierausschuss einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen. (2) Wird auf diesen Absatz verwiesen, gelten die Artikel 5 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse10 unter Beachtung von dessen Artikel 8. Der Zeitraum nach Artikel 5 Absatz 6 des Beschlusses 1999/468/EG wird auf drei Monate festgesetzt. (3) Der Ausschuss gibt sich eine Geschäftsordnung. 9 ABl. L 191 vom 13. 7. 2001, S. 45. Geändert durch den Beschluss 2004/8/EG (ABl. L 3 vom 7. 1. 2004, S. 33). 10 ABl. L 184 vom 17. 7. 1999, S. 23.

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Titel VIII − Schlussbestimmungen Art. 110 Mitteilungspflicht der Mitgliedstaaten — nicht abgedruckt. Art. 111 [Aufhebung der Richtlinien 79/279/EWG, 80/390/EWG, 82/121/EWG und 88/627/EWG] (1) Die Richtlinien 79/279/EWG, 80/390/EWG, 82/121/EWG und 88/627/EWG, wie geändert durch die im Anhang II Teil A aufgeführten Rechtsakte, werden unbeschadet der Pflichten der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang II Teil B genannten Umsetzungsfristen aufgehoben. (2) Bezugnahmen auf die aufgehobenen Richtlinien gelten als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle im Anhang III zu lesen. Art. 112–113 Inkrafttreten und Adressaten — nicht abgedruckt. Anhang I-III nicht abgedruckt.

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4.11 Marktmissbrauchs-VO 596/2014

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Ein echter Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen ist für das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Union von entscheidender Bedeutung. (2) Ein integrierter, effizienter und transparenter Finanzmarkt setzt Marktintegrität voraus. Das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Märkte sind Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Marktmissbrauch verletzt die Integrität der Finanzmärkte und untergräbt das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wertpapiere und Derivate. (3) Die Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates4 hat den Rechtsrahmen der Union zum Schutz der Marktintegrität vervollständigt und aktualisiert. Angesichts der rechtlichen, kommerziellen und technologischen Entwicklungen seit dem Inkrafttreten jener Richtlinie, die zu erheblichen Änderungen in der Finanzwelt geführt haben, sollte diese Richtlinie nun ersetzt werden. Ein neues Rechtsinstrument ist auch erforderlich, um für einheitliche Regeln, die Klarheit zentraler Begriffe und ein einheitliches Regelwerk im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Berichts vom 25. Februar 2009 der Hochrangigen Gruppe für Fragen der Finanzaufsicht in der EU unter dem Vorsitz von Jacques de Larosière (im Folgenden „De-Larosière-Gruppe“) zu sorgen. (4) Es muss ein einheitlicherer und stärkerer Rahmen geschaffen werden, um die Marktintegrität zu wahren, potenzieller Aufsichtsarbitrage vorzubeugen, Rechenschaftspflicht bei Manipulationsversuchen vorzusehen und den Marktteilnehmern mehr Rechtssicherheit und unkompliziertere Vorschriften zu bieten. Diese Verordnung zielt darauf ab, einen entscheidenden Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zu leisten und er sollte sich daher auf Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen

* Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. 2014 L 173/1. 1 ABl. C 161 vom 7. 6. 2012, S. 3. 2 ABl. C 181 vom 21. 6. 2012, S. 64. 3 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 10. September 2013 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 14. April 2014. 4 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) (ABl. L 96 vom 12. 4. 2003, S. 16). https://doi.org/10.1515/9783110667776-054

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Union (AEUV) gemäß der Auslegung in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union stützen. Um die noch bestehenden Handelshemmnisse und die aus den Unterschieden zwischen dem jeweiligen nationalen Recht resultierenden erheblichen Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und dem Entstehen weiterer Handelshemmnisse und erheblicher Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen, muss eine Verordnung erlassen werden, durch die eine einheitlichere Auslegung des Regelwerks der Union zum Marktmissbrauch erreicht wird und in der in allen Mitgliedstaaten geltende Regeln klarer definiert sind. Indem den Vorschriften in Bezug auf Marktmissbrauch die Form einer Verordnung gegeben wird, ist deren unmittelbare Anwendbarkeit sichergestellt. Dadurch werden infolge der Umsetzung einer Richtlinie voneinander abweichende nationale Vorschriften verhindert, so dass einheitliche Bedingungen gewährleistet sind. Diese Verordnung wird zur Folge haben, dass in der gesamten Union alle natürlichen und juristischen Personen die gleichen Regeln zu befolgen haben. Eine Verordnung dürfte auch die rechtliche Komplexität und insbesondere für grenzüberschreitend tätige Gesellschaften die Compliance-Kosten reduzieren sowie zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen beitragen. Die Union und die Mitgliedstaaten werden in der Mitteilung der Kommission vom 25. Juni 2008 über einen „Small Business Act“ für Europa dazu aufgerufen, Regeln mit Blick auf die Verringerung des Verwaltungsaufwands, eine Anpassung der Rechtsvorschriften an die Erfordernisse der auf Märkten für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) tätigen Emittenten und die Erleichterung des Kapitalzugangs dieser Emittenten zu gestalten. Einige Bestimmungen der Richtlinie 2003/6/EG sind für die Emittenten, insbesondere jene, deren Finanzinstrumente zum Handel an KMU-Wachstumsmärkten zugelassen sind, mit einem Verwaltungsaufwand verbunden, der reduziert werden sollte. Marktmissbrauch ist ein Oberbegriff für unrechtmäßige Handlungen an den Finanzmärkten und sollte für die Zwecke dieser Verordnung Insidergeschäfte oder die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation umfassen. Solche Handlungen verhindern vollständige und ordnungsgemäße Markttransparenz, die eine Voraussetzung dafür ist, dass alle Wirtschaftsakteure an integrierten Finanzmärkten teilnehmen können. Der Geltungsbereich der Richtlinie 2003/6/EG konzentrierte sich auf Finanzinstrumente, die zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind oder für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel auf einem solchen Markt gestellt wurde. In den letzten Jahren werden Finanzinstrumente jedoch zunehmend auf multilateralen Handelssystemen gehandelt. Daneben gibt es weitere Finanzinstrumente, die ausschließlich auf anderen Arten von organisierten Handelssystemen oder nur außerbörslich gehandelt werden. Deshalb sollte der Anwendungsbereich dieser Verordnung alle auf einem geregelten Markt, einem multilateralen oder organisierten Handelssystem gehandelten Finanzinstrumente ebenso einschließen wie jede andere Handlung oder Maßnahme, unabhängig davon, ob sie auf einem Handelsplatz durchgeführt wird, die sich auf ein solches Finanzinstrument auswirken kann. Im Fall bestimmter Arten von multilateralen Handelssystemen, die — wie geregelte Märkte — dazu dienen, Unternehmen bei der Beschaffung von Eigenkapital zu unterstützen, gilt das Verbot des Marktmissbrauchs gleichermaßen, wenn ein Antrag auf Zulassung zum Handel auf einem solchen Markt gestellt wurde. Aus diesem Grund sollte sich der Anwendungsbereich dieser Verordnung auf Finanzinstrumente erstrecken, für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel auf einem multilateralen Handelssystem gestellt worden ist. Dies dürfte den Anlegerschutz verbessern, die Integrität der Märkte

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wahren und gewährleisten, dass die Manipulation der Märkte für solche Instrumente klar verboten ist. Um für Transparenz zu sorgen, sollten die Betreiber eines geregelten Marktes, eines multilateralen oder eines organisierten Handelssystems ihrer zuständigen Behörde unverzüglich ausführliche Angaben zu den Finanzinstrumenten übermitteln, die sie zum Handel zugelassen haben, für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel gestellt wurde oder die auf ihrem Handelsplatz gehandelt wurden. Bei Erlöschen der Zulassung eines Finanzinstruments sollte eine weitere Mitteilung ergehen. Solche Verpflichtungen sollten auch für Finanzinstrumente gelten, für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel auf ihrem Handelsplatz gestellt wurde, sowie für Finanzinstrumente, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung zum Handel zugelassen wurden. Diese Meldungen sollten von den zuständigen Behörden der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) übermittelt werden, und die ESMA sollte eine Liste aller übermittelten Finanzinstrumente veröffentlichen. Diese Verordnung gilt für entsprechende Finanzinstrumente unabhängig davon, ob sie in der von der ESMA veröffentlichten Liste aufgeführt sind. Es ist möglich, dass mit bestimmten Finanzinstrumenten, die nicht auf einem Handelsplatz gehandelt werden, Marktmissbrauch betrieben wird. Dazu gehören Finanzinstrumente, deren Kurs oder Wert von Finanzinstrumenten, die auf einem Handelsplatz gehandelt werden, abhängen oder sich auf diese auswirken oder deren Handel Auswirkungen auf den Kurs oder Wert anderer Finanzinstrumente hat, die auf einem Handelsplatz gehandelt werden. Zu den Beispielen, bei denen solche Instrumente zum Marktmissbrauch verwendet werden können, gehören Informationen in Bezug auf eine Aktie oder Schuldverschreibung, mit denen ein Derivat dieser Aktie oder Schuldverschreibung gekauft werden kann, oder ein Index, dessen Wert von dieser Aktie oder Schuldverschreibung abhängt. Wenn ein Finanzinstrument als Referenzkurs genutzt wird, kann mit einem außerbörslich gehandelten Derivat von manipulierten Kursen profitiert werden oder der Kurs eines Finanzinstruments, das auf einem Handelsplatz gehandelt wird, manipuliert werden. Ein weiteres Beispiel ist die geplante Ausgabe eines neuen Pakets von Wertpapieren, die an sich nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, wobei jedoch der Handel mit diesen Wertpapieren den Kurs oder Wert bestehender notierter Wertpapiere beeinflussen könnte, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen. Diese Verordnung deckt außerdem die Situation ab, dass der Kurs oder Wert eines auf einem Handelsplatz gehandelten Instruments von einem außerbörslich gehandelten Instrument abhängt. Derselbe Grundsatz sollte für Waren-Spot-Kontrakte gelten, deren Kurs auf dem eines Derivats beruht, und für den Kauf von Waren-Spot-Kontrakten mit einem Bezug zu Finanzinstrumenten. Der Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen und Maßnahmen zur Stabilisierung des Kurses von Finanzinstrumenten, für die die Ausnahmen nach dieser Verordnung nicht gelten, sollten nicht bereits als solcher als Marktmissbrauch gewertet werden. Der Handel mit Wertpapieren oder verbundenen Instrumenten zur Kursstabilisierung von Wertpapieren oder der Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen können aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt sein und sollten daher unter bestimmten Umständen vom Verbot des Marktmissbrauch befreit sein, sofern die Maßnahmen hinreichend transparent durchgeführt werden, das heißt, dass relevante Informationen zu der Kursstabilisierungsmaßnahme oder zu dem Rückkaufprogramm offengelegt werden.

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4.11

(13) Die Mitgliedstaaten, die Mitglieder des Europäischen Systems der Zentralbanken, Ministerien und andere Einrichtungen und Zweckgesellschaften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten und die Union und bestimmte andere öffentliche Stellen bzw. in ihrem Auftrag handelnde Personen sollten in ihrer Geld- und Wechselkurspolitik und ihrer Politik zur Staatsschuldenverwaltung nicht eingeschränkt werden, sofern sie dabei im öffentlichen Interesse und ausschließlich in Ausübung dieser Politik handeln. Ebensowenig sollten die Union, Zweckgesellschaften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten, die Europäische Investitionsbank, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, der Europäische Stabilitätsmechanismus oder von mindestens zwei Mitgliedstaaten gegründete internationale Finanzinstitute darin eingeschränkt werden, Geschäfte abzuwickeln, Aufträge zu erteilen oder Handlungen vorzunehmen, die dazu dienen, finanzielle Mittel zu mobilisieren und ihre Mitglieder finanziell zu unterstützen. Eine solche Ausnahme aus dem Geltungsbereich dieser Verordnung kann im Einklang mit dieser Verordnung auf bestimmte öffentliche Stellen, die für die Staatsschuldenverwaltung zuständig oder daran beteiligt sind, und auf die Zentralbanken von Drittstaaten ausgeweitet werden. Gleichzeitig sollten sich die Ausnahmen für die Geld- und Wechselkurspolitik und die Staatsschuldenverwaltung jedoch nicht auf Fälle erstrecken, in denen diese Stellen an Geschäften, Aufträgen oder Handlungen beteiligt sind, die nicht der Umsetzung dieser politischen Strategien dienen, oder wenn Personen, die für eine dieser Stellen tätig sind, für eigene Rechnung Geschäfte tätigen, Aufträge erteilen oder Handlungen vornehmen. (14) Verständige Investoren stützen ihre Anlageentscheidungen auf Informationen, die ihnen vorab zur Verfügung stehen (Ex-ante-Informationen). Die Prüfung der Frage, ob ein verständiger Investor einen bestimmten Sachverhalt oder ein bestimmtes Ereignis im Rahmen seiner Investitionsentscheidung wohl berücksichtigen würde, sollte folglich anhand der Ex-ante-Informationen erfolgen. Eine solche Prüfung sollte auch die voraussichtlichen Auswirkungen der Informationen in Betracht ziehen, insbesondere unter Berücksichtigung der Gesamttätigkeit des Emittenten, der Verlässlichkeit der Informationsquelle und sonstiger Marktvariablen, die das Finanzinstrument, die damit verbundenen Waren-SpotKontrakte oder die auf den Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekte unter den gegebenen Umständen beeinflussen dürften. (15) Im Nachhinein vorliegende Informationen (Ex-post-Informationen) können zur Überprüfung der Annahme verwendet werden, dass die Ex-ante-Informationen kurserheblich waren, sollten allerdings nicht dazu verwendet werden, Maßnahmen gegen Personen zu ergreifen, die vernünftige Schlussfolgerungen aus den ihnen vorliegenden Ex-anteInformationen gezogen hat. (16) Betreffen Insiderinformationen einen Vorgang, der aus mehreren Schritten besteht, können alle Schritte des Vorgangs wie auch der gesamte Vorgang als Insiderinformationen gelten. Ein Zwischenschritt in einem zeitlich gestreckten Vorgang kann für sich genommen mehrere Umstände oder ein Ereignis darstellen, die gegeben sind bzw. das eingetreten ist oder bezüglich deren/dessen auf der Grundlage einer Gesamtbewertung der zum relevanten Zeitpunkt vorhandenen Faktoren eine realistische Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie/es entsteht/eintritt. Dieses Konzept sollte jedoch nicht so verstanden werden, dass demgemäß der Umfang der Auswirkungen dieser Reihe von Umständen oder des Ereignisses auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente berücksichtigt werden muss. Ein Zwischenschritt sollte als Insiderinformation angesehen werden darstellen, wenn er für sich genommen den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien für Insiderinformationen entspricht.

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(17) Informationen in Zusammenhang mit einem Ereignis oder mehreren Umständen, das bzw. die ein Zwischenschritt in einem zeitlich gestreckten Vorgang ist, können sich beispielsweise auf den Stand von Vertragsverhandlungen, vorläufig in Vertragsverhandlungen vereinbarte Bedingungen, die Möglichkeit der Platzierung von Finanzinstrumenten, die Umstände, unter denen Finanzinstrumente vermarktet werden, vorläufige Bedingungen für die Platzierung von Finanzinstrumenten oder die Prüfung der Aufnahme eines Finanzinstruments in einen wichtigen Index oder die Streichung eines Finanzinstruments aus einem solchen Index beziehen. (18) Die Rechtssicherheit für die Marktteilnehmer sollte durch eine genauere Bestimmung von zwei wesentlichen Merkmalen von Insiderinformationen erhöht werden, nämlich die präzise Natur dieser Informationen und die Frage, ob diese Informationen möglicherweise den Kurs der Finanzinstrumente, der damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakte oder der auf den Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekte erheblich beeinflusst. Für Derivate, die Energiegroßhandelsprodukte sind, sollten insbesondere Informationen, die gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1227/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates5 offengelegt werden müssen, als Insiderinformationen betrachtet werden. (19) Diese Verordnung hat nicht zum Ziel, allgemeine Diskussionen zwischen Anteilseignern und der Unternehmensführung über die Geschäfts- und Marktentwicklungen, die einen Emittenten betreffen, zu verbieten. Solche Beziehungen sind von grundlegender Bedeutung für das effiziente Funktionieren der Märkte und sollten durch diese Verordnung nicht verboten werden. (20) Die Spotmärkte und die zugehörigen Derivatemärkte sind in hohem Maße vernetzt und global, und Marktmissbrauch kann sowohl markt- als auch grenzüberschreitend erfolgen, was zu erheblichen Systemrisiken führen kann. Dies trifft auf Insidergeschäfte ebenso wie auf Marktmanipulation zu. Insbesondere können Insiderinformationen von einem Spotmarkt einer Person nützlich sein, die an einem Finanzmarkt handelt. Die Bestimmung des Begriffs „Insiderinformationen“ in Bezug auf ein Warenderivat sollte besagen, dass es sich dabei um Informationen handelt, die sowohl der allgemeinen Bestimmung des Begriffs „Insiderinformationen“ in Bezug auf die Finanzmärkte entsprechen und die im Einklang mit Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, Handelsregeln, Verträgen oder Regeln auf dem betreffenden Warenderivat- oder Spotmarkt offengelegt werden müssen. Wichtige Beispiele für solche Regeln sind beispielsweise die Verordnung (EU) Nr. 1227/2011 für den Energiemarkt und die Datenbank der Gemeinsamen Initiative: Daten aus dem Mineralölsektor (Joint Organisations Database Initiative — JODI) für Erdöl. Solche Informationen können als Grundlage für Entscheidungen von Marktteilnehmern dienen, Verträge über Warenderivate oder die damit verbundenen Waren-SpotKontrakte abzuschließen, und stellen daher Insiderinformationen dar, die offengelegt werden müssen, wenn davon auszugehen ist, dass sie einen erheblichen Einfluss auf die Kurse solcher Derivate oder damit verbundener Waren-Spot-Kontrakte haben. Außerdem können sich Manipulationsstrategien auch über Spot- und Derivatemärkte hinaus erstrecken. Der Handel mit Finanzinstrumenten, darunter Warenderivate, kann zur Manipulation damit verbundener Waren-Spot-Kontrakte genutzt werden, und Waren-

5 Verordnung (EU) Nr. 1227/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts (ABl. L 326 vom 8. 12. 2011, S. 1).

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4.11

Spot-Kontrakte können zur Manipulation damit verbundener Finanzinstrumente genutzt werden. Das Verbot der Marktmanipulation sollte diese Wechselbeziehungen erfassen. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Verordnung auf Handlungen, die nichts mit Finanzinstrumenten zu tun haben, beispielsweise Waren-Spot-Kontrakte, die lediglich den Spotmarkt berühren, ist jedoch nicht zweckmäßig oder praktikabel. Im speziellen Fall der Energiegroßhandelsprodukte sollten die zuständigen Behörden die Besonderheiten der Begriffsbestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 1227/2011 berücksichtigen, wenn sie die Definitionen der Begriffe Insiderinformation, Insidergeschäfte und Marktmanipulation dieser Verordnung auf Finanzinstrumente anwenden, die sich auf Energiegroßhandelsprodukte beziehen. (21) Gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates6 sind die Kommission, die Mitgliedstaaten sowie andere offiziell beauftragte Stellen für die technische Ausgabe von Emissionszertifikaten, deren freie Zuweisung an berechtigte Wirtschaftszweige und neue Marktteilnehmer und allgemeiner gefasst für den Ausbau und die Umsetzung des klimaschutzpolitischen Rahmens der Union zuständig, der der Bereitstellung von Emissionszertifikaten für die Compliance-Käufer im Emissionshandelssystem (EU-ETS) der Union zugrunde liegt. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeiten können diese öffentlichen Gremien Zugang zu nicht öffentlichen kurserheblichen Informationen erhalten und müssen gemäß der Richtlinie 2003/87/EG gegebenenfalls bestimmte Marktoperationen in Bezug auf Emissionszertifikate durchführen. Infolge der Einstufung von Emissionszertifikaten als Finanzinstrumente im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates7 werden diese Instrumente künftig auch in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen. Damit die Kommission, die Mitgliedstaaten und andere offiziell benannte Stellen auch künftig die Klimapolitik der Union ausarbeiten und durchführen können, sollte die Tätigkeit dieser öffentlichen Stellen, soweit sie im öffentlichen Interesse und ausdrücklich zur Durchsetzung dieser Politik und im Zusammenhang mit Emissionszertifikaten erfolgt, von der Anwendung dieser Verordnung ausgenommen sein. Eine solche Ausnahme sollte keine negative Auswirkung auf die allgemeine Markttransparenz haben, da diese öffentlichen Stellen gesetzlichen Verpflichtungen unterliegen, wonach sie so zu arbeiten haben, dass eine ordnungsgemäße, gerechte und nichtdiskriminierende Offenlegung und der Zugang zu allen neuen kurserheblichen Entscheidungen, Entwicklungen und Daten gewährleistet wird. Ferner bestehen im Rahmen der Richtlinie 2003/87/EG und der aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Umsetzungsmaßnahmen Regelungen, mit denen für eine gerechte und nichtdiskriminierende Offenlegung bestimmter kurserheblicher Informationen von Behörden gesorgt wird. Allerdings sollte die Ausnahme für öffentliche Stellen, die an der Umsetzung der Klimaschutzpolitik der Union beteiligt sind, nicht gelten, wenn diese öffentlichen Stellen an Handlungen oder Geschäften beteiligt sind, die nicht der

6 Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. L 275 vom 25. 10. 2003, S. 32). 7 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. L 145 vom 30. 4. 2004).

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Umsetzung der Klimaschutzpolitik der Union dienen, oder wenn Personen, die für eine dieser Stellen tätig sind, für eigene Rechnung handeln oder Geschäfte tätigen. (22) Gemäß Artikel 43 AEUV und zur Durchführung gemäß dem AEUV geschlossener internationaler Übereinkünfte sind die Kommission, die Mitgliedstaaten und andere offiziell benannte Stellen unter anderem für die Durchführung der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Gemeinsamen Fischereipolitik zuständig. Im Rahmen der Wahrnehmung dieser Pflichten führen die genannten öffentlichen Stellen Tätigkeiten aus und ergreifen Maßnahmen zur Verwaltung der Agrarmärkte und der Fischerei, einschließlich öffentlicher Interventionen, der Erhebung von Zusatzzöllen oder der Aussetzung von Einfuhrzöllen. Im Lichte des Anwendungsbereichs dieser Verordnung, die einige Bestimmungen enthält, die auch für Waren-Spot-Kontrakte gelten, die tatsächlich oder wahrscheinlich Auswirkungen auf Finanzinstrumente haben, sowie für Finanzinstrumente, deren Wert vom Wert von Waren-Spot-Kontrakten abhängt und die tatsächlich oder wahrscheinlich Auswirkungen auf Waren-Spot-Kontrakte haben, muss sichergestellt werden, dass die Tätigkeit der Kommission, der Mitgliedstaaten und anderer offiziell benannter Stellen zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Gemeinsamen Fischereipolitik nicht eingeschränkt wird. Damit die Kommission, die Mitgliedstaaten und andere offiziell benannte Stellen auch künftig die Gemeinsame Agrarpolitik und die Gemeinsame Fischereipolitik der Union konzipieren und umsetzen können, sollten die im öffentlichen Interesse und ausschließlich in Ausübung dieser politischen Strategien ausgeübten Aktivitäten von der Anwendung dieser Verordnung ausgenommen werden. Eine solche Ausnahme sollte keine negative Auswirkung auf die allgemeine Markttransparenz haben, da diese öffentlichen Stellen gesetzlichen Verpflichtungen unterliegen, wonach sie so zu arbeiten haben, dass eine ordnungsgemäße, gerechte und nichtdiskriminierende Offenlegung und der Zugang zu allen neuen kurserheblichen Entscheidungen, Entwicklungen und Daten gewährleistet wird. Allerdings sollte die Ausnahme für öffentliche Stellen, die an der Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Gemeinsamen Fischereipolitik der Union beteiligt sind, nicht gelten, wenn diese öffentlichen Stellen an Handlungen oder Geschäften beteiligt sind, die nicht der Umsetzung dieser gemeinsamen politischen Strategien der Union dienen, oder wenn Personen, die für eine dieser Stellen tätig sind, für eigene Rechnung handeln oder Geschäfte tätigen. (23) Das wesentliche Merkmal von Insidergeschäften ist ein ungerechtfertigter Vorteil, der mittels Insiderinformationen zum Nachteil Dritter erzielt wird, die diese Informationen nicht kennen, und infolgedessen in der Untergrabung der Integrität der Finanzmärkte und des Vertrauens der Investoren. Folglich sollte das Verbot von Insidergeschäften gelten, wenn eine Person im Besitz von Insiderinformationen dadurch einen ungerechtfertigten Vorteil aus dem mit Hilfe dieser Informationen erzielten Nutzen zieht, dass er aufgrund dieser Informationen Markttransaktionen durchführt, indem er für eigene Rechnung oder für Rechnung Dritter, sei es unmittelbar oder mittelbar, Finanzinstrumente, auf die sich diese Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert bzw. zu erwerben oder zu veräußern versucht oder einen Auftrag zum Kauf bzw. Verkauf storniert oder ändert bzw. zu stornieren oder zu ändern versucht. Die Nutzung von Insiderinformationen kann auch im Handel mit Emissionszertifikaten und deren Derivaten und im Bieten auf den Versteigerungen von Emissionszertifikaten oder anderen darauf beruhenden Auktionsobjekten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 der Kommission8 bestehen.

8 Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 der Kommission vom 12. November 2010 über den zeitlichen und administrativen Ablauf sowie sonstige Aspekte der Versteigerung von Treibhausgasemissi-

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4.11

(24) Wenn eine juristische oder natürliche Personen im Besitz von Insiderinformationen für eigene Rechnung oder für Rechnung Dritter, sei es unmittelbar oder mittelbar, Finanzinstrumente, auf die sich diese Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert bzw. zu erwerben oder zu veräußern versucht, sollte unterstellt werden, dass diese Person diese Informationen genutzt hat. Diese Annahme lässt die Verteidigungsrechte unberührt. Ob eine Person gegen das Verbot von Insidergeschäften verstoßen hat oder versucht hat, Insidergeschäfte durchzuführen, sollte im Hinblick auf den Zweck dieser Verordnung untersucht werden, der darin besteht, die Integrität des Finanzmarkts zu schützen und das Vertrauen der Investoren zu stärken, das wiederum auf der Gewissheit beruht, dass die Investoren gleichbehandelt und vor der missbräuchlichen Verwendung von Insiderinformationen geschützt werden. (25) Aufträge, die ausgelöst wurden, bevor eine Person Insiderinformationen besaß, sollten nicht als Insidergeschäfte betrachtet werden. Wenn jedoch eine Person in den Besitz von Insiderinformationen gelangt ist, sollte angenommen werden, dass alle nachfolgenden Änderungen, die im Zusammenhang mit diesen Informationen stehen, an den vor dem Erlangen des Besitzes an diesen Information ausgelösten Aufträgen, einschließlich der Stornierung oder Änderung eines Auftrags oder des Versuchs, einen Auftrag zu stornieren oder zu ändern, Insidergeschäfte sind. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden, wenn die Person den Nachweis erbringt, dass sie die Insiderinformationen bei der Abwicklung des Geschäfts nicht genutzt hat. (26) Die Nutzung von Insiderinformationen kann in dem Erwerb oder der Veräußerung eines Finanzinstruments oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts oder in der Stornierung oder Änderung eines Auftrags oder dem Versuch, ein Finanzinstrument zu erwerben oder zu veräußern bzw. einen Auftrag zu stornieren oder zu ändern, bestehen, ausgeführt von einer Person, die weiß oder wissen müsste, dass die Informationen Insiderinformationen sind. Hier sollten die zuständigen Behörden von dem ausgehen, was eine normale, vernünftige Person unter den gegebenen Umständen wusste oder hätte wissen müssen. (27) Diese Verordnung sollte entsprechend den von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen ausgelegt werden, die dem Schutz der Interessen der Inhaber übertragbarer Wertpapiere dienen, die Stimmrechte in einer Gesellschaft verleihen (oder solche Rechte durch Ausübung von Rechten oder Umwandlung verleihen können), wenn die Gesellschaft Gegenstand eines öffentlichen Übernahmeangebots oder eines anderen Vorschlags für einen Kontrollwechsel ist. Die Auslegung dieser Verordnung sollte im Einklang mit den Gesetzen, Rechts- und Verwaltungsvorschriften erfolgen, die in Bezug auf Übernahmeangebote, Zusammenschlüsse und andere Transaktionen erlassen wurden, die die Eigentumsverhältnisse oder die Kontrolle von Unternehmen betreffen und die durch die von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates9 benannten Aufsichtsbehörden reguliert werden. (28) Analysen und Bewertungen, die aufgrund öffentlich verfügbarer Angaben erstellt wurden, sollten nicht als Insiderinformationen angesehen werden und die bloße Tatsache,

onszertifikaten gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft (ABl. L 302 vom 18. 11. 2010, S. 1). 9 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (ABl. L 142 vom 30. 4. 2004, S. 12).

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dass Geschäfte auf der Grundlage von Analysen und Bewertungen getätigt werden, sollte daher nicht als Nutzung von Insiderinformationen gelten. Wird jedoch beispielsweise die Veröffentlichung oder Verbreitung der Informationen vom Markt routinemäßig erwartet und trägt diese Veröffentlichung und Verbreitung zur Preisbildung von Finanzinstrumenten bei oder enthält sie Ansichten eines anerkannten Marktkommentators oder einer Institution, die die Preise verbundener Finanzinstrumente beeinflussen können so können diese Informationen Insiderinformationen darstellen. Um festzustellen, ob sie auf der Grundlage von Insiderinformationen handeln würden, müssen die Marktteilnehmer deshalb berücksichtigen, in welchem Umfang die Informationen nichtöffentlich sind und welche Auswirkungen auf Finanzinstrumente möglich wären, wenn sie vor der Veröffentlichung oder Verbreitung handeln würden. (29) Damit legitime Formen von Finanzaktivitäten nicht ungewollt verboten werden, insbesondere solche, in denen kein Marktmissbrauch vorliegt, ist es erforderlich, bestimmte legitime Handlungen anzuerkennen. Dazu kann beispielsweise gehören, die Rolle der MarketMaker anzuerkennen, wenn sie in ihrer legitimen Eigenschaft als Bereitsteller von Marktliquidität tätig sind. (30) Beschränken sich Market-Maker oder Personen, die als Gegenparteien fungieren dürfen, auf die Ausübung ihrer legitimen Geschäftstätigkeit in Form des Erwerbs oder der Veräußerung von Finanzinstrumenten oder beschränken sich zur Ausführung von Aufträgen für Rechnung Dritter, die über Insiderinformationen verfügen, befugte Personen auf die pflichtgemäße Ausführung der Stornierung oder Änderung eines Auftrags, so sollte dies nicht als Nutzung von Insiderinformationen gelten. Der in dieser Verordnung vorgesehene Schutz für Market-Maker, für Stellen, die befugt sind, als Gegenpartei aufzutreten, und für Personen, die befugt sind, im Namen Dritter, die über Insiderinformationen verfügen, Aufträge auszuführen, erstreckt sich nicht auf Tätigkeiten, die gemäß dieser Verordnung eindeutig verboten sind, so unter anderem die gemeinhin als „Frontrunning“ bekannte Praxis (Eigengeschäfte in Kenntnis von Kundenaufträgen). Haben juristische Personen alle geeigneten Maßnahmen ergriffen, um Marktmissbrauch zu verhindern, begehen jedoch dessen ungeachtet von ihnen beschäftigte natürliche Personen im Namen der juristischen Person Marktmissbrauch, so sollte dies nicht als ein Marktmissbrauch durch die juristische Person gelten. Ein weiteres Beispiel für eine Situation, in der nicht von der Nutzung von Insiderinformationen ausgegangen werden sollte, sind Geschäfte, die zur Erfüllung einer fällig gewordenen vorgelagerten Verpflichtung durchgeführt werden. Der Zugang zu Insiderinformationen über ein anderes Unternehmen und die Nutzung dieser Informationen bei einem öffentlichen Übernahmeangebot mit dem Ziel, die Kontrolle über dieses Unternehmen zu gewinnen oder einen Zusammenschluss mit ihm vorzuschlagen, sollten als solche nicht als Insidergeschäft gelten. (31) Da dem Erwerb oder der Veräußerung von Finanzinstrumenten erforderlicherweise eine entsprechende Entscheidung der Person vorausgehen muss, die erwirbt bzw. veräußert, sollte die bloße Tatsache dieses Erwerbs oder dieser Veräußerung als solche nicht als Nutzung von Insiderinformationen gelten. Handlungen auf der Grundlage eigener Pläne und Handelsstrategien des Marktteilnehmers sollten nicht als Nutzung von Insiderinformationen gelten. Keine der betreffenden juristischen oder natürlichen Personen sollte aufgrund ihrer beruflichen Funktion geschützt werden, sondern nur dann, wenn sie in geeigneter und angemessener Weise handeln und sowohl die von ihnen zu erwartenden beruflichen Standards als auch die durch diese Verordnung festgelegten Normen, insbesondere zu Marktintegrität und Anlegerschutz, einhalten. Dessen ungeachtet könnte von einer Rechtsverletzung ausgegangen werden, wenn die zuständige Behörde feststellt,

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dass sich hinter den betreffenden Geschäften, Handelsaufträgen oder Handlungen ein rechtswidriger Grund verbirgt, oder dass die Person Insiderinformation verwendet hat. Marktsondierungen sind Interaktionen zwischen einem Verkäufer von Finanzinstrumenten und einem oder mehreren potenziellen Anlegern, die vor der Ankündigung eines Geschäfts erfolgen, um das Interesse potenzieller Anleger an einem möglichen Geschäft, seiner preislichen Gestaltung, seinem Umfang und seiner Struktur abzuschätzen. Marktsondierungen können eine Erst- oder Zweitplatzierung relevanter Wertpapiere umfassen und unterscheiden sich vom üblichen Handel. Sie sind ein ausgesprochen wertvolles Instrument zur Beurteilung der Meinung potenzieller Anleger, zur Intensivierung des Dialogs mit den Anteilseignern, zur Sicherstellung des reibungslosen Ablaufs der Geschäfte und zur Abstimmung der Ansichten von Emittenten, vorhandenen Anteilseignern und potenziellen neuen Anlegern. Marktsondierungen können insbesondere dann nützlich sein, wenn das Vertrauen in die Märkte geschwächt ist, wenn relevante Marktreferenzwerte fehlen oder wenn die Märkte Schwankungen unterworfen sind. Die Fähigkeit, Marktsondierungen durchzuführen, ist wichtig für das ordnungsgemäße Funktionieren der Finanzmärkte, und Marktsondierungen sollten als solche nicht als Marktmissbrauch gelten. Beispiele für Marktsondierungen sind unter anderem Situationen, in denen ein Unternehmen auf der Verkäuferseite Gespräche mit einem Emittenten über ein mögliches Geschäft führt und beschließt, das Interesse potenzieller Anleger abzuschätzen, um die Bedingungen festzulegen, unter denen das Geschäft zustande kommt; wenn ein Emittent beabsichtigt, die Begebung eines Schuldtitels oder eine zusätzliche Kapitalerhöhung anzukündigen, und sich das Unternehmen auf der Verkäuferseite an wichtige Investoren wendet und ihnen die vollständigen Geschäftsbedingungen mitteilt, um eine finanzielle Zusage für die Beteiligung an dem Geschäft zu erhalten; oder wenn die Verkäuferseite anstrebt, eine große Menge von Wertpapieren im Auftrag eines Anlegers zu veräußern und das potenzielle Interesse anderer möglicher Anleger an diesen Wertpapieren abschätzen will. Die Durchführung von Marktsondierungen kann es erforderlich machen, potenziellen Anlegern gegenüber Insiderinformationen offenzulegen. Grundsätzlich ist die Möglichkeit, finanziell vom Handel auf der Grundlage von Insiderinformationen, die im Rahmen einer Marktsondierung weitergegeben wurden, zu profitieren, nur dann gegeben, wenn ein Markt für das Finanzinstrument, das Gegenstand der Marktsondierung ist, oder für ein verbundenes Finanzinstrument vorhanden ist. Aufgrund der Wahl des Zeitpunkts für solche Gespräche ist es möglich, dass dem potenziellen Anleger im Verlauf der Marktsondierung Insiderinformationen offengelegt werden, nachdem ein Finanzinstrument zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen oder auf einem multilateralen oder organisierten Handelssystem gehandelt wurde. Vor einer Marktsondierung sollte der offenlegende Marktteilnehmer beurteilen, ob es im Rahmen der Marktsondierung zur Offenlegung von Insiderinformationen kommen wird. Die Offenlegung von Insiderinformationen durch eine Person sollte als rechtmäßig betrachtet werden, wenn sie im Zuge der normalen Ausübung ihrer Arbeit oder ihres Berufes oder der normalen Erfüllung ihrer Aufgaben handelt. Wenn eine Marktsondierung die Offenlegung von Insiderinformationen einschließt, werden die Handlungen des offenlegenden Marktteilnehmers dann als im Zuge der normalen Ausübung seiner Arbeit, seines Berufs oder seiner Aufgaben getätigt angesehen, wenn er zum Zeitpunkt der Offenlegung die Person, der gegenüber die Offenlegung erfolgt, davon informiert und ihre Zustimmung dazu einholt, dass ihr Insiderinformationen übergeben werden, dass ihr durch die Bestimmungen dieser Verordnung beim Handel und beim Handeln auf der Grundlage dieser Informationen Beschränkungen auferlegt werden, dass angemessene Schritte unternom-

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men werden müssen, um die fortbestehende Vertraulichkeit der Informationen zu wahren, und dass sie den offenlegenden Marktteilnehmer von der Identität sämtlicher natürlichen und juristischen Personen in Kenntnis setzen muss, denen gegenüber die Informationen im Verlauf der Erarbeitung einer Antwort auf die Marktsondierung offengelegt werden. Der offenlegende Marktteilnehmer sollte außerdem die Pflichten hinsichtlich der Führung und Vorhaltung von Aufzeichnungen über offengelegte Informationen erfüllen, die in technischen Regulierungsstandards ausführlich festzulegen sind. Von Marktteilnehmern, die bei der Durchführung einer Marktsondierung diese Verordnung nicht einhalten, sollte nicht angenommen werden, dass sie Insiderinformationen unrechtmäßig offenlegt haben, sie können jedoch nicht in den Genuss der Ausnahme kommen, die denjenigen gewährt wird, die diese Bestimmungen eingehalten haben. Ob sie gegen das Verbot einer unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen verstoßen haben, sollte unter Berücksichtigung sämtlicher einschlägigen Bestimmungen dieser Verordnung untersucht werden, und alle offenlegenden Marktteilnehmer sollten verpflichtet sein, vor der Durchführung einer Marktsondierung ihre Beurteilung schriftlich niederzulegen, ob diese Marktsondierung die Offenlegung von Insiderinformationen einschließt. Im Gegenzug sollten potenzielle Anleger, die Gegenstand einer Marktsondierung sind, prüfen, ob die ihnen gegenüber offengelegten Informationen Insiderinformationen sind, wodurch sie daran gehindert würden, auf der Grundlage dieser Informationen Geschäfte zu tätigen oder diese Informationen weiter offenzulegen. Potenzielle Anleger unterliegen weiterhin den Vorschriften über Insidergeschäfte und die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen gemäß dieser Verordnung. Zur Unterstützung potenzieller Anleger bei ihren Erwägungen und im Hinblick auf die Schritte, die sie unternehmen sollten, um nicht gegen diese Verordnung zu verstoßen, sollte die ESMA Leitlinien herausgeben. Die Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 sieht für die Versteigerung von Emissionszertifikaten zwei parallele Regelungen in Bezug auf Marktmissbrauch vor. Da Emissionszertifikate als Finanzinstrumente eingestuft werden, sollte diese Verordnung allerdings ein einheitliches, für den gesamten Primär- und Sekundärmarkt für Emissionszertifikate gültiges Regelwerk in Bezug auf Marktmissbrauch darstellen. Die Verordnung sollte auch für Handlungen oder Geschäfte, darunter Gebote, bezüglich der Versteigerung von Emissionszertifikaten und anderen darauf beruhenden Auktionsobjekten auf einem als Auktionsplattform zugelassenen geregelten Marktgemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 gelten, selbst, wenn die versteigerten Produkte keine Finanzinstrumente sind. In dieser Verordnung sollten Maßnahmen in Bezug auf Marktmissbrauch vorgesehen werden, die an neue Formen des Handels oder möglicherweise missbräuchliche neue Strategien angepasst werden können. Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Handel mit Finanzinstrumenten zunehmend automatisiert ist, ist es wünschenswert, dass in der Bestimmung des Begriffs Marktmanipulation Beispiele bestimmter missbräuchlicher Strategien angeführt werden, die im Zuge aller zur Verfügung stehenden Handelsmethoden — einschließlich des algorithmischen Handels und des Hochfrequenzhandels — angewandt werden können. Die dabei angeführten Beispiele sollen weder eine erschöpfende Aufzählung sein noch den Eindruck erwecken, dass dieselben Strategien, wenn sie mit anderen Mitteln verfolgt würden, nicht auch missbräuchlich wären. Dem Verbot des Marktmissbrauchs sollten auch die Personen unterliegen, die zusammenwirkend Marktmissbrauch begehen. Beispiele hierfür können unter anderem Makler sein, die eine Handelsstrategie entwickeln und empfehlen, die darauf ausgerichtet ist, Marktmissbrauch zu begehen; Personen, die eine Person, die über Insiderinformationen verfügt, dazu auffordern, diese Informationen unzulässig offenzulegen; oder Personen, die

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in Zusammenarbeit mit einem Börsenmakler Software zur Begünstigung von Marktmissbrauch entwickeln. Damit sowohl die juristische Person als auch jede natürliche Person, die an der Beschlussfassung der juristischen Person beteiligt ist, haftbar gemacht werden kann, ist es erforderlich, die unterschiedlichen nationalen rechtlichen Mechanismen in den Mitgliedstaaten anzuerkennen. Diese Mechanismen beziehen sich unmittelbar auf die Methoden der Haftbarmachung im nationalen Recht. Zur Ergänzung des Verbots der Marktmanipulation sollte diese Verordnung ein Verbot der versuchten Marktmanipulation enthalten. Da beide Aktivitäten gemäß dieser Verordnung verboten sind, sollte ein Versuch der Marktmanipulation von Handlungen unterschieden werden, bei denen davon auszugehen ist, dass sie zu Marktmanipulation führen. Ein solcher Versuch kann sich unter anderem auf Situationen erstrecken, in denen die Aktivität begonnen, aber nicht vollendet wird, beispielsweise aufgrund technischen Versagens oder eines Handelsauftrags, der nicht ausgeführt wird. Das Verbot der versuchten Marktmanipulation ist erforderlich, um die zuständigen Behörden in die Lage zu versetzen, entsprechende Versuche mit Sanktionen zu belegen. Unbeschadet des Zwecks dieser Verordnung und ihrer unmittelbar anwendbaren Bestimmungen könnte eine Person, die Geschäfte abschließt oder Kauf- bzw. Verkaufsaufträge ausführt, die so betrachtet werden können, dass sie den Tatbestand einer Marktmanipulation erfüllen, geltend machen, dass sie legitime Gründe hatte, diese Geschäfte abzuschließen oder Aufträge auszuführen, und dass diese nicht gegen die zulässige Praxis auf dem betreffenden Markt verstoßen. Eine zulässige Marktpraxis kann nur von der zuständigen Stelle festgelegt werden, die für die Beaufsichtigung des betreffenden Marktes in Bezug auf Marktmissbrauch zuständig ist. Eine Praxis, die auf einem bestimmten Markt akzeptiert ist, kann auf anderen Märkten erst als zulässig betrachtet werden, nachdem sie von den für diese anderen Märkte zuständigen Behörden offiziell zugelassen worden ist. Dessen ungeachtet könnte von einer Rechtsverletzung ausgegangen werden, wenn die zuständige Behörde feststellt, dass sich hinter den betreffenden Geschäften oder Handelsaufträgen ein rechtswidriger Grund verbirgt. Daneben sollte in dieser Verordnung klargestellt werden, dass die Marktmanipulation oder der Versuch der Marktmanipulation hinsichtlich eines Finanzinstruments auch in der Form erfolgen kann, dass damit verbundene Finanzinstrumente wie Derivate verwendet werden, die an einem anderen Handelsplatz oder außerbörslich gehandelt werden. Der Preis vieler Finanzinstrumente wird durch Bezugnahme auf Referenzwerte festgesetzt. Eine tatsächliche oder versuchte Manipulation von Referenzwerte, einschließlich der Angebotssätze im Interbankengeschäft, kann das Marktvertrauen erheblich beeinträchtigen und zu beträchtlichen Verlusten für die Anleger wie auch zu realwirtschaftlichen Verzerrungen führen. Daher sind spezielle Vorschriften für Referenzwerte erforderlich, um die Integrität der Märkte zu wahren und sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden ein klares Verbot der Manipulation von Referenzwerten durchsetzen können. Diese Vorschriften sollten für alle veröffentlichten Referenzwerte und auch für unentgeltlich oder gegen Entgelt über das Internet abrufbare Referenzwerte gelten, beispielsweise Referenzwerte für Kreditausfall-Swaps und Indizes von Indizes. Das allgemeine Verbot der Marktmanipulation sollte ergänzt werden durch ein Verbot der Manipulation des Referenzwerts selbst sowie der Übermittlung falscher oder irreführender Angaben, der Bereitstellung falscher oder irreführender Ausgangsdaten oder jeglicher sonstiger Handlungen, durch die die Berechnung eines Referenzwerts manipuliert wird, wobei die Bestimmung des Begriffs Berechnung weit gefasst ist, so dass sie sich auch auf die Entgegennahme und Be-

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wertung sämtlicher Daten erstreckt, die in Zusammenhang mit der Berechnung des betreffenden Referenzwerts stehen und insbesondere getrimmte Daten einschließen, und auf vollständige algorithmische oder urteilsgestützte Referenzwert-Methoden oder auf Teile davon. Diese Vorschriften ergänzen die Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 1227/2011, die die vorsätzliche Übermittlung falscher Informationen an Unternehmen untersagt, die Preisbewertungen oder Marktberichte enthalten, mit der Folge, dass Marktteilnehmer, die aufgrund dieser Bewertungen und Berichte tätig werden, irregeführt werden. Um einheitliche Marktbedingungen für die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallenden Handelsplätze und Handelssysteme zu gewährleisten, sollte jede Person, die geregelte Märkte, multilaterale und organisierte Handelssysteme betreibt, dazu verpflichtet werden, wirksame Maßnahmen, Systeme und Verfahren zur Vorbeugung gegen Marktmanipulations- und Marktmissbrauchspraktiken und zu deren Aufdeckung zu unterhalten und aufrechtzuerhalten. Manipulation oder versuchte Manipulation von Finanzinstrumenten kann auch im Erteilen von Aufträgen bestehen, die möglicherweise nicht ausgeführt werden. Ferner kann ein Finanzinstrument durch außerhalb des Handelsplatzes erfolgende Handlungen manipuliert werden. Personen, die beruflich Geschäfte vermitteln oder ausführen, sollten dazu verpflichtet sein, wirksame Maßnahmen, Systeme und Verfahren zur Aufdeckung und Meldung verdächtiger Geschäfte zu unterhalten und aufrechtzuerhalten. Sie sollten außerdem außerhalb eines Handelsplatzes erfolgende verdächtige Aufträge und verdächtige Geschäfte melden. Manipulation oder versuchte Manipulation von Finanzinstrumenten kann auch in der Verbreitung falscher oder irreführender Informationen bestehen. Die Verbreitung falscher oder irreführender Informationen kann innerhalb relativ kurzer Zeit erhebliche Auswirkungen auf die Kurse von Finanzinstrumenten haben. Sie kann im Erfinden offensichtlich falscher Informationen, aber auch in der absichtlichen Unterschlagung wesentlicher Sachverhalte sowie in der wissentlichen Angabe unrichtiger Informationen bestehen. Diese Form der Marktmanipulation schadet den Anlegern in besonderer Weise, weil sie sie dazu veranlasst, ihre Anlageentscheidungen auf unrichtige oder verzerrte Informationen zu stützen. Sie schadet auch den Emittenten, da sie das Vertrauen in die sie betreffenden Informationen untergräbt. Ein Mangel an Marktvertrauen kann wiederum die Fähigkeit eines Emittenten beeinträchtigen, zur Finanzierung seiner Operationen neue Finanzinstrumente zu begeben oder sich bei anderen Marktteilnehmern Kredite zu beschaffen. Auf dem Markt verbreiten sich Informationen sehr schnell. Deshalb kann der Schaden für Anleger und Emittenten für einen relativ langen Zeitraum anhalten, bis die Informationen sich als falsch oder irreführend erweisen und vom Emittenten oder den Urhebern ihrer Verbreitung berichtigt werden können. Deshalb muss die Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen sowie Gerüchten und falschen oder irreführenden Nachrichten als Verstoß gegen diese Verordnung eingestuft werden. Es ist daher zweckmäßig, es den Akteuren der Finanzmärkte zu untersagen, Informationen, die im Widerspruch zu ihrer eigenen Meinung oder besserem Wissen stehen, deren Unrichtigkeit oder irreführender Charakter ihnen bekannt ist oder bekannt sein sollte, zum Schaden von Anlegern und Emittenten frei zu äußern. Da Websites, Blogs und soziale Medien immer stärker genutzt werden, ist es wichtig klarzustellen, dass die Verbreitung falscher oder irreführender Informationen über das Internet, einschließlich über Websites sozialer Medien oder anonyme Blogs, im Sinne dieser Verordnung als gleichwertig mit der Verbreitung über traditionellere Kommunikationskanäle betrachtet werden sollte.

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(49) Die öffentliche Bekanntgabe von Insiderinformationen durch Emittenten ist von wesentlicher Bedeutung, um Insidergeschäften und der Irreführung von Anlegern vorzubeugen. Die Emittenten sollten daher verpflichtet werden, der Öffentlichkeit Insiderinformationen unverzüglich bekanntzugeben. Diese Verpflichtung kann jedoch unter besonderen Umständen den berechtigten Interessen des Emittenten abträglich sein. Unter solchen Umständen sollte eine aufgeschobene Offenlegung erlaubt sein, vorausgesetzt, eine Irreführung der Öffentlichkeit durch den Aufschub ist unwahrscheinlich und der Emittent kann die Geheimhaltung der Informationen gewährleisten. Der Emittent ist nur verpflichtet, Insiderinformationen offenzulegen, wenn er die Zulassung des Finanzinstruments zum Handel beantragt oder genehmigt hat. (50) Für die Zwecke der Anwendung der Anforderungen betreffend der Offenlegung von Insiderinformationen und des Aufschubs dieser Offenlegung dieser Verordnung können sich die berechtigten Interessen insbesondere auf folgende nicht erschöpfende Fallbeispiele beziehen: a) laufende Verhandlungen oder damit verbundene Umstände, wenn das Ergebnis oder der normale Ablauf dieser Verhandlungen von der Veröffentlichung wahrscheinlich beeinträchtigt werden würden; insbesondere wenn die finanzielle Überlebensfähigkeit des Emittenten stark und unmittelbar gefährdet ist — auch wenn er noch nicht unter das geltende Insolvenzrecht fällt — kann die Bekanntgabe von Informationen für einen befristeten Zeitraum verzögert werden, sollte eine derartige Bekanntgabe die Interessen der vorhandenen und potenziellen Aktionäre erheblich gefährden, indem der Abschluss spezifischer Verhandlungen vereitelt werden würde, die eigentlich zur Gewährleistung einer langfristigen finanziellen Erholung des Emittenten gedacht sind; b) vom Geschäftsführungsorgan eines Emittenten getroffene Entscheidungen oder abgeschlossene Verträge, die der Zustimmung durch ein anderes Organ des Emittenten bedürfen, um wirksam zu werden, sofern die Struktur eines solchen Emittenten die Trennung zwischen diesen Organen vorsieht und eine Bekanntgabe der Informationen vor der Zustimmung zusammen mit der gleichzeitigen Ankündigung, dass die Zustimmung noch aussteht, die korrekte Bewertung der Informationen durch das Publikum gefährden würde. (51) Daneben muss die Anforderung der Offenlegung von Insiderinformationen sich an die Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate richten. Um dem Markt eine nutzlose Berichterstattung zu ersparen und die Kosteneffizienz der vorgesehenen Maßnahme zu wahren, erscheint es erforderlich, die rechtlichen Auswirkungen dieser Anforderung nur auf diejenigen Betreiber im Rahmen des EU-EHS zu beschränken, von denen aufgrund ihrer Größe und Tätigkeit zu erwarten ist, dass sie den Preis von Emissionszertifikaten, darauf beruhenden Auktionsobjekten oder damit verbundenen derivativen Finanzinstrumenten und das Bieten in den Versteigerungen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 erheblich beeinflussen können. Die Kommission sollte Maßnahmen in Form eines delegierten Rechtsakts erlassen, durch die ein Mindestschwellenwert für die Anwendung dieser Ausnahme festgelegt wird. Die offenzulegende Information sollte die physischen Aktivitäten der weitergebenden Partei und nicht deren eigene Pläne oder Strategien für den Handel von Emissionszertifikaten, darauf beruhenden Auktionsobjekten oder damit verbundenen derivativen Finanzinstrumenten betreffen. Soweit die Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate, insbesondere gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1227/2011, bereits gleichwertige Anforderungen zur Offenlegung von Insiderinformationen erfüllen, sollte die Pflicht zur Offenlegung von Insiderinformationen in Bezug auf Emissionszertifikate nicht dazu führen, dass mehrfach obligatorische Meldungen mit im Wesentlichen gleichem Inhalt gemacht werden müssen. Da im Fall von Teilnehmern am Markt für Emissionszertifikate mit aggregierten Emissionen oder einer thermischen Nennleistung in Höhe oder unter-

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halb des festgelegten Schwellenwerts die Informationen über die physischen Aktivitäten dieser Teilnehmer als nicht maßgeblich für die Offenlegung betrachtet werden, sollte von diesen Informationen auch angenommen werden, dass sie keine erheblichen Auswirkungen auf die Preise der Emissionszertifikate und der darauf beruhenden Auktionsobjekte oder auf die damit verbundenen derivativen Finanzinstrumente haben. Für solche Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate sollte dessen ungeachtet in Bezug auf sämtliche anderen Insiderinformationen, zu denen sie Zugang haben, das Verbot von Insidergeschäften gelten. Um das öffentliche Interesse zu schützen, die Stabilität des Finanzsystems zu wahren und um beispielsweise zu verhindern, dass sich Liquiditätskrisen von Finanzinstituten aufgrund eines plötzlichen Abzugs von Mitteln zu Solvenzkrisen entwickeln, kann es unter besonderen Umständen angemessen sein, Kreditinstituten und Finanzinstituten einen Aufschub der Offenlegung systemrelevanter Insiderinformationen zu gestatten. Dies kann insbesondere für Informationen im Zusammenhang mit zeitweiligen Liquiditätsproblemen gelten, bei denen Zentralbankkredite, einschließlich Krisen-Liquiditätshilfe seitens einer Zentralbank, erforderlich sind und die Offenlegung der Informationen systemische Auswirkungen hätte. Die Gewährung des Aufschubs sollte daran geknüpft sein, dass der Emittent das Einverständnis der betreffenden zuständigen Behörde einholt und dass das weitere öffentliche und wirtschaftliche Interesse am Aufschub der Offenlegung gegenüber dem Interesse des Marktes am Erhalt der Informationen, die Gegenstand des Aufschubs sind, überwiegt. In Bezug auf Finanzinstitute, insbesondere solche, die Zentralbankkredite einschließlich Krisen-Liquiditätshilfe erhalten, sollte von der zuständigen Behörde, gegebenenfalls nach Anhörung der nationalen Zentralbank, der nationalen makroprudenziellen Behörde oder einer anderen relevanten nationalen Behörde geprüft werden, ob die Informationen systemrelevant sind und ob ein Aufschub der Offenlegung im öffentlichen Interesse liegt. Die Nutzung und die versuchte Nutzung von Insiderinformationen für den Handel für eigene oder für fremde Rechnung sollten eindeutig verboten werden. Die Nutzung von Insiderinformationen kann auch im Handel mit Emissionszertifikaten und deren Derivaten und im Bieten auf den Versteigerungen von Emissionszertifikaten oder anderen darauf beruhenden Auktionsobjekten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 durch Personen bestehen, die die wissen oder wissen müssten, dass ihre Informationen Insiderinformationen sind. Informationen über die eigenen Handelspläne und -strategien des Marktteilnehmers sollten nicht als Insiderinformationen betrachtet werden, obwohl Informationen über die Handelspläne und -strategien Dritter Insiderinformationen sein können. Die Verpflichtung zur Offenlegung von Insiderinformationen kann für kleine und mittlere Unternehmen im Sinne der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates,10 deren Finanzinstrumente zum Handel an KMU-Wachstumsmärkten zugelassen sind, aufgrund der Kosten für die Sichtung der ihnen vorliegenden Informationen und die Rechtsberatung zur Erforderlichkeit und zum Zeitpunkt einer Offenlegung eine Belastung darstellen. Dennoch ist eine unverzügliche Offenlegung von Insiderinformationen wesentlich, um das Vertrauen der Anleger in diese Emittenten zu gewährleisten. Deshalb

10 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EU und 2011/67/EG (siehe Seite 349 dieses Amtsblatts).

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sollte die ESMA in der Lage sein, Leitlinien herauszugeben, die es den Emittenten erleichtern, ihrer Pflicht zur Offenlegung von Insiderinformationen ohne Beeinträchtigung des Anlegerschutzes nachzukommen. (56) Insiderlisten sind für die Regulierungsbehörden bei der Untersuchung möglichen Marktmissbrauchs ein wichtiges Instrument, aber die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede in Bezug auf die darin aufzuführenden Daten verursachen den Emittenten unnötigen Verwaltungsaufwand. Zur Senkung dieser Kosten sollten daher die für Insiderlisten erforderlichen Datenfelder einheitlich sein. Personen auf Insiderlisten sollten über diesen Umstand und die damit verbundenen Auswirkungen gemäß dieser Verordnung und der Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates11 informiert werden. Die Pflicht zum Führen und regelmäßigen Aktualisieren von Insiderlisten verursacht insbesondere den Emittenten auf KMU-Wachstumsmärkten Verwaltungsaufwand. Da die zuständigen Behörden eine wirksame Beaufsichtigung in Bezug auf Marktmissbrauch ausüben können, ohne jederzeit über diese Listen für diese Emittenten zu verfügen, sollten sie zur Verringerung der durch diese Verordnung verursachten Verwaltungskosten von dieser Verpflichtung ausgenommen werden. Die betreffenden Emittenten sollten den zuständigen Behörden jedoch auf deren Ersuchen hin eine Insiderliste zur Verfügung stellen. (57) Emittenten von Finanzinstrumenten oder in deren Auftrag oder auf deren Rechnung handelnde Personen müssen Listen der mit einem Arbeitsvertrag oder anderweitig für sie arbeitenden Personen erstellen, die Zugang zu Insiderinformationen mit direktem oder indirektem Bezug zum Emittenten haben, da eine solche Maßnahme ein wirksames Mittel zum Schutz der Integrität des Marktes ist. Anhand solcher Verzeichnisse können Emittenten oder die genannten Personen den Fluss von Insiderinformationen überwachen, und die Listen können somit dazu beitragen, dass den Geheimhaltungspflichten Genüge getan wird. Außerdem können diese Listen auch ein nützliches Instrument für die zuständigen Behörden sein, um Personen zu identifizieren, die Zugang zu Insiderinformationen haben, und um das Datum zu ermitteln, zu dem sie diesen Zugang erhalten haben. Der Zugang zu Insiderinformationen, die sich unmittelbar oder mittelbar auf den Emittenten beziehen, seitens Personen, die in einer solchen Liste aufgeführt sind, lässt die in dieser Verordnung festgelegten Verbote unberührt. (58) Eine größere Transparenz der Eigengeschäfte von Personen, die auf Emittentenebene Führungsaufgaben wahrnehmen, und gegebenenfalls der in enger Beziehung zu ihnen stehenden Personen stellt eine Maßnahme zur Verhütung von Marktmissbrauch und insbesondere von Insidergeschäften dar. Die Bekanntgabe dieser Geschäfte zumindest auf individueller Basis kann auch eine höchst wertvolle Informationsquelle für Anleger darstellen. Es muss klargestellt werden, dass die Pflicht zur Bekanntgabe dieser Eigengeschäfte von Führungskräften auch das Verpfänden und Verleihen von Finanzinstrumenten einschließt, da das Verpfänden von Anteilen im Fall einer plötzlichen und unvorhergesehenen Veräußerung erhebliche und potenziell destabilisierende Auswirkungen auf das Unternehmen haben kann. Ohne Offenlegung würde auf dem Markt nicht bekannt werden, dass die Wahrscheinlichkeit zum Beispiel einer wesentlichen künftigen Ände-

11 Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsrichtlinie) (siehe Seite 179 dieses Amtsblatts).

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rung beim Anteilsbesitz, einer Zunahme des Angebots von Anteilen auf dem Markt oder des Verlusts von Stimmrechten in dem betreffenden Unternehmen gestiegen ist. Aus diesem Grund ist eine Bekanntgabe gemäß dieser Verordnung dann vorgeschrieben, wenn die Verpfändung der Wertpapiere im Rahmen eines umfangreicheren Geschäfts erfolgt, in dessen Rahmen die Führungskraft die Wertpapiere als Sicherheit verpfändet, um von einem Dritten einen Kredit zu erhalten. Außerdem ist vollständige und ordnungsgemäße Markttransparenz eine Voraussetzung für das Vertrauen der Marktteilnehmer und insbesondere der Anteilseigner eines Unternehmens. Es ist darüber hinaus erforderlich, klarzustellen, dass die Verpflichtung zur Bekanntgabe der Geschäfte der betreffenden Führungskräfte die Bekanntgabe der Geschäfte von anderen Personen, die ein Ermessen für die Führungskraft ausüben, einschließt. Um ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Grad der Transparenz und der Anzahl der Mitteilungen an die zuständigen Behörden und die Öffentlichkeit zu gewährleisten, sollten mit dieser Verordnung Schwellenwerte eingeführt werden, unterhalb welcher Geschäfte nicht mitteilungspflichtig sind. Die Meldung von Geschäften für eigene Rechnung, die von Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, durchgeführt werden oder die von einer Person ausgeführt werden, die in enger Beziehung zu diesen steht, liefert nicht nur wertvolle Informationen für andere Marktteilnehmer, sondern bietet den zuständigen Behörden eine zusätzliche Möglichkeit zur Überwachung der Märkte. Die Verpflichtung zur Bekanntgabe von Geschäften lässt die in dieser Verordnung festgelegten Verbote unberührt. Die Bekanntgabe von Geschäften sollte gemäß der Bestimmungen über die Übermittlung personenbezogener Daten erfolgen, die in der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates12 niedergelegt sind. Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, sollte es nicht gestattet sein, vor der Ankündigung eines Zwischenberichts oder eines Jahresabschlussberichts, zu deren Veröffentlichung der betreffende Emittent gemäß den Vorschriften für den Handelsplatz, auf dem die Anteile des Emittenten zum Handel zugelassen sind, oder gemäß nationalen Rechtsvorschriften verpflichtet ist, Handel zu treiben, es sei denn, es bestehen besondere und eingegrenzte Umstände, die die Erteilung einer Erlaubnis zum Handel durch die Emittenten an eine Person, die Führungsaufgaben wahrnimmt, rechtfertigen würden. Eine solche Erlaubnis des Emittenten lässt jedoch die in dieser Verordnung festgelegten Verbote unberührt. Eine wirkungsvolle Aufsicht wird durch eine Reihe wirksamer Instrumente und Befugnisse sowie von Ressourcen für die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sichergestellt. Diese Verordnung sieht daher insbesondere ein Mindestmaß an Aufsichts- und Untersuchungsbefugnissen vor, die den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gemäß nationalem Recht übertragen werden sollten. Wenn es die nationalen Rechtsvorschriften erfordern, sollten diese Befugnisse durch Antrag bei den zuständigen Justizbehörden ausgeübt werden. Die zuständigen Behörden sollten bei der Ausübung ihrer Befugnisse gemäß dieser Richtlinie objektiv und unparteiisch vorgehen und bei ihrer Beschlussfassung unabhängig bleiben. Auch die Marktteilnehmer und alle Wirtschaftsakteure sollten einen Beitrag zur Marktintegrität leisten. In dieser Hinsicht sollte die Benennung einer einzigen zuständigen Behör-

12 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31).

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de für Marktmissbrauch eine Zusammenarbeit mit Marktteilnehmern oder die Delegation von Aufgaben unter der Verantwortlichkeit der zuständigen Behörde an die Marktteilnehmer zu dem Zweck, die wirksame Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung zu gewährleisten, nicht ausschließen. Wenn Personen, die Anlageempfehlungen oder andere Informationen, durch die eine Strategie für Investitionen in ein oder mehrere Finanzinstrumente empfohlen oder vorgeschlagen wird, erstellen oder weitergeben, auch für eigene Rechnung mit solchen Instrumenten handeln, sollten die zuständigen Behörden von solchen Personen unter anderem sämtliche Informationen verlangen oder anfordern können, die erforderlich sind, um festzustellen, ob die von der betreffenden Person erstellten oder weitergegebenen Informationen im Einklang mit dieser Verordnung stehen. (64) Zur Aufdeckung von Insidergeschäften und Marktmanipulation ist es erforderlich, dass die zuständigen Behörden die Möglichkeit haben, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften die Räumlichkeiten natürlicher und juristischer Personen zu betreten und Dokumente zu beschlagnahmen. Der Zugang zu solchen Räumen ist erforderlich, wenn der begründete Verdacht besteht, dass Dokumente und andere Daten vorhanden sind, die in Zusammenhang mit dem Gegenstand einer Untersuchung stehen und Beweismittel für Insidergeschäfte oder Marktmissbrauch sein können. Darüber hinaus ist der Zugang zu solchen Räumlichkeiten erforderlich, wenn die Person, an die ein Auskunftsersuchen gerichtet wurde, diesem nicht oder nur teilweise nachkommt oder wenn berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass im Fall eines Auskunftsersuchens diesem nicht nachgekommen würde oder die Dokumente oder Informationen, die Gegenstand des Auskunftsersuchens sind, entfernt, manipuliert oder zerstört würden. Ist gemäß dem jeweiligen nationalen Recht eine vorherige Genehmigung der zuständigen Justizbehörde des betreffenden Mitgliedstaats erforderlich, sollte das Betreten von Räumlichkeiten nach Einholung dieser vorherigen Genehmigung stattfinden. (65) Bereits vorhandene Aufzeichnungen von Telefongesprächen und Datenverkehrsaufzeichnungen von Wertpapierfirmen, Kreditinstituten und anderen Finanzinstituten, die Geschäfte ausführen und diese Ausführung dokumentieren, sowie bereits vorhandene Telefon- und Datenverkehrsaufzeichnungen von Telekommunikationsgesellschaften stellen entscheidende und manchmal die einzigen Belege für die Aufdeckung und den Nachweis des Bestehens von Insiderhandel und Marktmanipulation dar. Mit Telefon- und Datenverkehrsaufzeichnungen kann die Identität einer für die Verbreitung falscher oder irreführender Informationen verantwortlichen Person ermittelt oder festgestellt werden, dass Personen zu einer bestimmten Zeit Kontakt hatten und dass eine Beziehung zwischen zwei oder mehr Personen besteht. Die zuständigen Behörden sollten daher befugt sein, bestehende Aufzeichnungen von Telefongesprächen, elektronischer Kommunikation und Datenverkehrsaufzeichnungen anzufordern, die sich gemäß der Richtlinie 2014/65/EU im Besitz einer Wertpapierfirma, eines Kreditinstituts oder eines Finanzinstituts befinden. Der Zugang zu Telefon- und Datenverkehrsaufzeichnungen ist erforderlich, um Beweise und Ermittlungsansätze in Bezug auf Insidergeschäfte und Marktmanipulation und mithin zur Aufdeckung von Marktmissbrauch und zum Verhängen von Sanktionen dagegen zu erlangen. Zur Schaffung einheitlicher Bedingungen in der Union in Bezug auf den Zugang zu Telefon- und bestehenden Datenverkehrsaufzeichnungen im Besitz einer Telekommunikationsgesellschaft oder zu bestehenden Aufzeichnungen von Telefongesprächen und Datenverkehr im Besitz einer Wertpapierfirma, eines Kreditinstituts oder eines Finanzinstituts sollten die zuständigen Behörden im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften befugt sein, bestehende Telefon- und Datenverkehrsaufzeichnungen, die

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sich, soweit die nationalen Rechtsvorschriften dies gestatten, im Besitz einer Telekommunikationsgesellschaft befinden, und bestehende Aufzeichnungen von Telefongesprächen und Datenverkehr im Besitz einer Wertpapierfirma anzufordern, wenn es sich um Fälle handelt, in denen der begründete Verdacht besteht, dass diese Aufzeichnungen mit Bezug zum Gegenstand der Überprüfung oder Untersuchung für den Nachweis von Insidergeschäften oder Marktmanipulation unter Verstoß gegen diese Verordnung relevant sein können. Der Zugang zu Telefon- und Datenverkehrsaufzeichnungen im Besitz von Telekommunikationsgesellschaften umfasst nicht den Zugang zu Inhalten von Telefongesprächen. Obgleich in dieser Verordnung ein Mindestmaß an Befugnissen festgelegt wird, die die zuständigen Behörden haben sollten müssen diese Befugnisse im Rahmen eines Gesamtsystems nationaler Rechtsvorschriften ausgeübt werden, in denen die Einhaltung der Grundrechte unter Einschluss des Rechts auf Schutz der Privatsphäre garantiert wird. Für den Zweck der Ausübung dieser Befugnisse, durch die es zu gravierenden Eingriffen in Bezug auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung sowie der Kommunikation kommen kann, sollten in den Mitgliedstaaten angemessene und wirksame Schutzvorkehrungen gegen jegliche Form des Missbrauchs bestehen, beispielsweise, falls erforderlich, das Erfordernis zur Einholung einer vorherigen Genehmigung der Justizbehörden eines betroffenen Mitgliedstaats. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit vorsehen, dass die zuständigen Behörden derartige Eingriffsbefugnisse in dem Umfang ausüben, in dem dies für die ordnungsgemäße Untersuchung schwerwiegender Fälle erforderlich ist, sofern keine gleichwertigen Mittel zur Verfügung stehen, mit denen wirksam dasselbe Ergebnis erzielt werden kann. Da Marktmissbrauch länder- und marktübergreifend erfolgen kann, sollten, falls nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen, die zuständigen Behörden insbesondere bei Ermittlungen zur Zusammenarbeit und zum Informationsaustausch mit anderen zuständigen Behörden und Regulierungsbehörden sowie mit der ESMA verpflichtet sein. Falls eine zuständige Behörde zu der Überzeugung gelangt, dass Marktmissbrauch in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt oder erfolgt ist oder in einem anderen Mitgliedstaat gehandelte Finanzinstrumente berührt, so sollte sie dies der zuständigen Behörde und der ESMA mitteilen. In Fällen von Marktmissbrauch mit grenzüberschreitenden Auswirkungen sollte die ESMA auf Ersuchen einer der betroffenen zuständigen Behörden in der Lage sein, die Ermittlungen zu koordinieren. Es ist erforderlich, dass die zuständigen Behörden über die erforderlichen Instrumente für eine wirksame marktübergreifende Aufsicht über die Orderbücher verfügen. Gemäß der Richtlinie 2014/65/EU können die zuständigen Behörden, zur Unterstützung der grenzüberschreitenden Überwachung und Aufdeckung von Marktmanipulationen Daten anderer zuständiger Behörden mit Bezug zu den Orderbüchern anfordern und entgegennehmen. Zur Gewährleistung des Informationsaustausches und der Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Hinblick auf die wirksame Durchsetzung dieser Verordnung sollten die zuständigen Behörden Kooperationsvereinbarungen mit den entsprechenden Behörden in Drittstaaten abschließen. Jegliche Übermittlung personenbezogener Daten auf der Grundlage dieser Vereinbarungen sollte im Einklang mit der Richtlinie 95/46/EG und der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates13 erfolgen.

13 Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten

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(70) Ein solider Rahmen für Aufsicht und Unternehmensführung im Finanzsektor sollte sich auf eine wirkungsvolle Aufsichts-, Untersuchungs- und Sanktionsordnung stützen können. Dazu sollten die Aufsichtsbehörden mit ausreichenden Handlungsbefugnissen ausgestattet sein und auf gleichwertige, starke und abschreckende Sanktionsregelungen für alle Finanzvergehen zurückgreifen können, und die Sanktionen sollten wirksam durchgesetzt werden. Nach Ansicht der De-Larosière-Gruppe ist jedoch gegenwärtig keine dieser Voraussetzungen in der Praxis gegeben. Im Rahmen der Mitteilung der Kommission vom 8. Dezember 2010 über die Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor wurde eine Überprüfung der bestehenden Sanktionsbefugnisse und deren praktischer Anwendung zur Förderung der Konvergenz von Sanktionen über das gesamte Spektrum der Aufsichtstätigkeiten hinweg vorgenommen. (71) Deshalb sollte eine Reihe von verwaltungsrechtlichen Sanktionen und anderen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen vorgesehen werden, um einen gemeinsamen Ansatz in den Mitgliedstaaten sicherzustellen und ihre abschreckende Wirkung zu verstärken. Die zuständige Behörde sollte über die Möglichkeit verfügen, ein Verbot der Wahrnehmung von Führungsaufgaben innerhalb von Wertpapierfirmen zu verhängen. Bei der Verhängung von Sanktionen in besonderen Fällen sollte je nach Sachlage Faktoren wie dem Einzug etwaiger festgestellter finanzieller Vorteile, der Schwere und Dauer des Verstoßes, erschwerenden oder mildernden Umständen und der Notwendigkeit einer abschreckenden Wirkung von Geldbußen Rechnung getragen und je nach Sachlage eine Ermäßigung für Zusammenarbeit mit der zuständigen Behörde vorgesehen werden. So kann insbesondere die tatsächliche Höhe von Geldbußen, die in einem bestimmten Fall verhängt werden müssen, die in dieser Verordnung festgesetzte Obergrenze oder die für sehr schwere Verstöße durch nationale Rechtsvorschriften festgesetzte höher liegende Obergrenze erreichen, während bei geringfügigen Verstößen oder im Fall einer Verständigung Geldbußen verhängt werden können, die weit unterhalb der Obergrenze liegen. Diese Verordnung schränkt nicht die Fähigkeit der Mitgliedstaaten ein, strengere verwaltungsrechtliche Sanktionen oder andere verwaltungsrechtliche Maßnahmen festzusetzen. (72) Obwohl es den Mitgliedstaaten vollkommen freisteht, für ein und dieselben Verstöße Vorschriften für verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Sanktionen festzulegen, sollten die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sein, für die Verstöße gegen diese Verordnung, die bereits mit Wirkung vom 3. Juli 2016 Gegenstand ihres Strafrechts sind, Vorschriften für verwaltungsrechtliche Sanktionen festzulegen. In Übereinstimmung mit dem nationalen Recht sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, für ein und dasselbe Vergehen sowohl verwaltungsrechtliche als auch strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, dies steht ihnen jedoch frei, wenn dies nach ihrem jeweiligen nationalen Recht zulässig ist. Die Aufrechterhaltung strafrechtlicher Sanktionen anstelle von verwaltungsrechtlichen Sanktionen für Verstöße gegen diese Verordnung oder gegen die Richtlinie 2014/57/EU sollte jedoch nicht die Möglichkeiten der zuständigen Behörden einschränken oder in anderer Weise beeinträchtigen, sich für die Zwecke dieser Verordnung rechtzeitig mit den zuständigen Behörden in anderen Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten und Zugang zu ihren Informationen zu erhalten und mit ihnen Informationen auszutauschen, und zwar auch dann, wenn die zuständigen Justizbehörden bereits mit der strafrechtlichen Verfolgung der betreffenden Verstöße befasst wurden.

durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. L 8 vom 12. 1. 2001, S. 1).

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4.11

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(73) Damit die Entscheidungen der zuständigen Behörden auf die allgemeine Öffentlichkeit abschreckend wirken, sollten sie im Normalfall veröffentlicht werden. Die Bekanntmachung von Entscheidungen ist auch ein wichtiges Instrument für die zuständigen Behörden zur Unterrichtung der Marktteilnehmer darüber, welches Verhalten als Verstoß gegen diese Verordnung betrachtet wird, sowie zur Förderung eines einwandfreien Verhaltens der Marktteilnehmern. Würde eine solche Bekanntmachung den beteiligten Personen einen unverhältnismäßig großen Schaden zufügen oder die Stabilität der Finanzmärkte oder eine laufende Untersuchung gefährden, sollte die zuständige Behörde die verwaltungsrechtlichen Sanktionen und anderen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen auf anonymer Basis in einer Weise veröffentlichen, die im Einklang mit dem nationalen Recht steht, oder aber die Bekanntmachung aufschieben. In Fällen, in denen die anonymisierte oder aufgeschobene Bekanntmachung von verwaltungsrechtlichen Sanktionen und anderen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen als unzureichend erachtet wird, sicherzustellen, dass die Stabilität der Finanzmärkte nicht gefährdet wird, sollten sich die zuständigen Behörden dafür entscheiden können, diese verwaltungsrechtlichen Sanktionen und anderen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen nicht zu veröffentlichen. Die zuständigen Behörden sollten ebenfalls nicht verpflichtet sein, Maßnahmen zu veröffentlichen, die als geringfügig erachtet werden und bei denen eine Veröffentlichung unverhältnismäßig wäre. (74) Informanten können den zuständigen Behörden neue Informationen zur Kenntnis bringen, die diese bei der Aufdeckung von Insidergeschäften und Marktmanipulation und der Verhängung von Sanktionen unterstützen. Bei Furcht vor Vergeltung oder beim Fehlen von Anreizen können Hinweise von Informanten jedoch unterbleiben. Die Meldung von Verstößen gegen diese Richtlinie ist erforderlich, damit die zuständigen Behörden Marktmissbrauch aufdecken und Sanktionen verhängen können. Maßnahmen in Bezug auf Mitteilungen von Informanten sind erforderlich, um die Aufdeckung von Marktmissbrauch zu erleichtern und den Schutz und die Einhaltung der Rechte des Informanten und der Person, gegen die sich die Vorwürfe richten, sicherzustellen. Deshalb sollte diese Verordnung sicherstellen, dass angemessene Vorkehrungen bestehen, um Informanten zur Unterrichtung der zuständigen Behörden über mögliche Verstöße gegen diese Verordnung zu befähigen und sie vor Vergeltungsmaßnahmen zu schützen. Die Mitgliedstaaten sollten finanzielle Anreize für Personen schaffen können, die relevante Informationen über potenzielle Verstöße gegen diese Verordnung liefern. Diese finanziellen Anreize sollten Informanten jedoch nur zugutekommen, wenn sie neue Informationen mitteilen, zu deren Meldung sie nicht ohnehin rechtsverpflichtet sind, und wenn diese Informationen zur Verhängung von Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung führen. Daneben sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ihre Regelungen in Bezug auf Mitteilungen Informanten Mechanismen und Verfahren umfassen, die den Personen, gegen die sich die Vorwürfe richten, angemessenen Schutz bieten, insbesondere im Hinblick auf das Recht auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten, das Recht auf Verteidigung und auf Anhörung vor dem Erlass sie betreffender Entscheidungen sowie gerichtliche Rechtsbehelfe gegen sie betreffende Entscheidungen. (75) Da die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2003/6/EG verabschiedet haben und da delegierte Rechtsakte, technische Regulierungsstandards und technische Durchführungsstandards in dieser Verordnung vorgesehen sind, die verabschiedet werden sollten, bevor der zur Einführung anstehende Rahmen sinnvoll angewandt werden kann, muss die Anwendung der materiellrechtlichen Bestimmungen dieser Verordnung für einen ausreichenden Zeitraum aufgeschoben werden.

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4.11

(76) Um einen reibungslosen Übergang zur Anwendung dieser Verordnung zu erleichtern, kann die Marktpraxis, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung bestand und von den zuständigen Behörden im Einklang mit der Richtlinie 2004/72/EG der Kommission14 für die Zwecke von Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 2003/6/EG anerkannt wurde, weiter angewandt werden, bis die zuständige Behörde einen Beschluss gemäß dieser Verordnung über ihre Weiterführung gefasst hat, sofern die Marktpraxis der ESMA innerhalb eines vorgeschriebenen Zeitraums notifiziert wird. (77) Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden „Charta“) anerkannt wurden. Diese Verordnung sollte daher im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen ausgelegt und angewandt werden. Insbesondere, wenn sich diese Verordnung auf Vorschriften, durch die die Pressefreiheit und die freie Meinungsäußerung in anderen Medien geregelt werden, und auf die Vorschriften oder Regeln bezieht, die für den Journalistenberuf gelten, sollten diese Freiheiten so berücksichtigt werden, wie sie in der Union und in den Mitgliedstaaten garantiert sind und wie sie in Artikel 11 der Charta und in anderen einschlägigen Bestimmungen anerkannt werden. (78) Um die Transparenz zu verbessern und besser über die Funktionsweise der Sanktionsregelungen zu informieren, sollten die zuständigen Behörden der ESMA jährlich anonymisierte und aggregierte Daten zur Verfügung stellen. Diese Daten sollten die Zahl von eröffneten Ermittlungen, die Zahl der anhängigen Fälle und die Zahl der im betreffenden Zeitraum abgeschlossenen Fälle enthalten. (79) Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die ESMA im Rahmen dieser Verordnung und unter der Aufsicht der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, insbesondere der von den Mitgliedstaaten benannten unabhängigen öffentlichen Stellen, unterliegt den Bestimmungen der Richtlinie 95/46/EG und der Verordnung (EG) Nr. 45/2001. Jeder Austausch und jede Übermittlung von Informationen durch die zuständigen Behörden sollte gemäß den Vorschriften für die Übermittlung personenbezogener Daten erfolgen, die in der Richtlinie 95/46/EG festgelegt sind. Jeder Austausch und jede Übermittlung von Informationen durch die ESMA sollte gemäß den Vorschriften für die Übermittlung personenbezogener Daten erfolgen, die in der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 festgelegt sind. (80) Diese Verordnung und die gemäß dieser Verordnung erlassenen delegierten Rechtsakte, Durchführungsrechtsakte technische Regulierungsstandards, technische Durchführungsstandards und Leitlinien berühren nicht die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften der Union. (81) Um die in dieser Verordnung enthaltenen Anforderungen genauer festzulegen, sollte der Kommission die Befugnis übertragen werden, gemäß Artikel 290 AEUV Rechtsakte hinsichtlich der Ausnahme bestimmter öffentlicher Stellen, Zentralbanken von Drittstaaten und bestimmter benannter öffentlicher Stellen von Drittstaaten, die ein Verknüpfungsabkommen mit der Union im Sinne von Artikel 25 der Richtlinie 2003/87/EG geschlossen haben, aus dem Geltungsbereich der Verordnung sowie in Bezug auf die Indikatoren für

14 Richtlinie 2004/72/EG der Kommission vom 29. April 2004 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates — Zulässige Marktpraktiken, Definition von Insider-Informationen in Bezug auf Warenderivate, Erstellung von Insider-Verzeichnissen, Meldung von Eigengeschäften und Meldung verdächtiger Transaktionen (ABl. L 126 vom 30. 4. 2004, S. 70).

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4.11

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manipulatives Handeln gemäß Anhang I dieser Verordnung, die Schwellenwerte für die Feststellung des Geltens der Offenlegungspflicht für Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate; die Umstände, unter denen der Handel während eines geschlossenen Zeitraums gestattet ist; und die Arten bestimmter meldepflichtiger Geschäfte, die von Personen vorgenommen werden, die Führungsaufgaben wahrnehmen, oder eng mit ihnen verbundener Personen. Insbesondere muss die Kommission bei ihren Vorarbeiten angemessene Konsultationen auch auf der Ebene von Sachverständigen durchführen. Die Kommission sollte bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte eine angemessene, zeitnahe und gleichzeitige Übermittlung einschlägiger Dokumente an das Europäische Parlament und den Rat gewährleisten. (82) Um einheitliche Bedingungen für die Durchführung dieser Verordnung in Bezug auf die Verfahren für die Meldung von Verstößen gegen diese Verordnung sicherzustellen, sollten der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen werden, um die Verfahren festzulegen, einschließlich der Regelungen für das Ergreifen von Folgemaßnahmen zu den Meldungen, von Maßnahmen zum Schutz von Personen, die im Rahmen eines Arbeitsvertrags tätig sind, und von Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten. Diese Befugnisse sollten im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates15 ausgeübt werden. (83) Durch technische Standards für Finanzdienstleistungen sollten in der gesamten Union einheitliche Bedingungen in den von dieser Verordnung erfassten Bereichen gewährleistet werden. Es wäre sinnvoll und zweckmäßig, die ESMA als ein über hochgradig spezialisierte Fachkenntnis verfügendes Gremium zu beauftragen, Entwürfe technischer Regulierungsstandards und Entwürfe technischer Durchführungsstandards, die nicht mit politischen Entscheidungen verbunden sind, auszuarbeiten und der Kommission vorzulegen. (84) Die Kommission sollte die von der ESMA in Bezug auf die Festlegung des Inhalts der Meldungen, die von den Betreibern von geregelten Märkten, multilateralen und organisierten Handelssystemen über die Finanzinstrumente, die zum Handel zugelassen sind, gehandelt werden oder für die eine Zulassung zum Handel auf ihrem Handelsplatz beantragt wurde, abzugeben sind, die Festlegung der Art und Weise und der Bedingungen der Zusammenstellung, Veröffentlichung und Pflege der Liste dieser Instrumente durch die ESMA, die Festlegung der Bedingungen, die Rückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen erfüllen müssen, einschließlich der Handelsbedingungen, Beschränkungen der Dauer und des Volumens, Bekanntgabe- und Meldepflichten sowie Kursbedingungen, in Bezug auf Systeme von Verfahren und Vorkehrungen für Handelsplätze zur Verhütung und Aufdeckung von Marktmissbrauch sowie Systeme und Vorlagen, die von Personen zur Aufdeckung und Meldung verdächtiger Aufträge und Geschäfte zu verwenden sind, in Bezug die Festlegung geeigneter Regelungen, Verfahren und Aufzeichnungsanforderungen für die Durchführung von Marktsondierungen und in Bezug auf die technischen Modalitäten für Personengruppen zur objektiven Darstellung von Informationen mit Empfehlungen von Anlagestrategien und zur Offenlegung bestimmter Interessen oder Interes-

15 Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. L 55 vom 28. 2. 2011, S. 13).

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4.11

senkonflikte mittels delegierter Rechtakte gemäß Artikel 290 AEUV und im Einklang mit den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates16 ausgearbeiteten Entwürfe technischer Regulierungsstandards erlassen. Insbesondere muss die Kommission bei ihren Vorarbeiten angemessene Konsultationen auch auf der Ebene von Sachverständigen durchführen. (85) Der Kommission sollte die Befugnis übertragen werden, technische Durchführungsstandards mittels Durchführungsrechtsakten gemäß Artikel 291 AEUV und nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zu erlassen. Die ESMA sollte beauftragt werden, Entwürfe technischer Durchführungsstandards für die öffentliche Bekanntgabe von Insiderinformationen, die Formate von Insiderlisten und die Formen und Verfahren der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs zwischen den zuständigen Behörden und mit der ESMA auszuarbeiten und der Kommission vorzulegen. (86) Da das Ziel dieser Verordnung, nämlich die Verhütung von Marktmissbrauch in Form von Insidergeschäften, unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden kann, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkung auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das für die Verwirklichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (87) Da die Bestimmungen der Richtlinie 2003/6/EG nicht mehr relevant oder ausreichend sind, sollte diese mit Wirkung vom 3. Juli 2016 aufgehoben werden. Die Anforderungen und Verbote dieser Verordnung sind direkt verbunden mit jenen der Richtlinie 2014/65/ EU und sollten daher ab dem Datum des Inkrafttretens jener Richtlinie in Kraft treten. (88) Zur ordnungsgemäßen Anwendung dieser Verordnung ist es erforderlich, dass die Mitgliedstaaten bis zum 3. Juli 2016 alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass ihr nationales Recht mit den Bestimmungen dieser Verordnung betreffend die zuständigen Behörden und deren Befugnisse, die Regelungen zu verwaltungsrechtlichen Sanktionen und anderen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen, die Meldung von Verstößen und die Veröffentlichung von Entscheidungen übereinstimmt. (89) Der Europäische Datenschutzbeauftragte hat seine Stellungnahme am 10. Februar 2012 vorgelegt 17 — HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Kapitel 1 – Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Gegenstand Mit dieser Verordnung wird ein gemeinsamer Rechtsrahmen für Insidergeschäfte, die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen

16 Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 12). 17 ABl. C 177 vom 20. 6. 2012, S. 1.

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4.11

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und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) sowie für Maßnahmen zur Verhinderung von Marktmissbrauch geschaffen, um die Integrität der Finanzmärkte in der Union sicherzustellen und den Anlegerschutz und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte zu stärken. Art. 2 Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung gilt für a) Finanzinstrumente, die zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind oder für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel auf einem geregelten Markt gestellt wurde; b) Finanzinstrumente, die in einem multilateralen Handelssystem gehandelt werden, zum Handel in einem multilateralen Handelssystem zugelassen sind oder für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel in einem multilateralen Handelssystem gestellt wurde; c) Finanzinstrumente, die in einem organisierten Handelssystem gehandelt werden; d) Finanzinstrumente, die nicht unter die Buchstaben a, b oder c fallen, deren Kurs oder Wert jedoch von dem Kurs oder Wert eines unter diesen Buchstaben genannten Finanzinstruments abhängt oder sich darauf auswirkt; sie umfassen Kreditausfall-Swaps oder Differenzkontrakte, sind jedoch nicht darauf beschränkt. Diese Verordnung gilt außerdem für Handlungen und Geschäfte, darunter Gebote, bezüglich Versteigerungen von Treibhausgasemissionszertifikaten und anderen darauf beruhenden Auktionsobjekten auf einer als geregelten Markt zugelassenen Versteigerungsplattform gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/ 2010, selbst wenn die versteigerten Produkte keine Finanzinstrumente sind. Sämtliche Vorschriften und Verbote dieser Verordnung in Bezug auf Handelsaufträge gelten unbeschadet etwaiger besonderer Bestimmungen zu den im Rahmen einer Versteigerung abgegebenen Geboten für diese Gebote. (2) Die Artikel 12 und 15 gelten auch für a) Waren-Spot-Kontrakte, die keine Energiegroßhandelsprodukte sind, bei denen die Transaktion, der Auftrag oder die Handlung eine Auswirkung auf den Kurs oder den Wert eines Finanzinstruments gemäß Absatz 1 hat, oder eine solche Auswirkung wahrscheinlich oder beabsichtigt ist; b) Arten von Finanzinstrumenten, darunter Derivatekontrakte und derivative Finanzinstrumente für die Übertragung von Kreditrisiken, bei denen das Geschäft, der Auftrag, das Gebot oder das Verhalten eine Auswirkung auf den Kurs oder Wert eines Waren-Spot-Kontrakts hat oder voraussichtlich haben wird, dessen Kurs oder Wert vom Kurs oder Wert dieser Finanzinstrumente abhängen, und c) Handlungen in Bezug auf Referenzwerte 1342

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4.11

(3) Diese Verordnung gilt für alle Geschäfte, Aufträge und Handlungen, die eines der in den Absätzen 1 und 2 genannten Finanzinstrumente betreffen, unabhängig davon, ob ein solches Geschäft, ein solcher Auftrag oder eine solche Handlung auf einem Handelsplatz getätigt wurden. (4) Die Verbote und Anforderungen dieser Verordnung gelten für Handlungen und Unterlassungen in der Union und in Drittländern in Bezug auf die in den Absätzen 1 und 2 genannten Instrumente. Art. 3 Begriffsbestimmungen (1) Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen: 1. „Finanzinstrument“ bezeichnet ein Finanzinstrument im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 15 der Richtlinie 2014/65/EU; 2. „Wertpapierfirma“ bezeichnet eine Wertpapierfirma im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 1 der Richtlinie 2014/65/EU; 3. „Kreditinstitut“ bezeichnet ein Kreditinstitut oder im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates18; 4. „Finanzinstitut“ bezeichnet ein Finanzinstitut im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 26 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013; 5. „Marktbetreiber“ bezeichnet einen Marktbetreiber im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 18 der Richtlinie 2014/65/EU; 6. „geregelter Markt“ bezeichnet einen geregelten Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 21 der Richtlinie 2014/65/EU; 7. „multilaterales Handelssystem“ bezeichnet ein multilaterales System in der Union im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 22 der Richtlinie 2014/65/ EU; 8. „organisiertes Handelssystem“ bezeichnet ein System oder eine Fazilität in der Union im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 23 der Richtlinie 2014/ 65/EU; 9. „zulässige Marktpraxis“ bezeichnet eine bestimmte Marktpraxis, die von einer zuständigen Behörde gemäß Artikel 13 anerkannt wurde; 10. „Handelsplatz“ bezeichnet einen Handelsplatz im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 24 der Richtlinie 2014/65/EU; 11. „KMU-Wachstumsmarkt“ bezeichnet einen KMU-Wachstumsmarkt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 12 der Richtlinie 2014/65/EU;

18 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 1).

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4.11

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12. „zuständige Behörde“ bezeichnet eine gemäß Artikel 22 benannte zuständige Behörde, sofern nicht in dieser Verordnung etwas anderes bestimmt ist; 13. „Person“ bezeichnet eine natürliche oder juristische Person; 14. „Ware“ bezeichnet eine Ware im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Verordnung (EG) Nr. 1287/2006 der Kommission19; 15. „Waren-Spot-Kontrakt“ bezeichnet einen Kontrakt über die Lieferung einer an einem Spotmarkt gehandelten Ware, die bei Abwicklung des Geschäfts unverzüglich geliefert wird, sowie einen Kontrakt über die Lieferung einer Ware, die kein Finanzinstrument ist, einschließlich physisch abzuwickelnde Terminkontrakte; 16. „Spotmarkt“ bezeichnet einen Warenmarkt, an dem Waren gegen bar verkauft und bei Abwicklung des Geschäfts unverzüglich geliefert werden, und andere Märkte, die keine Finanzmärkte sind, beispielsweise Warenterminmärkte; 17. „Rückkaufprogramm“ bezeichnet den Handel mit eigenen Aktien gemäß den Artikeln 21 bis 27 der Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates20; 18. „algorithmischer Handel“ bezeichnet den algorithmischen Handel mit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 39 der Richtlinie 2014/65/EU; 19. „Emissionszertifikat“ bezeichnet ein Emissionszertifikat im Sinne von Anhang I Abschnitt C Nummer 11 der Richtlinie 2014/65/EU; 20. „Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate“ bezeichnet eine Person, die Geschäfte einschließlich der Erteilung von Handelsaufträgen, mit Emissionszertifikaten und anderen darauf beruhenden Auktionsobjekten oder Derivaten betreibt, und die nicht unter die Ausnahme von Artikel 17 Absatz 2 Unterabsatz 2 fällt; 21. „Emittent“ bezeichnet eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts, die Finanzinstrumente emittiert oder deren Emission vorschlägt, wobei der Emittent im Fall von Hinterlegungsscheinen, die Finanzinstru-

19 Verordnung (EG) Nr. 1287/2006 der Kommission vom 10. August 2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufzeichnungspflichten für Wertpapierfirmen, die Meldung von Geschäften, die Markttransparenz, die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel und bestimmte Begriffe im Sinne dieser Richtlinie (ABl. L 241 vom 2. 9. 2006, S. 1). 20 Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 315 vom 14. 11. 2012, S. 74).

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22. 23.

24.

25.

26.

4.11

mente repräsentieren, der Emittent des repräsentierten Finanzinstruments ist; „Energiegroßhandelsprodukt“ bezeichnet ein Energiegroßhandelsprodukt im Sinne von Artikel 2 Nummer 4 der Verordnung (EU) Nr. 1227/2011; „nationale Regulierungsbehörde“ bezeichnet eine nationale Regulierungsbehörde im Sinne von Artikel 2 Nummer 10 der Verordnung (EU) Nr. 1227/ 2011; „Warenderivate“ bezeichnet Warenderivate im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 30 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates21; eine „Person, die Führungsaufgaben wahrnimmt“, bezeichnet eine Person innerhalb eines Emittenten, eines Teilnehmers am Markt für Emissionszertifikate oder eines anderen in Artikel 19 Absatz 10 genannten Unternehmens, a) die einem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan dieses Unternehmens angehört oder b) die als höhere Führungskraft zwar keinem der unter Buchstabe a genannten Organe angehört, aber regelmäßig Zugang zu Insiderinformationen mit direktem oder indirektem Bezug zu diesem Unternehmen hat und befugt ist, unternehmerische Entscheidungen über zukünftige Entwicklungen und Geschäftsperspektiven dieses Unternehmens zu treffen; „eng verbundene Person“ bezeichnet a) den Ehepartner oder einen Partner dieser Person, der nach nationalem Recht einem Ehepartner gleichgestellt ist; b) ein unterhaltsberechtigtes Kind entsprechend dem nationalen Recht; c) einen Verwandten, der zum Zeitpunkt der Tätigung des betreffenden Geschäfts seit mindestens einem Jahr demselben Haushalt angehört oder d) eine juristische Person, Treuhand oder Personengesellschaft, deren Führungsaufgaben durch eine Person, die Führungsaufgaben wahrnimmt, oder durch eine in den Buchstaben a, b oder c genannte Person wahrgenommen werden, oder die direkt oder indirekt von einer solchen Person kontrolliert wird, oder die zugunsten einer solchen Person gegründet wurde oder deren wirtschaftliche Interessen weitgehend denen einer solchen Person entsprechen;

21 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (siehe Seite 84 dieses Amtsblatts).

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4.11

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27. „Datenverkehrsaufzeichnungen“ bezeichnet die Aufzeichnungen von Verkehrsdaten im Sinne von Artikel 2 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates22; 28. „Person, die beruflich Geschäfte vermittelt oder ausführt“ bezeichnet eine Person, die beruflich mit der Entgegennahme und Übermittlung von Aufträgen oder der Ausführung von Geschäften mit Finanzinstrumenten befasst ist; 29. „Referenzwert“ bezeichnet einen Kurs, Index oder Wert, der der Öffentlichkeit zugänglich gemacht oder veröffentlicht wird und periodisch oder regelmäßig durch die Anwendung einer Formel auf den Wert eines oder mehrerer Basiswerte oder -preise, einschließlich geschätzter Preise, tatsächlicher oder geschätzter Zinssätze oder sonstiger Werte, oder auf Erhebungsdaten ermittelt bzw. auf der Grundlage dieser Werte bestimmt wird und auf den bei der Festsetzung des für ein Finanzinstrument zu entrichtenden Betrags oder des Wertes eines Finanzinstruments Bezug genommen wird; 30. „Market-Maker“ bezeichnet einen Market-Maker im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 7 der Richtlinie 2014/65/EU; 31. „Beteiligungsaufbau“ bezeichnet den Erwerb von Anteilen an einem Unternehmen, durch den keine rechtliche oder regulatorische Verpflichtung entsteht, in Bezug auf das Unternehmen ein öffentliches Übernahmeangebot abzugeben; 32. „offenlegender Marktteilnehmer“ bezeichnet eine natürliche oder juristische Person, die zu einer der Kategorien gemäß Artikel 11 Absatz 1 Buchstaben a bis d sowie Artikel 11 Absatz 2 gehört und im Zuge einer Marktsondierung Informationen offenlegt; 33. „Hochfrequenzhandel“ bezeichnet die Methode des algorithmischen Hochfrequenzhandels im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 40 der Richtlinie 2014/65/EU; 34. „Empfehlung oder Vorschlag einer Anlagestrategie“ bezeichnet i) eine von einem unabhängigen Analysten, einer Wertpapierfirma, einem Kreditinstitut oder einer sonstigen Person, deren Haupttätigkeit in der Erstellung von Anlageempfehlungen besteht, oder einer bei den genannten Einrichtungen im Rahmen eines Arbeitsvertrags oder anderweitig tätigen natürlichen Person erstellte Information, die direkt oder

22 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. L 201 vom 31. 7. 2002, S. 37).

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4.11

indirekt einen bestimmten Anlagevorschlag zu einem Finanzinstrument oder einem Emittenten darstellt; ii) eine von anderen als den in Ziffer i genannten Personen erstellte Information, die direkt eine bestimmte Anlageentscheidung zu einem Finanzinstrument vorschlägt; 35. „Anlageempfehlungen“ bezeichnet Informationen mit expliziten oder impliziten Empfehlungen oder Vorschlägen zu Anlagestrategien in Bezug auf ein oder mehrere Finanzinstrumente oder Emittenten, die für Verbreitungskanäle oder die Öffentlichkeit vorgesehen sind, einschließlich einer Beurteilung des aktuellen oder künftigen Wertes oder Kurses solcher Instrumente. (2) Für die Anwendung des Artikels 5 gelten folgende Begriffsbestimmungen a) „Wertpapiere“ bezeichnet: i) Aktien und andere Wertpapiere, die Aktien entsprechen; ii) Schuldverschreibungen und sonstige verbriefte Schuldtitel oder iii) verbriefte Schuldtitel, die in Aktien oder andere Wertpapiere, die Aktien entsprechen, umgewandelt bzw. gegen diese eingetauscht werden können. b) „verbundene Instrumente“ bezeichnet die nachstehend genannten Finanzinstrumente selbst wenn sie nicht zum Handel auf einem Handelsplatz zugelassen sind, gehandelt werden oder für sie kein Antrag auf Zulassung zum Handel auf einem solchen Handelsplatz gestellt wurde: i) Verträge über bzw. Rechte auf Zeichnung, Kauf oder Verkauf von Wertpapieren, ii) Finanzderivate auf Wertpapiere, iii) bei wandel- oder austauschbaren Schuldtiteln die Wertpapiere, in die diese wandel- oder austauschbaren Titel umgewandelt bzw. gegen die sie eingetauscht werden können, iv) Instrumente, die vom Emittenten oder Garantiegeber der Wertpapiere ausgegeben werden bzw. besichert sind und deren Marktkurs den Kurs der Wertpapiere erheblich beeinflussen könnte oder umgekehrt, v) in Fällen, in denen die Wertpapiere Aktien entsprechen, die von diesen vertretenen Aktien bzw. die von diesen vertretenen anderen Wertpapiere, die Aktien entsprechen; c) „signifikantes Zeichnungsangebot“ bezeichnet eine Erst- oder Zweitplatzierung von Wertpapieren, die sich sowohl hinsichtlich des Werts der angebotenen Wertpapiere als auch hinsichtlich der Verkaufsmethoden vom üblichen Handel unterscheidet; d) „Kursstabilisierung“ ist jeder Kauf bzw. jedes Angebot zum Kauf von Wertpapieren oder eine Transaktion mit vergleichbaren verbundenen Instrumenten, die ein Kreditinstitut oder eine Wertpapierfirma im Rahmen eines 1347

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signifikanten Zeichnungsangebots für diese Wertpapiere mit dem alleinigen Ziel tätigen, den Marktkurs dieser Wertpapiere für einen im Voraus bestimmten Zeitraum zu stützen, wenn auf diese Wertpapiere Verkaufsdruck besteht. Art. 4 Meldungen und Liste der Finanzinstrumente (1) Die Betreiber von geregelten Märkten sowie Wertpapierfirmen und Betreiber eines multilateralen oder organisierten Handelssystems melden der zuständigen Behörde des Handelsplatzes unverzüglich jedes Finanzinstrument, für das ein Antrag auf Zulassung zum Handel auf ihrem Handelsplatz gestellt wird, zum Handel zugelassen wird oder erstmalig gehandelt worden ist. Sie informieren auch die zuständige Behörde des Handelsplatzes, wenn ein Finanzinstrument nicht mehr gehandelt wird oder seine Zulassung zum Handel erlischt, außer wenn das Datum, von dem an das betreffende Finanzinstrument nicht mehr gehandelt wird oder mit dem seine Zulassung zum Handel erlischt, bekannt ist und in der Meldung gemäß Unterabsatz 1 genannt wurde. Die in diesem Absatz genannten Meldungen enthalten gegebenenfalls die Bezeichnungen und Kennung der betreffenden Finanzinstrumente sowie Datum und Uhrzeit des Antrags auf Zulassung zum Handel, Datum und Uhrzeit der Zulassung zum Handel sowie Datum und Uhrzeit des ersten Handelsabschlusses. Die Marktbetreiber und die Wertpapierfirmen übermitteln der zuständigen Behörde des Handelsplatzes außerdem die in Unterabsatz 3 festgelegten Informationen zu den Finanzinstrumenten, für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel auf ihrem Handelsplatz gestellt wurde bzw. die vor dem 2. Juli 2014 auf ihrem Handelsplatz zum Handel zugelassen waren und die an diesem Tag immer noch zum Handel zugelassen waren oder gehandelt haben. (2) Die zuständigen Behörden des Handelsplatzes leiten die Meldungen, die sie gemäß Absatz 1 erhalten, unverzüglich an die ESMA weiter. Die ESMA veröffentlicht diese Meldungen sofort nach Erhalt in Form einer Liste auf ihrer Website. Die ESMA aktualisiert diese Liste unverzüglich bei Eingang einer Meldung von einer zuständigen Behörde des Handelsplatzes. Durch die Liste wird der Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht eingeschränkt. (3) Die Liste enthält folgende Informationen: a) die Bezeichnungen und Kennung der Finanzinstrumente, für die die Zulassung zum Handel auf geregelten Märkten, multilateralen und organisierten Handelssystemen beantragt wurde, die dort zum Handel zugelassen wurden oder dort erstmalig gehandelt wurden; b) Datum und Uhrzeit der Beantragung der Zulassung zum Handel, der Erteilung der Zulassung oder des erstmaligen Handels; 1348

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c) ausführliche Informationen zu den Handelsplätzen, auf denen die Zulassung zum Handel für die Finanzinstrumente beantragt wurde, auf denen sie zum Handel zugelassen wurden oder auf denen sie erstmalig gehandelt wurden, und d) Datum und Uhrzeit, zu dem/der der Handel mit dem Finanzinstrument eingestellt wird bzw. zu dem/der seine Zulassung zum Handel erlischt. (4) Zur Sicherstellung der durchgehenden Harmonisierung dieses Artikels arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, um Folgendes festzulegen: a) den Inhalt der Meldungen gemäß Absatz 1 und b) die Art und Weise und die Bedingungen der Zusammenstellung, Veröffentlichung und Pflege der in Absatz 3 genannten Liste. Die ESMA übermittelt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 dieses Absatzes genannten technischen Regulierungsstandards nach Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates23 zu erlassen. (5) Zur Sicherstellung der durchgehenden Harmonisierung dieses Artikels arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards aus, um den Zeitplan, das Format und Muster für die Übermittlung der Meldungen gemäß den Absätzen 1 und 2 festzulegen. Die ESMA übermittelt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 5 Ausnahmen für Rückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen (1) Die in den Artikeln 14 und 15 dieser Verordnung festgeschriebenen Verbote gelten nicht für den Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen, wenn a) die Einzelheiten des Programms vor dem Beginn des Handels vollständig offengelegt werden,

23 Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15. 12. 2010, S. 84).

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b) Abschlüsse der zuständigen Behörde des Handelsplatzes gemäß Absatz 3 als Teil des Rückkaufprogramms gemeldet und anschließend öffentlich bekanntgegeben werden, c) in Bezug auf Kurs und Volumen angemessene Grenzen eingehalten werden und d) er im Einklang mit den in Absatz 2 genannten Zielen und den in dem vorliegenden Artikel festgelegten Bedingungen und den in Absatz 6 genannten technischen Regulierungsstandards durchgeführt wird. (2) Um in den Genuss der in Absatz 1 vorgesehenen Ausnahme zu gelangen, muss ein Rückkaufprogramm als seinen einzigen Zweck haben: a) das Kapital eines Emittenten zu reduzieren, b) die aus einem Schuldtitel entstehenden Verpflichtungen zu erfüllen, die in Beteiligungskapital umgewandelt werden können, oder c) die aus einem Belegschaftsaktienprogramm oder anderen Formen der Zuteilung von Aktien an Mitarbeiter oder Angehörige der Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane des Emittenten oder einem verbundenen Unternehmen entstehenden Verpflichtungen zu erfüllen. (3) Um in den Genuss der in Absatz 1 vorgesehenen Ausnahme zu gelangen, muss der Emittent der für den Handelsplatz, auf dem seine Aktien zum Handel zugelassen wurden bzw. gehandelt werden, zuständigen Behörde des Handelsplatzes jedes mit Rückkaufprogrammen zusammenhängender Geschäft, einschließlich der in Artikel 25 Absätze 1 und 2 und Artikel 26 Absätze 1, 2 und 3 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 genannten Informationen, melden. (4) Die in den Artikeln 14 und 15 dieser Verordnung festgeschriebenen Verbote gelten nicht für den Handel mit Wertpapieren oder verbundenen Instrumenten zur Stabilisierung des Kurses von Wertpapieren, wenn a) die Dauer der Stabilisierungsmaßnahme begrenzt ist, b) relevante Informationen zur Stabilisierung offengelegt und der zuständigen Behörde des Handelsplatzes gemäß Absatz 5 gemeldet werden, c) in Bezug auf den Kurs angemessene Grenzen eingehalten werden und d) ein solcher Handel den Bedingungen für die Stabilisierung gemäß den technischen Regulierungsstandards gemäß Absatz 6 entspricht. (5) Unbeschadet des Artikels 23 Absatz 1 teilen Emittenten, Bieter oder Unternehmen, die die Stabilisierungsmaßnahme durchführen, unabhängig davon, ob sie im Namen Ersterer handeln oder nicht, der zuständigen Behörde des Handelsplatzes spätestens am Ende des siebten Handelstags nach dem Tag der Ausführung dieser Maßnahmen die Einzelheiten sämtlicher Stabilisierungsmaßnahmen mit. (6) Zur durchgängigen Harmonisierung dieses Artikels arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, in denen die bei den Rück1350

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kaufprogrammen und Stabilisierungsmaßnahmen nach Absatz 1 und 4 einzuhaltenden Bedingungen präzisiert werden, darunter Handelsbedingungen, Beschränkungen der Dauer und des Volumens, Bekanntgabe- und Meldepflichten sowie Kursbedingungen. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards nach Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 6 Ausnahme für Maßnahmen im Rahmen der Geldpolitik, der Staatsschuldenverwaltung und der Klimapolitik (1) Diese Verordnung gilt nicht für Geschäfte, Aufträge oder Handlungen, die aus geld- oder wechselkurspolitischen Gründen oder im Rahmen der Staatsschuldenverwaltung von a) einem Mitgliedstaat, b) den Mitgliedern des Europäischen Systems der Zentralbanken, c) einem Ministerium, einer anderen Einrichtung oder Zweckgesellschaft eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder einer in deren Auftrag handelnden Person sowie — d) im Fall eines Mitgliedstaats mit der Form eines Bundesstaats — von einem Mitglied des Bundes getätigt werden. (2) Diese Verordnung gilt nicht für solche Geschäfte, Aufträge oder Handlungen, die von der Kommission, einer anderen offiziell benannten Stelle oder einer anderen Person, die in deren Auftrag handelt, im Rahmen der Staatsschuldenverwaltung getätigt werden. Diese Verordnung gilt nicht für Geschäfte, Aufträge oder Handlungen, die getätigt werden a) von der Union, b) einer Zweckgesellschaft eines oder mehrerer Mitgliedstaaten, c) der Europäischen Investitionsbank, d) der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, e) dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, f) einem internationalen Finanzinstitut, das zwei oder mehrere Mitgliedstaaten zu dem Zweck errichtet haben, Mittel zu mobilisieren und diejenigen seiner Mitglieder, die von schwerwiegenden Finanzierungsproblemen betroffen oder bedroht sind, finanziell zu unterstützen. (3) Diese Verordnung gilt nicht für Tätigkeiten eines Mitgliedstaats, der Kommission oder einer anderen offiziell benannten Stelle oder einer in deren Auftrag handelnden Person, die Emissionszertifikate betreffen und im Rahmen der Klimapolitik der Union im Einklang mit der Richtlinie 2003/87/EG unternommen werden. 1351

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(4) Diese Verordnung gilt nicht für Tätigkeiten eines Mitgliedstaats, der Kommission oder einer anderen offiziell benannten Stelle oder einer in deren Auftrag handelnden Person, die zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik der Union oder der Gemeinsamen Fischereipolitik der Union im Einklang mit angenommenen Rechtsakten oder gemäß dem AEUV geschlossenen internationalen Übereinkünften ausgeführt werden. (5) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 35 zu erlassen, um die in Ausnahme nach Absatz 1 auf bestimmte öffentliche Stellen und die Zentralbanken von Drittstaaten auszuweiten. Dazu erstellt die Kommission bis zum 3. Januar 2016 einen Bericht, in dem beurteilt wird, wie öffentliche Einrichtungen, die für die Staatsschuldenverwaltung zuständig oder daran beteiligt sind, und die Zentralbanken von Drittstaaten international behandelt werden, und legt ihn dem Europäischen Parlament und dem Rat vor. Der Bericht enthält eine vergleichende Untersuchung der Behandlung dieser Stellen und Zentralbanken im Rechtsrahmen von Drittstaaten sowie die Risikomanagementstandards, die für die von diesen Stellen und den Zentralbanken in diesen Rechtsordnungen getätigten Geschäfte gelten. Wenn das Fazit dieses Berichts — vor allem angesichts der vergleichenden Untersuchung — lautet, dass es erforderlich ist, die Zentralbanken dieser Drittstaaten im Hinblick auf ihre währungspolitischen Verpflichtungen von den in dieser Verordnung festgelegten Verpflichtungen und Verboten auszunehmen, weitet die Kommission die Ausnahme nach Absatz 1 auch auf die Zentralbanken dieser Drittstaaten aus. (6) Der Kommission wird auch die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 35 delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die Ausnahmen gemäß Absatz 3 auf bestimmte benannte öffentliche Stellen von Drittstaaten auszuweiten, die ein Abkommen mit der Union im Sinne von Artikel 25 der Richtlinie 2003/87/EG geschlossen haben. (7) Dieser Artikel gilt nicht für Personen, die im Rahmen eines Arbeitsvertrags oder anderweitig für die in diesem Artikel genannten Unternehmen tätig sind, wenn diese Personen unmittelbar oder mittelbar, für eigene Rechnung Geschäfte, Aufträge oder Handlungen tätigen.

Kapitel 2 – Insiderinformationen, Insidergeschäfte, Unrechtmässige Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation Art. 7 Insiderinformationen (1) Für die Zwecke dieser Verordnung umfasst der Begriff „Insiderinformationen“ folgende Arten von Informationen: 1352

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a) nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen; b) in Bezug auf Warenderivate nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt ein oder mehrere Derivate dieser Art oder direkt damit verbundene Waren-Spot-Kontrakte betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Derivate oder damit verbundener Waren-Spot-Kontrakte erheblich zu beeinflussen, und bei denen es sich um solche Informationen handelt, die nach Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, Handelsregeln, Verträgen, Praktiken oder Regeln auf dem betreffenden Warenderivate- oder Spotmarkt offengelegt werden müssen bzw. deren Offenlegung nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann; c) in Bezug auf Emissionszertifikate oder darauf beruhende Auktionsobjekte nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt ein oder mehrere Finanzinstrumente dieser Art betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen; d) für Personen, die mit der Ausführung von Aufträgen in Bezug auf Finanzinstrumente beauftragt sind, bezeichnet der Begriff auch Informationen, die von einem Kunden mitgeteilt wurden und sich auf die noch nicht ausgeführten Aufträge des Kunden in Bezug auf Finanzinstrumente beziehen, die präzise sind, direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente, damit verbundener Waren-Spot-Kontrakte oder zugehöriger derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 sind Informationen dann als präzise anzusehen, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits gegeben sind oder bei denen man vernünftigerweise erwarten kann, dass sie in Zukunft gegeben sein werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder von den vernünftigerweise erwarten kann, dass es in Zukunft eintreten wird, und diese Informationen darüber hinaus spezifisch genug sind, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse der Finanzinstrumente oder des damit verbundenen derivativen Finanzinstruments, der damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakte oder der auf den Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekte zuzulassen. So können 1353

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im Fall eines zeitlich gestreckten Vorgangs, der einen bestimmten Umstand oder ein bestimmtes Ereignis herbeiführen soll oder hervorbringt, dieser betreffende zukünftige Umstand bzw. das betreffende zukünftige Ereignis und auch die Zwischenschritte in diesem Vorgang, die mit der Herbeiführung oder Hervorbringung dieses zukünftigen Umstandes oder Ereignisses verbunden sind, in dieser Hinsicht als präzise Information betrachtet werden. (3) Ein Zwischenschritt in einem gestreckten Vorgang wird als eine Insiderinformation betrachtet, falls er für sich genommen die Kriterien für Insiderinformationen gemäß diesem Artikel erfüllt. (4) Für die Zwecke des Absatzes 1 ist sind unter „Informationen, die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs von Finanzinstrumenten, derivativen Finanzinstrumenten, damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakten oder auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekten spürbar zu beeinflussen“ Informationen zu verstehen, die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen würde. Im Fall von Teilnehmern am Markt für Emissionszertifikate mit aggregierten Emissionen oder einer thermischen Nennleistung in Höhe oder unterhalb des gemäß Artikel 17 Absatz 2 Unterabsatz 2 festgelegten Schwellenwerts wird von den Informationen über die physischen Aktivitäten dieser Teilnehmer angenommen, dass sie keine erheblichen Auswirkungen auf die Preise der Emissionszertifikate und der auf diesen beruhenden Auktionsobjekte oder auf damit verbundene Finanzinstrumente haben. (5) Die ESMA gibt Leitlinien für die Erstellung einer nicht erschöpfenden indikativen Liste von Informationen gemäß Absatz 1 Buchstabe b heraus, deren Offenlegung nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann oder die nach Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Unionsrechts oder des nationalen Rechts, Handelsregeln, Verträgen, Praktiken oder Regeln auf den in Absatz 1 Buchstabe b genannten betreffenden Warenderivate- oder Spotmärkten offengelegt werden müssen. Die ESMA trägt den Besonderheiten dieser Märkte gebührend Rechnung. Art. 8 Insidergeschäfte (1) Für die Zwecke dieser Verordnung liegt ein Insidergeschäft vor, wenn eine Person über Insiderinformationen verfügt und unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert. Die Nutzung von Insiderinformationen in Form der Stornierung oder Änderung eines Auftrags in Bezug auf ein Finanzinstrument, auf das sich die Informationen beziehen, gilt auch als Insidergeschäft, wenn der Auftrag vor Erlangen der Insiderinformationen erteilt wurde. In Bezug auf Versteigerungen von Emissionszertifikaten oder anderen darauf beruhenden Auktionsobjekten, 1354

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die gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 gehalten werden, schließt die Nutzung von Insiderinformationen auch die Übermittlung, Änderung oder Zurücknahme eines Gebots durch eine Person für eigene Rechnung oder für Rechnung eines Dritten ein. (2) Für die Zwecke dieser Verordnung liegt eine Empfehlung zum Tätigen von Insidergeschäften oder die Verleitung Dritter hierzu vor, wenn eine Person über Insiderinformationen verfügt und a) auf der Grundlage dieser Informationen Dritten empfiehlt, Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, zu erwerben oder zu veräußern, oder sie dazu verleitet, einen solchen Erwerb oder eine solche Veräußerung vorzunehmen, oder b) auf der Grundlage dieser Informationen Dritten empfiehlt, einen Auftrag, der ein Finanzinstrument betrifft, auf das sich die Informationen beziehen, zu stornieren oder zu ändern, oder sie dazu verleitet, eine solche Stornierung oder Änderung vorzunehmen. (3) Die Nutzung von Empfehlungen oder Verleitungen gemäß Absatz 2 erfüllt den Tatbestand des Insidergeschäfts im Sinne dieses Artikels, wenn die Person, die die Empfehlung nutzt oder der Verleitung folgt, weiß oder wissen sollte, dass diese auf Insiderinformationen beruht. (4) Dieser Artikel gilt für jede Person, die über Insiderinformationen verfügt, weil sie a) dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan des Emittenten oder des Teilnehmers am Markt für Emissionszertifikate angehört; b) am Kapital des Emittenten oder des Teilnehmers am Markt für Emissionszertifikate beteiligt ist; c) aufgrund der Ausübung einer Arbeit oder eines Berufs oder der Erfüllung von Aufgaben Zugang zu den betreffenden Informationen hat oder d) an kriminellen Handlungen beteiligt ist. Dieser Artikel gilt auch für jede Person, die Insiderinformationen unter anderen Umständen als nach Unterabsatz 1 besitzt und weiß oder wissen müsste, dass es sich dabei um Insiderinformationen handelt. (5) Handelt es sich bei der in diesem Artikel genannten Person um eine juristische Person, so gilt dieser Artikel nach Maßgabe des nationalen Rechts auch für die natürlichen Personen, die an dem Beschluss, den Erwerb, die Veräußerung, die Stornierung oder Änderung eines Auftrags für Rechnung der betreffenden juristischen Person zu tätigen, beteiligt sind oder diesen beeinflussen. Art. 9 Legitime Handlungen (1) Für die Zwecke der Artikel 8 und 14 wird aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine juristische Person im Besitz von Insiderinformationen ist oder war, nicht angenommen, dass sie diese Informationen ge1355

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nutzt und daher auf der Grundlage eines Erwerbs oder einer Veräußerung Insidergeschäfte getätigt hat, wenn diese juristische Person a) zuvor angemessene und wirksame interne Regelungen und Verfahren eingeführt, umgesetzt und aufrechterhalten hat, durch die wirksam sichergestellt wird, dass weder die natürliche Person, die in ihrem Auftrag den Beschluss gefasst hat, Finanzinstrumente zu erwerben oder zu veräußern, auf die sich die Informationen beziehen, noch irgendeine andere natürliche Person, die diesen Beschluss in irgendeiner Weise beeinflusst haben könnte, im Besitz der Insiderinformationen gewesen ist, und b) die natürliche Person, die im Auftrag der juristischen Person Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, erworben oder veräußert hat, nicht auffordert, ihr keine Empfehlungen gegeben, sie nicht angestiftet oder anderweitig beeinflusst hat. (2) Für die Zwecke der Artikel 8 und 14 wird aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine Person im Besitz von Insiderinformationen ist, nicht angenommen, dass sie diese Informationen genutzt und daher auf der Grundlage eines Erwerbs oder einer Veräußerung Insidergeschäfte getätigt hat, wenn diese Person a) ein Market-Maker für die Finanzinstrumente ist, auf die sich diese Informationen beziehen, oder eine Person, die als Gegenpartei für die Finanzinstrumente zugelassen ist, auf die sich diese Informationen beziehen, und wenn der Erwerb oder die Veräußerung von Finanzinstrumenten, auf die sich diese Informationen beziehen, rechtmäßig im Zuge der normalen Ausübung ihrer Funktion als Market-Maker oder Gegenpartei für das betreffende Finanzinstrument erfolgt, oder b) wenn diese Person zur Ausführung von Aufträgen für Dritte zugelassen ist und der Erwerb oder die Veräußerung von Finanzinstrumenten, auf die sich der Auftrag bezieht, dazu dient, einen solchen Auftrag rechtmäßig im Zuge der normalen Ausübung der Beschäftigung des Berufs oder der Aufgaben dieser Person auszuführen. (3) Für die Zwecke der Artikel 8 und 14 wird aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine Person im Besitz von Insiderinformationen ist, nicht angenommen, dass sie diese Informationen genutzt und daher auf der Grundlage eines Erwerbs oder einer Veräußerung Insidergeschäfte getätigt hat, wenn diese Person ein Geschäft zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten tätigt, das, in gutem Glauben und nicht zur Umgehung des Verbots von Insidergeschäften, durchgeführt wird, um einer fällig gewordenen Verpflichtung nachzukommen, und wenn a) die betreffende Verpflichtung auf der Erteilung eines Auftrags oder dem Abschluss einer Vereinbarung aus der Zeit vor dem Erhalt der Insiderinformationen beruht oder 1356

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b) das Geschäft der Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung oder Regulierungsauflage dient, die vor dem Erhalt der Insiderinformationen entstanden ist. (4) Für die Zwecke des Artikels 8 und 14 wird aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine Person Insiderinformationen besitzt, nicht angenommen, dass sie diese Informationen genutzt und daher Insidergeschäfte getätigt hat, wenn sie diese Insiderinformation im Zuge der Übernahme eines Unternehmens oder eines Unternehmenszusammenschlusses auf der Grundlage eines öffentlichen Angebots erworben hat und diese Insiderinformationen ausschließlich nutzt, um den Unternehmenszusammenschluss oder die Übernahme auf der Grundlage eines öffentlichen Angebots weiterzuführen, unter der Voraussetzung, dass zum Zeitpunkt der Genehmigung des Unternehmenszusammenschlusses oder der Annahme des Angebotes durch die Anteilseigner des betreffenden Unternehmens sämtliche Insiderinformationen öffentlich gemacht worden sind oder auf andere Weise ihren Charakter als Insiderinformationen verloren haben. Dieser Absatz gilt nicht für den Beteiligungsaufbau. (5) Für die Zwecke der Artikel 8 und 14 stellt die bloße Tatsache, dass eine Person ihr Wissen darüber, dass sie beschlossen hat, Finanzinstrumente zu erwerben oder zu veräußern, beim Erwerb oder der Veräußerung dieser Finanzinstrumente nutzt, an sich noch keine Nutzung von Insiderinformationen dar. (6) Unbeschadet der Absätze 1 bis 5 des vorliegenden Artikels kann es als Verstoß gegen das Verbot von Insidergeschäften gemäß Artikel 14 betrachtet werden, wenn die zuständige Behörde feststellt, dass sich hinter den betreffenden Handelsaufträgen, Geschäften oder Handlungen ein rechtswidriger Grund verbirgt. Art. 10 Unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen (1) Für die Zwecke dieser Verordnung liegt eine unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen vor, wenn eine Person, die über Insiderinformationen verfügt und diese Informationen gegenüber einer anderen Person offenlegt, es sei denn, die Offenlegung geschieht im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben. Dieser Absatz gilt für alle natürlichen oder juristischen Personen in den Situationen oder unter den Umständen gemäß Artikel 8 Absatz 4. (2) Für die Zwecke dieser Verordnung gilt die Weitergabe von Empfehlungen oder das Verleiten anderer, nachdem man selbst verleitet wurde, gemäß Artikel 8 Absatz 2 als unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen gemäß diesem Artikel, wenn die Person, die die Empfehlung weitergibt oder andere verleitet, nachdem sie selbst verleitet wurde, weiß oder wissen sollte, dass die Empfehlung bzw. Verleitung auf Insiderinformationen beruht. 1357

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Art. 11 Marktsondierungen (1) Eine Marktsondierung besteht in der Übermittlung von Informationen vor der Ankündigung eines Geschäfts an einen oder mehrere potenzielle Anleger, um das Interesse von potenziellen Anlegern an einem möglichen Geschäft und dessen Bedingungen wie seinem Umfang und seiner preislichen Gestaltung abzuschätzen durch a) den Emittenten; b) einen Zweitanbieter eines Finanzinstruments, der das betreffende Finanzinstrument in einer Menge oder mit einem Wert anbietet, aufgrund derer bzw. dessen sich das Geschäft vom üblichen Handel unterscheidet, wobei es außerdem auf einer Verkaufsmethode beruht, die auf der Vorabbewertung des potenziellen Interesses möglicher Anleger beruht; c) einen Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate oder d) einen Dritten, der im Auftrag oder für Rechnung einer der unter Buchstabe a, b oder c genannten Personen agiert. (2) Unbeschadet des Artikels 23 Absatz 3 stellt auch die Offenlegung von Insiderinformationen durch eine Person, die beabsichtigt, ein Übernahmeangebot für die Anteile eines Unternehmens oder für einen Unternehmenszusammenschluss an Dritte zu richten, die Anspruch auf die Anteile des Unternehmens haben, einem Marktsondierung dar, wenn a) die Informationen erforderlich sind, um den Dritten, die Anspruch auf die Unternehmensanteile haben, zu ermöglichen, sich über ihre Bereitschaft, ihre Unternehmensanteile anzubieten, eine Meinung zu bilden, und b) die Bereitschaft der Dritten, die Anspruch auf die Unternehmensanteile haben, ihre Unternehmensanteile anzubieten, nach vernünftigem Ermessen für den Beschluss, das Angebot für die Übernahme oder den Unternehmenszusammenschluss abzugeben, erforderlich ist. (3) Ein offenlegender Marktteilnehmer berücksichtigt vor der Durchführung einer Marktsondierung insbesondere, ob die Marktsondierung die Offenlegung von Insiderinformationen umfasst. Der offenlegende Marktteilnehmer führt schriftliche Aufzeichnungen über seine Schlussfolgerung und über ihre Gründe. Er legt diese schriftlichen Aufzeichnungen der zuständigen Behörde auf deren Ersuchen hin vor. Dieser Verpflichtung gilt für jede Offenlegung von Informationen im Verlauf der Marktsondierung. Der offenlegende Marktteilnehmer aktualisiert die schriftlichen Aufzeichnungen gemäß diesem Absatz entsprechend. (4) Für die Zwecke des Artikels 10 Absatz 1 wird eine Offenlegung von Insiderinformationen, die im Verlauf einer Marktsondierung vorgenommen wurde, so betrachtet, dass sie im Zuge der normalen Ausübung der Beschäftigung oder des Berufs oder der normalen Erfüllung der Aufgaben einer Person vorgenommen wurde, wenn der offenlegende Marktteilnehmer die Verpflichtungen gemäß den Absätzen 3 und 5 dieses Artikels erfüllt. 1358

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(5) Für die Zwecke des Absatzes 4 muss der offenlegende Marktteilnehmer vor der Offenlegung: a) die Zustimmung der Person einholen, die die Marktsondierung erhält, dass sie Insiderinformationen erhält; b) die Person, die die Marktsondierung erhält, davon in Kenntnis setzen, dass ihr die Nutzung und der Versuch der Nutzung dieser Informationen in Form des Erwerbs oder der Veräußerung von Finanzinstrumenten, auf die sich diese Informationen beziehen, ob direkt oder indirekt, für eigene Rechnung oder für die Rechnung Dritter, untersagt sind; c) die Person, die die Marktsondierung erhält, davon in Kenntnis setzen, dass ihr die Nutzung und der Versuch der Nutzung in Form der Stornierung oder Änderung eines bereits erteilten Auftrags in Bezug auf ein Finanzinstrument, auf das sich diese Informationen beziehen, untersagt sind, und d) die Person, die die Marktsondierung erhält, davon in Kenntnis setzten, dass sie sich mit der Zustimmung, die Informationen zu erhalten, auch verpflichtet ist, die Vertraulichkeit der Informationen zu wahren. Der offenlegende Marktteilnehmer muss Aufzeichnungen über sämtliche Informationen erstellen und führen, die der Person, die die Marktsondierung erhält, übermittelt wurden, einschließlich der Informationen, die gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe a bis d übermittelt wurden, sowie über die Identität der potenziellen Anleger, gegenüber denen die Informationen offengelegt wurden, einschließlich unter anderem der juristischen und natürlichen Personen, die im Auftrag des potenziellen Anleger handeln, und des Datums und der Uhrzeit einer jeden Offenlegung. Der offenlegende Marktteilnehmer muss der zuständigen Behörde diese Aufzeichnungen auf deren Ersuchen zur Verfügung stellen. (6) Wenn im Zuge einer Marktsondierung Informationen offengelegt wurden und nach Einschätzung des offenlegenden Marktteilnehmers ihre Eigenschaft als Insiderinformationen verlieren, setzt dieser den Empfänger unverzüglich davon in Kenntnis. Der offenlegende Marktteilnehmer führt Aufzeichnungen über die Informationen, die er im Einklang mit diesem Absatz übermittelt hat, und stellt diese Aufzeichnungen der zuständigen Behörde auf deren Ersuchen zur Verfügung. (7) Unbeschadet der Bestimmungen dieses Artikels nimmt die Person, die die Marktsondierung erhält, selbst die Einschätzung vor, ob sie im Besitz von Insiderinformationen ist und wenn sie nicht mehr im Besitz von Insiderinformationen ist. (8) Die Aufzeichnungen gemäß diesem Artikel werden von dem offenlegenden Marktteilnehmer mindestens fünf Jahre lang aufbewahrt. (9) Um die durchgehende Harmonisierung dieses Artikels sicherzustellen, arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, um angemesse1359

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ne Regelungen, Verfahren und Aufzeichnungsanforderungen festzulegen, mittels derer Personen die Anforderungen der Absätze 4, 5, 6 und 8 einhalten können. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards nach Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (10) Um die durchgehende Harmonisierung dieses Artikels sicherzustellen, arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards aus, in denen festgelegt wird, welche Systeme und Mitteilungsmuster zur Einhaltung der Vorschriften der Absätze 4, 5, 6 und 8 zu nutzen sind, insbesondere das genaue Format der Aufzeichnungen nach den Absätzen 4 bis 8 und die technischen Mittel für eine angemessene Übermittlung der Informationen gemäß Absatz 6 an die Person, die die Marktsondierung erhält. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Durchführungsstandards bis zum 3. Juli 2015 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (11) Die ESMA gibt für die Personen, die die Marktsondierung erhalten, gemäß Artikel 16 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 Leitlinien zu Folgendem heraus: a) den Faktoren, die diese Personen berücksichtigen müssen, wenn ihnen gegenüber als Bestandteil der Marktsondierung Informationen offengelegt werden, damit sie beurteilen können, ob diese Informationen Insiderinformationen sind; b) den Schritten, die diese Personen unternehmen müssen, wenn ihnen gegenüber Insiderinformationen offengelegt wurden, um die Artikel 8 und 10 dieser Verordnung einzuhalten, und c) den Aufzeichnungen, die diese Personen führen sollten, um nachzuweisen, dass sie die Artikel 8 und 10 dieser Verordnung eingehalten haben. Art. 12 Marktmanipulation (1) Für die Zwecke dieser Verordnung umfasst der Begriff „Marktmanipulation“ folgende Handlungen: a) Abschluss eines Geschäfts, Erteilung eines Handelsauftrags sowie jede andere Handlung, i) der bzw. die falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots, der Nachfrage oder des Preises eines Finanzinstruments, eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts gibt oder bei der dies wahrscheinlich ist, oder 1360

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ii) durch das bzw. die ein anormales oder künstliches Kursniveau eines oder mehrerer Finanzinstrumente, eines damit verbundenen WarenSpot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts erzielt wird oder bei dem/der dies wahrscheinlich ist; es sei denn, die Person, die ein Geschäft abschließt, einen Handelsauftrag erteilt oder eine andere Handlung vornimmt, weist nach, dass das Geschäft, der Auftrag oder die Handlung legitime Gründe hat und im Einklang mit der zulässigen Marktpraxis gemäß Artikel 13 steht. b) Abschluss eines Geschäfts, Erteilung eines Handelsauftrags und jegliche sonstige Tätigkeit oder Handlung, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder unter Verwendung sonstiger Kunstgriffe oder Formen der Täuschung den Kurs eines oder mehrerer Finanzinstrumente, eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts beeinflusst oder hierzu geeignet ist; c) Verbreitung von Informationen über die Medien einschließlich des Internets oder auf anderem Wege, die falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots oder des Kurses eines Finanzinstruments, eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts oder der Nachfrage danach geben oder bei denen dies wahrscheinlich ist oder ein anormales oder künstliches Kursniveau eines oder mehrerer Finanzinstrumente, eines damit verbundenen WarenSpot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts herbeiführen oder bei denen dies wahrscheinlich ist, einschließlich der Verbreitung von Gerüchten, wenn die Person, die diese Informationen verbreitet hat, wusste oder hätte wissen müssen, dass sie falsch oder irreführend waren; d) Übermittlung falscher oder irreführender Angaben oder Bereitstellung falscher oder irreführender Ausgangsdaten bezüglich eines Referenzwerts, wenn die Person, die die Informationen übermittelt oder die Ausgangsdaten bereitgestellt hat, wusste oder hätte wissen müssen, dass sie falsch oder irreführend waren, oder sonstige Handlungen, durch die die Berechnung eines Referenzwerts manipuliert wird. (2) Als Marktmanipulation gelten unter anderem die folgenden Handlungen: a) Sicherung einer marktbeherrschenden Stellung in Bezug auf das Angebot eines Finanzinstruments. damit verbundener Waren-Spot-Kontrakte oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts oder die Nachfrage danach durch eine Person oder mehrere in Absprache handelnde Personen mit der tatsächlichen oder wahrscheinlichen Folge einer unmittelbaren oder mittelbaren Festsetzung des Kaufs- oder Verkaufspreises oder anderen unlauteren Handelsbedingungen führt oder hierzu geeignet ist; 1361

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b) Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten bei Handelsbeginn oder bei Handelsschluss an einem Handelsplatz mit der tatsächlichen oder wahrscheinlichen Folge, dass Anleger, die aufgrund der angezeigten Kurse, einschließlich der Eröffnungs- und Schlusskurse, tätig werden, irregeführt werden; c) die Erteilung von Kauf- oder Verkaufsaufträgen an einen Handelsplatz, einschließlich deren Stornierung oder Änderung, mittels aller zur Verfügung stehenden Handelsmethoden, auch in elektronischer Form, beispielsweise durch algorithmische und Hochfrequenzhandelsstrategien, die eine der in Absatz 1 Buchstabe a oder b genannten Auswirkungen hat, indem sie i) das Funktionieren des Handelssystems des Handelsplatzes tatsächlich oder wahrscheinlich stört oder verzögert, ii) Dritten die Ermittlung echter Kauf- oder Verkaufsaufträge im Handelssystem des Handelsplatzes tatsächlich oder wahrscheinlich erschwert, auch durch das Einstellen von Kauf- oder Verkaufsaufträgen, die zur Überfrachtung oder Beeinträchtigung des Orderbuchs führen, oder iii) tatsächlich oder wahrscheinlich ein falsches oder irreführendes Signal hinsichtlich des Angebots eines Finanzinstruments oder der Nachfrage danach oder seines Preises setzt, insbesondere durch das Einstellen von Kauf- oder Verkaufsaufträgen zur Auslösung oder Verstärkung eines Trends; d) Ausnutzung eines gelegentlichen oder regelmäßigen Zugangs zu den traditionellen oder elektronischen Medien durch Abgabe einer Stellungnahme zu einem Finanzinstrument, einem damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakt oder einem auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekt (oder indirekt zu dessen Emittenten), wobei zuvor Positionen bei diesem Finanzinstrument, einem damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakt oder einem auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekt eingegangen wurden und anschließend Nutzen aus den Auswirkungen der Stellungnahme auf den Kurs dieses Finanzinstruments, eines damit verbundenen Waren-SpotKontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts gezogen wird, ohne dass der Öffentlichkeit gleichzeitig dieser Interessenkonflikt ordnungsgemäß und wirksam mitgeteilt wird; e) Kauf oder Verkauf von Emissionszertifikaten oder deren Derivaten auf dem Sekundärmarkt vor der Versteigerung gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/ 2010 mit der Folge, dass der Auktionsclearingpreis für die Auktionsobjekte auf anormaler oder künstlicher Höhe festgesetzt wird oder dass Bieter, die auf den Versteigerungen bieten, irregeführt werden. (3) Für die Anwendung von Absatz 1 Buchstaben a und b und unbeschadet der in Absatz 2 aufgeführten Formen von Handlungen enthält Anhang I eine nicht 1362

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erschöpfende Aufzählung von Indikatoren in Bezug auf die Vorspiegelung falscher Tatsachen oder sonstige Kunstgriffe oder Formen der Täuschung und eine nicht erschöpfende Aufzählung von Indikatoren in Bezug auf falsche oder irreführende Signale und die Sicherung des Herbeiführung bestimmter Kurse. (4) Handelt es sich bei der in diesem Artikel genannten Person um eine juristische Person, so gilt dieser Artikel nach Maßgabe des nationalen Rechts auch für die natürlichen Personen, die an dem Beschluss, Tätigkeiten für Rechnung der betreffenden juristischen Person auszuführen, beteiligt sind. (5) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 35 zur Präzisierung der in Anhang I festgelegten Indikatoren delegierte Rechtsakte zu erlassen, um deren Elemente zu klären und den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen. Art. 13 Zulässige Marktpraxis (1) Das Verbot gemäß Artikel 15 gilt nicht für die in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a genannten Handlungen, wenn die Person, die ein Geschäft abschließt, einen Handelsauftrag erteilt oder eine andere Handlung vornimmt, nachweist, dass das Geschäft, der Auftrag oder die Handlung legitime Gründe hat und im Einklang mit der zulässigen Marktpraxis gemäß diesem Artikel steht. (2) Eine zuständige Behörden kann eine zulässige Marktpraxis festlegen, wobei folgende Kriterien berücksichtigt werden: a) ob die Marktpraxis einen erheblichen Grad an Markttransparenz gewährt; b) ob durch die Marktpraxis das Funktionieren der Marktkräfte und das richtige Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage in hohem Grade gewährleistet werden; c) ob die Marktpraxis sich positiv auf Marktliquidität und -effizienz auswirkt; d) ob die Marktpraxis dem Handelsmechanismus des betreffenden Marktes Rechnung trägt und es den Marktteilnehmern erlaubt, angemessen und rechtzeitig auf die durch die Marktpraxis entstehende neue Marktsituation zu reagieren; e) ob die Marktpraxis keine Risiken für die Integrität direkt oder indirekt verbundener, geregelter oder nicht geregelter Märkte für das betreffende Finanzinstrument innerhalb der Union schafft; f) das Ergebnis der Ermittlungen der zuständigen Behörden bzw. anderer Behörden zu der entsprechenden Marktpraxis, insbesondere ob eine Verletzung der Marktmissbrauchsbestimmungen oder der geltenden Verhaltensregeln festgestellt wurde, unabhängig davon, ob auf dem betreffenden Markt oder auf anderen direkt oder indirekt verbundenen Märkten in der Union, und g) die Strukturmerkmale des betreffenden Marktes, u. a., ob es sich um einen geregelten Markt handelt, welche Finanzinstrumente gehandelt werden, 1363

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welche Marktteilnehmer vertreten sind und welcher Anteil am Handel auf dem betreffenden Markt auf Privatanleger entfällt. Eine Marktpraxis, die von einer zuständigen Behörde auf einem bestimmten Markt als zulässige Marktpraxis festgelegt wurde, wird nicht als zulässig auf anderen Märkten betrachtet, wenn sie nicht von den für diese anderen Märkte zuständigen Behörden gemäß diesem Artikel anerkannt worden ist. (3) Vor der Festlegung einer zulässigen Markpraxis gemäß Absatz 2 informiert die zuständige Behörden die ESMA und die anderen zuständigen Behörden über ihre Absicht, eine zulässige Marktpraxis festzulegen, und legt Einzelheiten der Bewertung vor, die im Einklang mit den Kriterien in Absatz 2 vorgenommen wurde. Diese Information erfolgt mindestens drei Monate vor der beabsichtigten Einführung der zulässigen Marktpraxis. (4) Innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Information gibt die ESMA gegenüber der mitteilenden zuständigen Behörde eine Stellungnahme ab, in der sie bewertet, ob die zulässige Marktpraxis mit Absatz 2 und den gemäß Absatz 7 angenommenen technischen Regulierungsstandards vereinbar ist. Die ESMA prüft ebenfalls, ob das Vertrauen in den Finanzmarkt der Union durch die Festlegung der zulässigen Marktpraxis gefährdet würde. Die Stellungnahme wird auf der Website der ESMA veröffentlicht. (5) Legt eine zuständige Behörde eine Marktpraxis fest, die einer gemäß Absatz 4 durch die ESMA abgegebenen Stellungnahme zuwiderläuft, veröffentlicht sie auf ihrer Website innerhalb von 24 Stunden nach der Festlegung der zulässigen Marktpraxis eine Bekanntmachung, in der sie die Gründe für ihr Vorgehen vollständig darlegt und auch darauf eingeht, warum die zulässige Marktpraxis keine Gefahr für das Vertrauen in den Markt darstellt. (6) Ist eine zuständige Behörde der Ansicht, dass eine andere zuständige Behörde eine zulässige Marktpraxis festgelegt hat, die die in Absatz 2 verankerten Kriterien nicht erfüllt, unterstützt die ESMA die betreffenden Behörden im Einklang mit ihren Befugnissen gemäß Artikel 19 der Verordnung (EU) Nr. 1095/ 2010 dabei, zu einer Einigung zu gelangen. Erzielen die betreffenden zuständigen Behörden keine Einigung, so kann die ESMA gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 einen Beschluss fassen. (7) Um eine durchgängige Harmonisierung dieses Artikels sicherzustellen, arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, in denen die Kriterien, das Verfahren und die Anforderungen für die Festlegung einer zulässigen Marktpraxis gemäß den Absätzen 2, 3 und 4 sowie die Anforderungen an ihre Beibehaltung, Beendigung oder Änderung der Bedingungen für ihre Zulässigkeit festgelegt werden. Die ESMA legt der Kommission bis zum 3. Juli 2015 diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards vor. 1364

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Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards nach Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (8) Die zuständigen Behörden überprüfen regelmäßig und mindestens alle zwei Jahre die von ihnen festgelegte zulässige Marktpraxis und berücksichtigen dabei insbesondere wesentliche Änderungen im Umfeld des betreffenden Marktes, d. h. beispielsweise geänderte Handelsregeln oder Änderungen an den Infrastrukturen des Marktes, um zu entscheiden, ob diese Praxis beibehalten wird, beendet wird oder ob die Bedingungen für ihre Zulässigkeit geändert werden soll. (9) Die ESMA veröffentlicht auf ihrer Website eine Liste der zulässigen Marktpraktiken und gibt an, in welchen Mitgliedstaaten sie anwendbar sind. (10) Die ESMA überwacht die Anwendung der zulässigen Marktpraxis und legt der Kommission jährlich einen Bericht über deren Anwendung auf den betreffenden Märkten vor. (11) Die zuständigen Behörden übermitteln der ESMA die zulässigen Marktpraktiken, die sie vor dem 2. Juli 2014 festgelegt haben, innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten der in Absatz 7 genannten technischen Regulierungsstandards. Die in Unterabsatz 1 dieses Absatzes genannte zulässige Marktpraxis gilt in dem betreffenden Mitgliedstaat weiter, bis die zuständige Behörde auf der Grundlage der Stellungnahme der ESMA gemäß Absatz 4 einen Beschluss hinsichtlich ihrer Weiterführung gefasst hat. Art. 14 Verbot von Insidergeschäften und unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen Folgende Handlungen sind verboten: a) das Tätigen von Insidergeschäften und der Versuch hierzu, b) Dritten zu empfehlen, Insidergeschäfte zu tätigen, oder Dritte dazu zu verleiten, Insidergeschäfte zu tätigen, oder c) die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen. Art. 15 Verbot der Marktmanipulation Marktmanipulation und der Versuch hierzu sind verboten. Art. 16 Vorbeugung und Aufdeckung von Marktmissbrauch (1) Marktbetreiber und Wertpapierfirmen, die einen Handelsplatz betreiben, haben gemäß Artikel 31 und 54 der Richtlinie 2014/65/EU wirksame Regelungen, Systeme und Verfahren zur Vorbeugung und Aufdeckung von Insidergeschäften, Marktmanipulation, versuchten Insidergeschäften und versuchter Marktmanipulation zu schaffen und aufrechtzuerhalten. 1365

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Eine in Unterabsatz 1 genannte Personen meldet Aufträge und Geschäfte, einschließlich deren Stornierung oder Änderung, die Insidergeschäfte, Marktmanipulationen oder versuchte Insidergeschäfte oder versuchte Marktmanipulationen sein könnten, unverzüglich der zuständigen Behörde des Handelsplatzes. (2) Wer beruflich Geschäfte vermittelt oder ausführt, muss wirksame Regelungen, Systeme und Verfahren zur Aufdeckung und Meldung von verdächtigen Aufträgen und Geschäften schaffen und aufrechterhalten. Wann immer die betreffende Person den begründeten Verdacht hat, dass ein Auftrag oder ein Geschäft in Bezug auf ein Finanzinstru-ment — wobei es unerheblich ist, ob dieser bzw. dieses auf einem Handelsplatz oder anderweitig erteilt oder ausgeführt wurde — Insiderhandel oder Marktmanipulation oder den Versuch hierzu darstellt, so unterrichtet sie unverzüglich die zuständige Behörde nach Absatz 3. (3) Unbeschadet des Artikels 22 gelten für die Meldungen von Personen, die beruflich Geschäfte vermitteln oder ausführen, die Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie registriert sind oder in dem sie ihre Hauptniederlassung haben oder, bei Zweigniederlassungen, die Vorschriften des Mitgliedstaats ihrer Zweigniederlassung. Die Meldung erfolgt bei der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats. (4) Die zuständigen Behörden nach Absatz 3, denen verdächtige Aufträge und Geschäfte gemeldet werden, teilen dies unverzüglich den für die betreffenden Handelsplätze zuständigen Behörden mit. (5) Um eine durchgehende Harmonisierung dieses Artikels zu gewährleisten, arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, um Folgendes festzulegen: a) angemessene Regelungen, Systeme und Verfahren für die Einhaltung der Vorschriften in den Absätzen 1 und 2 durch Personen und b) die von Personen zur Einhaltung der Vorschriften in den Absätzen 1 und 2 zu nutzenden Mitteilungsmuster. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards bis zum 3. Juli 2016 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards nach Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

Kapitel 3 – Offenlegungsvorschriften Art. 17 Veröffentlichung von Insiderinformationen (1) Ein Emittent gibt der Öffentlichkeit Insiderinformationen, die unmittelbar diesen Emittenten betreffen, unverzüglich bekannt. 1366

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Der Emittent stellt sicher, dass die Insiderinformationen in einer Art und Weise veröffentlicht werden, die der Öffentlichkeit einen schnellen Zugang und eine vollständige, korrekte und rechtzeitige Bewertung ermöglicht, und dass sie gegebenenfalls in dem amtlich bestellten System gemäß Artikel 21 der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates24 veröffentlicht werden. Der Emittent darf die Veröffentlichung von Insiderinformationen nicht mit der Vermarktung seiner Tätigkeiten verbinden. Der Emittent veröffentlicht alle Insiderinformationen, die er der Öffentlichkeit mitteilen muss, auf seiner Website und zeigt sie dort während eines Zeitraums von mindestens fünf Jahren an. Dieser Artikel gilt für Emittenten, die für ihre Finanzinstrumente eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat beantragt oder genehmigt haben, bzw. im Falle von Instrumenten, die nur auf einem multilateralen oder organisierten Handelssystem gehandelt werden, für Emittenten, die für ihre Finanzinstrumente eine Zulassung zum Handel auf einem multilateralen oder organisierten Handelssystem in einem Mitgliedstaat erhalten haben oder die für ihre Finanzinstrumente eine Zulassung zum Handel auf einem multilateralen Handelssystem in einem Mitgliedstaat beantragt haben. (2) Jeder Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate gibt Insiderinformationen in Bezug auf ihm gehörende Emissionszertifikate für seine Geschäftstätigkeit, darunter Luftverkehr gemäß Anhang I der Richtlinie 2003/87/EG und Anlagen im Sinne von Artikel 3 Buchstabe e jener Richtlinie, die der betreffende Marktteilnehmer, dessen Mutterunternehmen oder ein verbundenes Unternehmen besitzt oder kontrolliert und für dessen betriebliche Angelegenheiten der Marktteilnehmer, dessen Mutterunternehmen oder ein verbundenes Unternehmen vollständig oder teilweise verantwortlich ist, öffentlich, wirksam und rechtzeitig bekannt. In Bezug auf Anlagen umfasst diese Offenlegung die für deren Kapazität und Nutzung erheblichen Informationen, darunter die geplante oder ungeplante Nichtverfügbarkeit dieser Anlagen. Unterabsatz 1 gilt nicht für Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate, wenn die Emissionen der Anlagen oder Luftverkehrstätigkeiten in ihrem Besitz, unter ihrer Kontrolle oder ihrer Verantwortlichkeit im Vorjahr eine bestimmte Kohlendioxidäquivalent-Mindestschwelle nicht überschritten haben und, sofern dort eine Verbrennung erfolgt, deren thermische Nennleistung eine bestimmte Mindestschwelle nicht überschreitet.

24 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38).

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Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 35 zur Anwendung der im Unterabsatz 2 dieses Absatzes vorgesehenen Ausnahme delegierte Rechtsakte zur Festlegung einer Kohlendioxidäquivalent-Mindestschwelle und einer Mindestschwelle für die thermische Nennleistung zu erlassen. (3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 35 zur Festlegung der zuständigen Behörde für die Mitteilungen gemäß den Absätzen 4 und 5 des vorliegenden Artikels zu erlassen. (4) Ein Emittent oder ein Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate, kann auf eigene Verantwortung die Offenlegung von Insiderinformationen für die Öffentlichkeit aufschieben, sofern sämtliche nachfolgenden Bedingungen erfüllt sind: a) die unverzügliche Offenlegung wäre geeignet die berechtigten Interessen des Emittenten oder Teilnehmers am Markt für Emissionszertifikate zu beeinträchtigen, b) die Aufschiebung der Offenlegung wäre nicht geeignet, die Öffentlichkeit irrezuführen, c) der Emittent oder Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate kann die Geheimhaltung dieser Informationen sicherstellen. Im Falle eines zeitlich gestreckten Vorgangs, der aus mehreren Schritten besteht und einen bestimmten Umstand oder ein bestimmtes Ereignis herbeiführen soll oder hervorbringt, kann ein Emittent oder Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate auf eigene Verantwortung die Offenlegung von Insiderinformationen zu diesem Vorgang vorbehaltlich des Unterabsatzes 1 Buchstaben a, b und c aufschieben. Hat ein Emittent oder ein Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate die Offenlegung von Insiderinformationen nach diesem Absatz aufgeschoben, so informiert er die gemäß Absatz 3 festgelegte zuständige Behörde unmittelbar nach der Offenlegung der Informationen über den Aufschub der Offenlegung und erläutert schriftlich, inwieweit die in diesem Absatz festgelegten Bedingungen erfüllt waren. Alternativ können Mitgliedstaaten festlegen, dass die Aufzeichnung einer solchen Erläuterung nur auf Ersuchen der gemäß Absatz 3 festgelegten zuständigen Behörde übermittelt werden muss. (5) Zur Wahrung der Stabilität des Finanzsystems kann ein Emittent, bei dem es sich um ein Kreditinstitut oder ein Finanzinstitut handelt, auf eigene Verantwortung die Offenlegung von Insiderinformationen, einschließlich Informationen im Zusammenhang mit einem zeitweiligen Liquiditätsproblem und insbesondere in Bezug auf den Bedarf an zeitweiliger Liquiditätshilfe seitens einer Zentralbank oder eines letztinstanzlichen Kreditgebers, aufschieben, sofern sämtliche nachfolgenden Bedingungen erfüllt sind: a) die Offenlegung der Insiderinformationen birgt das Risiko, dass die finanzielle Stabilität des Emittenten und des Finanzsystems untergraben wird; 1368

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b) der Aufschub der Veröffentlichung liegt im öffentlichen Interesse; c) die Geheimhaltung der betreffenden Informationen kann gewährleistet werden, und d) die gemäß Absatz 3 festgelegte zuständige Behörde hat dem Aufschub auf der Grundlage zugestimmt, dass die Bedingungen gemäß Buchstaben a, b, und c erfüllt sind. (6) Für die Zwecke des Absatzes 5 Buchstaben a bis d setzt der Emittent die gemäß Absatz 3 festgelegte zuständige Behörde von seiner Absicht in Kenntnis, die Offenlegung der Insiderinformationen aufzuschieben, und legt Nachweise vor, dass die Voraussetzungen gemäß Absatz 5 Buchstaben a, b, und c vorliegen. Die gemäß Absatz 3 festgelegte zuständige Behörde hört gegebenenfalls die nationale Zentralbank oder, falls eingerichtet, die makroprudenzielle Behörde oder andernfalls die folgenden Stellen an: a) falls es sich bei dem Emittenten um ein Kreditinstitut oder eine Wertpapierfirma handelt, die gemäß Artikel 133 Absatz 1 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates25 benannte Behörde; b) in anderen als den in Buchstabe a genannten Fällen jede andere für die Aufsicht über den Emittenten zuständige nationale Behörde. Die gemäß Absatz 3 festgelegte zuständige Behörde stellt sicher, dass der Aufschub für die Offenlegung von Insiderinformationen nur für den im öffentlichen Interesse erforderlichen Zeitraum gewährt wird. Die gemäß Absatz 3 festgelegte zuständige Behörde bewertet mindestens wöchentlich, ob die Voraussetzungen gemäß Absatz 5 Buchstaben a, b und c noch vorliegen. Wenn die gemäß Absatz 3 festgelegte zuständige Behörde dem Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen nicht zustimmt, muss der Emittent die Insiderinformationen unverzüglich offenlegen. Dieser Absatz gilt für Fälle, in denen der Emittent nicht beschließt, die Offenlegung von Insiderinformationen gemäß Absatz 4 aufzuschieben. Verweise in diesem Absatz auf die gemäß Absatz 3 festgelegte zuständige Behörde in diesem Absatz lassen die Befugnis der zuständigen Behörde, ihre Aufgaben gemäß Artikel 23 Absatz 1 wahrzunehmen, unberührt. (7) Wenn die Offenlegung von Insiderinformationen gemäß Absatz 4 oder 5 aufgeschoben wurde und die Vertraulichkeit der dieser Insiderinformationen nicht mehr gewährleistet ist, muss der Emittent die Öffentlichkeit so schnell wie möglich über diese Informationen informieren.

25 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 338).

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Dieser Absatz schließt Sachverhalte ein, bei denen ein Gerücht auf eine Insiderinformation Bezug nimmt, die gemäß Absatz 4 oder 5 nicht offengelegt wurden, wenn dieses Gerücht ausreichend präzise ist, dass zu vermuten ist, dass die Vertraulichkeit dieser Information nicht mehr gewährleistet ist. (8) Legt ein Emittent oder ein Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate oder eine in ihrem Auftrag oder für ihre Rechnung handelnde Person im Zuge der normalen Ausübung ihrer Arbeit oder ihres Berufs oder der normalen Erfüllung ihrer Aufgaben gemäß Artikel 10 Absatz 1 Insiderinformationen gegenüber einem Dritten offen, so veröffentlicht er diese Informationen vollständig und wirksam, und zwar zeitgleich bei absichtlicher Offenlegung und unverzüglich im Fall einer nicht absichtlichen Offenlegung. Dieser Absatz gilt nicht, wenn die die Informationen erhaltende Person zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, unabhängig davon, ob sich diese Verpflichtung aus Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, einer Satzung oder einem Vertrag ergibt. (9) Insiderinformationen in Bezug auf Emittenten, deren Finanzinstrumente zum Handel an einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen sind, können auf der Website des Handelsplatzes anstatt der Website des Emittenten angezeigt werden, falls der Handelsplatz sich für die Bereitstellung dieser Möglichkeit für Emittenten auf jenem Markt entscheidet. (10) Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels sicherzustellen, arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards zur Festlegung a) der technischen Mittel für die angemessene Bekanntgabe von Insiderinformationen gemäß den Absätzen 1, 2, 8 und 9 und b) der technischen Mittel für den Aufschub der Bekanntgabe von Insiderinformationen gemäß den Absätzen 4 und 5 aus. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Durchführungsstandards bis zum 3. Juli 2016. vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (11) Die ESMA gibt Leitlinien für die Erstellung einer nicht abschließenden indikativen Liste der in Absatz 4 Buchstabe a genannten berechtigten Interessen des Emittenten und von Fällen heraus, in denen die Aufschiebung der Offenlegung von Insiderinformationen gemäß Absatz 4 Buchstabe b geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen. Art. 18 Insiderlisten (1) Emittenten oder alle in ihrem Auftrag oder für ihre Rechnung handelnden Personen sind verpflichtet, a) eine Liste aller Personen aufzustellen, die Zugang zu Insiderinformationen haben, wenn diese Personen für sie auf Grundlage eines Arbeitsvertrags 1370

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oder anderweitig Aufgaben wahrnehmen, durch die diese Zugang zu Insiderinformationen haben, wie Berater, Buchhalter oder Ratingagenturen (im Folgenden „Insiderliste“), b) die Insiderliste im Einklang mit Absatz 4 rasch zu aktualisieren sowie c) der zuständigen Behörde die Insiderliste auf deren Ersuchen unverzüglich zur Verfügung zu stellen. (2) Emittenten oder alle in ihrem Auftrag oder für ihre Rechnung handelnden Personen treffen alle erforderlichen Vorkehrungen, um dafür zu sorgen, dass alle auf der Insiderliste erfassten Personen die aus den Rechts- und Verwaltungsvorschriften erwachsenden Pflichten schriftlich anerkennen und sich der Sanktionen bewusst sind, die bei Insidergeschäften, unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen Anwendung finden. Übernimmt eine andere Person im Auftrag oder für die Rechnung des Emittenten die Erstellung und Aktualisierung der Insiderliste, so ist der Emittent auch weiterhin voll verantwortlich dafür, dass die Verpflichtungen dieses Artikels eingehalten werden. Der Emittent behält das Recht, die Insiderliste einzusehen. (3) Die Insiderliste umfasst mindestens a) die Identität aller Personen, die Zugang zu Insiderinformationen haben, b) den Grund der Aufnahme in die Insiderliste, c) das Datum, an dem diese Person Zugang zu Insiderinformationen erlangt hat sowie die entsprechende Uhrzeit und d) das Datum der Erstellung der Insiderliste. (4) Emittenten oder jede in ihrem Namen bzw. für ihre Rechnung handelnde Person aktualisiert die Insiderliste unter Nennung des Datums der Aktualisierung unverzüglich, wenn a) sich der Grund für die Erfassung bereits erfasster Personen auf der Insiderliste ändert, b) eine neue Person Zugang zu Insiderinformationen erlangt hat und daher in die Insiderliste aufgenommen werden muss und c) eine Person keinen Zugang zu Insiderinformationen mehr hat. Bei jeder Aktualisierung sind Datum und Uhrzeit der Änderung anzugeben, durch die die Aktualisierung erforderlich wurde. (5) Emittenten oder jede in ihrem Namen bzw. für ihre Rechnung handelnde Person bewahrt die Insiderliste für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nach der Erstellung oder Aktualisierung auf. (6) Emittenten, deren Finanzinstrumente zum Handel an KMU-Wachstumsmärkten zugelassen sind, sind von der Pflicht zur Erstellung einer Insiderliste befreit, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) Der Emittent ergreift alle erforderlichen Vorkehrungen, damit alle Personen, die Zugang zu Insiderinformationen haben, die aus den Rechts- und 1371

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Verwaltungsvorschriften erwachsenden Pflichten anerkennen und sich der Sanktionen bewusst sind, die bei Insidergeschäften und unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation zur Anwendung kommen, und b) der Emittent ist in der Lage, der zuständigen Behörde auf Anfrage die in diesem Artikel genannte Insiderliste bereitzustellen. (7) Dieser Artikel gilt für Emittenten, die für ihre Finanzinstrumente eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat beantragt oder genehmigt haben, bzw. im Falle eines Instruments, das nur auf einem multilateralen oder organisierten Handelssystem gehandelt wird, eine Zulassung zum Handel auf einem multilateralen oder organisierten Handelssystem in einem Mitgliedstaat erhalten haben oder für ihre Finanzinstrumente eine Zulassung zum Handel auf einem multilateralen Handelssystem in einem Mitgliedstaat beantragt haben. (8) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch für a) Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate, betreffend Insiderinformationen in Bezug auf Emissionszertifikate im Rahmen von physischen Aktivitäten dieses Teilnehmers am Markt für Emissionszertifikate; b) alle Versteigerungsplattformen, Versteigerer und die Auktionsaufsicht bezüglich Versteigerungen von Emissionszertifikaten und anderen darauf beruhenden Auktionsobjekten, die gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 abgehalten werden. (9) Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels sicherzustellen, arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards zur Festlegung des genauen Formats der Insiderlisten und des Formats für deren Aktualisierungen gemäß diesem Artikel aus. Die ESMA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Durchführungsstandards bis zum 3. Juli 2016. vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 19 Eigengeschäfte von Führungskräften (1) Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, sowie in enger Beziehung zu ihnen stehende Personen melden dem Emittenten oder dem Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate und der in Absatz 2 Unterabsatz 2 genannten zuständigen Behörde a) in Bezug auf Emittenten jedes Eigengeschäft mit Anteilen oder Schuldtiteln dieses Emittenten oder damit verbundenen Derivaten oder anderen damit verbundenen Finanzinstrumenten; 1372

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b) in Bezug auf Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate jedes Eigengeschäft mit Emissionszertifikaten, darauf beruhenden Auktionsobjekten oder deren damit verbundenen Derivaten. Diese Meldungen sind unverzüglich und spätestens drei Geschäftstage nach dem Datum des Geschäft vorzunehmen. Unterabsatz 1 gilt ab dem Zeitpunkt, an dem der sich aus den Geschäften ergebende Gesamtbetrag den in Absatz 8 beziehungsweise 9 genannten Schwellenwert innerhalb eines Kalenderjahrs erreicht hat. (1a) Die in Absatz 1 genannte Meldepflicht gilt nicht für Geschäfte mit Finanzinstrumenten in Verbindung mit in jenem Absatz genannten Anteilen oder Schuldtiteln des Emittenten, wenn zum Zeitpunkt des Geschäfts eine der folgenden Voraussetzung vorliegt: a) Das Finanzinstrument ist ein Anteil oder eine Aktie an einem Organismus für gemeinsame Anlagen, bei dem die Risikoposition gegenüber den Anteilen oder Schuldtiteln des Emittenten 20 % der von dem Organismus für gemeinsame Anlagen gehaltenen Vermögenswerte nicht übersteigt. b) Das Finanzinstrument stellt eine Risikoposition gegenüber einem Portfolio von Vermögenswerten dar, bei dem die Risikoposition gegenüber den Anteilen oder Schuldtiteln des Emittenten 20 % der Vermögenswerte des Portfolios nicht übersteigt; c) Das Finanzinstrument ist ein Anteil oder eine Aktie an einem Organismus für gemeinsame Anlagen oder stellt eine Risikoposition gegenüber einem Portfolio von Vermögenswerten dar, und die Person, die Führungsaufgaben wahrnimmt, oder eine zu ihr in enger Beziehung stehende Person kennt und konnte die Anlagezusammensetzung oder die Risikoposition eines solchen Organismus für gemeinsame Anlagen bzw. eines solchen Portfolios von Vermögenswerten gegenüber den Anteilen oder Schuldtiteln des Emittenten nicht kennen, und darüber hinaus besteht für diese Person kein Grund zu der Annahme, dass die Anteile oder Schuldtitel des Emittenten die in Buchstabe a oder Buchstabe b genannten Schwellenwerte überschreiten. Sind Informationen über die Anlagezusammensetzung des Organismus für gemeinsame Anlagen oder die Risikoposition gegenüber dem Portfolio von Vermögenswerten verfügbar, unternimmt die Person, die Führungsaufgaben wahrnimmt, oder eine zu ihr in enger Beziehung stehende Person alle zumutbaren Anstrengungen, um diese Informationen zu erhalten. (2) Zum Zweck von Absatz 1 und unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, über die in diesem Artikel genannten hinausgehende Meldepflichten festzulegen, müssen alle Eigengeschäfte von in Absatz 1 genannten Personen zuständigen Behörden von diesen Personen gemeldet werden. 1373

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Für diese Meldungen gelten für die in Absatz 1 genannten Personen die Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Emittent oder Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate registriert ist. Die Meldungen sind innerhalb von drei Arbeitstagen nach dem Datum des Geschäfts bei der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats vorzunehmen. Ist der Emittent nicht in einem Mitgliedstaat registriert, erfolgt diese Meldung bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats im Einklang mit Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe i der Richtlinie 2004/109/EG, oder, wenn eine solche Behörde nicht besteht, der zuständigen Behörde des Handelsplatzes. (3) Der Emittent oder Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate stellt sicher, dass die Informationen, die im Einklang mit Absatz 1 gemeldet werden, unverzüglich und spätestens drei Geschäftstage nach dem Geschäft so veröffentlicht werden, dass diese Informationen schnell und nichtdiskriminierend im Einklang mit den in Artikel 17 Absatz 10 Buchstabe a genannten Standards zugänglich sind. Der Emittent oder Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate greift auf Medien zurück, bei denen vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie die Informationen tatsächlich an die Öffentlichkeit in der gesamten Union weiterleiten, und gegebenenfalls ist das in Artikel 21 der Richtlinie 2004/ 109/EG amtlich bestellte System zu nutzen. Das nationale Recht kann abweichend davon auch bestimmen, dass eine zuständige Behörde die Informationen selbst veröffentlichen kann. (4) Dieser Artikel gilt für Emittenten die a) für ihre Finanzinstrumente eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt oder genehmigt haben, bzw. b) im Falle von Instrumenten, die nur auf einem multilateralen oder organisierten Handelssystem gehandelt werden, für Emittenten, die eine Zulassung zum Handel auf einem multilateralen oder organisierten Handelssystem erhalten haben oder die für ihre Finanzinstrumente eine Zulassung zum Handel auf einem multilateralen Handelssystem beantragt haben. (5) Die Emittenten und Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate setzen die Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, von ihren Verpflichtungen im Rahmen dieses Artikels schriftlich in Kenntnis. Die Emittenten und Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate erstellen eine Liste der Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, sowie der Personen, die zu diesen in enger Beziehung stehen. Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, setzen die zu ihnen in enger Beziehung stehenden Personen schriftlich von deren Verpflichtungen im Rahmen dieses Artikels in Kenntnis und bewahren eine Kopie dieses Dokuments auf. 1374

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(6) Die Meldung von Geschäften nach Absatz 1 muss folgende Angaben enthalten: a) Name der Person; b) Grund der Meldung; c) Bezeichnung des betreffenden Emittenten oder Teilnehmers am Markt für Emissionszertifikate; d) Beschreibung und Kennung des Finanzinstruments; e) Art des Geschäfts bzw. der Geschäfte (d. h. Erwerb oder Veräußerung), einschließlich der Angabe, ob ein Zusammenhang mit der Teilnahme an Belegschaftsaktienprogrammen oder mit den konkreten Beispielen gemäß Absatz 7 besteht; f) Datum und Ort des Geschäfts bzw. der Geschäfte und g) Kurs und Volumen des Geschäfts bzw. der Geschäfte. Bei einer Verpfändung, deren Konditionen eine Wertänderung bedingen, sollten dieser Umstand und der Wert zum Zeitpunkt der Verpfändung offengelegt werden. (7) Zu den für die Zwecke von Absatz 1 zu meldenden Geschäften gehören auch: a) das Verpfänden oder Verleihen von Finanzinstrumenten durch oder im Auftrag einer der in Absatz 1 genannten Person, die Führungsaufgaben wahrnimmt, oder einer mit dieser enge verbundenen Person; b) von Personen, die beruflich Geschäfte vermitteln oder ausführen, oder einer anderen Person im Auftrag einer der in Absatz 1 genannten Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen oder mit zu solchen Personen enger verbunden ist, unternommene Geschäfte, auch wenn dabei ein Ermessen ausgeübt wird; c) Geschäfte im Sinne der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates,26 die im Rahmen einer Lebensversicherung getätigt werden, wenn i) der Versicherungsnehmer eine in Absatz 1 genannte Person ist, die Führungsaufgaben wahrnimmt, oder eine Person, die mit einer solchen Person eng verbunden ist, ii) der Versicherungsnehmer das Investitionsrisiko trägt und iii) der Versicherungsnehmer über die Befugnis oder das Ermessen verfügt, Investitionsentscheidungen in Bezug auf spezifische Instrumente im Rahmen dieser Lebensversicherung zu treffen oder Geschäfte in Bezug auf spezifische Instrumente für diese Lebensversicherung auszuführen.

26 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. L 335 vom 17. 12. 2009, S. 1).

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4.11

Marktmissbrauchs-VO 596/2014

Für die Zwecke von Buchstabe a muss eine Verpfändung von Wertpapieren oder eine ähnliche Sicherung von Finanzinstrumenten im Zusammenhang mit der Hinterlegung der Finanzinstrumente in ein Depotkonto nicht gemeldet werden, sofern und solange eine derartige Verpfändung oder andere Sicherung nicht dazu dient, eine spezifische Kreditfazilität zu sichern. Für die Zwecke von Buchstabe b brauchen Geschäfte, die in Anteilen oder Schuldtiteln eines Emittenten bzw. Derivaten oder anderen damit verbundenen Finanzinstrumenten von Führungskräften eines Organismus für gemeinsame Anlagen ausgeführt wurden, bei denen die Person, die Führungsaufgaben wahrnimmt, oder eine zu ihr in enger Beziehung stehende Person investiert hat, nicht gemeldet zu werden, wenn die Führungskraft des Organismus für gemeinsame Anlagen bei ihren Transaktionen über vollen Ermessensspielraum verfügt, was ausschließt, dass die Führungskraft von Anlegern in diesem Organismus für gemeinsame Anlagen irgendwelche direkten oder indirekten Anweisungen oder Empfehlungen bezüglich der Zusammensetzung des Portfolios erhält. Sofern der Versicherungsnehmer eines Versicherungsvertrags gemäß diesem Absatz verpflichtet ist, Geschäfte zu melden, obliegt dem Versicherungsunternehmen keine Verpflichtung, eine Meldung vorzunehmen. (8) Absatz 1 gilt für Geschäfte, die getätigt werden, nachdem innerhalb eines Kalenderjahrs ein Gesamtvolumen von 5 000 EUR erreicht worden ist. Der Schwellenwert von 5 000 EUR errechnet sich aus der Addition aller in Absatz 1 genannten Geschäfte ohne Netting. (9) Eine zuständige Behörde kann beschließen, den in Absatz 8 genannten Schwellenwert auf 20 000 EUR anzuheben, und sie setzt die ESMA von ihrer Entscheidung, einen höheren Schwellenwert anzunehmen, und der Begründung für ihre Entscheidung unter besonderer Bezugnahme auf die Marktbedingungen in Kenntnis, bevor sie diesen Schwellenwert anwendet. Die ESMA veröffentlicht auf ihrer Website die Liste der Schwellenwerte, die gemäß diesem Artikel anwendbar sind, sowie die von den zuständigen Behörden vorgelegten Begründungen für diese Schwellenwerte. (10) Dieser Artikel gilt auch für Geschäfte von Personen, die, die bei Versteigerungsplattformen, Versteigerern und der Auktionsaufsicht, die an Auktionen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 beteiligt sind, Führungsaufgaben wahrnehmen, sowie für Personen, die zu solchen Personen in enger Beziehung stehen, soweit ihre Geschäfte Emissionszertifikate, deren Derivative und darauf beruhende Auktionsprodukte umfassen. Diese Personen teilen ihre Geschäfte je nach Einschlägigkeit den Versteigerungsplattformen, den Versteigerern und der Auktionsaufsicht mit, sowie der zuständigen Behörde, bei welcher die Versteigerungsplattform, der Versteigerer und die Auktionsaufsicht gegebenenfalls registriert sind. Die entsprechend übermittelte Information wird von der Verstei1376

Marktmissbrauchs-VO 596/2014

4.11

gerungsplattform, den Versteigerern, der Auktionsaufsicht oder der zuständigen Behörde gemäß Absatz 3 veröffentlicht. (11) Unbeschadet der Artikel 14 und 15 darf eine Person, die bei einem Emittenten Führungsaufgaben wahrnimmt, weder direkt noch indirekt Eigengeschäfte oder Geschäfte für Dritte im Zusammenhang mit den Anteilen oder Schuldtiteln des Emittenten oder mit Derivaten oder anderen mit diesen in Zusammenhang stehenden Finanzinstrumenten während eines geschlossenen Zeitraums von 30 Kalendertagen vor Ankündigung eines Zwischenberichts oder eines Jahresabschlussberichts tätigen, zu deren Veröffentlichung der Emittent verpflichtet ist: a) gemäß den Vorschriften des Handelsplatzes, auf dem die Anteile des Emittenten zum Handel zugelassen sind, oder b) gemäß nationalem Recht. (12) Unbeschadet der Artikel 14 und 15 darf ein Emittent einer Person, die Führungsaufgaben bei ihr wahrnimmt, erlauben Eigengeschäfte oder Geschäfte für Dritte während eines geschlossenen Zeitraums gemäß Absatz 11 vorzunehmen, vorausgesetzt, dass diese Geschäfte entweder a) im Einzelfall aufgrund außergewöhnlicher Umstände, wie beispielsweise schwerwiegende finanzielle Schwierigkeiten, die den unverzüglichen Verkauf von Anteilen erforderlich machen, oder b) durch die Merkmale des betreffenden Geschäfts für Handel bedingt sind, die im Rahmen von Belegschaftsaktien oder einem Arbeitnehmersparplan, von Pflichtaktien oder von Bezugsberechtigungen auf Aktien oder Geschäfte getätigt werden, wenn sich die nutzbringende Beteiligung an dem einschlägigen Wertpapier nicht ändert. (13) Die Kommission wird ermächtigt, delegierte Rechtsakte nach Artikel 35 zu erlassen, in denen festgelegt wird, unter welchen Umständen der Handel während eines geschlossenen Zeitraums durch den Emittenten gemäß Absatz 12 erlaubt werden kann, einschließlich der Umstände, die als außergewöhnlich zu betrachten wären, und der Arten von Geschäften, die eine Erlaubnis zum Handel rechtfertigen würden. (14) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 35 in Bezug auf die Festlegung der Arten von Geschäften, welche die in Absatz 1 genannte Anforderung auslösen, delegierte Rechtsakte zu erlassen. (15) Damit Absatz 1 einheitlich angewendet wird, arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards in Bezug auf das Format und ein Muster aus, in dem die in Absatz 1 genannten Informationen gemeldet und veröffentlicht werden müssen. Die ESMA legt der Kommission bis zum 3. Juli 2015 diese Entwürfe technischer Durchführungsstandards vor. 1377

4.11

Marktmissbrauchs-VO 596/2014

Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Art. 20 Anlageempfehlungen und Statistik (1) Personen, die Anlageempfehlungen oder andere Informationen, durch die eine Anlagestrategie empfohlen oder vorgeschlagen wird, erstellen oder verbreiten, tragen in angemessener Weise dafür Sorge, dass die Informationen objektiv dargestellt und ihre Interessen oder Interessenkonflikte hinsichtlich der Finanzinstrumente, auf die diese Informationen sich beziehen, offengelegt werden. (2) Öffentliche Stellen, die Statistiken oder Prognosen verbreiten, welche die Finanzmärkte erheblich beeinflussen könnten, haben dies auf objektive und transparente Weise zu tun. (3) Um eine durchgehende Harmonisierung dieses Artikels sicherzustellen, arbeitet die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards aus, um die technischen Modalitäten für die in Absatz 1 genannten Personengruppen, für die objektive Darstellung von Anlageempfehlungen oder anderen Informationen mit Empfehlungen oder Vorschlägen zu Anlagestrategien sowie für die Offenlegung bestimmter Interessen oder Anzeichen für Interessenkonflikte festzulegen. Die ESMA legt der Kommission bis zum 3. Juli 2015 diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards nach Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Die in den in Absatz 3 genannten technischen Regulierungsstandards niedergelegten technischen Modalitäten finden keine Anwendung auf Journalisten, die einer gleichwertigen angemessenen Regelung — einschließlich einer gleichwertigen angemessenen Selbstregulierung — in den Mitgliedstaaten unterliegen, sofern mit einer solchen Regelung eine ähnliche Wirkung erzielt wird wie mit den technischen Modalitäten. Die Mitgliedstaaten teilen den Wortlaut dieser gleichwertigen angemessenen Regelung der Kommission mit. Art. 21 Weitergabe oder Verbreitung von Informationen in den Medien Werden für journalistische Zwecke oder andere Ausdrucksformen in den Medien Informationen offengelegt oder verbreitet oder Empfehlungen gegeben oder verbreitet, sind bei der Beurteilung dieser Offenlegung und Verbreitung von Informationen für den Zweck von Artikel 10, Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe c und Artikel 20 die Regeln der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien sowie der journalistischen Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen, es sei denn, 1378

Marktmissbrauchs-VO 596/2014

4.11

a) den betreffenden Personen oder mit diesen Personen in enger Beziehung stehenden Personen erwächst unmittelbar oder mittelbar ein Vorteil oder Gewinn aus der Offenlegung oder Verbreitung der betreffenden Information, oder b) die Weitergabe oder Verbreitung erfolgt in der Absicht, den Markt in Bezug auf das Angebot von Finanzinstrumenten, die Nachfrage danach oder ihren Kurs irrezuführen.

Kapitel 4 – ESMA und zuständige Behörden Art. 22–29 nicht abgedruckt.

Kapitel 5 – Verwaltungsrechtliche Massnahmen und Sanktionen Art. 30–34 nicht abgedruckt.

Kapitel 6 – Delegierte Rechtsakte und Durchführungsakte Art. 35–36 nicht abgedruckt.

Kapitel 7 – Schlussbestimmungen Art. 37–39 nicht abgedruckt.

Anhang I A. Indikatoren für manipulatives Handeln durch Aussenden falscher oder irreführender Signale und durch Herbeiführen bestimmter Kurse Für die Zwecke der Anwendung von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a dieser Verordnung und unbeschadet der Handlungen, die in Absatz 2 des genannten Artikels aufgeführt sind, werden die nachfolgend in nicht erschöpfender Aufzählung genannten Indikatoren, die für sich genommen nicht unbedingt als 1379

4.11

Marktmissbrauchs-VO 596/2014

Marktmanipulation anzusehen sind, berücksichtigt, wenn Marktteilnehmer oder die zuständigen Behörden Geschäfte oder Handelsaufträge prüfen: a) der Umfang, in dem erteilte Handelsaufträge oder abgewickelte Geschäfte einen bedeutenden Teil des Tagesvolumens der Transaktionen mit dem entsprechenden Finanzinstrument, einem damit verbundenen Waren-SpotKontrakt oder einem auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekt ausmachen, vor allem dann, wenn diese Tätigkeiten zu einer erheblichen Veränderung des Kurses führen; b) der Umfang, in dem erteilte Handelsaufträge oder abgewickelte Geschäfte von Personen die bedeutende Kauf- oder Verkaufspositionen in Bezug auf ein Finanzinstrument, einen damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakt oder ein auf Emissionszertifikaten beruhendes Auktionsobjekt innehaben, zu wesentlichen Änderungen des Kurses dieses Finanzinstruments, damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts führen; c) der Umstand, ob getätigte Geschäfte nicht zu einer Änderung des wirtschaftlichen Eigentums eines Finanzinstruments, eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts führen; d) der Umfang, in dem erteilte Handelsaufträge oder abgewickelte Geschäfte oder stornierte Aufträge Umkehrungen von Positionen innerhalb eines kurzen Zeitraums beinhalten und einen beträchtlichen Teil des Tagesvolumens der Transaktionen mit dem entsprechenden Finanzinstrument, einem damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakt oder einem auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekt ausmachen und mit einer erheblichen Veränderung des Kurses eines Finanzinstruments, eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts in Verbindung stehen könnten; e) der Umfang, in dem erteilte Handelsaufträge oder abgewickelte Geschäfte durch ihre Häufung innerhalb eines kurzen Abschnitts des Handelstages eine Kursveränderung bewirken, auf die einen gegenläufige Preisänderung folgt; f) der Umfang, in dem erteilte Handelsaufträge die Darstellung der besten Geld- oder Briefkurse eines Finanzinstruments, eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts verändern oder allgemeiner die den Marktteilnehmern verfügbare Darstellung des Orderbuchs verändern und vor ihrer eigentlichen Abwicklung annulliert werden, und g) der Umfang, in dem Geschäfte genau oder ungefähr zu einem Zeitpunkt in Auftrag gegeben oder abgewickelt werden, zu dem die Referenzkurse, die 1380

Marktmissbrauchs-VO 596/2014

4.11

Abrechnungskurse und die Bewertungen berechnet werden, und dies zu Kursveränderungen führt, die sich auf diese Kurse und Bewertungen auswirken. B. Indikatoren für manipulatives Handeln durch Vorspiegelung falscher Tatsachen sowie durch sonstige Kunstgriffe oder Formen der Täuschung Für die Zwecke der Anwendung von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe b dieser Verordnung und unbeschadet der Handlungen, die in Absatz 2 des genannten Artikels aufgeführt sind, werden die nachfolgend in nicht erschöpfender Aufzählung genannten Indikatoren, die für sich genommen nicht unbedingt als Marktmanipulation anzusehen sind, berücksichtigt, wenn Marktteilnehmer oder die zuständigen Behörden Geschäfte oder Handelsaufträge prüfen: a) ob von bestimmten Personen erteilte Handelsaufträge oder ausgeführte Geschäfte vorab oder im Nachhinein von der Verbreitung falscher oder irreführender Informationen durch dieselben oder in enger Beziehung zu ihnen stehenden Personen begleitet wurden und b) ob Geschäfte von Personen in Auftrag gegeben bzw. ausgeführt werden, bevor oder nachdem diese Personen oder in enger Beziehung zu ihnen stehende Personen unrichtige oder verzerrte oder nachweislich von materiellen Interessen beeinflusste Anlageempfehlungen erstellt oder weitergegeben haben. Anhang II Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt.

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4.12 Marktmissbrauchs-RL II 2014/57

*

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 83 Absatz 2, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Ein integrierter und effizienter Finanzmarkt und eine Stärkung des Anlegervertrauens setzen Marktintegrität voraus. Das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Märkte sind Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Marktmissbrauch verletzt die Integrität der Finanzmärkte und untergräbt das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wertpapiere, Derivate und Referenzwerte. (2) Mit der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates4 wurde der Rechtsrahmen der Union zum Schutz der Marktintegrität vervollständigt und aktualisiert. Gemäß dieser Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten auch sicherstellen, dass die zuständigen Behörden über die für die Aufdeckung und Untersuchung von Marktmissbrauch erforderlichen Befugnisse verfügen. Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten zur Verhängung strafrechtlicher Sanktionen müssen die Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie 2003/6/EG zudem dafür sorgen, dass gegen die für Verstöße gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie verantwortlichen Personen Verwaltungsmaßnahmen getroffen oder verwaltungsrechtliche Sanktionen verhängt werden können. (3) Gemäß der Empfehlungen im Bericht der hochrangigen Gruppe „Finanzaufsicht in der EU“ unter dem Vorsitz von Jacques de Larosière („de-Larosière-Gruppe“) vom 25. Februar 2009 muss sich ein solider Rahmen für Aufsicht und Unternehmensführung im Finanzsektor auf eine wirkungsvolle Aufsichts- und Sanktionsordnung stützen können. Nach Ansicht der de-Larosière-Gruppe müssen die Aufsichtsbehörden dazu mit ausreichenden Handlungsbefugnissen ausgestattet sein und auf gleichwertige, starke und abschreckende Sanktionsregelungen für alle Finanzstraftaten zurückgreifen können, die wirksam durchgesetzt werden sollten, um die Marktintegrität zu wahren. Den Schlussfolgerungen der de-Larosière-Gruppe zufolge sind die Sanktionsregelungen der Mitgliedstaaten jedoch generell schwach und heterogen.

* Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl. 2014 L 173/179. 1 ABl. C 161 vom 7. 6. 2012, S. 3. 2 ABl. C 181 vom 21. 6. 2012, S. 64. 3 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 4. Februar 2014 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 14. April 2014. 4 ABl. L 96 vom 12. 4. 2003, S. 16. https://doi.org/10.1515/9783110667776-055

Marktmissbrauchs-RL II 2014/57

4.12

(4) Ein gut funktionierender Rechtsrahmen zur Bekämpfung des Marktmissbrauchs bedarf einer wirksamen Umsetzung. Eine Prüfung der nationalen Regelungen zu verwaltungsrechtlichen Sanktionen im Rahmen der Richtlinie 2003/6/EG ergab, dass nicht alle zuständigen nationalen Behörden über sämtliche erforderlichen Befugnisse verfügen, um Fälle von Marktmissbrauch angemessen ahnden zu können. Insbesondere gibt es nicht in allen Mitgliedstaaten finanzielle verwaltungsrechtliche Sanktionen für Insider-Geschäfte und Marktmanipulation, und die Höhe der Sanktionen variiert in den einzelnen Mitgliedstaaten beträchtlich. Es bedarf daher eines neuen Gesetzgebungsakts, um in der gesamten Union gemeinsame Mindestvorschriften zu gewährleisten. (5) Die Einführung verwaltungsrechtlicher Sanktionen durch die Mitgliedstaaten hat sich bislang nicht als ausreichend erwiesen, um die Einhaltung der Vorschriften zur Verhinderung und Bekämpfung von Marktmissbrauch sicherzustellen. (6) Es ist daher unverzichtbar, die Einhaltung der Vorschriften über Marktmissbrauch durch die Einführung von strafrechtlichen Sanktionen zu unterstützen, die die gesellschaftliche Missbilligung in stärkerer Weise deutlich machen als verwaltungsrechtliche Sanktionen. Indem zumindest schwere Formen des Marktmissbrauchs unter Strafe gestellt werden, werden klare rechtliche Grenzen für als besonders inakzeptabel angesehenes Verhalten festgelegt und wird der Öffentlichkeit und möglichen Tätern signalisiert, dass die zuständigen Behörden ein solches Verhalten sehr ernst nehmen. (7) Nicht alle Mitgliedstaaten sehen bisher strafrechtliche Sanktionen für einige Formen schwerer Verstöße gegen die nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2003/6/ EG vor. Die unterschiedlichen Ansätze der Mitgliedstaaten verringern die Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen im Binnenmarkt und können mögliche Täter dazu verleiten, Marktmissbrauch in Mitgliedstaaten zu begehen, in denen dies nicht strafrechtlich geahndet wird. Zudem gibt es bisher kein unionsweites Einvernehmen darüber, welche Verhaltensweisen als schwere Verstöße gegen die Vorschriften über Marktmissbrauch anzusehen sind. Daher sollten Mindestvorschriften über Straftaten, die von natürlichen Personen begangen werden, über die Verantwortlichkeit juristischer Personen sowie über die einschlägigen Sanktionen festgelegt werden. Gemeinsame Mindestvorschriften würden darüber hinaus wirksamere Ermittlungsmethoden und eine wirksamere Zusammenarbeit in und zwischen den Mitgliedstaaten ermöglichen. An den Nachwirkungen der Finanzkrise ist deutlich geworden, dass Marktmanipulationen das Leben von Millionen Menschen massiv beeinträchtigen können. Der Libor-Skandal, bei dem es um eine schwerwiegende Manipulation eines Referenzwerts ging, hat gezeigt, dass die damit zusammenhängenden Probleme und Lücken das Vertrauen in die Märkte massiv erschüttern und zu erheblichen Verlusten der Anleger und Verzerrungen der Realwirtschaft führen können. Da es in der Union keine gemeinsamen Regelungen über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmissbrauch gibt, ist es den Tätern möglich, Vorteile aus dem Bestehen weniger strenger Regelungen in einigen Mitgliedstaaten zu ziehen. Die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen bei Marktmissbrauch wird eine stärkere abschreckende Wirkung auf mögliche Täter haben. (8) Die Einführung strafrechtlicher Sanktionen in allen Mitgliedstaaten bei zumindest schweren Verstößen im Bereich des Marktmissbrauchs ist daher für die wirksame Umsetzung der Unionspolitik zur Bekämpfung des Marktmissbrauchs von wesentlicher Bedeutung. (9) Um den Anwendungsbereich dieser Richtlinie in Einklang mit dem der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation5 zu bringen, sollten der Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von 5 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie

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4.12

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Marktmissbrauchs-RL II 2014/57

Rückkaufprogrammen und der Handel mit Wertpapieren oder ähnlichen Instrumenten zur Stabilisierung von Wertpapieren, Transaktionen, Aufträge oder Handlungen, die aus geld- oder währungspolitischen Gründen oder im Rahmen der öffentlichen Schuldenverwaltung erfolgen; Tätigkeiten, die Emissionszertifikate im Rahmen der Klimapolitik der Union betreffen; und Tätigkeiten im Rahmen der Gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik der Union vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden. Die Mitgliedstaaten sollten verpflichtet sein vorzusehen, dass zumindest schwerwiegende Fälle von Insider-Geschäften, Marktmanipulation und unrechtmäßiger Offenlegung von Insider-Informationen Straftaten darstellen, wenn sie vorsätzlich begangen werden. Für die Zwecke dieser Richtlinie sollten Insider-Geschäfte und eine unrechtmäßige Offenlegung von Insider-Informationen unter anderem in den Fällen als schwerwiegend betrachtet werden, in denen die Auswirkungen auf die Integrität des Markts, der tatsächlich oder potenziell erzielte Gewinn oder vermiedene Verlust, das Ausmaß des für den Markt entstandenen Schadens oder der Gesamtwert der gehandelten Finanzinstrumente hoch sind. Dabei können auch andere Umstände berücksichtigt werden, zum Beispiel, ob die Tat im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangen wurde oder die Person bereits früher eine solche Straftat begangen hat. Für die Zwecke dieser Richtlinie sollte eine Marktmanipulation unter anderem in den Fällen als schwerwiegend betrachtet werden, in denen die Auswirkungen auf die Integrität des Markts, der tatsächlich oder potenziell erzielte Gewinn oder vermiedene Verlust, das Ausmaß des auf dem Markt entstandenen Schadens, die Änderung des Werts der Finanzinstrumente oder Waren-Spot-Kontrakte oder der Betrag der ursprünglich genutzten Mittel hoch sind oder wenn die Manipulation von einer Person begangen wird, die im Finanzsektor oder in einer Aufsichts- bzw. Regulierungsbehörde angestellt oder tätig ist. Angesichts der negativen Wirkung, die versuchte Insider-Geschäfte und Marktmanipulation auf die Integrität der Finanzmärkte und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte haben, sollte auch der Versuch solcher Handlungen strafbar sein. Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten verpflichten, in ihrem nationalen Recht für in den Geltungsbereich der Richtlinie fallende Insider-Geschäfte, Marktmanipulation und unrechtmäßige Offenlegung von Insider-Informationen strafrechtliche Sanktionen vorzusehen. Durch diese Richtlinie sollte keine Verpflichtung geschaffen werden, diese Sanktionen oder andere Formen der Strafverfolgung im Einzelfall anzuwenden. Die Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten zudem dazu verpflichten, auch die Anstiftung und die Beihilfe zu solchen Straftaten unter Strafe zu stellen. Damit die Sanktionen für die in dieser Richtlinie genannten Straftaten wirksam und abschreckend sind, sollte in dieser Richtlinie ein Mindestniveau für das Höchstmaß der Freiheitsstrafe festgelegt werden. Bei der Anwendung der Richtlinie sollte der durch die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 und deren Durchführungsmaßnahmen geschaffene Rechtsrahmen berücksichtigt werden. Im Interesse einer wirksamen Durchführung der in der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 vorgesehenen europäischen Maßnahmen zur Sicherstellung der Integrität der Finanzmärkte sollten die Mitgliedstaaten die Verantwortlichkeit für die in dieser Richtlinie genannten Straftaten auf juristische Personen ausweiten und hierzu bestimmen, dass wirksame, ver-

2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (siehe Seite 1 dieses Amtsblatts).

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Marktmissbrauchs-RL II 2014/57

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hältnismäßige und abschreckende strafrechtliche oder nicht strafrechtliche Sanktionen oder andere Maßnahmen, wie z. B. die in der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 vorgesehenen, verhängt werden können. Diese Sanktionen oder andere Maßnahmen können die Veröffentlichung einer endgültigen Entscheidung über eine Sanktion unter Offenlegung der Identität der verantwortlichen juristischen Person umfassen, wobei den Grundrechten, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Risiken für die Stabilität der Finanzmärkte und laufende Ermittlungen Rechnung zu tragen ist. Die Mitgliedstaaten sollten, soweit ihr nationales Recht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen vorsieht, gegebenenfalls diese strafrechtliche Verantwortlichkeit im Einklang mit ihrem nationalen Recht auf die in dieser Richtlinie genannten Straftatbestände ausdehnen. Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, endgültige Entscheidungen über eine Verantwortlichkeit oder Sanktionen zu veröffentlichen. Die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die Strafverfolgungs- und Justizbehörden und sonstigen für die Ermittlung oder Verfolgung der in dieser Richtlinie genannten Straftaten zuständigen Stellen in der Lage sind, wirksame Ermittlungsinstrumente einzusetzen. Dabei ist — unter anderem unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit — darauf zu achten, dass der auf nationales Recht gestützte Einsatz solcher Instrumente der Art und der Schwere der untersuchten Straftaten angemessen ist. Da diese Richtlinie Mindestvorschriften enthält, steht es den Mitgliedstaaten frei, strengere strafrechtliche Bestimmungen zum Marktmissbrauch einzuführen oder beizubehalten. Die Mitgliedstaaten können zum Beispiel bestimmen, dass eine rücksichtslos oder grob fahrlässig begangene Marktmanipulation eine Straftat darstellt. Die in dieser Richtlinie enthaltene Verpflichtung, in ihrem nationalen Recht Sanktionen gegen natürliche und juristische Personen vorzusehen, befreit die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung, in ihrem nationalen Recht verwaltungsrechtliche Sanktionen und sonstige Maßnahmen für die in der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 festgelegten Verstöße vorzusehen, es sei denn, die Mitgliedstaaten haben im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 beschlossen, in ihrem nationalen Recht nur strafrechtliche Sanktionen für solche Verstöße festzulegen. Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie ist so definiert, dass dadurch die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 ergänzt und ihre wirksame Umsetzung gewährleistet wird. Während nach dieser Richtlinie ein begangener Verstoß bei Vorsatz und mindestens in schweren Fällen strafbar sein sollte, ist für Sanktionen bei Verstößen gegen die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 kein Nachweis eines Vorsatzes oder eines schweren Falles erforderlich. Bei der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Verhängung von strafrechtlichen Sanktionen auf Grundlage der in dieser Richtlinie vorgesehenen Straftaten und die Verhängung von verwaltungsrechtlichen Sanktionen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 nicht zu einem Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ führt. Unbeschadet der allgemeinen Vorschriften des nationalen Strafrechts über die Verhängung und Vollstreckung von strafrechtlichen Entscheidungen im Einklang mit den konkreten Umständen des Einzelfalls sollte die Verhängung von Sanktionen verhältnismäßig sein und die erzielten Gewinne oder vermiedenen Verluste der zur Verantwortung gezogenen Personen sowie der Schaden, der anderen Personen und gegebenenfalls der Funktionsweise der Märkte oder der breiteren Wirtschaft durch die Tat entstanden ist, berücksichtigt werden.

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4.12

Marktmissbrauchs-RL II 2014/57

(25) Da das Ziel dieser Richtlinie — die Sicherstellung der Verfügbarkeit strafrechtlicher Sanktionen für zumindest schwere Formen des Marktmissbrauchs in der gesamten Union — von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann, sondern vielmehr wegen des Umfangs und der Wirkungen der Richtlinie auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Verwirklichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (26) Zunehmende grenzüberschreitende Aktivitäten machen eine effiziente und wirksame Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden erforderlich, die für die Ermittlung und Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit Marktmissbrauch zuständig sind. Der Aufbau und die Zuständigkeiten dieser nationalen Behörden in den einzelnen Mitgliedstaaten sollten ihrer Zusammenarbeit nicht im Wege stehen. (27) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden „Charta“) niedergelegt wurden und im EUV anerkannt sind. Insbesondere sollte die Anwendung unter angemessener Berücksichtigung des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten (Artikel 8), der Meinungsfreiheit und der Informationsfreiheit (Artikel 11), der unternehmerischen Freiheit (Artikel 16), des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Artikel 47), der Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte (Artikel 48), der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen (Artikel 49) und des Rechts, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden (Artikel 50), erfolgen. (28) Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren gewährleistet werden. Ihre Pflichten nach dieser Richtlinie berühren nicht die Pflichten, die ihnen gemäß bestehendem Unionsrecht über Verfahrensrechte in Strafverfahren obliegen. Durch diese Richtlinie dürfen weder die Pressefreiheit noch die freie Meinungsäußerung in den Medien beschränkt werden, soweit diese in der Union und in den Mitgliedstaaten insbesondere gemäß Artikel 11 der Charta und anderen einschlägigen Bestimmungen gewährleistet werden. Dies sollte insbesondere im Hinblick auf die durch diese Richtlinie untersagte Offenlegung von Insider-Informationen gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie über eine solche Offenlegung betont werden. (29) Unbeschadet des Artikels 4 des dem EUV und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beigefügten Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beteiligt sich das Vereinigte Königreich nicht an der Annahme dieser Richtlinie und ist weder durch diese Richtlinie gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet. (30) Gemäß Artikel 1, 2, 3 und 4 des dem EUV und AEUV beigefügten Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat Irland mitgeteilt, dass es sich an der Annahme und Anwendung dieser Richtlinie beteiligen möchte. (31) Gemäß den Artikeln 1 und 2 des Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Anhang zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Richtlinie und ist weder durch die Richtlinie gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet.

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Marktmissbrauchs-RL II 2014/57

4.12

(32) Der Europäische Datenschutzbeauftragte hat am 10. Februar 2012 eine Stellungnahme abgegeben6 — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 Gegenstand und Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für strafrechtliche Sanktionen bei Insider-Geschäften, unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation, um die Integrität der Finanzmärkte in der Union sicherzustellen und den Anlegerschutz und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte zu stärken. (2) Diese Richtlinie gilt außerdem für: a) Finanzinstrumente, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind oder für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt gestellt wurde; b) Finanzinstrumente, die in einem multilateralen Handelssystem gehandelt werden, zum Handel in einem multilateralen Handelssystem zugelassen sind oder für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel in einem multilateralen Handelssystem gestellt wurde; c) Finanzinstrumente, die in einem organisierten Handelssystem gehandelt werden; d) Finanzinstrumente, die nicht unter die Buchstaben a, b oder c fallen, deren Kurs oder Wert jedoch von dem Kurs oder Wert eines unter diesen Buchstaben genannten Finanzinstruments abhängt oder sich darauf auswirkt; sie umfassen Kreditausfall-Swaps oder Differenzkontrakte, sind jedoch nicht darauf beschränkt. Diese Richtlinie findet ferner Anwendung auf Handlungen und Transaktionen, einschließlich Geboten, die die Versteigerung von Emissionszertifikaten und anderen darauf beruhenden Auktionsobjekten auf einer als geregelter Markt zugelassenen Versteigerungsplattform gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/20107 betreffen, selbst wenn die versteigerten Produkte keine Finanzinstrumente sind. Alle für Handelsaufträge geltenden Bestimmungen dieser Richtlinie gelten auch für solche Gebote, und zwar unbeschadet etwaiger besonderer Bestimmungen über die Abgabe von Geboten im Rahmen einer Versteigerung. (3) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf: a) Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen, soweit dieser Handel im Einklang mit Artikel 5 Absätze 1, 2 und 3 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 erfolgt;

6 ABl. C 177 vom 20. 6. 2012, S. 1. 7 ABl. L 302 vom 18. 11. 2010, S. 1.

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4.12

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b) Handel mit Wertpapieren oder damit verbundenen Instrumenten gemäß Artikel 3 Absatz 2 Buchstaben a und b der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 zur Stabilisierung von Wertpapieren, soweit dieser Handel im Einklang mit Artikel 5 Absätze 4 und 5 jener Verordnung erfolgt; c) Transaktionen, Aufträge oder Handlungen, die aus geld- oder währungspolitischen Gründen oder im Rahmen der öffentlichen Schuldenverwaltung gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 getätigt werden, Transaktionen, Aufträge oder Handlungen, die gemäß Artikel 6 Absatz 2 jener Verordnung getätigt werden, Tätigkeiten im Rahmen der Klimapolitik der Union gemäß Artikel 6 Absatz 3 jener Verordnung sowie Tätigkeiten im Rahmen der Gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik der Union gemäß Artikel 6 Absatz 4 jener Verordnung. (4) Artikel 5 findet auch Anwendung auf: a) Waren-Spot-Kontrakte, die keine Energiegroßhandelsprodukte sind, bei denen die Transaktion, der Auftrag oder die Handlung eine Auswirkung auf den Preis oder den Wert eines in Absatz 2 genannten Finanzinstruments hat; b) Arten von Finanzinstrumenten, darunter Derivatekontrakte und derivative Finanzinstrumente für die Übertragung von Kreditrisiken, bei denen das Geschäft, der Auftrag, das Gebot oder die Handlung eine Auswirkung auf den Preis oder Wert eines Waren-Spot-Kontrakts hat, dessen Preis oder Wert vom Preis oder Wert dieser Finanzinstrumente abhängen; c) das Verhalten in Bezug auf Referenzwerte. (5) Diese Richtlinie gilt für sämtliche Transaktionen, Aufträge oder Handlungen, die ein Finanzinstrument nach Absatz 2 und 4 betreffen, unabhängig davon, ob die Transaktion, der Auftrag oder die Handlung an einem Handelsplatz vorgenommen wird. Art. 2 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: 1. „Finanzinstrument“ bezeichnet ein Finanzinstrument im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 15 der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates8; 2. „Waren-Spot-Kontrakt“ bezeichnet einen Waren-Spot-Kontrakt im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Nummer 15 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014;

8 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2011/61/EU und 2002/92/EG (siehe Seite 349 dieses Amtsblatts).

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3.

4. 5. 6. 7.

8. 9. 10. 11. 12. 13.

14.

4.12

„Rückkaufprogramm“ bezeichnet den Handel mit eigenen Aktien gemäß den Artikeln 21 bis 27 der Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates9; „Insider-Informationen“ bezeichnet Informationen im Sinne von Artikel 7 Absätze 1 bis 4 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014; „Emissionszertifikat“ bezeichnet ein Emissionszertifikat im Sinne von Anhang I Abschnitt C Nummer 11 der Richtlinie 2014/65/EU; „Referenzwert“ bezeichnet einen Referenzwert im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Nummer 29 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014; „zulässige Marktpraxis“ bezeichnet eine bestimmte Marktpraxis, die von der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gemäß Artikel 13 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 anerkannt wird; „Stabilisierungsmaßnahme“ bezeichnet eine Stabilisierungsmaßnahme im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung (EU) Nr. 596/2014; „geregelter Markt“ bezeichnet einen geregelten Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 21 der Richtlinie 2014/65/EU; „multilaterales Handelssystem“ bezeichnet ein multilaterales Handelssystem im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 22 der Richtlinie 2014/65/EU; „organisiertes Handelssystem“ bezeichnet ein organisiertes Handelssystem im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 23 der Richtlinie 2014/65/EU; „Handelsplatz“ bezeichnet einen Handelsplatz im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 24 der Richtlinie 2014/65/EU; „Energiegroßhandelsprodukt“ bezeichnet ein Energiegroßhandelsprodukt im Sinne von in Artikel 2 Nummer 4 der Verordnung (EU) Nr. 1227/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates10; „Emittent“ bezeichnet einen Emittenten im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Nummer 21 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014.

Art. 3 Insider-Geschäfte, Empfehlung an Dritte oder Anstiftung Dritter zum Tätigen von Insider-Geschäften (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Insider-Geschäfte, die Empfehlung an Dritte oder die Anstiftung Dritter zum Tätigen von Insider-Geschäften gemäß den Absätzen 2 bis 8, zumindest in schwerwiegenden Fällen und bei Vorliegen von Vorsatz, Straftaten darstellen. (2) Für die Zwecke dieser Richtlinie liegt ein Insider-Geschäft vor, wenn eine Person über Insider-Informationen verfügt und unter Nutzung dieser Informati-

9 ABl. L 315 vom 14. 11. 2012, S. 74. 10 ABl. L 326 vom 8. 12. 2011, S. 1.

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4.12

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onen für eigene oder fremde Rechnung unmittelbar oder mittelbar Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert. (3) Dieser Artikel gilt für jede Person, die über Insider-Informationen verfügt, weil sie a) dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan des Emittenten oder des Teilnehmers auf dem Markt für Emissionszertifikate angehört, b) am Kapital des Emittenten oder des Teilnehmers auf dem Markt für Emissionszertifikate beteiligt ist, c) aufgrund der Ausübung einer Arbeit oder eines Berufs oder der Erfüllung von Aufgaben Zugang zu den betreffenden Informationen hat oder d) an kriminellen Handlungen beteiligt ist. Dieser Artikel gilt ferner für jede Person, die Insider-Informationen unter anderen Umständen als nach Unterabsatz 1 erlangt hat und Kenntnis davon hat, dass es sich dabei um Insider-Informationen handelt. (4) Die Nutzung von Insider-Informationen in Form der Stornierung oder Änderung eines Auftrags in Bezug auf ein Finanzinstrument, auf das sich die Informationen beziehen, wird auch als Insider-Geschäft angesehen, wenn der Auftrag erteilt wurde, bevor die betreffende Person die Insider-Informationen erlangt hat. (5) In Bezug auf Versteigerungen von Emissionszertifikaten oder anderen darauf beruhenden Auktionsprodukten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 schließt die in Absatz 4 dieses Artikels genannte Nutzung von Insider-Informationen auch die Einreichung, Änderung oder Zurücknahme eines Gebots für eigene Rechnung oder für Rechnung eines Dritten ein. (6) Für die Zwecke dieser Richtlinie liegt eine Empfehlung zum Tätigen von Insider-Geschäften oder die Anstiftung Dritter hierzu vor, wenn eine Person über Insider-Informationen verfügt und a) auf der Grundlage dieser Informationen Dritten empfiehlt, Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, zu erwerben oder zu veräußern, oder sie dazu anstiftet, einen solchen Erwerb oder eine solche Veräußerung vorzunehmen, oder b) auf der Grundlage dieser Informationen Dritten empfiehlt, einen Auftrag, der ein Finanzinstrument betrifft, auf das sich die Informationen beziehen, zu stornieren oder zu ändern, oder sie dazu anstiftet, eine solche Stornierung oder Änderung vorzunehmen. (7) Die in Absatz 6 genannte Nutzung von Empfehlungen oder Anstiftungen erfüllt den Tatbestand des Insider-Geschäfts, wenn die Person, die die Empfehlung nutzt oder der Anstiftung folgt, Kenntnis davon hat, dass sie auf InsiderInformationen beruht. (8) Für die Zwecke dieses Artikels wird aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine Person im Besitz von Insiderinformationen ist oder war, nicht angenommen, 1390

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4.12

dass sie diese Informationen genutzt und daher auf der Grundlage eines Erwerbs oder einer Veräußerung Insider-Geschäfte getätigt hat, wenn ihre Handlungen nach Artikel 9 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 als rechtmäßig gelten. Art. 4 Unrechtmäßige Offenlegung von Insider-Informationen (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine unrechtmäßige Offenlegung von Insider-Informationen gemäß den Absätzen 2 bis 5 zumindest in schweren Fällen und bei Vorliegen von Vorsatz eine Straftat darstellt. (2) Für die Zwecke dieser Richtlinie liegt eine unrechtmäßige Offenlegung von Insider-Informationen vor, wenn eine Person, die über Insider-Informationen verfügt und diese Informationen an eine andere Person weitergibt, sofern diese Offenlegung nicht Rahmen der normalen Ausübung ihrer Arbeit oder ihres Berufs oder der Erfüllung ihrer Aufgaben erfolgt oder die Offenlegung nach Artikel 11 Absätze 1 bis 8 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 als Marktsondierung gilt. (3) Dieser Artikel gilt für jede Person, auf die die in Artikel 3 Absatz 3 bezeichneten Situationen oder Umstände zutreffen. (4) Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt die Offenlegung von Empfehlungen oder Anstiftungen gemäß Artikel 3 Absatz 6, nachdem man selbst die Empfehlung erhalten hat bzw. angestiftet wurde, als unrechtmäßige Offenlegung von Insider-Informationen gemäß diesem Artikel, wenn die Person, die die Empfehlung offenlegt oder Anstiftung offenlegt, Kenntnis davon hat, dass die Empfehlung bzw. Anstiftung auf Insider-Informationen beruht. (5) Dieser Artikel wird im Einklang mit dem notwendigen Schutz der Pressefreiheit und der freien Meinungsäußerung angewandt. Art. 5 Marktmanipulation (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine Marktmanipulation gemäß Absatz 2 zumindest in schweren Fällen und bei Vorliegen von Vorsatz eine Straftat darstellt. (2) Für die Zwecke dieser Verordnung umfasst der Begriff der Marktmanipulation folgende Handlungen: a) Vornahme einer Transaktion, Erteilung eines Handelsauftrags oder jegliche sonstige Handlung, die Folgendes umfasst: i) Geben falscher oder irreführender Signale hinsichtlich des Angebots oder des Preises eines Finanzinstruments oder damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder der Nachfrage danach oder ii) Beeinflussung des Preises eines oder mehrerer Finanzinstrumente oder eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts, um ein anormales oder künstliches Preisniveau zu erzielen, 1391

4.12

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es sei denn, die Person, die die Transaktion getätigt oder den Handelsauftrag erteilt hat, kann sich auf einen rechtmäßigen Grund stützen und die Transaktion oder der Handelsauftrag stehen im Einklang mit der zugelassenen Marktpraxis auf dem betreffenden Handelsplatz; b) Vornahme einer Transaktion, Erteilung eines Handelsauftrags oder jegliche sonstige Tätigkeit oder Handlung, die den Preis eines oder mehrerer Finanzinstrumente oder eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts beeinflusst, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder unter Verwendung sonstiger Kunstgriffe oder Formen der Täuschung; c) Verbreitung von Informationen über die Medien, einschließlich des Internets, oder mithilfe sonstiger Mittel, die falsche oder irreführende Signale hinsichtlich Angebot, Nachfrage oder Preis eines Finanzinstruments oder eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts aussenden oder den Preis eines oder mehrerer Finanzinstrumente oder eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts beeinflussen, um ein anormales oder künstliches Preisniveau zu erzielen, sofern die Personen, die diese Informationen verbreitet haben, durch die Verbreitung dieser Informationen einen Vorteil oder Gewinn für sich selbst oder für Dritte erzielen, oder d) Übermittlung falscher oder irreführender Informationen, Bereitstellung falscher oder irreführender Ausgangsdaten, oder jede andere Handlung, durch die die Berechnung eines Referenzwerts manipuliert wird. Art. 6 Anstiftung, Beihilfe und Versuch (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Anstiftung und Beihilfe zu den in Artikel 3 Absätze 2 bis 5 und in Artikel 4 und 5 genannten Straftaten unter Strafe gestellt wird. (2) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Versuch, eine in Artikel 3 Absätze 2 bis 5 und 7 und Artikel 5 genannte Straftat zu begehen, unter Strafe gestellt wird. (3) Artikel 3 Absatz 8 gilt entsprechend. Art. 7 Strafrechtliche Sanktionen gegen natürliche Personen (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in den Artikeln 3 bis 6 genannten Straftaten mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden strafrechtlichen Sanktionen bewehrt sind. (2) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in Artikel 3 und 5 genannten Straftaten mit Freiheitsstrafen im Höchstmaß von mindestens vier Jahren bewehrt sind (3) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in Artikel 4 genannte Straftat mit Freiheitsstrafen im Höchstmaß von mindestens zwei Jahren bewehrt ist. 1392

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4.12

Art. 8 Verantwortlichkeit juristischer Personen (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass juristische Personen für die in den Artikeln 3 bis 6 genannten Straftaten zur Verantwortung gezogen werden können, die zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurden, die entweder allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt hat und aufgrund einer der folgenden Befugnisse eine leitende Stellung innerhalb der juristischen Person innehat: a) eine Befugnis zur Vertretung der juristischen Person, b) eine Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen, oder c) eine Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person. (2) Die Mitgliedstaaten treffen zudem die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass juristische Personen zur Verantwortung gezogen werden können, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle durch eine Person im Sinne des Absatzes 1 es einer ihr unterstellten Person ermöglicht hat, eine der in den Artikeln 3 bis 6 genannten Straftaten zugunsten der juristischen Person zu begehen. (3) Die Verantwortlichkeit juristischer Personen nach den Absätzen 1 und 2 schließt die strafrechtliche Verfolgung natürlicher Personen als Täter, Anstifter oder Gehilfen bei in den Artikeln 3 bis 6 genannten Straftaten nicht aus. Art. 9 Sanktionen gegen juristische Personen Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass gegen eine nach Artikel 8 verantwortliche juristische Person wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verhängt werden können, die Geldstrafen oder nichtstrafrechtliche Geldbußen umfassen müssen, aber auch andere Sanktionen einschließen können, wie etwa: a) Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, b) vorübergehendes oder ständiges Verbot der Ausübung einer Handelstätigkeit, c) Unterstellung unter richterliche Aufsicht, d) richterlich angeordnete Auflösung, e) vorübergehende oder endgültige Schließung von Einrichtungen, die zur Begehung der Straftat genutzt wurden. Art. 10 Gerichtliche Zuständigkeit (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um ihre gerichtliche Zuständigkeit für Straftaten nach den Artikeln 3 bis 6 in den Fällen zu begründen, in denen die Straftat a) ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurde oder b) von einem ihrer Staatsangehörigen begangen wurde, zumindest in den Fällen, in denen die Tat dort, wo sie begangen wurde, eine Straftat darstellt. 1393

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(2) Ein Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über seine Entscheidung, eine weitere gerichtliche Zuständigkeit für Straftaten nach den Artikeln 3 bis 6, die außerhalb seines Hoheitsgebiets begangen wurden, zu begründen, wenn a) der gewöhnliche Aufenthalt des Straftäters in seinem Hoheitsgebiet liegt oder b) die Straftat zugunsten einer in seinem Hoheitsgebiet ansässigen juristischen Person begangen wird. Art. 10–15 Schulungen, Bericht, Umsetzung und Inkrafttreten — nicht abgedruckt.

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4.13 Kodifikations-RL (Titel II – Fusion * und Spaltung) 2017/1132 DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 50 Absatz 1 und Absatz 2 Buchstabe g, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1)–(48) Vorschriften, deren Text unten nicht abgedruckt ist. (49) Der Schutz der Interessen von Gesellschaftern und Dritten erfordert es, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften zu koordinieren; gleichzeitig erscheint es zweckmäßig, in die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten die Institution der Verschmelzung einzuführen. (50) Im Rahmen dieser Koordinierung ist es besonders wichtig, die Aktionäre der sich verschmelzenden Gesellschaften angemessen und so objektiv wie möglich zu unterrichten und ihre Rechte in geeigneter Weise zu schützen. Jedoch ist keine Prüfung des Verschmelzungsplans durch unabhängige Sachverständige für die Aktionäre der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften erforderlich, wenn alle Aktionäre darauf verzichtet haben. (51) Die Gläubiger einschließlich der Inhaber von Schuldverschreibungen sowie die Inhaber anderer Rechte der sich verschmelzenden Gesellschaften sollten dagegen geschützt werden, dass sie durch die Verschmelzung Schaden erleiden. (52) Die Offenlegung zum Schutze der Interessen von Gesellschaftern und Dritten sollte sich auch auf Maßnahmen zur Durchführung von Verschmelzungen beziehen, damit hierüber auch Dritte ausreichend unterrichtet werden. (53) Ferner sollten sich die Garantien, die Gesellschaftern und Dritten bei der Durchführung der Verschmelzung von Aktiengesellschaften gewährt werden, auch auf bestimmte andere rechtliche Vorgänge erstrecken, die in wesentlichen Punkten ähnliche Merkmale wie die Verschmelzung aufweisen, um Umgehungen des Schutzes zu vermeiden. (54) Schließlich ist es notwendig, die Fälle der Nichtigkeit einer Verschmelzung zu beschränken, um die Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen den beteiligten Gesellschaften, zwischen diesen und Dritten sowie unter den Aktionären zu gewährleisten; außerdem müssen einerseits der Grundsatz, dass dem Mangel der Verschmelzung so weit wie möglich abgeholfen werden soll, und andererseits eine kurze Frist zur Geltendmachung der Nichtigkeit festgelegt werden.

* Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. 2017 L 169/46. 1 ABl. C 264 vom 20. 7. 2016, S. 82. 2 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 5. April 2017 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 29. Mai 2017. https://doi.org/10.1515/9783110667776-056

4.13

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(55) Mit dieser Richtlinie wird auch die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften erleichtert. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten sollten die grenzüberschreitende Verschmelzung einer inländischen Kapitalgesellschaft mit einer Kapitalgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat gestatten, wenn das nationale Recht der betreffenden Mitgliedstaaten Verschmelzungen zwischen Unternehmen solcher Rechtsformen erlaubt. (56) Um grenzüberschreitende Verschmelzungen zu erleichtern, sollte festgelegt werden, dass für jede an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligte Gesellschaft und jeden beteiligten Dritten weiterhin die Vorschriften und Formalitäten des nationalen Rechts gelten, das im Falle einer innerstaatlichen Verschmelzung anwendbar wäre, sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften und Formalitäten des nationalen Rechts, auf die in dieser Richtlinie Bezug genommen wird, sollten keine Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit oder des freien Kapitalverkehrs einführen, es sei denn, derartige Beschränkungen lassen sich im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und insbesondere durch die Erfordernisse des Gemeinwohls rechtfertigen und sind zur Erfüllung solcher vorrangigen Erfordernisse erforderlich und angemessen. (57) Der gemeinsame Plan für eine grenzüberschreitende Verschmelzung sollte für alle an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften, die verschiedenen Mitgliedstaaten angehören, gleich lauten. Es sollte daher festgelegt werden, welche Angaben der gemeinsame Verschmelzungsplan mindestens enthalten muss, wobei den Gesellschaften gleichzeitig die Möglichkeit gegeben werden sollte, weitere Angaben zu vereinbaren. (58) Zum Schutz der Interessen der Gesellschafter und Dritter sollte für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften sowohl der gemeinsame Plan für die grenzüberschreitende Verschmelzung als auch der Abschluss der grenzüberschreitenden Verschmelzung im entsprechenden öffentlichen Register offengelegt werden. (59) Die Rechtsvorschriften aller Mitgliedstaaten sollten vorsehen, dass auf nationaler Ebene für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften von einem oder mehreren Sachverständigen ein Bericht über den gemeinsamen Plan für die grenzüberschreitende Verschmelzung erstellt wird. Um die im Zusammenhang mit einer grenzüberschreitenden Verschmelzung anfallenden Sachverständigenkosten zu begrenzen, sollte die Möglichkeit vorgesehen werden, einen gemeinsamen Bericht für alle Gesellschafter der an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zu erstellen. Die Gesellschafterversammlung jeder Gesellschaft sollte dem gemeinsamen Verschmelzungsplan zustimmen. (60) Um grenzüberschreitende Verschmelzungen zu erleichtern, sollte die Kontrolle des Abschlusses und der Rechtmäßigkeit des Beschlussfassungsverfahrens jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften von der für die einzelne Gesellschaft jeweils zuständigen nationalen Behörde vorgenommen werden, während die Kontrolle des Abschlusses und der Rechtmäßigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung von der nationalen Behörde vorgenommen werden sollte, die für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft zuständig ist. Bei dieser nationalen Behörde kann es sich um ein Gericht, einen Notar oder jede andere von dem betreffenden Mitgliedstaat benannte Behörde handeln. Es sollte auch festgelegt werden, nach welchem nationalen Recht sich der Zeitpunkt bestimmt, zu dem die grenzüberschreitende Verschmelzung wirksam wird, nämlich nach dem Recht, das für die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft maßgebend ist.

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4.13

(61) Zum Schutz der Interessen der Gesellschafter und Dritter sollten die Rechtsfolgen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung angegeben werden, wobei danach zu unterscheiden ist, ob es sich bei der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft um eine übernehmende oder um eine neue Gesellschaft handelt. Im Interesse der Rechtssicherheit sollte vorgeschrieben werden, dass eine grenzüberschreitende Verschmelzung nach ihrem Wirksamwerden nicht mehr für nichtig erklärt werden kann. (62) Diese Richtlinie lässt die Anwendung des Fusionskontrollrechts sowohl auf Ebene der Union durch die Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates3 als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten unberührt. (63) Die für Kreditvermittlungsgesellschaften und andere Finanzgesellschaften geltenden Rechtsvorschriften der Union und die gemäß diesen Rechtsvorschriften erlassenen nationalen Vorschriften bleiben von dieser Richtlinie unberührt. (64) Diese Richtlinie lässt die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten unberührt, nach denen anzugeben ist, welches der Ort der Hauptverwaltung oder der Hauptniederlassung der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft sein soll. (65) Die Rechte der Arbeitnehmer mit Ausnahme der Mitbestimmungsrechte sollten weiterhin den Vorschriften der Mitgliedstaaten unterliegen, die in den Richtlinien 98/59/EG4 und 2001/23/EG5 des Rates und den Richtlinien 2002/14/EG6 und 2009/38/EG7 des Europäischen Parlaments und des Rates genannt sind. (66) Haben die Arbeitnehmer Mitbestimmungsrechte in einer an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaft nach Maßgabe dieser Richtlinie und sieht das nationale Recht des Mitgliedstaats, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat, nicht den gleichen Umfang an Mitbestimmung vor wie in den jeweiligen an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften — einschließlich in mit Beschlussfassungsbefugnissen ausgestatteten Ausschüssen des Aufsichtsorgans — oder sieht dieses Recht nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungsrechten durch die Arbeitnehmer der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Betriebe vor, so sollte die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft sowie ihre Mitwirkung an der Festlegung dieser Rechte neu geregelt werden. Hierbei sollten die Grundsätze und Verfahren der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates8 und der Richtlinie 2001/86/EG des Rates9 angewendet werden, jedoch mit den Änderungen, die für notwendig erachtet werden, weil die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft dem nationalen Recht des Sitzmitgliedstaats unterliegen wird. Die Mitgliedstaaten können gemäß Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/86/EG für eine rasche Aufnahme der in Artikel 133 der vorliegenden Richtlinie vorgesehenen Verhandlungen sorgen, damit Verschmelzungen nicht unnötig verzögert werden. (67) Bei der Ermittlung des Umfangs der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften sollte auch der Anteil der die Arbeitnehmer vertre-

3 4 5 6 7 8 9

ABl. ABl. ABl. ABl. ABl. ABl. ABl.

L L L L L L L

24 vom 29. 1. 2004, S. 1. 225 vom 12. 8. 1998, S. 16. 82 vom 22. 3. 2001, S. 16 80 vom 23. 3. 2002, S. 29. 122 vom 16. 5. 2009, S. 28. 294 vom 10. 11. 2001, S. 1. 294 vom 10. 11. 2001, S. 22.

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tenden Mitglieder des Leitungsgremiums berücksichtigt werden, das für die Ergebniseinheiten der Gesellschaften zuständig ist, wenn eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer besteht. Der Schutz der Interessen von Gesellschaftern und Dritten erfordert es, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Spaltung von Aktiengesellschaften zu koordinieren, sofern die Mitgliedstaaten die Spaltung zulassen. Im Rahmen der Koordinierung ist es besonders wichtig, die Aktionäre der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften angemessen und so objektiv wie möglich zu unterrichten und ihre Rechte in geeigneter Weise zu schützen. Die Gläubiger einschließlich der Inhaber von Schuldverschreibungen sowie die Inhaber anderer Rechte der an der Spaltung beteiligten Aktiengesellschaften sollten dagegen geschützt werden, dass sie durch die Spaltung Schaden erleiden Die Offenlegung gemäß Titel I Kapitel III Abschnitt 1 der vorliegenden Richtlinie sollte sich auch auf Maßnahmen zur Durchführung der Spaltung beziehen, damit Dritte hierüber ausreichend unterrichtet werden. Ferner sollten sich die Garantien, die Gesellschaftern und Dritten bei der Durchführung der Spaltung gewährt werden, auch auf bestimmte andere rechtliche Vorgänge erstrecken, die in wesentlichen Punkten ähnliche Merkmale wie die Spaltung aufweisen, um Umgehungen des Schutzes zu vermeiden. Schließlich sollten, um die Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen den an der Spaltung beteiligten Aktiengesellschaften, zwischen diesen und Dritten sowie unter den Aktionären zu gewährleisten, die Fälle der Nichtigkeit der Spaltung beschränkt werden; außerdem sollten der Grundsatz, dass Mängeln der Spaltung soweit wie möglich abgeholfen werden soll, und eine kurze Frist zur Geltendmachung der Nichtigkeit festgelegt werden. Die Internetseiten der Gesellschaften oder andere Internetseiten bieten in bestimmten Fällen eine Alternative zur Veröffentlichung von Informationen über das Gesellschaftsregister. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, diejenigen anderen Internetseiten zu benennen, die Gesellschaften kostenlos für diese Veröffentlichung nutzen können, wie etwa Internetseiten von Wirtschaftsverbänden oder Handelskammern oder die zentrale elektronische Plattform gemäß dieser Richtlinie. Besteht die Möglichkeit, die Internetseiten der Gesellschaften oder andere Internetseiten für die Veröffentlichung der Verschmelzungs- und Spaltungspläne oder anderer Dokumente, die den Aktionären und Gläubigern in diesem Zusammenhang zur Verfügung zu stellen sind, zu nutzen, sollten Anforderungen, die die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente betreffen, eingehalten werden. Die Mitgliedstaaten sollten vorsehen können, dass die umfangreichen Berichts- und Informationspflichten betreffend die Verschmelzung oder Spaltung von Gesellschaften nach Titel II Kapitel I und Kapitel III nicht eingehalten werden brauchen, wenn alle Aktionäre der an der Verschmelzung oder Spaltung beteiligten Gesellschaften auf deren Einhaltung verzichtet haben. Änderungen des Titels II Kapitel I und Kapitel III, die eine derartige Vereinbarung der Aktionäre ermöglichen, sollten den Systemen zum Schutz der Interessen der Gläubiger der beteiligten Gesellschaften sowie den Vorschriften, die die erforderliche Unterrichtung der Arbeitnehmer dieser Gesellschaften und der Behörden wie der Steuerbehörden, die die Verschmelzung oder Spaltung im Einklang mit dem geltenden Unionsrecht überwachen, gewährleisten sollen, nicht entgegenstehen.

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(77) Es ist nicht erforderlich, die Erstellung einer Zwischenbilanz zu verlangen, wenn ein Emittent, dessen Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, Halbjahresfinanzberichte gemäß der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates,10 veröffentlicht. (78) Ein Bericht eines unabhängigen Sachverständigen über die Prüfung der Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, ist häufig nicht erforderlich, wenn gleichzeitig im Rahmen einer Verschmelzung oder Spaltung auch ein Bericht eines unabhängigen Sachverständigen zum Schutz der Interessen der Aktionäre oder Gläubiger erstellt werden muss. Die Mitgliedstaaten sollten in diesen Fällen deshalb die Möglichkeit haben, Gesellschaften von der Berichtspflicht hinsichtlich der Prüfung der Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, zu befreien oder vorzusehen, dass beide Berichte von demselben Sachverständigen erstellt werden können. (79) Die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates11 und die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates12 regeln die Verarbeitung personenbezogener Daten, einschließlich der elektronischen Übermittlung personenbezogener Daten innerhalb der Mitgliedstaaten. Jede Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Register der Mitgliedstaaten, durch die Kommission und gegebenenfalls durch am Betrieb der Plattform beteiligte Dritte sollte im Einklang mit diesen Rechtsakten vorgenommen werden. Die in Bezug auf das System der Registervernetzung zu erlassenden Durchführungsrechtsakte sollten, wenn angebracht, die Einhaltung der genannten Rechtsakte gewährleisten, insbesondere indem darin die jeweiligen Aufgaben und Verantwortlichkeiten aller betreffenden Beteiligten sowie die für sie geltenden organisatorischen und technischen Vorschriften festgelegt werden. (80) Diese Richtlinie wahrt die Grundrechte und beachtet die Grundsätze, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, insbesondere in Artikel 8, wonach jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten hat. (81) Diese Richtlinie sollte die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang III Teil B genannten Fristen für die Umsetzung und Anwendung der dort genannten Richtlinien in nationales Recht unberührt lassen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Titel I Allgemeine Bestimmungen sowie Gründung und Funktionsweise von Kapitalgesellschaften — nicht abgedruckt.13

10 ABl. L 11 ABl. L 12 ABl. L 13 Titel I Titel I.

390 vom 31. 12. 2004, S. 38. 281 vom 23. 11. 1995, S. 31. 8 vom 12. 1. 2001, S. 1. dieser Richtlinie ist in dieser Sammlung abgedruckt unter 4.1 Kodifikations-RL —

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Titel II – Verschmelzen und Spaltung von Kapitalgesellschaften Kapitel I – Verschmelzen von Aktiengesellschaften Abschnitt I − Allgemeine Bestimmungen über die Verschmelzung Art. 87 Allgemeine Bestimmungen (1) Die durch dieses Kapitel vorgeschriebenen Maßnahmen der Koordinierung gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Gesellschaften der in Anhang I genannten Rechtsformen. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen dieses Kapitel auf Genossenschaften, die in einer der in Anhang I genannten Rechtsformen gegründet worden sind, nicht anzuwenden. Soweit die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, verpflichten sie diese Gesellschaften, die Bezeichnung „Genossenschaft“ auf allen in Artikel 26 genannten Dokumenten anzugeben. (3) Die Mitgliedstaaten brauchen dieses Kapitel nicht anzuwenden, wenn eine oder mehrere der übertragenden oder erlöschenden Gesellschaften Gegenstand eines Konkurs-, Vergleichs- oder ähnlichen Verfahrens ist bzw. sind. (4) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass dieses Kapitel nicht auf Gesellschaften angewandt wird, die Gegenstand eines Rückgriffs auf die in Titel IV der Richtlinie 2014/59/EU vorgesehenen Abwicklungsinstrumente, -befugnisse und -mechanismen sind. Art. 88 Regelungen über die Verschmelzung durch Aufnahme und die Verschmelzung durch Gründung einer neunen Gesellschaft Die Mitgliedstaaten regeln für die Gesellschaften, die ihrem Recht unterliegen, die Verschmelzung durch Aufnahme einer oder mehrerer Gesellschaften durch eine andere Gesellschaft und die Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft. Art. 89 Definition der „Verschmelzung durch Aufnahme“ (1) Im Sinne dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck „Verschmelzung durch Aufnahme“ den Vorgang, durch den eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, und zwar gegen Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung, die 10 % des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt. 1400

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(2) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können vorsehen, dass die Verschmelzung durch Aufnahme auch dann erfolgen kann, wenn sich eine oder mehrere der übertragenden Gesellschaften in Abwicklung befinden, sofern diese Möglichkeit auf Gesellschaften beschränkt wird, die noch nicht mit der Verteilung ihres Vermögens an ihre Aktionäre begonnen haben. Art. 90 Definition der „Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft“ (1) Im Sinne dieses Kapitels ist die „Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft“ der Vorgang, durch den mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine Gesellschaft, die sie gründen, übertragen, und zwar gegen Gewährung von Aktien der neuen Gesellschaft an ihre Aktionäre und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung, die 10 % des Nennbetrags oder, wenn der Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt. (2) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können vorsehen, dass die Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft auch dann erfolgen kann, wenn sich eine oder mehrere der erlöschenden Gesellschaften in Abwicklung befinden, sofern diese Möglichkeit auf Gesellschaften beschränkt wird, die noch nicht mit der Verteilung ihres Vermögens an ihre Aktionäre begonnen haben. Abschnitt 2 – Verschmelzung durch Aufnahme Art. 91 Verschmelzungsplan (1) Die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften erstellen einen schriftlichen Verschmelzungsplan. (2) Der Verschmelzungsplan enthält mindestens folgende Angaben: a) die Rechtsform, die Firma und den Sitz der sich verschmelzenden Gesellschaften; b) das Umtauschverhältnis der Aktien und gegebenenfalls die Höhe der baren Zuzahlung; c) die Einzelheiten hinsichtlich der Übertragung der Aktien der übernehmenden Gesellschaft; d) den Zeitpunkt, von dem an diese Aktien das Recht auf Teilnahme am Gewinn gewähren, sowie alle Besonderheiten in Bezug auf dieses Recht; e) den Zeitpunkt, von dem an die Handlungen der übertragenden Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Rechnungslegung als für Rechnung der übernehmenden Gesellschaft vorgenommen gelten; f) die Rechte, welche die übernehmende Gesellschaft den Aktionären mit Sonderrechten und den Inhabern anderer Wertpapiere als Aktien gewährt, oder die für diese Personen vorgeschlagenen Maßnahmen; 1401

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g) jeden besonderen Vorteil, der den Sachverständigen im Sinne des Artikels 96 Absatz 1 sowie den Mitgliedern der Verwaltungs-, Leitungs-, Aufsichts- oder Kontrollorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften gewährt wird. Art. 92 Bekanntmachung des Verschmelzungsplans Der Verschmelzungsplan wird mindestens einen Monat vor dem Tage der Hauptversammlung, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat, für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften nach den in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offengelegt. Jede verschmelzende Gesellschaft ist von der Offenlegungspflicht nach Artikel 16 befreit, wenn sie die Verschmelzungspläne während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung, die über die Verschmelzungspläne zu beschließen hat, beginnt und nicht vor dem Abschluss dieser Versammlung endet, für die Öffentlichkeit kostenlos auf ihren Internetseiten der Öffentlichkeit zugänglich macht. Die Mitgliedstaaten knüpfen diese Befreiung an keine anderen Erfordernisse und Auflagen als die, die für die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente erforderlich sind, und dürfen solche Erfordernisse und Auflagen nur einführen, soweit sie zur Erreichung dieses Zwecks angemessen sind. Abweichend von Absatz 2 des vorliegenden Artikels können die Mitgliedstaaten verlangen, dass die Veröffentlichung über die zentrale elektronische Plattform gemäß Artikel 16 Absatz 5 erfolgt. Die Mitgliedstaaten können alternativ verlangen, dass die Veröffentlichung auf anderen, von ihnen zu diesem Zweck benannten Internetseiten erfolgt. Machen die Mitgliedstaaten von einer dieser Möglichkeiten Gebrauch, so gewährleisten sie, dass den Gesellschaften für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten entstehen. Werden andere Internetseiten als die zentrale elektronische Plattform genutzt, wird mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung auf der zentralen elektronischen Plattform ein Verweis, der zu diesen Internetseiten führt, veröffentlicht. Dieser Verweis enthält auch das Datum der Veröffentlichung der Verschmelzungspläne im Internet und ist der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich. Den Gesellschaften entstehen für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten. Das Verbot gemäß den Absätzen 3 und 4, von Gesellschaften eine spezifische Gebühr für die Veröffentlichung zu verlangen, lässt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, die Kosten für die zentrale elektronische Plattform an Gesellschaften weiterzugeben. Die Mitgliedstaaten können von Gesellschaften verlangen, Informationen für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internet1402

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seiten oder gegebenenfalls auf der zentralen elektronischen Plattform oder den anderen von dem betreffenden Mitgliedstaat benannten Internetseiten verfügbar zu halten. Die Mitgliedstaaten können die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung des Zugriffs auf die Internetseiten und die zentrale elektronische Plattform aufgrund technischer oder sonstiger Ursachen bestimmen. Art. 93 Zustimmung der Hauptversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften (1) Die Verschmelzung bedarf zumindest der Zustimmung der Hauptversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten schreiben vor, dass dieser Beschluss zur Zustimmung mindestens eine Mehrheit von nicht weniger als zwei Dritteln der Stimmen der vertretenen Wertpapiere oder des vertretenen gezeichneten Kapitals erfordert. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch vorschreiben, dass die einfache Mehrheit der in Unterabsatz 1 bezeichneten Stimmen ausreicht, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. Ferner sind gegebenenfalls die Vorschriften über die Satzungsänderung anzuwenden. (2) Sind mehrere Gattungen von Aktien vorhanden, so ist der Beschluss über die Verschmelzung von einer gesonderten Abstimmung zumindest jeder Gattung derjenigen Aktionäre abhängig, deren Rechte durch die Maßnahme beeinträchtigt werden. (3) Der Beschluss erstreckt sich auf die Genehmigung des Verschmelzungsplans und gegebenenfalls auf die zu seiner Durchführung erforderlichen Satzungsänderungen. Art. 94 Verschmelzung ohne Zustimmung der Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats brauchen die Zustimmung der Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft nicht vorzuschreiben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Die in Artikel 92 vorgeschriebene Offenlegung wird für die übernehmende Gesellschaft mindestens einen Monat vor dem Tage derjenigen Hauptversammlung der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen haben, bewirkt; b) jeder Aktionär der übernehmenden Gesellschaft hat mindestens einen Monat vor dem unter Buchstabe a genannten Zeitpunkt das Recht, am Sitz der übernehmenden Gesellschaft von den in Artikel 97 Absatz 1 genannten Unterlagen Kenntnis zu nehmen; c) ein oder mehrere Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft, die über Aktien in einem Mindestprozentsatz des gezeichneten Kapitals verfügen, haben 1403

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das Recht, die Einberufung einer Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft, in der über die Zustimmung zu der Verschmelzung beschlossen wird, zu verlangen; dieser Mindestprozentsatz darf nicht auf mehr als 5 % festgesetzt werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, dass die Aktien ohne Stimmrecht von der Berechnung dieses Prozentsatzes ausgenommen sind. Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe b gilt Artikel 97 Absätze 2, 3 und 4. Art. 95 Ausführlicher schriftlicher Bericht und Informationen zur Verschmelzung (1) Die Verwaltungs- oder Leitungsorgane jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften erstellen einen ausführlichen schriftlichen Bericht, in dem der Verschmelzungsplan und insbesondere das Umtauschverhältnis der Aktien rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden. In dem Bericht wird außerdem auf besondere Schwierigkeiten hingewiesen, die bei der Bewertung aufgetreten sind. (2) Die Verwaltungs- oder Leitungsorgane jeder beteiligten Gesellschaft unterrichten die Hauptversammlung ihrer Gesellschaft, und die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der anderen beteiligten Gesellschaften, damit diese die Hauptversammlung ihrer Gesellschaft unterrichten können, über jede zwischen der Aufstellung des Verschmelzungsplans und dem Datum der Hauptversammlung, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat, eingetretene wesentliche Veränderung des Aktiv- oder Passivvermögens. (3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der in Absatz 1 genannte Bericht und/oder die in Absatz 2 genannten Informationen nicht verlangt werden, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften darauf verzichtet haben. Art. 96 Prüfung des Verschmelzungsplans durch Sachverständige (1) Für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften prüfen ein oder mehrere von diesen unabhängige Sachverständige, welche durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde bestellt oder zugelassen sind, den Verschmelzungsplan und erstellen einen schriftlichen Bericht für die Aktionäre. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch die Bestellung eines oder mehrerer unabhängiger Sachverständiger für alle sich verschmelzenden Gesellschaften vorsehen, wenn die Bestellung auf gemeinsamen Antrag dieser Gesellschaften durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde erfolgt. Diese Sachverständigen können entsprechend den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats sowohl natürliche oder juristische Personen als auch Gesellschaften sein. 1404

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(2) In dem Bericht nach Absatz 1 erklären die Sachverständigen in jedem Fall, ob das Umtauschverhältnis ihrer Ansicht nach angemessen ist. In dieser Erklärung wird zumindest angegeben, a) nach welcher oder welchen Methoden das vorgeschlagene Umtauschverhältnis bestimmt worden ist; b) ob diese Methode oder Methoden im vorliegenden Fall angemessen sind und welche Werte sich bei jeder dieser Methoden ergeben; zugleich ist dazu Stellung zu nehmen, welche relative Bedeutung diesen Methoden bei der Bestimmung des zugrunde gelegten Wertes beigemessen wurde. In dem Bericht wird außerdem auf besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung, soweit solche aufgetreten sind, hingewiesen. (3) Jeder Sachverständige hat das Recht, bei den sich verschmelzenden Gesellschaften alle zweckdienlichen Auskünfte und Unterlagen zu erhalten und alle erforderlichen Nachprüfungen vorzunehmen. (4) Weder die Prüfung des Verschmelzungsplans noch die Erstellung eines Sachverständigenberichts sind erforderlich, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften darauf verzichtet haben. Art. 97 Verfügbarkeit der Unterlagen zur Kenntnisnahme durch die Aktionäre (1) Mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat, hat jeder Aktionär das Recht, am Sitz der Gesellschaft zumindest von folgenden Unterlagen Kenntnis zu nehmen: a) dem Verschmelzungsplan; b) den Jahresabschlüssen und den Geschäftsberichten der sich verschmelzenden Gesellschaften für die letzten drei Geschäftsjahre; c) gegebenenfalls einer Zwischenbilanz, die für einen Zeitpunkt erstellt ist, der nicht vor dem ersten Tag des dritten der Aufstellung des Verschmelzungsplans vorausgehenden Monats liegt, sofern der letzte Jahresabschluss sich auf ein mehr als sechs Monate vor der Aufstellung des Verschmelzungsplans abgelaufenes Geschäftsjahr bezieht; d) gegebenenfalls den in Artikel 95 vorgesehenen Berichten der Verwaltungsoder Leitungsorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften; e) gegebenenfalls den in Artikel 96 Absatz 1 genannten Berichten. Für die Zwecke von Unterabsatz 1 Buchstabe c braucht keine Zwischenbilanz erstellt zu werden, wenn die Gesellschaft gemäß Artikel 5 der Richtlinie 2004/ 109/EG einen Halbjahresfinanzbericht veröffentlicht und den Aktionären gemäß diesem Absatz zur Verfügung stellt. Ferner können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass keine Zwischenbilanz erstellt wird, wenn alle Aktionäre und Inhaber 1405

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anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften dies beschlossen haben. (2) Die Zwischenbilanz nach Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c ist nach denselben Methoden und in derselben Gliederung zu erstellen wie die letzte Jahresbilanz. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können jedoch vorsehen, dass a) es nicht erforderlich ist, eine neue körperliche Bestandsaufnahme durchzuführen; b) die Bewertungen der letzten Bilanz nur nach Maßgabe der Bewegungen in den Büchern verändert zu werden brauchen, wobei jedoch zu berücksichtigen sind: — Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen für die Zwischenzeit, — wesentliche, aus den Büchern nicht ersichtliche Veränderungen der wirklichen Werte. (3) Vollständige oder, falls gewünscht, auszugsweise Abschriften der in Absatz 1 genannten Unterlagen sind jedem Aktionär auf formlosen Antrag kostenlos zu erteilen. Hat der Aktionär diesem Weg der Informationsübermittlung zugestimmt, so können Informationen auf elektronischem Wege bereitgestellt werden. (4) Eine Gesellschaft ist von der Pflicht, die in Absatz 1 genannten Dokumente an ihrem Sitz zur Verfügung zu stellen befreit, wenn sie die betreffenden Dokumente während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung, die über die Verschmelzungspläne zu beschließen hat, beginnt und nicht vor dem Abschluss der Versammlung endet, auf ihren Internetseiten veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten knüpfen diese Befreiung an keine anderen Erfordernisse und Auflagen als die, die für die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente erforderlich sind, und dürfen solche Erfordernisse und Auflagen nur einführen, soweit sie zur Erreichung dieses Zwecks angemessen sind. Absatz 3 kommt nicht zur Anwendung, wenn die Aktionäre während des gesamten in Unterabsatz 1 genannten Zeitraums auf den Internetseiten die Möglichkeit haben, die in Absatz 1 genannten Dokumente herunterzuladen und auszudrucken. In diesem Fall können die Mitgliedstaaten jedoch vorsehen, dass die Gesellschaft diese Dokumente an ihrem Sitz zur Einsichtnahme durch die Aktionäre zur Verfügung stellt. Die Mitgliedstaaten können von Gesellschaften verlangen, Informationen für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten verfügbar zu halten. Die Mitgliedstaaten können die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung des Zugriffs auf die Internetseiten aufgrund technischer oder sonstiger Ursachen bestimmen. 1406

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Art. 98 Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer Die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer der sich verschmelzenden Gesellschaften wird gemäß der Richtlinie 2001/23/EG geregelt. Art. 99 Schutz der Gläubigerinteressen der sich verschmelzenden Gesellschaften (1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten sehen ein angemessenes Schutzsystem für die Interessen der Gläubiger der sich verschmelzenden Gesellschaften vor, deren Forderungen vor der Bekanntmachung des Verschmelzungsplans entstanden und zum Zeitpunkt dieser Bekanntmachung noch nicht erloschen sind. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 sehen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zumindest vor, dass diese Gläubiger Anspruch auf angemessene Garantien haben, wenn die finanzielle Lage der sich verschmelzenden Gesellschaften einen solchen Schutz erforderlich macht und die Gläubiger nicht schon derartige Garantien haben. Die Mitgliedstaaten legen die Modalitäten für den in Absatz 1 und Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes vorgesehenen Schutz fest. Die Mitgliedstaaten gewährleisten in jedem Fall, dass die Gläubiger das Recht haben, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem zuständigen Gericht angemessene Sicherheiten zu beantragen, wenn sie nachweisen können, dass die Befriedigung ihrer Forderungen durch die Verschmelzung gefährdet ist und sie von der Gesellschaft keine angemessenen Sicherheiten erhalten haben. (3) Der Schutz kann für die Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft und für die Gläubiger der übertragenden Gesellschaft unterschiedlich sein. Art. 100 Schutz der Interessen der Anleihegläubiger der sich verschmelzenden Gesellschaften Unbeschadet der Vorschriften über die gemeinsame Ausübung der Rechte der Anleihegläubiger der sich verschmelzenden Gesellschaften ist Artikel 99 auf diese Gläubiger anzuwenden, es sei denn, eine Versammlung der Anleihegläubiger — sofern die nationalen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen — oder jeder einzelne Anleihegläubiger hat der Verschmelzung zugestimmt. Art. 101 Schutz der Inhaber von Wertpapieren, die mit Sonderrechten verbunden sind, jedoch keine Aktien sind Die Inhaber von Wertpapieren, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind, erhalten in der übernehmenden Gesellschaft Rechte, die mindestens denen gleichwertig sind, die sie in der übertragenden Gesellschaft hatten, es sei denn, dass eine Versammlung der Inhaber — sofern die nationalen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen — der Änderung dieser Rechte oder dass jeder einzelne 1407

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Inhaber der Änderung seines Rechts zugestimmt hat oder dass diese Inhaber einen Anspruch auf Rückkauf ihrer Wertpapiere durch die übernehmende Gesellschaft haben. Art. 102 Öffentliche Beurkundung der Unterlagen (1) Falls die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für Verschmelzungen eine vorbeugende gerichtliche oder Verwaltungskontrolle der Rechtmäßigkeit nicht vorsehen oder sich diese Kontrolle nicht auf alle für die Verschmelzung erforderlichen Rechtshandlungen erstreckt, werden die Niederschriften der Hauptversammlungen, die über die Verschmelzung beschließen, und gegebenenfalls der nach diesen Hauptversammlungen geschlossene Verschmelzungsvertrag öffentlich beurkundet. Falls die Verschmelzung nicht von den Hauptversammlungen aller sich verschmelzenden Gesellschaften gebilligt werden muss, wird der Verschmelzungsplan öffentlich beurkundet. (2) Der Notar oder die für die öffentliche Beurkundung zuständige Stelle prüft und bestätigt das Vorliegen und die Rechtmäßigkeit der Rechtshandlungen und Formalitäten, die der Gesellschaft obliegen, für die der Notar oder die Stelle tätig wird, sowie das Vorliegen und die Rechtmäßigkeit des Verschmelzungsplans. Art. 103 Wirksamwerden der Verschmelzung Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestimmen den Zeitpunkt, zu dem die Verschmelzung wirksam wird. Art. 104 Formalitäten der Offenlegung einer Verschmelzung (1) Für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften wird die Verschmelzung nach den in den Rechtsvorschriften eines jeden Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahren in Übereinstimmung mit Artikel 16 offengelegt. (2) Die übernehmende Gesellschaft kann die für die übertragende Gesellschaft oder die übertragenden Gesellschaften vorzunehmenden Formalitäten der Offenlegung selbst veranlassen. Art. 105 Folgen einer Verschmelzung (1) Die Verschmelzung bewirkt ipso jure gleichzeitig Folgendes: a) Sowohl zwischen der übertragenden Gesellschaft und der übernehmenden Gesellschaft als auch gegenüber Dritten geht das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft über; b) die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft werden Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft und c) die übertragende Gesellschaft erlischt. 1408

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(2) Es werden keine Aktien der übernehmenden Gesellschaft im Austausch für Aktien der übertragenden Gesellschaft begeben, die sich a) im Besitz der übernehmenden Gesellschaft selbst oder einer Person befinden, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt; oder b) im Besitz der übertragenden Gesellschaft selbst oder einer Person befinden, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt. (3) Unberührt bleiben die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die für die Wirksamkeit der Übertragung bestimmter, von der übertragenden Gesellschaft eingebrachter Vermögensgegenstände, Rechte und Pflichten gegenüber Dritten besondere Formalitäten erfordern. Die übernehmende Gesellschaft kann diese Formalitäten selbst veranlassen; die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch der übertragenden Gesellschaft gestatten, während eines begrenzten Zeitraums diese Formalitäten weiter zu vollziehen; dieser Zeitraum darf nur in Ausnahmefällen auf mehr als sechs Monate nach dem Zeitpunkt, in dem die Verschmelzung wirksam wird, festgesetzt werden. Art. 106 Zivilrechtliche Haftung der Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der übertragenden Gesellschaft Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten regeln zumindest die zivilrechtliche Haftung der Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der übertragenden Gesellschaft gegenüber den Aktionären dieser Gesellschaft für schuldhaftes Verhalten von Mitgliedern dieses Organs bei der Vorbereitung und dem Vollzug der Verschmelzung. Art. 107 Zivilrechtliche Haftung der Sachverständigen, die für die übertragende Gesellschaft Berichte erstellen Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten regeln zumindest die zivilrechtliche Haftung der Sachverständigen, die den in Artikel 96 Absatz 1 vorgesehenen Bericht für die übertragende Gesellschaft erstellen, gegenüber den Aktionären dieser Gesellschaft für schuldhaftes Verhalten dieser Sachverständigen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Art. 108 Voraussetzungen für die Nichtigkeit der Verschmelzung (1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können die Nichtigkeit der Verschmelzung von Gesellschaften nur nach Maßgabe folgender Bestimmungen regeln: a) Die Nichtigkeit muss durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden; b) für nichtig erklärt werden kann eine im Sinne von Artikel 103 wirksam gewordene Verschmelzung nur wegen Fehlens einer vorbeugenden gerichtlichen oder verwaltungsmäßigen Kontrolle der Rechtmäßigkeit oder einer öffentlichen Beurkundung oder wenn festgestellt wird, dass der Beschluss der Hauptversammlung nach nationalem Recht nichtig oder anfechtbar ist; 1409

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c) die Nichtigkeitsklage kann nicht mehr erhoben werden, wenn eine Frist von sechs Monaten verstrichen ist, nachdem die Verschmelzung demjenigen gegenüber wirksam geworden ist, der sich auf die Nichtigkeit beruft, oder wenn der Mangel behoben worden ist; d) kann der Mangel, dessentwegen die Verschmelzung für nichtig erklärt werden kann, behoben werden, so hat das zuständige Gericht den beteiligten Gesellschaften dazu eine Frist einzuräumen; e) die gerichtliche Entscheidung, durch welche die Nichtigkeit der Verschmelzung ausgesprochen wird, hat in Übereinstimmung mit Artikel 16 nach den in den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahren offengelegt zu werden; f) falls die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gegen die gerichtliche Entscheidung einen Einspruch Dritter vorsehen, so kann dieser Dritte nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten seit Offenlegung der gerichtlichen Entscheidung gemäß Titel I Kapitel III Abschnitt 1 nicht mehr erhoben werden; g) die gerichtliche Entscheidung, durch welche die Nichtigkeit der Verschmelzung ausgesprochen wird, berührt für sich allein nicht die Wirksamkeit der Verpflichtungen, die vor der Offenlegung der gerichtlichen Entscheidung, jedoch nach dem Zeitpunkt, in dem die Verschmelzung wirksam wird, zu Lasten oder zugunsten der übernehmenden Gesellschaft entstanden sind und h) die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften haften als Gesamtschuldner für die in Buchstabe g genannten Verpflichtungen der übernehmenden Gesellschaft. (2) Abweichend von Absatz 1 Buchstabe a können die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats auch gestatten, dass die Nichtigkeit der Verschmelzung durch eine Verwaltungsbehörde ausgesprochen wird, wenn gegen eine solche Entscheidung ein Rechtsbehelf bei einem Gericht eingelegt werden kann. Absatz 1 Buchstabe b und Buchstaben d bis h gilt für die Verwaltungsbehörde entsprechend. Dieses Nichtigkeitsverfahren kann nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt, in dem die Verschmelzung wirksam wird, nicht mehr eingeleitet werden. (3) Unberührt bleiben die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Nichtigkeit einer Verschmelzung, die im Wege einer anderen Kontrolle der Verschmelzung als der vorbeugenden gerichtlichen oder verwaltungsmäßigen Kontrolle der Rechtmäßigkeit ausgesprochen wird. Abschnitt 3 − Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft Art. 109 Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft (1) Die Artikel 91, 92, 93 sowie 95 bis 108 sind unbeschadet der Artikel 11 und 12 auf 1410

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die Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft anwendbar. Hierbei sind unter „sich verschmelzenden Gesellschaften“ oder „übertragender Gesellschaft“ die erlöschenden Gesellschaften und unter „übernehmender Gesellschaft“ die neue Gesellschaft zu verstehen. Artikel 91 Absatz 2 Buchstabe a wird auch auf die neue Gesellschaft angewendet. (2) Der Verschmelzungsplan und, falls sie Gegenstand eines getrennten Aktes sind, der Errichtungsakt oder der Entwurf des Errichtungsaktes und die Satzung oder der Entwurf der Satzung der neuen Gesellschaft bedürfen der Zustimmung der Hauptversammlung jeder der erlöschenden Gesellschaften. Abschnitt 4 − Verschmelzung einer Gesellschaft mit einer Anderen, der mindestens 90 % der Aktien der Ersteren gehören Art. 110 Übertragung des gesamten Aktiv- und Passivvermögens einer oder mehrerer Gesellschaften auf eine andere Gesellschaft, der alle Aktien und alle sonstigen Anteile der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften gehören Die Mitgliedstaaten regeln für die Gesellschaften, die ihrem Recht unterliegen, den Vorgang, durch den eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, der alle Aktien sowie alle sonstigen Anteile der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften gehören, die in der Hauptversammlung ein Stimmrecht gewähren. Auf diesen Vorgang sind die Bestimmungen des Abschnittes 2 dieses Kapitels anzuwenden. Allerdings dürfen die Mitgliedstaaten keine der in Artikel 91 Absatz 2 Buchstaben b, c und d, Artikel 95 und 96, Artikel 97 Absatz 1 Buchstaben d und e, Artikel 105 Absatz 1 Buchstabe b, Artikel 106 sowie Artikel 107 beschriebenen Anforderungen auferlegen. Art. 111 Befreiung vom Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung Die Mitgliedstaaten wenden Artikel 93 nicht auf die in Artikel 110 genannten Vorgänge an, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Die in Artikel 92 vorgeschriebene Offenlegung wird für die an dem Vorgang beteiligten Gesellschaften mindestens einen Monat vor dem Zeitpunkt, zu dem der Vorgang wirksam wird, bewirkt; b) alle Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft haben das Recht, mindestens einen Monat vor dem Zeitpunkt, zu dem der Vorgang wirksam wird, am Sitz dieser Gesellschaft von den in Artikel 97 Absatz 1 Buchstaben a, b und c genannten Unterlagen Kenntnis zu nehmen; c) Artikel 94 Absatz 1 Buchstabe c findet Anwendung. Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe b des vorliegenden Artikels gilt Artikel 97 Absätze 2, 3 und 4. 1411

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Art. 112 Aktien im Besitz der übernehmenden Gesellschaft oder im Besitz für Rechnung der übernehmenden Gesellschaft Die Mitgliedstaaten können die Artikel 110 und 111 auf Vorgänge anwenden, durch die eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, wenn alle in Artikel 110 genannten Aktien und sonstigen Anteile der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften der übernehmenden Gesellschaft und/oder Personen gehören, welche diese Aktien und Anteile im eigenen Namen, aber für Rechnung der übernehmenden Gesellschaft besitzen. Art. 113 Verschmelzung im Wege der Aufnahme durch eine Gesellschaft, der mindestens 90 % der Aktien der übertragenden Gesellschaft gehören Vollzieht eine Gesellschaft, die mindestens 90 %, aber nicht alle Aktien und sonstigen in der Gesellschafterversammlung Stimmrecht gewährenden Anteile der übertragenden Gesellschaft bzw. Gesellschaften hält, eine Verschmelzung im Wege der Aufnahme, so dürfen die Mitgliedstaaten die Genehmigung der Verschmelzung durch die Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft nicht vorschreiben, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) Die in Artikel 92 vorgeschriebene Offenlegung wird für die übernehmende Gesellschaft mindestens einen Monat vor dem Tage derjenigen Hauptversammlung der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat bzw. haben, bewirkt; b) alle Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft haben das Recht, mindestens einen Monat vor dem unter Buchstabe a angegebenen Zeitpunkt am Sitz dieser Gesellschaft von den in Artikel 97 Absatz 1 Buchstaben a, b und gegebenenfalls Artikel 97 Absatz 1 Buchstaben c, d und e bezeichneten Unterlagen Kenntnis zu nehmen; c) Artikel 94 Absatz 1 Buchstabe c findet Anwendung. Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe b des vorliegenden Artikels gilt Artikel 97 Absätze 2, 3 und 4. Art. 114 Befreiung von für Verschmelzungen durch Aufnahme geltenden Anforderungen Die Mitgliedstaaten dürfen die Anforderungen der Artikel 95, 96 und 97 bei Verschmelzungen im Sinne von Artikel 113 nicht auferlegen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Die Minderheitsaktionäre der übertragenden Gesellschaft haben das Recht, ihre Aktien von der übernehmenden Gesellschaft aufkaufen zu lassen; b) in diesem Fall haben sie Anspruch auf ein dem Wert ihrer Aktien entsprechendes Entgelt; 1412

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c) sofern hierüber keine Einigung erzielt wird, kann das Entgelt durch das Gericht oder von einer von dem Mitgliedstaat zu diesem Zweck benannten Verwaltungsbehörde festgesetzt werden. Ein Mitgliedstaat braucht den ersten Absatz nicht anzuwenden, wenn die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats die übernehmende Gesellschaft dazu berechtigen, von allen Inhabern der verbleibenden Anteile der zu übernehmenden Gesellschaft oder Gesellschaften ohne ein vorheriges öffentliches Übernahmeangebot zu verlangen, ihr diese Anteile vor der Verschmelzung zu einem angemessenen Preis zu verkaufen. Art. 115 Übertragung des gesamten Aktiv- und Passivvermögens einer oder mehrerer Gesellschaften auf eine Gesellschaft, der 90 % oder mehr der Aktien der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften gehören Die Mitgliedstaaten können die Artikel 113 und 114 auf Vorgänge anwenden, durch die eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, wenn 90 % oder mehr, jedoch nicht alle der in Artikel 113 genannten Aktien und sonstigen Anteile der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften der übernehmenden Gesellschaft und/oder Personen gehören, welche diese Aktien und Anteile im eigenen Namen, aber für Rechnung der übernehmenden Gesellschaft besitzen. Abschnitt 5 − Andere der Verschmelzung gleichgestellte Vorgänge Art. 116 Verschmelzung durch bare Zuzahlung in Höhe von über 10 % Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für einen der in Artikel 88 vorgesehenen Vorgänge, dass die bare Zuzahlung den Satz von 10 % übersteigt, so werden die Abschnitte 2 und 3 dieses Kapitels sowie die Artikel 113, 114 und 115 angewendet. Art. 117 Verschmelzung ohne Erlöschen sämtlicher übertragender Gesellschaften Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einen der in den Artikeln 88, 110 oder 116 vorgesehenen Vorgänge, ohne dass alle übertragenden Gesellschaften erlöschen, so werden Abschnitt 2 — mit Ausnahme des Artikels 105 Absatz 1 Buchstabe c — und die Abschnitte 3 oder 4 dieses Kapitels angewendet.

Kapitel II − Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften Art. 118 Allgemeine Bestimmungen Dieses Kapitel gilt für Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet 1413

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worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Union haben, sofern mindestens zwei der Gesellschaften dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen (nachstehend „grenzüberschreitende Verschmelzungen“ genannt). Art. 119 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck 1. „Kapitalgesellschaft“ (nachstehend „Gesellschaft“ genannt) a) eine Gesellschaft im Sinne des Anhangs II; oder b) eine Gesellschaft, die Rechtspersönlichkeit besitzt und über gesondertes Gesellschaftskapital verfügt, das allein für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet, und die nach dem für sie maßgebenden nationalen Recht Schutzbestimmungen im Sinne des Titels I Kapitel II Abschnitt 2 und des Titels I Kapitel III Abschnitt 1 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter einhalten muss; 2. „Verschmelzung“ den Vorgang, durch den a) eine oder mehrere Gesellschaften zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf eine bereits bestehende Gesellschaft — „übernehmende Gesellschaft“ — gegen Gewährung von Aktien oder sonstigen Anteilen am Gesellschaftskapital der anderen Gesellschaft an ihre eigenen Gesellschafter und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung übertragen; die Zuzahlung darf 10 % des Nennwerts oder — bei Fehlen eines solchen — des rechnerischen Werts dieser Aktien oder sonstigen Anteile nicht überschreiten; oder b) zwei oder mehrere Gesellschaften zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf eine von ihnen gegründete Gesellschaft — „neue Gesellschaft“ — gegen Gewährung von Aktien oder sonstigen Anteilen am Gesellschaftskapital der neuen Gesellschaft an ihre eigenen Gesellschafter und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung übertragen; die Zuzahlung darf 10 % des Nennwerts oder — bei Fehlen eines solchen — des rechnerischen Werts dieser Aktien oder sonstigen Anteile nicht überschreiten; oder c) eine Gesellschaft zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf die Gesellschaft überträgt, die sämtliche Aktien oder sonstigen Anteile an ihrem Gesellschaftskapital besitzt. Art. 120 Sonderregeln zum Anwendungsbereich (1) Ungeachtet des Artikels 119 Nummer 2 findet dieses Kapitel auch dann Anwendung auf grenzüberschreitende Verschmelzungen, wenn die bare Zuzahlung gemäß Artikel 119 1414

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Nummer 2 Buchstaben a und b nach dem Recht mindestens eines der betroffenen Mitgliedstaaten 10 % des Nennwerts oder — bei Fehlen eines solchen — des rechnerischen Werts der Aktien oder sonstigen Anteile am Kapital der Gesellschaft, die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgeht, überschreiten darf. (2) Die Mitgliedstaaten können beschließen, dieses Kapitel nicht auf grenzüberschreitende Verschmelzungen anzuwenden, an denen eine Genossenschaft beteiligt ist; dies gilt auch dann, wenn diese Genossenschaft unter die Definition des Begriffs „Kapitalgesellschaft“ gemäß Artikel 119 Nummer 1 fällt. (3) Dieses Kapitel gilt nicht für grenzüberschreitende Verschmelzungen, an denen eine Gesellschaft beteiligt ist, deren Zweck es ist, die vom Publikum bei ihr eingelegten Gelder nach dem Grundsatz der Risikostreuung gemeinsam anzulegen und deren Anteile auf Verlangen der Anteilsinhaber unmittelbar oder mittelbar zulasten des Vermögens dieser Gesellschaft zurückgenommen oder ausgezahlt werden. Diesen Rücknahmen oder Auszahlungen gleichgestellt sind Handlungen, mit denen eine solche Gesellschaft sicherstellen will, dass der Börsenwert ihrer Anteile nicht erheblich von deren Nettoinventarwert abweicht. (4) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass dieses Kapitel nicht auf Gesellschaften angewandt wird, die Gegenstand eines Rückgriffs auf die in Titel IV der Richtlinie 2014/59/EU vorgesehenen Abwicklungsinstrumente, -befugnisse und -mechanismen sind. Art. 121 Voraussetzungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen (1) Sofern dieses Kapitel nicht etwas anderes bestimmt, a) sind grenzüberschreitende Verschmelzungen nur zwischen Gesellschaften solcher Rechtsformen möglich, die sich nach dem nationalen Recht der betroffenen Mitgliedstaaten verschmelzen dürfen; b) muss eine Gesellschaft, die sich an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligt, die Vorschriften und Formalitäten des für sie geltenden nationalen Rechts einhalten bzw. erledigen. Wenn das Recht eines Mitgliedstaats es den Behörden dieses Mitgliedstaats gestattet, eine innerstaatliche Verschmelzung aus Gründen des öffentlichen Interesses zu verbieten, so gilt dies auch für eine grenzüberschreitende Verschmelzung, bei der mindestens eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften dem Recht dieses Mitgliedstaats unterliegt. Diese Bestimmung gilt nicht, soweit Artikel 21 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 anwendbar ist. (2) Zu den in Absatz 1 Buchstabe b genannten Vorschriften und Formalitäten zählen insbesondere Bestimmungen über das die Verschmelzung betreffende Beschlussfassungsverfahren und — angesichts des grenzüberschreitenden Charakters der Verschmelzung — über den Schutz der Gläubiger der sich verschmel1415

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zenden Gesellschaften, der Anleihegläubiger und der Inhaber von Aktien oder sonstigen Anteilen sowie über den Schutz der Arbeitnehmer, soweit andere als die in Artikel 133 geregelten Rechte betroffen sind. Ein Mitgliedstaat, dessen Recht die an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften unterliegen, kann Vorschriften erlassen, um einen angemessenen Schutz der Minderheitsgesellschafter, die die grenzüberschreitende Verschmelzung abgelehnt haben, zu gewährleisten. Art. 122 Gemeinsamer Plan für grenzüberschreitende Verschmelzungen Die Leitungs- oder Verwaltungsorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften stellen einen gemeinsamen Plan für eine grenzüberschreitende Verschmelzung (nachstehend „gemeinsamer Verschmelzungsplan“ genannt) auf. Dieser Plan enthält mindestens folgende Angaben: a) Rechtsform, Firma und Sitz der sich verschmelzenden Gesellschaften sowie Rechtsform, Firma und Sitz, die für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft vorgesehen sind; b) das Umtauschverhältnis der Aktien oder sonstigen Gesellschaftsanteile und gegebenenfalls die Höhe der baren Zuzahlungen; c) die Einzelheiten der Übertragung der Aktien oder sonstigen Gesellschaftsanteile der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft; d) die voraussichtlichen Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die Beschäftigung; e) den Zeitpunkt, von dem an diese Aktien oder sonstigen Gesellschaftsanteile deren Inhabern das Recht auf Beteiligung am Gewinn gewähren, sowie alle Besonderheiten, die eine Auswirkung auf dieses Recht haben; f) den Zeitpunkt, von dem an die Handlungen der sich verschmelzenden Gesellschaften unter dem Gesichtspunkt der Rechnungslegung als für Rechnung der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft vorgenommen gelten; g) die Rechte, welche die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft den mit Sonderrechten ausgestatteten Gesellschaftern und den Inhabern von anderen Wertpapieren als Gesellschaftsanteilen gewährt, oder die für diese Personen vorgeschlagenen Maßnahmen; h) etwaige besondere Vorteile, die den Sachverständigen, die den Verschmelzungsplan prüfen, oder den Mitgliedern der Verwaltungs-, Leitungs-, Aufsichts- oder Kontrollorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften gewährt werden; i) die Satzung der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft; 1416

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j)

gegebenenfalls Angaben zu dem Verfahren, nach dem gemäß Artikel 133 die Einzelheiten über die Beteiligung von Arbeitnehmern an der Festlegung ihrer Mitbestimmungsrechte in der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft geregelt werden; k) Angaben zur Bewertung des Aktiv- und Passivvermögens, das auf die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft übertragen wird; l) den Stichtag der Jahresabschlüsse der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften, die zur Festlegung der Bedingungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung verwendet werden. Art. 123 Bekanntmachung (1) Der gemeinsame Verschmelzungsplan wird auf die im nationalen Recht jedes Mitgliedstaats vorgesehene Weise im Einklang mit Artikel 16 für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften spätestens einen Monat vor der Gesellschafterversammlung, auf der darüber zu beschließen ist, bekannt gemacht. Jede der verschmelzenden Gesellschaften ist von der Offenlegungspflicht nach Artikel 16 befreit, wenn sie die gemeinsamen Verschmelzungspläne während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung, die über die gemeinsamen Verschmelzungspläne für die grenzüberschreitende Verschmelzung zu beschließen hat, beginnt, und nicht vor dem Abschluss dieser Versammlung endet, für die Öffentlichkeit kostenlos auf ihren Internetseiten der Öffentlichkeit zugänglich macht. Die Mitgliedstaaten knüpfen diese Befreiung an keine anderen Erfordernisse und Auflagen als die, die für die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente erforderlich sind, und dürfen solche Erfordernisse und Auflagen nur einführen, soweit sie zur Erreichung dieser Zwecke angemessen sind. Abweichend von Unterabsatz 2 können die Mitgliedstaaten verlangen, dass die Veröffentlichung über die zentrale elektronische Plattform gemäß Artikel 16 Absatz 5 erfolgt. Die Mitgliedstaaten können alternativ verlangen, dass die Veröffentlichung auf anderen, von ihnen zu diesem Zweck benannten Internetseiten erfolgt. Machen die Mitgliedstaaten von einer dieser Möglichkeiten Gebrauch, so gewährleisten sie, dass den Gesellschaften für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten entstehen. Werden andere Internetseiten als die zentrale elektronische Plattform genutzt, wird mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung auf der zentralen elektronischen Plattform ein Verweis, der zu diesen Internetseiten führt, veröffentlicht. Dieser Verweis enthält auch das Datum der Veröffentlichung der Verschmelzungspläne im Internet und ist der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich. Den Gesellschaften entstehen für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten. 1417

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Das in den Unterabsätzen 3 und 4 genannte Verbot, von Gesellschaften eine spezifische Gebühr für die Veröffentlichung zu verlangen, lässt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, die Kosten für die zentrale elektronische Plattform an Gesellschaften weiterzugeben. Die Mitgliedstaaten können von Gesellschaften verlangen, Informationen für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten oder gegebenenfalls auf der zentralen elektronischen Plattform oder den anderen von dem betreffenden Mitgliedstaat benannten Internetseiten verfügbar zu halten. Die Mitgliedstaaten können die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung des Zugriffs auf die Internetseiten und die zentrale elektronische Plattform aufgrund technischer oder sonstiger Ursachen bestimmen. (2) Vorbehaltlich der zusätzlichen Anforderungen des Mitgliedstaats, dessen Recht die betreffende Gesellschaft unterliegt, müssen für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften die folgenden Angaben im Amtsblatt dieses Mitgliedstaats bekannt gemacht werden: a) Rechtsform, Firma und Sitz jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften, b) das Register, bei dem die in Artikel 16 Absatz 3 genannten Urkunden für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften hinterlegt worden sind, sowie die Nummer der Eintragung in das Register, c) für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften ein Hinweis auf die Modalitäten für die Ausübung der Rechte der Gläubiger und gegebenenfalls der Minderheitsgesellschafter der sich verschmelzenden Gesellschaften sowie die Anschrift, unter der vollständige Auskünfte über diese Modalitäten kostenlos eingeholt werden können. Art. 124 Bericht des Leitungs- oder Verwaltungsorgans Das Leitungs- oder Verwaltungsorgan jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften erstellt einen für die Gesellschafter bestimmten Bericht, in dem die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der grenzüberschreitenden Verschmelzung erläutert und begründet und die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die Gesellschafter, die Gläubiger und die Arbeitnehmer erläutert werden. Der Bericht ist den Gesellschaftern und den Vertretern der Arbeitnehmer oder — wenn es solche Vertreter nicht gibt — den Arbeitnehmern direkt spätestens einen Monat vor der in Artikel 126 genannten Gesellschafterversammlung zugänglich zu machen. Erhält das Leitungs- oder Verwaltungsorgan einer der sich verschmelzenden Gesellschaften nach Maßgabe der nationalen Rechtsvorschriften rechtzeitig eine Stellungnahme der Vertreter ihrer Arbeitnehmer, so ist diese Stellungnahme dem Bericht anzufügen. 1418

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Art. 125 Bericht unabhängiger Sachverständiger (1) Für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften wird ein für die Gesellschafter bestimmter Bericht unabhängiger Sachverständiger erstellt, der spätestens einen Monat vor der in Artikel 126 genannten Gesellschafterversammlung vorliegen muss. Als Sachverständige können je nach dem Recht der Mitgliedstaaten natürliche Personen oder juristische Personen bestellt werden. (2) Als Alternative zur Heranziehung von Sachverständigen, die für Rechnung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften tätig sind, können ein oder mehrere unabhängige Sachverständige, die auf gemeinsamen Antrag dieser Gesellschaften von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde des Mitgliedstaats, dessen Recht eine der sich verschmelzenden Gesellschaften oder die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft unterliegt, dazu bestellt bzw. von einer solchen Behörde zugelassen wurden, den gemeinsamen Verschmelzungsplan prüfen und einen einzigen für alle Gesellschafter bestimmten schriftlichen Bericht erstellen. (3) Der Bericht der Sachverständigen enthält zumindest die Angaben nach Artikel 96 Absatz 2. Die Sachverständigen haben das Recht, von jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften alle Auskünfte zu erlangen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe für erforderlich halten. (4) Weder die Prüfung des gemeinsamen Verschmelzungsplans durch unabhängige Sachverständige noch die Erstellung eines Sachverständigenberichts sind erforderlich, wenn alle Gesellschafter aller sich verschmelzenden Gesellschaften darauf verzichten. Art. 126 Zustimmung der Gesellschafterversammlung (1) Nach Kenntnisnahme der in Artikel 124 und Artikel 125 genannten Berichte beschließt die Gesellschafterversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften über die Zustimmung zu dem gemeinsamen Verschmelzungsplan. (2) Die Gesellschafterversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften kann die Verschmelzung davon abhängig machen, dass die Modalitäten für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft ausdrücklich von ihr bestätigt werden. (3) In den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats muss nicht die Zustimmung der Gesellschafterversammlung der übernehmenden Gesellschaft vorgeschrieben werden, wenn die Bedingungen des Artikels 94 erfüllt sind. Art. 127 Vorabbescheinigung (1) Jeder Mitgliedstaat benennt das Gericht, den Notar oder die sonstige zuständige Behörde, die die Rechtmäßigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung für die Verfahrensabschnitte kontrolliert, wel1419

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che die sich verschmelzenden Gesellschaften betreffen, die seinem nationalen Recht unterliegen. (2) In jedem dieser Mitgliedstaaten stellt die nach Absatz 1 benannte Stelle jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften, die dem Recht dieses Staates unterliegt, unverzüglich eine Bescheinigung aus, aus der zweifelsfrei hervorgeht, dass die der Verschmelzung vorangehenden Rechtshandlungen und Formalitäten ordnungsgemäß vollzogen wurden. (3) Ist nach dem Recht eines Mitgliedstaats, dem eine sich verschmelzende Gesellschaft unterliegt, ein Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses der Aktien oder sonstigen Anteile oder zur Abfindung von Minderheitsgesellschaftern vorgesehen, das jedoch der Eintragung der grenzüberschreitenden Verschmelzung nicht entgegensteht, so kommt dieses Verfahren nur zur Anwendung, wenn die anderen sich verschmelzenden Gesellschaften in Mitgliedstaaten, die ein solches Verfahren nicht vorsehen, bei der Zustimmung zum Verschmelzungsplan gemäß Artikel 126 Absatz 1 ausdrücklich akzeptieren, dass die Gesellschafter der erstgenannten sich verschmelzenden Gesellschaft ein solches Verfahren bei dem Gericht, das für diese Gesellschaft zuständig ist, beantragen können. In diesem Fall kann die in Absatz 1 genannte Stelle die Bescheinigung nach Absatz 2 auch dann ausstellen, wenn ein solches Verfahren eingeleitet wurde. In der Bescheinigung wird jedoch angegeben, dass ein solches Verfahren anhängig ist. Die in dem Verfahren ergehende Entscheidung ist für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft und alle ihre Gesellschafter bindend. Art. 128 Überprüfung der Rechtmäßigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung (1) Jeder Mitgliedstaat benennt das Gericht, den Notar oder die sonstige zuständige Behörde, die die Rechtmäßigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung für die Verfahrensabschnitte kontrolliert, welche die Durchführung der grenzüberschreitenden Verschmelzung und gegebenenfalls die Gründung einer neuen, aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft betreffen, wenn diese durch die grenzüberschreitende Verschmelzung geschaffene Gesellschaft seinem nationalen Recht unterliegt. Die betreffende Stelle stellt insbesondere sicher, dass die sich verschmelzenden Gesellschaften einem gemeinsamen gleich lautenden Verschmelzungsplan zugestimmt haben, und gegebenenfalls, dass eine Vereinbarung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer gemäß Artikel 133 geschlossen wurde. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 legt jede der sich verschmelzenden Gesellschaften der in Absatz 1 genannten Stelle die Bescheinigung nach Artikel 127 Absatz 2 innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Erteilung sowie den von der Gesellschafterversammlung gemäß Artikel 126 genehmigten gemeinsamen Verschmelzungsplan vor. 1420

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Art. 129 Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Verschmelzung Der Zeitpunkt, an dem die grenzüberschreitende Verschmelzung wirksam wird, bestimmt sich nach dem Recht des Mitgliedstaats, dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft unterliegt. Die Verschmelzung kann jedoch erst dann wirksam werden, wenn die Kontrolle nach Artikel 128 abgeschlossen ist. Art. 130 Eintragung Das Recht jedes Mitgliedstaats, dem die sich verschmelzenden Gesellschaften unterlagen, bestimmt für das Hoheitsgebiet des betreffenden Staates, in welcher Form der Abschluss der grenzüberschreitenden Verschmelzung gemäß Artikel 16 bei dem öffentlichen Register, bei dem jede der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften ihre Urkunden zu hinterlegen hat, offenzulegen ist. Das Register, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft eingetragen wird, meldet unverzüglich dem Register, bei dem jede der Gesellschaften ihre Unterlagen zu hinterlegen hatte, über das gemäß Artikel 22 Absatz 2 eingerichtete System der Registervernetzung, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung wirksam geworden ist. Die Löschung der früheren Eintragung erfolgt gegebenenfalls bei Eingang dieser Meldung, und nicht vorher. Art. 131 Wirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung (1) Die gemäß Artikel 119 Nummer 2 Buchstaben a und c vollzogene grenzüberschreitende Verschmelzung bewirkt ab dem in Artikel 129 genannten Zeitpunkt Folgendes: a) Das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft geht auf die übernehmende Gesellschaft über. b) Die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft werden Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft. c) Die übertragende Gesellschaft erlischt. (2) Die nach Artikel 119 Nummer 2 Buchstabe b vollzogene grenzüberschreitende Verschmelzung bewirkt ab dem in Artikel 129 genannten Zeitpunkt Folgendes: a) Das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der sich verschmelzenden Gesellschaften geht auf die neue Gesellschaft über. b) Die Gesellschafter der sich verschmelzenden Gesellschaften werden Gesellschafter der neuen Gesellschaft. c) Die sich verschmelzenden Gesellschaften erlöschen. (3) Schreibt das Recht der Mitgliedstaaten im Falle einer grenzüberschreitenden Verschmelzung von Gesellschaften im Sinne dieses Kapitels die Erfüllung be1421

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sonderer Formalitäten vor, bevor die Übertragung bestimmter von den sich verschmelzenden Gesellschaften eingebrachter Vermögensgegenstände, Rechte und Verbindlichkeiten gegenüber Dritten wirksam wird, so werden diese Formalitäten von der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft erfüllt. (4) Die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der grenzüberschreitenden Verschmelzung bestehenden Rechte und Pflichten der sich verschmelzenden Gesellschaften aus Arbeitsverträgen oder Beschäftigungsverhältnissen gehen infolge des Wirksamwerdens dieser grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft zu dem Zeitpunkt über, zu dem die grenzüberschreitende Verschmelzung wirksam wird. (5) Anteile an der übernehmenden Gesellschaft werden nicht gegen Anteile an der übertragenden Gesellschaft getauscht, wenn diese Anteile a) entweder von der übernehmenden Gesellschaft selbst oder von einer zwar im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der übernehmenden Gesellschaft handelnden Person; b) oder von der übertragenden Gesellschaft selbst oder von einer zwar im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der übertragenden Gesellschaft handelnden Person gehalten werden. Art. 132 Vereinfachte Formalitäten (1) Vollzieht eine Gesellschaft, die sämtliche in der Gesellschafterversammlung Stimmrecht gewährenden Aktien und sonstigen Anteile der übertragenden Gesellschaft(en) hält, eine grenzüberschreitende Verschmelzung im Wege der Aufnahme, so — finden Artikel 122 Buchstaben b, c und e, Artikel 125 und Artikel 131 Absatz 1 Buchstabe b keine Anwendung; — findet Artikel 126 Absatz 1 keine Anwendung auf die übertragende(n) Gesellschaft(en). (2) Vollzieht eine Gesellschaft, die mindestens 90 %, aber nicht alle Aktien und sonstigen in der Gesellschafterversammlung Stimmrecht gewährenden Anteile der übertragenden Gesellschaft(en) hält, eine grenzüberschreitende Verschmelzung im Wege der Aufnahme, so sind die Berichte des oder der unabhängigen Sachverständigen sowie die zur Kontrolle notwendigen Unterlagen gemäß Titel II Kapitel I nur insoweit erforderlich, als dies nach den entweder für die übernehmende oder die übertragende Gesellschaft geltenden nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist. Art. 133 Mitbestimmung der Arbeitnehmer (1) Unbeschadet des Absatzes 2 findet auf die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende 1422

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Gesellschaft die Regelung für die Arbeitnehmermitbestimmung Anwendung, die gegebenenfalls in dem Mitgliedstaat gilt, in dem diese Gesellschaft ihren Sitz hat. (2) Die Regelung für die Arbeitnehmermitbestimmung, die gegebenenfalls in dem Mitgliedstaat gilt, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat, findet jedoch keine Anwendung, wenn in den sechs Monaten vor der Veröffentlichung des in Artikel 123 genannten Verschmelzungsplans mindestens eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften durchschnittlich mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt und in dieser Gesellschaft ein System der Arbeitnehmermitbestimmung im Sinne des Artikels 2 Buchstabe k der Richtlinie 2001/86/EG besteht, oder wenn das für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft maßgebende nationale Recht a) nicht mindestens den gleichen Umfang an Mitbestimmung der Arbeitnehmer vorsieht, wie er in den jeweiligen an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften bestand, wobei dieser Umfang als der Anteil der die Arbeitnehmer vertretenden Mitglieder des Verwaltungs- oder des Aufsichtsorgans oder ihrer Ausschüsse oder des Leitungsgremiums ausgedrückt wird, das für die Ergebniseinheiten der Gesellschaft zuständig ist, wenn eine Arbeitnehmermitbestimmung besteht; oder b) für Arbeitnehmer in Betrieben der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft, die sich in anderen Mitgliedstaaten befinden, nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungsrechten vorsieht, wie sie den Arbeitnehmern in demjenigen Mitgliedstaat gewährt werden, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat. (3) In den in Absatz 2 genannten Fällen regeln die Mitgliedstaaten die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft sowie ihre Mitwirkung an der Festlegung dieser Rechte vorbehaltlich der Absätze 4 bis 7 entsprechend den Grundsätzen und Modalitäten des Artikels 12 Absätze 2, 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 2157/ 2001 und den nachstehenden Bestimmungen der Richtlinie 2001/86/EG: a) Artikel 3 Absätze 1, 2 und 3, Artikel 3 Absatz 4 Unterabsatz 1 erster Gedankenstrich und Artikel 3 Absatz 4 Unterabsatz 2 sowie Artikel 3 Absätze 5 und 7; b) Artikel 4 Absatz 1, Artikel 4 Absatz 2 Buchstaben a, g und h sowie Artikel 4 Absatz 3; c) Artikel 5; d) Artikel 6; e) Artikel 7 Absatz 1, Artikel 7 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe b und Artikel 7 Absatz 2 Unterabsatz 2 sowie Artikel 7 Absatz 3. Für die Zwecke dieses 1423

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Kapitels wird jedoch der prozentuale Anteil, der nach Artikel 7 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2001/86/EG für die Anwendung der Auffangregelung des Anhangs Teil 3 jener Richtlinie erforderlich ist, von 25 % auf 33 1/3 % angehoben; f) die Artikel 8, 10 und 12; g) Artikel 13 Absatz 4; h) Anhang, Teil 3 Buchstabe b. (4) Bei der Festlegung der in Absatz 3 genannten Grundsätze und Modalitäten verfahren die Mitgliedstaaten wie folgt: a) Sie gestatten den betreffenden Organen der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften sich dafür zu entscheiden, die Auffangregelung nach Absatz 3 Buchstabe h, die durch das Recht des Mitgliedstaats, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz haben soll, festgelegt ist, ohne jede vorhergehende Verhandlung unmittelbar anzuwenden und diese Regelung ab dem Zeitpunkt der Eintragung einzuhalten. b) Sie gestatten dem besonderen Verhandlungsgremium, mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer vertretenden Mitglieder, mit der Maßgabe, dass diese Mitglieder Arbeitnehmer in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten vertreten müssen, zu beschließen, dass keine Verhandlungen eröffnet oder bereits eröffnete Verhandlungen beendet werden und die Mitbestimmungsregelung angewandt wird, die in dem Mitgliedstaat gilt, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz haben wird. c) Sie können in dem Fall, dass nach vorherigen Verhandlungen die Auffangregelung gilt, und ungeachtet dieser Regelung beschließen, den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsorgan der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft zu begrenzen. Bestand jedoch das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan einer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zu mindestens einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern, so darf die Begrenzung in keinem Fall dazu führen, dass die Arbeitnehmervertretung im Verwaltungsorgan weniger als ein Drittel beträgt. (5) Die Ausweitung von Mitbestimmungsrechten auf in anderen Mitgliedstaaten beschäftigte Arbeitnehmer der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft gemäß Absatz 2 Buchstabe b verpflichtet die Mitgliedstaaten, die eine solche Ausweitung beschließen, nicht dazu, diese Arbeitnehmer bei der Berechnung der Schwellenwerte für die Beschäftigtenzahl zu berücksichtigen, bei deren Überschreitung Mitbestimmungsrechte nach nationalem Recht entstehen. 1424

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(6) Besteht in mindestens einer der an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften ein System der Arbeitnehmermitbestimmung und soll diese Regelung des Absatzes 2 auf die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft angewandt werden, so ist diese Gesellschaft verpflichtet, eine Rechtsform anzunehmen, die die Ausübung von Mitbestimmungsrechten ermöglicht. (7) Gilt für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ein System der Arbeitnehmermitbestimmung, so ist diese Gesellschaft verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer im Falle nachfolgender innerstaatlicher Verschmelzungen während drei Jahren nach Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Verschmelzung durch entsprechende Anwendung der Vorschriften dieses Artikels geschützt werden. Art. 134 Gültigkeit Eine grenzüberschreitende Verschmelzung, die nach Artikel 129 wirksam geworden ist, kann nicht mehr für nichtig erklärt werden.

Kapitel III − Spaltung von Aktiengesellschaften Abschnitt 1 − Allgemeine Bestimmungen Art. 135 Allgemeine Bestimmungen zur Spaltung (1) Gestatten die Mitgliedstaaten für die in Anhang I genannten, ihrem Recht unterliegenden Gesellschaften die in Artikel 136 beschriebene Spaltung durch Übernahme, so unterwerfen sie diesen Vorgang dem zweiten Abschnitt dieses Kapitels. (2) Gestatten die Mitgliedstaaten für die in Absatz 1 bezeichneten Gesellschaften die in Artikel 155 definierte Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften, so unterwerfen sie diesen Vorgang dem dritten Abschnitt dieses Kapitels. (3) Gestatten die Mitgliedstaaten für die in Absatz 1 bezeichneten Gesellschaften den Vorgang, durch den eine Spaltung durch Übernahme im Sinne von Artikel 136 Absatz 1 mit einer Spaltung durch Gründung einer oder mehrerer neuer Gesellschaften im Sinne von Artikel 155 Absatz 1 verbunden wird, so unterwerfen sie diesen Vorgang dem zweiten Abschnitt dieses Kapitels und Artikel 156. (4) Artikel 87 Absätze 2, 3 und 4 findet Anwendung.

Abschnitt 2 − Spaltung durch Übernahme Art. 136 Definition der „Spaltung durch Übernahme“ (1) Im Sinne dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck Spaltung durch Übernahme den Vorgang, durch den eine Gesellschaft ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf mehrere Gesellschaften überträgt, und zwar 1425

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gegen Gewährung von Aktien der Gesellschaften, denen die sich aus der Spaltung ergebenden Einlagen zugutekommen, — im folgenden „begünstigte Gesellschaften“ genannt — an die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft und gegebenenfalls Gewährung einer baren Zuzahlung, die 10 % des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt. (2) Artikel 89 Absatz 2 findet Anwendung. (3) Soweit in diesem Kapitel auf die Vorschriften von Titel II Kapitel I verwiesen wird, bezeichnen der Ausdruck „sich verschmelzende Gesellschaften“ die an der Spaltung beteiligten Gesellschaften, der Ausdruck „übertragende Gesellschaft“ die gespaltene Gesellschaft, der Ausdruck „übernehmende Gesellschaft“ jede begünstigte Gesellschaft und der Ausdruck „Verschmelzungsplan“ den Spaltungsplan. Art. 137 Spaltungsplan (1) Die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften erstellen einen schriftlichen Spaltungsplan. (2) Der Spaltungsplan enthält mindestens folgende Angaben: a) die Rechtsform, die Firma und den Sitz der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften; b) das Umtauschverhältnis der Aktien und gegebenenfalls die Höhe der baren Zuzahlung; c) die Einzelheiten hinsichtlich der Übertragung der Aktien der begünstigten Gesellschaften; d) den Zeitpunkt, von dem an diese Aktien das Recht auf Teilnahme am Gewinn gewähren, sowie alle Besonderheiten in Bezug auf dieses Recht; e) den Zeitpunkt, von dem an die Handlungen der gespaltenen Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Rechnungslegung als für Rechnung der einen oder anderen begünstigten Gesellschaft vorgenommen gelten; f) die Rechte, welche die begünstigten Gesellschaften den Aktionären mit Sonderrechten und den Inhabern anderer Wertpapiere als Aktien gewähren, oder die für diese Personen vorgeschlagenen Maßnahmen; g) jeden besonderen Vorteil, der den Sachverständigen im Sinne des Artikels 142 Absatz 1 sowie den Mitgliedern der Verwaltungs-, Leitungs-, Aufsichts- oder Kontrollorgane der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften gewährt wird; h) die genaue Beschreibung und Aufteilung der Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens, das an jede der begünstigten Gesellschaften zu übertragen ist; i) die Aufteilung der begünstigten Gesellschaften auf die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft sowie den Aufteilungsmaßstab. 1426

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(3) Wird ein Gegenstand des Aktivvermögens im Spaltungsplan nicht zugeteilt und lässt auch dessen Auslegung eine Entscheidung über die Zuteilung nicht zu, so wird der Gegenstand oder sein Gegenwert auf alle begünstigten Gesellschaften anteilig im Verhältnis zu dem nach dem Spaltungsplan auf sie entfallenden Nettoaktivvermögen übertragen. Wird ein Gegenstand des Passivvermögens im Spaltungsplan nicht zugeteilt und lässt auch dessen Auslegung eine Entscheidung über die Zuteilung nicht zu, so haftet jede der begünstigten Gesellschaften als Gesamtschuldner. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die gesamtschuldnerische Haftung auf das Nettoaktivvermögen beschränkt wird, das jeder begünstigten Gesellschaft zugeteilt wird. Art. 138 Bekanntmachung des Spaltungsplans Der Spaltungsplan wird mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung, die über den Spaltungsplan zu beschließen hat, für jede der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offengelegt. Jede der verschmelzenden Gesellschaften ist von der Offenlegungspflicht nach Artikel 16 befreit, wenn sie die Spaltungspläne während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung, die über die Spaltungspläne zu beschließen hat, beginnt und nicht vor dem Abschluss dieser Versammlung endet, für die Öffentlichkeit kostenlos auf ihren Internetseiten veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten knüpfen diese Befreiung an keine anderen Erfordernisse und Auflagen als die, die für die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente erforderlich sind, und dürfen solche Erfordernisse und Auflagen nur einführen, soweit sie zur Erreichung dieser Zwecke angemessen sind. Abweichend von Absatz 2 können die Mitgliedstaaten verlangen, dass die Veröffentlichung über die zentrale elektronische Plattform gemäß Artikel 16 Absatz 5 erfolgt. Die Mitgliedstaaten können alternativ verlangen, dass die Veröffentlichung auf anderen, von ihnen zu diesem Zweck benannten Internetseiten erfolgt. Machen die Mitgliedstaaten von einer dieser Möglichkeiten Gebrauch, so gewährleisten sie, dass den Gesellschaften für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten entstehen. Werden andere Internetseiten als die zentrale elektronische Plattform genutzt, wird mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung auf dieser zentralen elektronischen Plattform ein Verweis, der zu diesen Internetseiten führt, veröffentlicht. Dieser Verweis enthält auch das Datum der Veröffentlichung der Spaltungspläne im Internet und ist der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich. Den Gesellschaften entstehen für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten. 1427

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Das in den Absätzen 3 und 4 genannte Verbot, von Gesellschaften eine spezifische Gebühr für die Veröffentlichung zu verlangen, lässt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, die Kosten für die zentrale elektronische Plattform an Gesellschaften weiterzugeben. Die Mitgliedstaaten können von Gesellschaften verlangen, Informationen für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten oder gegebenenfalls auf der zentralen elektronischen Plattform oder den anderen von dem betreffenden Mitgliedstaat benannten Internetseiten verfügbar zu halten. Die Mitgliedstaaten können die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung des Zugriffs auf die Internetseiten und die zentrale elektronische Plattform aufgrund technischer oder sonstiger Ursachen bestimmen. Art. 139 Zustimmung der Hauptversammlung jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften (1) Die Spaltung bedarf zumindest der Zustimmung der Hauptversammlung jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften. Artikel 93 ist bezüglich der für diesen Beschluss erforderlichen Mehrheit, dessen Tragweite sowie des Erfordernisses einer gesonderten Abstimmung anzuwenden. (2) Werden die Aktien der begünstigten Gesellschaften den Aktionären der gespaltenen Gesellschaft nicht im Verhältnis zu ihren Rechten an deren Kapital gewährt, so können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Minderheitsaktionäre der gespaltenen Gesellschaft ihre Aktien aufkaufen lassen können. In diesem Fall haben sie Anspruch auf ein dem Wert ihrer Aktien entsprechendes Entgelt. Sofern hierüber keine Einigung erzielt wird, kann das Entgelt durch ein Gericht festgesetzt werden. Art. 140 Abweichung vom Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung einer begünstigten Gesellschaft Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats brauchen die Zustimmung der Hauptversammlung einer begünstigten Gesellschaft nicht vorzuschreiben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Die in Artikel 138 vorgeschriebene Offenlegung wird für die begünstigte Gesellschaft mindestens einen Monat vor dem Datum derjenigen Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft, die über den Spaltungsplan zu beschließen hat, bewirkt; b) jeder Aktionär der begünstigten Gesellschaft hat mindestens einen Monat vor dem unter Buchstabe a genannten Zeitpunkt das Recht, am Sitz dieser Gesellschaft von den in Artikel 143 Absatz 1 genannten Unterlagen Kenntnis zu nehmen; c) ein oder mehrere Aktionäre der begünstigten Gesellschaft, die über Aktien in einem Mindestprozentsatz des gezeichneten Kapitals verfügen, haben 1428

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das Recht, die Einberufung einer Hauptversammlung der begünstigten Gesellschaft, in der über die Zustimmung zu der Spaltung beschlossen wird, zu verlangen. Dieser Mindestprozentsatz darf nicht auf mehr als 5 % festgesetzt werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, dass die Aktien ohne Stimmrecht von der Berechnung dieses Prozentsatzes ausgenommen sind. Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe b gilt Artikel 143 Absätze 2, 3 und 4. Art. 141 Ausführlicher schriftlicher Bericht und Informationen zur Spaltung (1) Die Verwaltungs- oder Leitungsorgane jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften erstellen einen ausführlichen schriftlichen Bericht, in dem der Spaltungsplan, insbesondere das Umtauschverhältnis der Aktien und der Maßstab für ihre Aufteilung, rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet wird. (2) In dem Bericht wird außerdem auf besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung, soweit solche aufgetreten sind, hingewiesen. Erwähnt werden gegebenenfalls auch die Erstellung des Berichts über die Prüfung der Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, nach Artikel 70 Absatz 2 für die begünstigten Gesellschaften sowie das Register, bei dem dieser Bericht zu hinterlegen ist. (3) Die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der gespaltenen Gesellschaft unterrichten über jede zwischen der Aufstellung des Spaltungsplans und dem Datum der Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft, die über den Spaltungsplan zu beschließen hat, eingetretene wesentliche Veränderung des Aktiv- oder Passivvermögens die Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft sowie die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der begünstigten Gesellschaften, damit diese die Hauptversammlung ihrer Gesellschaft unterrichten. Art. 142 Prüfung des Spaltungsplans durch Sachverständige (1) Für jede der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften prüfen ein oder mehrere von diesen unabhängige Sachverständige, welche durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde bestellt oder zugelassen sind, den Spaltungsplan und erstellen einen schriftlichen Bericht für die Aktionäre. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können jedoch die Bestellung eines oder mehrerer unabhängiger Sachverständiger für alle an der Spaltung beteiligten Gesellschaften vorsehen, wenn die Bestellung auf gemeinsamen Antrag dieser Gesellschaften durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde erfolgt. Diese Sachverständigen können entsprechend den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats sowohl natürliche oder juristische Personen als auch Gesellschaften sein. (2) Artikel 96 Absätze 2 und 3 findet Anwendung. 1429

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Art. 143 Verfügbarkeit der Unterlagen zur Kenntnisnahme durch die Aktionäre (1) Mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung, die über den Spaltungsplan zu beschließen hat, hat jeder Aktionär das Recht, am Sitz der Gesellschaft zumindest von folgenden Unterlagen Kenntnis zu nehmen: a) dem Spaltungsplan; b) den Jahresabschlüssen und den Geschäftsberichten der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften für die letzten drei Geschäftsjahre; c) gegebenenfalls einer Zwischenbilanz, die für einen Zeitpunkt erstellt ist, der nicht vor dem ersten Tag des dritten der Aufstellung des Spaltungsplans vorausgehenden Monats liegt, sofern der letzte Jahresabschluss sich auf ein mehr als sechs Monate vor der Aufstellung des Spaltungsplans abgelaufenes Geschäftsjahr bezieht; d) gegebenenfalls den in Artikel 141 Absatz 1 genannten Berichten der Verwaltungs- oder Leitungsorgane der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften; e) gegebenenfalls den in Artikel 142 genannten Berichten. Die Erstellung einer Zwischenbilanz für die Zwecke von Unterabsatz 1 Buchstabe c ist nicht erforderlich, wenn die Gesellschaft gemäß Artikel 5 der Richtlinie 2004/109/EG einen Halbjahresfinanzbericht veröffentlicht und den Aktionären gemäß diesem Absatz zur Verfügung stellt. (2) Die Zwischenbilanz nach Absatz 1 Buchstabe c ist nach denselben Methoden und in derselben Gliederung zu erstellen wie die letzte Jahresbilanz. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können jedoch vorsehen, dass a) es nicht erforderlich ist, eine neue körperliche Bestandsaufnahme durchzuführen; b) die Bewertungen der letzten Bilanz nur nach Maßgabe der Bewegungen in den Büchern verändert zu werden brauchen, wobei jedoch zu berücksichtigen sind: i) Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen für die Zwischenzeit, ii) wesentliche, aus den Büchern nicht ersichtliche Veränderungen der wirklichen Werte. (3) Vollständige oder, falls gewünscht, auszugsweise Abschriften der in Absatz 1 genannten Unterlagen werden jedem Aktionär auf formlosen Antrag kostenlos erteilt. Hat der Aktionär diesem Weg der Informationsübermittlung zugestimmt, so können Informationen auf elektronischem Wege bereitgestellt werden. (4) Eine Gesellschaft ist von der Pflicht die in Absatz 1 genannten Dokumente an ihrem Sitz zur Verfügung zu stellen befreit, wenn sie die betreffenden Dokumente während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor dem Datum der Hauptversammlung, die über die Spaltungspläne zu beschlie1430

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ßen hat, beginnt und nicht vor dem Abschluss dieser Versammlung endet, auf ihren Internetseiten veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten knüpfen diese Befreiung an keine anderen Erfordernisse und Auflagen als die, die für die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente erforderlich sind, und nur dann, wenn sie zur Erreichung dieses Zwecks angemessen sind. Absatz 3 kommt nicht zur Anwendung, wenn die Aktionäre während des gesamten in Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes genannten Zeitraums auf den Internetseiten die Möglichkeit haben, die in Absatz 1 genannten Dokumente herunterzuladen und auszudrucken. In diesem Fall können die Mitgliedstaaten jedoch vorsehen, dass die Gesellschaft diese Dokumente an ihrem Sitz zur Einsichtnahme durch die Aktionäre zur Verfügung stellt. Die Mitgliedstaaten können von Gesellschaften verlangen, Informationen für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten verfügbar zu halten. Die Mitgliedstaaten können die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung des Zugriffs auf die Internetseiten aufgrund technischer oder sonstiger Ursachen bestimmen. Art. 144 Vereinfachte Formalitäten (1) Weder die in Artikel 142 Absatz 1 vorgesehene Prüfung des Spaltungsplans noch die dort vorgesehene Erstellung eines Sachverständigenberichts sind erforderlich, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Spaltung beteiligten Gesellschaften darauf verzichtet haben. (2) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass Artikel 141 und Artikel 143 Absatz 1 Buchstaben c und d keine Anwendung finden, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Spaltung beteiligten Gesellschaften darauf verzichtet haben. Art. 145 Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer Die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften wird gemäß der Richtlinie 2001/23/EG geregelt. Art. 146 Schutz der Interessen der Gläubiger der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften; gesamtschuldnerische Haftung der begünstigten Gesellschaften (1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten sehen ein angemessenes Schutzsystem für die Interessen der Gläubiger der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften vor, deren Forderungen vor der Bekanntmachung des Spaltungsplans entstanden und zum Zeitpunkt dieser Bekanntmachung noch nicht fällig sind. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 sehen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zumindest vor, dass diese Gläubiger Anspruch auf angemessene Garantien haben, wenn die finanzielle Lage der gespaltenen Gesellschaft sowie der Gesell1431

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schaft, auf die die Verpflichtung nach dem Spaltungsplan übertragen wird, einen solchen Schutz erforderlich machen und die Gläubiger nicht schon derartige Garantien haben. Die Mitgliedstaaten legen die Modalitäten für den in Absatz 1 und in Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes vorgesehenen Schutz fest. Die Mitgliedstaaten gewährleisten in jedem Fall, dass die Gläubiger das Recht haben, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem zuständigen Gericht angemessene Sicherheiten zu beantragen, wenn sie nachweisen können, dass die Befriedigung ihrer Forderungen durch die Spaltung gefährdet ist und sie von der Gesellschaft keine angemessenen Sicherheiten erhalten haben. (3) Soweit ein Gläubiger von der Gesellschaft, auf welche die Verpflichtung nach dem Spaltungsplan übertragen wurde, keine Befriedigung erlangt hat, haften die begünstigten Gesellschaften für diese Verpflichtung als Gesamtschuldner. Die Mitgliedstaaten können diese Haftung auf das jeder dieser Gesellschaften mit Ausnahme der Gesellschaft, auf die die Verpflichtung übertragen wurde, zugeteilte Nettoaktivvermögen beschränken. Sie brauchen diesen Absatz nicht anzuwenden, wenn der Vorgang der Spaltung der Aufsicht eines Gerichtes nach Artikel 157 unterliegt und in einer Versammlung nach Artikel 157 Absatz 1 Buchstabe c die Mehrzahl der Gläubiger, auf die Dreiviertel des Betrages der Forderungen entfallen, oder die Mehrzahl einer Kategorie von Gläubigern der gespaltenen Gesellschaft, auf die Dreiviertel des Betrages der Forderungen dieser Kategorie entfallen, darauf verzichtet haben, die gesamtschuldnerische Haftung geltend zu machen. (4) Artikel 99 Absatz 3 findet Anwendung. (5) Unbeschadet der Vorschriften über die gemeinsame Ausübung der Rechte der Anleihegläubiger der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften werden die Absätze 1 bis 4 auf diese Gläubiger angewendet, es sei denn, eine Versammlung der Anleihegläubiger — sofern die nationalen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen — oder jeder einzelne Anleihegläubiger hat der Spaltung zugestimmt. (6) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die begünstigten Gesellschaften für die Verpflichtungen der gespaltenen Gesellschaft als Gesamtschuldner haften. In diesem Fall brauchen sie die Absätze 1 bis 5 nicht anzuwenden. (7) Verbindet ein Mitgliedstaat das System des Gläubigerschutzes nach den Absätzen 1 bis 5 mit der gesamtschuldnerischen Haftung der begünstigten Gesellschaften nach Absatz 6, so kann er diese Haftung auf das jeder dieser Gesellschaften zugeteilte Nettoaktivvermögen beschränken. Art. 147 Schutz der Ansprüche der Inhaber von Wertpapieren, die mit Sonderrechten verbunden sind, jedoch keine Aktien sind Die Inhaber anderer Wertpapiere, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind, er1432

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halten in den begünstigten Gesellschaften, denen gegenüber ihre Rechte nach dem Spaltungsplan geltend gemacht werden können, Rechte, die mindestens denen gleichwertig sind, die sie in der gespaltenen Gesellschaft hatten, es sei denn, dass eine Versammlung der Inhaber — sofern die nationalen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen — der Änderung dieser Rechte oder dass jeder einzelne Inhaber der Änderung seines Rechts zugestimmt hat oder dass diese Inhaber einen Anspruch auf Rückkauf ihrer Wertpapiere haben. Art. 148 Öffentliche Beurkundung der Unterlagen Falls die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für Spaltungen eine vorbeugende gerichtliche oder verwaltungsmäßige Kontrolle der Rechtmäßigkeit nicht vorsehen oder sich diese Kontrolle nicht auf alle für die Spaltung erforderlichen Rechtshandlungen erstreckt, findet Artikel 102 Anwendung. Art. 149 Wirksamwerden der Spaltung Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestimmen den Zeitpunkt, zu dem die Spaltung wirksam wird. Art. 150 Formalitäten der Offenlegung (1) Für jede der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften wird die Spaltung nach den in den Rechtsvorschriften eines jeden Mitgliedstaats in Übereinstimmung mit Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offengelegt. (2) Jede begünstigte Gesellschaft kann die für die gespaltene Gesellschaft vorzunehmenden Formalitäten der Offenlegung selbst veranlassen. Art. 151 Folgen einer Spaltung (1) Die Spaltung bewirkt ipso jure gleichzeitig Folgendes: a) Sowohl zwischen der gespaltenen Gesellschaft und den begünstigten Gesellschaften als auch gegenüber Dritten geht das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der gespaltenen Gesellschaft auf die begünstigten Gesellschaften über, und zwar entsprechend der im Spaltungsplan oder in Artikel 137 Absatz 3 vorgesehenen Aufteilung; b) die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft werden entsprechend der im Spaltungsplan vorgesehenen Aufteilung Aktionäre einer oder mehrerer begünstigter Gesellschaften; c) die gespaltene Gesellschaft erlischt. (2) Es werden keine Aktien einer begünstigten Gesellschaft im Austausch für Aktien der gespaltenen Gesellschaft gegeben, die sich a) im Besitz dieser begünstigten Gesellschaft selbst oder einer Person befinden, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt; oder 1433

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b) im Besitz der gespaltenen Gesellschaft selbst oder einer Person befinden, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt. (3) Unberührt bleiben die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die für die Wirksamkeit der Übertragung bestimmter, von der gespaltenen Gesellschaft eingebrachter Vermögensgegenstände, Rechte und Pflichten gegenüber Dritten besondere Formalitäten erfordern. Die begünstigte(n) Gesellschaft(en), der (denen) diese Vermögensgegenstände, Rechte und Pflichten nach dem Spaltungsplan oder nach Artikel 137 Absatz 3 übertragen werden, kann (können) diese Formalitäten selbst veranlassen; die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch der gespaltenen Gesellschaft gestatten, während eines begrenzten Zeitraums diese Formalitäten weiter zu vollziehen; dieser Zeitraum kann nur in Ausnahmefällen auf mehr als sechs Monate nach dem Zeitpunkt, in dem die Spaltung wirksam wird, festgesetzt werden. Art. 152 Zivilrechtliche Haftung der Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der gespaltenen Gesellschaft Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten regeln zumindest die zivilrechtliche Haftung der Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der gespaltenen Gesellschaft gegenüber den Aktionären dieser Gesellschaft für schuldhaftes Verhalten von Mitgliedern dieses Organs bei der Vorbereitung und dem Vollzug der Spaltung sowie die zivilrechtliche Haftung der Sachverständigen, die beauftragt sind, für diese Gesellschaft den in Artikel 142 vorgesehenen Bericht zu erstellen, für schuldhaftes Verhalten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Art. 153 Voraussetzungen für die Nichtigkeit der Spaltung (1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können die Nichtigkeit der Spaltung von Gesellschaften nur nach Maßgabe folgender Bestimmungen regeln: a) Die Nichtigkeit muss durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden; b) für nichtig erklärt wird eine im Sinne von Artikel 149 wirksam gewordene Spaltung nur wegen Fehlens einer vorbeugenden gerichtlichen oder verwaltungsmäßigen Kontrolle der Rechtmäßigkeit oder einer öffentlichen Beurkundung oder wenn festgestellt wird, dass der Beschluss der Hauptversammlung nach nationalem Recht nichtig oder anfechtbar ist; c) die Nichtigkeitsklage wird nicht mehr erhoben, wenn eine Frist von sechs Monaten verstrichen ist, nachdem die Spaltung demjenigen gegenüber wirksam geworden ist, der sich auf die Nichtigkeit beruft, oder wenn der Mangel behoben worden ist; d) kann der Mangel, dessentwegen die Spaltung für nichtig erklärt werden kann, behoben werden, so räumt das zuständige Gericht den beteiligten Gesellschaften dazu eine Frist ein; 1434

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e) die gerichtliche Entscheidung, durch welche die Nichtigkeit der Spaltung ausgesprochen wird, wird in Übereinstimmung mit Artikel 16 nach den in den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahren offengelegt; f) falls die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gegen die gerichtliche Entscheidung einen Einspruch Dritter vorsehen, so wird dieser nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten seit Offenlegung der gerichtlichen Entscheidung gemäß Titel I Kapitel III nicht mehr erhoben; g) die gerichtliche Entscheidung, durch welche die Nichtigkeit der Spaltung ausgesprochen wird, berührt für sich allein nicht die Wirksamkeit der Verpflichtungen, die vor der Offenlegung der gerichtlichen Entscheidung, jedoch nach dem in Artikel 149 bezeichneten Zeitpunkt, zu Lasten oder zugunsten der begünstigten Gesellschaften entstanden sind; h) jede begünstigte Gesellschaft haftet für die Verpflichtungen zu ihren Lasten, die nach dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Spaltung und vor dem Zeitpunkt, zu dem der Beschluss über die Nichtigkeit der Spaltung offengelegt worden ist, entstanden sind. Die gespaltene Gesellschaft haftet ebenfalls für diese Verpflichtungen; die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diese Haftung auf den Teil des Nettoaktivvermögens beschränkt ist, welcher auf die begünstigte Gesellschaft entfällt, zu deren Lasten diese Verpflichtungen entstanden sind. (2) Abweichend von Absatz 1 Buchstabe a dieses Artikels können die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats auch gestatten, dass die Nichtigkeit der Spaltung durch eine Verwaltungsbehörde ausgesprochen wird, wenn gegen eine solche Entscheidung ein Rechtsbehelf bei einem Gericht eingelegt werden kann. Absatz 1 Buchstabe b und Buchstabe d bis h dieses Artikels gelten entsprechend für die Verwaltungsbehörde. Dieses Nichtigkeitsverfahren kann nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten nach dem in Artikel 149 genannten Zeitpunkt nicht mehr eingeleitet werden. (3) Unberührt bleiben die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Nichtigkeit einer Spaltung, die im Wege einer anderen Kontrolle der Spaltung als der vorbeugenden gerichtlichen oder verwaltungsmäßigen Kontrolle der Rechtmäßigkeit ausgesprochen wird. Art. 154 Befreiung vom Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft Gehören den begünstigten Gesellschaften insgesamt alle Aktien der gespaltenen Gesellschaft sowie alle sonstigen Anteile der gespaltenen Gesellschaft, die in der Hauptversammlung ein Stimmrecht gewähren, so dürfen die Mitgliedstaaten unbeschadet des Artikels 140 keine Zustimmung der Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft zur Spaltung vorschreiben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1435

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a) Die in Artikel 138 vorgeschriebene Offenlegung wird für die an dem Vorgang beteiligten Gesellschaften mindestens einen Monat vor dem Zeitpunkt, zu dem der Vorgang wirksam wird, bewirkt; b) alle Aktionäre der an dem Vorgang beteiligten Gesellschaften haben das Recht, mindestens einen Monat vor dem Zeitpunkt, zu dem der Vorgang wirksam wird, am Sitz ihrer Gesellschaft von den in Artikel 143 Absatz 1 bezeichneten Unterlagen Kenntnis zu nehmen; c) wird eine Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft, in der über die Zustimmung zur Spaltung beschlossen wird, nicht einberufen, so erstreckt sich die in Artikel 141 Absatz 3 vorgesehene Unterrichtung auf jede nach der Aufstellung des Spaltungsplans eingetretene wesentliche Veränderung des Aktiv- und Passivvermögens. Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe b gelten Artikel 143 Absätze 2, 3 und 4 sowie Artikel 144.

Abschnitt 3 − Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften Art. 155 Definition der „Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften“ (1) Im Sinne dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck „Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften“ den Vorgang, durch den eine Gesellschaft ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf mehrere neugegründete Gesellschaften überträgt, und zwar gegen Gewährung von Aktien der begünstigten Gesellschaften an die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft und gegebenenfalls Gewährung einer baren Zuzahlung, die 10 % des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt. (2) Artikel 90 Absatz 2 findet Anwendung. Art. 156 Anwendung von Vorschriften über die Spaltung durch Übernahme (1) Die Artikel 137, 138, 139 und 141, Artikel 142 Absätze 1 und 2 und die Artikel 143 bis 153 finden unbeschadet der Artikel 11 und 12 auf die Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften Anwendung. Für diese Anwendung bedeuten der Ausdruck „an der Spaltung beteiligte Gesellschaften“ die gespaltene Gesellschaft, der Ausdruck „begünstigte Gesellschaft“ jede der neuen Gesellschaften. (2) Der Spaltungsplan erwähnt außer den Angaben nach Artikel 137 Absatz 2 die Rechtsform, die Firma und den Sitz jeder der neuen Gesellschaften. (3) Der Spaltungsplan und, falls sie Gegenstand eines getrennten Aktes sind, der Errichtungsakt oder der Entwurf des Errichtungsaktes und die Satzung oder der Entwurf der Satzung jeder der neuen Gesellschaften bedürfen der Zustimmung der Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft. 1436

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(4) Die Mitgliedstaaten dürfen nicht vorschreiben, dass die Anforderungen von Artikel 141, Artikel 142 und Artikel 143 Absatz 1 Buchstaben c, d und e Anwendung finden, wenn die Aktien jeder der neuen Gesellschaften den Aktionären der gespaltenen Gesellschaft im Verhältnis zu ihren Rechten am Kapital dieser Gesellschaft gewährt werden.

Abschnitt 4 − Spaltung unter Aufsicht eines Gerichts Art. 157 Spaltung unter Aufsicht eines Gerichts (1) Die Mitgliedstaaten können Absatz 2 anwenden, wenn die Spaltung unter der Aufsicht eines Gerichtes erfolgt, das befugt ist, a) die Hauptversammlung der Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft einzuberufen, damit sie über die Spaltung beschließt; b) sich zu vergewissern, dass die Aktionäre jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften zumindest die in Artikel 143 bezeichneten Unterlagen binnen einer Frist erhalten haben oder sich beschaffen können, die es ihnen ermöglicht, sie rechtzeitig vor dem Datum der Hauptversammlung ihrer Gesellschaft, die über die Spaltung zu beschließen hat, zu prüfen; macht ein Mitgliedstaat von der in Artikel 140 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, so muss die Frist ausreichen, um es den Aktionären der begünstigten Gesellschaften zu ermöglichen, die ihnen durch Artikel 140 zuerkannten Rechte auszuüben; c) eine Versammlung der Gläubiger jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften einzuberufen, damit sie über die Spaltung beschließt; d) sich zu vergewissern, dass die Gläubiger jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften zumindest den Spaltungsplan binnen einer Frist erhalten haben oder sich beschaffen können, die es ihnen ermöglicht, ihn rechtzeitig vor dem unter Buchstabe b genannten Zeitpunkt zu prüfen; e) den Spaltungsplan zu genehmigen. (2) Stellt das Gericht fest, dass die in Absatz 1 Buchstaben b und d bezeichneten Bedingungen erfüllt sind und den Aktionären und den Gläubigern kein Schaden entstehen kann, so kann es die an der Spaltung beteiligten Gesellschaften befreien von der Anwendung a) des Artikels 138 unter der Bedingung, dass das in Artikel 146 Absatz 1 bezeichnete angemessene Schutzsystem für die Interessen der Gläubiger sich auf alle Forderungen erstreckt, unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem sie entstanden sind; b) der in Artikel 140 Buchstaben a und b bezeichneten Bedingungen, wenn ein Mitgliedstaat von der in Artikel 140 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht; 1437

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c) des Artikels 143 hinsichtlich der Frist und der Einzelheiten, die darin für die Möglichkeit festgelegt sind, dass die Aktionäre von den bezeichneten Unterlagen Kenntnis nehmen. Abschnitt 5 − Andere der Spaltung gleichgestellte Vorgänge Art. 158 Spaltung durch bare Zuzahlung, die den Satz von 10 % übersteigt Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für einen der in Artikel 135 vorgesehenen Vorgänge, dass die bare Zuzahlung den Satz von 10 % übersteigt, so finden die Abschnitte 2, 3 und 4 dieses Kapitels Anwendung. Art. 159 Spaltung ohne Erlöschen der gespalteten Gesellschaft Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einen der in Artikel 135 vorgesehenen Vorgänge, ohne dass die gespaltene Gesellschaft erlischt, so finden die Abschnitte 2, 3 und 4 dieses Kapitels mit Ausnahme des Artikels 151 Absatz 1 Buchstabe c Anwendung. Abschnitt 6 – Durchführungsbestimmungen Art. 160 Übergangsbestimmungen Die Mitgliedstaaten brauchen die Artikel 146 und 147 auf Inhaber von Wandelschuldverschreibungen und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können, nicht anzuwenden, wenn bei Inkrafttreten der Vorschriften gemäß Artikel 26 Absatz 1 oder 2 der Verordnung 82/891/EWG die Stellung dieser Inhaber bei einer Spaltung vorab in den Ausgabebedingungen festgelegt worden war.

Titel III – Schlussbestimmungen Art. 161–168 nicht abgedruckt. Anhang I-IV Kategorien von Gesellschaften, Aufhebungen, Umsetzungsfristen, Entsprechungstabelle — nicht abgedruckt.

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4.14 Übernahme-RL 2004/25

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44 Absatz 1, auf Vorschlag der Kommission,1 nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,2 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags,3 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Gewisse Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen und deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats zugelassen sind, im Interesse der Gesellschafter und Dritter vorgeschrieben sind, bedürfen gemäß Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g) des Vertrags der Koordinierung, um sie gemeinschaftsweit gleichwertig zu gestalten. (2) Wenn Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen, Gegenstand eines Übernahmeangebots oder eines Kontrollwechsels sind und zumindest ein Teil der Wertpapiere dieser Gesellschaften zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats zugelassen sind, ist es notwendig, die Interessen der Inhaber dieser Wertpapiere zu schützen. (3) Es ist erforderlich, gemeinschaftsweit Klarheit und Transparenz in Bezug auf die Rechtsfragen zu schaffen, die bei Übernahmeangeboten zu regeln sind, und zu vermeiden, dass die Formen der Umstrukturierung von Unternehmen in der Gemeinschaft durch willkürliche Unterschiede in der Führungs- und Managementkultur verzerrt werden. (4) Angesichts der Zwecke des öffentlichen Interesses, die die Zentralbanken der Mitgliedstaaten erfüllen, erscheint es nicht vorstellbar, dass sie Ziel von Übernahmeangeboten sein können. Da die Wertpapiere einiger dieser Zentralbanken aus historischen Gründen an geregelten Märkten der Mitgliedstaaten notiert werden, ist es erforderlich, diese ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszuschließen. (5) Jeder Mitgliedstaat sollte eine oder mehrere Stellen bestimmen, die die in dieser Richtlinie geregelten Aspekte von Übernahmeangeboten überwachen und sicherstellen, dass die Parteien des Angebots den gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften nachkommen. Alle diese Stellen sollten zusammenarbeiten. (6) Um effektiv zu sein, sollte die Übernahmeregelung flexibel sein und neu auftretende Umstände erfassen können und damit Ausnahmen und abweichende Regelungen erlauben. Bei der Anwendung von Regeln oder Ausnahmen bzw. beim Erlass von abweichenden Regelungen sollten die Aufsichtsstellen jedoch bestimmte allgemeine Grundsätze beachten. (7) Stellen der freiwilligen Selbstkontrolle sollten die Aufsicht führen können.

* Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. 2004 L 142/12. 1 ABl. C 45 E vom 25. 2. 2003, S. 1. 2 ABl. C 208 vom 3. 9. 2003, S. 55. 3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 16. 12. 2003 (ABl. C 91 E vom 15. 4. 2004, S. 109) und Beschluss des Rates vom 30. 3. 2004. https://doi.org/10.1515/9783110667776-057

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Übernahme-RL 2004/25

(8) Im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere dem Anspruch auf rechtliches Gehör sollten die Entscheidungen einer Aufsichtsstelle gegebenenfalls von einem unabhängigen Gericht überprüft werden können. Die Entscheidung darüber, ob Rechte vorzusehen sind, die in Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gegen eine Aufsichtsstelle oder zwischen Parteien des Angebots geltend gemacht werden können, sollte jedoch den Mitgliedstaaten überlassen werden. (9) Die Mitgliedstaaten sollten die notwendigen Schritte unternehmen, um Wertpapierinhaber, insbesondere Wertpapierinhaber mit Minderheitsbeteiligungen, nach einem Kontrollwechsel in ihren Gesellschaften zu schützen. Diesen Schutz sollten die Mitgliedstaaten dadurch gewährleisten, dass die Person, die die Kontrolle über die Gesellschaft erlangt hat, verpflichtet wird, allen Wertpapierinhabern dieser Gesellschaft zu einem angemessenen Preis, der einheitlich definiert ist, ein Angebot zur Übernahme aller ihrer Wertpapiere zu machen. Die Mitgliedstaaten müssen weitere Vorkehrungen zum Schutz der Interessen der Wertpapierinhaber vorsehen können, wie etwa die Verpflichtung, ein Teilangebot zu unterbreiten, wenn der Bieter nicht die Kontrolle über die Gesellschaft erwirbt, oder die Verpflichtung, zugleich mit dem Erwerb der Kontrolle über die Gesellschaft ein Angebot zu unterbreiten. (10) Die Verpflichtung, allen Wertpapierinhabern ein Angebot zu unterbreiten, sollte nicht für diejenigen Kontrollbeteiligungen gelten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie bereits bestehen. (11) Die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots sollte nicht für den Erwerb von Wertpapieren gelten, die kein Stimmrecht in der ordentlichen Hauptversammlung verleihen. Die Mitgliedstaaten sollten allerdings vorsehen können, dass die Verpflichtung, allen Wertpapierinhabern ein Angebot zu machen, nicht nur für Wertpapiere gilt, die Stimmrechte verleihen, sondern auch für Wertpapiere, die nur unter bestimmten Umständen Stimmrechte verleihen oder überhaupt nicht mit Stimmrechten ausgestattet sind. (12) Um die Möglichkeiten für Insidergeschäfte zu verringern, sollte der Bieter verpflichtet werden, seinen Beschluss, ein Angebot zu unterbreiten, so früh wie möglich bekannt zu geben und die Aufsichtsstelle von dem Angebot zu unterrichten. (13) Die Wertpapierinhaber sollten durch eine Angebotsunterlage angemessen über die Angebotskonditionen unterrichtet werden. Auch sollten die Arbeitnehmervertreter der Gesellschaft oder — in Ermangelung solcher Vertreter — die Arbeitnehmer selbst ebenfalls in angemessener Weise unterrichtet werden. (14) Die Frist für die Annahme des Übernahmeangebots sollte geregelt werden. (15) Zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollten die Aufsichtsstellen die Parteien des Angebots jederzeit zur Erteilung von Auskünften, die diese selbst betreffen, auffordern können und mit anderen Aufsichtsstellen, die die Kapitalmärkte beaufsichtigen, effizient zusammenarbeiten und ihnen unverzüglich Auskünfte erteilen. (16) Um Handlungen vorzubeugen, durch die das Angebot vereitelt werden könnte, sollten die Befugnisse des Leitungs- bzw. des Verwaltungsorgans einer Zielgesellschaft zur Vornahme außergewöhnlicher Handlungen beschränkt werden, ohne dabei die Zielgesellschaft in ihrer normalen Geschäftstätigkeit unangemessen zu behindern. (17) Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan einer Zielgesellschaft sollte verpflichtet sein, zu dem Angebot eine schriftliche, mit Gründen versehene Stellungnahme zu veröffentlichen, in der unter anderem auf die Auswirkungen auf sämtliche Interessen der Gesellschaft, insbesondere auf die Beschäftigung, eingegangen wird. (18) Um die geltenden Vorschriften über den freien Handel mit Wertpapieren der von dieser Richtlinie erfassten Gesellschaften und die freie Stimmrechtsausübung in ihrer Wirkung

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zu stärken, müssen die Abwehrstrukturen und -mechanismen dieser Gesellschaften offen gelegt und regelmäßig der Hauptversammlung in einem Bericht mitgeteilt werden. Die Mitgliedstaaten sollten die notwendigen Vorkehrungen treffen, damit jeder Bieter die Möglichkeit hat, Mehrheitsbeteiligungen an anderen Gesellschaften zu erwerben und die vollständige Kontrolle über diese auszuüben. Zu diesem Zweck sollten Beschränkungen der Übertragbarkeit von Wertpapieren, Stimmrechtsbeschränkungen, besondere Ernennungs- und Mehrfachstimmrechte während der Angebotsfrist, oder wenn die Hauptversammlung der Aktionäre eine Abwehrmaßnahme oder eine Änderung der Satzung oder die Abberufung oder Ernennung von Mitgliedern des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans in der ersten Hauptversammlung der Aktionäre nach Angebotsschluss beschließt, aufgehoben oder ausgesetzt werden. Für Verluste, die Wertpapierinhabern als Folge der Entziehung von Rechten entstehen, sollte eine angemessene Entschädigung gemäß den von den Mitgliedstaaten festgelegten technischen Modalitäten vorgesehen werden. Alle von den Mitgliedstaaten an Gesellschaften gehaltenen Sonderrechte sollten im Rahmen des freien Kapitalverkehrs und der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags betrachtet werden. Von den Mitgliedstaaten an Gesellschaften gehaltene Sonderrechte, die im einzelstaatlichen Privatrecht oder öffentlichen Recht vorgesehen sind, sollten von der Durchgriffsklausel ausgenommen werden, wenn sie mit dem Vertrag vereinbar sind. Angesichts der unterschiedlichen Mechanismen und Strukturen des Gesellschaftsrechts der Mitgliedstaaten sollten diese den Gesellschaften mit Sitz in ihrem Staatsgebiet nicht vorschreiben müssen, diejenigen Bestimmungen dieser Richtlinie, die die Befugnisse des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans einer Zielgesellschaft während der Angebotsfrist beschränken und diejenigen, die die in der Satzung oder in besonderen Vereinbarungen vorgesehenen Schranken unanwendbar machen, anzuwenden. In diesem Fall sollten die Mitgliedstaaten den Gesellschaften mit Sitz in ihrem Staatsgebiet zumindest die widerrufliche Wahlmöglichkeit einräumen, diese Bestimmungen anzuwenden. Unbeschadet internationaler Übereinkünfte, bei denen die Europäische Gemeinschaft Vertragspartei ist, sollten die Mitgliedstaaten den Gesellschaften, die diese Bestimmungen entsprechend den freiwilligen Regelungen anwenden, nicht vorschreiben müssen, diese auch anzuwenden, wenn sie Ziel eines Angebots von Gesellschaften werden, die ihrerseits die gleichen Bestimmungen als Folge des Einsatzes dieser freiwilligen Regelungen nicht anwenden. Die Mitgliedstaaten sollten regeln, wann ein Angebot hinfällig wird, unter welchen Voraussetzungen der Bieter sein Angebot ändern kann, wie mit konkurrierenden Angeboten zu verfahren ist und wie das Ergebnis des Angebots bekannt zu machen ist, und die Unwiderruflichkeit des Angebots sowie die zulässigen Bedingungen festschreiben. Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter der Bieter- sowie der Zielgesellschaft sollten durch einschlägige einzelstaatliche Bestimmungen geregelt werden, insbesondere durch die Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen,4 der Richtlinie 98/ 59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen5 der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober

4 ABl. L 254 vom 30. 9. 1994, S. 64. Geändert durch die Richtlinie 97/74/CE (ABl. L 10 vom 16. 1. 1998, S. 22). 5 Massenentlassungs-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.11.

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2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer6 und der Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft — Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zur Vertretung der Arbeitnehmer.7 Die Arbeitnehmer der betroffenen Gesellschaften oder ihre Vertreter sollten überdies die Möglichkeit erhalten, sich zu den voraussichtlichen Auswirkungen des Angebots auf die Beschäftigung zu äußern. Unbeschadet der Vorschriften der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)8 können die Mitgliedstaaten jederzeit nationale Bestimmungen über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter des Bieters vor Abgabe eines Übernahmeangebots anwenden oder einführen. Die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um einem Bieter, der im Zuge eines Übernahmeangebots einen bestimmten Prozentsatz des stimmberechtigten Kapitals einer Gesellschaft erworben hat, die Möglichkeit zu geben, die Inhaber der übrigen Wertpapiere zum Verkauf ihrer Wertpapiere zu verpflichten. Dementsprechend sollten die Inhaber der übrigen Wertpapiere die Möglichkeit haben, den Bieter, der im Zuge eines Übernahmeangebots einen bestimmten Prozentsatz des stimmberechtigten Kapitals einer Gesellschaft erworben hat, zum Erwerb ihrer Wertpapiere zu verpflichten. Diese Ausschluss- und Andienungsverfahren sollten nur unter bestimmten Bedingungen im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten gelten. Die Mitgliedstaaten können unter anderen Umständen auf Ausschluss- und Andienungsverfahren weiterhin ihre nationalen Vorschriften anwenden. Da die Ziele der beabsichtigten Maßnahmen, nämlich die Festlegung von Mindestvorgaben für die Abwicklung von Übernahmeangeboten und die Gewährleistung eines ausreichenden Schutzes für Wertpapierinhaber in der gesamten Gemeinschaft wegen der Notwendigkeit der Transparenz und Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Übernahmen oder bei dem grenzüberschreitenden Erwerb einer die Kontrolle begründenden Beteiligung auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und sich daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene erreichen lassen, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. Eine Richtlinie ist hier das geeignete Instrument, um eine Rahmenregelung zu schaffen, die bestimmte allgemeine Grundsätze und eine begrenzte Zahl allgemeiner Vorschriften enthält, die von den Mitgliedstaaten in Form detaillierterer Bestimmungen im Einklang mit ihrer jeweiligen Rechtsordnung und ihrem kulturellen Umfeld umzusetzen sind. Die Mitgliedstaaten sollten jedoch Sanktionen vorsehen, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind. Um neuen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen, kann es von Zeit zu Zeit erforderlich sein, technische Anleitung zu geben und Durchführungsmaßnahmen

6 SE-Mitbestimmungs-RL, in dieser Sammlung Nr. 4.16. 7 Unterrichtungsrahmen-RL, in dieser Sammlung Nr. 3.13. 8 Ersetzt durch Marktmissbrauchs-VO, in dieser Sammlung Nr. 4.11.

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für die in dieser Richtlinie enthaltenen Vorschriften zu erlassen. Für einige Bestimmungen sollte die Kommission entsprechend ermächtigt werden, nach Konsultation des durch den Beschluss 2001/528/EG der Kommission9 eingesetzten Europäischen Wertpapierausschusses Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, soweit diese Maßnahmen nicht die wesentlichen Elemente dieser Richtlinie verändern und die Kommission gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Grundsätzen handelt. Die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse10 unter gebührender Berücksichtigung der Erklärung der Kommission vom 5. Februar 2002 vor dem Europäischen Parlament zur Durchführung der Rechtsvorschriften über Finanzdienstleistungen erlassen werden. Für die übrigen Bestimmungen sollte ein Kontaktausschuss mit der Aufgabe betraut werden, die Mitgliedstaaten und die Aufsichtsstellen bei der Anwendung dieser Richtlinie zu unterstützen und die Kommission, falls erforderlich, bei Ergänzungen oder Änderungen dieser Richtlinie zu beraten. Dabei kann der Kontaktausschuss die Informationen heranziehen, die die Mitgliedstaaten auf der Grundlage dieser Richtlinie zu den Übernahmeangeboten zur Verfügung stellen, die in ihren geregelten Märkten stattgefunden haben. (29) Die Kommission sollte den Prozess hin zu einer fairen und ausgewogenen Harmonisierung der Bestimmungen für Übernahmeangebote in der Europäischen Union erleichtern. Zu diesem Zweck sollte der Kommission die Möglichkeit eingeräumt werden, zu gegebener Zeit Vorschläge für eine Überarbeitung der vorliegenden Richtlinie vorzulegen — HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Art. 1 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie enthält Maßnahmen zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Verhaltenskodizes und sonstigen Regelungen der Mitgliedstaaten einschließlich der von den amtlich befugten Marktregulierungsstellen erlassenen Regelungen (nachstehend „Vorschriften“ genannt) für Übernahmeangebote für die Wertpapiere einer dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaft, sofern alle oder ein Teil dieser Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt im Sinne der Richtlinie 93/22/EWG11 (nachstehend „geregelter Markt“ genannt) in einem oder mehreren Mitgliedstaaten zugelassen sind. (2) Die Richtlinie findet keine Anwendung auf Übernahmeangebote für Wertpapiere, die von Gesellschaften ausgegeben werden, deren Zweck es ist, die vom Publikum bei ihnen eingelegten Gelder nach dem Grundsatz der Risikostreuung gemeinsam anzulegen, und deren Anteilscheine auf Verlangen der Anteilsinhaber unmittelbar oder mittelbar zulasten des Vermögens dieser Gesellschaften zurückgenommen oder ausgezahlt werden. Diesen Rücknahmen oder Auszah-

9 ABl. L 191 vom 19. 7. 2002, S. 45. Geändert durch den Beschluss 2004/8/EG (ABl. L 3 vom 7. 1. 2004, S. 33). 10 ABl. L 184 vom 17. 7. 1999, S. 23. 11 Ersetzt durch Finanzmarkt-RL II, in dieser Sammlung Nr. 2.20.

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lungen gleichgestellt sind Handlungen, mit denen eine Gesellschaft sicherstellen will, dass der Kurs ihrer Anteilscheine nicht erheblich von deren Nettoinventarwert abweicht. (3) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf Übernahmeangebote für Wertpapiere, die von den Zentralbanken der Mitgliedstaaten ausgegeben werden. Art. 2 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) „Übernahmeangebot“ oder „Angebot“ ist ein an die Inhaber der Wertpapiere einer Gesellschaft gerichtetes (und nicht von der Zielgesellschaft selbst abgegebenes) öffentliches Pflicht- oder freiwilliges Angebot zum Erwerb eines Teils oder aller dieser Wertpapiere, das sich an den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft im Sinne des einzelstaatlichen Rechts anschließt oder diesen Erwerb zum Ziel hat. b) „Zielgesellschaft“ ist eine Gesellschaft, deren Wertpapiere Gegenstand eines Angebots sind. c) „Bieter“ ist jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts, die ein Angebot abgibt. d) „Gemeinsam handelnde Personen“ sind natürliche oder juristische Personen, die mit dem Bieter oder der Zielgesellschaft auf der Grundlage einer ausdrücklichen oder stillschweigenden, mündlich oder schriftlich getroffenen Vereinbarung zusammenarbeiten, um die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erhalten bzw. den Erfolg des Übernahmeangebots zu vereiteln. e) „Wertpapiere“ sind übertragbare Wertpapiere, die Stimmrechte in einer Gesellschaft verleihen. f) „Parteien des Angebots“ sind der Bieter, die Mitglieder des Leitungs- bzw. des Verwaltungsorgans des Bieters, wenn es sich bei dem Bieter um eine Gesellschaft handelt, die Zielgesellschaft, die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft und die Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans der Zielgesellschaft und gemeinsam mit einer dieser Parteien handelnde Personen. g) „Wertpapiere mit Mehrfachstimmrecht“ sind Wertpapiere, die einer gesonderten und eigenen Gattung angehören und das Recht auf mehr als eine Stimme verleihen. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe d) gelten die von einer anderen Person kontrollierten Personen im Sinne von Artikel 87 der Richtlinie 2001/34/ EG12 als Personen, die gemeinsam miteinander und mit der sie kontrollierenden Person handeln.

12 Börsen-RL, in dieser Sammlung Nr. 4.10.

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Art. 3 Allgemeine Grundsätze (1) Die Mitgliedstaaten stellen zur Umsetzung dieser Richtlinie sicher, dass die folgenden Grundsätze beachtet werden: a) Alle Inhaber von Wertpapieren einer Zielgesellschaft, die der gleichen Gattung angehören, sind gleich zu behandeln; darüber hinaus müssen die anderen Inhaber von Wertpapieren geschützt werden, wenn eine Person die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt. b) Die Inhaber von Wertpapieren einer Zielgesellschaft müssen über genügend Zeit und ausreichende Informationen verfügen, um in ausreichender Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können; das Leitungsbzw. Verwaltungsorgan einer Zielgesellschaft muss bei der Beratung der Inhaber von Wertpapieren auf die Auswirkungen der Durchführung des Angebots auf die Beschäftigung, die Beschäftigungsbedingungen und die Standorte der Gesellschaft eingehen. c) Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan einer Zielgesellschaft muss im Interesse der gesamten Gesellschaft handeln und darf den Inhabern von Wertpapieren nicht die Möglichkeit vorenthalten, das Angebot selbst zu beurteilen. d) Beim Handel mit den Wertpapieren der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder anderer durch das Angebot betroffener Gesellschaften dürfen keine Marktverzerrungen durch künstliche Beeinflussung der Wertpapierkurse und durch Verfälschung des normalen Funktionierens der Märkte herbeigeführt werden. e) Ein Bieter hat vor der Ankündigung eines Angebots sicherzustellen, dass er die gegebenenfalls als Gegenleistung gebotenen Geldleistungen in vollem Umfang leisten kann, und alle gebotenen Maßnahmen zu treffen, um die Erbringung aller sonstigen Arten von Gegenleistungen zu garantieren. f) Eine Zielgesellschaft darf in ihrer Geschäftstätigkeit nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus durch ein Angebot für ihre Wertpapiere behindert werden. (2) Um die Beachtung der in Absatz 1 aufgeführten Grundsätze sicherzustellen, a) sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Mindestanforderungen eingehalten werden, b) können die Mitgliedstaaten für Angebote zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen als in dieser Richtlinie festlegen. Art. 4 Aufsichtsstelle und anwendbares Recht (1) Die Mitgliedstaaten benennen eine Stelle oder mehrere Stellen, die für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs zuständig sind, soweit er durch gemäß dieser Richtlinie erlassene oder eingeführte Vorschriften geregelt wird. Als Aufsichtsstelle muss entweder eine Behörde benannt werden oder aber eine Vereinigung oder eine private Einrich1445

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tung, die nach den nationalen Rechtsvorschriften oder von den Behörden, die dazu nach den nationalen Rechtsvorschriften ausdrücklich befugt sind, anerkannt ist. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die von ihnen benannten Aufsichtsstellen und gegebenenfalls jede besondere Aufgabenverteilung mit. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Aufsichtsstellen ihre Aufgaben unparteiisch und unabhängig von allen Parteien des Angebots erfüllen. (2) a) Für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs ist die Aufsichtsstelle des Mitgliedstaats zuständig, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat, wenn die Wertpapiere dieser Gesellschaft auf einem geregelten Markt dieses Mitgliedstaats zum Handel zugelassen sind. b) Sind die Wertpapiere der Zielgesellschaft nicht auf einem geregelten Markt ihres Sitzmitgliedstaats zum Handel zugelassen, so ist für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs die Aufsichtsstelle des Mitgliedstaats zuständig, auf dessen geregeltem Markt die Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel zugelassen sind. Sind die Wertpapiere der Zielgesellschaft auf geregelten Märkten in mehr als einem Mitgliedstaat zum Handel zugelassen, so ist für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs die Aufsichtsstelle des Mitgliedstaats zuständig, auf dessen geregeltem Markt die Wertpapiere zuerst zum Handel zugelassen wurden. c) Werden die Wertpapiere der Zielgesellschaft auf geregelten Märkten in mehr als einem Mitgliedstaat gleichzeitig erstmals zum Handel zugelassen, so entscheidet die Zielgesellschaft, welche der Aufsichtsstellen der Mitgliedstaaten für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs zuständig sein soll, und teilt diese Entscheidung den geregelten Märkten und deren Aufsichtsstellen am ersten Handelstag mit. Sind die Wertpapiere der Zielgesellschaft zu dem in Artikel 21 Absatz 1 genannten Zeitpunkt bereits an geregelten Märkten in mehr als einem Mitgliedstaat zum Handel zugelassen und erfolgte diese Zulassung gleichzeitig, so legen die Aufsichtsstellen der betroffenen Mitgliedstaaten innerhalb von vier Wochen nach dem in Artikel 21 Absatz 1 genannten Zeitpunkt gemeinsam fest, welche von ihnen für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs zuständig ist. Wurde keine Aufsichtsstelle benannt, bestimmt die Zielgesellschaft am ersten Handelstag nach Ablauf dieses Zeitraums von vier Wochen, welche der Aufsichtsstellen für die Beaufsichtigung zuständig sein soll. d) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entscheidungen gemäß Buchstabe c) veröffentlicht werden. e) In den unter den Buchstaben b) und c) genannten Fällen werden Fragen, die die im Fall eines Angebots angebotene Gegenleistung, insbesondere den 1446

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Preis, betreffen, und Fragen des Angebotsverfahrens, insbesondere die Unterrichtung über die Entscheidung des Bieters zur Unterbreitung eines Angebots, der Inhalt der Angebotsunterlage und die Bekanntmachung des Angebots, gemäß den Vorschriften des Mitgliedstaats der zuständigen Aufsichtsstelle geregelt. Für Fragen, die die Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft betreffen, und für gesellschaftsrechtliche Fragen, insbesondere betreffend den Anteil an Stimmrechten, der die Kontrolle begründet, und von der Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots abweichende Regelungen sowie für die Bedingungen, unter denen das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft Maßnahmen ergreifen kann, die das Angebot vereiteln könnten, ist das Recht des Sitzmitgliedstaats der Zielgesellschaft maßgebend; zuständig ist dessen Aufsichtsstelle. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Personen, die bei ihren Aufsichtsstellen tätig sind oder waren, zur Wahrung des Berufsgeheimnisses verpflichtet sind. Unter das Berufsgeheimnis fallende Informationen dürfen nicht an andere Personen oder Behörden weitergegeben werden, es sei denn, dies geschieht aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung. (4) Die gemäß dieser Richtlinie benannten Aufsichtsstellen der Mitgliedstaaten und andere Stellen zur Beaufsichtigung der Kapitalmärkte, insbesondere die zuständigen Stellen gemäß der Richtlinie 93/22/EWG, der Richtlinie 2001/34/ EG, der Richtlinie 2003/6/EG und der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, arbeiten zusammen und erteilen einander Auskünfte, wann immer dies zur Anwendung der gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften, insbesondere in den unter Absatz 2 Buchstaben b), c) und e) genannten Fällen, erforderlich ist. Die erteilten Auskünfte fallen unter das Berufsgeheimnis, zu dessen Wahrung die Personen verpflichtet sind, die bei den die Informationen empfangenden Aufsichtsstellen tätig sind oder waren. Zur Zusammenarbeit gehört, dass die erforderlichen Schriftstücke zur Durchsetzung der von den zuständigen Stellen im Zusammenhang mit den Angeboten getroffenen Maßnahmen zugestellt werden können, wie auch Unterstützung in anderer Form, die von den für die Untersuchung tatsächlicher oder angeblicher Verstöße gegen die Vorschriften, die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassen oder eingeführt wurden, zuständigen Aufsichtsstellen angemessenerweise angefordert werden kann. (5) Die Aufsichtsstellen verfügen über alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Befugnisse; im Rahmen ihrer Aufgaben haben sie auch dafür Sorge zu tragen, dass die Parteien des Angebots die gemäß dieser Richtlinie erlassenen oder eingeführten Vorschriften einhalten. 1447

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Sofern die in Artikel 3 Absatz 1 festgelegten allgemeinen Grundsätze eingehalten werden, können die Mitgliedstaaten in den gemäß dieser Richtlinie erlassenen oder eingeführten Vorschriften abweichende Regelungen von diesen Vorschriften erlassen: i) durch Aufnahme solcher Ausnahmen in ihre nationalen Regelungen, um den auf nationaler Ebene festgelegten Fällen Rechnung zu tragen; und/oder ii) durch die Ermächtigung ihrer Aufsichtsstellen, in ihrem Zuständigkeitsbereich Ausnahmen von solchen nationalen Regelungen zuzulassen, um die in Ziffer i) genannten Fälle oder andere besondere Fälle zu berücksichtigen; im letztgenannten Fall ist eine mit Gründen versehene Entscheidung erforderlich. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Artikel 5 der vorliegenden Richtlinie im Fall eines Rückgriffs auf die in Titel IV der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates13 vorgesehenen Abwicklungsinstrumente, -befugnisse und -mechanismen nicht angewandt wird. (6) Diese Richtlinie berührt weder die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Gerichte oder Behörden zu benennen, die für die Streitbeilegung und für Entscheidungen im Fall von Unregelmäßigkeiten im Verlauf des Angebotsverfahrens zuständig sind, noch die Befugnis der Mitgliedstaaten festzulegen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Parteien des Angebots Rechte im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren geltend machen können. Die Richtlinie berührt insbesondere nicht die etwaige Befugnis der Gerichte eines Mitgliedstaats, die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens abzulehnen sowie darüber zu entscheiden, ob durch ein solches Verfahren der Ausgang des Angebots beeinflusst wird. Diese Richtlinie berührt nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Rechtslage in Bezug auf die Haftung von Aufsichtsstellen oder im Hinblick auf Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien des Angebots zu bestimmen. Art. 5 Schutz der Minderheitsaktionäre, Pflichtangebot und angemessener Preis (1) Hält eine natürliche oder juristische Person infolge ihres alleinigen Erwerbs oder des Erwerbs durch gemeinsam mit ihr handelnde Personen Wertpapiere

13 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 82/891/EWG, 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/ 25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EG, 2012/30/EU und 2013/36/EU des Rates sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 190).

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einer Gesellschaft im Sinne des Artikels 1 Absatz 1, die ihr bei Hinzuzählung zu etwaigen von ihr bereits mittels solcher Wertpapiere gehaltenen Beteiligungen und den Beteiligungen der gemeinsam mit ihr handelnden Personen unmittelbar oder mittelbar einen bestimmten, die Kontrolle begründenden Anteil an den Stimmrechten dieser Gesellschaft verschaffen, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Person zum Schutz der Minderheitsaktionäre dieser Gesellschaft zur Abgabe eines Angebots verpflichtet ist. Dieses Angebot wird unverzüglich allen Wertpapierinhabern für alle ihre Wertpapiere zu einem im Sinne des Absatzes 4 angemessenen Preis unterbreitet. (2) Die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots gemäß Absatz 1 besteht nicht mehr, wenn die Kontrolle aufgrund eines freiwilligen Angebots erlangt worden ist, das im Einklang mit dieser Richtlinie allen Wertpapierinhabern für alle ihre Wertpapiere unterbreitet worden ist. (3) Der prozentuale Anteil der Stimmrechte, der eine Kontrolle im Sinne des Absatzes 1 begründet, und die Art der Berechnung dieses Anteils bestimmen sich nach den Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. (4) Als angemessener Preis gilt der höchste Preis, der vom Bieter oder einer mit ihm gemeinsam handelnden Person in einem von den Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraum von mindestens sechs und höchstens zwölf Monaten vor dem Angebot gemäß Absatz 1 für die gleichen Wertpapiere gezahlt worden ist. Erwirbt der Bieter oder eine mit ihm gemeinsam handelnde Person nach Bekanntmachung des Angebots und vor Ablauf der Annahmefrist Wertpapiere zu einem höheren als dem Angebotspreis, so muss der Bieter sein Angebot mindestens auf den höchsten Preis erhöhen, der für die dergestalt erworbenen Wertpapiere gezahlt wurde. Sofern die allgemeinen Grundsätze nach Artikel 3 Absatz 1 eingehalten werden, können die Mitgliedstaaten ihre Aufsichtsstellen ermächtigen, den in Unterabsatz 1 genannten Preis unter ganz bestimmten Voraussetzungen und nach eindeutig festgelegten Kriterien abzuändern. Hierzu können sie in einer Liste festlegen, unter welchen Voraussetzungen der Höchstpreis nach oben oder nach unten korrigiert werden darf: wenn beispielsweise der Höchstpreis in einer Vereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer gemeinsam festgelegt worden ist, wenn die Marktpreise der betreffenden Wertpapiere manipuliert worden sind, wenn die Marktpreise allgemein oder im Besonderen durch außergewöhnliche Umstände beeinflusst worden sind, oder um die Rettung eines Unternehmens in Schwierigkeiten zu ermöglichen. Sie können auch die in diesen Fällen heranzuziehenden Kriterien bestimmen: beispielsweise den durchschnittlichen Marktwert während eines bestimmten Zeitraums, den Liquidationswert der Gesellschaft oder andere objektive Bewertungskriterien, die allgemein in der Finanzanalyse verwendet werden. 1449

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Jede Entscheidung der Aufsichtsstellen zur Änderung des angemessenen Preises muss begründet und bekannt gemacht werden. (5) Der Bieter kann als Gegenleistung Wertpapiere, eine Geldleistung oder eine Kombination aus Beiden anbieten. Besteht die vom Bieter angebotene Gegenleistung jedoch nicht aus liquiden Wertpapieren, die zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, so muss sie wahlweise eine Geldleistung umfassen. In jedem Fall muss der Bieter eine Geldleistung zumindest wahlweise anbieten, wenn er oder eine mit ihm gemeinsam handelnde Person innerhalb eines Zeitraums, der zu demselben Zeitpunkt beginnt wie der nach Absatz 4 von den Mitgliedstaaten festgelegte Zeitraum und mit dem Ablauf der Annahmefrist endet, Wertpapiere gegen Geldleistung erworben hat, die mindestens 5 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft verleihen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass in allen Fällen zumindest wahlweise eine Geldleistung angeboten werden muss. (6) Zusätzlich zu dem Schutz gemäß Absatz 1 können die Mitgliedstaaten weitere Instrumente zum Schutz der Interessen der Wertpapierinhaber vorsehen, sofern diese Instrumente den normalen Gang eines Angebots nicht behindern. Art. 6 Information über Angebote (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich bekannt gemacht und die Aufsichtsstelle über das Angebot unterrichtet wird. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die Aufsichtsstelle vor der Bekanntmachung zu unterrichten ist. Sobald das Angebot bekannt gemacht ist, unterrichten die jeweiligen Leitungs- bzw. Verwaltungsorgane der Zielgesellschaft und der Bietergesellschaft ihre Arbeitnehmervertreter oder — in Ermangelung solcher Vertreter — die Arbeitnehmer selbst. (2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ein Bieter eine Angebotsunterlage mit den notwendigen Informationen zu erstellen und rechtzeitig bekannt zu machen hat, damit die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft in ausreichender Kenntnis der Sachlage entscheiden können. Der Bieter übermittelt die Angebotsunterlage vor ihrer Bekanntmachung der Aufsichtsstelle. Wenn sie bekannt gemacht ist, wird sie von den jeweiligen Leitungs- oder Verwaltungsorganen der Zielgesellschaft und der Bietergesellschaft ihren Arbeitnehmervertretern oder — in Ermangelung solcher Vertreter — den Arbeitnehmern selbst übermittelt. Bedarf die Angebotsunterlage gemäß Unterabsatz 1 der vorherigen Billigung durch die Aufsichtsstelle und ist diese Billigung erteilt worden, so ist die Unterlage, vorbehaltlich einer gegebenenfalls erforderlichen Übersetzung, in allen anderen Mitgliedstaaten, an deren Märkten die Wertpapiere der Zielgesell1450

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schaft zum Handel zugelassen sind, anzuerkennen, ohne dass eine Billigung durch die Aufsichtsstellen der betreffenden Mitgliedstaaten erforderlich wäre. Die Aufsichtsstellen können die Aufnahme zusätzlicher Angaben in die Angebotsunterlage nur verlangen, wenn diese Angaben für den Markt des Mitgliedstaats oder der Mitgliedstaaten, auf dem die Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel zugelassen sind, spezifisch sind und wenn sie sich auf Förmlichkeiten beziehen, die bei der Annahme des Angebots und dem Erhalt der bei Schließung des Angebots fälligen Gegenleistung zu beachten sind, sowie auf die steuerliche Behandlung der den Wertpapierinhabern angebotenen Gegenleistung. (3) Die Angebotsunterlage gemäß Absatz 2 muss nach diesen Vorschriften mindestens folgende Angaben enthalten: a) die Konditionen des Angebots, b) die Personalien des Bieters sowie, wenn es sich um eine Gesellschaft handelt, Rechtsform, Firma und Sitz der Gesellschaft, c) die Wertpapiere oder die Gattung oder Gattungen von Wertpapieren, die Gegenstand des Angebots sind, d) die für jedes Wertpapier oder jede Gattung von Wertpapieren angebotene Gegenleistung sowie bei obligatorischen Angeboten die zur Bestimmung der Gegenleistung angewandte Bewertungsmethode und Angaben dazu, in welcher Weise die Gegenleistung erbracht wird, e) die Entschädigung, die geboten wird, wenn gegebenenfalls Rechte aufgrund der Durchgriffsklausel gemäß Artikel 11 Absatz 4 entzogen werden, sowie Einzelheiten über die Art, in der die Entschädigung zu zahlen ist, und die Methode, nach der sie bestimmt wird, f) den Mindest- und Höchstanteil oder die Mindest- und Höchstzahl der Wertpapiere, zu deren Erwerb sich der Bieter verpflichtet, g) Angaben zu den vom Bieter und von gemeinsam mit dem Bieter handelnden Personen gegebenenfalls bereits gehaltenen Anteilen an der Zielgesellschaft, h) alle Bedingungen, an die das Angebot geknüpft ist, i) die Absichten des Bieters in Bezug auf die künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft und, soweit von dem Angebot betroffen, der Bietergesellschaft und in Bezug auf die Weiterbeschäftigung ihrer Beschäftigten und ihrer Geschäftsleitung, einschließlich etwaiger wesentlicher Änderungen der Beschäftigungsbedingungen; dies betrifft insbesondere die strategische Planung des Bieters für diese Gesellschaften und deren voraussichtliche Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Standorte, j) die Frist für die Annahme des Angebots, k) für den Fall, dass die Gegenleistung Wertpapiere — welcher Art auch immer — umfasst, Angaben zu diesen Wertpapieren, 1451

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l) Angaben zur Finanzierung des Angebots, m) die Personalien der Personen, die gemeinsam mit dem Bieter oder der Zielgesellschaft handeln; im Fall von Gesellschaften auch deren Rechtsform, Firma und Sitz sowie deren Verhältnis zu dem Bieter und, soweit möglich, zu der Zielgesellschaft, n) Angabe des nationalen Rechts, dem die sich aus dem Angebot ergebenden Verträge zwischen dem Bieter und den Inhabern der Wertpapiere der Zielgesellschaft unterliegen, sowie des Gerichtsstands. (4) Die Kommission kann Bestimmungen zur Änderung der Liste in Absatz 3 erlassen. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie werden nach dem in Artikel 18 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Parteien des Angebots den Aufsichtsstellen ihres jeweiligen Mitgliedstaats auf Anfrage jederzeit alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen über das Angebot übermitteln, die für die Wahrnehmung der Aufgaben der Aufsichtsstelle notwendig sind. Art. 7 Annahmefrist (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Frist für die Annahme des Angebots nicht weniger als zwei Wochen und nicht mehr als zehn Wochen ab der Bekanntmachung der Angebotsunterlage betragen darf. Sofern der allgemeine Grundsatz nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe f) eingehalten wird, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Frist von zehn Wochen unter der Bedingung verlängert werden kann, dass der Bieter seine Absicht zur Schließung des Angebots mindestens zwei Wochen zuvor bekannt gibt. (2) Die Mitgliedstaaten können in bestimmten Fällen Vorschriften zur Änderung der in Absatz 1 genannten Frist vorsehen. Ein Mitgliedstaat kann eine Aufsichtsstelle ermächtigen, eine Abweichung von der in Absatz 1 genannten Frist zu gestatten, damit die Zielgesellschaft zur Prüfung des Angebots eine Hauptversammlung der Aktionäre einberufen kann. Art. 8 Bekanntmachung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Angebot in der Weise bekannt gemacht wird, dass für die Wertpapiere der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder jeglicher anderen von dem Angebot betroffenen Gesellschaft die Markttransparenz und -integrität gewahrt bleibt und insbesondere die Veröffentlichung oder Verbreitung falscher oder irreführender Angaben ausgeschlossen wird. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle erforderlichen Informationen und Unterlagen gemäß Artikel 6 in der Weise bekannt gemacht werden, dass sie den Wertpapierinhabern zumindest in den Mitgliedstaaten, in denen die Wertpapiere der Zielgesellschaft auf einem geregelten Markt zum Handel zuge1452

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lassen sind, sowie den Arbeitnehmervertretern der Zielgesellschaft oder des Bieters oder — in Ermangelung solcher Vertreter — den Arbeitnehmern selbst ohne Weiteres und umgehend zur Verfügung stehen. Art. 9 Pflichten des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans der Zielgesellschaft (1) Die Mitgliedstaaten sorgen für die Einhaltung der Bestimmungen in den Absätzen 2 bis 5. (2) Innerhalb der in Unterabsatz 2 genannten Frist holt das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft die für diesen Zweck erteilte Ermächtigung der Hauptversammlung der Aktionäre ein, bevor es mit Ausnahme der Suche nach konkurrierenden Angeboten Maßnahmen ergreift, durch die das Angebot vereitelt werden könnte; dies gilt insbesondere für die Ausgabe von Wertpapieren, durch die der Bieter auf Dauer an der Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gehindert werden könnte. Diese Ermächtigung ist zumindest ab dem Zeitpunkt erforderlich, zu dem das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft die in Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 genannten Informationen über das Angebot erhalten hat, und so lange, bis das Ergebnis des Angebots bekannt gemacht oder das Angebot hinfällig wird. Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass diese Ermächtigung zu einem früheren Zeitpunkt erforderlich ist, beispielsweise wenn das Leitungsbzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft feststellt, dass die Abgabe des Angebots unmittelbar bevorsteht. (3) Vor dem in Absatz 2 Unterabsatz 2 genannten Zeitpunkt gefasste Entscheidungen, die weder teilweise noch vollständig umgesetzt worden sind, bedürfen der Zustimmung oder Bestätigung der Hauptversammlung der Aktionäre, wenn diese Entscheidungen außerhalb des normalen Geschäftsverlaufs gefasst wurden und ihre Umsetzung dazu führen könnte, dass das Angebot vereitelt wird. (4) Damit die vorherige Ermächtigung, Zustimmung oder Bestätigung der Wertpapierinhaber im Sinne der Absätze 2 und 3 eingeholt werden kann, können die Mitgliedstaaten Vorschriften vorsehen, wonach eine Hauptversammlung der Aktionäre kurzfristig einberufen werden kann vorausgesetzt, dass sie frühestens zwei Wochen nach ihrer Einberufung abgehalten wird. (5) Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft erstellt und veröffentlicht zu dem Angebot eine mit Gründen versehene Stellungnahme, die unter anderem auf die Auswirkungen des Angebots auf die Interessen der Gesellschaft, insbesondere der Beschäftigung, und auf die strategische Planung des Bieters für die Zielgesellschaft sowie die voraussichtlichen Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Standorte, wie in der Angebotsunterlage nach Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe I) dargelegt, eingeht. Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft übermittelt diese Stellungnahme gleichzeitig den Arbeit1453

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nehmervertretern der Gesellschaft oder — in Ermangelung solcher Vertreter — den Arbeitnehmern selbst. Soweit eine eigene Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter zu den Auswirkungen auf die Beschäftigung rechtzeitig beim Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft eingeht, ist diese beizufügen. (6) Für die Zwecke von Absatz 2 bezeichnet der Begriff Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan sowohl den Vorstand der Gesellschaft als auch deren Aufsichtsrat, sofern die Organisation der Gesellschaft eine dualistische Leitungsstruktur aufweist. Art. 10 Information über die Gesellschaften im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Gesellschaften im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 im Einzelnen folgende Angaben offen legen: a) die Zusammensetzung des Kapitals einschließlich der Wertpapiere, die nicht auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats gehandelt werden, sowie gegebenenfalls Angabe der verschiedenen Aktiengattungen und zu jeder Aktiengattung Angabe der mit dieser Gattung verbundenen Rechte und Pflichten sowie Anteil dieser Gattung am Gesellschaftskapital; b) jede Beschränkung in Bezug auf die Übertragung der Wertpapiere wie Beschränkungen des Wertpapierbesitzes oder Erfordernis einer Genehmigung der Gesellschaft oder anderer Wertpapierinhaber unbeschadet des Artikels 46 der Richtlinie 2001/34/EG; c) bedeutende direkte oder indirekte Beteiligungen am Kapital (beispielsweise durch Pyramidenstrukturen oder wechselseitige Beteiligungen) im Sinne von Artikel 85 der Richtlinie 2001/34/EG; d) die Inhaber von Wertpapieren mit besonderen Kontrollrechten und eine Beschreibung dieser Rechte; e) die Art der Stimmrechtskontrolle bei einer Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer, wenn die Kontrollrechte von ihnen nicht unmittelbar ausgeübt werden; f) alle Beschränkungen von Stimmrechten wie Begrenzungen der Stimmrechte auf einen bestimmten Anteil oder eine bestimmte Stimmenzahl, zeitliche Beschränkungen für die Ausübung des Stimmrechts oder Systeme, bei denen in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft die mit den Wertpapieren verbundenen finanziellen Rechte von der Wertpapierinhaberschaft getrennt sind; g) alle der Gesellschaft bekannten Vereinbarungen zwischen Gesellschaftern, die die Übertragung von Wertpapieren und/oder Stimmrechten im Sinne der Richtlinie 2001/34/EG einschränken können; h) die Vorschriften über die Ernennung und Ersetzung der Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans und über die Änderung der Satzung der Gesellschaft; 1454

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4.14

i)

die Befugnisse der Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit, Wertpapiere auszugeben oder zurückzukaufen; j) alle bedeutenden Vereinbarungen, an denen die Gesellschaft beteiligt ist und die bei einem Kontrollwechsel in der Gesellschaft infolge eines Übernahmeangebots wirksam werden, sich ändern oder enden, sowie die hieraus folgenden Wirkungen; ausgenommen hiervon sind Vereinbarungen, deren Bekanntmachung der Gesellschaft erheblich schaden würde; diese Ausnahme gilt nicht, wenn die Gesellschaft zur Bekanntgabe derartiger Informationen aufgrund anderer Rechtsvorschriften ausdrücklich verpflichtet ist; k) die Vereinbarungen zwischen der Gesellschaft und den Mitgliedern des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans oder Arbeitnehmern, die eine Entschädigung für den Fall vorsehen, dass diese wegen eines öffentlichen Übernahmeangebots kündigen oder ohne triftigen Grund entlassen werden oder ihr Arbeitsverhältnis endet. (2) Die Angaben gemäß Absatz 1 müssen im Lagebericht der Gesellschaft im Sinne von Artikel 46 der Richtlinie 78/660/EWG14 und Artikel 36 der Richtlinie 83/349/EWG15 offen gelegt werden. (3) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in Gesellschaften, deren Wertpapiere auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats zum Handel zugelassen sind, das Leitungs- bzw. Ver