Terrorismusabwehr: Zur aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa [3. Aufl.] 9783658306717, 9783658306724

Dieses Buch analysiert einführend ausführlich die aktuelle und zukünftige Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus

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German Pages XII, 257 [263] Year 2020

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Terrorismusabwehr: Zur aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa [3. Aufl.]
 9783658306717, 9783658306724

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XII
Einleitung (Stefan Goertz)....Pages 1-16
Analyse der aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa (Stefan Goertz)....Pages 17-71
Ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und institutionelle Antworten (Stefan Goertz)....Pages 73-99
Technische Mittel zur Terrorismusabwehr (Stefan Goertz)....Pages 101-117
Institutionelle Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa (Stefan Goertz)....Pages 119-168
Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus sowie Prävention (Stefan Goertz)....Pages 169-247
Fazit (Stefan Goertz)....Pages 249-257

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Stefan Goertz

Terrorismusabwehr Zur aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa 3. Auflage

Terrorismusabwehr

Stefan Goertz

Terrorismusabwehr Zur aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa 3., erweiterte und aktualisierte Auflage

Stefan Goertz Bundespolizei, Hochschule des Bundes Lübeck, Deutschland

ISBN 978-3-658-30671-7 ISBN 978-3-658-30672-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30672-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018, 2019, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Jan Treibel Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Gewidmet den Toten und Verletzten terroristischer Anschläge und Attentate sowie ihren Angehörigen.

Vorwort zur 3. Auflage

Durch die seit 2004 verübten islamistisch-terroristischen Anschläge wurden in Europa 790 Menschen getötet und 3740 verletzt. Im Jahr 2018 wurden in Deutschland 855 Ermittlungsverfahren gegen 905 Tatverdächtige im Phänomenbereich islamistischer Terrorismus eingeleitet. Seit dem Fertigstellen der 2. Auflage dieses Buches im Sommer 2018 wurden weitere islamistisch-terroristische Anschläge in Europa verübt – u. a. im August 2018 in Barcelona sowie in Amsterdam, im Dezember 2018 in Straßburg, im März 2019 in Utrecht, im Oktober 2019 in Paris, im November 2019 in London, im Januar bei Paris, im Februar 2020 in London und im April 2020 in Romans-sur-Isère, Frankreich – sowie zahlreiche islamistische Anschläge von den Sicherheitsbehörden verhindert. Alleine in Frankreich wurden in den letzten Jahren über 250 Menschen durch islamistischen Terrorismus getötet. Mehr als 40.000 Foreign Fighters – internationale Jihadisten – aus 110 Ländern kämpfen seit 2011 für die jihadistischen Großorganisationen „Islamischer Staat“ und Al-Qaida sowie kleinere jihadistische Milizen im Bürgerkrieg in Syrien. Über 5000 der Foreign Fighters sind EU-Bürger, ca. 1500 Franzosen, über 1050 Deutsche, ca. 850 Briten und Bürgerinnen und Bürger aus anderen EU-Ländern wie beispielsweise Belgien. EUROPOL analysiert, dass 20 % bis 30 % der europäischen Jihadisten mittlerweile wieder in ihre Ursprungsländer, z. B. Österreich, Belgien, Finnland, Frankreich und Italien zurückgekehrt sind. Nur ca. 18 % der europäischen Jihadisten sind in die Niederlande und nach Spanien zurückgekehrt. Großbritannien und Deutschland haben europaweit die meisten Jihad-Rückkehrer, Deutschland 33 % und Großbritannien 45 %. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus, Salafismus und Islamismus „die“ existenziellen sicherheitspolitischen Bedrohungen unserer Zeit sind. Sowohl die zahlreichen verübten als auch die

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Vorwort zur 3. Auflage

von Sicherheitsbehörden in Europa verhinderten islamistischen Anschläge verdeutlichen den Grad der Bedrohung, die aktuell und zukünftig von islamistischen Terroristen, Salafisten und Islamisten für Europa ausgeht. Daher ist es von entscheidender Bedeutung diese historische sicherheitspolitische Herausforderung, die der islamistische Terrorismus, der Salafismus und der Islamismus für unsere demokratische, freiheitliche Staatsform darstellen, richtig zu analysieren, um dann die richtigen Schlussfolgerungen für die Terrorismusabwehr zu treffen. Diese überarbeitete dritte Auflage untersucht in Kapitel zwei zahlreiche aktuell verübte sowie von Sicherheitsbehörden verhinderte islamistische Anschläge. Hierbei legt diese dritte Auflage einen neuen Schwerpunkt auf seit 2000 in Europa von Sicherheitsbehörden verhinderte islamistische Anschläge und untersucht deren Modi Operandi sowie Wirkmittel (Waffen und Sprengstoff). Dazu wurden im Abschn. 2.4 neue Erkenntnisse zu Jihad-Rückkehrern (Foreign Fighters aus Europa, die in Syrien und im Irak für jihadistische Organisationen gekämpft und/oder diese unterstützt haben) in Europa ergänzt. Das Kapitel drei wurde u. a. ergänzt um aktuelle Gefährder-Zahlen einer Kleinen Anfrage im Bundestag. Ebenfalls in Kapitel drei wird das Bedrohungsszenario Massenanfall von Verletzten durch islamistischen Terrorismus (TerrorMANV) analysiert. Auch das Kapitel fünf wurde umfassend überarbeitet und aktualisiert. Zu Beginn werden die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, der Finanzbedarf terroristischer Organisationen, Quellen der Finanzierung sowie internationale Regelungen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung untersucht. Der Abschn. 5.2 untersucht deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr, dabei u. a. mögliche institutionelle Änderungen. Analytisch schließt sich der Abschn. 5.3., der Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr, an, startet mit der aktuellen Rechtslage und diskutiert den Nutzen eines Einsatzes der Bundeswehr im Inneren für die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Der Abschn. 5.4, Europäische Terrorismusabwehr, untersucht zu Beginn aktuelle Maßnahmen der Europäischen Union, darunter u. a. die Verbesserung der EU-Grenzkontrollen, Maßnahmen gegen europäische Foreign Fighters und die Stärkung des Informationsaustausches in der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung. Danach werden die aktuellen Akteure der europäischen Terrorismusabwehr, das EU Intelligence Analysis Centre (EU INTCEN), das European Counter Terrorism Centre (ECTC), der Koordinator für Terrorismusbekämpfung sowie die Police Working Group on Terrorism vorgestellt. Abschließend werden mögliche institutionelle Änderungen untersucht.

Vorwort zur 3. Auflage

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Das abschließende empirische Kap. 6 beginnt mit der Analyse der Radikalisierung in den Phänomenbereichen Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus, untersucht die islamistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten und setzt dann fort mit Präventionsprojekten gegen Islamismus und islamistischen Terrorismus. Dass die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus, Islamismus und Salafismus einerseits höchst komplex ist und andererseits zahlreichen Änderungen innerhalb kürzester Zeit unterliegt, zeigt sich in dieser Neuauflage darin, dass sich viele Zahlen zur quantitativen Erfassung von islamistisch-terroristischen Phänomenen verändert haben. Der Aktualität ­ Rechnung tragend wurden all diese Zahlen in allen Kapiteln angepasst. Im Rahmen der Veröffentlichung der 3. Auflage dieses Buches möchte ich meinen Kollegen der Bundespolizei und anderer – deutscher und anderer europäischer – Sicherheitsbehörden für ihre Anregungen und Fragen zum islamistischen Terrorismus und zur Terrorismusabwehr danken. Lübeck im Mai 2020

Prof. Dr. Stefan Goertz

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Theorie: Islamistischer Terrorismus und Terrorismusabwehr. . . . . . 5 1.2 Empirie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2 Analyse der aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Großanschläge von internationalen islamistisch-terroristischen Organisationen (Hit-Teams). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.2 Low level-Terrorismus: Jihadistische Einzeltäter und Zellen . . . . . . 29 2.3 Von Sicherheitsbehörden vereitelte islamistisch-terroristische Anschlagsvorhaben in Deutschland und Europa. . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.4 Das von internationalen Jihadisten (Foreign Fighters) ausgehende Bedrohungspotenzial. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3 Ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und institutionelle Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.1 Islamistische Gefährder und relevante Personen. . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.2 Ein Massenanfall von Verletzten (TerrorMANV) durch islamistischen Terrorismus und der institutionelle Stand der Vorbereitungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.3 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

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Inhaltsverzeichnis

4 Technische Mittel zur Terrorismusabwehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4.1 Videoüberwachung des öffentlichen Raumes als wirksames Mittel gegen islamistischen Terrorismus?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4.2 Technische Abwehrmittel gegen islamistischen Terrorismus . . . . . . 109 4.3 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5 Institutionelle Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5.1 Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5.2 Deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr. . . . . . . . 134 5.3 Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5.4 Europäische Terrorismusabwehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5.5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 6 Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus sowie Prävention. . . . . . . . . . . . . . . . . 169 6.1 Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 6.2 Präventions- und Deradikalisierungsprojekte gegen Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus. . . . . . . . . . 214 6.3 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

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Einleitung

Seit 2004 wurden in Europa über 89 islamistische Anschläge verübt bzw. durch Sicherheitsbehörden verhindert. Durch die verübten Anschläge starben 790 Menschen und wurden über 3740 Menschen verletzt. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes wurden allein in Deutschland seit 2016 neun islamistische Anschläge verhindert, zwei davon im Winter 2019. Nach Angaben von EUROPOL wurden im Jahr 2018 in Europa sieben islamistische Anschläge verübt – davon alle durch Einzeltäter –, bei den 13 Menschen getötet wurden. Hinzu kommen 16 islamistische Anschläge in Europa, die von Sicherheitsbehörden verhindert wurden bzw. fehl schlugen. Zu den verhinderten islamistischen Anschlägen gehörten auch drei von Sicherheitsbehörden vereitelte Anschläge mit biologischen Waffen (Paris, Köln und auf Sardinien), was verdeutlicht, dass nicht nur ubiquitäre Wirkmittel wie Messer, Äxte und Kraftfahrzeuge für islamistische Anschläge benutzt werden, sondern auch schwerer zu beschaffende Wirkmittel wie atomare, biologische und chemische Waffen (CBRN) mögliche Wirkmittel sind. Dazu wurden im Jahr 2018 nach Angaben von EUROPOL 511 Tatverdächtige im Bereich islamistischer Terrorismus von Sicherheitsbehörden festgenommen, im Jahr 2017 noch 705 und im Jahr 2016 gar 718. Die zahlreichen verübten und von Sicherheitsbehörden verhinderten islamistisch-terroristischen Anschläge innerhalb der letzten fünf Jahre in Europa und Deutschland haben den Grad der Bedrohung verdeutlicht, die aktuell und zukünftig von islamistischen Terroristen für Europa und Deutschland ausgeht. Dennoch besteht weiterhin ein Analysevakuum im Bereich islamistischer Terrorismus und Terrorismusabwehr, sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch innerhalb der Sicherheitsbehörden. Spätestens die zahlreichen seit 2015 verübten

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Goertz, Terrorismusabwehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30672-4_1

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1 Einleitung

und verhinderten islamistisch-terroristischen Anschläge und Attentate in Deutschland und anderen Staaten der Europäischen Union sollten bzw. müssen eine Zeitenwende der Betrachtung und Analyse des Phänomenbereiches islamistischer Terrorismus und Terrorismusabwehr auslösen. Was haben die islamistisch-terroristischen Anschläge in Nizza (14.7.2016), Berlin (19.12.2016), Stockholm (7.4.2017), London (3.6.2017), Barcelona und Cambrils (17.8.2017), London (25.8.2017) und abermals London (15.9.2017), im südfranzösischen Trèbes (23.3.2018), in Paris (12.5.2018), auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt (11.12.2018), in Utrecht (18.3.2019), in der Pariser Polizeidirektion (3.10.2019), auf der London Bridge (29.11.2019), in Villejuif bei Paris (3.1.2020), London (2.2.2020) und Romans-sur-Isère, Frankreich (4.4.2020) gemeinsam? Was wiederum unterscheidet sie voneinander? Auf diese Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden von islamistisch-terroristischen Anschlägen soll in der vorliegenden Analyse genauer eingegangen werden. Dieses Buch über den islamistischen Terrorismus und Terrorismusabwehr beginnt auf einer operativ-taktischen Ebene mit der Analyse • möglicher Anschlagsziele • möglicher Modi Operandi • von Wirkmitteln und Methoden und unterscheidet dann mögliche islamistisch-terroristische Anschläge in • Großanschläge und multiple taktische Szenarien von internationalen islamistisch-terroristischen Organisationen sowie • Low level-Terrorismus: jihadistische Einzeltäter und Zellen, um dann bisherige islamistische Anschläge gründlich zu untersuchen und worst case-Szenarien sowie mögliche Abwehrmittel zu analysieren. Der Abschn. 2.4 untersucht 43 in den letzten Jahren und Monaten von Sicherheitsbehörden vereitelte islamistisch-terroristische Anschlagsvorhaben in Deutschland und Europa. Dieses Buch über Terrorismusabwehr folgt dem Credo, dass jede Erfolg versprechende Strategie zur Terrorismusabwehr 1) bei der richtigen Analyse der terroristischen Bedrohung (operativ-taktisch, personell, technisch) beginnt und über Abwehrmaßnahmen wie 2) gesetzliche Rahmenbedingungen und 3) institutionelle Adaption an die Bedrohung weiter zu 4) technischen Abwehrmitteln sowie 5) Präventionsmaßnahmen gehen muss. Dieser Leitlinie folgend konzentriert sich dieses Buch über islamistischen Terrorismus und Terrorismusabwehr auf:

1 Einleitung

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• Analyse der aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa • Großanschläge und multiple taktische Szenarien von internationalen islamistisch-terroristischen Organisationen • Low level-Terrorismus: Jihadistische Einzeltäter und Zellen • Von Sicherheitsbehörden vereitelte islamistisch-terroristische Anschlagsvorhaben in Europa • Das von Jihad-Rückkehrern (internationale foreign fighters) ausgehende Bedrohungspotenzial • Ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und institutionelle Antworten – Islamistische Gefährder und relevante Personen – Massenanfall von Verletzten durch islamistischen Terrorismus und der institutionelle Stand der Vorbereitungen • Technische Mittel zur Terrorismusabwehr – Flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raumes als wirksames Mittel gegen islamistischen Terrorismus? – Betonpoller, Sandsäcke und Stahlseile, Wassertanks und Metallstelen als technische Mittel zur Terrorismusabwehr • Institutionelle Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa – Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung – Der Finanzbedarf terroristischer Organisationen und Quellen der Finanzierung – Internationale Regelungen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung – Neue EU-Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung – Die Gesetzgebung in Deutschland und Maßnahmen der zuständigen Ministerien und Behörden – Deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr – Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Informations- und Analysestellen – NIAS und PIAS Mögliche institutionelle Änderungen – Das Trennungsgebot – Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 12. bis 14.6.2017 in Dresden – Die Gründung der Bundespolizeidirektion 11 – Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr Die aktuelle Rechtslage Analyse der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Bezug auf einen Einsatz der Bundeswehr

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1 Einleitung

– Europäische Terrorismusabwehr Aktuelle Maßnahmen der Europäischen Union Verbesserung der EU-Grenzkontrollen Maßnahmen gegen europäische Foreign Fighters Stärkung des Informationsaustausches in der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung – Akteure der europäischen Terrorismusabwehr Das EU Intelligence Analysis Centre (EU INTCEN) Das European Counter Terrorism Centre (ECTC) Koordinator für Terrorismusbekämpfung Die Police Working Group on Terrorism – Mögliche institutionelle Änderungen • Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus und islamistischer Terrorismus sowie Prävention – Islamistische, salafistische und jihadistische Radikalisierung: Neue Analysefragen – Radikalisierungsforschung: Inhalt, Fragen und Ziele Psychische Krankheiten als entscheidender Radikalisierungsfaktor? Sozio-ökonomische Faktoren wie Bildung, Arbeitslosigkeit und soziale Herkunft als entscheidende Radikalisierungsfaktoren? Islamismus: Ideologie oder Jugendkultur? Salafistische Radikalisierung – Aktuelle Trends – Drei entscheidende Radikalisierungsfaktoren im Phänomenbereich von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus Radikalisierung durch die islamistische, salafistische und jihadistische Ideologie Islamistische Radikalisierung durch den sozialen Nahbereich, das Milieu, die Peer Group Radikalisierung durch islamistische, salafistische und jihadistische Angebote des Internets – Islamistische, salafistische und jihadistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten Potenzielle islamistische Radikalisierungshintergründe in Justizvollzugsanstalten Prävention und Deradikalisierung in Justizvollzugsanstalten Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union über die Radikalisierung in Haftanstalten in Europa

1.1  Theorie: Islamistischer Terrorismus und Terrorismusabwehr

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– Präventions- und Deradikalisierungsprojekte gegen Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus Hintergründe von Prävention Definition von Prävention im Bereich von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus Staatliche Programme und ihre Inhalte Die Zielgruppe und Methoden islamistisch-salafistischer Radikalisierung Präventionsprojekte in staatlicher Trägerschaft Analyse der Projekte zur Islamismusprävention Ausgewählte Präventionsprogramme

1.1 Theorie: Islamistischer Terrorismus und Terrorismusabwehr Verbunden mit der wissenschaftlichen Analyse der sicherheitspolitischen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist die Fortsetzung der Suche nach der „richtigen“ Terrorismusdefinition. Jenkins nutzte für die sozialwissenschaftliche Suche nach der richtigen Definition von Terrorismus das Bild des Bermuda-Dreiecks: „definitional debates are the great Bermuda Triangle of terrorism research. I’ve seen entire conferences go off into definitional debates, never to be heard from again“ (Jenkins, zit. n. Stampnitzky 2011, S. 11.). Auf die Komplexität der Terrorismusforschung, die aus zahlreichen Perspektiven betrieben wird – juristisch auf nationalstaatlicher sowie auf internationaler Ebene, politikwissenschaftlich, theoretisch-modellhaft in den Internationalen Beziehungen, soziologisch etc. – muss hier nur am Rand verwiesen werden, da die vorliegende Analyse ein anderes Design hat (Goertz 2017a, S. 3).1 In Anlehnung an Schmid/Jongman basiert islamistischer Terrorismus/ Jihadismus in dieser Analyse auf den Faktoren • Hervorrufung von Angst und Schrecken • Gewalt und Zwang • religiös-politische Ideologie • Drohung 1Ausführlich

zur Suche nach der „richtigen“ Terrorismusdefinition vgl. Schmid und Jongman 2005; Gärtner 2008, S. 234–239; Andersen 2011, S. 259–270.

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1 Einleitung

• psychologische Effekte und antizipierte Reaktionen • Opfer-Ziel-Differenzierung • zielgerichtetes, geplantes, systematisches, organisiertes Handeln • Strategie, Taktik, Mittel, Methode • außerhalb der Rechtsnormen operierend, Verletzung akzeptierter Regeln, ohne humanitäre Rücksichtnahme • Nötigung, Erpressung, Herbeiführung von (politischer) Nachgiebigkeit • Publizitätsaspekte • Willkürlichkeit; Nichtkombattanten, Neutrale, Außenstehende als Ziel und Opfer • Einschüchterung • Hervorhebung der Schuldlosigkeit der Opfer • Gruppe, Bewegung, Organisation als Täter • symbolische und demonstrative Aspekte • Unberechenbarkeit, Unvorhersehbarkeit, Plötzlichkeit des Auftretens von Gewalt • Heimlichkeit • Wiederholbarkeit; Serien- oder Kampagnencharakter der Gewalt • Kriminalität • Forderungen an dritte Parteien (Schmid und Jongman 2005; Goertz 2017a, S. 4–5). Hoffman erklärt die Ziele bzw. Logik des Terrorismus wie folgt: • Öffentliche, mediale Aufmerksamkeit erregen • Ein breites Publikum zwingen, die politische Agenda der terroristischen Bewegung, Gruppe wahrzunehmen • Sich als die legitimen Repräsentanten dieser politischen Agenda zu gerieren und von der Öffentlichkeit als solche anerkannt zu werden • Die notwendige Macht zu erlangen, um politische, wirtschaftliche, soziale und religiöse Prozesse bzw. Entscheidungen zu beeinflussen • Ein Politik- bzw. Gewaltmonopol auf einem Territorium zu erreichen (Hoffman 2006). Islamistischer Terrorismus wendet Aufsehen erregende Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und staatliche Akteure an, um Angst und Schrecken zu verbreiten und dadurch politische Entscheidungen von Staaten zu beeinflussen. Die politischen und gesellschaftlichen Ziele des islamistischen Terrorismus basieren auf einer extremistischen Interpretation der Religion Islam und ihrer Rechtsquellen.

1.1  Theorie: Islamistischer Terrorismus und Terrorismusabwehr

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Islamistischer Terrorismus/Jihadismus • „ist der nachhaltig geführte Kampf für islamistische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum erreicht werden sollen • Terrorismus ist kein kohärentes, eindeutiges Phänomen, sondern eine Strategie mit zahlreichen unterschiedlichen Taktiken, die von sehr unterschiedlichen Akteuren in sehr unterschiedlichen politischen Situationen angewendet werden • Terrorismus ist die strategische Wahl eines rational handelnden Akteurs • ‚Homegrown‘-Terroristen sind radikalisierte Islamisten ab der zweiten Einwanderergeneration, in europäischen Ländern geboren und/oder aufgewachsen und lehnen aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller und/oder psychologischer Faktoren das westliche, demokratische Verfassungssystem ab • Gewalt ist für den islamistischen Terrorismus ein Mittel in Form eines kommunikativen Aktes zur Erreichung religiös-politischer Ziele • dezentrale Netzwerk-Struktur auf substaatlicher Ebene • multiple private Finanzquellen und Logistik • internationale Zielsetzung • Multinationalität der Mitglieder • hohe taktische Flexibilität • anders als der ethno-nationale Terrorismus (ETA, IRA, FARC etc.) ist der islamistische Terrorismus durch die globale Reichweite seiner ­ religiösideologischen Ausrichtung in höchstem Maße international orientiert • profitiert entscheidend von den Entwicklungen der Globalisierung, von geöffneten Grenzen, von schwach bis gar nicht kontrollierten Grenzen und modernen Kommunikationsmitteln • seine Gruppierungen und Akteure nutzen sowohl schwache und gescheiterte Staaten der sog. zweiten und dritten Welt (Syrien, Irak, Afghanistan, Somalia etc.) als auch europäische Staaten mit strengen Bankgeheimnissen (z. B. die Schweiz und Luxemburg) • internationale islamistisch-terroristische Organisationen verfügen in westlichen, demokratischen Staaten über organisatorische Strukturen wie Zellen und Schläfer in ethnischen und religiösen Milieus („Diaspora-Communities“) und sind über solche Milieus auch in Konfliktregionen wie Afrika, den Nahen und Mittleren Osten und den Kaukasus vernetzt“ (Goertz 2019a, S. 31–32). Ziele des islamistischen Terrorismus/Jihadismus • „die islamistisch-terroristische Ideologie ist ein trojanisches Pferd, um – ursprünglich regionale, politisch, wirtschaftlich, ethnisch entstandene – Konflikte zu infiltrieren • Etablierung eines Kalifats und der Sharia („Gottes Herrschaft auf Erden“)

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1 Einleitung

• Zeitgenössische Kalifatinterpretation (wie z. B. die derzeitige des IS) • Infiltrieren von regionalen Konflikten auf der ganzen Welt“ (Goertz 2019a, S. 32). Politikwissenschaftliche und rechtliche Bewertung • „die Akteure des internationalen islamistischen Terrorismus wenden völkerrechtlich illegale taktische Mittel wie Angriffe und Straftaten gegen die Zivilbevölkerung an • die Akteure des internationalen islamistischen Terrorismus tragen keine Uniformen bzw. identifizierende Abzeichen, um sich nicht als Kombattant zu erkennen zu geben • der IS nutzt Terrorismus als eine taktische Methode, als ein taktisches Mittel von vielen; • terroristische Gewalt ist für den IS ein Mittel in Form eines kommunikativen Aktes zur Erreichung religiös-politischer Ziele“ (Goertz 2019a, S. 32). Der islamistische Terrorismus/Jihadismus ist analytisch mit Salafismus und Islamismus verbunden, die in dieser Untersuchung wie folgt beschrieben werden: Islamismus ist eine religiös-politische Ideologie mit der Agenda, das politische System und das gesellschaftliche und kulturell-religiöse Leben auf der Grundlage einer extremistischen Interpretation des Islam zu ändern und nur diese eigene Islaminterpretation anzuerkennen. Islamismus • „ist eine Form des politischen Extremismus • ist eine religiös-politische Ideologie, deren Anhänger sich auf religiöse Normen des Islam berufen und diese politisch interpretieren • zielt auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der Freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FdGO) der Bundesrepublik Deutschland ab • geht von der Existenz einer gottgewollten und daher „wahren und absoluten“ Ordnung aus, die über von Menschen gemachten Ordnungen steht (Verfassung, Gesetze) • für den Islamismus ist Religion, hier: der Islam, nicht nur eine persönliche, private ‚Angelegenheit‘, sondern soll das gesamte gesellschaftliche Leben und die politische Ordnung regeln“ (Goertz 2019a, S. 17). Ziele des Islamismus sind • „die Einheit von Religion und Staat (din wa daula) • die westliche, demokratische Volkssouveränität durch die „Souveränität Gottes“ zu ersetzen

1.1  Theorie: Islamistischer Terrorismus und Terrorismusabwehr

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• mittelfristig sollen die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland – in Teilen auch mit Gewalt – geändert werden • die gesellschaftliche Ordnung soll durch die islamische Rechtsordnung der Sharia organisiert sein (Islamisten verstehen die Sharia als von Gott verordnete Rechtsordnung für Staat und Gesellschaft)“ (Goertz 2019a, S. 17). Politikwissenschaftliche und rechtliche Bewertung • „durch seinen exklusiven Absolutheitsanspruch widerspricht der Islamismus in erheblichen Teilen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland • Islamismus verstößt unter anderem gegen die verfassungsmäßigen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichstellung der Geschlechter und verletzt das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit • Islamismus schließt die universelle Geltung der Menschenrechte, wie zum Beispiel die Menschenwürde, aus (vgl. die Forderung nach einer Durchsetzung der „Hadd“-Strafen, Körperstrafen)“ (Goertz 2019a, S. 17). Salafismus • „ist eine besonders fundamentalistische Form des islamischen Extremismus • ist ein besonders heterogener Phänomenbereich, der ineinander übergehende salafistische Strömungen beinhaltet • viele politische Salafisten lehnen Gewalt als Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele nicht grundsätzlich ab • die salafistische Szene ist strukturell amorph, hybrid strukturiert • jihadistische Salafisten befürworten eine offene, unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung gegen jeden, der vom „wahren Islam“ abgefallen ist • besonders prägendes Merkmal der jihadistischen Salafisten in Europa ist ihre ideologische, organisatorische und strategisch-taktische Nähe zu internationalen jihadistischen Bewegungen wie dem „Islamischen Staat“ und der Al Qaida“ (BfV 2020c; Goertz 2019a, S. 24; Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr 2014, S. 9–25; Goertz 2019b, S. 117). Ziele des Salafismus • „eine islamistisch-salafistische Islaminterpretation strebt die ‚Reinigung‘ des Islam und die Wiederherstellung des Islam in seiner als ‚ursprünglich‘ deklarierten Form an • der Salafismus glorifiziert den Ur-Islam Mohammeds und seiner ‚Gefährten‘ als Vorbild für das richtige gesellschaftliche und politische Verhalten in der Gegenwart und Zukunft

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1 Einleitung

• die salafistischen Islaminterpretationen richten sich an der religiösen Praxis und Lebensführung des Propheten Mohammed und seiner Gefährten (die ‚rechtschaffenen Altvorderen‘) aus. • Kurz: Die Gesellschaft, in der Salafisten leben, durch ein salafistisches Islamverständnis grundlegend zu verändern“ (BfV2020c; Goertz 2019a, S. 24; Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr 2014, S. 9–25). Politikwissenschaftliche und rechtliche Bewertung • „Salafismus ist wie Islamismus als extremistische Ideologie zu beurteilen, die außerhalb der FdGO steht • die religiös-theologisch-ideologische Grundlage aller drei salafistischer Strömungen ist im Wesentlichen gleich, was höchst problematische sicherheitspolitische Konsequenzen hat • politische Salafisten legen ihren taktischen Schwerpunkt auf die Verbreitung ihrer islamistisch-salafistischen Ideologie durch Dawa, also Missionierung und Rekrutierung neuer Anhänger durch Propagandaaktivitäten; (spätestens) hier beginnt der strafrechtlich relevante Bereich • nach Einschätzung deutscher Verfassungsschutzbehörden werden ca. 10 % bis 20 % aller Salafisten jihadistische Terroristen, 80 % bis 90 % bleiben politische Salafisten; daraus ergibt sich die Regel: ‚Nicht jeder Salafist wird Jihadist, aber quasi alle Jihadisten waren bzw. sind Salafisten‘“ (Goertz 2019a, S. 25; Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr 2014, S. 9–25). Salafismus ist eine Kategorie von Islamismus, eine besonders fundamentalistische islamistische Ausprägung, die einen stilisierten und idealisierten Ur-Islam des siebten und achten Jahrhunderts als Vorbild für eine Umgestaltung von Staat und Gesellschaft auf der Grundlage salafistischer Interpretationen islamischer Werte und Normen anstrebt. Dabei hat der Salafismus Züge einer extremistischen Gegenkultur zur Moderne, die diese Abgrenzung von der „Mehrheitsgesellschaft“ als elitäres Alleinstellungsmerkmal zur Stärkung der eigenen Identität nutzt (Goertz 2017a, S. 5). Deutschsprachige Studien, Analysen und Bücher zum islamistischen Terrorismus wurden seit dem 11.9.2001 zahlreiche veröffentlicht, jedoch geht der Großteil davon gar nicht oder nur recht oberflächlich auf die Abwehr von islamistischem Terrorismus ein (Bock 2009; Gärtner 2008; Hirschmann 2011; Said 2014; Steinberg 2015; Neumann 2015, 2016). Die Ausrufung des „Islamischen Staates“ (IS) auf dem Territorium Syriens und des Irak im Juni 2014 führte in der deutschsprachigen islamwissenschaftlichen und teilweise auch in der politikwissenschaftlichen Literatur zu der

1.2 Empirie

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p­ lötzlichen Erkenntnis, dass die Bedrohung durch den internationalen Jihadismus historische Ausmaße angenommen habe (Said 2014; Steinberg 2015). Erstmals in der Geschichte hatte eine „islamistische Terrororganisation“ einen „Staat gegründet“, einen „islamischen Staat“ (Krause 2017, S. 15). Daher wurde der IS seit seiner Ausrufung als zeitgenössische K ­ alifat-Interpretation auf dem Boden der Staaten Syrien und Irak innerhalb der internationalen politikwissenschaftlichen Forschung vornehmlich auf der Ebene der Organisationsstruktur als „neue Bedrohung“, als „neue Art von Terrorgruppe“ bezeichnet, wobei dieses „Neue“ kaum auf der Ebene des taktischen Vorgehens analysiert wurde (Burke 2015; Weiss und Hassan 2015; Stern und Berger 2015; Cockburn 2015). Daase und Spencer verweisen darauf, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gebe, mit Terrorismus umzugehen und nur selten Einigkeit darüber herrsche, welche Maßnahmen sich am besten für die Bekämpfung von Terrorismus eigneten (Daase und Spencer 2010, S. 411). Die sozialwissenschaftliche Literatur zur Terrorismusabwehr kann auf verschiedenen Ebenen verortet werden, z. B. politisch-geographisch in „nationale“ und „internationale“ Anti-Terror-Maßnahmen unterschieden werden (Daase und Spencer 2010; Bensahel 2006). Zeitlich werden Anti-Terror-Maßnahmen in „kurzfristige“ und „langfristige“ eingeteilt (Daase und Spencer 2010; Crelinsten und Schmid 1992). Ebenfalls auf einer zeitlichen Ebene wird in „vorausblickende“ und „zurückblickende“ ­Anti-Terror-Maßahmen unterschieden (Heymann 2011). Weiter differenziert wird zwischen Maßnahmen, die sich auf Situationen „vor“, „während“ und „nach“ einem terroristischen Anschlag konzentrieren (Steven und Gunaratna 2004). Auf einer weiteren Ebene wird zwischen den benutzten Mitteln differenziert, zwischen „aktiven“ und „passiven“ (Townshend 2002), „offensiven“ und „defensiven“ (Faria 2006), „standortspezifischen“ und „generellen“ Maßnahmen (Daase und Spencer 2010). Bisher ist die am weiteste verbreitete Klassifikation von Anti-Terror-Maßnahmen sowohl von der sozialwissenschaftlichen Literatur als auch politisch-rechtlich die Unterscheidung zwischen einem „militärischen Modell der Terrorismusabwehr“ und einem „strafrechtlichen Modell der Terrorismusabwehr“ (Daase und Spencer 2010).

1.2 Empirie Das Design dieser Analyse ist multidisziplinär und vergleichend und verweist daher immer wieder auf die spezielle, strategische und operativ-taktische Struktur dieser Analyse, da juristische und rechtsphilosophische Analyseebenen wie

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1 Einleitung

„Sicherheit versus Freiheit“ aus Platzgründen nicht behandelt werden können.2 In allen empirischen Kapiteln und Unterkapiteln werden jeweils die Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus sowie Mittel, Methoden und Akteure der Terrorismusabwehr untersucht. Das Kapitel zwei als empirisches Kapitel untersucht die aktuelle Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa und funktioniert u. a. als lessons learned-Kapitel aktueller jihadistischer Anschläge in Europa und Deutschland. Einführend analysiert Kapitel zwei 1) mögliche Anschlagsziele, 2) mögliche Modi Operandi sowie 3) mögliche Wirkmittel und Methoden. Danach folgt es den Analyseebenen 1) Großanschläge und multiple taktische Szenarien von internationalen islamistisch-terroristischen Organisationen sowie 2) Low level-Terrorismus: Jihadistische Einzeltäter und Zellen. Die empirisch untersuchten jihadistischen Anschläge werden hier sowohl qualitativ als auch quantitativ untersucht. Der Abschn. 2.4 bespricht ausführlich 43 in den Jahren 2000 bis 2020 von Sicherheitsbehörden vereitelte islamistisch-terroristische Anschlagsvorhaben in Deutschland und Europa. Der Abschn. 2.5 analysiert das von Jihad-Rückkehrern (internationalen Foreign Fighters) ausgehende Bedrohungspotenzial für Deutschland und Europa. Das Hauptkapitel drei untersucht ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und institutionelle Antworten auf den Analyseebenen 1) islamistische Gefährder und relevante Personen sowie 2) Massenanfall von Verletzten durch islamistischen Terrorismus und der institutionelle Stand der Vorbereitungen. Der Abschn. 3.1 beginnt mit einer polizeilichen Definition der Begriffe „Gefährder“ und „Relevante Person“. Ergänzt wird diese Definition durch die Analyse operativer Reaktionen auf Gefährder und das Instrument Regelbasierte Analyse potenziell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos von islamistischem Terrorismus (RADAR-iTE) wird dargelegt. Der Abschn. 3.2, Massenanfall von Verletzten durch islamistischen Terrorismus (TerrorMANV) und der institutionelle Stand der Vorbereitungen, untersucht die besonderen Herausforderungen, die ein solcher TerrorMANV an die ­Rettungskräfte, Polizeien und Krankenhäuser stellt. Die Analyse der Verletzungsmuster eines TerrorMANV verdeutlicht die Problematik eines Massenanfalls

2Zum

Verhältnis „Sicherheit versus Freiheit“ vor dem Hintergrund von Terrorismusabwehr vgl. Hegemann und Kahl 2018, Kap. 7.

1.2 Empirie

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von Verletzten durch islamistischen Terrorismus und das Bedrohungspotenzial für Opfer eines Anschlags, Rettungskräfte und die Polizeien. Die ­medizinisch-taktische Untersuchung eines TerrorMANV zeigt den medizinischtaktischen Paradigmenwechsel, weg von der Individualmedizin und hin zu Verletzungsmustern von Kriegsverletzungen. Abschließend wird der institutionelle Änderungsbedarf, bei dem es ganz konkret um den Schutz von Menschenleben geht, untersucht. Das Kapitel vier untersucht technische Mittel zur Terrorismusabwehr in zwei Unterkapiteln und beginnt mit der Frage, ob eine flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raumes ein wirksames Mittel gegen islamistischen Terrorismus darstellt. Hierbei unterscheidet der Abschn. 4.1 in flächendeckende Videoüberwachung als präventives Mittel gegen den islamistischen Terrorismus sowie flächendeckende Videoüberwachung als repressives Mittel gegen den islamistischen Terrorismus. Der Abschn. 4.2 untersucht Betonpoller, Sandsäcke, Stahlseile, Wassertanks und Metallstelen als Mittel zur Terrorismusabwehr. Das längste empirische Kapitel, Hauptkapitel fünf, untersucht die institutionelle Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa und ist in vier Unterkapitel gegliedert. Der erste Abschn. 5.1 analysiert die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung und hierbei den Finanzbedarf terroristischer Organisationen und Quellen der Finanzierung, internationale Regelungen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, neue EU-Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung und die Gesetzgebung in Deutschland. Der Abschn. 5.2 untersucht deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr, beginnend mit dem Aufbau des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), über die Informations- und Analysestellen NIAS und PIAS hin zu möglichen institutionellen Änderungen. Abschließend wird das Trennungsgebot als Mittel zur Abwehr von islamistischem Terrorismus bewertet. Diese Bewertung erfolgt auf den Ebenen a) befugnisrechtliche und organisatorische Trennung, b) Befugnisrechtliche Trennung sowie informationelle Zusammenarbeit und c) Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 12. bis 14.6.2017 in Dresden. Dargestellt und untersucht wird abschließend im Abschn. 5.2.5 die Gründung der Bundespolizeidirektion 11. Analytisch schließt sich der Abschn. 5.3, „der Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr“, an und startet ebenso mit der aktuellen Rechtslage und diskutiert den Nutzen eines Einsatzes der Bundeswehr im Inneren für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Der abschließende Abschn. 5.4 „Europäische Terrorismusabwehr“, operiert auf den Ebenen 1) aktuelle Maßnahmen der Europäischen Union, Verbesserung

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1 Einleitung

der EU-Grenzkontrollen, Maßnahmen gegen europäische Foreign Fighters, Stärkung des Informationsaustausches in der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung, 2) Akteure der europäischen Terrorismusabwehr, das EU Intelligence Analysis Centre (EU INTCEN), das European Counter Terrorism Centre, Koordinator für Terrorismusbekämpfung, die Police Working Group on Terrorism sowie 3) mögliche institutionelle Änderungen. Das abschließende empirische Kapitel sechs beginnt mit der Analyse der Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus und islamistischer Terrorismus sowie Prävention und setzt dann fort mit Präventionsprojekten gegen Islamismus und islamistischen Terrorismus. Beginnend mit der Radikalisierungsforschung im Phänomenbereich Islamismus und islamistischer Terrorismus werden neue Analysefragen eingeführt, um danach zwei Hypothesen bezüglich ­ islamistisch-jihadistischer Radikalisierung als überwiegend falsch darzustellen: 1) Psychische Krankheiten als Radikalisierungsfaktor und 2) sozio-ökonomische Faktoren wie Bildung, Arbeitslosigkeit und soziale Herkunft als Radikalisierungsgründe. Danach werden die drei entscheidenden Radikalisierungsfaktoren im Phänomenbereich von Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus dargestellt: 1) Radikalisierung durch die islamistische und jihadistische Ideologie, 2) islamistische Radikalisierung durch den sozialen Nahbereich, das Milieu, die Peer Group sowie 3) Radikalisierung durch islamistische und jihadistische Angebote des Internets. Danach wird die islamistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten untersucht. Der zweite Teil des Kapitels sechs analysiert Präventions- und Deradikalisierungsprojekte gegen Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus. Dabei geht dieses Kapitel auf die Hintergründe von Prävention sowie staatliche Programme und ihre Inhalte ein und analysiert ausgewählte Projekte zur Prävention von Islamismus, Salafismus und Jihadismus. In einem Zwischenfazit werden auch Probleme von Präventionsprogrammen dargestellt.

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Literatur

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1 Einleitung

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2

Analyse der aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa

Sowohl die Zahl als auch die Qualität der seit 2004 verübten und geplanten – aber von Sicherheitsbehörden vereitelten – islamistisch-terroristischen Anschläge in Deutschland und Europa haben ein historisches Ausmaß erreicht. Durch die seit 2004 in Europa verübten islamistischen Anschläge starben 790 Menschen und wurden über 3740 Menschen verletzt. Beispielhaft seien folgende i­slamistisch-terroristische Anschläge und Attentate samt Wirkmittel (Waffen) in Europa erwähnt: • 11. März 2004: Bahnhof, Mehrere Sprengsätze, Madrid • 7. Juli 2005: U-Bahn und Bus, Mehrere Sprengsätze, London • 11. Dezember 2010: Zwei Sprengsätze, Stockholm • 11. und 19. März 2012: Toulouse und Montauban, Schusswaffen • 24. Mai 2014: Brüssel, Schusswaffen • 20. Dezember 2014: Polizeistation Jou-les-Tours, Messer • 7. Januar 2015: „Charlie Hebdo“, Schusswaffen, Paris • 3. Februar 2015: Jüdische Einrichtung, Nizza, Messer • 14. Februar 2015: Kopenhagen, Schusswaffe • 19. April 2015: Versuchter Anschlag auf Kirchen in Villejuif, Schusswaffen • 26. Juni 2015: Saint-Quentin-Fallavier, Sprengstoff • 21. August 2015: Versuchter Anschlag in einem Thalys-Zug, im ­belgisch-französischen Grenzgebiet, Schusswaffen und Stichwaffen • 13. November 2015: Paris, Schusswaffen und Sprengstoff • 1. Januar 2016: Anschlag mit einem KfZ, Valence • 7. Januar 2016: Angriff auf eine Polizeistation, Paris, Machete • 11. Januar 2016: Angriff auf einen jüdischen Lehrer, Marseille, Messer/Beil

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Goertz, Terrorismusabwehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30672-4_2

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2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

• 14. und 15. Februar 2016: Anschlag auf ein Kulturzentrum und eine Synagoge, Schusswaffen, Kopenhagen • 26. Februar 2016: „Safia S.“, Messer, Hauptbahnhof Hannover • 22. März 2016: Flughafen Brüssel und U-Bahn-Station Maalbeek, Sprengstoff • 16. April 2016: Sikh-Tempel-Anschlag, Sprengstoff, Essen • 27. Mai 2016: Saint-Julien-du-Puy, Anschlag auf Soldaten, Messer • 26. Juni 2016: Anschlag in einer katholische Kirche in ­Saint-Étienne-du-Rouvray, Messer • 14. Juli 2016: Lkw und Schusswaffen, Nizza • 18. Juli 2016: Regionalbahn, Messer, bei Würzburg • 24. Juli 2016: Ansbach, Sprengstoff • 19. August 2016: Anschlag auf einen jüdischen Franzosen, Straßburg, Messer • 4. September 2016: Anschlag auf Gefängnispersonal, Osny/Frankreich, Werkzeug • 19. Dezember 2016: Anis Amri, Lkw, Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz, Berlin • 3. Februar 2017: Anschlag auf Soldaten am Louvre, Schusswaffe und Machete, Paris • 18. März 2017: Anschlag mit einer Schusswaffe, Flughafen Paris-Orly • 22. März 2017: Westminster Bridge und Parlament, KfZ und Messer, London • 3. April 2017: Metro-Anschlag, Sprengstoff, St. Petersburg • 7. April 2017: Lkw, Innenstadt von Stockholm • 20. April 2017: Anschlag auf den Champs-Élysées, Schusswaffe, Paris • 19. April 2017: Anschlag auf italienische Sicherheitskräfte am Hauptbahnhof Mailand, Messer • 22. Mai 2017: Popkonzert, Kinder, Manchester, Sprengstoff • 6. Juni 2017: Anschlag auf einen Polizisten vor der Kathedrale Notre-Dame, Hammer, Paris • 3. Juni 2017: London Bridge, LKW, London • 6. Juni 2017: Anschlag auf einen Soldaten vor Notre Dame, Hammer, Paris • 19. Juni 2017: Versuchter Anschlag mit einem PKW und Sprengstoff, Champs-Elysees, Paris • 28. Juli 2017: Messerangriff im Supermarkt, Hamburg • 6. August 2017: Versuchter Anschlag beim Eiffelturm, Stichwaffe, Paris • 9. August 2017: Versuchter PKW-Anschlag, Levallois-Perret • 17. August 2017: PKW-Anschlag, Barcelona und Cambrils • 18. August 2017: Messerangriff, Turku • 19. August 2017: Messerangriff, Sibirien • 25. August 2017: Messerangriff auf dem Brüsseler Boulevard Emile Jacqmain

2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

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• 25. August 2017: Messerangriff vor dem Buckingham Palace, London • 15. September 2017: Sprengstoffanschlag in der U-Bahn-Station Parsons Green, London • 15. September 2017: Messerangriff in der Pariser U-Bahn-Station Chatelet • 1. Oktober 2017: Messerangriff, Marseille • 9. Dezember 2017: Brandanschlag auf eine Synagoge in Göteborg • 11. Dezember 2017: Versuchter Bombenanschlag in Malmö • 12. März 2018: Messeranschlag vor der iranischen Botschaft, Wien • 23. März 2018: Anschlag mit Schusswaffen und Messern in einem Supermarkt im südfranzösischen Trèbes • 12. Mai 2018:Messerangriff, Paris • 11. Dezember 2018: Anschlag mit einer Schusswaffe, Straßburger Weihnachtsmarkt • 18. März 2019: Anschlag mit einer Schusswaffe, Utrecht • 3. Oktober 2019: Paris, Polizeidirektion, Innentäter, Messer • 29. November 2019: London, London Bridge, Messer • 3. Januar 2020: Villejuif bei Paris, Messer • 2. Februar 2020: London, Messer • 4. April 2020: Romans-sur-Isère, Frankreich, Messer Durch die seit 2004 verübten jihadistischen Anschläge wurden in Europa 790 Menschen getötet und 3740 verletzt (Goertz 2019a, S. 498; EUROPOL 2019, S. 31–32). Zudem gab es seit dem Jahr 2011 in Europa 16 islamistische Anschläge auf Polizisten und Soldaten. Im Jahr 2018 wurden in Deutschland 855 Ermittlungsverfahren gegen 905 Tatverdächtige im Phänomenbereich islamistischer Terrorismus eingeleitet (Goertz 2019a, S. 498). 2017 wurden in der Europäischen Union laut EUROPOL insgesamt 705 Personen im Zusammenhang mit islamistischem Terrorismus verhaftet, 354 davon wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, 120 Personen wegen der Planung und 112 wegen der Vorbereitung eines Anschlags. In Frankreich kamen im Jahr 2017 373 verdächtige islamistische Terroristen in Haft, in Spanien 78, in Deutschland 52, in Belgien 50, in Österreich 46, in den Niederlanden 28 und in Italien 26 Personen (Goertz 2019a, S. 498). Alleine bei dem Anschlag am 11.3.2004 in Madrid wurden 2050 Menschen verletzt, beim Anschlag am 7.7.2005 in London 700 Menschen, beim Anschlag in Nizza über 400 Menschen sowie beim Anschlag am 13.11.2015 in Paris 350 Menschen (Goertz 2017e, S. 95–97). Eine Analyse dieser islamistisch-terroristischen Anschläge und Attentate ergibt folgende mögliche Anschlagsziele, Modi Operandi und Wirkmittel:

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2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

Mögliche Anschlagsziele • Flughäfen und Bahnhöfe, öffentliche Verkehrsmittel im Allgemeinen (Busse, U-Bahnen, S-Bahnen, Züge, Gondeln), Hindernisse auf Gleisen, Sprengstoffexplosionen in Zügen, gerade dort ist mit einem second hit-Anschlagsszenario durch herrenlose Gepäckstücke zu rechnen • Schiffe, Fähren und Tanker – Gefahrgut wie Chemikalien etc. auf Tankern auf Flüssen wie dem Rhein, der Donau, der Elbe etc. als lohnenswerte Ziele für islamistische Terroristen – Sprengstoffexplosion auf einem Schiff in unmittelbarer Nähe zu einem symbolischen Gebäude, z. B. vor dem Bundestag, dem Bundeskanzleramt, dem Gebäude des Bundesinnenministeriums etc. – Bodensee (mit Grenzen zu Österreich und der Schweiz, sicherheitspolitisch komplizierter durch die Beteiligung zahlreicher verschiedener Sicherheitsbehörden, Problem: Kommunikation, unterschiedliche Rechtsgrundlagen, unterschiedliche Ausbildungs- und Ausrüstungszustände der Sicherheitsbehörden) – Mittelgroße und kleinere Seen wie z. B. der Starnberger See, Ammersee, Chiemsee, die Mecklenburger Seenplatte u. a. – Die Nordsee-Schifffahrt, u. a. zu den Inseln Borkum, Juist, Norderney, Langeoog, Spiekeroog, Wangeroge, Helgoland, Pellworm, Amrum, Föhr, Sylt – Die Ostsee-Schifffahrt, u. a. von Kiel nach Dänemark, Schweden, von Lübeck-Travemünde nach Schweden, nach Liepaja, Lettland, nach Klaipeda, Litauen, von Rostock nach Dänemark und Schweden und von Rügen nach Litauen – Angriffe auf die Außenwand von Schiffen, Fähren und Tankern (Bsp. USS Cole in Aden/Jemen am 12.10.2000) – Geiselszenarien bzw. terroristische Massaker wie im Bataclan/Paris am 13.11.2015 • Große Menschenmengen im Rahmen von Fußballspielen, Konzerten, Weihnachtsmärkten, Großereignissen (Events), u. a. das Oktoberfest in München, der Wiener Prater, Fußgängerzonen, Kirchentage, Christopher Street Day, Fridays for Future, Freizeitparks • Öffentliche Einrichtungen von symbolischem Charakter (Kirchen, Synagogen, Tempel, Kindergärten, Schulen, Universitäten) • Kritische Infrastrukturen mit hoher Bedeutung für die Zivilbevölkerung (Krankenhäuser, Stromversorgung, Wasser etc.) • Lüftungen, Klimaanlagen in großen Gebäuden

2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

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• Atomkraftwerke • Politik, Ministerien, Behörden (z. B. Universitäten, Akademien, Ausbildungsund Schulungseinrichtungen der Sicherheitsbehörden, um die personelle Zukunft der Sicherheitsbehörden zu schwächen) (Goertz 2019c, S. 183; Goertz 2017e, S. 90–92). Mögliche Modi Operandi • Sprengstoffanschlag • Selbstmordattentäter • Simultananschläge • Zeitlich versetzte Anschläge (Doppel, Tripel, etc.), Second Hit auf die Polizei, Rettungskräfte und Schaulustige • Anschlag mit einem Fahrzeug, mehreren Fahrzeugen • Taktische Szenarien auf Basis von Schusswaffen • Sprengfallen • Geiselnahme als ein Teil des Szenarios, Massaker statt Geiselnahme (siehe Bataclan/Paris 2015) (Goertz 2019c, S. 183–184; Goertz 2017e, S. 90–92). Zu den Modi Operandi muss hier festgestellt werden, dass sich das qualitative Niveau islamistisch-terroristischer Anschläge seit dem 11.9.2001 stark diversifiziert hat und das islamistisch-terroristische Know How in den Bereichen von Orts- und Häuserkampf, langfristiger Anschlagsplanung durch Ausspähung von Zielen und Tatmittelbeschaffung, Beschaffen bzw. Herstellen von Sprengstoffen und Waffen angestiegen ist. Geographische Schwerpunkte von ­islamistisch-terroristischen Anschlägen sind innerhalb Europas die Hauptstädte Paris, London, Berlin und andere, in Bezug auf die Europäische Union Brüssel und Straßburg, innerhalb Deutschlands zum Beispiel Berlin, Hamburg, das Rhein-Main-Gebiet und das Gebiet Köln/Bonn u. a. (Goertz 2017e, S. 90–92). Wirkmittel, Methoden • Sprengstoff (Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung, Selbstlaborate – zum Beispiel Triacetonperoxid, TATP – oder industrieller Sprengstoff) in Koffern, Rucksäcken, Autos, LKW etc. • Sprengstoffwesten/ -gürtel • Selbstlaborate (Aluminiumpulver, Kaliumpermanganat etc.) • Drohnen mit/als USBV • USBV mit Nägeln, Schrauben, Muttern, Splittern versetzt, um einen möglichst hohen und drastischen Personenschaden zu erzielen • Gasflaschen

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2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

• Vollautomatische und halbautomatische Schusswaffen, Gewehre, Pistolen • Handgranaten • Hieb- und Stichwaffen, Äxte, Schwerter, Messer • Fahrzeuge, gehärtete („gepanzerte“) Fahrzeuge • Steine, schwere Gegenstände (von Brücken, aus Gebäuden geworfen etc.) • Biologische und chemische Waffen • Gift (z. B. Rattengift in nicht abgepackte Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Fleisch mischen) • Giftstoffe in geschlossene Räume in Lüftungen und Klimaanlagen einbringen • Reizgas • Biologische und chemische Waffen (u. a. Rizin) (Goertz 2019c, S. 184; Goertz 2017e, S. 90–92).

2.1 Großanschläge von internationalen ­islamistischterroristischen Organisationen (Hit-Teams) Seit dem islamistischen Anschlag in Madrid am 11.3.2004 wurden viele Dutzend Anschläge in Europa verübt und so gehen – aktuell und in der Zukunft – vom islamistischen Terrorismus zwei wesentliche Bedrohungsszenarien für die westliche Welt aus: Einerseits Großanschläge und multiple taktische Szenarien von Hit-Teams internationaler islamistisch-terroristischer Organisationen wie dem „Islamischen Staat“ und der Al Qaida, andererseits low level-Anschläge durch islamistische Einzeltäter. Folgende Großanschläge von internationalen islamistisch-terroristischen Organisationen bzw. deren Hit-Teams wurden seit 2004 in Europa verübt: • • • • • • •

11. März 2004: Bahnhof, Sprengstoff, Madrid 7. Juli 2005: U-Bahn und Bus, Sprengstoff, London 7. Januar 2015: Charlie Hebdo, Schusswaffen, Paris 13. November 2015: Paris, Schusswaffen und Sprengstoff 22. März 2016: Flughafen Brüssel und U-Bahn-Station Maalbeek, Sprengstoff 3. Juni 2017: London Bridge, LKW, London 17. August 2017: PKW-Anschlag, Barcelona und Cambrils

Solche von Hit-Teams internationaler islamistisch-terroristischer Organisationen verübte Großanschläge – mit/ohne (para-)militärische Ausbildung und/oder Gefechtserfahrung – stellen wegen ihrer Simultanität oder durch zeitversetzte

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Angriffe eine erhebliche Herausforderung für die Sicherheitsbehörden und Rettungsdienste westlicher Staaten dar (Goertz 2017a, S. 168). Beim bis dahin gravierendsten Terroranschlag in Spanien am 11.3.2004 wurden 191 Menschen getötet und ca. 2.050 verletzt. Die islamistischen Attentäter hatten im morgendlichen Berufsverkehr nahezu zeitgleich zehn Sprengsätze (USBV) in voll besetzten Pendlerzügen gezündet. In vier Zügen explodierten die Sprengsätze, einer davon auf dem Bahnhof Atocha, dem wichtigsten Bahnhof Madrids. Drei weitere, in Reisetaschen versteckte Sprengsätze konnten nach den Detonationen von den spanischen Sicherheitsbehörden mit kontrollierten Explosionen unschädlich gemacht werden. Nach Angaben des damaligen spanischen Innenministers sollten diese drei weiteren Sprengsätze als second hit zeitversetzt explodieren, um Polizisten, Rettungskräfte und Schaulustige zu treffen. Nach Polizeiangaben hätte die Sprengkraft einer der nicht explodierten Sprengsätze ausgereicht, um den gesamten Hauptbahnhof Atocha in die Luft zu sprengen (Tagesschau 2007). Bei einer arabisch-sprachigen Zeitung in London ging kurze Zeit später ein Bekennerschreiben der Al Qaida ein, in dem Spanien als eines der wichtigsten Mitglieder der „Allianz im Krieg gegen den Islam“ bezeichnet wurde. Ein Tag nach den Anschlägen in Madrid wurde ein Bekenner-Video in der Nähe einer Madrider Moschee gefunden, in dem ein arabisch sprechender Jihadist im Namen der Terrororganisation Al Qaida die Verantwortung für den Anschlag übernahm (Tagesschau 2007). Nur einen Tag nach dem Anschlag führte eine Spur die polizeilichen Ermittler nach Leganés, wo sich sieben verdächtige Jihadisten in einer Wohnung aufhielten. Als die polizeilichen Spezialkräfte die Wohnung stürmen wollten, sprengten sich die Jihadisten in die Luft, neben den Terroristen kam dabei auch ein spanischer Polizist ums Leben. Bei der Untersuchung der zerstörten Wohnung wurden Hinweise auf einen weiteren geplanten Terroranschlag im April 2004 gefunden (Bundeszentrale für politische Bildung 2014). Bei den drei Tage nach dem Terroranschlag stattfindenden Parlamentswahlen erlitt die Regierungspartei von Ministerpräsident José María Aznar López eine deutliche Niederlage. Im Zuge des Wahlkampfes hatte der sozialistische Gegenkandidat Zapatero angekündigt, im Fall eines Wahlsieges alle spanischen Soldaten aus dem ­Irak-Einsatz abzuziehen. Die sozialistische Oppostionspartei gewann die Wahl eindeutig und zog die 1300 spanischen Soldaten bis Mai 2004 vollständig aus dem Irak ab. Die spanischen Konservativen bewerteten dies als Kapitulation vor dem islamistischen Terrorismus (Bundeszentrale für politische Bildung 2014). Drei Jahre nach den Terroranschlägen begann am 15.2.2007 der Prozess gegen 28 tatverdächtige Jihadisten. Am 31.10.2007 wurden 21 von ihnen verurteilt, sieben freigesprochen. Drei der acht Hauptangeklagten erhielten als unmittelbare Täter

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oder Sprengstoffbeschaffer hohe Haftstrafen. Da es in Spanien keine lebenslange Freiheitsstrafe gibt, bleiben die Verurteilten aber maximal 40 Jahre in Haft (Bundeszentrale für politische Bildung 2014). Am 7.7.2005 verübten islamistische Selbstmordattentäter einen Anschlag auf drei Londoner-U-Bahn-Züge sowie einen Doppeldeckerbus in London. Dieser Anschlag, wenige Monate nach dem Anschlag in Madrid, kann als copycat-Anschlag (Nachahmungstat) bewertet werden. Durch die Terroran­ schläge in London starben 56 Menschen und wurden 770 verletzt, darunter auch fünf Deutsche. Um 8:50 Uhr detonierten in Londoner U-Bahnzügen beinahe gleichzeitig drei Sprengsätze, mitten in der morgendlichen Stoβzeit. Eine knappe Stunde später explodierte ein weiterer Sprengsatz in einem voll besetzten Doppeldeckerbus auf dem Tavistock Square. Die vier jungen Selbstmordattentäter waren nicht – wie zunächst vermutet – ausländische Al Qaida-Kämpfer, sondern britische Staatsbürger, in Groβbritannien aufgewachsen (homegrown-Attentäter). Die Attentäter des 7.7.2005 in London entsprechen nicht den herkömmlichen Klischees von sozial benachteiligten und ungebildeten Attentätern (siehe als falsch widerlegte Hypothesen im Abschn. 6.1.1). Sie sind keine „gesellschaftlichen Auβenseiter“, keine unterprivilegierten Jugendlichen, sondern gut gebildet und stammten aus stabilen sozialen Verhältnissen (Deutschlandfunk 2015). Zusammengefasst in Bezug auf terroristische Anschlagsszenarien auf öffentliche Verkehrsmittel: Nach der terroristischen Logik, in der Bevölkerung Angst und Schrecken durch scheinbar willkürliche Gewalt zu verbreiten, sind öffentliche Verkehrsmittel, Verkehrsknotenpunkte und Bahnhöfe prototypische Anschlagsziele. So garantieren zeitlich simultan und/oder versetzte Explosionen in Zügen oder U- bzw. S-Bahnen zur Rushhour der operativ-taktischen Anschlagsplanung des islamistischen Terrorismus eine hohe Zahl an Toten und Verletzten sowie eine etwaige Live-Berichterstattung. Bereits das Wissen, dass jeder Fahrgast zu einem Opfer eines terroristischen Anschlags in einem öffentlichen Verkehrsmittel werden kann, hat eine erhebliche psychologische Wirkung auf die Bevölkerung (Goertz 2017a, S. 168). Zwischen dem 7. und dem 9.1.2015 töteten islamistische Terroristen in der Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ 12 Menschen, töteten danach eine Polizistin und ermordeten vier Geiseln in einem koscheren Supermarkt. Unter den Toten in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ sind neben dem Herausgeber und mehreren Zeichnern auch der Hausmeister und ein Polizist, der zum Schutz anwesend war. „Wir haben den Propheten Mohammed gerächt“, sollen die islamistischen Attentäter gerufen haben, als sie die Reaktion verließen. „Charlie Hebdo“ stand schon länger unter Polizeischutz und hatte nach den islamistischen Anschlägen vom 11.9.2001 vermehrt Islamismus ins Zentrum

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ihrer Satire gerückt. Im 2006 druckte „Charlie Hebdo“ umstrittene dänische Mohammed-Karikaturen nach (WDR 2020). Als im Jahr 2011 eine Sonder­ nummer mit dem spöttischen Titel „Charia Hebdo“ erschien, wurde ein Brandanschlag auf die Redaktion verübt, daneben gab es Hackerangriffe auf den Internetauftritt der Zeitschrift. Die Flucht der Attentäter auf „Charlie Hebdo“ endet nach drei Tagen in einer Druckerei außerhalb von Paris. Beim Zugriff von polizeilichen Spezialkräften wurden die beiden Attentäter getötet, zwei Franzosen im Alter von 32 und 34 Jahren. Kurz danach bekannte sich ein Ableger von Al Qaida zum Anschlag auf „Charlie Hebdo“. Während der Flucht der beiden Attentäter nimmt ein dritter Mann in einem jüdischen Geschäft bei Paris Geiseln, er stand bei der Vorbereitung der Tat mit diesen in Kontakt. Er erschoss im koscheren Supermarkt vier Menschen und wird ebenfalls am 9.1.2015 beim Zugriff durch polizeiliche Spezialkräfte getötet (WDR 2020). Bei sowohl zeitlich versetzten als auch zeitgleichen islamistischen Anschlägen von drei jihadistischen Hit-Teams an mehreren Orten in Paris – Restaurants, Cafés, Konzerthalle Bataclan und in der Umgebung des Stade de France – starben am 13.11.2015 137 Menschen und wurden über 350 verletzt. Kurz nach Spielbeginn des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland vor 80.000 Zuschauern versuchten drei islamistische Selbstmordattentäter in das Stade de France zu gelangen. Nach gängiger Auffassung bestand der Plan der drei Selbstmordattentäter darin, dass sich zwei Selbstmordattentäter auf den Zuschauertribünen in die Luft sprengen und dort möglichst viele Zuschauer töten und verletzten wollten, vor laufenden Kameras, um die ausbrechende Massenpanik in alle Welt zu schicken. Der dritte Selbstmordattentäter sollte vor dem Stadion in einem Hinterhalt warten und seine USBV zünden, nachdem Zehntausende Fans in Panik geflohen wären. Aufgrund der gründlichen Sicherheitskontrollen gelang es den islamistischen Selbstmordattentätern jedoch nicht, ins Stadion zu gelangen. Nach der zweiten Detonation riegelte die Pariser Polizei alle Ein- und Ausgänge ab. Um 21:52 Uhr, eine halbe Stunde nach der ersten Detonation, sprengte sich der dritte Selbstmordattentäter vor einem Schnellrestaurant in die Luft. Dass die drei Selbstmordattentäter nicht ins Stade de France gelangen konnten, lag vor allem an der Aufmerksamkeit des Personals des privaten Sicherheitsdienstes, das offenkundig auf die Erkennung von Selbstmordattentätern trainiert worden war und auch unter Stress und unerwarteter Bedrohung den Kontrollprozess an den Stadioneingängen aufrecht erhielt. Die Anschläge der drei Hit-Teams waren aufeinander abgestimmt. Nach den Sprengstoffexplosionen des ersten Hit-Teams am Stade de France erschoss das zweite Hit-Team zahlreiche Passanten im Ausgehviertel um den Canal Saint-Martin in der Innenstadt, das dritte Hit-Team stürmte den Konzertsaal ­

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2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

Bataclan und tötete und verletzte dort viele Dutzend Menschen (Die Zeit 2015). Die polizeilichen Ermittler stellten bei allen Attentätern Reste des Sprengstoffs TATP fest, dazu die gleichen Zünder und die gleichen Batterien. Das dritte HitTeam stürmte um 21:40 Uhr das Bataclan, schoss für ca. zehn Minuten gezielt in die Menge der ca. 1500 Konzertbesucher, warf Handgranaten und tötete dort 89 Menschen. Gegen 22:30 Uhr nahmen beiden Attentäter Amimour und Mostefaï Geiseln und verbarrikadierten sich. Ein Unterhändler der Polizei versuchte vergeblich, mit den Attentätern zu verhandeln. Beim Zugriff der Polizeikräfte gegen 0:20 Uhr töteten sich die beiden islamistischen Terroristen durch Auslösen ihrer Sprengstoffwesten. Die Terroranschläge am 13.11.2015 in Paris stellen einen Prototyp multipler Szenarien mit großen Ähnlichkeiten zu den Anschlägen in Mumbai dar, wo im November 2008 islamistische Terroristen an zehn verschiedenen Orten um sich geschossen, Handgranaten geworfen und Geiseln genommen hatten. Dabei waren in Mumbai mehr als 170 Menschen getötet worden und die Medien berichteten live und weltweit. Die islamistische Anschlagsserie vom 13.11.2015 hat bewiesen, dass islamistische Attentäter dazu in der Lage sind, auf anspruchsvollem Niveau von zeitgleichen, koordinierten Anschlägen terroristische Mittel wie Selbstmordattentate, Geiselnahmen bzw. Geiselerschießungen und massenhafte Tötungen durchzuführen (Goertz 2019b, S. 112). Durch die Sprengstoffanschläge durch Selbstmordattentäter am 22.3.2016 im Brüsseler Flughafen Zaventem und in der Metrostation Maalbeek wurden 38 Menschen getötet und über 340 verletzt. Um 7:58 Uhr detonierten zwei Sprengsätze in der Abflughalle des Flughafens an den Check-in-Schalterreihen vor der ersten Sicherheits- und Passkontrolle. Die Brüsseler Staatsanwaltschaft identifizierte zwei Männer, die sich selbst in die Luft sprengten, sie waren auf dem Material der Überwachungskameras zu sehen. Drei Attentäter starben als Selbstmordattentäter, ein vierter Attentäter floh, konnte später aber auf Grundlage seines Fahndungsfotos aus Überwachungskameras des Flughafens festgenommen werden. Die USBV waren als Splitterbomben gebaut und es wurde TATP-Sprengstoff verwendet, wie er auch bei den Anschlägen in Paris am ­ 13.11.20215 zum Einsatz gekommen war (Die Zeit 2016b). Die vom zweiten Sprengstoffanschlag betroffene Metrostation liegt in unmittelbarer Nähe zur EUKommission. Bei der anschließend eingeleiteten Fahndung fand die Brüsseler Polizei einen weiteren als Nagelbombe gebauten Sprengsatz und Chemikalien in einer der durchsuchten Wohnungen von Islamisten in Brüssel, wo auch eine Flagge des „Islamischen Staates“ (IS) gefunden wurde. Die jihadistische Organisation IS bekannte sich bereits am Nachmittag des 22.3.2016 zu den Anschlägen. Auf die

2.1  Großanschläge von internationalen islamistisch-terroristischen …

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Spur der mutmaßlichen Wohnung der vier Attentäter kamen die polizeilichen Ermittler durch die Aussage eines Taxifahrers, der die drei Männer mit ihren großvolumigen Gepäckstücken zum Flughafen gefahren hatte. Am 3.6.2017 töteten drei jihadistische Attentäter elf Menschen auf der London Bridge und in einer Markthalle in London und verletzten 48 Menschen, teilweise schwer. Zeugen des Anschlags schilderten, dass ein Transporter mit einer Geschwindigkeit von rund 80 km pro Stunde durch eine Menschenmenge und dann in Richtung Borough Market gefahren sei, die Attentäter ausgestiegen seien und auf Passanten eingestochen hatten (Spiegel 2017b). Die Metropolitan Police löste einen Großeinsatz mit bewaffneten Polizisten und Rettungsdiensten aus. Daneben wurden SAS-Soldaten mit einem Militär-Hubschrauber auf die London Bridge eingeflogen und die Brücke komplett abgeriegelt. Die Londoner Polizei forderte per Twitter die Menschen in den betroffenen Gebieten auf, sich an einen sicheren Ort zu begeben, ihre Handys auf lautlos zu stellen und sich zu verstecken (Goertz 2019b, S. 118). Acht Minuten nach der Alarmierung der Polizei erschoss diese die drei Attentäter, die Attrappen von Sprengstoffwesten trugen. Die jihadistische Organisation „Islamischer Staat“ bekannte sich einen Tag später über ihre Propagandaplattform zu dem Anschlag. Die damalige britische Premierministerin Theresa May erklärte, dass die Freiheitsstrafen für Islamismus und Jihadismus erhöht werden müssten. Bei den Anschlägen in Barcelona und Cambrils am 17.8.2017 wurden 24 Menschen getötet und über 118 Menschen verletzt. In Barcelona fuhr einer der islamistischen Attentäter auf dem Boulevard La Rambla einen LKW in eine Menschenmenge und tötete dadurch 14 Menschen. Auf der Flucht erstach der islamistische Attentäter eine weitere Person. In der Nacht auf den 18.8.2017 wurden in Cambrils mehrere mutmaßliche Jihadisten in ihrem Pkw kontrolliert, die vermutlich einen Anschlag mit Messern ausführen wollten. Bei der anschließenden Verfolgungsjagd töteten sie eine Frau. Die spanischen Ermittler gingen davon aus, dass die jihadistische Gruppe aus der nordkatalanischen Stadt Ripoll aus zwölf Attentätern bestand und dass die jihadistische Gruppe einen großen Anschlag auf symbolträchtige Ziele in Barcelona verüben wollte, so unter anderem auf die Sagrada Família, ein bedeutendes Wahrzeichen von Barcelona (Die Zeit 2017c). Die jihadistische Organisation „Islamischer Staat“ reklamierte den Anschlag für sich und sprach von mehreren Tätern, nannte aber keine Namen. Wenige Stunden nach dem Anschlag mit dem LKW in Barcelona wurden im ca. 130 km entfernten Cambrils fünf Jihadisten, die in einem Pkw fuhren und mutmaßlich einen terroristischen Messerangriff planten, von der Polizei gestellt. Im Verlauf der sich anschließenden Verfolgungsjagd töteten die fünf Attentäter

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2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

eine Frau und verletzten sieben Menschen, bevor sie von der spanischen Polizei erschossen wurden. Am Morgen des 16.8.2017, einen Tag vor dem Anschlag in Barcelona, ereignete sich in Alcanar, 200 km südwestlich von Barcelona, in einem Wohnhaus eine Gasexplosion, die das Gebäude vollständig zerstörte. Durch diese Explosion wurden mindestens zwei Menschen getötet und sieben Menschen verletzt. Die spanische Polizei fand 120 Butan- und Propangasflaschen in den Ruinen des Hauses. Die spanischen Ermittlungsbehörden gegen davon aus, dass eine terroristische Gruppe um den islamistischen Imam Abdelbaki Al Satty beim Versuch, aus umgebauten Butangasflaschen und Acetonperoxid USBV zu bauen, eine Explosion auslöste, durch die zumindest Abdelbaki Al Satty und ein weiteres Mitglied der jihadistischen Gruppe getötet wurde. Ein später gefasster Verdächtiger erklärte im Verhör, dass mit den selbstgebauten USBV Anschläge auf die Basilika Sagrada Família in Barcelona sowie andere Gebäude verübt werden sollten. Nachdem allerdings bei der Gasexplosion in Alcanar das Sprengstoffmaterial zerstört worden war, entschied sich die jihadistische Gruppe kurzfristig für die Anschläge in Barcelona und Cambrils (Goertz 2019b, S. 122). Die für die Anschläge von Barcelona und Cambrils verantwortliche zwölfköpfige jihadistische Gruppe bestand aus Personen marokkanischen Ursprungs und Marokkanern im Alter von 17 bis Mitte 30 und lebte in der nordkatalanischen Stadt Ripoll. Der Anführer dieser jihadistischen Gruppe war der Imam Abdelbaki Al Satty, der in der Annour-Moschee in Ripoll predigte und die anderen Mitglieder seiner späteren Gruppe dort radikalisierte. Folgende Terroranschläge von Hit-Teams jihadistischer Großorganisationen wurden seit dem 11.9.2001 außerhalb Europas verübt, die zahlreiche Menschen töteten und verletzten: • 12.10.2002: Anschläge auf eine Diskothek und ein Café im Badeort Kuta auf Bali (Indonesien). 200 Tote, darunter sechs Deutsche, mehr als 330 Verletzte. • 6.5.2003: Selbstmordanschläge mit Sprengstoff in Casablanca/Marokko, Anschlagsziele waren jüdische Ziele. 41 Tote, über 100 Verletzte. • 26.-29.11.2008: Anschläge auf die indische Finanzmetropole Mumbai. 172 Tote, darunter drei Deutsche, 295 Verletzte, darunter drei Deutsche. • 27.11.2009: Anschlag auf einen Schnellzug während der Fahrt von Moskau nach St. Petersburg. 28 Tote, über 90 Verletzte. • 9.3.2010: Selbstmordanschläge auf die Moskauer Metro. 40 Tote und 84 Verletzte. • 24.1.2011: Selbstmordanschläge auf den Moskauer Flughafen Domodedowo. 37 Tote, darunter ein Deutscher, über 100 Verletzte, darunter ein Deutscher.

2.2  Low level-Terrorismus: Jihadistische Einzeltäter und Zellen

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• 21.9.2013: Anschlag auf ein Einkaufszentrum in Nairobi/Kenia, das vor allem von Expats besucht wurde. 67 Tote und über 200 Verletzte. • 26.6.2015: Schusswaffenanschlag auf Hotelgäste in Port E ­l-Kantaoui/ Tunesien. 39 Tote und 39 Verletzte. • 20.7.2015: Sprengstoffanschlag auf ein Treffen von etwa 300 Anhängerinnen und Anhängern einer prokurdischen Jugendorganisation in Suruç/Türkei. 34 Tote und über 70 Verletzte. • 28.6.2016: Schusswaffen- und Sprengstoffanschlag durch Selbstmordattentäter im Flughafen Atatürk in Istanbul. 45 Tote und 239 Verletzte, darunter auch Deutsche (BfV 2019b). Allein durch diese zehn Anschläge außerhalb von Europa, verübt von jihadistischen Hit-Teams, wurden 703 Menschen getötet und 1547 Menschen – teilweise schwer – verletzt.

2.2  Low level-Terrorismus: Jihadistische Einzeltäter und Zellen Die Analyse jihadistischer Anschläge in Europa in den Jahren 2004 bis 2020 zeigt, dass diese in zwei Kategorien unterschieden werden können, in die oben dargestellten Großanschläge bzw. multiplen taktischen Szenarien einerseits sowie in low level-Terrorismus andererseits, verübt von jihadistischen Einzeltätern bzw. (kleinen) Zellen. Low Level-Terrorismus von jihadistischen Einzeltätern und/oder (kleinen) Zellen wird hier wie folgt definiert: Terroristische Anschläge oder Attentate, die sich einfachster taktischer Prinzipien und Wirkmittel, wie leicht zu beschaffende Waffen oder Alltagsgegenstände – Messer und PKW – bedienen. Diese Anschläge oder Attentate werden von Einzeltätern bzw. von kleinen Zellen verübt. In Antwort auf die Frage, ob der jihadistische Einzeltäter und/oder die Zelle operativ-taktisch unabhängig ist, oder ob er/sie organisatorisch und/oder logistisch von anderen Jihadisten gesteuert oder unterstützt werden, ist festzustellen, dass der Unterschied von unabhängig agierenden jihadistischen Einzeltätern und/oder Zellen zu losen Mitgliedern bzw. Unterstützern einer jihadistischen Organisation im Sinne einer jihadistischen Bewegung bzw. Organisation fließend ist (Goertz 2017a, S. 170–171).

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2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

Eine mit wissenschaftlichen Kriterien abgrenzbare Definition von jihadistischen Einzeltätern (lone wolves) sollte folgende Definitionsmerkmale enthalten: „Jihadistische Einzeltäter operieren organisatorisch und logistisch unabhängig von einer Organisation, einem Netzwerk oder einer Gruppe, sind allerdings von deren Ideologie bzw. Idee(n) inspiriert und handeln somit im Sinne der Strategie der terroristischen Organisation“ (Behrens und Goertz 2016, S. 687). Die aktuellen Fälle der jihadistischen Einzeltäter der Anschläge am 12.5.2018 in Paris, am 11.12.2018 auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt, am 18.3.2019 in Utrecht, am 3.10.2019 in der Pariser Polizeidirektion, am 29.11.2019 auf der London Bridge sowie am 2.2.2020 in London verdeutlichen diese offensichtlich bestehende Grauzone zwischen autark operierenden jihadistischen Einzeltätern und ihren Verbindungen zum islamistisch-jihadistischen Milieu und/oder zu internationalen jihadistischen Organisationen wie dem IS und der Al Qaida. Hier werden ausgewählte islamistische Anschläge von jihadistischen Einzeltätern – vornehmlich verübt in Deutschland bzw. von taktischer „Vorbildfunktion“ (für copycat, Nachahmertaten) kurz dargestellt: Der erste islamistische Anschlag auf deutschem Territorium wurde am 2.3.2011 vom kosovarischen Flüchtling Arid Uka als jihadistischer Einzeltäter begangen. Er wollte unter US-Soldaten in einem Bus am Frankfurter Flughafen mit einer Schusswaffe ein Massaker verüben, tötete zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere schwer. Das Oberlandesgericht Frankfurt sprach Arid Uka im Februar 2012 des zweifachen Mordes und dreifachen Mordversuchs schuldig. Der islamistische Attentäter wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die Richter stellten außerdem die besondere Schwere der Schuld fest, die eine vorzeitige Haftentlassung bereits nach 15 Jahren praktisch ausschließt (Süddeutsche Zeitung 2012). Der Jihadist Uka hatte sich – nach eigenen Aussagen im Prozess – überzeugt gezeigt, dass er mit einem Anschlag seinen persönlichen Beitrag zum Jihad leisten wollte. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft habe sich Uka zum „Herrn über Leben und Tod gemacht“ und sie ging davon aus, dass Uka ein jihadistischer Einzeltäter war, der sich vor seinem Anschlag über das Internet radikalisiert hatte (Süddeutsche Zeitung 2012). Uka sagte vor Gericht: „Ich musste etwas tun und habe geglaubt, dass es keine Alternativen dazu gibt“. Nach Aussagen von Uka vor Gericht war ein Videoclip auf YouTube Auslöser für seinen Anschlag. In diesem Videoclip soll die Vergewaltigung muslimischer Frauen durch US-Soldaten gezeigt worden sein. Im Rahmen der Gerichtsverhandlung stellte sich jedoch heraus, dass es sich um einen Filmausschnitt des US-Spielfilms „Redacted“ handelte. Parallel dazu sei Uka in islamistischen

2.2  Low level-Terrorismus: Jihadistische Einzeltäter und Zellen

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Diskussionsforen im Internet zur Überzeugung gekommen, dass sich seine muslimischen Glaubensschwestern und -brüder in einem permanenten Krieg mit den USA und der westlichen Welt befänden (Goertz 2019b, S. 126–127). Die polizeilichen Ermittler fanden auf Ukas Computer und iPod Hunderte von jihadistischen Dateien, so u. a. Vorträge des radikalen Predigers Anwar Al Awlaki und eine deutsche Version von „Die Verteidigung der muslimischen Länder“ von Abdullah Azzam, Mentor von Osama bin Laden. Daneben soll der Jihadist Uka über das Internet Kontakt zu Sheik Abdellatif aufgenommen haben, der in der Bilal-Moschee in Frankfurt-Griesheim und in der Falah-Moschee in ­ Frankfurt-Ginnheim gepredigt hatte. Ebenfalls Kontakt hatte Uka zum salafistischen Jihadisten und ehemaligen Rapper „Deso Dogg“ (Goertz 2019b, S. 127). Am 26.2.2016 griff die damals 15-jährige Safia S. mit einem Messer einen Bundespolizisten im Hauptbahnhof Hannover an und verletzte diesen schwer. Polizeiliche Ermittler werteten diesen Anschlag der jungen Jihadistin als die erste von der jihadistischen Organisation „Islamischer Staat“ in Deutschland in Auftrag gegebene Tat (Süddeutsche Zeitung 2017b). Knapp ein Jahr nach ihrem islamistischen Anschlag verurteilte das Oberlandesgericht Celle die Jihadistin Safia S. zu sechs Jahren Haft. Die Bundesanwaltschaft hatte sechs Jahre Haft wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung sowie der Mitgliedschaft in der terroristischen Organisation „Islamischer Staat“ für S. gefordert (Süddeutsche Zeitung 2017b). Aus Sicht der Anklage war die Tat als Märtyreroperation für den IS geplant gewesen. Der Strafverteidiger von Safia S., Mutlu Günal, hatte eine milde Strafe gefordert und sich für eine Verurteilung ausschließlich wegen gefährlicher Körperverletzung ausgesprochen. In einem ersten Verhör nach ihrem Anschlag erklärte Safia S. – nach Beratung durch ihren Rechtsanwalt – dass die „Tat spontan“ gewesen sei. Die Auswertung der Protokolle ihrer Chats und E-Mails durch die Bundesanwaltschaft kam allerdings zu einem anderen Ergebnis. In einem Chat am 14.11.2015, einen Tag nach den Anschlägen in Paris, bei denen 140 Menschen getötet und über 350 verletzt worden waren, schrieb Safia S.: „Gestern war mein Lieblingstag, Allah segne unsere Löwen, die gestern in Paris im Einsatz waren“ (Goertz 2019b, S. 129). Die Bundesanwaltschaft wertet diesen Chatbeitrag als Sympathiebekundung für den IS und damit für den islamistischen Terrorismus. Der als Mitwisser mitangeklagte 20-jährige Mohamad Hasan K. wurde zu zweieinhalb Jahren Haft wegen der Nichtanzeige einer geplanten Straftat verurteilt. Die Jihadistin Safia S. war schon lange vor ihrem Anschlag auf den Bundespolizisten in der Salafistenszene bekannt: Auf Youtube-Videos ist sie als verschleierte Siebenjährige mit dem salafistischen Prediger Pierre Vogel zu sehen,

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wie sie Koransuren vorsingt. Ihre marokkanische Mutter hatte Safia S. an eine strenge Glaubensauslegung herangeführt und besuchte mit ihrer Tochter die Moschee des Deutschsprachigen Islamkreises in Hannover, die vom Verfassungsschutz Niedersachsen beobachtet wird (Süddeutsche Zeitung 2017b). Ende Januar 2016 war Safia S., eine 15-jährige in Hannover aufgewachsene Schülerin, alleine in die Türkei gereist. In Chats hatte sie angedeutet, dass sie nach Syrien zum IS ausreisen wollte. Doch ihre Mutter reiste ihr nach und holt sie zurück nach Hannover. In Chats mit einem Freund in Norddeutschland, Mohammed Hasan K., berichtete Safia S. von ihrer „Planänderung“: Sie komme zurück ins „Ungläubigen-Gebiet“, weil man ihr gesagt habe, das hätte „größeren Nutzen“ (Goertz 2019b, S. 129). Die Bundesanwaltschaft ging im Prozess davon aus, dass Safia S. während des Aufenthalts in der Türkei von Mittelsmännern des IS mit einer „Märtyreroperation“ in Deutschland beauftragt wurde. Zurück in Deutschland blieb Safia S. mit einigen Mitgliedern des IS über Chats im Kontakt, kurz vor ihrem Anschlag auf den Bundespolizisten am 26.2.2016 chattete sie mit „Leyla“, einem mutmaßlichen Mitglied des IS, bekam von ihr erklärt, wie sie einen Polizeibeamten unter einem Vorwand in eine Ecke des Bahnhofs locken und zustechen, seine Pistole entwenden und schießen solle. „Ich werde die Ungläubigen überraschen, wenn du verstehst, was ich meine“, schrieb sie in einem Chat. Auch von einem Angriff auf Polizisten war die Rede, sie wolle „an seinem Hals spielen“, schrieb sie. Die Bundesanwaltschaft ging im Prozess davon aus, dass Safia S. den Bundespolizisten „als Repräsentanten der von ihr verhassten Bundesrepublik“ töten wollte (Goertz 2019b, S. 129–130). Am 19.4.2018 bestätigte der Bundesgerichtshof das Urteil gegen Safia S. aus erster Instanz und damit das Strafmaß von sechs Jahren Haft. Der tunesische Flüchtling Mohamed Bouhlel tötete als jihadistischer Einzeltäter am 14.7.2016, dem Nationalfeiertag Frankreichs, auf einer Promenade in Nizza 86 Menschen – darunter drei Deutsche – und verletzte ca. 400 Menschen, teilweise schwer, mit einem LKW und folgte damit der Internetpropaganda von Al Qaida und dem Islamischen Staat, die für Anschläge mit LKW und PKW geworben hatten. Nach Angaben des zuständigen Generalstaatsanwalts hatte Bouhlel der jihadistischen Organisation IS seine Unterstützung bekundet und im Internet sowohl Propagandamaterial als auch operativ-taktische Inhalte recherchiert. Als Wirkmittel für seinen Anschlag nutzte der Jihadist einen LKW und eine Schusswaffe. Am 18.7.2016, vier Tage nach dem Anschlag in Nizza, verübte der mutmaßlich 17-jährige afghanische Flüchtling Riaz Khan in einem Regionalzug bei Würzburg einen Anschlag und verletzte drei Fahrgäste im Zug sowie außerhalb des Zuges eine Passantin schwer. Khan war ein Jahr zuvor als

2.2  Low level-Terrorismus: Jihadistische Einzeltäter und Zellen

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unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen und bei einer Pflegefamilie im Landkreis Würzburg untergekommen. Abends gegen 20 Uhr hatte er das Haus seiner Pflegeeltern verlassen und war in Ochsenfurt in den Zug Richtung Würzburg gestiegen und hatte neben einer asiatischen Familie gesessen, die als Touristen in Deutschland waren. Als der Attentäter mit seiner Axt und einem Messer die asiatischen Touristen angriff, zog ein Fahrgast die Notbremse und der Zug stoppte im Würzburger Stadtteil Heidingsfeld. Daraufhin sprang der Attentäter mit der Axt aus dem Zug (Augsburger Allgemeine 2016). Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Bamberg war auf einem aufgezeichneten Handy-Notruf sein Ausruf „Allahu akbar“ deutlich zu verstehen (MDR 2016). Nach der Notbremsung floh der Attentäter aus dem Zug und schlug einer unbeteiligten Passantin, die mit ihrem Hund spazieren ging, wiederholt mit seiner Axt ins Gesicht. Das Spezialeinsatzkommando Südbayern spürte den Attentäter in ca. 500 m Entfernung vom Zug auf. Als der Attentäter Polizeibeamte mit seinen Waffen angriff, trafen ihn zwei tödliche Schüsse (MDR 2016; Goertz 2019b, S. 137). Die bayrische Polizei stellte im Schlafzimmer des Attentäters eine Fahne der jihadistischen Organisation „Islamischer Staat“ und einen Abschiedsbrief an seinen Vater in pashtunischer Sprache fest, in welchem der jihadistische Einzeltäter u. a. schrieb: „Und jetzt bete für mich, dass ich mich an diesen Ungläubigen rächen kann, und bete für mich, dass ich in den Himmel komme“ (Diehl 2016). In einem wenige Stunden nach dem Anschlag vom IS veröffentlichten Bekennervideo erklärte der jihadistische Einzeltäter: „Ich bin ein Soldat des ‚Islamischen Staates‘ und beginne eine heilige Operation in Deutschland.[…] Die Zeiten sind vorbei, in denen ihr in unsere Länder gekommen seid, unsere Frauen und Kinder getötet habt und euch keine Fragen gestellt wurden. So Gott will, werdet ihr in jeder Straße, in jedem Dorf, in jeder Stadt und auf jedem Flughafen angegriffen. Ihr könnt sehen, dass ich in eurem Land gelebt habe und in eurem Haus. So Gott will, habe ich diesen Plan in eurem eigenen Haus gemacht. Und so Gott will, werde ich euch in eurem eigenen Haus abschlachten“ (Diehl 2016). Die Echtheit dieses Bekenner-Videos wurde vom bayerischen Innenministerium bestätigt (Die Zeit 2016). Sechs Tage nach dem Anschlag in einem Regionalzug bei Würzburg verübte der syrische Flüchtling Mohammed Daleel am 24.7.2016 bei einem Musikfestival in Ansbach einen Sprengstoffanschlag als Selbstmordattentäter, bei dem er getötet und 15 Menschen, vier von ihnen schwer, verletzt wurden. Die Explosion ereignete sich um 22.10 Uhr im Eingangsbereich des Veranstaltungsortes in der Ansbacher Innenstadt, wo ein Konzert im Rahmen des Musikfestivals Ansbach Open 2016 stattfinden sollte. Der Jihadist hatte versucht, auf das Festivalgelände

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zu gelangen, wurde aber zurückgewiesen, weil er keine Eintrittskarte hatte. Der Jihadist trug die USBV in seinem Rucksack. Wenn er mit dem Sprengsatz in die Veranstaltung gelangt wäre, hätte es sehr wahrscheinlich noch mehr Opfer gegeben (Spiegel 2016). Mohammed Daleel soll während des gesamten Tathergangs in einem Chatkontakt zu „einer Person aus dem Nahen Osten“ gestanden haben (Lohse 2016). Aus dem unverschlüsselt geführten Chatkontakt sind folgende Abschnitte sinngemäß übersetzt ins Deutsche bekannt: Daleel: „Sicherheitsleute stehen vor dem Eingang. Ich komme ‚nicht so einfach‘ rein.“ Kontaktperson: „Such‘ dir ein ‚Schlupfloch‘.“ Daleel: „Ich finde keins.“ Kontaktperson: „Dann brich einfach durch.“ Kontaktperson weiter: „‚Mach Foto von Sprengstoff‘“ (Nürnberger Nachrichten 2016). Sein jihadistischer Chatkontakt soll Daleel aufgefordert haben, die Detonation und die Wirkung auf die Zivilbevölkerung zu filmen und an den IS zu schicken (Lohse 2016). Drei Tage nach dem Anschlag erklärte die jihadistische Organisation „Islamischer Staat“, dass Daleel „einer ihrer Soldaten“ gewesen sei (Lohse 2016). Am 19.12.2016 verübte der tunesische Flüchtling Anis Amri einen Anschlag mit einem Sattelzug auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. Durch die Kollision mit dem Sattelzug starben elf Menschen, der zwölfte Getötete war der Fahrer des Sattelzuges, den Anis Amri vor dem Anschlag erschossen hatte. Durch die Kollision wurden 62 Menschen – viele davon schwer – verletzt. Amri konnte vom Anschlagsort flüchten und wurde als dringend Tatverdächtiger zur Fahndung ausgeschrieben. Am 23.12.2016, vier Tage nach dem Anschlag in Berlin, kam es zu einem Schusswechsel mit einem italienischen Polizisten in Sesto San Giovanni, bei dem Amri ums Leben kam. Der „Islamische Staat” verkündete am 20.12.2016, dass Amri als „Soldat des IS” gehandelt habe. Eine Überwachungskamera im U-Bahnhof Zoologischer Garten in Berlin filmte Amri, dieser blickte in die Kamera und zeigte den Tauhid-Finger, den ausgestreckten Zeigefinger nach oben, der den islamischen Monotheismus symbolisieren soll und bei Salafisten und Jihadisten gebräuchlich ist. In der Nacht reiste Amri nach Kleve Nordrhein-Westfalen und von dort aus per Bus in die Niederlande (Tagesschau 2019b). Von dort fuhr er über Belgien und Frankreich nach Italien, wo er am 23.12.2016 von einem Polizisten gestellt und erschossen wurde. Kurz nach dem Anschlag wurde bekannt, dass der marokkanische Nachrichtendienst (Direction générale de la surveillance du territoire, DGST) sowohl den Bundesnachrichtendienst (BND) als auch das Bundeskriminalamt (BKA) am 19.9.2016 und am 11.10.2016 vor Anis Amri als potenziellem Attentäter gewarnt hatte. In der Mitteilung hieß es, dass Amri Kontakte zur

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i­slamistisch-terroristischen Organisation IS hatte und bereit sei, einen Terroranschlag durchzuführen (Die Welt 2016b). Der damalige Innenminister NordrheinWestfalens, Ralf Jäger, erklärte nach dem Anschlag, dass bei der Observierung Amris der Eindruck entstanden sei, dass dieser sich vom islamistischen Terrorismus und Salafismus „wegbewege, um sich mit drogenmilieu-typischer allgemeiner Kriminalität zu beschäftigen“ (Die Welt 2016c). Amri hatte in Deutschland in 18 Monaten 14 Identitäten genutzt und sich unter anderem wie folgt genannt: Mohamed Hassa, Mohammad Hassan, Ahmed Almasri, Ahmad Zaghoul und Ahmad Zarzour. Amri benutzte seine 14 unterschiedlichen Identitäten auch zum Sozialbetrug, sodass die Staatsanwaltschaft Duisburg im April 2016 ein Ermittlungsverfahren gegen Amri eröffnete, weil er im November 2015 in Emmerich und Oberhausen gleichzeitig mehrfach Sozialleistungen bezog. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wurde allerdings im November 2016 eingestellt, „weil der Aufenthaltsort Amris den Behörden nicht bekannt ist“ (Spiegel 2017b). Ca. einen Monat nach dem Anschlag räumte der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas Fehler im Umgang der deutschen Behörden mit Amri ein (Tagesschau 2017). Der islamistische Anschlag am 19.12.2016 in Berlin kann als ­copycat-Anschlag zum Anschlag am 14.7.2016 in Nizza bezeichnet werden. Der „Fall Amri“ zeigt auf, wie ein Individuum vom 6.7.2015 bis zum 23.12.2016 zahlreiche deutsche Behörden, darunter auch verschiedene Sicherheitsbehörden des Bundes und des Landes, täuschen konnte. Seit spätestens dem Frühjahr 2016 war den deutschen Sicherheitsbehörden bekannt, dass Amri ein Salafist mit jihadistischen Zielen war. Am 22.3.2017 tötete der islamistische Terrorist Khalid Masood auf der Westminster-Brücke in London fünf Menschen und verletzte 40 Menschen, darunter eine Deutsche. Nach Angaben der Polizei raste der Attentäter auf der Westminster-Brücke zunächst mit einem Auto über den Bürgersteig, erfasste ­ dabei mehrere Personen, von denen fünf starben. Kurz darauf durchbrach Masood mit seinem Wagen am Sitz des britischen Parlaments eine Absperrung und stürmte mit einem Messer bewaffnet auf einen Polizisten zu (FAZ 2017). Der Polizeibeamte wurde nach Angaben von Scotland Yard getötet, der Attentäter schließlich von der britischen Polizei erschossen. Zahlreiche polizeiliche Spezialkräfte eilten kurz nach dem Anschlag in das Parlamentsgebäude und patrouillierten auf den Straßen. Die U-Bahn-Station „Westminister“ wurde geschlossen, das Regierungsviertel weiträumig abgesperrt. Der Einsatz verursachte ein Verkehrschaos in der Hauptstadt (FAZ 2017). Dieser islamistische Anschlag kann als typischer low level-Anschlag bewertet werden, wieder mit

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einem Kraftfahrzeug, dieses Mal aber nur mit einem PKW und nicht mit einem LKW, wie am 14.7.2016 in Nizza und am 19.12.2016 in Berlin. Am 7.4.2017 tötete der usbekische Flüchtling Rakhmat Akilow mit einem LKW in einer Stockholmer Fußgängerzone fünf Menschen und verletzte 15. Die Ermittlungen ergaben, dass Akilow Sympathisant der jihadistischen Organisation „Islamischer Staat“ war. Nach Angaben der schwedischen Polizei war der Kleinlaster vom maskierten Akilow gestohlen worden. Um kurz vor 15 Uhr fuhr der Attentäter zunächst auf der zentralen Stockholmer Einkaufsstraße Drottninggatan in eine Menschenmenge und dann in das Einkaufszentrum „Åhléns City“ (Deutschlandfunk 2017). Im Juni 2018 wurde der Jihadist Akilow des fünffachen Mordes aus terroristischer Motivation für schuldig befunden und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Akilow erklärte im Prozess, er habe mit dem Anschlag Schweden für eine Beteiligung an der Bekämpfung der jihadistischen Organisation „Islamischer Staat“ bestrafen wollen (HAZ 2018). Bei den Todesopfern des islamistischen Anschlags handelte es sich um einen Briten, eine Belgierin und drei Schweden, darunter ein elfjähriges Mädchen. Daneben wurden 15 weitere Personen verletzt. Akilow wurde auch des versuchten Mordes in 119 Fällen und der Gefährdung von Menschenleben in 24 Fällen für schuldig befunden. Nachdem Akilow 20 Menschen mit dem LKW überfahren hatte, beabsichtigte er, sich anschließend in die Luft zu jagen, scheiterte jedoch und verursachte in dem Lastwagen eine kleine Explosion. Die USBV bestand aus fünf Gasbehältern mit Dutzenden Schrauben, Klingen und kleinen Metallobjekten. Er flüchtete mit der U-Bahn und wurde mehrere Stunden später in einem Vorort von Stockholm festgenommen (HAZ 2018). Der islamistische Anschlag mit einem LKW in Stockholm kann als ­copycat-Anschlag von Nizza (14.7.2016) und Berlin (19.12.2016) bewertet werden und zeigt, dass Anschläge mit Fahrzeugen relativ leicht vorzubereiten und durchzuführen sind. Am 22.5.2017 verübte der islamistische Terrorist Salman Abedi, ein 22 Jahre alter Brite mit libyschem Migrationshintergrund, einen Anschlag mit einer USBV in der Manchester Arena, wo ein Konzert der bekannten US-Sängerin Ariana Grande mit Tausenden Besuchern stattfand. Der Selbstmordattentäter tötete 22 Menschen und verletzte über 500 Menschen, einige von ihnen schwer (Amputationen waren notwendig). Abedis soll sehr religiös gewesen sein und sich stark in einer Moschee engagiert haben (Tagesschau 2017b). Die damalige britische Innenministerin erklärte, dass Abedi den Sicherheitsbehörden schon vor der Tat bekannt war. Die jihadistische Organisation „Islamischer Staat“ (IS) reklamierte die Tat für sich. „Einer unserer Soldaten des Kalifats konnte

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einen Sprengsatz inmitten einer Ansammlung von Kreuzfahrern in Manchester platzieren“, lautete es in einer Mitteilung über den Messenger-Dienst Telegram (Tagesschau 2017b). Die britische Gesundheitsbehörde NHS (National Health Service) gab die Anzahl der Verletzten, die in Krankenhäusern behandelt werden mussten, mit über 115 an. Obwohl Abedi den britischen Sicherheitsbehörden bereits vor dem Anschlag bekannt gewesen war und er in den Akten des Inlandsnachrichtendienstes MI5 geführt wurde, war nicht gegen ihn ermittelt worden. Dies führte zu Kritik wegen möglicher Versäumnisse und zu einer internen Untersuchung des MI5. Am 28.7.2017 verübte der palästinensische Flüchtling Ahmad Alhaw einen islamistischen Anschlag mit einem Messer in einem Hamburger Supermarkt, bei dem ein Mann getötet und sechs weitere Personen verletzt wurden. Einige der verletzten Personen leiden bis heute unter den Folgen, auch psychisch. Am 1.3.2018 verurteilte das Hamburger Landgericht Alhaw zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Dies bedeutet, dass Alhaw wahrscheinlich nicht nach 15 Jahren aus der Justizvollzugsanstalt entlassen wird. Das Hamburger Landgericht gab im Prozess an, dass der Angeklagte „so viele 'Ungläubige' wie möglich töten“ wollte und wer „ungläubig" sei, habe er an einer hellen Hautfarbe festgemacht (Spiegel 2018b). Alhaw erklärte zum Prozessbeginn am 12.1.2018, er habe religiöse Motive für die Tat gehabt. Ihm sei es darum gegangen, so viele deutsche Staatsangehörige christlichen Glaubens wie möglich zu ermorden. Der islamistische Anschlag von Alhaw am 28.7.2017 kann als klassischer low level-Anschlag bewertet werden, bei dem der Attentäter in einem Supermarkt die Tatwaffe, ein 20 cm langes Messer, aus dem Regal nahm und damit einen Mann tötete und sechs weitere, teilweise schwer, verletzte. Am 23.5.2018 tötete der islamistische Terrorist Radouane Lakdim vier Menschen und verletzte mindestens zwölf weitere. In Carcassonne schoss der Attentäter auf die Insassen eines Autos, tötete den Beifahrer und verletzte den Fahrer. Danach schoss er vor einer Kaserne auf Soldaten. Im Anschluss fuhr er nach Trèbes und nahm dort in einem Supermarkt Geiseln. Nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft bekannte sich der Attentäter zur jihadistischen Organisation „Islamischer Staat“. Der französische Präsident Emmanuel Macron erklärte: „Unser Land hat einen islamistischen Terroranschlag erlitten“ (Die Zeit 2018). Die Pariser Staatsanwaltschaft leitete eine Untersuchung wegen Mordes und versuchten Mordes im Zusammenhang mit Terrorismus sowie wegen Freiheitsberaubung ein. Verschiedene Medien berichteten, dass der Attentäter im Rahmen der Geiselnahme die Freilassung von Salah Abdeslam gefordert haben

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soll. Abdeslam ist der einzige noch lebende Attentäter der Anschläge von Paris vom 13. 11.2015 und inhaftiert (Die Zeit 2018). Der französische Gendarm Arnaud Beltrame wurde in Frankreich als Held gefeiert, weil er sich bei der terroristischen Geiselnahme in einem Supermarkt gegen eine Geisel austauschen ließ. Der islamistische Attentäter verletzte ihn tödlich. „Niemals wird Frankreich sein Heldentum, seinen Mut und sein Opfer vergessen“, schrieb der französische Innenminister Collomb auf Twitter (Spiegel 2018c). Der französische Antiterror-Staatsanwalt François Molins erklärte, die französischen Sicherheitsbehörden hätten den Attentäter in der Vergangenheit bereits wegen einer mutmaßlichen islamistischen Radikalisierung im Blick gehabt. Der Attentäter habe seit 2014 wegen Verbindungen zum salafistischen Spektrum in einer Datenbank der Sicherheitsbehörden gestanden. Eine Observation in den Jahren 2016 und 2017 habe aber keine Anzeichen erbracht, die hätten vermuten lassen, dass der Mann zu einem islamistischen Anschlag bereit sein könnte, erklärte der Antiterror-Staatsanwalt (Spiegel 2018c). Am 5.5.2018 stach ein Jihadist, ein syrischer Flüchtling, in Den Haag, Niederlande, auf drei Passanten ein und verletzte diese schwer. Der Jihadist rief während des Anschlags „Allahu Akbar“ („Allah ist groß“) (EUROPOL 2019, S. 31). Am 12.5.2018 tötete ein Jihadist mit tschetschenischem Migrationshintergrund eine Person in Paris und verletzte mehrere Personen, bevor er von der französischen Polizei erschossen wurde. Der „Islamische Staat“ (IS) beanspruchte den Anschlag über Amaq News für sich, bezeichnete den Attentäter als „Soldat des IS“ und veröffentlichte ein Bekennervideo des Attentäters (EUROPOL 2019, S. 31). Wenige Tage später, am 29.5.2018, tötete ein Häftling zwei weibliche Polizeibeamte mit einer ihnen entwendeten Pistole in Liège, Belgien. Zusätzlich verletzte der Attentäter noch vier weitere Polizeibeamte und nahm eine Geisel in einer Schule (EUROPOL 2019, S. 31). Der Attentäter wurde von der belgischen Polizei erschossen und der „Islamische Staat“ (IS) bekannte sich zum Anschlag. Am 31.8.2018 verletzte ein afghanischer Flüchtling, der in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatte, in Amsterdam zwei US-amerikanische Touristen schwer (EUROPOL 2019, S. 32). Am 11.12.2018 tötete ein 29-jähriger Franzose mit marokkanischem Migrationshintergrund auf einem Straßburger Weihnachtsmarkt sechs Menschen und verletzte zwölf. Der Attentäter nutzte sowohl eine Schusswaffe als auch ein Messer. Der französische Innenminister Christophe Castaner erklärte, der mutmaßliche Täter habe an drei verschiedenen Orten in der Stadt „Terror“ verbreitet. Zwischen 20 und 21 Uhr lieferte er sich zweimal einen Schusswechsel

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mit Polizisten. Chérif Chekatt war zum Tatzeitpunkt 29 Jahre alt und wurde in Straßburg geboren (Tagesschau 2018). Der Jihadist, der während seines Anschlags „Allahu Akbar“ gerufen hatte, wurde von im Rahmen der Opération Sentinelle patrouillierenden französischen Soldaten angeschossen, bevor er flüchten konnte (Goertz 2019b, S. 165). Die Fahndung nach dem Attentäter wurde innerhalb weniger Stunden weiter intensiviert, die französische Polizei verstärkte die Kontrollen des Fahrzeugverkehrs mit dem angrenzenden Deutschland. Die französischen Polizeibehörden gingen davon aus, dass sich der mutmaßliche Täter möglicherweise nach Deutschland abgesetzt haben könnte. An der Fahndung nach dem Attentäter waren sämtliche französischen Sicherheitsbehörden inklusive deren ­Anti-Terroreinheiten (BRI, RAID, BST und andere) beteiligt. In einem offiziellen Fahndungsaufruf der französischen Behörden wurde die Bevölkerung um Mithilfe gebeten. Bei einer Razzia in einem Lagerhaus im Stadtteil Neudorf wurde Chérif Chekatt am 13.12.2018 nach einem Schusswechsel mit der Spezialeinheit BST (Brigade spécialisée de terrain) getötet (Goertz 2019b, S. 166). Am 31.12.2018 stach ein Somalier in Manchester, Großbritannien, auf drei Menschen, darunter einen Polizeibeamten, ein (EUROPOL 2019, S. 32). Am 18.3.2019 tötete der Jihadist Gökmen Tanis – geboren in der Türkei – in Utrecht drei Menschen und verletzte neun. Am Vormittag des 18.3.2019 hatte der Attentäter in einer Straßenbahn mehrere Schüsse auf Passanten abgegeben. Die Behörden hoben vorsorglich die Terrorwarnstufe in der Provinz Utrecht auf den höchsten Wert, 5, an (Deutsche Welle 2019b). Die niederländische Militärpolizei verstärkte am nationalen Flughafen Schiphol und anderen öffentlichen Gebäuden die Sicherheitsmaßnahmen. Auch im niederländischen Regierungszentrum in Den Haag wurde vor dem Parlament und dem Amtssitz des Ministerpräsidenten die Polizeipräsenz aufgestockt. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte erklärte in einer Pressekonferenz in Den Haag: „Ein Terrorakt ist ein Angriff auf unsere Zivilisation“ (Deutsche Welle 2019b). Als Konsequenz kontrollierte die deutsche Bundespolizei an Straßen und in Zügen an der ­deutsch-niederländischen Grenze. Schwerpunkt dabei war die Autobahn A 3, aber auch an anderen Autobahnen, an Bundesstraßen und an kleinen Grenzübergängen standen Beamte. Utrecht liegt 75 km von der deutschen Grenze entfernt. Ende März 2019 teilte die Staatsanwaltschaft in Den Haag mit, dass dem islamistischen Attentäter wegen Terrorismus der Prozess gemacht wird. Dem 37 Jahre alten Attentäter werden demnach „mehrfacher Mord mit terroristischer Absicht“ sowie „versuchter Mord“ und „terroristische Bedrohung“ vorgeworfen. Am 3.10.2019 verübte ein Mitarbeiter der Pariser Polizeipräfektur einen islamistischen Anschlag auf Kollegen und tötete dabei vier von ihnen. Der

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Pariser Islamist hatte nach Angaben des zuständigen Staatsanwalts vor der Tat Kontakte zu Mitgliedern der radikalislamistischen Salafistenbewegung gehabt. Der Islamist, der langjähriger Mitarbeiter des Polizeipräsidiums war, erstach vier Kollegen und verletzte zwei, bevor er von einem Polizisten erschossen wurde. Der 45-jährige Informatiker arbeitete seit 2003 in der Polizeidirektion Paris. Wegen seines Glaubens hatte er seine Kleidungsgewohnheiten umgestellt, den Kontakt zu Frauen geändert und gegenüber einem Kollegen Zustimmung zu dem islamistischen Attentat auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 geäußert (Deutsche Welle 2019). Vor der Tat kaufte der Attentäter zwei Messer, eines aus Metall und eines aus Keramik. Der Attentäter ging nach Angaben der Staatsanwaltschaft mit extremer Gewalt gegen seine Opfer vor, was die Obduktion der ermordeten Opfer zeigte. Vor seinem Anschlag hatte er über 30 Textbotschaften mit seiner Frau ausgetauscht, alle hatten religiöse Inhalte (Deutsche Welle 2019). Am 29.11.2019 tötete ein Islamist im Zentrum Londons zwei Menschen und verletzte mehrere Menschen mit einem Messer schwer. Daraufhin sperrten die britischen Sicherheitskräfte die London Bridge großräumig ab. Der Attentäter wurde von der britischen Polizei erschossen. Die London Bridge ist eine sehr wichtige Verkehrsverbindung im Herzen der britischen Hauptstadt und musste stundenlang weiträumig gesperrt werden. Der Anschlag am 29.11.2019 weckt Erinnerungen an einen islamistischen Anschlag im Juni 2017, als ebenfalls auf der London Bridge acht Passanten und die drei Attentäter getötet und mehr als 40 Menschen verletzt wurden. Der erschossene Attentäter von London war ein verurteilter Terrorist und trug bei seinem Anschlag eine Fußfessel. Erst wenige Monate zuvor war er aus seiner Haft entlassen worden (Tagesschau 2019). Der 28-jährige Usman K. war im Jahr 2012 wegen Vergehen im Zusammenhang mit Terrorismus verurteilt worden. Der Attentäter trug bei seinem Anschlag eine Bombenattrappe am Körper. Der britische Premierminister Boris Johnson erklärte, es sei ein Fehler, gewalttätige Kriminelle früh aus dem Gefängnis zu lassen: „Es ist sehr wichtig, dass wir solche Gepflogenheiten hinter uns lassen und dass wir die angemessenen Strafen für gefährliche Kriminelle durchsetzen, besonders für Terroristen“ (Tagesschau 2019). Bei einem islamistischen Terroranschlag mit einem Messer in Villejuif bei Paris wurde am 3.1.2020 ein Menschen getötet und zwei weitere Opfer schwer verletzt. Auch der islamistische Attentäter wurde getötet, von der Polizei erschossen. In der Tasche des Attentäters fand die französische Polizei einen Koran. Dieser Anschlag traf Frankreich kurz vor dem fünften Jahrestag des Anschlages auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“, am 7.1.2015, dabei wurden

2.3  Von Sicherheitsbehörden vereitelte islamistisch-terroristische …

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17 Menschen getötet. Alleine in Frankreich wurden in den letzten Jahren über 250 Menschen durch islamistischen Terrorismus getötet (Deutsche Welle 2020). Am 2.2.2020 wurden in London drei Menschen Opfer eines islamistischen Anschlags mit einem Messer und schwer verletzt. Der Attentäter trug eine Sprengstoffattrappe und wurde von der Polizei erschossen. Nach Polizeiangaben stach der islamistische Attentäter in einer belebten Einkaufsstraße mehrere Passanten nieder (Tagesschau 2020). Bei einem Messerangriff im Stadtzentrum am 4.4.2020 von Romans-sur-Isère, Frankreich, tötete ein islamistischer Terrorist vor einem Bäcker und vor einem Tabakladen zwei Menschen und verletzte fünf weitere, teilweise schwer. Der französische Präsident Emmanuel Macron verurteilte die Tat als „niederträchtig“ und es werde alles unternommen, um die Straftat aufzuklären, die „ein ohnehin schon leidgeprüftes Land treffe“, so Macron. Der Attentäter, ein 33 Jahre alter Asylbewerber aus dem Sudan, rief laut Augenzeugen „Allahu akbar!“ (Tagesschau 2020b).

2.3 Von Sicherheitsbehörden vereitelte i­ slamistischterroristische Anschlagsvorhaben in Deutschland und Europa Folgende ausgewählte im Zeitraum 2000 bis 2020 von deutschen und internationalen Sicherheitsbehörden verhinderte islamistische Anschläge wurden bisher von den Sicherheitsbehörden öffentlich gemacht: • Polizeiliche Spezialkräfte nahmen am 15.4.2020 fünf Mitglieder einer mutmaßlichen terroristischen Gruppierung in Deutschland fest. Die Anschlagsplanungen der Jihadisten waren nach Aussage des Innenministers von Nordrhein-Westfalen weit vorangeschritten (Die Welt 2020). Die fünf Jihadisten hatten bereits Schusswaffen sowie Munition besorgt und hatten konkrete Anschlagsziele. Zwei Einrichtungen der US-Streitkräfte in Deutschland hatten sie ausgespäht, zudem auch einen vermeintlichen „Islamkritiker“. Insgesamt 350 Polizisten waren bei den Razzien in Solingen, Kreuztal, Neuss, Essen und weiteren Städten in Nordrhein-Westfalen im Einsatz. Der fünfte potenzielle Jihadist und mutmaßliche Anführer der terroristischen Gruppe, Ravsan B., sitzt bereits seit März 2019 in Untersuchungshaft. Die Jihadisten sind tadschikische Staatsangehörige und nach Angaben des Generalbundesanwaltes dringend verdächtig, „in Deutschland als Mitglieder der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat eine Terrorzelle gegründet

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zu haben“ (Die Welt 2020). Der mutmaßliche Anführer der terroristischen Gruppe, Ravsan B., soll zudem bereits in Besitz von Anleitungen für die Herstellung von Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) gewesen sein. Über das Internet hatte er bereits Teile für entsprechende Sprengsätze bestellt (Die Welt 2020). • Polizeiliche Ermittler führten am 15.1.2020 in mehreren Bundesländern Razzien gegen mutmaßliche Islamisten durch, in Berlin war der Schwerpunkt der Einsätze. Dort fanden an sechs Orten polizeiliche Zugriffe statt. Festgenommen wurden mehrere islamistisch-terroristische Tatverdächtige. Die Islamisten sollen „eine schwere staatsgefährdende Tat“ geplant haben. Die Ermittler fanden auf dem Handy eines der Verdächtigen Bilder eines möglichen Anschlagziels (Berliner Morgenpost 2020). Im Verdacht stehen mehrere Tschetschenen aus dem islamistischen Milieu Berlins. Die fünf Verdächtigen sind nach Angaben der Sicherheitsbehörden zwischen 23 und 28 Jahre alt. Den Tatverdächtigen wird vorgeworfen, Orte für einen etwaigen späteren Terroranschlag ausgespäht zu haben. Darunter seien auch eine Synagoge und ein Einkaufszentrum gewesen, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner. Demnach sollen mehrere islamistische Tatverdächtige dabei beobachtet worden sein, wie sie am 20.9.2019 Videoaufnahmen von der Synagoge machten. Danach hätten das Berliner Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft monatelang ermittelt. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft machte keine Angaben zu Details: „Auf dem Handy eines Beschuldigten befanden sich Bilder eines möglichen Anschlagsziels.“ Die Ermittlungsbehörden seien in einem „frühen Stadium“ eingeschritten (Berliner Morgenpost 2020). Einer der tschetschenischen Tatverdächtigen war als nachrichtendienstlich „relevante Person“ im islamistischen Milieu eingestuft (FAZ 2020, S. 4). In der islamistischen Szene in Berlin und Brandenburg gibt es seit Jahren eine hohe Zahl von Tschetschenen, die wiederum einen großen Anteil an den islamistischen Gefährdern ausmachen (FAZ 2020, S. 4). • Am 19.11.2019 erfolgte ein polizeilicher Zugriff der GSG 9 auf einen syrischen Flüchtling in Berlin. Dieser soll sich im Internet über den Bau von Bomben informiert und ausgetauscht haben sowie Bestandteile von Sprengstoff beschafft haben. „Zweck des Chatverkehrs soll die Vorbereitung von Terroranschlägen gewesen sein“, teilte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin mit (Berliner Morgenpost 2019). Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gegen den Syrer. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wird der Mann als radikaler Islamist eingestuft. Er soll seit Januar 2019 begonnen haben, Bauteile und Chemikalien für den Bau einer

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Bombe zu beschaffen. „Diese sollte zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an einem unbekannten Ort in Deutschland gezündet werden, um eine möglichst große Anzahl an Menschen zu töten und zu verletzen“, teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft mit (Berliner Morgenpost 2019). Unter anderem soll der Tatverdächtige im August Aceton und im September 2019 Wasserstoffperoxidlösung gekauft haben. Beide Chemikalien werden zur Herstellung des hochexplosiven Sprengstoffs Triacetontriperoxid (TATP) benötigt. Laut der Berliner Generalstaatsanwaltschaft soll der Syrer seit dem Frühjahr 2019 neun Mal in einer Messenger-Gruppe, die der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) nahesteht, Anleitungen zum Bau von Waffen und zum Herstellen von Sprengstoff ausgetauscht haben. Bei den Chats ging es demnach um Plastiksprengstoff, Paket- und Magnetbomben sowie „Türfallen mit Explosivstoffen”. Thema der Chats waren demnach auch Kalaschnikow-Sturmgewehre, Maschinenpistolen und weitere Schusswaffen (Berliner Morgenpost 2019). • Am 12.11.2019 wurden in Offenbach drei mutmaßliche Anhänger der terroristischen Organisation „Islamischer Staat“ (IS) festgenommen. Diese hatten offenbar einen islamistischen Anschlag mit Sprengstoff und Schusswaffen im Rhein-Main-Gebiet geplant. Beteiligt waren ca. 170 Beamte des Landeskriminalamts und des Polizeipräsidiums Südhessen sowie Spezialkräfte der Polizei Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sei der geplante Anschlag religiös motiviert gewesen, die Beschuldigten sollen sich in der Vergangenheit als Anhänger des IS zu erkennen gegeben haben (Die Welt 2019d). Der Staatsanwaltschaft zufolge handelt es sich bei den vorläufig Festgenommenen um einen 24 Jahre alten Deutschen mazedonischer Herkunft sowie einen 22 und einen 21 Jahre alten türkischen Staatsangehörigen. Der 24-jährige Hauptbeschuldigte ist dringend verdächtig. Ihm wird vorgeworfen, sich bereits Grundbestandteile zur Herstellung von Sprengstoff beschafft und im Darknet nach Schusswaffen gesucht zu haben. Die drei Verdächtigen seien bereits polizeibekannt gewesen (Die Welt 2019d). Unklar ist noch, ob die drei Islamisten möglicherweise von einer Kontaktperson des IS in Syrien oder im Irak angeleitet wurden. Die Verwandte eines Verdächtigen soll nach Syrien gereist sein, um sich dem IS anzuschließen (Die Welt 2019d). • Im April 2019 nahmen Spezialeinheiten der spanischen und marokkanischen Polizei in einer gemeinsamen Operation in Marokko einen marokkanischen Jihadisten fest, der während der Osterprozessionen oder zu den bevorstehenden spanischen Parlamentswahlen am 28.4.2019 Anschläge in Spanien verüben wollte (Kurier 2019). Nach Angaben mehrerer spanischer Medien plante der Marokkaner konkret einen Anschlag während der traditionellen Osterprozessionen in der Karwoche (Semana Santa) in der andalusischen

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Stadt Sevilla. Die spanischen Behörden hatten bereits Anfang April 2019 die Terror-Alarmbereitschaft erhöht, nachdem die islamistisch-terroristische Organisation „Islamischer Staat“ (IS) Anfang April in Video-Botschaften im Internet zu Anschlägen während der Karwoche in Spanien aufgerufen hatte (Kurier 2019; Goertz 2019a, S. 492). • Im März 2019 wurden bei Razzien in Hessen und Rheinland-Pfalz elf Salafisten festgenommen, drei von ihnen sollen nach Angaben der Staatsanwaltschaft einen Anschlag mittels eines Fahrzeugs sowie Schusswaffen geplant haben. Insgesamt waren ca. 200 Polizeibeamte des hessischen Landeskriminalamtes sowie polizeiliche Spezialkräfte aus mehreren Bundesländern an den Maßnahmen beteiligt, teilte eine Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft mit. Den festgenommenen Salafisten aus Frankfurt, Offenbach, Wiesbaden und Mainz wird Terrorismusfinanzierung und das Verabreden zu einem Verbrechen vorgeworfen (FAZ 2019b). Die Salafisten werden beschuldigt, einen islamistisch motivierten Anschlag geplant zu haben, um damit so viele „Ungläubige“ wie möglich zu töten. Zur Vorbereitung sollen die Salafisten bereits Kontakt zu Waffenhändlern aufgenommen, ein größeres Fahrzeug angemietet und Geld gesammelt haben. Bei den Durchsuchungen wurde umfangreiches Beweismaterial sichergestellt (FAZ 2019b). • Ende März 2019 wurde ein 42  Jahre alter irakischer Flüchtling von Spezialkräften der Polizei in Wien festgenommen. Laut Ermittlern steht er im dringenden Verdacht, am 7.10.2018 ein Stahlseil über die ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Nürnberg und München ­ gespannt zu haben (Tagesspiegel 2019). Zudem soll der irakische Islamist einen vergleichbaren Anschlag an Weihnachten 2018 auf eine Bahnstrecke in Karlshorst bei Berlin verübt haben. An beiden Tatorten wurden Bekennerschreiben in arabischer Sprache gefunden. Die Behörden stuften die beiden Taten als islamistische Anschläge ein. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft München, des bayerischen Landeskriminalamtes und des Berliner Polizeipräsidiums wurden in Deutschland und Österreich Haftbefehle gegen den irakischen Flüchtling, unter anderem wegen versuchten Mordes und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, erlassen. In sozialen Netzwerken soll der Iraker den islamistischen Anschlag von Nizza verherrlicht haben, bei dem am 14.7.2016 ein islamistischer Attentäter mit einem Lkw in eine Menschenmenge gefahren war und 86 Menschen tötete (Tagesspiegel 2019). • Im Januar 2019 nahmen verschiedene Polizeieinheiten, darunter die GSG 9, drei potenzielle islamistische Terroristen, drei irakische Flüchtlinge, im Kreis Dithmarschen in Schleswig–Holstein fest und verhinderten dadurch einen

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geplanten islamistischen Anschlag in Deutschland. Die drei Flüchtlinge hatten sich in den Wochen vor dem Zugriff Anleitungen zum Bau von USBV besorgt, Sprengversuche unternommen und versucht, Zünder zu beschaffen. Nach Angaben des Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, hatten die drei Iraker die Absicht, „möglichst viele Menschen zu töten“ (Süddeutsche Zeitung 2019b). Gegen zwei der Männer, Shahin F. und Hersh F., wird wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ermittelt. Rauf S. soll Beihilfe geleistet haben, indem er versuchte, eine Schusswaffe zu besorgen. Zudem hatten die drei Iraker erwogen, für ihren Anschlag ein Auto einzusetzen (Copycat der Anschläge von Nizza, Berlin, London und Stockholm). Erste Hinweise an die Polizei kamen vom Bundesamt für Verfassungsschutz, wie Innenminister Horst Seehofer berichtete. Der Bundesinnenminister lobte die gute Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern und wies darauf hin, dass die Sicherheitslage angespannt bleibe, ein terroristischer Anschlag könne jederzeit erfolgen (Süddeutsche Zeitung 2019b). • Im September 2018 erfolgte nach monatelangen Ermittlungen ein polizeilicher Zugriff auf sieben mutmaßliche Jihadisten in Rotterdam, Niederlande. Die sieben Jihadisten im Alter von 21 bis 34 Jahren sollen nach Angaben der Staatsanwaltschaft einen großen Terroranschlag geplant haben. „Eine terroristische Zelle ist ausgeschaltet worden“, sagte der niederländische Justizminister Ferdinand Grapperhaus (Die Welt 2019). Nach Angaben der Ermittler wollte die terroristische Zelle mit Sturmgewehren und Bombenwesten einen Anschlag auf ein Großereignis verüben, um „möglichst viele Opfer“ zu erzeugen. Zeitgleich sollte an einem anderen Ort eine Autobombe zur Explosion gebracht werden. Drahtzieher der terroristischen Zelle soll ein 34-jähriger Iraker sein, der in Arnheim wohnte. Er war bereits 2017 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, weil er sich dem „Islamischen Staat“ (IS) anschließen wollte. Ein Teil der Strafe war zur Bewährung ausgesetzt worden, auch zwei weitere der nun festgenommenen Männer waren aus diesem Grunde vorbestraft. Die Islamisten waren nach Angaben der Ermittler dabei, Kalaschnikows, Pistolen, Handgranaten, Bombenwesten und Grundstoffe für die Herstellung einer Autobombe (USBV) zu besorgen (Die Welt 2019). • Wegen der Vorbereitung eines jihadistischen Anschlags in Deutschland musste sich der 31-jährige Islamist Magomed Ali C. vor dem Berliner Kammergericht verantworten. Er soll Teil eines radikalen Jihadisten-Netzwerks und Komplize von Anis Amri gewesen sein. Einen Anschlag in Deutschland mit möglichst vielen Toten soll der angeklagte Magomed-Ali C. geplant haben.

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Möglicherweise hätte das Einkaufszentrum Gesundbrunnen-Center in Wedding mit über 30.000 Besuchern täglich das Ziel sein können, davon geht die Bundesanwaltschaft aus. Gemeinsam mit dem inzwischen in Frankreich inhaftierten Clement B. soll der 31-jährige Angeklagte in seiner Wohnung in Pankow „eine nicht unerhebliche Menge“ des hoch gefährlichen Sprengstoffs TATP (Triacetontriperoxid) aufbewahrt haben. Auch Anis Amri soll zeitweise an den Vorbereitungen dieses Terroranschlags beteiligt gewesen sein (rbb 2019). Im Jahr 2011 war Magomed-Ali C. über Dagestan nach Deutschland gekommen und schon damals soll er, so die Bundesanwaltschaft, Islamist gewesen sein. Im inzwischen verbotenen Berliner Fussilet 33-Moschee-Verein habe sich seine Gesinnung gefestigt und er habe zum Kreis der Anführer gehört. Als die Berliner Ausländerbehörde ihm im Juni 2015 die Ausreise nach Syrien verwehrte, soll er kurze Zeit später seinen Komplizen Clement B. nach Berlin geholt haben, um gemeinsam mit ihm einen Sprengstoffanschlag zu planen. Ende Oktober 2015 soll sein Komplize in Belgien einen Sprengstoffexperten des „Islamischen Staats“ (IS) getroffen haben, der auch die Anschläge in Paris am 13.11.2015 vorbereitet hatte. Die belgische Terrorzelle soll außerdem für weitere Anschläge in den Jahren 2015 und 2016 verantwortlich sein: Den von zwei US-Soldaten verhinderten Anschlag auf den ThalysSchnellzug zwischen Amsterdam und Paris, in dem ein schwer bewaffneter Islamist im August 2015 mindestens einen Schuss abgab und die Anschläge auf dem Brüsseler Flughafen und in der Innenstadt, bei denen im März 2016 35 Menschen durch die Selbstmordattentate ums Leben kamen (rbb 2019). Am 22.8.2018 wurde Magomed Ali C. von der GSG 9, von Beamten des Bundeskriminalamts und des Berliner Landeskriminalamts festgenommen. 40 Verhandlungstage sind derzeit für den Prozess gegen Magomed-Ali C. terminiert, kurz vor Weihnachten 2019 ist das Urteil geplant (rbb 2019). • Am 12.6.2018 wurde der islamistische Terrorist Sief Allah H. von Spezialkräften der Polizei Nordrhein-Westfalen festgenommen und dadurch ein islamistischer Anschlag mit Rizin verhindert. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes habe es schon „konkrete Vorbereitungen“ gegeben, nach Angaben des BKA-Präsidenten Holger Münch „ein in Deutschland einmaliger Vorgang“ (Tagesspiegel 2018). Sief Allah H. hatte bereits begonnen, Rizin herzustellen und Material für den Bau eines Sprengsatzes besessen. Rizin ist ein hochgiftiger biologischer Kampfstoff.  Die Bundesanwaltschaft nannte weitere Details. So wurden bei Allah H. 84,3 Milligramm Rizin und 3150 Rizinussamen sichergestellt. Der Jihadist habe alle Rizinussamen über einen Internetversandhandel bestellte, erklärte die Bundesanwaltschaft. Bei der Razzia wurden außerdem 250 Metallkugeln, Drähte

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mit aufgelöteten Glühbirnen und 950 g einer Mischung aus Aluminiumpulver und Substanzen aus Feuerwerkskörpern gefunden (Tagesspiegel 2018). Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft hat Sief Allah H. 2017 zweimal versucht, über die Türkei nach Syrien zu reisen, zur jihadistischen Organisation „Islamischer Staat“. Die Bundesanwaltschaft ermittelte seit dem 12.6.2018 gegen Sief H. wegen des dringenden Verdachts auf einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und des Anfangsverdachts auf die Vorbereitung einer schweren, staatsgefährdenden Gewalttat. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wollte Sief Allah H. „an einem geschlossenen und belebten Ort einen Sprengsatz mit einer mit Rizin präparierten Splitterladung zünden“ (Die Welt 2019b). Ab Mitte Mai 2018 begann Sief Allah H. damit, die für die Gewinnung von Rizin notwendigen Gerätschaften und Substanzen zu beschaffen. Unter anderem erwarb er bei einem Internetversandhändler 1000 Rizinussamen sowie eine elektrische Kaffeemühle. Anfang Juni 2018 setzte der Beschuldigte sein Vorhaben um und stellte erfolgreich Rizin her. Dieses konnte bei dem Beschuldigten sichergestellt werden (Generalbundesanwalt 2018). Entscheidende nachrichtendienstliche Hinweise auf den terroristischen Anschlagsplan von Sief Allah H. hatten die deutschen Sicherheitsbehörden von einem US-amerikanischen Nachrichtendienst erhalten. Der salafistische Terrorist Sief Allah H. wurde am 26.3.2020 vom Düsseldorfer Landesgericht schuldig für die Herstellung einer biologischen Waffe und Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat gesprochen und in erster Instanz zu zehn Jahren Haft verurteilt. • Im Mai 2018 haben französische Ermittler mit der Festnahme eines Jihadisten Anschlagspläne gegen einen Swingerclub in Paris vereitelt. „Ein improvisierter Sprengsatz wurde am 13.5.2018 in seiner Wohnung gefunden und der Mann hat zugegeben, dass er ihn gegen einen Swingerclub einsetzen wollte” (Süddeutsche 2019). Der Jihadist wurde in Untersuchungshaft genommen. • Am 26.4.2018 nahm die italienische Polizei in Neapel einen 21-jährigen Gambier fest, der einen islamistischen Anschlag mit einem Auto in eine Menschenmenge geplant hatte. Der Jihadist habe sich auf den „Islamischen Staat“ (IS) berufen und soll auf einem Video dem selbst ernannten „Kalifen“ und Anführer des „Islamischen Staats“, Abu Bakr Al-Bagdadi, die Treue geschworen haben. Das Video sei über den Messaging-Dienst Telegram verschickt worden; auf diesem Wege habe er auch die Aufforderung zum Attentat bekommen. Der Gambier war im März 2017 von einem Flüchtlingsboot im Mittelmeer gerettet worden (Reuters 2018).

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• Im Oktober 2017 hatte der islamistische Terrorist Yamen A. in Mecklenburg-Vorpommern einen Anschlag mit einer Unkonventionellen ­ Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) geplant. Der Prozess ergab, dass Yamen A. über 200 Menschen mit der USBV töten wollte. 50 bis 100 Kilo Ammoniumnitrat, vermischt mit Benzin, wollte er dafür einsetzen. Mehrfach versuchte er den hochexplosiven Sprengstoff TATP herstellen. Die Chemikalien, ein Funkgerät für die Fernzündung und alle weiteren Zutaten beschaffte Yamen A. über das Internet. Der Anschlag vom Ausmaß früherer Anschläge in London und Paris sollte in der Nähe seines Aufenthaltsorts Schwerin verübt werden und die „Ungläubigen“ treffen (Welt 2019c). Mit diesem Tatplan hat sich Yamen A. nach Überzeugung des Oberlandesgerichts Hamburg der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat schuldig gemacht. Der Staatsschutzsenat verurteilte ihn im November 2018 zu sechseinhalb Jahren und ging damit ein Jahr über die Forderung der Bundesanwaltschaft hinaus. Yamen A. bestätigte vor Gericht sein Interesse an der jihadistischen Organisation „Islamischer Staat“ (IS). Weiter räumte er ein, sich ein Video mit einer Anleitung zur Sprengstoffherstellung besorgt, die nötigen Zutaten über Amazon gekauft und einmal versucht zu haben, TATP herzustellen. Indem der Bundesgerichtshof die Revision von Yamen A. zurückwies, wurde das Urteil aus erster Instanz rechtskräftig (Welt 2019c). • Bei einem Anschlagsversuch am 20.6.2017 in Brüssel versuchte ein 36-jähriger Marokkaner, einen jihadistischen Anschlag im Brüsseler Hauptbahnhof mit einer Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) zu verüben. Er löste eine Explosion mit einer mit Nägeln und Gasflaschen gefüllten Kofferbombe aus, die aber niemanden verletzte. Anschließend rannte er mit den Worten „Allahu akbar“ (Arabisch für „Gott ist groß“) auf einen belgischen Soldaten zu, der ihn mit mehreren Schüssen aufhielt, der Tatverdächtige starb an seinen Schussverletzungen. Die belgische Staatsanwaltschaft stufte den versuchten Anschlag als „terroristischen Angriff“ ein (FAZ 2017b). • Im April 2017 plante ein marokkanischer Flüchtling einen islamistischen Anschlag auf die russische Botschaft in Berlin (Die Zeit 2017). Dem 24-jährigen Marokkaner wurde auch vorgeworfen, für eine Bombendrohung gegen eine Berufsschule in Borsdorf verantwortlich zu sein. Laut Polizei hatte ein Unbekannter zwei Schülern vor dem Bildungs- und Technologiezentrum der Handwerkskammer in Borsdorf gesagt, sie sollten nicht in die Schule gehen, da er eine Bombe im Rucksack habe. Dann betrat er das Schulgelände und verschwand. Die Schüler informierten die Schulleitung, die Polizei startete einen Großeinsatz, evakuierte das Gebäude, fand bei einer Durchsuchung allerdings nichts (Die Zeit 2017).

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• Kurz vor der Präsidentschaftswahl 2017 in Frankreich konnten polizeiliche Spezialkräfte einen islamistischen Anschlag in Marseille verhindern. Bei zwei Jihadisten wurden Waffen, drei Kilogramm Sprengstoff und IS-Fahnen sichergestellt. Die beiden Jihadisten hatten Sprengstoff vom Typ TATP bei sich, außerdem eine Handgranate, eine Maschinenpistole, mehrere weitere Waffen sowie Munition, sagte der Antiterrorstaatsanwalt François Molins bei einer Pressekonferenz in Paris. TATP war auch bei den Pariser Terroranschlägen vom 13.11.2015 verwendet worden. Der 22-jährige Clément B. und der 29-jährige Mahiedine M. hätten Molins zufolge eine „gewaltsame Aktion“ auf französischem Territorium geplant, die „unmittelbar“ bevorgestanden habe (Die Zeit 2017b). • Im Februar 2017 verhinderten polizeiliche Spezialkräfte durch einen Zugriff auf einen Deutsch-Russen in Lippstadt einen Anschlag. Der Jihadist wollte mit dem Sprengstoff Triacetonperoxid (TATP) einen Anschlag verüben. Bei der Durchsuchung seines Hotelzimmers wurden Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoff (TATP) entdeckt sowie Unterlagen, die auf eine Nähe zur Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) hindeuten. Ein Richter erließ gegen den Jihadisten Haftbefehl wegen der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat. Der Jihadist war bereits vor seiner Festnahme als Gefährder eingestuft und observiert worden. Er soll sich im Umfeld des inhaftierten Islamisten Abu Walaa bewegt und dessen islamistische Moschee in Hildesheim besucht haben. Dort hatte auch der Attentäter von Berlin 2016, Anis Amri, verkehrt (Goertz 2019a, S. 493–494). • Am 26.11.2016 versuchte ein zwölfjähriger Deutsch-Iraker eine Nagelbombe auf einem Ludwigshafener Weihnachtsmarkt in der Nähe des Rathauses zu zünden. Als der Sprengsatz nicht zündete, legte ihn der damals Zwölfjährige in ein Gebüsch nahe dem Rathaus von Ludwigshafen (Welt 2016). Die Bundesanwaltschaft bestätigte kurz darauf Ermittlungen wegen des Bombenfundes. Nach Angaben der polizeilichen Ermittler soll der Tatverdächtige stark religiös-politisch radikalisiert gewesen sein und von einem unbekannten Mitglied der der terroristischen Organisation „Islamischer Staat“ angestiftet bzw. angeleitet worden sein (Welt 2016). In einem Prozess gegen einen anderen Tatverdächtigen erklärte der Deutsch-Iraker, dass das Ziel im November 2016 zunächst ein Bus gewesen sei (Welt 2018b). Er hatte nach eigenen Worten bereits einen Sprengkörper dabei, aber die Zündung habe nicht funktioniert. Danach habe er eine Kirche als Anschlagsort ausgewählt, doch an dem Tag des geplanten Anschlages verschlafen. Dabei habe er nach dem Vorbild des IS auch daran gedacht, dem Pfarrer die Kehle durchzuschneiden.

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Der Weihnachtsmarkt als Anschlagziel sei eigentlich nicht erste Wahl gewesen (Welt 2018b). • Im November 2016 wurde durch einen polizeilichen Zugriff auf einen deutsch-türkischen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein Anschlag auf die Dienststelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln-Chorweiler verhindert (Tagesspiegel 2016). Gegen den 51-jährigen ­ Innentäter wird wegen Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, der versuchten Verletzung von Dienstgeheimnissen und des Bereiterklärens zur Begehung eines Verbrechens ermittelt. Ihm wird vorgeworfen, sich im Internet gegenüber einem Chatpartner als Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz offenbart und unter anderem Details zu Einsätzen mitgeteilt zu haben. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll der Beschuldigte darüber hinaus dem Chatpartner vorgeschlagen haben, Gleichgesinnten Zugang zur Zentrale des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln-Chorweiler für eine Gewalttat gegen „Ungläubige“ zu ermöglichen, da dies „sicher im Sinne Allahs“ sei und er „zu allem bereit sei, um den Brüdern zu helfen“ (Tagesspiegel 2016). • Kosovarische Polizeieinheiten verhinderten einen islamistischen Anschlag auf das Fußball-WM-Qualifikationsspiel zwischen Albanien und Israel am 12.11.2016. Dabei wurden 19 mutmaßliche islamistische Terroristen festgenommen. Die vereitelten Anschläge sollen von Islamisten aus Syrien koordiniert worden sein (Die Welt 2016d). • Der syrische Flüchtling Jabr Al Bakr hatte im Oktober 2016 einen Sprengstoffanschlag auf einen Berliner Flughafen geplant. In der Wohnung fand die Polizei ca. 500 g des Explosivstoffs Triacetontriperoxid (TATP), weitere Chemikalien sowie Bauteile, die zur Herstellung eines Sprengkörpers geeignet waren. Am Abend des 12.10.2016 wurde Al Bakr erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Er hatte sich mit seinem T-Shirt am Vorgitter der Zelle stranguliert (Die Zeit 2016c). • Im August 2016 nahm die italienische Polizei einen tunesischen Islamisten fest, der einen Anschlag auf den Schiefen Turm von Pisa geplant hatte (N-TV 2016). • Im Juni 2016 konnten die deutschen Sicherheitsbehörden erstmals eine mutmaßliche Schläferzelle der jihadistischen Organisation „Islamischer Staat“ ausheben. Vier syrische Flüchtlinge hatten nach Erkenntnissen der ermittelnden Bundesanwaltschaft den Auftrag, in der Düsseldorfer Altstadt einen schweren Anschlag zu verüben. Verschiedene Polizeieinheiten nahmen im brandenburgischen Bliesdorf, in Mülheim/Ruhr (Nordrhein-Westfalen) und in Leimen (Baden-Württemberg) drei mutmaßliche Jihadisten fest. Nach

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Angaben des damaligen Innenministers von Nordrhein-Westfalen gab es Planungen für zeitgleiche Anschläge an mehreren Orten in der Stadt (Tagesspiegel 2016b). • Der „Islamische Staat“ (IS) wollte im Jahr 2016 einen großen islamistischen Anschlag in Deutschland verüben. Drei Zellen mit potenziellen Attentätern sollten offenbar nach Deutschland geschleust werden. Die Planungen für den Anschlag wurden durch die Ermittlungen deutscher Sicherheitsbehörden und den Zerfall des IS durchkreuzt (Süddeutsche 2018). Als eines der möglichen Ziele hatte der IS womöglich ein Musikfestival in Deutschland ausgesucht. Die Bundesanwaltschaft ermittelt in dieser Sache gegen die beiden deutschen Islamisten Marcia M. und Oguz G. Das Ehepaar hatte sich im Oktober 2017 in Raqqa ergeben und sitzt seither in kurdischen Gefangenenlagern in Nordsyrien ein. „Wir haben sehr frühzeitig von den Anschlagsplanungen erfahren“ sagte Generalbundesanwalt Peter Frank, die Faktenlage sei „sehr konkret und belastbar“ gewesen (Süddeutsche 2018). • Belgische Polizeieinheiten nahmen am 18.6.2016 drei Islamisten fest, die einen Anschlag auf Fußballfans des Spieles Belgien gegen Irland in Brüssel geplant hatten (FAZ 2016b). Die meisten Razzien fanden im Großraum Brüssel statt, unter anderem in den Gemeinden Molenbeek, Schaerbeek und Forest – die Brennpunktviertel gelten als Hochburgen der belgischen Islamistenszene und stehen seit den Pariser Anschlägen im November und den Brüsseler Anschlägen im März unter verstärkter Beobachtung. Weitere Razzien gab es unter anderem in Zaventem am Brüsseler Flughafen sowie in Fleurus unweit des zweitgrößten belgischen Flughafens Charleroi (FAZ 2016b). • Zwei afghanische Flüchtlinge wurden im Mai 2016 von der italienischen Polizei festgenommen. Die afghanischen Jihadisten hatten Anschläge in Großbritannien und in Italien geplant. Mögliche terroristische Ziele waren Restaurants und Hotels in London und das Kolosseum in Rom (FOCUS 2016). • Nach einem wiederholten Versuch nach Syrien auszureisen und sich dem „Islamischen Staat“ anzuschließen, wurde am 2.11.2015 ein Islamist festgenommen, der einen Anschlag auf eine französische Marine-Basis in Toulon geplant hatte (Hamburger Morgenpost 2015). • Spanische Spezialkräfte nahmen am 3.11.2015 drei marokkanische Staatsbürger fest, die einen islamistischen Anschlag, „ähnlich wie bei ‚Charlie Hebdo‘“, in der spanischen Hauptstadt Madrid geplant hatten (Express 2015). • Ein englischer Jihadist hatte im April 2015 geplant, US-amerikanische und englische Soldaten in England zu töten. Dazu wollte er einen Autounfall vor-

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täuschen und dann die Soldaten mit Messern und einem Sprengsatz angreifen (BBC 2016). • Im Dezember 2012 plante der islamistische Terrorist, der Konvertit Marco G. einen Sprengstoffanschlag im Bonner Hauptbahnhof. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte Marco G. dafür zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere seiner Schuld fest (Süddeutsche Zeitung 2017c). Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verhandelte den Fall für mehr als zweieinhalb Jahre. Durch die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld ist seine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen. Am 10.12.2012 war ein Sprengsatz an Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs entdeckt worden, Polizisten machten die USBV mit einem Wassergewehr unschädlich (Süddeutsche Zeitung 2017c). Drei Mitangeklagte, Enea B., Koray D. und Tayfun S. wurden zu Haftstrafen zwischen neuneinhalb und zwölf Jahren verurteilt. Die Generalbundesanwältin Duscha Gmel nannte die vier Täter „menschenverachtende Terroristen“: „Nur durch viel Glück und die gute Arbeit der Ermittler ist nichts passiert“ (NWZ 2017). • Im April 2011 nahmen verschiedene Polizeieinheiten nach sechs Monaten Observierung in Düsseldorf und Bochum drei mutmaßliche Mitglieder der Al Qaida („Düsseldorfer Zelle“) fest, die seit Dezember 2010 einen Sprengstoffanschlag in Deutschland vorbereitet haben sollen. Der Düsseldorfer Zelle wurde vom 25.7.2012 bis zum 13.11.2014 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf der Prozess gemacht. Als Düsseldorfer Zelle wird eine Gruppe von drei Al Qaida-Mitgliedern und einem weiteren Islamisten bezeichnet, der als Unterstützer ihrer terroristischen Vereinigung fungiert haben soll. Drei Jihadisten der Düsseldorfer Zelle wurden am 29.4.2011 nach Hinweisen des US-Nachrichtendienstes NSA und einer Phase behördlicher Überwachung von der GSG 9 in ihren Wohnungen in Düsseldorf-Bilk und in Bochum-Querenburg festgenommen, der vierte Mann wurde später gefasst. Die Düsseldorfer Gruppe hatte geplant, durch einen Sprengstoffanschlag ein Massaker anzurichten (Goertz 2019a, S. 494). Mit dem Urteil vom 13.11.2014 hat der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf den 33-jährigen marokkanischen Staatsangehörigen Abdeladim E.-K., den 34-jährigen deutsch-marokkanischen Staatsangehörigen Jamil S. sowie den 23-jährigen deutsch-iranischen Staatsangehörigen Amid C. wegen der Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung „Al Qaida“ zu Freiheitsstrafen von neun Jahren, sieben Jahren und fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der 30-jährige Deutsche Halil S. wurde wegen Unterstützung der „Al Qaida“ und Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die Taten der Angeklagten sind strafbar gem. §§ 129b Abs. 1 i.V. m.

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§ 129a Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 5, § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1 sowie §§ 263 ff. StGB (OLG 2014). Nach der Überzeugung des Staatsschutzsenates stand fest, dass sich Abdeladim E.-K. Anfang 2010 in einem Ausbildungslager der Al-Qaida im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aufgehalten hatte und dort u. a. die Herstellung von Sprengstoffen und Zündvorrichtungen erlernte. Mit dem Auftrag der Al-Qaida-Führung, in Deutschland terroristische Anschläge zu verüben, kehrte er im Jahr 2010 nach Düsseldorf zurück. Dort rekrutierte er die weiteren Angeklagten zur Umsetzung der Anschlagspläne (OLG 2014). In der Folgezeit informierte sich E.-K. umfassend über die Konstruktion von Sprengsätzen und begann mit der Herstellung von Sprengstoffen. Jamil S. und Amid C. übernahmen logistische Aufgaben für die Gruppe. Die Angeklagten E.-K. und Jamil S. wurden einige Zeit durch die Ermittlungsbehörden überwacht. Nach dem Versuch, die Chemikalie Hexamin für Sprengstoff zu gewinnen, wurden sie und Amid C. im April 2011 in Düsseldorf festgenommen (OLG 2014). • Am 4.9.2007 wurde die sogenannte „Sauerland-Gruppe“ – nach langer und intensiver Observation – festgenommen, es handelte sich dabei um einen verhinderten Sprengstoff-Anschlag. Die vier Jihadisten wurden von den Sicherheitsbehörden als deutscher Ableger der „Islamic Jihad Union“ (IJU) bewertet, einer mit der Al Qaida verbündeten usbekischen Terrororganisation. Am 4.3.2010 wurden die vier Mitglieder der „Sauerland-Gruppe“ zu Haftstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren verurteilt. Die vier Jihadisten hatten sich in Pakistan von der Islamischen Dschihad Union (IJU) ausbilden lassen und waren dort beauftragt worden, in Deutschland Anschläge zu verüben (WDR 2010). Die vier Jihadisten wurden der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, Verabredung zum Mord, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, Vorbereitung eines Explosionsverbrechens und Nötigung von Verfassungsorganen schuldig gesprochen. Im Fall von S. kam hinzu, dass er sich des versuchten Mordes gegenüber einem Polizisten strafbar gemacht hat, als er fliehen wollte. Die „Sauerland-Gruppe“ hatte beabsichtigt, US-Soldaten in Deutschland mit „Autobomben“ (USBV) zu töten (WDR 2010). • Im November 2006 sollte am Flughafen Frankfurt Main ein Verkehrsflugzeug der israelischen Fluggesellschaft El Al in die Luft gesprengt werden. Den deutschen Sicherheitsbehörden gelang es, die Täter rechtzeitig zu verhaften, bevor die USBV in einem Koffer in Frankfurt am Main an Bord eines Flugzeuges geschmuggelt werden konnte (DW 2018). • Im Juli 2006 – zur Weltmeisterschaft in Deutschland – hatten zwei junge Libanesen Sprengstoffanschläge auf Regionalzüge geplant, die

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2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

vom Kölner Hauptbahnhof abfuhren. Ein libanesisches Strafgericht verurteilte im Dezember 2007 einen der beiden Attentäter zu zwölf Jahren Haft. Der Angeklagte Jihad H. hatte gestanden, im Juli 2006 im Kölner Hauptbahnhof Sprengsätze in Regionalzügen deponiert zu haben. Nur ein handwerklich-technischer Fehler verhinderte, dass die „Kofferbomben“ ­ (USBV) in den Zügen nach Hamm und Koblenz ein Blutbad unter den Reisenden anrichteten. H. war nach den gescheiterten Anschlägen am 31.7.2006 in den Libanon geflüchtet. Die Bundesanwaltschaft klagte Youssef Mohamed E.H. wegen versuchten Mordes in vielen Fällen und wegen eines versuchten Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion an (Die Welt 2007). Youssef Mohamed E.H. und H. wollten einen Anschlag aus Rache für die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen begehen. „Ihr Plan sah vor, zwei aufeinander abgestimmte Bombenanschläge zu begehen und sich danach ins Ausland abzusetzen“, sagte Bundesanwalt Horst Salzmann. Videoaufnahmen vom Kölner Hauptbahnhof zeigen, wie E.H. und H. am Mittag des 31.7.2006 mit ihren Trolleys in die beiden Regionalzüge steigen. Nur ein technischer Defekt verhinderte die Explosionen der USBV. Technisch hätten die USBV einen ganzen Waggon in Sekundenbruchteilen in eine Flammenhölle verwandeln können (Die Welt 2007). Polizeiliche Spezialisten an den Hauptbahnhöfen Dortmund und Koblenz entschärften die Bomben, nachdem das Fahrpersonal auf die Koffer gestoßen war. Auf die Spur kamen die Ermittler den beiden Männern durch die Videobänder der Überwachungskamera. Rund zweieinhalb Jahre nach den versuchten Kofferbomben-Anschlägen auf zwei Regionalzüge verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf den 24-jährigen Libanesen Youssef E.H. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. • Im Dezember 2004 wollten islamistische Terroristen den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi während seines Besuches in Deutschland töten. Beamte des Bundeskriminalamts und andere Polizeieinheiten nahmen in Berlin, Stuttgart und Augsburg drei Iraker fest, die der jihadistischen Organisation Ansar Al Islam zugerechnet werden. Es habe „eine erhebliche Gefährdung“ für Allawi bestanden, erklärte der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm. Die jihadistische Organisation Ansar Al Islam war für zahlreiche Anschläge im Irak verantwortlich. Zum Zeitpunkt des geplanten Anschlages – 2004 – schätzten die deutschen Verfassungsschutzbehörden die jihadistische Organisation Ansar Al Islam auf etwa 100 Anhänger (Tagesspiegel 2004a). Am 22.9.2009 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15.7.2008, durch das die Angeklagten Ata A. R., Rafik M. Y. und Mazen S. M. wegen der Beteiligung als Mitglieder an der irakischen terroristischen Vereinigung

2.3  Von Sicherheitsbehörden vereitelte islamistisch-terroristische …

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Jaish Ansar Al Sunna in Deutschland und wegen versuchter Beteiligung an der Ermordung des früheren Ministerpräsidenten des Irak in Berlin zu Freiheitsstrafen von zehn, acht bzw. sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden waren (Bundesgerichtshof 2009). Die aus dem Irak stammenden Angeklagten hatten sich zwischen November 2003 und Anfang Dezember 2004 als Mitglieder an der im Irak operierenden terroristischen Vereinigung Jaish Ansar Al Sunna an terroristischen Anschlagsszenarien beteiligt. Die verurteilten Terroristen wollten am Vormittag des 3.12.2004 den damaligen Ministerpräsidenten des Irak beim Betreten oder Verlassen eines Gebäudes in Berlin mit einer Schusswaffe oder mittels einer Sprengstoffexplosion ermorden. Hierzu kam es nicht, weil die Angeklagten in den frühen Morgenstunden des 3.12.2004 festgenommen wurden. • Im März 2003 verhinderten deutsche Polizeien und deutsche Nachrichtendienste islamistische Anschläge, die der Tunesier Ihsan G. in Berlin gegen US-amerikanische und jüdische Einrichtungen geplant hatte. Am Nachmittag des 20.3.2003 wurde in Berlin-Charlottenburg der Tunesier Ihsan G. festgenommen, der nach Erkenntnissen der deutschen Sicherheitsbehörden für den Abend ein Selbstmordattentat bei einer Friedensdemonstration geplant hatte. Ein Freund des Tunesiers Ihsan G. äußerte am 15.3.2003 in der ­Berlin-Neuköllner Al-Nur-Moschee „während der Demo zum Tag X, die ja 18 Uhr stattfinden wird, wird jemand etwas im Namen Gottes tun, weil dieser sein Leben für Gott geben will“ (Tagesspiegel 2004b). Am 20. 3.2004 versammelten sich um 18 Uhr ca. 70.000 Menschen auf dem Alexanderplatz, um gegen die in der Nacht von den US-Streitkräften gestarteten Offensive auf den Irak zu demonstrieren. Generalbundesanwalt Kay Nehm hat im Januar 2004, wie berichtet, Ihsan G. angeklagt. Dem damals 33-jährigen Ihsan G. werden die versuchte Bildung einer terroristischen Vereinigung und weitere Delikte vorgeworfen. Der Bundesgerichtshof hat durch Beschluss vom 8.2.2006 die Revision des Angeklagten Ihsan G. gegen das Urteil des Berliner Kammergerichts vom 6.4.2005 als unbegründet verworfen. Ihsan G. war zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. • Im April 2002 wurden islamistische Terroristen, Mitglieder der Al ­Qaida-nahen Organisation Al Tawhid, verhaftet, die islamistische Anschläge in Berlin und in Düsseldorf geplant hatten. „Ich selbst habe Informationen über zwei Anschlagsorte gesammelt“, gestand ein mutmaßlicher Terrorist vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht. Er war nach eigenen Angaben zeitweise Leibwächter Osama bin Ladens und in Al Qaida-Lagern in Afghanistan für Terroranschläge geschult worden. Im Prozess wurde enthüllt, dass in Düsseldorf eine von Juden besuchte Discothek in der Altstadt und eine von einer

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2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

Jüdin geführte Gaststätte im Visier gewesen sein sollen, in Berlin das Jüdische Museum. Potenzielle Wirkmittel waren Handgranaten und eine „Autobombe“ (USBV). Die deutsche Polizei hatte verdächtige Telefonate mitgeschnitten und den Angeklagten daraufhin im April 2002 festgenommen (Tagesspiegel 2016c). • Im Dezember 2000 konnten verschiedene Polizeien und Nachrichtendienste einen islamistischen Anschlag von vier algerischen Jihadisten mit einer „Nagelbombe“ auf den Straßburger Weihnachtsmarkt verhindern. Die angeklagten Jihadisten wurden zu Gefängnisstrafen zwischen zehn und zwölf Jahren verurteilt. Mit dem Anschlag in der Europa-Stadt hätten die Angeklagten „den Lebensnerv einer freien, westlichen Gesellschaft treffen und sehr viele Menschen töten wollen“, erklärte der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung (Spiegel 2003). Ziel des geplanten Anschlags waren christliche Symbole wie das Straßburger Münster und der Weihnachtsmarkt. Die vier algerischen Jihadisten waren Ende 2000 nach Hinweisen eines ausländischen Nachrichtendienstes in Frankfurt festgenommen worden. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung waren Zünder und große Mengen Chemikalien gefunden worden, die zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden (Spiegel 2003). Auf einem sicher gestellten Video-Band war das Straßburger Münster und der davor liegende Platz zu sehen, auf dem der Weihnachtsmarkt abgehalten wird. Die vier Jihadisten waren in afghanischen Camps terroristisch geschult und auf den weltweit zu führenden „Heiligen Krieg“ gegen die „Feinde Gottes“ vorbereitet worden. Für den geplanten Anschlag in Straßburg hatten sich die Jihadisten Chemikalien zur Mischung von über sechs Kilogramm Sprengstoff besorgt. Die hier untersuchten, von deutschen und anderen Sicherheitsbehörden verhinderten islamistisch-terroristischen Anschläge verdeutlichen das qualitative und quantitative Risiko für zukünftige islamistisch-terroristische Anschläge in Deutschland und Europa. Neben den oben aufgeführten verhinderten Anschlägen in Deutschland gab es nach Aussagen des Bundeskriminalamtes noch weitere Anti-Terror-Einsätze in Deutschland, über die das Bundeskriminalamt aber aus einsatztaktischen Gründen keine weitere Auskunft geben will. Nach dem polizeilichen Zugriff der GSG 9 auf die Zelle von irakischen Flüchtlingen im Kreis Dithmarschen im Januar 2019 betonte der Bundesminister des Innern, Horst Seehofer, dass „die Sicherheitslage angespannt bleibt. Ein terroristischer Anschlag kann jederzeit erfolgen“ (Süddeutsche Zeitung 2019b). In weiteren Fällen führten in den Jahren 2017 und 2018 vorgenommene polizeiliche Festnahmen im Zusammenhang mit der Planung und Vorbereitung

2.4  Das von internationalen Jihadisten …

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mutmaßlicher islamistisch motivierter Anschlagsvorhaben zusätzlich auch zu erfolgreichen Abschiebungen nach § 58a Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz lässt die derzeitige Entwicklung des islamistischen Terrorismus vorerst keine Anzeichen dafür erkennen, dass sich die Bedrohungslage in näherer Zukunft entspannt (BfV 2017). Vor diesem Hintergrund muss grundsätzlich damit gerechnet werden, dass es erneut zu einem Anschlag bzw. einem Attentat kommen kann. Nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz stehen neben den Gefahren durch Einzeltäter weiterhin mögliche konspirative Einreisen von Mitgliedern terroristischer Organisationen innerhalb der Migrationsbewegung nach Europa im Fokus der Sicherheitsbehörden. Daneben liegt das Augenmerk auf Rückkehrern aus den Kampfgebieten in Syrien und im Irak, die nach ihrer Wiedereinreise eine mögliche Gefahr darstellen. Diese Gefahr könnte auch von zurückkehrenden Ehefrauen und Kindern der Jihad-Reisenden ausgehen. Zumindest die Propaganda des IS weitet die Pflicht zum Jihad auch auf Frauen und Kinder aus (BfV 2017).

2.4 Das von internationalen Jihadisten (Foreign Fighters) ausgehende Bedrohungspotenzial Mehr als 40.000 internationale Jihadisten, Foreign Fighters, aus 110 Ländern kämpfen seit 2011 für die jihadistischen Großorganisationen IS und Al Qaida sowie kleinere jihadistische Milizen im Bürgerkrieg in Syrien. Mit der Proklamation des Neo-Kalifats des „Islamischen Staats“ im Sommer 2014 war eine neue Ära der islamistisch-jihadistischen Rekrutierung und Radikalisierung angebrochen. Über 40.000 Individuen aus über 100 Ländern – darunter ca. 6500 aus Tunesien, 2500 aus der Türkei, 2500 aus Saudi-Arabien, 2000 aus Tschetschenien und Russland sowie Tausende aus westlichen Demokratien – haben sich als Foreign Fighters dem IS, der Al Qaida und anderen jihadistischen Organisationen in Syrien und im Irak angeschlossen (Goertz 2020). Nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind Foreign Fighters, auch Foreign Terrorist Fighters (FTF) genannt, Individuen, die ihr Heimatland verlassen haben, sich in Kriegs- und Konfliktgebieten terroristischen Organisationen anschließen und für diese aktiv kämpfend oder unterstützend tätig werden (OSCE 2018, S. 8). Internationale terroristische Foreign Fighters sind seit dem Ende des 20. Jahrhunderts (Afghanistan-Krieg, Bosnien-Krieg, Tschetschenien-Krieg) kein neues Phänomen, allerdings haben sowohl die aktuelle Quantität als auch die Qualität

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2  Analyse der aktuellen Bedrohung …

jahrelanger ­terroristisch-taktischer Ausbildung und Kampfes eine neue Qualität der Bedrohung erreicht (Goertz 2020). Das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) veröffentlichte im Juli 2018 genauere Daten zu den 41.490 Foreign Fighters in Syrien und im Irak. Davon waren 32.809 Männer, 4761 Frauen und 4640 Kinder (BBC 2019). Von diesen mehr als 40.000 Foreign Fighters kamen 18.852 aus dem Mittleren Osten und Nord-Afrika, 7252 aus Ost-Europa, 5965 aus Zentral-Asien, 5904 aus West-Europa, 1010 aus Ost-Asien, 1063 aus Süd-Ost-Asien, 753 aus Nord- und Süd-Amerika, Australien und Neu Seeland, 447 aus Süd-Asien und 244 aus Sub-Sahara-Afrika (BfV 2019; Goertz 2020). EUROPOL analysiert, dass 20 % bis 30 % der europäischen Jihadisten mittlerweile wieder in ihre Ursprungsländer, z. B. Österreich, Belgien, Finnland, Frankreich und Italien zurückgekehrt sind (EUROPOL 2019, S. 42). Nur ca. 18 % der europäischen Jihadisten sind in die Niederlande und nach Spanien zurückgekehrt. Großbritannien und Deutschland haben europaweit die meisten Jihad-Rückkehrer, Deutschland 33 % und Großbritannien 45 % (EUROPOL 2019, S. 42). Offiziell von deutschen Sicherheitsbehörden detektiert und veröffentlicht wurden über 1.060 der internationalen IS-Kämpfer in Syrien und im Irak dabei alleine aus Deutschland rekrutiert, aber die Dunkelziffer könnte deutlich höher liegen (BfV 2020). Die deutschen Verfassungsschutzbehörden konstatieren seit spätestens 2012 einen ungebrochenen Zulauf zur salafistischen und jihadistischen Szene in Deutschland und Europa (MfI 2016, S. 18, 20–23). Mit Stand vom März 2020 liegen den deutschen Verfassungsschutzbehörden Erkenntnisse zu mehr als 1.060 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort aufseiten des IS und anderer jihadistischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen (BfV 2020). Etwa ein Viertel der 1.060 ausgereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt ausgereisten Personen war zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 30 Jahre (BfV 2020). Ca. ein Drittel der von Deutschland nach Syrien und den Irak ausgereisten 1060 Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu über 100 der bislang zurückgekehrten Jihadisten liegen den deutschen Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Diese über 100 nach Deutschland zurückgekehrten Jihadisten stehen unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Die Zahl bisheriger Verurteilungen aus Syrien und dem Irak zurückgekehrter Personen bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich (BfV 2020).

2.4  Das von internationalen Jihadisten …

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Ferner liegen zu ca. 250 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Zudem wurden weitere Ausreiseplanungen bekannt. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, möglichst viele dieser Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Die Anzahl der behördlich verhängten Ausreiseverbotsverfügungen bewegt sich im dreistelligen Bereich (BfV 2020). Nach Aussagen des Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, geht von Teilen der nach Europa zurückkehrenden Foreign Fighters eine langfristige, kaum kalkulierbare Gefahr aus (Münch 2018). Hierbei sind besonders diejenigen Foreign Fighters ein potenzielles Sicherheitsrisiko, die während ihres Aufenthaltes in Syrien und im Irak ideologisch indoktriniert, militärisch im Umgang mit Waffen und Sprengstoffen geschult wurden, Kampferfahrung gesammelt haben und gegebenenfalls mit dem Auftrag, Anschläge zu begehen, nach Europa zurückgeschickt wurden (Münch 2018; Goertz 2020). Von nach Deutschland und Europa zurückkehrenden Foreign Fighters geht folgendes Bedrohungspotenzial aus: • Terroristisch-taktisches know how in den Bereichen Anschlagsplanung, Bau von USBV, Umgang mit Schusswaffen, Erfahrungen im Orts- und Häuserkampf, Erfahrungen im Bereich countersurveillance, „Kampfpraxis“. • Besondere psychologische Hintergründe, potenziell appetitive Aggression1. • Indoktrinierung und Radikalisierung von Islamisten, Salafisten und potenziell zukünftigen Jihadisten, sowohl durch realweltliche Kontakte (salafistische Milieus) als auch durch salafistische und jihadistische online-Inhalte. Gerade in Justizvollzugsanstalten besteht ein großes Risiko von Radikalisierungsprozessen (siehe Kapitel sechs) (Goertz 2020). Kurz gefasst: Foreign Fighters können aktuell und in der Zukunft besondere qualitative und quantitative Herausforderungen für die deutschen und europäischen Sicherheitsbehörden sowie die Justizvollzugsanstalten darstellen.

1Bundesamt

für Verfassungsschutz (2016). Psychologische Erklärungsansätze zum brutalen Vorgehen der Jihadisten in Syrien und im Irak. https://www.verfassungsschutz.de/de/ aktuelles/schlaglicht/schlaglicht-2016-05-psychologische-erklaerungsansaetze-jihadisten. Zugegriffen: 3.5.2020.

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2.5 Fazit Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa hat in den letzten Jahren ein historisches Ausmaß erreicht. Verdeutlicht wird dies durch die 89 verübten bzw. verhinderten Anschläge, durch die verübten Anschläge starben 790 Menschen und wurden über 3740 Menschen verletzt. Seit dem islamistischen Anschlag in Madrid am 11.3.2004 wurden viele Dutzend Anschläge in Europa verübt und so gehen – aktuell und in der Zukunft – von islamistisch-terroristischen Organisationen zwei wesentliche Bedrohungsszenarien für die westliche Welt aus: Einerseits Großanschläge und multiple taktische Szenarien von Hit-Teams internationaler islamistisch-terroristischer Organisationen wie dem „Islamischen Staat“ und der Al Qaida, andererseits low level-Anschläge durch islamistische Einzeltäter. Empirisch betrachtet wurden durch die von Hit Teams jihadistischer Großorganisationen verübten Anschläge in Madrid, London, Paris, Brüssel, London sowie Barcelona und Cambrils im Verhältnis deutlich mehr Menschen getötet und verletzt als durch die low level-Anschläge von jihadistischen Einzeltätern und Kleinstzellen. In Antwort auf die Frage, ob der jihadistische Einzeltäter und/oder die Zelle operativ-taktisch unabhängig ist, oder ob er/sie organisatorisch und/oder logistisch von anderen Jihadisten gesteuert oder unterstützt werden, ist festzustellen, dass der Unterschied von unabhängig agierenden jihadistischen Einzeltätern und/oder Zellen zu losen Mitgliedern bzw. Unterstützern einer jihadistischen Organisation im Sinne einer jihadistischen Bewegung bzw. Organisation fließend ist. Eine empirische Analyse der insgesamt bei den verübten und von Sicherheitsbehörden verhinderten Anschlägen benutzten Wirkmittel zeigt, dass sowohl die Hit Teams jihadistischer Großorganisationen als auch jihadistische Einzeltäter Sprengstoff, Schusswaffen und Fahrzeuge als Wirkmittel benutzen, allerdings wurden diese Wirkmittel häufiger von den Hit Teams benutzt. Die jihadistischen Einzeltäter haben auch Fahrzeuge und Schusswaffen für ihre Anschläge benutzt, wesentlich häufiger allerdings Messer. So können Messer und andere Stich- und Hiebwaffen als im Augenblick klassische Wirkmittel von low level-Terrorismus beschrieben werden. Dies schließt allerdings nicht aus, dass neuere Wirkmittel wie beispielsweise Drohnen mit Sprengstoff als USBV und biologische und chemische Waffen – siehe den verhinderten Rizin-Anschlag, besprochen im Abschn. 2.3. – künftig auch durch jihadistische Einzeltäter eingesetzt werden könnten.

Literatur

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Prognostisch kann die Frage „Werden zukünftig wieder mehr islamistische Anschläge durch Hit Teams verübt werden?“ dahin gehend beantwortet werden, dass zwischen den Anschlägen in Madrid 2004, London 2005 und Paris 2015 und Brüssel 2016 elf Jahre lagen, was aber nicht bedeuten muss, dass es so lange dauern wird, bis wieder Großanschläge mit multiplen Szenarien durch Hit Teams verübt werden. Abschließend muss festgestellt werden, dass in den letzten Jahren und Monaten zahlreiche Maßnahmen zur Terrorismusabwehr durchgeführt und in Deutschland und Europa über 40 islamistische Anschläge verhindert wurden. Die organisatorischen Strukturen, Mittel und Maßnahmen der Terrorismusabwehr werden ausführlich in den Kapiteln drei bis sechs analysiert.

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Ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und institutionelle Antworten

3.1 Islamistische Gefährder und relevante Personen In Deutschland stellen die Verfassungsschutzbehörden im Jahr 2020 im Hellfeld die bisher größte Zahl an Salafisten fest und gehen mit Stand des Frühjahrs 2020 von über 11.300 Salafisten und über 26.560 Islamisten in Deutschland aus. Verbunden mit dieser historisch hohen Zahl von Islamisten und Salafisten ist die Zahl von aktuell – im Frühjahr 2020 – 679 islamistischen Gefährdern alleine in Deutschland. Im Sommer 2018 betrug die Zahl islamistischer Gefährder in Deutschland noch 774 (Welt 2019). Zusätzlich stieg die Zahl der „relevanten Personen“, also der potenziellen Unterstützer von islamistischen Terroristen, im Jahr 2019 um 42 Personen auf 512 (Welt 2019). Die Bundesregierung antwortete im November 2018 auf die Frage der Kleinen Anfrage im Bundestag „Wie viele Personen werden nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit als Gefährder sowie als Relevante Person (RP) geführt (untergliedert in Führungspersonen, Unterstützer bzw. Logistiker, Akteur oder Kontakt- bzw. Begleitperson)?“ mit: „Derzeit sind 767 Personen als Gefährder und 470 als Relevante Personen eingestuft. 58 Relevante Personen haben den Funktionstyp Führungsperson, 165 den Funktionstyp Unterstützer/Logistiker, 118 den Funktionstyp Akteur und 188 den Funktionstyp Kontakt-/Begleitperson“ (Deutscher Bundestag 2018, S. 2). Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage „Wie viele Frauen und wie viele Männer sind dies nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils?“ lautet: „734 Gefährder sind männlich, 33 weiblich, 379 Relevante Personen sind männlich, 91 weiblich“ (Deutscher Bundestag 2018, S. 2). Die Antwort auf die Frage „Wie viele Gefährder und Relevante Personen halten sich nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit in Deutschland auf, und wie viele hiervon sind in Haft?“ lautet: © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Goertz, Terrorismusabwehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30672-4_3

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3  Ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen …

„Bei 840 Gefährdern und Relevanten Personen wird derzeit davon ausgegangen, dass sie sich in Deutschland aufhalten. Davon sind 186 in Haft“ (Deutscher Bundestag 2018, S. 3). Auf die Frage nach der Verteilung nach dem Terrorismusrisiko in „hoch“, „auffällig“ und „moderat“ zitiert die Bundesregierung das Bundeskriminalamt. Bei 386 analysierten Personen wird ein Hohes Risiko, etwa 40 %, ein auffälliges Risiko bei etwa 10 % und ein moderates Risiko bei etwa 50 % gesehen (Deutscher Bundestag 2018, S. 5).

3.1.1 Polizeiliche Definition der Begriffe „Gefährder“ und „Relevante Person“ Im Bereich der Gefahrenabwehr kann die jeweilig zuständige Landespolizei oder das BKA eine Person aufgrund vorhandener Erkenntnisse als Gefährder oder Relevante Person einstufen. Die Begriffe Gefährder und Relevante Person sind auf polizeilicher Ebene wie folgt definiert (es handelt es sich hierbei nicht um eine gesetzliche Definition): Definition des Begriffs „Gefährder“ Dem „islamistisch-terroristischen Spektrum“ werden nach Angaben der Bundesregierung „Jihadisten zugerechnet, die terroristische Gewalt als das primäre Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele propagieren und praktizieren“ (Bundestag Drucksache 18/11.369 2017, S. 12). Nach Angaben der Bundesregierung sind. „die unterschiedlichen Begrifflichkeiten Gefährder, Relevante Personen und Personen des islamistisch-terroristischen Spektrums Ausfluss unterschiedlicher Zuständigkeiten und Aufgabenzuweisungen der Polizei und der Nachrichtendienste (Trennungsgebot). Der Fokus der Polizeibehörden richtet sich auf Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, wohingegen die Nachrichtendienste bereits im Vorfeld der polizeilichen Zuständigkeit Personen fokussieren und ggf. entsprechend kategorisieren. Das für die deutsche Polizei etablierte Gefährderprogramm, basierend auf den Begrifflichkeiten Gefährder und Relevante Person, hat sich aus Sicht der Bundesregierung bewährt“ (Bundestag Drucksache 18/11.369 2017, S. 12–13).

Seit dem islamistischen Anschlag des Flüchtlings und Gefährders Anis Amri auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19.12.2016 stellt sich für Sicherheitsbehörden und die Politik die entscheidende Frage, wie die von (ausländischen) Gefährdern ausgehenden Risiken für die öffentliche Sicherheit eingedämmt werden können.

3.1  Islamistische Gefährder und relevante Personen

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Eine Legaldefinition des Gefährderbegriffes existiert derzeit nicht (Bundestag 2017). Der Begriff des Gefährders ist ein Arbeitsbegriff der Sicherheitsbehörden, der insbesondere bei der Bekämpfung des Terrorismus Anwendung findet (Bundestag 2017). Die Begriffe Gefährder und Relevante Personen entstammen der polizeifachlichen Terminologie und finden Anwendung im Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Im Verfassungsschutzverbund hingegen werden sie nicht verwandt. Personen, die im besonderen Fokus der Verfassungsschutzbehörden stehen, werden vielmehr nach einem eigenständigen Kategorisierungssystem eingestuft (Bundestag Drucksache 18/11.369 2017). Zu den Begriffen Gefährder und Relevante Person liegen bundeseinheitlich abgestimmte polizeiliche Definitionen vor: „Ein Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird. Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle a. b. c.

einer Führungsperson, eines Unterstützers/Logistikers, eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a StPO, fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder d. es sich um eine Kontakt- oder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des § 100a StPO, handelt“ (Bundeskriminalamt 2020). „Bei Vorliegen der o.  g. Voraussetzungen können Personen entweder als Gefährder oder als Relevante Person eingestuft werden (Bundestag Drucksache 18/11.369 2017). „Bei Vorliegen der o. g. Voraussetzungen können Personen entweder als Gefährder oder als Relevante Personen eingestuft werden. Die Einstufungen im Rahmen des Gefährderprogramms werden in der Regel durch die örtlich zuständigen Polizeibehörden der Länder vorgenommen. Zuständig ist die Dienststelle, in deren Bereich der Gefährder/die Relevante Person seine/ihre Wohnung

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3  Ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen …

hat. Im sogenannten polizeifachlichen Gefährderprogramm sind bundeseinheitlich Maßnahmen abgestimmt, die bei Gefährdern (bzw. Relevanten Personen) durchgeführt werden oder durchgeführt werden können. Es handelt sich hierbei um Maßnahmen aus dem Bereich der Gefahrenabwehr, die ihre Rechtsgrundlage in den jeweiligen Polizeigesetzen der Länder und des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) haben und deren rechtliche Voraussetzungen im Einzelfall jeweils erfüllt sein müssen“ (Bundestag Drucksache 18/11.369 2017). Nach Ansicht des Bundeskriminalamtes und des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages besitzt diese Definition jedoch keine rechtliche Verbindlichkeit. Die verschiedenen Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern – 16 Landesämter für Verfassungsschutz, 16 Landeskriminalämter, der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, der Militärische Abschirmdienst u. a. – können auch eigene Definitionen verwenden (Bundeskriminalamt 2020; WDBundestag 2017b). Da der Bund im präventivpolizeirechtlichen Bereich nur eingeschränkte Gesetzgebungsbefugnisse besitzt und der Kern des Polizeirechts im Zuständigkeitsbereich der Länder liegt, bestehen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes vor allem für den Grenzschutz nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG sowie für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das BKA in bestimmten Fällen nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG (WDBundestag 2017b, S.  3). Darüber hinaus bestehen Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes im Sicherheitsbereich, zum Beispiel für die Bereiche Schifffahrts- und Bundeswasserstraßen-, Eisenbahn- und Luftverkehrsverwaltung. Nur in den Bereichen, in denen der Bund die Gesetzgebungsbefugnis besitzt, kann er auch Legaldefinitionen in die jeweiligen Gesetze aufnehmen. Mögliche Regelungsorte im Bundesrecht für den Gefährderbegriff wären daher das ­Bundeskriminalamt- oder Bundespolizeigesetz. Diese gesetzliche Definition des Gefährderbegriffs würde dann jedoch nur für den Bereich des Bundesrechts gelten, die Bundesländer wären nicht gehalten, die Definition bei der Anwendung ihres jeweiligen Polizeirechts zugrunde zu legen (WDBundestag 2017b, S. 3–4). Im Bereich der Zuständigkeit der Länder für das Polizeirecht folgt die Gesetzgebungsbefugnis der Länder für das Polizeirecht aus Art. 30 GG i.V.m. Art.70 Abs. 1 GG. Danach haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund die Gesetzgebungsbefugnisse zuschreibt. Diese Verleihung sieht das GG nur für einige Bereiche des Polizei- und Sicherheitsrechts vor. Weil Polizeirecht als solches nicht in den Katalogen der Gesetzgebungszuständigkeiten in Art. 73 und 74 GG genannt wird, verbleibt es damit nach

3.1  Islamistische Gefährder und relevante Personen

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der allgemeinen Kompetenzverteilung des GG bei den Ländern (WDBundestag 2017b, S. 4). Nach Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages könnte eine bundeseinheitliche verbindliche Definition des Gefährderbegriffes nur nach vorheriger Änderung des Grundgesetzes erfolgen: „Dem Bund müsste dafür die Gesetzgebungsbefugnis für das gesamte Polizeirecht übertragen werden“ (WDBundestag 2017b, S. 4). Informell wäre es allerdings nach Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages möglich, dass sich Bund und Länder auf eine einheitliche Begrifflichkeit des Gefährders verständigen, was bisher in Absprache der Leiter der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes erfolgt. Allerdings erzeugt diese informelle Einigung keine rechtliche Bindungswirkung (WDBundestag 2017b, S. 4). Der Begriff Gefährder wird seit 2004 vom Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern als „polizeilicher Arbeitsbegriff“ benutzt (Wiese 2019, S. 197). Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Günter Krings, wurde im Februar 2019 im Innenausschuss des Bundestages gefragt, ob es für den Begriff des Gefährders nicht eine gesetzliche Definition brauche. Dazu antwortete er: „Aus unserer Sicht nach wie vor nicht, weil wir eben unmittelbar an den Tatbestand Gefährder keine Rechtsfolgen anknüpfen, sondern wir haben einzelne gesetzliche Tatbestände, die genau beschrieben sind, und da haben wir einen Tatbestand und eine Rechtsfolge. Der Begriff des Gefährders ist eher ein Begriff, den wir sozusagen im Vorfeld von Gesetzgebung diskutieren, der auch in der Polizeipraxis eine Rolle spielt, aber daran knüpfen sich unmittelbar keine Rechtsfolgen“ (zit. n. Wiese 2019, S. 198).

3.1.2 Operative Reaktionen auf Gefährder • Inwiefern können in die Einstufung als Gefährder oder relevante Personen auch Informationen von Nachrichtendiensten (in- und ausländischen) einfließen? • Wie bedeutsam sind von Nachrichtendiensten zugetragene Informationen in dieser Hinsicht? Für eine vollumfängliche Einschätzung einer Person können sowohl polizeilich erlangte Informationen als auch Erkenntnisse von in- oder ausländischen Nachrichtendiensten, unter Beachtung rechtlicher Vorgaben, von Bedeutung sein und in diese einfließen. Zu diesem Zweck findet unter anderem ein institutioneller

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3  Ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen …

Austausch im Rahmen des GTAZ (Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum) statt (WDBundestag 2017a). Die Bedeutsamkeit hängt nach der Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes im Einzelfall vom Informationsgehalt ab und kann nicht generell bewertet werden (WDBundestag 2017a). Der Begriff des Gefährders ist ein polizeilicher Arbeitsbegriff, der seit einiger Zeit verwendet wird, um Personen zu benennen und zu identifizieren, von denen in Zukunft potenziell eine terroristische Gefahr ausgehen könnte. Gefährder können observiert, an bestimmten Orten festgesetzt oder unter Rücknahme des Aufenthaltstitels abgeschoben werden (Kretschmann 2017). Nach dem Terroranschlag von Anis Amri, einem islamistischen Gefährder, auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19.12.2016, haben Justiz, Innenministerium und verschiedene Bundesländer eine Intensivierung dieser Maßnahmen beschlossen. Beispielsweise wurden Abschiebungen für Gefährder weiter vereinfacht, und ihnen kann das Tragen einer elektronischen Fußfessel angeordnet werden (Kretschmann 2017). Kritisch merkt Kretschmann an, dass im Phänomenbereich islamistischer Terrorismus der Gefährder den klassischen Rechtsbegriff des „Tatverdächtigen“ erweitert. So sind die Befugnisse und Maßnahmen der Kriminalpolizeien beim Gefährder bereits im extremistischen Vorfeld angesiedelt, also in einem weiten, inhaltlich schwach bestimmten Bereich, der ursprünglich allein vom Verfassungsschutz abgedeckt und bearbeitet werden sollte (Kretschmann 2017; Klink 2002). Gezielt wird so nicht mehr allein auf konkrete, sondern auf potenzielle Gefahren, wenn sich eine „Gefahr noch nicht derart verdichtet hat, dass sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen ließe, ob in näherer Zukunft eine Gefahr vorliegt oder nicht“ (Thiede 2008, S. 541). „Gefahrenermittlungen“ dienen dazu, Personen der Kategorie des Gefährders zuzuordnen, um das Gefahrenpotenzial bestimmter Personen festzustellen (Kretschmann 2017; von Denkowski 2007). Dies wird von den Polizeien von Bund und Ländern seit 2002 systematisch durchgeführt und die Polizeien interessieren sich hierbei zum einen für Personen, denen eine Nähe zu islamistischen Positionen oder islamistisch ausgerichteten Personen zugesprochen wird, zum anderen für Personen, die eine persönliche Beziehung zu anderen Gefährdern oder verurteilten Islamisten haben und abschließend für Personen, die sich an radikalislamischen Veranstaltungen beteiligen und zum Islam konvertiert sind (Schneider 2002). Im Rahmen der Gefahrenermittlungen wird ein Personagramm erstellt, dazu gehören der Familienstand, die Staatsangehörigkeit, aktuelle und frühere Wohnsitze, Konten und Kontobewegungen, Kraftfahrzeugbesitze und persönliche Telefonnummern. Auch das persönliche Umfeld wird erfasst, falls zutreffend auch der Asylstatus. Dazu gehören auch Verbleibskontrollen, wobei unterschieden wird,

3.1  Islamistische Gefährder und relevante Personen

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ob es sich um Gefährder handelt, die punktuell heimlich überwacht werden, oder um solche, die rund um die Uhr observiert werden. Dadurch sollen entweder Gefahren abgewehrt oder ein Strafverfahren eröffnet werden. Abschließend: Als Gefährder einzustufen ist jede Person, „bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des §100a der Strafprozessordnung, begehen wird“, oder bei der „man einfach von der Nähe einer konkreten Gefahr ausgeht“ (Kretschmann 2017). Wenn Gefährder aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden können bzw. bei ihnen die erhobenen Informationen nicht für eine Anklage ausreichen, versuchen die zuständigen Behörden, entweder deren Handlungsspielraum einzuschränken oder diese zu einer freiwilligen Ausreise zu bewegen (Buggisch und Knorz 2006). So kann bei Gefährdern beispielsweise der Aufenthaltsstatus auf das Niveau der Duldung herabgestuft werden, was mit täglichen oder wöchentlichen Meldeauflagen bei der Ausländerbehörde und einem Arbeitsverbot verbunden werden kann. Konkret kann die Bewegungsfreiheit auf die Grenzen des Bezirks einer Ausländerbehörde beziehungsweise eines Gemeindebezirks eingeschränkt werden und als Wohnsitz kann anstatt der eigenen Wohnung eine Gemeinschaftsunterkunft vorgesehen werden (Bundtagsdrucksachen 16/3429 2006, 18/3232 2014; BMI 2006). Parallel können Gefährder in möglichst großer Entfernung zu islamistischen, salafistischen und/oder jihadistischen Mileus untergebracht werden und die räumliche Separierung kann weiter von dem Verbot begleitet sein, öffentliche Medien und Kommunikationsmittel oder -dienste zu nutzen (Buggisch und Knorz 2006, S. 229). Regelbasierte Analyse potenziell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos von islamistischem Terrorismus (RADAR-iTE) Am 2.2.2017 veröffentlichte das Bundeskriminalamt in einer Presseinformation das Konzept RADAR-iTE als neues Instrument zur Risikobewertung von potenziellen Gewaltstraftätern im Phänomenbereich islamistischer Terrorismus, das ab dem 1.7.2017 von den zuständigen Behörden angewendet wurde. In der Presseinformation schreibt das Bundeskriminalamt im Februar 2017: „Seit 2012 ist in Deutschland die Anzahl polizeilich bekannter und potentiell gewaltbereiter Personen des militant-salafistischen Spektrums angestiegen. Diese wollen sich teilweise nicht nur im Ausland, sondern auch in Deutschland gemäß der Ideologie der Al Qaida und des sogenannten IS am bewaffneten Kampf beteiligen. Gibt es Hinweise, dass sich ein militanter Salafist am bewaffneten Kampf beteiligen will, prüft die Polizei, ob die Person als Gefährder oder Relevante Person einzustufen ist. Dies ist dann der Fall, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme recht-

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3  Ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen … fertigen, dass sich die Person an politisch motivierten Straftaten von erheblicher Bedeutung beteiligen wird oder eine feste Funktion in der Szene einnimmt. In Deutschland sind derzeit über 570 Personen als Gefährder und rund 360 als Relevante Personen eingestuft. Das tatsächliche Gewaltrisiko, das von diesen Personen ausgeht, ist individuell verschieden. Unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und der Gewährleistung der Sicherheit ist es geboten, dass sich die Sicherheitsbehörden noch zielgerichteter mit den Personen befassen, bei denen ein hohes Risiko besteht, Gewalttaten zu begehen. Vor diesem Hintergrund hat das Bundeskriminalamt in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz das Risikobewertungsinstrument RADAR-iTE entwickelt. Für die Anwendung von RADAR-iTE greifen die Sachbearbeiter auf Informationen zurück, die ihnen bereits vorliegen oder die sie aufgrund der gültigen Rechtslage erheben dürfen. Die in RADAR-iTE abgefragten Informationen beziehen sich auf beobachtbares Verhalten – und nicht etwa auf Merkmale wie die Gesinnung oder Religiosität einer Person. Die Sachbearbeiter ziehen möglichst viele Informationen zu Ereignissen aus dem Leben der Person heran, die zum besseren Gesamtverständnis einer aktuell bestehenden Problemsituation notwendig sind. Für den Einsatz von RADAR-iTE muss ein Mindestmaß solcher Informationen vorliegen. Die Risikobewertung wird mithilfe eines Risikobewertungsbogens mit standardisierten Fragen und Antwortkategorien durchgeführt. Die im Risikobewertungsbogen enthaltenen Fragen bilden sowohl risikosteigernde als auch -senkende Merkmale ab. Nach festgelegten Regeln wird die bewertete Person einer dreistufigen Risikoskala zugeordnet. Diese unterscheidet zwischen • einem hohen, • einem auffälligen und • einem moderaten Risiko Im Anschluss wägt die sachbearbeitende Dienststelle die Handlungsoptionen ab und wählt anhand der festgestellten Risiko- und Schutzbereiche individuell passende Interventionsmaßnahmen im rechtlich zulässigen und tatsächlich möglichen Rahmen. Die von den Sachbearbeitern vorgenommene Bewertung mit RADARiTE ist transparent und nachvollziehbar. Mit RADAR-iTE ist erstmals eine bundesweit einheitliche Bewertung des Gewaltrisikos von polizeilich bekannten militanten Salafisten möglich. Die Entwicklung von RADAR-iTE wurde seit Anfang 2015 gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz durchgeführt. Die Zusammenarbeit umfasste sowohl methodische Aspekte bei der Entwicklung als auch die Qualitätssicherung des Instruments. Die Entwicklung von RADAR-iTE lehnte sich an das Vorgehen bei bereits etablierten R ­ isk-Assessment-Instrumenten zur Beurteilung von Gewaltstraftätern an. Dies beinhaltete auch eine empirische Untersuchung der wissenschaftlichen Güte des Instruments als Teil des Entwicklungs-

3.1  Islamistische Gefährder und relevante Personen

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prozesses. Im September 2016 wurde RADAR-iTE fertiggestellt. Die stufenweise bundesweite Einführung wird voraussichtlich im Sommer 2017 abgeschlossen sein. RADAR-iTE ist der nächste Schritt, um den polizeilichen Umgang mit militanten Salafisten zu optimieren. Somit stehen der Polizei nun drei standardisierte Einstufungssysteme mit unterschiedlichen Zielrichtungen zur Verfügung: • Achtstufiges Prognosemodell: Wenn ein Sachverhalt bekannt wird, der auf ein konkretes Schadensereignis hindeutet, wie beispielsweise einen Anschlagsplan durch bislang polizeilich unbekannte Personen, wird mittels eines achtstufigen Prognosemodells eine Wahrscheinlichkeitsaussage hinsichtlich des potenziellen Schadenseintritts getroffen. • Gefährdereinstufung: Wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich eine Person in unterschiedlicher Art und Weise an politisch motivierten Straftaten beteiligen wird oder eine bestimmte Rolle in der Szene einnimmt, erfolgt eine Einstufung als Gefährder oder Relevante Person und führt zu polizeilichen und/oder strafrechtlichen Maßnahmen. • RADAR-iTE: Mit RADAR-iTE wird eine Person, zu der eine Mindestmenge an Informationen zu Ereignissen aus ihrem Leben vorliegt, hinsichtlich des von ihr ausgehenden Risikos, in Deutschland eine schwere Gewalttat zu verüben, bewertet und einer Risikoskala zugeordnet, um darauf aufbauend Interventionsmaßnahmen zu priorisieren. RADAR-iTE wird durch eine verbesserte Strukturierung und Dokumentation biografischer Verläufe bereits bekannter Personen des militant-salafistischen Spektrums eine wichtige Hilfestellung bei der Risikobewertung leisten. Eine bundesweit einheitliche Nachvollziehbarkeit der Bewertungen wird möglich sein. Mittels RADARiTE werden die Ressourcen deutscher Sicherheitsbehörden zielgerichteter auf jene Personen ausgerichtet, bei denen ein hohes Risiko der Begehung einer Gewalttat in Deutschland festgestellt wird. Damit ist die Bewertung des Risikos aber noch nicht abgeschlossen. Durch die Bewertung mit RADAR-iTE können nur erste Priorisierungsentscheidungen getroffen werden. Um polizeiliche Interventionsmöglichkeiten jedoch zielgenau auszurichten, sind weitere Schritte notwendig: Die individuellen Merkmale eines Falls müssen noch stärker berücksichtigt und fachlich eingeordnet werden, um ein genaues Bild über die Problembereiche, aber auch die Schutzbereiche der einzelnen Personen zu erhalten. Darum wird auf RADAR-iTE aufbauend das zweistufige Risiko-Analyse-System RISKANT entwickelt, das eine einzelfallorientierte Bedrohungsbeurteilung und individuelle Maßnahmenberatung für die festgestellten Hoch-Risiko-Personen ermöglicht“ (BKA 2017a).

Das Bundeskriminalamt ließ RADAR-iTE in Zusammenarbeit mit Forensikern der Universität Konstanz entwickeln und es wird seit dem Jahr 2016 von den Sicherheitsbehörden eingesetzt. Bei RADAR-iTE werden verschiedene Faktoren miteinander verrechnet, um die Gefahr besser einzuschätzen, die von

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einem extremistischem Individuum ausgehen könnte. So wird beispielsweise gefährdungssenkend berücksichtigt, wenn jemand in eine Familie eingebunden ist oder regelmäßiger Arbeit nachgeht. Als risikosteigernd wiederum wird es eingeschätzt, wenn jemand in militanten Kreisen verkehrt. Seit dem 1.7.2017 können die Polizeien der Länder und des Bundes RADAR-iTE zur Risikoeinschätzung potenzieller islamistischer Terroristen ­ nutzen. Über die bewerteten Personen tauschen sich die beteiligten deutschen Sicherheitsbehörden u. a. im Rahmen der Arbeitsgruppe „Risikomanagement“ im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) aus (Deutscher Bundestag 2019, S. 1). Vom 1.7.2017 bis zum 19.8.2019 – Informationsstand der Bundesregierung für eine Kleine Anfrage im Bundestag – lagen dem Bundeskriminalamt (BKA) zu insgesamt 497 Personen Ergebnisse (Bewertungsbögen) vor. 186 Personen (37 %) waren dabei dem Bereich des hohen Risikos hinsichtlich der Begehung einer Gewaltstraftat zuzuordnen, 311 Personen (63 %) dem Bereich des „moderaten Risikos“. Bei zwölf Personen (2 %) wurde empfohlen, eine zukünftige Bewertung mittels RADAR-iTE zu überprüfen (Deutscher Bundestag 2019, S. 2). Bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, ist die Polizei des Bundeslandes zuständig, in welchem die Person seinen letzten Wohnsitz hatte. Vom 17.2017, seitdem die Arbeitsgruppe „Risikomanagement“ (AG RIMA) im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) ihre Arbeit aufgenommen hat, bis zum 19.8.2019 wurden 108 Sitzungen zu 97 Personen durchgeführt. Bei diesen Personen handelte es sich überwiegend um Hoch-Risiko-Personen (Deutscher Bundestag 2019, S. 4). Die Erfassung der als Risiko eingestuften Personen in Polizeisystemen liegt in der Zuständigkeit der verantwortlichen Bundesländer. Weil Hoch-Risiko-Personen auch als sogenannte Gefährder eingestuft sind bzw. ­ werden, finden die bundeseinheitlich festgelegten Standardmaßnahmen für islamistische Gefährder Anwendung. Diese sehen nach Angaben der Bundesregierung „bei Vorliegen der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen u. a. eine Speicherung in der Antiterrorismusdatei (ATD), in der Verbunddatei INPOL-Fall Innere Sicherheit, der Gewalttäterdatei und im polizeilichen Informationssystem (INPOL) aufgrund einer Ausschreibung zur Polizeilichen Beobachtung bzw. zum Setzen eines ermittlungsunterstützenden Hinweises (EHW) oder eines personengebundenen Hinweises (PHW) vor“ (Deutscher Bundestag 2019, S. 5).

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3.2 Ein Massenanfall von Verletzten (TerrorMANV) durch islamistischen Terrorismus und der institutionelle Stand der Vorbereitungen Die über 55 jihadistischen Anschläge in Europa innerhalb der letzten fünf Jahre haben eine neue Bedrohung für die Rettungskräfte, die Polizei und die Krankenhäuser entstehen lassen. So stellt ein Massenanfall von Verletzten durch islamistischen Terrorismus – TerrorMANV – die beteiligten Akteure vor neue qualitative und quantitative Herausforderungen, die für alle betroffenen Institutionen – mit Ausnahme des Sanitätsdienstes der Bundeswehr – seit dem Ende des zweiten Weltkrieges neu sind (Goertz und Friemert 2017, S. 504). Die folgenden Zahlen der durch Massenanfälle von Verletzten durch islamistischen Terrorismus Getöteten und Verletzten verdeutlichen das Bedrohungsniveau eines TerrorMANV durch islamistischen Terrorismus: Allein durch die folgenden 11 islamistischen Anschläge, am 11.3.2004 in Madrid, am 7.7.2005 in London, am 27.11.2009 in St. Petersburg, am 24.1.2011 in Moskau, am 13.11.2015 in Paris, am 22.3.2016 in Brüssel, a 14.7.2016 in Nizza, am 19.12.2016 in Berlin, am 3.6.2017 in London, am 7.8.2017 in Barcelona und Cambrils sowie am 18.3.2019 in Utrecht wurden 623 Menschen getötet und 3315 Menschen – häufig so schwer, dass Amputationen vorgenommen werden mussten – verletzt. Alleine durch die bisher sieben in Deutschland verübten islamistischen Terroranschläge wurden 15 Menschen getötet und 93 Menschen – viele von ihnen schwer – verletzt. Zu den potenziell von islamistischen Terroristen genutzten Wirkmitteln, die verheerende Massenanfälle von Verletzten herbeiführen können, gehören u. a.: • Sprengstoff (Selbstlaborate oder industrieller Sprengstoff): Industrieller Sprengstoff ist noch wirksamer als Selbstlaborate, entfaltet eine große Sprengkraft, wurde z. B. beim Anschlag in Madrid am 11.3.2004 benutzt, tötete 191 Menschen und verletzte über 1600 Menschen) • Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) mit Nägeln, Schrauben, Muttern, Splittern versetzt, um einen möglichst hohen und drastischen Personenschaden zu erzielen: Eine solche USBV wurde am 22.5.2017 von einem Selbstmordattentäter beim Anschlag auf ein Konzert in der Manchester benutzt. Dabei wurden 23 Menschen getötet und 59 Menschen verletzt, darunter zahlreiche Jugendliche und Kinder. • Vollautomatische und halbautomatische Schusswaffen, Gewehre, Pistolen: Bei den zeitversetzten Anschlägen in Paris am 13.11.2015 wurden die meisten der 137 Getöteten und über 350 Verletzten durch Schusswaffen getötet und ver-

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3  Ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen …

letzt, Schusswaffen verursachen besondere Verletzungsmuster, die schnell und oft zum Tod führen. • Handgranaten • Hieb- und Stichwaffen, Äxte, Schwerter, Messer: Allein von 2014 bis zum Frühjahr 2020 wurden in Europa 27 islamistische Anschläge mit Messern, Beilen und Macheten verübt. • Fahrzeuge, gehärtete („gepanzerte“) Fahrzeuge: Die islamistischen Anschläge mit Fahrzeugen am 14.7.2016 in Nizza, am 19.12.2016 in Berlin, am 22.3.2017 auf der Westminster Bridge, am 7.4.2017 in Stockholm, am 3.6.2017 auf der London Bridge sowie am 17.8.2017 in Barcelona und Cambrils töteten 144 und verletzten 353 Menschen. • Biologische und chemische Waffen (u. a. Rizin) • Giftstoffe in geschlossene Räume in Lüftungen und Klimaanlagen einbringen Um die qualitative Bedrohung durch einen TerrorMANV richtig einzuordnen, muss hier konstatiert werden, dass die überwiegende Zahl der 790 Getöteten und 3740 Verletzten durch low level-Terrorismus verursacht wurde. Als low ­level-Terrorismus werden terroristische Anschläge oder Attentate bezeichnet, die sich einfachster taktischer Prinzipien und Wirkmittel wie leicht zu beschaffender Waffen oder Alltagsgegenstände bedienen und in der Regel von Einzeltätern oder Kleinst-Zellen ausgeführt werden (Goertz 2017, S. 382). Bei den meisten der seit 2004 in Europa verübten jihadistischen Anschlägen wurden vornehmlich Alltagsgegenstände (Fahrzeuge und Messer) benutzt. Alleine durch den islamistischen Anschlag mit einer Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) mit einem Selbstlaborat am 22.5.2017 in der Manchester Arena starben 23 Menschen und wurden 250 verletzt, was auf die kinetische Energie der USBV zurückzuführen ist (Manchester Evening News 2017). Kurz gesagt: Der Einsatz von USBV hat eklatante Auswirkungen auf die Zahl der Getöteten, vor allem aber auf die Zahl der Verletzten und die Verletzungsmuster, die denjenigen von Kriegsverletzungen entsprechen (Goertz 2019, S. 252). Bei den ersten jihadistischen Anschlägen in Europa, am 11.3.2004 in Madrid und am 7.7.2005 in London, wurden durch weniger als zehn USBV 247 Menschen getötet und über 2750 Menschen – teilweise schwer – verletzt. Zur Verdeutlichung der Konsequenzen für die Rettungskräfte und die Krankenhäuser ist zu erwähnen, dass nach dem jihadistischen Anschlag am 11.3.2004 in einem Krankenhaus in Madrid knapp 80 schwerstverletzte Patienten innerhalb sehr kurzer Zeit eingeliefert wurden. In der Konsequenz musste eine gesamte Station schwerstverletzter Patienten auf einen Schlag operiert und versorgt werden. Dies stellt neue Dimensionen dar, auf die europäische, vor allem auch deutsche Krankenhäuser nicht vorbereitet sind (Goertz 2019, S. 252).

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Nach Terroranschlägen, die meistens mit Explosionen und Schusswaffengebrauch einhergehen, sind die Rettungskräfte und Ärzte vor allem mit diesen Traumata konfrontiert, die meist in Kombination auftreten: • • • • •

Verletzungen durch die Druckwelle Penetrationen von Kugeln, Nägeln, Splittern u. a. Teile von Patienten wurden selbst zum Geschoss Hitzeschäden und Verbrennungen Verätzungen durch Chemikalien

Die obigen Zahlen verdeutlichen das Bedrohungsausmaß und die dramatischen qualitativen und quantitativen Konsequenzen für die Rettungskräfte, die Polizei und die Krankenhäuser, die von einem Massenanfall von Verletzten durch islamistischen Terrorismus (TerrorMANV) ausgehen. Deswegen ist es von vitaler Bedeutung, möglichst schnell die Dramatik der Unterschiede zwischen einem „gewöhnlichen“ Massenanfall von Verletzten (MANV) und einem (TerrorMANV) zu verstehen und daraus taktische und rechtliche Konsequenzen für das Vorgehen sowie die Ausbildung und Ausrüstung der Rettungs- und Sicherheitskräfte abzuleiten, die möglichst schnell in die Praxis umgesetzt werden müssen (Goertz und Friemert 2017, S. 505).

3.2.1 Verletzungsmuster eines TerrorMANV Bei einem MANV, z. B. bei einer Massenkarambolage auf einer Autobahn, unterscheiden sich die Verletzungsmuster qualitativ deutlich von denen eines TerrorMANV. Dem gegenüber stehen die Verletzungsmuster eines TerrorMANV, die für die Rettungskräfte und die Traumatologie in Deutschland eine nicht (mehr) bekannte Verletzungsentität darstellen. Die Verletzten von Kriegswaffen und anderen Schusswaffen sowie die Verletzungsmuster von Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) konfrontieren die zivilen Rettungskräfte, Rettungsassistenten und Ärzte mit „Kriegsverletzungen“ mit einem qualitativen Niveau, das in der zivilen Medizin seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr bekannt war. Daher sind die Kenntnisse zur Behandlung von Schussverletzungen und blast injuries – von der Erstversorgung am Ort des Terroranschlages bis hin zur Versorgung im OP und darüber hinaus – in der zivilen Medizin der Bundesrepublik nur (noch) sehr rudimentär ausgeprägt (Goertz und Friemert 2017, S. 506). Bei einem regulären MANV – zum Beispiel bei Autounfällen – versuchen die Chirurgen sogar bei schwersten Beinverletzungen die Extremität optimal wiederherzustellen, was Stunden dauert. „Nach einem Terroranschlag muss für ein

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durchschossenes Bein eventuell ein Tourniquet zum Abbinden genügen, damit der Patient nicht verblutet“, erläuterte Prof. Dr. med. Benedikt Friemert, Klinischer Direktor der Unfallchirurgie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Lenzen-Schulte 2017, S. 1998). Hier gilt das Prinzip „Life before Limb“ und um Leben zu retten – auch die der anderen Patienten, die auf ihre Operation warten –, muss bei einem TerrorMANV womöglich eine Extremität geopfert werden. Denn bei einem TerrorMANV kann es viele andere Menschen das Leben kosten, wenn CT und Operationssäle blockiert und Blutkonserven verbraucht sind (Lenzen-Schulte 2017, S. 1998). Die Verletzungen nach Terroranschlägen sind qualitativ und quantitativ mit Kriegsverletzungen vergleichbar, so vor allem die penetrierenden Verletzungen bis hin zur blast injury, die durch Schusswaffen und Explosionen verursacht werden. Zur Behandlung solcher Verletzungen muss interdisziplinär unter Hinzuziehung von Viszeral- und gegebenenfalls Thorax- und Gefäß-Chirurgen sowie der Intensivmedizin operiert werden. Nach Ansicht von Prof. Dr. Flohé, dem Chefarzt der Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie am Klinikum Solingen, fehlen in Deutschland augenblicklich erprobte klinische Konzepte, weil die zivile Unfallchirurgie in den letzten Jahrzehnten nicht mit solchen Problemen konfrontiert war (Orthopädie und Unfallchirurgie 2016). Typisch seien nach Angaben von Flohé bei terroristischen Attentaten besonders viele sog. „rot codierte“ Patienten, die einer sofortigen chirurgischen Intervention bedürfen. Bei diesen Patienten, Opfern eines TerrorMANV, steht das Verbluten absolut im Vordergrund, was bei „normalen“ Unfallopfern in der Regel so nicht der Fall ist (Orthopädie und Unfallchirurgie 2016). Das qualitative und quantitative Niveau an Verletzungen eines TerrorMANV werde nach Ansicht von Flohé sogar bei einem besonderen zivilen Großschadensereignis (MANV), wie einem Zugunglück, nicht erreicht. Die Konsequenz seiner Analyse ist, dass aufgrund der aktuellen personellen und materiellen medizinischen Ressourcen in Deutschland bei einem TerrorMANV die Individualmedizin für eine bestimmte Zeit nicht mehr umsetzbar ist, sprich: das normalerweise praktizierte damage control surgery-Konzept kann nach terroristischen Anschlägen nicht mehr aufrechterhalten werden. Nach der Prämisse einer tactical abbreviated surgical care gilt es bei einem TerrorMANV, angesichts begrenzter Personal- und Materialressourcen die Vielen im Blick zu haben, statt auf den Einzelnen zu fokussieren. „Sie wissen nie, wie viele Patienten noch eingeliefert werden und wie schwer diese verletzt sind“, warnt Oberstarzt Friemert. „Solche Entscheidungen zu treffen, erfordert extrem viel Mut“, betont Friemert, „aber es ist entscheidend, den ‚Preis‘, also die Konsequenzen jeder medizinischen Handlung zu kennen, wenn wir uns über die Versorgung nach einem Terroranschlag Gedanken machen“ (Lenzen-Schulte

3.2  Ein Massenanfall von Verletzten (TerrorMANV) durch islamistischen …

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2017, S. 1998). Dies verdeutlicht, welches Umdenken von Ärzten nötig ist, die – außer im Fall eines TerrorMANV – an eine bestmögliche Wiederherstellungschirurgie gewöhnt sind. „Komplexverletzungen nach Explosionen und Schusswaffengebrauch mit Geschoss- und Splitterwunden sehen die zivilen Spezialisten in Deutschland so gut wie nie“, erklärt Friemert (Lenzen-Schulte 2017, S. 1998). Sogar bei großen Katastrophen wie der ICE-Entgleisung von Eschede im Jahr 1998, bei dem 101 Menschen starben und 88 schwer verletzt wurden, hatten alle Rettungskräfte sofort Zugang zu den Verletzten. Im Fall eines Terroranschlags allerdings bestimmt die Polizei, in welche Zonen des Anschlagsortes überhaupt Rettungskräfte vordringen dürfen. TerrorMANV-Einsätze stehen unter dem Motto Clear the scene, sprich: „Raus aus der Gefahrenzone“. Erst wenn keine unmittelbare Gefahr der Fortsetzung des Anschlages durch Sprengstoff oder Schusswaffen mehr droht – hier existiert allerdings das Szenario eines second hit – wird aus der roten Zone eine grüne Zone und die Rettungskräfte dürfen die Opfer behandeln. Das medizinische Prinzip life before limb hat zur Konsequenz, dass das Ziel einer medizinischen Behandlung im Fall eines TerrorMANV lauten muss, möglichst vielen Patienten das Überleben zu sichern und erst dann die funktionellen Ziele zu verfolgen. Sprich: Bei einem TerrorMANV wird die Notwendigkeit von Amputationen deutlich größer.

3.2.2 Die zeitliche, räumliche und dynamische Variabilität eines TerrorMANV Die zeitliche, räumliche und dynamische Variabilität eines TerrorMANV werden von Friemert und Goertz wie folgt beschrieben: • „Dauer: Diese ist bei einem MANV, z. B. im Fall einer Massenkarambolage auf einer Autobahn oder bei einem Zugunglück in der Regel recht kurz, wenige Sekunden bis Minuten, das Ende des Unfalls kann von den Rettungskräften festgestellt werden. Beim TerrorMANV allerdings bleibt die Zeit ein unbekannter Faktor. Der terroristische Anschlag bzw. das Attentat kann Minuten („Charlie Hebdo“; Brüssel 2016), Stunden (Paris am 13.11.2015), gar Tage („Mumbai“, 26. bis 29.11.2009) andauern. Der Faktor Zeit hat im TerrorMANV entscheidende taktisch-operative Auswirkungen auf die Sicherheit der Helfer“ (Goertz und Friemert 2017, S. 506–507). • „Örtlichkeiten: Bei einem MANV ist die statistische Möglichkeit, dass sich in einem Einsatzraum von Rettungskräften zwei oder gar mehr MANV gleichzeitig ereignen extrem gering. Ganz anders beim TerrorMANV: Die

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Anschläge in London (2005), Paris (13.11.2015) und Brüssel (22.3.2016) zeigen, dass islamistisch-terroristische Großanschläge, multiple Szenarien, aus ­operativ-taktischen Gründen bewusst zeitversetzt oder zeitgleich an verschiedenen Orten verübt werden, um dadurch die Wahrscheinlichkeit von mehr Toten und Verletzten signifikant zu erhöhen, weil Sicherheits- und Rettungskräfte ihre personellen und materiellen Kapazitäten aufteilen müssen“ (Goertz und Friemert 2017, S. 507). • „Dynamik vor Ort: Bei einem MANV gibt es nach dem Ende der Unfallursache, z. B. nach der Entgleisung eines Zuges, nach dem Absturz eines Flugzeuges, nach dem Ende einer Massenkarambolage keine Dynamik der Ereignisse vor Ort mehr, sodass die Rettungskräfte ohne weitere äußere Einflüsse agieren können. Die operative Logik terroristischer Anschläge allerdings setzt genau auf diese Dynamik vor Ort, einerseits psychologisch, um Rettungskräfte und Sicherheitskräfte zu verunsichern, andererseits taktisch, um die Rettungskräfte und Sicherheitskräfte zu zwingen, sich aufzuteilen, sich zu koordinieren und einen Schwerpunkt festzulegen. Der islamistisch-terroristische Anschlag 2004 am 11.3.2004 in Madrid, bei dem zehn Sprengsätze in verschiedenen Personenwagen von vier Pendlerzügen zur Explosion gebracht wurden, verdeutlicht diese Dynamik vor Ort. Insgesamt hatte die Planung der islamistischen Terroristen deutlich mehr als 10 Explosionen vorgesehen, darunter eine Explosion im Gebäude des Bahnhofes Atocha. Von den getöteten 191 Menschen starben 181 direkt vor Ort, was die Wirkmacht der Sprengsätze verdeutlicht. Auch diese Zahlen bestätigen die Faustregel, dass bei Terroranschlägen mit Sprengsätzen und Bomben ca. 10 Mal so viele Menschen verletzt werden wie direkt versterben“ (Goertz und Friemert 2017, S. 507). • „Möglicher Fall von ‚Rettung unter Beschuss‘: Die Sicherheit der Helfer ist bei einem MANV in der Regel immer gegeben, bei einem TerrorMANV muss die taktische Möglichkeit eines second hit unbedingt einkalkuliert werden. Beim second hit locken die Attentäter beispielsweise durch die Detonation eines Sprengsatzes Rettungskräfte, evtl. auch Sicherheitskräfte, an einen Ort, um dort dann, zeitversetzt, einen weiteren Sprengsatz oder mehrere Sprengsätze zu detonieren. Dabei ist die Verletzungsanfälligkeit der Rettungskräfte besonders hoch, was der taktischen Logik eines terroristischen Anschlags entspricht“ (Goertz und Friemert 2017, S. 507). Mögliche Szenarien für „Rettung unter Beschuss“ wären hierbei der Beschuss von Verletzten und Rettungskräften durch Scharfschützen. Bereits ein durchschnittlich bis überdurch-

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schnittlich ausgebildeter sowie mit einem modernen Gewehr – u. a. mit einem Zielfernrohr – ausgerüsteter Schütze könnte verheerende Wirkung auf Verletzte und Rettungskräfte haben. • „Gefahr eines second hit: Die terroristische Taktik eines second hit macht es zwingend erforderlich, so schnell wie möglich den Anschlagsort zu verlassen, um den Terroristen keine Chance zu geben, im Rahmen eines second hit auch noch die Rettungskräfte und die Polizei anzugreifen“ (Goertz und Friemert 2017, S. 507; Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie und Friemert 2017). „Um aufgrund eines möglichen second hit die Gefahr für die Patienten und Rettungskräfte so niedrig wie möglich zu halten, muss man sich am Ort des Terroranschlags auf das Stoppen lebensbedrohlicher Blutungen beschränken, wofür unbedingt Tourniquets in ausreichender Anzahl benötigt werden. Danach muss der Patient umgehend in eine sichere bzw. zumindest teilsichere Zone verbracht werden. Die eigentliche notärztliche Versorgung des Patienten kann in einem Fall von TerrorMANV erst in der Klinik geleistet werden, was dem aus der Kriegsmedizin entlehnten Prinzip ‚treat to proceed‘ und ‚treat what kills first‘ entspricht“ (Goertz und Friemert 2017, S. 507; Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie und Friemert 2017). Erwähnt werden muss hier auch die Möglichkeit eines jihadistischen Anschlags auf eine Notaufnahme eines Krankenhauses, die auch als second oder gar third hit ausgeführt werden kann.

3.2.3 Der TerrorMANV aus medizinischer Sicht: Weg von der Individualmedizin, Verletzungsmuster von Kriegsverletzungen Bereits bei einem „gewöhnlichen“ MANV, signifikant gesteigert allerdings bei einem TerrorMANV besteht ein Missverhältnis zwischen der notwendigen medizinischen Versorgung der betroffenen Patienten und den vorhandenen medizinischen Ressourcen. Die S3-Leitlinie zur Polytrauma und Schwerverletztenbehandlung drückt dies wie folgt aus: „Der Wechsel weg von der Individualmedizin und hin zur Triage stellt eine besondere Herausforderung dar“ (Deutsches Ärzteblatt 2012). Typische Verletzungen verursacht durch (islamistische) Terroranschläge sind – bei Verletzungen durch USBV – blast injuries, Verletzungen durch Explosionen, so beispielsweise Verletzungen des Trommelfells (bis zu 75 %), der

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Lunge (40 %) und des Auges (15 %). Medizinisch ist nach Explosionen immer ein Barotrauma – Schädigungen und Funktionsstörungen des Körpers, die durch physikalische Druckdifferenzen bedingt sind – in Erwägung zu ziehen. So sind verletzte Trommelfelle ein offensichtlicher Indikator dafür, wobei ein intaktes Tympanon ein Barotrauma nicht ausschließen muss. Ein abdominales Barotrauma ist die Hauptursache für ein (späteres) Versterben. Blast Injuries werden auch als „multidimensionale Verletzungen“ bezeichnet, weil bei ihnen gleichzeitig Verbrennungen, Schädigungen durch extremen Druck, penetrierende Verletzungen, stumpfe Verletzungen und gegebenenfalls noch Schädigungen durch Sekundärstoffe – ABC-Beimengungen – entstehen, was diese Verletzungsmuster so problematisch macht (Goertz 2019, S. 262). Tab. 3.1  Typischer Wirkmechanismus bei Explosionsverletzungen (NAEMT: Präklinisches Traumamanagement. München 2016; Zednicek und Goertz (2018). TerrorMANV durch islamistische Anschläge: Analyse der Taktik und Wirkmittel. In: RettungsDienst, Nr. 5 2018, S. 28.) Art

Ursache

Typische Verletzungen

Primär

Direkte Druckwirkung der Schockwelle (Über- und Unterdruck)

– Trommelfellruptur – Lungenkontusionen („blast lung“) – Augenverletzungen – Weitere Hohlorganverletzungen – Arterielle Gasembolie

Sekundär

– Fragmente der USBV – Schrapnell

– Penetrierende Verletzungen – Traumatische Amputationen – Lazerationen

Tertiär

– Be- und Entschleunigung durch Auf- – Stumpfe Verletzungen – Hirnkontusion prall & Umherschleudern – Crush-Syndrom – Verschüttung – Kompartment-Syndrom

Quartär

– Direkte Hitze – Heiße Gase und Dämpfe

– Verbrennungen – Inhalationstrauma – Infektionen/Sepsis

Quintär

– Allogene Fragmente z. B. des Attentäters – CBRN-Additive („schmutzige Bombe“)

– Hämodynamische Instabilität – Hyperpyrexie – Substanzabhängige pathogene Effekte

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3.2.4 Operative Szenarien, mögliche Wirkmittel von jihadistischen Anschlägen: Konsequenzen eines TerrorMANV Ein TerrorMANV muss in seiner Schadenswirkung auf zwei Ebenen analysiert werden: Zum einen auf der Ebene von multiplen Anschlägen, zeitgleichen oder zeitversetzten Szenarien durch Hit-Teams jihadistischer Großorganisationen (Al Qaida und der „Islamische Staat“). Bei ausgewählten 15 Anschlägen, am 12.10.2002 in Kuta auf Bali, am 28.11.2002 in Mombasa/Kenia, am 16.5.2002 in Casablanca/Marokko, am 5.8.2003 in Jakarta/Indonesien, am 11.3.2004 In Madrid, am 7.7.2005 in London, am 26.11.2008 in Mumbai/Indien, am 9.3.2010 in Moskau, am 27.11.2009 in einem Schnellzug auf der Fahrt von Moskau nach St. Petersburg, am 24.1.2011 im Moskauer Flughafen, am 15.4.2013 beim Boston Marathon, am 21.9.2013 in Nairobi/Kenia, am 13.11.2015 in Paris, am 22.3.2016 in Brüssel und am 14.7.2016 in Nizza wurden 1125 (!) Menschen getötet und 4577 (!) verletzt. Zum anderen auf der Ebene von low level-Terrorismus durch Einzeltäter, so beispielsweise bei den islamistischen Anschlägen durch Arid Uka am 2.3.2011 am Frankfurter Flughafen (Anschläge auf US-Soldaten) und durch Safia S. (Anschlag auf einen Bundespolizisten) am 26.2.2016 im Hauptbahnhof Hannover. Diese beiden Bedrohungsszenarien unterscheiden sich qualitativ und quantitativ durch das qualitative Ausbildungsniveau der Attentäter, ihre Wirkmittel und ihre Taktik. So haben jihadistische Hit-Teams bei Anschlägen wie in Mumbai/Indien 2008, Paris am 13.11.2015 und Brüssel am 22.3.2016 operative-taktische Mittel wie gleichzeitige und versetzte Detonationen von USBV und Angriffe mit automatischen Waffen, Kriegswaffen, benutzt, die wesentlich höhere Zahlen an Getöteten und Verwundeten verursachen. So benötigt statistisch ausgewertet mindestens ein Viertel aller Opfer eines terroristischen Anschlags eine Operation und sehr häufig sind die Blutungen lebensbedrohlich (Oberhofer 2017). Die Anforderungen eines TerrorMANV an das medizinische System sind wesentlich höher als bei einem „zivilen“ MANV. Insbesondere die Dringlichkeit der medizinischen, vor allem der chirurgischen, Versorgung ist wesentlich höher, d. h. die Patienten müssen schnellstmöglich in das nächste Krankenhaus transportiert werden. Anschlagsziele wie öffentliche Verkehrsmittel (Züge, U- und S-Bahnen, Busse), Flughäfen, Bahnhöfe, ­Fernbus-Bahnhöfe (Berlin, London, Paris etc.), große Menschenmengen (Fußballspiele wie am 13.11.2015 im Stade de France, Weihnachtsmärkte wie am 19.12.2016 in Berlin, Großereignisse, events, wie im Bataclan/Paris am

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13.11.2015 und in der Manchester Arena am 22.5.2017) sowie öffentliche Einrichtungen von symbolischem Charakter (Parlamentsgebäude wie in Ottawa/ Kanada am 22.10.2014, Kirchen wie Saint-Étienne-du-Rouvray am 26.6.2016) bieten ­ Hit-Teams den Einsatz von Wirkmitteln an, die höhere Zahlen von Getöteten und Verletzten generieren. Aber auch die Wirkmittel von low levelTerrorismus, wie beispielsweise Messer, Äxte, Schwerter, Fahrzeuge, Steine von Brücken, Gasflaschen und Gift können sehr viele Menschen töten und verletzen. Bei einem TerrorMANV muss die Klinik damit rechnen, dass kurz nach dem Anschlag zahlreiche Patienten unversorgt allein in die nächstliegende Klinik stürmen. Allerdings dürfen sich die Team nicht an ihnen abarbeiten, um für die absehbar Schwerverletzten noch genügend Kapazität zu haben. „Einen guten Anhaltspunkt für die Anzahl der Opfer bieten die Meldungen aus den sozialen Netzwerken“, so Friemert (Lenzen-Schulte 2017, S. 1999). Absoluten Vorrang im Sinne einer damage control surgery hat es, Blutungen in Körperhöhlen oder stammnahe Hämorrhagien zu versorgen, wozu man zwingend Chirurgen und Operationsplätze benötigt. Erst danach, wenn mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, kann wieder eine individuelle Versorgung greifen, oder die Patienten können verlegt werden, zum Beispiel um Explosionstraumata der Lunge zu behandeln (Lenzen-Schulte 2017, S. 1999). Tab. 3.2  Gefahrenzonen bei USBV (modifizierte Angaben, gerundet) (Neitzel, C. und Ladehof, K. 2015: Taktische Medizin. Berlin: Springer) Potentielle USBV

Äußere Schwere Sprengkraft Tödliche in TNT-Äqui- Verletzungen Verletzungen Absperrung für Gebäude (m) (m) valent (kg) (m)

Äußere Absperrung im Freien (m)

Selbstmordattentäter

5–10

5–10

10–30

35

400

Kofferbombe  ~ 20

15

30–50

45

500

Kleinwagen

 ~ 230

30

450

100

600

Limousine

 ~ 450

60

600

150

700

SUV/Van

 ~ 1800

70

700

200

800

100

1000

300

1500

bis zu 4500 LKW mit Kofferaufbau (7,5t)

3.2  Ein Massenanfall von Verletzten (TerrorMANV) durch islamistischen …

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3.2.5 Neue Herausforderungen für Polizei und Rettungskräfte durch einen TerrorMANV Nach Friemert und Goertz stellen folgende operativ-taktischen, organisatorischen und psychologischen Herausforderungen ein neues qualitatives und quantitatives Anforderungsniveau für Polizei und Rettungskräfte dar: • „Lagebeurteilung durch die Ersthelfer und die zuerst eintreffenden Rettungskräfte sowie die Polizei • Qualitative und quantitative Beurteilung der Lage, Versorgung und Transport der Verletzten • Verhindern bzw. Minimieren von Panik, ggfs. geordnete Evakuierung • Problematik Second Hit, hohe Verletzlichkeit der Rettungskräfte als soft targets, Schutz der Rettungskräfte • Ausbildungsstand, Ausstattung und Taktik der Polizeikräfte, Bewaffnung und Schutzausstattung, mentale readiness • Verfügbarkeit polizeilicher Spezialkräfte, evtl. Einsatz von Feldjägern der Bundeswehr • Lagebewältigungsstrategien zahlreicher staatlicher und nicht staatlicher Akteure von Sicherheits- und Rettungsorganisationen unterschiedlicher Ebenen (Landkreis, Land, Bund, Deutsche Bahn AG, Flughafenbetreiber etc.) • Ggfs. Zuständigkeitskonflikte, Führungs- und Kommunikationsfähigkeiten (Funk- und IT-Systeme etc.) • Medialer/öffentlicher Druck, unkontrollierbare informelle Informationsverbreitung durch Ubiquität von Smartphones (Film- und Bildaufnahmen), Social Media, Videoplattformen • Bei mobilen und/oder zeitversetzten Lagen erhebliche Potenzierungswahrscheinlichkeiten“ (Goertz und Friemert 2017, S. 508–509). Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) ist die deutsche Unfallchirurgie auf einen Massenanfall von Verletzten (MANV), wie beispielsweise durch eine Massenkarambolage auf der Autobahn, sehr gut durch die seit 20 Jahren etablierten TraumaNetzwerke DGU vorbereitet (Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie 2017). Dieses qualitative und quantitative Maß an medizinischer Vorbereitung trifft nach der aktuellen Einschätzung durch die DGU allerdings noch nicht auf einen TerrorMANV, verursacht durch terroristische Anschläge, zu (Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie 2017). Kriegswaffen, Maschinenpistolen, Sprengsätze und Nagelbomben – als häufig benutzte Wirkmittel von islamistisch-terroristischen Anschlägen – verursachen

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andere Verletzungen als Autounfälle und erfordern daher auch ein anderes Eingreifen von Rettungskräften und Ärzten. So steht bei Sprengstoffexplosionen im dringlichsten Vordergrund, die lebensbedrohlichen Blutungen zu stillen. Etwa 90 % der Opfer von Terroranschlägen sterben demnach, weil sie verbluten (SWR 2017; Goertz 2019, S. 266). Im Bereich der strategischen Maßnahmen zur Vorbereitung auf einen Terror-MANV hat die DGU einen Fünf-Punkte-Plan erarbeitet, mit dem das ­ Bewusstsein der Rettungskräfte, Notärzte und Kliniken für die Bedrohung durch islamistisch-terroristische Anschläge geschärft und Kenntnisse zum Vorgehen in verschiedenen Szenarien transportiert werden sollen (Oberhofer 2017). Neben deutschlandweiten Konferenzen und regionalen Informationstagen existiert auch ein verschriftlichter Leitfaden für die Planung erforderlicher Maßnahmen, dazu wurde das Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie um ein Schuss- und Explosionsregister erweitert. Daneben bietet die DGU Kurse an, die u. a. in den Bereichen „Versorgung von Schuss- und Explosionsverletzungen“ sowie „innerklinisches Management besonderer Lagen“ weiterbilden (Goertz 2019b, S. 266–267). Während viele Rettungsdienste gängige Empfehlungen zu spezialisierter Ausrüstung für einen TerrorMANV bereits umgesetzt haben, bedarf es allerdings auch einer Erweiterung der medizinischen Ausstattung von Polizeikräften und KatS-Einheiten, die entsprechende Schulungen voraussetzen (Zednicek und Goertz 2018, S. 30). Gemeinsame Aus- und Fortbildung ist erforderlich, sodass einerseits Rettungskräfte taktische Grundsätze in polizeilichen Lagen (Gefahrenbereiche und Eigenschutz) erlernen und sich andererseits Polizisten medizinische Grundlagen für das Bewältigen von TerrorMANV-Lagen (Triage, Übergabepunkte) aneignen (Zednicek und Goertz 2018, S. 30). So kann durch einen stetigen Abgleich von Konzepten und wechselseitigen Hospitationen der Vorbereitungsstand forciert werden, was objektiv und subjektiv sehr wichtig ist. Auf einer sicherheitspolitischen, institutionellen Ebene muss hier konstatiert werden, dass das Szenario TerrorMANV, ebenso wie zahlreiche andere mit dem islamistischen Terrorismus als Bedrohungsszenarien verbundene politische Problemfelder, von absolut vitaler Bedeutung für die deutsche und europäische Zivilbevölkerung, die deutschen Rettungskräfte und Kliniken sowie für die deutschen Sicherheitskräfte ist. Bildlich gesprochen: Wenn dieser Änderungsbedarf im Bereich TerrorMANV nicht gesamtgesellschaftlich, institutionell – vor allem von den zuständigen Ministerien für Inneres sowie Gesundheit – auf Bundesebene und auf Länderebene – schnellstmöglich erkannt und umgesetzt wird, gefährdet dies zahlreiche Menschenleben.

3.3 Fazit

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3.3 Fazit Seit dem islamistischen Anschlag des Flüchtlings und Gefährders Anis Amri auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19.12.2016 stellt sich für Sicherheitsbehörden und die Politik die entscheidende Frage, wie die von (ausländischen) Gefährdern ausgehenden Risiken für die öffentliche Sicherheit eingedämmt werden können. So stellen die Verfassungsschutzbehörden in Deutschland im Hellfeld die bisher größte Zahl an Salafisten fest und gehen mit Stand des Frühjahrs 2020 von über 11.300 Salafisten und 26.560 Islamisten in Deutschland aus. Verbunden mit dieser historisch hohen Zahl von Salafisten und Islamisten ist die Zahl von aktuell – im Frühjahr 2020 – 679 islamistischen Gefährdern alleine in Deutschland. Im Sommer 2019 betrug die Zahl islamistischer Gefährder in Deutschland noch 774 (Welt 2019). Zusätzlich stieg die Zahl der „Relevanten Personen“, also der potenziellen Unterstützer von islamistischen Terroristen, im Jahr 2019 um 42 Personen auf 512 (Welt 2019). Nach Angaben der Bundesregierung sind. die unterschiedlichen Begrifflichkeiten Gefährder, Relevante Personen und Personen des islamistisch-terroristischen Spektrums Ausfluss unterschiedlicher Zuständigkeiten und Aufgabenzuweisungen der Polizei und der Nachrichtendienste (Trennungsgebot). Der Fokus der Polizeibehörden richtet sich auf Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, wohingegen die Nachrichtendienste bereits im Vorfeld der polizeilichen Zuständigkeit Personen fokussieren und ggf. entsprechend kategorisieren. Das für die deutsche Polizei etablierte Gefährderprogramm, basierend auf den Begrifflichkeiten Gefährder und Relevante Person, hat sich aus Sicht der Bundesregierung bewährt (Bundestag Drucksache 18/11.369 2017, S. 12–13).

Nach dem Terroranschlag des Gefährders Anis Amri auf einen Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche im Dezember 2016 haben Justiz, Innenministerium und auch verschiedene Bundesländer eine Intensivierung ihrer Maßnahmen beschlossen. Unter anderem werden Abschiebungen für Gefährder weiter vereinfacht und ihnen kann das Tragen einer elektronischen Fußfessel angeordnet werden. Im Phänomenbereich islamistischer Terrorismus erweitert der Gefährder den klassischen Rechtsbegriff des „Tatverdächtigen“. Um jegliches Risiko auszuschließen, sind die Praktiken der Kriminalpolizeien nunmehr bereits im extremistischen Vorfeld angesiedelt, jener weite, inhaltlich schwach bestimmte Bereich, der ursprünglich allein vom Verfassungsschutz abgedeckt und bearbeitet werden sollte (Kretschmann 2017; Klink 2002). Gezielt wird so nicht mehr allein auf konkrete, sondern auf potenzielle Gefahren, abgestellt, wenn sich eine

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„Gefahr noch nicht derart verdichtet hat, dass sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen ließe, ob in näherer Zukunft eine Gefahr vorliegt oder nicht“ (Thiede 2008, S. 541). Um Personen der Kategorie des Gefährders zuordnen zu können, werden „Gefahrenermittlungen“ durchgeführt, um das Gefahrenpotenzial bestimmter Personen festzustellen (Kretschmann 2017; von Denkowski 2007). In Bezug auf einen Massenanfall von Verletzten durch islamistischen Terrorismus und den institutionellen Stand der Vorbereitungen haben die zahlreichen jihadistischen Anschläge in Europa innerhalb der letzten drei Jahre eine neue Bedrohung für die Rettungskräfte, die Polizei und die Krankenhäuser entstehen lassen. Ein Massenanfall von Verletzten durch islamistischen Terrorismus – TerrorMANV – stellt die beteiligten Akteure vor neue qualitative und quantitative Herausforderungen, die für alle betroffenen Institutionen – mit Ausnahme des Sanitätsdienstes der Bundeswehr aufgrund verschiedener Auslandseinsätze – seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges neu sind. Abschließend sind entscheidende Unterschiede zwischen einem „gewöhnlichen“ MANV – beispielsweise bei Autounfällen – und einem TerrorMANV festzustellen. Einen entscheidenden Unterschied machen hier die Verletzungsmuster aus, die sich bei einem TerrorMANV qualitativ erheblich von denen eines „gewöhnlichen“ MANV unterscheiden. Die Verletzungsmuster, die bei terroristischen Anschlägen bzw. Attentaten entstehen, sind mit denen von Kriegsverletzungen – beispielsweise Schusswunden und blast injuries –, verursacht durch Schusswaffen und Sprengstoff, zu vergleichen und sowohl die Rettungskräfte als auch die Traumatologie in Deutschland sind noch nicht umfassend darauf vorbereitet, was ein erhebliches Risiko für Menschenleben bedeutet. Die Konsequenzen dieses durch terroristische Anschläge herbeigeführten Wandels in der Traumatologie bestehen im Abrücken von zeitintensiver, individueller Operationen und führen nach dem Diktum von tactical abbreviated surgical care dazu, dass das Ziel einer medizinischen Behandlung im Fall eines TerrorMANV lauten muss, möglichst vielen Patienten das Überleben zu sichern und erst dann die funktionellen Ziele zu verfolgen. Life before limb kann bei vielen zu behandelnden Patienten eines TerrorMANV innerhalb eines Klinikums dazu führen, dass Amputationen durchgeführt werden müssen. Von vitaler Bedeutung, um Verwundete und Tote durch einen TerrorMANV in Deutschland und Europa zu vermeiden, ist, dass die entscheidenden Unterschiede bei der Reaktion auf einen TerrorMANV möglichst schnell institutionell implementiert werden und zwar auf den Ebenen des taktischen, strategischen und organisatorischen Vorgehens, von der Notfallstelle bis hinein in den OP.

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Technische Mittel zur Terrorismusabwehr

4.1 Videoüberwachung des öffentlichen Raumes als wirksames Mittel gegen islamistischen Terrorismus? Die Frage nach dem praktischen Nutzen, der Tauglichkeit, dem Sinn einer (flächendeckenden) Videoüberwachung des öffentlichen Raumes ist eine zutiefst politisierte Frage, die seit Jahren emotional aufgeladen diskutiert wird (Zeit Online 2017; Handelsblatt 2016; Focus Online 2016; WDR aktuell 2016; Goertz 2017a, S. 16). Soll der (potenzielle) Schutz von Leben und Gesundheit in Zeiten der besonderen Bedrohungslage durch den islamistischen Terrorismus wichtiger als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sein? Eine politisierte, parteipolitische oder philosophische Debatte dieser Frage kann an anderen Orten geführt werden. Angesichts der aktuellen und zukünftigen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus und der zahlreichen geplanten und/oder durchgeführten islamistisch-terroristischen Anschläge in Europa in den letzten drei Jahren soll diese Frage hier nicht auf einer rechtspolitischen Ebene, sondern aus einer operativ-taktischen Perspektive heraus analysiert werden (Goertz 2017a, S. 16). Entscheidend für die Beantwortung der Frage „Ist Videoüberwachung ein wirksames Mittel gegen die augenblickliche und zukünftige Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus?“ ist die Wahl der Analyseebenen. Eine Untersuchung auf einer operativ-taktischen Ebene erfordert die Analyse der möglichen Anschlagsziele und der taktisch-operativen Modi Operandi sowie der am wahrscheinlichsten gewählten Tatmittel islamistisch-terroristischer Attentäter (vgl. Kap. 2).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Goertz, Terrorismusabwehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30672-4_4

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Mögliche Anschlagsziele und Modi Operandi islamistischer Attentäter Nicht nur EUROPOL, sondern auch die herrschende Meinung der Terrorismusforschung legt sich darauf fest, dass die augenblicklichen Akteure des islamistischen Terrorismus, sowohl die Großorganisationen Al Qaida und „Islamischer Staat“ (IS) als auch islamistische Einzeltäter, nach der terroristischen Logik „Angst und Schrecken in der Zivilbevölkerung zu verbreiten“, mögliche Anschlagsziele priorisieren: „Weiche Ziele“, die Zivilbevölkerung, öffentlichkeitswirksam und repräsentativ als Ziel von terroristischen Anschlägen und Attentaten, sind die augenblickliche Priorität Nummer eins (EUROPOL 2016; Horgan 2014; Sageman 2017; Schmid 2011). Daraus leiten sich folgende (potenzielle) Anschlagsziele sowie Wirkmittel ab: • Flughäfen und Bahnhöfe, öffentliche Verkehrsmittel im Allgemeinen (Busse, U-Bahnen, S-Bahnen, Züge, Gondeln), Hindernisse auf Gleisen, Sprengstoffexplosionen in Zügen, gerade dort ist mit einem second hit-Anschlagsszenario durch herrenlose Gepäckstücke zu rechnen • Schiffe, Fähren und Tanker • Große Menschenmengen im Rahmen von Fußballspielen, Konzerten, Weihnachtsmärkten, Großereignissen (Events), u. a. das Oktoberfest in München, der Wiener Prater, Fußgängerzonen, Kirchentage, Christopher Street Day, Fridays for Future, Freizeitparks • Öffentliche Einrichtungen von symbolischem Charakter (Kirchen, Synagogen, Tempel, Kindergärten, Schulen, Universitäten) • Kritische Infrastrukturen mit hoher Bedeutung für die Zivilbevölkerung (Krankenhäuser, Stromversorgung, Wasser etc.) • Lüftungen, Klimaanlagen in großen Gebäuden • Atomkraftwerke • Politik, Ministerien, Behörden (z. B. Universitäten, Akademien, Ausbildungsund Schulungseinrichtungen der Sicherheitsbehörden, um die personelle Zukunft der Sicherheitsbehörden zu schwächen) (Goertz 2019c, S. 183; Goertz 2017e, S. 90–92).

4.1.1 Videoüberwachung als taktisch-operatives Mittel für die Aufklärung terroristischer Anschläge Ein dichtes Netzwerk von Kameras in Straßen, an öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln erhöht die Chance, einen Straftäter – repressiv – zu identifizieren und festzunehmen, produziert jedoch eine überwältigende Daten-

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menge, die nach einem terroristischen Anschlag innerhalb kürzester Zeit ausgewertet werden muss. Nach dem islamistischen Anschlag auf den Boston Marathon (15.4.2013), bei dem drei Menschen getötet und über 260 Menschen verletzt wurden, mussten die US-Sicherheitsbehörden Hunderttausende von Filmminuten und Bildern öffentlicher Videoüberwachung, privater Sicherheitsfirmen und Video- und Bild-Material von Zuschauern (u. a. Mobiltelefone) auswerten. Nach 72 h konnte das FBI zwei (grobkörnige) Fotos – kopiert aus einem Überwachungsvideo – für die (erfolgreiche) Fahndung nach den beiden Tatverdächtigen nutzen (Goertz 2017a, S. 18). Videoauswertungen ergaben im Herbst 2016, dass der potenzielle Attentäter Jabr Al Bakr den Flughafen Berlin-Tegel ausgespäht hatte, vermutlich um dort einen Anschlag zu verüben (Striethörster 2019, S. 36). Anis Amri, der islamistische Terrorist, der am 19.12.2016 12 Menschen tötete und 56 verletzte, zeigte Minuten nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin den Tauhid-Zeigefinger in eine der Kameras im Bahnhof Berlin Zoologischer Garten. Sowohl mit den Aufnahmen von Al Bakr als auch von Anis Amri konnten die polizeilichen Ermittlungen und Fahndungen entscheidend unterstützt werden. Nach den islamistischen Anschlägen auf öffentliche Verkehrsmittel – drei U-Bahn-Züge und ein Bus – am 7.7.2005 in London, wobei 56 Menschen getötet und 528 Menschen verletzt wurden, werteten Tausende Polizisten und Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden über Wochen das CCTV-Material (closed-circuit television) der Stadt London aus. Jedoch muss hier angeführt werden, dass sich die Technik der Videokameras, ihre Software und ihre Algorithmen seither signifikant verbessert haben: Die Gesichts- und Objekterkennungssoftware hat sich qualitativ enorm entwickelt und ihre Optimierung schreitet rasant fort (BBC 2006). Die beiden Vorfälle in Berliner-U-Bahnen Ende 2016, die mediale Aufmerksamkeit erfahren haben – der Tritt eines Täters in den Rücken einer unbeteiligten Frau, die daraufhin die Treppe in einem U-Bahnhof herunterstürzte und der versuchte Mord an einem Obdachlosen, bei dem sieben Täter versuchten, diesen anzuzünden – zeigen, dass die Videoüberwachung aller Berliner U-Bahnhöfe, fast aller Busse und ca. 80 % der Straßenbahnen, zu einer schnellen Aufklärung und Festnahme der Täter führen (Spiegel 2017; Goertz 2017a, S. 18). Die umfassendste Forschungslage in Bezug auf die Frage, ob Videoüberwachungsanlagen eine kriminalpräventive Wirkung entfalten, liegt nach Müller für Großbritannien vor, wo seit 1998 der flächendeckende Ausbau mit dem CCTV betrieben wird (Müller 2017, S. 307). Ein Rückgang der Fallzahlen durch Videoüberwachungsanlagen kann vor allem dann festgestellt werden, wenn sich der überwachte Bereich in Kleinstädten befindet und nicht zu groß

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4  Technische Mittel zur Terrorismusabwehr

und zu unübersichtlich ist (Armitage 2002, S. 3). Allerdings gilt es hier auch zu bedenken, dass durch die Videoüberwachungsanlage selbst ein Anstieg der Fallzahlen produziert wird, schlicht durch die erhöhte Erfassung (Müller 2017, S. 307). Auch für Schweden liegen empirische Daten vor. So wurden im Jahr 2006 in den U-Bahn-Stationen von Stockholm erste Überwachungskameras installiert und Priks belegt mit empirischen Daten, dass in den innenstadtnahen, stark frequentierten U-Bahn-Stationen ein Rückgang der Kriminalität um ca. 20 % seit der Installation der Überwachungskameras festzustellen war (Priks 2011). Entscheidend war hierbei allerdings, dass die Überwachungskameras mit Sicherheitspersonal laufend besetzt waren und dadurch das Geschehen „live“ beobachtet wurde. So konnte das Sicherheitspersonal bei Vergehen sofort die Polizei rufen und den Straftäter noch vor Ort stellen (Müller 2017, S. 307). Zu ähnlichen Ergebnissen kam ein Pilotprojekt im Land Brandenburg, das ab 2001 über drei Jahre durchgeführt wurde. Das Ergebnis in Brandenburg war, dass die Videoüberwachung deutliche Effekte zeigte. Auch die Studien von Welsh und Farrington, Gill und Springs kamen im Gesamtergebnis zum Befund, dass Videoüberwachung präventiv positiv wirken kann (Welsh und Farrington 2002; Gill und Springs 2005).

4.1.2 Videoüberwachung als präventives Mittel gegen den islamistischen Terrorismus? Nein und Ja! Ein wichtiges Argument gegen Videoüberwachung als präventives Mittel gegen den islamistischen Terrorismus stammt vom ehemaligen Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar. Er führte aus, dass eine flächendeckende Videoüberwachung im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus sogar kontraproduktive Wirkung haben könne, weil „Selbstmordattentäter es darauf anlegen, Bilder zu produzieren. Diese Bilder werden dann von den Medien aufgegriffen und erzeugen Angst, das ist genau im Interesse der Terroristen“ (RBB 24 2016; Goertz 2017a, S. 19). Jedoch wird in der (häufig) politisiert und wahltaktisch geführten Diskussion über den Nutzen von Videoüberwachung als Mittel gegen den islamistischen Terrorismus bisher die Analyse der Logik und Strategie des islamistischen Terrorismus verdrängt. So wenden islamistische Attentäter aufsehenerregende Gewalt – Symbolik als Mittel des Terrorismus im Medienzeitalter des 21. Jahrhunderts – gegen die Zivilbevölkerung und staatliche Stellen an, um Angst und Schrecken zu verbreiten und dadurch politische Entscheidungen von Staaten zu beeinflussen (Goertz 2017a, S. 19). Dabei weisen sie durch ihre

4.1  Videoüberwachung des öffentlichen Raumes …

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r­eligiös-politische Ideologie ein derartiges Niveau einer Radikalisierung auf, dass sie außerhalb der Kategorien von „normalen Straftätern“ agieren. Der Einsatz ihres Lebens – Selbstmordattentate durch USBV z. B. am 13.11.2015 in Paris, am 22.3.2016 in Brüssel, am 24.7.2017 in Ansbach, am 22.5.2017 in Manchester – als taktisches Mittel verortet sie außerhalb kriminologischer und kriminalpolitischer Kategorien rechtsstaatlicher Demokratien wie Prävention und Repression. Sprich: Islamistische Attentäter nehmen ihren „Märtyrertod“ in Kauf, um ihr strategisches Ziel zu erreichen. Sie wollen, dass ihre Taten im Namen ihrer politisch-religiösen Ideologie medial verbreitet werden, daher ist Videobzw. Fotomaterial ein geeignetes Mittel ihrer Strategie. Aus operativ-taktischer Perspektive bedeutet dies zusammengefasst: Ist es dem islamistischen Attentäter gelungen, sich dem geplanten Ort des Anschlags zu nähern und seine Tatvorbereitung – Ausspähung des Zieles, Beschaffen der Wirkmittel – abgeschlossen, kann sein Anschlag nicht durch Videoüberwachung verhindert werden (Goertz 2017a, S. 19). In diesem Zusammenhang unterscheidet der Kriminologe Armand Mergen den „politischen“ Täter, hier: ein (islamistischer) Terrorist, in vier Punkten von „allgemeinen“ Tätern: • „Der politische Straftäter verbirgt im Gegensatz zum Kriminellen nicht seine Tat, er bekennt sich zu ihr öffentlich. • Der politische Straftäter bestreitet die Legitimität der verletzten Norm, während der Kriminelle sie prinzipiell anerkennt. • Der politische Straftäter bezweckt einen Norm- und Moralwandel. • Der politische Straftäter handelt uneigennützig, während der Kriminelle im Eigeninteresse handelt“ (Mergen 2000, S. 57). Der Vergleich von unpolitischen Kriminellen zu (islamistischen) Terroristen zeigt, dass der Terrorist zwar ebenso als rational planender Täter betrachtet werden kann, für ihn die „Kosten“ der Tat eben nicht im Entdeckungsrisiko liegt (Müller 2017, S. 308). Müller verweist hier darauf, dass der (islamistische) Terrorist „eben nicht im Rahmen einer rationalen Abwägung der Kosten-Nutzen-Situation hinsichtlich seiner möglichen Tat abwägt, sondern er plant die Tat gerade wegen der für ihn entstehenden ‚Kosten‘, wie z. B. der eigene Tod als Möglichkeit des Märtyrertodes oder der Tötung von Andersgläubigen als vermeintliche Stärkung des eigenen Glaubens“ (Müller 2017, S. 308). Zu ergänzen ist, dass das Bekanntwerden der Tat, die Öffentlichkeit der Tat, gerade das Ziel bzw. den „Sinn“ terroristischer Taten ausmacht. Also kann die Videoüberwachung öffentlicher Räume, die potenzielle Ziele terroristischer Anschläge sind, dem terroristischen

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4  Technische Mittel zur Terrorismusabwehr

Attentäter genau die „Bühne“ geben, die er für seine terroristische Logik der Kommunikation mit der Öffentlichkeit benötigt. Ein weiteres Gegenargument ist nach Müller, dass Kernbestandteil des Systems Videoüberwachung ist, dass das Videomaterial von Personen überwacht wird, sodass die Aufdeckung der Tatplanung die zeitnahe Überwachung und Auswertung des Videos voraussetzen (Müller 2017, S. 309). Ein wichtiges Argument für die Videoüberwachung als präventives Mittel liegt im Vorfeld eines potenziellen islamistischen Anschlags. Nach Ansicht des Bundesministeriums des Innern kann „der Einsatz optisch-elektronischer Sicherheitstechnologie präventiv dazu beitragen, die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen, indem potenzielle Täter etwa bei der Erkundung von Örtlichkeiten im Vorfeld oder unmittelbar vor einer Tatbegehung erkannt und diese vereitelt werden“ (Deutscher Bundestag 2016). Aus operativ-taktischer Perspektive bedeutet dies: Wird der potenzielle islamistische Attentäter in der Phase der Vorbereitung der Tat durch Videoüberwachung entdeckt, hat die Videoüberwachung eine entscheidende Funktion, den geplanten Anschlag zu verhindern und somit durchaus taugliche präventive Wirkung (Goertz 2017a, S. 19). Die Gesichter der aktuell ca. 670 islamistischen Gefährder – potenzielle Terroristen, die kurz vor dem Verüben eines Anschlags stehen könnten – kann der einzelne Polizist nicht (auswendig) kennen, aber durch ein Videoanalysesystem könnten gesuchte Personen erkannt und die Polizeien alarmiert werden. Thomas Striethörster, zum Zeitpunkt des Pilotprojektes „Sicherheitsbahnhof Berlin-Südkreuz“ zwischen 2017 und 2018 Präsident der Bundespolizeidirektion Berlin, führt aus, dass die Ergebnisse dieses Pilotprojektes sehr positiv waren und biometrische Gesichtserkennungssoftware wirksam ist. Die dort eingesetzte Gesichtserkennungssoftware hat ihren Test auf Tauglichkeit in der Praxis bestanden (Striethörster 2019, S. 36–40). Für die Zukunft sagt Striethörster voraus, dass modern Videoanalyseverfahren die Polizeiarbeit effektiv unterstützen, (terroristische) Straftaten verhindern und damit helfen werden, Gefahrensituationen rechtzeitig zu erkennen. Sprich: Biometrische Gesichtserkennungssoftware wird in der Zukunft den Polizeien dabei helfen, ihre gesetzlichen Aufgaben effektiver und wirksamer zu erfüllen können als jemals zuvor. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass die Mehrheit der Bevölkerung, ca. 75 % bis 85 %, sich für mehr Videoüberwachung ausspricht (Blindenbacher 2019, S. 60). Eine Erhebung von Statista im Jahr 2017 ergab, dass 81 % der Befragten Videoüberwachung eher als Sicherheitsgewinn denn als einen „Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte“ bewerteten (Kolaric 2019, S. 57). Auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung hat Videoüberwachung

4.1  Videoüberwachung des öffentlichen Raumes …

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eine wichtige Rolle: Sie will „…die Videoüberwachung an Brennpunkten einsetzen, sie verhältnismäßig und mit Augenmaß effektiv ausbauen und dabei auch technisch verbessern. Intelligente Videoüberwachung kann dabei eine Weiterentwicklung sein“ (Blindenbacher 2019, S. 60).

4.1.3 Flächendeckende Videoüberwachung als repressives Mittel gegen den islamistischen Terrorismus? Ja! Die islamistischen Anschläge in Boston (15.4.2013), in London (7.7.2005), in Brüssel (22.3.2016), am 22.5.2017 in Manchester sowie vom 16. bis 18.8.2017 in Barcelona und Cambrils haben bewiesen, wie hilfreich Videoüberwachung bei der Aufklärung von terroristischen Anschlagen und der Ermittlung der Täter sein können (Telegraph 2017). So konnte der auf einem CCTV-Film auf dem Brüsseler Flughafen Zaventem identifizierte „Mann mit schwarzem Hut und weißer Jacke“ nach kurzer Zeit durch die belgischen Sicherheitsbehörden als Mohamed Abrini identifiziert wurden, der nach kurzem Verhör seine Mittäterschaft bestätigte. Im Rahmen der Fahndung nach dem islamistischen Attentäter Omar Al Hussein, der im Februar 2015 in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen zwei Menschen getötet hatte, waren Bilder verschiedener Überwachungskameras das entscheidende Mittel für die Polizeibehörden (The Guardian 2015; Goertz 2017a, S. 20). Die Kameradichte variiert von Bundesland zu Bundesland. Während sich der Senator für Inneres und die Polizei Bremen aufgeschlossen für optische Überwachungssysteme zeigen, geben sich der Berliner Innensenator und die Landespolizei Berlin eher zurückhaltend. Dennoch bat der Berliner Innensenat nach dem Anschlag von Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche am 19.12.2016 die Bürgerinnen und Bürger um Handy-Videos vom Abend der Tat (Kolaric 2019, S. 57). Zusammengefasst: Das Videomaterial aus flächendeckender Videoüberwachung hat einen hohen Nutzen für die Strafverfolgung. Einerseits ermöglicht das Videomaterial eine Identifizierung der Täter mittels Öffentlichkeitsfahndung – wie zum Beispiel im Fall des islamistischen Anschlags auf den Brüsseler Flughafen – und andererseits wird der Nachweis des Anschlags durch beweisgesichertes Videomaterial stark erleichtert (Müller 2017, S. 310). In den letzten Jahren und Monaten kann ein Anstieg von Luftbildüberwachung von Großveranstaltungen an potenziellen Kriminalitätshotspots mit

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4  Technische Mittel zur Terrorismusabwehr

­ esichtserkennungssoftware als integraler Bestandteil von sowohl präventiver G als auch repressiver Polizeiarbeit festgestellt werden (Byok und Horschik 2019, S. 52). Allein bis zum Ende des Jahres 2019 sollten bei der Bundespolizei 2300 Bodycams angeschafft und zum Einsatz kommen. Dieser Trend zeigt sich auch auf der Ebene der Landespolizeien, so bestellte das bayerische Innenministerium im März 2019 1400 Bodycams für die bayerische Polizei. Da sich sowohl innerhalb der Polizeibehörden Deutschlands als auch innerhalb der Bevölkerung eine breite Akzeptanz zur Einführung von Bodycams zeigt, ist kurz- bis mittelfristig mit einer deutschlandweiten Ausstattung mit Bodycams zu rechnen (Byok und Horschik 2019, S. 52). Die gut sichtbaren Bodycams sollen deeskalierende Wirkung haben und potenzielle Gewalttäter abschrecken.

4.1.4 Zwischenfazit Abschreckende, präventive Wirkung im Sinne kriminologischer und kriminalpolitischer Theorien und Strategien hat eine flächendeckende Videoüberwachung auf (potenzielle) islamistische Attentäter deutlich weniger als auf „gewöhnliche“ Kriminelle (Goertz 2017a, S. 20). Abschreckende, präventive Wirkung hat eine flächendeckende Videoüberwachung jedoch nur dann, wenn sie die Vorbereitung eines islamistischen Anschlags oder Attentats erschwert oder vereitelt. Ist der (potenzielle) islamistische Attentäter z. B. als islamistischer Gefährder bekannt, könnte Gesichtserkennungssoftware nach dem gegenwärtigen technologischen Stand diesen durch Vernetzung mit dem Material der Videoüberwachung innerhalb weniger Sekunden identifizieren und die zuständigen Polizeikräfte alarmieren. Jedoch ist die präventive Wirksamkeit einer Videoüberwachung als Mittel gegen den islamistischen Terrorismus zum einen vom technologischen Niveau, wie z. B. von einer Gesichts- und Objekterkennung abhängig, zum anderen vor allen von den zugrunde liegenden personenbezogenen Daten zum Abgleich durch Algorithmen in Datenbanken deutscher und europäischer Sicherheitsbehörden (Goertz 2017a, S. 20). Zusammengefasst: Repressive Wirkung zur Aufklärung eines islamistischen Anschlags kann eine flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raumes haben und damit ein wirksames Mittel gegen islamistischen Terrorismus sein. Bei sinnvoller Nutzung und Weiterentwicklung der Videoüberwachungstechnologie kann diese wertvoll für die Terrorismusabwehr sein.

4.2  Technische Abwehrmittel gegen islamistischen Terrorismus

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4.2 Technische Abwehrmittel gegen islamistischen Terrorismus 4.2.1 Betonpoller, Sandsäcke und Stahlseile, Wassertanks und Metallstelen In Nizza (2016), Berlin (2016), Stockholm (2017), London (am 22.3.2017 und am 3.6.2017), Barcelona (2017) und New York wurden Kraftfahrzeuge als Wirkmittel des islamistischen Terrorismus benutzt. Hätten diese islamistischen Anschläge mit Kraftfahrzeugen verhindert und damit das Leben und die Gesundheit Hunderter gerettet werden können? Spätestens nach dem Anschlag mit einem LKW in Nizza am 24.7.2016 hätten die deutschen Sicherheitsbehörden damit rechnen können bzw. müssen, dass auch in Deutschland islamistische Anschläge mit Kraftfahrzeugen auf Menschenmengen durchgeführt werden könnten. Dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, zu verhindern, dass Kraftfahrzeuge in Menschenmengen bei Großereignissen (Weihnachtsmärkte, Jahrmärkte, Volksfeste etc.) rasen, hätte den Behörden spätestens nach dem Anschlag in Nizza bekannt sein können, bekannt sein müssen (Zastrow 2017, S. 8). Dabei ist der Schutz von Menschenmengen vor einem islamistischen Anschlag mit Fahrzeugen mit relativ simplen und günstigen Mitteln möglich und fällt unter good governance (Zastrow 2017, S. 8). Die als Wirkmittel benutzten Tatfahrzeuge der folgenden sieben islamistischen Anschläge hatten folgende Eigenschaften, Geschwindigkeiten und haben folgende Opferzahlen verursacht: • Nizza, 14.7.2016, LKW, Gesamtgewicht 18.000 kg, Geschwindigkeit ca. 70 km/h, 56 Tote und 434 Verletzte • Berlin, 19.12.2016, Sattelzugmaschine mit Auflieger, Gesamtgewicht 40.000kg, Geschwindigkeit ca. 80 km/h, 12 Tote und 56 Verletzte • Westminster/London, 22.3.2017, Pkw, 1500  kg, Geschwindigkeit ca. 100 km/h, fünf Tote und 50 Verletzte • London Bridge, 3.6.2017, Kleintransporter, 2000 kg, Geschwindigkeit ca. 80 km/h, acht Tote und 48 Verletzte • Stockholm, 7.4.2017, LKW, Gesamtgewicht 12.500 kg, Geschwindigkeit ca. 60 km/h, fünf Tote und 14 Verletzte • Barcelona, 17.8.2017, Kleintransporter, 3500  kg, Geschwindigkeit ca. 60 km/h, 14 Tote und über 100 Verletzte

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• New York, 7.4.2017, Pick-up, 3000 kg, Geschwindigkeit ca. 80 km/h, acht Tote und 12 Verletzte (Schürmann und Weicht 2020, S. 18). Kraftfahrzeuge stellen ein sehr leicht zu beschaffendes Wirkmittel dar und bieten schier endlose Möglichkeiten, aus terroristischen Motiven Menschen zu überfahren. Im November 2017, vier Monate nach dem islamistischen Anschlag mit einem LKW in Nizza, bei dem 56 Menschen getötet und 434 verletzt wurden, veröffentlichte der „Islamische Staat“ in seinem Online-Magazin „Rumiyah“ Taktiken und Wirkmittel, um Fahrzeuge als Waffe gegen Passanten zu benutzen: „Fahrzeuge sind die effektivste Terrorwaffe“. Sechs Jahre vorher hatte das Online-Magazin von Al Qaida Fahrzeuge als „ultimate mowing machines“ bezeichnet. Seit 2016 fanden weltweit über 70 terroristisch motivierte Überfahrttaten statt (Schneider und S. Pierre 2020, S. 22). In einer Pressemitteilung vom 18.10.2017, 15 Monate nach dem islamistischen Anschlag mit einem LKW in Nizza, elf Monate nach dem Anschlag mit einem LKW in Berlin, sechs Monate nach dem Anschlag in Stockholm sowie zwei Monate nach dem Anschlag in Barcelona, erklärte die Europäische Union (EU), dass „Maßnahmen für besseren Schutz der EU-Bürger“ durch „technische Lösungen mit eingebauter Sicherheit (security by design) geschaffen und öffentliche Räume sicherer gemacht werden sollen […], ohne dass dabei ihr offener und öffentlicher Charakter beeinträchtig wird“ (Schürmann 2018, S. 6). Daran anknüpfend sprach sich das Deutsche Forum für Kriminalprävention (DFK) im Herbst 2017 dafür aus, ein Normungsvorhaben für Sicherheitstechnik wie Sperren und Poller, die sich in das Erscheinungsbild der Stadt einpflegen, beim Deutschen Institut für Normung (DIN) vorzuschlagen (Titel: „Entwicklung integrierter stadtbildverträglicher Sicherheitskonzepte mit dem Schwerpunkt: normgerechter Zufahrtsschutz und Veranstaltungssicherheit“) (Schürmann 2018, S. 6). Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) fasste auf ihrer 208. Sitzung vom 6. Bis 8.6.2018 unter ZOP 19 den Beschluss zur Einrichtung einer BLAG zum Schutz öffentlicher Räume vor Überfahrtaten. Nicht nur die Veranstalter, sondern auch die Polizeien, Ordnungsbehörden sowie die Sicherheitsfachleute, die für Großveranstaltungen die Sicherheitskonzepte erstellen, stehen vor der Aufgabe, einen potenziellen terroristischen Anschlag mit Kraftfahrzeugen auf Menschenmengen durch geeignete Maßnahmen zu verhindern. So haben die LKW-Anschläge in Nizza und Berlin 2016 dazu geführt, dass die Organisatoren von Großveranstaltungen im öffentlichen Raum kreative Schutzmaßnahmen, wie das Aufstellen von Betonklötzen, LKW, Baucontainern oder im ländlichen Bereich auch von großen

4.2  Technische Abwehrmittel gegen islamistischen Terrorismus

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Traktoren als Zufahrtsschutz zum Veranstaltungsgelände umgesetzt haben (Schneider 2017, S. 18). Allerdings haben nach Ansicht von Schneider Praxistests bewiesen, dass solche Mittel den potenziellen Terroristen sogar in die Hände spielen können, weil sie den dann arglosen Besuchern der Veranstaltung ein trügerisches Sicherheitsgefühl vermitteln. Denn sie beeinträchtigen sowohl die Fluchtwege als auch die Sichtbeziehungen (Schneider 2017, S. 18). Dies bedeutet einerseits, dass die unmittelbar betroffenen Besucher einen Angriff erst spät erkennen können, wenn es zur Flucht bereits zu spät ist. Andererseits kann es für Terroristen schon ausreichen, eine Massenpanik auszulösen, um eine beträchtliche Opferzahl zu provozieren. Viele Kommunen sehen das Erfordernis, ihre Bürgerinnen und Bürger vor terroristischen Anschlägen im öffentlichen Raum zu schützen, doch gleichzeitig werden staatliche Verantwortungsträger durch „martialisch“ erscheinende Sicherungsmaßnahmen gegen Überfahrtaten abgeschreckt (Schürmann und Weicht 2020, S. 16). Wird ein öffentlicher Raum oder eine Veranstaltung von den Sicherheitsbehörden als gefährdet eingestuft, kann eine Absicherung durch Zufahrtsschutzprodukte erforderlich sein. Nach Auffassung von Schürmann und Weicht sollte bei den Besuchern wenn möglich keine Kriminalitätsfurcht ausgelöst werden und daher Sperrelemente verwendet werden, die wenig martialisch erscheinen (Schürmann und Weicht 2020, S. 19). Um der Kriminalitätsfurcht der Bevölkerung entgegenzuwirken, sprechen einige Kommunalverantwortliche von sicheren Innenstädten, obwohl sie wissen, dass die benutzten „Sperrgegenstände“ wie zum Beispiel „Betonlegosteine“ nachweisbar keine ausreichende Schutzwirkung haben. 2017, ein Jahr nach dem tödlichen Anschlag mit einem Lastwagen auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19.12.2016, hatten die meisten Städte in Deutschland ihr Sicherheitskonzept überarbeitet, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab (FAZ 2017). Quasi auf allen Weihnachtsmärkten waren mehr Polizisten unterwegs, gut sichtbar mit Maschinenpistole, aber auch in Zivil. Einige Städte wie Frankfurt am Main, Dresden und Kiel hatten Polizeiwachen auf dem Weihnachtsmarkt eingerichtet. Der Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz hatte im Winter 2017, ein Jahr nach dem Anschlag mit zwölf Toten und 56 Verletzten, auch wieder geöffnet, gesichert durch Betonsperren. Manche Städte „verschönerten“ die auffallenden Absperrungen, Bochum verpackte sie wie Weihnachtsgeschenke, mit bunter Folie und roten Schleifen. In Augsburg wurden die Kleinlaster der Händler als Terrorsperren geparkt und dekoriert. München setzte unter anderem Pflanzkübel als Sicherheitssperren ein (FAZ 2017). Die Städte München, Nürnberg, Augsburg und Trier führten stichprobenartige Kontrollen von Taschen, Rucksäcken und Gepäck durch. Videokameras

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waren in Städten wie Frankfurt, Potsdam, Kiel, Oldenburg und Trier im Einsatz. Lautsprecheranlagen gibt es unter anderem in Frankfurt, München und Nürnberg. Der Dresdner Striezelmarkt hatte ein eigenes Wlan-Netz für die Kommunikation im Notfall. Die Stadt Nürnberg stellte im Winter 2017 zum Schutz des weltweit bekannten Christkindlesmarkts erstmals Metallstelen auf. Sie waren 1,50 m hoch, mobil und dicht gestaffelt. Außerdem blockierten quergestellte Polizeifahrzeuge Zufahrten. Alle Marktleute sollten über einen SMS-Verteiler benachrichtigt werden, wenn eine Gefahr droht – diese kann aber auch von Taschendieben oder einem Unwetter herrühren (FAZ 2017). Die Betonsperren gibt es in verschiedenen Ausführungen. In Essen beispielsweise wurden mobile Sperren – mit Stahlseilen verbundene Betonklötze – und feste Bollwerke aus Beton aufgestellt. Aachen setzte erstmals versenkbare Poller ein. In Städten wie Münster wurden Sperren aus Bussen und Lastwagen errichtet. In Dortmund gab es ein zeitlich begrenztes Fahrverbot und Sperren für Lastwagen in der Innenstadt. In Braunschweig durften nur der öffentliche Nahverkehr und die Budenmitarbeiter auf der Zufahrtsstraße zum Weihnachtsmarkt unterwegs sein, bei Tempo 10 (FAZ 2017). Die sieben Weihnachtsmärkte in der Lübecker Altstadt wurden mit sog. „Big Packs“, geschmückten Sandsäcken, in den Zufahrten gesichert. Karlsruhe setzte unter anderem auf mit Wasser gefüllte Container. „Sie sind pragmatischer und effizienter“, sagte ein Sprecher der Stadt (FAZ 2017). Poller sind grundsätzlich eine gute und preiswerte Schutzmaßnahme, die Wirksamkeit hängt allerdings von der technischen Qualität der Sperre ab. Einzeln aufgestellte Poller etwa können durch ein Fahrzeug mitgerissen werden. Wirksamer, aber auch teurer sind dagegen im Boden fest verankerte Sperren.

4.3 Fazit Die Frage nach dem praktischen Nutzen, dem Sinn einer (flächendeckenden) Videoüberwachung des öffentlichen Raumes ist eine zutiefst politisierte Frage, die seit Jahren emotional aufgeladen diskutiert wird. Angesichts der aktuellen und zukünftigen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus und der zahlreichen geplanten und/oder durchgeführten islamistisch-terroristischen Anschläge in Europa in den letzten drei Jahren wurde diese Frage nicht auf einer rechtspolitischen Ebene, sondern aus einer operativ-taktischen Perspektive heraus analysiert.

4.3 Fazit

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Die Antwort auf die Frage einer flächendeckenden Videoüberwachung als präventives Mittel gegen den islamistischen Terrorismus lautete Nein und Ja. Als wichtiges Gegenargument wurde die Argumentation des ehemaligen Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar dargestellt, nach dessen Aussage eine flächendeckende Videoüberwachung im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus sogar kontraproduktive Wirkung haben könne, weil „Selbstmordattentäter es darauf anlegen, Bilder zu produzieren“. Sie wollen, dass ihre Taten im Namen ihrer politisch-religiösen Ideologie medial verbreitet werden, daher ist Video- bzw. Fotomaterial ein geeignetes Mittel ihrer Strategie. Aus operativ-taktischer Perspektive bedeutet dies zusammengefasst: Ist es dem islamistisch-terroristischen Attentäter gelungen, sich dem geplanten Ort des ­ Anschlags zu nähern und seine Tatvorbereitung – Ausspähung des Zieles, Beschaffen der Wirkmittel – abgeschlossen, kann sein Anschlag nicht durch Videoüberwachung verhindert werden. Ein wichtiges Argument für die Videoüberwachung als präventives Mittel liegt im Vorfeld eines potenziellen islamistisch-terroristischen Anschlags. Nach Ansicht des Bundesministeriums des Innern kann „der Einsatz o­ptisch-elektronischer Sicherheitstechnologie präventiv dazu beitragen, die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen, indem potentielle Täter etwa bei der Erkundung von Örtlichkeiten im Vorfeld oder unmittelbar vor einer Tatbegehung erkannt und diese vereitelt werden“ (Deutscher Bundestag 2016). Aus ­ operativ-taktischer Perspektive bedeutet dies zusammengefasst: Wird der potenzielle i­slamistisch-terroristische Täter in der Phase der Vorbereitung der Tat durch Videoüberwachung entdeckt, hat die Videoüberwachung eine entscheidende Funktion, den geplanten Anschlag zu verhindern und somit durchaus taugliche präventive Wirkung. Die Antwort auf die Frage nach einer flächendeckenden Videoüberwachung als repressives Mittel gegen den islamistischen Terrorismus lautete „Ja“, weil unter anderem die islamistisch-terroristischen Anschläge in Boston (15.4.2013), in London (7.7.2005), in Brüssel (22.3.2016), am 22.5.2017 in Manchester sowie vom 16. bis 18.8.2017 in Barcelona und Cambrils bewiesen, wie hilfreich Videoüberwachung bei der Aufklärung von terroristischen Anschlagen und der Ermittlung der Täter sein können. Der auf einem CCTV-Film auf dem Brüsseler Flughafen Zaventem identifizierte „Mann mit schwarzem Hut und weißer Jacke“ konnte nach kurzer Zeit durch die belgischen Sicherheitsbehörden als Mohamed Abrini identifiziert wurden, der nach kurzem Verhör seine Mittäterschaft bestätigte. Im Rahmen der Fahndung nach dem islamistisch-terroristischen Attentäter Omar Al Hussein, der im Februar 2015 in der dänischen Hauptstadt

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4  Technische Mittel zur Terrorismusabwehr

Kopenhagen zwei Menschen tötete, waren Bilder verschiedener Überwachungskameras das entscheidende Mittel für die Polizeibehörden. Zusammengefasst: Abschreckende Wirkung hat eine flächendeckende präventive Videoüberwachung nur dann, wenn sie die Vorbereitung eines islamistisch-terroristischen Anschlags oder Attentats erschwert oder vereitelt. Ist der (potenzielle) islamistisch-terroristische Attentäter z. B. als Gefährder bekannt, könnte Gesichtserkennungssoftware nach dem gegenwärtigen technologischen Stand diesen durch Vernetzung mit dem Material der Videoüberwachung innerhalb weniger Sekunden identifizieren und die zuständigen Polizeikräfte alarmieren. Allerdings ist die präventive Wirksamkeit einer Videoüberwachung als Mittel gegen den islamistischen Terrorismus zum einen vom technologischen Niveau, wie z. B. von einer Gesichts- und Objekterkennung abhängig, zum anderen vor allem von den zugrunde liegenden personenbezogenen Daten zum Abgleich durch Algorithmen in Datenbanken deutscher und europäischer Sicherheitsbehörden. Repressive Wirkung zur Aufklärung eines islamistisch-terroristischen Anschlags oder Attentats kann eine flächendeckende Videoüberwachung jedoch absolut haben und damit ein wirksames Mittel gegen islamistischen Terrorismus sein. In Nizza (2016), Berlin (2016), London (2017) und Barcelona (2017) wurden Kraftfahrzeuge als Wirkmittel des islamistischen Terrorismus benutzt. Hätten diese islamistischen Anschläge mit Kraftfahrzeugen verhindert und damit das Leben und die Gesundheit Hunderter gerettet werden können? Spätestens nach dem Anschlag mit einem LKW in Nizza am 24.7.2016 hätten die deutschen Sicherheitsbehörden damit rechnen können bzw. müssen, dass auch in Deutschland islamistische Anschläge mit Kraftfahrzeugen auf Menschenmengen durchgeführt werden könnten. Dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, zu verhindern, dass Kraftfahrzeuge in Menschenmengen bei Großereignissen (Weihnachtsmärkte, Jahrmärkte, Volksfeste etc.) rasen, hätte den Behörden spätestens nach dem Anschlag in Nizza bekannt sein können, bekannt sein müssen. Dabei ist der Schutz von Menschenmengen vor einem islamistischen Anschlag mit Fahrzeugen mit relativ simplen und günstigen Mitteln möglich und fällt unter good governance. Wie oben dargestellt, überarbeiteten die allermeisten Städte in Deutschland ein Jahr nach dem tödlichen Anschlag mit einem Lastwagen auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19.12.2016 ihr Sicherheitskonzept und schafften Betonpoller, Sandsäcke, Stahlseile, Wassertanks und/oder Metallstelen an, wobei hier angeführt werden muss, dass diese nicht alle kompletten Schutz bieten.

Literatur

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Literatur Armitage, R. (2002). To CCTV or not to CCTV? A review of current research into the effectiveness of CCTV systems in reducing cime. London: NACRO. BBC. (2006). Image of bombers’ deadly journey. https://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/ politics/4689739.stm. Zugegriffen: 3. Mai 2020. Beck aktuell. (2017). Bundestag macht mehr Videoüberwachung möglich. https://rsw.beck. de/aktuell/meldung/bundestag-macht-mehr-videoueberwachung-moeglich. Zugegriffen: 3. Mai 2020. Blindenbacher, W. (2019). Videotechnologie für mehr Sicherheit. Polizei Verkehr + Technik, 2, 60. Bundestag, D. (2016). Drucksache 18/10758. Effizienz von Videoüberwachungen., 22(12), 2016. Byok, J., & Horschik, A. (2019). Blickpunkt “Bodycam”. Audiovisuelle Ausrüstungskomponenten im Nahbereich politischer Aufgabenwahrnehmungen. Polizei Verkehr + Technik, 2, 52–54. EUROPOL. (2016). Changes in modus operandi of Islamic State terrorist attacks Express. (2017). Threat to Britain? More than 17,000 terror suspects monitored in France in one Month. https://www.express.co.uk/news/world/792124/Britain-ISIS-threatterrorsuspects-terrorism-France-ferry. Zugegriffen: 3. Mai 2020. Frankfurter Allgemeine Zeitung. (2017). Betonklötze in Geschenkpapier: Wie Städte ihre Weihnachtsmärkte sichern. 24.11.2017. Frankfurter Allgemeine Zeitung. (2015). Parallelen zur Anschlagsserie: Mumbai an der Seine. 16.11.2015. https://www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/parisanschlaege-zeigen-parallelen-zu-terror-in-mumbai-2008-13913309.html. Zugegriffen: 3. Mai 2020. Focus Online. (2016). Nach Berlin. Regierung räumt ein: Videoüberwachung hat noch keinen Terroranschlag verhindert. 29.12.2016. https://www.focus.de/politik/deutschland/nach-berlin-regierung-raeumt-ein-videoueberwachung-hat-noch-keinen-terroranschlag-verhindert_id_6419349.html. Zugegriffen: 3. Mai 2020. Gill, M., & Spriggs, A. (2005). Assessing the impact of CCTV. London: Home Office Research, Development and Statistics Directorate. Goertz, S. (2017a). Die aktuelle Bedrohungslage durch den islamistischen Terrorismus: Flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raumes als wirksames Mittel gegen islamistischen Terrorismus? Crisis Prevention, Juni 2017, S. 16–21. Goertz, S. (2017b). Die Gefährdungslage für Deutschland und Europa durch islamistischen Terrorismus: Analyse der deutschen und europäischen Sicherheitsbehörden. Kriminalistik, 1, 10–15. Handelsblatt. (2016). Kampf gegen den Terror. Mehrheit der Deutschen ist für mehr Videoüberwachung. 25.12.2016. https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/kampfgegenden-terror-mehrheit-der-deutschen-ist-fuer-mehr-videoueberwachung/19176610.html. Zugegriffen: 3. Mai 2020. Horgan, J. (2014). The psychology of terrorism. London: Routledge.

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4  Technische Mittel zur Terrorismusabwehr

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5

Institutionelle Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa

5.1 Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche stellen seit dem 11.9.2001 weltweit ein wichtiges Problemfeld der Terrorismusabwehr dar. Die Zahl der Verdachtsmeldungen auf Geldwäsche hat sich den vergangenen zehn Jahren in Deutschland mehr als verzehnfacht auf 77.252 im Jahr 2018. Allein im Vergleich zu 2017 sind rund 17.500 dazugekommen. Allerdings sagt dies nach Ansicht des Bundesverbandes Deutscher Banken wenig darüber aus, dass Geldwäsche und auch Terrorismusfinanzierung hierzulande wirksam verhindert wird. Dafür spricht auch, dass es nur in zwei Prozent der Meldungen im Jahr 2018 zu einer Anklage, zu Verurteilungen und zu Strafbefehlen gekommen ist (Tagesspiegel 2019). Im Rahmen einer internationalen Konferenz zum Thema Terrorismusfinanzierung in Paris im Jahr 2018 kritisierte der Terrorismusforscher Peter Neumann das aktuelle System zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Als Indiz führt er an, dass seit dem 11.9.2001 international insgesamt nur 60 Mio. US$ an terroristischem Geld konfisziert werden konnte, was auf das Jahr gerechnet weniger als vier Millionen US$ sind. Allein im Jahr 2014 – auf dem Höhepunkt der Gründung des Neo-Kalifats – hatte der „Islamische Staat“ ein Budget zwischen zwei und drei Milliarden US$ (Zeit 2018). Die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung ist allerdings kein neues Thema auf der politischen Agenda, bereits in den 1970er-Jahren wurden beispielsweise in Großbritannien Gesetze hierzu im Zusammenhang mit dem Nordirlandkonflikt erlassen. Als Reaktion auf die Anschläge am 11.9.2001 wurde das Thema der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung durch den damaligen US-Präsidenten Bush forciert und in einer größeren Öffentlichkeit diskutiert (Sanchez 2016). In den Jahren nach dem 11.9.2001 ließ das öffentliche Interesse an der Bekämpfung © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Goertz, Terrorismusabwehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30672-4_5

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der Terrorismusfinanzierung jedoch relativ schnell wieder nach. Durch die Proklamation eines Neo-Kalifats des „Islamischen Staats“ (IS) im Sommer 2014 ist die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus seither wieder mehr in den Blickpunkt einer weiteren Öffentlichkeit gerückt, was sich beispielsweise an der Einführung des § 89c (Terrorismusfinanzierung) im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) im Frühjahr 2015 ablesen lässt. Wesentlicher Inhalt der § 89a und § 89c StGB ist: • Mit dem neu eingefügten § 89a Absatz 2a StGB wurde bestimmt, dass es eine Straftat darstellt, Deutschland zu verlassen, um sich an schweren Gewalttaten im Ausland zu beteiligen oder um sich für die Teilnahme an schweren Gewalttaten ausbilden zu lassen sowie hierzu auszubilden (Deutscher Bundestag 2015). Diese Regelung knüpft an die mit dem Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG) vom 30.7.2009 eingefügten Regelungen des § 89a Absatz 2 StGB an (Deutscher Bundestag 2015). Sie bestimmen für die in § 89a Absatz 2 StGB genannten Taten, dass sie als Vorbereitungshandlungen, die dem Terrorismus zuzurechnen sind und daher ein besonderes Gefährdungspotenzial besitzen, strafbar sind. Hinzutreten muss für die Strafbarkeit des Handelns der Zweck, im Zuge dieser Reise schwere staatsgefährdende Gewalttaten oder Vorbereitungshandlungen im Sinne des § 89a Absatz 2 Nr. 1 StGB zu begehen (Deutscher Bundestag 2015). • Mit dem neuen § 89c StGB wurde ein eigenständiger Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung geschaffen. Der neue § 89c StGB ersetzte die bisherige Nummer 4 in § 89a Absatz 2 StGB und stellte die Finanzierung terroristischer Taten in einer einheitlichen Regelung unter Strafe. Allerdings geht er über den engen Anwendungsbereich der bisherigen Regelung deutlich hinaus, indem er seither die Finanzierung terroristischer Straftaten allgemein unter Strafe stellt (Deutscher Bundestag 2015). Die Bezugnahme auf die aufgenommenen Tatbestände ist erforderlich, um Taten zu erfassen, deren Finanzierung nach Artikel 2 Nr. 1 des Terrorismusfinanzierungsübereinkommens der Vereinten Nationen in Verbindung mit den darin in Bezug genommenen sektoralen Übereinkommen unter Strafe zu stellen ist (Deutscher Bundestag 2015). Um sicherzustellen, dass die Finanzierungsstrafbarkeit nicht auch Sachverhalte erfasst, die nicht originär dem Terrorismus zugeordnet werden können, sieht die Regelung vor, dass nur die Finanzierung solcher Delikte tatbestandlich erfasst wird, die die terroristische Qualifikation entsprechend der in § 129a Absatz 2 StGB bereits verwendeten Definition erfüllen (Deutscher Bundestag 2015).

5.1  Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung

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Spätestens seit den jihadistischen Anschlägen am 13.11.2015 in Paris ist die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung wieder Bestandteil einer weiteren öffentlichen Debatte um die aktive Bekämpfung des „Islamischen Staats“ (IS) geworden. Beispielsweise wurde die Zerstörung von Tanklastwagen des „Islamischen Staats“ (IS) durch die US-Luftwaffe Ende November 2015 als gezielter Schlag gegen dessen Finanzierungsquellen aus dem Öl- und Treibstoffschmuggel gewertet (Sanchez 2016). Als erfolgreichste Aktion gegen Terrorismusfinanzierung bezeichnet Neumann einen Bombenangriff der US-Streitkräfte auf ein Bargelddepot des „Islamischen Staats“ im Jahr 2016. Dabei sollen auf einen Schlag 50 Mio. US$ zerstört worden sein, was mehr terroristisches Geld zerstörte, als in vorangegangenen 14 Jahren zuvor zerstört worden war (Zeit 2018). Wichtig ist festzustellen, dass die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eine multidisziplinäre Aufgabe unter Beteiligung zahlreicher staatlicher Akteure auf unterschiedlichen Ebenen ist. Daher ist es für eine weitere Verstärkung der staatlichen Risikoorientierung notwendig, dass alle beteiligten Ministerien und Behörden die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung noch klarer priorisieren, innerhalb der eigenen Strukturen, im Austausch miteinander sowie in den internationalen Gremien, die für die Behandlung dieser Themen einschlägig sind (Bundesministerium der Finanzen 2019, S. 5). Das Bekämpfen der Terrorismusfinanzierung (Combating the Financing of Terrorism – CFT) wird oft in gleichzeitig mit der Bekämpfung von Geldwäsche genannt (Anti-Money Laundering – AML). Bei der Terrorismusfinanzierung und bei der Geldwäsche zielen die involvierten Akteure darauf ab, möglichst unauffällig Werte und Geldmittel zu transferieren. Die Financial Action Task Force (FATF) beschreibt Geldwäsche als Prozess, in dem illegale Erlöse aus kriminellen Aktivitäten verschleiert werden sollen, um diesen einen legalen Anschein zu geben. Dies vollzieht sich in den vier Phasen placement, layering, ­integration-justification sowie integration-investment. Mögliche Mittel dafür sind Währungstausch, Überweisungen von Teilbeträgen über mehrere Banken, die Schaffung fiktiver Gewinne und Löhne, Scheingeschäfte und beispielsweise Investitionstätigkeiten (Sanchez 2016). Die FATF ist eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe, die 1989 eingesetzt wurde. Sie entwickelt und fördert Strategien zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung; außerdem spricht sie Empfehlungen – im Sinne eines Rahmens für Maßnahmen – aus, die die Staaten umsetzen sollten. Die Europäische Kommission und 15 Mitgliedstaaten der EU bilden die Mitglieder der Arbeitsgruppe. Ihre Empfehlungen werden in der EU durch die vierte Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche in großem Umfang umgesetzt (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2020).

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Da es keine international einheitliche, akzeptierte Definition von Terrorismus gibt, scheitert eine international anerkannte Definition der Terrorismusfinanzierung. Nach Auffassung der UN wird mit den auf Tötung, schwere Körperverletzung oder Entführung abzielenden Handlungen beabsichtigt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. Das Ziel der Terrorismusfinanzierung besteht in der direkten oder indirekten Unterstützung bei dem Verüben von Terrorismus. Dabei steht die politische Zielsetzung selbst im Zentrum und nicht der Prozess der „Wäsche“ inkriminierter Mittel (Allam & Gadzinowski 2009, S. 38).

5.1.1 Der Finanzbedarf terroristischer Organisationen und Quellen der Finanzierung Die direkten Kosten für das Verüben eines terroristischen Anschlags sind, gemessen am potenziellen menschlichen, materiellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Schaden, sehr gering. So sollen die tatsächlichen Kosten für die islamistischen Anschläge in Madrid am 11.3.2004 mit über 190 Toten und über 1600 Verletzen bei lediglich 10.000 US$ gelegen haben (Sanchez 2016, FATF 2008; UNO 2004). Als direkte Folge dieses Anschlags verlor die spanische Regierungspartei die Parlementswahlen, es kam wenige Tage später zu einem Regierungswechsel in Spanien und die spanischen Streitkräfte wurde noch im gleichen Jahr aus dem Irak abgezogen. Wenn auch indirekte Kosten betrachtet werden, wird der Finanzbedarf terroristischer Organisationen als wesentlich höher angesehen. Die Kosten für Propaganda, Rekrutierung, Ausbildung, geheime Kommunikation, Tarnung, Reisen und Transport, aber auch Fürsorge für Hinterbliebene, Unterhalt von Infrastruktur, wie Fahrzeuge, Immobilien und schließlich der Lebensunterhalt der Terroristen selbst, sind teilweise immens hoch (Sanchez 2016; Sieber und Vogel 2015, S. 9). So wurde das jährliche Budget von Al Qaida in den Jahren 2001 bis 2004 auf 20 bis 50 Mio. US$ geschätzt (Krieger und Meierrieks 2011). Vor allem regional agierende Gruppen wie zum Beispiel Ableger der Al Qaida und der „Islamische Staat“ bemühen sich durch öffentliche Wohlfahrtspflege um Rückhalt in der Bevölkerung. Vor den islamistischen Anschlägen vom 11.9.2001 in den USA wurden von der Al Qaida zwischen 10 und 20 Mio. US$ an ihre „Gastgeber“, die afghanischen Taliban, überwiesen (UNO 2004). Terroristische Organisationen generieren die Mittel für ihre Aktivitäten auf unterschiedliche Arten (Winer und Roule 2002). Vor allem während des Kalten

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Krieges erfolgte die Finanzierung terroristischer Organisationen in einem erheblichen Maß durch Staaten, doch diese Finanzierungsform ist durch internationale Gegenmaßnahmen – Mittel der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung – und Sanktionen des UN-Sicherheitsrats in den letzten Jahren signifikant rückläufig (Dalyan 2008, S. 139). Im Sektor legaler Finanzquellen spielen Handel und wirtschaftliche Geschäftstätigkeit eine entscheidende Rolle, da durch unternehmerische Tätigkeit erhebliche Summen erwirtschaftet werden können. Sieber und Vogel identifizieren als Finanzierungsquellen terroristischer Organisation im Wesentlichen folgende Taktiken: • Spenden: „Crowdfunding“ aus internetbasierten Spendensammlungen stellen eine gängige Möglichkeit dar. Dieses Mittel wurde in den Jahren vor der Kalifatgründung des „Islamischen Staates“ 2014 stark angewendet. Der IS und andere terroristische Organisationen wie zum Beispiel die Al Qaida erhielten in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder Großspenden, beispielsweise aus der Golfregion. Terroristische Organisationen können auch Hilfsorganisationen missbrauchen, in dem sie Spendensammlungen kontrollieren und den Spender über den wirklichen Verwendungszweck täuschen oder zum Beispiel das Personal von Hilfsorganisationen gezielt unterwandern (Sieber und Vogel 2015, S. 10–11; Goertz 2017, S. 84). • Kriminelle Handlungen: Quantitativ von enormem Stellenwert für terroristische Organisationen ist die Beteiligung terroristischer Organisationen und Akteure an Organisierter Kriminalität (OK) (Goertz 2017, Kapitel drei). Hierbei führt die Financial Action Task Force folgende Taktiken und Mittel an: Organisierte Formen von Diebstahl, Betrug, Erpressung, Schmuggel, Drogenhandel sowie Produktpiraterie (insbesondere DVDs und Zigaretten). In diesem Zusammenhang kommt es seit Beginn des 21. Jahrhunderts immer wieder zu Kooperationen von Organisationen und Akteuren des islamistischen Terrorismus mit Akteuren der Organisierten Kriminalität (OK). Auch kidnapping for ransom generiert hier Millionensummen (Goertz 2017, S. 96–100; Sieber und Vogel 2015, S. 11). • Wirtschaftliche Geschäftstätigkeit: Akteure terroristischer Organisationen, dazu können auch Unterstützer zählen, investieren häufig auch in legale Unternehmen und Geschäftszweige, wie beispielsweise in Autohäuser, Geldwechselinstitute, Baufirmen sowie Import–Export (Goertz 2017, S. 83). So können durch ein – auch nur teilweise – legales Unternehmen Gelder in sehr hohen Mengen erwirtschaftet werden. Dazu gehört auch die Handelsumlenkung, wenn ein Zwischenhändler das Preisgefälle zwischen zwei Staaten nutzt (Sieber und Vogel 2015, S. 12).

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• Kontrolle von Territorium: Die Kontrolle über eroberte Territorien ermöglicht die wirtschaftliche Ausbeutung der Bevölkerung, zum Beispiel durch Erpressung, „Besteuerung“ und „Beschlagnahme“ von Privateigentum. Dazu kommen Kontrolle über Bodenschätze, im Fall des „Islamischen Staats“ hunderte Millionen US$ Einnahmen durch Erdöl, industrielle und landwirtschaftliche Produktion sowie Handel (Sieber und Vogel 2015, S. 12). • Schmuggel von Bargeld: Bargeldschmuggel hat für den Transfer von Vermögenswerten durch terroristische Organisationen und Akteure eine große Bedeutung. Internationale Jihadisten werden beispielsweise seit Jahren von terroristischen Organisationen wie dem IS und der Al Qaida aufgefordert, Bargeld mitzubringen (Sieber und Vogel 2015, S. 14). • Alternative Überweisungssysteme: Alternative Überweisungssysteme mit großer Bedeutung für islamistische Terroristen sind beispielsweise Mittel wie das sogenannte Hawala-Banking. Hawala-Banking wird oftmals durch kleinere Händler wie Reisebüros und Lebensmittelhändler angeboten. Hierbei werden Gelder des Überweisenden von einem Händler an einem Ort einkassiert und an einem anderen Ort an den Begünstigten ausgezahlt. Der Rückzahlungsanspruch des auszahlenden Geschäftspartners wird danach mit anderweitigen Zahlungsansprüchen des Händlers verrechnet (Sieber und Vogel 2015, S. 15). Weil bei Hawala-Banking in der Regel keine Aufzeichnungen angefertigt werden, lassen sich die Transaktionen in der Regel nicht durch Dokumentationen zurückverfolgen. Hawala-Banking spielt beispielsweise für Migranten eine große Rolle, um Geld aus dem Zielland in die Ursprungsregion zu überweisen, sodass große Hawala-Anbieter für ganze Volkswirtschaften von Bedeutung sein können. Wichtig zu erwähnen ist hierbei, dass der informelle Charakter von Hawala-Banking eine Umgehung der staatlichen Aufsicht über den Finanzdienstleistungssektor bedeutet (Sieber und Vogel 2015, S. 16). Des Weiteren konnten der Al Qaida Investitionen und Beteiligungen an Unternehmen und die Vermietung von Wohnungen nachgewiesen werden (Krech 2015, S. 452). Den Almosen, dem Zakat, kommt als fünfter Säule des Islam im Fall des islamistischen Terrorismus eine traditionelle Rolle zu (Sanchez 2016). Dadurch kommt es einerseits zu Spendenmissbrauch und andererseits zu offener Finanzierung von terroristischen Organisationen. Hierfür anzuführende Beispiele sind die Aktivitäten von Al Qaida-Kurieren, die im Jahr 2009 mehrere Zehntausend US$ in Kuwait sammelten und die offenen Aufrufe muslimischer Geistlicher in der arabischen Welt Mitte 2000, im Rahmen der zweiten „Intifada“ der palästinensischen Hamas zu spenden (Sanchez 2016; Krech 2015, S. 452).

5.1  Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung

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Die jihadistischen Großorganisationen „Islamischer Staat“ und Al Qaida und mit ihnen verbundene Regionalgruppen betreiben systematische Finanzierungsaktivitäten, u. a. Geldwäsche, im Internet. Sowohl Jihadisten als auch Islamisten werben um Spenden von Individuen, nutzen schein-legitime muslimische Charity-Organisationen und interagieren mit islamistischen Organisationen in der Grauzone zwischen politischem Salafismus und jihadistischem Salafismus. So führt u. a. der Norwegian Defence Research Establishment Report aus, dass in zahlreichen europäischen Moscheen, darunter in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die als eine der fünf Säulen des Islam verpflichtende Spende Zakat für islamistische und jihadistische Organisationen und Aktivitäten missbraucht wird. In zahlreichen Ländern der „islamischen Welt“ wiederum sind wahhabitische und salafistische Charities bekannt dafür, private Spenden in jihadistische Netzwerke fließen zu lassen. Aufgrund der Intensivierung westlicher Bemühungen gegen die Terrorismusfinanzierung von jihadistischen Großorganisationen und Netzwerken seit dem 11.9.2001 haben diese relativ schnell ihre Terrorismusfinanzierung transformiert und u. a. auf informelle Netzwerke wie Hawala konzentriert. Daneben werden auch der Edelsteinhandel und andere Güter von jihadistischen Geldkurieren genutzt. Soziale Medien wie Twitter und andere ermöglichen seit ca. zehn Jahren ein weltweites jihadistisches „Crowdfunding“ mit enormen Beträgen. Bei illegalen Finanzierungsquellen reicht die Bandbreite an Aktivitäten von Betrug, Raub, Schmuggel, Erpressung („Revolutionssteuer“) oder Geiselnahme (kidnapping for ransom) bis hin zu Drogen- und Menschenhandel. Hierbei können direkte Kooperationen und Überschneidungen mit der Organisierten Kriminalität (OK) festgestellt werden. Dabei kann es zu einer teils erheblichen Bindung personeller und materieller Ressourcen kommen (Sanchez 2016; Goertz 2017; Kap. 3; Dalyan 2008, S. 140). Daher wird es für Sicherheitsbehörden immer schwieriger, zwischen „klassischer“ Organisierter Kriminalität (OK) und „klassischem“ Terrorismus zu unterscheiden. Weil Parallelbankensysteme weder reguliert noch kontrolliert werden, haben sie entscheidenden Einfluss im Bereich der Terrorismusfinanzierung (Teichmann 2017b, S. 730). So verzichten Parallelbanker auf Compliance-Maßnahmen und erstatten in der Regel keine Meldung an die zuständigen Behörden, weil sie sich durch Meldungen selbst belasten würden. So müssen sich Terrorismusfinanzierer unter diesen Umständen keine Gedanken über die Verschleierung ihrer Transaktionen machen (Teichmann 2017b, S. 730). Eine Verbindung von Parallelbankensystemen mit Transaktionen über regulierte Banken führt in der Regel zu einer Unterbrechung der Nachvollziehbarkeit. Ein wichtiger Vorteil der Parallelbankensysteme besteht nach Teichmann darin, dass sie auch in weit

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entlegenen Regionen der Welt funktionieren, sodass sich oftmals Parallelbanker in Regionen finden, aus denen sich regulierte Banken bereits zurückgezogen haben (Teichmann 2017b, S. 731). Für den Transfer größerer Summen in entlegene Regionen der Welt eignen sich Hilfsorganisationen als Tarnung. Parallelbanker involvieren gezielt Staaten ohne fortschrittliches Bankensystem, sodass die Unmöglichkeit einer Überweisung sogar als Rechtfertigung für den Rückgriff auf Parallelbankensysteme dient (Teichmann 2017b, S. 731). Geschickte Terrorismusfinanzierer nutzen (vermeintliche) Hilfsorganisationen als Tarnung. Alternativ kann der Terrorismusfinanzierer auch fiktive Rechnungen für Waren oder Dienstleistungen nutzen. Weil Parallelbankensysteme oftmals nicht über Compliance-Beauftragte verfügen, erfolgt eine Identifikation des wirtschaftlich Berechtigten normalerweise nicht. Zwar lassen sich Hawala-Banker durch sog. Settlement-Transaktionen erkennen, aber diese Entdeckungsrisiken können mit verhältnismäßig geringem Aufwand reduziert werden. Durch die Kontrolle von Territorium – damit verbunden eine „Besteuerung“ der Bewohner und die Beschlagnahme von Privateigentum – erzielte der „Islamische Staat“ (IS) nach Schätzungen der deutschen Regierung Einnahmen in Höhe von täglich mindestens 200.000 EUR durch den Verkauf von Rohöl und Treibstoff, mutmaßlich überwiegend an Schmuggler in der benachbarten Türkei (FAZ 2015). Die Bundesregierung verwies auf eine Einschätzung von David Cohen, dem für die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung zuständigen Staatssekretär im US-amerikanischen Finanzministerium, der den „Islamischen Staat“ als „die kapitalkräftigste terroristische Organisation, mit der wir bislang konfrontiert wurden“ bewertete und den Jahresetat des IS auf 2,2 Mrd. US$ bezifferte (FAZ 2015). Zusammenfassend: Die Strategie, terroristischen Organisationen den Zugang zu Geldern durch eine Kriminalisierung der Terrorismusfinanzierung abzuschneiden, stellt eine vitale Strategie im Kampf gegen den Terrorismus dar.

5.1.2 Internationale Regelungen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung International existieren mehrere Beschlüsse und Regelwerke zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Auf Ebene der UN sind dies allem die UN Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism von 1999, die 2004 von Deutschland ratifiziert wurde, die Sicherheitsrats-Resolution 1373 (UNSCR 1373) von 2001, die Terrorismusfinanzierung als Straftat kriminalisiert und die Resolution 2178 (UNSCR 2178) von 2014, die an

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diese anknüpft und noch präzisiert (Sieber und Vogel 2015, S. 20–34). Der Schwerpunkt ist hier die Einführung der Terrorismusfinanzierung als Straftatbestand in das nationale Strafrecht. Dazu kommt mit der UNSCR 1267 aus dem Jahr 1999 und der UNSCR 1989 von 2011 ein Sanktionsregime, mit dem Finanzmittel von gelisteten Personen und Organisationen konfisziert und „eingefroren“ werden können. Zusätzlich dazu wurde 2005 die United Nations ­Counter-Terrorism Implementation Task Force (CTITF) geschaffen, um die internationale Koordination zu verbessern und die United Nations Global CounterTerrorism Strategy im Folgejahr angenommen (Sanchez 2016). Hinzu kamen nach den Terroranschlägen des 11.9.2001 neun weitere Empfehlungen (special recommendations) und diese wurden im Jahr 2012 zu dann 40 Empfehlungen zusammengefasst. Diese Empfehlungen fordern eine Kriminalisierung der Terrorismusfinanzierung, Straftatbestände werden präzisiert und eine Umsetzung in nationales Strafrecht wird verlangt. Daneben wurden nicht-staatliche Akteure in die Pflicht genommen, sodass im Finanzsektor die Identifizierung der Vertragspartner („know-your-customer-Prinzip“) und das Melden von Verdachtsfällen gefordert wird (FATF 2012). Die Serie von Terroranschlägen in Europa seit 2015 hat auf dramatische Weise deutlich gemacht, dass weitere Maßnahmen zur Unterbindung von Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche getroffen werden müssen. So haben im Dezember 2015 sowohl der Rat der EU als auch der Europäische Rat gefordert, dass die geltenden Rechtsvorschriften der EU verschärft werden. Im Juni 2016 hat die Europäische Kommission dann den Vorschlag zur Änderung der fünften Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche (2015/849) veröffentlicht (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2020). Danach haben der Rat und das Europäische Parlament im Dezember 2017 eine politische Einigung über den Inhalt des Vorschlags erzielt, das Europäische Parlament hat den vereinbarten Text am 19.4.2018 gebilligt und am 14.5.2018 hat der Rat die Richtlinie angenommen (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2020). Die neuen Vorschriften haben folgende Ziele: • „Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zur Finanzierung krimineller Aktivitäten • Verschärfung der Transparenzvorschriften, um zu verhindern, dass Gelder im großen Maßstab verschleiert werden“ (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2020) Die im Mai 2018 angenommene Richtlinie wurde im Oktober 2018 durch neue strafrechtliche Bestimmungen ergänzt und im Dezember 2018 nahm der Rat der

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europäischen Union Schlussfolgerungen zu einem Aktionsplan für eine bessere Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung an (Europäischer Rat/ Rat der Europäischen Union 2020). Nach Angaben des Europäischen Rates und des Rates der Europäischen Union soll mit der geänderten Fassung der Richtlinie 2015/849 Folgendes erreicht werden: • „Verbesserung der Transparenz bezüglich der Eigentümer von Unternehmen und Stiftungen • Verstärkung der Kontrollen bei risikobehafteten Drittländern • Bekämpfung der Risiken im Zusammenhang mit Prepaid-Karten und virtuellen Währungen • Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Zentralstellen für Geldwäsche-Verdachtsanzeigen“ (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2020) Durch den neuen rechtlichen Rahmen soll ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der notwendigen Verbesserung der Sicherheit und dem Schutz der Grundrechte und wirtschaftlichen Freiheiten erzielt werden. Nach Angaben des Europäischen Rates und des Rates der Europäischen Union sind diese die wichtigsten Änderungen gegenüber der Richtlinie 2015/849: • „Verbesserter Zugang zu den Registern wirtschaftlicher Eigentümer Dies erhöht die Transparenz bezüglich der Eigentümer von Unternehmen und Stiftungen. Die Register sind miteinander vernetzt, um die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern. Die Mitgliedstaaten haben weiterhin das Recht, im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht einen umfassenderen Zugang zu Informationen zu gewähren. • Bekämpfung der Risiken im Zusammenhang mit Prepaid-Karten und virtuellen Währungen Die Schwelle zur Ermittlung der Inhaber von Prepaid-Karten wird von 250 € auf 150 € herabgesetzt, und die Anforderungen an die Überprüfung der Kunden werden erweitert. Umtausch-Plattformen für virtuelle Währungen und Anbieter elektronischer Geldbörsen müssen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen und Kundenkontrollen durchführen, was der Anonymität solcher Umtauschgeschäfte ein Ende setzt.

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• Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Zentralstellen für Geldwäsche-Verdachtsanzeigen Die nationalen Zentralstellen für Geldwäsche-Verdachtsanzeigen erhalten Zugang zu Informationen aus zentralisierten Registern von Bank- oder Zahlungskonten. Auf diese Weise können sie Kontoinhaber identifizieren. • Verbesserte Kontrollen von risikobehafteten Drittländern Die Kommission hat eine harmonisierte Liste von Drittländern erstellt, deren Regelungen zur Verhütung und Bekämpfung der Geldwäsche mangelhaft sind, und aktualisiert diese regelmäßig. Bei Finanzströmen aus diesen Ländern müssen zusätzliche Sorgfaltsmaßnahmen ergriffen werden. Im März 2019 lehnte der Rat einstimmig den von der Kommission vorgelegten Entwurf einer Liste von 23 „Drittländern mit hohem Risiko“ im Bereich Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ab und begründete dies damit, dass der Vorschlag „nicht im Wege eines transparenten und belastbaren Verfahrens erstellt wurde, das betroffenen Ländern starke Anreize für entschlossenes Handeln bietet und gleichzeitig auch ihr Recht auf Anhörung wahrt“ (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2020). a) Neue EU-Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung Da ein effektives Mittel zur Bekämpfung von Terrorismus darin besteht, Terroristen von ihren Einnahmequellen und der Logistik abzuschneiden, hat das Europäische Parlament im Jahr 2018 die Anti-Geldwäsche-Richtlinie aktualisiert. So sollen diese neuen Regeln in Bezug auf die Eigentümer von Unternehmen mehr Transparenz schaffen und Risiken im Zusammenhang mit virtuellen Währungen und anonymen Prepaid-Karten abwehren. In allen EU-Staaten ist Geldwäsche eine Straftat, jedoch waren bis zum Jahr 2018 die rechtlichen Grundlagen sehr unterschiedlich. Das Europäische Parlament schätzte im Jahr 2018, dass innerhalb der EU jährlich ca. 110 Mrd. € aus kriminellen Aktivitäten generiert werden, allerdings nur ca. 1,1 % der Erlöse aus Straftaten effektiv eingezogen wird. Daher wurden im Oktober 2018 im Europäischen Parlament neue Regeln vereinbart, um das „Einfrieren“ und Beschlagnahmen von kriminellem Vermögen in der EU zu erleichtern. Das Europäische Parlament billigte im September 2018 neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung durch die Verhinderung von Geldwäsche und Verschärfung der Kontrolle über Kapitalströme (Europäisches

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Parlament 2018). Die beiden verabschiedeten Gesetze sollen es Terroristen erschweren, ihre Aktivitäten zu finanzieren, indem bis dahin bestehende Lücken in den geltenden Vorschriften zur Geldwäsche geschlossen werden. So sollen die zuständigen Behörden in Europa effektiver verdächtige Finanzströme aufdecken und stoppen können (Europäisches Parlament 2018). Die neuen Vorschriften umfassen Folgendes: • „EU-weite Definitionen von Straftatbeständen und Sanktionen im Bereich der Geldwäsche • Geldwäsche soll künftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren geahndet werden • neue zusätzliche Sanktionen für Personen, die wegen Geldwäsche verurteilt wurden, wie z. B. das Verbot, für ein öffentliches Amt zu kandidieren, Beamte zu werden, oder der Ausschluss vom Zugang zu öffentlichen Finanzmitteln“ (Europäisches Parlament 2018). Die neuen Regeln für grenzüberschreitende Bargeldverbringung innerhalb der EU umfassen folgendes: • „Die Definition für ‘Barmittel’ umfasst künftig auch andere Zahlungsarten wie Gold und Prepaidkarten • Die Behörden sollen in die Lage versetzt werden, Informationen über Bargeldbewegungen auch unter der derzeitigen Schwelle von 10.000 € registrieren und Bargeld vorübergehend beschlagnahmen zu können, wenn sie Straftaten vermuten • Die Offenlegung von unbegleitetem Bargeld, das per Fracht oder Post versandt wird“ (Europäisches Parlament 2018). b) Die Gesetzgebung in Deutschland und Maßnahmen der zuständigen Ministerien und Behörden Deutschland stellt Terrorismus und seine Finanzierung in mehreren Gesetzen unter Strafe, beispielsweise gemäß § 129a Abs. 5 StGB (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung), § 89a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) und § 18 Außenwirtschaftsgesetz (Strafvorschriften AWG). Der im April 2015 eingeführte § 89c StGB schuf einen eigenständigen Straftatbestand „Terrorismusfinanzierung“ und stellt diese einheitlicher und schärfer als bisher unter Strafe (Sanchez 2016). Das Geldwäschegesetz (GWG) verpflichtet zudem Finanz- und Bankinstitute, Transaktionen oder Finanzmittel, die potenziell zu Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung oder anderen kriminellen

5.1  Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung

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Aktivitäten führen könnten, an die zuständigen Behörden zu melden (Sanchez 2016; Sieber und Vogel 2015, S. 68). Am 1.1.2020 trat das aufgrund der fünften ­EU-Geldwäscherichtlinie novellierte Geldwäschegesetz in Kraft, das um wichtige Regelungen ergänzt wurde, um das Rahmenwerk für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung weiter zu stärken. Die Ziele und Auswirkungen des neuen Geldwäschegesetzes beschreibt das Bundesministerium der Finanzen wie folgt: • „Es gelten strengere und erweiterte Meldevorschriften für Immobilienmakler, Notare, Goldhändler, Auktionshäuser und Kunsthändler einschließlich Vermittler und Lageristen, • es werden in den Verpflichtetenkreis u. a. Dienstleister aus dem Bereich von Kryptowährungen, Vermittler im Kunsthandel, Mietmakler und Lohnsteuerhilfevereine einbezogen, • erhält die Öffentlichkeit Zugang auf das bereits bestehende Transparenzregister, für das überdies erweiterte Eintragungs-, Mitteilungs- und Registrierungspflichten gelten, • es gelten vereinheitlichte verstärkte Sorgfaltspflichten bei Transaktionen mit Hochrisikoländern und • erweiterte Kompetenzen beim Datenzugriff für die Geldwäschebekämpfungseinheit des Bundes FIU (Financial Intelligence Unit) und Strafverfolgungsbehörden. Zudem werden Digitalunternehmen verpflichtet, Zahlungsdienstleistern den Zugang zu Infrastrukturleistungen zu ermöglichen. Dazu zählen beispielsweise Schnittstellen für die Nahfeldkommunikation (NFC), die für bargeldlose Zahlungen mit dem Mobiltelefon an physischen Verkaufsstellen benötigt wird“ (Bundesministerium der Finanzen 2020). Unter anderem fordert die FATF, die Verdachtsmeldungen in einem Land zentral in einer sogenannten Financial Intelligence Unit (FIU) zusammenzuführen, wo die Anzeigen gesammelt, ausgewertet und mit Erkenntnissen anderer nationaler Stellen abgeglichen werden (Sanchez 2016). Im konkreten Fall werden die Strafverfolgungsbehörden oder andere Institutionen informiert. In Deutschland ist die Financial Intelligence Unit (FIU) im Bundeskriminalamt (BKA) verortet (Bundeskriminalamt/Financial Intelligence Unit 2017). Im Jahr 2016 wurden insgesamt 40.690 – im Jahr 2015 noch 29.108, im Jahr 2014 noch 24.054 – Verdachtsmeldungen gemäß §§ 11 und 14 GwG an die FIU übermittelt. Daraus ergibt sich für das Jahr 2016 eine Steigerung gegenüber dem Jahr 2015 um 40 % (Bundeskriminalamt/Financial Intelligence Unit 2017, S. 8). Dies setzt den Trend

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5  Institutionelle Bekämpfung des islamistischen …

der letzten Jahre mit stark steigenden Meldezahlen fort. In 784 Fällen hatten die Verpflichteten den Verdachtsgrund Terrorismusfinanzierung angezeigt (Bundeskriminalamt/Financial Intelligence Unit 2017, S. 24). Die deutsche Bundesregierung hat in den letzten Monaten und Jahren Maßnahmen ergriffen, um sowohl auf Bundesebene, zwischen Bund und Ländern sowie zwischen Privatsektor und Behörden entsprechende Formate zum Informationsaustausch zu schaffen. Um die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch mit den internationalen Gremien gegen Terrorismusfinanzierung zu verbessern, hat das Auswärtige Amt dem Bereich internationale Zusammenarbeit gegen Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche zusätzliche Kapazitäten gewidmet. Darüber hinaus hat das Auswärtige Amt seine Teilnahme an den Tagungen der Financial Action Task Force (FATF) verstetigt (Bundesministerium der Finanzen 2019, S. 5). Ein wesentlicher Baustein dieses Ansatzes Deutschlands ist die Etablierung des „Ressortübergreifenden Steuerungskreises zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung“ („RÜST GW/ TF“), der Anfang Juni 2019 eingesetzt wurde und zwei Mal im Jahr tagt. Der Steuerungskreis ermöglicht hochrangige Abstimmungsprozesse auf horizontaler Ebene, Teilnehmer sind die zuständigen Abteilungsleiter aus den Bundesministerien des Innern, für Wirtschaft und Energie, der Finanzen, der Justiz und für Verbraucherschutz und des Auswärtigen Amtes, die Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, des Bundeskriminalamtes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes und des Zollkriminalamtes, der Leiter der Financial Intelligence Unit, der Generalbundesanwalt sowie ein Zentralbereichsleiter der Bundesbank (Bundesministerium der Finanzen 2019, S. 5). Darüber hinaus hat das Bundesministerium der Finanzen im Jahr 2019 den Bereich für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung umstrukturiert und erheblich vergrößert. Ähnliche Maßnahmen sind auch in anderen Bundesministerien sowie den zuständigen Behörden ergriffen worden (Bundesministerium der Finanzen 2019, S. 6). Ende 2018 initiierte die Abteilung Polizeilicher Staatsschutz des Bundeskriminalamtes (BKA) das internationale Projekt „Best practice, capacity building and networking initative among public and private actors against Terrorism Financing“ (BeCaNet) zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung („BKA stärkt die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung“, Pressemitteilung des BKA vom 14.12.2018). Dabei soll BeCaNet die grenzüberschreitende Vernetzung von Finanzermittlerinnen und Finanzermittlern bis Ende 2020 „nachhaltig verstärken, polizeiliche Auswertungen von Geldtransfers weiter verbessern und die Kooperation mit privaten Finanztransferanbietern ausbauen und vertiefen“ (Deutscher Bundestag 2019). Damit sollen beispielsweise der Kauf von Waffen

5.1  Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung

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und Munition, „Propagandamaßnahmen“ oder eine „Ausbildung von Attentätern“ verfolgt werden. Das Projekt wird von der Europäischen Kommission gefördert und soll die Kooperation mit privaten Finanztransferanbietern „ausbauen und vertiefen“ (Deutscher Bundestag 2019). An einer Auftaktkonferenz in Köln beteiligten sich nach Angaben des BKA das Bundesministerium des Innern, polizeiliche Staatsschutzeinheiten aus Frankreich (Sous-Direction Anti-Terroriste, SDAT), die Spanische Nationalpolizei (Comisaría General de Información, CGI) sowie der internationale Finanztransferdienstleister Western Union, das US-amerikanische Federal Bureau of Investigation (FBI) und die europäische Polizeibehörde Europol. Die Mitte 2017 neu gegründete Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (Financial Intelligence Unit, FIU) ist als nationale Zentralstelle für die Entgegennahme, Sammlung und Auswertung von Meldungen über verdächtige Finanztransaktionen, die im Zusammenhang mit Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung stehen könnten, nicht mehr beim BKA, sondern bei der Generalzolldirektion angesiedelt (Deutscher Bundestag 2019). Auch die FIU soll in BeCaNet eingebunden werden.

5.1.3 Zwischenfazit Eine Studie des Internationalen Währungsfonds verweist auf eine geringe Umsetzungsrate der international geforderten Maßnahmen (International Monetary Fund 2011). So wurde als politische Reaktion auf die jihadistischen Anschläge am 13.11.2015 in Paris die Vorlage jeweils einer „weißen“, „grauen“ und „schwarzen“ Liste durch die FATF gefordert. Dadurch sollten die Staaten nach ihrem Grad an Kooperation und Umsetzung der FATF-Empfehlungen gelistet werden und der Druck auf kooperationsunwillige Staaten erhöht werden (FAZ 2015b; Sanchez 2016). Dazu kommt, dass die Umsetzung der diversen Regularien für Banken- und Finanzinstitute eine erhebliche, auch finanzielle, Belastung darstellen. Beispielsweise werden diese Kosten für Großbritannien auf jährlich 250 Mio. Pfund geschätzt (Dean et al. 2013, S. 66). Im Kontext der Schwachstellen in der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung wünschen sich die Präventionsexperten im Bereich der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung einen intensiveren Informationsaustausch zwischen Banken und Behörden, eine effizientere Amts- und Rechtshilfe und mehr Möglichkeiten für verdeckte Ermittlungen und Onlinedurchsuchungen (Teichmann 2018, S. 85). Onlinedurchsuchungen gelten als effektives und effizientes Mittel zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, da sie in Bereichen helfen, wo

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v­ erdeckte Ermittler an ihre Grenzen stoβen. Jedoch bestehen in Europa, auch in Deutschland, erhebliche datenschutzrechtliche Hürden für Onlinedurchsuchungen. Das Eindringen von Ermittlern in die Computer von (potenziellen) Terrorismusfinanzierern ist oftmals effektiver und günstiger als beispielsweise eine Observation (Teichmann 2018, S. 87). Onlinedurchsuchungen sind auch deswegen schneller und kostengünstiger, weil ein Ermittler mehrere (potenzielle) Terrorismusfinanzierer beobachten kann. Wichtig bei Onlinedurchsuchungen ist allerdings, dass der Daten- und Persönlichkeitsschutz der von den Onlinedurchsuchungen Betroffenen nicht vernachlässigt wird. Im Bereich internationaler Regelungen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung sind die neuen Maßnahmen des Europäischen Parlaments anzuführen, das im September 2018 neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung durch die Verhinderung von Geldwäsche und Verschärfung der Kontrolle über Kapitalströme verabschiedete. Die beiden verabschiedeten Gesetze erschweren es Terroristen, ihre Aktivitäten zu finanzieren, indem Lücken in den geltenden Vorschriften zur Geldwäsche geschlossen werden. Die Behörden sollen außerdem leichter verdächtige Finanzströme aufdecken und stoppen können (Europäisches Parlament 2018). Weiter enthalten die neuen Gesetze EU-weite Definitionen von Straftatbeständen und Sanktionen im Bereich der Geldwäsche.

5.2 Deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr 5.2.1 Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ): Aufbau Ein entscheidender Faktor für die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus – vor allem für die Bewertung von Gefährdungssachverhalten und für die Verhinderung terroristischer Anschläge – ist die frühzeitige Zusammenführung, Analyse und Bewertung relevanter Informationen aller Sicherheitsbehörden auf der Ebene des Bundes und der Länder (BKA 2020). Um einen zügigen und direkten Informationsaustausch zwischen allen beteiligten Behörden zu gewährleisten, wurde 2004 das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin gegründet. Hier arbeiten insgesamt 40 Bundesbehörden und Landesbehörden, Polizeien und Nachrichtendienste zusammen und tauschen sich u. a. in täglichen Lagebesprechungen über neueste Entwicklungen im Phänomenbereich islamistischer Terrorismus aus (BKA 2020).

5.2  Deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr

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Das Ende 2004 in Berlin geschaffene Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) ist keine eigenständige Behörde, sondern eine gemeinsame Kooperations- und Kommunikationsplattform von 40 deutschen Behörden aus dem Bereich der Inneren Sicherheit (BfV 2020a). Nach den Anschlägen des 11.9.2001 erweiterte die Bundesregierung die Aufgaben und Befugnisse der Sicherheitsbehörden und verstärkte deren Zusammenarbeit. So folgten Änderungen im Bereich der institutionalisierten Zusammenarbeit sowie der Normsetzung. Im Rahmen von justiziellen Überprüfungen wurde auch der Grundrechtsschutz konkretisiert und an das veränderte Sicherheitsrecht angepasst. Die institutionelle Zusammenarbeit wurde vor allem durch Kooperationsformen wie das GTAZ, GIZ1 und GASIM2 zur Vernetzung von verfügbaren Informationsquellen und Verdichtung von Informationen gestärkt. Weitere gesetzliche Anpassungen wurden vom Bundestag verabschiedet: Die erweiterten Auskunftsbefugnisse der Nachrichtendienste mit Auskunftspflichten der Ersuchenden, die Einführung der Antiterrordatei, die Ermächtigung der Nachrichtendienste zur eigenständigen Ausschreibung im SIS sowie die Übertragung von Präventivbefugnissen an das BKA zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Ein weiterer Ausdruck der „neuen“ Sicherheitspolitik Deutschlands nach dem 11.9.2001 ist die Legitimation des IMSI-Catchers, der Erweiterung der Strafbarkeit von Handlungen mit Terrorismusbezug (§§ 89a-c und § 129b StGB) sowie die Neugestaltung und Erweiterung von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in StPO und im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlin (ASOG Bln). Diese Entwicklungen lassen eine langsame

1Das

Gemeinsame Internetzentrum (GIZ) beschäftigt sich mit der frühzeitigen Erkennung relevanter Internetpräsenzen, die Bezug zum Phänomenbereich des islamistischen Terrorismus aufweisen, um Anschlagsvorbereitungen aufzudecken sowie internetgestützte Rekrutierungs- und Radikalisierungsaktivitäten von Islamisten nachzuvollziehen und Strukturen der Szene aufzudecken. Am GIZ beteiligte Behörden sind das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt, der Bundesnachrichtendienst, der Militärische Abschirmdienst und der Generalbundesanwalt (BfV 2020b). 2Das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM) fasst die fachlichen Kompetenzen aller beteiligten Behörden und Stellen bei der Bekämpfung der illegalen Migration zusammen. Hier wird eine homogene Erkenntnisgewinnung und -sammlung angestrebt, die einen schnellen Informationsaustausch und eine umfassende Datenanalyse zum Zwecke einer effektiven Aufklärung und Bekämpfung der illegalen Migration ermöglicht. Am GASIM beteiligte Behörden sind das Bundesministerium des Innern, das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Bundesnachrichtendienst und die Bundeszollverwaltung.

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aber stetige Annäherung polizeilicher und nachrichtendienstlicher Kompetenzen erkennen. Dadurch verliert die klassische Aufgabe der Gefahrenabwehr durch in das Gefahrenvorfeld verlagerte, vorrangig informationelle polizeiliche Befugnisse an Bedeutung und die Kompetenzerweiterungen der Nachrichtendienste nähern sich den polizeilichen Befugnissen an (Haynes 2017, S. 560; König 2005, S. 219; Streiß 2011, S. 64). Für das Etablieren des GTAZ war kein neues Gesetz erforderlich, da keine Behörde zusätzliche Kompetenzen erhielt oder Souveränität abgab (BfV 2020a). Stattdessen treffen alle beteiligten Behörden ihre Maßnahmen in eigener Zuständigkeit und im Rahmen der für sie geltenden Gesetze (Bundesgesetze und Landesgesetze). Aufgrund der Organisationsstruktur gibt es auch keinen ­„GTAZ-Leiter“, sondern Vertreter von folgenden Einrichtungen kooperieren „auf Augenhöhe“: • Bundesamt für Verfassungsschutz • Bundeskriminalamt • Bundesnachrichtendienst • Generalbundesanwalt • Bundespolizei • Zollkriminalamt • Bundesamt für Migration und Flüchtlinge • Militärischer Abschirmdienst • 16 Landesämter für Verfassungsschutz • 16 Landeskriminalämter Die Einrichtung des GTAZ erfolgte vor dem Hintergrund einer verstärkten Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus, die sich seit 2004 in über 80 verübten und von Sicherheitsbehörden verhinderten Anschlägen in Europa manifestierte.

5.2.2 Informations- und Analysestellen – NIAS und PIAS Entscheidend für den Erfolg des GTAZ ist die Kooperation zwischen nachrichtendienstlichen und polizeilichen Behörden und Akteuren. Voraussetzung für die Kooperation von 40 deutschen Sicherheitsbehörden des Bereiches Innere Sicherheit war die Einrichtung von zwei getrennten Säulen, nämlich in Form der Nachrichtendienstlichen und der Polizeilichen Informations- und Analysestelle (NIAS und PIAS). So arbeiten NIAS- und PIAS-Mitglieder in verschiedenen Arbeits-

5.2  Deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr

137

gruppen (AGs) zusammen, die unterschiedlichen Zwecken dienen: Auf der einen Seite der aktuellen Fallbearbeitung und auf der anderen Seite Gefahrenprognosen sowie mittel- bzw. längerfristige Analysen. Zu nennen sind dabei: • • • • • • • • •

AG Tägliche Lagebesprechung AG Gefährdungsbewertung AG Operativer Informationsaustausch AG Fälle/Analysen zum islamistischen Terrorismus AG Islamistisch-terroristisches Personenpotenzial AG Deradikalisierung AG Transnationale Aspekte AG Statusrechtliche Begleitmaßnahmen Intelligence Board (nur NIAS) (BfV 2020a)

Als Schlüssel zu einer erfolgreichen Terrorismusbekämpfung beschreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz die Kooperation der insgesamt 40 nachrichtendienstlichen und polizeilichen Behörden und ihrer Mitarbeiter, ergänzt durch flankierende Maßnahmen im Bereich des Ausländerrechts sowie in einer auf langfristige Wirksamkeit angelegten Abstimmung präventiver und repressiver Erfordernisse (ganzheitlicher Ansatz) (BfV 2020a).

5.2.3 Mögliche institutionelle Änderungen Dass das GTAZ nicht effektiv genug funktioniert, bewies spätestens der terroristische Anschlag von Anis Amri am 19.12.2016 in Berlin, durch den 12 Menschen getötet und 55 – einige von ihnen schwer – verletzt wurden. Sogar verschiedene Innenminister der Bundesländer räumen mittlerweile ein, dass das Bedrohungspotenzial vom als islamistischen Gefährder eingestuften Anis Amri im GTAZ gemeinschaftlich falsch bewertet und die Zuständigkeit für diesen islamistischen Gefährder zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder hin- und hergeschoben wurde (Feldmann und Portugall 2017, S. 58). Ungeachtet der Tatsache, dass es immer klarer wird, dass nur ein gemeinsames Vorgehen aller Behörden innere Sicherheit gewährleisten kann, zeigt die Struktur des GTAZ noch viel Änderungsbedarf auf. Aufgrund des Trennungsgebotes existieren zwei getrennte Auswertungs- und Analysezentren: Einerseits die nachrichtendienstliche Informations- und Analysestelle, andererseits die polizeiliche Informations- und Analysestelle. Darüber hinaus mangelt es

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an einer expliziten gesetzlichen Grundlage der Informationsaustauschplattform, die ausdrücklich über keinen behördlichen Charakter verfügt (Feldmann und Portugall 2017, S. 58). Ähnlich gestaltet sich die Situation im Bereich der Migration. Zwar existiert dort seit Mai 2006 das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM). Auch wenn dort Beamte aus Behörden verschiedener Ressorts vertreten sind – was eigentlich dem erforderlichen vernetzten Ansatz zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung und Begleit- und Folgekriminalität dienlich sein sollte –, gilt jedoch: Die Bundesländer sind im GASIM außen vor (Feldmann und Portugall 2017, S. 58). Das Gleiche gilt für das Nationale Cyber-Abwehrzentrum, bei dem Ländervertreter ebenfalls nicht beteiligt sind. Bisher gehören ausschließlich das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zu den dort vertretenen Behörden. Assoziiert sind darüber hinaus die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt (BKA), der Bundesnachrichtendienst (BND), der Militärische Abschirmdienst (MAD) und das Zollkriminalamt (ZKA). Ein richtiger, wenn auch kleiner Schritt in diesem Kontext: Verstärkt mitwirken wird künftig zudem die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) forderte im Jahr 2017 eine Reform des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern. Seiner Auffassung nach wäre die beste Lösung, wenn die 16 Landesämter für Verfassungsschutz aufgelöst und in das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgehen würden (Feldmann und Portugall 2017, S. 58). Gesetze des 20. Jahrhunderts sind ein Hindernis für die Handlungsfähigkeit der Anti-Terror-Behörden im 21. Jahrhundert. Der Fall von Safia S. – dem 15jährigen Mädchen, das einen Mordanschlag mit einem Messer auf einen Bundespolizisten im Hauptbahnhof Hannover verübte – zeigt, dass erst nach einem Anschlag gesetzlich gehandelt wird. So wurde erst nach dem Anschlag eine Gesetzesänderung wirksam, die in die Anti-Terror-Datei auch Minderjährige ab einem Alter von 14 Jahren aufnehmen lässt. Doch was, wenn beim nächsten Anschlag bzw. Attentat ein 13-Jähriger der Täter ist? (Feldmann und Portugall 2017, S. 58). Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, sieht institutionellen und rechtlichen Handlungsbedarf innerhalb Deutschlands. So monierte er, dass es für die Überwachung von Gefährdern nicht hilfreich sei, dass es 16 verschiedene Polizeigesetze gebe. So sei zum Beispiel in fünf Ländern aus rechtlichen Gründen keine Kommunikationsüberwachung möglich: „Ich appelliere

5.2  Deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr

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deshalb, dass die Polizeigesetze schnell vereinheitlicht werden“ (zit. n. Steinkohl 2017, S. 19). Ziel müsse es sein, dass Gefährder in Deutschland nach einem einheitlichen Maßstab beurteilt und behandelt werden. Die CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger und Armin Schuster machten sich für eine Konzentration der Zuständigkeiten in der Terrorbekämpfung beim Bund stark (Steinkohl 2017, S. 19). Am sinnvollsten sei es daher, die Verfassung zu ändern und deutlich zu machen, „dass Strafverfolgung und Gefahrenabwehr bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine Bundesaufgabe ist“ (Steinkohl 2017, S. 19). Weiter sollten die Staatsschutzbereiche der Landeskriminalämter, die mit Terrorismusbekämpfung befasst sind, in das Bundeskriminalamt eingegliedert werden (Steinkohl 2017, S. 19). Der Fall Anis Amri und die Analyse der Zuständigkeiten verschiedener Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes führte zu grundlegender Kritik am Föderalismus im Bereich der inneren Sicherheit und Forderungen nach einem deutschen FBI, das Terrorlagen zentral bewältigt (Behörden Spiegel 2017, S. 60; Welt 2016).

5.2.4 Das Trennungsgebot Der Ursprung des Trennungsgebots liegt im sog. Polizeibrief der Militärgouverneure der westlichen Besatzungszonen an den Parlamentarischen Rat vom 14.4.1949, der die Einrichtung eines eigenständigen Inlandsnachrichtendienstes auf Bundesebene gestattete, diesem Inlandsnachrichtendienst allerdings etwaige Exekutivbefugnisse versagte (Roggan und Bergemann 2007; Haynes 2017, S. 560). Das Ziel des Trennungsgebots lag und liegt in der Verhinderung der Herausbildung einer staatlichen Übermacht oder eines Machtmissbrauchs, wie er im Nationalsozialismus in der Geheimen Staatspolizei („Gestapo“) und in der DDR im Ministerium für Staatssicherheit vorzufinden war (Nehm 2004, S. 34.289). Kurz gefasst bezeichnet das Trennungsgebot das Verhältnis zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, das durch eine organisatorische und befugnisrechtliche Trennung geprägt ist und darüber hinaus informationelle Aspekte beinhaltet (Haynes 2017, S. 560; Kutscha 2006, S. 80). a) Befugnisrechtliche und organisatorische Trennung Der inhaltliche Kern des Trennungsgebots ist die befugnisrechtliche Trennung zwischen den Polizeien des Bundes und der Länder sowie der Nachrichtendienste des Bundes und der Länder (Streiß 2011, S. 168; König 2005, S. 225).

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Diese befugnisrechtliche Trennung verbietet den Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder, polizeiliche Befugnisse, d. h. mit Eingriffscharakter versehene Exekutiv- und Zwangsbefugnisse, anzuwenden. Dazu gehören die Standardbefugnisse wie Gewahrsam, Platzverweis oder Sicherstellung und Ermächtigungsgrundlagen wie der unmittelbare Zwang (Haynes 2017, S. 560; Soiné 2007, S. 247). Um einer Umgehung dieses Verbots vorzubeugen, erfolgte eine rechtliche Ergänzung dahin gehend, dass die Nachrichtendienste des Bundes und der Länder die Polizeien des Bundes und der Länder auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen dürfen, zu denen sie selbst nicht befugt sind.3 Diese Befugnistrennung ist gesetzlich im Recht der Nachrichtendienste verankert.4 Einzelne Bundesländer haben diese sogar im Landesverfassungsrecht normiert (Haynes 2017, S. 560).5 Die Nachrichtendienste haben gem. § 8 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz nachrichtendienstliche Mittel, d.  h. „Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung wie der Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen“ zur Verfügung. Das polizeiliche Handeln unterliegt den verfassungsrechtlichen Vorgaben des deutschen Rechtsstaates und damit dem Gesetzesvorbehalt, der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sowie der Rechtsschutzgarantie (Nehm 2004, S. 3289). Weiter untersagt das auch als Angliederungsverbot bezeichnete Trennungsgebot eine organisatorische Angliederung von nachrichtendienstlichen Stellen an Polizeibehörden, von Polizeidienststellen an nachrichtendienstliche Behörden sowie die Zusammenfassung beider Institutionen zu einer gemeinsamen Sicherheitsbehörde, zu einer organisatorischen Einheit (Haynes 2017, S. 560; Götz 1996, § 79, Rn. 43). Zusätzlich verbietet das Trennungsgebot die personelle Verflechtung von Polizei und Nachrichtendiensten, sodass eine Person nicht zugleich Mitarbeiter einer Polizei- und einer Verfassungsschutzbehörde sein darf. Diese

3§§

8 Abs. 3 Hs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz, 2 Abs. 3 S. 2 BND Gesetz und 4 Abs. 2 Hs. 2 MAD Gesetz. 4Auf Bundesebene § 8 Abs. 3, Hs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz, §2 Abs. 3 S. 1 BND Gesetz; § 4 Abs. 2 MAD Gesetz. Auf Landesebene finden sich in den Landesverfassungsschutzgesetzen vergleichbare befugnisrechtliche Regelungen, z. B. § 8 Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern, § 6 Abs.  4 Hs.  1 Verfassungsschutzgesetz Bremen. 5So beispielsweise in Art. 11 Abs. 3 S. 2 der Verfassung des Landes Brandenburg oder in Art. 97 S. 2 der Verfassung des Landes Thüringen.

5.2  Deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr

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organisatorische Trennung ist einfachgesetzlich in zahlreichen Gesetzen auf Bundes- und Landesebene geregelt.6 Wegen der organisatorischen Trennung der deutschen Sicherheitsbehörden, ihrer sich jedoch überschneidenden Aufgaben und teilweise identischen Schutzgüter ist eine Kooperation der deutschen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten jedoch unabdingbar. b) Befugnisrechtliche Trennung sowie informationelle Zusammenarbeit Nach Auffassung von Haynes stellt die Annäherung der Kompetenzen von Polizei und Nachrichtendiensten, beispielsweise auf das Gefahrenvorfeld ausgeweitete Befugnisse zur verdeckten oder ereignisunabhängigen Gewinnung von Informationen mit Blick auf den fehlenden Verfassungsrang des Trennungsgebots keinen Verstoß gegen die einfachgesetzlich normierte befugnisrechtliche Trennung dar (Haynes 2017, S. 561–562). Aktuelle Entwicklungen zeigen zwar die Tendenz zu einer allmählichen Aufweichung der befugnisrechtlichen Trennung, stellen jedoch keinen Bruch des Trennungsgebots dar. Ebenso stellt die institutionelle Zusammenarbeit, wie sie im GTAZ oder GIZ erfolgt, keinen Verstoß gegen die organisatorische Trennung von Polizeien und Nachrichtendiensten dar, weil die Einrichtungen GTAZ und GIZ keine eigenständigen Sicherheitsbehörden sind, sondern ein „informelles, aber organisatorisch verfestigtes Netzwerk mit einem formalisierten Informationsnetz“ (Weisser 2011, S. 142). Da es sich beim GTAZ und GIZ um Kooperationsforen ohne eigene Rechtspersönlichkeit oder Finanzmittel und nicht um gemeinsame Sicherheitsbehörden oder personelle Verflechtungen handelt, bleiben die originären Aufgaben, Zuständigkeiten und Befugnisse der beteiligten deutschen Sicherheitsbehörden unberührt. Ob die informationelle Verknüpfung im GTAZ oder durch die Anti-Terror-Datei dem Trennungsgebot zuwiderläuft, kann nach Auffassung ­ von Haynes erst entschieden werden, wenn geprüft ist, ob es überhaupt informationelle Wirkung entfaltet (Haynes 2017, S. 562). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung setzt der informationellen Kooperation von Polizeien und Nachrichtendiensten Grenzen, sodass die eine Zusammenarbeit regelnden datenschutzrechtlichen Bestimmungen maßgeblich

6Zum Beispiel in § 2 Abs. 1 S. 3 Bundesverfassungsschutzgesetz, § 1 Abs. 1 Satz 2 BND Gesetz, § 1 Abs. 4 MAD Gesetz, § 2 Abs. 1 S. 2 Verfassungsschutzgesetz Berlin, §2 Abs. 2 Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern, §2 Abs. 1 S. 2 Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen.

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sind. Hierbei sorgte die Einrichtung der Anti-Terror-Datei für politische und wissenschaftliche Diskussionen. Die Anti-Terror-Datei dient allerdings der Informationsanbahnung und bildet die Grundlage für Datenübermittlungen im Rahmen des fachlichen Datenaustauschs. Auch das Bundesverfassungsgericht erklärte die Anti-Terror-Datei für verfassungskonform.7 Von höchster Bedeutung ist festzustellen, dass der Polizei gezielt sicherheitsrelevante Informationen zu möglichen terroristischen Bedrohungen vorzuenthalten mit der staatlichen Pflicht zur Sicherheitsgewährleistung nicht vereinbar wäre. Kurz: Das Trennungsgebot stellt kein Totalverbot informationeller Zusammenarbeit zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten dar. c) Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 12. bis 14.6.2017 in Dresden Die Innenministerkonferenz (IMK) stellte im Juni 2017 in Dresden fest, dass sich die bundesstaatliche Gliederung beim Schutz der öffentlichen Sicherheit grundsätzlich bewährt hat, forderte allerdings im Bereich des Verfassungsschutzes eine – siehe den Fall Anis Amri – effektive Aufgabenwahrnehmung aller Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern. Dies setzt sowohl starke Landesbehörden als auch eine starke Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz voraus. Daher prüft die IMK, ob bei besonderen Gefährdungslagen weitere Verbesserungen der Zusammenarbeit angezeigt sind und hierbei auch und insbesondere das „Rahmenkonzept zur Bewältigung besonderer Lagen im Verfassungsschutzverbund, Version 3.0“ evaluiert und fortentwickelt wird. Daneben fordert die IMK eine weitergehende Vereinheitlichung der Bearbeitung des extremistischen Personenpotenzials durch erweiterte Standardisierung der Erfassung, insbesondere auch mit Blick auf NADIS sowie gemeinsame Standards für operative Maßnahmen im Bereich des gewaltbereiten Personenpotenzials inklusive einer optimierten Abstimmung, im GTAZ/NIAS zu erarbeiten (IMK 2017, S. 29). Die IMK hält eine Intensivierung des Informationsaustauschs zwischen den Sicherheitsbehörden zur effektiven Terrorismusabwehr für unverzichtbar, stellt allerdings hierbei fest, dass das sog. informationelle Trennungsprinzip der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden einen engen Rahmen vorgibt. Daher hat die IMK eine Arbeitsgruppe mit einem Prüfauftrag beauftragt, ob in Folge dessen oder aus anderen Gründen der notwendige Informationsfluss

7Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24.4.2013 – 1 BvR 1215/07 = NJW 2013, S. 1499– 1511.

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erschwert oder verhindert wird und ob sich daraus Handlungsbedarf ergibt (IMK 2017, S. 30). Unter Punkt 52, „Gesetzgeberische Handlungsempfehlungen im Zusammenhang mit islamistischem Terrorismus“ stellte die IMK fest, dass der Bericht „Gesetzgeberische Handlungsempfehlungen im Zusammenhang mit islamistischem Terrorismus“ (Stand: 11.05.17) ein Spektrum gesetzgeberischer Optionen aufzeigt, bei deren Umsetzung das polizeiliche Instrumentarium zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus insbesondere im länderübergreifenden Agieren, verbessert werden kann. Daher empfiehlt die IMK den Bundesländern, die Ausführungen des Berichtes in eigene Überlegungen zur Novellierung der Polizeigesetze einzubeziehen. Daneben beauftragte die IMK eine Arbeitsgruppe mit der Erarbeitung eines Musterpolizeigesetzes, um „hohe gemeinsame gesetzliche Standards und eine effektive Erhöhung der öffentlichen Sicherheit zu erreichen“ (IMK 2017, S. 43). Auch wurde im Protokoll vermerkt, dass das Bundesland Bayern die auch im Bericht angesprochenen teilweise weitergehenden polizeilichen Befugnisse für eine effektive Gefahrenabwehr für erforderlich hält (IMK 2017, S. 43).

5.2.5 Die Gründung der Bundespolizeidirektion 11 Seit dem 1.8.2017 sind in der Bundespolizeidirektion 11 alle Spezialkräfte der Bundespolizei organisatorisch gebündelt und unter einheitlicher Führung zusammengefasst. Damit werden die Fähigkeiten der Bundespolizei zur Lagebewältigung bei terroristischen Anschlägen im In- und Ausland besser koordiniert (Bundespolizei 2020). Die Bundespolizeidirektion 11 gliedert sich in einen Einsatzstab und folgende Spezialkräfte: • GSG 9 • Bundespolizei-Flugdienst • Polizeiliche Schutzaufgaben Ausland der Bundespolizei (PSA) • Besondere Schutzaufgaben Luftverkehr der Bundespolizei • Einsatz- und Ermittlungsunterstützung der Bundespolizei Ein Ziel der Einrichtung der Bundespolizeidirektion 11 ist die Stärkung der Krisen- und Reaktionsfähigkeit der Bundespolizei. Die Bundespolizeirektion 11 als neue Bundespolizeidirektion fast seit dem 1.8.2017 alle Spezialkräfte der Bundespolizei mit Sonderaufgaben unter einer einheitlichen Führung zusammen, um sowohl in inländischen als auch in trans-

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nationalen Ausnahmelagen bis hin zu Geiselnahmen in Krisengebieten zielgerichteter und koordinierter reagieren zu können (Walter 2019, S. 6). Vor allem soll durch Vermeidung überflüssiger Schnittstellen die Krisen- und Reaktionsfähigkeit der Bundespolizei erhöht und der Zeitvorsprung gesichert werden, der für den Erfolg eines Verbandes mit besonderen sicherheitspolitischen Aufgaben entscheidend ist. Nach Auffassung von Walter wird die Bundespolizeidirektion 11 dann besondere Bedeutung erhalten, wenn im worst case terroristische Anschläge parallel an verschiedenen Orten Deutschlands oder über einen längeren Zeitraum erfolgen und die regionalen Kräfte überfordert oder die Reserven erschöpft sind (Walter 2019, S. 7). Dem Präsidenten der Bundespolizeidirektion 11, der durch einen Vizepräsidenten vertreten wird, unterstehen neben den Stabsstellen der Stabsbereich „Einsatz“, der Stabsbereich 2 „Technik und Logistik“ und Stabsbereich 3 (Verwaltung). Besondere Aufmerksamkeit verdient der Stabsbereich 1, dem der Sachbereich 10 „Einsatz- und Koordinierungszentrum“, Sachbereich 11 „Lagezentrale“, Sachbereich 12, „Einsatzbezogene Auswertung/Analyse“, Sachbereich 13 „Grundsatz/Einsatzmanagement“, Sachbereich 14, „Polizeiliche Zusammenarbeit und Beratung“ und Sachbereich 15 „Einsatzbezogenes Training und Befähigung“ nachgeordnet sind (Walter 2019, S. 7). Der besondere Stellenwert der Polizeitechnik kommt dadurch zum Ausdruck, dass der Führung unmittelbar die Projektgruppen „Entschärferdienst“ und „Unmanned Aircraft Systems (UAS)“ unterstellt sind. In Bezug auf terroristische Anschlagsszenarien mit Flugzeugen ist die „Besondere Schutzaufgabe Luftverkehr der Bundespolizei“, wahrgenommen von Air Marshals, von besonderer Bedeutung. Der Einsatz dieser Air Marshals kann bei Ausnahmelage im Flugzeug als „last line of defense“ beschrieben werden. In der Bundespolizeidirektion 11 in Berlin werden u. a. mögliche Antiterroreinsätze in Deutschland, die Sicherung von deutschen Botschaften im Ausland und die Unterstützung der Landespolizeien zentral gesteuert. Zum Zeitpunkt der Indienststellung der Bundespolizeidirektion 11 hatte diese 100 Mitarbeiter, nach Aussagen des damaligen Bundesinnenminister de Maizière sollen es möglichst schnell 300 sein. Die der Bundespolizeidirektion 11 unterstellten Einheiten verbleiben an ihren bisherigen Standorten. Im Rahmen einer Pressekonferenz zur Indienststellung der Bundespolizeidirektion 11 erklärte der damalige Bundesinnenminister: „Die Entscheidung für die neue Direktion ist das Ergebnis einer Analyse, die auf eine Bedrohungslage für Deutschland hindeutet, die es so bisher noch nicht gegeben hat“. Der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dieter Romann, sprach bei der Indienststellung der Bundespolizeidirektion 11 von einem „besonderen Tag für die Bundespolizei und die Sicherheitsarchitektur Deutschlands“ sowie von einem „Meilenstein für Bund und Länder“ (Behörden Spiegel 2017b, S. 8) Zwar

5.2  Deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr

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liege das unmittelbare Ziel der Errichtung der Direktion in einer Bündelung der Kompetenzen der Spezialkräfte, um Synergien freizusetzen und die Bundespolizei krisenfester zu machen. Er versicherte allerdings: „Jeder Bedarfsträger kann notwendige Werkzeuge jederzeit und in jeder Lage anfordern.“ Mit der Neuorganisation im Bereich der polizeilichen Spezialkräfte sei auch das Angebot für verbesserte länderübergreifende Zusammenarbeit und bessere Hilfeleistung in komplexen Lagen verbunden, bekräftigten Romann und der damalige Bundesinnenminister de Maizière (Behörden Spiegel 2017b, S. 8). „Der Schlüssel für die Sicherheit sind agile und grenzübergreifende Netzwerke“, unterstrich Olaf Linder, der erste Leiter der neuen Dienststelle Bundespolizeidirektion 11. Intern müsse es zur effektiven Bündelung der Kräfte zunächst darum gehen, „zu Teams zusammenzuwachsen, die einander vertrauen und mit den jeweiligen speziellen Fähigkeiten geschlossen agieren.“ Man stehe hier am Anfang eines langen Weges, den man im Schulterschluss mit Partnern in Deutschland, aber auch Europa und der Welt, gehen wolle, betonte Lindner, der von 2005 bis 2014 Kommandeur der GSG 9 war (Behörden Spiegel 2017b, S. 8).

5.2.6 Zwischenfazit Die oben stehenden Ausführungen zeigen, dass eine verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten – wie im GTAZ, im GIZ und im GASIM – keinen Verstoß gegen das Trennungsgebot darstellt. Ein entscheidender Faktor für die Bekämpfung des (islamistischen) Terrorismus – vor allem für die Bewertung von Gefährdungssachverhalten und die Verhinderung terroristischer Anschläge – ist die frühzeitige Zusammenführung, Analyse und Bewertung relevanter Informationen aller Sicherheitsbehörden auf der Ebene des Bundes und der Länder. Um einen schnellen und unmittelbaren Informationsaustausch zwischen allen relevanten deutschen Sicherheitsbehörden der Inneren Sicherheit zu gewährleisten, wurde im Jahr 2004 das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin gegründet, wobei das GTAZ keine eigenständige Behörde ist, sondern eine gemeinsame Kooperations- und Kommunikationsplattform von 40 deutschen Sicherheitsbehörden aus dem Bereich der Inneren Sicherheit. Dabei stellt die institutionelle Zusammenarbeit, wie sie im GTAZ oder im Gemeinsamen Internetzentrum (GIZ) erfolgt, keinen Verstoß gegen die organisatorische Trennung von Polizeien und Nachrichtendiensten dar, weil die Einrichtungen GTAZ und GIZ keine eigenständigen Sicherheitsbehörden sind, sondern ein „informelles, aber organisatorisch verfestigtes Netzwerk mit einem formalisierten Informationsnetz“ (Weisser 2011, S. 142). Im GTAZ, im

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GIZ und im GASIM bleiben die Aufgaben, Zuständigkeiten und Befugnisse der einzelnen deutschen Sicherheitsbehörden unberührt, zudem handelt es sich um Kooperationsforen ohne eigene Rechtspersönlichkeit oder Finanzmittel und nicht um gemeinsame Sicherheitsbehörden oder personelle Verflechtungen. Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass Terrorismusabwehr impliziert, regelmäßig und aktuell zu überprüfen, ob die bisherige Sicherheitsarchitektur zur aktuellen und zukünftigen Bedrohungslage passt. So können das GTAZ, das GIZ, das GASIM und die Bundespolizeidirektion 11 als intelligente Antworten auf die Bedrohungslage durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland bewertet werden.

5.3 Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr Im Sommer 2016 entbrannte erneut eine politische Debatte darüber, ob Landesbehörden und die Bundesregierung im Fall von terroristischen Anschlägen auf Fähigkeiten der Bundeswehr – Personal und Technik – zurückgreifen sollen bzw. können. Der Vorschlag stammte von der damaligen Verteidigungsministerin von der Leyen (Jungholt 2016). Weiter noch ging der damalige bayerische Innenminister Herrmann (CSU), der eine Änderung des Grundgesetzes forderte, damit der Einsatz von Soldaten gegen Terroristen auch rechtlich im Inland möglich wird (Krause 2017, S. 311). Die parteipolitische Diskussion über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird auf verschiedenen Ebenen geführt, z. B. auf der juristischen Ebene. Die Medien allerdings argumentieren häufig auf einer moralisch-philosophischen Ebene (Süddeutsche Zeitung 2012; Krause 2017, S. 312). Um die undurchsichtige und teilweise widersprüchliche Diskussionslage zu einem Einsatz der Bundeswehr im Innern aufzulösen, wird diese Frage hier auf zwei Ebenen beantwortet: (1) Die aktuelle Rechtslage und (2) die Analyse der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Bezug auf einen Einsatz der Bundeswehr.

5.3.1 Die aktuelle Rechtslage Voraussetzungen und Grenzen eines Einsatzes der Bundeswehr regelt das Grundgesetz und die rechtlichen Hürden, die es setzt, sind sehr hoch. Die Aufgaben von Polizei und Bundeswehr sind klar in die Bereiche Innere Sicherheit (Polizeien)

5.3  Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr

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und Äußere Sicherheit (Bundeswehr) getrennt. Dazu, dass für die Innere Sicherheit allein die Polizei zuständig ist, heißt es im Grundgesetz: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“ (Artikel 87a Abs. 2 GG). Diese Ausnahmen sind wie folgt geregelt: • Katastrophenhilfe (Art 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG) Bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall können Teile der Bundeswehr zur Wiederherstellung der Sicherheit und Ordnung und zur Hilfeleistung angefordert werden, wenn die Polizei hierzu alleine nicht mehr in der Lage ist (Bundeswehr/Trettenbach 2017). „Katastrophenhilfe“ kann auch bei einem terroristischen Anschlag in Betracht kommen, wenn dieser einen besonders schweren Unglücksfall darstellt. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings im Jahr 2012 die Schwelle hierfür sehr hoch gesetzt. So liege ein besonders schwerer Unglücksfall nur vor bei einer „ungewöhnlichen Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes“, stellt das Bundesverfassungsgericht fest. In diesem Fall darf die Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei eingesetzt werden und polizeiliche Mittel anwenden (Bundeswehr/Trettenbach 2017). Im Fall von Katastrophenhilfe sind militärische Mittel nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dürfen jedoch nur in einer absoluten Krisensituation eingesetzt werden. Konkret formuliert: Nur weil die Einsatzkräfte der Polizei zum Schutz eines Konzertes oder eines Fußballspieles nicht reichen, kann nicht auf Soldaten zur Absicherung eines events zurückgegriffen werden (Bundeswehr/Trettenbach 2017). • Innerer Notstand (Art 87 a IV GG) Nur dann, wenn die demokratische Grundordnung beziehungsweise der Bestand der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar gefährdet ist, darf die Bundeswehr zum Schutz ziviler Objekte (zum Beispiel von Schulen, Bahnhöfen und Flughäfen) und zur Bekämpfung von sogenannten Aufständischen mit militärischen Waffen eingesetzt werden (Bundeswehr/Trettenbach 2017). Krause unterscheidet in vier verschiedene Formen der Beteiligung der Bundeswehr bei der Bewältigung von Sicherheitsproblemen: • „Technische oder administrative Amtshilfe der Bundeswehr für Polizei und andere Behörden, bei der es um die Zurverfügungstellung von Material, Brennstoffen, Strom, Wasser und Dienstleistungen geht, die unter der

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d­ ienstlichen Aufsicht anderer Behörden eingesetzt werden. Hierzu kann auch die Zurverfügungstellung von Information gehören“ (Krause 2017, S. 312). • „Hilfe der Bundeswehr für Polizei und andere Behörden bei der Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen, sofern diese infolge einer wie auch immer gearteten Notsituation diese Hilfe benötigen. Hierbei handelt es sich um die Ausübung hoheitlicher Befugnisse unterhalb der Anwendung von Waffengewalt, bei der aber durchaus Elemente des Zwangs enthalten sein können (Verkehrsregelung, Unterbringung von Flüchtlingen, Objektschutz, Personenschutz, etc.)“ (Krause 2017, S. 313). • „Unterstützung der Bundeswehr für Polizei und andere Sicherheitsbehörden unter Einbeziehung von Gewaltmitteln, z. B. wenn diese in der Auseinandersetzung mit inneren Gefährdungen bei der Ausübung legitimer Gewalt nicht (oder nicht ausreichend) über die notwendigen Mittel verfügen (Vornahme von Eingriffen)“ (Krause 2017, S. 313). • „Kooperation zwischen Polizei, Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden bei der Abwehr von internationalen Gefährdungen, die grenzüberschreitend auftreten und weder ausschließlich Probleme der Inneren noch der Äußeren Sicherheit darstellen“ (Krause 2017, S. 313). Die Debatte um einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren wurde nach den Angriffen mit entführten Zivilflugzeugen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington am 11.9.2001 politisch und wissenschaftlich intensiv geführt. Solche terroristischen Bedrohungsszenarien müssten zu einer Neubewertung des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren führen, lautete die Forderung (Wiegold 2017). Zur Abwehr von terroristischen Bedrohungsszenarien im Luftraum schien der Einsatz der Luftwaffe nicht nur unstrittig, sondern geradezu zwingend: Allein die Luftwaffe verfügt über Flugzeuge und Raketen zur Flugabwehr, die ein entführtes Flugzeug stoppen können. Allerdings schränkte das Bundesverfassungsgericht das Luftsicherheitsgesetz von 2005 bald entscheidend ein: Der Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeuges, in dem auch Unbeteiligte sitzen, sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar (Wiegold 2017; Bundesverfassungsgericht 2006). Das Bundesverfassungsgericht führte weiter aus, dass Kampfflugzeuge der Luftwaffe eine von Terroristen entführte Passagiermaschine nur abdrängen, aber nicht abschießen dürfen. Offen ist allerdings weiterhin, ob sich ein Pilot der Luftwaffe tatsächlich strafbar macht, wenn er durch den Abschuss eines Flugzeugs beispielsweise dessen gezielten Absturz über einem voll besetzten Fußballstadion verhindert (Wiegold 2017).

5.3  Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr

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Diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet nach Ansicht von Wiegold jedoch nicht, dass die Bundeswehr – abgesehen vom Kriegsfall oder einer kriegerischen Bedrohung im sog. Verteidigungsfall – im Inland nicht eingesetzt werden darf. Dazu sieht das Grundgesetz einige Regelungen vor, die wiederum durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts präzisiert und auch ausgeweitet wurden (Wiegold 2017). Von entscheidender Bedeutung hierfür ist ein Satz in Artikel 35 GG: „Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.“ Hier erklärte das Bundesverfassungsgericht abweichend von früheren Entscheidungen eine neue Interpretation, die mehr Möglichkeiten für einen Einsatz der Bundeswehr im Inland eröffnet: Bei besonders schweren Unglücksfällen „katastrophischen“ Ausmaßes dürften die Streitkräfte auch im Inland „spezifisch militärische Mittel“ einsetzen – und im Unterschied zur technischen Amtshilfe auch hoheitliche Aufgaben übernehmen (Bundesverfassungsgericht 2012). Nach Wiegold muss für einen Einsatz der Bundeswehr mit militärischen Waffen deshalb eine „terroristische Großlage“ in der Tat so weitgehend sein, dass eine ungewöhnliche Ausnahmesituation anzunehmen ist (Wiegold 2017). Über die konkreten Aufgaben der Soldaten der Bundeswehr entscheidet in einer „terroristischen Großlage“ also nicht ein militärischer Kommandeur, sondern der zivile Einsatzleiter der Polizei oder des Innenministeriums eines Bundeslandes.

5.3.2 Analyse der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Bezug auf einen Einsatz der Bundeswehr Nach der Ansicht von Krause hat sich – seit dem 11.9.2001 und noch verstärkt durch die jihadistischen Anschläge in Europa und Deutschland seit 2004 sowie durch versuchte, aber von Sicherheitsbehörden vereitelte Anschläge – die terroristische Bedrohungslage im Vergleich zur terroristischen Bedrohung durch die Rote Armee Fraktion (RAF) der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhundert signifikant gewandelt (Krause 2017, S. 327). Folgende Merkmale sind nach Krause prägend für die aktuelle und zukünftige Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terrorismus:

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• Die jihadistischen Organisationen und Gruppen agieren international, grenzübergreifend • Islamistischer Terrorismus nutzt asymmetrische Strategien und Taktiken, die das humanitäre Völkerrecht brechen • Die Skala der Wirkmittel von islamistischen Terroristen ist nach oben hin offen, dazu gehören auch atomare, biologische oder chemische Waffen (CBRN) • Die Kriege und Konflikte der Al Qaida und des „Islamischen Staats“ verbinden die „zweite“ und „dritte“ Welt mit der „ersten“ Welt. Als Konsequenz flohen hunderttausende syrische und irakische Flüchtlinge nach Europa • Salafismus und islamistischer Terrorismus verfolgen eine Strategie der Entfremdung des muslimischen Bevölkerungsanteils von der Mehrheitsgesellschaft • Allein die quantitative Größenordnung der internationalen jihadistischen Terrororganisationen IS und Al Qaida stellen alle anderen terroristischen Organisationen der letzten Jahrzehnte in den Schatten • Der Grad jihadistischer Brutalität war seit dem Ende des zweiten Weltkrieges nicht mehr für möglich gehalten worden • Wenn islamistische Terroristen Flugzeuge oder Schiffe als Wirkmittel nutzen benötigen die Polizei die Hilfe der Bundeswehr in Form von militärischen Waffen • Jihadistische Angriffe auf Einkaufszentren, Bahnhöfe, Flughäfen oder andere Orte mit Ansammlungen vieler Menschen überfordern die Polizeien zahlenmäßig. Soldaten der Bundeswehr könnten hier unterstützen • Bei jihadistischen Anschlägen mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen benötigen die Polizeien qualitative und quantitative Hilfe der Bundeswehr (ABC-Abwehr-Truppe, Abschuss von Boden-Luft-Raketen etc.) (Krause 2017, S. 328–332). Zwei Begründungszusammenhänge für den Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr terroristischer Gefährdungen im Inland sind nach Krause hier aufzuführen: Der eine ist die Möglichkeit, dass islamistische Terroristen Waffen oder sonstige Materialien und Gegenstände einsetzen, die die Polizei überfordern, der andere ist das Prinzip der „vernetzten Sicherheit“. Nach herrschender rechtlicher Auffassung sind diese beiden Begründungszusammenhänge für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr durch die Interpretationen des Bundesverfassungsgerichts gedeckt, aber eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes würde nach Krause Rechtssicherheit schaffen (Krause 2017, S. 333).

5.4  Europäische Terrorismusabwehr

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5.4 Europäische Terrorismusabwehr 5.4.1 Aktuelle Maßnahmen der Europäischen Union a) Verbesserung der EU-Grenzkontrollen Die Europäische Union führte im April 2017 an den Außengrenzen der EU systematische Grenzkontrollen für diejenigen ein, die in die EU einreisen, auch für EU-Bürger (Europäisches Parlament 2019). In Bezug darauf verwies Bossong allerdings im Jahr 2017 darauf, dass smarte, also datengeschützte, vernetzte und teilautomatisierte Grenzkontrollen mit Verweis auf den islamistischen Terrorismus bei der Umsetzung große Hindernisse zu überwinden und die ­EU-Mitgliedsstaaten immens hohe Kosten zu tragen hätten (Bossong 2017, S. 3). Kurze Zeit später, im November 2017, einigten sich das Europäische Parlament und die EU-Minister auf ein neues System zur Registrierung von Ein- und Ausreisen, um die Bewegungen von Nicht-EU-Bürgern im Schengen-Raum zu erfassen und die Kontrollen zu beschleunigen, was ab 2020 voll funktionsfähig sein soll (Europäisches Parlament 2019). Das ETIAS-System (Europäisches Reiseinformations- und Genehmigungssystem) ist dabei das Mittel, um Reisende aus Nicht-EU-Staaten, die für die Einreise in die EU kein Visum benötigen, über das ETIAS-System (Europäisches Reiseinformations- und Genehmigungssystem) zu prüfen. geprüft. Aktuell geht das Europäische Parlament davon aus, dass das System ab 2021 in Betrieb gehen wird. Als letztes Mittel, um zu verhindern, dass sich Terroristen innerhalb der EU frei bewegen können, betrachtet das Europäische Parlament vorübergehende Grenzkontrollen, durchgeführt durch einzelne EU-Mitgliedsstaaten (Europäisches Parlament 2019). Um die Sicherung der EU-Außengrenzen zu gewährleisten, soll die Europäische Grenz- und Küstenschutzagentur FRONTEX bis zum Jahr 2027 über eine ständige Reserve von 10.000 Grenzbeamten verfügen, um die 13.000 km europäischen Landaußengrenzen und ca. 66.000  km auf See effizient zu sichern (Europäisches Parlament 2019). Zukünftig könnte die ständige Reserve von FRONTEX die Grenzkontrollen, das Migrationsmanagement und die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität übernehmen (Europäisches Parlament 2019). Der Rat der Europäischen Union nahm Mitte Mai 2019 zwei Verordnungen an, mit denen ein Rahmen für die Interoperabilität zwischen E ­ U-Informationssystemen im Bereich Justiz und Inneres errichtet wird. So soll ein erleichterter Informationsaustausch die Sicherheit in der EU deutlich verbessern, effizientere Kontrollen an den Außengrenzen ermöglichen, das Aufdecken von Mehrfachidentitäten

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erleichtern und dazu beitragen, die irreguläre Migration zu verhindern und zu bekämpfen (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2019). Sobald die Informationssysteme interoperabel sind, sollen sie einander ergänzen und somit die korrekte Identifizierung von Personen erleichtern und zur Bekämpfung von Identitätsbetrug beitragen. Die Verordnungen sehen folgende Interoperabilitätskomponenten vor: • „Ein europäisches Suchportal, das den zuständigen Behörden parallele Abfragen in mehreren EU-Informationssystemen ermöglichen würde, und zwar sowohl mit biografischen als auch mit biometrischen Daten • Einen gemeinsamen Dienst für den Abgleich biometrischer Daten, der die Abfrage und den Abgleich biometrischer Daten (Fingerabdrücke und Gesichtsbilder) aus mehreren Systemen ermöglichen würde • Einen gemeinsamen Speicher für Identitätsdaten, der biografische und biometrische Daten von Drittstaatsangehörigen aus mehreren ­EU-Informationssystemen enthalten würde • Einen Detektor für Mehrfachidentitäten, mit dem sich nachprüfen lässt, ob die abgefragten biografischen Identitätsdaten auch in anderen angeschlossenen Systemen vorhanden sind, um Mehrfachidentitäten aufzudecken, die mit ein und demselben Satz biometrischer Daten verknüpft sind“ (Europäischer Rat/ Rat der Europäischen Union 2019). Mit den durch die beiden Verordnungen erfassten Systemen werden die zuständigen Behörden der EU-Mitgliedsstaaten in den Bereichen Sicherheit, Grenzmanagement und Migrationssteuerung sowie Visabearbeitung und Asylgewährung unterstützt. Dabei wurden mit den neuen Verordnungen die Zugangsrechte, wie sie in der für das jeweilige europäische Informationssystem geltenden Rechtsgrundlage festgelegt sind, nicht geändert, aber die Möglichkeiten, Informationen auszutauschen, erleichtert und verbessert (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2019). b) Maßnahmen gegen europäische Foreign Fighters Nach Einschätzung des Europäischen Parlamentes nahmen seit 2015 islamistisch motivierte Terroranschläge in der EU zu – von 2015 bis 2019 wurden in der EU 55 islamistische Anschläge verübt und von Sicherheitsbehörden verhindert – und die EU geht davon aus, dass ca. 5000 Foreign Fighters (in diesem Fall europäische Jihad-Reisende) aus der EU nach Syrien und in den Irak gereist sind, um sich jihadistischen Terrorgruppen wie dem „Islamischen Staat“ (IS) und der Al Qaida anzuschließen (Europäisches Parlament 2019). Um die Ausbildung oder

5.4  Europäische Terrorismusabwehr

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Reisen zu terroristischen Zwecken zu kriminalisieren, verabschiedete die EU für Europa Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus, die zusammen mit den neuen Außengrenzkontrollen das Problem der Foreign Fighters (internationale Jihad-Reisende aus der EU) lösen sollen. Dadurch, dass der „Islamische Staat“ militärisch so bekämpft wurde, dass sein Neo-Kalifat territorial zu 99 % nicht mehr besteht, ist die Bedrohung durch europäische Foreign Fighters im Augenblick abgeschwächt, kann sich aber in den nächsten Monaten und Jahren wieder intensivieren, wenn der Einfluss jihadistischer Organisationen und Gruppen wieder steigt. c) Stärkung des Informationsaustausches in der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung Nach Angaben von Bossong wurden im Sommer 2016 ca. 50 Maßnahmen des Ministerrats im Bereich des europäischen Informationsaustausch gebündelt und die EU-Kommission unterstützte dies durch die Gründung einer Expertengruppe für Informationssysteme sowie Interoperabilität (Bossong 2017, S. 2). Das vorrangige Ziel war nach Bossong dabei „eine stringentere Nutzung der ­EU-Datennetzwerke für strafrechtliche Zwecke und Personenkontrollen (speziell des Schengener Informationssystems, SIS) sowie ein erleichterter Zugriff auf Datenbanken zur Asyl- und Migrationssteuerung (u. a. EURODAC, VIS) im Dienste der Gefahrenabwehr“ (Bossong 2017, S. 3). Verschiedene falsche Identitäten, um sich den Grenz- und Strafverfolgungsbehörden zu entziehen, sind ein seit Jahren häufig genutztes Mittel von Kriminellen und Terroristen. Von entscheidender Bedeutung ist ein effektiver Informationsaustausch zwischen den verschiedenen zuständigen Behörden (Strafverfolgung, Justiz, Nachrichtendienste) in den EU-Staaten. Entsprechend wurden im Jahr 2018 neue Regeln zur Stärkung des Schengener Informationssystems (SIS) vereinbart, die neue Arten von Ausschreibungen im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten einführen (Europäisches Parlament 2019). Dadurch wird es den Polizeien ermöglicht, Meldungen über gesuchte oder vermisste Personen und verlorene oder gestohlene Gegenstände einzugeben und zu konsultieren. Damit die aktuell verwendeten und zukünftig zur Verfügung stehenden Datenbanken effektiver genutzt werden können, sollen die EU-Informationssysteme, die zum Management von Grenzen, Sicherheit und Migration beitragen, ab 2024 neue Interoperabilität ermöglichen und eine einzige Schnittstelle für Suchen sowie eine biometrischen Abgleichfunktion zur Erleichterung der Identifizierung bieten (Europäisches Parlament 2019). EUROPOL unterstützt den Informationsaustausch zwischen den nationalen Polizeibehörden innerhalb Europas. Im Mai 2016 stimmte das EU-Parlament dafür,

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5  Institutionelle Bekämpfung des islamistischen …

EUROPOL mehr Befugnisse zu übertragen, um den Kampf gegen den Terrorismus zu verstärken und Anti-Terror-Institutionen, wie das Europäische Zentrum zur Terrorismusbekämpfung (ECTC), das am 25.1.2016 eröffnet wurde, einzurichten (Europäisches Parlament 2019).

5.4.2 Akteure der europäischen Terrorismusabwehr a) Das EU Intelligence Analysis Centre (EU INTCEN) Das EU Intelligence Analysis Centre – (vor dem März 2012 Joint Situation Centre, SitCen oder JSC) gehört zum Europäischen Auswärtigen Dienst der Europäischen Union und hat nachrichtendienstliche Aufgaben. Eine besondere Rolle spielt das EU INTCEN bei der Vermittlung und Vernetzung der ­Nicht-EU-Staaten und der EU durch den Berner Club. Die Aufgaben des EU INTCEN sind die eines nachrichtendienstlichen Knotenpunktes (Jäger 2016, S. 24). So verfügt es nicht über eigene Aufklärungskapazitäten, sondern erhält seine Informationen von den Nachrichtendiensten der Mitgliedsstaaten, den rund 140 EU-Delegationen (EU-Auslandsvertretungen) sowie aus weiteren EU-Institutionen, unter anderem den ­EU-Beobachtermissionen (EUMM), dem Intelligence Directorate des EUMilitärstabs und dem Satellitenzentrum der EU (EUSC) (Jäger 2016, S. 24). Die Aufgaben des EU INTCEN sind folgende: • „Das EU INTCEN erstellt nachrichtendienstliche Bewertungen unter Heranziehung aller Informationsquellen. • Die Empfänger der Information richten sich nach Thema und betroffenen Territorien. Ein Großteil ist für die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin bestimmt, weitere Empfänger sind die Kommission und die EU-Mitgliedstaaten, dabei wird der Grundsatz „Kenntnis nur, wenn notwendig“ und eine geeignete Sicherheitsüberprüfung angewandt. • Die Produkte des EU INTCEN werden entweder mit dem Vermerk „Limited“ (zur eingeschränkten Verwendung) gekennzeichnet oder als Verschlusssache bis zum Geheimhaltungsgrad „EU TOP SECRET“ klassifiziert. • Von allen Nachrichtendiensten und Sicherheitsbehörden der E ­ U-Mitgliedsstaaten wird erwartet, dass sie dem EU INTCEN ihre Erkenntnisse übermitteln. • Das EU INTCEN erhält für seine Bewertungen Informationen von allen zuständigen Abteilungen des Rates, der Kommission und des EAD einschließlich der EU-Delegationen“ (Europäisches Parlament 2012).

5.4  Europäische Terrorismusabwehr

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b) Das European Counter Terrorism Centre (ECTC) Das European Counter Terrorism Centre (ECTC) soll zu einem zentralen Service-Dienstleister für die EU-Mitgliedstaaten ausgebaut und ein sogenanntes Operational Steering Board eingerichtet werden. Besetzt mit den Leitern der Terrorismusabwehrabteilungen der nationalen Zentralstellen soll dort die Arbeit des ECTC strategisch ausgestaltet und koordiniert werden. Hierzu gehört auch die Einrichtung von staatenübergreifenden Teams, die sich gemeinsam identifizierter Schwerpunktthemen annehmen und kurzfristig Handlungsempfehlungen und Maßnahmen für eine verbesserte Bekämpfung des internationalen Terrorismus entwickeln. Der Europol-Direktor Rob Wainwright erklärte dazu: „Europa ist mit der größten terroristischen Bedrohung seit mehr als zehn Jahren konfrontiert. Die zunehmende Internationalisierung von Terrorgruppen und deren Aktivitäten erfordern eine immer engere Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Strafverfolgungsbehörden in ganz Europa. Zu diesem Zweck wurde das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung (European Counter Terrorism Centre, ECTC) bei Europol eingerichtet“ (BKA 2017). Entscheidende Aufgaben des ECTC sind der Informationsaustausch sowie die Koordinierung von präventiven und operativen Maßnahmen und dazu sind gemeinsame strategische Einschätzungen durch die Mitgliedsstaaten grundlegend (Jäger 2016, S. 25). Im Einzelnen sind die Arbeitsaufträge des ECTC auf Foreign Fighters terroristischer Organisationen, die Finanzierung von Terrorgruppen, die Terrorpropaganda im Internet sowie den illegalen Waffenhandel fokussiert und die Analysen des ECTC sollen laufende Europol-Ermittlungen unterstützen. Darüber hinaus soll das ECTC den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten im Falle von terroristischen Anschlägen helfend zur Seite stehen (Jäger 2016, S. 25). c) Koordinator für Terrorismusbekämpfung Die Führungsspitzen der Europäischen Union verabschiedeten nach den Terroranschlägen vom 11.3.2004 in Madrid eine Erklärung zur Terrorismusbekämpfung und kamen überein, als Teil der darin vorgesehenen Maßnahmen die Stelle eines EU-Koordinators für die Terrorismusbekämpfung einzurichten. Daraufhin wurde am 19.9.2007 Gilles de Kerchove von Javier Solana, dem damaligen Hohen Vertreter der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, zum Koordinator für die Terrorismusbekämpfung ernannt. Der Koordinator für die Terrorismusbekämpfung ist u. a. zuständig für: • „Die Arbeit des Europäischen Rates in Bezug auf die Terrorismusbekämpfung zu koordinieren

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5  Institutionelle Bekämpfung des islamistischen …

• Politikempfehlungen vorzulegen und dem Rat prioritäre Handlungsbereiche vorzuschlagen • Die Umsetzung der EU-Strategie zur Terrorismusbekämpfung zu überwachen • Eine Übersicht über alle EU-Instrumente zu führen, dem Rat Bericht zu erstatten und die Beschlüsse des Rates weiterzuverfolgen • Sich mit den einschlägigen Vorbereitungsgremien des Rates, mit der Kommission und mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) abzustimmen • Zu gewährleisten, dass die EU eine aktive Rolle bei der Terrorismusbekämpfung spielt • Die Kommunikation zwischen der EU und Drittländern zu verbessern“ (Rat der Europäischen Union 2019). Der Koordinator für Terrorismusbekämpfung soll also dem Europäischen Rat Politikempfehlungen geben und diejenigen Handlungsbereiche identifizieren, in denen vorrangig Terrorismusabwehrmaßnahmen umgesetzt werden sollen (Jäger 2016, S. 25). Die internationale Zusammenarbeit gehörte in den vergangenen Jahren zu den Tätigkeitsschwerpunkten des Koordinator für Terrorismusbekämpfung, der Fokus lag vor allem auf Foreign Fighters (europäische Jihadisten) und sog. Jihad-Rückkehrern (Jäger 2016, S. 26). d) Die Police Working Group on Terrorism Der „Police Working Group on Terrorism“ (PWGT) gehören mit den ­EU-Mitgliedstaaten sowie Großbritannien, Norwegen, Island, der Schweiz und Kroatien 31 Staaten an. Die Ziele der PWGT sind folgende: • „Ein Forum zur Förderung, Verbesserung, Verbreitung und zum Austausch von Informationen und Erkenntnissen und zur operativen Zusammenarbeit einzurichten • Terroristische und politische gewalttätige Aktivitäten zu verhindern • Relevante Fachkenntnisse und Erfahrungen zu teilen • Harmonisierung bei internationalen Polizeiermittlungen zu terroristischen Verbrechen oder gewalttätigen politischen Aktionen zu schaffen • Informationen zu Zwischenfällen schnell und genau auszutauschen“ (Deutscher Bundestag 2013, S. 2). Die PWGT ist keinem übergeordneten Gremium rechenschaftspflichtig. Die Fachaufsicht richtet sich nach den nationalen Regelungen des jeweiligen Mitgliedsstaats der PWGT. Die Bundesregierung bewertete die PWGT in einer

5.4  Europäische Terrorismusabwehr

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Antwort auf eine Kleine Anfrage im Jahr 2013 als „wichtiges Gremium zum fachlichen Austausch“ sowie als „bedeutendes Instrument der Terrorismusbekämpfung“ und bewährten „Kommunikationskanal“ (Deutscher Bundestag 2013, S. 5; Jäger 2016, S. 26).

5.4.3 Mögliche institutionelle Änderungen Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, fordert den Aufbau einer europäischen Polizeibehörde: „Wir brauchen eine starke zentrale Koordination polizeilicher Zusammenarbeit innerhalb Europas. Ähnlich der Rolle des Bundeskriminalamtes als Zentrale der deutschen Polizei“ (Steinkohl 2017, S. 19). In einem Europa ohne Binnengrenzen müsse auch die Polizei eng und grenzüberschreitend zusammenarbeiten können. Die Vernetzung der polizeilichen Systeme in Europa sei dringend zu verbessern. „Wir müssen innerhalb Europas polizeiliche Daten so austauschen können, als wären wir eine Nation“, so der Präsident des Bundeskriminalamtes (Steinkohl 2017, S. 19). Das Schengener Informationssystem (SIS) ist eines der wichtigsten Fahndungsinstrumente für die europäischen Polizeibehörden. Polizisten aus 29 Staaten können derzeit auf die Daten von rund einer Million Personen zugreifen, die im Schengenraum zur Fahndung ausgeschrieben sind. Allerdings gibt es hierbei eine entscheidende Schwachstelle: Biometrische Daten, insbesondere Fingerabdrücke, die im SIS hinterlegt sind, sind nicht automatisiert recherchierbar (Münch 2017). Ist der Name eines Straftäters falsch geschrieben oder benutzt dieser mehrere Alias-Personalien, erzielt man keinen Treffer. Welches Ausmaß diese Schwachstelle hat, zeigt eine vom Bundeskriminalamt im Jahr 2016 durchgeführte Stichprobe von rund 14.800 Personenfahndungen aus dem SIS. Bei einem Abgleich mit der deutschen Fingerabdruckdatenbank der Polizei stellte sich heraus, dass rund 1580 Personen auch hier registriert waren, allerdings in knapp 60 % der Fälle unter einer abweichenden Personalie. Bei einer SIS-Abfrage wären diese Fälle nicht erkannt worden. Der Fall Amri hat erneut gezeigt, dass sich auch Terroristen mit mehreren Alias-Personalien und gefälschten Dokumenten in Europa bewegen (Münch 2017). Eine eindeutige Identifizierung ist nur über den Fingerabdruck möglich. Daher muss das SIS dringend um die Komponente eines automatischen ­Fingerabdruck-Identifizierungssystems ergänzt werden. Die europäische Informationsarchitektur hat noch weitere Schwächen. Der 2005 geschlossene Vertrag von Prüm etwa regelt den bilateralen Austausch von Fingerabdrücken sowie von DNA- und Kfz-Daten durch die Teilnehmerstaaten

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in Europa. Allerdings fehlen wichtige Partner wie Griechenland und Italien nach zehn Jahren immer noch. Zudem liefert die Datenabfrage nur eine anonymisierte Trefferanzeige. Welche Information dahinter steckt, muss in einem oft langwierigen schriftlichen Rechtshilfeverkehr erfragt werden. Die Zusammenarbeit der Polizeibehörden in Europa ist statisch, während Terroristen mobiler werden Als das Bundeskriminalamt 2016 mit den Registrierungsbögen des „Islamischen Staates“ (IS) umfassende Informationen zu dessen Angehörigen erhielt, musste das BKA aufwendig prüfen, ob und welche anderen europäischen Staaten ebenfalls über solche Bögen verfügten und ob die Daten zu Analysezwecken zusammengeführt werden konnten. Hier müssen die europäischen Polizeibehörden deutlich effektiver werden.

5.5 Fazit Auf der Ebene der institutionellen Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa wurden (1) die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, (2) Deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr, (3) der Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr, sowie (4) die europäische Terrorismusabwehr analysiert. Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche stellen seit dem 11.9.2001 weltweit ein wichtiges Problemfeld der Terrorismusabwehr dar. Die Zahl der Verdachtsmeldungen auf Geldwäsche hat sich den vergangenen zehn Jahren in Deutschland mehr als verzehnfacht. Seit dem 11.9.2001 konnten international insgesamt nur 60 Mio. US$ an terroristischem Geld konfisziert werden, was auf das Jahr gerechnet weniger als vier Millionen US$ sind. Allein im Jahr 2014 – auf dem Höhepunkt der Gründung des Neo-Kalifats – hatte jihadistische Organisation „Islamischer Staat“ ein Budget zwischen zwei und drei Milliarden US$. Durch die Proklamation eines Neo-Kalifats des IS im Sommer 2014 ist die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus dann wieder stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt, was sich beispielsweise an der Einführung des § 89c (Terrorismusfinanzierung) im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) im Frühjahr 2015 ablesen lässt. Wichtig ist festzustellen, dass die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eine multidisziplinäre Aufgabe unter Beteiligung zahlreicher staatlicher Akteure auf unterschiedlichen Ebenen ist. Daher ist es für eine weitere Verstärkung der staatlichen Risikoorientierung notwendig, dass alle beteiligten Ministerien und Behörden die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung noch klarer priorisieren, innerhalb der eigenen Strukturen,

5.5 Fazit

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im Austausch miteinander sowie in den internationalen Gremien, die für die Behandlung dieser Themen einschlägig sind. Im Abschn. 5.1.2, der Finanzbedarf terroristischer Organisationen und Quellen der Finanzierung wurde behandelt, dass sich terroristische Organisationen durch Spenden, kriminelle Handlungen, wirtschaftliche Geschäftstätigkeit, Kontrolle von Territorium – durch wirtschaftliche Ausbeutung der Bevölkerung, zum Beispiel durch Erpressung, „Besteuerung“ und „Beschlagnahmung“ von Privateigentum sowie Kontrolle über Bodenschätze, beispielsweise den Verkauf von Erdöl –, Schmuggel von Bargeld und alternative Überweisungssysteme wie das Hawala-Banking finanzieren. Die Bandbreite an illegalen Finanzierungsaktivitäten terroristischer Organisationen reicht von Betrug, Raub, Schmuggel, Erpressung („Revolutionssteuer“) oder Geiselnahme (kidnapping for ransom) bis hin zu Drogen- und Menschenhandel. Wichtig ist zu erwähnen, dass es in diesen Bereichen auch zu direkter Zusammenarbeit und Überschneidungen mit der Organisierten Kriminalität kommt. Im Abschn. 5.1.3, in dem internationale Regelungen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung vorgestellt werden, wurden neue EU-Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie die Gesetzgebung in Deutschland und Maßnahmen der zuständigen Ministerien und Behörden untersucht. So trat am 1.1.2020 das aufgrund der fünften ­EU-Geldwäscherichtlinie novellierte Geldwäschegesetz in Kraft, das um wichtige Regelungen ergänzt wurde, um das Rahmenwerk für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung weiter zu stärken. Ein effektives Mittel zur Bekämpfung von Terrorismus besteht darin, Terroristen von ihren Einnahmequellen und der Logistik abzuschneiden. Aus diesem Grund hat das Europäische Parlament im Jahr 2018 die Anti-Geldwäsche-Richtlinie aktualisiert. Die neuen Regeln sollen in Bezug auf die Eigentümer von Unternehmen mehr Transparenz schaffen und Risiken im Zusammenhang mit virtuellen Währungen und anonymen Prepaid-Karten angehen. Geldwäsche ist in allen EU-Mitgliedstaaten eine Straftat. Die Definitionen und Sanktionen waren bisher jedoch sehr unterschiedlich. Die neuen Regeln zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung sollen diese Lücken schließen. Im Abschn. 5.2, in dem deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr analysiert werden, wurde einleitend – in Bezug auf den jihadistischen Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19.12.2016 – festgestellt, dass das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) nicht effektiv genug funktioniert. Sogar einzelne Innenminister der Bundesländer räumten in der Analyse Fehler deutscher Sicherheitsbehörden im Umgang mit dem islamistischen Gefährder Anis Amri ein, dass der Sachverhalt Anis Amri im GTAZ gemein-

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schaftlich falsch bewertet und zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder hin- und hergeschoben wurde (Feldmann und Portugall 2017, S. 58). Aufgrund des Trennungsgebotes existieren im GTAZ zwei getrennte Auswertungs- und Analysezentren: Einerseits die nachrichtendienstliche Informations- und Analysestelle, andererseits die polizeiliche Informations- und Analysestelle. Darüber hinaus mangelt es an einer expliziten gesetzlichen Grundlage der Informationsaustauschplattform, die ausdrücklich über keinen behördlichen Charakter verfügt (Feldmann und Portugall 2017, S. 58). Des Weiteren forderte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Jahr 2017 nichts weniger als eine Reform des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern. So wäre seiner Auffassung nach die beste Lösung, wenn die 16 Landesämter für Verfassungsschutz aufgelöst und in das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgehen würden. Ähnlich argumentierte der Präsident des Bundeskriminalamtes, der ebenfalls institutionellen und rechtlichen Handlungsbedarf innerhalb der deutschen Sicherheitsarchitektur feststellte und monierte, dass es für die Überwachung von islamistischen Gefährdern nicht hilfreich sei, dass es 16 verschiedene Polizeigesetze gebe und forderte eine Vereinheitlichung der Polizeigesetze. Auf der Analyseebene der Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten nach dem Trennungsgebot wurde eine Vereinbarkeit des GTAZ mit der befugnisrechtlichen Trennung sowie informationelle Zusammenarbeit festgestellt. Weiter zeigten die Ausführungen in Abschn. 5.2, dass die verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten keinen Verstoß gegen das Trennungsgebot darstellt. Im Hinblick auf das Bedrohungspotenzial des internationalen islamistischen Terrorismus hätte ein etwaiges gesetzlich normiertes Verbot einer verstärkten Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten geradezu desaströse Konsequenzen für die Terrorismusabwehr. Denn im Bereich der Terrorismusbekämpfung stellt ein qualifizierter Informationstausch, besonders in Form der informationellen Zusammenarbeit, ein unabdingbares Instrument dar (Haynes 2017, S. 562). Die Bündelung von Informationen ist als Teil eines ganzheitlichen Sicherheitssystems die wohl einzige Möglichkeit, dem internationalen islamistischen Terrorismus effektiv zu begegnen. Sie wird auch zukünftig an Bedeutung gewinnen, sodass im Bereich der Informationsgewinnung und -­verarbeitung sowie der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden Erweiterungen der Befugnisse zu erwarten sind. Zum Erhalt der Handlungsfähigkeit und zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit muss der Staat in der Lage sein, sich mit modifizierten Mitteln und Strategien auf ver-

5.5 Fazit

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änderte Sachlagen einzustellen, um in einem gewissen, mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbarenden Maße flexibel zu reagieren, gerade im Bereich der Bekämpfung des internationalen islamistischen Terrorismus. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der letzten Jahre zeigt auf, dass die sicherheitspolitischen Entwicklungen im Einklang mit den grundfesten Zügen unseres Rechtsstaats stehen. Der in der wissenschaftlichen Literatur hoch emotional diskutierte Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr wurde in Abschn. 5.3. auf den Ebenen (1) der aktuellen Rechtslage und (2) der Analyse der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Bezug auf einen Einsatz der Bundeswehr untersucht. Der Nutzen eines Einsatzes der Bundeswehr im Inneren für die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus wurde auf der Analyseebene möglicher Bedrohungsszenarien verdeutlicht. So ist bei Anschlägen mit Sprengstoffen verschiedener Herkunft ein Abgleich der personellen und materiellen Fähigkeiten von Polizei und Bundeswehr nötig, weil die Bundeswehr u. a. seit 2001 über umfangreiche Erfahrungen mit dem Aufklären und Entschärfen von IED hat und somit einen Wissensvorsprung vor der Polizei besitzt. So können jihadistische Angriffe auf Einkaufszentren, Bahnhöfe, Flughäfen oder andere Orte mit Ansammlungen vieler Menschen rein zahlenmäßig Polizeikräfte an ihre Belastungsgrenzen bringen. Den Einsatz der Bundeswehr in solchen Bedrohungsszenarien – z. B. im Orts- und Häuserkampf durch Infanterie oder durch Feldjäger – auszuschließen, könnte zahlreiche Menschenleben kosten (Krause 2017, S. 332). Sollten islamistische Terroristen versuchen, komplexere Waffensysteme zu nutzen, um einen größeren Schadenseffekt zu erreichen, beispielsweise könnten kleinere und mittlere Raketen mit Reichweiten zwischen 10 und 60 km abgeschossen werden – wie bereits wiederholt aus dem Gaza-Streifen heraus auf israelische Gebäude und Bürger geschehen – sind verschiedene Szenarien denkbar, in denen die Polizei ganz eindeutig Assistenz von Kräften der Bundeswehr (ABC-Abwehr-Truppe, Abschuss von Boden-Luft-Raketen etc.) benötigen. Im Abschn. 5.4, Europäische Terrorismusabwehr, wurden aktuelle Maßnahmen der Europäischen Union, die Verbesserung der E ­ U-Grenzkontrollen, Maßnahmen gegen europäische foreign fighters sowie die Stärkung des Informationsaustausches in der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung untersucht. Als Akteure der europäischen Terrorismusabwehr wurden das EU Intelligence Analysis Centre (EU INTCEN), das European Counter Terrorism Centre (ECTC), der Koordinator für Terrorismusbekämpfung und die Police Working Group on Terrorism vorgestellt.

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Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus sowie Prävention

6.1 Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus Islamistische Radikalisierung ist ein individueller Prozess, der die sich radikalisierende Person und die radikalisierungsfördernden Personen und/oder Ereignisse umfasst. Der Beginn einer Radikalisierung ist schwer feststellbar, ihr Ende nicht vorhersehbar. Radikalisierungsfördernde Faktoren können nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz im sozialen oder persönlichen Bereich liegen. Beispiele hierfür können sein: • „Zerbrechliche Identität • Mangelndes Selbstwertgefühl • Ausgrenzungserfahrungen • Perspektivlosigkeit • Unkenntnis über den Islam • Abenteuerlust • Finanzielle Schieflage Solche Faktoren müssen selbstverständlich nicht zwangsläufig zur Radikalisierung führen. Ebenso existieren auch Radikalisierungsverläufe ohne derartige Faktoren“ (BfV 2019, S. 12–13). Hinweise auf eine islamistische Radikalisierung können u. a. folgende sein:

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Goertz, Terrorismusabwehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30672-4_6

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6  Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus …

• „Verweigerung des Handschlags gegenüber Menschen anderen Geschlechts • Aufgabe des bisherigen sozialen und beruflichen Umfelds, Versuch der Missionierung von Familie, Freunden und Kollegen • Konsum und Verbreitung von problematischen Videos bzw. „nashids“ (salafistischen Sprechgesängen) • Verherrlichung von extremistischer Gewalt sowie Drohungen gegenüber Andersdenkenden durch aggressive Argumentation • Schwarz-Weiß-Denken/Verbreitung von Feindbildern und Verschwörungstheorien • Veränderung des Erscheinungsbildes hin zu salafistischer Kleidung und ggf. Barttracht • Verwendung salafistischer Sprachcodes • Benutzung salafistischer Symbole“ (BfV 2019, S. 13). Folgende Fragen ergeben sich bei der Untersuchung der Faktoren für Radikalisierungsprozesse in den Bereichen Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus: • Was haben die Attentäter der in Europa seit 2004 verübten ­ islamistischterroristischen Anschläge – und diejenigen der geplanten, aber von Sicherheitsbehörden verhinderten Anschläge – gemeinsam? Was wiederum unterscheidet sie voneinander? • Warum und wie entfernen sich Menschen von demokratischen Prinzipien wie der Freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FdGO) und wenden Gewalt an, um religiös-politische Ziele zu erreichen? • Wer wird warum Islamist, Salafist und/oder islamistischer Terrorist? All diese Analysefragen sind in der Radikalisierungsforschung zu verorten. Da die Radikalisierungsforschung über Jahre einen großen Einfluss auf die gesamtgesellschaftliche Debatte über islamistische Radikalisierung hatte, wird einführend kurz die Radikalisierungsdebatte und ihre – wissenschaftlich als teilweise falsch bewiesenen – Thesen dargestellt. Danach wird die deutsche mit der internationalen Radikalisierungsforschung im Bereich von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus verglichen. Islamistische, salafistische und jihadistische Radikalisierung Neue Analysefragen Der Untersuchungsbereich von Radikalisierung kann einerseits in die Untersuchung des Prozesses, der Frage, „Wie verläuft ein Radikalisierungsprozess?“

6.1  Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus …

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unterschieden werden und andererseits in „Untersuchung der Ursachen, warum radikalisiert sich ein Individuum?“. Folgende Analysefragen ergeben sich: • Warum werden Individuen wissend und wollend Teil einer militanten und/oder terroristischen Organisation bzw. Gruppe, die Gewalt anwendet? • Wie schließen sich Individuen militanten und/oder terroristischen Organisationen bzw. Gruppen an? • Welche Rolle(n) bzw. Aufgabe(n) übernehmen Individuen, die sich einer militanten und/oder terroristischen Organisation bzw. Gruppe anschließen? • Wie und Warum verändert sich die Rolle und Funktion eines Individuums in solchen militanten und/oder terroristischen Organisationen bzw. Gruppen? • Wie und Warum übernehmen Individuen die ideologischen Werte und Normen einer militanten und/oder terroristischen Gruppe, Wie und Warum passen sie sich an die daraus entstehende „Parallelrealität“ bzw. „Scheinrealität“ an? • Wie und Warum verüben individuelle Mitglieder einer militanten und/oder terroristischen Gruppe Gewalt? Härten Individuen durch Erfahrung ab? Wie verändert die Ausübung von terroristischer Gewalt die individuellen Mitglieder einer Gruppe und wie geht das Individuum damit um? • Wie und Warum beeinflussen sie andere individuelle Mitglieder einer militanten und/oder terroristischen Organisation bzw. Gruppen? • Wie und Warum verlassen manche Individuen militante und/oder terroristische Organisationen bzw. Gruppen? (Goertz und Holst 2018, S. 30–31).

6.1.1 Radikalisierungsforschung: Inhalt, Fragen und Ziele Die psychologische und sozialwissenschaftliche Radikalisierungsforschung im Bereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus muss vor dem Hintergrund der islamistisch-terroristischen Anschläge seit Januar 2015 in Europa und Deutschland als von höchster Bedeutung identifiziert werden. Ebenso wie beim Phänomen „Terrorismus“ besteht in der Wissenschaft kaum Einigkeit über eine Definition des Begriffs „Radikalisierung“. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde damit eine drastische Abwendung von den geltenden gesellschaftlichen Verhältnissen und Regeln sowie der Plan der Errichtung eines anderen gesellschaftlichen, politischen Systems assoziiert (Mandel 2009). Was genau ein Radikalisierungsprozess beinhaltet, ist wissenschaftlich umstritten. Konsens herrscht jedoch darüber, dass es sich um einen Prozess über einen gewissen Zeitraum hinweg handelt, wobei seine Zeitdauer – empirisch analysiert – sich in

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6  Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus …

letzter Zeit stark verkürzt hat, bis auf wenige Monate (Goertz 2019b, S. 34; Baran 2005, S. 68; Goertz und Holst 2018, S. 31). Als Vertreter der internationalen sozialwissenschaftlichen Radikalisierungsforschung sind Martha Crenshaw (root causes), Ehud Sprinzak, Jerrold Post, Max Taylor, Donatella Della Porta, Alex Schmid, Olivier Roy, Gilles Kepel, Farhard Khosrokhavar, Marc Sageman, Quintan Wiktorowicz, Lorenzo Vidino, Peter Nesser, Michael Taarnby Jensen, Tomas Precht und Anja Dalgaard Nielsen zu nennen.1 Deutschsprachige Radikalisierungsforscher sind u. a. Peter Waldmann,

1Crenshaw,

M. (1981). The Causes of Terrorism. In: Comparative Studies, Vol. 13, No. 4, S. 379–399; Sprinzak, E. (1991). The process of delegitimation: Towards a linkage theory of political terrorism. In: Terrorism and Political Violence, Vol. 3, Issue 1, S. 50–68; Post, J. (1990). Terrorist ­psycho-logic: Terrorist behaviour as a product of psychological forces. In: Reich, W. (Hrsg.). Origins of terrorism: Psychologies, ideologies, theologies states of mind, Washington 1990, S. 25–40; Taylor, M. (1988). The terrorist, London; Della Porta, D. (1995). Social Movements, political violence, and the state. A comparative analysis of Italy and Germany, Cambridge; Schmid, A. (1988). Political terrorism, Amsterdam; Schmid, A. (2005). Root causes of Terrorism: Some Conceptual Notes, a set of indicators, and a model. In: Democracy and Security, Vol. 1, Issue 2, S. 127–136; Roy, Olivier (2006). Der islamische Weg nach Westen: Globalisierung, Entwurzelung und Radikalisierung, München; Kepel, G. (2009). Die Spirale des Terrors: Der Weg des Islamismus vom 11. September in unsere Vorstädte, München; Khosrokhavar, F. (2009). Inside Jihadism. Understanding Jihadi Movements Worldwide, Boulder; Sageman, M. (2004). Understanding Terror Networks, Philadelphia; Sageman, M. (2004). Leaderless Jihad. Terror Networks in the Twenty-first Century, Philadelphia; Wiktorowicz, Q. (2005). Radical Islam Rising. Muslim Extremism in the West, Oxford; Wiktorowicz, Q. (2004) (Hrsg.). Islamic Activism. A Social Movement Theory Approach, Bloomington; Vidino, L. (2013). Jihadist Radicalization in Switzerland, Center for Security Studies, Zürich; Vidino, L. (2014). Home-Grown Jihadism in Italy. Birth, Development and Radicalization Dynamics, Mailand; Nesser, P. (2010). Jihad in Europe. Patterns in Islamist terrorist cell formation and behavior, 1995–2010, Oslo; Taarnby Jensen, M. (2006). Jihad in Denmark: An Overview an analysis of jihadi activity in Denmark 1990–2006, Danish Institute for International Studies, Kopenhagen; Taarnby Jensen, M. (2005). Recruitment of Islamist Terrorists in Europe. Report for the Danish Ministry of Justice, Kopenhagen; Precht, T. (2007). Home grown terrorism and Islamist radicalization in Europe. From conversion to terrorism. An assessment of the factors influencing violent Islamist extremism and suggestions for counter radicalization measures, Danish Ministy of Justice, Kopenhagen; Daalgard-Nielsen, A. (2008). Studying Violent Radicalization in Europe I: The Potential Contribution of Social Movement Theory, Danish Institute for International Studies, Working Paper No. 2008/2, Kopenhagen.

6.1  Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus …

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Peter Neumann, Daniela Pisoui, Guido Steinberg, Norbert Leygraf, Eva Walther und Saskia Lützinger.2 Gemäß Baehr wurde der Begriff „Radikalisierung“ im englischsprachigen Raum über viele Jahre von Journalisten, Angehörigen von Sicherheitsbehörden und Terrorismusforschern lediglich im Kontext mit jihadistischen Terroristen benutzt, sodass Extremismus und Terrorismus inkludiert werden, nicht aber Radikalismus. Jedoch verwenden gemäß Baehr nicht alle deutschen Journalisten, Angehörige von Sicherheitsbehörden und Terrorismusforscher den Begriff „Radikalisierung“ im engen Rahmen von Extremismus und Terrorismus sondern auch im weiten Rahmen von Integration und Jugendkriminalität muslimischer Migranten (Baehr 2019, S. 115). Die deutschen Verfassungsschutzbehörden analysieren legalistisch-islamistische Milieus wie beispielsweise Milli Görüs als Orte des ersten Schrittes eines Radikalisierungsprozesses, hier: eine rein kognitive Radikalisierung, die noch nicht mit Gewalt kombiniert wird (BfV 2019b; Baehr 2019, S. 124). So folgen die deutschen Verfassungsschutzbehörden der These, dass kognitive Radikalisierungen in legalistisch-islamistischen Milieus als zeitlich vorausgehendes Mobilisierungselement der gewaltbereiten Radikalisierungen im jihadistischen Milieu betrachtet werden müssen (Baehr 2019, S. 124). Die Konsequenz dieser These ist, dass alle Terroristen Radikalisierungsprozesse durchlaufen. Hier kommt die Idee eines Stufenprozesses zum Ausdruck. Dieser

2Waldmann,

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6  Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus …

Idee der stufenweisen Radikalisierung folgen zahlreiche US-amerikanische Wissenschaftler und Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden, die Radikalisierung in Modellen und Faktoren beschreiben, die Radikalisierungsprozesse auslösen, respektive sie befördern. Beispielsweise weisen Wissenschaftler des US-amerikanischen National Counterterrorism Center in ihrem Modell auf persönliche, ideologische, gruppendynamische, sozio-politische und milieubasierte Variablen als Ursachen von Radikalisierungsprozessen hin (National Counterterrorism Center 2011). Radikalisierung in islamistischen Milieus wird von den Sicherheitsbehörden Deutschlands und anderer europäischer Staaten als ein mehrphasiger Prozess aufgefasst: „1. Pre-Radicalization, 2. Self-Identification, 3. Indoctrination, 4. Jihadization“ (Ceylan und Kiefer 2013, S. 162). Als End- bzw. Höhepunkt eines Radikalisierungsprozesses wird eine wie auch immer religiös begründete gewaltbefürwortende Haltung aufgefasst, die jederzeit in ein delinquentes Verhalten münden kann. Ab wann eine Person als radikalisiert gilt, ist allerdings äußerst schwierig zu bestimmen (Ceylan und Kiefer 2013, S. 162). Innerhalb der Radikalisierungsforschung wird davon ausgegangen, dass Radikalisierung ein höchst komplexer Prozess ist, auf den eine Vielzahl von Faktoren Einfluss nimmt. Zu diesen Faktoren können gehören: Gesellschaftliche Konfliktsituationen, Eindeutigkeitsangebote mit Lösungsversprechungen, die Familiensituation, die Orientierung der Peer Group, soziale Benachteiligungen (faktische oder als solche wahrgenommene), Viktimisierungserfahrungen und persönliche Krisensituationen (Ceylan und Kiefer 2013, S. 162). Von folgender Radikalisierungsdefinition (im Bereich von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus) geht die vorliegende Analyse aus: „Ein Radikalisierungsprozess ist jeweils individuell, in seinem Verlauf übernehmen Individuen, Gruppen und Milieus extremistische (politische, religiöse und gesellschaftliche) Ideale und Ziele, wofür die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt wird. Im Fall einer islamistischen, salafistischen, jihadistischen Radikalisierung kommt es zur Übernahme einer gewaltbereiten Ideologie. Religiös-politische Radikalisierung kann als kognitiver Veränderungsprozess der Einstellung, des sozialen Verhaltens auf der Grundlage einer (religiösen) Ideologisierung hin zur Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt verstanden werden. Für die zunehmende, schrittweise Übernahme der Ideologie des Islamismus, bzw. des politischen und jihadistischen Salafismus, wird hier synonym der Begriff „Radikalisierung“ verwendet“ (Goertz 2019b, S. 34). Das Niedersächsische Ministerium für Inneres, respektive der niedersächsische Verfassungsschutz und Neumann nennen vier Faktoren, die bei Radikalisierungsprozesse von entscheidender Bedeutung sind:

6.1  Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus …

• • • •

175

Unmut Ideologie Mobilisierung Tipping Point (Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport 2012, S. 15; Neumann 2010, S. 2)

Unmut steht hier für Unzufriedenheit verbunden mit tatsächlichen oder angenommenen Ungerechtigkeiten, beispielsweise verbunden mit Toten und Verletzten durch militärische Mittel (als Beispiel westliche militärische Maßnahmen in Afghanistan und im Irak, die „Kollateralschäden“ in der Zivilbevölkerung mit sich bringen). Die Ideologie steht für extremistische Einstellungen, Positionen, Strategien und Ziele, die demokratiefeindlich sind. Mobilisierung meint Radikalisierungsprozesse durch extremistische Gruppen, Organisationen und Milieus. Ein Tipping Point ist ein bestimmter Auslöser, zum Beispiel durch traumatische Erlebnisse. Beispiele hierfür sind Mohammed-Karikaturen oder ­US-Drohnenangriffe mit „Kollateralschäden“ in der muslimischen Welt (Baehr 2019, S. 133–134). Radikalisierung erfolgt auf zahlreichen verschiedenen Wegen, wirkt stets individuell und bedarf einerseits den Willen zur Überzeugung aufseiten der Rekrutierer und andererseits die Bereitschaft, die Botschaft anzunehmen (Dienstbühl 2019, S. 2020). Die Ideologien islamistischer, salafistischer und jihadistischer Organisationen, Gruppen, Zellen und Individuen präsentieren Antworten, höhere Ziele und das Bild einer besseren Gesellschaft der „wahren Muslime“. Bevor die drei entscheidenden Radikalisierungsfaktoren im Phänomenbereich von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus, a) Radikalisierung durch die islamistische, salafistische und jihadistische Ideologie, b) Islamistische Radikalisierung durch den sozialen Nahbereich, das Milieu, die Peer Group und c) Radikalisierung durch islamistische und jihadistische Angebote des Internets, untersucht werden, wird beleuchtet, ob a) Psychische Krankheiten und b) Sozio-ökonomische Faktoren wie Bildung, Arbeitslosigkeit und soziale Herkunft entscheidende Radikalisierungsfaktoren sind. Dazu wird die Frage „Islamismus: Ideologie oder Jugendkultur?“ untersucht und aktuelle Trends der salafistischen Radikalisierung werden analysiert. a) Psychische Krankheiten als entscheidender Radikalisierungsfaktor? Die überwiegende aktuelle, internationale psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung kommt zum Schluss, dass islamistische Terroristen im Wesentlichen „gesunde“ Menschen ohne psychische Krankheiten sind (Baehr

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2019, S. 328; Borum 2011b, S. 19–33; Horgan 2014; Sageman 2014; Travis 2008; Roy 2006; Kepel 2009; Khosrokhavar 2009; Sageman 2004; Wiktorowicz 2004; Nesser 2010). So zeigen verschiedene Studien zu Beginn des 21. Jahrhunderts, dass Islamisten, Salafisten und islamistische Terroristen in der überwiegenden Zahl der Fälle einen „normalen“ sozialen Hintergrund haben und nicht unter psychischen Krankheiten leiden (Baehr 2019; Sageman 2014; Schmid 2011; Sageman 2004; Horgan 2003; Travis 2008). Anders als neo-freudianische Theorien annehmen, leiden Islamisten, Salafisten und islamistische Terroristen in der Regel nicht unter pathologischem Narzissmus, unter Paranoia oder unter autoritären Persönlichkeitsstörungen, sondern sind nach Ansicht von Sageman „surprisingly normal in terms of mental health“ (Sageman 2004, S. 83). Allerdings werden islamistische Terroristen medial immer noch als „abnorme“ Persönlichkeiten mit klinisch relevanten Auffälligkeiten dargestellt (Die Zeit 2016). Die klinische Psychologie allerdings lehnt psychische Störungen als Grund für eine islamistische Radikalisierung bis hin zu islamistischen Anschlägen und Attentaten als empirisch nicht bestätigt ab (De Angelis 2009; Sageman 2014; Goertz 2019b, S. 35; Travis 2008). Rational choice-Ansätze von psychologischer Ursachenforschung des islamistischen Terrorismus analysieren die strategische Wahl von Terrorismus als taktisches Mittel als Ergebnis einer rationalen Abwägung von rational entscheidenden Akteuren (Ashworth et al. 2008, S. 269–273; Goertz 2019b, S. 35). Dies bestätigend kommen sozialpsychologische Untersuchungen zum Ergebnis, dass islamistische Terroristen alles andere als irrational sind und dass psychisch Kranke sicherlich keine komplizierten terroristischen Anschläge planen können (Silke 2008, S. 104; Goertz und Holst 2018, S. 32). Eine umfassende empirische Untersuchung von internationalen Jihadisten (foreign fighters), erhoben von Venhaus, zeigt, dass „keinerlei Zeichen von psychischen Störungen“ vorlagen, allerdings auffälliges, unsoziales, aggressives Verhalten durchaus überdurchschnittlich oft beobachtet werden konnte (Venhaus 2010). Der Psychiater Sageman stellte nur in einem Fall von 172 untersuchten Jihadisten ein Kindheitstrauma fest, darüber hinaus konnte er keine Hinweise auf pathologischen Narzissmus oder paranoide Persönlichkeitsstörungen feststellen (Victoroff 2005, S. 3–42). Ebenso argumentiert Gupta (Gupta 2008, S. 18–20). Logvinov erklärt dazu: „Die Versuchung ist groß, eine ‚verrückt‘ wirkende Person, die sich mit einem ‚Lächeln der Freude‘ in die Luft sprengt oder einen Massenmord an Mitbürgern begeht, für geisteskrank und/oder soziopathisch zu erklären“ (Logvinov 2014, S. 121). Weiter führt er dann aus, dass mentale Schwäche, narzisstische Persönlichkeit und sexuelle Neigungen, die zu einem Konflikt mit der Außenwelt führen, zum Erklärungsinstrumentarium psycho-

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analytischer Ansätze gehörten. Doch würden solche Interpretationen der empirischen Lage nicht gerecht, da das terroristische Verhalten, sogar dasjenige von Selbstmordattentätern, mit einer rationalen Entscheidung bzw. einer rationalen Wahl einhergehe, die auf Nutzenmaximierung gerichtet und/oder durch Altruismus motiviert sei, sodass sowohl psychoanalytische als auch psychopathologische Ansätze wenig aussagekräftig seien (Logvinov 2014, S. 122). Abschließend: Die Auswertung der aktuellen deutschsprachigen und internationalen Forschungsliteratur im Bereich islamistischer, salafistischer und jihadistischer Radikalisierung ergibt, dass psychische Krankheiten in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht entscheidend für die Radikalisierungsprozesse waren und sind. b) Sozio-ökonomische Faktoren wie Bildung, Arbeitslosigkeit und soziale Herkunft als entscheidende Radikalisierungsfaktoren? Verschiedene internationale wirtschaftswissenschaftliche, politikwissenschaftliche und psychologische Studien belegen, dass die immer noch von verschiedenen politischen Parteien und Medien vertretene Idee, dass islamistische homegrown-Terroristen westlicher Staaten sich aus sozio-ökonomischen Gründen radikalisiert hätten, falsch ist (Economist 2010; CNN 2015). Der britische Inlandsnachrichtendienst MI5 stellte im Rahmen einer Untersuchung von britischen islamistischen Terroristen im Jahr 2011 sogar fest, dass über 60 % der britischen islamistischen Terroristen aus der sog. Mittelklasse oder gar gehobeneren sozialen Schichten stammen (Daily Mail 2011). Sowohl das FBI als auch das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz konstatieren, dass die meisten homegrown-Terroristen aus der sog. Mittel- bzw. gar Oberschicht kommen, arbeiten und verheiratet sind (FBI 2011; BKA/BfV 2016). Zwar sind islamistische Terroristen im empirischen Durchschnitt junge Männer im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, dies gilt allerdings für die meisten Gewalttäter (Silke 2004; Goertz 2019b, S. 35; Goertz und Holst 2018, S. 33). Auch die Untersuchung von Lebenslaufanalysen verurteilter islamistischer Straftäter und von biographischen Kenntnissen zu deutschen Jihad-Reisenden (die meisten von ihnen nach Syrien, in den Irak und in das Grenzgebiet von Afghanistan und Pakistan) widerlegt die jahrzehntelang populäre These, dass islamistische Täter sich wegen sozio-ökonomischer Benachteiligung und niedrigerer Bildungsabschlüsse radikalisiert hätten (BKA/BfV 2016, S. 15–18). Sogar das Gegenteil kann konstatiert werden: Ca. 40 % der deutschen ­Jihad-Reisenden haben die Hochschulreife erlangt, 23 % verfügen über einen Realschulabschluss, 27 % der ausgereisten Personen erlangten einen Hauptschulabschluss und nur sieben Prozent haben keinen Schulabschluss (BKA/

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BfV 2016, S. 16–17). Über 42 % der Vergleichsgruppe haben eine Berufsausbildung abgeschlossen und ca. 30 % haben vor der Ausreise eine Ausbildung begonnen (BKA/BfV 2016, S. 15–18). Hier kann festgestellt werden, dass entgegen immer noch weit verbreiteter Meinungen islamistische Terroristen nicht überdurchschnittlich ungebildet, arbeitslos oder ohne soziale Bindungen sind (FBI 2011; BKA/BfV 2016, S. 15–18; Goertz 2019b, S. 37; Goertz und Holst 2018, S. 33–34; Sageman 2014). Auch Baehr betont, dass es unter den deutschen Jihadisten zahlreiche Fallbeispiele gibt, in denen Lebenslaufanalysen zeigen, dass diese vor ihrem Radikalisierungsprozess gut in der deutschen Gesellschaft integriert waren (Biehl 2019, S. 126). Die bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts dominierenden psychologischen Hypothesen wie die Frustrations-Aggressions-Hypothese (Aronson et  al. 2008; Gurr 1970), die Hypothese der negativen Identität (Knutson 1981; Fend 2003) und die Hypothese der narzisstischen Wut (Post 1990; Pearlstein 1991) konzentrierten sich vornehmlich auf die subjektiven Wahrnehmungen und Handlungsmuster des Individuums und erklärten psychopathologische Anomalien sowie frühkindliche Sozialisationsschäden für die Radikalisierungsprozesse verantwortlich, sodass multikausale Erklärungsmuster für die Radikalisierung kaum in Betracht gezogen wurden (Goertz 2019b, S. 37; Goertz und Holst 2018, S. 34). Diese Hypothesen lauten: „Die Unterdrückung ruft politische Gewalt hervor, verhindert Teilhabe an ökonomischen, sozialen und kulturellen Gütern kann in Gewalt ausarten, Gewalt ist immer eine Folge der Frustration. Da der Dialog zwischen den analytischen Annahmen und empirischen Daten nicht selbstverständlich gegeben scheint, suchten die ‚Realisten‘ die Diskrepanz zu überwinden, indem sie Kategorien der ‚imaginären‘, ‚perzipierten‘ Unterdrückung bzw. Erniedrigung einführten“ (Logvinov 2014, S. 129). Von entscheidender Bedeutung bei der Frage, ob sozio-ökonomische Faktoren wie Bildung, Arbeitslosigkeit und soziale Herkunft islamistische, salafistische und jihadistische Radikalisierungsprozesse auslösen, ist es, den ­sozio-ökonomischen Hintergrund eines Landes, besser noch eines Bundeslandes, einer Region, eines Stadtviertels zu untersuchen. Der französische Soziologe Khosrokhavar beschreibt in seinen Worten „Vorstadtghettos“, beispielsweise in Paris, in Lyon, Vaulx-en-Velin und Minguettes in Venissieux als Orte, an denen die sozio-ökonomischen Faktoren so ungünstig sind, dass Radikalisierungsprozesse ausgelöst werden (können) (Khosrokhavar 2015, S.  13–17). Bis zum 11.9.2001 war London beispielsweise unter Islamisten, Salafisten und Jihadisten auch als „Londonistan“ bekannt. Weiter betont Khosrokhavar, dass viele französische Islamisten, die sich zu Jihadisten transformiert haben, einen kriminellen Hintergrund aufweisen. So empfänden zahlreiche Islamisten in

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Frankreich einen tiefen Hass auf die französische Gesellschaft und ihren Ausschluss aus der Gesellschaft als unverrückbare Gegebenheit, als Stigmatisierung (Khosrokhavar 2015, S. 15). Hier muss also gründlich nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden gesucht werden, um den Bogen von diesen französischen „Problemvierteln“ zu Deutschland und anderen europäischen Staaten zu schlagen. Ein Vergleich der sozialen Sicherungssystemen in Frankreich und Deutschland ergibt starke, entscheidende Unterschiede, sodass in Deutschland nur in Ausnahmefällen von einer existenziellen sozio-ökonomischen Gefährdung ausgegangen werden muss. Daneben zeigt eine Analyse der wissenschaftlichen Literatur zu islamistischen Radikalisierungsprozessen (erstaunlicherweise) eine jahrelange Dominanz und Beeinflussung des politischen Diskurses durch soziologische Erklärungsansätze, wie z. B. soziale und sozioökonomische Marginalisierung, Deprivation, Entfremdung und Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund durch die europäischen Mehrheitsgesellschaften als verantwortliche Ursache für diese Radikalisierungsprozesse (Toprak und Weizel 2019; Kaddor 2019; Roy 2008, 2004; Cottee 2011). Diese soziologischen und sozioökonomischen Theorien interpretierten eine Status-Frustration sowie sozioökonomische Missstände als Ausgangspunkt für das Erschaffen subkultureller und parallelgesellschaftlicher Werte als Gegenreaktion auf die europäischen Mehrheitsgesellschaften (Toprak und Weizel 2019; Auchter und Büttner 2003; Böllinger 2002; Fend 2003). Kurz: Soziale und sozioökonomische Ungleichbehandlung durch die Mehrheitsgesellschaft verantworte den Radikalisierungsprozess (Toprak und Weizel 2019; Buijs et al. 2006; Taarnby 2005). So führt Kaddor sogar noch im Jahr 2019 aus: „Die meist jungen Mitläufer sind gefrustet von ihrem Leben, von mangelnden Zukunftschancen, von Ablehnung und Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft. Das Gefühl der Ausgrenzung kann durch wiederholt negative Erlebnisse in der Schule, mit der Polizei, mit den Ämtern, mit einer Supermarktkassiererin oder Ärztin genährt werden“ (Kaddor 2016, S. 96). Diese soziologischen Thesen können jedoch auf verschiedenen Ebenen leicht widerlegt werden (Dienstbühl 2019, S. 156; Goertz 2019b, S. 38; Logvinov 2014, S. 129). Einerseits beweist die internationale Forschung, dass ein großer Anteil der Islamisten, Salafisten und islamistischen Terroristen über ein relativ hohes Bildungsniveau verfügt (Merari 2005; Sageman 2004; Sageman 2014). Auch in Deutschland ist der Anteil – häufig auch weiblicher – gewaltaffiner Islamisten, Salafisten und islamistischer Terroristen mit einer Hochschulausbildung fünf Mal so hoch wie in der Gesamtheit der Muslime in Deutschland (Heerlein 2014). Andererseits verdeutlicht das Problem der Sensitivität bzw. der Spezifität, welches die sozioökonomische Desintegrationstheorie und die Subkulturtheorie

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nicht erklären können, dass sich nur ein geringer Teil derjenigen Individuen, die von den sozioökonomischen Radikalisierungsfaktoren betroffen sind, tatsächlich radikalisiert (Horgan 2008; Victoroff 2005; Dalgaard-Nielsen 2010; Goertz 2019b, S. 38). Die von der Europäischen Union beauftragte Studie Lone-Actor Terrorism, Personal Characteristics of Lone-Actor Terrorists aus dem Jahr 2016 führt für den Erhebungszeitraum 2000 bis 2014 innerhalb der Europäischen Union aus, dass lediglich 28 % der sogenannten lone wolves (islamistische Einzeltäter) sozial isoliert waren (Zuijdewijn und Bakker 2016). In Bezug auf den Grad der Religiosität als Faktor für den Radikalisierungsprozess wird dort angemerkt, dass streng religiöse Einzeltäter (islamistische Terroristen) sehr selten bis gar nicht sozial isoliert sind (Zuijdewijn und Bakker 2016, S. 6; Goertz 2019b, S. 38). Verschiedene weitere qualitative und quantitative Studien der letzten Jahre kommen – anders als die oben erwähnten soziologischen bzw. sozioökonomischen Theorien – zum Ergebnis, dass Islamisten, Salafisten und islamistische Terroristen verheiratete, geschiedene, ledige Männer und Frauen unterschiedlichster Nationalitäten, unterschiedlichster Berufe sind, aus verschiedenen sozialen Schichten kommen und beweisen, dass soziale und sozioökonomische Faktoren eine bedeutend weniger wichtige Funktion für islamistische Radikalisierungsprozesse haben, als dies jahrelang in der breiten und politisch viel zitierten soziologischen Forschung angenommen wurde (Bakker 2006; Nesser 2006; BKA/BfV 2016; Goertz 2019b, S. 39; Goertz und Holst 2018, S. 35). Kurz zusammengefasst: Sozio-ökonomische Faktoren wie Bildung, Arbeitslosigkeit und soziale Herkunft stellen in Deutschland und in den meisten anderen europäischen Staaten in der überwiegenden Zahl der Fälle von islamistischer, salafistischer und jihadistischer Radikalisierung keine entscheidende Rolle dar. Aber natürlich gibt es regionale Ausnahmen, so beispielsweise die oben angeführten Viertel in Paris und anderen französischen Städten und auch der Stadtteil Brüssel-Molenbeek ist als Viertel bekannt, in dem sich vermehrt Radikalisierungsprozesse abspielen. c) Islamismus: Ideologie oder Jugendkultur? Dass der Islamismus als aktuell und zukünftig weltweit agierende Ideologie mit der terroristischen Ausprägung des Jihadismus eine vitale Herausforderung für zahlreiche Staaten und Gesellschaften ist – sowohl für westliche der sog. ersten Welt als auch für Staaten der sog. islamischen Welt –, wird von internationalen Sozialwissenschaftlern wie Kepel und Wiktorowicz schon seit Ende des 20. bis Beginn des 21. Jahrhunderts eindringlich erläutert (Silber und Bhatt 2007; Kepel

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1996, 2000; Wiktorowicz 2001). In der Frage nach entscheidenden Faktoren im Bereich der Radikalisierung zum Islamismus geht die herrschende Meinung der englischsprachigen und französischsprachigen Radikalisierungsforschung davon aus, dass eine ganze Reihe von Einflussfaktoren – miteinander interagierend – für islamistische Radikalisierungsprozesse verantwortlich sind (Gendron 2019b; Sageman 2017; Borum 2011; McCauley und Moskalenko 2008; Sageman 2008; Sageman 2004; Silber und Bhatt 2007). Ebenso geht diese herrschende Meinung davon aus, dass islamistische Radikalisierung einen jeweils individuellen Prozess darstellt, was aber nicht mit der empirischen Feststellung kollidiert, dass in der westlichen, demokratischen Welt – also im Bereich homegrown-Terroristen – wiederholt empirisch signifikant auftretende Radikalisierungsfaktoren existieren. Diese sind sowohl nach herrschender Meinung internationaler Forschung als auch gemäß der Analyse verschiedener deutscher Studien 1) Islamismus, Salafismus und Jihadismus als Ideologie, 2) der soziale Nahbereich, das Milieu, die Peer Group und 3) islamistische, salafistische und jihadistische Angebote des Internets (Gendron 2017; Sageman 2017; Borum 2011; McCauley und Moskalenko 2008; Sageman 2008; Sageman 2004; Goertz 2019b; Goertz und Holst 2018; Silber und Bhatt 2007; Waldmann 2009). Kurz: Diese Studien betonen die entscheidende Funktion der islamistischen bzw. jihadistischen Ideologie für Radikalisierungsprozesse von Individuen. Diesen zahlreichen Studien gegenüber steht interessanterweise eine Anzahl deutschsprachiger Aufsätze, die ihren Schwerpunkt nicht auf die Ideologie des Islamismus legen, sondern Islamismus als Jugendkultur mit spezifischen Ausprägungen ansehen wie „Islamische Mode in Deutschland“, „Traubentabak und Wasserpfeifencafés“ (Nordbruch 2010) und von „Pop-Jihadismus“ als jugendkulturellem Phänomen sprechen (Toprak und Weizel 2019; El-Mafaalani 2014; Böckler und Zick 2015; Dantschke 2019; Dantschke 2014a, b; Dantschke 2014b; Kaddor 2019; Müller 2007; Biene et al. 2016). Interessant ist hierbei, dass diese Aufsätze sowohl von der sehr einflussreichen Bundeszentrale für politische Bildung als auch von Mitarbeitern bekannter Institute der Universitäten Bielefeld und Frankfurt veröffentlicht werden und damit potenziell eine sehr große Leserschaft ansprechen. Toprak und Weizel räumen allerdings ein, dass der Salafismus in Deutschland nicht ausreichend viele Jugendliche bewegt, als dass man ihn als soziale Protestbewegung bezeichnen könnte (Toprak und Weizel 2019, S. 53). Dennoch habe der Salafismus in Deutschland durchaus das Potenzial, zukünftig als Protestbewegung wahrgenommen zu werden. So könnte sich der Salafismus in Deutschland und Europa zukünftig als Protestbewegung eignen, weil er unter anderem als Gegenbewegung zu Kommerz und Konsum wahrgenommen wird. So führen Toprak und Weizel aus: „Die selbst angeleitete Askese, der Verzicht auf überzogenen Konsum

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und voreheliche sexuelle Enthaltsamkeit (für beide Geschlechter) scheinen auf den ersten Blick keine typischen Indikatoren für jugendliches Protestverhalten zu sein. Jugendliche und junge Erwachsene, die den Salafismus attraktiv finden, müssen nämlich auf alles verzichten, was in der Adoleszenz mit Spaß und mit dem Testen von Grenzen in Verbindung gebracht wird: Alkoholkonsum, neue Mode, sexuelle Orientierung, Partnersuche, Feiern/Partys und auch Drogen. Somit funktioniert Salafismus in Deutschland als Provokation deshalb sehr gut, weil er zwei zentralen Errungenschaften der deutschen Gesellschaft und der aufgeklärten und progressive muslimischen Milieus widerspricht: Aufklärung/Zivilisation und emanzierten Geschlechterbildern“ (Toprak und Weizel 2019, S. 54). Ähnlich argumentiert Dantschke: „Die Jugendlichen sind auf der Suche nach Geborgenheit, Zugehörigkeit, Orientierung und auch ein wenig Spiritualität. Bei den Salafisten finden diese ganz unterschiedlich sozialisierten Jugendlichen die Befriedigung dieser Bedürfnisse und eine vermeintliche Antwort auf ihre Fragen: Zunächst ist es das Versprechen, ‚fundiertes‘ Wissen über den Islam geboten zu bekommen. Jugendliche, die tief in die Religion einsteigen wollen, Erklärungen und Begründungen suchen, die sie verstehen und die auch ihren Lebensalltag tangieren, finden dies vermeintlich bei den Salafisten“ (Dantschke 2019, S. 64–65). Wissenschaftlich analysiert muss hierbei auf die Gefahr hingewiesen werden, dass zu enge Blickwinkel auf einen extremistischen Phänomenbereich nur Ausschnitte der Realität beleuchten und damit große Teile der Realität nicht untersuchen werden. Die oben zitierte internationale und auch deutschsprachige Forschung konstatiert auch einen Zusammenhang von Islamismus und Jugendkultur, aber diese Beobachtung stellt nur einen Faktor von vielen dar, wobei qualitativ gewertet die Faktoren 1) Ideologie, 2) das islamistische Milieu und 3) islamistische Angebote des Internets ganz evident entscheidender für eine umfassende Analyse des Phänomenbereiches Islamismus und islamistische Radikalisierung sind (Gendron 2017; Goertz 2019b; Borum 2011; McCauley und Moskalenko 2008). Der international anerkannte französische Sozialwissenschaftler Kepel äußerte im Rahmen seines Vortrages beim 14. Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 29.5.2017 in Berlin seine Verwunderung über den „deutschen Analyseschwerpunkt Islamismus als Jugendkultur“ und betonte wiederholt, dass „die Ideologie des Islamismus“ entscheidend für eine umfassende und präzise Analyse der Bedrohung durch den Islamismus sei (BfV 2017). Als Antwort auf die Frage dieses Unterkapitels „Islamismus: Ideologie oder Jugendkultur“? kann festgestellt werden, dass Islamismus auf einer von zahlreichen Analyseebenen auch eine Jugendkultur ist, allerdings muss hier darauf verwiesen werden, dass eine Schwerpunktsetzung auf diesen Aspekt ganz

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offensichtlich nicht dem Fokus der herrschenden Meinung der internationalen Forschung im Bereich Islamismus entspricht und Gefahren birgt, (richtige) Teilschlüsse und -Beobachtungen als einzig entscheidende Faktoren zu verstehen und diese als solche einer breiten Leserschaft und Zuschauern von TV-Beiträgen zu den Themen Islamismus und islamistische Radikalisierung zu vermitteln (Goertz und Holst 2018, S. 36–37). Abschließend muss zur Beantwortung dieser Frage und Bewertung der These „Islamismus als Jugendkultur“ noch auf das Ergebnis aktueller internationaler Forschung hingewiesen werden, dass nicht nur die islamistische Ideologie entscheidend für Radikalisierungsprozesse ist, sondern in diesem Zusammenhang auch Forschungsergebnisse vorliegen, die auf die vitale Rolle von islamistischen Predigern – sowohl mit als auch ohne formelle islamisch-theologische Ausbildung – verweisen. So kommen verschiedene aktuelle englischsprachige Studien zum Schluss, dass charismatische islamistische Prediger sowohl eine entscheidende Rolle als Radikalisierungsfaktor spielen als auch auslösender Faktor (trigger) sein können (Precht 2007; Dutch Ministry of Security and Justice/National Coordinator for Counterterrorism 2007; Gartenstein-Ross et al. 2009). Dass auch islamistische Imame in Deutschland einen Einfluss auf die Radikalisierung von Individuen haben könnten sollte nicht erst seit Studien von Gartenstein-Ross et al. 2009, Klausen 2010 sowie Gendron 2017 bekannt sein. Dazu passend führt Dantschke aktuell aus: „Salafistische Prediger nehmen für sich in Anspruch, den wahren Willen Gottes zu vertreten. Das führt dazu, dass ein kritisches Hinterfragen dieser selbst ernannten Autoritäten einen Zweifel an Gottes Wort gleichkommt. Der Gehorsam, der von ihnen gegenüber Gottes Willen eingefordert wird, erstreckt sich also auch auf sie selbst. Damit werden sie zu Vorbildern und Leitfiguren, an denen sich die Anhänger (männliche wie weibliche) orientieren können und auch sollen. Auch das ist für nicht wenige Jugendliche ein attraktives Angebot, vor allem, wenn diese Autoritäten charismatisch sind“ (Dantschke 2019, S. 65). Unter anderem aufgrund der Ergebnisse dieser Studien ist die Notwendigkeit einer Untersuchung von Islamismus als Ideologie und von ihren Ursprüngen im 20. Jahrhundert evident, weil die weltweit verbreitete und sich auf dem Vormarsch befindende Ideologie des Islamismus es schafft, auch unterschiedliche Radikalisierungshintergründe im Vergleich zwischen der islamistisch-jihadistischen Basis der sog. ersten Welt und diejenigen der islamistisch-jihadistischen Basis der sog. zweiten und dritten Welt zu marginalisieren. d) Salafistische Radikalisierung – Aktuelle Trends Das Bundesamt für Verfassungsschutz analysiert den Salafismus als eine islamistische Ideologie und zugleich eine extremistische Gegenkultur mit einem

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abgrenzenden Lebensstil durch markante Alleinstellungsmerkmale (Kleidung und Sprache) (BfV 2019b, S. 194). So will der Salafismus eine eingeschworene Gemeinschaft mit intensivem Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugen. Dies zieht unter anderem Menschen an, die sich von der Mehrheitsgesellschaft marginalisiert fühlen (Dienstbühl 2019, S. 196). Gerade ungefestigte Personen, die auf der Suche nach einem Lebenssinn, nach Orientierung und Sicherheit sind, werden durch das umfassende salafistische Regelwerk angesprochen, welches das tägliche Leben bis in seine Details hinein bestimmt (BfV 2019b, S. 194). Der Einzelne wird durch salafistische Ideologie und Propaganda zu einem Teil einer von ihrer eigenen Überlegenheit überzeugten Elite, zum Vorkämpfer des „wahren Islam“, ausgezeichnet durch seine moralische Überlegenheit gegenüber einer „Welt des Verdorbenen“. Das salafistische Spektrum in Deutschland hat seit 2011 sehr stark an Zuwachs gewonnen. So stieg die Zahl von Salafisten in Deutschland von 3500 im Jahr 2011 auf 11.500 im Jahr 2019. Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz wirkt der Salafismus vor allem auf solche Menschen anziehend, die sich – subjektiv empfunden –von der Mehrheitsgesellschaft marginalisiert fühlen. Salafismus als geschlossene Erlebniswelt ist nicht nur eine politische Ideologie, sondern auch eine sektenähnliche Erlebniswelt mit sozialen Vorschriften. So existieren zum Beispiel salafistische Regeln für die „richtige“ Erziehung der Kinder oder das „richtige“ Verhalten der Frau gegenüber dem Ehemann. Der Salafismus bietet aufgrund seines ultimativen Wahrheitsanspruches einfache Antworten auf alle Fragen des Lebens. Daher kann er vor allem für Menschen attraktiv erscheinen, die sich in komplexen oder schwierigen Lebenslagen befinden und auf der Suche nach Identität und persönlicher Anerkennung sind (BfV 2019, S. 17). Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zugänglichkeit der Ideologie Salafismus. Salafistische Prediger halten ihre Vorträge in Deutschland meist auf Deutsch und sprechen so gezielt deutschstämmige sowie jüngere Muslime an. Zudem sind viele der Prediger in Deutschland aufgewachsen und kennen die Probleme von Jugendlichen hierzulande. Dadurch erscheinen sie für viele Zuhörer attraktiver als etwa aus der Türkei eingereiste Imame hohen Alters, die nur auf Türkisch predigen (BfV 2019, S. 18). Die (gewaltbereite) salafistische Radikalisierung kann als Prozess einer sukzessiven Aneignung und Internalisierung einer anti-demokratischen und totalitären Ideologie bzw. Gesinnung beschrieben werden, die mit einer konfrontativen Haltung gegen die (Mehrheits-)Gesellschaft verbunden wird (Ceylan und Kiefer 2018, S. 43). Dieser salafistische Radikalisierungsprozess verläuft über verbal öffentliche Radikalität bis hin zu gewaltbereiten Handlungen

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zum Erreichen politischer Ziele. Folgende salafistische Radikalisierungsparameter identifizieren Ceylan und Kiefer: • „Offene Sympathiebekundungen für salafistische Gruppen in Form von verbalen Äußerungen • Das Schwärmen für salafistische Prediger und der Konsum salafistischer Literatur • Offenes Tragen von salafistischen Symbolen (Anhänger, Sticker etc.) aus dem salafistischen Milieu • Zunehmende Selbstausgrenzung aus alten sozialen Netzwerken und ein Bruch mit der alten peer group • Sich offen vom anderen Geschlecht distanzieren • Face-to-Face-Kontakte oder über Social Media zu islamistisch-salafistischen Milieus • Zunehmende Wandlung des äußeren Erscheinungsbildes (salafistische Kleidung) • Ressentiments und Ablehnung demokratischer Grundwerte • Ressentiments und Ablehnung des Mainstream-Islam • Auf Konfrontation ausgelegte Interpretation von Religiosität • Stärkere Jenseitsorientierung und zunehmender Rückzug aus der sozialen Sphäre • Zunehmende Bedeutung des Themas Sterben und Tod, Märtyrer-Verehrung • Offene Gewaltbekundungen und Legitimation von terroristischen Anschlägen und Attentaten“ (Ceylan und Kiefer 2018, S. 56). Salafisten grenzen sich zu großen Teilen scharf von anderen Muslimen und Nicht-Muslimen ab. Personen, die sich der salafistischen Szene anschließen, ­ werden im Laufe ihrer Radikalisierung in der Regel immer stärker dazu genötigt, auf Distanz zu nicht-salafistischen Personen aus ihrem bisherigen Umfeld zu gehen. Dadurch sollen angeblich schädliche, nicht-islamkonforme Einflüsse vermieden werden. Für Salafisten ist der Umgang mit Ungläubigen prinzipiell nur dann erwünscht, wenn er der Missionierung dient. Ist diese nicht erfolgreich, soll der Kontakt abgebrochen werden. Hinzu kommt, dass sich Salafisten in der Regel allein aufgrund ihres Auftretens und ihrer Verhaltensweisen von der Mehrheitsgesellschaft isolieren. Diese Isolierung führt dazu, dass es Anhänger des Salafismus schwer haben, aus ihrem salafistischen Umfeld auszubrechen, da sie ab einem bestimmten Punkt nur noch Umgang mit anderen Salafisten pflegen. Nach ihrer Überzeugung verdienen Menschen, die den „wahren Islam“ verlassen und „abtrünnig“ werden, den Tod (BfV 2019, S. 23–24).

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Der Anspruch auf eine Einheitlichkeit der salafistischen Gemeinschaft wird immer wieder erhoben. Verstärkt wird die Wirkung salafistischer Ideen und Inhalte dadurch, dass Höllenstrafen für „nicht wahrhaft Gläubige“ beschworen werden (Lohlker 2017, S. 133). Die vielfältigen Propagandaaktivitäten von Salafisten sind „erfolgreich“ und werden von diesen verharmlosend als „Missionierung“ oder „Einladung zum Islam“ bezeichnet; tatsächlich handelt es sich um eine systematische Indoktrinierung und oftmals auch um den Anfang einer noch weitergehenden Radikalisierung. Die Propagandaaktivitäten zielen zwar verstärkt auf Jugendliche, allerdings ist der Salafismus in Deutschland kein reines Jugendphänomen. Circa 27 % der Anhänger sind bis 25 Jahre alt, 38 % zwischen 26 und 35 Jahre, 35 % sind 36 Jahre oder älter (BfV 2019b, S. 195–196). Der Salafismus teilt die Gruppe und ihre Ziele über das Individuum. Dadurch, dass der einzelne Gläubige dazu aufgerufen wird, für die umma einzustehen, wird sein Glaube auf die Probe gestellt (Abou Taam et al. 2016, S. 89). Wer sich wiederum gegen den Salafismus positioniert, wer die Deutungshoheit über die Interessen der umma beansprucht, dessen Muslim-Sein wird infrage gestellt. Im salafistischen Milieu wird das Gefühl geteilt, einer Elite, einer suprematistischen Ideologie, einer Avantgarde anzugehören, die sich sowohl von der Mehrheitsgesellschaft als auch von anderen Muslimen absetzt (Abou Taam et al. 2016, S. 89; Khosrokhavar 2015, S. 32). Charakteristisch für den Salafismus ist es, Muslime pauschal als Opfer einer vermeintlichen Hetze gegen den Islam darzustellen. Das salafistische Weltbild ist offen für die Vorstellung von einem tief greifenden Konflikt zwischem „dem Islam“ und „dem Westen“, der in eine Opfer-Täter-, Gut-Böse-Dichotomie mündet (Abou Taam et al. 2016, S. 90). Jedes Individuum konvertiert mit dem Eintritt in die salafistische Gemeinschaft in eine neue Identität, die Identität der „wahren Muslime“, so die salafistische Idee. Das Annehmen dieser neuen Identität schafft hierbei nicht nur Anerkennung und Zugehörigkeit innerhalb der salafistischen Gruppe, sondern wertet jedes Mitglied auf der Grundlage des Exklusivitätsanspruchs gegenüber allen anderen Muslimen und der nicht-muslimischen Umwelt auf, einschließlich der eigenen Familie (Abou Taam et al. 2016, S. 91). Khosrokhavar spricht davon, dass die salafistische Neo-umma das Individuum seine (tatsächliche oder perzipierte) gesellschaftliche Stigmatisierung überwinden lässt und ihm eine neue Identität verleiht. Zuvor von niedriger sozialer Stellung, wird der junge Salafist, born again, zum Kämpfer einer „unterdrückten Religion“ (Khosrokhavar 2015, S. 50). Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist die salafistische Szene in Deutschland deutlich männlich dominiert. Lediglich circa 12 % der den Verfassungsschutzbehörden bekannten Anhänger sind Frauen. Dabei ist

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der Salafismus in Deutschland vor allem durch Zuwanderer und deren Kinder geprägt. Circa 90 % der Anhänger haben einen Migrationshintergrund, die übrigen sind Konvertiten (BfV 2019b, S. 196). Neue Anhänger des Salafismus geraten im Verlauf von Radikalisierungsprozessen in eine Szene, die von einer „Wagenburgmentalität“ gegenüber einer als „ungläubig“ diffamierten Umwelt geprägt ist, zu der nicht nur Christen, Juden und Nichtgläubige zählen, sondern auch nicht-salafistische Muslime. Dadurch soll jeglicher Einfluss von außen unterbunden werden. Kontakte zu Nicht-Salafisten gelten lediglich dann als legitim, wenn sie der Verbreitung der eigenen Ideologie dienen. Wichtig festzustellen ist, dass die salafistische Szene das wesentliche Rekrutierungsfeld für den islamistischen Terrorismus (Jihadismus) darstellt. Quasi alle Personen mit Deutschlandbezug, die sich dem Jihadismus in Syrien und im Irak angeschlossen haben, standen zuvor mit der salafistischen Szene in Deutschland in Kontakt (BfV 2019b, S. 196).

6.1.2 Drei entscheidende Radikalisierungsfaktoren im Phänomenbereich von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus a) Radikalisierung durch die islamistische, salafistische und jihadistische Ideologie Die Studie Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind. Fortschreibung 2016 des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz wertete die vorliegenden Daten der Radikalisierungshintergründe und -verläufe von 784 Personen, die bis Ende Juni 2016 aus islamistisch-jihadistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind, statistisch aus (BfV/BKA 2016). Bei der Frage nach der Motivation für eine aktive und/oder unterstützende Funktion innerhalb islamistisch-terroristischer Gruppen wie dem „Islamischen Staat“ (IS) oder der Al Nusra (bzw. Jabhat Fatah Al Sham) waren Mehrfachnennungen möglich. Bei den 784 Personen wurden in über 60 % der Fälle eine aktive Rolle in Moscheen bzw. Moscheevereinen, 54 % die Funktion der Familie und der Freunde (peer group), in 44 % islamistische Angebote im Internet, in 27 % sog. Islamseminare, in 6 % sog. Benefizveranstaltungen, in 3 % Kontakte in der Schule und in 2 % Kontakte in Justizvollzugsanstalten festgestellt (BKA/BfV 2016, S. 26–34). Hierbei liegen zu 79 % der Islamisten Informationen zur Ausreisemotivation vor, bei denen ein islamistisch-jihadistisches Interesse angenommen werden kann,

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konkretisiert durch das Ziel, in „das Kalifat“ bzw. den „Islamischen Staat“ auszuwandern (BKA/BfV 2016, S. 26–34). Die Terror Management Theory aus der Sozialpsychologie beschreibt zudem die Hinwendung zu Ideologien wie dem Islamismus als Reaktion auf die Erkenntnis, dass der eigene Tod unausweichlich ist. Diese – aufgrund des menschlichen Selbsterhaltungstriebes erschütternde – Erkenntnis führt dazu, dass kulturelle Werte und Sichtweisen angenommen werden, die entweder Unsterblichkeit gewähren (hier zum Beispiel: die Aussicht auf ein ehrenvolles Leben im Jenseits) oder die symbolische Unsterblichkeit gewähren, indem sie der eigenen Existenz Sinn und Bedeutung verleihen (dies kann z. B. den Kampf für den Gottesstaat oder die Überlegenheit der eigenen Religion gegenüber anderen umfassen) (Greenberg et al. 1986; Pyszczynski et al. 2008; Goertz und Holst 2018, S. 39). Auffälligerweise werden ca. 96  % der untersuchten Personen dem salafistischen Spektrum zugerechnet, wobei über die Hälfte von ihnen vor der (erstmaligen) Ausreise in einer Moscheegemeinde, einem Moscheeverein oder -verband aktiv waren. Gar über 75 % der untersuchen Personen waren vor ihrer Ausreise dem Umfeld – der den Sicherheitsbehörden bekannten – Islamisten bzw. Salafisten zuzuordnen (BKA/BfV 2016, S. 25–27). Bei dem überwiegenden Teil der Ausgereisten war die realweltliche Anbindung an bekannte salafistische Persönlichkeiten bzw. deren Milieus offensichtlich ausschlaggebend für die Radikalisierung. Diese empirischen Ergebnisse der psychologischen und sozialwissenschaftlichen Studien des BKA und des BfV ergeben eine Untersuchung des Radikalisierungsfaktors der religiös-politischen Ideologie (Goertz und Holst 2016, S. 454–455; Goertz und Holst 2018, S. 39). Aus sozialwissenschaftlicher und psychologischer Sicht kann jede Religion, also auch der Islam, durch folgende fünf Funktionen Individuen, Gruppen und ganze Gesellschaften beeinflussen: 1) indem Religionen eine Identität ausbilden, 2) indem sie als Glaubens-, Ordnungs- und Regelsysteme das Verhalten von Individuen und Gruppen beeinflussen, 3) indem sie allumfassende Sichtweisen und Regeln mit doktrinärem Charakter kreieren, 4) indem sie (individuelle und gruppenspezifische) Legitimität erschaffen und 5) indem sie sich institutionalisieren (Fox und Sandler 2005; Goertz und Holst 2016, S. 454– 455; Goertz 2019b, S. 41). Aus anthropologisch-kulturtheoretischer Perspektive sind religiöse Deutungsmuster als Vorgabe für das Verständnis, dass Gewalt legitim sei, speziell dazu geeignet, Gewaltbereitschaft hervorzurufen bzw. zu steigern (Krech 2002; Goertz 2019b, S. 42). So haben Religionen die Fähigkeit, äußerste Verpflichtung bei ihren Anhängern hervorzurufen und sie entwickeln dafür eine Sprache, um Gewalt einem höheren Zwecke dienlich erscheinen zu lassen,

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wodurch Religion Gewalt in ihrem Ursprung kanalisiert (rituelle Gewalt) und dadurch eine Art von Gewaltkontrolle übernimmt, die sonst nur von einem modernen Staat mit seinem Gewaltmonopol wahrgenommen wird (Goertz und Holst 2016, S. 454–455; Goertz 2019b, S. 42). In besonderen Krisen, existenziellen, kriegerischen Auseinandersetzungen und psychologischen Grenzsituationen wiederum kann im Rückgriff auf die Quellen der eigenen Religion ein ursprünglicher, archaischer Impuls reaktiviert werden, weil die Entstehungsgeschichte der großen Weltreligionen eine gewaltsame ist (Rapoport 1992; Goertz 2019b, S. 43). Aus psychologischer Perspektive bieten Islamismus und Jihadismus aufgrund ihres absoluten und exklusiven Wahrheitsanspruches ihren Anhängern eine ontologische Sicherheit (Goertz und Holst 2016, S. 454– 455). Die deutschen Verfassungsschutzbehörden definieren Islamismus als eine „Form des politischen Extremismus“, der „unter Berufung auf den Islam auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“ abzielt (BfV 2016b; Goertz 2017, S. 11). Dabei basiert der Islamismus „auf der Überzeugung, dass Religion, hier: der Islam, nicht nur eine persönliche, private ‚Angelegenheit‘ ist, sondern auch das gesellschaftliche Leben und die politische Ordnung regelt und postuliert darüber hinaus die Existenz einer gottgewollten und daher ‚wahren‘ und absoluten Ordnung, die über von Menschen gemachten Ordnungen steht“ (BfV 2016b). Kurz: Die deutschen Verfassungsschutzbehörden analysieren Islamismus als sich auf die Religion Islam berufende Form von religiöspolitischem Extremismus (Ideologie), die dort beginnt, wo religiöse islamische Gebote und Normen als verbindliche politische Handlungsweisen einer Ideologie interpretiert werden (Goertz und Holst 2016, S. 454–455; Goertz und Holst 2018, S. 40). In Bezug auf die Frage, welches Radikalisierungspotenzial der Koran in seinem Literalsinn und die Rechtsschulen des Wahhabismus und Hanbalismus für die Entstehung von Salafismus und islamistischem Terrorismus besitzen, sehen einige Studien in der Religion Islam nicht nur einen Aspekt zum Verständnis von islamistisch-salafistischen Terrororganisationen, die eine Ideologie religiösen Ursprungs benutzen. Sie erkennen in der Religion selbst die Erklärung für die Entstehung dieser Gewaltakteure (Fair und Shepherd 2014; Holbrook 2010; Venkatraman 2007; Stern 2003). Islamisten und Salafisten begreifen den Islam nicht allein als eine Religion, sondern als eine Herrschaftsideologie sowie als ein Gesellschaftssystem und streben an, ihre Vorstellungen auf gesellschaftspolitischem Wege oder mit Gewalt durchzusetzen (Farschid 2014, S. 166–167). Entsprechend geht im Salafismus das Ausmaß einer Radikalisierungsprozesse auslösender und fördernder Ideo-

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logie weit über das hinaus, was vonseiten sog. legalistischer Islamisten (z. B. die Muslimbruderschaft und Milli Görüs) verbreitet wird. Farschid analysiert die folgenden vom Salafismus politisierten religiösen Begriffe als prägend für den Salafismus: • „Tauhid (Bekenntnis zur Einheit Gottes, Monotheismus): Unter Verweis auf tauhid al-rububiyya propagieren Salafisten, dass Gott eine absolute, d. h. auch politische, herrschafts- und gesetzgebende Gewalt zukommt, während der als `schwach, unwissend und unfähig` apostrophierte Mensch sich dem zu unterwerfen und dieses Verständnis des tauhid stets aufrechtzuerhalten haben. Der tauhid al-ulihiyya erzwingt nach Auffassung von Salafisten die strikte Ablehnung demokratischer Systeme, da diese die allein Gott zugeschriebene absolute Herrschafts- und gesetzgebende Gewalt verletzten. Insofern sei die Anwendung nicht-islamischer Verfassungsordnungen und Gesetze wie auch die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie ein zu ahnender Verstoß gegen den tauhid.[…] Im Kombination mit weiteren Konzepten – etwa shirk, kufr und al-wala` wa-l-bara – werden Muslime des Verstoßes gegen den tauhid bezichtigt, wenn diese sich etwa am demokratischen Prozess beteiligen“ (Farschid 2014, S. 168–169). • „Taghut (Götze, Antonym zu Gott): Tagut ist ein koranischer Begriff, der einen Götzen, das Antonym zu Gott, bezeichnet. Salafisten verwenden taghut heute zum einen zur Begründung der Ablehnung nicht-religiöser Lebensstile. Zum anderen wird der Begriff ausdrücklich auf die politische Sphäre bezogen. Dies betrifft vor allem die Demokratie und nicht-religiös gesetztes Recht. So gelten Demokratie und andere säkulare Herrschaftsmodelle als parallel zum Islam existierende Religionen, deren Prinzipien der Volksherrschaft und der Übertragung der Gesetzgebung an den Menschen statt an Gott sie zu einer `Götzenherrschaft` mache“ (Farschid 2014, S. 171–172). • „Kufr (Unglaube): Salafisten entwerfen mit dem Begriff kufr unüberbrückbare Antagonismen, etwa zwischen kufr (hier: gottloses System) und imam (Glaube; hier: ein auf der absoluten Herrschaft Gottes beruhendes System). Hierbei verwenden sie kufr vor allem zur Ablehnung demokratisch verfasster Systeme und nicht-religiöser Lebensstile sowie zur Exkommunizierung jener muslimischer Staaten, deren Rechtssysteme auf säkularen Gesetzen basieren. Als kufr werden gleichermaßen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gebrandmarkt wie auch säkulare Verfassungen und Gesetze, deren systematische Anwendung selbst quietistischen Salafisten wie Ibn Uthaimin als Ausdruck `großen Unglaubens` gelten. Darüber hinaus wird kufr insbesondere auf Juden und Christen angewandt, die als Bedrohung für die Rein-

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heit der eigenen Gemeinde betrachtet und daher generell als zu meidende `Ungläubige` stigmatisiert werden“ (Farschid 2014, S. 172–173). • „Ridda oder irtidad (Abfallen vom Islam): Das mit dem Begriff ridda oder irtidad benannte Abfallen vom Islam kann unterschiedliche Formen bezeichnen und war im Verständnis klassischer Rechtsgelehrter mit dem Tode zu bestrafen. Einige Salafisten beziehen ridda zum einen auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, insbesondere auf Artikel 18, der das Recht auf die Freiheit des Gedankens, des Gewissens und der Religion einschließlich ihres Wechsels betont. Muslime, die diesen Wesenskern der Demokratie anerkennen, würden sich des Abfallens vom Islam schuldig machen. Dies gelte auch für jene Muslime, die sich in westlichen Ländern am demokratischen Prozess beteiligen, säkulares Recht anerkennen sowie freundschaftliche Beziehungen zu Nicht-Muslimen führen“ (Farschid 2014, S. 174). Der Salafismus in der demokratischen westlichen Welt sieht den Islam durch säkulare Tendenzen in seiner Existenz bedroht. Zahlreiche Salafisten begegnen dieser perzipierten Bedrohung ihrer Religion mit dem Rückzug in den Schutz der religiösen Gemeinschaft (Armborst und Attia 2014, S. 221–222). Salafisten sind bestrebt, ihre Interpretation des Islam und seine Gesetze minutiös zu befolgen. Jede minimale Abweichung von diesen Regeln bedeutet für sie die Verehrung von etwas anderem außer Gott und ist damit Polytheismus. Salafisten suchen die Antwort auf jede politische Frage im Koran, sodass für jede politische Frage eine definitiv wahre Antwort existiere (Armborst und Attia 2014, S. 225). Salafisten lehnen den Grundsatz der Volkssouveränität – konstituierend für die Demokratie – ab, weil nach ihrem Verständnis von Gottesherrschaft das islamische Recht (Sharia) über jeder weltlicher Gesetzgebung steht. Nach Farschid ist der Hauptvorwurf von Salafisten, dass er vom Ursprung und ihrer Begrifflichkeit her abzulehnenden Demokratie die „Herrschaft Gottes“, tauhid und somit jegliches Heilige fehle (Farschid 2014, S. 177). Vor allem für Muslime in der „westlichen“ Welt gelte, dass, wer sich an demokratischen Wahlen beteilige, kein Muslim, sondern ein zu bestrafender „religiös Abtrünniger“ sei. So wird die parlamentarische Demokratie als eine „Gegenreligion“ zum Islam konstruiert (Farschid 2014, S. 178). Zusammengefasst: Salafisten stellen die Legitimität nicht-religiös geprägter Gesetzgebung grundsätzlich infrage und fordern die Höherrangigkeit der Sharia gegenüber von Menschen gemachten Gesetzen. Die Ideologie-Theorie von Hannah Arendt und Karl Mannheim nutzend, sind Ideologien sowohl abstrakter als Religionen als auch abstrakter als politische Programme, da sie abstrakte Theorien in Form einer Theologie – hier besteht die Verbindung zur Religion – in kohärente Doktrinen übersetzen, um ihre ganz

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eigene Utopie bzw. Dystopie anzustreben (Ahrendt 1967; Beck 2002; Mannheim 1993; Goertz 2019b, S. 47). In Bezug auf das Verhältnis der ­religiös-politischen Ideologie Islamismus und Jihadismus zur Religion Islam bedeutet dies, dass der Jihadismus abstrakter als die Religion Islam, eine extremistische Theologieinterpretation des Islam ist und sich verschiedener Quellen des Korans und der Hadithen bedient, um seine Utopie – ein Kalifat in der zeitgenössischen Gegenwart – zu verwirklichen. Der islamistische Terrorismus ist nach der Ideologie-Theorie von Karl Mannheim also eine Partikularideologie, die im ­ Wettstreit mit anderen islamischen Theologien liegt (Maher 2016). Im Verständnis von Eric Voegelin und seiner Konzeption der „politischen Religion“ ist der islamistische Terrorismus, der Jihadismus, eine totalitäre politische Religion (Voegelin 1987; Gontier 2013; Goertz 2019b, S. 47). Zusammengefasst: Die islamistische, salafistische und jihadistische Ideologie stellt für individuelle Radikalisierungsprozesse eine entscheidende Variable dar, radikalisiert die Individuen dergestalt, dass sie zum einen demokratische Grundprinzipien ablehnen und zu bekämpfen beginnen und andererseits affiner für die Anwendung von Gewalt werden. b) Islamistische Radikalisierung durch den sozialen Nahbereich, das Milieu, die Peer Group Da sich quasi alle Menschen – unabhängig von ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Herkunft – über die Zugehörigkeit zu Gruppen definieren, hat die soziale Funktion von Milieus, des sozialen Nahraumes, eine entscheidende Rolle in der Analyse von Radikalisierungsprozessen (Alonso und Reinares 2006; Bakker 2006; Goertz 2019b, S. 54; Goertz und Holst 2018, S. 41; Silber und Bhatt 2007; Victoroff 2005). So stiften Milieus und Gruppen durch die Faktoren Freundschaft, ethnische Herkunft, Soziolekt und Religion „Lebenssinn“. Islamisten und Salafisten rekrutieren und werben einerseits in einem Umfeld, in dem sie aufgrund ihrer Biografie und/oder ihrer aktuellen Situation für eine Radikalisierung besonders anfällige Menschen vermuten (bestimmte Stadtteile, bestimmte Moscheen, bestimmte Schulen, Gefängnisse). In Deutschland sind solche salafistischen Milieus auffällig häufig in Städten wie Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main, Wiesbaden, Bonn, Städten des Ruhrgebietes, Bremen, Wolfsburg und Neu-Ulm zu beobachten, wobei die Bedeutung einer Stadt für islamistische Radikalisierungsprozesse vornehmlich von der Existenz einer islamistisch-salafistischen „Infrastruktur“ abhängig ist, die in der Regel aus ­islamistisch-salafistisch geprägten Moscheevereinen, Imamen und Aktivisten besteht (Goertz 2019b, S. 54).

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Die Soziologie geht davon aus, dass der Mensch von seiner sozialen Umgebung geprägt ist, damit wird der Einzelne bzw. die Einzelne geformt durch die unmittelbaren gesellschaftlichen Gegebenheiten in seiner bzw. ihrer sozialen Gruppe (Abou Taam 2014, S. 241). Mit dem Begriff „Milieu“ wird eine Gruppe von Menschen verbunden, die gemeinsamen objektiven Bedingungen ausgesetzt sind und ihre subjektiven Einstellungen, Denk- und Handlungsweisen mittels Habitus und schließlich in der Praxis als symbolische Lebensstile immer wieder angleichen (Abou Taam 2014, S. 241). Das Milieu als spezifische Netzwerkform, die verschiedene gleich oder ähnlich gerichtete Szenen zusammenbringt, beschreibt die Struktur und damit die objektiven Lebensbedingungen einer Gruppe und darüber hinaus spiegelt der Begriff „Milieu“ die subjektiven inneren Einstellungen und Verhaltensweisen seiner Mitglieder wider (Abou Taam 2014, S. 241). Nach aktueller internationaler Forschung sind der soziale Nahraum, also peer groups und social ties, das islamistische Milieu, die Beziehungsebene zwischen dem anwerbenden Szeneangehörigen, dem Sozialisationsagenten der extremistischen Szene, und dem zu werbenden Sympathisanten – neben der islamistischen Ideologie – entscheidende Faktoren für eine Radikalisierung (Alonso und Reinares 2006; Meijer 2009; Meijer 2005; Coolsaet 2012; Goertz 2017, S. 53; Victoroff 2005). So schließen sich bis zu 75 % der sich Radikalisierenden Islamisten, Salafisten und islamistischen Terroristen aufgrund von Freundschaftsnetzwerken einer islamistischen, salafistischen oder jihadistischen Gruppe an (Bakker 2006; Roex 2014; Nesser und Stenersen 2014). Dabei stellen sowohl Rollenzwang als auch gruppendynamische Prozesse – Konzepte von ingroup love und outgroup hate – zentrale treibende Kräfte einer Szene bzw. eines Milieus als Katalysator für eine Radikalisierung dar (Goertz 2019b, S. 55). Die Studien von Bakker zeigen, dass sich Radikalisierungsprozesse vorwiegend in peer groups abspielen, deren Mitglieder sich häufig seit geraumer Zeit kennen. Islamistische Radikalisierung vollzieht sich also häufig in engen sozialen Bindungen (Bakker 2011; Bakker 2006; Alonso und Reinares 2006). Bei vielen Mitgliedern islamistischer Organisationen und Gruppierungen ist festzustellen, dass sie die Elterngeneration als eine von der „wahren“ Weltanschauung abweichende Generation betrachten. Islamistisch-salafistische Ideologien, die die menschliche Existenz als Kampf zwischen Gut und Böse interpretieren, finden in solchen Kreisen offene Ohren (Abou Taam 2014, S. 243). Im Zusammenhang gesellschaftlicher Transformationen gelingt es ambitionierten islamistisch-salafistischen Eliten, durch Identitätskonstruktionen den eigenen Herrschaftsanspruch zu festigen und eine religiös-politische Anhängerschaft zu mobilisieren. Salafistische Gruppen nutzen hierbei p­ersönliche Sinnkrisen.

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Sich islamistisch-salafistischen Gruppen anzuschließen ist dann ein Versuch, die eigene Identität zu finden und sich in eine soziale Gruppe einzugliedern. Die islamistisch-salafistische Gruppe, bestehend aus gleichdenkenden und aus seiner ähnlichen Situation kommenden Menschen, ist dann die neue Familie, die einen weltanschaulichen Schutz bietet (Abou Taam 2014, S. 243). Der Anschluss an eine solche Gruppe stattet den Einzelnen dann mit einer Gruppenidentität aus. Besonders zu betonen ist, dass die propagierten und gelebten Normen einer islamistisch-salafistischen Gruppe eine Orientierungsfunktion haben. Sie typisieren erlaubtes und verbotenes Handeln jenseits der komplexen Realität und vereinfachen die Wahlmöglichkeiten. Weil die ­islamistisch-salafistische Gruppe prinzipiell der sozialen Umgebung gegenüber feindlich gesonnen ist und sich somit im dauernden Kampf mit ihr befindet, verleiht sie dem Einzelnen zudem ein Gefühl der Stärke und – noch entscheidender – der moralischen Überlegenheit (Abou Taam 2014, S. 244). Das „Wir-Gefühl“ einer ­islamistisch-salafistischen Gruppe ist stark mit dem Selbstbild und der Selbsterfahrung der Gruppe verbunden, denn es prägt das Selbstbewusstsein und die kollektive Identität der Gruppe. Daraus resultiert, dass die Werte und Normen, die Rollenerwartungen und Rollenverpflichtungen den Gruppenmitgliedern ein kollektives Identitätsbewusstsein geben. Je starker sich eine Person in eine Gruppe eingliedert, umso mehr entfernt sie sich von ihrer ursprünglichen Lebenswelt. Eine „Integration“ in die Gruppe bedeutet dann die komplette Auflösung des Individuums im Sinne der Gruppenidentität und eine damit verbundene totale Kontrolle durch die Gruppe (Abou Taam 2014, S. 248). Logvinov schreibt solchen Milieus folgende Merkmale zu: 1) Die totale Hingabe an einen gemeinsamen Glauben bzw. an ein ideologisches Programms, 2) ein dichotomes Weltbild (unterdrückte Muslime gegen „den Westen“), 3) Entindividualisierung und Opferbereitschaft für gemeinsame Ziele sowie 4) Steuerung der Gefühle der Zu- und Abneigung (Logvinov 2014, S. 116). Da Menschen das Bedürfnis haben „dazuzugehören“, hat die eigene Gruppe (ingroup) eine große identitätsstiftende Wirkung. Wenn die Gruppe nun für eine als wichtig, essentiell, existenziell wahrgenommene Sache (Allah, der „Islamische Staat“ als Kalifat der Gegenwart) kämpft, dann gewinnt jeder Einzelne in der Gruppe an Bedeutung. Darüber hinaus wird durch den Kampf für eine gemeinsame Sache bzw. gegen andere der Gruppenzusammenhalt verstärkt. Nach dieser Logik muss die Gruppe gegen andere Personen, die die eigene Lebensweise vorgeblich bedrohen, verteidigt werden (Alonso und Reinares 2006; BfV 2016c; Goertz 2019b, S. 56; Logvino 2014, S. 116). Die eigene Gruppenzugehörigkeit ermöglicht eine Abgrenzung zu anderen Gruppen (outgroup hate), wodurch es zu einer Abwertung der anderen Gruppe

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kommt. Eine Konsequenz davon ist dualistisches Schwarz-Weiß-Denken in Form von „Wir gegen die Anderen“. Dadurch werden in letzter Konsequenz Mitglieder der outgroup nicht mehr als Individuen wahrgenommen (De-Individualisierung) (BfV 2016c; Goertz 2019b, S. 56). Diese De-Individualisierung ermöglicht die Entstehung einer Distanz zu den Mitgliedern der anderen Gruppe, weil Anonymität einen emotionalen Rückzug ermöglicht. Wer keine Empathie für „die Anderen“ mehr empfindet, wird eher dazu neigen, Mitglieder der outgroup zu verletzen und/oder zu töten (BfV 2016c; Goertz 2019b, S. 56). Die Abwertung der Mitglieder der outgroup wird unter anderem verstärkt durch: • Kulturelle und ethnische Unterschiede: So wird die outgroup als Feind oder Sündenbock wahrgenommen. Traditionelle Gruppenunterschiede ermöglichen oft eine Diffamierung der Mitglieder der anderen Gruppe als kulturell niedere Lebensform, was sich unter anderem allein durch den Sprachgebrauch („Kuffar, Hunde, Schweine“) zeigt. Die Entmenschlichung der anderen spielt eine vitale Rolle bei der Anwendung von Gewalt (BfV 2016c). • Die Überzeugung, moralisch überlegen zu sein und den Glauben an den Kampf für die gerechte Sache: Der Kampf wird als legitime Selbstverteidigung dargestellt und das Töten wird zum Akt der Gerechtigkeit (Verteidigung des Kalifats) (Goertz 2019b, S. 56). In Gemeinschaften mit „engen“ Wertvorstellungen, wie sie beispielsweise von salafistischen und jihadistischen Gruppen vertreten werden, ist der freie Austausch von Ideen unerwünscht. So werden Freund-Feind-Schemata kreiert und verstärkt, basierend auf dem typischen Schwarz-Weiß-Denken „Wir gegen die anderen“ (BfV 2016c; Goertz 2019b, S. 56). c) Radikalisierung durch islamistische, salafistische und jihadistische Angebote des Internets Innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung besteht der Konsens, dass die technologischen Möglichkeiten des Internets von entscheidender Bedeutung für Islamismus, Salafismus und Jihadismus sind (Biehl 2019, S. 259–282; Dienstbühl 2019, S. 192–194; Cornish et al. 2011; Fink und Barclay 2013; Logvinov 2017, S. 85–88; Rogan 2006; Weimann 2006). Rogan erklärt, dass das Internet für jihadistische Akteure von größter Bedeutung sei, weil es ihnen im 21. Jahrhundert neue Möglichkeiten zur Verbreitung ihrer Propaganda biete (Rogan 2006, S. 32). So ermöglichten die islamistischen, salafistischen und jihadistischen Inhalte des Internets „to reach out to a significant audience“ (Rogan 2006, S. 32). Nach Auf-

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fassung von Weimann können (islamistische) Terroristen durch das Internet und seine modernen Kommunikationsmöglichkeiten Terroranschläge planen und ausführen, ohne dabei geographisch „vor Ort“ sein zu müssen (Weimann 2006, S. 20). Manche Studien analysieren die Existenz des Internets gar als Voraussetzung dafür, dass eine internationale jihadistische Organisation wie Al Qaida bereits länger als 20 Jahre existiert, während empirisch betrachtet terroristische Gruppen durchschnittlich weniger als ein Jahr lang bestehen (Archetti 2015; Theohary und Rollins 2011). Unbestritten ist ebenfalls, dass der „Islamische Staat“ (IS) ohne das Internet und die sozialen Medien nicht solch dramatisch viele europäische und westliche Anhänger als foreign fighters für seine Ziele in Syrien und im Irak und für terroristische Anschläge in westlichen Staaten hätte gewinnen können (Goertz 2016; Brooking 2015). Auch zahlreiche jihadistische Prediger und Strategen bezeichneten das Internet, den „Cyber Jihad“ bzw. den „electronic Jihad“ als wichtiges Mittel im weltweiten Kampf für den Jihad (Atayf 2012). Khosrokhavar spricht im Zusammenhang mit islamistischer, salafistischer und jihadistischer Radikalisierung im Internet auch von „Autoradikalisierung“, in der das Individuum Beziehungen zu Menschen der realen Welt kappt, die neuen Bindungen des Internets vor Familie und Freunden geheim hält und über die sozialen Medien Kontakte zu anderen Menschen knüpft, die es nur über das Internet kennt (Khosrokhavar 2015, S. 37). Verschiedene aktuelle Studien und Aufsätze untersuchen die Funktion von islamistischen, salafistischen und jihadistischen Internetinhalten für Radikalisierungsprozesse.3 Conway führt aus, dass (islamistische) Terroristen durch das Internet die Möglichkeit haben – und sie eifrig nutzen -, Spendengelder zu sammeln, mit ihren propagandistischen Inhalten ein Massenpublikum zu erreichen sowie dadurch neue Anhänger und Unterstützer zu rekrutieren

3Vidiono,

L. (2015). Terrorist Chatter. Understanding what Terrorists talk about. Ottawa: Working Paper No. 3, NPSIA Carleton University; Von Behr, I. (2013). Radicalisation in the Digital Era. The use of the internet in 15 cases of terrorism and extremism. Cambridge: RAND Europe; Gill, P./Corner, E./Thornton, A./Conway, M. (2015). What are the Roles of the Internet in Terrorism? Measuring online behaviors of convicted UK Terrorists. London: Reports oft he VOX-Pol Network; Arnaboldi, M./Vidino, L. (2015). The Caliphate, Social Media and Swarms in Europe: The Appeal oft he IS Propaganda to ‘Would Be‘ European Jihadists. In: Maggioni, M./Magri, P. (Hrsg.). Twitter and Jihad: The Communication Strategy of ISIS. Mailand, S. 125–144; Boyle, M. (2013). Lone Wolf Terrorism and the Influence of the Internet in France. Connecticut: CISLA Senior Integrative Project; Mastors, E./Siers, R. (2013). Omar Hammami: A case study in Radicalization. In: Behavioural Sciences & the Law, Vol. 32, Issue 3, S. 377–388.

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(Conway 2006, S. 25). Conway und andere Wissenschaftler haben in den letzten Jahren untersucht und beobachtet, dass im Internet virtuelle Milieus, virtuelle communities entstehen, die bei den Internetnutzern Radikalisierungsprozesse auslösen bzw. fördern können und eine vitale Rolle für islamistische, salafistische und jihadistische Radikalisierungsprozesse spielen können (Conway 2010, S. 12–20; Baehr 2019, S. 261). Nach von Behr bzw. nach Baehr hat das Internet folgende Funktionen für Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus: • „Das Internet erzeugt bedeutend mehr Möglichkeiten, um sich oder andere Personen zu radikalisieren • Das Internet fungiert wie ein Resonanzraum • Das Internet beschleunigt Radikalisierungsprozesse • Das Internet ermöglicht die Radikalisierung von Menschen, ohne dass diese in physischen Kontakt mit Angehörgen der jeweiligen terroristischen Bewegung kommen müssen • Das Internet schafft neue Gelegenheiten für sogenannte Selbstradikalisierungen“ (von Behr 2013, S. 16–21; Baehr 2019, S. 264). Das Internet ist im Augenblick das wichtigste und am häufigsten benutzte Kommunikations- und Propagandamedium der islamistischen und jihadistischen Szene, weil es grenzüberschreitend schnelle Kommunikation und Interaktion sowie eine Teilhabe an Personenschicksalen und Ereignissen – Faktoren für Radikalisierungsprozesse – an weit entfernten Jihad-Schauplätzen ermöglicht (Goertz 2017, S. 115). Das Internet dient islamistischen und jihadistischen Organisationen, Netzwerken, Gruppen und auch islamistischen Einzeltätern als virtuelle „Universität“ mit zahlreichen, heterogenen Inhalten. Islamisten und Jihadisten nutzen das Internet seit Beginn des 21. Jahrhunderts, besonders häufig seit ca. 12 Jahren – verbunden mit der weltweiten Reichweite der sozialen Netzwerke –, intensiv für die Verbreitung islamistischer und jihadistischer Propaganda und für die Rekrutierung und Ausbildung neuer Anhänger, Unterstützer und Täter (EUROPOL 2009, S. 13–14; Goertz 2017, S. 115). Sowohl internationale jihadistische Großorganisationen wie die Al Qaida und der IS als auch regional bzw. landesweit operierende jihadistische Gruppen nutzen die sozialen Medien, wie beispielsweise Facebook und YouTube, seit einiger Zeit sehr intensiv (Klausen 2012; Berger und Strathearn 2013). Dabei ergab eine Studie des U.K. House of Commons Select Committee on Home Affairs des Jahres 2012, dass das Internet – zumindest bis 2012 – in absoluten Zahlen

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entscheidender für die Rekrutierung und Radikalisierung im islamistischen und jihadistischen Milieu ist als Gefängnisse, Universitäten und Moscheen (U.K. House of Commons, Home Affairs Committee 2012, S. 16). Zur deckungsgleichen Feststellung kommen niederländische Sicherheitsbehörden, welche die virtuelle Interaktion zwischen Jihadisten im Internet – hier u. a. in den sozialen Netzwerken – als entscheidenden Radikalisierungsfaktor für potentielle und zukünftige Islamisten und Jihadisten analysieren (General Intelligence und Security Service of the Netherlands 2012; Goertz 2017, S. 116). Eigene islamistische, jihadistische Medienbataillone und quasioffizielle Medienabteilungen werden betrieben, mit entsprechenden Logos und Namen, die Videos, Bekennerschreiben, Schriften und dergleichen professionell verarbeiten und zum Konsum sowie Herunterladen im Internet anbieten (Prucha 2016, S. 66). Die frei verfügbaren Propagandamaterialien bestehen aus Schriften, Büchern, Texten und Videos und werden von Sympathisanten und potenziellen Rekruten des Jihadismus multipliziert, indem Inhalte geteilt, weiterverbreitet werden. Die teilweise hoch professionellen Videos verschmelzen mit schriftlichen Inhalten, Texten, Büchern und Blogs des Online-Korpus des internationalen islamistischen Terrorismus (Prucha 2016, S. 66). Vor allem die aktuellen jihadistischen Internetinhalte des „Islamischen Staates“, die auch die territoriale Niederlage des zeitgenössischen Kalifats überstehen werden, sind geprägt von einer professionellen Kommunikationstechnologie. Das internationale Korpus islamistisch-salafistischer Schriften und die dazugehörigen Videos sind extrem umfangreich und werden durch diverse jihadistische Mediengruppen täglich erweitert und verlinkt. Ebenso werden die neuen und sozialen Medien im Fall von Islamismus und Jihadismus von Sympathisanten und Anhängern systematisch und professionell genutzt, um auf allen Ebenen des Internets mit ideologischen Schriften und drastischen Videos präsent zu sein (Prucha 2016, S. 68). Die neuen und sozialen Medien ermöglichen eine historisch neue Interaktion mit potenziellen Befürwortern und Symphatisanten und sie dienen neben der aktiven Rekrutierung vor allem der Verbreitung dieser Materialien mit dem Ziel, möglichst viele Adressaten zu erreichen (Prucha 2016, S. 68). Dabei werden die ursprünglich in Arabisch verfassten Primärquellen ins Englische und zahlreiche andere europäische Sprachen, auch ins Deutsche, übersetzt. Bereits im Jahr 2015 – so führt eine Studie der Brookings Institution aus – unterhielt der IS mindestens 46.000 Twitter-Accounts, deren Zahl sich seither signifikant erhöht hat (Berger und Morgan 2015). Da folgender Aspekt in der deutschen sozialwissenschaftlichen Literatur kaum erwähnt wird, muss hier die Rolle von islamistischen Imamen und Predigern ohne formelle ­islamisch-theologische Ausbildung, die das Internet und dabei sehr verbreitet die

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sozialen Medien nutzen, um ihre radikalisierenden islamistischen Inhalte zu verbreiten, explizit betont werden (Taylor und Ramsay 2010, S. 106). In einer behördlichen Studie des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz wurden die Daten von 677 Jihadisten untersucht, die von Deutschland aus nach Syrien und/oder in den Irak gereist waren, um dort für jihadistische Organisationen zu kämpfen oder diese zu unterstützen (BKA/BfV 2016). Dabei wurden bei 677 untersuchten Jihadisten in 201 Fällen islamistische, salafistische und jihadistische Radikalisierungsprozesse maßgeblich durch die entsprechenden Internetangebote ausgelöst (BKA/BfV 2016, S. 19–49). Bei weiteren 20 % der untersuchten Jihadisten wurden die extremistischen Internetangebote im Laufe der Radikalisierungsprozesse wichtig. Darüber hinaus waren 47 % der damals Untersuchten in sozialen Netzwerken aktiv (BKA/BfV 2016, S. 19–49). Zurückhaltend geschätzt existieren weltweit allein über 5000 jihadistische Websites, daneben viele Tausend islamistische und salafistische Websites. Mindestens 125 sog. Media Groups können als jihadistische Netzwerke identifiziert werden, die wiederum Websites mit jeweils Hunderten bis Tausenden Links auf jihadistische Websites und Angebote in den sozialen Netzwerken anbieten (Goertz 2017, S. 116). Die jihadistischen und islamistischen Websites bedienen im Wesentlichen folgende unterschiedlichen Funktionen: • • • •

Propaganda, Information/Desinformation, Publicity Rekrutierung, Motivation und Radikalisierung Schulung und Ausbildung in taktisch-operativen (terroristischen) Inhalten Schulung und Ausbildung in Inhalten wie dem Bau von Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) („Bombenbau“, Umgang mit Sprengstoff) • Finanzierung • Social Networking • Data Mining • Kommunikation und Steuerung für taktisch-operative Schritte (Anschläge, Attentate, Aktionen) • Psychologische Kriegsführung • Elektronische Angriffe (Rudner 2017, 2013; Fisher 2016; Goertz 2017, S. 116). Die jihadistische Großorganisation Al Qaida hat das Internet bereits im Jahr 2009 als „a great medium for spreading the call of Jihad and following the news of the mujahideen (Islamic warriors)“ bezeichnet (Al Awlaki 2009). Unter anderem formuliert das Al Qaida-Ausbildungshandbuch Military Studies in the Jihad

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Against the Tyrants als eines der primären strategischen Ziele: „Spreading rumors and writing statements that instigate people against the enemy“ (Al Qaeda 2010). Übersetzt auf die Ebenen der Strategie und Taktik ist das Internet sowohl das bevorzugte Kommunikationsmittel des IS sowie der Al Qaida und ihrer Regionalableger als auch entscheidend für Multiplikatoreneffekte, Rekrutierung von Nachwuchs, Ausbildung, Finanzierung und operativ-taktische Maßnahmen (Gendron und Rudner 2012). Bereits im Jahr 2009 rief der einflussreiche jihadistische Prediger Anwar Al Awlaki (potentielle) Anhänger dazu auf, „Internet mujahideen“ zu werden, z. B. durch das professionelle und weltweite Verbreiten von Neuigkeiten (news und fake news) über jihadistische Aktivitäten und jihadistischer Literatur, was er als „WWW Jihad“ bezeichnete (Al Awlaki 2009). Aus einem Urteil eines kanadischen Gerichtes zum Verbot einer jihadistischen Website der Global Islamic Media Front können folgende extremistischen Inhalte und Aktionen von Islamismus und Jihadismus abgeleitet werden: • „Veröffentlichen und Verbreiten von Reden und Inhalten jihadistischer Führungspersonen und Prediger • Verbreiten von Propaganda mit unterschiedlichen technisch-medialen Mitteln • Radikalisierung von (potenziellen) jihadistischen Attentätern • Motivation von jihadistischen Unterstützern, finanzielle, logistische und auch operativ-taktische Unterstützung zu leisten • Glorifizieren von jihadistischen „Märtyrern“ • Teilen und Verbreiten von Sicherheitshinweisen, um sich vor technischen Überwachungsmaßnahmen staatlicher Geheim- und Nachrichtendienste zu schützen • Teilen und Verbreiten von technischem know how, um Computer und Netzwerke zu hacken • Akte psychologischer Kriegsführung durch die terroristische Bedrohung von Gesellschaften, Gruppen und Individuen • Teilen und Verbreiten von operativ-taktischem know how, u. a. Taktiken für den Orts- und Häuserkampf (urban warfare, gang warfare) • Teilen und Verbreiten von operativ-taktischem know how für Hinterhalte und Sprengstoffanschläge • Teilen und Verbreiten von online-Magazinen wie Sawt al-Jihad (Voice of Jihad), INSPIRE, Dabiq und Rumiyah • Übersetzung von propagandistisch-jihadistischem Material in zahlreiche Sprachen, um „die weltweite umma zu erreichen“, sprich: den ­islamistisch-jihadistischen Adressatenkreis (vor allem in westlichen Demokratien) zu erweitern“ (Court of Quebec 2009).

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Darauf aufbauend urteilte das kanadische Gericht, dass jihadistische Websites wie die der Global Islamic Media Front direkt und/oder indirekt terroristische (jihadistische) Aktivitäten fördern (Court of Quebec 2009). Die Ubiquität islamistischer und jihadistischer Foren sowie islamistischer und jihadistischer Inhalte in den sozialen Netzwerken stellt dem Islamismus und Jihadismus des 21. Jahrhunderts ein historisch einmaliges Wirkmittel zur Verfügung: Zum ersten Mal in der Geschichte kann eine radikalisierte – virtuelle und realweltliche – (imaginierte) Umma4 weltweit geschaffen und erreicht werden, die gleichzeitig und global Zugang zu den gleichen propagandistischen Materialien erhält. Dadurch besteht zum ersten Mal in der Geschichte ein ­virtuell-realweltliches Band zwischen (potentiellen) Islamisten und Jihadisten auf allen Kontinenten. Diese digitale Umma kann zu einer radikalisierten, weltweiten islamistischen, jihadistischen Umma werden, weil der ununterbrochene Fluss an islamistischer und jihadistischer Propaganda – auf verschiedenen Kanälen, verschiedene Methoden nutzend – diese imaginierte bzw. in Teilen bereits reale Umma mit homogenisierten, manipulierten, propagandistischen „Informationen“ und Bildern konfrontiert (Goertz 2017, S. 118; Kaya 2010, S. 47–63; Rudner 2017, S. 10–23). Der Islamismus und der Jihadismus des 21. Jahrhunderts basieren entscheidend auf dem Internet und seinen technologischen, medialen Möglichkeiten. Die neue Generation von internationalen Islamisten und Jihadisten des 21. Jahrhunderts gehört zum großen Teil der sog. „Generation Y“ bzw. „Generation Z“ an, sprich: Das Internet bietet ihnen und durch sie islamistische, jihadistische Propaganda-, Rekrutierungs-, Motivations- und Radikalisierungsinstrumente ebenso wie Kommunikationsmöglichkeiten an. Diese neue Generation von internationalen Islamisten und Jihadisten verbindet Radikalisierungsangebote der realen Welt mit denen der virtuellen Welt und ist offen für islamistische und jihadistische Narrative (Goertz 2017, S. 119).

4Umma,

Arabisch für „Gemeinschaft“, „Volk“ bezieht sich auf die Gemeinschaft aller Muslime. War sie zur Zeit des Propheten Muhammad und der ersten Kalifen noch weitgehend einig, sowohl im religiösen als auch politischen Sinne, so hat sie sich später in politischer Hinsicht in verschiedene Staaten, in religiöser Hinsicht in verschiedene Bekenntnisse (Schiiten, Sunniten) aufgespalten. Die Wiederherstellung der Umma in ihrer ursprünglichen Form wird gegenwärtig von vielen Muslimen als wichtiges Ziel angesehen. Mandaville 2001; https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/islam-lexikon/21714/umma; zugegriffen: 3.5.2020. Allerdings benutzen problematischerweise nicht nur Muslime den Begriff Umma, sondern auch Islamisten, Salafisten und Jihadisten. https://www.bbc.com/ news/magazine-22640614; 3.5.2020.

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Die islamistischen und jihadistischen Angebote sozialer Netzwerke stellen zahlreiche Möglichkeiten für eine islamistische bzw. jihadistische Radikalisierung dar, weil der potenzielle Islamist und Jihadist durch sie in der Lage ist, sich durch (scheinbar) personalisierte, individuelle jihadistische Narrative zu radikalisieren. Inhalte der islamistischen und jihadistischen Ideologie finden sich zielgruppengerecht übersetzt, komprimiert und manipulierend in den Interpretationen islamistischer und jihadistischer Prediger. Inhalte der islamistischen Prediger Hassan Al Banna, Sayyid und Muhammad Qutb sowie Mustafa Shukri und anderer sind im Internet ubiquitär zu finden, sowohl ihre Primärtexte als auch Sekundärtexte und Kommentierungen dazu. Zeitgenössische jihadistische Prediger wiederum – Abdullah Yusuf Azzam, Abu Mohammed Maqdisi, Abu Musab Al Suri und Ayman Al Zawahiri – und ihre Unterstützer nutzen die medialen und technologischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts und haben erkannt, welches Potenzial das Internet ihren Strategien bietet (Goertz 2017, S. 119). Der jihadistische Prediger Abu Mohammed Maqdisi beispielsweise installierte bereits im Jahr 2009 eine wichtige jihadistische Website, Mibar Al Tawhid al Jihad, auf der ein „Sharia-Komitee“ gleichgesinnter Rechtslehrer Antworten auf Fragen zum Jihad gibt. Auch die Jihad-Interpretation von Abu Musab Al Suri, der aktuell einer der wichtigsten internationalen Prediger des Jihad ist, kann auf zahlreichen jihadistischen Websites quasi überall abgerufen werden (Zelin 2014; Khosrokhavar 2009, S. 195). Kurz: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zur Geburtsstunde des Islamismus, war die islamistische Umma faktisch eine regionale Umma, keine global verbundene bzw. vernetzte Umma. Informationen und religiös-politische Inhalte wurden im Zuge der Kolonisation durch westliche Journalisten und den Telegraphen verbreitet, doch ein Großteil der muslimischen Welt war zum damaligen Zeitpunkt nicht alphabetisiert. Seit den 1960er Jahren jedoch hat sich die Zahl der alphabetisierten Muslime weltweit rasant vergrößert. Erst das Internet des 21. Jahrhunderts schafft es, eine islamistische, jihadistische Umma – de facto bzw. subjektiv empfunden – weltweit zu vernetzen und erzeugt damit ein Mobilisierungs- und Radikalisierungspotenzial, das historisch neu ist (Goertz 2017, S. 120). Mittlerweile ist es wissenschaftlich anerkannt, dass eine virtuelle Interaktion und Partizipation durch das Phänomen „Hyper-Radikalisierung“ gewisse extremistische Ansichten und Verhaltensweisen „normalisiert“ und begünstigt. Dafür ist die islamistische bzw. jihadistische Gemeinschaft – auf der Ebene peer to peer – entscheidend. Die jihadistische Ideologie und ihre Prediger und „Transporteure“, einerseits der IS und die Al Qaida, andererseits aber auch Hunderttausende Individuen weltweit, profitieren bahnbrechend von den historischen

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Neuerungen des Internets, der sozialen Netzwerke und der weiten Verbreitung mobiler Endgeräte (Goertz 2017, S. 149). Digitale Technologien wie YouTube und Twitter stellen ein technisches Mittel für jihadistische Prediger und militante Akteure des Jihad dar, die, historisch betrachtet, den Charakter eines game changer haben können. Aufgrund der digitalisierten Materie jeglicher Information kann das islamistische und jihadistische Material unendlich kopiert und weiter verlinkt werden, sodass die präventiven Möglichkeiten staatlicher Sicherheitsbehörden sehr stark limitiert sind.

6.1.3 Islamistische, salafistische und jihadistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten Zahlreiche Erkenntnisse aus Deutschland und dem europäischen Ausland verdeutlichen seit einigen Jahren, dass ein großer Teil der bei islamistischen Anschlägen beteiligten Terroristen zuvor einschlägige Hafterfahrungen aufzuweisen hatte (Goertz 2019, S. 11). Aktuelle Beispiele für islamistische Radikalisierungsprozesse in europäischen und deutschen Justizvollzugsanstalten sind zahlreich zu finden. Der islamistische Attentäter Chérif Chekatt zum Beispiel – französischer Staatsbürger mit marokkanischem Migrationshintergrund – tötete am 11.12.2018 auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt vier Menschen und verletzte 14, einige davon schwer. Islamistisch radikalisiert soll sich Chekatt in deutschen Justizvollzugsanstalten haben (Süddeutsche 2018). Gegen Chekatt existieren dem französischen Generalstaatsanwalt zufolge 27 Gerichtsurteile. So wurde Chekatt seit 2015 als potenzieller islamistischer Gefährder eingestuft und seither in Frankreich überwacht. Auch der Attentäter des islamistischen Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz am 19.12.2016 – Anis Amri – hatte sich in (italienischen) Haftanstalten radikalisiert. Nach dem islamistischen Attentat von Kopenhagen 2015, bei dem zwei Menschen erschossen wurden, sagten Weggefährten des Attentäters, dass dieser ein anderer Mensch gewesen sei, nachdem er rund zwei Wochen zuvor aus der Haftanstalt entlassen worden war (Goertz 2019, S. 11). Anstatt über Autos und Frauen zu sprechen, habe er über Religion monologisiert, über die Opfer im Gazastreifen und das Paradies (Spiegel 2015). Die Idee, dass zukünftige terroristische Anschläge von einem ehemaligen Inhaftierten einer deutschen Justizvollzugsanstalt begangen werden könnten und sich danach ergibt, dass der Beginn des Radikalisierungsprozesses erst in der Zeit im Justizvollzug begann, ist ein vorstellbares Szenario, das es aus Sicht der deutschen Sicherheitsbehörden unbedingt zu verhindern gilt.

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So ist der Radikalisierungsverlauf „from jail to jihad“ für europäische Sicherheitsbehörden und Justizvollzugsanstalten spätestens seit dem islamistischen Anschlag auf den Madrider Hauptbahnhof im Jahr 2004 – dabei wurden 191 Menschen getötet und über 2050 Menschen verletzt – von hoher Bedeutung. Der islamistische Attentäter des Anschlags auf das jüdische Museum in Brüssel am 24.5.2014, bei dem vier Menschen starben, hatte sich in einer französischen Haftanstalt radikalisiert. Die islamistischen Terroristen Chérif Kouachi und Amédy Coulibaly, die für den Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ am 7.1.2015 verantwortlich waren, hatten sich zuvor im Rahmen ihrer Haft kennengelernt. Dort waren sie in Kontakt mit dem Islamisten Jamel Beghal gekommen, der ihr ideologischer Mentor wurde. Beghal wiederum war wegen der Anstiftung zu einem islamistischen Anschlag auf die US-Botschaft in Paris inhaftiert (Goertz 2019, S. 11). Gemäß einer britischen Studie haben sich von 79 untersuchten Jihadisten 58 außerhalb der Haftzeit und 21 innerhalb der Haftzeit radikalisiert, also mehr als jeder vierte (Piontkowski et al. 2019, S, 580). Die Bedrohung, die von islamistischen Straftätern ausgeht, stellt Politik, Justiz und Polizei vor erhebliche Herausforderungen und sie macht auch nicht vor Gefängnissen halt. Vor allem in den Justizvollzugsanstalten finden sich viele Inhaftierte, die anfällig sind für extremistische Ideologien und Überzeugungen. Aufgrund der starken medialen Präsenz der Themen Salafismus und islamistischer Terrorismus sollen sich Gefangene diesem Phänomenbereich schnell zugehörig fühlen (Piontkowski et al. 2019, S. 581). Die salafistische „Community“ in Justizvollzugsanstalten habe eine „ausgeprägte soziale Ader“ und übe dadurch eine starke Anziehungskraft aus. Charismatische Persönlichkeiten unter den Salafisten würden Netzwerke organisieren, die auf Mitgefangene einwirken und diese geschickt „abholen“. Wer sich den Salafisten in Justizvollzugsanstalten anschließt, wird Mitglied einer „starken Gemeinschaft“, die innerhalb der Justizvollzugsanstalt als eine Formation wahrgenommen würden (Piontkowski et al. 2019, S. 581). In Berlin sorgte im Jahr 2017 der Fall des libanesischen Islamisten Mohammed A. für mediales Aufsehen. Der inhaftierte Islamist, der wegen schweren Raubes drei Jahre in der Justizvollzugsanstalt Tegel einsaß, hatte sich offenbar dort islamistisch radikalisiert und die Berliner Polizei stufte ihn letztlich als islamistischen Gefährder ein. Mohammed A. hatte glaubhaft angekündigt, nach seiner Entlassung einen islamistischen Anschlag begehen zu wollen. Noch aus seiner Zelle heraus hatte der Islamist mit einem eingeschmuggelten Handy islamistische Propaganda in sozialen Medien verbreitet (Goertz 2019, S. 11). Der Ausländeranteil an den Inhaftierten in der Schweiz beträgt 74,2 %, in Griechenland 63,2 %, in Österreich 46,8 %, in Belgien 42,5 %, in Schweden

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31,5 %, in Deutschland 27,9 % und in Niederlande 21 % (Statista 2019). Auf das gesamte deutsche Bundesgebiet gerechnet ist fast jeder vierte Inhaftierte Muslim, was über 12.000 Inhaftierte ausmacht (Deutschlandfunk 2018). Eine Analyse der aktuellen Situation in den Phänomenbereichen Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus ergibt, dass die Zahl islamistischer Straftäter in Justizvollzugsanstalten in naher Zukunft ansteigen wird. Vor allem Jihad-Rückkehrer aus Syrien und dem Irak mit einem europäischem Pass werden die Situation in den europäischen Haftanstalten massiv verschärfen. Sollte der Verdacht der Unterstützung einer oder Beteiligung an einer terroristischen Gruppierung im Ausland (§ 129b StGB) wie beispielsweise dem „Islamischen Staat“, begründet werden können, werden diese Jihad-Reisenden bzw. ­Jihad-Rückkehrer zumindest für die Untersuchungshaft in deutschen Justizvollzugsanstalten inhaftiert und finden dort ein großes Rekrutierungsfeld vor (Goertz 2019, S. 11). Allein für das Jahr 2017 hat die Bundesanwaltschaft über 1000 Terrorismus-Verfahren eingeleitet und mehrere Hundert Fälle bereits an die Staatsanwaltschaften der Länder abgegeben (Welt 2018). Das Spektrum aktueller und künftiger Inhaftierter reicht von „Hasspredigern“ über erfolgreiche oder gescheiterte Attentäter bis hin zu kampferprobten Syrien/Irak-Rückkehrern und Kriegsverbrechern (Goertz 2019, S. 11).

6.1.3.1 Potenzielle islamistische Radikalisierungshintergründe in Justizvollzugsanstalten Die Haft ist eine Zwangsgemeinschaft verurteilter oder auf ihr Urteil wartender Individuen, die häufig ein gespanntes Verhältnis zur Gesellschaft haben und unter (subjektiv wahrgenommener bzw. objektiver) sozialer Frustration, wirtschaftlicher Exklusion oder sozialer Stigmatisierung leiden. Bei diesen Individuen kann sich der institutionelle Zwang von Justizvollzugsanstalten in Richtung einer zusätzlichen Radikalisierungsbereitschaft auswirken (Khosrokhavar 2016, S. 183; Dienstbühl 2019, S. 208–209). Folgende Radikalisierungsursachen in Justizvollzugsanstalten bestehen nach Kienle: • (Subjektiv wahrgenommene) Diskriminierungserfahrungen, Demütigung • (Subjektive wahrgenommene) Deprivation • (Subjektiv wahrgenommene) Ungerechtigkeit gegenüber einer sozialen/ kulturellen/ religiösen Gruppe • Unzufriedenheit, Unmut („grievance“) • Orientierungslosigkeit

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• Sinnsuche • Suche nach Halt und Gemeinschaft • Wunsch nach Anerkennung und Akzeptanz • Einsamkeit • Identitätskrisen • Integrationsdefizite • (Subjektiv wahrgenommene) prekäre Lebenslagen • Schulische und berufliche Misserfolge • Erlebnisorientierung, Risikofreudigkeit, Selbstinszenierung • Streben nach Bedeutsamkeit der eigenen Person • Soziale Bindungen, gruppendynamische Prozesse (Kienle 2016, S. 26–27). Die islamistische und salafistische Ideologie bietet eine religiös-politische Rechtfertigung und das Gefühl von Sinnhaftigkeit und wirkt dadurch als Bindeglied zwischen Mitgliedern von islamistischen Milieus, Organisationen und Gruppen auf der einen Seite und Individuen auf der anderen Seite. Dabei intensivieren gruppendynamische Prozesse Radikalisierungsprozesse und verfestigen damit extremistische Weltbilder. Nach der framing-Theorie (frame als individuelle Weltsicht, bestehend aus Glaubenssätzen und Interpretationsschemata) entsteht (islamistische) Radikalisierung zu einem sehr großen Anteil durch soziale Bindungen. In solchen Radikalisierungsprozessen wachsen Mitglieder einer Gruppe in eine konstruierte Weltsicht hinein, die Verantwortung für soziale Ungerechtigkeiten konkreten Verursachern zuweist (Goertz 2019, S. 12). Die gewählten Strategien der Justizvollzugsanstalten zur Erkennung von Radikalisierungstendenzen basieren entsprechend auf dem vorhandenen wissenschaftlichen Wissen über Radikalisierungsfaktoren, die den Weg einer Ideologisierung bzw. Radikalisierung fördern können bzw. als ursächlich für eine solche Entwicklung gesehen werden. Problematisch ist der im Justizvollzug begründete „begrenzte Lebensraum“ der Inhaftierten, durch den die Auswahl von Gesprächs- und Vertrauenspersonen auf ein Minimum beschränkt ist und charismatische Islamisten dadurch rein verhältnismäßig an Einfluss gewinnen (Goertz 2019, S. 12; KRIMZ 2017, S. 92). Eine mangelnde soziale Einbettung und eine grundsätzlich limitierte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einerseits sowie die persönliche Einschätzung der Sinnlosigkeit des eigenen Daseins bzw. einer mit der eigenen Lebenslage einhergehenden ungelösten Frage nach subjektivem Sinn andererseits verstärken die Anfälligkeit für eine (islamistische) Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten (Dienstbühl 2019, S. 208–209; Goertz 2019, S. 13).

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Sinai beschreibt ein siebenstufiges Modell für Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten und betont, dass die identifizierten sieben Stufen nicht kausal aufeinander aufbauen und nicht linear verlaufen müssen: • Persönliche Vorbedingungen wie Gewalterfahrungen, antisoziale Einstellungen, Persönlichkeitskrisen, mangelndes Selbstwertgefühl, Suche nach Orientierung in Verbindung mit dem Schock der Inhaftierung. • Kontextuelle Ermöglichungsfaktoren wie extremistische Netzwerke und Subkulturen, Ideologien, charismatische Anführer und Zugang zu extremistischen Quellen. • Identifizierung mit einer bestimmten Ideologie, Aufgabe oder Gruppe. • Intensivierung der Ideologie durch persönliche Kontakte. • Die militante Haltung als „Krieger“ für eine bestimmte Sache wird voll und ganz übernommen. • Nach Haftentlassung wird entweder eine Tat geplant und durchgeführt oder zunächst eine Terrorausbildung durchlaufen. • In einer folgenden Wiederinhaftierung wiederholt und verstärkt sich der beschriebene Zyklus (Sinai 2014, S. 45–46). Gemäß Sinai ist eine islamistische, salafistische und/oder jihadistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten „immer multifaktoriell bedingt und kann in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen“. Darüber hinaus verweist Hamm auf ein weiteres Phänomen von Radikalisierung: Wenn Stress und Gewalt in überbelegten oder schlecht geführten Haftanstalten vorkommen, steigt der Wunsch, sich den Autoritäten zu widersetzen, wodurch „identities of resistance“ entstehen können. Dadurch könne der Islamismus, wahrgenommen als „Religion der Unterdrückten“, unter Umständen an Attraktivität gewinnen (Sinai 2014; Goertz 2019, S. 13; Hamm 2012, S. 4–7).

6.1.3.2 Prävention und Deradikalisierung in Justizvollzugsanstalten Aufgrund der obigen Ausführungen stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit und Möglichkeit von Maßnahmen der Prävention und Deradikalisierung im Bereich des Islamismus, des Salafismus und des Jihadismus, um die Gefahr eines Anwerbens von Mitinhaftierten zu verhindern. Weil der Strafvollzug in Deutschland seit der Föderalismusreform im September 2006 in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt, unterliegt auch der Bereich der Extremismusprävention in deutschen Justizvollzugsanstalten den Bundesländern (Goertz 2019, S. 14).

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Deswegen existiert aktuell kein bundeseinheitliches Konzept zum Umgang mit Islamisten im Strafvollzug. Dabei sind die bisher getroffenen Maßnahmen von Prävention und Deradikalisierung sehr heterogen und vielfältig: • Einschätzung von Risiko und Interventionsbedarf • Entdeckung von Radikalisierung • Risikoeinschätzung/Gefahrenprognose • Instrumente zur Risikoeinschätzung – Interventionen – Einzelne Interventionsangebote und Aktivitäten – Bildungsangebot – Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten – Glaubensbasierte Interventionen – Psychologische und kognitive Interventionen – Kreative und kulturelle Aktivitäten – Mentoren (KRIMZ 2017, S. 35–48). In verschiedenen Bundesländern wurden in den letzten Jahren und Monaten Strukturbeobachter in den Justizvollzugsanstalten ausgebildet, die islamistisch, salafistisch und jihadistisch Radikalisierte anhand bestimmter Merkmale ­(„IS“-Flaggen, spezielle Symbole, Kriegsmusik) erkennen und Netzwerke aufdecken sollen. Telefongespräche und Post werden überwacht und die Zellen werden häufiger kontrolliert. Tatsächlich kursierten bereits im Jahr 2014 Aufnahmen mit Gesängen zur Lobpreisung des „Kalifen“ des „Islamischen Staates“ in Justizvollzugsanstalten (Bundeszentrale für politische Bildung 2018). Das erste rechtliche Instrumentarium zur Prävention und Deradikalisierung in den Phänomenbereichen Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus bietet das Aufnahme- und Diagnoseverfahren in den Justizvollzugsanstalten. So können im Zugangsgespräch bei der Erörterung der Lebenssituation Anzeichen einer Radikalisierung erkannt werden. Die nächste Maßnahmenebene kann das Diagnoseverfahren zur Klärung des Maßnahmenbedarfs für einen Gefangenen darstellen. Hierbei muss die Diagnostik regelmäßig neu beurteilt und angepasst werden. Das Konzept zum Umgang mit extremistischen Gefangenen in der JVA im Bundesland Bremen unterscheidet zwischen „Gefährdern“ (Gefangene mit nachgewiesener extremistischer Gesinnung sowie Gewaltbereitschaft), „Sympathisanten“ (Gefangene, die aktiv mit dem gewaltbereiten Extremismus sympathisieren) sowie „Gefährdete“ (Gefangene, die besonders vulnerabel für eine extremistische Radikalisierung sind, zum Beispiel Erstinhaftierte, Neuzugänge, labile Personen) (Piontkowski et al. 2019, S. 578).

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Zu konstatieren ist, dass das Justizvollzugspersonal über mehr als nur Grundkenntnisse zu islamistischer, salafistischer und jihadistischer Radikalisierung und der Wichtigkeit des alltäglichen Hafterlebens für die Verhinderung von Radikalisierung und Maßnahmen der Deradikalisierung verfügen sollte. Daher muss Justizvollzugspersonal, das unmittelbar mit islamistischen Inhaftierten arbeitet, über vertiefte Kenntnisse im Bereich Radikalisierung, Prävention und Deradikalisierung verfügen (Goertz 2019, S. 14; KRIMZ 2017, S. 53). Eine Risikoeinschätzung in Justizvollzugsanstalten sollte bei Islamisten, Salafisten und Jihadisten nicht exklusiv auf aktuell verfügbaren (statistischen) Instrumenten beruhen, sondern muss unbedingt durch genaues, individuelles Wissen über die Person ergänzt werden. Dabei sollten Risikoeinschätzungen in Justizvollzugsanstalten regelmäßig, mindestens halbjährlich oder noch früher, aktualisiert und laufende Sicherheits- und Interventionsmaßnahmen regelmäßig an den aktuellen individuellen Stand angepasst werden (Goertz 2019, S. 14; KRIMZ 2017, S. 53). Der erste Kontakt von Justizvollzugsanstalten mit extremistischen Gefangenen entsteht in der Untersuchungshaft. Während Bremen und Berlin ein Zugangsgespräch verlangen, ist eine Zugangskonferenz in den Untersuchungshaftvollzugsgesetzen nicht ausdrücklich vorgesehen, allerdings auch nicht ausgeschlossen. So sind Zugangskonferenzen normalerweise innerhalb von 48 h nach Inhaftierung durchzuführen und an ihnen sollen je nach Vollzugsorganisation in den Bundesländern die JVA-Leitung, Sicherheitsdienstleister, Vollzugsabteilungsleiter, Fachdienste, Vollzugsleitung, Sicherheitsabteilung, Teilanstalts-/ Bereichsleitung und die zuständige Gruppenleitung teilnehmen (Piontkowski et al. 2019, S. 582). Weniger stringent allerdings ist das Bremer Konzept zum Umgang mit Sympathisanten von Extremismus. So muss bei Anhaltspunkten für extremistisches Gedankengut eine dienstliche Meldung angefertigt werden und eine Abstimmung mit der Abteilungsleitung über den Umgang mit dem Vorfall herbeigeführt werden. Gemäß dem Berliner Konzept ist Rücksprache mit dem Verfassungsschutz bzw. dem Landeskriminalamt zu halten. Parallel zu einer eventuellen Verlegung des Gefangenen in andere Justizvollzugsanstalten und Erstellung einer Sicherheitsverfügung ist die Heraufstufung zum Gefährder beim Feststellen einer islamistischen Gesinnung zu prüfen. Potenzielle Gefährdete einer islamistischen Radikalisierung müssen kontinuierlich beobachtet werden und nach Indikatoren für eine beginnende Radikalisierung beurteilt werden (Piontkowski et al. 2019, S. 582). Religionsausübung in den Justizvollzugsanstalten sollte in angemessener Form gewährleistet werden. Die muslimische Gefängnisseelsorge sollte ausgebaut, nicht aber als direktes Mittel zur Deradikalisierung verstanden werden (Goertz 2019, S. 14; KRIMZ 2017, S. 53).

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Falls Gefährder, Gefährdete oder Symphatisanten aus der Untersuchungshaft in die Strafhaft verlegt werden, muss die Vollzugsabteilungsleitung der abgebenden Abteilung die aufnehmende Abteilung auf die Einstufung und Erkenntnisse einer extremistischen Ideologie beziehungsweise auf Radikalisierungsprozesse aufmerksam machen. Das Violent Extremist Risk Assessment (VERA-2-R) ist ein Instrument zur systematischen Beurteilung des Radikalisierungs- und Gewaltrisikos eines Extremisten, egal ob rechtsextremistisch, linksextremistisch oder islamistisch motiviert. VERA-2-R besteht aus 34 Items, die verschiedenen Skalen zugeordnet sind, so unter anderem a) Überzeugungen, Einstellung, Ideologie, b) sozialer Kontext, c) Motivation und Selbstverpflichtung sowie d) protektive und risikomindernde Indikatoren. Pro Risikofaktor erfolgt eine Gefährdungsbeurteilung (niedrig, moderat, hoch) und auch positive Entwicklungen (zum Beispiel Deradikalisierung) werden erfasst (Piontkowski et al. 2019, S.  582). ­VERA-2-R kann sowohl am Anfang als auch am Ende einer Inhaftierung angewendet werden, um Veränderungsprozesse abzubilden. Das Risikobewertungsinstrument RADAR-iTE (Regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung des Akuten Risikos) wurde vom Bundeskriminalamt gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz entwickelt. Die Risikobewertung wird mithilfe eines Risikobwertungsbogens mit standardisierten Fragen und Antwortkategorien durchgeführt und nach festgelegten Regeln wird die Person einer dreistufigen Risikoskala zugeordnet (hoch, auffällig, moderat). Das in Großbritannien entwickelte Instrument ERG 22 + (Extremist Risk Guidelines) wird seit dem Jahr 2011 eingesetzt und basiert auf Praxiserfahrungen: Dabei werden 22 Risikofaktoren abgefragt und beurteilt, zum Beispiel das Engagement für eine extremistische Gruppe oder extremistische Ziele, Absichten und die Fähigkeiten Straftaten zu begehen. Das oben dargestellte VERA-2-R und ERG22 + haben eine gemeinsame Schnittmenge. Eine weitere Maßnahme einiger Bundesländer – derzeit in Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen und Sachsen – ist pädagogischer Art: Mitarbeiter des Violence Prevention Network (VPN) führen mit Extremisten ein Anti-Gewaltund Kompetenz-Training durch. Speziell für die Arbeit mit religiös motivierten Extremisten wurden muslimische Pädagogen und Islamwissenschaftler eingestellt und zu Anti-Gewalt- und Kompetenz-Trainern fortgebildet. Der Zugang zu den Inhaftierten wird durch die gemeinsame Religionszugehörigkeit deutlich erleichtert und in Gruppen- und Einzelsitzungen werden manipulative Mechanismen für die Häftlinge sichtbar gemacht und die islamistische Ideologie dekonstruiert. Als Antwort auf die Frage „Wie finden wir die richtigen Gefäng-

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nisseelsorger?“ müssen Erfahrungen aus Großbritannien berücksichtigt werden, wo teilweise Salafisten oder Wahhabiten die Aufgabe des Gefängnisseelsorgers übernahmen, sodass Imame und Gefängnisseelsorger mit einem „fragwürdigen“ Islamverständnis das Problem mit islamistisch radikalisierten Häftlingen in Haftanstalten verstärken konnten (Goertz 2019, S. 15). Daher muss die Auswahl der Gefängnisseelsorger mit größter Sorgfalt erfolgen. Eine Analyse von De-/Radikalisierung in deutschen Vollzugsanstalten betont die besondere Rolle von tschetschenischen Häftlingen in Justizvollzugsanstalten. So sei die Wahrscheinlichkeit, dass sich tschetschenische Gefangene in der Haft radikalisieren in solchen Justizvollzugsanstalten größer, in denen weitere Tschetschenen einsitzen. Deshalb sei es sinnvoll, Tschetschenen, die potenzielle Radikalisierende sind, in der Haft zu trennen (Piontkowski et al. 2019, S. 581).

6.1.3.3 Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union über die Radikalisierung in Haftanstalten in Europa Im Juni 2019 hat der Rat der Europäischen Union Schlussfolgerungen zur Prävention und Bekämpfung der Radikalisierung in Haftanstalten und zum Umgang mit terroristischen und gewaltbereiten extremistischen Straftätern nach der Haftentlassung gezogen. Der Rat der Europäischen Union ersuchte die Mitgliedstaaten der EU, mehr dafür zu tun, Sondermaßnahmen für den Umgang mit terroristischen und gewaltbereiten extremistischen Straftätern sowie mit Straftätern, bei denen die Einschätzung getroffen wurde, dass das Risiko einer Radikalisierung während ihrer Haftzeit besteht, zu entwickeln (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2019). Der Rat der Europäischen Union ersucht um die Umsetzung folgender Verfahren: • „Zügiger Austausch von Informationen zwischen den einschlägigen Akteuren und Entwicklung gezielter Strategien • Einrichtung spezialisierter und multidisziplinärer Einheiten, die für die Bekämpfung des gewaltbereiten Extremismus und der Radikalisierung in Haftanstalten zuständig sind • Umfassende Fortbildungsprogramme für Strafvollzugspersonal und Bewährungshelfer • Erforderlichenfalls Umsetzung besonderer Maßnahmen für wegen terroristischer Straftaten verurteilte Einzelpersonen, gestützt auf eine Risikobewertung

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6  Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus …

• Maßnahmen auf Einzelfallbasis, mit denen Häftlinge dazu ermutigt werden, von Aktivitäten des gewaltbereiten Extremismus Abstand zu nehmen, und Unterstützung für religiöse Vertreter bei der Vermittlung eines Gegennarrativs“ (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2019). „Allgemeine und berufliche Bildung und psychologische Betreuung nach der Haftentlassung, und weitere Überwachung radikalisierter Einzelpersonen, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie eine fortdauernde Bedrohung darstellen“ (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2019).

6.1.4 Zwischenfazit Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus gehören zu den sicherheitspolitischen Bedrohungen der inneren und äußeren Sicherheit westlicher, demokratischer Staaten, aktuell und in den nächsten Jahrzehnten. Die Analyse der Radikalisierungsprozesse sowohl von Mitgliedern islamistisch-terroristischer Großorganisationen wie der Al Qaida und des „Islamischen Staates“ als auch von islamistischen Einzeltätern gehört daher zu den wesentlichen Aufgaben der sozialwissenschaftlichen, sicherheitspolitischen Forschung, aktuell und zukünftig. Allerdings hat diese Analyse festgestellt, dass die Forschungsschwerpunkte der deutschen Sozialwissenschaft im Bereich der Radikalisierungsforschung Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus, vorsichtig ausgedrückt, in Randbereichen liegen. Teile der deutschen Radikalisierungsforschung und die herrschende Meinung der internationalen sozialwissenschaftlichen Radikalisierungsforschung konzentrieren sich allerdings auf die drei wesentlichen Radikalisierungsfaktoren im von Bereich Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus: 1) Radikalisierung durch die islamistische und jihadistische Ideologie, 2) Islamistische Radikalisierung durch den sozialen Nahbereich, das Milieu, die Peer Group, 3) Radikalisierung durch islamistische und jihadistische Angebote des Internets. Um individuelle Radikalisierungsprozesse im Bereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus präzise und umfassend zu analysieren und aus den Analysen dann präventive und repressive Maßnahmen – sowohl von Sicherheitsbehörden als auch zivilgesellschaftlich – zu entwickeln, muss die deutsche Radikalisierungsforschung so schnell wie möglich ihre Schwerpunktsetzung ändern. Ein Analysevakuum existiert sowohl bei der internationalen als vor allem bei der deutschen sozialwissenschaftlichen Radikalisierungsforschung auf der Ebene der Radikalisierungswirkung von charismatischen islamistischen,

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salafistischen Predigern – mit und ohne formelle islamisch-theologische Ausbildung. „Wenn mehr islamistische Gefährder in Haft kommen, erhöht sich das Sicherheitsrisiko für die Bediensteten, vom Mitarbeiter auf der Station bis zum Imam“, so erklärt René Müller, Chef des Bundesverbandes der Strafbediensteten (zit. n. Welt 2018). Die islamistischen Terroranschläge in Europa in den letzten Jahren haben gezeigt, dass Justizvollzugsanstalten Brutstätten für islamistische, salafistische und jihadistische Radikalisierungsprozesse sein können. Deswegen muss gerade in Justizvollzugsanstalten verstärkt Präventions- und Deradikalisierungsarbeit stattfinden. Nach Angaben des Bundeskriminalamts befinden sich im Augenblick über 150 islamistische Gefährder in deutschen Justizvollzugsanstalten und die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann wies zudem auf Hunderte noch laufende Ermittlungsverfahren hin. Deswegen rechne sie in den nächsten Jahren „mit einer Welle von Extremisten in unseren Justizvollzugsanstalten“ (Welt 2018). Über die islamistischen Gefährder hinaus kommen noch zahlreiche weitere Inhaftierte hinzu, die als „relevante Personen“ gelten, gemeint sind damit islamistische Sympathisanten oder Unterstützer (Goertz 2019, S. 15). So fordert René Müller, Chef des Bundesverbandes der Strafbediensteten, angesichts der aktuellen und künftigen Islamisten und islamistischen Terroristen in deutschen Justizvollzugsanstalten mehr Schulungen und Fortbildungen für das Personal (Welt 2018). Zusätzlich fordert Müller, dass die Bundesländer sich regelmäßig über Radikalisierungstendenzen und die Entwicklung von Inhaftierten austauschen sollten. Angeführt werden kann folgender Beispielfall: Wenn ein Inhaftierter sich in einer bayerischen Justizvollzugsanstalt radikalisiert, entlassen wird und einige Zeit später in Schleswig–Holstein oder Niedersachsen wieder inhaftiert wird, dann wüssten die dortigen Kollegen nichts von dessen Tendenzen, falls die Person vorher nicht dem Verfassungsschutz aufgefallen ist, so Müller, Chef des Bundesverbandes der Strafbediensteten (Welt 2018; Goertz 2019, S. 15). Kurz: Ein potenzieller islamistischer Gefährder könne im bundesweiten Justizvollzug in Deutschland von verschiedenen beteiligten Justizvollzugsanstalten nicht nahtlos weiter kontrolliert werden. Eine Gegenmaßnahme wäre, dass Inhaftierte bei den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sowie länderübergreifend bei den Justizbehörden in einer Datenbank zu erfassen. Abschließend ist die besondere Problematik von deutschen und anderen europäischen Foreign Fighters, also internationalen Jihadisten zu erwähnen, deren Zahl in den Justizvollzugsanstalten Deutschlands augenblicklich und künftig zunimmt. Nach Angaben von muslimischen Gefängnisseelsorgern gelten „kampferprobte“ Jihadisten, die für jihadistische Organisationen wie den IS oder

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die Al Qaida gekämpft haben, bei vielen muslimischen Inhaftierten als Helden und Vorbilder, denen man gerne zuhört (Bundeszentrale für politische Bildung 2018). Durch diejenigen Jihad-Rückkehrer, die nicht von ihren Erlebnissen traumatisiert und desillusioniert sind, sondern am Islamismus und islamistischen Terrorismus festhalten, kann sich die Gefahr einer islamistischen Radikalisierung schnell multiplizieren. Zusammenfassend muss konstatiert werden, dass islamistische Radikalisierungsprozesse in Justizvollzugsanstalten im Augenblick und in der Zukunft von großer Relevanz für die Sicherheitsbehörden und den Justizvollzug in Deutschland und anderen europäischen Staaten sind und sein werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei sowohl ein bundesländerübergreifender Austausch von Informationen über Radikalisierer und Radikalisierte als auch b­ undesländer- und länderübergreifende Programme und Maßnahmen von Prävention und Deradikalisierung.

6.2 Präventions- und Deradikalisierungsprojekte gegen Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus negieren entscheidende Grundrechte wie beispielsweise die Gleichberechtigung der Geschlechter, Religions- und Meinungsfreiheit, sexuelle Selbstbestimmung sowie Kinderrechte. Daher beziehen sich Prävention und Deradikalisierung in den Bereichen Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus auf ganz unterschiedliche politische Ebenen wie beispielsweise Europa-, Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik sowie auf unterschiedliche politische Felder wie beispielsweise Innen- und Sicherheitspolitik, Außen- und Europapolitik sowie Gesellschafts- und Bildungspolitik (El-Mafaalani et al. 2016, S. 233). So bewegen sich Prävention und Deradikalisierung an der Schnittstelle zwischen Politik, Religion, individuellen und sozialen Problemlagen sowie gesellschaftlichen Diskursen (El-Mafaalani et al. 2016, S. 233). Prävention wendet sich zunächst sehr stark an Jugendliche, die durch jugendtypische Krisen, Diskriminierungs- und Entfremdungserfahrungen, familiäre Konflikte oder persönliche Sinnsuchen am Übergang zum Berufs- und Familienleben für klare weil dualistische Gemeinschaftsvorstellungen und manichäische Weltbilder empfänglich sind (El-Mafaalani et al. 2016, S. 238). In den extremistischen Phänomenbereichen von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus reichen rein repressive Mittel nicht aus, sodass Strategien und Maßnahmen der Sicherheitsbehörden durch präventive Strategien

6.2  Präventions- und Deradikalisierungsprojekte gegen Islamismus …

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und Maßnahmen ergänzt werden. Die Analyse der Quantität und der Qualität des islamistisch-salafistischen Phänomenbereiches in Deutschland führt zum Ergebnis, dass die Detektion und Aufklärung von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus durch Präventionsarbeit verschiedener staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure ergänzt werden müssen (Goertz 2019b, S. 171; Ceylan und Kiefer 2018, S. 2). Die Prävention und/oder die Detektion von islamistischem Terrorismus und damit der Schutz der Bevölkerung erfordern ein enges Zusammenwirken von Polizei, Nachrichtendiensten, Justiz, Zoll, Ausländer-, Einbürgerungs-, Sozialund anderen Behörden, Schulen sowie weiteren Institutionen wie Einrichtungen der Wirtschaft, Verbände und Vereine (Goertz 2019b, S. 171). Nach Ansicht der deutschen Sicherheitsbehörden müssen diese staatlichen nichtstaatlichen Akteure allerdings durch eine interessierte und informierte Zivilgesellschaft unterstützt werden. So bezeichnet das Bundesamt für Verfassungsschutz die „Mithilfe der Bevölkerung“ als einen „essentiellen Baustein einer aufmerksamen und wehrhaften Demokratie“ (BfV 2016, S. 32). Es kann festgestellt werden, dass Bund, Länder und Kommunen in Deutschland seit dem Jahr 2013 beträchtliche Anstrengungen unternommen haben, um eine möglichst effektive Radikalisierungsprävention aufzubauen (Ceylan und Kiefer 2018, S. 2). Ein besonders prominentes Beispiel für Radikalisierungsprävention in Deutschland ist das seit Jahren stark wachsende Bundesprogramm „Demokratie Leben!“, das im Jahr 2015 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ins Leben gerufen wurde und bis mindestens 2020 läuft. Allein dieses Präventionsprogramm wurde mit jährlich über 50 Mio. EUR unterstützt, zwischenzeitlich wurden die Fördermittel gar auf 100 Mio. EUR aufgestockt (Ceylan und Kiefer 2018, S. 3). Ein weiteres einflussreiches und wichtiges Präventionsprogramm ist „Partnerschaften für Demokratie“, das in über 217 Kommunen umgesetzt wird. Daneben kommt der vom Bund verantworteten „Beratungsstelle Radikalisierung“, die beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), verortet ist, eine große Bedeutung zu. Die „Beratungsstelle Radikalisierung“ und ihr Trägernetzwerk – u. a. HAYAT in Berlin und Bonn, Legato in Hamburg sowie beRATEN in Niedersachsen – unterstützen vor allem Angehörige von jugendlichen Radikalisierten (Ceylan und Kiefer 2018, S. 3). Auf der Ebene der Bundesländer müssen die Programme des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, Nordrhein-Westfalen, erwähnt werden, hier das „Wegweiser“-Programm als dezentrales Präventionsprojekt. Das Beispiel des Düsseldorfer „Wegweiser“-Programm veranschaulicht, wie viele Akteure daran beteiligt sind: Die Gemeinde, Jugendämter, Schulen und die Polizei sowie Vertreter von Moscheegemeinden. Auf der Ebene der Verfassungsschutzbehörden ist das „Aussteigerprogramm Islamismus“ des Landesamtes für Verfassungsschutz

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Nordrhein-Westfalen zu erwähnen, das u. a. Hilfe bei beruflichen Qualifikationen, Arbeits- und Wohnungssuche bietet. Eine ganzheitliche Prävention von islamistischer Radikalisierung muss als Grundvoraussetzung die Komplexität und Heterogenität des Phänomenbereiches von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus erkennen und untersuchen. Dabei müssen ganzheitliche präventive Programme und Maßnahmen die Rolle der islamistischen religiös-politischen Ideologie und der islamistischen Milieus bzw. peer groups – der realen und der virtuellen Welt – als entscheidende Faktoren für eine islamistische, salafistische bzw. jihadistische Radikalisierung kategorisieren und analysieren (Goertz und Goertz-Neumann 2017; Goertz 2019b, S. 171). Trotz einiger Fortschritte in den letzten Jahren muss betont werden, dass Deutschland von einer systematischen, wissensbasierten und ganzheitlichen Radikalisierungsprävention noch weit entfernt ist (Ceylan und Kiefer 2018, S. 5).

6.2.1 Hintergründe von Prävention Bei einer idealtypischen Herangehensweise lassen sich Radikalisierungsprozesse in Stufen beziehungsweise Phasen unterteilen, wobei die Überschneidungen hier fließend sind. Daneben müssen extremistische Ideologien und Wertesysteme (inhaltliche bzw. kognitive Dimension) von gewalttätigen Handlungen unterschieden werden (El-Mafaalani et al. 2016. S. 235). Entsprechend ist eine Entwicklung von Demokratiedistanz bis hin zum Extremismus und damit Demokratiefeindlichkeit ein nur schwer präzise zu beschreibender Prozess. Weiter erschweren die bisher wenig erforschten Zusammenhänge und mehrdimensionalen Mechanismen im Zusammenhang von Radikalisierungsprozessen die Konzeption von systematischen Strategien und Programmen (El-Mafaalani et al. 2016, S. 235). Die Bundesregierung erklärt, dass „islamistische und terroristische Gruppen intensiv und zum Teil hochprofessionell um Anhängerinnen und Anhänger werben. Erfolg haben sie vor allem bei jungen, ungefestigten Persönlichkeiten“ (Bundesregierung 2016, S. 13). Daher müssten „demokratiefeindlichen Phänomenen mit allen Mitteln des Rechtsstaates begegnet werden, dazu gehören Vereinsverbote, eine genaue Beobachtung der Extremistenszene durch die Sicherheitsbehörden sowie die Strafverfolgung von straffällig gewordenen Personen“ (Bundesregierung 2016, S. 13; Goertz 2019b, S. 171). Daneben führt die Bundesregierung an, dass zum „Kampf gegen politisch und religiös motivierte und extremistische Gewalt zum einen sicherheitspolitische Aufgaben […], aber auch

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präventive Angebote, die demokratisches Handeln stärken, sowie Maßnahmen, die Radikalisierungsprozesse hemmen“, gehören (Bundesregierung 2016, S. 7). Daher müssten „sicherheitsorientierte, präventive und demokratiefördernde Maßnahmen Hand in Hand gehen, damit der Kampf gegen Extremismus erfolgreich“ sein könne (Bundesregierung 2016, S. 7). In der Konsequenz müssen die Präventionsprogramme im Bereich Islamismus und Salafismus auf kommunaler Ebene, auf Landes- und Bundesebene in einem vernetzten Ansatz der deutschen Behörden „gemeinsam mit der deutschen muslimischen Zivilgesellschaft die zivilgesellschaftlichen Strukturen stärken“ (Bundesregierung 2016, S. 23; Goertz 2019b, S. 171). Definition von Prävention im Bereich von Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus Die Terminologie von Prävention und Deradikalisierung wird seit Jahren entwickelt und es existiert noch kein einheitliches Verständnis der Begriffe sowie deren Inhalte. Ungeachtet der unterschiedlichen Definitionen gehen jedoch alle Modelle von einem prozesshaften Charakter von Radikalisierung und Prävention aus. Radikalisierungsprävention soll wiederum darauf abzielen, Radikalisierungsprozesse im Idealfall komplett zu verhindern bzw. zu hemmen (Ceylan und Kiefer 2018, S. 8). Für die Umkehrung des Radikalisierungsprozesses hat sich in den letzten Jahren der Begriff „Deradikalisierung“ etabliert. Prävention kann wie folgt umrissen werden: „Die Prävention von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus sowie ihrer religiös-politischen Ideologie stellt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, da Maßnahmen und Interventionsmittel entwickelt und angewendet werden müssen, die Radikalisierungsprozessen vorbeugen und entgegenwirken“ (Goertz 2019b, S. 172). „Prävention und ihre Maßnahmen müssen in folgenden Handlungsfeldern aktiv sein:Der Untersuchungsbereich von Radikalisierung kann • Politische Bildung, interkulturelles Lernen und Demokratiearbeit • Beratung, Monitoring und Intervention • Medien und Internet • Zivilgesellschaftliches Engagement • Forschung • Internationale Zusammenarbeit“ (Goertz 2019b, S. 171). Prävention beginnt bereits mit Förderprogrammen gegen (Jugend-) Arbeitslosigkeit und reicht über Projekte zur Förderung von Toleranz und Dialog, zur

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Bekämpfung militanter Ideologien bis hin zu gezielten Interventionen und Maßnahmen von Sicherheitsbehörden (Vidinio 2013, S. 2). Prävention im Bereich Islamismus muss Alternativen zu ­salafistisch-ideologischen Erklärungs- und Indoktrinierungsmustern bieten und Auswege aus Zwang ausübenden sozialen Milieus, peer groups, dem sozialen Nahbereich aufzeigen (Goertz et al. 2017; Goertz 2019b, S. 173). Folgende Handlungsfelder sind innerhalb von Präventions- bzw. Deradikalisierungsprojekten zu nennen:Gemeinden • Gemeinden: Die überwiegende Zahl der Moscheegemeinden in Deutschland hat der Radikalisierungsprävention nach Ansicht von Ceylan und Kiefer nur eine geringe bzw. gar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Den muslimischen Gemeinden kommt im Kontext von Präventions- und Deradikalisierungsprojekten eine äußerst wichtige Rolle zu, denn sie können im Gemeindeumfeld für Vertrauen werben, Zusammenarbeit anbahnen und Projekte selbst gestalten oder unterstützen (Ceylan und Kiefer 2013, S. 168). In den letzten Jahren wurde die Schwierigkeit einer Zusammenarbeit zwischen staatlichen und islamischen Verbänden/Akteuren sichtbar. So wurden im Kontext der „Initiative Sicherheitspartnerschaft – Gemeinsam mit Muslimen für Sicherheit“, die im Jahr 2011 vom Bundesministerium des Innern initiiert wurde, die Vorbehalte islamischer Verbände gegenüber sicherheitspolitischen Überlegungen deutscher Behörden erkennbar (El-Mafaalani et al. 2016, S. 247). • Kinder- und Jugendhilfe: Kinder- und Jugendhilfe kann im Bereich der primären und sekundären Radikalisierungsprävention eine sehr wichtige Rolle übernehmen. Von wachsender Bedeutung ist hierbei eine intervenierende Präventionsarbeit, die unter Einbeziehung des Lebensumfeldes – vor allem der Familie – in laufende Radikalisierungsprozesse eingreifen kann (Ceylan und Kiefer 2013, S. 168). Allerdings verfügen viele pädagogische Fachkräfte in Deutschland, die in Jugendhilfeeinrichtungen oder in der mobile Jugendarbeit tätig sind, in Fragen des religiös-politisch begründeten Extremismus nur über marginale Kenntnisse. Von Schulsozialarbeitern und Mitarbeitenden der Lehrerfortbildung wird auch auf die mögliche Gefahr einer „Auslagerung“ der Präventionsarbeit aus dem Schulunterricht verwiesen. Die inhaltlichen Überschneidungen zwischen den Handlungsfeldern verdeutlichen den Bedarf an institutionsübergreifenden Ansätzen, die Jugendliche und junge Erwachsene in unterschiedlichen Lebensbereichen (Schule, Familie, Vereine, religiöse Gemeinschaften) erreichen (El-Mafaalani et al. 2016, S. 245). Im Rahmen von Jugend- und Sozialarbeit können alternative positive

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Sozialisations- und Freizeitangebote entwickelt werden. Gerade vor dem Hintergrund ­islamistisch-salafistischer Angebote haben Ansätze der Jugendarbeit eine wichtige Funktion. In Bezug auf die Attraktivität salafistischer Ansprachen gegenüber Mädchen und Frauen ergeben sich auch Fragen nach genderspezifischen und mädchenorientierten Ansätzen in der Jugendarbeit (ElMafaalani et al. 2016, S. 246). • Politische Bildung: Einen thematischen Schwerpunkt der Politischen Bildung bildet seit Jahren die Extremismusprävention. Allerdings lag der Schwerpunkt der Landeszentralen und der Bundeszentrale für politische Bildung bis ca. 2013 noch auf dem Gebiet der Rechtsextremismusprävention, sodass Kompetenzen und Strategien im Bereich religiös-politischer Radikalisierung erst noch aufgebaut werden müssen (Ceylan und Kiefer 2013, S. 169). Unter anderem in religiös und kulturell heterogenen Klassen und unabhängig vom Religionsunterricht bietet sich das Gespräch über religiöse Fragen an, um Reflexionsprozesse über religiöse Inhalte und Lehren, Werte und Praktiken anzustoßen und damit manichäischen Orientierungen vorzubeugen ­(El-Mafaalani et  al. 2016, S. 241). Anders als im Religionsunterricht soll es hierbei eben nicht um die Vermittlung religiöser Inhalte, sondern um politische Bildung im weiteren Sinne gehen. Religiöse und soziale Fragen, wie beispielsweise „wie wollen wir leben?“, werden in Workshops vom Verein ufuq.de angeboten und dabei religiöse, ethische und gesellschaftliche Fragen gestellt und gemeinsam beantwortet. Bei diesen Fragen kann es um demokratische Werte gehen und auch um das Problem der Ausgrenzung und Abwertung Anderer, das Ziel ist es, ein Bewusstsein für unterschiedliche religiöse und nicht-religiöse Zugänge zu Wertvorstellungen, Glauben und Identität zu fördern (El-Mafaalani et al. 2016, S. 243). • Schule: Im Zusammenhang der Radikalisierungsprävention ist die Schule mit Abstand das wichtigste Handlungsfeld. Die pädagogischen Zielsetzungen, die alle im Bereich einer primären oder universellen Prävention verortet werden können, stellen Querschnittsaufgaben dar, die alle schulischen Akteure wahrnehmen. Die schulische Bearbeitung von Phänomenen islamistischer Radikalisierung hat allerdings erst nach dem 11.9.2001 eingesetzt und befindet sich sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht immer noch in einem Anfangsstadium (Ceylan und Kiefer 2013, S. 170). Als Lernort, an den Jugendliche für viele Jahre verpflichtend gebunden sind, bietet die Schule den optimalen Rahmen für langfristige Präventionsangebote, ermöglicht aber auch zeitnahe Reaktionen auf aktuelle Kontroversen und eventuelle demokratiefeindliche Einstellungen und Positionen (El-Mafaalani et al. 2016, S. 239). Weiterhin wichtig sind Schulen für die Entwicklung sozialer Fertig-

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keiten und Bindungen, die eine Orientierung in der Gesellschaft ermöglichen. Auch religiöse Bildung stellt im schulischen Zusammenhang die Frage nach der Rolle von Religion – hier des Islams – in präventiven Ansätzen. So wurde auf der politischen Ebene – zum Beispiel in Hessen – die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen oftmals auch mit präventiven Überlegungen begründet (El-Mafaalani et al. 2016, S. 240). Von Praktikern, die an der Entwicklung und Durchführung des islamischen Religionsunterrichts beteiligt waren und sind, wird eine präventive Wirkung des islamischen Religionsunterrichts bestätigt: „Eine wichtige Begleiterscheinung des Islamischen Religionsunterrichts (IRU) an öffentlichen Schulen ist, dass er auf lange Sicht die wichtigste Maßnahme zur Prävention gegen Extremismus darstellt“ (Bauknecht 2014, S. 139). Mittel und Akteure von Präventionsarbeit setzen im Vorfeld bzw. in Frühphasen von islamistischen Radikalisierungsprozessen an und zielen auf eine Förderung von sozialen, kognitiven und handlungsorientierten Kompetenzen ab. In einem Grundlagenpapier der Arbeitsgruppe „Prävention mit Jugendlichen“ der Deutschen Islam-Konferenz heißt es zu den Zielen von präventiven Projekten: „Jugendliche unabhängig von ihrer Religion und Weltanschauung sollen befähigt werden, sich kritisch bzw. reflektierend mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen, eigene Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und selbstbewusst für ein friedliches und respektvolles Miteinander einzutreten. Die geförderten Maßnahmen sollen Jugendliche in ihrer Rolle als gesellschaftspolitische Akteure wahrnehmen sowie ihre Potentiale nutzen und Kompetenzen stärken, sich mit den Phänomenen Muslimfeindlichkeit, Islamismus im Sinne eines religiös begründeten Extremismus unter Muslimen und Antisemitismus auseinanderzusetzen“ (DIK 2013, S. 3).

Präventive Methoden und Mittel müssen unter anderem auf inhaltliche Auseinandersetzungen mit demokratie- und freiheitsfeindlichen Einstellungen ausgerichtet sein. So besteht das inhaltliche Ziel darin, einen reflektierteren Umgang mit Fragen von Religion, Identität und Integration auszubilden. Neben einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Radikalisierung zu und Indoktrinierung für extremistischen religiös-politischen Ideologien müssen auch soziale und kommunikative Kompetenzen und Techniken gefördert werden, wie beispielsweise im Umgang mit religiösen, kulturellen und sozialen Unterschieden, ebenso individuelle Hilfe in persönlichen und familiären Konfliktlagen angeboten werden (Goertz 2019b, S. 173–174). Die Handlungsfelder und Akteure von Prävention im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus sind dabei äußerst hetero-

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gen und umfassen folgende Akteure und Faktoren: Den sozialen Nahraum wie die Familie, die Freunde, die peer group und neben dem religiösen Umfeld muslimischer Gemeinden auch die Schule, Träger von politischer und von religiöser Bildung sowie Jugend- und Sozialarbeit, sowie auch die kommunale Verwaltung, die Polizei und die Verfassungsschutzbehörden (Goertz 2019b, S. 174).

6.2.2 Staatliche Programme und ihre Inhalte Jugendliche spielen im Bereich des politischen Salafismus und des Jihadismus in Deutschland eine immer wichtiger werdende Rolle. Einerseits erfolgt der Einstieg in die islamistische, salafistische Szene in der Regel in der Jugend, wobei das durchschnittliche Zugangsalter – nach Angaben des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz – zwischen 16 und 19 Jahren liegt (Bundesamt für Verfassungsschutz 2015; Goertz 2019b, S. 174). Andererseits zeichnet sich in den letzten Jahren eine generelle Abnahme des Altersdurchschnitts der salafistisch-jihadistischen Akteure ab. Obwohl im jihadistischen Personenspektrum alle Altersgruppen vertreten sind, treten zunehmend jüngere Akteure immer häufiger in Erscheinung und übernehmen wichtige Funktionen. Die Altersgruppe Mitte Zwanzig stellt den größten Anteil des jihadistischen Personenspektrums dar und nur knapp ein Fünftel der Personen ist über 40 Jahre alt. Auffallend ist, dass Personen des sog. homegrown-Spektrums, d. h. radikalisierte Migranten der 2. und 3. Generation, überdurchschnittlich jung und „aktionsorientiert“, sprich: militant sind. Der homegrown-Anteil ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen (Goertz 2019b, S. 174). a) Die Zielgruppe und Methoden islamistisch-salafistischer Radikalisierung Das politisch-salafistische und jihadistisch-salafistische Spektrum schafft es in zahlreichen Fällen, vor allem junge Menschen für ihre religiös-politische Ideologie zu begeistern. Dies gelingt ihnen auch dadurch, dass sich Salafisten und Jihadisten äußerst jugendgerecht präsentieren, indem sich die Aktionsformen jugendlicher Salafisten bzw. Jihadisten durch eine Mischung von „typisch jihadistischen“ und „typisch jugendlichen“ Aktivitäten auszeichnen (Goertz 2019b, S. 175). Einerseits agieren jugendliche Salafisten und Jihadisten gegenüber erwachsenen Salafisten und Jihadisten konform, indem sie z. B. salafistische und jihadistische Publikationen mit extremistischen Inhalten konsumieren, einschlägige Moscheen oder Islamseminare besuchen und bei der Rekrutierung neuer Mitglieder oder der Vorbereitung von Anschlägen mitwirken. Andererseits treten jugendliche Salafisten und Jihadisten durch jugendspezifische Aktivitäten

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hervor, wie z. B. eine intensive Nutzung des Internets, der Hang zum Aktionismus – beispielsweise eine im Altersvergleich überproportional häufige Ausreise in ein sog. „Jihad-Gebiet“ –, aber auch eine Teilnahme an typischen Freizeitaktivitäten außerhalb des religiösen Kontextes (z. B. Sport). Salafistische und jihadistische Angebote des Internets spielen für jugendliche Salafisten und Jihadisten eine zentrale Rolle und verhelfen oft zum Einstieg in die ­islamistisch-salafistische bzw. jihadistische Szene der realen Welt (BfV 2015; Goertz 2019b, S. 175). Bei den islamistisch-salafistischen Radikalisierungsangeboten des Internets entsprechen vor allem die salafistischen und jihadistischen Videos und Anashid dem Konsumverhalten von Jugendlichen. Sie „verpacken“ die jihadistische Ideologie zielgruppengerecht in einer Hülle von animierter Action und motivierender Musik. Der erste Schritt von Jugendlichen in die virtuelle Welt salafistischer und jihadistischer Angebote ist oftmals ein passiver, während sich häufig ein aktiver Gebrauch daran anschließt, indem sie Videos hochladen, Publikationen digital einstellen und damit aktiv Propaganda betreiben, was wiederum zur Rekrutierung und Radikalisierung anderer Jugendlicher dient (Goertz 2019b, S. 175). Daher muss sozialpädagogische Arbeit mit islamistisch, salafistisch orientierten Jugendlichen eine weitere ideologische Verfestigung stoppen und eine Distanzierung von der religiös-politischen Ideologie und ihren Milieus zu befördern (Goertz 2019b, S. 176). Zusätzlich müssen Bundes- und Landesbehörden im Bereich von Distanzierungs- und Ausstiegshilfen Projekte und Maßnahmen fördern, mit denen pädagogische Ansätze im Bereich Islamismus und daraus abgeleiteter Militanz angewendet werden, so zum Beispiel die Erprobung von Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention im Internet, die Erprobung von peer group basierter Distanzierung, die Weiterentwicklung von Angeboten der Arbeit mit Eltern betroffener Personen und von Training und Programmen mit religiös-politisch motivierten jugendlichen Gewalttäterinnen und -tätern (Bundesregierung 2016; Goertz 2019b, S. 175). b) Präventionsprojekte in staatlicher Trägerschaft Nach Angaben des Bundeskriminalamts waren mit Stand vom Sommer 2016 nur ca. 15 % aller Extremismus-Präventionsprojekte in staatlicher Trägerschaft (insgesamt 336), also 15 % sind Projekte zur Islamismusprävention, 5 % zur Linksextremismusprävention und 80 % zur Rechtsextremismusprävention (BKA 2016, S. 4–5). Bei den Extremismuspräventionsprojekten handelt es sich vornehmlich um phänomenspezifische Projekte, eine allmähliche Öffnung für einen phänomenübergreifenden Ansatz ist jedoch erkennbar:

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• „Der Schwerpunkt staatlicher Extremismusprävention liegt im Bereich von universeller bzw. universell-selektiver Prävention. • Dabei stehen bei 59 % die umfeldorientierte Präventionsarbeit, bei 22 % die ideologische Befassung und bei 19 % der Ansatz im Vordergrund, dass auf personeller Ebene Veränderungen erzielt werden sollen. • Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit stellen neben der Förderung allgemein resilienzfördernder Kompetenzen das Hauptbestreben staatlicher Prävention dar (BKA 2016, S. 5). • Hauptzielgruppen sind in erster Linie das Fachpersonal unterschiedlichster Richtungen (allen voran aus dem Erziehungs- und Bildungssektor) sowie politische, behördliche und zivilgesellschaftliche Akteure. • Bei der konkreten Umsetzung wird vornehmlich auf Multiplikatoreneffekte sowie die Stärkung lokaler Akteure gesetzt. • Insgesamt stützen sich die Ansätze sehr stark auf face-to-face-Kommunikation (etwa in Gestalt von Fortbildungsveranstaltungen). Beim Einsatz von Medien dominieren statische Medien (z. B. Flyer, Broschüren, Medienpakete). • Projekte mit dem primären Ziel einer formellen Vernetzung (Vernetzungsprojekte) machen die Hälfte aller staatlichen Projekte aus und spielen vor allem in Ostdeutschland eine bedeutende Rolle. • Zeitlich begrenzte Vorhaben mit gezielter, präventionspraktischer Zielvorgabe (klassische Projekte) befassen sich konkreter mit der Prävention politisch motivierter Kriminalität. Auch sind phänomenübergreifende Ansätze unter diesen tendenziell stärker vertreten (BKA 2016, S. 6). • Typische Merkmale der Islamismusprävention: geringer Grad an Vernetzungsprojekten, aber starkes Bestreben „vorhandenes Wissen zu teilen“ (informelle Vernetzung); niedriger Anteil an personenorientierten Ansätzen; überdurchschnittlich hoher Einsatz von reiner Informationsvermittlung; fast ausschließlich Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit; stärkster kriminalpräventiver Charakter. • Zugang zu Evaluationsergebnissen einzelner Projekte gestaltet sich äußerst schwierig, wodurch ein Voneinander lernen deutlich erschwert ist. • Im Ergebnis der Auswertung der Projekte zur Extremismusprävention in staatlicher Trägerschaft durch das BKA steht eine vornehmlich umfeldorientierte Arbeit mit stark ausgeprägtem, koordinativ-systematisierendem und lokal stärkendem Charakter. Das belegt eine Vielzahl an Vernetzungsprojekten (‚Netzwerke‘), die sich in erster Linie an Fachpersonal unterschiedlichster Bereiche sowie politische, behördliche und zivilgesellschaftliche Akteure wenden“ (BKA 2016, S. 7).

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Der hohe Anteil an Vernetzungsprojekten wird den kommunalen Besonderheiten gerecht, indem kommunalspezifisch und bedarfsgerecht auf zur Verfügung stehende Angebote zurückgegriffen werden kann. Im weiteren Verlauf wird darauf eingegangen, wie sich staatliche und zivil getragene Prävention letztlich zu einem Gesamtbild zusammenfügt, um so die gesamte phänomenbezogene Präventionslandschaft in ihrem ganz offensichtlichen Facettenreichtum auf lokaler Ebene sowie auf Ebene der Länder und des Bundes überblicken zu können. Beim größten Teil der insgesamt 336 realisierten staatlichen Projekte handelt es sich um kommunale (48 %) bzw. landesweite Projekte (41 %). Bundesweit arbeitende Projekte machen mit 11 % den kleinsten Anteil aus (BKA 2016, S. 10). In der Gegenüberstellung von Ost und West zeigt sich, dass etwa zwei Fünftel der erfassten Projekte im Osten (42 %) und drei Fünftel im Westen (58 %) zu verorten sind. „Als Projekte mit • personenfokussiertem Ansatz (PA) gelten Projekte, mit denen in erster Linie charakterliche Eigenschaften oder das Verhalten einer Person beeinflusst werden sollen. Hierbei ist nicht von Belang, ob die Person als extremistisch/ radikalisiert anzusehen ist oder nicht. Unter den personenfokussierten Ansatz fallen z. B.: Toleranzförderung, Gewaltprävention, Medienkompetenz stärken, Aktivierung für Ehrenämter, Prävention von Straftaten, Aussteigerprogramme mit praktischer Lebenshilfe (BKA 2016, S. 14). • umfeldfokussiertem Ansatz (UA) gelten Projekte, deren primäres Ziel die Beeinflussung des sozialen/gesellschaftlichen Umfeldes einer Person ist. Hierunter fallen z. B. Schulen, Betriebe, Sicherheitsbehörden, Familie, Moscheen. Beispiele für das Umfeld fokussierende Projekte: die Beratungshotline ‘Radikalisierung‘ für Angehörige oder Lehrer, Präventionsansätze mit den Hauptzielgruppen Lehrer, Multiplikatoren, Imame sowie dem Ziel der Vernetzung (BKA 2016, S. 14). • ideologiefokussiertem Ansatz (IA) gelten Präventionsprojekte, die in erster Linie auf ideologische Aspekte fokussieren und die politisch-ideologische Positionierung bzw. Einstellung einer Person und/oder gesellschaftlicher Gruppe adressieren, so beispielsweise Programme zur Demokratieförderung, Identifikation mit Deutschland oder einer Heimatregion, zum Erlernen von Argumentationsmustern gegen hate speech, aber auch die Platzierung sog. ‘Counter Narratives‘, Bildung, Sensibilisierung für ein spezifisches Extremismusphänomen oder auch Aussteigerprogramme mit der Bedingung, sich von der jeweiligen extremistischen Ideologie zu lösen“ (BKA 2016, S. 15).

6.2  Präventions- und Deradikalisierungsprojekte gegen Islamismus …

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Als Schwerpunkte in der Zielsetzung staatlicher Prävention kristallisierten sich folgende Bereiche heraus: Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit, Förderung von Demokratie, Toleranz und zivilgesellschaftlicher Teilhabe sowie die Stärkung lokaler Akteure und die Förderung interkultureller Kompetenzen (BKA 2016, S. 16).

6.2.3 Analyse der Projekte zur Islamismusprävention Auch unter den islamismuspräventiven Projekten dominieren phänomenspezifische Projekte, die insgesamt drei Viertel der Projekte ausmachen. Bei den phänomenübergreifenden Projekten tritt die Kombination ­„Rechtsextremismus-/ Islamismusprävention“ am häufigsten auf. Dies scheint aufgrund von Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten beider Ungleichheitsideologien als nachvollziehbar (BKA 2016, S. 28). Der Schwerpunkt in der Islamismusprävention liegt im Bereich der selektiven Prävention. Hierin unterscheiden sich islamismuspräventive Projekte sowohl von der Gesamtstichprobe staatlicher Projekte als auch von den Teilgruppen rechts- und linkspräventiver Projekte. Eine Unterteilung nach Ost-West zeigt einen deutlichen Schwerpunkt islamismuspräventiver Projekte im Westen (82 %). Dies findet eine Entsprechung darin, dass sog. Hotspots islamistischer Radikalisierung vor allem in westdeutschen Städten zu finden sind: Von den bis Juni 2015 in das syrisch-irakische Kampfgebiet aus Deutschland aus islamistischer Motivation ausgereisten Personen stammen über 80 % aus westdeutschen Städten. Ergänzt werden die vornehmlich landesweiten und in vereinzelten Bundesländern arbeitenden Projekte durch bundesweit abrufbare Angebote, sodass insgesamt eine große Flächenabdeckung gegeben ist. Kommunale bzw. regional orientierte Projekte stehen diesen Ansätzen deutlich nach (BKA 2016, S. 28). Eine äußerst interessante Beobachtung ergibt sich bei der soziostrukturellen Einordnung: Während bei den klassischen Projekten der Teilstichproben „Rechts“ und „Links“ ein relativ ausgewogenes Verhältnis festzustellen ist, zeigt sich in der Gruppe islamismusfokussierender Projekte erstmalig ein Verhältnis zu Ungunsten personenorientierter Ansätze. Umfeld- und ideologieorientierte Ansätze nehmen dem gegenüber eine deutlich stärkere Rolle ein (Umfeld: 47 %, Ideologie: 41 %). Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass das gesellschaftliche Umfeld als wichtiger Anknüpfungspunkt für die Prävention von Radikalisierungsprozessen und islamistisch motivierter Kriminalität gesehen wird (BKA 2016, S. 28).

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Auch hinsichtlich der Zielfelder weist Islamismusprävention einige Besonderheiten auf: Insgesamt liegt der Fokus hier fast ausschließlich auf der Aufklärung und Sensibilisierung (73 %), weitere Zielfelder folgen erst mit einigem Abstand (unter 20 %) (BKA 2016, S. 29). Islamismusprävention verfolgt das Ziel, Radikalisierungsprozesse zu verhindern, aufzuhalten oder rückgängig zu machen. Dabei muss Radikalisierung nicht zwingend zu Gewaltbereitschaft führen und verläuft selten mit einem klar definierten Start- und Endpunkt (KAS 2017). Fragen der (sozialen und/ oder ökonomischen) Ausgrenzung, Diskriminierung und vor allem der Identitätsfindung spielen neben der islamistischen Ideologie eine wichtige Rolle in Radikalisierungsprozessen. Zur „Radikalisierung“ gehört der soziale und psychologische Prozess der zunehmenden Hinwendung von Personen oder Gruppen zu einer politisch oder religiös extremistischen, also den demokratischen Prinzipien entgegengesetzten Denk- und Handlungsweise (KAS 2017). Im Kontext extremistischer Radikalisierung wird zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention unterschieden: a) Primäre Prävention Primäre Prävention setzt im Vorfeld bzw. in Frühphasen von islamistischen, salafistischen und jihadistischen Radikalisierungsprozessen an (El-Mafaalani et al. 2016, S. 237). Ihr Ziel ist es, soziale, kognitive und handlungsorientierte Kompetenzen zu fördern und zu stärken. Primäre Präventionsarbeit beinhaltet Maßnahmen wie beispielsweise demokratiefördernde und interkulturelle Projekte/Workshops, die zu einer eigenständigen Urteilsbildung beitragen und über extremistische Ideologien aufklären. Hierbei steht keine bestimmte Zielgruppe im Fokus. Daher ist das Feld von Initiativen im Bereich der Jugendund Kulturarbeit sehr breit. Diese sollen unmittelbar Kompetenzen stärken und fördern wie z. B. die Fähigkeit, Konflikte und komplexe Probleme rational und emotional zu bewältigen (KAS 2017). Die primäre oder auch universelle Radikalisierungsprävention weist dabei keine Zielgruppenspezifik auf (Ceylan und Keifer 2018, S. 9). So versucht sie im günstigsten Fall alle Mitglieder einer Gesamtheit – z. B. alle Kinder oder Jugendlichen – zu erfassen. Darüber hinaus wird hier davon ausgegangen, dass noch keine „Schädigungen“ bzw. messbaren Auffälligkeiten aufgetreten sind. Weil diese Zielsetzung sehr allgemein gehalten ist, ergeben sich viele Überschneidungen mit den Regelaufgaben von Schule und Jugendhilfe (Ceylan und Kiefer 2018, S. 9). In der primären Präventionsarbeit sind in Deutschland zahlreiche Projekte und Maßnahmen angesiedelt. Als sehr erfolgreich wird beispielsweise das Berliner Projekt „Dialog macht Schule“ (DMS) eingeschätzt, das von der Bundeszentrale für politische Bildung

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gemeinsam mit der Robert-Bosch-Stiftung konzipiert wurde (Ceylan und Kiefer 2018, S. 9). Als weiteres sehr erfolgreiches Präventionsprojekt gilt das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, das seit 2017 mehr als 2000 Schulen in ganz Deutschland umfasst. Soziale Einbindung und politische Partizipation gelten ebenso wie die Förderung eines reflektierenden Werte- und Normenverständnisses und eigenverantwortlichen Handelns als wichtige positive Leitideen von primärer Prävention (El-Mafaalani et al. 2016, S. 238). Bei der primären Intervention orientieren sich alle Ziele und Taktiken daran, die Resilienz von Kindern und Jugendlichen zu stärken bzw. Radikalisierungsprozesse bereits in den Anfängen zu verhindern (El-Mafaalani et al. 2016, S. 236). Bei den Maßnahmen und Mitteln der primären Prävention handelt es sich vornehmlich um thematisch offene und nicht um zielgruppenspezifische Angebote, bei denen von den Fachkräften ein relativ geringes Spezialwissen erforderlich ist (El-Mafaalani et al. 2016, S. 236). Die Zielgruppe der primären Intervention (universelle Prophylaxe) ist relativ offen, die Inhalte sind relativ allgemein und die Ziele sind Persönlichkeitsentwicklung, Wissensvermittlung, Kompetenzentwicklung sowie Empowerment. In der angelsächsischen Radikalisierungsforschung wurde schon relativ frühzeitig auf die Rolle von „grievances“, übersetzt als Unzufriedenheit mit und Frustration über gesellschaftliche und politische „Missstände“ als Ausgangspunkt für Radikalisierungsprozesse hingewiesen (Fahim 2013, S. 43–48; ­El-Mafaalani et al. 2016, S. 238–239). Das Ziel einer „gelungenen Integration“ zielt vor allem auf eine Integrationsleistung von Individuen ab, die Anerkennung von „grievances“ wiederum erfordert eine gesamtgesellschaftliche Antwort, beispielsweise eine Veränderung gesellschaftlicher Diskurse und Rahmenbedingungen, die einer Teilhabe von Muslimen und Migranten an der Gesellschaft entgegenstehen (El-Mafaalani et al. 2016, S. 239). Als Konsequenz erfordert Präventionsarbeit, verstanden als Empowerment von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund und/oder muslimischer Religionszugehörigkeit, eine dezidierte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Widersprüchen und Problemfeldern. b) Sekundäre Prävention Sekundäre Prävention, auch selektive Prävention genannt, wendet sich an Personen, die bereits bestimmte Risikofaktoren einer Radikalisierung aufweisen (z. B. gesellschaftliche Entfremdungserscheinungen sowie ein Interesse an Personen und Literatur, die extremistische Einstellungen und Haltungen vertreten). Daneben kann zwischen direkter und indirekter sekundärer Prävention unterschieden werden. Bei direkten Maßnahmen wird mit den Betroffenen

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zusammengearbeitet, die indirekte Prävention wendet sich hingegen an sogenannte Multiplikatoren (Lehrer, Sozialarbeiter, Verwandte und andere), die dann die direkte Prävention durchführen. Der Verein ufuq.de bietet beispielsweise entsprechende Multiplikatorenfortbildungen und Workshops an Schulen an (KAS 2017). Daher ist auch die Angehörigenberatung eine Art der indirekten Sekundärprävention. Unterstützung können Angehörige zum Beispiel über die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erhalten, die Hilfesuchende an entsprechende Experten weitervermittelt (KAS 2017). Anders als bei der primären Prävention weisen Programme und Maßnahmen der sekundären Prävention eine eindeutige Zielgruppenspezifik auf, die sowohl sozialräumlich, als auch über individuelle Faktoren gegeben sein kann. Von einer sozialräumlichen Problemlage wird beispielsweise bei Stadtteilen wie Dinslaken-Lohberg und Molenbeek, Brüssel, ausgegangen. In beiden Stadt­ vierteln konnten Radikalisierungsprozesse beobachtet werden, die entweder ganze Gruppen oder ein bestimmtes soziales Netzwerk betrafen (Ceylan und Kiefer 2018, 10). Von einer individuellen Radikalisierungsgefahr ist dann auszugehen, wenn Jugendliche mehrere indizierte Faktoren (Diskriminierung, prekäre Lebenslage etc.) aufweisen und mit geäußerten Meinungen beispielsweise Verständnis für salafistische Standpunkte ausdrücken. Die Zielgruppe der sekundären Prävention (spezifische Prophylaxe) ist eine Risikogruppe, die Inhalte sind spezifischer und selektiver als bei der primären Prävention und die Ziele der sekundären Prävention sind eine Identifikation von Auffälligkeiten bzw. Anfälligkeiten und präventive Intervention (El-Mafaalani et al. 2016, S. 236). c) Tertiäre Prävention Bei der tertiären Prävention (Distanzierung und Deradikalisierung) geht es nicht mehr um Prävention im engeren Sinne, sondern vornehmlich um die Vermeidung einer weiteren Eskalation – vor allem von Gewaltanwendung – in einem (weit) fortgeschrittenen Radikalisierungsprozess (El-Mafaalani et  al. 2016, S. 236). Die tertiäre oder auch indizierte Prävention beinhaltet Maßnahmen, die sich an bereits radikalisierte Einzelpersonen richten. Deswegen wird hierbei häufig von Deradikalisierungsmaßnahmen gesprochen. Dazu gehören direkte Ansprachen und Maßnahmen, die den Ausstieg aus der entsprechenden Szene unterstützen sollen, wie die Hilfe bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, dem Umgang mit Behörden, der Vermittlung von Ausbildungsmöglichkeiten und bei Bedarf die Unterstützung bei einem Wohnortwechsel (KAS 2017). Tertiäre Prävention zielt überwiegend auf Gewaltunterbrechung und Deradikalisierung ab. Klassische Beispiele hierfür sind die Arbeit mit Häftlingen oder der gewalt-

6.2  Präventions- und Deradikalisierungsprojekte gegen Islamismus …

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bereiten salafistisch-jihadistischen Szene (Ceylan und Kiefer 2018, S. 10). Das entscheidende Ziel hierbei ist die Vermeidung neuer Straftaten und im besten Fall eine Resozialisierung. Aktuell und in der Zukunft von entscheidender Bedeutung für die tertiäre Prävention ist der Umgang mit deutschen/europäischen Jihad-Rückkehrern, die zu einem großen Teil als Gefährder oder relevante Personen eingestuft und von den Sicherheitsbehörden behandelt werden. Die Zielgruppe der tertiären Prävention (Eskalations-/Rückfallprophylaxe) besteht aus Extremisten, die Inhalte sind spezifisch/individuell und die Ziele bestehen aus einer Distanzierung, d.  h.”Schadensbegrenzung”, Intervention zur Vermeidung von Gewalt, Deradikalisierung im engeren Sinne, Exit-Programmen und Rehabilitations-/Resozialisierungsprogrammen (El-Mafaalani et al. 2016, S. 237). d) Ausgewählte Präventionsprogramme „Eltern, Angehörige, Freundinnen und Lehrer sind oft die ersten, denen eine Radikalisierung eines jungen Menschen auffällt. Gleichzeitig sind sie auch die letzten, zu denen dieser trotz zunehmender Isolierung Kontakt hält. Die Mitarbeiter der ‚Beratungsstelle Radikalisierung‘ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind erste Anlaufstelle und bieten konkrete Hilfe: • Sie geben Antworten auf häufige Fragen und klären im Rahmen eines ersten Überblicks über die Problematik auf. • Sie finden für Sie Hilfsangebote in Ihrer Nähe. • Sie vermitteln im Einzelfall persönliche Beratung und Betreuung durch eine geeignete Stelle. • Sie stellen den direkten Kontakt zu Spezialisten in allen Bereichen her. • Sie vermitteln den Kontakt zu anderen Betroffenen in ähnlicher Situation und/ oder Selbsthilfe-Initiativen. Wir hören zu, beantworten Ihre Fragen und entscheiden mit Ihnen gemeinsam über die nächsten Schritte. Auf Wunsch vermitteln wir einen Ansprechpartner vor Ort, der Sie individuell berät und mit praktischen Tipps zum Umgang mit Ihrem Kind, ihrer Freundin oder Ihrem Schüler begleitet“ (BAMF 2017). Die (telefonische) „Beratungsstelle Radikalisierung“ des BAMF ist eine sog. erste Anlaufstelle für Angehörige, Freunde und Bekannte von sich radikalisierenden Personen (BAMF 2017). Seit der Einrichtung der Hotline Anfang 2012 haben die Mitarbeiter der Beratungsstelle Radikalisierung mehr als 3400 Telefonate geführt, wobei die Zahl der Anfragen ab 2013 stark zugenommen hat. Das gesamte Beratungsnetzwerk hat 2016 knapp 740 Beratungsfälle betreut. Dies zeigt einen hohen Bedarf im Arbeitsfeld. Circa 30 % der Fallkonstellationen wurden aus Sicherheitsgründen an die zuständigen Sicher-

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heitsbehörden weitergeleitet. Im Jahr 2016 hat die Beratungsstelle im BAMF allein über 1040 Anrufe entgegengenommen. Nach den islamistisch-jihadistischen Anschlägen in Ansbach und Würzburg hat sich die Zahl der Meldungen bei der Beratungsstelle Radikalisierung nochmals drastisch erhöht, so gehen aktuell derzeit pro Monat ca. 120 bis 150 Anrufe ein (BAMF 2017). In der Beratungsstelle Radikalisierung des BAMF arbeiten aktuell sechs Personen, die an der Hotline die Fälle aufnehmen und an die Beratungsangebote verschiedener NGOs weitervermitteln. Bundesweit sind allerdings nur 50 Personen – Sozialpädagogen, Politikwissenschaftler, Islamwissenschaftler und Psychologen – beratend vor Ort tätig. Die Bundeszentrale für politische Bildung nennt aktuell folgende über 80 Anlaufstellen für Prävention in Deutschland: • „180°-Wende • Aktion Neustart – Aussteigerprogramm Islamismus • AKTIV! – Aktiv für Demokratie und Toleranz in der Migrationsgesellschaft • AL-MANARA – Beratung und Begleitung für Geflüchtete • Alternativen aufzeigen! Videos zu Islam, Islamfeindlichkeit, Demokratie und Islamismus • Al Wasat – Die Mitte • Aussteigerprogramm Islamismus des Landes Nordrhein-Westfalen • Bayerisches Netzwerk für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus • beRATen e.  V. – Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistischer Radikalisierung • Beratungsnetzwerk Grenzgänger • Beratungsnetzwerk kitab (VAJA e. V.) • Beratungsstelle Baden-Württemberg • Beratungsstelle BAHIRA – Empowerment muslimischer Communities zur Prävention von religiös begründetem Extremismus • Beratungsstelle Bayern • Beratungsstelle Gewaltprävention Hamburg • Beratungsstelle Hessen – Religiöse Toleranz statt Extremismus • Beratungsstelle KOMPASS – Toleranz statt Extremismus • Beratungsstelle Menschenrechts- und Demokratiefeindlichkeit (MDf) am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg • Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge • Beratungsstelle Sachsen • Beratungsstelle Salafismus Wiesbaden

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• Beratungsstelle Salam gegen islamistische Radikalisierung in Rheinland-Pfalz • Beratungsstelle Thüringen • Bundeszentrale für politische Bildung/bpb • Demokratiezentrum Baden-Württemberg (DZBW) Fachstelle PREvent!on • Den Extremismus entzaubern! • Denkzeit-Gesellschaft • Diagnostisch-Therapeutisches Netzwerk Extremismus (DNE) c/o ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH • Dialog macht Schule • Die Freiheit, die ich meine (Gesicht Zeigen! e. V.) • Düsseldorfer Wegweiser e. V. • Emel – Onlineberatung zu religiös begründetem Extremismus • Evangelische Landjugendakademie in Altenkirchen • Extrem Demokratisch – Muslimische Jugendarbeit stärken (RAA Berlin) • Extremismus – nicht mit UNS • Fachstelle Bidaya – Prävention von religiös begründetem Extremismus • Fachstelle Liberi – Aufwachsen in salafistisch geprägten Familien • FEX Fachstelle Extremismusdistanzierung • Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) • Frauen stärken Demokratie (UTAMARA e. V.) • HAFEZ • HAYAT-Deutschland Beratungsstelle Deradikalisierung • HEROES®parents • Hessisches Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE) im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) • INSIDE OUT • Interdisziplinäres Wissenschaftliches Kompetenznetzwerk Deradikalisierung • Interkulturelle Übergangsräume – Erweiterung von Kommunikationsmöglichkeiten in konfliktträchtigen Gruppen (Institut für Kulturanalyse e. V.) • jugendschutz.net • jumi – Initiative für Jugend und Migration • Junge Islam Konferenz • Kick-off • KIgA e. V. – Politische Bildung für die Migrationsgesellschaft • Kompetenzzentrum für Deradikalisierung im Bayerischen Landeskriminalamt • konex – Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg • Koordinierungsstelle Prävention gegen religiös begründete Radikalisierung (DivAN) • Koordinierungsstelle Prävention und Lotsenberatung der SCHURA e. V.

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• Koordinierungsstelle und Lotsenberatung der Alevitischen Gemeinde Hamburg e. V. • KORA – Koordinierungs- und Beratungsstelle Radikalisierungsprävention • Landespräventionsrat Niedersachsen – Niedersächsisches ­Landes-Demokratiezentrum • Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg • Legato – Systemische Ausstiegsberatung – Fachstelle für religiös begründete Radikalisierung • LEITPLANKE Salutogenetische Prävention religiöser Radikalisierung • Lichtjugend e. V. • MAXIMA – Informations- und Aufklärungsveranstaltungen zu religiös begründetem Extremismus für Mädchen und junge Frauen in Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in Berlin • Peer-Projekt (Fachrat Islamische Studien e. V.) • Plan P. – Jugend stark machen gegen salafistische Radikalisierung • Pro Islam – Gegen Radikalisierung und Extremismus – Al Etidal • PRO Prävention – Projekt gegen (religiös begründeten) Extremismus • PROvention – Präventions- und Beratungsstelle gegen religiös begründeten Extremismus • Quwwa – Stärke statt Sprachlosigkeit • ReThink und ReStart (MIND prevention) • Sabil – Onlineberatung zur Ausstiegsbegleitung • Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage • Sekten-Info-NRW e. V. • "#Selam – gemeinsam stark im Pott" – ein Coachingprojekt gegen Radikalisierung • SelbstSicherSein – Wer bin ich und wie will ich sein? • streetwork@online • Teach2Reach – Aufklärungsworkshops an Schulen zu religiös begründetem Extremismus • Think Social Now 2.0 – Verantwortung übernehmen im Internet • turuq • Ufuq.de • ufuq.de – Fachstelle zur Prävention religiös begründeter Radikalisierung in Bayern • VIBIS e. V. Verein für islamische Bildung, Integration und Seelsorge • Vom IHR zum WIR – Zugehörigkeit, berufliche Perspektiven und demokratische Teilhabe • Wegweiser Aachen

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• Wegweiser Bochum • Wegweiser Bonn • Wegweiser Dortmund • Wegweiser Duisburg • Wegweiser im Bergischen Land • Wegweiser in Bielefeld und Herford • Wegweiser in Dinslaken und im Kreis Wesel • Wegweiser Köln • Wegweiser Mönchengladbach • Wegweiser Münster • WERTE-WERKSTATT • X-Dream (Jugendinitiative Spiegelbild) • Yallah! Fach- und Vernetzungsstelle Salafismus im Saarland“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2020)

6.2.4 Mittel und Akteure von Prävention im islamistischen Phänomenbereich: Zwischenfazit und Probleme Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder waren bis ca. 2018 vornehmlich in der primären und sekundären Prävention aktiv. So gibt es in beinahe allen Bundesländern Fortbildungsveranstaltungen im Bereich Islamismus für Mitarbeiter der Polizei, des Justizvollzugs, der Bundeswehr und kommunaler Behörden, aber auch für Lehrer und Sozialpädagogen. Darüber hinaus bringen sie ihre Expertise auch in die länderbezogenen Präventionsnetzwerke ein, wie sie z. B. in Hamburg oder Hessen existieren, wo sie allerdings ein Akteur unter vielen sind. Maßnahmen, welche die Ressorts für Soziales, Bildung oder Justiz betreffen, sind in erster Linie durch die dortige Zuständigkeit zu klären (KAS 2017). Ein Beamter des Verfassungsschutzes kann beispielsweise Justizvollzugsbeamte über Salafismus, verfassungsfeindliche Symbole und mögliche Anzeichen einer Radikalisierung aufklären, doch die alltägliche Arbeit mit Extremisten obliegt dann den Justizvollzugsbeamten. Auch muslimische Gefängnisseelsorge kann nur durch entsprechend pädagogisch geschultes Personal, etwa Imame, geleistet werden (KAS 2017). Ähnlich ist dies im Bereich der Schulen, wo Schulleitungen und Lehrpersonal Hintergrundinformationen über Formen des Extremismus und Radikalisierungsprozesse auch durch die deutschen Sicherheitsbehörden erhalten können (KAS 2017). Bei der Aufgabe, den Lehrerinnen und Lehrern pädagogische

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Handlungsanweisungen an die Hand zu geben, sind Akteure gefragt, die über die nötige Qualifikation und Expertise verfügen. Noch sensibler ist die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern bzw. Jugendlichen direkt. Denn hier besteht die große Gefahr, eine bestimmte Zielgruppe zu kriminalisieren und dadurch genau das Gegenteil von dem, was zunächst intendiert war, zu erreichen, nämlich die Aufklärung über die Gefahren von islamistischen Radikalisierungsprozessen (KAS 2017). Eine gelungene Präventionsarbeit an Schulen in den Bereichen Islamismus und islamistischer Terrorismus setzt interkulturell kompetente und für religiöse und migrationsspezifische Besonderheiten sensible Personen voraus, die zudem mit entsprechenden muslimischen Akteuren vor Ort vernetzt sind (KAS 2017). Ähnliche Voraussetzungen gelten für Beratungsangebote, die möglichst niedrigschwellig angelegt sein sollten und deren Berater als unabhängige Vertrauenspersonen anerkannt werden müssen. Die Vernetzung im Bereich der Prävention und Deradikalisierung kann und sollte auch die Sicherheitsbehörden umfassen. Hierbei bedarf es eines durch die Politik klar definierten gesetzlichen Rahmens, wann welche sicherheitsrelevanten Informationen übermittelt werden. Eine klare Aufgabenteilung, die eine sinnvolle Schnittmenge enthält, in der Kooperation stattfinden kann, verspricht den meisten Erfolg (KAS 2017). Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt in seinem Abschlussbericht des Bundesprogramms „Initiative Demokratie stärken“ fest, dass „ein Teil der muslimischen Communities hinsichtlich Präventionsaktivitäten gegen islamistischen Extremismus eine grundlegende Skepsis formuliert“ (BMFSFJ 2014, S. 13). So führt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend weiter aus, dass sich daraus „für viele Projekte die Herausforderung ergab, sich Zugang zu muslimischen Gemeinden und Akteuren zu erschließen“ (BMFSFJ 2014, S. 13–14). Die „Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung“ räumt ein, dass „die Zusammenarbeit und der Austausch mit den Bundesländern, insbesondere hinsichtlich Handlungsnotwendigkeiten und Beispielen guter Praxis der Islamismusprävention, gestärkt […] und der Austausch von Trägern und Bundesländern im Netzwerk der Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) intensiviert und ausgebaut“ werden müsse (Bundesregierung 2016, S. 21). Abschließend konstatierte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schon im Jahr 2014 in seinem Abschlussbericht des Bundesprogramms „Initiative Demokratie stärken“, dass „bezüglich des Phänomens islamistischer Extremismus und seiner Ursachenzusammenhänge nur unzureichende sozialwissenschaftlich-empirische Erkenntnisse vorliegen und ein Wissens- und Empirie-

6.3 Fazit

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defizit zu Radikalisierungsprozessen bei muslimisch geprägten Jugendlichen zu verzeichnen ist“ (BMFSFJ 2014, S. 13; Goertz 2019b, S. 179). Ceylan und Kiefer kritisieren aktuell eine fehlende Einbettung der meisten deutschen Präventionsprogramme in eine ganzheitliche Strategie und raten zu folgenden Bestandteilen: • „Ein präzise formulierter Präventionsbegriff • klar benannte Ziele • ein aufeinander abgestimmtes Bündel an Maßnahmen in der Trias der Prävention, das lokale Erfordernisse in einem hohen Maße berücksichtigt • eine Steuerung • ein durchgehendes Monitoring • eine wissenschaftliche Begleitung • eine langfristige Ausstattung mit ausreichenden Ressourcen“ (Ceylan und Kiefer 2018, S. 11). Weitere Mängel bestehen im Bereich einer (unzureichenden) Qualifikation vieler augenblicklich aktiver Präventionsakteure in Deutschland. So sollen zahlreiche Präventionsakteure in Moscheegemeinden, Vereinen, Jugendhilfeträgern und Schulen zwar motiviert, aber oftmals nur gering bis gar nicht professionell geschult sein (Ceylan und Kiefer 2018, S. 12). Zu ergänzen ist, dass einige Akteure in der Präventionsarbeit in Deutschland nicht firm im Umgang mit den relevanten rechtlichen Grundlagen sind, beispielsweise beim Jugendschutz, der im SGB VIII geregelt ist, sodass dann häufiger und früher das Jugendamt eingeschaltet werden muss. Beispielsweise ist bei einer Kindeswohlgefährdung der Eingriff des Jugendamtes zwingend geboten (Ceylan und Kiefer 2018, S. 12). Abschließend ist das Thema Kooperation zu bemängeln, vor allem im Bereich der tertiären Prävention die Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden und Präventionsakteuren im kommunalen Raum. So wird kritisiert, dass der polizeiliche Staatsschutz immer wieder wichtige Informationen nicht mit den vor Ort tätigen Präventionsakteuren geteilt habe (Ceylan und Kiefer 2018, S. 13).

6.3 Fazit Dieses auf zwei Ebenen – erstens Radikalisierung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus sowie zweitens Präventionsprojekte gegen Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus – analysierende Kapitel begann mit neuen Analysefragen zur Radikalisierungsanalyse im Bereich Islamismus,

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Salafismus und islamistischer Terrorismus. Daran anschließend wurden zwei Hypothesen islamistischer Radikalisierung – psychische Krankheiten als Radikalisierungsfaktor sowie sozio-ökonomische Faktoren als Radikalisierungsgründe – ausführlich als falsch analysiert. Als entscheidende und für die meisten Radikalisierungsprozesse relevante Faktoren wurden 1) Radikalisierung durch die islamistische, salafistische und jihadistische Ideologie, 2) islamistische Radikalisierung durch den sozialen Nahbereich, das Milieu, die Peer Group und 3) Radikalisierung durch islamistische, salafistische und jihadistische Angebote des Internets analysiert. Das Unterkapitel „Islamistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten“ untersuchte den aktuellen Analysestand von Prävention und Deradikalisierung in deutschen Justizvollzugsanstalten, weil die islamistischen Terroranschläge der letzten Jahre gezeigt haben, dass die Justizvollzugsanstalten Brutstätten für islamistische Radikalisierungsprozesse sein können. Deswegen muss gerade in Justizvollzugsanstalten verstärkt Präventions- und Deradikalisierungsarbeit stattfinden. Dringend notwendig ist dabei sowohl ein bundesländerübergreifender Austausch von Informationen über islamistische Radikalisierer und Radikalisierte als auch bundesländer- und länderübergreifende Programme und Maßnahmen von Prävention und Deradikalisierung in Justizvollzugsanstalten. Im Unterkapitel „Präventionsprojekte gegen Islamismus und islamistischen Terrorismus“ wurde Prävention als wichtiges Mittel für Terrorismusabwehr bezeichnet und untersucht, weil im Phänomenbereich von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus rein repressive Mittel nicht ausreichen, sodass Strategien und Maßnahmen der Sicherheitsbehörden durch präventive Strategien und Maßnahmen ergänzt werden. So führt sowohl die Analyse der Quantität als auch der Qualität des islamistisch-salafistischen Phänomenbereiches in Deutschland zum Ergebnis, dass Detektion und Aufklärung von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus durch Präventionsarbeit verschiedener staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure ergänzt werden müssen. Der zweite Teil des Kapitels sechs analysierte Präventions- und Deradikalisierungsprojekte gegen Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus. Dabei ging dieses Kapitel auf die Hintergründe von Prävention sowie staatliche Programme und ihre Inhalte ein und beleuchtete ausgewählte Projekte zur Prävention von Islamismus, Salafismus und Jihadismus.

Literatur Abou Taam, M. (2014). Radikalisierungsmechanismen am Beispiel des Salafismus in Deutschland. In R. Ceylan & B. Jokisch (Hrsg.), Salafismus in Deutschland. Entstehung, Radikalisierung und Prävention (S. 239–254). Peter Lang Edition: Frankfurt a. M.

Literatur

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7

Fazit

Das erste empirische Kapitel, Kapitel zwei, die Analyse der aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa, legte als lessons learned-Analyse einen Schwerpunkt auf die Untersuchung möglicher Anschlagsziele, Modi Operandi, sowie terroristische Wirkmittel. Dabei wurde einführend festgestellt, dass durch die seit 2004 in Europa verübten islamistischen Anschläge 790 Menschen starben und über 3740 Menschen verletzt wurden. Seit dem islamistischen Anschlag in Madrid am 11.3.2004 wurden viele Dutzend Anschläge in Europa verübt und so gehen vom islamistischen Terrorismus aktuell und zukünftig zwei wesentliche Bedrohungsszenarien für die westliche Welt aus: Einerseits Großanschläge und multiple taktische Szenarien von Hit-Teams internationaler jihadistischer Organisationen wie dem „Islamischen Staat“ und der Al Qaida, andererseits low level-Anschläge durch jihadistische Einzeltäter. Als mögliche Anschlagsziele wurden u. a. folgende identifiziert: Flughäfen und Bahnhöfe, öffentliche Verkehrsmittel im Allgemeinen, Schiffe, Fähren und Tanker, große Menschenmengen im Rahmen von Fußballspielen, Konzerten, Weihnachtsmärkten, Großereignissen (events), öffentliche Einrichtungen von symbolischem Charakter (Kirchen, Synagogen, Tempel, Kindergärten, Schulen, Universitäten), kritische Infrastrukturen mit hoher Bedeutung für die Zivilbevölkerung (Krankenhäuser, Stromversorgung, Wasser etc.) sowie Politik, Ministerien und Behörden. Mögliche Modi Operandi sind Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Simultananschläge, zeitlich versetzte Anschläge (Doppel, Tripel, etc.), Anschläge mit einem Fahrzeug, mehreren Fahrzeugen, Sprengfallen und Geiselnahmen als ein Teil des terroristischen Szenarios.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Goertz, Terrorismusabwehr, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30672-4_7

249

250

7 Fazit

Als mögliche Wirkmittel und Methoden wurden identifiziert: Sprengstoff (USBV in Koffern, Rucksäcken etc.), Sprengstoffwesten/ -gürtel, Selbstlaborate (Aluminiumpulver, Kaliumpermanganat etc.), USBV mit Nägeln, Schrauben, Muttern, Splittern versetzt, um einen möglichst hohen und drastischen Personenschaden zu erzielen, Gasflaschen, vollautomatische und halbautomatische Schusswaffen, Gewehre, Pistolen, Handgranaten, Hieb- und Stichwaffen, Äxte, Schwerter, Messer, Fahrzeuge, gehärtete („gepanzerte“) Fahrzeuge, Steine, schwere Gegenstände (von Brücken, aus Gebäuden geworfen etc.), biologische und chemische Waffen, Gift (z. B. Rattengift in nicht abgepackte Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Fleisch mischen), Giftstoffe in geschlossene Räume durch Lüftungen und Klimaanlagen einbringen sowie Reizgas. Danach wurden zwei Strategien und Szenarien erläutert, zum einen Großanschläge und multiple taktische Szenarien von internationalen islamistisch-terroristischen Organisationen und zum anderen jihadistische Einzeltäter und Zellen als Akteure des low level-Terrorismus. Im Anschluss wurden zunächst ausgewählte, seit 2004 von jihadistischen ­Hit-Teams in Europa verübte Anschläge untersucht und danach low levelAnschläge von jihadistischen Einzeltätern beleuchtet. Der Abschn. 2.4 untersuchte über 40 von Sicherheitsbehörden vereitelte islamistisch-terroristische Anschlagsvorhaben in Europa. Die hierbei untersuchten Wirkmittel waren u. a. Messer, Schusswaffen, Fahrzeuge, Sprengstoff und sogar Rizin als biologischer Kampfstoff. Der Abschn. 2.5 analysierte das von Jihad-Rückkehrern (internationale foreign fighters) ausgehende Bedrohungspotenzial, aktuell und zukünftig. Von diesen Jihad-Rückkehrern geht ein besonders hohes Risiko für die Innere Sicherheit Deutschlands und Europas aus, da sie neben taktisch-terroristischer Ausbildung und „Kampfpraxis“ über weitere Qualifikationen verfügt, die dem Anforderungsprofil islamistisch-terroristischer Organisationen – wie dem IS oder der Al Qaida – für potenzielle terroristische Operateure in westlichen Staaten entsprechen: Z.B. ein „westliches“ Auftreten und Verhalten, der Besitz westlicher Reise- und Identitätsdokumente und soziale Vernetzung in salafistischen Milieus in Deutschland und Europa. Kapitel drei untersuchte ausgewählte besondere Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus sowie institutionelle Antworten auf diese und begann mit dem Abschn. 3.1, islamistische „Gefährder“. Hier wurde ausgeführt, dass die deutschen Verfassungsschutzbehörden im Hellfeld die bisher größte Zahl an Salafisten und Islamisten in Deutschland festgestellt haben und mit Stand des Winters 2019 von über 11.300 Salafisten und über 26.560 Islamisten in Deutschland ausgehen. Verbunden mit dieser historisch hohen Zahl an Islamisten und

7 Fazit

251

Salafisten ist die Zahl von aktuell 702 islamistischen Gefährdern, alleine in Deutschland. Zusätzlich stieg die Zahl der „relevanten Personen“, also der potenziellen Unterstützer von islamistischen Terroristen, im Jahr 2019 um 42 Personen auf 512 (Welt 2019). Seit dem islamistischen Anschlag des Flüchtlings und Gefährders Anis Amri auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19.12.2016 stellt sich für Sicherheitsbehörden und die Politik die entscheidende Frage, wie die von ausländischen Gefährdern ausgehenden Risiken für die öffentliche Sicherheit eingedämmt werden können. Nach dem Terroranschlag des Gefährders Anis Amri auf einen Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche im Dezember 2016 haben Justiz, das Bundesministerium des Innern und auch verschiedene Bundesländer eine Intensivierung ihrer Maßnahmen beschlossen. Unter anderem wurden Abschiebungen für Gefährder weiter vereinfacht und Gefährdern kann das Tragen einer elektronischen Fußfessel angeordnet werden. Dazu wurde die polizeiliche Definition der Begriffe „Gefährder“ und „Relevante Person“ dargestellt. Der Abschn. 3.2, Massenanfall von Verletzten durch islamistischen Terrorismus und der institutionelle Stand der Vorbereitungen, untersuchte die medizinisch-taktische Seite von jihadistischen Anschlägen, ihre Besonderheiten sowie notwendigen institutionellen Adaptionsbedarf. So unterscheiden sich die Verletzungsmuster bei einem TerrorMANV massiv von einem „gewöhnlichen“ Massenanfall von Verletzten. In diesem Unterkapitel wurden die Verletzungsmuster aufgeführt, die bei terroristischen Anschlägen entstehen und die für die Rettungskräfte und die Traumatologie in Deutschland eine nicht (mehr) bekannte Verletzungsentität darstellen. Dies hängt damit zusammen, dass bei terroristischen Anschlägen sowohl Kriegswaffen als auch Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) – nicht nur mit ­militärisch-industriellem Sprengstoff, sondern auch mit Selbstlaboraten – benutzt werden. Dadurch werden die zivilen Rettungskräfte, Rettungsassistenten und Ärzte mit „Kriegsverletzungen“ konfrontiert, u. a. Schussverletzungen bis hin zu komplexen Explosionsverletzungen (blast injuries). Die Kenntnisse zur Behandlung dieser Verletzungen – von der Erstversorgung am Ort des Terroranschlages bis hin zur Versorgung im OP und darüber hinaus – sind in der zivilen Medizin der Bundesrepublik nur (noch) sehr rudimentär ausgeprägt. Das Kapitel vier, technische Mittel zur Terrorismusabwehr, hat zwei technische Mittel zur Terrorismusabwehr untersucht, 1) eine flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raumes und 2) Betonpoller, Sandsäcke, Stahlseile, Wassertanks und Metallstelen als technische Abwehrmittel gegen terroristische Anschlägen mit LKW und PKW. Im Abschn. 4.1 wurde die Frage „Ist Videoüberwachung ein wirksames Mittel gegen die augenblickliche und

252

7 Fazit

zukünftige Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus?“ gestellt und beantwortet. Abschreckende, präventive Wirkung im Sinne kriminologischer und kriminalpolitischer Theorien und Strategien hat eine flächendeckende Videoüberwachung auf (potenzielle) islamistisch-terroristische Attentäter deutlich weniger als auf „andere Straftäter“. Abschreckende Wirkung hat eine flächendeckende Videoüberwachung nur dann, wenn sie die Vorbereitung eines islamistisch-terroristischen Anschlags oder Attentats erschwert oder vereitelt. Ist der (potenzielle) islamistisch-terroristische Attentäter z. B. als Gefährder bekannt, könnte Gesichtserkennungssoftware, nach dem gegenwärtigen technologischen Stand, diesen durch Vernetzung mit dem Material der Videoüberwachung innerhalb weniger Sekunden identifizieren und die zuständigen Polizeikräfte alarmieren. Allerdings ist die präventive Wirksamkeit einer Videoüberwachung als Mittel gegen den islamistischen Terrorismus zum einen vom technologischen Niveau, wie z. B. von einer Gesichts- und Objekterkennung abhängig, zum anderen vor allen von den zugrunde liegenden personenbezogenen Daten zum Abgleich durch Algorithmen in Datenbanken deutscher und europäischer Sicherheitsbehörden. Repressive Wirkung zur Aufklärung eines ­islamistisch-terroristischen Anschlags oder Attentats kann eine flächendeckende Videoüberwachung haben und damit ein wirksames Mittel gegen islamistischen Terrorismus sein. In Nizza (2016), Berlin (2016), London (2017), Stockholm (2017) und Barcelona (2017) wurden Kraftfahrzeuge als Wirkmittel des islamistischen Terrorismus benutzt. Hätten diese islamistischen Anschläge mit Kraftfahrzeugen verhindert und damit das Leben und die Gesundheit Hunderter gerettet werden können? Spätestens nach dem Anschlag mit einem LKW in Nizza am 24.7.2016 hätten die deutschen Sicherheitsbehörden damit rechnen können bzw. müssen, dass auch in Deutschland islamistische Anschläge mit Kraftfahrzeugen auf Menschenmengen durchgeführt werden könnten. Dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, zu verhindern, dass Kraftfahrzeuge in Menschenmengen bei Großereignissen (Weihnachtsmärkte, Jahrmärkte, Volksfeste, open air-Konzerte etc.) rasen, hätte den Behörden spätestens nach dem Anschlag in Nizza bekannt sein können, bekannt sein müssen. Dabei ist der Schutz von Menschenmengen vor einem (islamistischen) Anschlag mit Fahrzeugen mit relativ simplen und günstigen Mitteln möglich und fällt unter sicherheitspolitisches good governance. Das Kapitel fünf analysierte auf der Ebene der institutionellen Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa 1) die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, 2) deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr, 3) den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr sowie 4) die europäische Terrorismusabwehr.

7 Fazit

253

Die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung wurde nach den Anschlägen vom 11.9.2001 international erheblich forciert und auch in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert. Durch die feste Verankerung von Almosen, des Zakat, als „fünfter Säule des Islam“ kommt im Bereich des islamistischen Terrorismus den Einnahmen aus Spenden eine geradezu traditionelle Bedeutung zu. Dadurch kam und kommt es sowohl zu Spendenmissbrauch als auch zu offener Finanzierung von terroristischen Organisationen. Als Beispiele seien die Aktivitäten von Al Qaida-Kurieren genannt, die 2009 mehrere Zehntausend US-Dollar in Kuwait sammelten, oder die offenen Aufrufe muslimischer Geistlicher in der arabischen Welt Mitte 2000, im Rahmen der zweiten Intifada der terroristischen Organisation Hamas zu spenden. Im Bereich der illegalen Finanzierungsquellen scheint das Spektrum geradezu grenzenlos. Die Bandbreite an Aktivitäten reicht von Betrug, Raub, Schmuggel, Erpressung („Revolutionssteuer“) oder Geiselnahme (Kidnapping for Ransom) bis hin zu Drogen- und Menschenhandel. Wichtig zu erwähnen ist, dass es in diesen Bereichen auch zu direkter Zusammenarbeit und Überschneidungen mit der Organisierten Kriminalität kommt. Im Unterkapitel „deutsche Sicherheitsinstitutionen und Terrorismusabwehr“ wurde einleitend – in Bezug auf den jihadistischen Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19.12.2016 – festgestellt, dass das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) nicht effektiv genug funktionierte. So räumten gar einzelne Innenminister der Bundesländer ein, dass der Sachverhalt Anis Amri im GTAZ gemeinschaftlich falsch bewertet und zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder hin und her geschoben wurde. Aufgrund des Trennungsgebotes existieren zwei getrennte Auswertungs- und Analysezentren: Einerseits die nachrichtendienstliche Informations- und Analysestelle, andererseits die polizeiliche Informations- und Analysestelle. Des Weiteren forderte der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Jahr 2018 nichts weniger als eine Reform des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern. So wäre seiner Auffassung nach die beste Lösung, wenn die 16 Landesämter für Verfassungsschutz aufgelöst und in das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgehen würden. Ähnlich argumentiert der aktuelle Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, der ebenfalls institutionellen und rechtlichen Handlungsbedarf innerhalb Deutschlands feststellt und moniert, dass es für die Überwachung von islamistischen Gefährdern nicht hilfreich sei, dass es 16 verschiedene Polizeigesetze gebe und daher eine Vereinheitlichung der Polizeigesetze fordert. Auf der Analyseebene der Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten nach dem Trennungsgebot wurde eine Vereinbarkeit des GTAZ mit der befugnisrechtlichen Trennung sowie mit der informationellen Zusammenarbeit

254

7 Fazit

festgestellt. Weiter zeigten die Ausführungen im Abschn. 5.2, dass die verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten keinen Verstoß gegen das Trennungsgebot darstellt. Im Hinblick auf das Bedrohungspotenzial des internationalen islamistischen Terrorismus hätte ein etwaiges gesetzlich normiertes Verbot informationeller Zusammenarbeit zwischen den Polizeien und den Nachrichtendiensten geradezu desaströse Konsequenzen für die deutsche Terrorismusabwehr. Denn im Bereich der Terrorismusbekämpfung stellt ein qualifizierter Informationstausch, besonders in Form der informationellen Zusammenarbeit ein unabdingbares Instrument dar. Die Bündelung von Informationen ist als Teil eines ganzheitlichen Sicherheitssystems die wohl einzige Möglichkeit, dem internationalen islamistischen Terrorismus effektiv zu begegnen. Sie wird auch zukünftig an Bedeutung gewinnen, sodass im Bereich der Informationsgewinnung und -verarbeitung sowie der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden Erweiterungen der Befugnisse zu erwarten sind. Der in der wissenschaftlichen Literatur hoch emotional diskutierte Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismusabwehr wurde in Abschn. 5.3 auf den Ebenen 1) der aktuellen Rechtslage und 2) der Analyse der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus in Bezug auf einen Einsatz der Bundeswehr analysiert. Der Nutzen eines Einsatzes der Bundeswehr im Inneren für die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus wurde auf der Analyseebene möglicher Bedrohungsszenarien verdeutlicht. So ist bei Anschlägen mit Sprengstoffen verschiedener Herkunft ein Abgleich der personellen und materiellen Fähigkeiten von Polizei und Bundeswehr nötig, da die Bundeswehr u. a. seit 2001 über umfangreiche Erfahrungen mit dem Aufklären und Entschärfen von IED hat und somit einen Wissensvorsprung vor der Polizei besitzt. Als alternativlos wurde der Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei dann beschrieben, wenn Terroristen Flugzeuge oder Schiffe nutzen, um Ziele anzugreifen. Daneben wurde aufgezeigt, dass bei multiplen Anschlagsszenarien jihadistischer Terroristen (z. B. in Mumbai und in Paris) Polizeieinheiten ab einem gewissen Grad personell und materiell militärische Unterstützung benötigen. So können jihadistische Angriffe auf Einkaufszentren, Bahnhöfe, Flughäfen oder andere Orte mit Ansammlungen vieler Menschen rein zahlenmäßig Polizeikräfte an ihre Belastungsgrenzen bringen. Den Einsatz der Bundeswehr in solchen Bedrohungsszenarien – z. B. im Orts- und Häuserkampf durch Infanterie oder durch Feldjäger – auszuschließen, könnte zahlreiche Menschenleben kosten. Abschließend wurden im Abschn. 5.4, europäische Terrorismusabwehr, aktuelle Maßnahmen der Europäischen Union, die Verbesserung der EU-Grenzkontrollen, Maßnahmen gegen europäische Foreign Fighters, die ­

7 Fazit

255

Stärkung des Informationsaustausches in der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung, Institutionen der europäischen Terrorismusabwehr sowie mögliche institutionelle Änderungen untersucht. Das Kapitel sechs, das letzte empirische Kapitel, untersuchte auf zwei Ebenen Radikalisierung – erstens Radikalisierung in den Phänomenbereichen Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus und zweitens Präventionsprojekte gegen Islamismus und islamistischen Terrorismus – und begann mit umfangreichen Fragen zur Radikalisierungsanalyse im Bereich Islamismus sowie islamistischer Terrorismus. Daran anschließend wurden zwei Hypothesen islamistischer Radikalisierung – psychische Krankheiten als Radikalisierungsfaktor sowie sozio-ökonomische Faktoren als Radikalisierungsgründe – als wissenschaftlich widerlegt analysiert. Dann wurden für islamistisch-jihadistische Radikalisierungsprozesse drei Faktoren als entscheidend identifiziert: 1) Radikalisierung durch die islamistische, salafistische und jihadistische Ideologie, 2) islamistische Radikalisierung durch den sozialen Nahbereich, das Milieu, die Peer Group und 3) Radikalisierung durch islamistische, salafistische und jihadistische Angebote des Internets. Im Anschluss daran wurde die islamistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten Europas untersucht. Im Abschn. 6.1.3 wurde dargelegt, dass zahlreiche Erkenntnisse aus Deutschland und dem europäischen Ausland seit einigen Jahren verdeutlichen, dass ein großer Teil der bei islamistischen Anschlägen beteiligten Terroristen zuvor einschlägige Hafterfahrungen aufzuweisen hatte. So ist die Idee, dass zukünftige terroristische Anschläge von einem ehemaligen Inhaftierten einer deutschen Justizvollzugsanstalt begangen werden könnten und sich danach ergibt, dass der Beginn des Radikalisierungsprozesses erst in der Zeit im Justizvollzug begann, ein vorstellbares Szenario, das es aus Sicht der deutschen Sicherheitsbehörden unbedingt zu verhindern gilt. Vor allem in den Justizvollzugsanstalten finden sich viele Inhaftierte, die anfällig sind für extremistische Ideologien und Überzeugungen, so auch potenzielle Islamisten, Salafisten und islamistische Terroristen. Dass die Haft eine Zwangsgemeinschaft verurteilter oder auf ihr Urteil wartender Individuen ist, die häufig ein gespanntes Verhältnis zur Gesellschaft haben und unter (subjektiv wahrgenommener bzw. objektiver) sozialer Frustration, wirtschaftlicher Exklusion oder sozialer Stigmatisierung leiden, begünstigt Radikalisierungsprozesse in Justizvollzugsanstalten. So kann sich bei diesen Individuen der institutionelle Zwang von Justizvollzugsanstalten in Richtung einer zusätzlichen Radikalisierungsbereitschaft auswirken. Im Abschn.6.1.3.2 wurde das Violent Extremist Risk Assessment (VERA-2-R) als ein Instrument zur systematischen Beurteilung des Radikalisierungs- und

256

7 Fazit

Gewaltrisikos eines Extremisten vorgestellt und dazu noch das Risikobewertungsinstrument RADAR-iTE und seine Funktion in Justizvollzugsanstalten dargestellt. Zusammenfassend muss konstatiert werden, dass islamistische Radikalisierungsprozesse in Justizvollzugsanstalten im Augenblick und in der Zukunft von großer Relevanz für die Sicherheitsbehörden und den Justizvollzug in Deutschland und anderen europäischen Staaten sind und sein werden. Von besonderer Bedeutung sind dabei sowohl ein bundesländerübergreifender Austausch von Informationen über Radikalisierer und Radikalisierte als auch ­bundesländer- und länderübergreifende Programme und Maßnahmen von Prävention und Deradikalisierung. Im zweiten Unterkapitel, Präventionsprojekte gegen Islamismus und islamistischen Terrorismus, wurde Prävention als wichtiges Mittel für Terrorismusabwehr bezeichnet und untersucht, da im Phänomenbereich von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus rein repressive Mittel nicht ausreichen, sodass Strategien und Maßnahmen der Sicherheitsbehörden durch präventive Strategien und Maßnahmen ergänzt werden müssen. So führt sowohl die Analyse der Quantität als auch der Qualität des islamistisch-salafistischen Phänomenbereiches in Deutschland zum Ergebnis, dass Detektion und Aufklärung von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus durch Präventionsarbeit verschiedener staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure ergänzt werden müssen. Abschließend kann festgestellt werden: (Islamistischer) Terrorismus muss und kann abgewehrt und bekämpft werden, er kann gesamtgesellschaftlich besiegt werden, wozu allerdings eine intensive Interaktion und Kooperation zahlreicher staatlicher und nichtstaatlicher Akteure nötig ist.